Gesetzesumgehung im Zivilrecht: Lehre und praktischer Fall im allgemeinen und internationalen Privatrecht 9783161579264

Martina Benecke befaßt sich mit dem seit der Antike diskutierten Problem der Gesetzesumgehung: Ist ein bestimmtes Verhal

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Gesetzesumgehung im Zivilrecht: Lehre und praktischer Fall im allgemeinen und internationalen Privatrecht
 9783161579264

Table of contents :
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Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
§ 1 Einleitung
Erster Teil Grundlagen der Umgehungslehre
§ 2 Rechtsgeschichte der Gesetzesumgehung
I. Fraus-legis-Doktrin im Römischen Recht
II. Mittelalter: Glossatoren und Volksrechte
III. Neuzeit bis zum Erlaß des BGB
1. Wandel der Lehre
2. Rechtsprechung des Reichsgerichts
3. Gesetzliche Umgehungsregelungen
IV. Erste Hälfte des 20. Jahrhunderts
1. Rechtsprechung des Reichsgerichts zum BGB
2. Entwicklung der Rechtslehre
V. Überblick: Zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart
VI. Gesamtbetrachtung
§ 3 Rechtsvergleichender Überblick
I. Insbesondere: Frankreich
II. Insbesondere: England
III. Gesamtbetrachtung
§ 4 Gesetzesumgehung und verwandte Rechtsbegriffe
I. Gesetzesumgehung und „Gesetzesergehung“
II. Gesetzesumgehung und Scheingeschäft
1. Theoretische Abgrenzung
2. Grenzfälle von Umgehung und Scheingeschäft
3. Abgrenzung im konkreten Fall
III. Gesetzesumgehung, sittenwidriges Rechtsgeschäft und Rechtsmißbrauch
1. Gesetzesumgehung und § 138 Abs. 1 BGB
a) Verhältnis von Umgehung und Sittenwidrigkeit
b) Abgrenzung im Einzelfall
2. Gesetzesumgehung und Rechtsmißbrauch
a) Rechtsmißbrauch und Institutsmißbrauch
b) Grenzfälle von Rechtsmißbrauch und Gesetzesumgehung
IV. Gesetzesumgehung und Vertragsumgehung
§ 5 Gesetzliche Regelungen der Gesetzesumgehung
I. Gesetzliche Umgehungsverbote und ihr Anwendungsbereich
1. Begriff und Regelungen
2. Umgehungsverbote im Verbraucherschutz
a) § 306a BGB (früher § 7 AGBG)
b) § 312f S. 2 BGB (früher §§ 5 Abs. 1 HaustürWG, 5 Abs. 2 FernAbsG)
c) § 487 S. 2 BGB (früher § 9 Abs. 2 TzWrG)
d) §§ 506 S. 2 BGB (früher § 18 S. 2 VerbrKrG), 655e Abs. 1 S. 2 BGB
e) § 475 Abs. 1 S. 2 BGB
II. Rolle und Bedeutung der gesetzlichen Umgehungsverbote
1. Allgemeine Funktionen
2. Eigenständige Bedeutung?
a) Beispiel § 6 AbzG
b) Beispiel Recht der Haustürgeschäfte
c) Beispiel Verbrauchsgüterkauf
d) Besonderheiten des Verbraucherschutzes
e) Fazit
§ 6 Gesetzesumgehung und Auslegung
I. Praktische Bedeutung
1. Auslegungskriterien und Umgehungsgeschäfte
2. Grenzfälle in der Praxis
II. Theoretische Abgrenzung
1. Auslegung und Umgehung einer Norm
2. Umgehung als Auslegungsargument
Zweiter Teil Gesetzesumgehung im praktischen Fall
§ 7 Das umgangene Gesetz
I. Voraussetzungen der Gesetzesumgehung
1. Gesetzesumgehung und Gesetzesvermeidung
a) Sinn und Ziel von Gesetzen
b) Bestimmung des Ziels
2. Umgehungsfähigkeit von Gesetzen
3. Zweckverbote und Wegverbote
II. Rechtsfolgen der Umgehung
1. Entwicklung der Rechtsprechung
2. Rechtsfolgen in besonderen Fällen
a) Nichtigkeit des Umgehungsgeschäfts
b) Umgehung von Genehmigungspflichten
c) Umgehungsfälle im Arbeitsrecht
III. Fazit
§ 8 Umgehungsspezifische Wertung
I. Analogie und Wertung
1. Analogiebildung in der Praxis
2. Umsetzung von Wertung durch Analogie
3. Umsetzung der Wertung über Analogie hinaus
II. Stufen der Wertung in Umgehungsfällen
1. Ziel des umgangenen Gesetzes
2. Die Eingriffsschwelle
§ 9 Kriterien der Wertung
I. Besonderheiten des umgangenen Gesetzes
1. Einschränkung der Privatautonomie
2. Schutznormen
a) Beispiele „sozialer“ Schutznormen
b) Beispiele Schuldner- und Gläubigerschutz
c) Ergebnis
3. Insbesondere: Gesetzesumgehung im Gesellschaftsrecht
a) Umgehung der Grundsätze der Aufbringung des Stammkapitals
b) Umgehung der Grundsätze der Erhaltung des Stammkapitals
II. Objektive und wertende Kriterien
1. Atypizität des Umgehungstatbestandes
a) Atypizität und Gesetzesumgehung in der Literatur
b) Atypische Fälle in der Praxis
2. Sittenwidrigkeit und Rechtsmißbrauch
a) Sittenwidrigkeit als Wertungskriterium
b) Rechtsmißbrauch als Wertungskriterium
3. Bedürfnisse des Verkehrs
4. Schutz von Rechten Dritter
III. Die subjektive Seite der Umgehung
1. Bedeutung des Subjektiven
2. Umgehungsabsicht und Umgehungszweck
3. Motive der Umgehung, insbesondere Täuschungsabsicht
IV. Gemeinsamer Nenner der Wertungskriterien
1. Fallgruppen und Schwerpunkte
2. Verbindung der Wertungskriterien
§ 10 Grenzen der Analogie in Umgehungsfällen
I. Strukturelle Unterschiede
1. Methodisches Vorgehen
2. Konsequenzen
II. Praktische Grenzen der Analogie
1. Voraussetzungen der Analogie
a) Normen mit beschränktem Geltungsbereich
b) Ausnahmevorschriften
c) Feste gesetzliche Grenze
2. Methode und Rechtsfolge der Analogie
a) Umgangene und ähnliche Norm
b) Rechtsfolgen von Analogie und Umgehung
aa) Umgehung von Genehmigungspflichten
bb) Umgehung von Regeln mit begrenztem Geltungsbereich
III. Ergebnis
§ 11 Gesetzesumgehung jenseits der Grenzen der Analogie
I. Methodische Ansätze
1. Gesetzesumgehung als selbständiges Rechtsinstitut
a) Gesetzesumgehung und Gewohnheitsrecht
b) Gesetzesumgehung und § 134 BGB
2. Gesetzesumgehung als unselbständiges Rechtsproblem
a) Erweiterung der Grenzen der Analogie
b) Rechtsfortbildung
II. Rechtsfortbildung in Umgehungsfällen
1. Grundlagen der Rechtsfortbildung
2. Umgehungsfälle und Rechtsfortbildung
3. Schlußfolgerung
III. Rechtsfolgen über Gleichstellung hinaus
1. Gleichstellung und Sanktionen
2. Rechtsfolgen in Sonderfällen
IV. Sonderfall Arbeitsrecht?
1. Gesetzesumgehung in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung
a) Umgehung des Kündigungsschutzes
aa) Teilzeit- und Befristungsgesetz
bb) Dogmatik der Rechtsprechung
cc) Weitere Umgehungen des Kündigungsschutzes
b) Umgehung anderer Normen
2. Besonderheiten des Arbeitsrechts
§ 12 Gesetzesumgehung im Sachrecht: Theorie und Praxis
I. Definition der Gesetzesumgehung
II. Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung
III. Gesetzesumgehung und bestehende Rechtsinstitute
IV. Gesetzesumgehung und Auslegung
V. Gesetzesumgehung und Analogie
VI. Rechtsfortbildung in Umgehungsfällen
VII. Gesetzliche Umgehungsverbote
VIII. Umgehungsabsicht: subjektive Voraussetzungen der Gesetzesumgehung
IX. Umgehungsspezifische Wertung
X. Rechtsfolge der Gesetzesumgehung
XI. Fazit
3. Teil Gesetzesumgehung im Internationalen Privatrecht
§ 13 Strukturelle Besonderheiten der Umgehung im IPR
I. Umgangene Norm im IPR
1. Meinungsstand in der Literatur
2. Stellungnahme
II. Mittel der Gesetzesumgehung im IPR
1. Veränderung qualifikationserheblicher Tatsachen
2. Gesetzesumgehung durch Rechtswahl
a) „Mißbrauch der Rechtswahl“ durch Umgehung?
b) „Gran-Canaria-Fälle“
c) Fazit
§ 14 Verwandte Rechtsbegriffe im IPR
I. Gesetzesumgehung und Simulation
II. Gesetzesumgehung und Rechtsmißbrauch
III. Gesetzesumgehung und ordre public
IV. Unechte und echte Gesetzesumgehung
§ 15 Umgehungsfälle im IPR und Wertung
I. Wertungskriterien der Praxis: Fallgruppen
1. Heirat
2. Scheidung
3. Formvorschriften
II. Umgangene Norm
1. Schutzzweck im Kollisionsrecht
a) Ergehung von Schutznormen
b) Umgehung von Schutznormen
2. Verkehrsschutz
III. Objektive und wertende Kriterien
1. Ungewöhnliches Vorgehen
2. Individuelle Fallgestaltung
3. „Rechtsmißbräuchliches Vorgehen“
4. Sittenwidrigkeit und ordre public
a) Ordre public
b) § 138 Abs. 1 BGB und IPR
IV. Subjektive Elemente
1. Umgehungsabsicht in Literatur und Rechtsprechung
2. Umgehungszweck und Eingriffsschwelle
3. „Arglist“ und ähnliche Kriterien
V. Ergebnis: Umgehungsspezifische Wertung im IPR
1. Stufen der Wertung
2. Wertungskriterien
3. Abwägung
a) Abwägungskriterien
b) Individualinteressen im IPR
c) Fazit
§ 16 Methodische Möglichkeiten und Grenzen
I. Gesetzesumgehung im kodifizierten Bereich
1. Methodische Ansätze und Ziele
a) Ansätze der Literatur
b) Rechtsfolge der Umgehung
c) Methodische Ansätze
aa) Lösung über die tatsächliche Ebene
bb) Auslegung des umgangenen Gesetzes
2. Analogie in kollisionsrechtlichen Umgehungsfällen
a) Analogieschluß und Gesetzesumgehung im Sachrecht
b) Analogieschluß bei Gesetzesumgehung im IPR
aa) Regelungslücke, umgangene Norm und Ähnlichkeit
bb) Analogieschluß und Wertung im IPR
3. Grenzen der Analogie im IPR
a) Methodische Grenzen der Analogie
aa) Analogie als Ausgangspunkt
bb) Erweiterte Grenzen der Analogie
cc) Modifizierte Analogie im IPR
b) Gesetzesumgehung durch Rechtswahl
c) Methodik jenseits der Grenzen der Analogie
II. Gesetzesumgehung im nicht kodifizierten Bereich
1. Gewohnheitsrecht und Analogie
2. Insbesondere: Sitztheorie und Gesetzesumgehung im Internationalen Gesellschaftsrecht
a) Sitztheorie als „umgehungsfeste“ Anknüpfung
b) Entwicklung der Rechtsprechung
c) Grenzen gesellschaftsrechtlicher Umgehungskonstruktionen
§ 17 Gesetzesumgehung im Internationalen Verfahrensrecht
I. Forum shopping
1. Begriff und Bedeutung
a) Vorteile für den Kläger
b) Abwehrmöglichkeiten des Beklagten
2. Rechtsfolgen des forum shopping
a) Grundsatz: Legalität
b) Forum-non-conveniens-Lehre
II. Zuständigkeitserschleichung
1. Abgrenzungen
a) Simulation
b) Ordre public
2. Erscheinungsformen
a) „Erschleichung“ des Prozeßrechts
b) „Erschleichung“ von Sachrecht
3. Methodik und Wertung
a) Rechtsnatur der Zuständigkeitserschleichung
b) Stufen der Wertung
4. Kriterien der Eingriffsschwelle
a) Objektive Kriterien: Mißbrauch, Arglist
b) Subjektive Kriterien: „Objektive Zuständigkeitserschleichung“?
aa) Entwicklung der Rechtsprechung
bb) Erfordernis zumindest bewußten Vorgehens
cc) Regelung in Art. 6 Nr. 2 EuGVVO (früher Art. 6 Nr. 2 EuGVÜ)
c) Zusammenfassung
5. Höhe der Eingriffsschwelle
a) Manipulation des Prozeß- und Kollisionsrechts
b) Toleranz gegenüber der Zuständigkeitserschleichung
§ 18 Prozessuale Besonderheiten: Anerkennung und Gerichtsstandsvereinbarungen
I. Anerkennung erschlichener Urteile
1. Folgen der Anerkennung
2. Ablehnungstatbestände des § 328 Abs. 1 ZPO
a) § 328 Abs. 1 ZPO und Gesetzesumgehung
b) Spiegelbildprinzip, § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
c) Ordre-public-Klausel, § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO
aa) Zuständigkeitserschleichung und ordre public
bb) Fallösung über § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
II. Gerichtsstandsvereinbarungen
1. Rechtsnatur und Wirkungen
2. Gerichtsstandsvereinbarungen und Gesetzesumgehung
3. Grenzen von Gerichtsstandsvereinbarungen
a) Zulässigkeit internationaler Zuständigkeitsvereinbarungen
b) Inhaltskontrolle nach §§ 138 Abs. 1 BGB, 1025 Abs. 2 ZPO a.F. analog
4. Umgehung zwingenden Recht durch Gerichtsstandsvereinbarungen
a) Zwingende und international zwingende Normen
b) Verstoß gegen den ordre public
c) Gesetzesumgehung und Eingriffsschwelle
5. Gerichtsstandsklauseln und Rechtswahlklauseln
III. Ergebnisse: Gesetzesumgehung im Internationalen Prozeßrecht
1. Unterschiede Internationales Prozeßrecht – IPR
2. Insbesondere: Wertungsfragen
§ 19 Zusammenfassung: Gesetzesumgehung im IPR und Sachrecht
I. Definition der Gesetzesumgehung im IPR
II. Umgehung und bestehende Rechtsinstitute
III. Methodische Fragen
IV. Gesetzesumgehung im nicht kodifizierten Bereich
V. Wertungsfragen
VI. Gesetzesumgehung und Privatautonomie
§ 20 Schlußbetrachtung
I. Keine einheitliche Lösung in Umgehungsfällen
II. Gesetzesumgehung als Rechtsbegriff nicht überflüssig
III. Gesetzesumgehung im Sachrecht und IPR
Literaturverzeichnis
Sachregister

Citation preview

JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 94

M a r t i n a Benecke

Gesetzesumgehung im Zivilrecht Lehre und praktischer Fall im allgemeinen und Internationalen Privatrecht

M o h r Siebeck

Martina Benecke, geboren 1967, 1 9 8 6 - 1 9 9 2 Studium der Rechtswissenschaften an der GeorgAugust-Universität Göttingen, 1 9 9 2 1. Staatsexamen, 1996 P r o m o t i o n , 1 9 9 7 2. Staatsexamen, Hugo-Sinzheimer-Preis. 2 0 0 2 Habilitation, Venia Legendi für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht, Internationales Privatrecht, Wirtschaftsrecht.

Als Habilitationsschrift auf E m p f e h l u n g der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

978-3-16-157926-4 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 ISBN 3 - 1 6 - 1 4 8 4 1 3 - 4 ISSN 0 9 4 0 - 9 6 1 0 (Jus Privatum) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

© 2 0 0 4 M o h r Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerh a l b der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist o h n e Z u s t i m m u n g des Verlags unzulässig u n d strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen u n d die Einspeicherung u n d Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch w u r d e von Guide-Druck in Tübingen aus der Sabon gesetzt, auf alterungsbeständiges W e r k d r u c k p a p i e r gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Vorwort Die Arbeit wurde im Wintersemester 2002/03 von der juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Habilitationsschrift angenommen. Die zitierte Rechtsprechung und Literatur sind auf dem Stand von Anfang des Jahres 2004. Mein Dank gilt meinem Lehrer, Professor Dr. Abbo Junker, der die Idee für diese Arbeit hatte und mir bei meiner Assistententätigkeit am Institut für Arbeitsrecht stets die nötige Freiheit für ihre Verwirklichung gab. Dank schulde ich auch den weiteren Gutachtern, Professor Dr. Okko Behrends und Professor Dr. Hans-Martin Müller-Laube sowie meinem Doktorvater, Professor Dr. Hansjörg Otto, für wertvolle Anregungen. Für vielerlei Unterstützung danke ich meinen Eltern und Dietrich Kluge. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat die Veröffentlichung durch eine Publikationsbeihilfe gefördert; auch dafür mein Dank. Göttingen, im Juni 2004

Privatdozentin Dr. Martina Benecke

Inhaltsübersicht

§1

Einleitung

Erster

Teil: Grundlagen

1 der Umgehungslehre

§2

Rechtsgeschichte der Gesetzesumgehung

§3

Rechtsvergleichender Überblick

7 8 28

§4

Gesetzesumgehung und verwandte Rechtsbegriffe

34

§5

Gesetzliche Regelung der Gesetzesumgehung

52

§6

Gesetzesumgehung und Auslegung

80

Zweiter

Teil: Gesetzesumgehung

im praktischen

§7

Das umgangene Gesetz

§8

Umgehungsspezifische Wertung

§9

Kriterien der Wertung

Fall

89 90 111 123

§ 1 0 Grenzen der Analogie in Umgehungsfällen

164

§ 1 1 Gesetzesumgehung jenseits der Grenzen der Analogie

181

§ 12 Gesetzesumgehung im Sachrecht: Theorie und Praxis

207

Dritter

Teil: Gesetzesumgehung

im Internationalen

Privatrecht

. . . .

219

§ 1 3 Strukturelle Besonderheiten der Umgehung im IPR

223

§ 14 Verwandte Rechtsbegriffe im IPR

238

§ 1 5 Umgehungsfälle im IPR und Wertung

246

§ 16 Methodische Möglichkeiten und Grenzen

286

§ 1 7 Gesetzesumgehung im Internationalen Verfahrensrecht

315

§ 1 8 Prozessuale Besonderheiten: Anerkennung und Gerichtsstandsvereinbarungen

342

§ 1 9 Zusammenfassung: Gesetzesumgehung im IPR und Sachrecht

364

§ 2 0 Schlußbetrachtung

371

Literaturverzeichnis

377

Sachregister

389

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

V

Abkürzungsverzeichnis

XIX

§ 1 Einleitung

1 Erster Teil

Grundlagen der Umgehungslehre §2

Rechtsgeschichte der Gesetzesumgehung

8

II. Mittelalter: Glossatoren und Volksrechte

12

III. Neuzeit bis zum Erlaß des BGB 1. Wandel der Lehre 2. Rechtsprechung des Reichsgerichts 3. Gesetzliche Umgehungsregelungen

13 14 15 17

IV. Erste Hälfte des 20. Jahrhunderts 1. Rechtsprechung des Reichsgerichts zum BGB 2. Entwicklung der Rechtslehre

17 17 21

VI. Gesamtbetrachtung

Rechtsvergleichender

Überblick

I. Insbesondere: Frankreich II. Insbesondere: England III. Gesamtbetrachtung

§4

8

I. Fraus-legis-Doktrin im Römischen Recht

V. Überblick: Zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart

§3

7

Gesetzesumgehung

und verwandte Rechtsbegriffe

I. Gesetzesumgehung und „Gesetzesergehung" II. Gesetzesumgehung und Scheingeschäft

22 26

28 29 31 33

34 34 37

X

Inhaltsverzeichnis 1. Theoretische A b g r e n z u n g

37

2. Grenzfälle v o n U m g e h u n g u n d Scheingeschäft

39

3. A b g r e n z u n g im k o n k r e t e n Fall

41

III. G e s e t z e s u m g e h u n g , sittenwidriges Rechtsgeschäft u n d Rechtsmißbrauch

43

1. G e s e t z e s u m g e h u n g u n d § 138 Abs. 1 BGB

43

a) Verhältnis v o n U m g e h u n g u n d Sittenwidrigkeit

43

b) A b g r e n z u n g im Einzelfall

45

2. G e s e t z e s u m g e h u n g u n d R e c h t s m i ß b r a u c h

47

a) R e c h t s m i ß b r a u c h u n d I n s t i t u t s m i ß b r a u c h

47

b) Grenzfälle von R e c h t s m i ß b r a u c h u n d Gesetzesumgehung

48

IV. G e s e t z e s u m g e h u n g u n d V e r t r a g s u m g e h u n g

50

§ 5 Gesetzliche Regelungen der Gesetzesumgehung I. Gesetzliche U m g e h u n g s v e r b o t e u n d ihr A n w e n d u n g s b e r e i c h

52 . .

52

1. Begriff u n d Regelungen

52

2. U m g e h u n g s v e r b o t e im V e r b r a u c h e r s c h u t z

57

a) § 3 0 6 a BGB (früher § 7 AGBG)

59

b) § 312f S . 2 BGB ( f r ü h e r § § 5 Abs. 1 H a u s t ü r W G , 5 A b s . 2 FernAbsG)

61

c) § 4 8 7 S. 2 BGB (früher § 9 Abs. 2 T z W r G )

65

d) § § 5 0 6 S . 2 BGB (früher § 18 S.2 V e r b r K r G ) , 6 5 5 e Abs. 1 S.2 BGB

66

e) § 4 7 5 Abs. 1 S . 2 BGB II. Rolle u n d B e d e u t u n g der gesetzlichen U m g e h u n g s v e r b o t e

69 . . .

70

1. Allgemeine F u n k t i o n e n

71

2. Eigenständige Bedeutung?

73

a) Beispiel § 6 A b z G

73

b) Beispiel Recht der H a u s t ü r g e s c h ä f t e

74

c) Beispiel V e r b r a u c h s g ü t e r k a u f

75

d) Besonderheiten des Verbraucherschutzes

76

e) Fazit

78

§ 6 Gesetzesumgehung

und Auslegung

I. Praktische B e d e u t u n g 1. Auslegungskriterien u n d U m g e h u n g s g e s c h ä f t e 2. Grenzfälle in der Praxis II. Theoretische A b g r e n z u n g 1. Auslegung u n d U m g e h u n g einer N o r m 2. U m g e h u n g als A u s l e g u n g s a r g u m e n t

80 80 80 81 84 84 87

Inhaltsverzeichnis Zweiter

Teil

Gesetzesumgehung im p r a k t i s c h e n Fall 5 7

Das umgangene

Gesetz

II. Rechtsfolgen der Umgehung 1. Entwicklung der Rechtsprechung 2. Rechtsfolgen in besonderen Fällen a) Nichtigkeit des Umgehungsgeschäfts b) Umgehung von Genehmigungspflichten c) Umgehungsfälle im Arbeitsrecht III. Fazit Umgehungsspezifische

"Wertung

II. Stufen der Wertung in Umgehungsfällen 1. Ziel des umgangenen Gesetzes 2. Die Eingriffsschwelle Kriterien

91 91 91 93 94 96 97 98 100 101 103 106 109

I. Analogie und Wertung 1. Analogiebildung in der Praxis 2. Umsetzung von Wertung durch Analogie 3. Umsetzung der Wertung über Analogie hinaus

§9

89 90

I. Voraussetzungen der Gesetzesumgehung 1. Gesetzesumgehung und Gesetzesvermeidung a) Sinn und Ziel von Gesetzen b) Bestimmung des Ziels 2. Umgehungsfähigkeit von Gesetzen 3. Zweckverbote und Wegverbote

§8

XI

der Wertung

I. Besonderheiten des umgangenen Gesetzes 1. Einschränkung der Privatautonomie 2. Schutznormen a) Beispiele „sozialer" Schutznormen b) Beispiele Schuldner- und Gläubigerschutz c) Ergebnis 3. Insbesondere: Gesetzesumgehung im Gesellschaftsrecht . . . a) Umgehung der Grundsätze der Aufbringung des Stammkapitals b) Umgehung der Grundsätze der Erhaltung des Stammkapitals II. Objektive und wertende Kriterien 1. Atypizität des Umgehungstatbestandes

111 111 111 114 116 117 117 120 123 125 126 127 128 129 131 131 133 137 139 140

XII

Inhaltsverzeichnis

a) Atypizität und Gesetzesumgehung in der Literatur

. . . .

b) Atypische Fälle in der Praxis

141

2 . Sittenwidrigkeit und Rechtsmißbrauch

145

a) Sittenwidrigkeit als Wertungskriterium

146

b) Rechtsmißbrauch als Wertungskriterium

148

3. Bedürfnisse des Verkehrs

149

4 . Schutz von Rechten Dritter

151

III. Die subjektive Seite der Umgehung

153

1. Bedeutung des Subjektiven

154

2 . Umgehungsabsicht und Umgehungszweck 3. Motive der Umgehung, insbesondere Täuschungsabsicht

156 . .

IV. Gemeinsamer Nenner der Wertungskriterien

§10

140

159 161

1. Fallgruppen und Schwerpunkte

161

2. Verbindung der Wertungskriterien

162

164

Grenzen der Analogie in Umgehungsfällen I. Strukturelle Unterschiede

164

1. Methodisches Vorgehen

165

2. Konsequenzen

168

II. Praktische Grenzen der Analogie

169

1. Voraussetzungen der Analogie

169

a) Normen mit beschränktem Geltungsbereich

169

b) Ausnahmevorschriften

173

c) Feste gesetzliche Grenze

175

2. Methode und Rechtsfolge der Analogie

176

a) Umgangene und ähnliche N o r m

177

b) Rechtsfolgen von Analogie und Umgehung

177

aa) Umgehung von Genehmigungspflichten

178

bb) Umgehung von Regeln mit begrenztem Geltungsbereich

178

III. Ergebnis

§11

Gesetzesumgehung

179

181

jenseits der Grenzen der Analogie

I. Methodische Ansätze

181

1. Gesetzesumgehung als selbständiges Rechtsinstitut

182

a) Gesetzesumgehung und Gewohnheitsrecht

182

b) Gesetzesumgehung und § 1 3 4 B G B 2 . Gesetzesumgehung als unselbständiges Rechtsproblem

183 . . .

185

a) Erweiterung der Grenzen der Analogie

185

b) Rechtsfortbildung

186

II. Rechtsfortbildung in Umgehungsfällen

187

Inhaltsverzeichnis

XIII

1. Grundlagen der Rechtsfortbildung 2. Umgehungsfälle und Rechtsfortbildung 3. Schlußfolgerung

§12

187 189 191

III. Rechtsfolgen über Gleichstellung hinaus 1. Gleichstellung und Sanktionen 2. Rechtsfolgen in Sonderfällen

192 192 193

IV. Sonderfall Arbeitsrecht? 1. Gesetzesumgehung in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung a) Umgehung des Kündigungsschutzes aa) Teilzeit- und Befristungsgesetz bb) Dogmatik der Rechtsprechung cc) Weitere Umgehungen des Kündigungsschutzes . . . . b) Umgehung anderer Normen 2. Besonderheiten des Arbeitsrechts

195

Gesetzesumgehung

im Sachrecht: Theorie und Praxis

I. Definition der Gesetzesumgehung

196 196 197 198 201 202 204 207 208

II. Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung

208

III. Gesetzesumgehung und bestehende Rechtsinstitute

209

IV. Gesetzesumgehung und Auslegung

210

V. Gesetzesumgehung und Analogie

211

VI. Rechtsfortbildung in Umgehungsfällen

212

VII. Gesetzliche Umgehungsverbote

213

VIII. Umgehungsabsicht: subjektive Voraussetzungen der Gesetzesumgehung IX. Umgehungsspezifische Wertung

214 215

X. Rechtsfolge der Gesetzesumgehung

216

XI. Fazit

217 3. Teil

G e s e t z e s u m g e h u n g im I n t e r n a t i o n a l e n Privatrecht §13

Strukturelle

Besonderheiten

der Umgehung

I. Umgangene Norm im IPR 1. Meinungsstand in der Literatur 2. Stellungnahme II. Mittel der Gesetzesumgehung im IPR

im IPR

219 223 223 224 225 227

XIV

§14

Inhaltsverzeichnis 1. Veränderung qualifikationserheblicher Tatsachen

228

2. Gesetzesumgehung durch Rechtswahl

230

a) „Mißbrauch der Rechtswahl" durch Umgehung?

231

b) „Gran-Canaria-Fälle"

233

c) Fazit

237

Verwandte Rechtsbegriffe

im IPR

I. Gesetzesumgehung und Simulation II. Gesetzesumgehung und Rechtsmißbrauch

§15

238 238 240

III. Gesetzesumgehung und ordre public

241

IV. Unechte und echte Gesetzesumgehung

243

Umgehungsfälle

im IPR und Wertung

I. Wertungskriterien der Praxis: Fallgruppen 1. Heirat

246 247 247

2. Scheidung

249

3. Formvorschriften

252

II. Umgangene N o r m

255

1. Schutzzweck im Kollisionsrecht

256

a) Ergehung von Schutznormen

256

b) Umgehung von Schutznormen 2. Verkehrsschutz

258 260

III. Objektive und wertende Kriterien

261

1. Ungewöhnliches Vorgehen

262

2. Individuelle Fallgestaltung

264

3. „Rechtsmißbräuchliches Vorgehen"

266

4 . Sittenwidrigkeit und ordre public a) Ordre public b) § 1 3 8 Abs. 1 B G B und IPR IV. Subjektive Elemente

269 269 270 272

1. Umgehungsabsicht in Literatur und Rechtsprechung

273

2 . Umgehungszweck und Eingriffsschwelle

274

3. „Arglist" und ähnliche Kriterien

277

V. Ergebnis: Umgehungsspezifische Wertung im IPR

278

1. Stufen der Wertung

278

2 . Wertungskriterien

280

3. Abwägung a) Abwägungskriterien

281 281

b) Individualinteressen im IPR

283

c) Fazit

284

XV

Inhaltsverzeichnis

§16

Methodische

Möglichkeiten

286

und Grenzen

I. Gesetzesumgehung im kodifizierten Bereich 1. Methodische Ansätze und Ziele a) Ansätze der Literatur b) Rechtsfolge der Umgehung c) Methodische Ansätze aa) Lösung über die tatsächliche Ebene bb) Auslegung des umgangenen Gesetzes 2. Analogie in kollisionsrechtlichen Umgehungsfällen a) Analogieschluß und Gesetzesumgehung im Sachrecht . . b) Analogieschluß bei Gesetzesumgehung im IPR aa) Regelungslücke, umgangene Norm und Ähnlichkeit . bb) Analogieschluß und Wertung im IPR 3. Grenzen der Analogie im IPR a) Methodische Grenzen der Analogie aa) Analogie als Ausgangspunkt bb) Erweiterte Grenzen der Analogie cc) Modifizierte Analogie im IPR b) Gesetzesumgehung durch Rechtswahl c) Methodik jenseits der Grenzen der Analogie II. Gesetzesumgehung im nicht kodifizierten Bereich 1. Gewohnheitsrecht und Analogie 2. Insbesondere: Sitztheorie und Gesetzesumgehung im Internationalen Gesellschaftsrecht a) Sitztheorie als „umgehungsfeste" Anknüpfung b) Entwicklung der Rechtsprechung c) Grenzen gesellschaftsrechtlicher Umgehungskonstruktionen

§17

Gesetzesumgehung

im Internationalen

Verfahrensrecht

I. Forum Shopping 1. Begriff und Bedeutung a) Vorteile für den Kläger b) Abwehrmöglichkeiten des Beklagten 2. Rechtsfolgen des forum Shopping a) Grundsatz: Legalität b) Forum-non-conveniens-Lehre II. Zuständigkeitserschieichung 1. Abgrenzungen a) Simulation b) Ordre public 2. Erscheinungsformen a) „Erschleichung" des Prozeßrechts

287 287 287 288 289 289 290 290 291 293 294 295 297 297 297 299 300 301 303 304 304 305 306 308 311

....

315 317 317 317 319 320 320 321 322 323 323 325 325 326

XVI

Inhaltsverzeichnis b) „ E r s c h l e i c h u n g " von Sachrecht 3. M e t h o d i k u n d W e r t u n g

329 330

a) R e c h t s n a t u r der Z u s t ä n d i g k e i t s e r s c h i e i c h u n g

330

b) Stufen der W e r t u n g

332

4. Kriterien der Eingriffsschwelle

333

a) O b j e k t i v e Kriterien: M i ß b r a u c h , Arglist

333

b) Subjektive Kriterien: „ O b j e k t i v e Z u s t ä n d i g k e i t s erschieichung"?

335

aa) E n t w i c k l u n g der R e c h t s p r e c h u n g

336

bb) E r f o r d e r n i s z u m i n d e s t b e w u ß t e n Vorgehens

336

cc) Regelung in Art. 6 Nr. 2 E u G W O (früher Art. 6 Nr. 2 EuGVÜ) c) Z u s a m m e n f a s s u n g

338 339

5. H ö h e der Eingriffsschwelle

339

a) M a n i p u l a t i o n des Prozeß- u n d Kollisionsrechts

339

b) Toleranz gegenüber der Z u s t ä n d i g k e i t s e r s c h i e i c h u n g

§18

Prozessuale Besonderheiten: Anerkennung Gericbtsstandsvereinbarungen

. . .

340

und 342

I. A n e r k e n n u n g erschlichener Urteile

342

1. Folgen der A n e r k e n n u n g

343

2. A b l e h n u n g s t a t b e s t ä n d e des § 3 2 8 Abs. 1 Z P O

344

a) § 3 2 8 Abs. 1 Z P O u n d G e s e t z e s u m g e h u n g

344

b) Spiegelbildprinzip, § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 1 Z P O

345

c) Ordre-public-Klausel, § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 4 Z P O

345

aa) Z u s t ä n d i g k e i t s e r s c h i e i c h u n g u n d o r d r e public

. . . .

bb) Fallösung über § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 1 Z P O

346 348

II. G e r i c h t s s t a n d s v e r e i n b a r u n g e n

349

1. R e c h t s n a t u r u n d W i r k u n g e n

350

2. G e r i c h t s s t a n d s v e r e i n b a r u n g e n u n d G e s e t z e s u m g e h u n g

. . .

3. G r e n z e n v o n G e r i c h t s s t a n d s v e r e i n b a r u n g e n

352 353

a) Zulässigkeit i n t e r n a t i o n a l e r Z u s t ä n d i g k e i t s vereinbarungen

353

b) I n h a l t s k o n t r o l l e n a c h § § 1 3 8 Abs. 1 BGB, 1 0 2 5 A b s . 2 Z P O a.F. a n a l o g

354

4. U m g e h u n g z w i n g e n d e n Recht d u r c h Gerichtsstandsvereinbarungen a) Z w i n g e n d e u n d i n t e r n a t i o n a l zwingende N o r m e n

356 . . . .

356

b) Verstoß gegen den o r d r e public

358

c) G e s e t z e s u m g e h u n g u n d Eingriffsschwelle

359

5. Gerichtsstandsklauseln u n d R e c h t s w a h l k l a u s e l n

361

III. Ergebnisse: G e s e t z e s u m g e h u n g im I n t e r n a t i o n a l e n Prozeßrecht

362

XVII

Inhaltsverzeichnis

§19

1. Unterschiede Internationales Prozeßrecht - IPR

362

2 . Insbesondere: Wertungsfragen

363

Zusammenfassung:

Gesetzesumgehung

im IPR und

Sachrecht I. Definition der Gesetzesumgehung im I P R

364

II. Umgehung und bestehende Rechtsinstitute

365

III. M e t h o d i s c h e Fragen

366

IV. Gesetzesumgehung im nicht kodifizierten Bereich

368

V. Wertungsfragen VI. Gesetzesumgehung und Privatautonomie

§20

364

Schlußbetrachtung I. Keine einheitliche Lösung in Umgehungsfällen II. Gesetzesumgehung als Rechtsbegriff nicht überflüssig III. Gesetzesumgehung im Sachrecht und I P R

368 369

371 372 373 375

Literaturverzeichnis

377

Sachregister

389

Abkürzungsverzeichnis a.A. ABGB ABl. EG Abs. AbzG AcP AEntG a.F. AG AGB AGBG AktG Alt. Anm. AO AP ArbG AR-Blattei ArbuR Art., Artt. AuA AÜG Aufl. AuslG AWD BAG BAGE BAT BayObLG BayObLGZ BB BBiG Bd. Begr. BeschFG BetrVG

anderer Ansicht Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch für Osterreich Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz Abzahlungsgesetz Archiv f ü r die civilistische Praxis (Zeitschrift) Arbeitnehmer-Entsendegesetz alte Fassung Aktiengesellschaft; Amtsgericht; Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Aktiengesetz Alternative Anmerkung Abgabenordnung Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Arbeitsgericht Arbeitsrecht-Blattei Arbeit und Recht (Zeitschrift) Artikel Arbeit und Arbeitsrecht (Zeitschrift) Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Auflage Ausländergesetz Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters (Zeitschrift) Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundes-Angestelltentarif Bayerisches Oberstes Landesgericht Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen Betriebs-Berater (Zeitschrift) Berufsbildungsgesetz Band Begründer(in) Beschäftigungsförderungsgesetz Betriebsverfassungsgesetz

XX BFH BGB BGBl. BGH BGHZ BörsG BT-Drucks. BUrlG c.i.c. CPO D. DAR DB ders. dies. DNotZ DR DStR DtZ EFZG eG EGBGB EGZPO EheG ErbGleichG EVÜ EuGH EuGVÜ EuGWO

Abkürzungsverzeichnis

EuZPR EuZW EWiR EzA f., ff. FamRZ Fase. FAZ FernAbsG FernUSG FGG Fn. GG GjS GKG GmbH

Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Börsengesetz Bundestags-Drucksache Bundesurlaubsgesetz culpa in contrahendo Civilprozeßordnung Digesten Deutsches Autorecht (Zeitschrift) Der Betrieb (Zeitschrift) derselbe dieselbe, dieselben Deutsche Notar-Zeitschrift Deutsches Recht (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsch-deutsche Rechts-Zeitschrift Entgeltfortzahlungsgesetz eingetragene Genossenschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zur Zivilprozeßordnung Ehegesetz Erbrechtsgleichstellungsgesetz Europäisches (Schuld-) Vertragsübereinkommen Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen Verordnung (EG) über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Europäisches Zivilprozeßrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht folgende Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fascicule (Lieferung) Frankfurter Allgemeine Zeitung Fernabsatzgesetz Fernunterrichtsschutzgesetz Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Fußnote Grundgesetz Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GmbHG

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung

Abkürzungsverzeichnis

XXI

GmbHR GRIJR GS GüKG GVG GWB HansOLG HessLAG HGB hM Hrsg.

GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) Großer Senat Güterkraftverkehrsgesetz Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Hanseatisches Oberlandesgericht (Hamburg) Hessisches Landesarbeitsgericht Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Herausgeber

HS HWiG InsO intGesR Int SachenR IPR IPRax IPRspr

Halbsatz Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften Insolvenzordnung Internationales Gesellschaftsrecht Internationales Sachenrecht Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Zeitschrift) Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des internationalen

i.V.m. IZPR IZVR J . Cl. dr. int. JR JuS JurA JurBüro JW JZ Kap. KG KO KreisG KSchG LAG LFZG LG LM Ls. MDR MitbestG MSA MünchHdb.ArbR MünchKomm m.w.N.

Privatrechts im Verbindung mit Internationales Zivilprozeßrecht Internationales Zivilverfahrensrecht Juris Classeur droit international Juristische Rundschau (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristische Analysen (Zeitschrift) Das juristische Büro (Zeitschrift) Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift) Kapitel Kammergericht; Kommanditgesellschaft Konkursordnung Kreisgericht Kündigungsschutzgesetz Landesarbeitsgericht Lohnfortzahlungsgesetz Landgericht Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs (Lindenmaier/ Möhring) Leitsatz; Leitsätze Monatsschrift Deutschen Rechts (Zeitschrift) Mitbestimmungsgesetz Haager Minderjährigenschutzabkommen Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit weiteren Nachweisen

NEhelG n.R

Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder neue Fassung

XXII

Abkürzungsverzeichnis

NJW

N e u e Juristische W o c h e n s c h r i f t (Zeitschrift)

NJW-CoR

C o m p u t e r r e p o r t der N e u e n Juristischen W o c h e n s c h r i f t (Zeitschrift)

NJW-RR

N J W - R e c h t s p r e c h u n g s - R e p o r t Zivilrecht (Zeitschrift)

Nr.

Nummer

NZA

N e u e Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht

NZA-RR

N Z A - R e c h t s p r e c h u n g s - R e p o r t (Zeitschrift)

ÖJZ

Österreichische J u r i s t e n - Z e i t u n g

österr. O G H

österreichischer O b e r s t e r G e r i c h t s h o f

OLG

Oberlandesgericht

OLGZ

Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen

o. p.

ordre public

OVG

Oberverwaltungsgericht

PBefG

Personenbeförderungsgesetz

pVV

positive Vertrags- (Forderungs-) Verletzung

RabelsZ

R a b e i s Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht

RAG

Reichsarbeitsgericht

RAGE

Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts

RBerG

Rechtsberatungsgesetz

RdA

R e c h t der Arbeit (Zeitschrift)

Rdnr., R d n r n .

Randnummer, Randnummern

Rev. crit. dr. i. p.

Revue critique de droit international privé (Zeitschrift)

RIW

R e c h t der internationalen W i r t s c h a f t (Zeitschrift)

RG

Reichsgericht

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

RVO

Reichsversicherungsordnung

S.

Seite; Satz

s.

siehe

SAE

S a m m l u n g arbeitsrechtlicher Entscheidungen (Zeitschrift)

SC.

Senatusconsultum

SeuffA

Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten G e r i c h t e in den deutschen Staaten

SGB

Sozialgesetzbuch

StAnpG

Steueranpassungsgesetz

StGB

Strafgesetzbuch

StuW

Steuer und W i r t s c h a f t (Zeitschrift)

TVG

Tarifvertragsgesetz

TzBfG

Teilzeit- und Befristungsgesetz

TzWrG

Teilzeit-Wohnrechtegesetz

UmwG

Umwandlungsgesetz

UWG

Gesetz gegen den unlauteren W e t t b e w e r b

VerbrGüKRL

Verbrauchsgüterkaufrichtlinie

VerbrKrG

Verbraucherkreditgesetz

VerbrKrR

Verbraucherkreditrecht

VerschG

Verschollenheitsgesetz

VersR

Versicherungsrecht (Zeitschrift)

WiB

Wirtschaftsrechtliche Beratung (Zeitschrift)

WM

Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift)

WoVermittG

Wohnungsvermittlungsgesetz

Abkürzungsverzeichnis WRP WuW ZIP ZGB ZGR ZHR ZMR ZPO ZTR ZVG ZVglRWiss

XXIII

Wettbewerb in Recht und Praxis (Zeitschrift) Wirtschaft und Wettbewerb (Zeitschrift) Zeitschrift f ü r Wirtschaftsrecht schweizerisches Zivilgesetzbuch Zeitschrift f ü r Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift f ü r das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift f ü r Miet- und R a u m r e c h t Zivilprozeßordnung Zeitschrift f ü r Tarifrecht Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung Zeitschrift f ü r vergleichende Rechtswissenschaft

§ 1 Einleitung Die folgenden Zitate stammen aus verschiedenen Epochen und aus verschiedenen Gebieten des Zivilrechts - Römisches R e c h t , allgemeines Zivilrecht und Verfahrensrecht, Arbeitsrecht und zuletzt IPR. D e n n o c h widmen sie sich alle demselben Rechtsproblem: der Umgehung von Gesetzen: Paul. (1. s. ad 1. Cinc.) D. 1, 3 , 2 9 1 : ... Contra legem facit, qui id facit quod lex prohibet, in fraudem vero, qui salvis verbis legis sententiam eius circumvenit. R G Z 26, 181 (184)2: ... Aber wie immer es sich hiermit auch verhalten möge, so war die jetzt fragliche Entscheidung, daß die Übertragung des Eigentumes an beweglichen Sachen an einen Gläubiger zu dessen Sicherung unter Zurückbehaltung des körperlichen Gewahrsams derselben keine Umgehung der Konkursordnung ... enthalte, jedenfalls aufrechtzuerhalten. Denn von einer Umgehung kann man überhaupt nur in Beziehung auf verbietende oder gebietende Gesetze, ... sprechen, solche Gesetze sind aber die hier in Frage stehenden nicht. BAGE 10, 65 (70)3: Eine Gesetzesumgehung liegt dann vor, wenn der Zweck einer zwingenden Rechtsnorm dadurch vereitelt wird, daß andere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten mißbräuchlich verwendet werden. ... Dabei kommt es ... nicht auf eine Umgehungsabsicht oder eine bewußte Mißachtung des zwingenden Rechtssatzes an. B G H Z 78, 318 (325)4: Das für den Erwerbsvorgang maßgebende Recht ist nämlich dann unbeachtlich, wenn eine sogenannte fraudulöse Anknüpfung vorliegt ..., etwa wenn der Erwerbsvorgang nur zum Zwecke der Umgehung der inländischen Anfechtungsvorschriften in das Ausland verlegt worden ist ... Seit es Gesetze gibt, werden sie umgangen 5 . Unbequeme Gesetze fordern den Erfindungsreichtum der Rechtsunterworfenen heraus, wenn es beispielsweise dar1 Zitiert nach: Behrends, S. 19; Honsell, S. 119; s. auch Teichmann, S.4f. mit dem Hinweis, daß es sich hier um eine interpolierte Stelle handelt. 2 Entscheidung vom 2.6. 1890 - Rep. VI 68/90. 3 Entscheidung vom 12.10. 1960 - GS 1/59. 4 Entscheidung vom 5.11. 1980 - VIII ZR 230/79. 5 So bereits Barthelmes, S.2f.; Honsell, S. 111, Westerhoff, S. 1.

2

§1

Einleitung

um geht, das von einem Gesetz verbotene Ziel zu erreichen, ohne von dem Verbot erfaßt zu werden. Auf diese Weise sind Rechtsinstitute entstanden: die Sicherungsübereignung, die ursprünglich der Umgehung der Vorschriften über das Besitzpfandrecht diente und die G m b H & Co. K G zur Umgehung der Vorschriften für Kapitalgesellschaften. Folglich hatte sich auch die Rechtsprechung nicht selten mit Gesetzesumgehungen zu befassen. Ein Beispiel von erheblicher praktischer Bedeutung findet sich auf dem Gebiet des Arbeitsrechts; so begründete das Bundesarbeitsgericht bis zum Erlaß des T z B f G seine Rechtsprechung zu befristeten und auflösend bedingten Arbeitsverträgen mit der Umgehung des gesetzlichen Kündigungsschutzes 6 . Ein vertrauter Rechtsbegriff also. Untersucht man jedoch den Umgang der Praxis mit Umgehungsfällen genauer, wird Unsicherheit spürbar. Das beginnt mit der Frage, welche der Geschäfte, die den Tatbestand eines Gesetzes vermeiden, das mit Erfolg tun und welche nicht. Warum ist die Sicherungsübereignung wirksam, der Kettenarbeitsvertrag nicht? Oder, um es noch prägnanter zu machen: Warum kann man durch Rechtsgeschäft unter Lebenden das Testierverbot des § 2 2 7 1 Abs. 2 B G B nicht wirksam umgehen, die Formvorschriften für letztwillige Verfügungen hingegen schon 7 ? Warum kann nach ganz herrschender Meinung das Aufrechnungsverbot des § 3 9 3 B G B zwar nicht durch Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts umgangen werden, wohl aber durch Zwangsvollstreckung in eigene Schulden 8 ? Warum hielt das Reichsgericht die Umgehung von § 181 B G B durch Bestellung eines Unterbevollmächtigten für unwirksam, der Bundesgerichtshof hingegen für wirksam 9 ? Daraus ergibt sich die nächste Frage: Soll die Gesetzesumgehung keinen Erfolg haben, was ist dann ihre Rechtsfolge? Immer die Nichtigkeit des Umgehungsgeschäfts, wie die ältere Rechtsprechung annahm 1 0 ? Diese Auffassung brachte den Bundesgerichtshof zu einer bekannten Fehlentscheidung zur Umgehung eines gesetzlichen Vorkaufsrechts. Der B G H erklärte das Umgehungsgeschäft für nich6 Dazu die oben zitierte Grundlagenentscheidung BAG 1 2 . 1 0 . 1 9 6 0 - GS 1/59, BAGE 10, 65 (70ff.) = AP Nr. 16 zu § 6 2 0 B G B befristeter Arbeitsvertrag = N J W 1 9 6 1 , 7 9 8 . Auch nach Erlaß des T z B f G bleibt ein erheblicher Anwendungsbereich für die Gesetzesumgehung im Arbeitsrecht, dazu ausführlich unten § 11 IV. 7 Zu § 2 2 7 1 Abs. 2 B G B : B G H 8 . 7 . 1 9 5 4 - IV Z R 2 2 9 / 5 3 , L M Nr. 3 zu § 2 2 7 1 B G B und B G H 1 7 . 1 1 . 1 9 5 9 - V Z R 18/59, N J W 1 9 6 0 , 5 2 4 ; zu den Formvorschriften: R G 8 . 2 . 1 9 2 3 - I V 86/ 2 2 , R G Z 1 0 6 , 1. Wieder anders R G 2 8 . 1 0 . 1 9 1 3 - Rep. VII. 2 7 1 / 1 3 , R G Z 8 3 , 2 2 3 (227) zu § 2 3 0 1 BGB. 8 Dazu ausführlich und kritisch Werner, Umgehung von Aufrechnungshindernissen, S. 2, 3 f., 76 ff. mit zahlreichen Nachweisen zum Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur. 9 R G 2 7 . 9 . 1 9 2 4 - V 3 6 7 / 2 3 , R G Z 1 0 8 , 4 0 5 einerseits; B G H 2 4 . 9 . 1 9 9 0 - II Z R 1 6 7 / 8 9 , N J W 1 9 9 1 , 6 9 1 andererseits. Auch wenn es der Sache nach um eine Umgehung geht, wird dieser Begriff von den Gerichten nicht erwähnt. 1 0 Teilweise unter Berufung auf § 1 3 4 B G B , so z.B. B G H 2 5 . 1 . 1 9 6 1 - V Z R 8 0 / 5 9 , B G H Z 3 4 , 2 0 0 ; B G H 2 3 . 6 . 1 9 7 1 - VIII Z R 1 6 6 / 7 0 , B G H Z 5 6 , 2 8 5 (289); BAG 1 2 . 1 2 . 1 9 8 4 - 7 A Z R 5 0 9 / 8 3 , BAGE 4 7 , 3 1 4 ; noch B G H 6 . 1 2 . 1 9 9 0 - I X Z R 4 4 / 9 0 , N J W 1 9 9 1 , 1 0 6 0 .

§1

Einleitung

3

tig, obwohl der von der Umgehung betroffene Vorkaufsberechtigte davon gar nichts hat: Sein Interesse richtet sich auf den Eintritt des Vorkaufsfalls 11 . Inzwischen erkannte das auch der Bundesgerichtshof und stellte das Umgehungsgeschäft dem Eintritt des Vorkaufsfalles gleich 12 . Ist die Rechtsfolge der Umgehung also die Anwendung der umgangenen Norm? Dagegen spricht aber die frühere Rechtsprechung zum befristeten Arbeitsvertrag: Das Kündigungsschutzgesetz gilt ohnehin; und die Voraussetzungen für eine wirksame Befristung sind keineswegs identisch mit denjenigen für eine wirksame Kündigung. Noch weitere Fragen stellen sich. Was ist der Unterschied zwischen Umgehung und Simulation, dem Scheingeschäft gemäß § 117 BGB, beispielsweise bei Einschaltung eines Strohmannes? Welche Gesetze können umgangen werden? Nur Verbotsgesetze, wie oft behauptet wird? Können auch begünstigende Gesetze „ergangen" werden, und worin besteht der Unterschied zur Umgehung? Und schließlich: Was ist das Besondere an der Gesetzesumgehung, das sie von anderem rechtlich relevanten Verhalten unterscheidet? Ist eine bestimmte Umgehungsabsicht nötig? Oder genügt, wie das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung formuliert, die „objektive Gesetzesumgehung" 13 ? Ist es dann aber wirklich gleichgültig, ob ein Brautpaar im Ausland heiratet, weil es das romantisch findet oder weil inländische Ehehindernisse umgangen werden sollen? Die einzelfallbezogenen Entscheidungen der Rechtsprechung geben auf diese Fragen keine abschließenden Antworten. Im Gegenteil sind sie so wenig vorhersehbar, daß im Zusammenhang mit den Fragen der Gesetzesumgehung erhebliche Rechtsunsicherheit besteht 14 . In der heutigen Rechtslehre besteht bezüglich der Umgehungsproblematik zumindest theoretisch weitgehend Einigkeit. Es wird ganz überwiegend davon ausgegangen, daß es ein selbständiges Institut der Gesetzesumgehung nicht gibt 15 . Es handele sich um Rechtsprobleme, die mit den

11

B G H 2 5 . 1 . 1961 - V Z R 80/59, B G H Z 34, 2 0 0 ; kritisch dazu Schurig, Gesetzesumgehung, S. 380; Staudinger - Mader, § 5 0 4 R d n r . 2 0 . 12 B G H 1 1 . 1 0 . 1991 - V Z R 127/90, B G H Z 115, 3 3 5 (337ff.); zuvor schon O L G N ü r n b e r g 2 7 . 9 . 1990 - 2 U 950/90, N J W - R R 1992, 4 6 1 ; kritisch zu der M e t h o d i k des B G H Schermaier AcP 196 (1996), 2 5 6 . 13 Dazu n u r BAG 1 2 . 1 0 . 1960 - GS 1/59, BAGE 10, 65 (70ff.) = AP Nr. 16 zu § 6 2 0 BGB befristeter Arbeitsvertrag = N J W 1961, 798; BAG 1 9 . 1 2 . 1 9 7 4 - 2 A Z R 5 6 5 / 7 3 , A r b u R 1975, 2 2 0 (2.20f.); ferner BAG 1 9 . 5 . 1 9 8 2 - 5 A Z R 4 6 6 / 8 0 , BAGE 39, 6 7 (70); BAG 1 2 . 1 2 . 1 9 8 4 - 7 A Z R 5 0 9 / 8 3 , BAGE 47, 3 1 4 (319); BAG 1 1 . 1 2 . 1985 - 5 A Z R 135/85, BAGE 50, 2 9 2 (296); B A G 2 6 . 3 . 1 9 8 6 - 7 A Z R 599/84, N Z A 1 9 8 7 , 2 3 8 ; BAG 1 3 . 6 . 1 9 8 6 - 7 A Z R 650/84, N Z A 87, 2 4 1 ; BAG 1 6 . 1 0 . 1 9 8 7 - 7 A Z R 2 0 4 / 8 7 , BAGE 57, 1; BAG 4 . 1 2 . 2 0 0 2 - 7 A Z R 4 9 2 / 0 1 , DB 2 0 0 3 , 2 0 1 6 ; BAG 4 . 6 . 2 0 0 3 - 7 A Z R 4 0 6 / 0 2 , BB 2 0 0 3 , 1683. 14 So mit weiteren Beispielen auch Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 8 1 f . 15 Grundlegend Teichmann, S.48ff.; zuletzt Sieker, S. 8ff. s. auch Teichmann J Z 2 0 0 3 , 761 (765ff.); a.A. nur M ü n c h K o m m - May er-Maly!Armbrüster § 1 3 4 R d n r n . 11 ff.; ihm folgend Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 4 0 R d n r n . 3 0 f f . Dies gilt so uneingeschränkt nur für das Sachrecht, der M e i n u n g s s t a n d zum IPR weicht ab.

4

§1

Einleitung

allgemeinen Mitteln der Gesetzesauslegung und Analogie gelöst werden müßten und könnten. Diese theoretische Einordnung ist jedoch nur teilweise dazu geeignet, die praktischen Probleme zu lösen, die sich aus Umgehungsgeschäften ergeben. Insbesondere ist damit nicht geklärt, ob und unter welchen Voraussetzungen sich eine erweiternde Auslegung und erst recht eine Gesetzesanalogie mit dem Umgehungsargument begründen lassen. Um ein bereits erwähntes Beispiel wieder aufzugreifen: Soll der Tatbestand des § 181 BGB so ausgelegt werden, daß er auch die Bestellung eines Unterbevollmächtigten erfaßt oder nicht? Auch wenn die Umgehung nur als Argument für bestimmte Gesetzesauslegungen oder -analogien dient, so hat sie doch Besonderheiten, die sie von anderem rechtlich relevantem Verhalten unterscheiden. Zudem führen praktische Überlegungen zu Zweifeln an der theoretischen Einordnung. Wenn die Umgehung tatsächlich nur ein Problem der Gesetzesanwendung durch Auslegung und Analogie ist, warum enthalten dann einige Normen ausdrückliche Umgehungsverbote 16 ? Schließlich sind einige der bekannten Umgehungsfälle keineswegs nur mit Analogie gelöst worden; so geht die frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu befristeten Arbeitsverträgen nicht von analoger Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes aus. Weitere Fragen kommen hinzu, wenn man eine andere rechtliche Ebene begibt, nämlich die des Kollisionsrechts, des IPR. Wenn Vertragsparteien sich im Ausland treffen, um gemäß Art. 11 EGBGB die Ortsform zur Anwendung zu bringen und damit § 311 b Abs. 1 BGB (früher § 313 BGB), § 15 Abs. 3 GmbHG oder §766 BGB umgehen wollen, soll das wirksam sein? Welche Norm wird überhaupt umgangen, die Kollisionsnorm oder die Formvorschrift des Sachrechts? Diese Frage ist nicht nur akademischer Natur, denn die Auslegung der unterschiedlichen Normen kann ganz anderen Regeln folgen; ihr Zweck ein ganz anderer sein. Es wird deutlich, wie das scheinbar vertraute Rechtsinstitut der Umgehung um so unbestimmter wird, je mehr man sich mit ihm beschäftigt. Die folgenden Ausführungen sollen dazu dienen, etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Dabei soll nicht verdienstvollen rechtsphilosophischen, -historischen und vor allem rechtstheoretischen Schriften zum Problem der Umgehung des Gesetzes eine weitere hinzugefügt werden. Der Ansatz liegt bei konkreten Fällen, den praktischen Problemen der Gesetzesumgehung und ihrer Behandlung durch die bisherige Rechtsprechung und Literatur. Wie skizziert, besteht auf dem Gebiet der Umgehungsfälle Rechtsunsicherheit. Absicht der vorliegenden Arbeit soll daher sein, Hinweise für den praktischen Fall in Form von Abgrenzungskriterien und Wertungsrichtlinien zu entwickeln.

16

Dazu aus historischer Sicht Honseil,

S. 118; rechtsvergleichend Heeder,

S. 48 ff.

§1

Einleitung

5

Die Arbeit beginnt mit einem Abriß der historischen, rechtsvergleichenden und systematischen Grundlagen der Umgehungslehre. Er soll Aufschluß geben über die Behandlung der Gesetzesumgehung in anderen - früheren und ausländischen - Rechtsordnungen und auch die rechtstheoretischen Begründungen dafür beleuchten. Da unter dem Stichwort der Gesetzesumgehung ganz unterschiedliche Rechtsprobleme diskutiert werden, ist eine Abgrenzung zu verwandten Rechtsinstituten und Begriffen notwendig. Zu den Grundlagen gehört auch die Bedeutung gesetzlicher Umgehungsverbote und abschließend die Frage, welche Bedeutung die Gesetzesauslegung in Umgehungsfällen spielt. Der zweite Teil widmet sich der Gesetzesumgehung im praktischen Fall. Es wird untersucht, in welchen Fällen und mit welchen Rechtsfolgen eine Umgehung möglich ist. Ein Schwerpunkt liegt auf der Frage, welche Besonderheiten Gesetzesumgehung von anderem rechtlich bedeutsamen Verhalten unterscheiden: Nach welchen Kriterien richtet sich, ob eine Umgehung hingenommen werden kann oder nicht? Darüber hinaus wird Stellung zu der Auffassung genommen, das Problem der Gesetzesumgehung sei allein mit Mitteln der Analogie zu lösen. Der dritte Teil der Arbeit ist der Gesetzesumgehung im IPR gewidmet. Auf dem Gebiet des Kollisionsrechts stellen sich die Probleme der Umgehung durch Manipulation von Anknüpfungsmomenten „drängender und reiner" 1 7 als im Sachrecht. Praktische Probleme und theoretische Einordnung weichen vom Sachrecht ab. Weitere Besonderheiten gelten im Internationalen Zivilverfahrensrecht. Inhaltlich bleibt die Arbeit auf das Gebiet des Zivilrechts beschränkt. Das soll nicht bedeuten, daß es nur um die Umgehung zivilrechtlicher Normen geht. Im Gegenteil ist die Umgehung öffentlich-rechtlicher Normen in vielen zivilgerichtlichen Entscheidungen von Bedeutung gewesen, z.B. bei Umgehung des Ausländergesetzes durch bestimmte gesellschaftsrechtliche Konstruktionen, bei Umgehung behördlicher Genehmigungspflichten und insbesondere bei der Umgehung zivilprozessualer Vorschriften 1 8 . Jedoch befaßt sich die Arbeit nur mit der Gesetzesumgehung mit zivilrechtlichen Mitteln, vor allem durch

zivilrechtliche

Rechtsgeschäfte. Demzufolge finden auch nur die zivilrechtlichen Folgen der Gesetzesumgehung Beachtung.

Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 8 5 . Zum AuslG z.B. KG 2 4 . 9 . 1 9 9 6 - 1 W 4534/95, BB 1 9 9 7 , 1 7 2 ; OLG Stuttgart 2 0 . 1 . 1 9 8 4 - 8 W 2 4 3 / 8 3 , M D R 1984, 4 9 5 . Zu Genehmigungspflichten R G 1 1 . 4 . 1906 - Rep. VI. 305/05, R G Z 6 3 , 143 (145); BGH 3 0 . 5 . 1 9 5 1 - I I Z R 10/51, L M Nr. 3 zu § 134 BGB; BGH 7 . 7 . 1 9 7 7 III Z R 111/75, W M 1 9 7 7 , 1 0 4 4 . Ein praktisch bedeutsames Beispiel der Umgehung prozessualer Vorschriften ist die Abtretung einer Forderung, um selbst als Zeuge auftreten zu können. Nach R G 3 . 1 . 1913 - Rep. III 233/12, R G Z 84, 160 ist das möglich, zur Begründung nennt das R G § 3 9 3 Abs. 1 Nr.4 ZPO a.F. Dazu und zur Umgehung anderer öffentlich-rechtlicher Vorschriften Römer, S. 3 ff. 17

18

6

§1

Einleitung

Die Umgehung auf rein öffentlich-rechtlichem Gebiet - beispielsweise der Fußgänger, der einige Meter neben einer roten Ampel eine Straße überquert 1 9 bleibt ausgeklammert. Ebenfalls ausgeklammert wird das Steuerrecht, das die Gesetzesumgehung in einer eigenen N o r m regelt, § 42 AO 2 0 . Auch wenn sich das Steuerrecht vorrangig mit zivilrechtlichen Gestaltungen befaßt, ist es seiner N a tur nach öffentliches Recht. Für die Behandlung von Umgehungsfällen gelten daher andere Grundsätze, so besteht im Steuerrecht grundsätzlich ein Analogieverbot. Schließlich ist auch die Perspektive der rechtlichen Wertung eine andere, w e n n von der Umgehung nicht nur Privatpersonen, sondern der Fiskus betroffen wird.

19

Beispiel von Westerhoff, S.2. Dazu ausführlich Sieker, insb. S. 18ff., 2 7 f f . , 181 ff.; zur Auslegung durch die Rechtsprec h u n g BFH 1 8 . 7 . 2 0 0 1 - I R 4 7 / 9 7 , ZIP 2 0 0 1 , 2 1 3 2 ; ausführlich Rose/Glorius-Rose BB 2 0 0 3 , 4 0 9 . Z u r R e f o r m der Vorschrift Crezelius DB 2 0 0 1 , 2 2 1 4 . 20

Erster Teil

Grundlagen der Umgehungslehre

§ 2 Rechtsgeschichte der Gesetzesumgehung Juristen verschiedener Zeitalter und verschiedener Nationalität sind in Umgehungsfällen zu grundlegend unterschiedlichen Ergebnissen und theoretischen Konstruktionen gekommen. Eine besondere Rolle spielt die jeweilige Auslegungsdoktrin, da es von der Auslegung einer N o r m abhängt, inwieweit ihre Umgehung möglich ist. Die Schwerpunkte der folgenden Darstellung liegen auf dem Römischen R e c h t , das den Ursprung der Umgehungslehre bildet, und auf der Entwicklung der Rechtsprechungspraxis der letzten beiden Jahrhunderte.

I. Fraus-legis-Doktrin

im Römischen

Recht

Die Bezeichnung von Umgehungsgeschäften als „fraudulöses H a n d e l n " oder „Handeln in fraudem legis" enthält einen Hinweis auf den Ursprung der systematischen

Auseinandersetzung

mit der Gesetzesumgehung

im

Römischen

Recht. Ausgangspunkt war bereits damals die Frage, ob ein vom Wortlaut eines Gesetzes nicht mehr erfaßtes Verhalten dieses Gesetz verletzen k a n n 1 . In der klassischen Epoche war die Gesetzesanwendung von strengem Formalismus geprägt. Gesetze waren ausschließlich nach ihrem Wortlaut auszulegen, jede Einbeziehung von Sinn und Z w e c k war ausgeschlossen 2 . Umgehungsgeschäfte hatten daher ihre Hochzeit: Die römische Findigkeit in der Umgehung der streng formalistisch gefaßten Gesetze führte zu einigen Rechtsinstituten, die heute noch bekannt sind. Das gilt insbesondere für das Einschalten von Strohmännern, die interposita persona 3 . Entwickelt wurde auch das fiduziarische Geschäft, durch das die rechtlichen Wirkungen eines bestimmten Rechtsgebietes herbeigeführt, die Rechtsmacht aber nur beschränkt gebraucht werden sollte 4 . Der Fideikommiß diente ursprünglich der Umgehung von Testierverboten 5 . Von besonderer praktischer Bedeutung war das römische Zinsverbot; die verschiedenen Formen der Umgehung sind nur teilweise überliefert 6 : Vorschieben eines Kaufvertrages, Rückzahlung einschließBehrends, S.9f. Dazu Honseil, S. 113ff.; Römer, S. 10f.; Schurig, Gesetzesumgehung, S.337f.; Teichmann JZ 2003, 761 (762). 3 Schurig, Gesetzesumgehung, S.377; Honseil, S. 115f., dazu auch Barthelmes, S.33. 4 Barthelmes, S. 19. 5 Barthelmes, S. 31 f. 6 Honseil, S. 115 mit Nachweisen. 1

2

I. Fraus-legis-Doktrin

im Römischen

Recht

9

lieh Zinsen nicht in Geld, sondern in Weizen, Vereinbarung einer Vertragsstrafe. Das SC. Velleianum verbot Frauen, sich für einen anderen zu verbürgen und Geld aufzunehmen. Auch wenn dieses Verbot weit gefaßt wurde, gab es zahlreiche Umgehungen, insbesondere durch Einschaltung von Strohmännern auf Gläubiger- oder Schuldnerseite 7 . Besonders häufig wurden Gesetze umgangen, die unbequeme Eingriffe in das Privatleben enthielten 8 . So wurden Schenkungs-, Testier- und Veräußerungsverbote an Familienangehörige umgangen durch deren vorherige Emanzipation, durch fingierte Kaufverträge oder durch eine Aufteilung der Schenkung in mehrere kleinere Beträge 9 . Zuwendungen wurden in eine Schuld eingekleidet, oder es wurde dem Sklaven übereignet, was der Herr erlangen sollte 1 0 . Um der Bestrafung wegen Ehebruchs oder Unzucht nach der lex Julia de adulteriis zu entgehen, ließen sich Frauen in die Liste der Prostituierten eintragen 11 . Scheinehen, fingierte Verkäufe in maneipium und Scheinadoptionen waren andere Mittel zur Erreichung verschiedener Zwecke 1 2 .

Es ist nicht einfach zu erklären, warum sich die Wortlautauslegung trotz der Umgehungen relativ lange behauptet hat. Einige Autoren gehen zur Begründung von einem archaischen Rechtsverständnis aus, das die Unvollkommenheit der Gesetze nicht erkannte. So weist Römer darauf hin, daß es sich um ein „Recht in den Anfängen seiner Entwicklung" handelt, Honsell spricht von der „naiven Auffassung der Frühzeit" 13 . Barthelmes vermutet einen „archaisch anmutenden Respekt" insbesondere vor den XII-Tafel-Gesetzen 14 . Bebrends hat jedoch gezeigt, daß diese Erklärung nur einen Teil des tatsächlichen Verständnisses wiedergibt und die römische Auslegungsdoktrin nicht nur auf ein archaisches Verständnis zurückgeführt werden kann 1 5 . Zur Begründung legt er dar, der römischen Rechtstradition sei die Auslegung eines Gesetzes nach seinem Sinn und Zweck keineswegs fremd gewesen. Im Gegenteil hatten die sog. „veteres" bis in das 2. Jahrhundert v.Chr. durchaus Gesetze auch sinnbezogen aufgefaßt 16 . Es entwickelte sich ein Dualismus der Auslegungslehren, der den klassischen Juristen durchaus bewußt war, wie insbesondere die Reden und Schriften von Cicero zeigen 17 . Die strenge Wortlautauslegung beruhte also auf einer bewußten Systementscheidung 18 . Barthelmes, S. 35. Das galt insbesondere für die lex Julia et lex Papia Poppaea; Barthelmes, S.30, Römer, S.ll. 9 Barthelmes, S. 29; Behrends, S. 24f., Honsell, S. 115f. Pikanterweise war Licinius Stolo, der seinen Sohn emanzipierte und damit eines der ältesten überlieferten Beispiele der Gesetzesumgehung lieferte, der Urheber des von ihm umgangenen Gesetzes. 10 Barthelmes, S.33. 11 Honsell, S. 120. 12 Honsell, S. 116. 13 Römer, S. 10, Honsell, S. 122. 14 Barthelmes, S.U. 15 Behrends, S. 34 mit Nachweisen zur Gegenmeinung. 16 Behrends, S. 35 ff. 17 Behrends, S.39ff., 61 ff., 97ff.; dazu auch Honsell S. 113f. 18 Behrends, S.33ff.; 109. 7

8

10

§2 Rechtsgeschichte

der

Gesetzesumgehung

Die modernere Strömung sah gerade das Rechtsverständnis der veteres als archaisch an, da es auf der Prämisse beruhe, das Recht stelle eine natürliche, die Gerechtigkeit wahrende Ordnung dar. Demgegenüber trennten die klassischen Juristen zwischen dem Gesetzeswortlaut und der Gerechtigkeit. Das Recht habe die Aufgabe, das Handeln der Menschen einzugrenzen. Nach der neueren Auffassung war das Gesetz also nicht der Kern der Rechtsordnung und vor allem nicht das Abbild der Gerechtigkeit, sondern eine Schranke, die die Freiheit der Rechtssubjekte begrenzt 19 . Angesichts der unnachgiebigen Strenge der damals geltenden Gesetze liegt diese Auslegung auch in praktischer Hinsicht nahe: Wenn ein Gesetz die Handlungsfreiheit schon stark einschränkt, soll es das nicht über seinen Wortlaut hinaus tun. Als Konsequenz wurden diejenigen Bereiche, die heute als Auslegung oder Analogie bezeichnet würden, dem Amtsrecht zugewiesen. Neben dem juristischen spielte auch der geisteswissenschaftliche Hintergrund eine Rolle, insbesondere der Einfluß der Sprachtheorie der skeptischen Akademie des Karneades. Dieser lehnte das logisch-physikalische Denken zugunsten der Dialektik ab 20 . Übertragen auf das Recht war damit nicht das System entscheidend, sondern der Wortlaut der einzelnen Norm. Die Wortlautauslegung führte dazu, daß Umgehungen bereits mit gesetzgeberischen Mitteln entgegengetreten werden mußte. Dies bedingte Gesetzesformulierungen, die sehr genau sein mußten; aus heutigem Rechtsverständnis bis an die Grenze der Komik. Ein amüsantes Beispiel wird bei Honsell

e r w ä h n t 2 1 . In der lex Rubria werden Prozeßfor-

meln mitgeteilt, die für die Parteinamen Blankette verwenden; der Kläger heißt L. Seius, der Beklagte Q. Licinus. Das Gesetz weist ausdrücklich darauf hin, daß die Blankettnamen im Prozeß durch die wirklichen Namen ersetzt werden müssen, es sei denn, daß die Parteien wirklich so heißen.

Einige Gesetze wurden durch immer neue Bestimmungen ergänzt, die bald ebenfalls umgangen wurden. Cicero verglich dieses Vorgehen mit einem in seinem Bau angegriffenen schlauen Fuchs, der immer wieder einen Ausweg findet 22 . Für Rechtshistoriker bilden diese Ergänzungen eine Quelle der vorher üblichen Gesetzesumgehungen23. Schließlich wurden Gesetze durch nachträgliche Erlasse mit einem ausdrücklichen Umgehungsverbot in Form einer Generalklausel versehen, welche die fraus legis der Wortlautverletzung gleichstellte 24 . Jedoch fruchteten diese Ergänzungen nicht viel; offenbar weil die formalen Juristen

Käser, Zur Methode der römischen Rechtsfindung, S.75f.; dazu auch Honsell, S. 113. Weiterführend Behrends, S.37f., 63ff. 21 Honsell, S. 113. 2 2 Zitiert bei Honsell, S . 1 2 4 ; auch Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 7 7 . 23 Römer, S. 10f.; Teichmann, S.4. 24 Behrends, S. 55 (Fn. 128); Honsell, S. 117f. mit Hinweisen auf die lex Fufia und das Edikt de pactis. 19

20

I. Fraus-legis-Doktrin

im Römischen

Recht

11

dem Gesetzgeber das Recht absprachen, die Rechtsgeltung nachträglich zu ändern 2 5 . Die fraus legis bildete bereits in der römischen Rechtslehre einen feststehenden Rechtsbegriff, dessen genaue rechtliche Bedeutung aber - ebenso wie heute - ungeklärt war. Z u m Teil können die Abgrenzungsprobleme allerdings auf Unterschiede im Rechtsverständnis zurückgeführt werden. Dies gilt insbesondere für den Begriff der fraus legis, mit dem sowohl die Gesetzesumgehung als auch die Gesetzesverletzung gemeint w a r 2 6 . Ist der Geltungsbereich eines Gesetzes auf seinen Wortlaut beschränkt, ist das zwangsläufig der Fall, denn eine Gesetzesumgehung kann keine Rechtsfolgen haben, wenn sie nicht gleichzeitig eine Gesetzesverletzung darstellt. Ähnliches gilt bei der Abgrenzung zur Simulation; das römische R e c h t kannte keine Lehre vom Scheingeschäft 2 7 . Wie die obigen Beispiele zeigen, w a r die Simulation ein beliebtes Instrument zur Gesetzesumgehung. Insbesondere bei Strohmanngeschäften, aber auch Scheinehen oder -adoptionen läßt sich der simulierte Teil des Geschäftes oft nicht von dem konstruierten trennen. In jedem Fall war eine Sanktionierung nur möglich, wenn das Umgehungshandeln auch als Gesetzesverletzung angesehen werden konnte. In der spätrepublikanischen und der Kaiserzeit - ein genauer Zeitpunkt läßt sich nicht festmachen 2 8 - wandelte sich das Rechtsverständnis der römischen Rechtswissenschaft, es entwickelte sich von der reinen Wortlautauslegung hin zu einer Sinninterpretation. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig; sie liegen in einem geänderten Gesetzesverständnis, einhergehend mit einem Wandel der geisteswissenschaftlichen und philosophischen Auffassungen. Den philosophischen Hintergrund bildete die Stoa: Für sie war das Rechtssystem ein natürliches System, das nicht aus einzelnen akademischen Sätzen besteht, sondern Wertüberzeugungen und Institute festlegt 2 9 . Ein derart verstandenes Recht m u ß einen möglichst weiten Anwendungsbereich haben. In der Rechtsschule der Sabinianer setzte sich die Erkenntnis durch, daß jede gesetzliche Regelung notwendig fragmentarisch und lückenhaft sein m u ß 3 0 . Das neue Rechtsverständnis bereitete den Boden für eine Gesetzesauslegung nach Sinn und Z w e c k und für eine analoge Anwendung von R e c h t s n o r m e n 3 1 . Auf diese Weise war jedenfalls eine offene Gesetzesumgehung nicht mehr möglich 3 2 . Die Auswirkungen der Zulässigkeit der Analogie auf die fraus-legis-Lehre Behrends, S.55. Im einzelnen umstritten, dazu Barthelmes, S. 1; Honsell, S. 112; Teichmann, S. 3 f. mit dem Hinweis, daß das corpus iuris civilis bereits zwischen Auslegung und Umgehung trennte. 27 Honsell, S. 112. Behrends, S. 12, spricht von „enger Verschwisterung". Ausführlich dazu Partsch, Die Lehre vom Scheingeschäfte im Römischen Rechte II, S.126. 28 Schurig, Gesetzesumgehung, S.377, meint: „etwa um die Zeitenwende". 29 Behrends, S.79f. 30 Behrends, S. lOOff.; Honsell, S. 122, beide mit Hinweis auf Julinian. 51 Honsell, S. 121 ff. 32 Honsell, S. 122. 25

26

12

§2 Rechtsgeschichte

der

Gesetzesumgehung

sind nicht eindeutig geklärt. Behrends hält die spezifische fraus-legis-Argumentation nun für überflüssig und meint, die Argumentationsfigur der fraus legis müsse lediglich dazu dienen, den Anwendungsbereich der Analogie zu regeln und einzuschränken 33 . In der Praxis hat sich diese Erkenntnis jedoch allenfalls am Ende der Entwicklung durchgesetzt. Die meisten römischen Gesetze waren der Analogie ohnehin nicht ohne weiteres zugänglich: Da sie im wesentlichen Einzelfragen regelten, lag der Anwendungsbereich der Analogie eher im Fallvergleich als in der Gesetzesauslegung34. In der spätklassischen Zeit setzte sich ein Mischsystem aus Sinnauslegung und amtsrechtlicher Ergänzung durch; das formale fraus-legis-Schema blieb weiterhin respektiert 35 . Daher ist unter Rechtshistorikern umstritten, ob die fraus legis der späteren Zeit noch ein eigenständiges Rechtsinstitut bildete 36 . Damit hängt zusammen, ob die Feststellung eines Umgehungsdolus erforderlich war 3 7 . Über beide Fragen besteht bis heute keine Einigkeit.

II. Mittelalter: Glossatoren und

Volksrecbte

Die Rechtsgeschichte des Mittelalters ist gekennzeichnet durch ein Nebeneinander der deutschen partikularen Volksrechte und der Rezeption des Römischen Rechts. Das Problem der Gesetzesumgehung wurde auf Grundlage beider Rechtsordnungen gesehen, eine scharfe begriffliche Abgrenzung und Kriterien für Umgehungsgeschäfte finden sich jedoch nur im Ansatz. Die mittelalterlichen Glossatoren entwickelten in der Beschäftigung mit der römischen fraus-legis-Doktrin eine eigene Lehre von der Gesetzesumgehung. Sie definierten fraus als eigennütziges Verhalten, das gegen das Gesetz, aber auch gegen den Fiskus oder gegen einen Dritten gerichtet sein konnte 38 . Die fraus legis galt als feststehendes Rechtsinstitut, das die Nichtigkeit des Umgehungsgeschäfts zur Folge hatte, war jedoch nicht im einzelnen definiert und systematisch abgegrenzt 39 . Statt dessen unterschieden die Glossatoren verschiedene Fallgruppen, wobei sie nach dem Mittel der Gesetzesumgehung differenzierten 40 . Kennzeichnend ist der enge Zusammenhang der Umgehung mit der Lehre von Scheingeschäft und

Behrends, S. 101. Honseil, S . 1 2 2 f . 35 Behrends, S.104ff., 109. 36 Hansell, S. 112; Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 7 8 . 37 HonselI, S. 112, 125f. und Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 7 7 f . (m.w.N.) halten ein subjektives Element für erforderlich. 38 Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 7 8 ; Teichmann, S.5. 39 Teichmann, S.S. 40 Teichmann, S. 5 mit Hinweis auf Baldus. 33 34

III. Neuzeit bis zum Erlaß des

BGB

13

Simulation 4 1 . Zwar wurden beide Rechtsinstitute nebeneinander entwickelt und theoretisch voneinander abgegrenzt; es fehlte aber an praktischen Kriterien für die Unterscheidung 4 2 . Der usus modernus pandectarum des späten Mittelalters sah die fraus legis sogar als typischen Fall der Simulation an 4 3 . Auch das deutsche Recht kannte das Problem der Gesetzesumgehung, wie Rechtssprichwörter zeigen („wo lex voran, da fraus gespann") 4 4 . Von besonderer praktischer Bedeutung war auch im Mittelalter die Umgehung des - nunmehr kanonischen - Zinsverbots durch trickreiche, zum Teil auch simulierte Fallgestaltungen 4 5 . Bezeichnend sind sog. „Kuhverstellungen": Der Darlehensnehmer verkaufte und übereignete seine Kuh an den Darlehensgeber, behielt aber den Besitz. Dafür mußte er einen Mietzins in Höhe des vereinbarten Darlehenszinses zahlen. Nach einer vorher vereinbarten Zeit „kaufte" der Darlehensnehmer seine Kuh wieder zurück. Wer keine Kuh hatte, malte sie kurzerhand mit Kreide an die Wand. Eine eigene Theorie des Umgehungsgeschäfts entwickelte sich nicht, statt dessen trat man Umgehungsgeschäften ähnlich wie im klassischen römischen Recht mit Spezialgesetzen entgegen 4 6 , von denen einige generalklauselartigen Charakter hatten 4 7 . Mit den Anfängen eines Internationalen Privatrechts entstand die Problematik der Gesetzesumgehung durch Manipulation von

Anknüpfungsmomenten 4 8 .

Zum Teil wurden darauf die bereits erwähnten generalklauselartigen Spezialgesetze angewandt. In Frankreich entwickelte sich aus dem IPR der Grundsatz „fraus omnia corrumpit" 4 9 .

III. Neuzeit bis zum Erlaß des BGB Die neuzeitliche Entwicklung bis zum Erlaß des B G B war durch rasche Veränderungen und große Meinungsvielfalt gekennzeichnet. Es entstanden unterschiedliche Lehren zur Gesetzesauslegung, die sich auf den Umgang mit Gesetzesumgehungen auswirkten. Auch die frühen Entscheidungen des Reichsgerichts wurden von dieser Diskussion beeinflußt: Das Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung wurde zwar nicht eindeutig definiert, es zeigen sich jedoch Bemühungen um eine Präzisierung. Gesetzgeberisch ist diese Epoche durch das Entstehen von KodifiAuch Behrends, S. 12, stellt fest, daß diese Rechtsgebiete „eng verschwistert" sind. Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 7 8 ; Teichmann, S.5. 43 Schröder, S.15ff. 4 4 Weitere Zitate bei Teichmann, S.5. 45 Barthelmes, S.30f.; Römer, S. 11; Teichmann, 5f.; ders. J Z 2 0 0 3 , 761 (762). 46 Teichmann, S. 6. 47 Bertram, Gesetzesumgehung im IPR, S. 12; Römer, S. 11. 4 8 Dazu Römer, S.llf. 49 Römer, S. 12. Heeder, S . 4 1 , geht allerdings davon aus, daß die französische Lehre erst im 18. Jahrhundert entstand. Zu der französischen Umgehungslehre s.u. § 3 I. 41 42

14

$2 Rechtsgeschichte

der

Gesetzesumgehung

kationen gekennzeichnet, bei deren Erlaß sich auch die Frage nach einer gesetzlichen Regelung der Umgehung stellte. 1. W a n d e l der Lehre Die gemeinrechtliche Lehre bis Mitte des 19. Jahrhunderts wies eine der mittelalterlichen Rezeption ähnliche, wenn auch differenziertere Einordnung der Gesetzesumgehung auf. Der Gedanke, Umgehungsgeschäfte durch ausdehnende Auslegung des betroffenen Gesetzes zu erfassen, trat in den Hintergrund. Zurückzuführen ist das auf die damals herrschende Auslegungslehre, die stark auf den subjektiven Willen des Gesetzgebers ausgerichtet war. Danach war eine Sinnauslegung zwar grundsätzlich möglich, eine erweiternde Auslegung jedoch nur in engen Grenzen 5 0 . Auch Savigny lehnte eine ausdehnende Gesetzesauslegung ab. Er war der Meinung, der „Grund" eines Gesetzes könne nicht vom Rechtsanwender bestimmt werden 5 1 . Daher sah er die Lösung für Umgehungsgeschäfte nicht auf der Ebene des Gesetzes, sondern auf der des Tatbestandes: Nicht das Gesetz müsse interpretiert werden, sondern die einzelne Handlung 5 2 . Die Gesetzesumgehung bildete danach einen Anwendungsfall der Simulationslehre. Die ersten gesetzlichen Kodifikationen der Aufklärung und die dazu entstandene Literatur wiesen ein ähnliches Verständnis der Gesetzesauslegung auf wie die gemeinrechtliche Lehre. Der Umgang mit dem Gesetz selbst sollte überaus vorsichtig und möglichst buchstabengetreu erfolgen; das Preußische Allgemeine Landrecht von 1 7 9 4 enthielt ursprünglich sogar ein Auslegungsverbot 53 . Umgehungen wurde entweder mit Hilfe der Simulationslehre entgegengetreten, oder man beurteilte die Gesetzesumgehung als selbständiges Rechtsinstitut 5 4 . In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts finden sich erste Ansätze zu einem Wandel der Auslegungslehre. Wann sie sich durchgesetzt haben, ist nicht eindeutig festzustellen 55 . Statt subjektiv auf den Willen des Gesetzgebers abzustellen, entwickelte die neue Auffassung eine objektive Interpretationslehre. Kennzeichnend ist eine Aussage von Wach, wonach das Gesetz „oft klüger als der Gesetzgeber" sei 56 . Den Grund für diese Wandlung sieht Schröder in der Veränderung des geisteswissenschaftlichen Hintergrundes und vor allem in dem geänderten Richterbild: Dem Richter wird mehr Kompetenz zur Auslegung zugetraut als dem

50 Schröder, S. 17ff. mit Nachweisen auf Glück (S. 18f.), Thibaut (S. 19f.), Zachariae (S.20f.) und Hufeland (S.21f.). 11 Schröder, S.22f. 52 Schröder, S. 24; Teichmann, S.7. 53 Schröder, S.25ff., 26 f. 54 Schröder, S.25. 55 Schröder, S.33ff., geht davon aus, daß die neue Ansicht bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herrschend wurde, bezeichnet das jedoch selbst als Mindermeinung. 56 Schröder, S.32ff., 35.

III. Neuzeit bis zum Erlaß des BGB

15

Gesetzgeber 5 7 . Daneben kann auch das veränderte Gesetzesbild im konstitutionellen Staat eine Rolle gespielt h a b e n 5 8 . Die Wandlung der Auslegungslehre bedingte eine veränderte Betrachtung der Gesetzesumgehung. Eine Abhandlung von Tböl aus dem J a h r 1 8 5 1 unterschied erstmals zwischen Simulation, die durch Auslegung des Tatbestandes zu erfassen sei, und Gesetzesumgehung, die durch erweiternde Auslegung des umgangenen Gesetzes bekämpft werden k ö n n e 5 9 . Die Gesetzesumgehung wird damit methodisch vom Scheingeschäft abgegrenzt. Demzufolge trat der Z u s a m m e n h a n g von Simulationslehre und Umgehung in den Hintergrund 6 0 . Ungeklärt blieb allerdings die rechtliche Einordnung der Gesetzesumgehung. Einige Vertreter der neuen Lehre wollten sie in der Auslegung aufgehen lassen, mußten also konsequent auf die Notwendigkeit eines eigenen Umgehungsdolus verzichten 6 1 . Demgegenüber vertraten insbesondere Bähr und ihm folgend Pfaff die Auffassung, die Gesetzesumgehung sei ein selbständiges Rechtsinstitut 6 2 .

2. Rechtsprechung des Reichsgerichts Es gibt nur wenige Entscheidungen, in denen sich das Reichsgericht vor Erlaß des B G B mit Fällen der Gesetzesumgehung auseinandersetzte. Allerdings lassen sich inhaltliche Schwerpunkte ausmachen. Sie betreffen die Rechtsfolge der Gesetzesumgehung und ihren Anwendungsbereich, dabei insbesondere die Frage nach der Umgehungsfähigkeit von Gesetzen und die Abgrenzung der Umgehung von der Simulation. In zwei frühen Entscheidungen wird als Rechtsfolge der fraus legis obiter die Nichtigkeit des Umgehungsgeschäfts genannt 6 3 . Das Reichsgericht geht dabei offensichtlich von einem selbständigen Rechtsinstitut aus. 1 8 9 0 geht das Gericht auf den eben erwähnten Literaturstreit ein, ob es sich „bei der Ungültigkeit der in fraudem legis geschlossenen Geschäfte ... wirklich um nichts weiter handelt als um eine Frage der gewöhnlichen Gesetzesauslegung." Allerdings bleibt die Entscheidung des Streits ausdrücklich dahingestellt 6 4 . Kurz vor Inkrafttreten des

57 Schröder, S.48ff. zum geisteswissenschaftlichen Hintergrund und S.68ff. zum Richterbild; ihm folgend Teichmann JZ 2003, 761 (765). 58 Skeptisch Schröder, S.80ff. 5 9 Dazu Schröder, S.37f.; Teichmann, S.9ff. 60 Schröder, S.42f. 61 Vgl. Schröder, S.43f. 6 2 Dazu Teichmann, S. 11 f. Diese Auffassung liegt auch der Dissertation von Barthelmes aus dem Jahre 1889 zugrunde (vgl. Barthelmes, S.23). 63 RG 3.2. 1882 - Rep. III. 529/81, RGZ 6,181; RG 10.1.1885 - Rep. I. 431/84, RGZ 13, 200. 6 4 RG 2.6. 1890 - Rep. VI. 68/90, RGZ 26, 180 (183f.; Zitat S. 183).

16

§2 Rechtsgeschichte

der

Gesetzesumgehung

BGB begründete das RG die Nichtigkeit fraudulöser Geschäfte mit allgemeinen Erwägungen und dem gemeinen Recht 65 . Inhaltlich ist für die frühere Rechtsprechung zum Reichsgericht zur fraus legis charakteristisch, daß das Rechtsinstitut nur die Umgehung von Verbotsgesetzen erfaßte, wodurch sein Anwendungsbereich deutlich eingeschränkt wurde. Eine Ausnahme findet sich in einer bereits 1880 ergangenen Entscheidung zum Aktienrecht, die sich mit dem Erreichen des Ziels eines verbotenen Rechtsgeschäfts durch ein erlaubtes Rechtsgeschäft befaßt. Das Reichsgericht erklärt das Geschäft für wirkungslos und argumentiert mit dem „Charakter des Gesetzes, welches sonst ganz überflüssig wäre", also einer Zweckauslegung66. Der Begriff der Umgehung wird allerdings nicht erwähnt - es läßt sich also vermuten, daß das Gericht den Fall nicht unter diesem Aspekt untersucht hat. In einer kaum zwei Jahre später ergangenen Entscheidung, die sich mit der Umgehung der Erbschaftssteuer durch Schenkungen unter Lebenden befaßte, findet sich eine entgegengesetzte Auffassung. Danach kann ein Geschäft, das gesetzlich erlaubt ist, nicht unter dem Gesichtspunkt der fraus legis nichtig sein, weil den Nachteilen eines anderen Gesetzes ausgewichen wird 67 . Das „Ausweichen" ist also selbst bei Umgehungsabsicht nur dann eine Gesetzesumgehung, wenn es ein Verbotsgesetz betrifft. Mit derselben Einschränkung begründete das Reichsgericht auch die Zulässigkeit von Sicherungsübereignungen: Diese umgingen kein Gesetz, das eine „Unterlassung oder unter bestimmten Voraussetzungen eine Handlung" vorschreibe 68 . In früheren Entscheidungen war die Zulässigkeit von Sicherungsübereignungen demgegenüber unter dem Gesichtspunkt der Simulation beurteilt worden: Da die Sicherungsübereignung nicht simuliert, sondern ihre Rechtsfolge tatsächlich gewollt sei, sei sie wirksam 69 . Diese Entscheidungen wurden von dem Reichsgerichtsrat Bähr in seiner 1883 erschienenen Schrift „Urteile des Reichsgerichts mit Besprechungen" kritisiert. Bähr wandte ein, daß es sich in Wahrheit um Gesetzesumgehungen handele 70 . Auch wenn das Reichsgericht die Wirksamkeit der Sicherungsübereignung nun mit der Beschränkung der Gesetzesumgehung auf verbietende und gebietende Gesetze begründete71, erreichte Bähr eine R G 2 8 . 1 0 . 1899 - Rep. I. 2 4 2 / 9 9 , R G Z 4 4 , 103 (108f.). RG 1 9 . 6 . 1880 - Rep. I. 607/79, R G Z 2, 4 0 (41). 6 7 RG 3 . 2 . 1882 - Rep. III. 529/81, R G Z 6, 181 (186). 6 8 RG 2 . 6 . 1 8 9 0 - Rep. VI. 68/90, R G Z 2 6 , 1 8 0 (184); ein Teil der Literatur war anderer Ansicht, s. z.B. Barthelmes, S.4ff. gegen die Beschränkung auf Verbotsgesetze; Ders., S.42ff., gegen die Zulässigkeit von Sicherungsübereignungen (mit beachtlichen Argumenten!). 69 R G 9 . 1 0 . 1 8 8 0 - R e p . 1 . 3 9 5 / 8 0 , R G Z 2 , 1 6 8 ; R G 15.2.1884-Rep.III.252/83,RGZ 11,52. 70 Römer, S. 12f. ; Bähr, S. 52ff. 71 R G 10.1. 1885 - Rep. I. 431/84, R G Z 13, 2 0 0 (203f.), R G 2 . 6 . 1890 - Rep. VI 68/90, R G Z 2 6 , 180 (183f.); das Gericht zitiert Bähr in beiden Entscheidungen. Nach Erlaß des BGB begründete R G 8 . 1 1 . 1904 - Rep. VII. 173/04, R G Z 59, 146 die Zulässigkeit der Sicherungsübereignung mit Auslegung von § 1205 BGB, welcher andere Formen der Sicherung nicht ausschließe. 65

66

IV. Erste Hälfte des 20.

Jahrhunderts

17

vertiefte Auseinandersetzung des Gerichts mit der Gesetzesumgehung. Es ergingen in der Folge mehrere Grundsatzentscheidungen zu Begriff und Problematik 7 2 .

3. Gesetzliche Umgehungsregelungen Auch die gesetzgeberische Entwicklung hin zum B G B wurde beeinflußt von dem Streit, o b die Gesetzesumgehung ein eigenes Rechtsinstitut sei. Es ging dabei vor allem um die Frage, ob Gesetze eine besondere Umgehungsregelung aufweisen sollten. Eine derartige Regelung fand sich z.B. in § 8 0 des sächsischen B G B von 1 8 6 3 7 3 . Die Vertreter der neuen Lehre, die die Gesetzesumgehung in Auslegung und Analogie aufgehen lassen wollten, mußten diese Regelung für überflüssig halten. Der Gesetzgeber des B G B folgte der neuen Auffassung und verzichtete ausdrücklich auf eine gesetzliche Regelung der Gesetzesumgehung. Der B G B - K o m mission hatte ein Antrag von Bähr

vorgelegen, dem § 1 0 5 B G B (heutiger § 1 3 4

B G B ) folgenden Zusatz beizufügen 7 4 : „Einem verbotenen Rechtsgeschäft ist auch ein Geschäft gleich zu achten, das in anderer Rechtsform den nämlichen Zweck erreichen will, dem das gesetzliche Verbot des erstgenannten Geschäfts entgegentritt." Dieser Entwurf wurde jedoch abgelehnt. Die Begründung der Kommission wies darauf hin, daß fraus legis ein Auslegungsproblem sei; es solle nicht in die Auslegungsfreiheit des Richters eingegriffen werden 7 5 . Bei einer gesetzlichen Regelung der Umgehung bestünden Gefahren für die Rechtssicherheit, da die Umgehungslehre noch zu wenig konkretisiert sei und weiterer Klärung bedürfe 7 6 .

IV. Erste Hälfte des 20.

Jahrhunderts

1. Rechtsprechung des Reichsgerichts zum BGB a) Die Entscheidung der B G B - K o m m i s s i o n blieb auf die dogmatische Einordnung der Gesetzesumgehung durch das Reichsgericht ohne Einfluß. Das Reichsgericht stellte mehrmals klar, daß es in der Gesetzesumgehung ein selbständiges Rechtsinstitut sah. Dieses Rechtsinstitut war sogar als solches revisibel: Es lag 7 2 RG 2.6. 1890 - Rep. VI. 68/90, RGZ 26,180 zur Sicherungsübereignung; RG 28.10. 1899 - Rep. I 242/99, RGZ 44, 103 zu Börsentermingeschäften. Zur Auseinandersetzung von Bähr mit dem RG Römer, S. 12. 7 3 Dazu RG 22.4. 1896 - Rep. VI. 97/96, RGZ 37, 58 (62); Schröder, S.44. 7 4 Dazu Römer, S. 13. 75 Römer, S. 13; Schröder, S.44 ff. 7 6 V. Gamm WRP 1961, 259 (259); Römer, S. 13.

§2 Rechtsgeschichte

18

der

Gesetzesumgehung

ein Revisionsgrund vor, wenn Gesetze umgangen wurden, deren Inhalt nicht revisibel w a r 7 7 . Rechtsfolge einer Gesetzesumgehung war offenbar stets die Nichtigkeit des Umgehungsgeschäfts; allerdings wird eine Auswertung der Entscheidungen dadurch erschwert, daß das Gericht nur selten vom Vorliegen einer sanktionswürdigen Umgehung ausging. Die Begründung für die Nichtigkeit erfolgte unterschiedlich. Seiner Lehre vom selbständigen Rechtsinstitut folgend stellte das Reichsgericht in einer Entscheidung fest, die Nichtigkeit ergebe sich bereits aus der U m g e h u n g 7 8 ; in einer weiteren Entscheidung wird gar keine Begründung für die Nichtigkeit angegeben 7 9 . In einem anderen Umgehungsfall stellte das Gericht obiter auf § 1 3 4 B G B ab; dabei ging es allerdings um die Umgehung eines Verbotsgesetzes 8 0 . O f t folgte die Nichtigkeit des Umgehungsgeschäftes aus einem Verstoß gegen die guten Sitten. Das Reichsgericht führte in mehreren Entscheidungen an, unter welchen Voraussetzungen Gesetzesumgehungen als sittenwidrig anzusehen seie n 8 1 . Die Gesetzesumgehung bildet in diesen Entscheidungen also einen Unterfall der Sittenwidrigkeit. Das ist insofern bemerkenswert, als darin ein Widerspruch zu der Lehre vom selbständigen Rechtsinstitut der Umgehung liegt. Dieser Widerspruch wurde vom Reichsgericht allerdings nicht erörtert. Wie die Ver-

7 7 R G 1 5 . 1 1 . 1 9 2 0 - I 1 3 3 / 2 0 , R G Z 1 0 0 , 2 1 0 ( 2 1 1 ) ; die Eigenständigkeit der Umgehung wird auch deutlich in R G 2 6 . 1 0 . 1 9 1 5 - Rep. II. 2 3 6 / 1 5 , R G Z 8 7 , 2 4 6 ( 2 4 8 f . ) und in R G 8 . 2 . 1 9 2 3 - IV 8 6 / 2 2 , R G Z 1 0 6 , 1 (2). 78

R G 2 6 . 1 0 . 1 9 1 5 - Rep. II. 2 3 6 / 1 5 , R G Z 8 7 , 2 4 6 ( 2 4 8 f . ) .

R G 1 1 . 6 . 1 9 1 5 - R e p . III. 5 9 9 / 1 4 , R G Z 8 6 , 1 5 6 ( 1 5 7 ) ; ähnlich R G 2 8 . 1 0 . 1 9 1 3 - R e p . VII. 2 7 1 / 1 3 , R G Z 8 3 , 2 2 3 ( 2 2 7 ) , w o die Umgehung des § 2 3 0 1 B G B durch Schenkung von Todes wegen nur als „nicht statthaft" bezeichnet wird. 79

8 0 R G 3 . 1 . 1 9 1 3 - Rep. III. 2 3 3 / 1 2 , R G Z 8 1 , 1 6 0 ( 1 6 2 ) . Im Ergebnis wird in dieser Entscheidung die Nichtigkeit abgelehnt. In R G 2 6 . 9 . 1 9 0 5 - Rep. II. 1 7 / 0 5 , R G Z 6 1 , 2 9 6 ( 2 9 9 ) ist davon die Rede, die Umgehung eines Verbotsgesetzes sei der direkten Gesetzesverletzung gleichzustellen. 8 1 R G 1 1 . 4 . 1 9 0 6 - Rep. V I . 3 0 5 / 0 5 , R G Z 6 3 , 1 4 3 ( 1 4 5 ) : Ein Vertrag zur Umgehung einer Gaststättenkonzessionspflicht ist nach § 1 3 8 B G B nichtig (das R G betont sogar ausdrücklich, daß § 1 3 4 B G B „weniger zutreffend" als § 1 3 8 B G B sei. R G 2 0 . 3 . 1 9 1 4 - R e p . III. 5 3 2 / 1 3 , R G Z 8 4 , 3 0 4 ( 3 0 5 f . ) prüft ein Strohmanngeschäft an den Vorschriften § § 1 1 7 , 1 3 8 B G B . N a c h R G 1 1 . / 1 8 . 6 . 1 9 1 4 - Rep. VII. 1 3 5 / 1 4 , R G Z 8 5 , 1 7 0 ( 1 7 5 f . ) verstößt eine Aktienschiebung nur dann gegen die guten Sitten, wenn eine Umgehung des § 2 5 2 Abs. 3 H G B ( a . E ) „auf der H a n d " liegt. Nach R G 9 . 1 . 1 9 1 7 - Rep. III. 3 2 1 / 1 6 , R G Z 8 9 , 1 9 9 ( 2 0 3 ) , liegt Sittenwidrigkeit aber nicht schon deshalb vor, weil die Parteien einen „vom Gesetz offengelassenen Weg g e h e n " . Einschränkend auch R G 4 . 7 . 1 9 2 2 - II B 2 / 2 2 , R G Z 1 0 5 , 1 0 1 ( 1 0 6 ) : Die Gründung einer G m b H & Co. K G verstieße danach nur dann „gegen die guten Sitten ..., wenn der einzige Z w e c k der Gründung die Umgehung des Steuergesetzes w ä r e " . Eine bemerkenswerte Abweichung von der früheren Rechtsprechung findet sich in R G 2 9 . 1 . 1 9 2 9 - III 1 6 1 / 2 8 , R G Z 1 2 3 , 2 0 8 ( 2 1 1 ) , wonach die planmäßige Umgehung eines Gesetzes auch dann, wenn sie kein besonderes Verbot verletzt, sittenwidrig und deshalb nichtig sein kann. N a c h R G 1 7 . 6 . 1 9 2 9 - V I I I 1 7 0 / 2 9 , R G Z 1 2 5 , 1 2 3 ( 1 2 6 ) ist die Bestellung eines Nießbrauchs bei bestehendem Vorpachtrecht wirksam, da „kein sittenwidriges Umgehungsgeschäft" vorliegen soll.

/V. Erste Hälfte des 20.

Jahrhunderts

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kündungsdaten der entsprechenden Entscheidungen zeigen, kann eine zeitliche Entwicklung keine Rolle spielen. Eine deutliche Präzisierung erfuhr der Anwendungsbereich der Umgehung. War er vor dem Erlaß des B G B auf verbietende und gebietende Gesetze beschränkt worden, blieb diese Frage nun ausdrücklich offen 8 2 . Statt dessen entwickelte sich der Gedanke der Zweckverfehlung, der erstmals in einer Entscheidung des R G aus dem J a h r 1 8 9 9 erwähnt wird 8 3 : „... so entsteht die Gefahr, daß die Parteien den Rechts- und den wirtschaftlichen Erfolg, den sie durch das Rechtsgeschäft, gegen das das Gesetz sich richtet, erreichen wollen, auf einem Umwege dadurch zu erreichen suchen, daß sie ein verwandtes Geschäft anstelle des vom Gesetz bedrohten abschließen und so die Erreichung des gesetzgeberischen Zweckes vereiteln." Dieser Gedanke bildete die Grundlage für zahlreiche weitere Entscheidungen des Reichsgerichts zu Fragen der Gesetzesumgehung. Entscheidend war danach, o b das umgangene Gesetz einen zwingenden Z w e c k habe, gegen den verstoßen wurde 8 4 . Diesen Verstoß gegen ein Z w e c k v e r b o t unterschied das Reichsgericht in späteren Entscheidungen zwar nicht ausdrücklich, aber der Sache nach von einem „ W e g v e r b o t " . Der erlaubte wirtschaftliche Z w e c k eines verbotenen Geschäfts kann nach einem Urteil aus dem J a h r 1 9 2 9 wirksam mit einem erlaubten Mittel verfolgt werden 8 5 . Auch in einer der unter dem Aspekt der Sittenwidrigkeit ergangenen Entscheidung w a r ausdrücklich festgestellt worden, daß die Sittenwidrigkeit sich nicht schon daraus ergeben könne, daß die Parteien „einen vom Gesetz offengelassenen Weg g e h e n " 8 6 . b) Verschiedene Urteile des Reichsgerichts befaßten sich mit der Umgehungsproblematik auf dem Gebiet des IPR. Geprüft wurde eine Gesetzesumgehung durch Ausnutzung von Kollisionsnormen beispielsweise im Fall einer Bürgschaft, die ohne Einhaltung der im Inland erforderlichen F o r m im Ausland abge-

8 2 RG 15.11. 1 9 2 0 - 1 133/20, RGZ 100,210 (212); zur früheren Rechtsprechung RG 2.6. 1890 - Rep. VI. 68/90, RGZ 26, 181 (183). Noch auf Verbotsgesetze beschränkt RG 26.9. 1905 - Rep. II. 17/05, RGZ 61, 296 (299). 83 RG 28.10. 1899 - Rep. I 242/99, RGZ 44, 103 (108). 8 4 RG 28.10. 1899 - Rep. I 242/99, RGZ 44,103 (108f.); RG 8.11. 1904 - Rep. VII. 173/ 04, RGZ 59, 146 (148); RG 27.10. 1 9 1 4 - R e p . III. 127/14, RGZ 85, 380 (383f.); RG 11.6. 1915 - Rep. III. 599/14, RGZ 87, 156 (158); RG 26.10. 1915 - Rep. II. 236/15, RGZ 87, 246 (248); RG 15.11. 1 9 2 0 - 1 133/20, RGZ 100,210(212). Ein Geschäft, welches ausdrücklich gesetzlich gebilligt wird (hier der fiduziarische Erwerb von Grundstücken) kann nach RG 28.1. 1914 - Rep. V. 299/13, RGZ 84, 100 (104f.) kein Umgehungsgeschäft sein. 85 RG 8.7.1929 -VIII220/29, RGZ 125,209 (212). Im einzelnen führt das Gericht aus: „Ist danach eine richterliche Konversion auch in den Fällen einer Anwendung von § 134 BGB zulässig und geboten, kann es den Parteien nicht verwehrt sein, den erlaubten wirtschaftlichen Zweck des verbotenen Geschäfts im Wege einer Hilfsabrede mit einem erlaubten Mittel zu suchen". 86 RG 9.1. 1 9 1 7 - R e p . III. 321/16, RGZ 89, 199 (203).

20

§2 Rechtsgescbichte

der

Gesetzesumgehung

schlössen worden war 8 7 . Im Ergebnis hielt das R G die Bürgschaft jedoch für formwirksam. Ein inhaltlicher Schwerpunkt lag auf dem Gebiet des Familienrechts, da sich die nationalen Regelungen auf diesem Gebiet damals wesentlich stärker unterschieden als heute. Das Reichsgericht hatte wiederholt mit Heirat oder Scheidung im Ausland zu tun. Zwar wurde in den Entscheidungen die Umgehung inländischer familienrechtlicher Beschränkungen gesehen, meist zeigte sich das Gericht aber tolerant gegenüber derartigen Manipulationen 8 8 . Im Gesellschaftsrecht wurde die sog. Sitztheorie begründet, nach der sich die Rechtsfähigkeit von Gesellschaften nach ihrem Sitz, also nicht nach ihrem Gründungsort richtet 8 9 . Ausschlaggebend dafür waren Erwägungen der Gesetzesumgehung. Mehrere Entscheidungen des Reichsgerichts zur Sitztheorie betrafen ein Problem des interlokalen Rechts, die bergrechtlichen sogenannten Gothaischen Gewerkschaften. Einige dieser Gewerkschaften beanspruchten die Rechtsfähigkeit nach gothaischem Recht, obwohl sie entweder gar keinen oder nur einen formellen Sitz in Gotha hatten. Eine Entscheidung von 1 9 1 6 führt aus, diese „offenbare Umgehung des Gesetzes" - eher eine „Ergehung" gothaischen Rechts - sei nicht zu dulden 90 . 1 9 2 0 forderte das Reichsgericht dagegen Umgehungsabsicht. Liege eine solche nicht vor, sei sogar eine Gewerkschaft, die in Gotha nur einen formellen Sitz hat, nach gothaischem Recht rechtsfähig 91 . Ein weiteres Urteil aus demselben Jahr wurde wieder anders begründet: Das R G stellte auf den „Willen des Gesetzgebers" ab, der trotz des Sitzes in Preußen nicht verletzt sei 92 . Weitere Entscheidungen betrafen die Möglichkeit einer Gesetzesumgehung durch Rechtswahl. Dem Reichsgericht stellte sich beispielsweise die Frage, ob es zulässig sein könne, bei einem in Sachsen geschlossenen Ehemäklervertrag preußisches Recht zu vereinbaren, da nach dem sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuch ein Vergütungsversprechen für derartige Verträge nichtig war 9 3 , oder ob eine Rechtswahl wirksam ist, die der Umgehung russischer Devisenvorschriften dient 9 4 . Die Wahl deutschen Rechts konnte gegen § 138 B G B verstoßen, wenn dadurch eine zwingende dänische Vorschrift umgangen wurde 9 5 .

8 7 R G 1 2 . 2 . 1906 - R G Z 62, 3 7 9 (380ff.). Es ging um die Umgehung von Formvorschriften durch Verlegung des Abschlußortes ins Ausland. 88 Vgl. R G 2 1 . 1 2 . 1916 - 325/16 IV, J W 1917, 3 5 4 m. Anm. Opet; R G 4 . 4 . 1928 - IV 629/ 27, R G Z 1 2 1 , 2 4 (28) und R G 3 . 3 . 1938 - I V 224/37, R G Z 157, 136 (139ff.); R G 2 4 . 1 . 1941 IV 240/40, R G Z 165, 398; dazu im einzelnen unten § 15 I.I., 2. 89 Zur Sitztheorie unten § 16 II.2. 9 0 R G 2 2 . 1 . 1916 - Rep. V. 293/15, R G Z 88, 53 (54f.). Es ging um eine Gewerkschaft, die in Gotha nur gegründet wurde, aber ihren Sitz in Preußen hatte. 91 R G 1 9 . 6 . 1920 - I 5/20, R G Z 89, 2 1 7 (219). 9 2 RG 1 5 . 1 1 . 1 9 2 0 - 1 133/20, R G Z 100, 2 1 0 . 93 R G 2 1 . 9 . 1 8 9 9 - R e p . VI. 173/99, R G Z 44, 300. 9 4 R G 3 . 1 0 . 1923 - V 886/22, R G Z 108, 2 4 1 . 95 RG 1 7 . 6 . 1939 - II 19/39, R G Z 161, 2 4 1 .

/V. Erste Hälfte des 20.

Jahrhunderts

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Abgesehen von derartigen Besonderheiten entwickelte das Reichsgericht auch im IPR keine eigene Dogmatik der Gesetzesumgehung. Die Entscheidungen sind ausnahmslos einzelfallbezogen, Voraussetzungen und Rechtsfolge der Gesetzesumgehung werden unterschiedlich beurteilt. 2 . Entwicklung der Rechtslehre Die maßgeblichen wissenschaftlichen Gegenmeinungen zu der im 19. Jahrhundert entstandenen objektiven Auslegungslehre bildeten zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Freirechtsbewegung und die Interessenjurisprudenz. Da diese Theorien die richterliche Gestaltungsfreiheit in den Vordergrund stellten, konnten auf diese Weise auch Umgehungsfälle gelöst werden. Ein eigenes Rechtsinstitut der Umgehung war danach nicht erforderlich 96 . Umstritten waren jedoch die Reichweite der richterlichen Gestaltungsfreiheit und damit auch die genaue Methodik in Umgehungsfällen. Ehrlich und Fuchs wollten der Gesetzesumgehung ausschließlich mit Mitteln der richterlichen Rechtsschöpfung entgegentreten. Diese Methode sollte anderen Kriterien folgen als die Auslegung 97 . Demgegenüber knüpft Heck an das Gesetz an und verlangt richterliche Gestaltungsfreiheit nur im Bereich der Lückenausfüllung 98 . In der NS-Zeit wurde in der Rechtslehre ein geändertes Gesetzesbild zugrunde gelegt. Die Auslegungslehre folgte NS-Ideologie und Führergrundsatz: Die Vertragsfreiheit wurde gering geschätzt, da dem „völkischen" Rechtsempfinden das „liberalistische" Verständnis widersprach, Vertragsparteien sollten kraft ihres Willens Recht setzen können 99 . Auf der anderen Seite war die Autorität der staatlichen Gesetze groß. Die richterliche Auslegungsfreiheit wurde eingeschränkt, Gesetzesanalogie war nur eingeschränkt möglich. Auslegung hatte, wenn überhaupt, nicht objektiv, sondern nach dem Willen des Gesetzgebers und nationalsozialistischer Ideologie zu erfolgen 100 . Gesetzesumgehungen konnten also nicht mehr als Frage der Gesetzesauslegung angesehen werden; statt dessen wurde bei Umgehung der staatlichen Gesetze der Wille der Vertragsparteien ignoriert. Die NS-Ideologie führte also zu einer Rückwendung zur Lehre des frühen 19. Jahrhunderts, der Umgehung nicht durch Gesetzesinterpretation, sondern mit Tatbestandsauslegung entgegenzutreten 101 . Auch v. Gamm WRP 1961, 2 5 9 ; Teichmann J Z 2 0 0 3 , 761 (765). Dazu Schröder, S.93ff., 103 ff. 98 Schröder, S. 105 ff. 99 Schröder, S. 11 Off. 100 Schröder, S. 113ff., insb. S . 1 1 7 f . So wird in R G 1 . 6 . 1 9 3 7 - V I I 15/37, R G Z 155, 138, wo es um eine Umgehung der Zulassungs- und Aufsichtsregeln im Versicherungsrecht ging, argumentiert, die Wirksamkeit des zugrundeliegenden Vertragswerks lasse sich mit dem „gesunden Volksempfinden" nicht vereinbaren. Eine rechtsdogmatische Begründung fehlt. 1 0 1 Grundlegend im Jahr 1934 Franke J W 1934, 1149. Zur Lehre Savignys im 19. Jahrhundert oben § 2 III.l. Zu allem Schröder, S. 108 ff. 96

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22

$2 Rechtsgeschichte

der

Gesetzesumgehung

V. Überblick: Zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts

bis zur

Gegenwart

Der Schwerpunkt der Auseinandersetzung lag auch in der Nachkriegszeit auf der Frage, ob Gesetzesumgehung als selbständiges Rechtsinstitut anzusehen sei oder ob es sich lediglich um eine Frage der Auslegung oder Analogie handele. Bis in die 1960er Jahre waren die Meinungen zu dieser Frage geteilt, die wohl noch überwiegende Meinung ging von einem selbständigen Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung aus 1 0 2 . Den Anstoß zu einer Wandlung des Meinungsstandes gab die 1962 erschienene Dissertation „Die Gesetzesumgehung" von Teichmann. Teichmann legte anhand mehrerer Beispiele dar, wie bisher unter dem Aspekt der Gesetzesumgehung diskutierte Fragen mit dem Mittel der Gesetzesanalogie gelöst werden könnten 1 0 3 . 1. Nach bis heute jedenfalls zum Sachrecht ganz herrschender Auffassung sind Umgehungsfälle mit Auslegung oder analoger Anwendung des umgangenen Gesetzes zu lösen 104 . Für die Gegenauffassung steht vor allem Mayer-Maly, der ein eigenes Institut der Umgehung annimmt. Allerdings beschränkt er dessen Anwendungsbereich auf die Umgehung von Verbotsgesetzen und begründet seine Auffassung vor allem mit der Absicherung der Verbotsgesetze 105 . Uneinigkeit besteht auch auf Grundlage der herrschenden Meinung über das Schicksal, welches dem Rechtsbegriff der Gesetzesumgehung zukommen soll. Während einige ihn für überflüssig halten 106 , wollen andere die Umgehung als Argumentationsfigur und Auslegungskriterium erhalten wissen 107 . Auf Grundlage der herrschenden Meinung sind die Fragen der Umgehungsabsicht und der Rechtsfolge der Gesetzesumgehung geklärt. Wenn es kein eigenes Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung gibt, können keine eigenen, zusätzlichen Voraussetzungen in Gestalt einer Umgehungsabsicht begründet werden 108 . Aus demselben Grund muß die Rechtsfolge der Gesetzesumgehung mit der RechtsZum Meinungsstand Teichmann, S. 12f. Teichmann, S.89ff. 104 Behrends, S. 11; Bickel, JuS 1987, 861 (863); Huber JurA 1 9 7 0 , 784 (797); PalandtHeinrichs § 134 Rdnr.28; Müller N J W 2 0 0 3 , 1975 (1975f.); Römer, S.51ff.; Schröder, S. 11; Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 8 4 , 399ff.; Sieker, insb. S.8ff.; Teichmann, S. 78ff.; ders. J Z 2 0 0 3 , 761 (765ff.); differenzierend Westerhoff, S. 86ff. Keine Einigkeit besteht allerdings hinsichtlich der Frage, ob die Umgehung ein Auslegungskriterium ist oder im Gegenteil Umgehung und Auslegung sich ausschließen; dazu unten § 6. 1 0 5 MünchKomm - Mayer-Maly/Armbrüster § 134 Rdnrn. 11 ff.; ähnlich Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 4 0 Rdnrn. 30ff. und im Ansatz Heeder, S. 74ff., 85ff-, 321 ff. 106 Müller N J W 2 0 0 3 , 1975 (1975f.); Schröder, S. 11; Sieker, S.8ff.; Teichmann, S, 105: „kann aus der juristischen Erörterung ausscheiden"; ders. J Z 2 0 0 3 , 761 (765): „Scheinproblem". 107 Kegel Ö J Z 1958, 15; Römer, S. 51 ff.; Schurig, Gesetzesumgehung, S. 399ff. („Wertungsfrage"); Westerhofs S. 177ff.; wohl auch Huber, JurA 1970, 7 8 4 (796ff.). 1 0 8 V. Gamm WRP 1961, 2 5 9 (260); Huber JurA 1970, 784 (797); Palandt-Heinrichs § 134 Rdnr.28; Teichmann, S.67ff. 102

103

V. Überblick:

Zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts

bis zur

Gegenwart

23

folge der umgangenen Norm identisch sein, da diese Norm im Wege der Auslegung oder Analogie angewandt wird. In der Lehre wird dieser Mechanismus als „Gleichstellung"

mit der umgangenen Norm bezeichnet 1 0 9 .

Ebenfalls als geklärt gilt das Verhältnis der Gesetzesumgehung zur Simulation. Vereinzelt wurde zwar eine Rückkehr zur Simulationslehre in Umgehungsfällen gefordert 1 1 0 , diese Auffassung konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Nach heutigem Verständnis ist die Gesetzesumgehung von dem in § 1 1 7 B G B geregelten Scheingeschäft zu unterscheiden: Beim Umgehungsgeschäft ist das Vereinbarte wirklich gewollt, weil nur so die gewünschte Rechtsfolge eintritt, beim Scheingeschäft ist das gerade nicht der Fall 1 1 1 . Im praktischen Einzelfall kann die Abgrenzung jedoch schwierig sein, weil viele Umgehungsgeschäfte sich der Täuschung als Mittel bedienen, beispielsweise Strohmanngeschäfte 1 1 2 . 2. Die Rechtsprechung bietet kein einheitliches Bild. Der Rechtsbegriff

Geset-

zesumgehung wird bis heute zumindest als Argumentationshilfe verbreitet benutzt 1 1 3 . Demgegenüber ist die Bedeutung der Umgehung als Rechtsinstitut zurückgegangen. Der Bundesgerichtshof hat zwar die Theorie der Gesetzesumgehung als selbständiges Rechtsinstitut nicht ausdrücklich aufgegeben, betrachtet sie aber nicht mehr als selbständigen Nichtigkeitsgrund. Wie in den bereits erwähnten Vorkaufsfällen hat er statt dessen in einigen Fällen der Sache nach eine „Gleichstellung" vorgenommen 1 1 4 . Nichtigkeit kommt über § 1 3 4 B G B in BeDazu Römer, S.50ff.; Westerhoff, S.86ff. Thomä, S.60ff. Unklar zum Verhältnis von Gesetzesumgehung und Simulation Sieker, vgl. S.46ff., 50ff., 95ff. 1,1 Huber JurA 1970, 7 8 4 (794ff.); Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 8 2 ; Teichmann JZ 2 0 0 3 , 761 (763); ähnlich Westerhoff, S.75ff.; schon 1889 Barthelmes, S.20ff. 1 1 2 Vgl. auch die Entscheidung BGH 2 4 . 1 . 1 9 8 0 - I I I Z R 169/78, N J W 1980, 1572, wo der BGH prüft, ob ein Strohmanngeschäft zur Umgehung einer Bardepotpflicht ein Scheingeschäft darstellt (im Ergebnis abgelehnt). Weitere Fälle aus dem Grenzbereich von Schein- und Umgehungsgeschäft sind die Beurkundung eines unrichtigen Kaufpreises, dazu BGH 2 8 . 6 . 1968 - V Z R 77/65, N J W 1968, 1928 und die Erschleichung des Vorkaufsfalles, dazu Staudinger - Mader § 5 0 4 Rdnr. 22 m.w.N. Im einzelnen unten § 4 II.2. 109 110

1 1 3 Vgl. z.B. Entscheidungen des BGH seit 1990: BGH 1 5 . 1 . 1990 - II Z R 164/88, B G H Z 110, 4 7 zur Umgehung der Vorschriften über den privaten Kapitalaufbringungsschutz; BGH 6 . 1 2 . 1 9 9 0 - IX Z R 44/90, N J W 1991, 1060 zur Umgehung von § 55 KO; BGH 2 1 . 2 . 1994 - II ZR 60/93, N J W 1994, 1 4 7 7 zum „Umgehungstatbestand des Hin- und Herzahlens" bei § 19 Abs. 2 GmbHG; BGH 4 . 3 . 1996 - II Z R 89/95, BGHZ 1 3 2 , 1 3 3 zur Umgehung von § 19 Abs. 5 GmbHG; BGH 2 6 . 6 . 2 0 0 0 - II Z R 21/99, ZIP 2 0 0 0 , 1 4 8 9 , wonach Eigenkapitalersatzregeln des GmbHG auch Umgehungstatbestände erfassen. 1 1 4 S.o. § 1 zur Umgehung vor Vorkaufsrechten; BGH 2 5 . 1 . 1961 - V Z R 80/59, B G H Z 34, 2 0 0 (205) einerseits, BGH 1 1 . 1 0 . 1991 - V Z R 127/90, B G H Z 115, 335 (337ff.) andererseits. Ein weiterer Anwendungsfall der „Gleichstellung" ist die Umgehung des § 3 1 1 b Abs. 1 BGB (früher § 313 BGB) durch Erteilung einer unbeschränkten, insbesondere unwiderruflichen Vollmacht zur Veräußerung eines Grundstückes. Die Rechtsprechung wendet seit den 1920er Jahren die Formvorschrift an, ohne allerdings ausdrücklich auf die Umgehung einzugehen. Die Rechtsfolge ist zwar ebenfalls Nichtigkeit, diese ergibt sich jedoch aus § 125 BGB. Siehe dazu (zum Teil einschränkend) R G 2 9 . 3 . 1922 - V 493/21, R G Z 1 0 4 , 2 3 6 ; R G 1 9 . 3 . 1 9 2 4 - V 4 3 7 / 22, R G Z 1 0 8 , 1 2 5 ; R G 1 7 . 1 . 1 9 3 0 - 164/29 II, J W 1 9 3 0 , 1 3 0 0 (1301); BGH 1 1 . 7 . 1952 V Z R

24

§ 2 Rechtsgeschichte

der

Gesetzesumgehung

tracht, wenn die umgangene Norm eine Verbotsnorm ist 115 . Unterschiedlich wird beurteilt, ob Umgehungsabsicht erforderlich ist 116 . Inhaltlich sind für den Bundesgerichtshof wie für das Reichsgericht vielfach Gesichtspunkte des Gesetzeszwecks maßgeblich 117 . Unklar bleibt die Abgrenzung von Gesetzesumgehung und Sittenwidrigkeit. Wie das Reichsgericht sieht auch die Rechtsprechung der Gegenwart Gesetzesumgehungen oft als sittenwidrig an, die Umgehung bildet dann einen Unterfall des §138 BGB 118 . So bestand eine „Zwischenstufe" der bereits mehrfach erwähnten Rechtsprechung zur Umgehung von Vorkaufsrechten darin, daß die Umgehung nur dann als unwirksam angesehen wurde, wenn sie das „Gepräge der Sittenwidrigkeit" aufwies 119 . In der Literatur werden dagegen Bedenken erhoben 120 . Diese Gerichtsentscheidungen stehen im Widerspruch zur heute herrschenden Meinung: Wenn Umgehungsfälle allein mit den Mitteln der Auslegung und Analogie zu lösen sind, ist ein Rückgriff auf § 138 BGB grundsätzlich nicht erforderlich. Von größerer praktischer Bedeutung als die Rechtsprechung der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist die Rechtsprechung der Arbeitsgerichtsbarkeit zu Fällen der Gesetzesumgehung. Das Bundesarbeitsgericht entwickelte 1960 den Begriff der 80/52, N J W 1952, 1210 (1211); B G H 2 1 . 5 . 1965 - V Z R 156/64, W M 1965, 1006 (1007); B G H 2 2 . 4 . 1 9 6 6 / 1 9 6 7 - V Z R 164/63, W M 1966, 761 (762) bzw. W M 1967, 1 0 3 9 (1040); B G H 18.9. 1 9 7 0 - V Z R 186/67, D N o t Z 1970, 743; O L G Karlsruhe 1 7 . 1 2 . 1971 - 11 W 138/ 71, D N o t Z 1 9 7 2 , 3 4 5 (356); B G H 1 1 . 1 0 . 1974 - V Z R 2 5 / 7 3 , W M 1974, 1229 (1231). Ähnlich, allerdings nicht zur Gesetzesumgehung, sondern zur Vertragsumgehung B G H 5 . 7 . 1972 IV Z R 125/70, N J W 1973, 2 4 0 . 115 B G H 2 3 . 6 . 1971 - V I I I Z R 166/70, B G H Z 56, 2 8 5 (289); B G H 2 3 . 9 . 1 9 8 2 - V I I Z R 183/90, B G H Z 85, 39 (46); B G H 8 . 6 . 1 9 8 3 - V I I I Z R 77/82, N J W 1983, 2 8 7 3 ; etwas unklar B G H 6 . 1 2 . 1990 - IX Z R 4 4 / 9 0 , N J W 1991, 1060 (1061). Nichtigkeit k o m m t ferner nach § 138 BGB in Betracht, dazu unten § 7 II.2.a)bb). 116 N a c h B G H 2 3 . 6 . 1971 - V I I I Z R 166/70, B G H Z 5 6 , 2 8 5 (289); B G H 15.1. 1 9 9 0 - 1 1 Z R 164/8 8, B G H Z 110, 4 7 k o m m t es auf Umgehungsabsicht nicht an; anders B G H 7 . 7 . 1 9 7 7 - III Z R 111/75, W M 1 9 7 7 , 1 0 4 4 (1046), w o die Umgehungsabsicht sogar zum maßgeblichen Kriterium wird; im einzelnen unten § 9 II.l., 2. 117 B G H 3 0 . 1 1 . 1955 - VI Z R 95/54, L M § 134 Nr. 19; B G H 2 . 1 2 . 1958 - V I I I Z R 154/57, N J W 1959, 3 3 2 (334); B G H 6.11. 1 9 7 3 - VI Z R 194, 71, B G H Z 61, 3 1 7 (320: „Schutzzweck"); B G H 4 . 3 . 1996 - II Z R 89/95, B G H Z 132, 133 = N J W 1996, 1286 (1287), w o das Gericht ebenfalls auf den Zweck von § 19 Abs. 5 G m b H G abstellt. 118 B G H 2 3 . 4 . 1968 - VI Z R 2 1 7 / 6 5 , N J W 1968, 2 2 8 6 (2287) e r w ä h n t obiter, d a ß ein Vertrag, welcher auf U m g e h u n g des Arzneimittelgesetzes und des Futtermittelgesetzes gerichtet wäre, nach § 138 BGB nichtig wäre; nach B G H 3 . 7 . 1 9 6 8 - VIII Z R 113/66, W M 1968, 9 1 8 ist ein Kauf o h n e R e c h n u n g zum Z w e c k der Steuerverkürzung nach „ § § 134, 138 BGB" nichtig; B G H 8 . 6 . 1 9 8 3 - VIII Z R 77/82, N J W 1 9 8 3 , 2 8 7 3 erklärt ebenfalls obiter, d a ß eine U m g e h u n g der E i n f u h r b e s t i m m u n g e n unter § 138 BGB fiele; O L G Köln 1 4 . 1 2 . 1993 - 9 U 2 4 2 / 9 2 , N J W - R R 1 9 9 4 , 1 5 4 0 beurteilt den Kauf eines Doktortitels unter dem Gesichtspunkt des § 138 BGB (ausdrücklich nicht § 134 BGB), o b w o h l auch hier Gesetze umgangen werden. 119 So B G H 1 1 . 1 2 . 1 9 6 3 - V Z R 4 1 / 6 2 , N J W 1 9 6 4 , 5 4 0 und B G H 1 4 . 1 1 . 1 9 6 9 - V Z R 115/ 66, W M 1970, 3 2 1 ; zur Rechtsprechung des R G oben § 2 IV.l.a) 120 Staudinger - Sack § 134 Rdnr. 152.

V. Überblick:

Zweite

Hälfte des 20. Jahrhunderts

bis zur

Gegenwart

25

„objektiven Gesetzesumgehung" und machte damit deutlich, daß es Umgehungsabsicht nicht für erforderlich hält 1 2 1 . In der Regel haben sich die Arbeitsgerichte mit Umgehung des Kündigungsschutzes zu befassen. Die Rechtsprechung zu Befristungen hat heute durch den Erlaß des TzBfG geringere praktische Bedeutung. Rechtsdogmatisch war sie dadurch bemerkenswert, d a ß mit dem Umgehungsargument der Geltungsbereich einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung - § 620 Abs. 1 BGB 1 2 2 - erheblich eingeschränkt wurde. 3. Das IPR n a h m im 20. J a h r h u n d e r t mit der Internationalisierung von Lebens- und Wirtschaftsbedingungen an Bedeutung zu. Damit erweiterte sich auch die Zahl der Fälle, in denen sich eine Manipulation von kollisionsrechtlichen Anknüpfungsmomenten anbot, um unerwünschte sachrechtliche Regelungen zu umgehen. W ä h r e n d im 19. Jahrhundert Umgehungen im IPR hauptsächlich Ehehindernisse und damit den privaten Bereich betrafen 1 2 3 , stellten sich im 20. Jahrhundert Probleme wie die Umgehung handels- und gesellschaftsrechtlicher Vorschriften, Umgehung von Verbraucherschutzvorschriften durch Verlegung des Abschlußortes eines Geschäfts; außerdem die Zuständigkeitserschieichung der Gerichte eines bestimmten Klageortes. Ungeachtet der praktischen Bedeutung ist die Umgehungsproblematik im IPR noch weniger geklärt als im Sachrecht. Es ist bereits fraglich, welche N o r m Kollisions- oder Sachnorm - überhaupt Objekt der Umgehung ist. W ä h r e n d sich in der sachrechtlichen Literatur als ganz herrschende Meinung herausgebildet hat, Umgehungsfälle mit Auslegung oder Analogie zu lösen, ist in der internationalprivatrechtlichen Literatur die Auffassung verbreitet, Gesetzesumgehung sei ein selbständiges Rechtsinstitut 1 2 4 . Damit zusammenhängend verlangen etliche Vertreter der IPR-Literatur Umgehungsabsicht 1 2 5 . Schließlich stellt sich auf dem Gebiet des IPR zusätzlich die Frage nach der Bedeutung der ordre-public-Klausel in Umgehungsfällen. 121 BAG 1 2 . 1 0 . 1960 - GS 1/59, BAGE 10, 65 (70ff.) = AP Nr. 16 zu § 6 2 0 BGB befristeter Arbeitsvertrag = N J W 1961, 798; ebenso BAG 1 9 . 1 2 . 1 9 7 4 - 2 A Z R 565/73, A r b u R 1 9 7 5 , 2 2 0 (220f.); auch BAG 1 0 . 5 . 1 9 6 2 - 5 A Z R 4 5 2 / 6 1 , BAGE 13, 129 (134) zur Rückzahlung von "Weihnachtsgratifikationen; ferner BAG 1 9 . 5 . 1982 - 5 A Z R 4 6 6 / 8 0 , BAGE 39, 6 7 (70) zur U m g e h u n g des Lohnfortzahlungsgesetzes und - ebenfalls mit § 1 3 4 BGB begründet - BAG 1 2 . 1 2 . 1 9 8 4 - 7 A Z R 509/83, BAGE 4 7 , 3 1 4 (319); BAG 1 1 . 1 2 . 1 9 8 5 - 5 A Z R 135/85, BAGE 50, 2 9 2 (296); BAG 2 6 . 3 . 1986 - 7 A Z R 599/84, N Z A 1987, 2 3 8 ; BAG vom 1 3 . 6 . 1 9 8 6 - 7 A Z R 6 5 0 / 8 4 , N Z A 87, 2 4 1 und BAG 1 6 . 1 0 . 1 9 8 7 - 7 A Z R 204/87, BAGE 57, 1. 122

Seit 2 0 0 1 weist § 6 2 0 Abs. 3 BGB auf das TzBfG hin. Siehe zu den klassischen Fällen der Prinzessin Bauffremont-Bibesco Keller/Siebr, S. 5 2 7 und der Schriftstellerin Helene Böblau Kegel/Schurig, IPR, S. 4 1 7 . Aus der Rechtsprechung beispielsweise R G vom 2 4 . 2 . 1941 - IV 2 4 0 / 4 0 , R G Z 165, 398 zur sog. „ungarischen Ehe". 124 V. Hoffmann, § 6 Rdnr. 123 bezeichnet das sogar als h M ; vgl. auch Staudinger - v. Barl Mankowski Art. 13 EGBGB Rdnr. 64 m . w . N . Einen allgemeinen Begriff der Gesetzesumgehung für Sachrecht und IPR sucht 1955 Römer, S. 17ff. 125 V Hoffmann, § 6 Rdnr. 123; Kegel, Ö J Z 1958, 15; Ders., IPR (7.Aufl.), S.350; Raape/ Sturm, S . 3 2 8 ; differenzierend Schurig, Gesetzesumgehung, S.398f.; 403f.; Kegel/Schurig, IPR, S. 4 2 3 ; ausführlich Heeder, S. 193ff. 123

26

§2 Rechtsgeschichte

der

Gesetzesumgehung

Die Rechtsprechung hat in den bislang wenigen Fällen, in denen sie die Umgehungsproblematik im IPR erörterte 126 , keine abschließende dogmatische Einordnung vorgenommen. Die bisherigen Entscheidungen sind wie bereits die Rechtsprechung des Reichsgerichts durch weitgehende Toleranz gegenüber der Umgehung gekennzeichnet: Auch Geschäfte, durch die Anknüpfungsmerkmale bewußt manipuliert werden, sind in der Regel wirksam 127 .

VI.

Gesamtbetracbtung

Die Unklarheit im Umgang mit Fällen der Gesetzesumgehung ist nicht nur für die Gegenwart kennzeichnend. Auch wenn sich Rechtsphilosophen und Rechtstheoretiker immer wieder mit diesem Thema befaßt haben, sind in der praktischen Rechtsanwendung regelmäßig Zweifelsfragen aufgetreten. Den „roten Faden" der Geschichte der Gesetzesumgehung bildet ihr Zusammenhang mit der Gesetzesauslegung-. Je weiter der Beurteilungsspielraum des Gesetzesanwenders, desto schwieriger sind Umgehungen. So hat die strikte Wortlautauslegung der römischen Klassik der Umgehung Tür und Tor geöffnet. Demgegenüber soll es auf Grundlage der heute herrschenden Lehre zumindest im Sachrecht kein Umgehungsproblem mehr geben. Im Zusammenhang mit der Auslegung steht auch ein anderes Kernproblem: Ist ein eigenständiges Rechtsinstitut der Gesetzesumgebung möglich und erforderlich? Soweit in der Rechtsgeschichte eine dogmatische Einordnung der Umgehung vorgenommen wurde, wurde sie fast immer als besonderes Rechtsinstitut angesehen; erst im 20. Jahrhundert wandelte sich die Auffassung. Allerdings waren weder Anwendungsbereich noch Rechtsfolgen des Instituts Gesetzesumgehung klar definiert. Unklar und umstritten war vor allem, ob eine Gesetzesumgehung subjektive Merkmale - Umgehungsabsicht - voraussetzt. Bezüglich der Rechtsfolge war problematisch, ob diese in der Anwendung der umgangenen Norm („Gleichstellung" ) besteht oder ob Gesetzesumgehung zur Nichtigkeit führt. Auf Grundlage der heute herrschenden Lehre klären sich diese Fragen: Wenn die Gesetzesumgehung kein selbständiges Rechtsinstitut ist, kann sie keine eigenen - auch subjektiven - Merkmale haben; als Rechtsfolge kommt nur Gleichstellung durch Anwendung der umgangenen Norm in Betracht.

1 2 6 Beispielsweise BGH 4 . 6 . 1 9 7 1 - IV ZR 97/70, NJW 1 9 7 1 , 2 1 2 4 (2125); BGH 5 . 1 1 . 1 9 8 0 - VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 318; OLG Frankfurt/M. 2 6 . 5 . 1967 - 6 W 472/66, NJW 1967, 1426; LG Frankfurt/M. 18.4. 1984 - 3/3 O 33/84, IPRax 1986, 298; OLG Oldenburg 4 . 4 . 1989 - 12 U 13/89, NJW 1990, 1422; OLG Düsseldorf 15.12. 1994 - 6 U 59/94, DB 1995; 1021. 1 2 7 So auch Kegel/Schurig, IPR, S. 424ff.

VI.

Gesamtbetrachtung

27

Bemerkenswert, weil nach heutigem Verständnis nicht unmittelbar naheliegend, ist der enge Zusammenhang der Gesetzesumgehung mit dem Scheingeschäft und der Lehre von der Simulation.

In der Rechtsgeschichte fehlt es fast im-

mer an einer Abgrenzung zwischen diesen Rechtsinstituten. Im Gegenteil wurde die Simulationslehre wiederholt, insbesondere bei Savigny, auf Umgehungsfälle angewandt. Auch inhaltlich lassen sich im praktischen Einzelfall Umgehungsoft nicht von Scheingeschäften trennen, wenn Simulation als Mittel der Umgehung dient. Dieses Problem stellte sich bereits dem römischen Recht. Eine ähnlich ungeklärte Abgrenzung besteht gegenüber der Lehre vom sittenwidrigen Rechtsgeschäft.

Das zeigt sich auch hier besonders am praktischen Fall.

Elemente der Sittenwidrigkeit sind oft zur Einschränkung und Charakterisierung des Umgehungstatbestandes verwendet worden, wenn z.B. die mittelalterlichen Glossatoren fraus legis als eigennütziges Verhalten definierten. In der Rechtsprechungspraxis wird bis in die Gegenwart in Umgehungsfällen oft § 1 3 8 B G B angewandt. Die Geschichte der Gesetzesumgehung ist eine Geschichte ihrer dogmatischen Einordnung. Die Umgehung ist als eigenständiges Rechtsinstitut, als Anwendungsfall der Simulation, als Unterfall der Sittenwidrigkeit u.v.a.m. angesehen worden. Nicht beantwortet wurde jedoch die in der Praxis maßgebliche Frage nach der Schwelle: Wann sind Umgehungen zu tolerieren (oder sogar als raffinierte rechtliche Gestaltungen zu bewundern) und wann können oder müssen sie rechtlich sanktioniert werden? N a c h verbreiteter Auffassung soll der - durch Auslegung zu ermittelnde Z w e c k des umgangenen Gesetzes maßgeblich sein. Es fehlt jedoch an Anhaltspunkten für eine Auslegung, die den Besonderheiten der Gesetzesumgehung gerecht wird. Der „Schwellenwert", der für eine rechtliche Sanktionierung der Gesetzesumgehung überschritten sein muß, wird in der Praxis oft willkürlich und einzelfallbezogen festgesetzt. Daher ist die Gegenwart der Gesetzesumgehung ebenso wie ihre Geschichte von Rechtsunsicherheit gekennzeichnet.

§ 3 Rechtsvergleichender Überblick Ebenso wie sich die Frage der Gesetzesumgehung allen Epochen der Geschichte stellte, stellt sie sich allen Rechtsordnungen der Gegenwart 1 . Dabei können in unterschiedlichen Rechtsordnungen rechtliche Bewertung und Behandlung von Umgehungsfällen grundlegend voneinander abweichen. Das Extrem einer Seite bildet das anglo-amerikanische common law. Hier gibt es keine Lehre von der Gesetzesumgehung, die Rechtsfigur der fraus legis ist unbekannt. Die andere Extremstellung nimmt Frankreich ein, wo der Grundsatz „fraus omnia corrumpit" gilt und die „fraude ä la loi" einen wichtigen Rechtsbegriff bildet. In vielen Ländern insbesondere des mediterranen Raumes spielt die fraus legis in der Rechtspraxis eine wichtige Rolle. So enthält das Sach- oder Kollisionsrecht einiger Länder ausdrückliche Umgehungsregeln; beispielsweise verbietet in Italien Art. 1 3 4 4 codice civile Verträge, die das Mittel zur Umgehung einer zwingenden Vorschrift bilden 2 . Das Kollisionsrecht von Portugal und Ungarn verbietet jede Umgehung; das IPR von Spanien die Umgehung spanischen Rechts 3 . Von der Rechtsprechung werden diese Regeln eher selten herangezogen, ein Schwerpunkt liegt jedoch auf der Umgehung familienrechtlicher Vorschriften mit Hilfe des IPR 4 . In Österreich und der Schweiz unterscheidet sich die Umgehungsdoktrin nicht wesentlich von der deutschen 5 . Jedoch können die Gerichte der Länder für gleiche Fälle zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. So werden Umgehungen, die in Deutschland toleriert werden, aus dem Gesichtspunkt der Gesetzesumgehung als nichtig oder als Scheingeschäft angesehen. Ein Beispiel bildet die besitzlose Sicherungsübereignung: In Osterreich und der Schweiz gilt sie als unzulässige Umgehung der Vorschriften des Pfandrechts 6 . ' Ausführlich die rechtsvergleichende Untersuchung von Heeder; insbesondere S. 48 ff. zu gesetzlichen Umgehungsverboten. 2 Zu der gesellschaftsrechtlichen Bedeutung dieser Vorschrift Fleischer AG 1996, 4 9 4 (502f.). 3 S. Keller/Siehr, IPR S . 5 2 6 f . 4 Raape/Sturm, IPR, S . 3 3 3 f . Den Schwerpunkt bildet das Ehe- und Scheidungsrecht, vgl. auch Heeder, S. 231 ff. Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 4 merken dazu an: „Liebe und Haß beflügeln." 5 Heeder, S.76f., 92f. In der Schweiz ist allerdings die Auffassung verbreitet, die Gesetzesumgehung bilde einen Unterfall des Rechtsmißbrauchs, der in Art. 2 Abs. 2 Z G B ausdrücklich geregelt ist, und sei daher gesetzlich normiert, so etwa Keller/Siehr, IPR, S. 526. 6 Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 7 8 , weitere Beispiele S.380ff.; dazu unten § 8 Il.l.a).

/. Insbesondere:

Frankreich

29

In der Folge werden die Rechtsordnungen von Frankreich und England als Extreme in der Behandlung der Gesetzesumgehung jeweils im einzelnen betrachtet.

I. Insbesondere:

Frankreich

In der französischen Rechtsordnung hat die Gesetzesumgehung - fraude à la loi die wohl größte praktische Bedeutung. Der vielzitierte Grundsatz „fraus omnia corrumpit" 7 ist allerdings neuerer Natur. Er entwickelte sich auf dem Gebiet des IPR und auch heute hat die fraus legis dort ihren Hauptanwendungsbereich. So entstand der ganz überwiegende Teil der französischen Judikatur zur Gesetzesumgehung auf internationalprivatrechtlichem Gebiet 8 . Die Fälle, in denen französische Gerichte sich mit der Umgehung des Sachrechts befaßt haben, sind demgegenüber „spärlich" 9 . Sie betrafen vor allem die Umgehung arbeitsrechtlicher Schutznormen durch Kettenarbeitsverträge. Gesetzesumgehungen im kollisions- und sachrechtlichen Bereich werden zumindest theoretisch gleich behandelt. Wie in Deutschland gibt es auch in Frankreich eine „objektive" und eine „subjektive" Theorie zur Gesetzesumgehung, allerdings vertritt die herrschende Meinung hier die „subjektive Theorie", sieht in der Gesetzesumgehung also ein selbständiges Rechtsinstitut 10 . Dogmatische Argumente dafür werden kaum angeführt, sondern vorrangig die praktische Seite der Problematik erörtert 11 . Die Bedeutung der Gesetzesumgehung beruht eher auf der Wertung der Rolle des Gesetzes: In Frankreich wird „das Ansehen der Rechtsordnung großgeschrieben" 12 . Audit erläutert das folgendermaßen: „Le conflit entre l'intérêt individuel et l'intérêt collectif, tel que celui-ci s'exprime dans la loi, est normalement résolu en faveur du s e c o n d " 1 3 .

Andere sprechen pathetischer von der „autorité de la loi", der „Würde" der Rechtsordnung, welche durch die Gesetzesumgehung „bafouée" - verhöhnt werde 14 . Bei dem Rechtsinstitut der „fraude" bestehen ähnlich wie im deutschen Recht Abgrenzungsprobleme. So ist besonders auf dem Gebiet des materiellen SachZur Entstehung oben § 2 II. Beispiele bei Raape/Sturm, IPR, S. 333; grundlegend zur fraus legis im IPR Audit, la fraude ä la loi, Rdnrn. 3 ff.; s. auch Battifol J.-Cl. dr. int., Fase. 5 3 5 , Rdnrn. 1 ff., insb. Rdnr.4; zu den Anwendungsfällen Rdnrn. 19ff. 9 So treffend Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 8 7 . 10 Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 8 8 ; kritisch zur hM Ghestin/Goubeaux, Droit civil, Rdnr.741. 11 Heeder, S . 7 7 , 93; Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 8 8 , 394. 12 Kegel, IPR (7. Aufl.), S . 3 5 2 . 13 Audit, La fraude ä la loi, Rdnr. 1. 14 Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 8 8 m.w.N. 7 8

30

§3 Rechtsvergleichender

Überblick

rechts der Anwendungsbereich im Verhältnis zu vergleichbaren Rechtsinstituten unscharf und ungeklärt 1 5 . Ebenfalls ungeklärt und im einzelnen umstritten ist die genaue Definition der Umgehung. Ghestin/ Goubeaux

führen drei M e r k m a l e

auf16: 1. Zwingende Regel, 2 . Umgehungsabsicht, 3. die Anwendung eines angemessenen und wirksamen Mittels zum Z w e c k der Umgehung. Vergleichsweise unproblematisch ist das Kriterium der „zwingenden R e g e l " : Grundsätzlich kann jedes Gesetz O b j e k t einer Umgehung sein, wenn es nur „obligatoire" ist 1 7 . Im IPR ist allerdings ungeklärt, o b die Rechtsfolgen der Umgehung auch eintreten sollen, wenn ausländisches Recht umgangen wird 1 8 . Vor allem kollisionsrechtlich von Bedeutung ist auch das M e r k m a l der Umgehungsabsicht, da es das Hauptkriterium für eine „fraude à la l o i " darstellt 1 9 . Umstritten und unklar ist allerdings, woran eine „intention frauduleuse" im einzelnen zu erkennen sein soll, o b z.B. die Absicht der Schädigung eines anderen hinzukommen m u ß 2 0 . Das dritte M e r k m a l der Wirksamkeit des gewählten Mittels soll die Abgrenzung zur Simulation ermöglichen, jedoch gehen im französischen R e c h t der Anwendungsbereich des Scheingeschäfts („contre-lettre") und der fraude à la loi ineinander über. Wie Schurig zutreffend feststellt, sind diese Kriterien nicht geeignet, im Einzelfall die erlaubte „Tatbestandsplanung" (habileté) von der Gesetzesumgehung abzugrenzen 2 1 . Ebenfalls weniger eindeutig, als es den Anschein hat, regelt der Grundsatz „fraus omnia c o r r u m p i t " die Rechtsfolge der Gesetzesumgehung 2 2 . Fraglich und umstritten ist vor allem, o b das gesamte fraudulöse Rechtsgeschäft nichtig sein oder o b lediglich die angestrebten Rechtsfolgen entfallen sollen. Wenn jemand zum Z w e c k der Umgehung von Ehehindernissen seine Staatsangehörigkeit geän-

Ghestin/Goubeaux, Droit civil, Rdnrn. 762ff.; Schurig, Gesetzesumgehung, S. 387, 390f. Ghestin/Goubeaux, Droit civil, Rdnrn. 748 ff.; ihnen folgend Schurig, Gesetzesumgehung, S.388; ähnlich Malaurie/Aynes, Les obligations, Rdnr. 532. 17 Schurig, Gesetzesumgehung, S. 388f. 18 Nach Raape/Sturm, IPR, S. 333 soll gemäß neuerer Auffassung der Satz „fraus omnia corrumpit" auch bei Umgehung ausländischen Rechts gelten, wobei das allerdings bislang nur in Fällen entschieden wurde, wo französisches Recht überhaupt nicht im Spiel war. Hübner/Constantinesco, Einführung in das französische Recht, S.270, erwähnen demgegenüber nur die „fraude à la loi française". Zur Entwicklung von Rechtsprechung und Literatur Battifol J.-Cl. dr. int., Fase. 535, Rdnrn. lOff. 19 Heeder, S.200. 20 Ghestin/Goubeaux, Droit civil, Rdnr.750; Schurig, Gesetzesumgehung, S.389. 21 Schurig, Gesetzesumgehung, S.389. 2 2 Dazu Mazeaud/Mazeaud/Mazeaud/Chabas, Obligations, Rdnr. 306, s. auch Malaurie/Aynes, Les obligations, Rdnr.532. 15 16

II. Insbesondere:

England

31

dert und dann geheiratet hat, wäre im ersten Fall auch die Änderung der Staatsangehörigkeit unwirksam, im zweiten Falle lediglich die Ehe 23 . Schurig zieht für das französische Recht die zutreffende Bilanz, die französische Doktrin sei nicht in der Lage, die Umgehungsproblematik in einem klareren Licht erscheinen zu lassen und gerate besonders bei Abgrenzungsfragen ins Schwimmen 24 .

II. Insbesondere:

England

Der Umgang des common law mit der Gesetzesumgehung überrascht im Vergleich zu den Rechtsordnungen, die aus der römischen Rechtstradition stammen: Im englischen Recht gibt es keine Lehre von der Gesetzesumgehung. Das bedeutet nicht nur, daß es kein Rechtsinstitut der Umgehung gibt, sondern diese ist auch als Rechtsbegriff bei der Rechtsanwendung unbekannt. Selbstverständlich wird der Sache nach auch das englische Recht - IPR wie Sachrecht - umgangen. Es fällt jedoch eine besondere Toleranz gegenüber Umgehungen auf. Falls sie im Ausnahmefall sanktioniert werden, geschieht das mit anderen Mitteln und ohne Verwendung des Rechtsbegriffs der Umgehung bzw. evasion 25 . Die Toleranz gegenüber Gesetzesumgehungen ist in England sowohl für das Sachrecht als auch das IPR kennzeichnend. Nach einem Zitat von Ehrenzweig ist das englische Rechtssystem „unconcerned with the law's authority" 26 . Zu erklären sei das mit der Rolle des Gesetzes im Rechtssystem: Das Recht entsteht nicht durch Gesetze, vielmehr werden diese eher als lästige Einschränkung des common law im engeren Sinne, also des Gewohnheitsrechts, angesehen 27 . Der „free will" spielt in der englischen Rechtsanschauung eine große Rolle, er soll nicht über den Wortlaut der Gesetze hinaus eingeschränkt werden 28 . Die Gesetzesumgehung wird daher - ähnlich wie im Recht der römischen Klassik nicht als Aufgabe des Rechtsanwenders, sondern als solche des Gesetzgebers angesehen. Demzufolge ist der Rechtsbegriff „Gesetzesumgehung" im englischen

23 Ghestin/Goubeaux, Droit civil, Rdnr. 759; Schurig, Gesetzesumgehung, S. 391 f.; auch Battifol J.-Cl. dr. int., Fase. 5 3 5 , Rdnr. 14. 24 Schurig, Gesetzesumgehung, S. 392; kritisch auch Ghestin/Goubeaux, Droit civil, Rdnr. 741. 25 Ehrenzweig, Private International Law, S. 167. 26 Ehrenzweig, Private International Law, S. 167; Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 9 2 f . 27 Schurig, Gesetzesumgehung, S. 3 9 5 . 28 Graveson, Comparative Conflict of Laws, S. 37f. insbesondere für das IPR. Nicht einheitlich bewertet wird die Einstellung des amerikanischen Rechtssystems zur Umgehung. Schurig, Gesetzesumgehung, S. 392, geht davon aus, auch hier gebe es keine Doktrin einer Gesetzesumgehung, räumt jedoch „Zweifel" ein.

32

§3 Rechtsvergleichender

Überblick

Recht weniger in der Gesetzesanwendung als in der Gesetzgebungslehre von Bedeutung 29 . Auch auf der Ebene der Rechtsanwendung wird jedoch nicht jedes Vorgehen hingenommen, das in Frankreich oder Deutschland als Gesetzesumgehung bezeichnet würde. Beispielsweise wird das gesetzliche Verbot der Wettverträge, welches früher als Verbotsgesetz eng ausgelegt wurde und damit der Umgehung Tür und Tor öffnete, heute weiter ausgelegt. Damit erfaßt es auch Gesetzesumgehungen, ohne daß freilich dieser Begriff erwähnt wird 30 . Eine wichtige Möglichkeit, gegen Umgehungen vorzugehen, bietet ein Rechtssatz des gewohnheitsrechtlichen common law, nach dem Verträge nichtig sind, die gegen die „public policy" verstoßen. Für den Geltungsbereich dieser generalklauselartigen Bestimmung haben sich Fallgruppen herausgebildet, die einige der hierzulande als Gesetzesumgehung bezeichneten Problemkreise erfassen. Dazu gehören u.a. Verträge, die auf eine unerlaubte Handlung oder betrügerische Täuschung (fraud) eines Dritten gerichtet sind, die Steuerhinterziehung zum Gegenstand haben, die Eheschließungsfreiheit oder die wirtschaftliche Handlungsfreiheit beeinträchtigen. Im Gegensatz zu Verbotsgesetzen ist public policy nicht eng auszulegen. Schließlich hat sie auch eine subjektive Seite, indem nur derjenige mit seinen Rechten ausgeschlossen sein soll, der den Nichtigkeitsgrund kannte. Mit Hilfe dieser Formel können auch Fragen der Umgehungsabsicht erfaßt werden 31 . Der Anwendungsbereich der public policy kommt somit demjenigen der fraus legis in mehrfacher Hinsicht nahe; Graveson führt sogar aus, „public policy ... overlaps with evasion of the law" 3 2 . Auf dem Gebiet des IPR herrscht ebenfalls eine im Vergleich zu Frankreich erstaunliche Gleichmut gegenüber Umgehungen, wenn sie auch - aus unterschiedlichen Gründen - nicht in jedem Fall hingenommen werden. Beispielsfälle finden sich vor allem auf dem Gebiet des Familienrechts, insbesondere bei Hochzeiten im Ausland. Im englischen IPR spielt die Umgehungsabsicht, die bewußte Ausschaltung eines Rechtskreises, keine Rolle, auch wenn sie noch so offensichtlich ist 33 . Allerdings werden Eheverbote der lex domicilii beachtet. Wenn also Verlobte mit Wohnsitz in England im Ausland heiraten, um englische Ehehindernisse zu umgehen, ist die Ehe ungültig; entsprechendes gilt, wenn keiner der Verlobten ein englisches Domizil hat. Andererseits spielt ein Eheverbot des Wohnsitzes eines Verlobten keine Rolle, wenn der andere in England domiziliert ist und die Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 9 4 . Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 9 5 f . 3 1 Zu allem Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 9 6 f . 32 Graveson, Conflict of Laws, S. 37f. für das IPR. 33 Ehrenzweig, Private International Law, S. 168; Graveson, Comparative Conflict of Laws, S.253f.; Raape/Sturm, IPR, S . 3 3 4 ; Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 9 3 . 29

30

III. Gesamtbetrachtung

33

Hochzeit in England stattfindet 34 . Ebenfalls unbeachtlich bleibt es, wenn der Wohnsitz anläßlich einer Scheidung geändert wird 3 5 . Jedoch nennt Graveson auch zwei Fälle, in denen der Umgehungsgedanke in das englische Recht Einzug gehalten hat, und zwar bei der Anerkennung ausländischer Scheidungsurteile und im Steuerrecht 36 . In beiden Fällen war ein Überhandnehmen von Umgehungen der Ausgangspunkt dafür; offensichtlich hat also auch die lässig-liberale englische Haltung gegenüber der Rechtsordnung ihre tatsächlichen Grenzen. Diese Erscheinungen bilden jedoch eine Ausnahme. Das Resümee von Schurig, die Rechtsordnung scheine durch das Fehlen einer Umgehungslehre keinen besonderen Schaden zu nehmen 3 7 , können sie nicht widerlegen. Andererseits kann diese Erkenntnis nicht ohne weiteres auf fremde Rechtsordnungen übertragen werden. Das englische Recht als „offenes", nicht kodifiziertes Recht bietet bessere Möglichkeiten, auf andere Weise gegen Umgehungen vorzugehen.

III.

Gesamtbetrachtung

Gesetzesumgehung ist kein feststehender Rechtsbegriff, sondern eng verknüpft mit dem Gesetzesverständnis der einzelnen Rechtsordnung und ihrer Einstellung zum gesetzten Recht. Dabei können Rechtsordnungen sowohl mit einem strengen Umgehungsverbot als auch ohne Umgehungsbegriff auskommen, ohne dadurch auffälligen Schaden zu nehmen. Jedoch ergeben sich in beiden Fällen Schwierigkeiten. Das Fehlen einer Umgehungslehre in der Rechtsanwendung wälzt die Verantwortung auf den Gesetzgeber ab. Da dieser in der Regel nicht schnell genug reagieren und nicht alle möglichen Konstellationen erfassen kann, können im Einzelfall unbefriedigende Ergebnisse entstehen. Auf der anderen Seite bringt die Existenz einer Umgehungslehre Abgrenzungsprobleme und Unsicherheiten mit sich, wenn Anwendungsbereich und Rechtsfolge der Gesetzesumgehung nicht hinreichend klar definiert sind. Der Widerspruch zwischen der grundsätzlichen Bedeutung der Gesetzesumgehung und der Unsicherheit im praktischen Umgang damit ist bemerkenswert. Auf diese Unsicherheit ist vermutlich auch zurückzuführen, daß die Gesetzesumgehung in der Rechtsprechungspraxis fast durchweg ein Schattendasein führt; und zwar unabhängig davon, ob sie gesetzlich definiert bzw. allgemein anerkannt ist oder nicht. Ihre Anwendungsfälle beschränken sich auf wenige Fallgruppen, wobei oft dem IPR besondere Bedeutung zukommt. 34 35 36 37

Raape/Sturm, IPR, S . 3 3 4 . Schurig, Gesetzesumgehung, S. 3 9 3 . Graveson, Conflict of Laws, S. 172 f. Schurig, Gesetzesumgehung, S. 3 9 7 .

§ 4 Gesetzesumgehung und verwandte Rechts begriffe

Durch die Rechtsgeschichte der Gesetzesumgehung ziehen sich Fragen der Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten, von denen einige bis heute nicht geklärt sind. Dabei geht es vor allem um Institute, die in einem Verwandtschaftsverhältnis zur Umgehungsproblematik stehen: das Scheingeschäft und das sittenwidrige Rechtsgeschäft. Insbesondere internationalprivatrechtliche Autoren sehen ein Kennzeichen der Gesetzesumgehung im Rechtsmißbrauch 1 . Ein Verwandtschaftsverhältnis besteht auch zur Vertragsumgehung; insbesondere wenn Gesetze vertraglich zur Anwendung gebracht oder ausgestaltet werden. Seit dem 19. Jahrhundert wird schließlich ein Gegenbegriff zur Gesetzesumgehung unterschieden: die „Gesetzesergehung" oder „Gesetzeserschleichung" 2 . Auch hier wird das Verhältnis zur Umgehung uneinheitlich beurteilt.

I. Gesetzesumgehung und

„Gesetzesergebung"

Mit dem Begriff „Gesetzesergehung" ist ein Verhalten gemeint, das auf den ersten Blick das Gegenteil der Gesetzesumgehung bedeutet: Während bei der Umgehung der Tatbestand eines - belastenden - Gesetzes vermieden wird, will der Handelnde bei „Ergehung" in den Tatbestand eines - begünstigenden - Gesetzes hineingelangen. Bereits im 19. Jahrhundert wurde erkannt, daß Normen nicht nur umgangen, sondern auch „ergangen" werden können; die damalige Bezeichnung lautete „Aufsichziehen eines Rechtssatzes" 3 . Die heutige Terminologie ist uneinheitlich. Teichmann spricht von der „Umgehung begünstigender Normen" 4 , was aber mißverständlich ist, da der Begriff der Umgehung eine Vermeidung zum Ausdruck bringt. Andere benutzen die Be-

1 Ferid, IPR, Rdnr. 3 - 1 7 8 ; v. Hoffmann, IPR, § 6 Rdnr. 123; Keller/Siehr, IPR, S. 5 2 5 f . (zum schweizerischen Recht); Römer, S.39ff., 73ff. hält den Mißbrauch der Kollisionsnorm für den „Schlüssel" für die Lösung des Umgehungsproblems; a.A. Teichmann, S. 71 ff. Dazu im einzelnen unten § 14 III. 2 Vgl. z.B. den Titel der Dissertation von Westerhoff. „Gesetzesumgehung und Gesetzeserschleichung". 3 Römer, S . 3 4 ; Teichmann, S . 4 8 . 4 Teichmann, S.48.

I. Gesetzesumgehung

und

„Gesetzesergehung"

35

Zeichnungen Tatbestands-, Gesetzes-, oder Normenerschleichung 5 . Insbesondere internationalprivatrechtliche Autoren verwenden den Begriff Gesetzesergehung 6 . Der Begriff „Gesetzesergehung" ist sprachlich wenig schön; zumal in der deutschen Sprache „sich ergehen in" die gebräuchlichere Wendung ist. Als Gegenbegriff zur Gesetzesumgehung ist er dennoch besser geeignet als der Terminus „Erschleichung": Während „Umgehung" und „Ergehung" eine weitgehend neutrale Wertung zum Ausdruck bringen, ist „Erschleichung" grundsätzlich etwas Negatives 7 . Außerdem muß eine Erschleichung grundsätzlich heimlich und damit auch bewußt erfolgen; bei einer Umgehung ist das nicht notwendig der Fall. Daher soll hier der Begriff „Gesetzesergehung" verwendet werden. Über das Verhalten, welches der Begriff Gesetzesergehung beschreibt, besteht auch inhaltlich keine Einigkeit. Umstritten ist, ob die Ergehung lediglich die negative Seite einer Gesetzesumgehung darstellt oder ein selbständiges rechtliches Handeln. Im ersten Falle würde jede Umgehung gleichzeitig eine Ergehung enthalten und umgekehrt, Gesetzesergehung als selbständiger Rechtsbegriff wäre überflüssig. Auf dem Gebiet des IPR ist das der Fall: Wer die Anknüpfung an eine Rechtsordnung umgeht, muß gleichzeitig eine andere „ergehen", da es keinen rechtsordnungsfreien Raum gibt 8 . In der Literatur werden diese Überlegungen auch auf das Gebiet des Sachrechts übertragen: Jede Gesetzesumgehung müsse notwendig gleichzeitig eine Gesetzesergehung sein 9 . Römer

und ihm folgend Teichmann

halten dagegen eine selbständige Geset-

zesergehung für denkbar 1 0 . Sie führen aus, nicht jede positive Norm stelle die Ausnahme einer ungünstigen Norm dar. Römer

greift dazu ein Beispiel aus dem

Prozeßrecht auf, in dem der Gerichtsstand des § 2 3 Z P O „ergangen" wird: Der Kläger erhebt gegen seinen Schuldner eine unzulässige Klage. Daraus folgt ein Kostenersatzanspruch des Schuldners und damit ein inländischer Vermögensgegenstand, der es ermöglicht, gemäß § 2 3 Z P O die eigentliche Schuld im Inland einzuklagen 11 . Römer

stellt einleuchtend fest, es erscheine „gekünstelt", eine

5 Römer, S. 34f.: „Tatbestandserschieichung"; Westerboff, § 8ff. (S. 6ff.): „Gesetzeserschleichung"; Huber JurA 1970, 7 8 4 (797): „Normenerschleichung". 6 Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 0 ; Soergel-Kegel vor Art.7 EGBGB Rdnr.81; Schurig, Gesetzesumgehung, S. 398. 7 Westerhoff, § 9 (S.7). 8 S. dazu die Definition der Gesetzesumgehung im IPR bei Raape/Sturm, IPR, S. 3 2 6 , wonach die grenzrechtliche Umgehung bedeutet, arglistig eine Anknüpfung zu verwirklichen, um die unerwünschten Normen des an sich maßgeblichen Rechts auszuschalten und statt ihrer die günstigeren eines anderen Rechts zum Zuge kommen zu lassen. 9 Westerhoff, §§ lOff. (S.8ff.). 10 Römer, S.34f.; Teichmann, S . 4 8 . 11 Dieser bemerkenswerte Kunstgriff ist heute nur noch eingeschränkt möglich, da die heute herrschende Meinung zu § 2 3 ZPO zusätzlich zu dem Vermögensgegenstand im Inland einen „hinreichenden Inlandsbezug des Sachverhaltes" fordert, dazu v. Hoffmann, IPR, 5 3 Rdnr.46; BGH 1 0 . 1 2 . 1 9 7 6 - V Z R 145/74, IPRspr 1976, Nr. 212 (S. 592f.); OLG Düsseldorf 1 1 . 8 . 1 9 9 4

36

§ 4 Gesetzesumgebung

und verwandte

Rechtsbegriffe

umgangene Negativnorm zu § 2 3 ZPO zu konstruieren, die etwa lauten würde: „Es ist nicht zulässig, ausländische Schuldner im Inland zu belangen, wenn sie dort kein Vermögen haben". Ein weiteres Beispiel bilden gesellschaftsrechtliche Fälle, in denen eine Durchgriffshaftung in Betracht kommt. Sie können als Ergehung von § § 1 3 Abs. 3 GmbHG, 1 Abs. 1 S. 2 AktG angesehen werden, da der Zweck des Handelns darin liegt, durch die auf das Gesellschaftsvermögen beschränkte Haftung die persönliche Haftung zu vermeiden 12 . Es würde aber ebenso gekünstelt klingen, eine umgangene Norm zu konstruieren, die einen Wortlaut haben müßte wie: „Wer seine Geschäfte nicht über eine Gesellschaft abwickelt, haftet für seine Schulden persönlich". Der Begriff der „Gesetzesergehung" kann daher die negative Seite einer Umgehung beschreiben, aber auch ein selbständiges Verhalten, bei dem eindeutig nicht die Tatbestandsvermeidung, sondern das „Hineingelangen" in einen Tatbestand im Vordergrund steht. Jedoch ist diese reine Gesetzesergehung sehr selten, weil sich fast immer auch eine umgangene Norm finden läßt 1 3 . Das zeigen auch die beiden von Teicbmann gewählten Beispiele der bereits erwähnten Gothaischen Gewerkschaften und des Bezugs genehmigungsfreier „Jedermanns-Einfuhren" 1 4 : Sie können als Umgehung preußischen Rechts bzw. Umgehung der Genehmigungspflicht angesehen werden. Diese Unterscheidungen sind indes eher begrifflicher Natur: Auch wenn man von einer Gesetzesergehung als selbständiges Rechtshandeln ausgeht, folgt daraus kein zusätzliches Rechtsproblem. Obwohl sich nicht jede positive Norm sprachlich als Gegenteil einer negativen Norm formulieren läßt, hat sie logisch stets eine negative Seite; von Scburig treffend als „unausgesprochene Negativnorm" bezeichnet 15 . Diese liegt in der Rechtsfolgenlosigkeit; der Unerreichbarkeit der angestrebten Rechtsfolge. Auch dann, wenn keine konkrete Negativnorm umgangen wird, läßt sich eine Gesetzesergehung doch immer als Umgehung dieser unausgesprochenen Negativnorm ansehen. Deutlich wird das vor allem, wenn eine Ausnahmevorschrift ergangen wird. So hatte sich das AG Rosenheim mit einer Umgehung des in Bayern obligatorischen Schlichtungsverfahrens zu befassen 16 . Da nach Art. 15a Abs.2 E G Z P O keine Schlichtung erforderlich ist, wenn ein Mahnverfahren vorausgeht, strengten die Parteien ein unzulässiges Mahnverfahren an. Nach der Entscheidung des

- 6 U 227/93, RIW 1996, 598; ausführlich zur internationalen über § 23 ZPO unten § 17 II.2.a) 1 2 Vgl. dazu Klass, Buyout von Aktiengesellschaften, S. lOOff., 1 3 So auch Schurig, Gesetzesumgehung, S. 3 9 8 . 1 4 RG 1 5 . 1 1 . 1 9 2 0 - 1 133/20, R G Z 100, 2 1 0 ; s.o. § 2 IV.l.b); 154/22, N J W 1959, 332; Teichmann, S . 4 8 f . 1 5 So Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 9 8 . 1 6 AG Rosenheim 1 1 . 4 . 2 0 0 1 - 18 C 65/01, N J W 2 0 0 1 , 2 0 3 0

Gerichtsstandserscheichung insb. 102f. BGH 2 . 1 2 . 1 9 5 8 - V I I I Z R

(insb. S.2032).

II. Gesetzesumgehung

und

Scheingeschäft

37

Amtsgerichts war deswegen die - umgangene - Ausnahmeregelung eng auszulegen, um dem Zweck der - ergangenen - Regelnorm gerecht zu werden. Somit weichen die Rechtsprobleme auch bei der reinen Gesetzesergehung nicht von denen der Umgehung ab: Die rechtliche Problematik gilt entsprechend, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Konsequent bildet auf der Grundlage der heute herrschenden Meinung für die Ergehung nicht die erweiternde Auslegung oder Analogie den Lösungsansatz, sondern die teleologische Reduktion 17 . Auch im folgenden wird die Gesetzesergehung daher nicht gesondert erörtert. Die Ausführungen zur Umgehung gelten für sie entsprechend; d.h. umgekehrt.

II. Gesetzesumgehung

und

Scbeingescbäft

1. Theoretische Abgrenzung Der Unterschied zwischen Gesetzesumgehung und Scheingeschäft (Simulation) scheint eindeutig: Bei einem Scheingeschäft ist das Vereinbarte nicht ernstlich gewollt. Das Umgehungsgeschäft ist dagegen gerade ernstlich beabsichtigt, da nur so die erzielte Rechtsfolge eintritt 18 . Beide Rechtsinstitute sind also auf gegensätzliche Folgen ausgerichtet und demzufolge nach heute herrschender Meinung voneinander zu trennen. In der Geschichte wurden Umgehung und Simulation dagegen oft gleichgesetzt. Das liegt nicht daran, daß frühere Juristen die erwähnte logische Abgrenzung übersehen hätten, sondern vielmehr an der Wandlung des Simulationsbegriffs: Während dieser heute rein subjektiv geprägt ist, hatte er früher auch eine objektive Komponente 19 . Diese Wandlung wird heute nicht ganz unkritisch gesehen20. Problematisch ist insbesondere, daß in der Praxis der Wille der Parteien oft nicht feststellbar ist. Es stellt sich daher die Frage, ob Vertrags- oder Sachverhaltsauslegung wie bei Savigny ein geeignetes Mittel zur Lösung von Umgehungsfällen sein kann. Die Rechtsprechung ist gelegentlich einen entsprechenden Weg gegangen. Das gilt Huber JurA 1970, 7 8 4 (797f.). Barthelmes, S.20f.; Benkendorff WuW 1954, 147 (149); Erman-Brox § 1 1 7 Rdnr.14; Staudinger-Dilcher (12.Aufl.) § 1 1 7 Rdnr.33; Heeder, S. 101 ff.; Soergel-Hefermehl §117 Rdnr.12; Palandt-Heinrichs § 117 Rdnr.5; Kegel Ö J Z 1958, 15; Schurig, Gesetzesumgehung, S. 382, 4 0 4 ; ders. Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 241 f.; Teichmann, S. 8; ders. J Z 2 0 0 3 , 761 (763), jeweils mit Nachweisen zur früheren Gleichstellung beider Rechtsinstitute. Römer, S. 20, weist außerdem darauf hin, daß Simulation im Gegensatz zur Umgehung nur bei Rechtsgeschäften möglich ist. Beispiel: Bei den sog. Tondern-Ehen zur Umgehung inländischer Ehehindernisse sollte ernstlich eine eheliche Lebensgemeinschaft begründet werden. Anders bei sog. Scheinehen zur „Erschleichung" einer Aufenthaltserlaubnis o.ä.: Sie sind nicht ernsthaft gemeint. Dazu Sturm, Scheinehen - ein Mittel zur Gesetzesumgehung, S . 5 1 9 f f . 19 Barthelmes, S . 2 0 ; Huber JurA 1970, 7 8 4 (794f.); Schurig, Gesetzesumgehung, S.404f.; Römer, S . 2 1 . 20 Schurig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 5 ; Westerhoff, § 8 6 (S.83ff.). 17

18

38

§ 4 Gesetzesumgehung und verwandte

Rechtsbegriffe

insbesondere für einige Fälle der Umgehung von Vorkaufsrechten 2 1 . Sie wurden nicht durch - analoge - Anwendung der umgangenen N o r m gelöst, sondern die Gerichte legten das zugrundeliegende Geschäft als K a u f aus. Ein solcher Ansatz findet sich auch in einer Entscheidung des B G H zur Umgehung von Verjährungsvorschriften durch Vertragsaufspaltung 2 2 . Auch hier begründete der B G H seine Entscheidung mit der Auslegung des Vertrages als einheitliches Geschäft; setzte also nicht bei der Frage an, ob die umgangene N o r m auch aufgespaltene Verträge erfasse. Auch in der Literatur wird vereinzelt ein entsprechender Ansatz vertreten 2 3 . Zuletzt ist ein solches Vorgehen von Sieker begründet worden, die sich dabei ausdrücklich auf die Umgehung von Vorkaufsregelungen bezieht 2 4 . Sie sieht in der „ Q u a l i f i k a t i o n " des zugrundeliegenden Rechtsgeschäfts eine M e t h o d e zur Lösung von Umgehungsfällen, will sie also nicht über die umgangene N o r m lösen, sondern über die tatsächliche Seite: Das Vorgehen der Parteien wird als Geschäft qualifiziert, das unzweifelhaft unter die umgangene N o r m paßt; der Vertrag zur Umgehung des Vorkaufsrecht also als Kauf. Dieses Verfahren ist für den Rechtsanwender einfacher, da er sich über die rechtliche Bewertung der Umgehung keine Gedanken machen muß. Dennoch ist ein derartiges Vorgehen in Umgehungsfällen abzulehnen, da es die Grenze zwischen Umgehungs- und Scheingeschäft verwischt. Beide Rechtsgestaltungen unterscheiden sich bereits im Ansatz: Beim Scheingeschäft meinen die Parteien ihre vertraglichen Bestimmungen nicht ernst, beim Umgehungsgeschäft wollen sie dagegen mit Hilfe gerade ernst gemeinter vertraglicher Bestimmungen den Tatbestand einer N o r m vermeiden. In zweifelsfreien Fällen ist am Beispiel Vorkaufsrecht folgendermaßen vorzugehen: H a b e n die Parteien einen Kaufvertrag abgeschlossen oder ist ihr Geschäft nach den allgemeinen Regeln als solcher auszulegen, gelten § 4 6 3 B G B (früher § 5 0 4 B G B ) oder § 2 0 3 4 B G B unmittelbar. H a ben sie dagegen tatsächlich einen Kaufvertrag abgeschlossen, aber ein anderes Geschäft vorgetäuscht, finden diese Regelungen über § 1 1 7 Abs. 2 B G B Anwendung. Eine Gesetzesumgehung liegt dagegen vor, wenn das Geschäft tatsächlich in dieser Weise gewollt ist und auch nach Auslegung keinen Kaufvertrag darstellt. Sucht man die Lösung in einem solchen Fall wie beim Scheingeschäft in der Auslegung des Sachverhalts, wird das Pferd von hinten aufgezäumt: Bei der Gesetzesumgehung handelt es sich um ein Problem der N o r m a n w e n d u n g , der Rechts-

21 BGH 1 3 . 7 . 1 9 5 7 - IV ZR 93/57, BGHZ 25,174; ähnlich RG 13.8.1943 - VI 27/43, RGZ 171, 185 (beide zu einem erbrechtlichen Vorkaufsrecht nach §2034 BGB); zuletzt BGH 20.3. 1998 - V ZR 25/97, WM 1998,1189. 2 2 BGH 9.10. 1980 - VII ZR 65/80, NJW 1981, 273. 23 Thomä, Die typenwidrige Zwecksetzung beim Rechtsgeschäft, S.59ff.; wohl auch Fuchs, Umgehung des Gesetzes, S. 8ff. und zum Steuerrecht Crezelius StuW 1995, 313 (314, 321). 24 Sieker, S.46ff., 50ff., 95ff., zum Vorkaufsrecht S. 187ff., insb. S.213; vgl. auch Crezelius StuW 1995, 313 (314, 321); beide mit steuerrechtlichen Ansätzen.

IL Gesetzesumgehung

und

Scheingeschäft

39

folgenseite, während die Simulation ein Problem der Sachverhaltsaufklärung ist 2 5 . Mit der Methode der „Qualifikation" werden Verträge oder andere Vereinbarungen entgegen dem tatsächlichen und ausdrücklichen Willen der Parteien ausgelegt. Wie erwähnt, wurden unter dem Absolutismus und dem Nationalsozialismus derartige Ansätze vertreten; sie lassen sich aber nicht mit dem heutigen Verständnis von Gesetz und Vertragsfreiheit vereinbaren. Die rechtsdogmatische und -methodische Trennung zwischen Gesetzesumgehung und Scheingeschäft ist also trotz der schwierigen Abgrenzung erforderlich.

2. Grenzfälle von Umgehung und Scheingeschäft Auch wenn die Abgrenzung von Umgehungs- und Scheingeschäft in der Theorie eindeutig ist, kann sich das im praktischen Einzelfall ganz anders darstellen. Wie oben erwähnt, wurde die Sicherungsübereignung verbreitet als Scheingeschäft angesehen 2 6 . Heutige Hauptbeispiele aus dem Grenzbereich von Umgehungsund Scheingeschäft sind Strohmanngeschäfte, die oft zur Gesetzesumgehung, beispielsweise zur Umgehung einer Bardepotpflicht 2 7 , eines Reimportverbots 2 8 oder einer Konzessionspflicht 2 9 geschlossen werden. Vergleichbar ist die Problematik bei treuhänderischer Rechtsausübung 3 0 oder bei Vorschieben eines Minderjährigen 3 1 . Ähnliche Fallkonstellationen können bei dem Versuch entstehen, sich der Zwangsvollstreckung zu entziehen. Vor dem Erlaß von § 8 5 0 h Z P O bildeten sogenannte „Lohnschiebungsverträge" ein Problem für die Praxis 3 2 . Überschuldete Arbeitnehmer trafen mit ihren Arbeitgebern eine Vereinbarung, den Arbeitslohn direkt an ihren Ehegatten auszuzahlen, soweit der Arbeitslohn die Pfändungsfreigrenze überschritt. Neueren Datums ist ein anderer Fall: Um zu Lasten des Ersteigerers § 9 3 Z V G zu umgehen, schloß die Schuldnerin vor der Zwangsversteigerung ihres Wohnhauses einen Mietvertrag mit ihrem Ehemann 3 3 . Zur Simulation Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 241 f. Zur Rechtsprechung des R G und der Kontroverse mit Bähr oben § 2 III.2. Häsemeyer, Die Spannungen zwischen Insolvenzrecht und Privatautonomie, S. 165f., sieht noch 1986 in der Sicherungsübereignung ein Scheingeschäft. 2 7 BGH 2 4 . 1 . 1980 - III Z R 169/78, N J W 1 9 8 0 , 1 5 7 2 ; BGH 2 2 . 1 0 . 1981 - III Z R 149/80, N J W 1982, 569; dazu Kramer JuS 1982, 4 2 3 . 2 8 O L G Oldenburg 2 . 2 . 1 9 8 7 - 1 3 U 941/86, DAR 1 9 8 7 , 1 2 0 ; OLG Schleswig 4 . 5 . 1 9 8 8 - 4 U 244/86, N J W 1988, 2 2 4 7 . 2 9 R G 1 1 . 4 . 1 9 0 6 - Rep. VI. 305/05, R G Z 6 3 , 1 4 3 (145); BAG 2 . 2 . 1 9 9 4 - 1 0 AZR 673/92, NJW 1994, 2973. 3 0 Dazu Palandt-Heinrichs § 117 Rdnr. 5; MünchKomm-Kramer § 117 Rdnr. 11. 3 1 BGH 2 8 . 9 . 1981 - II Z R 223/80, B G H Z 81, 365 (368f.) sah in dem Vorschieben des minderjährigen Sohnes zur Umgehung der Kapitalerhaltungsvorschriften § § 3 0 , 31 GmbHG eine Gesetzesumgehung und nicht ein Scheingeschäft. 3 2 Dazu R G 2 9 . 1 1 . 1912 - Rep. III. 2 4 7 / 1 2 , R G Z 8 1 , 4 2 ; Soergel-Hefermehl § 117 Rdnr. 13. 3 3 O L G Düsseldorf 2 2 . 1 . 1996 - 9 U 115/95, NJW-RR 1996, 720. 25

26

40

§ 4 Gesetzesumgehung

und verwandte

Rechtsbegriffe

Weitere Beispielsfälle bilden das Betreiben eines aufsichtspflichtigen Versicherungszweigs durch ein nicht der Aufsicht unterliegendes Versicherungsunternehmen 3 4 , die Umgehung des § 2 G m b H G durch G r ü n d u n g einer G m b H mittels zweier Strohmänner, die am Tag nach der Eintragung ihre Anteile an einen Dritten abtreten 3 5 , der u n k ü n d b a r e , mit einem Vorkaufsrecht verbundene Pachtvertrag zur Umgehung einer Genehmigungspflicht für einen Grundstücksverkauf 3 6 sowie der zur Umgehung von § 656 BGB mit einem Ehemäklervertrag gekoppelte Darlehensvertrag 3 7 . Auch eine „falsche Rechtsformwahl" kann sowohl Umgehung als auch Scheingeschäft sein, wenn Parteien z.B. einen Arbeitsvertrag praktizieren, aber einen Vertrag über freie Mitarbeit schließen 3 8 oder einen Vertrag, der tatsächlich der Arbeitnehmerüberlassung dient, als „Werkrahmenvertrag" bezeichnen 3 9 . Die Beispielsfälle machen deutlich, wie nahe Scheingeschäft und Umgehungsgeschäft im praktischen Fall beieinander liegen können und daß auch beides gleichzeitig vorliegen kann. Dennoch sind beide voneinander abzugrenzen: Rechtsfolge eines Scheingeschäfts ist nach § 117 Abs. 1 BGB die Nichtigkeit; eine Rechtsfolge, die - wie bereits erörtert - für Umgehungsgeschäfte nicht immer angemessen ist. Aus der Rechtsprechung lassen sich keine allgemeinen Grundsätze für die Abgrenzung ableiten, da das Vorliegen eines Scheingeschäfts meist verneint wird 4 0 . Gesetzesumgehung wird daneben oft nicht erwähnt oder aus anderen Gründen abgelehnt 4 1 . Die Gründe für die schwierige Unterscheidung von Umgehungs- und Scheingeschäft sind vielfältig und zum Teil interdependent. Insbesondere bildet die Simulation oft ein Mittel zur Gesetzesumgehung 4 2 . Nicht nur in diesen Fällen können sich Scheingeschäfte und Umgehungsgeschäfte äußerlich sehr ähnlich sehen. 34

R G 1 . 6 . 1 9 3 7 - VII 15/37, R G Z 155, 138. B G H 9 . 1 0 . 1956 - 1 1 Z B 11/56, B G H Z 2 1 , 378. 36 O L G H a m m 2 6 . 1 1 . 1952 - 10 W I w 2 6 0 / 5 2 , D N o t Z 1 9 5 3 , 2 0 8 m. Anrn. Reineke-, weitere Beispiele Staudinger-Dilcher (12. Aufl.) § 117 R d n r . 3 8 . 37 Höbold N J W 1970, 1869f.; ausführlich Zoller, AGB und Formularverträge der Heiratsvermittler. 38 NZA S. dazu schon R A G 2 9 . 4 . 1936 - R A G 54/36, R A G E 17, 1; ausführlich Hohmeister 2 0 0 0 , S. 4 0 8 ff. 39 B G H 2 6 . 6 . 2 0 0 2 - X Z R 83/00, EWiR § 1 A Ü G 1/02, 8 8 7 (Zeppenfeld/Beyerlein). 40 Z u m Lohnschiebungsvertrag R G 2 9 . 1 1 . 1912 - Rep. III. 2 4 7 / 1 2 , R G Z 81, 42; zu Strohmanngeschäften R G 2 0 . 3 . 1 9 1 4 - Rep. III. 5 3 2 / 1 3 , R G Z 84, 304; B G H 2 4 . 1 . 1 9 8 0 - I I I Z R 169/78, N J W 1 9 8 0 , 1 5 7 2 ; B G H 2 2 . 1 0 . 1981 - III Z R 149/80, N J W 1982, 569; zu dem Spezialfall der U m g e h u n g von Reimportverboten O L G O l d e n b u r g 2 . 2 . 1987- 13 U 941/86, DAR 1987, 120; O L G Schleswig 4 . 5 . 1988 - 4 U 2 4 4 / 8 6 , N J W 1988, 2 2 4 7 . 41 R G 2 0 . 1 0 . 1 9 3 0 - 2 2 9 / 3 0 , J W 1932, 37. Es ging hier um einen extrem langfristigen Mietvertrag unter Vermeidung der Schaffung von Eigentum. Das Vorliegen einer Gesetzesumgehung w u r d e vom Reichsgericht verneint, weil kein Verbotsgesetz betroffen war. 42 Barthelmes, S.21; Behrends, S. 12 („eng verschwistert"); Staudinger-Dilcher (12. Aufl.) § 1 1 7 R d n r . 2 7 ; Soergel-Hefermehl § 1 1 7 Rdnr. 12 (zum Strohmann); M ü n c h K o m m - K r a m e r § 1 1 7 Rdnr. 15; Römer, S.22. 35

II. Gesetzesumgehung

und

Scheingeschäft

41

In beiden Fällen liegt ein untypischer, konstruierter Tatbestand vor und ein anderer, typischer, zu dem eine rechtliche Ähnlichkeit besteht 4 3 . Schließlich macht es oft Schwierigkeiten, auf der Grundlage des subjektiven Simulationsbegriffes den tatsächlichen Willen der Parteien zu bestimmen. Das gilt um so mehr, wenn nur Teile eines Rechtsgeschäftes simuliert sind oder bei einem Umgehungsgeschäft der konstruierte Tatbestand nicht in allen Konsequenzen gewollt ist 4 4 . In den oben genannten Beispielsfällen kommen sowohl Gesetzesumgehung als auch Scheingeschäft in Betracht. Die Konstruktionen zur Umgehung eines Vorkaufsrechts sind in der Regel tatsächlich gewollt. Vorkaufsrechte können aber auch umgangen werden, indem das Grundstück in eine simulierte BGB-Gesellschaft eingebracht wird 4 5 , oder „ergangen", wenn ein vom Vorkaufsberechtigten vorgeschobener Scheinkäufer tätig wird 4 6 . Eine Vertragsaufspaltung kann je nach dem wahren Willen der Parteien Gesetzesumgehung oder Scheingeschäft • sein

47

.

3. Abgrenzung im konkreten Fall Die Abgrenzung bestimmt die Schritte, die bei Fällen aus dem Grenzgebiet von Umgehungs- und Scheingeschäft vorzunehmen sind. Als erster Schritt ist zu klären, ob die Parteien das Geschäft und seine Rechtsfolgen ernstlich wollen, ob z.B. der Strohmann - i m Außenverhältnis - selbst aus dem Vertrag berechtigt und verpflichtet werden soll oder die Übertragung auf den Treuhänder ernsthaft gewollt ist 4 8 . Ist das der Fall, liegt kein Scheingeschäft vor; eine Nichtigkeit nach § 1 1 7 B G B kommt nicht in Betracht. Das Geschäft kann lediglich als Gesetzesumgehung zu beurteilen sein. Im Prozeß ist der wahre Wille nach den allgemeinen Beweisregeln zu ermitteln, wobei der Beweis des ersten Anscheins möglich ist. Oft kann der nach den allgemeinen Auslegungsregeln zu ermittelnde Vertragszweck maßgeblich sein. So hatte der B G H die Frage zu klären, ob die Gründung einer Gesellschaft wirksam sein sollte, durch die Grundstücke übertragen werden sollten, um auf diese Weise die Grunderwerbssteuer zu umgehen 4 9 . Der B G H sah es als Indiz für ein Scheingeschäft an, wenn die Grundstücksübertragung einziges Ziel der Gesell-

4 3 Vgl. Thomä, Die typenwidrige Zwecksetzung beim Rechtsgeschäft, S. 1 ff. (Einleitung); Westerhoff, § § 7 9 f f . (S. 75ff.). 4 4 Vgl. Westerhoff, §§ 81 ff. (S. 78ff.). BenkendorffWuW 1954, 147 (149) mit Beispielen aus dem Kartellrecht bezeichnet in solche Fälle als „Tarnungsgeschäfte." 4 5 LG Koblenz 2 . 2 . 1995 - 12 S 358/94, VersR 1996, 184. 4 6 Dazu R G 8 . 3 . 1935 - III 261/34, SeuffA 89, Nr. 142; R G 2 1 . 8 . 1936 - III 339/36, DNotZ 1936, 3 0 4 (Nr. 3); Schurig, Vorkaufsrecht, S. 161 f. 4 7 Vgl. Sieker, S . 5 3 , 120f. 4 8 Vgl. Huber JurA 1970, 7 8 4 (795); MünchKomm-Kramer § 117 Rdnrn. 11 f. 4 9 BGH 2 4 . 5 . 1976 - II Z R 16/75, DNotZ 1977, 4 1 6 .

42

§ 4 Gesetzesumgehung

und verwandte

Rechtsbegriffe

schaft sein sollte. Ginge es daneben auch um die Verwaltung der Grundstücke u n d anderes, komme ein Scheingeschäft nicht in Betracht. Sind das Geschäft oder seine Rechtsfolgen danach nicht ernstlich gewollt, greift § 117 BGB ein. Die Rechtsfolgen dieser N o r m sind den Rechtsfolgen der Gesetzesumgehung vorrangig. Das folgt nicht nur daraus, daß das Scheingeschäft gesetzlich normiert ist, sondern vor allem aus der Regelung des § 1 1 7 Abs. 2 BGB: Greift die N o r m , ist nur der dissimulierte Tatbestand maßgeblich f ü r die rechtliche Beurteilung. Ergebnis dieses Schrittes k a n n also die Nichtigkeit gemäß § 117 Abs. 1 BGB sein, womit die rechtliche Beurteilung abgeschlossen ist; die Frage nach der Gesetzesumgehung k o m m t dann nicht mehr zum Tragen. Im Fall des § 117 Abs. 2 BGB ist dagegen der dissimulierte Sachverhalt zu ermitteln. Erst in einem zweiten Schritt k a n n untersucht werden, ob eine Anwendung der Grundsätze der Gesetzesumgehung auf diesen Sachverhalt in Betracht k o m m t . In aller Regel wird das nicht der Fall sein, weil der dissimulierte Sachverhalt nicht mehr zur Umgehung geeignet ist, wenn z.B. statt des Strohmanns der dahinterstehende Geschäftsherr berechtigt und verpflichtet wird. Es liegt dann allenfalls ein untauglicher Umgehungsversuch vor. Ist das ausnahmsweise nicht der Fall, weil die Simulation einen anderen Teil des Geschäfts erfaßt (bei einem nur teils simulierten, teils konstruierten Geschäft), stellt sich die Frage der Gesetzesumgehung. Dasselbe gilt, wenn sich im ersten Schritt ergeben hat, d a ß das Geschäft nicht simuliert ist, sondern seine Rechtsfolgen ernstlich gewollt. Die Denkschritte für einen Fall aus Grenzbereich von Schein- und Umgehungsgeschäft lassen sich graphisch folgendermaßen darstellen: Simulation? nein

Gesetzesumgehung?

§ 117 Abs. 1 BGB

§ 117 Abs. 2 BGB

Nicht

dissimuliertes Geschäft als untauglicher Umgehungsversuch

dissimuliertes Geschäft k a n n Gesetzesumgehung sein

III.

Gesetzesumgehung,

sittenwidriges

III. Gesetzesumgehung,

Rechtsgeschäft

sittenwidriges

43

und Rechtsmißbrauch

Rechtsgeschäft

und

Rechtsmißbrauch Gesetzesumgehung, sittenwidriges Rechtsgeschäft und Rechtsmißbrauch haben dogmatisch wenig miteinander zu tun. Das sittenwidrige Rechtsgeschäft hat in § 1 3 8 B G B eine Sonderregelung erfahren, während der Problemkreis des Rechtsmißbrauchs nach herrschender Meinung zu dem weiten Regelungsbereich des § 2 4 2 B G B gehört 5 0 . Beide Rechtsinstitute enthalten eine Wertung. Für die Gesetzesumgehung gibt es keine gesetzliche Grundlage; aber auch in Umgehungsfällen spielen Wertungen eine große Rolle, wie beispielsweise der Streit um die Umgehungsabsicht zeigt. Die Rechtsprechung sieht in Umgehungsgeschäften oft sittenwidrige Rechtsgeschäfte im Sinne des § 1 3 8 BGB; exakte Kriterien für die Abgrenzung existieren allerdings nicht. Entsprechendes gilt für den Rechtsmißbrauch in Fällen, in denen ein Mißbrauch der umgangenen oder ergangenen Norm in Betracht kommt.

1. G e s e t z e s u m g e h u n g u n d § 1 3 8 A b s . 1 B G B Die Abgrenzung der Gesetzesumgehung vom sittenwidrigen

Rechtsgeschäft

weist Parallelen zum Scheingeschäft auf: Nach ganz herrschender Lehre handelt es sich um unterschiedliche Rechtsinstitute 5 1 ; betrachtet man den praktischen Einzelfall, erscheint diese Unterscheidung hingegen nicht mehr so eindeutig. Wie erwähnt, verwandte das Reichsgericht oftmals die Formulierung „sittenwidriges Umgehungsgeschäft", und auch die heutige Rechtsprechung wendet in Umgehungsfällen nicht selten § 138 Abs. 1 B G B an 5 2 . In einigen Fällen prüften Gerichte sogar sowohl das Vorliegen eines Scheingeschäfts als auch das Eingreifen von § 1 3 8 Abs. 1 BGB; so das Reichsgericht zu einem Strohmanngeschäft und zu den sog. „Lohnschiebungsverträgen" 5 3 , und 1 9 9 6 das O L G Düsseldorf in dem bereits erwähnten Fall eines Mietvertrages, den die Schuldnerin zur Umgehung von § 93 Z V G mit ihrem Ehemann geschlossen hatte 5 4 .

a) Verhältnis von Umgehung und Sittenwidrigkeit Eine einheitliche Linie der Rechtsprechung bei der Abgrenzung von Sittenwidrigkeit und Umgehung ist nicht ersichtlich. In einigen von Oberlandesgerichten Skeptisch Soergel-Teichmann § 242 Rdnrn. 11 ff. Heeder, S. 128ff.; Staudinger-Sack § 134 Rdnr. 152; Schurig, Gesetzesumgehung, S.406f.; Sieker, S. 134f.; Teichmann, S.70f.; a.A. Bertram, Gesetzesumgehung im IPR, S . 4 3 . 52 Vgl. oben $2 V.2. " R G 2 0 . 3 . 1914 - Rep. III. 532/13, R G Z 84, 303 (305f.); R G 2 9 . 1 1 . 1912 - Rep. III 247/ 12, R G Z 81, 42; s.o. § 4 11.2. 5 4 O L G Düsseldorf 2 2 . 1 . 1996 - 9 U 115/95, NJW-RR 1996, 720. 50

51

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§ 4 Gesetzesumgehung

und verwandte

Rechtsbegriffe

entschiedenen Fällen ging es nur um § 138 Abs. 1 BGB, der Gesichtspunkt des Umgehungsgeschäfts wurde nicht erörtert. Ein bemerkenswertes Beispiel bildet die Umgehung des GjS durch einen pornographischen Verlag, der durch Gründung einer „Deutschen Sex-Partei" das Parteienprivileg nutzen wollte 5 5 . Unter § 1 3 8 Abs. 1 BGB fielen auch die Umgehung des gesetzlichen Eheauseinandersetzungsverfahrens durch ein konstruiertes Grundstücksgeschäft 5 6 , der Erwerb eines ausländischen Doktortitels durch eine „Garantie"-Konstruktion unter Umgehung der wissenschaftlichen Hochschulgesetze 5 7 , und die Abtretung einer Werklohnforderung zu dem Zweck, die Aufrechnung von Mängelansprüchen durch den Auftraggeber zu verhindern 5 8 . Bundesgerichtshof und Reichsgericht zogen in unterschiedlicher Hinsicht Verbindungen zwischen Sittenwidrigkeit und Gesetzesumgehung. Vereinzelt wird Sittenwidrigkeit als Kennzeichen einer Gesetzesumgehung angesehen. Ein Beispiel bildet die mehrfach gewandelte Rechtsprechung zur Umgehung von Vorkaufsrechten: Bevor der Bundesgerichtshof sich zu einer „Gleichstellung" von Eintritt und Umgehung des Vorkaufsfalles entschloß, sah er Umgehungsgeschäfte nur dann als nichtig an, wenn sie das „Gepräge der Sittenwidrigkeit" trugen 5 9 . Die Formulierung anderer Entscheidungen läßt den Schluß zu, d a ß die Gesetzesumgehung als Unterfall der Sittenwidrigkeit angesehen wird. So hat insbesondere das Reichsgericht, aber auch der BGH, in Umgehungsgeschäften nicht selten sittenwidrige Rechtsgeschäfte gesehen 6 0 . Inhaltlich ging es dabei oft um die Umgehung wirtschaftsregelnder Gesetze: Konzessionspflichten, Steuervorschriften, Einfuhrbestimmungen, Arzneimittelvorschriften usw.; aber auch die Umgehung von testamentarischen Auflagen oder Testierverboten k a n n nach der Rechtsprechung unter § 138 BGB fallen 6 1 . In der Literatur wird diese Rechtsprechung kritisch beurteilt 6 2 . In der Tat paßt § 138 BGB nicht auf alle Umgehungsfälle: Die Voraussetzungen der Sittenwidrig55 H a n s O L G H a m b u r g 7 . 3 . 1974 - 3 U 173/73, M D R 1 9 7 5 , 1 4 1 . In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit ging es allerdings um einen Treuhandvertrag, der als solcher kein Umgehungsgeschäft darstellte, dazu Schurig, Gesetzesumgehung, S. 4 0 7 . 56 O L G Schleswig 1 6 . 1 2 . 1994 - 14 U 138/94, N J W - R R 1995, 900. 57 O L G Köln 1 4 . 1 2 . 1993 - 9 U 242/92, N J W - R R 1994, 1540. 58 O L G Düsseldorf 2 3 . 3 . 2 0 0 1 - 2 2 U 140/00, N J W - R R 2 0 0 1 , 1025. 59 BGH 1 1 . 1 2 . 1 9 6 3 - V Z R 4 1 / 6 2 , N J W 1964, 5 4 0 = W M 1 9 6 4 , 2 3 1 ; B G H 1 4 . 1 1 . 1 9 6 9 V Z R 115/66, W M 1970, 321 (322); B G H 2 . 7 . 1 9 7 0 - I I I Z R 4 2 / 6 7 , W M 1970, 1315 (1318) (zu einem vertraglichen Vorkaufsrecht); dazu noch unten § 9 II.2.a). 60 Z . B . R G 1 1 . 4 . 1 9 0 6 - R e p . V I . 3 0 5 / 0 5 , R G Z 6 3 , 1 4 3 ( 1 4 5 ) ; R G 1 1 . / 1 8 . 6 . 1 9 1 4 - R e p . VI. 135/14, R G Z 85, 170 (175f.); o b i t e r R G 4 . 7 . 1922 - II B 2/22, R G Z 106, 101 (106); grundlegend R G 2 9 . 1 . 1 9 2 9 - I I I 161/28, R G Z 123, 2 0 8 (211), B G H obiter in B G H 2 3 . 4 . 1 9 6 8 - V I Z R 2 1 7 / 6 5 , N J W 1 9 6 8 , 2 2 8 6 (2287); B G H 8 . 6 . 1 9 8 3 - V I I I Z R 77/87, N J W 1 9 8 3 , 2 8 7 3 ; s. im einzelnen oben § 2 IV.l.b), V. 2. 61 B G H 2 . 1 0 . 1 9 6 3 - V Z R 140/61, N J W 1964, 5 4 7 (548) m. A n m . Kohler; B G H 2 4 . 2 . 1993 - IV Z R 2 3 9 / 9 1 , N J W 1993, 2 1 6 8 . 62 Staudinger-Sack § 134 Rdnr. 152; Sieker, S. 134f.; Teichmann, S.70f.; zustimmend hingegen M ü n c h K o m m - M a y er-Maly!Armbrüster § 138 R d n r n . 5 3 f .

III. Gesetzesumgehung,

sittenwidriges

Rechtsgeschäft

und

Rechtsmißbrauch

45

keit und der Anwendungsbereich von § 138 Abs. 1 BGB sind zu eng 6 3 . Insbesondere müßten die subjektiven Voraussetzungen erfüllt werden: Nach herrschender Meinung genügt objektive Sittenwidrigkeit nur dann, wenn sie sich bereits aus dem Inhalt der Geschäfts ergibt. Sittenwidrigkeit aufgrund von Zweck oder Umständen des Geschäfts kann nur angenommen werden, wenn der oder die Handelnden die Umstände kennen, die zur Sittenwidrigkeit führen, oder sie grob fahrlässig nicht kennen 6 4 . Unter diesen Voraussetzungen müßte daher Umgehungsabsicht nachgewiesen werden. Außerdem sieht § 1 3 8 Abs. 1 BGB Nichtigkeit des sittenwidrigen Rechtsgeschäfts als einzige mögliche Rechtsfolge vor. Diese absolute Rechtsfolgenanordnung nimmt - wie bei § 134 BGB - die Möglichkeit einer interessengerechten „Gleichstellung" der Rechtsfolge der Umgehung mit der Rechtsfolge der umgangenen Norm 6 5 . § 138 Abs. 1 BGB ist für viele Umgehungsfälle mithin zu eng und inflexibel; der Anwendungsbereich der Vorschrift ein anderer. Daher ist zwischen Gesetzesumgehung und sittenwidrigen Rechtsgeschäften zu trennen. Weder können nur sittenwidrige Rechtsgeschäfte Umgehungsgeschäfte sein, noch ist jedes Umgehungsgeschäft sittenwidrig 66 . b) Abgrenzung

im Einzelfall

Diese Feststellungen schließen jedoch nicht jede Verbindung zwischen beiden Rechtsinstituten aus. Im Gegenteil kommt in den praktischen Fällen eine ganz erhebliche Schnittmenge zum Ausdruck; Rechtsgeschäfte können unter § 138 BGB fallen und gleichzeitig Gesetzesumgehungen darstellen. Das kann auf der Eigenart der Begleitumstände beruhen, wenn wie im Fall der „Deutschen Sex-Partei" Geschäfte, die mit der Umgehung zusammenhängen, sittenwidrig sind 67 . Es ist auch keineswegs ausgeschlossen, daß Umgehungsgeschäfte selbst sittenwidrig sind; das ist nur nicht immer und grundsätzlich der Fall 6 8 . Daher fällt die Gesetzesumgehung zwar nicht in jedem Fall unter § 138 Abs. 1 BGB; kann aber aufgrund ihrer Umstände und Ziele sittenwidrig sein 6 9 . Als Beispiel kann ein vom O L G Düsseldorf 1 9 9 6 entschiedener Fall dienen 70 : Die Klägerin hatte im Wege der Zwangsvollstreckung ein Hausgrundstück erVgl. auch Schurig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 6 f . und Sieker, S. 198f. zum Vorkaufsrecht. Soergel-Hefermehl § 1 3 8 Rdnrn. 31 ff.; Palandt-Heinrichs § 1 3 8 Rdnrn. 7f.; MünchKomm-Mi%yer-Maly/Armbrüster § 138 Rdnrn. 129ff. 6 5 So auch Staudinger-Sack § 134 Rdnr. 152. 6 6 Ähnlich Heeder, S.128ff. 6 7 Dazu Schurig, Gesetzesumgehung, S. 4 0 7 . 6 8 MünchKomm-Mayer-Maly/Armbrüster § 138 Rdnr.54. 6 9 Zu den Kriterien MünchKomm-Mayer-Maly/Armbrüster § 138 Rdnr.53, die auf die Bedeutung des umgangenen Gesetzes abstellen. 7 0 OLG Düsseldorf 2 2 . 1 . 1996 - 9 U 115/95, NJW-RR 1996, 720; dazu bereits oben § 4 II.2. Das Zitat stammt aus dem amtlichen Leitsatz der Entscheidung. 63 64

46

§ 4 Gesetzesumgehung

und verwandte

Rechtsbegriffe

worben, dessen ehemalige Eigentümerin die Beklagte zu 1) gewesen war. Diese hatte mit ihrem Ehemann einen Mietvertrag über eine der Wohnungen des Hauses geschlossen, dessen alleiniger Zweck es war, „die Rechtslage des § 93 Z V G auszuschalten und die sich aus dieser Vorschrift zugunsten des Erstehers ergebenden Rechte zu vereiteln". Das O L G prüfte Scheingeschäft, § 1 3 4 B G B i.V.m. § § 2 8 3 , 2 8 3 d StGB und § 138 Abs. 1 B G B und hielt den Mietvertrag im Ergebnis für wirksam. Stellt man sich auf einen anderen Standpunkt als das O L G und will das Vorgehen der Eheleute nicht akzeptieren, stellt sich die Frage nach der Rechtsfolge. Sieht man in dem Fall eine Gesetzesumgehung, wäre auf Grundlage der herrschenden Meinung die umgangene Norm (analog) anzuwenden - Gleichstellung. Die ergangene Ausnahme des § 9 3 S . 2 Z V G griffe nicht ein; der Ehemann müßte nach § 93 S. 1 Z V G die Zwangsvollstreckung dulden. Sein Mietvertrag bliebe aber wirksam. Sieht man in dem Mietvertrag ein sittenwidriges Rechtsgeschäft, wäre er nach § 1 3 8 Abs. 1 B G B nichtig. Der Ehemann würde also nicht den mit seiner Frau vereinbarten Mietzins schulden, sondern müßte nach § 9 8 8 BGB der Klägerin Nutzungsentschädigung zahlen 7 1 . Die Rechtsfolge eines praktischen Falles kann also davon abhängen, ob er als Gesetzesumgehung oder als Fall des § 138 Abs. 1 B G B anzusehen ist. Daher muß, wie soeben im Verhältnis zum Scheingeschäft geschehen, das Verhältnis zwischen den Rechtsinstituten festgelegt werden. Kriterium dafür ist neben logischen Gesichtspunkten die Frage, wie man der Eigenart der Geschäfte am besten gerecht wird. Schurig stellt zutreffend fest, daß das Umgehungsargument den Vorrang habe 7 2 . In den Fällen, in denen gerade die Umgehung das Geschäft sittenwidrig macht, müsse vorab geprüft werden, ob die möglicherweise sittenwidrige Rechtsfolge überhaupt eingetreten sei. Lehne man das bereits aus Umgehungsgesichtspunkten ab, entfalle der Aspekt der Sittenwidrigkeit. Aber auch in Fällen, in denen die Umgehung nur Element einer sittenwidrigen Konstruktion ist, kommt man auf diese Weise zu einem sinnvollen Ergebnis, so daß eine schwierige Differenzierung zwischen beiden Fallgruppen entfallen kann: Verbleibt nämlich auch unabhängig von der Gesetzesumgehung ein sittenwidriges Rechtsgeschäft, so kann - immer noch - § 138 Abs. 1 B G B eingreifen. Trotz des Vorrangs des Umgehungsarguments entfallen die Elemente der Sittenwidrigkeit dabei nicht. Sie gehen in die Wertung ein, nach der sich bestimmt, ob die Gesetzesumgehung wirksam sein soll oder nicht 7 3 . Auch in dem angeführten Beispielsfall kommt die Lösung über die Gesetzesumgehung zu einem sachge71 Der Anspruch aus § 988 BGB erfaßt nach der Rechtsprechung nicht nur den unentgeltlichen, sondern auch den rechtsgrundlosen Besitz, BGH 9 . 7 . 1982 - V Z R 64/81, N J W 1983, 164 (165). 72 Schurig, Gesetzesumgehung, S, 4 0 7 . 73 Zur Wertung unten § 9 II.2.a).

III.

Gesetzesumgehung,

sittenwidriges

Rechtsgeschäft

und

Rechtsmißbrauch

47

rechten Ergebnis: Das Interesse der Klägerin ging nur dahin, die Zwangsvollstreckung durchzuführen. Sie hat kein schützenswertes Interesse daran, weitergehende Ansprüche gegen den Ehemann aufgrund eines unwirksamen Mietvertrages geltend zu machen.

2. Gesetzesumgehung und Rechtsmißbrauch Ein Zusammenhang von Gesetzesumgehung und Rechtsmißbrauch wird in der Literatur zum Sachrecht selten diskutiert und in der Regel verneint 74 . Anders ist es im Steuerrecht, wo der „Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten" ein Element der gesetzlichen Umgehungsregelung § 4 2 AO ist. Auch im IPR sehen viele in einem Mißbrauch ein maßgebliches Kriterium für das Vorliegen einer Gesetzesumgehung 75 . Hintergrund dieser Unterschiede ist die Funktion des Mißbrauchsbegriffs in den verschiedenen Rechtsgebieten. § 4 2 AO hat ein anderes Ziel und eine andere Bedeutung als zivilrechtliche Umgehungsnormen, da im Steuerrecht die Analogie zu Lasten des Steuerpflichtigen grundsätzlich nicht möglich ist 7 6 . Die Regelung ist nicht entsprechend anwendbar, auch dann nicht, wenn das Steuerrecht unmittelbar an das Zivilrecht anknüpft 7 7 . Im IPR gibt es das Institut des Rechtsmißbrauchs nicht, weil Kollisionsnormen keine unmittelbare Rechtsfolge für die Betroffenen haben; der Mißbrauchsbegriff wird hier untechnisch benutzt 7 8 . Im Sachrecht ist dagegen Rechtsmißbrauch als Rechtsinstitut grundsätzlich anerkannt. Eine einheitliche Dogmatik besteht allerdings nicht 7 9 .

a) Rechtsmißbrauch

und

Institutsmißbrauch

Die überwiegend anerkannten Gruppen des Rechtsmißbrauchs lassen sich in zwei Erscheinungsformen einteilen: Rechtsmißbrauch im engeren Sinne ist die unzulässige Rechtsausübung, der Mißbrauch einer Rechtsposition. Daneben gibt es nach heute herrschender Meinung den sogenannten Institutsmißbrauch als sinnwidrigen Fehlgebrauch von Rechtsstellungen, Normen oder Rechtsinsti-

74 Ausdrücklich gegen die Anwendung des Begriffs des Rechtsmißbrauchs im Sachrecht Teichmann, S. 71 ff. S. auch Schurig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 6 zu Sachrecht und IPR. 75 Der Rechtsmißbrauch erscheint als maßgebliche Voraussetzung der Gesetzesumgehung bei Ferid, IPR, Rdnrn. 3 - 1 7 6 , 3 - 1 7 8 ; v. Hoffmann, IPR, § 6 Rdnrn. 123f., 126ff.; Keller/Siehr, IPR, S . 5 2 5 f . (zum schweizerischen Recht) und insbesondere Römer, S.39ff., 73ff.; vgl. auch OLG Düsseldorf 1 5 . 1 2 . 1994 - 6 U 59/94, NJW-RR 1995, 1124 = DB 1995, 1021. Zur Abgrenzung im IPR im einzelnen unten § 14 II.; § 15 III.2. 76 Ausführlich Sieker, S.27ff.; s. auch Crezelius StuW 1995, 313; Klein/Orlopp-Brockmeyer, AO, § 4 2 Nr. 4; zum steuerrechtlichen Umgehungsbegriff Fischer DB 1996, 6 4 4 . 77 Klein/Orlopp-Brockmeyer, AO, § 4 2 Nr. 2. 78 Dazu unten § 14 II., § 15 III.3. 7 9 Vgl. Soergel-Teichmann § 2 4 2 Rdnrn. 11 ff.; Staudinger-]. Schmidt § 2 4 2 Rdnrn. 713ff.

48

$ 4 Gesetzesumgehung

und verwandte

Rechtsbegriffe

tuten 8 0 . Bei der unzulässigen Rechtsausübung mißbraucht der Gläubiger seine Position gegenüber dem Schuldner durch schikanöses, widersprüchliches oder das Vertrauen des Schuldners verletzendes Verhalten. Dieser Bereich des Rechtsmißbrauchs erfaßt nur wenige Fälle der Gesetzesumgehung; schon deswegen, weil Umgehungen in der Regel nicht allein vom Gläubiger vorgenommen werden. Die Umgehung von wirtschaftslenkenden Normen - z.B. Konzessionspflichten - wird von dieser Definition erst recht nicht erfaßt. „Interessanter" ist das Verhältnis der Gesetzesumgehung zum sog. Institutsmißbrauch 8 1 . Auf den ersten Blick scheint die oben zitierte Definition gut auf Fälle der Umgehung und vor allem auch der Ergehung zu passen. Auch die Rechtsprechung hat z.B. die „Erschleichung" gerichtlicher Zuständigkeit 82 oder einer Aufrechnungslage 83 als Rechtsmißbrauch ansehen. Schließlich wird auch der Institutsmißbrauch wie die Gesetzesumgehung oft als Auslegungsproblem aufgefaßt 8 4 . Man könnte daher auf den Gedanken kommen, Umgehungsfälle als Fälle des Institutsmißbrauchs anzusehen. Die Gesetzesumgehung ginge dann in dem Institut des Rechtsmißbrauchs auf 8 5 . Dagegen bestehen aber in mehrfacher Hinsicht Bedenken. Voraussetzungen und Anwendungsbereich des Institutsmißbrauchs sind umstritten; ein Aufgehen der Gesetzesumgehung im Institutsmißbrauch würde also nur ein ungeklärtes Rechtsinstitut durch ein anderes ersetzen 86 . Aus der unsicheren Rechtslage zieht die Praxis die Konsequenz, eine Anwendung des Institutsmißbrauchs sei nur möglich, wenn bei „grob und unerträglich empfundener Unbilligkeit eine Ausnahme" gemacht werden müsse 87 . Der Anwendungsbereich des Institutsmißbrauchs ist also sehr eng und damit für Umgehungsfälle zu inflexibel. b) Grenzfälle von Recbtsmißbrauch

und

Gesetzesumgehung

aa) Es besteht jedoch ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen Institutsmißbrauch und Gesetzesumgehung. So kommen die wertenden Kriterien, die die Rechtsprechung zur Feststellung eines Rechtsmißbrauchs annimmt, oft auch bei Umgehungsfällen zum Tragen. Daher gilt für das Verhältnis zum RechtsmißMünchKomm-Roifc § 2 4 2 Rdnr.260; Soergel-Teichmann § 2 4 2 Rdnrn. 25, 14. So Schurig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 6 . 8 2 So LG Berlin 1 7 . 9 . 1996 - 36 O 504/95, NJW-RR 1997, 378 für den Fall, daß durch rügeloses Einlassen die Zuständigkeit eines Gerichts begründet werden sollte, an dem weder Kläger noch Beklagter ihren allgemeinen Gerichtsstand haben. Zur Zuständigkeitserschieichung im Internationalen Verfahrensrecht unten § 17 II. 8 3 BGH 2 8 . 4 . 1987 - VI Z R 1 und 3/86, DB 1987, 1884. 84 Schurig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 6 . 8 5 So auch Teichmann, S.76. 86 Westerhoff will dieser Problematik offenbar durch eine Definition des Mißbrauchs als „Zweckentfremdung" entgegentreten (S. 123 ff.; §§ 132 ff.). Auf diese Weise wird die Begriffsverwirrung jedoch eher erhöht. Wie hier Heeder, S. 110 ff., insb. S. 114; ähnlich auch Sieker, S. 13 ff. 8 7 MünchKomm-Roth § 2 4 2 Rdnr.433. 80 81

III. Gesetzesumgehung,

sittenwidriges

Rechtsgeschäft

und

Rechtsmißbrauch

49

brauch: Für die Wertung im Umgehungsfall kann es eine Rolle spielen, wenn der Fall Elemente des Rechtsmißbrauchs aufweist 8 8 . Dennoch bilden Umgehungsfälle keinen Unterfall des Rechtsmißbrauchs, sondern sind diesem gegenüber ein Aliud 89 . Entsprechend dem Verhältnis zur Sittenwidrigkeit sind allerdings Grenzfälle und Überschneidungen möglich 9 0 . Ein Beispiel bildet der Sachverhalt einer Entscheidung des Kammergerichts aus dem Jahr 1 9 7 2 9 1 : Der Erbe eines Grundstücks hatte einen besonders raffinierten Weg zur Umgehung von § 5 6 6 B G B (damals § 5 7 1 BGB) gewählt, da die Erblasserin mit ihrer Mieterin, der späteren Beklagten, einen sehr günstigen Mietvertrag geschlossen hatte. Er ließ zugunsten des späteren Klägers, der Leiter der Grundstücksabteilung einer befreundeten Bank war, eine Grundschuld eintragen. Die Zinsraten wurden nicht bezahlt. Der Kläger ließ daraufhin das Grundstück zwangsversteigern und trat als einziger Bieter auf. Kurz nach der Zuschlagserteilung kündigte der Kläger der Beklagten unter Hinweis auf § 5 7 a Z V G . Das K G wies die Räumungsklage ab. In der Entscheidung wird der Begriff der Umgehung zwar im Leitsatz erwähnt, die Begründung bezieht sich hingegen allein auf den Rechtsmißbrauch. Mehrfach entschieden wurden Fälle, in denen durch Abtretung eines Anspruchs an eine mittellose Partei Prozeßkostenhilfe, das frühere „Armenrecht", ergangen worden war 9 2 . Die Rechtsprechung sah darin regelmäßig einen Mißbrauch des Armenrechts. Weitere Beispiele gibt es auf dem Gebiet des Arbeitsrechts. So kommen sowohl Gesetzesumgehung als auch Rechtsmißbrauch in Betracht, wenn ein leitender Angestellter nur deshalb zum Geschäftsführer befördert wird, um bei seiner anschließenden Kündigung das Kündigungsschutzgesetz zu umgehen 9 3 . Das gleiche gilt, wenn ein Streik über einen Feiertag unterbrochen wird, um auf diese Weise die Entgeltfortzahlung am Feiertag zu „ergehen" 9 4 . bb) Auf das Konkurrenzverhältnis von Gesetzesumgehung und Rechtsmißbrauch lassen sich die Überlegungen zur Sittenwidrigkeit nicht übertragen. Wie oben erwähnt, hat im Grenzbereich von Umgehung und § 138 Abs. 1 B G B das Dazu unten § 9 II.2.b); zum IPR unten § 15 III.3. So auch Teichmann, S. 77f.; offengelassen von Schurig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 6 . 90 Schurig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 6 . 91 KG 2 0 . 4 . 1972 - 8 U 1831.71, O L G Z 1973, 1. Auch bei der GmbH & Co. KG hat der BGH Rechtsmißbrauch geprüft, im Ergebnis allerdings verneint, BGH 2 8 . 9 . 1955 - VI Z R 28/ 53, W M 1 9 5 6 , 6 1 (63). 92 BGH 2 0 . 3 . 1967 - VII Z R 296/64, B G H Z 47, 2 8 9 (292f.); O L G Köln 2 0 . 1 1 . 1953 - 6 W 268/53, M D R 1954, 174; O L G Neustadt/Weinstr. 9 . 4 . 1956 - 1 W 31/56, M D R 1956, 4 8 9 . 93 Vgl. dazu BAG 6 . 5 . 1 9 9 9 - 5 AZB 22/98, DB 1999, 1437 (m.w.N.) Ausführlich zu derartigen Fällen Kitzinger, Der GmbH-Geschäftsführer, S.49ff. 94 Nach der Rechtsprechung ist eine Streikunterbrechung nur für den Feiertag bedeutungslos, BAG 1 . 3 . 1995 - 1 AZR 786/94, NZA 1995, 996 (997). Wird dagegen der Streik für den Pfingstmontag unterbrochen, am darauffolgenden Dienstag gearbeitet und erst dann wieder gestreikt, ist Feiertagsvergütung geschuldet, BAG 1 1 . 5 . 1993 - 1 AZR 649/92, NZA 1993, 809 (810). In der Literatur sind diese Entscheidungen umstritten. 88 89

50

§ 4 Gesetzesumgehung

und verwandte

Rechtsbegriffe

Umgehungsargument Vorrang, da erst geklärt werden muß, ob die sittenwidrige Rechtsfolge tatsächlich eingetreten ist 95 . Gesetzesumgehung und Rechts- und Institutsmißbrauch haben demgegenüber die gleiche Rechtsfolge: Sie liegt in der Unwirksamkeit des betroffenen Geschäfts; die Ausübung und Durchsetzung eines mißbrauchten Rechts ist grundsätzlich nicht möglich 96 . Auch Gesetzesumgehung führt im Ergebnis zur Unwirksamkeit, wenn das Geschäft nichtig ist oder die umgangene Norm angewandt wird. Es ist also nicht das Ergebnis entscheidend, sondern das Bezugsobjekt: die mißbrauchte bzw. umgangene Norm. Den Ausgangspunkt bildet also die Frage, ob eine Norm mißbraucht oder „nur" umgangen wurde. Der Mißbrauch ist das weitergehende Institut mit den engeren Voraussetzungen. Daher wird es im Regelfall auf die Gesetzesumgehung nicht mehr ankommen, wenn bereits ein Mißbrauch der ergangenen oder umgangenen Norm vorliegt. Es sind allerdings auch Fälle denkbar, in denen beide Institute herangezogen werden können, wenn sich beispielsweise der Rechtsmißbrauch auf eine andere Norm als die umgangene bezieht. Der Rechtsmißbrauch kann dann ein Kriterium für die Wertung im Umgehungsfall • 97 sein .

IV. Gesetzesumgehung

und

Vertragsumgehung

Vertragsumgehung ist eine Umgehung nicht gesetzlicher, sondern vertraglicher Normen. Als Beispiele aus der Praxis können die Umgehung vertraglicher Vorkaufsrechte 98 , Wiederkaufsrechte" oder Vinkulierungsklauseln 100 genannt werden. In der Literatur findet die Vertragsumgehung kaum Beachtung, so beschränkt sich der Großkommentar Staudinger auf die Feststellung, fraus legis sei „bei den Sachnormen des deutschen Rechts [...], bei vertraglichen Rechten und Pflichten (Vertragsumgehung) und bei der arglistigen Wahl einer Anknüpfung im Kollisionsrecht [...] möglich" 1 0 1 . Der Grund liegt in der geringeren praktischen Bedeutung der Vertragsumgehung. Grundsätze und Umfang der Auslegung von Verträgen sind zwar im einzelnen umstritten; im Ergebnis sind die Möglichkeiten der Vertragsauslegung und insbesondere der ergänzenden Vertragsauslegung jedoch so weitgehend, daß nahezu alle denkbaren Umgehungen erfaßt werden können. Darüber hinaus bestehen andere Gestaltungsmöglichkeiten: Gesetzesumgehungen betreffen in aller Regel Normen, die den Beteiligten lästig sind. „Umgehen" die VertragsparSchurig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 7 ; dazu oben § 4 Ill.l.b). Dazu MünchKomm-RoiA> § 2 4 2 Rdnr.255; Soergel-Teichmartn § 2 4 2 Rdnr.28. 9 7 Zur Wertung unten § 9 II.2.B). 98 R G 2 6 . 1 . 1 9 3 4 - 1 1 179/33, J W 1934, 1412; BGH 2 . 7 . 1970 - III Z R 42/67, W M 1970, 1315; dazu ausführlich Grunewald, Umgehungen schuldrechtlicher Vorkaufsverträge, S. 137ff. 9 9 OLG Düsseldorf 2 1 . 1 2 . 1994 - 9 U 93/94, NJW-RR 1995, 5 2 2 . 100 Dazu Liebscher ZIP 2 0 0 3 , 825. Vinkulierungsklauseln binden die Übertragbarkeit von Beteiligungen an Gesellschaften an die Zustimmung der Gesellschaft. 101 Staudinger-]. Schmidt § 2 4 2 Rdnr.276. 95

96

/V. Gesetzesumgehung

und

Vertragsumgehung

51

teien vertragliche Vorschriften, die beiden lästig (geworden) sind - z.B. vertragliche Formvorschriften - wird darin in aller Regel die konkludente Aufhebung oder Änderung der Vorschrift durch Anderungsvertrag gemäß § 311 Abs. 1 BGB (früher § 305 BGB) liegen 102 . Die Frage der Vertragsumgehung stellt sich daher nur, wenn es einen Geschädigten gibt, dem das Recht aus der umgangenen Klausel zusteht oder dem sie in anderer Weise nutzen soll. Dabei wird es sich oft um einen Dritten handeln, z.B. den Vorkaufsberechtigten oder die betroffene Gesellschaft. Es k a n n aber auch eine Vertragspartei versuchen, eine einverständlich getroffene Regelung durch bestimmte Handlungen zu Lasten der anderen Vertragspartei zu umgehen, indem beispielsweise der Tatbestand einer Vertragsstrafenregelung vermieden wird. In solchen Fällen werden oft die Regeln über den Rechtsmißbrauch oder § 1 3 8 Abs. 1 BGB eingreifen 1 0 3 . Sind weder Vertragsauslegung noch Rechtsmißbrauch vorrangig, gelten für die Vertragsumgehung keine anderen Regeln als für die Gesetzesumgehung. Zwischen vertraglichen und gesetzlichen Regelungen läßt sich keine strenge Trennlinie ziehen: Verträge konkretisieren Gesetze und bringen Gesetze zur Anwendung, Gesetze begrenzen Verträge und geben Hinweise für ihre Auslegung. Werden vertragsrechtliche Regelungen umgangen, sind Gesetzesumgehungen fast immer gleichzeitig Vertragsumgehungen. So hat der Kläger in der oben erwähnten Entscheidung des Kammergerichts 1 0 4 neben § 566 BGB auch die Rechte der Beklagten aus dem Mietvertrag umgangen. Schließlich gibt es auch Mischformen zwischen Vertrag und Gesetz, vor allem den Tarifvertrag 1 0 5 . Die Verbindung zwischen Vertragsumgehung und Gesetzesumgehung wird besonders deutlich bei der Umgehung von gemeinschaftlichen Testamenten oder Erbverträgen. Objekt der Umgehung sind d a n n grundsätzlich N o r m e n des Erbvertrags bzw. des ebenfalls im Konsens abgefaßten gemeinschaftlichen Testaments. Dementsprechend fragte die frühere Rechtsprechung danach, ob die umgangene Vertragsnorm „ausgehöhlt" worden war 1 0 6 . Die neuere Rechtsprechung wählt demgegenüber nicht mehr die vertragliche oder vertragsähnliche, sondern eine gesetzliche N o r m als Ausgangspunkt: Auf den Umgehungsfall wird § 2 2 8 7 BGB unter der M a ß g a b e angewandt, daß die Absicht der Benachteiligung des Vorerben nicht der einzige Beweggrund der Schenkung sein m u ß 1 0 7 . Die Vertragsumgehung bildet also kein selbständiges Problem im Verhältnis zur Gesetzesumgehung. 102

Dazu Palandt-Heinrichs §311 Rdnrn. 3f. Zum Vorrang des Rechtsmißbrauchs vor der Umgehung s.o. §4 Ill.l.b). 104 KG 20.4. 1 9 7 2 - 8 U 1831.71, OLGZ 1973, 1; s.o. §4 III.2.b). 105 Zur Umgehung tariflicher Normen unten § 11 IV.l.b). ,06 BGH 8.7. 1954 - IV ZR 229/53, LM Nr. 4 zu § 2271 BGB; BGH 2.10. 1963 - V ZR 140/ 61, NJW 1964, 547 (549) m. Anm. Kohler. 107 Grundlegend BGH 5.7. 1 9 7 2 - I V ZR 125/70, BGHZ 59, 343 = NJW 1973, 240. 103

§ 5 Gesetzliche Regelungen der Gesetzesumgehung

Versuche, der Gesetzesumgehung mit gesetzgeberischen Mitteln entgegenzutreten, hat es schon immer gegeben; kennzeichnend sind solche Gesetze vor allem für die Epoche der römischen Klassik 1 . Auch in einigen ausländischen Rechtsordnungen gibt es gesetzliche Regelungen, die sich gegen Gesetzesumgehungen im Sachrecht oder im IPR wenden 2 . Der deutsche Gesetzgeber hatte eine solche Normierung beim Erlaß des B G B dagegen ausdrücklich abgelehnt 3 . Auf der anderen Seite gibt es gesetzliche Regelungen neueren Ursprungs, die sich mit der Umgehung zivilrechtlicher Normen befassen. Etliche von ihnen sind mit der Schuldrechtsreform in das BGB aufgenommen worden. Die jüngsten derartigen Regelungen sind § 5 0 6 S . 2 B G B (früher § 18 S . 2 VerbrKrG vom 17. Dezember 1 9 9 0 ) , § 4 8 7 S . 2 B G B (früher § 9 A b s . 2 T z W r G vom 2 0 . Dezember 1 9 9 6 ) und § 3 1 2 f S . 2 B G B , der die früheren § § 5 Abs. 1 HaustürWG und 5 A b s . 2 FernAbsG (vom 2 7 . Juni. 2 0 0 0 ) zusammenfaßt. M i t der Schuldrechtsreform vom 2 6 . November 2 0 0 1 wurde außerdem § 4 7 5 Abs. 1 S . 2 B G B für den Verbrauchsgüterkauf eingeführt 4 . Vor dem Hintergrund der heute herrschenden Meinung stellt sich die Frage, welchen Sinn und Anwendungsbereich solche Regelungen haben, wenn die Umgehung lediglich ein Problem der Auslegung oder Analogie sein soll.

I. Gesetzliche Umgehungsverbote

und ihr

Anwendungsbereich

1. B e g r i f f u n d R e g e l u n g e n a) Der Begriff „gesetzliches Umgehungsverbot" hat sich eingebürgert, trifft aber nicht genau zu, da eigentlich gesetzliche Umgehungsregelungen gemeint sind. S.o. § 2 I. S.o. § 3, Einführung, dazu auch Römer, S . 4 7 Fn.4, ausführlich rechtsvergleichend Heeder, S.48ff. ' Dazu oben § 2 III.3. 4 Gesetzliche Umgehungsverbote gab es außerdem in Militärregierungsgesetzen der Nachkriegszeit. Sie regelten die Folgen der Umgehung, z.T. differenzierend nach Umgehungsabsicht; dazu BGH 8 . 2 . 1971 - II Z R 270/67, W M 1971, 586; BGH 3 . 7 . 1963 - V Z R 201/62, W M 1963, 1034. Eine weitere Fußnote der Geschichte bildet das Umgehungsverbot in Art. 6 IV Anlage 1 des Staatsvertrags vom 1 8 . 5 . 1990 zur Schaffung einer Wirtschafts- Währungs- und Sozialunion (BGBl. II, 517); dazu KreisG Gotha 2 6 . 9 . 1991 - C 272/91/1, DtZ 1992, 90 (91). 1

2

I. Gesetzliche

Umgehungsverbote

und ihr

Anwendungsbereich

53

Ein gesetzliches Umgehungsverbot versucht zwar, Umgehungen zu verhindern, stellt aber kein Verbotsgesetz im Sinne von § 134 B G B dar. Im Gegenteil wird der Begriff „Umgehungsverbot" oder „gesetzliche Umgehungsregelung" in der Literatur weit gefaßt. Danach ist alles ein gesetzliches Umgehungsverbot, was geeignet oder intendiert ist, Umgehungen zu verhindern: Gesetze, die sich wie § 8 5 0 h Z P O gegen ein bestimmtes fraudulöses Verhalten richten, außerdem solche, in denen „bewußt weite Definitionen" oder Tatbestandserweiterungen verwendet werden 5 ; Schurig rechnet auch Generalklauseln wie § 9 A G B G a.F. (jetzt § 3 0 7 BGB) dazu 6 . Solche weiten gesetzlichen Tatbestände werden als einfachste gesetzgeberische Möglichkeit angesehen, Umgehungen zu verhindern 7 . Werden sie allerdings unter den Begriff gesetzliches Umgehungsverbot gefaßt, bringt eine so weite Definition Abgrenzungsprobleme mit sich. Beim Erlaß eines Gesetzes ist regelmäßig das Bestreben vorhanden, durch die gesetzgeberische Fassung möglichst alle Zweifelsfälle zu erfassen. Auch richten sich weite Tatbestände und Generalklauseln in aller Regel nicht ausschließlich gegen Umgehungen. Im folgenden werden daher nur solche Normen behandelt, die sich ausdrücklich gegen fraudulöses Vorgehen wenden. Bei diesen Normen unterscheidet Klass nach der Rechtsfolge echte und unechte Umgehungsverbote 8 . Nach seiner Abgrenzung sind echte Umgehungsverbote solche, die die Geltung der umgangenen Norm auch in einem - bestimmten Umgehungsfall anordnen. Unechte Umgehungen sollen dagegen Regelungen sein, die für den Fall der Umgehung eine andere Rechtsfolge, eine besondere Sanktion, aussprechen. Auch diese Unterscheidung erschwert jedoch die begriffliche Abgrenzung, da diejenigen Normen, die danach unechte Umgehungsverbote wären, ganz unterschiedliche Funktionen haben können. Das zeigt sich bereits an den von Klass gewählten Beispielen. So erwähnt er § 3 8 Abs. 1 Nr. 11 G W B a.F. (jetzt § 2 2 Abs. 1 S. 1 G W B ) 9 . Nach dieser Norm ist es verboten, Empfehlungen auszusprechen, die eine Umgehung gesetzlicher Verbote oder von Verfügungen der Kartellbehörde bezwecken oder bewirken (eingeschränkt durch § 38 Abs. 2 G W B a.F.; jetzt § 2 2 Abs. 2 G W B ) 1 0 . Diese Norm hat

5 V. Gamm WRP 1961, 2 5 9 mit den - heute nicht mehr gültigen - Beispielen § 1 Abs.2 RahattG und § 1 Abs. 1 S. 2, 3 ZugabeVO; Neuhausen, Der im voraus erklärte Verzicht des Arbeitnehmers auf Kündigungsschutz, S. 23, bezieht § 5 7 0 a BGB a.F. mit ein (vgl. jetzt § 572 BGB). In BGH 6 . 1 1 . 1973 - VI Z R 194/71, BGHZ 61, 3 1 7 (320f.) wird die weite Fassung des Art. 1 § 1 RBerG als Maßnahme des Gesetzgebers gegen Gesetzesumgehungen angesehen; dazu Staudinger-Sack § 134 Rdnr. 148; weitere Beispiele Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB Rdnrn. 132ff. 6 Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 8 3 . 7 Vgl. v. Gamm WRP 1961, 2 5 9 (259f.); Sieker, S.60f. 8 Klass, Buyout von Aktiengesellschaften, S. 23 ff. 9 Klass, Buyout von Aktiengesellschaften, S . 2 5 . 10 Zum Umgehungsverbot im Kartellrecht ausführlich Delahaye WuW 1987, 877; Ehle WuW 1964, 308; Teichmann WRP 1966, 91; s. auch Benkendorff WuW 1954, 147.

54

§ 5 Gesetzliche Regelungen der

Gesetzesumgehung

schon insoweit eine Sonderstellung, als es sich u m eine b u ß g e l d b e w ä h r t e O r d nungswidrigkeitenvorschrift handelt (jetzt i.V.m. § 8 1 Abs. 1 Nr. 1 GWB). Ihre F u n k t i o n besteht nicht darin, eine zivilrechtliche Lösung f ü r Umgehungsfälle zu finden, s o n d e r n die G r u n d l a g e f ü r eine öffentlich-rechtliche Sanktion zu schaffen. Auch die von Klass a n g e f ü h r t e n U m g e h u n g s v e r b o t e im Gesellschaftsrecht lassen sich k a u m vereinheitlichen 1 1 . Die von ihm e r w ä h n t e n N o r m e n wie § 7 1 a A k t G u n d § § 2 7 Abs. 3 S. 3 A k t G , 19 Abs. 5 G m b H G , § § 66 Abs. 1 S. 2 A k t G , 19 Abs. 2 S. 2 G m b H G h a b e n eine andere F u n k t i o n : Sie konkretisieren allgemeine gesellschaftsrechtliche G r u n d s ä t z e wie die A u f b r i n g u n g u n d E r h a l t u n g des S t a m m k a p i t a l s o d e r das Verbot des E r w e r b s eigener Aktien. Die E m p f i n d u n g einer U m g e h u n g bei ihrem T a t b e s t a n d k o m m t daher, d a ß sie bestimmte Vorgehensweisen sanktionieren, die sonst diesem allgemeinen gesellschaftsrechtlichen G r u n d s a t z entgegenstehen w ü r d e n . Sie sind jedoch kein U m g e h u n g s v e r b o t in d e m Sinne, d a ß sie sich k o n k r e t gegen f r a u d u l ö s e s H a n d e l n richten 1 2 . b) Im folgenden sollen d a h e r Regelungen a u s g e k l a m m e r t w e r d e n , die n u r allgemein der Erweiterung oder Konkretisierung des Regelungsbereichs einer anderen N o r m dienen. Von Bedeutung f ü r die L ö s u n g von Umgehungsfällen sind n u r gesetzliche U m g e h u n g s v e r b o t e im engeren Sinne. D a b e i handelt es sich u m Regelungen, die sich - in der Regel unter V e r w e n d u n g des Begriffs „ U m g e h u n g " ausschließlich gegen Gesetzesumgehungen w e n d e n u n d versuchen, diese mit Hilfe einer generalklauselartigen F o r m u l i e r u n g zu erfassen. Beispiele finden sich in verschiedenen Gebieten des privaten u n d öffentlichen Rechts 1 3 : § 4 2 A O (früher § 6 StAnpG) 1 4 : Durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten kann das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.

§ 3 0 6 a BGB (früher § 7 AGBG 1 5 ): Die Vorschriften dieses Abschnitts finden auch Anwendung, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden.

11

Klass, Buyout von Aktiengesellschaften, S.56ff. Die Frage der Gesetzesumgehung stellt sich im Gesellschaftsrecht eher, wenn ein Weg gefunden wird, der nicht von einem der Erweiterungstatbestände erfaßt wird. 13 Dazu und zu anderen Vorschriften: v. Gamm WRP 1961,259; MünchKomm-Mayer-Maly/Armbrüster §134 Rdnr. 15; Schurig, Gesetzesumgehung, S.383; Staudinger-Sack §134 Rdnr. 148. 14 Abgabenordnung vom 16.3. 1976 (BGBl. I S.613, ber. 1977 1, S.269). 15 Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) vom 9.12. 1976 (BGBl. I S. 3317). 12

I. Gesetzliche

Umgehungsverbote

und ihr Anwendungsbereich

55

§ 312f S.2 BGB (früher § 5 Abs. 1 HaustürWG 1 6 ; §5 Abs. 2 FernAbsG 17 ): Die Vorschriften dieses Untertitels f i n d e n , soweit nicht ein a n d e r e s b e s t i m m t ist, a u c h Anw e n d u n g , w e n n sie d u r c h a n d e r w e i t i g e G e s t a l t u n g e n u m g a n g e n w e r d e n .

§475 Abs. 1 S.2 BGB: Die in Satz 1 bezeichneten Vorschriften f i n d e n a u c h A n w e n d u n g , w e n n sie d u r c h a n d e r weitige G e s t a l t u n g e n u m g a n g e n w e r d e n .

§487 S.2 BGB (früher § 9 Abs.2 TzWrG 18 ): Die Vorschriften dieses Untertitels f i n d e n , soweit nicht ein a n d e r e s b e s t i m m t ist, a u c h Anw e n d u n g , w e n n sie d u r c h a n d e r w e i t i g e G e s t a l t u n g e n u m g a n g e n w e r d e n .

§506 S.2 BGB (früher §18 S.2 VerbrKrG 19 ; vgl. auch §6 AbzG): Diese Vorschriften f i n d e n a u c h A n w e n d u n g , w e n n sie d u r c h a n d e r w e i t i g e G e s t a l t u n g e n umgangen werden.

§655 e Abs. 1 S.2 BGB (vgl. früher § 18 S.2 VerbrKrG): Die Vorschriften dieses Untertitels f i n d e n a u c h A n w e n d u n g , w e n n sie d u r c h a n d e r w e i t i g e Gestaltungen umgangen werden.

§ 8 FernUSG 20 : Die §§ 2 bis 7 f i n d e n auf Verträge, die d a r a u f abzielen, die Z w e c k e eines F e r n u n t e r r i c h t s vertrags ( § 2 ) in einer a n d e r e n R e c h t s f o r m zu erreichen, e n t s p r e c h e n d e A n w e n d u n g .

§ 5 Abs. 1 GüKG 21 : D u r c h S c h a f f u n g v o n S c h e i n t a t b e s t ä n d e n d ü r f e n die Vorschriften des Gesetzes nicht u m gangen werden.

§75 d S.2 HGB 22 : Auf eine V e r e i n b a r u n g , d u r c h die v o n den Vorschriften der § § 7 4 bis 7 5 c z u m N a c h t e i l des H a n d l u n g s g e h i l f e n a b g e w i c h e n w i r d , k a n n sich der Prinzipal nicht b e r u f e n . D a s gilt a u c h v o n V e r e i n b a r u n g e n , die b e z w e c k e n , die gesetzlichen Vorschriften ü b e r das M i n d e s t m a ß der E n t s c h ä d i g u n g d u r c h V e r r e c h n u n g e n o d e r auf sonstige Weise zu u m g e h e n .

" Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften vom 16.1. 1986 (BGBl. I S. 122). 17 Fernabsatzgesetz vom 2 7 . 6 . 2000 (BGBl. I, S.887). 18 Gesetz über die Veräußerung an Teilzeitnutzungsrechten an Wohngebäuden (TeilzeitWohnrechtegesetz - TzWrG) vom 2 0 . 1 2 . 1996 (BGBl. I S.2154). 19 Verbraucherkreditgesetz vom 17.12. 1990 (BGBl. I S.2840). 20 Fernunterrichtsschutzgesetz vom 2 4 . 8 . 1976 (BGBl. I, 2525). 21 Güterkraftverkehrsgesetz in der Fassung vom 3.11. 1993 (BGBl. I S. 1839). 22 Handelsgesetzbuch vom 10.5. 1897 (RGBl. S.219).

56

§ 5 Gesetzliche Regelungen der

Gesetzesumgehung

§ 6 PBefG 2 3 : Die Verpflichtungen des Unternehmers nach diesem Gesetz werden durch rechtsgeschäftliche oder firmenrechtliche Gestaltungen oder Scheintatbestände, die zur Umgehung der Bestimmungen des Gesetzes geeignet sind, nicht berührt.

Art. 1 § 6 Abs. 2 RBerG 2 4 : Die Rechtsform des Angestelltenverhältnisses darf nicht zu einer Umgehung des Erlaubniszwangs m i ß b r a u c h t werden.

c) Die gesetzlichen Regelungen lassen sich in Gruppen einteilen. Eine Sonderstellung nimmt - wie erwähnt - das steuerrechtliche Umgehungsverbot des § 42 A O ein, das zwingend einen Mißbrauch voraussetzt und dessen Funktion vorrangig auf das steuerrechtliche Analogieverbot zurückzuführen ist 25 . Ähnliches gilt für die öffentlich-rechtlichen Regelungen zur Gefahrenabwehr in § 6 PBefG und § 5 Abs. 1 GüKG. § 6 PBefG setzt nach dem Vorbild des steuerrechtlichen Tatbestandes ebenfalls (objektiv) Rechtsmißbrauch als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal voraus 2 6 ; § 5 Abs. 1 G ü K G einen „Scheintatbestand", der in § 5 Abs. 2 GüKG konkretisiert wird. Eine Übertragung des steuerrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Umgehungsbegriffs auf das allgemeine Zivilrecht ist daher nicht möglich 2 7 . Von den zivilrechtlichen Umgehungsverboten betreffen § 7 5 d S.2 H G B und Art. 1 § 6 Abs. 2 RBerG Spezialfälle, die zwar ihrer Formulierung nach eine Generalklausel darstellen, aber nur einen begrenzten Anwendungsbereich haben. Die übrigen zivilrechtlichen Umgehungsverbote befinden sich in Verbraucherschutzregelungen, von denen die meisten mit der Schuldrechtsreform in das BGB aufgenommen wurden. Die „klassischen" Verbraucherschutzregeln über Allgemeine Geschäftsbedingungen, Haustürgeschäfte und Verbraucherkredite wiesen bereits vor 2 0 0 2 ein fast wortgleiches Umgehungsverbot auf, das von der Schuldrechtsreform nur sprachlich angepaßt wurde. Das gleiche gilt für die Regelungen des Fernabsatzes und der Teilzeitwohnrechte, die EG-Richtlinien umsetzen 2 8 . Die Regelung des Verbrauchsgüterkaufs wurde neu eingeführt und an die anderen Umgehungsregeln sprachlich angepaßt, obwohl die Verbrauchsgüterkauf-

25

Personenbeförderungsgesetz vom 8.8. 1990 (BGBl. I S.1690). Rechtsberatungsgesetz vom 13.12. 1935 (RGBl. I S. 1478). 25 Dazu oben §4 III.2. 26 Fielitz/Meier/Montigel, PBefG, § 6 Rdnr. 3 auch zum Anwendungsbereich des Gesetzes. Zu gesellschaftsrechtlichen Umgehungskonstruktionen im Bereich des GüKG: BGH 16.3. 1967 - I I ZR 59/66, NJW 1967, 1322; BGH 15.6. 1 9 7 0 - I I ZR 13/68, BB 1970, 1069. 27 So bereits zu §6 StAnpG Teichmann. S.72ff. (insb. S.75). 28 EG-Richtlinie vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilnutzungsrechten an Immobilien (94/47/EG) und EG-Richtlinie vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (97/7/EG). 24

/. Gesetzliche

Umgehungsverbote

und ihr

Anwendungsbereich

57

richtlinie das nicht ausdrücklich vorsieht 2 9 . Auch der Schutz des Schülers im Fernunterricht ist Verbraucherschutz 3 0 .

2. Umgehungsverbote im Verbraucherschutz Der Grund für die gleichartigen Regelungen der Umgehungsverbote im Verbraucherschutz liegt in ihrem gemeinsamen Vorbild: § 6 des Abzahlungsgesetzes (AbzG) 3 1 , das später durch das VerbrKrG und nun durch §§ 4 9 1 ff. BGB abgelöst wurde. § 6 AbzG lautete: Die V o r s c h r i f t e n der § § 1 bis 5 f i n d e n auf V e r t r ä g e , w e l c h e d a r a u f a b z i e l e n , die Z w e c k e ein e s A b z a h l u n g s g e s c h ä f t s (§ 1) in einer a n d e r e n R e c h t s f o r m , i n s b e s o n d e r e d u r c h m i e t w e i s e Ü b e r l a s s u n g d e r Sache zu e r r e i c h e n , e n t s p r e c h e n d e A n w e n d u n g , gleichviel o b d e m E r w e r b e r d e r Sache ein R e c h t , s p ä t e r d e r e n E i g e n t u m zu e r w e r b e n , e i n g e r ä u m t ist o d e r n i c h t .

Als Folge der gemeinsamen H e r k u n f t werden in der Literatur die Umgehungsverbote in den Grundzügen gleich ausgelegt. So besteht Einigkeit darin, das Vorliegen einer Umgehung sei nach dem Zweck des Gesetzes und in wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu bestimmen 3 2 . Umgehungsabsicht sei nicht erforderlich 3 3 . Rechtsfolge der Umgehung sei das Eingreifen der umgangenen N o r m 3 4 . Da die Umgehungsverbote bei der Schuldrechtsreform inhaltlich unverändert übernommen wurden, hat sich an den Grundsätzen für ihre Auslegung nichts geändert. 29 Der zugrundeliegende Art. 7 Abs. 1 V e r b r G ü K R L (Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 2 5 . 5 . 1 9 9 9 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchergüter, ABl. EG Nr. L 171 S. 12) verbietet Vereinbarungen, die den Schutz des Verbrauchers durch die Richtlinie unmittelbar oder mittelbar einschränken. Palandt-Putzo § 4 7 5 Rdnr. 6 sieht in der Umgehungsklausel die Umsetzung des Verbots mittelbarer Einschränkungen; nach Müller ZIP 2 0 0 3 , 1975 (1975) verlangt die Richtlinie keinen Umgehungstatbestand. 50 Faber/Schade, FernUSG, Einleitung Rdnr. 8. Z u m Anwendungsbereich des Gesetzes Koziolek, Die Umgehungsregelung des Verbraucherkreditgesetzes, S. 4 1 ff.; 58 f. 31 MünchKomm-iCöfz § 7 AGBG Rdnr. 1; Faber/Schade, FernUSG, § 8 Rdnr. 1. 32 M ü n c h K o m m - K ö f z § 7 A G B G Rdnr. 2; M ü n c h K o m m - U l m e r § 5 H a u s t ü r W G Rdnr. 5; Palandt-Heinrichs § 3 0 6 a R d n r . 2 ; Palandt-Heinrichs § 3 1 2 f Rdnr. 12; dasselbe gilt auch für das PBefG, s. Fielitz/Meier/Montigel, PBefG, § 6 R d n r n . 2f. 33 Bülow, VerbrKrR, § 506 BGB Rdnr. 21; Hildenbrand/Kappus/Mäsch-Mäsch, TzWrG, § 9 Rdnr. 13; Müller ZIP 2 0 0 3 , 1975 (1976); M ü n c h K o m m - K ö f z § 7 AGBG R d n r . 2 ; M ü n c h K o m m - U l m e r § 5 H a u s t ü r W G R d n r . 5 m . w . N . ; M ü n c h K o m m - H a b e r s a c k § 1 8 VerbrKrG R d n r . 9 ; Palandt-Heinrichs § 3 0 6 a Rdnr.2; Palandt-Heinrichs § 3 1 2 f Rdnr.2; Palandt-Putzo § 4 7 5 Rdnr. 6, § 4 8 7 Rdnr. 2; Sieker, S. 39ff.; Staudinger-Werner § 5 H a u s t ü r W G Rdnr. 14; Soergel- Wolf $ 5 H a u s t ü r W G Rdnr. 4; Wolf/Horn/Lindacher-Lindacher, AGBG, § 7 Rdnr. 4; Ulmerl Brandner/Hensen-Ulmer, AGBG, § 7 Rdnr. 5. Inkonsequent verlangt Palandt-Heinrichs § 312f Rdnr. 2 allerdings den Willen, den Tatbestand des umgangenen Gesetzes zu vermeiden. Anders Faber/Schade, FernUSG, § 8 Rdnr. 3, die den Vorteil der Umgehungsregelung darin sehen, auf die G r ü n d e für die U m g e h u n g eingehen zu k ö n n e n . 34 Bülow, VerbrKrR, § 5 0 6 BGB R d n r n . 20f.; Hildenbrand/Kappus/Mäsch-Mäsch, TzWrG, § 9 Rdnr. 14; Palandt-Putzo § 4 7 5 Rdnr. 8; Ulmer/Brandner/Hensen-Ulmer, AGBG, § 7 Rdnr. 14.

58

§5 Gesetzliche

Regelungen

der

Gesetzesumgehung

N a c h ganz herrschender Meinung enthalten die gesetzlichen Umgehungsverbote deklaratorische Regelungen, weisen also nur auf die Anwendung der umgangenen N o r m hin 3 5 . Streit besteht jedoch über den Begriff der Umgehung und damit auch den Anwendungsbereich der Umgehungsverbote. Von einigen Autoren wird die Umgehung vorrangig als Auslegungsproblem angesehen 3 6 . N a c h überwiegender Meinung fängt die Umgehung erst an, w o die Auslegung aufhört, mithin im Bereich der Analogie 3 7 . N a c h dieser Meinung besteht also ein Vorrang der Auslegung: Zuerst ist zu prüfen, ob eine sachgerechte Auslegung möglich ist. Erst wenn das nicht der Fall ist, greift die Umgehungsvorschrift ein. Ergebnis ist die analoge Anwendung der umgangenen N o r m . Auf Grundlage der herrschenden Meinung zur Gesetzesumgehung hat dieser Streit wenig praktische Bedeutung: Ist eine gesetzliche Regelung ohnehin deklaratorisch, k o m m t es auf ihren Regelungsbereich nicht an. Allenfalls kann in den Umgehungsverboten ein ausdrückliches G e b o t zur erweiternden Auslegung und zur Bildung von Analogien gesehen werden; das ändert jedoch nichts daran, daß die Voraussetzungen der erweiternden Auslegung oder der Analogie vorliegen müssen. Einige Autoren sprechen den Umgehungsregelungen allerdings eine Bedeutung zu, die über die deklaratorische Funktion hinausgeht 3 8 . D a m i t stellt sich die Frage nach dem Anwendungsbereich der Umgehungsregelungen in der Praxis: Werden sie gar nicht herangezogen, als zusätzliche Begründung für (erweiternde) Auslegung oder analoge Anwendung der umgangenen N o r m e n oder haben sie entgegen der herrschenden Meinung eine selbständige Bedeutung? D a die Tatbestände der Verbraucherschutzregelungen weit oder sogar generalklauselartig gefaßt sind, sind Gesetzesumgehungen im Verbraucherschutz nicht ohne weiteres möglich 3 9 . Dennoch sind die gesetzlichen Umgehungsverbote keineswegs reine Papiertiger. Das Vorbild für die anderen N o r m e n , § 6 A b z G , war 35

II.).

A.A. vor allem MänchY^omm-Mayer-Maly/Armbrüster

§ 134 Rdnrn 15f. (dazu unten § 5

3 6 Auslegung: Bülow, VerbrKrR, § 5 0 6 BGB Rdnr.21; Auslegung oder Analogie: MüllerGraffyz 1977, 245 (248); Auslegung und Analogie: MünchKomm-Hafeersac^ § 18 VerbrKrG Rdnrn. 7f.; Staudinger-Schlosser § 7 AGBG Rdnr. 1; wohl auch Sieker, S.37ff., 138ff. 37 Gramlich/ZerresZIP 1 9 9 8 , 1 2 2 9 (1303); Hildenbrand/Kappus/Mäsch-Mäsch,TzWrG, §9 Rdnrn. 12f.; Ulmer/Brandner/Hensen-Ulmer, AGBG, § 7Rdnr.4; Wolf/Horn/Lindacher-Lindacher, AGBG, § 7 Rdnr. 1; Staudinger-Werner § 5 HaustürWG Rdnr. 8; Soergel-Wolf § 5 HaustürWG Rdnr. 2. Ulmer umschreibt den Anwendungsbereich des Umgehungsverbots mit erweiternder (teleologischer) Auslegung und Analogie; entscheidend sei aber nicht die Grenze zwischen Auslegung und Analogie, sondern zwischen zulässiger Rechtsanwendung und unzulässiger Gesetzesüberschreitung, MünchKomm-Ulmer § 5 HaustürWG Rdnrn. 3f., 6. Von erweiternder Auslegung oder analoger Anwendung ist auch bei Palandt-Heinrichs § 312 f Rdnr. 2 die Rede. 3 8 MünchKomm-Mayer-Maly/Armbrüster § 134 Rdnrn. 15 f. sehen in den gesetzlichen Regelungen einen Beleg dafür, daß die Gesetzesumgehung nicht allein ein Problem der Auslegung bzw. Analogie sein könne; s. auch Gramlich/Zerres ZIP 1998, 1229 (1303ff.); Staudinger-Werner § 5 HaustürWG Rdnr. 8, der meint, im Geltungsbereich des § 5 HaustürWG fehle es an einer Regelungslücke für eine Analogie, und Löwe/v. Westphalen/Trinkner AGBG, § 7 Rdnr.4. 3 9 Dazu Palandt-Heinrichs § 306a Rdnr.2; MünchKomm-JCöte § 7 AGBG Rdnr.2.

I. Gesetzliche

Umgehungsverbote

und ihr

Anwendungsbereich

59

sogar von großer praktischer Bedeutung und diente bis zum Erlaß des Verbraucherkreditgesetzes zur Überbrückung der Lücken des Abzahlungsgesetzes 4 0 . Wichtig war § 6 AbzG insbesondere für finanzierte Abzahlungskäufe und Leasingverträge: O b w o h l der Anwendungsbereich des AbzG nach der eindeutigen Regelung in § 1 AbzG auf Kaufverträge beschränkt war, wurde der Verbraucherschutz auf Grundlage von § 6 AbzG auf derartige Verträge ausgedehnt 4 1 . Der Schutz des Verbrauchers vor unerwarteten Entwicklungen der Kreditwirtschaft wird auch heute noch als Funktion des Umgehungsverbots in § 18 VerbrKrG a.F. (jetzt § 506 S.2 BGB) genannt 4 2 . Auch die anderen gesetzlichen Umgehungsverbote sind von der Rechtsprechung auf etliche praktische Fälle und Fallgruppen angewendet worden. Soweit sich die Entscheidungen auf die früheren selbständigen Verbraucherschutzgesetze beziehen, hat sich durch die Schuldrechtsreform nichts geändert. Der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform hat die gesetzlichen Umgehungsverbote im Verbraucherschutz weder inhaltlich noch in bezug auf ihre Geltung modifiziert, sondern lediglich sprachlich angepaßt: Statt sich auf „dieses Gesetz" zu beziehen, sollen sie nun für „diesen Untertitel" o.ä. gelten. Im folgenden werden die früheren Vorschriften in Klammern aufgeführt, da sich die erwähnten Entscheidungen meist auf sie beziehen.

a)

§306a

BGB

(früher

§ 7

AGBG)

Die Bedeutung und Funktion des § 3 0 6 a BGB (§ 7 AGBG) ist für die einzelnen Teile und Abschnitte des AGB-Rechts unterschiedlich. Bei den allgemeinen Vorschriften der § § 3 0 5 - 3 0 6 BGB (§§ 1 - 6 AGBG) besteht für seine Anwendung im Regelfall kein Bedürfnis. Insbesondere ist für die verbreiteten Schriftformklauseln kein Rückgriff auf das Umgehungsverbot erforderlich: Ihre Unwirksamkeit ergibt sich bereits aus § § 3 0 5 b , 3 0 7 BGB (§§4, 9 AGBG) 4 3 . Einzelne Gesetzesumgehungen sind jedoch auch in diesem Bereich denkbar. So k a n n § 305 BGB (§ 1 AGBG) dadurch umgangen werden, daß ein Großbetrieb seine Abnehmer veranlaßt, von ihm selbst entworfene AGB „zu stellen" 4 4 . N a c h einer Entscheidung des O L G M ü n c h e n sind vorformulierte Ersatzklauseln für den Fall der Un40 M ü n c h K o m m - K ö t e § 7 A G B G R d n r . l ; Ulmer/Brandner/Hensen-UImer, AGBG, § 7 Rdnr. 1; ausführlich Koziolek, Die Umgehungsregelung des Verbraucherkreditgesetzes, S. 37ff., 69ff., 5 7 f . 41 Gramlich/Zerres Z I P 1998, 1 2 9 9 (1300f.) zu den G r ü n d e n mit Nachweisen zur Rechtsprechung. Z u r A n w e n d u n g von § 6 AbzG auf Finanzierungsleasing v. Westphalen DB 1985, 584; zum finanzierten Abzahlungskauf B G H 1 5 . 1 . 1 9 8 7 - III Z R 2 2 2 / 8 5 , N J W 1987, 1698. 42 M ü n c h K o m m - H a f c e r s a c ^ § 18 VerbrKrG Rdnr. 13. S. auch Wolf/Horn/lJndacher-Lindacher, AGBG, § 7 Rdnr. 3, der mit Hilfe von § 7 A G B G den Schutzbereich von § 9 AGBG konkretisieren möchte. 43 Ulmer/Brandner/Hensen-UImer, AGBG, § 7 R d n r n . 6f. 44 Palandt-Heinrichs § 3 0 6 a Rdnr. 2.

60

§5 Gesetzliche

Regelungen

der

Gesetzesumgehung

Wirksamkeit von A G B als Umgehung von § 3 0 6 Abs. 2 B G B (§ 6 Abs. 2 A G B G ) unwirksam 4 5 . Im Bereich der Inhaltskontrolle gemäß § § 3 0 7 - 3 0 9 B G B ( § § 8 - 1 1

AGBG)

werden Umgehungen durch § 3 0 7 A b s . 3 B G B ( § 8 A G B G ) ermöglicht: Neben deklaratorischen Klauseln sind nach dieser Vorschrift auch Klauseln von der Inhaltskontrolle ausgenommen, die Art und Umfang der vertraglichen Hauptleistungspflichten regeln 4 6 . Eine Umgehung kann darin liegen, daß durch bestimmte Ausgestaltung einer Hauptleistungspflicht die gleiche Wirkung erzielt wird wie durch eine AGB-rechtlich verbotene Nebenleistungspflicht. Ein Beispiel bildet das Verbot unangemessen hohen Aufwendungsersatzes bei Rücktritt des Kunden vom Vertrag in § 3 0 8 Nr. 7 B G B (§ 1 0 Nr. 7 A G B G ) , das durch die Vereinbarung einer „Beratungsgebühr" umgangen wird 4 7 . N a c h den Gesetzesmaterialien zum A G B G sollte § 7 A G B G ursprünglich die Umgehung der Klauselverbote §§ 10, 11 A G B G (jetzt § § 3 0 8 , 3 0 9 B G B ) verhindern 4 8 . In diesem Bereich greift bei den meisten Umgehungskonstruktionen bereits die Generalklausel § 3 0 7 B G B (§ 9 A G B G ) ein 4 9 . Die Rechtsprechung kam jedoch in einigen Fällen auch zur Anwendung der Umgehungsregelung. Dabei ging es vor allem um Umgehungen von § 3 0 9 Nr. 2 , 3 B G B (§ 11 Nr. 2, 3 A G B G ; Einschränkung von Leistungsverweigerungsrechten und Aufrechnungsverbot). Der Siebte Zivilsenat des B G H hatte sich mit einer Klausel zu befassen, nach der der Veräußerer vom Erwerber verlangen konnte, ohne Rücksicht auf vorhandene Baumängel vor Übergabe des bezugsfertigen Bauwerks noch nicht fällige Teile des Erwerbspreises zu hinterlegen. N a c h der Entscheidung fällt eine solche „ersichtlich der Umgehung von § 11 Nr. 2 a A G B G [jetzt § 3 0 9 Nr. 2 a B G B ] dienende Begründung einer Vorleistungspflicht" gemäß § 3 0 6 a B G B (§ 7 A G B G ) unter die Verbotsnorm50. N a c h dem Zweiten Zivilsenat des B G H ist eine formularmäßige Bankgarantie für Abschlagszahlungen privater Bauherrn nach Baufortschritt, deren Inanspruchnahme lediglich einen Baustandsbericht des Bauunternehmers voraussetzt, unwirksam gemäß § § 3 0 6 a, 3 0 9 N r . 2 B G B ( § § 7 , 11 N r . 2 A G B G ) 5 1 . Anders begründete der Dritte Senat des B G H seine Entscheidung zu folgendem Fall: 4 5 OLG München 15.4. 1988 - 23 U 6557/88, NJW 1988, 786; a.A. ohne nähere Begründung Sieker, S.140ff. 46 Ulmer/Brandner/Hensen-Brandner, AGBG, § 8 Rdnrn. 8 ff. 47 Ulmer/Brandner/Hensen-Ulmer, AGBG, § 7 Rdnr. 12. Sieker, S. 143f. will solche Fälle über die Interpretation des Sachverhalts lösen. Daran zutreffend ist, daß hier im Einzelfall ein Scheingeschäft vorliegen kann. Jedoch müssen Gesetzesumgehung und Scheingeschäft voneinander abgegrenzt werden, dazu oben § 4 III. 4 8 BT-Rechtsausschuß, BT-Drucks. 7/5422, S.5. 49 Grämlich/Zerres ZIP 1998, 1299 (1302); Ulmer/Brandner/Hensen-Ulmer, AGBG, § 7 Rdnr. 7 (m.w.N.); Wolf/Horn/Lindacher-Lindacher, AGBG, § 7 Rdnr.2. 50 BGH 11.10. 1984 - VII Z R 248/83, NJW 1985, 852. Nach Ansicht von Sieker, S. 144ff., werden diese Fälle dagegen von § 9 AGBGB erfaßt. 51 BGH 2 1 . 4 . 1986 - II Z R 126/85, ZIP 1986, 831 (833); dazu Sieker, S. 146ff.

I. Gesetzliche

Umgehungsverbote

und ihr

Anwendungsbereich

61

Der Besteller eines Fertighauses hatte auf Veranlassung des Unternehmers ein Zwischenfinanzierungskonto eröffnet und der Bank den Auftrag zur Uberweisung der vereinbarten Werklohnraten erteilt. Dieser Auftrag wurde in den AGB des Kontoeröffnungsvertrags für unwiderruflich erklärt. Der B G H sah darin bereits eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 3 0 7 BGB ( § 9 Abs. 1 AGBG); ein Rückgriff auf die Umgehungsregelung sei nicht erforderlich 52 . Von den übrigen Regelungen des AGB-Rechts werden vor allem die Regeln über seine Anwendbarkeit umgangen. Die Erschleichung der Bereichsausnahmen des § 3 1 0 Abs. 4 BGB ( § 2 3 Abs. 1 AGBG) macht die wichtigsten Fälle des § 3 0 6 a BGB (§ 7 AGBG) aus 5 3 . Sie erfolgt insbesondere durch Gestaltungen des aus dem Geltungsbereich herausgenommenen Gesellschaftsrechts und des AGB-rechtlich gleichzustellenden - Vereinsrechts 54 . So organisieren sich die Anbieter periodisch zu erbringender Waren (Bücher, Schallplatten) vereinsrechtlich, um damit die Einschränkungen des § 3 0 9 Nr.9 BGB ( § 1 1 Nr. 12 AGBG) für Dauerschuldverhältnisse zu umgehen. Nach einer Entscheidung des O L G Frankfurt/Main, in der die Umgehungsregelung allerdings nicht erwähnt wird, unterfällt die entgeltliche Mitgliedschaft in einem Club alleinstehender Menschen dem Dienstvertragsrecht; das AGB-Recht sei anwendbar 5 5 . b) §312f

S. 2 BGB (früher §§5 Abs. 1 HaustürWG,

5 Abs.2

FernAbsG)

§ 3 1 2 f S . 2 BGB faßt die Umgehungsregelungen der früheren HaustürWG und FernAbsG zusammen. Da das Fernabsatzgesetz vor der Schuldrechtsreform nur eineinhalb Jahre galt (Inkrafttreten am 30. Juli 2 0 0 0 ) , hatte sich für seine Umgehungsregelung noch kein praktischer Geltungsbereich herausgebildet 56 . Um so größer war demgegenüber die praktische Bedeutung von § 5 Abs. 1 HaustürWG. Beiden Regelungen gemeinsam ist, daß sie anders als andere Verbraucherschutzregelungen nicht an eine bestimmte vertragliche Gestaltung anknüpfen, sondern an eine bestimmte tatsächliche Situation beim Vertragsschluß: in der Privatwohnung, auf Freizeitgestaltungen o.a., § 3 1 2 Abs. 1 BGB (§ 1 Abs. 1 HaustürWG) bzw. unter Verwendung von Mitteln der Fernkommunikation, § 3 1 2 b Abs. 1 BGB (§ 1 Abs. 1 FernAbsG). BGH 2 8 . 5 . 1984 - III Z R 63/83, N J W 1984, 2 8 1 6 . Gramlich/Zerres ZIP 1998, 1299 (1302). 5 4 MünchKomm-Köte §7 AGBG Rdnr.2; Palandt-Heinrichs § 3 0 6 a Rdnr.2; Wolf/Horn/ Lindacher-Lindacher, AGBG, § 7 Rdnr.7; Ulmer/Brandner/Hensen-Ulmer, AGBG, § 7 Rdnr. 13. Sieker, S. 149ff. will auch hier mit einer Interpretation des Sachverhalts reagieren. Wie erwähnt, ist jedoch zwischen Umgehung und Scheingeschäft zu trennen. 5 5 O L G Frankfurt/M. 1 . 1 1 . 1983 - 11 U 4/83, NJW 1984, 180. 5 6 Vgl. Palandt-Heinrichs, 61.Aufl., § 5 FernAbsG Rdnr.2; MünchKomm-Wendehorst § 5 FernAbsG Rdnrn. 12ff. mit dem Beispiel (Rdnr. 14) eines Versandgeschäfts, bei dem der Antrag in der Bestellung des Verbrauchers liegt, die Annahmeerklärung aber erst bei der Lieferung persönlich durch den Mitarbeiter des Logistik-Unternehmens überbracht wird. 52 53

62

§ 5 Gesetzliche

Regelungen

der

Gesetzesumgebung

In der Literatur ist kritisiert worden, daß der Umgehungstatbestand des früheren HaustürWG für die „vertragsanbahnungsspezifisch-faktische Ebene" ebenso formuliert sei wie die Umgehungstatbestände der früheren A G B G und VerbrKrG für die „rechtsgeschäftlich-normative" Ebene 5 7 . Jedoch ist diese Abgrenzung in Umgehungsfällen keineswegs eindeutig: Das Recht der Haustürgeschäfte kann auch auf rechtsgeschäftlicher Ebene umgangen werden, wenn das Merkmal der „entgeltlichen Leistung" in § 3 1 2 Abs. 1 B G B (§ 1 Abs. 1 HaustürWG) verschleiert oder eine Ausnahme vom Geltungsbereich „ergangen" wird 5 8 . Außerdem enthalten die anderen Gesetze ebenfalls faktische Voraussetzungen, so würde sich eine Umgehung der Regeln über die Einbeziehung von A G B ebenfalls auf einer „vertragsanbahnungsspezifisch-faktischen" Ebene abspielen. aa) Auf tatsächlicher Ebene kommt die Anwendung des § 3 1 2 f S . 2 B G B (§ 5 HaustürWG) in Betracht, wenn die Vertragsanbahnung in einer dem Regelungsbereich von § 3 1 2 Abs. 1 (§ 1 Abs. 1 HaustürWG) vergleichbaren Situation erfolgt 5 9 . Es ist umstritten, ob die Umgehungsregelung ermöglichen soll, die Regeln über Haustürgeschäfte auch dann anzuwenden, wenn die fragliche Situation auch bei extensiver Auslegung nicht von § 3 1 2 Abs. 1 Nrn. 1 - 3 B G B ( § 1 Abs. 1 Nrn. 1 - 3 HaustürWG) erfaßt wird 6 0 . Von einem Teil der Literatur wird das grundsätzlich abgelehnt: Es komme nicht nur auf den Überrumpelungseffekt, sondern auf die konkrete Situation an. Das Umgehungsverbot könne nicht greifen, wenn die Situation bewußt aus dem Geltungsbereich des Gesetzes herausgelassen worden sei 6 1 . Die Rechtsprechung hat dagegen in etlichen Fällen das Eingreifen des Umgehungsverbotes bejaht 6 2 . Ein häufiges Beispiel bilden „Hotelhallenfälle" 6 3 . Das O L G Frankfurt/Main sah in folgendem Fall einen Verstoß gegen das Umgehungsverbot: In einer Hotelhalle war in unmittelbarer Nähe der von allen Gästen zu nützenden Aufzüge ein Verkaufsstand zum Zweck der Geschäftsanbahnung aufgestellt worden 6 4 . Auch der Verkauf von Bettwaren in einer Hotelhalle ist nach einer Entscheidung des L G Limburg eine Umgehung gemäß § 3 1 2 f B G B (§ 5 HaustürWG) 6 5 . Zum gleichen Ergebnis kam das O L G Dresden in einem Fall, in dem die Hotelhalle lediglich als Treffpunkt des Kunden mit dem ortsunkundigen Unternehmer dienen 57 58 59

Gilles N J W 1986, 1131 (1144f.). Dazu unten § 5 I.2.b)cc). Ausführlich MünchKomm-L//mer § 5 HaustürWG Rdnrn. 9ff. mit zahlreichen Nachwei-

sen. 60 Wassermann JuS 1990, 723 (224); O L G Zweibrücken 4 . 7 . 1994 - 7 U 164/93, N J W 1995, 140 jeweils mit Nachweisen zum Streitstand. 61 Staudinger-Werner § 5 HaustürWG Rdnrn. 10f. Sieker, S. 153f. will dagegen die Regelung „teleologisch" weit auslegen; dazu unten § 5 III.2.b). 6 2 Dazu Koziolek, Die Umgehungsregelung des Verbraucherkreditgesetzes, S. 4 9 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen auf ältere und untergerichtliche Entscheidungen. 6 3 Dazu Grämlich/Zerres ZIP 1998, 1299 (1299f.). 6 4 OLG Frankfurt 19.1. 1994 - 7 U 26/93, NJW 1994, 1806. 6 5 LG Limburg 2 2 . 6 . 1988 - 3 S 4 8 2 / 8 7 , NJW-RR 1989, 119.

I. Gesetzliche

Umgehungsverbote

und ihr

Anwendungsbereich

63

sollte 66 . Statt sich - wie verabredet - in die Wohnung des Kunden zu begeben, begann der Unternehmer bereits in der Hotelhalle mit Vertragsverhandlungen und es kam dort auch zum Vertragsschluß. Nach einer Entscheidung des LG Mannheim gilt die Umgehungsregelung für Vertragsverhandlungen in Hotels allgemein, sofern eine entsprechende Schutzwürdigkeit des Verbrauchers wie in den Fällen des §312 BGB (§ 1 HaustürWG) gegeben ist 67 . Weitere Gerichtsentscheidungen beschäftigen sich mit Situationen unterschiedlicher Art: Neben Hotels wird eine Anwendung von § 312f S.2 BGB (§ 5 Abs. 1 HaustürWG) auch auf Vertragsschlüsse in Gaststätten in Betracht gezogen 68 . Das OLG Zweibrücken bejahte grundsätzlich das Eingreifen der Umgehungsregelung bei einem Kauf auf einer privaten Baustelle 69 . Nach einer Entscheidung des OLG Düsseldorf gilt §312 Abs. 1 Nr. 1 BGB (§1 Abs. 1 Nr. 1 HaustürWG) nicht nur für den Arbeitsplatz eines Arbeitnehmers, sondern auch für die Arbeitsstelle eines Selbständigen 70 . Vor dem Erlaß des FernAbsG wurde in der Literatur der Anwendungsbereich des HaustürWG über § 5 HaustürWG auch auf elektronische Medien ausgeweitet. So gewährte die herrschende Meinung beim sog. „Teleshopping" ein Widerspruchsrecht gemäß §§1 Abs. 1, 5 Abs. 1 HaustürWG; unter bestimmten Voraussetzungen auch bei Vertragsschlüssen im Internet 71 . Einige Entscheidungen verlagern mit Hilfe von §312f S.2 BGB (§5 Abs. 1 HaustürWG) den Anwendungsbereich der Regeln über Haustürgeschäfte in die Zeit nach Beendigung der von § 312 Abs. 1 BGB (§ 1 Abs. 1 HaustürWG) erfaßten Situation. Nach einem Urteil des BGH greift die Umgehungsregelung auch ein, wenn ein Vertragsangebot in einer Überrumpelungssituation eingeholt wird und später ein wirtschaftlich identischer Vertrag geschlossen 72 . Noch weitergehend ist eine Entscheidung des OLG Stuttgart 73 : Danach kann ein Vertrag auch 66

O L G Dresden 1 4 . 1 2 . 1994 - 8 U 1123/94, N J W 1995, 1164. LG M a n n h e i m 3 . 8 . 1 9 9 0 - 1 S 2 3 / 9 0 , N J W - R R 1990, 1395. 68 So obiter LG M a n n h e i m 3 . 8 . 1990 - 1 S 2 3 / 9 0 , N J W - R R 1990, 1395 (1396). In B G H 1 7 . 1 0 . 1 9 9 6 - I X Z R 30/96, N J W - R R 1997, 177 wird ein Eingreifen der Umgehungsregelung dagegen abgelehnt; allerdings handelte es sich um einen Sonderfall, da der Vertrag mit einem bereits vorher bekannten Geschäftspartner abgeschlossen w u r d e und es zu erwarten gewesen war, d a ß über Geschäftliches geredet w ü r d e . 69 O L G Z w e i b r ü c k e n 4 . 7 . 1994 - 7 U 164/93, N J W 1 9 9 5 , 1 4 0 . Im konkreten Fall hatte sich der Käufer allerdings in ein Ausstellungsfahrzeug des Verkäufers begeben, das a u ß e r h a l b der Baustelle abgestellt war. 70 O L G Düsseldorf 6 . 5 . 1 9 9 9 - 6 U 127/98, BB 1999, 1784 = EWiR § 1 H W i G 3/99, 1013 (Mankowski). 71 Eckert DB 1994, 7 1 7 (721); Waldenberger BB 1996, 2 3 6 5 (2367); Borges Z I P 1999, 130 (132ff.). Beim Vertragsschluß im Internet ist die Situation meist anders, da der K u n d e die H o mepage des Anbieters aus eigenem Antrieb aufgesucht hat. N a c h Ruoff N J W - C o R 2 0 0 0 , 38 (39f.) sollte die Umgehungsregelung aber a n w e n d b a r sein, w e n n Links, die auf Verkaufsseiten führen, nicht eindeutig sind. 67

72

B G H 2 6 . 1 0 . 1993 - XI Z R 4 2 / 9 3 , B G H Z 123, 3 8 0 (392f.). O L G Stuttgart 2 6 . 9 . 1 9 9 9 - 6 U 169/98, ZIP 1999, 2 0 0 5 = EWiR § 1 H W i G 1/2000, 179 (Kessal-Wulf). 73

64

§ 5 Gesetzliche

Regelungen

der

Gesetzesumgebung

dann noch wegen Fortwirkens der sog „Haustürsituation" widerrufen werden, wenn ein Anlagevertreter den Erwerb einer Eigentumswohnung bei einem Besuch in der Privatwohnung des Kunden vorbereitet hat und der Darlehensvertrag später in einer Bank geschlossen wird. Das Widerrufsrecht erstrecke sich dann auch auf die Zweitfinanzierung. In beiden Fällen war entscheidend, daß die von § 3 1 2 B G B ( § 1 HaustürWG) erfaßte Situation in irgendeiner Weise fortwirkte. bb) Auf rechtsgeschäftlicher Ebene kann das Merkmal „entgeltliche Leistung" in § 3 1 2 Abs. 1 B G B (§ 1 Abs. 1 HaustürWG) umgangen werden. Ähnlich wie im Geltungsbereich der § § 3 0 5 f f . B G B (AGB-Recht) kommen dafür vor allem Vereins- und gesellschaftsrechtliche Konstruktionen in Betracht. Für Vereinsbeitritte gilt 7 4 : Der Beitritt ist kein auf den Austausch von Leistungen gegen Entgelt gerichteter Vertrag im Sinne des § 3 1 2 Abs. 1 B G B (§ 1 Abs. 1 HaustürWG). Andererseits sind die Regeln über Haustürgeschäfte unproblematisch anwendbar, soweit der Austausch von Waren oder Dienstleistungen lediglich als Mitgliedschaft „getarnt" ist (Buchclubs). Im letzteren Fall liegt oft keine Umgehung vor, da § 3 1 2 Abs. 1 B G B (§ 1 Abs. 1 HaustürWG) bereits unmittelbar eingreift. Umstritten ist das Eingreifen von § 3 1 2 f S . 2 B G B (§ 5 Abs. 1 HaustürWG) bei der Haustürwerbung von Großvereinen wie Automobilclubs, die zwar ebenfalls Dienstleistungen anbieten, aber auch die Interessenvertretung ihrer Mitglieder betreiben. Die Rechtsprechung hatte sich mehrfach mit dem Beitritt zu Flugrettungsvereinen zu befassen. Nach einer Entscheidung des O L G Karlsruhe fällt der Beitritt zu einem Flugrettungsverein an der Haustür grundsätzlich nicht unter den Tatbestand des entgeltlichen Vertrags nach § 3 1 2 B G B ( § 1 HaustürWG) und stellt auch keine Umgehung dar 7 5 . Nach der früheren Rechtsprechung des O L G München kam eine Anwendung der Umgehungsregelung nur dann in Betracht, wenn besondere Umstände hinzutreten 7 6 . Nach heutiger Rechtsprechung des O L G München und des L G München I unterfällt der Beitritt zu einem Flugrettungsdienst dagegen grundsätzlich dem Recht der Haustürgeschäfte; § 3 1 2 f S . 2 B G B (§ 5 Abs. 1 HaustürWG) greift ein 7 7 . Ein Fall des B G H aus der Zeit vor dem Erlaß des T z W r G betraf eine gesellschaftsrechtliche Umgehungskonstruktion: die Veräußerung von Teilzeitwohnrechten an Ferienwohnungen als Beitritt zu einer Genossenschaft. Nach der Entscheidung fällt diese Konstruktion zwar nicht unter § 3 1 2 Abs. 1 B G B (§ 1 Abs. 1 HaustürWG), aber unter § 3 1 2 f S . 2 B G B (§ 5 HaustürWG), wenn durch die genossenschaftliche Leistung lediglich verdeckt werden soll, daß die Erbringung 74 Wassermann JuS 1990, 723 (224); MünchKomm - Ulmer % 5 HaustürWG Rdnr.7; dazu Sieker, S . 1 5 4 f . 7 5 O L G Karlsruhe 2 7 . 6 . 1990 - 6 U 2/90, N J W 1991, 4 3 3 . 7 6 O L G München 17.1. 1991 - 2 9 U 5325/90, ZIP 1 9 9 1 , 7 5 6 . 7 7 O L G München 1 8 . 5 . 1 9 9 5 - 2 9 U 6014/94, NJW 1996, 263; LG München I 2 9 . 6 . 1994 1 HKO 4 8 3 0 / 9 4 , ZIP 1994, 1191.

I. Gesetzliche

Umgehungsverbote

und ihr

Anwendungsbereich

65

entgeltlicher Leistungen vereinbart wird 7 8 . Auch nach einer untergerichtlichen Entscheidung aus dem Jahr 1 9 9 7 kann ein Betritt zu einer Genossenschaft eine Umgehung eines Haustürgeschäfts sein 7 9 . Einen anderen Time-Sharing-Vertrag, bei dem ein Treuhänder zwischengeschaltet worden war, hielt das L G Hanau ebenfalls für eine Umgehung nach § 3 1 2 f S . 2 B G B (§ 5 HaustürWG) 8 0 . cc) In der Literatur wird ähnlich wie beim AGB-Recht auch beim Recht der Haustürgeschäfte eine Umgehung durch „Ergehung von Ausnahmen" für möglich gehalten 8 1 . Ein Beispiele bildet eine Ergehung von § 3 1 2 Abs.3 Nr.2 B G B (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 HaustürWG) durch Vertragsaufspaltung. Schließlich ist eine Ergehung von § 3 1 2 Abs. 3 Nr. 1 B G B (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 HaustürWG) auch durch eine provozierte Bestellung denkbar 8 2 .

c) §487 S.2 BGB (früher §9 Abs. 2 TzWrG) Der Verbraucherschutz bei der Veräußerung von Teilzeitnutzungsrechten an Wohngebäuden beruht wie das Fernabsatzrecht und das heutige Recht der Verbraucherkredite auf einer EG-Richtlinie. Diese wurde zunächst durch das T z W r G umgesetzt, das am 1. Januar 1 9 9 7 in Kraft trat. Durch die Schuldrechtsreform wurden die Regelungen in § § 4 8 1 ff. B G B eingefügt, dabei wurde auch die Umgehungsregelung übernommen. Anders als die Verbraucherkredit-Richtlinie schreibt die Teilzeitwohnrechte-Richtlinie allerdings dem nationalen Gesetzgeber nicht vor, ein ausdrückliches Umgehungsverbot in seine Umsetzungsregelung aufzunehmen. Der deutsche Gesetzgeber folgte ausschließlich seinen eigenen, auf § 6 AbzG begründeten Vorbildern 8 3 . Das Recht der Teilzeitwohnrechte fand seit seiner Geltung in der Praxis wenig Akzeptanz 8 4 . Die seit 1 9 9 7 bekannt gewordenen Fälle sind weniger Gesetzesumgehungen als Gesetzesverstöße: Das Gesetz wird schlicht ignoriert. Besonders wenig beachtet wird in der Praxis das Anzahlungsverbot des § 4 8 6 B G B ( § 7 T z W r G ) 8 5 . Ein weiteres Problem bildet der „Verzicht" des Kunden auf das Widerrufsrecht gemäß § 4 8 5 B G B (§ 5 TzWrG): Gegen eine Reduzierung des Kauf7 8 BGH 2 0 . 1 . 1997 - II Z R 105/96, N J W 1 9 9 7 , 1 0 6 9 . S. auch LG Lüneburg 1 3 . 1 0 . 1 9 9 5 - 3 O 408/94, VuR 1997, 63; LG Rottweil 3 1 . 5 . 1995 - 3 O 1240/94, NJW-RR 1996, 1401 und BGH 2 . 7 . 2 0 0 1 - II Z R 304/00, J Z 2 0 0 2 , 2 4 7 m. Anm. Schäfer. 7 9 Zu den Konsequenzen LG Bonn 2 7 . 1 1 . 1997 - 8 S 115/97, M D R 1 9 9 8 , 3 3 7 = EWiR 1998 (10), 461 m. Anm. Mankowski. 8 0 LG Hanau 2 2 . 1 0 . 1 9 9 3 - 1 O 1123/93, NJW 1995, 1100. 81 MünchKomm-U/iMer § 5 HaustürWG Rdnr. 10; vgl. auch Palandt-Heinrichs § 312 f Rdnrn. 2 f. 8 2 Vgl. O L G Dresden 8 . 1 1 . 1995 - 8 U 833/95, NJW-RR 1996, 758. In der Begründung der Entscheidung wird die Umgehungsregelung allerdings nicht erwähnt. 83 Hildenbrand/Kappus/Mäsch-Mäsch, TzWrG, § 9 Rdnr.l. 84 Hildenbrand NJW 1998, 2 9 4 0 . 8 5 S. dazu den Sachverhalt von LG Hanau 5 . 1 1 . 1997 - 4 O 666/97, N J W 1998, 2 9 8 3 ; Hildenbrand N J W 1998, 2 9 4 0 (2941) mit weiteren Nachweisen.

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§5 Gesetzliche

Regelungen

der

Gesetzesumgehung

preises unterzeichnet der Kunde einen rückdatierten Vertrag. Darin liegt jedoch keine Umgehung im Sinne von § 4 8 7 S . 2 BGB ( § 9 Abs.2 TzWrG), sondern ein gemäß § 4 8 7 S. 1 BGB (§ 9 Abs. 1 TzWrG) unzulässiger Verzicht des Erwerbers auf seine gesetzlichen Rechte 8 6 . Da die gesetzlichen Tatbestände der § § 4 8 1 ff. BGB weit formuliert sind, bieten sich kaum Möglichkeiten für eine Umgehung. Das gilt insbesondere für die Begriffsbestimmung des Anwendungsbereichs in § 4 8 1 Abs. 1 BGB ( § 1 Abs.2 TzWrG). Der Gesetzgeber hat aus der Richtlinie die Mindestdauer der jährlichen Nutzung von einem Jahr nicht übernommen, um Umgehungen zu vermeiden 87 . In der Kommentarliteratur finden sich dennoch Beispiele für mögliche Umgehungsgeschäfte 88 : Sie können sich aus der Mindestgesamtdauer des Vertrags von drei Jahren gemäß § 4 8 1 Abs. 1 S. 1 BGB (§ 1 Abs. 2 S. 1 TzWrG) ergeben, beispielsweise durch Vertragsaufspaltungen. Das Anzahlungsverbot kann durch Einschaltung eines Treuhänders oder ähnliche Konstruktionen umgangen werden. Eine Umgehung gleich mehrerer Vorschriften der §§ 4 8 1 ff. BGB liegt bei einer Klausel vor, nach der der Erwerber dem Veräußerer ein (zinsloses) Darlehen zu gewähren und in der offenen Widerspruchsfrist auszuzahlen hat, wobei der Rückzahlungsanspruch mit dem Kaufpreis für das Time-Sharing-Recht verrechnet wird 8 9 . d) §§506

S.2 BGB (früher §18 S.2 VerbrKrG),

655e Abs. 1 S.2

BGB

aa) Wie erwähnt, beruht die Vorschrift § 5 0 6 S . 2 BGB (§ 18 S . 2 VerbrKrG) auf Europarecht: Sie setzt das Umgehungsverbot in Art. 14 Abs. 2 der Verbraucherkreditrichtlinie vom 2 2 . Dezember 1 9 8 6 um 9 0 . Gleichzeitig folgt sie dem Vorbild des § 6 AbzG, hat jedoch geringere Bedeutung, da der Begriff des Kreditvertrages heute wesentlich weiter ist. Viele der früher über § 6 AbzG entschiedenen Fälle fallen bereits unter den Geltungsbereich der §§ 4 9 1 ff. BGB (§§ l f f . VerbrKrG) 9 1 . Die Schuldrechtsreform hat darüber hinaus Sonderregeln für den Darlehensvermittlungsvertrag mit einem Verbraucher aufgestellt (§§ 6 5 5 a f f . BGB) und diese mit einem gesonderten Umgehungsverbot versehen; §§ 6 5 5 e Abs. 1 S . 2 BGB. 8 6 Umstritten; wie hier Hildenbrand N J W 1998, 2 9 4 0 (2941 f.); Hildenbrand/Kappus/ Mäsch-Kappus, TzWrG, § 5 Rdnr. 26; Hildenbrand/Kappus/Mäsch-Mäsch, TzWrG, § 9 Rdnrn. 7ff. 87 Hildenbrand/Kappus/Mäsch-Mäsch § 9 TzWrG Rdnrn. 15f. mit Hinweis auf die Beschlußempfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 13/5865, S.4. 88 Hildenbrand/Kappus/Mäsch-Mäsch, TzWrG, § 9 Rdnrn. 16ff.; s. auch Sieker, S. 159f. 8 9 So das in der Schweiz vorherrschende sog. Hapimag-Modell, dazu Hildenbrand/Kappus/ Mäsch-Mäsch, TzWrG, Rdnr. 156; § 9 Rdnr. 19. 9 0 Richtlinie des Rates 87/192/EWG vom 2 2 . 1 2 . 1 9 8 6 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über den Verbraucherkredit, ABl. Nr. L 4 2 vom 1 2 . 2 . 1987, S . 4 8 . 91 Bülow, VerbrKrR, § 5 0 6 BGB Rdnr. 19.

I. Gesetzliche

Umgehungsverbote

und ihr

Anwendungsbereich

67

Trotzdem war § 18 S.2 VerbrKrG nicht ohne praktische Bedeutung; und wie die Einführung von Umgehungsverboten im BGB zeigt, rechnet der Gesetzgeber auch in Z u k u n f t nicht damit, mit den Tatbeständen des Verbraucherkreditrechts alle möglichen Umgehungsfälle zu erfassen. So k a n n eine Gesetzesumgehung den Geltungsbereich betreffen, indem § § 4 9 1 A b s . l , 505, 655a BGB (vgl. § § 1 , 2 VerbrKrG) umgangen werden; insbesondere k a n n die Verbrauchereigenschaft des Kreditnehmers verschleiert werden. Umstritten ist beispielsweise die Kredita u f n a h m e f ü r private Zwecke über eine E i n - M a n n - G m b H . Sie wird von einigen als Umgehung angesehen 9 2 . N a c h der Gegenmeinung ist das nicht der Fall: Das Handeln f ü r eine G m b H sei unabhängig von der Schutzbedürftigkeit des durch die G m b H Handelnden 9 3 . Trotz der weiten Fassung der Tatbestände gibt es immer noch vertragliche Konstruktionen, die nur mit Hilfe des Umgehungsverbots vom Gesetz erfaßt werden 9 4 . Z w a r fallen Leasingverträge und finanzierte Geschäfte grundsätzlich unter die Regeln des Verbraucherkredits 9 5 , aber nicht jede denkbare Konstruktion. So gilt auch nach der Schuldrechtsreform noch die vom BGH zu § 6 AbzG getroffene Entscheidung, wonach es eine Umgehung darstellt, wenn der Käufer an Erfüllungs Statt ( § 3 6 4 A b s . l BGB) nicht den Kaufpreis zahlt, sondern ein Darlehen des Verkäufers bei einer Bank tilgt - gewissermaßen ein „umgekehrter" finanzierter Kauf 9 6 . Auch das Finanzierungsleasing ist nach § 5 0 0 BGB (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 1 VerbrKrG) grundsätzlich vom Gesetz erfaßt; das gilt jedoch nur für Leasingverträge, bei denen der Leasinggeber zur vollen Amortisation der Aufwendungen und Kosten des Leasinggebers verpflichtet ist. Daher werden in der Literatur Leasingverträge, die die Übertragung der Sachsubstanz auf den Leasinggeber zum Ziel haben, als Umgehungsgeschäfte gemäß § 5 0 6 S.2 BGB (§18 S.2 VerbrKrG) angesehen 9 7 . Eine Umgehung liegt auch vor, wenn der Leasinggeber in den Kaufvertrag unter dem Vorbehalt eintritt, d a ß der Verbraucher den Leasingvertrag nicht widerruft: Widerruft er, bleibt er an den Kaufvertrag gebunden 9 8 . Das LG Saarbrücken hat 1994 einen Schulungsvertrag als Umgehung des VerbrKrG angesehen. Der Vertrag sah neben der Barzahlung auch eine Raten92

Palandt-Putzo §506 Rdnr.4. Bülow, VerbrKrR, § 5 0 6 BGB R d n r . 2 8 ; M ü n c h K o m m - H a b e r s a c k § 1 8 VerbrKrG Rdnr. 14; Sieker, S.158. 94 Dazu ausführlich Koziolek, Die Umgehungsregelung des Verbraucherkreditgesetzes, S. 95 ff. 95 Bülow, VerbrKrR § 5 0 6 BGB Rdnr. 24. 96 B G H 1 1 . 1 1 . 1992 - VIII Z R 211/91, W M 1993, 2 4 9 (251). 97 Zahn DB 1991, 2 1 7 1 auch zu den Konsequenzen; unklar Sieker, S. 156f. Vgl. dazu B G H 12.9. 2 0 0 1 - VIII Z R 109/00, ZIP 2 0 0 1 , 1992, w o dieses Ergebnis auf richtlinienkonforme Auslegung gestützt wird. 98 Bülow, VerbrKrR, § 5 0 6 BGB Rdnr. 24. 93

68

§ 5 Gesetzliche

Regelungen

der

Gesetzesumgebung

Zahlung vor, wobei der Ratenzahlungspreis 1 6 % höher war als der Barzahlungspreis 99 . Diese Überlegungen lassen sich auf Gesamtvergütungen bei anderen Dauerschuldverhältnissen übertragen. Schließlich können Umgehungskonstellationen auch bei der Rechtsnachfolge in Forderungen und Verbindlichkeiten aus Verbraucherkreditgeschäften entstehen 1 0 0 . Wie bei den anderen Verbraucherschutzgesetzen ist ferner die Ergehung einer Ausnahmeregel möglich, hier des § 4 9 1 A b s . 2 , 3 B G B (§ 3 Abs. 1 VerbrKrG). So kann § 4 9 1 Abs. 2 Nr. 1 B G B durch Aufspaltung in mehrere „Bagatellkreditverträge" ergangen werden 1 0 1 und § 4 9 1 Abs. 2 Nr. 2 BGB durch Begründung eines - befristeten - Arbeitsverhältnisses. Bei den alten Regelungen des § 3 Abs. 1 VerbrKrG kam eine Ergehung von § 3 Abs. 1 Nr. 2 VerbrKrG durch einen Teilkredit in Betracht und von § 3 Abs. 1 Nr. 3 VerbrKrG durch einen Kettenkredit mit Laufzeit unter drei Monaten 1 0 2 . bb) Daneben sind Konstruktionen möglich, die nicht den Geltungsbereich der gesetzlichen Regelungen, aber einzelne Schutzvorschriften umgehen. Ein Beispiel bildet die Einschränkung von Nebenentgelten des Kreditvermittlers in § 6 5 5 d B G B (§ 17 VerbrKrG) 1 0 3 : Sie kann umgangen werden durch Vereinbarungen, die die Erfolgsabhängigkeit der Courtage unterlaufen, beispielsweise die Vereinbarung eines an den Kreditvermittler zu zahlenden Vorschusses für Nebenleistungen, die gemäß § 6 5 5 d S. 1 B G B ( § 1 7 S. 1 VerbrKrG) nicht erstattungsfähig sind; oder es wird in Umgehung von § 6 5 5 d S . 2 B G B ( § 1 7 S . 2 VerbrKrG) ein Auslagenvorschuß verlangt. Durch § 4 9 7 BGB ( § 1 1 Abs. 1 VerbrKrG) sind die Folgen des Verbraucherverzugs beschränkt. Diese Vorschrift kann bei einer Umschuldung umgangen werden, indem Vertragszinsen anstelle von Verzugszinsen geschuldet sind 1 0 4 . Unter der Geltung des VerbrKrG war die Anwendung der Umgehungsregelung in einer Fallgruppe umstritten, die inzwischen gesetzlich geregelt ist. Es ging um die Frage, ob die Formvorschrift des § 4 VerbrKrG (jetzt § 4 9 2 BGB) außer für den Kreditvertrag als solchen auch für eine unwiderrufliche Vollmacht gilt, die zum Abschluß eines Verbraucherkreditvertrags ermächtigt. Nach zwei Entscheidungen des B G H aus dem Jahre 2 0 0 1 ist das nicht der Fall 1 0 5 . Diese Ent-

LG Saarbrücken 3 . 6 . 1994 - 13 AS 76/93, M D R 1994, 1086 (1087). Dazu Bülow, VerbrKrR, § 5 0 6 BGB Rdnr.23. 101 Vgl. BGH 3 . 1 1 . 2001 - XI Z R 82/01, BB 2 0 0 2 , 114 (115) - im Ergebnis offengelassen. 102 Palandt-Putzo § 5 0 6 Rdnr.4; Bülow, VerbrKrR, § 5 0 6 BGB Rdnr.22; weitere Beispiele MünchKomm-Habersack § 18 VerbrKrG Rdnrn. lOf. 103 Bülow, VerbrKrR, § 5 0 6 BGB Rdnr.22. 104 Bülow, VerbrKrR, § 5 0 6 BGB Rdnr.25. 105 BGH 2 4 . 4 . 2001 - IX Z R 40/00, BB 2 0 0 1 , 1114 = EWiR § 167 BGB 1/01, 563 (Saenger); zurückhaltender BGH 10.7. 2 0 0 1 - XI ZR 198/00, N J W 2 0 0 1 , 3 4 7 9 = EWiR § 167 BGB 2/01, 897 (Saenger/Bertram). In der letzten Entscheidung wird angedeutet, daß Ausnahmen von den in der ersten Entscheidung aufgestellten Grundsätzen möglich sind. A.A. OLG München 2 2 . 4 . 1999 - 31 W 1110/99, NJW 1999, 2 1 9 6 (2197). 99

100

I. Gesetzliche

Umgebungsverbote

und ihr Anwendungsbereich

69

Scheidungen sind zweifelhaft, da der Verbraucher mit einer derartigen Vollmacht die Herrschaft über den Kreditvertrag völlig aus der H a n d geben kann. Umgehungsmöglichkeiten liegen auf der H a n d , wenn der Kreditgeber z.B. eine vorformulierte Vollmachtsurkunde zur Verfügung stellt. In der Literatur wurde daher die Auffassung vertreten, derartige Vollmachten fielen als Gesetzesumgehungen unter § 1 8 S.2 VerbrKrG 1 0 6 . Auch nach einer Entscheidung des O L G M ü n c h e n gelten die Formvorschriften für unwiderrufliche Kreditvollmachten in gleicher Weise wie für den Kreditvertrag als solchen 1 0 7 . Das Gericht begründet seine Entscheidung damit, sonst wäre „der Umgehung der besonders strengen Formvorschriften in § 4 VerbrKrG [§ 4 9 2 BGB] Tür und Tor geöffnet, was der Gesetzgeber jedoch ausdrücklich im Interesse eines effektiven Verbraucherschutzes vermeiden wollte (§18 S.2 VerbrKrG [§506 S.2 BGB])". Im Zuge der Schuldrechtsreform wurden die Formvorschriften durch § 4 9 2 Abs. 4 BGB explizit auf Kreditvollmachten ausgedehnt 1 0 8 .

e) §475 Abs.l

S.2

BGB

§ 4 7 5 Abs. 1 S.2 BGB hat im Gegensatz zu den bisher erwähnten Regeln keinen Vorläufer und gilt erst seit der Schuldrechtsreform. Die Regelung gehört zu den N o r m e n des BGB über den Verbrauchsgüterkauf, die zur Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie entstanden sind 1 0 9 . Die Regeln des Verbrauchsgüterkaufs in § § 4 7 4 - 4 7 9 BGB gelten nach § 4 7 4 A b s . l S. 1 BGB für Kaufverträge von Verbrauchern mit Unternehmern als Verkäufer über bewegliche Sachen. Folge ist nach § 4 7 5 Abs. 1 S. 1 BGB, daß die kaufrechtlichen Gewährleistungsregeln und die Sonderregeln für den Verbrauchsgüterkauf nicht zum Nachteil des Verbrauchers im Voraus abgedungen werden können. Auf diese Regeln nimmt § 4 7 5 Abs. 1 S. 2 BGB Bezug: Eine von den Gewährleistungsregeln abweichende Vereinbarung soll danach auch nicht als Umgehung möglich sein. Beispiele werden vor allem für den Gebrauchtwagenhandel diskutiert 1 1 0 . So kann eine Umgehung vorliegen, wenn ein Gebrauchtwagen als „Bastlerfahrzeug" deklariert wird, um auf diese Weise eine H a f t u n g für Mängel auszuschließen. Das k o m m t allerdings nur d a n n in Betracht, wenn das Ausschlachten nicht tatsächlich die nach dem Vertrag vorgesehene Verwendung nach § 4 3 4 A b s . l S.2 Nr. 1 BGB ist. 106

Saenger A n m . EWiR § 167 BGB 1/01, 563; Ulmer BB 2 0 0 1 , 1365 (1367). O L G M ü n c h e n 2 2 . 4 . 1999 - 31 W 1110/99, N J W 1999, 2 1 9 6 (2197). 108 D a h e r kritisch zur Rechtsprechung des B G H FAZ vom 6 . 1 0 . 2 0 0 1 , S . 2 3 mit dem Hinweis, die damit verbundene Erschwerung des Abschlusses von Verbraucherkreditverträgen w ü r d e vom Gesetzgeber b e w u ß t v o r g e n o m m e n . 109 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 2 5 . 5 . 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. EG N R . L 171 S. 12. 110 Umfassend Müller N J W 2 0 0 3 , 1975. 107

70

§5 Gesetzliche

Regelungen

der

Gesetzesumgehung

Nicht auf den Autokauf beschränkt ist die Möglichkeit, durch Zwischenschaltung dritter Personen die Unternehmereigenschaft des Verkäufers zur umgehen, insbesondere wenn der Händler als Vertreter eines privaten Verkäufers handelt und die Gewährleistung vertraglich ausschließt. In der Literatur wird eine Umgehung insbesondere dann angenommen, wenn dem Käufer durch diese Konstruktion der Gewährleistungsausschluß verschleiert wird 1 1 1 . Tatsächlich wäre die Sonderstellung des Verbrauchsgüterkaufs weitgehend ausgehebelt, wenn solche Konstruktionen unbegrenzt zugelassen würden. Fraglich ist allerdings die Rechtsfolge der Umgehung. Da es nicht interessengerecht wäre, den privaten eigentlichen Verkäufer wie einen Unternehmer haften zu lassen, muß eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem Händler und dem Kunden konstruiert werden, die dazu führt, daß der Kunde die Gewährleistungsansprüche gegenüber dem Händler geltend machen kann 1 1 2 .

II. Rolle und Bedeutung der gesetzlichen

Umgebungsverbote

Nach herrschender Meinung in der Literatur sind die gesetzlichen Umgehungsverbote deklaratorisch oder sogar überflüssig. Das ist konsequent, wenn man Gesetzesumgehung als reines Problem der Auslegung oder Analogie ansieht. Andererseits greift die Praxis in zahlreichen Fällen auf die gesetzlichen Regelungen der Umgehung zurück, es scheint also ein Bedürfnis für die Anwendung dieser Normen zu bestehen. Damit stellt sich die Frage nach ihrer Rolle und Bedeutung. Auch auf Grundlage der herrschenden Meinung kann man von bestimmten Funktionen der gesetzlichen Umgehungsregelungen ausgehen. Danach erfolgt die Lösung des Umgehungsfalles ausschließlich nach den Regeln der Auslegung oder Analogie. Die gesetzlichen Umgehungsverbote sind jedoch nicht überflüssig, sondern haben „allgemeine Funktionen", indem sie klarstellend wirken oder die Gesetzessystematik und Intention verdeutlichen. Ein Beispiel bildet die oben erwähnte Umgehung von § 309 Nr. 2, 3 BGB (§11 Nr. 2, 3 AGBG). Die von der Rechtsprechung entschiedenen Fälle hätten auch mit Auslegung von §§ 307, 309 Nr. 2, 3 BGB (§§ 9 , 1 1 Nr. 2, 3 AGBG) begründet werden können: Die Generalklausel § 307 BGB (§ 9 AGBG) ist dahingehend auszulegen, daß Bestimmungen, die zwar nicht unter den Wortlaut von § 309 BGB (§11 AGBG) fallen, aber den dort geregelten Klauseln vergleichbar sind, eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 3 0 7 Abs. 1 BGB (§9 Abs. 1 AGBG) darstellen. Diese Begründung ist indes nicht zwingend, weil sich ein solcher Zusammenhang zwischen § 307 und § 309 BGB (§ 9 und § 11 AGBG) nicht eindeutig aus dem Gesetzeswortlaut ergibt. Die Funktion von § 306a BGB (§ 7 111 112

Mw//er N J W 2 0 0 3 , 1975 (1979). Z u den Lösungsmöglichkeiten Müller N J W 2 0 0 3 , 1975 (1980).

I¡. Rolle und Bedeutung

der gesetzlichen

Umgehungsverbote

71

AGBG) liegt also darin, klarzustellen, daß Umgehungen von § § 3 0 8 , 3 0 9 B G B (§§ 1 0 , 1 1 A G B G ) ebenfalls AGB-rechtlich verboten sein sollen. - Zu diesen „allgemeinen Funktionen" unten 1. Nicht alle der angeführten Entscheidungen lassen sich aber mit allgemeinen Funktionen der gesetzlichen Umgehungsregelungen erklären. Das gilt vor allem für die Umgehung der Regeln über Haustürgeschäfte. Ihr Anwendungsbereich ist in § 3 1 2 Abs. 1 B G B (§ 1 HaustürWG) eindeutig definiert. Es ist nicht möglich, beispielsweise die Hotelhallenfälle mit Mitteln der Auslegung darunter zu subsumieren. Auch der Analogie sind Grenzen gesetzt: Obwohl die Regeln über die Haustürgeschäfte mit der Schuldrechtsreform in das B G B eingefügt wurden, regeln sie ausdrücklich nur einen Teilbereich. Daher ist es kaum möglich, eine planwidrige Regelungslücke als Voraussetzung der Analogie festzustellen. Ähnliche Probleme stellen sich bei den Regeln des Verbrauchsgüterkaufs. Es fragt sich also, ob gesetzlichen Umgehungsverboten über die allgemeinen Funktionen hinaus eigenständige Bedeutung zukommt. Das wäre dann der Fall, wenn es Fälle gibt, die ohne die Existenz der Umgehungsregelung zwingend anders entschieden werden müßten. Mit der herrschenden Meinung steht eine eigenständige

Bedeutung

der Umgehungsverbote - zumindest auf den ersten Blick

- im Widerspruch: Gibt es Fälle, die sich nur mit Hilfe eines gesetzlichen Umgehungsverbotes lösen lassen, kann die Gesetzesumgehung kein reines Problem der Auslegung oder Analogie sein (dazu 2.).

1. Allgemeine Funktionen Von einem Teil der Literatur werden die gesetzlichen Umgehungsverbote als überflüssig angesehen und kritisiert, daß das Vorgehen des Gesetzgebers Zweifel an der eigenen Normsetzung und vor allem an der Umsetzung durch die Gerichte erkennen lasse 1 1 3 und die Gefahr methodischer Nachlässigkeit bei Gesetzesauslegung und analoger Anwendung mit sich bringe 1 1 4 . Die überwiegende Meinung billigt den Regelungen dagegen bestimmte „allgemeine Funktionen" zu. Dazu gehört vor allem ihre deklaratorische und klarstellende Wirkung. Aus der Existenz der Umgehungsnormen lassen sich Schlußfolgerungen für die Auslegung der jeweiligen Gesetze ziehen; vor allen stellen sie klar, daß es sich um zwingendes Recht handelt 1 1 5 . Sie zeigen auf, daß die Auslegung weit und am Gesetzeszweck - dem Verbraucherschutz - orientiert erfolgen muß 1 1 6 . In diesem So Ulmer/Brandner/Hensen-Ulmer, AGBG, § 7 Rdnr. 1 m.w.N. Staudinger-Schlosser § 7 AGBG Rdnr. 1, wo von einer „etwas übertriebenen Ängstlichkeit" die Rede ist. 115 Müller-Graff J Z 1977, 2 4 5 (248). 116 MünchKomm-U/mer § 5 HaustürWG Rdnr.3; MünchKomm-Habersack § 18 VerbrKrG Rdnr. 7; Müller-Graff J Z 1977, 2 4 5 (248); vgl. Grämlich/Zerres ZIP 1998, 1299 (1302); auch OLG München 22.4 1999 - 31 W 1110/99, N J W 1999, 2 1 9 6 und Sieker, S. 160. 113 114

72

§5 Gesetzliche

Regelungen

der

Gesetzesumgehung

Zusammenhang geben die Umgehungsverbote auch Hinweise zur Auslegung von Generalklauseln, insbesondere § 3 0 7 B G B ( § 9 AGBG): Die Generalklausel soll auch AGB-Regelungen erfassen, die nicht vom Wortlaut eines Klauselverbots erfaßt sind, aber eine Umgehung des Klauselverbots darstellen 1 1 7 . Einige Autoren sehen darüber hinaus eine Funktion der Umgehungsverbote für die Folgen der Gesetzesumgehung: Sie stellen die Rechtsfolge klar, indem die Umgehung zu einer gewöhnlichen, direkten Gesetzesverletzung wird 1 1 8 und das gesetzliche Umgehungsverbot i.V.m. der gesetzlichen Verbotsnorm ein Verbotsgesetz im Sinne von § 1 3 4 B G B bilden kann 1 1 9 . Einige sehen in der ausdrücklichen Regelung der Umgehung ferner eine „moral suasion" gegenüber AGB-Verwendern und zugleich eine Ermutigung zur juristischen Geltendmachung für Laien 1 2 0 . In der Praxis kommt den „allgemeinen Funktionen" wenig Bedeutung zu. Das Gebot einer weiten, am Verbraucherschutz orientierten Auslegung läßt sich dem Gesetzeszweck auch ohne ausdrückliches Umgehungsverbot entnehmen. Auch die Rechtsfolge ergibt sich auf der Grundlage der herrschenden Meinung von selbst: Ist das Umgehungsgeschäft mittels Auslegung oder Analogie unter die umgangene Norm zu subsumieren, ist Rechtsfolge auch die Rechtsfolge dieser Norm. Handelt es sich bei der umgangenen Norm um ein Verbotsgesetz, ergibt sich bereits daraus die Anwendbarkeit des § 1 3 4 BGB. Zweifelhaft ist auch, in den Umgehungsverboten moralische Appelle und die Ermutigung des Verbrauchers zur Klage zu sehen. Derartige Inhalte sind Rechtsnormen fremd und würden Gesetze bis zur Unverständlichkeit überlasten. Es ist auch wenig wahrscheinlich, daß die gesetzliche Umgehungsregelung einen AGB-Verwender von entsprechenden Klauseln abhält oder einen Verbraucher dazu ermutigt, sich zur Wehr zu setzen. Daher besteht die wesentliche allgemeine Funktion der gesetzlichen Umgehungsverbote in der Schaffung eines zumindest geringen Maßes an rechtlicher Sicherheit. Sie stellen klar: Im Rahmen dieser Normen kann gegen Umgehungen umfassend vorgegangen werden. Damit geben sie zumindest einen Hinweis für die Abgrenzung von Umgehung und erlaubter Tatbestandsplanung. Im Einzelfall hilft das allerdings nicht in jedem Fall weiter, wie eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1 9 9 0 illustriert, in der ein Eingreifen von § 7 A G B G (jetzt § 3 0 6 a BGB) mit folgender Begründung abgelehnt wird: „Wer es in rechtlich zulässiger Weise vermeidet, unwirksame Klauseln zu verwenden, kann nicht gemäß § 1 3 A G B G [jetzt UnterlassungsklagenG] auf Unterlassung ihrer Verwendung in Anspruch genommen werden." 1 2 1 . Auf diese Weise steht man bei 117 118 119 120 121

Wolf/Horn/Lindacher-Lindacher, AGBG, § 7 Rdnr.3. So Römer, S . 4 7 m.w.N. Staudinger-Sack § 1 3 4 Rdnr.148. Müller-Graff J Z 1977, 2 4 5 (248); ähnlich Grämlich/Zerres BGH 1 9 . 9 . 1990 - VIII 239/89, NJW 1991, 36 (39).

ZIP 1998, 1 2 9 9 (1304).

II. Rolle und Bedeutung

der gesetzlichen

Umgehungsverbote

73

der Frage, was „rechtlich zulässige Weise" sein soll, wieder am Anfang der Problematik.

2. Eigenständige Bedeutung? Mayer-Maly,

der die Gesetzesumgehung als eigenständiges Rechtsinstitut an-

sieht, begründet seine Auffassung auch mit den gesetzlichen Umgehungsverboten: Alle diese Bestimmungen seien nur sinnvoll, wenn die Gesetzesumgehung mehr sei als nur ein Problem der Gesetzesauslegung 122 - oder der Analogie, wie nach heute überwiegender Meinung hinzugefügt werden muß 1 2 3 . Fraglich ist aber, ob sich tatsächlich alle Umgehungsfälle allein mit den Regeln der Auslegung oder Analogie lösen lassen. Das wäre dann nicht zutreffend, wenn man im praktischen Fall ohne das gesetzliche Umgehungsverbot zwingend zu einem anderen Ergebnis käme. Das gesetzliche Umgehungsverbot hätte dann ge

eigenständi-

Bedeutung.

a) Beispiel § 6 AbzG Das praktische Hauptbeispiel eines gesetzlichen Umgehungsverbots mit eigenständiger Bedeutung bildet eine Norm, die nicht mehr in Kraft ist: § 6 AbzG 1 2 4 . Ausgerechnet im Tatbestand dieser Grundlage aller Umgehungsverbote im Verbraucherschutz ist der Begriff „Umgehung" nicht erwähnt; auf den ersten Blick liest sich die Norm wie eine Ergänzung des Anwendungsbereichs in § 1 AbzG. Allerdings sind die konkreten Anwendungsfälle in § 6 Halbsatz 2 AbzG nur Beispiele. Die eigentliche Regelung wird durch die Formulierung getroffen, das AbzG sei auf Verträge entsprechend anzuwenden, „welche darauf abzielen, die Zwecke eines Abzahlungsgeschäfts (§ 1) in einer anderen Rechtsform [...] zu erreichen". Dabei handelt es sich um eine auf die betroffenen Rechtsgeschäfte zugeschnittene Umschreibung des gängigen Umgehungsbegriffs. § 6 AbzG war also wie die heutigen Regelungen ein gesetzliches Umgehungsverbot und zwar eines mit eigenständiger Bedeutung: Ohne diese Norm wäre eine Anwendung des AbzG auf Leasingverträge und finanzierte Abzahlungskäufe nicht möglich gewesen; die zugrundeliegenden Fälle hätten zwingend anders entschieden werden müssen. Der Grund liegt darin, daß der Anwendungsbereich des AbzG nach § 1 AbzG auf Kaufverträge beschränkt war. Diese eindeutige Aussage hätte eine Ausdehnung im Wege der erweiternden Auslegung oder der Analogie nicht zugelassen 125 . MüncbKomm-Mayer-Maly/Armbrüster § 134 BGB Rdnr. 15. Zum Verhältnis der Gesetzesumgehung zur Gesetzesauslegung und Analogie ausführlich unten § 6 II. Grundlegend Teichmann, S.48ff., 78ff. 124 Zum Wortlaut s.o. §5.1.2. (Einführung). 125 Gramlich/Zerres ZIP 1998, 1299 (1301). 122

123

74

§ 5 Gesetzliche

Regelungen

der

Gesetzesumgehung

Die Geschichte von § 6 AbzG weist darauf hin, daß die Ausdehnung des Abzahlungsgesetzes auch durchaus vom Gesetzgeber intendiert war. Wie oben erwähnt, war der Antrag Bährs, ein Umgehungsverbot im B G B einzuführen, ausdrücklich abgelehnt worden. Im selben Zeitraum hielt der Gesetzgeber jedoch ein Umgehungsverbot im Abzahlungsgesetz für erforderlich 1 2 6 , was kein Zufall sein kann, denn § 6 AbzG ist fast wortgleich mit Bährs Entwurf 1 2 7 . Beides spricht dafür, daß die gegenüber einem selbständigen Umgehungsverbot im B G B geltend gemachten Bedenken im Abzahlungsrecht nicht gelten sollten, § 6 AbzG also eine selbständige Bedeutung haben sollte.

b) Beispiel Recht der

Haustürgeschäfte

Die geltenden Umgehungsverbote haben geringere praktische Bedeutung. Das liegt jedoch nicht daran, daß verfeinerte Techniken der Gesetzesauslegung oder der Bildung von Analogien die Umgehungsverbote überflüssig gemacht hätten, sondern in der Erweiterung des Anwendungsbereichs der Gesetze durch den Gesetzgeber, die zum Teil auch auf Erfahrungen mit Umgehungsgeschäften beruhte. Der Gesetzgeber konnte jedoch nicht jede Findigkeit der Rechtsunterworfenen vorhersehen, daher gibt es auch im geltenden Recht etliche Beispiele einer eigenständigen Bedeutung von Umgehungsregelungen. Die meisten Beispiele lassen sich dem Recht der Haustürgeschäfte entnehmen 1 2 8 . Sieker, die allerdings nicht alle bisherigen Anwendungsfälle der Umgehungsregelung berücksichtigt, sieht die Lösung in einer „teleologischen Auslegung des § 1 Abs. 1 H a u s t ü r W G " - jetzt § 3 1 2 Abs. 1 B G B 1 2 9 . Jedoch bietet der eindeutige Wortlaut der neuen wie der alten Regelung keine Anhaltspunkte dafür, daß beispielsweise der Vertragsschluß in Hotels oder Gaststätten von ihrem Geltungsbereich erfaßt ist. Auch die Teleologie des Gesetzes ist keineswegs so eindeutig, wie Sieker es sieht: Der Gesetzgeber hat sich nicht für eine Generalklausel o.ä. entschieden, sondern gerade in § 3 1 2 Abs. 1 B G B (§ 1 Abs. 1 HaustürWG) diejenigen Situationen abschließend normiert, in denen ein Widerrufsrecht bestehen soll. Eine uferlose „teleologische" Auslegung würde zu erheblicher Rechtsunsicherheit über die Wirksamkeit von Verträgen führen. Auch einer analogen Anwendung der Regeln über Haustürgeschäfte sind enge Grenzen gesetzt, weil die Gesetzesanalogie nur bei Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke zulässig ist. Das frühere HaustürWG regelte wie viele Verbraucherschutzgesetze nur einen Teil des Zivilrechts mit eng abgegrenztem GeltungsKoziolek, Die Umgehungsregelung des Verbraucherkreditgesetzes, S. 57. Fuchs, S.5. 128 Koziolek, Die Umgehungsregelung des Verbraucherkreditgesetzes, S.47ff., 54, hält den früheren § 5 Abs. 1 HaustürWG (jetzt § 3 1 2 f S. 2 BGB) sogar für ebenso bedeutsam wie § 6 AbzG. 129 Sieker, S.153f. 126 127

II. Rolle und Bedeutung der gesetzlichen Umgehungsverbote

75

bereich. Daran hat sich mit der Aufnahme in das B G B durch die Schuldrechtsreform nichts geändert: Die Aufnahme der Verbraucherschutzregelungen in das B G B sollte in erster Linie ihrer Rechtsnatur als bürgerliches R e c h t Rechnung tragen und einheitliche Regelungen ermöglichen, jedoch nicht ihren Anwendungsbereich erweitern. D a h e r ist die analoge Anwendung der Verbraucherschutznormen wie vorher nur möglich, wenn sich trotz der bewußt engen gesetzlichen Regelung ihres Anwendungsbereichs Anhaltspunkte für eine Regelungslücke ergeben. Die Hotelfälle hätten also ohne die Existenz von § 3 1 2 f S . 2 B G B ( § 5 Abs. 1 Haustür W G ) zwingend anders entschieden werden müssen. Dasselbe gilt für einige Fälle der Umgehung des Verbraucherkreditrechts, dessen Anwendungsbereich auch nach der R e f o r m klar abgegrenzt ist; beispielsweise der „umgekehrt e " finanzierte K a u f 1 3 0 . Weitere Beispiele für eigenständige Bedeutung der Umgehungsregelungen ergeben sich aus der „Ergehung" von Regeln, welche den Geltungsbereich der Verbraucherschutznormen einschränken; insbesondere § 4 9 1 A b s . 2 , 3 B G B ( § 3 VerbrKrG) oder § 3 1 0 B G B ( § § 2 3 , 2 4 A G B G ) . Auf Grundlage der herrschenden Meinung wäre derartigen Geschäften mit einer teleologischen Reduktion des Tatbestandes entgegenzutreten 1 3 1 . Einem solchen Vorgehen stehen aber Bedenken entgegen: N o r m e n wie § § 3 1 0 , 4 9 1 Abs. 2 , 3 B G B sind keine eng auszulegenden „ A u s n a h m e n " , sondern schränken den Geltungsbereich der Verbraucherschutzregeln in bestimmter, planmäßiger Weise ein. Eine Analogie ist insbesondere dann nicht möglich, w o die Gesetze klare, zahlenmäßig festgelegte Grenzen aufzeigen, so bei der Grenze von 2 0 0 Euro in § 4 9 1 Abs. 2 Nr. 1 B G B (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 VerbrKrG) oder von drei J a h r e n in § 4 8 1 Abs. 1 S. 1 B G B (§ 1 Abs. 2 S. 1 T z W r G ) . Werden diese Grenzen durch Vertragsaufspaltungen oder ähnliches umgangen, wird oft ein Scheingeschäft vorliegen. Ist das jedoch nicht der Fall, bleibt angesichts der klaren gesetzlichen Regelung kein R a u m für Auslegung oder Analogie.

c) Beispiel

Verbrauchsgüterkauf

N o c h weitgehend ungeklärt sind die praktischen Fragen, die sich im Zusammenhang mit § 4 7 5 Abs. 1 S . 2 B G B stellen. Insbesondere in den Vertreterfällen spricht aber auch hier einiges für eine eigenständige Bedeutung, soweit nicht im Einzelfall ein Scheingeschäft vorliegt. N a c h der eindeutigen Regelung in § 4 7 4 Abs. 1 S. 1 B G B gelten die Sonderregeln nur für Verträge, bei denen Verkäufer ein Unternehmer und Käufer ein Verbraucher ist, auf die Person eines Vertreters ist nicht abzustellen.

130 131

BGH 1 1 . 1 1 . 1992 - VIII Z R 211/91, W M 1993, 2 4 9 (251); dazu oben § 5 I.2.d)aa). Zur „Ergehung" von Gesetzen oben § 4 1.

76

§ 5 Gesetzliche

Regelungen

der

Gesetzesumgehung

Auch wenn nicht alle Vertreterkonstruktionen den Verbraucherschutz umgehen, würden dennoch die § § 4 7 4 f f . B G B weitgehend obsolet werden, wenn man entsprechende Dreiecksverhältnisse für unbeachtlich hielte und sie als gewöhnlichen Kauf unter Privaten behandelte. Einer erweiternden Auslegung oder Analogie stünden hier jedoch nicht nur methodische Bedenken entgegen, sie führte auch nicht zu einem interessengerechten Ergebnis. So wäre eine erweiternde Auslegung (oder Analogie) allenfalls dahingehend möglich, daß § 4 7 4 Abs. 1 S. 1 BGB ergänzt würde: „... oder von einem Nichtunternehmer, für den ein Unternehmer als Vertreter handelt". Damit würde aber der Private wie ein Unternehmer haften, während sich an der Rechtsstellung seines Vertreters - des tatsächlichen Unternehmers - nichts ändern würde. Dies würde nicht nur Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung widersprechen, sondern auch ihrer Systematik, da sich auch § 4 7 5 Abs. 1 S. 1 BGB ausdrücklich auf „den Unternehmer" bezieht, nicht etwa auf den Verkäufer. Eine Fallösung ist also nur dann möglich, wenn man den Vertreter vertraglich haften läßt, wobei der Ausschluß der Gewährleistung ihm gegenüber unwirksam wäre. Zu den denkbaren Konstruktionen soll hier nicht abschließend Stellung genommen werden 132 . In jedem Fall kommt man aber nur zu dem sachgerechten Ergebnis, wenn man sich auf § 4 7 5 Abs. 1 S. 2 BGB beruft, anderenfalls müßten Vertreterfälle zwingend anders entschieden werden.

d) Besonderheiten

des

Verbraucberschutzes

Sieht man mit der herrschenden Meinung die gesetzlichen Verbote als deklaratorisch an und spricht ihnen eigenständige Bedeutung ab, müßten die oben erwähnten praktischen Fälle sämtlich anders entschieden werden, der in der Hotelhalle abgeschlossene Kaufvertrag könnte z.B. nicht widerrufen werden. Diese Konsequenz wird aber auch in der Literatur kaum gezogen. Sicherlich kann man über die Großzügigkeit der Rechtsprechung im einzelnen streiten; so kann insbesondere die Ausdehnung der Regeln über Haustürgeschäfte auf Situationen, die lange nach der möglichen „Überrumpelung" liegen 133 , zu weit führen. Jedoch zeigen vor allem die Hotelfälle und die Fälle des als Vertreter handelnden Unternehmers, wie die Findigkeit von Unternehmern den Gesetzeszweck weitgehend obsolet machen kann, wenn man sich tatsächlich auf den Geltungsbereich nach dem Wortlaut der §§ 3 1 2 Abs. 1 (§ 1 Abs. 1 HaustürWG), 4 7 4 Abs. 1 S. 1 BGB beschränkt. Verbraucherschutzregelungen sind notwendig lückenhaft; hinken hinter der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung her. Daran hat sich durch ihre Integration in das BGB nichts geändert, da auch hier die Geltung der Schutznormen, 132

Dazu Müller ZIP 2 0 0 3 , 1 9 7 5 ( 1 9 8 0 ) .

133

Dazu oben § 5 I.2.b)aa).

II. Rolle und Bedeutung

der gesetzlichen

Umgehungsverbote

77

z.B. des Widerrufsrechts, begrenzt ist: Sie regeln nur einen bestimmten Bereich, der in Normen wie §§312, 474 BGB definiert ist. Eine derartige Begrenzung ist auch erforderlich, da anderenfalls erhebliche Rechtsunsicherheit entstünde. Wäre nicht genau definiert, unter welchen Voraussetzungen ein Verbraucher z.B. einen Vertrag widerrufen kann, bliebe die Wirksamkeit vertraglicher Vereinbarungen oft unklar. Diese Besonderheit der Verbraucherschutzregelungen führt aber dazu, daß die Lösung Teichmanns, Gesetzesumgehung als Problem der Analogie anzusehen, an ihre Grenzen stößt 134 . Die analoge Anwendung eines Gesetzes setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus. An einer solchen Regelungslücke fehlt es regelmäßig bei Umgehungen von § 312 BGB, aber auch bei anderen Normen 1 3 5 . Die Verbraucherschutzregelungen erfassen nur bestimmte Situationen und Vertragsgestaltungen, in denen die Verbraucher als besonders schutzwürdig angesehen werden. Daher kann keine Regelungslücke begründet werden, wenn §312 Abs. 1 BGB Hotelhallen, Baustellen und Gespräche bei der Bank nicht erwähnt oder §§ 305ff. BGB nicht für vereinsrechtliche Gestaltungen gelten. Überdies weicht die Anwendung der gesetzlichen Umgehungsregelungen auch methodisch von der Analogie ab 136 : Bei einer Umgehung wird der Schutzzweck der betroffenen Norm ausgehöhlt. Die Umgehung bedarf also eines Bezugsobjekts, bestimmt durch den Schutzzweck. Bei der Analogie besteht gerade eine Regelungslücke, die durch die Ausdehnung einer bestimmten Norm geschlossen wird. Es fehlt an einem Bezugsobjekt, denn im Gegensatz zur Umgehung wird der Schutzzweck der Norm durch ihre Nichtanwendung nicht ausgehöhlt. Daher kommt den gesetzlichen Umgehungsverboten nicht nur eine analogiebegründende Wirkung, sondern zusätzlich die Funktion der Begrenzung von Analogien zu: Die Regelungen des betroffenen Verbraucherschutzgesetzes sollen nicht auf jeden „ähnlichen" Fall entsprechend angewendet werden, sondern nur dann, wenn der Schutzzweck des Gesetzes durch Umgehung ausgehöhlt wird.

134 Die Dissertation von Teichmann erschien 1962. In diesem Z e i t r a u m existierte neben dem steuerrechtlichen Umgehungsverbot (damals § 6 StAnpG) z w a r bereits § 6 AbzG; die anderen Verbraucherschutzgesetze sind aber sämtlich neueren D a t u m s . Auch die U m g e h u n g des AbzG durch Leasinggeschäfte o.ä. hatte damals k a u m praktische Bedeutung. - Die neuere Literatur hat sich mit der Analogiefähigkeit der Verbraucherschutzgesetze und ihrer Konsequenzen für die Umgehungsregelungen bislang k a u m beschäftigt; A u s n a h m e n bilden Gramlich/Zerres ZIP 1 9 9 8 , 1 2 9 9 zu § 5 H a u s t ü r W G u n d zum Verbrauchsgüterkauf Müller ZIP 2 0 0 3 , 1 9 7 5 . S. ferner Staudinger - Werner § 5 H a u s t ü r W G Rdnr. 8 u n d Koziolek, Die Umgehungsregelung des Verbraucherkreditgesetzes; zweifelnd an den Mitteln der Interpretation auch Löwe/v. Westphalen/ Trinkner, AGBG, § 7 Rdnr. 4. In seinem in J Z 2 0 0 3 , 761 erschienenen Beitrag zur Gesetzesumgehung geht Teichmann nicht auf den Verbraucherschutz ein. 1,5 Staudinger-Werner § 5 H a u s t ü r W G Rdnr. 8; Gramlich/Zerres ZIP 1998, 1 2 9 9 (1304). Diese Tatsache wird von Sieker, S. 138ff., übersehen. 136 Gramlich/Zerres Z I P 1998, 1299 (1304f.); zu den methodischen Grenzen der Analogie ausführlich unten § 10 I.

78

§ 5 Gesetzliche Regelungen der

Gesetzesumgehung

Das wird vor allem dann deutlich, wenn man das Beispiel der Dreieckskonstruktionen im Verbrauchsgüterkauf betrachtet. Bezugsobjekt, das durch die Umgehung ausgehöhlt wird, ist die Regelung § 4 7 5 Abs. 1 S. 1 BGB. Eine Regelungslücke besteht angesichts des eindeutigen Geltungsbereichs von § 4 7 4 Abs. 1 S. 1 B G B dagegen nicht. Außerdem ist auch keine Norm ersichtlich, durch deren analoge Anwendung das einzig sachgerechte Ergebnis erzielt werden könnte: eine Haftung des Vertreters als Unternehmer. Gleichzeitig hat das Umgehungsverbot auch hier begrenzende Wirkung. So ist der Verbraucherschutz beispielsweise weit weniger gefährdet, wenn dem Käufer das Fehlen von Gewährleistungsansprüchen aufgrund der Vertreterkonstruktion eindeutig deutlich gemacht wird und als Konsequenz deutlich niedrigere Preise kalkuliert werden 1 3 7 . Liegt keine Umgehung des Verbraucherschutzes vor, ist also auch bei objektiv „ähnlichen" Konstruktionen eine Anwendung der Verbraucherschutzregelungen ausgeschlossen. e) Fazit Die gesetzlichen Umgehungsverbote im Verbraucherschutz enthalten also nicht nur deklaratorische oder gar überflüssige Hinweise auf die Möglichkeit der Gesetzesanalogie. Vielmehr kommt ihnen eigenständige Bedeutung zu; und zwar in zweifacher Hinsicht: - Die gesetzlichen Umgehungsverbote ermöglichen eine Ausdehnung der gesetzlichen Tatbestände, obwohl die Voraussetzungen der Analogie nicht vorliegen. - Gleichzeitig wird einer übermäßigen Ausdehnung vorgebeugt, indem sie ausdrücklich auf Umgehungsfälle begrenzt wird. Die Stellungnahme zu der eingangs erwähnten Auffassung von Mayer-Maly muß daher differenziert erfolgen. Mayer-Maly hat eine Schwachstelle der herrschenden Meinung erkannt: Gesetzesumgehung ist nicht in jedem Fall ein Problem der Gesetzesauslegung oder der Analogie, sondern gesetzlichen Umgehungsverboten kann eigenständige Bedeutung zukommen. Diese eigenständige Bedeutung beruht jedoch auf Besonderheiten der entsprechenden Regelungen zum Verbraucherschutzrecht. Den Umgehungsverboten im Verbraucherschutz kann daher kein zwingender Hinweis entnommen werden, ob Gesetzesumgehung allgemein ein eigenständiges Rechtsinstitut darstellt 1 3 8 . Vergleichbare Besonderheiten finden sich indes auch in anderen Gebieten des Zivilrechts. Die auffälligste Parallele bildet das Arbeitsrecht: Auch hier gibt es Regelungen mit eingeschränktem Anwendungsbereich (vgl. z.B. § 1 KSchG); der analogen Anwendung der Normen sind entsprechende Grenzen gesetzt. Schließ137 138

So auch Müller ZIP 2 0 0 3 , 1975 (1979). Vgl. Löwe/v. Westphalen/Trinkner, AGBG, § 7 Rdnr.4.

II. Rolle und Bedeutung

der gesetzlichen

Umgehungsverbote

79

lieh dienen arbeitsrechtliche Gesetze in der Regel dem Arbeitnehmerschutz und damit ebenfalls einem Schutzzweck. Daher ist es kein Zufall, wenn weite Bereiche der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung auf dem Begriff „objektive Gesetzesumgehung" beruhen. Das gilt insbesondere für die Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes durch befristete und auflösend bedingte Arbeitsverträge vor dem TzBfG 139 und die Umgehung von § 613a BGB durch Aufhebungsverträge oder ähnliche Gestaltungen 140 . Die selbständige Bedeutung der Gesetzesumgehung ist somit nicht auf das Verbraucherschutzrecht beschränkt.

1,9 Dazu ausführlich Neuhausen, Der im voraus erklärte Verzicht eines Arbeitnehmers auf Kündigungsschutz, S. 15ff. Aus der Rechtsprechung grundlegend BAG 1 2 . 1 0 . 1 9 6 0 - G S 1/59 — 3 A Z R 6 5 / 5 6 , BAGE 10, 65. 140 BAG 1 0 . 1 2 . 1 9 9 8 - 8 A Z R 324/97, DB 1 9 9 9 , 5 3 7 ; BAG 1 1 . 7 . 1 9 9 5 - 3 A Z R 154/95, AP N r . 5 6 zu S 1 Tarifverträge m . w . N . ; BAG 2 8 . 4 . 1 9 8 7 - 3 A Z R 75/86, ZIP 1988, 120; a u s f ü h r lich unten § 1 1 IV l . b ) .

§ 6 Gesetzesumgehung und Auslegung

Der historische Überblick hat gezeigt, daß der Umgang mit Gesetzesumgehungen stets von der jeweils geltenden Auslegungsdoktrin abhing 1 . Bis heute ist das Verhältnis von Gesetzesauslegung und Gesetzesumgehung nicht eindeutig definiert. Der Ansatz wird deutlich an dem Streit um den Geltungsbereich der eben erörterten gesetzlichen Umgehungsverbote: Die einen sehen in der Umgehung eine Frage der Gesetzesauslegung und deswegen in Umgehungsverboten Auslegungsregeln. Die überwiegende Meinung geht demgegenüber davon aus, daß sich Umgehung und Auslegung ausschließen. Danach fängt die Umgehung erst an, wenn die Mittel der Auslegung versagen; die Umgehungsverbote ermöglichen also einen Analogieschluß. Dieselbe Frage stellt sich auch für Gesetzesumgehungen außerhalb des Geltungsbereichs von Umgehungsverboten: Ist die Gesetzesumgehung ein Problem der Gesetzesauslegung oder ist im Gegenteil eine Umgehung ausgeschlossen, soweit eine Auslegung möglich ist? Die Rechtsprechungspraxis nimmt keine derartige Abgrenzung vor; sie zieht den Umgehungsgedanken sowohl als Auslegungsargument als auch für Analogieschlüsse heran. Auch ein Teil der Literatur hat diesen Ausgangspunkt. Die überwiegende Lehre folgt jedoch Teichmann, nach dem sich Auslegung und Umgehung ausschließen; die Umgehung also ein reines Problem der Analogie ist2. Zuletzt ist vereinzelt die Formulierung zu lesen, Gesetzesumgehung sei (nur) ein Problem der Gesetzesauslegung3.

I. Praktische

Bedeutung

1. Auslegungskriterien und Umgehungsgeschäfte Die Frage nach Umfang und Mitteln der Gesetzesauslegung gehört zu den Grundentscheidungen jedes Rechtssystems: Sollen Gesetze weit ausgelegt werden, um ihnen möglichst weitgehend Geltung zu verschaffen oder eng, um Garantiefunktion und Rechtssicherheit in den Vordergrund zu stellen? Welche MitDazu zusammenfassend oben § 2 VI. Teichmann, S. 50ff.; s. auch Teichmann J Z 2003, 761 (765ff.). 5 V. Gamm WRP 1961, 259; Sieker, S. 8; mit unzutreffendem Hinweis auf Teichmann: low, VerbrKrR, § 5 0 6 BGB Rdnr.21. 1

2

Bü-

I. Praktische

Bedeutung

81

tel der Auslegung sind zulässig und was ist ihr Ziel? Die gegenwärtig vertretenen Grundauffassungen lassen sich einteilen in den subjektiven Ansatz, der den Willen des Gesetzgebers zum Ausgangspunkt nimmt und den objektiven Ansatz, der Gesetze unabhängig vom Willen des Gesetzgebers beurteilt 4 . Die herrschende und auch von der Rechtsprechung angewandte Auslegungslehre kombiniert beide Ansätze. Danach richtet sich die Auslegung nach den vier Kriterien Wortlaut, Gesetzessystematik, Entstehungsgeschichte und Normzweck 5 . Vereinzelt wird speziell für Umgehungsgeschäfte ein besonderer Auslegungsansatz vertreten. Danach sind die umgangenen Normen nicht tatbestandsspezifisch, sondern rechtsfolgenspezifisch auszulegen6. Das Umgehungsgeschäft soll also ohne Rücksicht auf den von den Beteiligten gewählten „Tatbestand" mittels einer „Rechtsfolgenteleologie" allen für seine Auswirkungen einschlägigen zwingenden Rechtssätzen unterworfen werden 7 . Gegen diese Ansicht bestehen in verschiedener Hinsicht Bedenken. Sie ist schwerlich mit der Struktur der ganz überwiegenden Zahl der Zivilrechtsnormen zu vereinbaren, die gerade nicht an bestimmte Rechtsfolgen, sondern an Tatbestände anknüpfen. Darüber hinaus ergeben sich Abgrenzungsprobleme, wenn sich die anzuwendende Norm oder ihre Rechtsfolgen nicht eindeutig ausmachen lassen. Es ist nicht Thema dieser Arbeit, zu den unterschiedlichen Grundauffassungen und Theorien zur Auslegung Stellung zu beziehen. Da es vielmehr um den Umgehungsfall in der Praxis geht, soll im folgenden die „klassische" Methode der Auslegung nach den vier Hauptkriterien zugrunde gelegt werden, die der Sache nach auch von der Rechtsprechung angewandt wird. Das Problem der Gesetzesumgehung stellt sich ohnehin bei jeder Auslegungsmethode, wenn auch in unterschiedlichem Maße und u.U. auch in anderen Fällen. 2 . Grenzfälle in der Praxis In der Praxis gehen die Anwendungsbereiche von Umgehungsargument und Auslegung oft ineinander über. Dafür gibt es zwei Gründe, die sich nicht immer klar voneinander abgrenzen lassen: Erstens kann mit Gesetzesumgehung argumentiert werden, obwohl man mit den üblichen Methoden der Auslegung zum selben Ergebnis käme (dazu a). Zweitens kann das Umgehungsargument im Rahmen der Auslegung verwendet werden. Typisch dafür ist die Formulierung, Zur historischen Entwicklung oben § 2 V . l . Ausführlich zum objektiven und subjektiven Ansatz sowie den Auslegungsmethoden Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S.428ff., 436((. sowie Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 137ff., 141 ff.; zum Ansatz der Praxis Schmalz, Methodenlehre, Rdnrn. 219ff. 6 Häsemeyer, Die Spannungen zwischen Insolvenzrecht und Privatautonomie als Aufgabe der Rechtsprechung, S. 170ff., 172ff. 7 Häsemeyer, Die Spannungen zwischen Insolvenzrecht und Privatautonomie als Aufgabe der Rechtsprechung, S. 175. 4 5

82

$ 6 Gesetzesumgebung

und

Auslegung

die Norm sei in bestimmter Weise auszulegen, da sonst die Gefahr ihrer Umgehung bestünde (dazu b). a) Teichmann führt mehrere Beispiele aus der Rechtsprechung auf, in denen von Gesetzesumgehung die Rede ist, obwohl tatsächlich nur eine Gesetzesauslegung erforderlich war. Dazu gehört die Rechtsprechung des Reichsgerichts zu Börsentermingeschäften, die mit Gesetzesumgehung begründet wurde, obwohl korrigierende subjektive Auslegung des damals geltenden § 48 BörsG zum selben Ergebnis geführt hätte 8 . Eine neuere Entscheidung des OLG Köln weist eine ähnliche Argumentation auf 9 : Ein Alleingesellschafter einer GmbH, der keine Prozeßkostenhilfe bewilligt werden konnte, hatte Ansprüche der Gesellschaft im eigenen Namen geltend gemacht. Das OLG verweigerte ihm die Hilfe, da „seine Vorgehensweise der Umgehung des § 116 S.2 Z P O " diente. Die Entscheidung hätte ebenso damit begründet werden können, § 116 S. 2 ZPO gelte nach teleologischer Auslegung auch dann, wenn ein Alleingesellschafter Ansprüche einer GmbH im eigenen Namen geltend macht. In der Literatur werden derartige Begründungen kritisiert. Das Umgehungsargument sei fehlerhaft, wenn es um bloße Auslegung der „umgangenen" Norm ginge 10 . Ähnlichen Überlegungen folgte offenbar auch eine Rechtsprechungsänderung. Sie betrifft die sog. „Aushöhlungsrechtsprechung" im Zusammenhang mit Verfügungen, die ein durch Erbvertrag oder gemeinsames Testament gebundener Erblasser zu seinen Lebzeiten vorgenommen hatte. Die Rechtsprechung hatte seit 1954 derartige Verfügungen unter dem Gesichtspunkt der „Testamentsaushöhlung" geprüft; die Argumentation beruhte der Sache nach auf Vertrags- und Gesetzesumgehung 11 . Nach einem Zuständigkeitswechsel gab der Vierte Zivilsenat des BGH 1972 diese Rechtsprechung ausdrücklich auf 12 . Er wandte statt dessen § 2287 BGB an und stützte das auf eine erweiternde Auslegung: Die Absicht, dem Vertragserben die Vorteile der Erbeinsetzung zu entziehen oder zu schmälern, müsse nicht der eigentlich leitende Beweggrund der Schenkung sein 13 . b) Häufiger als die Verwendung des Umgehungsarguments anstelle einer Auslegung ist seine Verwendung im Rahmen der Auslegung. In solchen Fällen wird 8 Teichmann, S. 5 2 f . zu R G 2 8 . 1 0 . 1899 - Rep. I. 2 4 2 / 9 8 , R G Z 4 4 , 1 0 3 (108); vgl. auch R G 12.10 1898 - Rep. I. 2 2 6 / 9 8 , R G Z 4 2 , 43. H e u t e sind Börsentermingeschäfte in §§ 5 0 f f . BörsG ausdrücklich geregelt. 9 O L G Köln 9 . 1 2 . 1988 - 13 W 84/88, VersR 1989, 2 7 7 mit fehlerhaftem Leitsatz (ein „kein e " zuviel). 10 Teichmann, S. 50ff.; Spellenberg F a m R Z 1972, 3 4 9 (353ff.). 11 B G H 8 . 7 . 1 9 5 4 - IV Z R 2 2 9 / 5 3 , L M N r . 4 zu § 2 2 7 1 BGB; B G H 2 4 . 1 . 1 9 5 8 - IV Z R 2 3 4 / 57, B G H Z 2 6 , 2 7 4 = N J W 1 9 5 8 , 5 4 7 ; B G H 1 7 . 1 1 . 1 9 5 9 - V Z R 18/59, B G H N J W 1 9 6 0 , 5 2 4 = BB 1961, 4 8 9 ; differenzierend zwischen Aushöhlung und U m g e h u n g B G H 2 . 1 0 . 1953 - V Z R 140/61, N J W 1964, 5 4 7 (549) m. A n m . Kohler. 12 B G H 5 . 7 . 1 9 7 2 - IV Z R 125/70, B G H Z 59, 3 4 3 = N J W 1973, 2 4 0 . 13 Z u s t i m m e n d Spellenberg N J W 1986, 2 5 3 1 ; s. auch B G H 2 6 . 1 1 . 1975 - IV Z R 138/74, B G H Z 66, 8.

I. Praktische

Bedeutung

83

das Gesetz - erweiternd - ausgelegt mit der Begründung, es könne sonst umgangen werden. Ein Beispiel bildet die Urteilsbegründung zu einem Fall, den der B G H 1 9 5 8 zu entscheiden hatte 1 4 . Die Parteien hatten den Ausschluß der R ü c k forderung nach § 8 1 7 S. 2 B G B dadurch zu umgehen versucht, daß sie vereinbarten, der Empfänger schulde das Geleistete nunmehr als Darlehen ( § 6 0 7 Abs. 2 B G B a . E ; s. jetzt § § 4 8 8 f f . , 6 0 7 f f . B G B ) . Der B G H führte aus: „Dabei kann der Fall unentschieden bleiben, ob hier eine unvollkommene Verbindlichkeit, d.h. ein wenigstens erfüllbarer Anspruch besteht mit der Folge, daß der Schuldner, der den „Anspruch" erfüllt, das zu diesem Zweck herausgegebene nicht nach § 812 BGB wieder herausverlangen kann. Selbst wenn das so ist, so verbietet sich doch die Annahme, das Gesetz eröffne den Parteien die Möglichkeit, den von ihm gewollten Ausschluß der Rückforderung dadurch zu umgehen, daß sie an die Stelle des nach § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossenen Anspruchs eine andere Forderung, hier eine nach § 607 Abs. 2 BGB begründete Darlehensforderung, setzen. Das wäre nicht mit dem in der Vorschrift des § 817 Satz 2 BGB zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzes zu vereinbaren ...". In einem anderen Fall des B G H ging es um einen „ U n f a l l h i l f e - R i n g " 1 5 : Eine B a n k hatte geschäftsmäßig die Vorfinanzierung von Verkehrsunfallschäden übernommen; das Kreditgeschäft war wirtschaftliches Teilstück eines Verfahrens zur Entlastung des Geschädigten von der Schadensabwicklung einschließlich der Besorgung damit verbundener rechtlicher Angelegenheiten. D e r B G H sah darin einen Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz. Im R a h m e n von Art. 1 § 1 R B e r G sei eine wirtschaftliche Betrachtung geboten, „um zu vermeiden, daß die Vorschrift durch formale Anpassung der geschäftsmäßigen Rechtsbesorgung an den Gesetzeswortlaut und die hierzu entwickelten Rechtsgrundsätze umgangen w i r d . " Z w a r könnten Zielsetzung und Ausnahmecharakter des Rechtsberatungsgesetzes eine einschränkende Auslegung rechtfertigen, das enthebe jedoch nicht „von einer auf den Schutzzweck sehenden Rechtsanwendung, um einem Leerlaufen der Regelung durch Umgehungsgeschäfte entgegenzuwirken. Die Umgehung diente in diesem Fall also als Argument für eine erweiternde Auslegung. Verbreitet ist eine derartige Argumentation auch im Kapitalgesellschaftsrecht. Das Reichsgericht hatte sich beispielsweise mehrfach mit dem Aufrechnungsverbot des § 1 9 Abs. 2 G m b H G zu befassen. N a c h dieser Regelung k a n n ein Gesellschafter gegenüber der Forderung auf Einzahlung seiner Einlage nicht aufrechnen. Das Reichsgericht war der Ansicht, das gelte auch dann, wenn die Gesellschafter aufgrund ihrer subsidiären H a f t u n g 1 6 oder aufgrund ihrer Haftung

14 BGH 25.9. 1958 - VII ZR 85/57, BGHZ 28, 164 (Zitat S. 169f.; Hervorhebung von der Verfasserin). 15 BGH 6.11. 1 9 7 3 - V I ZR 194/71, BGHZ 61, 317 (Zitat S.320). 16 RG 12.4. 1918 - Rep. II. 473/17, RGZ 92, 365 (367).

84

§ 6 Gesetzesumgebung

und

Auslegung

nach § 2 4 G m b H G herangezogen würden 1 7 . Als Begründung heißt es in beiden Entscheidungen, anderenfalls würde der Umgehung „Tür und Tor geöffnet" 1 8 . Neueren Datums ist eine Entscheidung des B G H zu einem GmbH-Gesellschafter, der sich seiner Pflicht zum Eigenkapitalersatz dadurch entziehen wollte, daß er die benötigten Finanzierungsmittel durch eine gemeinschaftliche Darlehensaufnahme mit seiner Ehefrau beschaffte 1 9 . Die Ehefrau trat dann als Darlehensgeberin für die G m b H auf, wobei intern Einigkeit darüber bestand, daß der Gesellschafter seiner Ehefrau für die aufgenommenen Gelder einstehen würde. Der B G H begründete seine Entscheidung damit, es komme auf das wirtschaftliche Ergebnis an, die Eigenkapitalersatzregeln der §§ 3 0 , 31 G m b H G erfaßten auch Umgehungsgeschäfte.

II. Theoretische

Abgrenzung

1. Auslegung und Umgehung einer Norm Wie erwähnt, lassen sich zum Verhältnis von Gesetzesumgehung und Auslegung drei Ansätze unterscheiden. Nach der ersten Auffassung handelt es sich bei der Gesetzesumgehung um ein reines Problem der Auslegung 2 0 . Dem steht die heute wohl überwiegende Meinung entgegen: Danach hat Umgehung nichts mit Auslegung zu tun, sondern beginnt im Gegenteil erst da, wo die Auslegung aufhört 2 1 . Verbreitet ist jedoch auch eine dritte Auffassung, wonach Umgehungsfälle sowohl mit Auslegung der umgangenen Norm als auch mit ihrer analogen Anwendung gelöst werden können; dabei kommt der erweiternden Auslegung oft eine Sonderrolle zu 2 2 . Die Rechtsprechungspraxis vertritt keinen einheitlichen Ansatz, sondern benutzt den Begriff Gesetzesumgehung als Argument für Auslegung, Analogie und auch als selbständiges Rechtsinstitut. Ein Grund für die verschiedenen Formulierungen und Meinungen liegt bereits in unterschiedlichen methodischen Ansätzen. Wie oben erwähnt, sind Umfang

RG 7 . 1 2 . 1928 - II 2 5 2 / 2 8 , R G Z 123, 8 (10). Demgegenüber geht die heutige Rechtsprechung zur Umgehung von Aufrechnungsverboten durch „Hin- und Herzahlen" über bloße Auslegung hinaus. Dazu BGH 2 1 . 2 . 1994 - II Z R 60/93, B G H Z 125, 141 = N J W 1994, 1477; LG Karlsruhe 3 0 . 1 . 1998 - O 145/97 KfH IV, NJW-RR 1999, 1263; im einzelnen unten § 9 I.3.a). 1 9 BGH 2 6 . 6 . 2 0 0 0 - II Z R 21/99, ZIP 2 0 0 0 , 1 4 8 9 = EWiR § 30 GmbHG 1/01, 19 (v. Gerkan). 20 Soergel-Hefermehl § 1 3 4 Rdnrn. 37f.; weitere Nachweise s.o. § 5 1.2. zum Geltungsbereich gesetzlicher Umgehungsverbote. 2 1 Grundlegend Teichmann, S.50ff.; Gramlich/Zerres ZIP 1998, 1299 (1303), jeweils m.w.N., ebenso Westerhoff, S . 6 3 f . (§68). 2 2 So Huber JurA 1970, 7 8 4 (797ff.); Scburig, Gesetzesumgehung, S.375ff., 4 0 8 ; Schröder, S. 11 f.; Sieker, S. 8 ; s. auch MünchKomm-Mayer-Maly/Armbrüster § 134 Rdnrn. 11 ff. 17 18

II. Theoretische

Abgrenzung

85

und Mittel der Gesetzesauslegung umstritten 23 . Dazu kommt, daß das Verhältnis von Auslegung und Analogie nicht einheitlich gesehen wird. Von einigen wird die Analogie zu den Mitteln der Auslegung gezählt 24 . Die heute herrschende Meinung trennt jedoch zu Recht beide Methoden, da Anwendungsbereich und methodisches Vorgehen von Auslegung und Analogie sich unterscheiden 25 : Die Auslegung dient dazu, den Geltungsbereich von Normen zu ermitteln. Die Analogie soll dagegen Lücken zwischen Normen zu schließen, also diejenigen Fälle erfassen, die gerade nicht unter den Geltungsbereich der Normen fallen. Voraussetzung der Analogie ist eine Regelungslücke, also ein von der Auslegung gerade nicht mehr erfaßter Bereich. Zur Schließung der Lücke wird nach einer - auch partiellen - Ähnlichkeit gefragt, die über Inhalt und Geltungsbereich der Norm hinausgeht. Daraus ergibt sich, daß der Analogieschluß den Fall außerhalb des Geltungsbereichs, außerhalb der Auslegung, erfaßt. Die Analogie kann sich direkt an die Auslegung anschließen und die Abgrenzung kann im praktischen Einzelfall fraglich sein, methodisch ist aber eine Überschneidung zwischen beiden Bereichen nicht möglich. Es kommt also darauf an, in welchen dieser Bereiche die Gesetzesumgehung einzuordnen ist: Schließen sich Umgehung und Auslegung aus oder kann die Umgehung - zumindest auch - als Auslegungsargument dienen? Ansatzpunkt ist der Geltungsbereich der Norm, also der Bereich, den ihr Tatbestand erfaßt. Für eine Gesetzesumgehung ist kennzeichnend, daß sie die Rechtsfolge einer Norm vermeiden will. Zu diesem Zweck muß sie zuvor den Geltungsbereich, wie er durch die Auslegung des Tatbestandes ermittelt wird, vermeiden. Daraus folgt, daß die Umgehung erst außerhalb des Bereichs der durch Auslegung ermittelten Geltung der Norm beginnen kann. Läßt sich eine „Umgehung" durch Auslegung der betroffenen Norm erfassen, ist sie keine Gesetzesumgehung, sondern nur ein mißlungener Umgehungsversuch 26 . Eine Gesetzesumgehung liegt nur dann vor, wenn zumindest ein Analogieschluß erforderlich ist. Dabei kann offen bleiben, ob die Umgehung ein reines Problem der Analogie ist oder möglicherweise darüber hinaus geht. Eine Uberschneidung mit dem Bereich der Auslegung besteht jedenfalls nicht 27 : Eine Norm, die bereits eingreift - sei es auch mit Hilfe der erweiternden Auslegung - ist nicht umgangen. Gesetzliche Oben § 6 1.1. Vgl. Huber JurA 1970 784 (797; Fn.28) mit dem Hinweis, die kurze Formel, das Problem der Gesetzesumgehung sei ein Problem der Gesetzesauslegung, treffe nur zu, wenn man die Analogie in den Bereich der Auslegung mit einbezieht. 25 Teichmann, S.86ff. mit Nachweisen; zur Analogie als Methode der Lückenfüllung Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 187ff., 202ff.; Schmalz, Methodenlehre, Rdnrn. 378, 383ff.; s. auch Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S.467ff. 26 Staudinger-Sack § 134 Rdnr. 146; Werner, Umgehung von Aufrechnungshindernissen, S . 9 2 f . , 126; Westerhoff, S.63ff. (§§68ff.). 27 Gramlich/Zerres ZIP 1998, 1299 (1303). 23 24

86

5 6 Gesetzesumgehung

und

Auslegung

Umgehungsverbote wie im Verbraucherschutz stellen daher keine Auslegungsregeln dar, sondern ermächtigen den Rechtsanwender - zumindest - zur Bildung von Analogien. Allerdings macht im praktischen Einzelfall die Abgrenzung des Geltungsbereichs von Auslegung und Analogie oft Schwierigkeiten. Insbesondere die Übergänge zwischen Auslegung, erweiternder Auslegung und Analogie können fließend sein, eindeutige Abgrenzungskriterien existieren nicht 28 . Das spielt für die praktische Lösung eines Umgehungsfalles jedoch keine Rolle. Stellt sich der Rechtsanwender auf den Standpunkt, das fragliche Verhalten sei bereits mit Auslegung der umgangenen Norm erfaßt, kommt er auf dieser Weise zu ihrer Anwendung, sonst über die Gleichstellung aus Umgehungsgesichtspunkten 29 . An der Rechtsanwendung ändert sich also nichts, sondern es handelt sich nur um eine definitorische Frage: Im Bereich der Auslegung ist Gesetzesumgehung bereits definitorisch nicht möglich; der durch Gesetzesauslegung gelöste Fall ist also kein Umgehungsfall. Wird der Bereich der Umgehung von dem der Auslegung unterschieden, wirkt das gleichzeitig einer übermäßigen Ausdehnung der betroffenen Norm entgegen. Zwar gilt im Zivilrecht kein Analogieverbot, aber die Analogie stellt insoweit zusätzliche Anforderungen, weil sie die Planwidrigkeit der festgestellten Regelungslücke voraussetzt. Das gilt in Umgehungsfällen in besonderer Weise, weil oft Normen umgangen werden, durch die die wirtschaftliche oder persönliche Freiheit eingeschränkt wird. Es kann daher nicht ohne weiteres von einem mißlungenen Umgehungsversuch ausgegangen werden, sondern es ist sorgfältig zu prüfen, ob im Einzelfall die analoge Anwendung der umgangenen Norm gerechtfertigt ist. Ein Beispiel findet sich bei Werner, der sich mit der Umgehung von Aufrechnungshindernissen durch Zwangsvollstreckung in eigene Schulden befaßt 30 . Thema seiner Arbeit ist das Aufrechnungsverbot § 393 BGB, das nach herrschender Auffassung zwar nicht durch Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts umgangen werden kann; jedoch soll es möglich sein, denselben wirtschaftlichen Erfolg mit einer Zwangsvollstreckung in eigene Schulden zu erzielen. Werner wendet sich gegen diese Ansicht, stellt aber fest, daß ein derartiges Vorgehen tatsächlich nicht mit teleologischer Auslegung von § 393 BGB erfaßt wird, da der eindeutige Wortlaut „Aufrechnung" keine so weitgehende Interpretation zuläßt. Er hält jedoch in Umgehungsfällen eine Analogie für möglich. Das Gegenbeispiel eines mißlungenen Umgehungsversuchs lag einer Entscheidung des HansOLG Hamburg zugrunde 31 . Der Kläger einer Räumungsklage 28 Benkendorff WuW 1954, 147 (148 Fn.5) hält sogar Wahl- oder Eventualentscheidungen für möglich. 2 9 Zur Rechtsfolge der Gesetzesumgehung im einzelnen unten § 7 II. 30 Werner, Umgehung von Aufrechnungshindernissen, S. 125ff., 128ff. 3 1 HansOLG Hamburg 2 4 . 4 . 1968 - 4 U 7/68, M D R 1968, 846.

II. Theoretische

Abgrenzung

87

wollte die Zuständigkeit des Landgerichts erschleichen, indem er seine Klage nur auf § 985 BGB stützte. Jedoch kommt es für die Zuständigkeit des Gerichts nicht auf die vom Kläger vorgetragenen Anspruchsgrundlagen an, das Amtsgericht blieb also trotz dieses vermeintlichen Kunstgriffes zuständig nach § 23 Nr. 2 a GVG. In diesem Fall greift mithin bereits der Geltungsbereich der umgangenen Norm, eine Analogie ist nicht erforderlich. Es liegt also keine Gesetzesumgehung vor.

2. Umgehung als Auslegungsargument Anders ist die Ausgangslage, wenn es nur um den Umgehungsbegriff geht, der wie oben erwähnt - als Auslegungsargument verwendet wird. Soweit sich die Rechtsanwendung tatsächlich im Rahmen der Auslegung hält, liegt kein Umgehungsfall vor. Statt dessen wird eine gewöhnliche Subsumtion auf das Umgehungsargument gestützt: Die Norm sei in dieser Weise auszulegen, um ihre Umgehung - und zwar allgemein, nicht nur im konkreten Fall - zu verhindern. Der Rechtsbegriff der Gesetzesumgehung wird damit zu einem Argument im Rahmen teleologischer und u.U. auch systematischer oder historischer Auslegung. Ein Beispiel bildet die oben erwähnte Entscheidung des BGH aus dem Jahre 195 8 32 : § 817 BGB muß teleologisch so ausgelegt werden, daß er auch Ersatzansprüche erfaßt, die anstelle des durch § 817 S. 2 BGB ausgeschlossenen Rückforderungsanspruchs begründet werden. Ohne eine derartige Auslegung könnte die gesetzliche Regelung weitgehend ausgehebelt werden. Eine derartige Argumentation bringt aber auch die Gefahr der Beliebigkeit mit sich: Mit der Behauptung, die Gesetzesumgehung müsse vermieden werden, können Tatbestandsmerkmale unkontrolliert ausgeweitet werden. Verdeutlicht werden kann das mit der oben erwähnten Entscheidung zum „UnfallhilfeRing" 33 : Der BGH hatte sich hier mit dem Umgehungsargument kurzerhand darüber hinweggesetzt, daß das Rechtsberatungsgesetz als Ausnahmegesetz grundsätzlich eng auszulegen ist. Zusammenfassend gilt für das Verhältnis von Gesetzesumgehung und Auslegung: Gesetzesumgehung und Auslegung schließen sich methodisch aus. Fällt eine Geschäft oder eine sonstige Handlung unter den durch Auslegung ermittelten Geltungsbereich einer Norm, kann es die Norm nicht gleichzeitig umgehen. Allerdings kann der Begriff der Umgehung als Auslegungsargument eine Rolle spielen. Mit der Gefahr von Gesetzesumgehungen kann die erweiternde teleologische oder systematische Auslegung einer Norm begründet werden; allerdings darf das nicht pauschal geschehen.

32 33

BGH 25.9. 1958 - VII ZR 85/57, BGHZ 28, 164. BGH 6.11. 1973 - VI ZR 194/71, BGHZ 61, 317 (320).

Zweiter

Teil

Gesetzesumgehung im praktischen Fall „Das Recht erscheint,

vom Ergebnis

aus gesehen,

einer Umgehung

unzugänglich."

So Kegel zum IPR 1 . Diese Aussage gilt in gleicher Weise für das Sachrecht. Sie beschreibt folgendes Phänomen: Wenn eine Umgehung von der „umgangenen" Norm erfaßt wird, liegt keine Umgehung vor, sondern nur ein mißlungener Umgehungsversuch. Hat die Umgehung dagegen Erfolg, wird die umgangene Norm nicht verletzt: Es liegt also kein Rechtsbruch vor, oder, wie Kegel es plastisch ausdrückt: „dann ist sie Umgehung in dem faden Sinne, in dem wir z.B. täglich den § 2 1 1 StGB dadurch ,umgehen', indem wir nicht morden". Danach ist Gesetzesumgehung systematisch als Rechtsbegriff überflüssig. Dennoch kann sich jeder Jurist unter Gesetzesumgehung etwas vorstellen. Es gibt diesen Begriff in allen Rechtsordnungen der Gegenwart und Vergangenheit, und sei es auch nur im Rahmen der Gesetzgebung. Gesetzesumgehung muß demnach Besonderheiten aufweisen, die sie über den von Kegel genannten „faden Sinn" hinaus zu einem Spezifikum macht. Worin jedoch liegen diese Besonderheiten im einzelnen? Ein Hauptproblem der Gesetzesumgehung besteht darin, daß dieser Rechtsbegriff so oft verwendet wird, wie er Undefiniert ist. Selbstverständlich setzt Umgehung ein Handeln voraus, durch das Tatbestand und Rechtsfolgen eines bestimmten Rechtssatzes vermieden werden. Was macht eine Vermeidung zu einer Umgehung? Muß sie einen Verstoß gegen den Sinn des Gesetzes enthalten 2 ? Muß sie „in ungewöhnlicher Weise" erfolgen 3 ? Muß sie „anstößig" oder „sittenwidrig" sein 4 ? Oder hat sie gar keine Besonderheiten, sondern ist aufgrund der heutigen verfeinerten Methoden der Gesetzesauslegung überflüssig geworden? Die Rechtsunsicherheit auf diesem Gebiet wird insbesondere dadurch ausgelöst, daß weitgehend unklar ist, wann eine Umgehungen toleriert werden kann und wann nicht.

1 2 3 4

Kegel, IPR, 7. Aufl., S.349; ähnlich Kegel/Schurig, IPR, S.419. So die heute wohl gängige Definition, grundlegend Teichmann, S. 15 ff. So Junker, IPR, Rdnr. 184; Kegel Ö J Z 1958, 15. Dazu unten § 9 II.2.a); zum IPR § 15 III.4.

§ 7 Das umgangene Gesetz Ein selbständiges Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung wird von der heute ganz herrschenden Meinung abgelehnt. Wenn die Umgehung bestimmte „Besonderheiten" aufweist, muß sie das noch nicht zu dem eigenständigen Rechtsinstitut machen. Sie wird damit jedoch zu einem eigenständigen Rechtsproblem. Das bedeutet, daß sich dem Rechtsanwender unter gleichartigen Voraussetzungen bestimmte Aufgaben stellen und daß auch die Rechtsfolgen Parallelen aufweisen. Unzweifelhaft haben alle Umgehungsfälle zumindest eines gemeinsam: ein umgangenes Gesetz. Es bildet daher den Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen. Dabei ist zunächst zu klären, in welcher Weise ein Gesetz betroffen sein muß, damit die Vermeidung seines Tatbestandes zu einer Umgehung wird. Weiter stellt sich die Frage, ob alle Gesetze „umgehungsfähig" sind oder ob sie bestimmte formelle und inhaltliche Voraussetzungen aufweisen müssen, damit eine Vermeidung zu einer Umgehung wird. So ging vor allem die frühere Rechtsprechung nur dann von einer Gesetzesumgehung aus, wenn Verbotsgesetze betroffen waren 5 . Dabei wird in der Literatur zwischen „Zweckverboten" und „Wegverboten" unterschieden; danach kommt es darauf an, ob das umgangene Gesetz nur ein bestimmtes Ergebnis verhindern will oder eine bestimmte Vorgehensweise. Wer ein Gesetz umgeht, tut das in der Regel, um seine Rechtsfolge zu vermeiden. Demgemäß entspricht die Rechtsfolge der Gesetzesumgehung nach heute herrschender Meinung der des umgangenen Gesetzes - sog. Gleichstellung. In der Praxis ist dagegen oft vom „nichtigen Umgehungsgeschäft" oder der „Gesetzesumgehung gemäß § 134 BGB" die Rede. Es fragt sich also, ob sich die Rechtsfolge der Umgehung immer aus dem umgangenen Gesetz ergibt oder ob Besonderheiten bestehen.

5

O b e n § 2 III.2.

I. Voraussetzungen

der

I. Voraussetzungen der

Gesetzesumgehung

91

Gesetzesumgebung

1. Gesetzesumgehung und Gesetzesvermeidung a) Sinn und Z,iel von

Gesetzen

Die Feststellung von Kegel, das Recht erschiene, vom Ergebnis aus gesehen, einer Umgehung unzugänglich, enthält die Frage nach der Abgrenzung von Gesetzesumgehung und erlaubter Gesetzesvermeidung oder Tatbestandsplanung. Grundsätzlich besteht Einigkeit darin, was die Besonderheit der Gesetzesumgehung ausmacht: Es liegt ein Verstoß vor zwar nicht gegen den Wortlaut, aber gegen den Inhalt einer Rechtsnorm, den Paulus in der eingangs zitierten Digestenstelle als sententia legis bezeichnet 6 . Die Formulierungen gleichen sich 7 . Exemplarisch kann die ebenfalls eingangs zitierte Definition der Gesetzesumgehung aus der Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu befristeten und Kettenarbeitsverträgen stehen. Danach liegt eine Gesetzesumgehung vor, wenn der Zweck einer zwingenden Rechtsnorm dadurch vereitelt wird, daß andere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten mißbräuchlich verwendet werden 8 . Römer sieht die „schädliche Wirkung der Gesetzesumgehung, um derentwillen sie bekämpft wird, [...] darin, daß sie - obwohl den Gesetzeswortlaut respektierend - gegen den Geist, den Zweck des umgangenen Rechtssatzes verstößt" 9 . Gesetzesumgehung wird also als Verstoß gegen den Zweck oder Sinn eines Gesetzes angesehen. Der Sinn und Zweck sei dabei mit den Mitteln der Auslegung, ggf. teleologischer Auslegung, zu ermitteln 10 . Teichmann11 hat daher diese Definitionen kritisiert: Sie führten zu einer Gleichsetzung von Gesetzesumgehung und Auslegung, obwohl nach zutreffender und inzwischen ganz überwiegender Meinung Gesetzesumgehung nur dann vorliegt, wenn die Grenzen der Auslegung der umgangenen Norm überschritten sind 12 . Dadurch wird die Frage nach der sententia jedoch nicht fehlerhaft, weil sie den Ansatz für die Abgrenzung von Gesetzesumgehung und Gesetzesvermeidung bildet. Eine Überschneidung mit dem Bereich der Auslegung läßt sich vermeiden, wenn zwischen dem Sinn oder Zweck und dem Ziel eines Gesetzes differenziert wird. „Sinn" ist danach der Bereich, der von dem Gesetz erfaßt wird und der mit

Paul. (1. s. ad 1. Cinc.) D. 1, 3, 29; s.o. § 1. S. auch Gramlick/Zerres ZIP 1998, 1299 m.w.N. (Fn.l). 8 BAG-GS 12.10. 1960 - GS 1/59, BAGE 10, 65 (70) = AP Nr. 16 zu § 620 BGB befristeter Arbeitsvertrag = NJW 1961, 798. 9 Römer, S.31. 10 Vgl. schon Barthelmes, S. 11 ff.; Römer, S.31f. " Teichmann, S.62f. 12 Dazu oben §6 II.l. 6

7

92

§ 7 Das umgangene

Gesetz

Mitteln der Auslegung ermittelt werden kann, also sein unmittelbarer Geltungsbereich. D a v o n zu unterscheiden ist das Ziel des Gesetzes, dessen Intention. Das Ziel geht über den Sinn und die Grenzen der Auslegung hinaus, da die Möglichkeit besteht, daß das Gesetz diesem Ziel nicht vollständig dient. Auch das Ziel ist mit Mitteln der Auslegung festzustellen. Dabei wird vor allem die Teleologie des betroffenen Gesetzes entscheidend sein. Das Ergebnis kann dabei sein, daß das Gesetz einem bestimmten Ziel dient, diesem aber durch bloße Auslegung nicht gerecht werden kann - insbesondere aufgrund der Wortlautgrenze. Auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts kann dafür die ökonomische Analyse der betroffenen N o r m hilfreich sein 1 3 . Auch die Rechtsprechung stützt sich in Umgehungsfällen oft auf eine „wirtschaftliche Betrachtungsweise" 1 4 . Die Unterscheidung zwischen Sinn und Ziel des Gesetzes verdeutlicht, auf welche Weise die Vermeidung eines Tatbestandes zu einer Umgehung wird. Ein Gesetz kann umgangen werden, wenn sein Ziel im konkreten Fall weiter ist als sein Sinn: Das Handeln des Umgehenden widerspricht dem Ziel des Gesetzes, läßt sich aber mit seinem - durch Auslegung zu ermittelnden Sinn - nicht mehr erfassen. Steht die Ergehung im Vordergrund, liegt umgekehrt ein Handeln vor, das eigentlich vom Geltungsbereich des Gesetzes erfaßt wird, aber damit dessen Ziel konterkariert 1 5 . Das Ziel bildet somit die erste Stufe zu einer Definition der Umgehung: Eine Gesetzesumgehung liegt vor, wenn das Ziel des umgangenen Gesetzes nicht erreicht wird 1 6 . Ein Beispiel dafür bildet ein „ R e c h t s t r i c k " aus dem Gesellschaftsrecht, der bis in die Tagespresse Interesse gefunden h a t 1 7 : Das Anstellungsverhältnis von Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften wird einverständlich aufgelöst und vor Ablauf der regulären Amtszeit ein neuer Anstellungsvertrag vereinbart. Hintergrund dieser Vorgehensweise ist die Umgehung von § 8 4 A k t G . N a c h dieser Vorschrift werden Vorstandsmitglieder v o m Aufsichtsrat für die Dauer von fünf J a h r e n bestellt; für eine einmalige Verlängerung ist ein weiterer Aufsichtsratsbeschluß erforderlich. Durch die vorzeitige Vertragsverlängerung kann also das Vorstandsamt erhalten bleiben, wenn die Verlängerung durch einen später anders zusammengesetzten Aufsichtsrat nicht gesichert ist. Die Zulässigkeit dieses Vorgehens ist umstritten. Von einigen wird es für zulässig gehalten mit dem - zutreffenden - Argument, der Gesetzgeber habe es nicht 13 Ausführlich Klass, Buyout von Aktiengesellschaften, insb. S. 16f., 32ff. Allerdings sind die Möglichkeiten der ökonomischen Analyse als Mittel der Auslegung bestehender Normen und der Rechtsfortbildung begrenzt, dazu Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S.450ff. 14 Dazu Sieker, S.74ff. m.w.N. 15 Vgl. dazu AG Rosenheim 11.4. 2001 - 18 C 65/01, NJW 2001, 2030. Zum Sachverhalt der Entscheidung bereits oben § 4 I. 16 Bereits RG 19.6. 1880 - Rep. I. 607/79, RGZ 2, 40 (41) argumentiert in ähnlicher Weise mit dem „Charakter des Gesetzes, welches sonst ganz wirkungslos wäre". 17 „Mit Rechtstricks werden Vorstände bei der Stange gehalten", FAZ vom 17.10. 2001, S. 32.

I. Voraussetzungen der

Gesetzesumgehung

93

ausdrücklich ausschließen wollen 1 8 . In der Tat ist eine weitergehende auch teleologische Auslegung angesichts des Wortlauts von § 8 4 A k t G k a u m möglich: Wie auch in anderen Umgehungsfällen stößt die Auslegung an die Grenze des Gesetzeswortlauts, wenn die Umgehung in einer komplizierten, meist mehraktigen Konstruktion erfolgt 1 9 . J e d o c h liegt eine Gesetzesumgehung v o r 2 0 , weil das Ziel des Gesetzes verletzt wird, die Bestellung von Vorständen in regelmäßigen Abständen durch den Aufsichtsrat kontrollieren zu lassen.

b) Bestimmung

des Ziels

Die erste Stufe bei der Bearbeitung von Umgehungsfällen besteht also in der Feststellung, o b das Ziel des Gesetzes verletzt worden ist. Voraussetzung ist die Unvollkommenheit des Gesetzes: Es m u ß ein Wertungswiderspruch in der Weise bestehen, daß vergleichbare Tatbestände teils unter den Geltungsbereich des Gesetzes fallen, teils nicht 2 1 . Es müssen also zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens ist die Umgehung nicht mehr von der Auslegung des Gesetzes erfaßt und zweitens verstößt die Gesetzesumgehung gegen das Ziel des Gesetzes. Das Ziel des Gesetzes ist wie sein Geltungsbereich mit den Mitteln der Auslegung zu ermitteln, aber ohne deren Grenzen. Dabei k o m m t es meist auf die Teleologie an. In einigen Fällen k o m m t daneben der systematischen Auslegung nach der Gesamtheit der Rechtsordnung eine besondere Rolle zu. Es geht um Handlungen, in denen zwar eine Gesetzesumgehung gesehen werden kann, die aber andererseits ausdrücklich erlaubt sind. Ein Beispiel bildet die Befristung eines Arbeitsvertrages auf Grundlage des T z B f G oder des früheren B e s c h F G , die nicht als Umgehung des Kündigungsschutzes angesehen werden kann. In einer Entscheidung des O L G H a m b u r g ging es um die Frage, o b durch einen Wohnrechtsvertrag mietrechtliche Regelungen umgangen werden k ö n n t e n 2 2 . N a c h Ansicht des O L G ist eine Umgehung ausgeschlossen, wenn entsprechende gesetzliche Regelungen zur Verfügung stehen. Die Abgrenzung zwischen Sinn und Ziel wird oft nicht eindeutig möglich und das Ziel des Gesetzes auch nicht immer eindeutig festzustellen sein. Daraus ergeben sich jedoch keine Bedenken, da es sich vorrangig um eine definitorische Abgrenzung handelt: Als erste Stufe legt die Frage nach dem Verstoß gegen das Ziel eines Gesetzes fest, welche Verhaltensformen als Umgehung in Betracht k o m m e n und welche von vornherein ausscheiden. Nicht alles, was definitorisch eine Ge18

Willemer, AG 1977, 130.

Vgl. dazu oben § 6 II.l. zur Umgehung von § 393 BGB. Auch hier ist es nicht möglich, die Umgehung durch Zwangsvollstreckung in eigene Schulden mit Auslegung der Norm zu erfassen. 2 0 So auch Mertens in: Kölner Kommentar zum AktG, § 85 Rdnr. 18. 2 1 Vgl. Huber JurA 1970, 784 (799). 2 2 OLG Hamburg 6 . 1 . 1982 - 4 U 191/81, Z M R 1983, 60 (61). 19

94

5 7 Das umgangene

Gesetz

setzesumgehung ist, m u ß deswegen unwirksam sein oder andere Sanktionen auslösen - diese Frage stellt sich vielmehr erst auf einer zweiten Stufe 2 3 .

2. Umgehungsfähigkeit von Gesetzen a) Die „Umgehungsfähigkeit" ist keine Fähigkeit des Gesetzes im eigentlichen Sinne, sondern weist auf eine Eigenschaft hin: Umgehungsfähig sind Gesetze, deren Umgehung ein Problem für die Rechtsordnung darstellen kann. Eine besondere Rolle in der Praxis spielt die Umgehung von Verbotsgesetzen. M a n c h e Gerichtsentscheidungen lesen sich, als sei Gesetzesumgehung überhaupt nur bei Verbotsgesetzen im Sinne des § 1 3 4 B G B möglich 2 4 ; im 1 9 . Jahrhundert wollten viele von einem Handeln in fraudem legis nur bei Verboten sprechen 2 5 . N a c h heute ganz herrschender Meinung können nicht nur Verbotsgesetze O b jekt einer Gesetzesumgehung sein 2 6 . O f t werden N o r m e n umgangen, die weder Verbot noch G e b o t , sondern eine bloße Rechtsfolgenanordnung enthalten. Das zeigt sich an den Kollisionsnormen des I P R , die nur eine Rechtsordnung für anwendbar erklären (nicht etwa die Anwendung einer anderen verbieten) 2 7 . Im materiellen Recht bilden die oft umgangenen Formvorschriften ein einleuchtendes Beispiel: Es ist nicht verboten, formlos ein Grundstück oder einen G m b H Anteil zu verkaufen, es ist einfach nicht möglich. Auch die eben erwähnte Vorschrift § 8 4 A k t G ist keine Verbotsregelung. b) Im französischen Recht setzt eine „fraude ä la l o i " voraus, daß das umgangene Gesetz „obligatoire" ist. Auch zum deutschen Recht wird verbreitet angen o m m e n , eine Gesetzesumgehung sei nur hinsichtlich bindender N o r m e n möglich 2 8 . Das ist darauf zurückzuführen, daß dispositive N o r m e n abbedungen werden können; ihre „ U m g e h u n g " also regelmäßig einen - konkludenten - Ausschluß darstellen wird. Dennoch ist die Aussage, nur zwingende N o r m e n könnten umgangen werden, für zwei Fallgruppen zu pauschal. Die erste Fallgruppe betrifft N o r m e n , die zwar abbedungen werden können, jedoch nicht von demjenigen, der sie umgeht. So ist beispielsweise die Beschränkung des Selbstkontrahierens in § 1 8 1 B G B grundsätzlich dispositiv; allerdings kann sie nur von dem Vertretenen abbedungen werden, nicht vom Vertreter. O b wohl das Verbot des Insichgeschäfts nicht zwingend ist, liegt also eine GesetzesDazu unten § 8 II.2. Vgl. BGH 8.6. 1983 - VIII ZR 77/82, NJW 1983,2873 und KG 24.9. 1996 - 1 W 4534/ 95, NJW-RR 1997, 794; mißverständlich auch Staudinger - Sack § 134 Rdnrn. 144ff. 25 Dazu Barthelmes, S.4ff. mit Nachweisen. In RG 10.1. 1885 - Rep. I. 431/84, RGZ 13, 200 wurde die Umgehung durch Sicherungsübereignung mit der Begründung abgelehnt, es sei kein Verbotsgesetz betroffen. Dazu im einzelnen oben §2 III.2. 2 6 A.A. nur MünchKomm-Mayer-Maly/Armbrüster § 134 Rdnrn. 11 ff. 27 Schurig, Gesetzesumgehung, S. 380, der § 1205 BGB und § 451 ABGB als weitere Beispiele nennt. 28 Barthelmes, S. 3f.; Römer, S. 29ff.; Schurig, Gesetzesumgehung, S.380. 23

24

I. Voraussetzungen

der

Gesetzesumgehung

95

umgehung vor, wenn nicht befreite Vertreter § 181 BGB umgehen; beispielsweise durch Bestellung von Unterbevollmächtigten 29 . Problematisch sind solche Geschäfte vor allem, wenn sie zu Lasten der vertretenen juristischen Person oder ihrer Gläubiger gehen. Größere Vorsicht ist bei der zweiten Fallgruppe geboten: Der Umgehung von Normen, die zwar grundsätzlich dispositiv sind, gleichzeitig aber dem Schutz einer Vertragspartei dienen; ein Beispiel bilden die Gewährleistungsregeln des Kaufrechts. Diese Regeln können durch vertragliche Gestaltungen umgangen werden; indem z.B. ein Geschäft abgeschlossen wird, das die wirtschaftlichen Folgen des Kaufs hat, aber nicht unter §§434ff. BGB fällt. Insbesondere dann, wenn das mit einer Fehlvorstellung der geschützten Partei über die Konsequenzen der „Umgehung" verbunden ist, kann durchaus ein Bedürfnis bestehen, derartige Geschäfte für unwirksam zu erklären 30 . Allerdings werden solche Fälle äußerst selten sein. Es ist im Einzelfall sorgfältig zwischen Abbedingung und Umgehung abzugrenzen; überdies greift in schwerwiegenden Fällen bereits §138 Abs. 1 BGB ein. Die erwähnten Fallgruppen zeigen jedoch, daß auch bei dispositiven Gesetzen eine Gesetzesumgehung nicht pauschal ausgeschlossen werden kann. c) Darüber hinaus bestehen hinsichtlich der Umgehungsfähigkeit keinerlei Einschränkungen. Insbesondere können nicht nur formelle Gesetze umgangen werden, sondern alle bindenden Rechtsnormen. Damit ist auch eine Umgehung von Gewohnheitsrecht möglich. Das wird jedoch selten der Fall sein: In der Regel werden Bestimmungen umgangen, die dem Verkehr lästig sind; unter solchen Voraussetzungen wird sich normalerweise kein Gewohnheitsrecht herausbilden 31 . Darüber hinaus ist eine Umgehung von Gewohnheitsrecht auch nur begrenzt möglich, weil ihm ein präziser Wortlaut fehlt 32 . In gleicher Weise kann auch Richterrecht umgangen werden, sei es als „herrschende Auslegung" des umgangenen Gesetzes, aber auch als Umgehung durch Rechtsfortbildung geschaffener Tatbestände. Das OLG Karlsruhe begründete 1986 eine Entscheidung mit Umgehung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die unzulässige Globalzession 33 .

29 S. dazu R G 2 7 . 9 . 1 9 2 4 - V 367/23, R G Z 1 0 8 , 4 0 5 ; B G H 2 4 . 9 . 1 9 9 0 - 1 1 Z R 167/89, N J W 1991, 6 9 1 mit unterschiedlichen Ergebnissen. Z u r U m g e h u n g von § 181 BGB auch B G H 3 0 . 1 1 . 1955 - VI Z R 95/54, B G H L M Nr. 19 zu § 134 BGB. 30 Z u m Parallelproblem der Gesetzesumgehung d u r c h Rechtswahl im IPR unten § 13 II.2. 31 Barthelmes, S. 3 f. mit römisch-rechtlichem Beispiel. 32 Römer, S.29. 33 O L G Karlsruhe 2 8 . 1 . 1 9 8 6 - 8 U 4 5 / 8 5 , N J W - R R 1 9 8 6 , 925. LG Düsseldorf 1 4 . 7 . 1 9 9 9 12 O 2 1 5 / 9 9 , ZIP 1 9 9 9 , 1 7 9 6 hat die U m g e h u n g von BGH-Rechtsprechung g e p r ü f t , allerdings im Ergebnis abgelehnt.

96

§ 7 Das umgangene

Gesetz

3. Zweckverbote und Wegverbote In Literatur und Rechtsprechung wird die Umgehungsfähigkeit von Gesetzen mitunter durch Unterscheidung von Zweckverboten und Wegverboten bestimmt. Dieser Ansatzpunkt ist vor allem im schweizerischen Recht gebräuchlich; ähnliche Abgrenzungen werden aber auch in Deutschland vorgenommen 3 4 . Inhaltlich ist mit der nicht ganz eindeutigen Terminologie folgendes gemeint: Die umgangene Norm wird danach beurteilt, ob sie ein Ergebnis, einen Erfolg verbietet oder ob sie sich nur gegen bestimmte Mittel richtet, während das Ergebnis nicht beanstandet wird 3 5 . Ein Beispiel bildet ein Fall der Umgehung von § 181 BGB 3 6 : Zwischen zwei Gesellschaften, die von denselben Personen vertreten wurden, wurde statt eines Erlaßvertrages ein pactum de non petendo geschlossen. Der BGH hielt das für wirksam: Ein zur Umgehung eines Verbotsgesetzes vorgenommenes Geschäft sei nur dann nichtig, wenn das Verbot die Verwirklichung des Erfolges verhindern wolle, nicht dagegen, wenn es nur eine bestimmte Geschäftsform untersagen wolle. Da - wie erwähnt - keineswegs nur Verbotsgesetze umgangen werden können, muß die Bezeichnung „Zweck- und Wegverbote" dahingehend präzisiert werden, daß es um Regelungen von Ziel oder Mitteln eines Rechtsgeschäfts geht. Fraglich bleibt, ob die Unterscheidung zwischen Zweck und Weg zu einer Objektivierung bei der Unterscheidung von Gesetzesumgehung und Tatbestandsplanung beitragen kann 3 7 . Es entsteht die Gefahr eines Zirkelschlusses: Der Unterschied zwischen „Zweckverbot" und „Wegverbot" ergibt sich gerade daraus, daß die Regelung des Zweckverbots weiter ist, um auch Umgehungsgeschäfte zu verhindern. Außerdem ist oft nicht ersichtlich, was eine Norm verbietet. So kann § 1 2 0 5 BGB bei der deutsch-österreichischen Meinungsverschiedenheit zur Sicherungsübereignung nicht weiterhelfen: Es ist nicht erkennbar, ob die Norm nur den Weg der Verpfändung ohne Besitzübergabe verhindern will oder das Ergebnis, nämlich ein besitzloses Kreditsicherungsrecht. Die Einteilung in Zweck- und Wegverbote kann also dazu führen, daß inhaltliche Argumentation durch nur scheinbar objektive Kriterien ersetzt wird. Ein Bei-

3 4 So Westerhoff, S.46ff. (§ § 5 3 ff.) m.w.N.; auch MünchKomm-May er-Maly/Armbrüster § 1 3 4 Rdnr. 17; zum schweizerischen Recht Berner Kommentar - Merz Art. 2 Z G B Rdnr. 90; Tuor/Scbnyder/Schmid, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, S. 57f., Fn. 26. O L G Hamm 4 . 1 1 . 1 9 8 7 - 1 2 U 28/87, NJW-RR 1 9 8 8 , 1 1 1 7 (1118) definiert die Gesetzesumgehung als „erlaubtes Rechtsgeschäft, durch das ein verbotener Erfolg herbeigeführt werden soll"; ähnlich auch O L G Hamm 1 6 . 1 2 . 1982 - 2 8 U 198/82, N J W 1 9 8 3 , 2 7 0 8 , wo es allerdings um die Umgehung eines Verbotsgesetzes ( § 5 Abs.2 BBiG) ging. 35 Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 8 0 . 3 6 BGH 3 0 . 1 1 . 1955 - V I Z R 95/54, BGH LM Nr. 19 zu § 1 3 4 BGB; ähnlich BGH 2 . 1 2 . 1958 - VIII Z R 154/57, N J W 1959, 332. 37 Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 8 0 .

IL Rechtsfolgen

der

Umgehung

97

spiel bildet die Begründung des O L G H a m m in folgendem Fall 3 8 : Es ging um ein landwirtschaftliches Grundstück, dessen Verkauf genehmigungspflichtig war. Die Parteien schlössen daher keinen Kaufvertrag, sondern einen langfristigen Pachtvertrag; zusätzlich wurde dem Pächter ein Vorkaufsrecht eingeräumt. Außerdem hatte der Pächter das Recht, jederzeit von dem Verpächter zu verlangen, ihm das Grundstück für 3 . 2 0 0 D M zu verkaufen; der Vertrag wies darauf hin, daß der Kaufpreis bereits bezahlt war. Das O L G H a m m lehnte eine Gesetzesumgehung ausdrücklich ab. Sie liege „nicht schon dann vor, wenn der zulässige wirtschaftliche Erfolg durch ein statthaftes Rechtsgeschäft in einer anderen als der ursprünglich

beabsichtigten

Rechtsform erzielt werden k a n n " . Nach dieser Argumentation wäre die Genehmigungspflicht gegenstandslos. Auch an der Umgehungsabsicht der Parteien bestehen keine Zweifel: Sie hätten kaum einen so skurrilen Vertrag ausgehandelt, wenn der Kauf nicht genehmigungspflichtig gewesen wäre. Die Unterscheidung zwischen Zweck- und Wegverboten bildet somit für die Umgehungsproblematik selten geeignete Anhaltspunkte; sie bringt eher die Gefahr einer Scheinargumentation mit sich. Darüber hinaus ist die Frage, ob ein Gesetz sich gegen ein bestimmtes Ergebnis oder eine bestimmte Vorgehensweise richtet, keine Besonderheit von Umgehungsfällen. Sie stellt sich in gleicher Weise im Rahmen der bloßen Auslegung, wie ein Urteil des Reichsgerichts zeigt 3 9 : Es ging um eine Nebenabrede zu einem wegen Verstoßes gegen eine Konzessionspflicht nichtigen Vertrag. Die Parteien vereinbarten darin für den Fall der Aufdeckung eine Möglichkeit, ihr Ziel auf erlaubtem Weg zu erreichen. Nach dem R G ist die Nebenabrede wirksam: Ist der Zweck eines Gesetzes erlaubt, könne er auch auf verbotenem Weg erreicht werden.

II. Rechtsfolgen

der

Umgebung

Auf die - unzulässige - Umgehung von Gesetzen kann eine Rechtsordnung in zweierlei Weise reagieren: Es können dieselben Rechtsfolgen eintreten wie bei Erfüllung des Tatbestandes des umgangenen Gesetzes oder es können spezielle Sanktionen erfolgen 4 0 . Rechnet man mit der heute herrschenden Meinung die Gesetzesumgehung zum Anwendungsbereich der Analogie, kann nur ersteres der Fall sein: Die Rechtsfolge der Umgehung muß immer der Rechtsfolge der 3 8 O L G Hamm 2 6 . 1 1 . 1952 - 10 W/w 260/52, DNotZ 1953, 2 0 8 m. Anm. Reinecke. - Neben dem zitierten Teil argumentiert das OLG, die Parteien hätten den Pachtvertrag ernstlich gewollt; es geraten also Umgehungs- und Scheingeschäft durcheinander (zur Abgrenzung oben § 4 II.3.). 3 9 R G 8 . 7 . 1929 - V I I I 220/29, R G Z 125, 2 0 9 (212). 40 Barthelmes, S.23.

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§ 7 Das umgangene

Gesetz

umgangenen Norm entsprechen. Diese Rechtsfolge der Umgehung, oft als „Gleichstellung" bezeichnet, entspricht auch heute nahezu allgemeiner Auffassung 41 . 1. E n t w i c k l u n g der R e c h t s p r e c h u n g Die Rechtsprechung zur Rechtsfolge der Gesetzesumgehung bietet ein uneinheitliches Bild. In der Zeit des Reichsgerichts war die Auffassung verbreitet, Umgehungen generell als nichtig anzusehen 42 . Die Gründe lagen in der damaligen Umgehungsdoktrin 43 , da die Umgehung seinerzeit überwiegend als eigenes Rechtsinstitut mit eigenen Rechtsfolgen angesehen wurde. Das Rechtsinstitut der Umgehung wurde außerdem oft auf Verbotsgesetze beschränkt, so daß sich die Nichtigkeitsfolge aus § 1 3 4 BGB ergab 4 4 . In einigen Fällen kam die Rechtsprechung aber auch zur Nichtigkeit, obwohl es nicht um Verbotsgesetze ging. Als Fehlentscheidung bereits erwähnt wurde ein Urteil des B G H aus dem Jahre 1961 zur Umgehung eines gesetzlichen Vorkaufsrechts durch Bestellung eines Nießbrauchs 4 5 . Der B G H erklärte den Vertrag über den Nießbrauch für nichtig und begründete seine Entscheidung mit § 134 BGB, obwohl ein Verbotsgesetz, welches umgangen worden wäre, nicht ersichtlich war. Dem Vorkaufsberechtigten war mit diesem Ergebnis wenig geholfen, da sein Interesse sich nicht auf die Nichtigkeit des Vertrags, sondern den Eintritt des Vorkaufsfalles richtete. In den 1990er Jahren erkannte die Rechtsprechung diesen Fehler: Umgehungen von Vorkaufs- oder Wiederkaufsrechten sollten nunmehr den Vorkaufsfall auslösen 4 6 .

4 1 Grundlegend Römer, S. 50ff.; Schurig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 0 , 4 0 6 ; Westerhoff, S. 86ff. (§§ 87ff.); auch Barthelmes, S.23ff.; vgl. auch Teichmann, S.78ff.; Sieker, S. 136ff. Anders MünchKomm-Mayer-Maly/Armbrüster § 134 Rdnrn. 17f., der grundsätzlich von Nichtigkeit ausgeht, sich allerdings auf die Umgehung von Verbotsgesetzen beschränkt. 4 2 So R G 1 0 . 1 . 1885 - Rep. I. 431/84, R G Z 1 3 , 2 0 0 (203) zum gemeinem Recht; BGH 9 . 1 0 . 1956 - II Z B 11/56, BGHZ 2 1 , 378 (382ff.) obiter. 4 3 Dazu oben § 2 III.2.; IV. 1. 4 4 Dazu R G 1 1 . 6 . 1 9 1 5 - R e p . III. 599/14, R G Z 87, 156 (157f.); R G 2 8 . 1 0 . 1 8 9 9 - R e p . I. 2 4 2 / 9 9 , R G Z 4 4 , 103 (108). Die gesetzliche Regelung der Umgehung in § 80 sächsisches BGB besagte, die Gesetzesumgehung sei dem offenen Zuwiderhandeln gleichzustellen; dazu R G 2 2 . 4 . 1896 - Rep. VI. 57/96, R G Z 37, 58 (62). Heute wird diese Auffassung noch von MünchKomm-Mayer-Maly/Armbrüster § 134 Rdnrn. 17f. vertreten; neuerdings ebenso Pentz ZIP 2 0 0 3 , 2 0 9 3 (2100). 4 5 BGH 2 5 . 1 . 1961 - V Z R 80/59, B G H Z 3 4 , 2 0 0 ; dazu Schurig, Gesetzesumgehung, S. 380; Staudinger-Mader § 5 0 4 Rdnr.20. 4 6 BGH 1 1 . 1 0 . 1 9 9 1 - V Z R 127/90, B G H Z 115, 3 3 5 = N J W 1 9 9 2 , 2 3 6 = J R 1 9 9 2 , 4 1 5 , begründete das mit einer vorsichtigen Ausdehnung des damaligen § 5 0 4 BGB (heute § 4 6 3 BGB) auf kaufähnliche Verträge. So auch schon O L G Nürnberg 2 7 . 9 . 1990 - 2 U 950/90, NJW-RR 1 9 9 2 , 4 6 1 ; ebenso für ein Wiederkaufsrecht OLG Düsseldorf 2 1 . 1 2 . 1994 - 9 U 93/94, NJWR R 1995, 5 2 2 . Kritisch dazu Schermaier AcP 96 (1996), 256.

II. Rechtsfolgen

der

Umgehung

99

Weniger bekannt ist eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1971 47 . Die Kläger hatten von dem Beklagten eine Wohnung gemietet und ein Mieterdarlehen von 7.000 D M gezahlt. Dieses Darlehen wurde zinslos gewährt und war mit nur 2 % jährlich zu tilgen. Bei vorzeitiger Beendigung des Mietvertrages konnten die Mieter nicht die sofortige Rückzahlung des Mieterdarlehens verlangen, sondern nur die jährlichen Tilgungsbeträge. Der BGH sah in dieser Vereinbarung eine Umgehung der damaligen Regelung §557a BGB (heute §547 BGB). Sie sei „gemäß § 134 BGB insoweit nichtig, als sie den Rückzahlungsanspruch des Klägers vereitelt. Darauf, ob der Beklagte sich einer Gesetzesumgehung bewußt war oder eine solche gar anstrebte, kommt es nicht an". An dem Urteil ist zutreffend, daß es dem Schutzzweck des § 557 a BGB a.F. widerspricht, wenn der Vermieter ohne entsprechende Gewährung des Mietgebrauchs Mittel, die ihm der Mieter aus Anlaß des Vertragsschlusses gegeben hat, zinslos nutzt (heute in § 547 BGB ausdrücklich geregelt) 48 . § 134 BGB ist jedoch nur dann die richtige Begründung, wenn man Umgehungsgeschäfte grundsätzlich unter diese Norm fallen läßt. § 557a BGB a.F. war ebenso wie § 547 BGB n.F. kein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB: Verbote müssen sich gerade gegen den Inhalt oder die Vornahme eines bestimmten Rechtsgeschäfts richten; allgemeine Beschränkungen der rechtsgeschäftlichen Gestaltungsmacht genügen nicht 49 . Nach der herrschenden Lehre ist nicht eine Nichtigerklärung, sondern eine „Gleichstellung" das richtige Ergebnis. Die vertragliche Vereinbarung ist also nicht nichtig, sondern es gelten die Rechtsfolgen des § 547 (§ 557 a) BGB: ein Erstattungsanspruch nach §§ 346f. BGB (früher § 347 BGB) oder - wenn der Vermieter die Beendigung des Mietverhältnisses nicht zu vertreten hat - nach Bereicherungsrecht. Nichtigkeit kann allerdings auf anderem Wege begründet werden: Da es in jedem Falle 50 Jahre gedauert hätte, bis das zinslose Darlehen getilgt worden wäre, liegt eine Anwendung von § 138 BGB nahe. Seit Beginn der 1990er Jahre scheint die „Nichtigkeitstheorie" 50 in der Rechtsprechung nicht mehr vertreten zu werden. Eine Ausnahme macht die Arbeitsgerichtsbarkeit, die beispielsweise die Umgehung von §613a BGB durch Aufhebungsverträge o.ä. bis heute als „nichtig nach § 134 BGB" ansieht 51 . Auf der anderen Seite greift aber auch die Arbeitsrechtsprechung zum Mittel der „Gleich-

47

BGH 23.6. 1971 - V I I I ZR 166/70, BGHZ 56, 285 (289). Soergel-Heintzmann § 5 5 7 a Rdnr. 8. 49 Palandt-Heinrichs § 134 Rdnr.5; Soergel - Hefermehl § 134 Rdnrn. 2f. 50 So Römer, S. 50. 51 BAG 28.4. 1 9 8 7 - 3 AZR 1988/120, ZIP 1988, 120 (122) = NZA 1988,198; BAG 11.7. 1995 - 3 AZR 154/95, AP Nr. 56 zu § 1 TVG Tarifverträge m.w.N.; LAG Düsseldorf 13.12. 1985 - 9 Sa 781/85, NZA 1986, 399; BAG 1 0 . 1 2 . 1 9 9 8 - 8 AZR 324/97, DB 1999,537; BAG 21.1. 1 9 9 9 - 8 AZR 218/98, ZIP 1999, 1572; im einzelnen unten §11 IV.l.b). 48

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§ 7 Das umgangene

Gesetz

Stellung", wenn anderenfalls ein Arbeitsvertrag für nichtig erklärt werden müßte 52 . Die Besonderheiten des Falles können allerdings Modifikationen erforderlich machen. Ein Beispiel bildet die Umgehung von Abstimmungsverboten des Kapitalgesellschaftsrechts. In einem Fall des O L G Düsseldorf hatte ein Gesellschafter einer G m b H seinen Geschäftsanteil abgetreten, damit der Erwerber mit abstimmen und auf diese Weise das Abstimmungsverbot des § 4 7 Abs. 4 G m b H G umgangen werden konnte 5 3 . Das OLG erklärte zutreffend auf der Grundlage der Gleichstellungslehre nicht die Abtretung für nichtig, sondern das Abstimmungsverbot für anwendbar. Die Umgehung führte jedoch zu einer „Verdoppelung" des Verbots: Es waren sowohl Erwerber als auch Veräußerer vom Stimmrecht ausgeschlossen. 2 . R e c h t s f o l g e n in b e s o n d e r e n Fällen Die „Gleichstellung" der Rechtsfolge der Umgehung mit der Rechtsfolge der umgangenen N o r m ist somit auch in der Rechtsprechung zum Regelfall geworden. Dennoch gibt es einige Fälle, in denen das Umgehungsgeschäft nichtig ist. Darin liegt kein Widerspruch zum Grundsatz der „Gleichstellung", wenn sich die Nichtigkeit aus anderen Normen ergibt. Insbesondere kann man auf dem Wege der analogen Anwendung einer umgangenen Verbotsnorm zu § 134 BGB kommen; andere Nichtigkeitsgründe sind §§ 138, 117 Abs. 1 BGB. In anderen Fällen ergeben sich aus der Natur der Sache besondere Rechtsfolgen. Das gilt vor allem für den praktisch häufigen Fall der Umgehung einer behördlichen Genehmigungspflicht: Die herrschende Meinung sieht in diesem Fall in der Umgehungsabsicht einen Grund für die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts. In anderen Fällen führt die „Gleichstellung" nicht zu einem eindeutigen oder nicht zu einem sachgerechten Ergebnis. Beispiele dafür lassen sich vor allem im Arbeitsrecht finden.

52 Ein einleuchtendes Beispiel bildet BAG 1 1 . 1 2 . 1985 - 5 A Z R 135/85, BAGE 50, 292: Die Parteien hatten einen „ Aushilfs-Arbeitsvertrag" geschlossen, der - angeblich zur Deckung eines vorübergehenden Personalbedarfs - auf die Zeit vom 19. September 1983 bis zum 16. O k t o b e r 1983 befristet werden sollte. Der Kläger w u r d e in dieser Zeit arbeitsunfähig krank und machte Ansprüche auf L o h n f o r t z a h l u n g geltend. Das BAG sah in der Befristung des Arbeitsvertrags eine U m g e h u n g der damals geltenden N o r m § 1 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 L F Z G (jetzt § 3 Abs. 3 EFZG), w o n a c h kein L o h n f o r t z a h l u n g s a n s p r u c h besteht, w e n n das Arbeitsverhältnis n u r vier Wochen besteht. Werde von d e m L F Z G in objektiv funktionswidriger Weise Gebrach gemacht, f ü h r e das aber nicht zur Nichtigkeit des Arbeitsvertrages, sondern die umgangene N o r m ist anzuwenden. 53 O L G Düsseldorf 8 . 3 . 2 0 0 1 - 6 U 64/00, DB 2 0 0 1 , 2 0 3 5 .

II. Rechtsfolgen

a) Nichtigkeit

des

der

Umgehung

101

Umgehungsgeschäfts

aa) Auch auf Grundlage der „Gleichstellungslehre" sind Umgehungsgeschäfte oft nichtig. Ist die umgangene N o r m - wie häufig - eine Verbotsnorm, ist die Umgehung dem Verstoß gegen die Verbotsnorm gleichzustellen. Damit ist auf diesem Wege § 1 3 4 BGB anwendbar. Der Unterschied zu der früher vertretenen „Nichtigkeitstheorie", liegt darin, daß § 1 3 4 BGB nicht bereits deshalb angewandt wird, weil eine Gesetzesumgehung vorliegt. Statt dessen müssen kumulativ mehrere Voraussetzungen vorliegen: Das umgangene Verbotsgesetz muß auf das Umgehungsgeschäft im Wege der Gleichstellung angewandt werden können. Zusätzlich müssen die Voraussetzungen des § 134 BGB erfüllt sein; das analog angewandte Gesetz m u ß also ein Verbotsgesetz im Sinne dieser Vorschrift sein und es darf sich aus dem Verbot keine andere Rechtsfolge ergeben 5 4 . Beispiele finden sich sowohl im Wirtschaftsrecht als auch im privaten Bereich. Nach den Regeln des Ausländerrechts benötigen Ausländer aus Nicht-EU-Ländern eine besondere Arbeits- oder Gewerbeerlaubnis; sonst ist ihnen die Erwerbstätigkeit im Inland verboten. Wird ein Ausländer, der keine derartige Erlaubnis hat, zum Geschäftsführer einer G m b H gemacht, sieht die überwiegende Meinung in der Rechtsprechung darin eine Umgehung des Ausländerrechts. Es greift also das Verbot der Erwerbstätigkeit ein mit der Folge, daß der Gesellschaftsvertrag nach § 134 BGB nichtig ist und die G m b H nicht eingetragen werden kann 5 5 . Nach einer Entscheidung des BGH sind auch Rechtsgeschäfte, die das Verbot der Schwarzarbeit durch besondere Vertragsgestaltungen umgehen, ebenso nach § 134 BGB nichtig wie der direkte Verstoß gegen das Gesetz 56 . Das OLG H a m m hatte sich 1982 mit einem Kaufvertrag über einen Omnibus zu befassen, der mit der Abrede verknüpft worden war, der Sohn des Käufers solle im Betrieb des Verkäufers eine Lehrstelle erhalten 5 7 . Das OLG sah darin eine Umgehung von § 5 Abs. 2 BBiG, der nach seinem Wortlaut Verbotsnormen enthalte. Es sei nach Sinn und Zweck des § 5 Abs. 2 Nr. 1 BBiG geboten, „einen solchen Vertrag als unzulässiges Umgehungsgeschäft dem gesetzlichen Verbot ebenfalls unterfallen zu lassen". Nach § 1 3 4 BGB gelte das auch dann, wenn der „durch das Verbot Geschützte die Rechtswirksamkeit wünscht und freiwillig das Rechtsgeschäft abschließt". 54 Z u diesen Voraussetzungen Soergel-Hefermehl § 134 R d n r n . 2f., 4. Z u r Nichtigkeit bei Umgehung einer Verbotsnorm auch Häsemeyer, Die Spannungen zwischen Insolvenzrecht und Privatautonomie als Aufgabe der Rechtsprechung, S. 176. 55 LG Krefeld 3 0 . 6 . 1 9 8 2 - 7 T 1/82, G m b H R 1983, 48; O L G Stuttgart 2 0 . 1 . 1984 - 8 W 243/83, M D R 1984, 4 9 5 ; KG Berlin 2 4 . 6 . 1996 - 1 W 4 5 3 4 / 9 5 , N J W - R R 1997, 794. Einschränkend LG Braunschweig 7 . 2 . 1983 - 2 2 T 1/83, DB 1983, 706: D a n a c h m u ß die G m b H zur U m g e h u n g gegründet w o r d e n sein, also Umgehungsabsicht vorliegen. Gegen das Vorliegen eines Umgehungsgeschäfts Wächter ZIP 1999, 1 5 7 7 (1583). 56 B G H 2 3 . 9 . 1 9 8 2 - V I I Z R 183/80, B G H Z 85, 39 (46). Im Entscheidungsfall ging es u m einen Baubetreuungsvertrag. 57 O L G H a m m 1 6 . 1 2 . 1982 - 28 U 198/82, N J W 1983, 2 7 0 8 .

102

§ 7 Das umgangene

Gesetz

Ein familienrechtliches Beispiel folgt aus § 1 6 1 4 B G B , wonach auf Unterhalt nicht im Voraus verzichtet werden kann. Wenn ein Elternteil des unterhaltsberechtigten Kindes den anderen von Unterhaltspflichten „freistellt", ist das nach einer anderen Entscheidung des O L G Hamm als Umgehung des § 1 6 1 4 B G B nach § 1 3 4 B G B nichtig: § 1 3 4 B G B sei auch anwendbar, wenn ein gesetzliches Verbot umgangen werde 5 8 . Das gilt nach einer Entscheidung des K G allerdings nicht, wenn durch die Vereinbarung der Unterhaltsanspruch auf andere Weise gesichert ist, indem der verzichtende Teil sich verpflichtet, für den Unterhalt alleine aufzukommen 5 9 . § 134 B G B greift allerdings nicht ein, wenn die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Verbotsnorm spezialgesetzlich geregelt ist. Ein Beispiel bildet das Rückgewährverbot in § 3 0 Abs. 1 G m b H G . Ein Verstoß gegen das Verbot löst nicht die Nichtigkeit der Auszahlung gemäß § 134 B G B aus, sondern den Rückzahlungsanspruch gemäß § 3 1 G m b H G . Nach einer Entscheidung des B G H aus dem Jahr 1 9 9 7 gilt das im Gegensatz zur früheren Rechtsprechung auch dann, wenn der Verstoß gegen § 3 0 G m b H G bewußt erfolgte, denn die Regelung des § 3 1 G m b H G sei spezieller und gelte unabhängig von subjektiven Kriterien 6 0 . bb) Die Nichtigkeit von Umgehungsgeschäften kann sich außerdem aus selbständigen Nichtigkeitsgründen ergeben; in Betracht kommt vor allem § 1 3 8 B G B 6 1 . Wie oben erörtert, hat das Umgehungsargument grundsätzlich den Vorrang 6 2 . Auf der anderen Seite kann ein Umgehungsfall auch aus Gründen sittenwidrig sein, die mit der Umgehung nichts zu tun haben. So läßt sich die Nichtigkeit in dem oben erwähnten Mieterdarlehen-Fall damit begründen, daß bis zur Rückzahlung des zinslosen Kredits 5 0 Jahre vergehen würden - unabhängig von der vorzeitigen Beendigung des Mietverhältnisses, also dem Regelungsbereich des § 5 4 7 (früher § 5 5 7 a ) B G B 6 3 . Ein weiteres Beispiel bildet der ebenfalls bereits bekannte Fall der „Deutschen Sex-Partei" 6 4 : Es ging in dem Urteil um einen Treuhandvertrag, der nichts mit der Umgehung des GjS zu tun hatte. Als letzter selbständiger Nichtigkeitsgrund kommt die Regelung des Scheingeschäfts, § 1 1 7 BGB, in Betracht 6 5 . Wie oben erörtert, ist bei Rechtsgeschäften aus dem Grenzbereich von Schein- und Umgehungsgeschäft zuerst zu prüfen, ob eine Simulation vorliegt 66 . Ist das der Fall, kommt Nichtigkeit nach § 117 Abs. 1 B G B in Betracht. Wenn § 1 1 7 Abs. 2 B G B eingreift, kann das dissimulierte Geschäft OLG Hamm 2 7 . 9 . 1976 - 8 U 66/76, FamRZ 1977, 556 (557). KG 4 . 6 . 1985 - 17 UF 6004/84, FamRZ 1985, 1073 (1074). 6 0 BGH 2 3 . 6 . 1997 - II Z R 220/95, B G H Z 136, 125 (129f.). 61 Dazu Schurig, Gesetzesumgehung S . 4 0 6 . 6 2 Oben § 4 III.l. 6 3 Dazu oben §711.1. 6 4 OLG Hamburg 7 . 3 . 1974 - 3 U 173/73, M D R 1975, 141; dazu Schurig, hung, S . 4 0 7 . 65 So auch Westerhoff., S. 105ff. (§§ 110f.). 6 6 Oben § 4 II.3. 58

59

Gesetzesumge-

II. Rechtsfolgen

der

Umgehung

103

aus anderen Gründen nichtig sein. Die Nichtigkeit des Umgehungsgeschäfts kann sich in ähnlicher Weise aus Gesichtspunkten des Rechtsmißbrauchs ergeben 6 7 . Oft ergibt sich die Nichtigkeit eines Umgehungsgeschäfts auch daraus, daß die umgangene Norm eingreift oder eine ergangene Norm nicht eingreift und daher die Wirksamkeitsvoraussetzungen des Rechtsgeschäfts nicht vorliegen. Ein Beispiel bildet die Umgehung der Sachgründungsvorschriften von Kapitalgesellschaften; beispielsweise durch verdeckte Sacheinlage. In diesen Fällen führt die Verletzung der Gründungsvorschriften dazu, daß das verdeckte Rechtsgeschäft der Gesellschaft gegenüber unwirksam ist; nach der Rechtsprechung sowohl das Verpflichtungs- als auch das Erfüllungsgeschäft 68 .

b) Umgehung von

Genehmigungspflichten

aa) Eine praktisch wichtige Sonderstellung kommt der Umgehung von Genehmigungspflichten zu. Von Genehmigungspflichten spricht man, wenn für ein privatrechtliches Rechtsgeschäft die Zustimmung staatlicher Stellen notwendig ist; anders als bei der Zustimmung Privater gemäß §§ 1 8 2 - 1 8 4 B G B wird hier nicht zwischen „Einwilligung" und „Genehmigung" unterschieden 69 . Häufig waren Genehmigungspflichten in den Militärregierungsgesetzen der Nachkriegszeit, von denen einige ausdrückliche Regelungen der Umgehung der Genehmigungspflicht enthielten 7 0 . Die Besonderheit von Genehmigungspflichten besteht darin, daß bestimmte Geschäfte grundsätzlich verboten sind, es sei denn, der Handelnde verfügt über eine Genehmigung und sein Handeln bewegt sich im Rahmen dieser Genehmigung. Die Rechtslage wird also sowohl durch das Gesetz bestimmt, das die Genehmigungspflicht anordnet, als auch durch den Inhalt der Genehmigung. Bezüglich der Genehmigung selbst ist eine Umgehung nur in Form der Ergehung denkbar; der Handelnde will also in den Tatbestand der behördlichen Erlaubnis hinein. Wie erwähnt, handelt es sich bei der Ergehung um einen Anwendungsfall der teleologischen Reduktion 7 1 . Die Rechtsfolge entspricht der eines nicht genehmigten Geschäfts. Ein Geschäft, das über den Umfang einer Ausnahmegenehmigung hinausgeht, fällt unter § 1 3 4 B G B 7 2 .

Oben § 4 III.2. So BGH 7 . 7 . 2 0 0 3 - II Z R 235/01, DB 2 0 0 3 , 1894; dazu Pentz ZIP 2 0 0 3 , 2 0 9 3 ; offengelassen in BGH 1 6 . 3 . 1998 - 1 1 Z R 303/96, N J W 1998, 1951 (1952f.). Zu der Umgehung von Sachgründungsvorschriften unten § 9 I.3.a). 69 Soergel-Leptien vor § 182 Rdnrn. 10, 1. 7 0 Dazu BGH 1 9 . 6 . 1953 - I Z R 83/51, N J W 1953, 1587; BGH 3 . 7 . 1963 - V Z R 201/62, W M 1963, 1034; BGH 8 . 2 . 1971 - II Z R 270/67, W M 1971, 586. 71 Oben § 4 I. 7 2 BGH 3 0 . 5 . 1951 - II Z R 10/51, BGH LM Nr. 3 zu § 134 BGB. 67 68

104

§ 7 Das umgangene

Gesetz

Schwierigkeiten macht die Umgehung des Gesetzes, welches die Genehmigungspflicht begründet. So hatte sich der BGH in der Nachkriegszeit mehrfach mit dem Vorbehalt der Genehmigung für die Veräußerung landwirtschaftlicher Grundstücke mit einer Größe von mehr als 15 Ar zu beschäftigen. Es stellte sich die Frage, ob es wirksam sein sollte, wenn mehrere kleinere Grundstücke veräußert werden, deren Gesamtgröße über 15 Ar liegt oder wenn ein Teil eines insgesamt über 15 Ar großen Grundstücks für die Veräußerung herausgeschnitten wird 7 3 . bb) Wird ein genehmigungspflichtiges Rechtsgeschäft ohne die erforderliche Genehmigung geschlossen, gilt grundsätzlich 7 4 : Genehmigungspflichtige Rechtsgeschäfte sind erst dann nichtig, wenn die Genehmigung unanfechtbar versagt ist. Solange (noch) keine Genehmigung erteilt ist, ist das Rechtsgeschäft schwebend unwirksam; auch dann, wenn die Genehmigung zwar versagt wurde, die Versagung aber nicht unanfechtbar ist. Das gilt auch für Verträge, die erst einige Zeit nach ihrem Abschluß erfüllt werden sollen. So ist beispielsweise ein Arbeitsvertrag mit einem ausländischen Arbeitnehmer, der keine Beschäftigungsgenehmigung hat, nur schwebend unwirksam, wenn und solange mit der Erteilung der Arbeitserlaubnis vor Arbeitsbeginn noch gerechnet werden kann 7 5 . Wird eine Genehmigungspflicht umgangen, ist nach ganz herrschender Auffassung bei den Rechtsfolgen zu differenzieren: Ist ein zwei- oder mehrseitiges genehmigungsbedürftiges Rechtsgeschäft von Anfang an in der Absicht geschlossen worden, die den Parteien bekannte Genehmigungspflicht zu umgehen, ist es nichtig 76 . Anders ist es, wenn keine der Parteien mit Umgehungsabsicht gehandelt hat oder - praktisch häufiger - nur eine der Parteien die Umgehung der Genehmigungspflicht bezweckt hat. In diesem Fall ist das Rechtsgeschäft nicht nichtig, sondern schwebend unwirksam 7 7 .

73

B G H 8 . 1 2 . 1 9 5 9 - V Blw 19/59, DB 1960, 87; B G H 1 5 . 5 . 1962 - V Blw 17/61, W M 1962, 969. 74 Dazu Soergel-Hefermehl § 134 R d n r n . 44ff.; Staudinger-Sack § 134 R d n r n . 173 f.; B G H 1 5 . 3 . 1951 - IV Z R 9/50, L M N r . 2 zu § 134 BGB. 75 BAG 3 0 . 5 . 1 9 6 9 - 5 A Z R 2 5 6 / 6 8 , N J W 1 9 6 9 , 2 1 1 1 ; s. aber LAG H a m m 9 . 2 . 1 9 9 9 - 6 Sa 1700/98, DB 1999, 6 3 9 . 76 B G H 1 9 . 6 . 1 9 5 3 - V Z R 83/51, N J W 1953, 1 5 8 7 (zu einem Militärregierungsgesetz); B G H 8 . 1 2 . 1 9 5 9 - V Blw 19/59, DB 1960, 87; B G H 28.6 1968 - V Z R 77/65, N J W 1968, 1928; B G H 8 . 2 . 1 9 7 1 - II Z R 2 7 0 / 6 7 , W M 1 9 7 1 , 5 8 6 ; B G H 7 . 7 . 1 9 7 7 - III Z R 111/75, B G H W M 1977, 1044 (1046); LG Berlin 2 0 . 4 . 1 9 7 7 - 54 S 129/76, N J W 1977, 1826; StaudingerSack § 134 Rdnr. 175. Anders B G H 3 . 7 . 1 9 6 3 - V Z R 2 0 1 / 6 2 , W M 1 9 6 3 , 1 0 3 4 : Hier ging es allerdings um das Gesetz der Militärregierung Nr. 53, das die Möglichkeit einer nachträglichen Genehmigung auch bei Vereitelungsabsicht beider Parteien ausdrücklich vorsah. Kritisch dazu Teichmann J Z 2 0 0 3 , 761 (764). 77 Staudinger-Sack § 134 Rdnr. 175; B G H 8 . 2 . 1971 - II Z R 2 7 0 / 6 7 , W M 1971, 586; B G H 1 9 . 6 . 1953 - V Z R 83/51, N J W 1953, 1 5 8 7 zu einer entsprechenden Regelung in einem Militärregierungsgesetz.

II. Rechtsfolgen

der

Umgehung

105

Der B G H beachtete in einer Entscheidung aus dem Jahr 1 9 8 1 die Umgehungsabsicht nicht und kam so zu einer Fehlentscheidung 7 8 . Es ging um eine sog. „Roggenklausel". Derartige Klauseln waren bis in die 1970er Jahre verbreitet. Sie sahen vor, daß der Gläubiger wahlweise Geld oder eine bestimmte Menge Roggen verlangen konnte. Der Gläubiger konnte jedoch in aller Regel nichts mit Roggen anfangen, sondern die Klausel diente ausschließlich der Umgehung der Genehmigungspflicht für Wertsicherungsklauseln (frühere Regelung in § 3 Währungsgesetz). Im Fall des B G H war der Roggenpreis wider Erwarten nicht gestiegen, sondern im Gegenteil gefallen. Ohne sich mit der Gesetzesumgehung zu befassen, „rettete" der B G H die Klausel mit Hilfe ergänzender Vertragsauslegung. Dieses Urteil mag im Interesse der Parteien gelegen haben, führte jedoch die Genehmigungspflicht ad absurdum. cc) Vor dem Hintergrund der herrschenden Meinung zur Gesetzesumgehung sind die für die Umgehung von Genehmigungspflichten geltenden Grundsätze in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Ist die Gesetzesumgehung nur eine Frage der analogen Anwendung der umgangenen Norm, also ihrer Geltung aus eigener Kraft, käme man zu einem anderen Ergebnis. Danach dürfte es nicht auf die Umgehungsabsicht ankommen. Das Umgehungsgeschäft wäre also ein Geschäft, das zwar genehmigungspflichtig ist (analoge Anwendung der umgangenen Norm), aber - noch - nicht genehmigt. Erfolgt eine Gleichstellung des Umgehungsgeschäfts mit der Rechtsfolge der umgangenen Norm, müßte die Rechtsfolge der Umgehung von Genehmigungspflichten nicht die Nichtigkeit, sondern die schwebende Unwirksamkeit des Umgehungsgeschäfts sein 7 9 . Ein solches Ergebnis wäre aber selten sachgerecht. Der Grund liegt in den Besonderheiten des schwebend unwirksamen Rechtsgeschäfts. Der B G H hat sie in einer Entscheidung dargelegt, in der es um die Umgehung einer Genehmigungspflicht des Außenwirtschaftsgesetzes ging 8 0 . Zu diesem Zweck hatten sich die Parteien nicht einen Kredit eingeräumt, sondern statt dessen die Einlösung von Wechseln garantiert. Nach der Entscheidung gilt: Ist ein Rechtsgeschäft schwebend unwirksam, können sich die Vertragsparteien nicht selbständig von dem Vertrag lösen. Sie sind verpflichtet, alle zur Erteilung der Genehmigung erforderlichen Schritte zu unternehmen, sonst machen sie sich schadensersatzpflichtig. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit einer Haftung nach § § 2 8 0 f f . , 3 1 1 f . B G B (früher § § 3 0 9 , 3 0 7 B G B und c.i.c.). Diese Rechtsfolgen der schwebenden Unwirksamkeit sind wenig sinnvoll, wenn die Parteien die Genehmigungspflicht gerade umgehen wollen. Parteien, die ein landwirtschaftliches Grundstück in Einzelparzellen aufteilen, um die 15Ar-Grenze für die Genehmigungspflicht zu umgehen, wollen nicht verpflichtet BGH 3 . 7 . 1981 - V Das verkennt Sieker, Beispiel für eine Analogie 8 0 BGH 7 . 7 . 1 9 7 7 - I I I 78

79

Z R 100/80, N J W 1 9 8 1 , 2 2 4 1 . S. 90f., die in der Umgehung von Genehmigungspflichten gerade ein sieht. Z R 111/75, BGH W M 1977, 1 0 4 4 (1046).

106

§ 7 Das umgangene

Gesetz

sein, auf eine Genehmigung hinzuwirken. Verdeutlichen läßt sich das am Sachverhalt einer BGH-Entscheidung aus dem Jahre 1 9 6 8 8 1 : Die Parteien wollten die Genehmigungspflicht umgehen, indem sie einen Scheinkaufpreis beurkunden ließen. Dabei hatten sie von vornherein vor, für das wirklich gewollte Geschäft keine Genehmigung einzuholen. Wäre das Rechtsgeschäft schwebend unwirksam, wären die Parteien verpflichtet, auf eine Genehmigung hinzuwirken, obwohl weder der Abschluß des Scheingeschäfts noch die Genehmigung des wirklich gewollten Geschäfts in irgendjemandes Interesse lag. Ebenfalls nicht der tatsächlichen Interessenlage entsprächen die Schadensersatzverpflichtungen aus § § 2 8 0 f f . BGB. dd) Die nach der Rechtsprechung für die Umgehung von Genehmigungspflichten geltenden Grundsätze führen also zu sachgerechten Ergebnissen. Sie lassen sich indes nicht mit einer analogen Anwendung der Genehmigungsnorm begründen. Mit der herrschenden Meinung zur Gesetzesumgehung läßt sich dieser Spezialfall daher nur dann in Einklang bringen, wenn man die beiderseits beabsichtigte Umgehung der Genehmigung stets als sittenwidrig gemäß § 1 3 8 B G B ansieht 8 2 . Eine solche Lösung würde zu einer pauschalen Anwendung von § 1 3 8 B G B führen. Derartige Pauschalisierungen sind § 138 B G B aber fremd, denn typisch für diese Norm ist gerade die Abwägung im Einzelfall 8 3 . Auch die Umgehungen anderer Normen fallen keineswegs regelmäßig unter das Verdikt der Sittenwidrigkeit 8 4 .

c) Umgehungsfälle

im

Arbeitsrecht

aa) Das Arbeitsrecht ist ein nicht kodifiziertes Rechtsgebiet; die Gesetze regeln Einzelbereiche: den Kündigungsschutz, die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, das Arbeitszeitrecht usw. Die Struktur des Arbeitsrechts ist damit im Vergleich zu den kodifizierten Gebieten des allgemeinen Zivil- und Wirtschaftsrechts lückenhaft und uneinheitlich. Eine ähnliche Struktur weist auch das Verbraucherschutzrecht auf: Trotz seiner Integration in das B G B besteht es immer noch aus Regelungen, die nur für einen abgeschlossenen Bereich gelten. Außerdem dienen wie im Verbraucherschutzrecht auch im Arbeitsrecht die meisten Normen dem einseitigen Schutz einer Vertragspartei; des Arbeitnehmers. Beides zusammen macht diese Rechtsgebiete besonders umgehungsanfällig 8 5 .

BGH 28.6 1968 - V Z R 77/65, N J W 1 9 6 8 , 1928. So BGH 7 . 7 . 1 9 7 7 - I I I Z R 111/75, BGH W M 1977, 1044 (1046). 8 3 Vgl. Palandt-Heinrichs § 138 Rdnr. 8. 8 4 Dazu bereits oben § 4 Ill.l.a); grundlegend R G 9 . 1 . 1 9 1 7 - Rep.321/16, R G Z 89, 199 (203): Es liegt kein Verstoß gegen die guten Sitten darin, wenn ein Weg genutzt wird, der vom Gesetz offengelassen wird. 8 5 Zu den Parallelen zwischen Verbraucherschutz und Arbeitsrecht bereits oben § 5 II.2.d). 81

82

II. Rechtsfolgen der Umgehung

107

In der Praxis ist das Arbeitsrecht in weiten Teilen Richterrecht. Auch zur Gesetzesumgehung haben sich richterrechtliche Grundsätze herausgebildet, die von der herrschenden Meinung zum allgemeinen Zivilrecht abweichen. Wie bereits erwähnt, gilt im Arbeitsrecht spätestens seit der Grundsatzentscheidung des Großen Senats des B A G zu Kettenarbeitsverträgen aus dem J a h r e 1 9 6 2 die Rechtsfigur der „objektiven Gesetzesumgehung" 8 6 . D a n a c h sind Gesetzesumgehungen unwirksam; und zwar unabhängig davon, o b Umgehungsabsicht oder andere subjektive Voraussetzungen gegeben sind. Die Rechtsfolge der „objektiven Gesetzesumgehung" kann unterschiedlich sein. In Einzelfällen nimmt die Arbeitsrechtsprechung der Sache nach eine Gleichstellung vor, wenn beispielsweise Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geschuldet ist, obwohl im Arbeitsvertrag der Geltungsbereich des L F Z G (jetzt E F Z G ) umgangen werden sollte 8 7 . O f t führt Gesetzesumgehung aber auch zur Nichtigkeit oder hat besondere Rechtsfolgen, die nicht auf einen Analogieschluß oder Gleichstellung zurückzuführen sind. D e r Grund liegt nicht nur in der in der Arbeitsgerichtsbarkeit

besonders verbreiteten Bereitschaft zur

richterlichen

Rechtsfortbildung. Im Arbeitsrecht ergibt sich häufig, daß die Rechtsfolgen des umgangenen Gesetzes nicht auf den Umgehungsfall passen. bb) Der praktisch wichtigste Anwendungsfall des Begriffs der objektiven Gesetzesumgehung, der befristete Arbeitsvertrag, ist seit dem 2 1 . Dezember 2 0 0 0 in dem Teilzeit- und Befristungsgesetz gesetzlich geregelt. Das Gesetz beruht auf einer EG-Richtlinie und normiert im wesentlichen die Grundsätze, die sich vorher aus der BAG-Rechtsprechung zur objektiven Gesetzesumgehung ergaben. Die objektive Gesetzesumgehung ist damit jedoch nicht überflüssig geworden, weil immer noch Umgehung des Kündigungsschutzes möglich ist: z.B. durch einen Aufhebungsvertrag, der in Wahrheit auf eine befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses hinausläuft, oder eine Umgehung des Änderungsschutzes durch Befristung von Vertragsbedingungen 8 8 . Die Rechtsprechung zum befristeten, Ketten- und auflösend bedingten Arbeitsvertrag gilt demgegenüber nur noch für Altfälle, verdeutlicht aber den M e chanismus der objektiven Gesetzesumgehung nach der Rechtsprechung des B A G . N a c h der Rechtsprechung, der sich die herrschende Meinung angeschlossen hatte, lag in diesen Vertragsgestaltungen eine Umgehung des gesetzlichen Kündigungsschutzes, es sei denn, für die Befristung bestand ein sachlicher

86 BAG-GS 12.10. 1960 - GS 1/59, BAGE 10, 65 = AP Nr. 16 zu § 620 BGB befristeter Arbeitsvertrag = NJW 1961, 798. 87 BAG 11.12. 1985 - 5 AZR 135/85, BAGE 50, 292. 88 BAG 4.6. 2003 - 7 AZR 406/02, BB 2003,1683; zuvor bereits BAG 12.1. 2000 - 7 AZR 48/99, NJW 2000,2042 = SAE 2001, 220 m. Anm. Coester, BAG 24.1. 2001 - 7 AZR 208/99, EzA §620 BGB Nr. 173 dazu und zu weiteren Fällen unten § 11 IV.l.a)

108

5 7 Das umgangene

Gesetz

G r u n d 8 9 . Durch das Erfordernis des sachlichen Grundes konnte das Spannungsverhältnis zwischen § 6 2 0 B G B und dem gesetzlichen Kündigungsschutz ausgeglichen werden; das Ergebnis einer Gleichstellung w a r es jedoch nicht. N ä h m e man eine Gleichstellung vor, wären das K S c h G und die sonstigen Regeln des gesetzlichen Kündigungsschutzes auf das befristete Arbeitsverhältnis anzuwenden, eine Befristung wäre also nur aus denselben Gründen erforderlich wie eine ordentliche Kündigung. Die Sach- und Interessenlage bei der Kündigung ist aber anders als bei der Befristung. Z w a r sind auch nach dem K S c h G und nach § 6 2 6 B G B Kündigungsgründe erforderlich, diese sind jedoch anders als der „sachliche G r u n d " auf die Beendigung eines unbefristeten Dauerarbeitsverhältnisses zugeschnitten 9 0 . Ähnliches gilt bei auflösend bedingten Arbeitsverträgen (jetzt § 2 1 T z B f G ) . N a c h einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus den 1 9 8 0 e r J a h r e n können auflösende Bedingungen nicht nur eine Umgehung des K S c h G , sondern auch von § 6 2 6 B G B enthalten 9 1 . Kläger war ein Lizenzfußballspieler, in dessen Arbeitsvertrag eine auflösende Bedingung aufgenommen worden war mit dem Inhalt, das Arbeitsverhältnis solle beendet sein, wenn der den Spieler beschäftigende Verein der 2 . Bundesliga vom D F B wegen wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit keine neue Lizenz erhält. Das B A G argumentierte, eine solche Vertragsgestaltung sei objektiv funktionswidrig, da sie „die Versagung der Lizenz anstelle einer außerordentlichen Kündigung nach § 6 2 6 B G B als auflösende Bedingung zu einem absoluten Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses e r h e b t " . Die auflösende Bedingung sei „gemäß § 1 3 4 B G B wegen der objektiven Umgehung des § 6 2 6 B G B nichtig". In der Tat könnte § 6 2 6 B G B mit derartigen Klauseln vollständig außer Kraft gesetzt werden. Die Entscheidung kann schon deshalb nicht das Ergebnis einer „Gleichstellung" sein, weil § 6 2 6 B G B kein Verbotsgesetz im Sinne von § 1 3 4 B G B ist 9 2 . Eine „Gleichstellung" läge allenfalls vor, wenn auflösende Bedingungen wie die außerordentliche Kündigung nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes möglich wären. Ein anderes Beispiel bilden die in jüngerer Zeit mehrfach entschiedenen Fälle der Umgehung von § 6 1 3 a B G B durch Aufhebungsverträge, arbeitnehmerseitige Kündigungen o . ä . Die Arbeitnehmer vereinbaren in diesen Fällen gleichzeitig ein neues Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsübernehmer oder es wird ihnen ein sol-

8 9 Grundlegend - wie erwähnt - BAG-GS 12.10. 1960 - GS 1/59, BAGE 10, 65 = AP Nr. 16 zu § 620 BGB befristeter Arbeitsvertrag = NJW 1961, 798. 9 0 Z.B. gelten für eine verhaltensbedingte Befristung ganz andere Voraussetzungen als für eine verhaltensbedingte Kündigung; dazu im einzelnen unten § 11 IV.l.a)bb), 2. 91 BAG 9 . 7 . 1981 - 2 AZR 788/78, AP Nr.4 zu § 6 2 0 BGB Bedingung m. Anm. Herscbe! = DB 1982, 121. 92 Herschel, Anm. zu AP Nr. 4 zu § 620 BGB Bedingung hält die Entscheidung daher für eine richterliche Rechtsfortbildung. Dazu im einzelnen unten § 11 IV.

III.

Fazit

109

ches verbindlich in Aussicht gestellt. Nach der Rechtsprechung sind solche Aufhebungsverträge wegen Umgehung der zwingenden Rechtsfolgen des § 6 1 3 a BGB nichtig, und zwar nach § 134 BGB 9 3 . § 6 1 3 a BGB ist jedoch kein Verbotsgesetz gemäß § 1 3 4 BGB, seine zwingende Rechtsnatur allein genügt dafür nicht 9 4 .

III.

Fazit

Gesetzesumgehung bildet ein eigenständiges Rechtsproblem, wenn ihre Voraussetzungen und Rechtsfolgen Besonderheiten aufweisen, die sie von der bloßen Gesetzesvermeidung unterscheiden. Ausgangspunkt für Voraussetzungen und Rechtsfolgen ist das umgangene Gesetz: Es ist als Objekt der Gesetzesumgehung allen Umgehungsfällen gemeinsam und durch seine Anwendung kann eine Gesetzesumgehung im Regelfall unwirksam gemacht werden. Vor diesem Hintergrund hat sich gezeigt: 1. Die Frage der Umgehung stellt sich bei allen Rechtsnormen; bei formellen Gesetzen ebenso wie bei Gewohnheitsrecht. Umgehungsfähig sind grundsätzlich auch nicht zwingende Gesetze, allerdings sind solche Fälle selten. Eine Systematisierung in „Weg- und Zweckverbote" läßt sich nur begründen, wenn man die Gesetzesumgehung auf Verbotsgesetze beschränkt. Damit würden jedoch zu viele Fälle ausgeklammert, beispielsweise die Umgehung von Formvorschriften. 2. Gesetzesumgehung läßt sich als eigenständiges Rechtsproblem umschreiben, wenn man zwischen Sinn und Ziel des umgangenen Gesetzes unterscheidet. Der Sinn des Gesetzes bestimmt den Geltungsbereich der Norm, wie er durch Auslegung zu ermitteln ist. Das Ziel des Gesetzes geht dagegen über den Geltungsbereich hinaus. Inhaltliche Voraussetzung einer Gesetzesumgehung ist also, daß der Sachverhalt zwar nicht vom Geltungsbereich (Sinn) der umgangenen Norm erfaßt wird, aber gegen ihr Ziel verstößt. Das Ziel des Gesetzes ist ebenfalls mit Methoden der Auslegung zu ermitteln, aber ohne deren Grenzen. 3. Auch hinsichtlich der Rechtsfolgen erweist sich die Umgehung als eigenständiges Rechtsproblem; und zwar gerade deshalb, weil Umgehungsfälle keine einheitlichen Rechtsfolgen haben. Ergibt die rechtliche Prüfung, daß eine Gesetzesumgehung nicht toleriert werden kann, ist im Regelfall die umgangene Norm über ihren Geltungsbereich hinaus anzuwenden - sog. Gleichstellung. Die heute herrschende Meinung begründet das mit einem Analogieschluß. Dazu steht nicht im Widerspruch, daß Rechtsfolge in einigen Fällen auch die Nichtigkeit des Um9 3 BAG 2 8 . 4 . 1 9 8 7 - 3 AZR 1988/120, ZIP 1 9 8 8 , 1 2 0 (122) = NZA 1988, 198; BAG 1 1 . 7 . 1 9 9 5 - 3 AZR 154/95, AP Nr. 56 zu § 1 T V G Tarifverträge m.w.N.; BAG 1 0 . 1 2 . 1998 - 8 AZR 324/97, DB 1999, 537; BAG 2 1 . 1 . 1999 - 8 AZR 218/98, ZIP 1999, 1572; LAG Düsseldorf 1 3 . 1 2 . 1 9 8 5 - 9 Sa 781/85, NZA 1986, 399; im einzelnen unten § 11 IV.l.b). Zur Umgehung durch Erlaßverträge BAG 1 2 . 5 . 1992 - 3 AZR 247/91, NZA 1992, 1080. 9 4 Dazu oben § 7 I.2.; Soergel-Hefermehl § 134 Rdnr.2.

110

§ 7 Das umgangene

Gesetz

gehungsgeschäfts sein kann: Wird ein Verbotsgesetz umgangen, ist im Wege der Gleichstellung § 134 B G B anwendbar. Weitere Nichtigkeitsgründe sind §§ 1 3 8 , 1 1 7 BGB. Typisch für einige Umgehungsfälle ist jedoch auch, daß der Analogieschluß nicht möglich ist oder nicht zu einem befriedigenden Ergebnis führt. Beispiele bilden die Umgehung von Genehmigungspflichten und die Gesetzesumgehung im nicht kodifizierten Gebiet des Arbeitsrechts. Die Praxis erklärt in solchen Fällen oft das Umgehungsgeschäft für nichtig, wendet manchmal aber auch differenzierende Kriterien an wie das Gebot des sachlichen Grundes bei Umgehung des Kündigungsschutzes.

§ 8 Umgehungsspezifische Wertung

Im vorangegangenen Abschnitt sind die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Gesetzesumgehung erörtert worden. Als Voraussetzung ist allen Umgehungsfällen gemeinsam, daß das Handeln gegen das Ziel des umgangenen Gesetzes verstößt, auch wenn es von seinem Geltungsbereich nicht erfaßt ist. Die Rechtsfolge besteht darin, die Gesetzesumgehung unwirksam zu machen - in der Regel durch Anwendung des umgangenen Gesetzes auf den Umgehungsfall. Für die Lösung praktischer Umgehungsfälle genügen diese beiden Feststellungen jedoch noch nicht. Das zeigen bereits klassische Beispielsfälle; so mag die Ein-Mann-GmbH gegen das Ziel mancher Vorschrift des Haftungsrechts und GmbH-Rechts verstoßen, die GmbH & Co. KG gegen verschiedene Ziele des Personengesellschaftsrechts - unwirksam sind beide nicht. Beispielhaft ist weiterhin die deutsch-österreichische Meinungsverschiedenheit über die Sicherungsübereignung. Die Besonderheit von Umgehungsfällen besteht gerade darin, daß man hier mit bloßer, schematischer Subsumtion nicht weiterkommt. Die Frage, ob ein Gesetz auf einen Umgehungsfall anzuwenden ist, ist eine Frage der Wertung. Eine Wertung liegt bereits in der Feststellung, daß das Ziel des Gesetzes verletzt ist. Eine Wertung ist auch erforderlich, wenn nach heute herrschender Auffassung die methodische Lösung von Umgehungsfällen in der Analogie liegt: die Feststellung der Ähnlichkeit einer analog anzuwendenden Norm ist eine wertende Feststellung. Oben hat sich aber auch gezeigt, daß die analoge Anwendung der umgangenen Norm nicht in allen Fällen zum richtigen Ergebnis führt - die Wertung geht in diesen Fällen über die methodischen Grenzen der Analogie hinaus.

I. Analogie und Wertung 1. Analogiebildung in der Praxis a) Nach heute herrschender Meinung ist die Gesetzesumgehung ein Unterfall der Gesetzesanalogie. Auch in der Praxis ist der Analogieschluß die häufigste und wichtigste Methode zur Lösung von Umgehungsfällen. Etliche Beispielsfälle ergeben sich aus dem Gesellschaftsrecht, da die Vorschriften über die Gründung von Kapitalgesellschaften oft Objekt von Umgehungsversuchen sind. Diese Vor-

112

§8 Umgehungsspezifiscbe

Wertung

Schriften folgen den sog. Grundsätzen der Aufbringung und Erhaltung des Stammkapitals und dienen damit dem Gläubigerschutz 1 . Ausdrücklich mit Gesetzesumgehung begründet wurde die inzwischen weitgehend anerkannte Lehre von der verdeckten oder verschleierten Sacheinlage, die auf eine analoge Anwendung der Gründungsvorschriften nach dem Normzweck hinausläuft 2 . Ein Beispiel von erheblicher praktischer Begründung bildet der sog. „Mantelkauf" oder die „Mantelverwertung" einer Kapitalgesellschaft 3 . Von einem solchen Vorgehen spricht man, wenn bei der Gründung eines neuen Unternehmens entweder eine juristische Person genutzt wird, die zuvor gegründet und eingetragen ist, aber noch nicht aktiv w a r (sog. Vorratsgründung) oder eine Gesellschaft, die zu diesem Zeitpunkt inaktiv, aber ebenfalls bereits eingetragen ist und zu einem früheren Zeitpunkt am Wirtschaftsleben beteiligt w a r (sog. gebrauchter Mantel). Bis in die Rechtsprechung hinein umstritten ist, ob auf ein derartiges Vorgehen die Gründungs- und Kapitalaufbringungsvorschriften des G m b H G analog anzuwenden sind. Die überwiegende Ansicht, der sich in den Jahren 2 0 0 2 und 2 0 0 3 auch der BGH angeschlossen hat, bejaht diese Frage. Zur Begründung beruft sie sich ausdrücklich auf die sonst mögliche Umgehung dieser Vorschriften durch eine wirtschaftliche Neugründung 4 . Nach der Gegenansicht wird die Möglichkeit einer Baumbach/Hueck-Hueck/Fastrich, GmbHG, § 19 Rdnr. 1. S. z.B. seit 1990 BGH 15.1. 1990-11 ZR 164/88, BGHZ 110,47 (56ff., 64); BGH 4.3. 1996 - II ZR 89/95, BGHZ 132, 133 (139) = NJW 1996,1286; BGH 16.3. 1998 - II ZR 303/ 96, NJW 1998, 1951; OLG Köln 2.2. 1999 - 22 U 116/98, NJW-RR 1999, 1262; BGH 16.9. 2002 - II ZR 1/00, DB 2002, 2367 = BB 2002, 2347; BGH 2.12. 2002 - II ZR 101/02, DB 2003, 387; BGH 7.7. 2003 - II ZR 235/01, DB 2003,1894; Baumbach/Hueck-Hueck/Fastrich, GmbHG, §19 Rdnrn. 30ff.; Scholz-Winter, GmbHG, § 5 Rdnrn. 77f.; Rowedder-SchmidtLeithoff, GmbHG, § 5 Rdnrn. 48ff.; kritisch Herne ZHR 154 (1990), 105 (107ff.); ausdrücklich zum Umgehungsschutz Henze DB 2001, 1469 (1471 f.); Klass, Buyout von Aktiengesellschaften, S.57ff. ; Sieker, S.9ZL, 171 ff.; Teichmann JZ 2003, 761 (766f.); Wilhelm ZHR 167 (2003), 520 (522ff.). Zur entsprechenden Problematik im Aktienrecht H ü f f e r , AktG, § 2 7 Rdnrn. 9ff. Im einzelnen dazu unten § 9 I.3.a). 3 Zur Praxis: „Mantelgesellschaft kann Haftungsrisiken bergen", FAZ vom 2.5. 2001, S. 31. 4 BGH 9.12. 2002 - II ZB 12/02, BB 2003, 324; BGH 7.7. 2003 - II ZB 4/02, NJW 2003, 3198; bereits zuvor AG Duisburg 8.8. 1 9 9 7 - 8 AR 156/97, NJW-RR 1998, 246; OLG Frankfurt/M. 4.11. 1 9 9 8 - 2 1 U 264/97, NJW-RR 1999,476; LG Dresden 14.3. 2 0 0 0 - 4 4 T 0052/ 99, NJW-RR 2001, 823; LG Dresden 18.7. 2 0 0 0 - 9 O 0699/00, EWiR §3 GmbHG 1/2000, 821 (Hasselbach); LG Berlin 1.4. 2003 - 1 0 2 T 5/03, BB 2003,1404; zur Aktiengesellschaft angedeutet bei BGH 16.3. 1992 - II ZB 17/91, BGHZ 117, 323 (330f.); aus der Literatur Gözl Gehlich ZIP 1999, 1653; Baumbach/Hueck - Hueck/Fastrich, GmbHG, §3 Rdnr.15; Sieker, S. 165ff.; Rowedder - Rittner/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 3 Rdnr. 13; Altmeppen/Roth-Roth, GmbHG, § 3 Rdnr. 13. Nach BGH 7.7. 2003 - II ZB 4/02, NJW 2003, 3198 sind auch die Vorschriften zur Handelndenhaftung nach §11 Abs. 2 GmbHG analog anzuwenden; dazu Gözl Gehlich a.a.O. mit Nachweisen; bejahend zuvor LG Hamburg 28.1. 1997 - 309 S 108/96, NJW-RR 1997, 671. Zu der Rechtsprechung in den Jahren 2002/03: Altmeppen DB 2003, 2050; Herchen DB 2003, 2211; Kallmeyer DB 2003, 2583; Krafka ZGR 2003, 577; Meilicke BB 2003, 857; Meliert, „Kein Vorteil mehr bei Vorratsgesellschaften", FAZ vom 19.2. 2003, S. 21; Schaub NJW 2003,2125; Thaeter/Meyer DB 2003,539 (539f.); Thaeter DB 2003,2112. 1

2

I. Analogie und

Wertung

113

Analogie bestritten, da es sich nicht um eine Neugründung, sondern um eine Änderung des Geschäftsgegenstandes handele, also keine Regelungslücke vorliege 5 . Die Wertungsfragen, die hinter diesem Meinungsstreit stehen, werden besonders an einigen älteren Gerichtsentscheidungen deutlich, die Mantelgründungen für sittenwidrig im Sinne von § 138 BGB hielten 6 . b) Außerhalb des Gesellschaftsrechts hat die Umgehung der Formvorschrift § 311 b Abs. 1 BGB (früher §313 BGB) praktische Bedeutung. Sie kommt beispielsweise in Betracht, wenn nicht das Grundstück selbst veräußert, sondern eine formlose Vollmacht zur Veräußerung erteilt wird. Rechtsprechung und Literatur gehen von einer unzulässigen Umgehung aus, wenn die Vollmacht „nur das äußere Gewand ist, in das die Verpflichtung zur Grundstücksübertragung gekleidet ist" 7 . Das sei insbesondere dann der Fall, wenn sie unwiderruflich ausgestaltet ist 8 . Der Vollmachtgeber gehe dann dieselbe unmittelbare oder mittelbare rechtliche Bindung ein wie durch die Vornahme des formbedürftigen Grundstückgeschäfts. Für eine Befreiung von der Beschränkung des § 181 BGB kann § 311 b Abs. 1 BGB ebenfalls gelten, wenn eine entsprechende Bindung erfolgt ist 9 . Darüber hinaus kann die notarielle Form erforderlich sein, wenn die Widerruflichkeit zwar nicht ausgeschlossen ist, aber eingeengt - beispielsweise durch eine Vertragsstrafe 10 . Entsprechendes gilt nach einer Entscheidung des BGH, wenn das formlos vereinbarte - „Bemühungsentgelt" eines Maklers so hoch ist, daß der Kunde bei dem Verkauf oder Erwerb von Immobilien unter Zwang steht 11 . c) In diesen Fällen geht das Ergebnis der Entscheidungen über eine Auslegung hinaus: Die unmittelbare Anwendung der Vorschriften der §19 Abs. 2, 5 5

BayObLG 24.3. 1999 - 3Z BR 295/98, DB 1999, 954 = EWiR § 3 G m b H G 1/99, 647 (Heublein); gegen registergerichtliche Kontrolle OLG Frankfurt/M. 14.5. 1991 - 20 W 419/90, DB 1991, 2318; Scholz - Emmerich, GmbHG, § 3 Rdnr.22; Hasselbach EWiR § 3 GmbHG 1/2000, 821; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 3 Rdnr. 8; Mayer NJW 2000, 175. 6 KG 3.7. 1924 - 1 X 267/24, JW 1924,1535 (1536f.) m. Anm. Byk; KG 18.12. 1 9 2 4 - 1 X 516/24, JW 1925, 635 (633ff.) m. Anm. Breit; von Nichtigkeit nach §134 BGB geht OLG Hamburg 15.4. 1983 - 11 U 43/83, ZIP 1983, 570 aus. 7 Grundlegend RG 29.3. 1922 - V493/21, RGZ 104, 237; Staudinger-Wufka §313 Rdnrn. 122ff. m.w.N. 8 RG 29.3. 1 9 2 2 - V 493/21, RGZ 1 0 4 , 2 3 7 ; RG 19.3. 1924 - V 437/22, RGZ 108, 125 auch zu den Konsequenzen für Dritte; einschränkend RG 17.1. 1930 - 164/29 II, JW 1930, 1300 m. Anm. Gottschalk (nur wenn die Umgehung bezweckt war); BGH 11.7. 1 9 5 2 - V Z R 80/52, NJW 1952, 1210 m. Anm. Grussendorf-, BGH 21.5. 1965 - V ZR 156/64, W M 1965, 1006; BGH 22.4. 1966 bzw. 1 9 6 7 - V Z R 164/63, W M 1966, 761 und W M 1967, 1039 (mit unterschiedlichen Entscheidungsdaten); BGH 18.9. 1970 - V ZR 186/67, D N o t Z 1970, 743; BGH 11.10. 1974 - V ZR 25/73, W M 1974,1229; OLG Karlsruhe 17.12. 1971 - 11 W 138/7, DNotZ 1972, 345. 9 BGH 11.7. 1 9 5 2 - V Z R 80/52, NJW 1 9 5 2 , 1 2 1 0 m . Anm. Grussendorf.; B G H 2 2 . 4 . 1966 bzw. 1 9 6 7 - V ZR 164/63, W M 1966, 761 bzw. W M 1967,1039; vgl. auch BGH 11.10.1974 V ZR 25/73, W M 1974,1229; OLG Karlsruhe 1 7 . 1 2 . 1 9 7 1 - 11 W 138/71, D N o t Z 1972, 345. 10 Staudinger- Wufka § 3 1 3 Rdnr. 126. 11 BGH 2.7. 1986 - IVa ZR 102/85, BB 1986, 1876.

114

§ 8 Umgehungsspezifische

Wertung

GmbHG auf verdeckte Sacheinlagen scheitert an dem eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Regeln. Erst recht ist keine Auslegung der Gründungsvorschriften für eine Kapitalgesellschaft in der Weise möglich, daß sie auch die verschiedenen Fälle von Mantelverwertung erfaßt. Ebenso ist es auch bei weiter Auslegung schwerlich mit dem Wortlaut des § 311 b Abs. 1 BGB vereinbar, das Formerfordernis auf die Erteilung einer Vollmacht oder die Befreiung von der Beschränkung des § 181 BGB auszudehnen. Die Ergebnisse beruhen also auf analoger Anwendung der umgangenen Vorschriften: Die Gründungsvorschriften des G m b H G oder AktG werden analog auf die Mantelverwertung angewendet, § 311 b Abs. 1 BGB analog auf Verträge, durch die der Kunde seinen Einfluß auf den Immobilienerwerb verliert. In diesen Fällen wird die Bildung einer Gesetzesanalogie nur selten besonders begründet; in der Regel begnügen sich Rechtsprechung und Literatur mit dem Hinweis, eine bestimmte Norm müsse aus Gesichtspunkten der Umgehung auch für diesen Sachverhalt gelten. Hintergrund des Analogieschlusses ist also eine besondere, umgehungsspezifische Wertung.

2 . Umsetzung von W e r t u n g durch Analogie Die grundlegenden Ausführungen zur Bildung von Analogien in Umgehungsfällen stammen von Teichmann12. Teicbmann geht davon aus, bei Gesetzesumgehungen seien die Voraussetzungen der Regelungslücke und der Ähnlichkeit regelmäßig gegeben. Dazu definiert er die Regelungslücke wie folgt: „Eine Lücke des Gesetzes kann [...] angenommen werden, wenn mit Hilfe der Gesetzesauslegung keine Entscheidung zu treffen ist, eine Regelung aber zur Verwirklichung der Gerechtigkeit erforderlich erscheint."

Zur Schließung der Lücke sei die Analogie das geeignete Instrument. Allerdings sei ihre Kernvoraussetzung, die Ähnlichkeit, im Einzelfall oft nicht eindeutig zu bestimmen. Das sei für die Bildung einer Analogie jedoch auch nicht erforderlich: „Voraussetzung für einen Analogieschluß ist demnach, daß um eine Norm ein Ähnlichkeitskreis gebildet werden kann, dessen Glieder sich so sehr gleichen, daß es gerechter erscheint, sie ihr zuzuordnen als sie anders zu regeln. Genauer kann der Begriff Analogie nicht gefaßt werden. Das erscheint aber auch nicht erforderlich, weil die Wertung im Einzelfall eine legitime Aufgabe der Rechtswissenschaft i s t . " 1 3 .

Es ist also eine Frage der Wertung, ob eine Analogie zu bilden ist oder nicht. Auch den eingangs erwähnten Fällen liegt eine derartige Wertung zugrunde. So

Teichmann, S. 78 ff.; Zitat S. 80. Teichmann, S . 8 6 , Fallbeispiele S.89ff. Zur Wertung beim Analogieschluß auch Buyout von Aktiengesellschaften, S. 47f. 12 13

Klass,

I. Analogie

und

Wertung

115

wird beispielsweise in den Fällen der Umgehung der Gründungsvorschriften für Kapitalgesellschaften durch verdeckte Sacheinlage vorrangig nach der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit der Umgehungshandlung mit dem vom Gesetz erfaßten Verhalten gefragt - eine Wertung, die sich aus dem Telos des Gesetzes herleiten läßt 1 4 . Jedoch verlangt die wohl überwiegende Meinung darüber hinaus eine entsprechende Absprache oder zumindest einen in irgendeiner Weise manifestierten Willen 1 5 . Diese Voraussetzung läßt sich weder unmittelbar noch mittelbar aus dem Gesetz ableiten, sie beruht vielmehr auf einer besonderen, umgehungsspezifischen Wertung. Entsprechendes gilt für die Fälle der Umgehung von § 3 1 1 b Abs. 1 BGB, des früheren § 3 1 3 BGB. Zwar ergibt sich das Kriterium einer der Veräußerung des Grundstücks vergleichbaren Bindung nach teleologischer Auslegung aus dem Gesetz. Darüber hinaus wurde jedoch in einigen Fällen auch die Schutzbedürftigkeit des Vollmachtgebers berücksichtigt (beispielsweise der Sonderfall einer alten, bettlägerigen Frau) oder die Frage, ob die Umgehung bezweckt war 1 6 . In Umgehungsfällen kann also ein praktisches Bedürfnis bestehen, beim Analogieschluß Wertungen mit einfließen zu lassen, die bei der unmittelbaren Anwendung des Gesetzes keine Rolle spielen. Dabei kommt es häufig auf subjektive Elemente an: Obwohl nach fast allgemeiner Ansicht Umgehungsabsicht nicht erforderlich ist, werden die Ziele der Handelnden nicht selten vorrangig berücksichtigt. So soll die Einstellung eines Ausländers ohne Arbeitserlaubnis als GmbH-Geschäftsführer nur unwirksam sein, wenn ihr Ziel die Umgehung des Ausländergesetzes ist 1 7 . Die Umgehung als Sonderfall der Analogie beruht also wie alle Analogieschlüsse auf einer Wertung, allerdings auf einer besonderen, umgehungsspezifischen Wertung.

1 4 S.o. § 7 I.l.a) zur Bedeutung von Auslegungskriterien für die Feststellung einer Gesetzesumgehung. 15 Eine Absprache verlangen BGH 4 . 3 . 1996 - II ZR 89/95, B G H Z 132, 133 (139) = N J W 1996, 1286 und Baumbach/Hueck-Hueck/Fastrich, GmbHG, § 1 9 Rdnr.30 a; skeptisch Rowedder-Rittner/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 5 Rdnr.48. Scholz-Winter, GmbHG, § 5 Rdnr. 7 7 verlangt „Bereitschaft zu entsprechendem Vorgehen" bzw. einen „den wirtschaftlichen Erfolg umfassenden Geschäftswillen". Zum Meinungsstand im Aktienrecht Hüffer, AktG, § 2 7 Rdnr. 14. 1 6 Der Sonderfall der bettlägerigen Vollmachtgeberin spielte eine Rolle in BGH 2 1 . 5 . 1965 V Z R 156/64, W M 1965, 1006 und in BGH 1 1 . 1 0 . 1974 - V Z R 26/73, W M 1974, 1229. Das Reichsgericht stellte subjektive Kriterien auf: R G 2 9 . 3 . 1922 - V 4 9 3 / 2 1 , R G Z 104, 2 3 6 verlangt einen „Mißbrauch"; nach RG 1 7 . 1 . 1930 - 164/29 II, J W 1930, 1300 m. Anm. Gottschalk muß die Umgehung „bezweckt" sein. 1 7 So LG Braunschweig 7 . 2 . 1983 - 22 T 1/83, DB 1983, 706; vgl. auch O L G Stuttgart 2 0 . 1 . 1984 - 8 W 243/83, M D R 1984, 4 9 5 und KG Berlin 2 4 . 9 . 1996 - 1 W 4 5 3 4 / 9 5 , NJW-RR 1997, 794.

116

§8

Umgehungsspezifische

Wertung

3 . U m s e t z u n g der W e r t u n g ü b e r A n a l o g i e h i n a u s Die Rechtsprechungspraxis löst jedoch nicht alle Umgehungsfälle mit Analogie. Wie erwähnt, besteht manchmal die Rechtsfolge nicht in einer „Gleichstellung" im Wege der analogen Anwendung des umgangenen Gesetzes 1 8 . Das betrifft die Umgehung von Genehmigungspflichten, vor allem aber die heute z.T. gesetzgeberisch bestätigte Rechtsprechung des BAG zur Umgehung des Kündigungsschutzrechts. Die Rechtsprechung zum befristeten Arbeitsvertrag war überaus differenziert: Für die Befristung war ein sachlicher Grund erforderlich. Der sachliche Grund sollte jedoch nur die Befristung als solche erfassen, nicht ihre jeweilige Dauer 1 9 . Auf der anderen Seite konnte die Befristung einzelner Arbeitsbedingungen ebenfalls eine Gesetzesumgehung sein 2 0 . Für auflösende Bedingungen in Arbeitsverträgen galten ähnliche, wenn auch nicht die gleichen Anforderungen wie für Befristungen, insbesondere waren die Anforderungen an den sachlichen Grund höher 2 1 . Diese Differenzierungen lassen sich nur vereinzelt auf das umgangene Gesetz insbesondere das KSchG - zurückführen. Ansatzpunkt der Gerichte war statt dessen, wie eine Umgehung des gesetzlichen Kündigungsschutzes verhindert werden konnte. Die umgehungsspezifische Wertung ergab sich aus dem Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer angesichts des Spannungsverhältnisses von § 6 2 0 B G B zum gesetzlichen Kündigungsschutz. Bei der Umgehung von Genehmigungspflichten werden ebenfalls subjektive Gesichtspunkte wertend berücksichtigt. Die Beispiele zeigen bereits, daß es sich hierbei um Einzel- und Sonderfälle handelt. Sie weisen jedoch darauf hin, wie in der Praxis die umgehungsspezifische Wertung zwar oft, aber nicht nur mit der Methode der Analogie durchgesetzt wird. Die Wertung steht deutlich im Vordergrund, während die Voraussetzungen und Grenzen methodischen Vorgehens zurücktreten - ein Phänomen, das zwar in der juristischen Praxis grundsätzlich verbreitet ist, für Umgehungsfälle indes geradezu typisch. Demzufolge sind die Kriterien der Wertung nicht davon abhängig, ob ein Analogieschluß erfolgt oder nicht.

Dazu oben § 7 II.2.b), c). BAG 2 6 . 8 . 1 9 8 8 - 7 AZR 101/88, NZA 1989, 965 (Ls.). 2 0 BAG 1 3 . 6 . 1986 - 7 AZR 650/84, NZA 1987, 2 4 1 (243); zu einer unerheblichen Provisionszusage BAG 2 1 . 4 . 1993 - 7 AZR 297/92, NZA 1994, 4 7 6 . 2 1 MünchHdb.ArbR Bd. 2 - Wank § 116 Rdnr. 163; s. auch BAG 4 . 1 2 . 2 0 0 2 - 7 AZR 492/ 01, DB 2 0 0 3 , 2 0 1 6 . Der heutige Gesetzgeber hat beide Vertragsformen gleichgestellt, vgl. § 21 TzBfG. Zu diesen Fragen im einzelnen unten § 11 IV.l.a). 18

19

II. Stufen der Wertung in

II. Stufen der Wertung in

Umgehungsfällen

117

Umgebungsfällen

1. Ziel des umgangenen Gesetzes a) In der Praxis sind Entscheidungen in Umgehungsfällen kaum vorhersehbar; die Rechtsunsicherheit ist erheblich 2 2 . Bereits erwähnt wurde beispielsweise die Entscheidung des B G H zu einer sog. „Roggenklausel" 2 3 , in der das Gericht eine offensichtliche Umgehungskonstruktion durch ergänzende Vertragsauslegung rettete, während grundsätzlich die Umgehung von Genehmigungspflichten zur Nichtigkeit des zugrundeliegenden Geschäfts führt 2 4 . Zu unterschiedlichen Ergebnissen in gleichartigen Fällen ist die Praxis auch bei der Sicherungsübereignung gekommen, deren Zulässigkeit in Deutschland seit einer Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1 9 0 4 2 5 wohl unbestritten ist und die in Österreich und der Schweiz das Schulbeispiel einer unzulässigen Umgehung des Besitzpfandprinzips bildet 2 6 . Die Umgehung von § 181 B G B durch Bestellung eines Unterbevollmächtigten war nach dem Reichsgericht ohne weiteres gültig 2 7 ; nach einer Entscheidung des B G H aus dem Jahre 1 9 9 0 erfaßt § 1 8 1 B G B dagegen auch den Vertragsschluß durch Unterbevollmächtigte 2 8 . Eine andere trickreiche Konstruktion ließ der B G H dagegen zu: Gesellschaften, die von denselben Personen vertreten werden, hatten statt eines Erlaßvertrages einen pactum de non petendo geschlossen 2 9 . Die Abtretung einer Forderung zur Erlangung der Zeugenstellung im Zivilprozeß ist wirksam 3 0 ; die Abtretung einer Forderung an einen Detektiv soll aber eine unzulässige Umgehung des Rechtsberatungsgesetzes sein 3 1 . Werden durch unwiderrufliche Vollmachten Formvorschriften umgangen, greift § 3 1 1 b Abs. 1 B G B (früher § 3 1 3 BGB) nach mehreren Gerichtsentscheidungen ein 3 2 , die Formvorschriften des früheren § 4 Abs. 1 S . 4 Nr. 1 VerbrKrG (jetzt § 4 9 2 BGB) dagegen nicht 3 3 . 2 2 Dazu auch Schurig, Gesetzesumgehung, S. 381 f.; F n . 4 6 mit zahlreichen Beispielen und oben, § 1. 2 3 BGH 3 . 7 . 1 9 8 1 - V Z R 100/80, N J W 1 9 8 1 , 2 2 4 1 . 2 4 Oben § 7 I I . 2 . b ) . 2 5 R G 8 . 1 1 . 1904 - Rep. III. 173/04, R G Z 59, 146. 2 6 Österreich: Rummel-Krejci, ABGB, § 879 Rdnr.41; Gschnitzer, Schuldrecht Allgemeiner Teil, S. 99f.; Schweiz: Berner Kommentar zum Z G B - Merz Art. 2 Rdnr. 89. Dazu Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 7 6 ; 381 m.w.N. 2 7 R G 2 7 . 9 . 1924 - V 367/23, R G Z 108, 4 0 5 . 2 8 BGH 2 4 . 9 . 1990 - II Z R 167/89, N J W 1991, 6 9 1 . 2 9 BGH 3 0 . 1 1 . 1955 - VI Z R 95/54, L M Nr. 19 zu § 134 BGB. 3 0 R G 3 . 1 . 1 9 1 3 - R e p . III. 233/12, R G Z 8 1 , 1 6 0 ; O L G Frankfurt 2 4 . 3 . 1 9 8 2 - 1 7 U 145/81, VersR 1982, 1079. 3 1 O L G Nürnberg 1 7 . 1 0 . 1975 - 1 U 53/75, O L G Z 1 9 7 6 , 2 3 5 . 3 2 Dazu oben § 8 I.l.b). 3 3 BGH 2 4 . 4 . 2 0 0 1 - IX Z R 40/00, BB 2 0 0 1 , 1114 = EWiR § 167 BGB 1/01, 563 (Saenger); BGH 1 0 . 7 . 2 0 0 1 - XI Z R 198/00, EWiR § 167 BGB 2/01, 897 (Saenger/Bertram). Nach dem im

118

§8

Umgehungsspezifische

Wertung

Die Beispiele machen deutlich, daß den Entscheidungen keine objektiven Abgrenzungskriterien zugrunde liegen, sondern Wertungen. Ausgangspunkt ist die umgangene Norm: Gesetzesumgehung ist vorrangig ein Problem der Normgeltung 34 . Wie oben erörtert 35 , definiert sich die Umgehung dadurch, daß zwar der Geltungsbereich der umgangenen Norm nicht betroffen ist, aber ihre „sententia" verletzt. Damit ist nicht der durch Auslegung zu ermittelnde Sinn der Norm gemeint, sondern ihr Ziel, das über den Geltungsbereich hinausgehen kann. Aus der Unterscheidung zwischen „Sinn" und „Ziel" des Gesetzes ergibt sich der erste Schritt, um eine Gesetzesumgehung festzustellen. Gesetzesumgehung ist nur dann möglich, wenn der Sinn des Gesetzes hinter seinem Ziel zurückbleibt, das Gesetz also zwar ein bestimmtes Ziel zum Ausdruck bringt, ihm aber - z.B. wegen der Wortlautgrenze - nicht vollständig dienen kann. Mit anderen Worten: Es muß eine Wertung dahingehend erfolgen, daß das Gesetz über seinen Geltungsbereich hinaus für den Fall einschlägig ist. b) Beispiele lassen sich der Rechtsprechung entnehmen. In einem Fall des Reichsgerichts war die Formvorschrift § 15 Abs. 3 GmbHG durch eine Ermächtigung nach § 181 BGB umgangen worden 36 . Eine Ausdehnung der Formvorschrift auf solche - grundsätzlich formfreien - Ermächtigungen durch bloße Auslegung ist nicht möglich. Das Reichsgericht argumentierte jedoch, das umgangene Gesetz diene dem Zweck, einen spekulativen Handel mit GmbH-Geschäftsanteilen zu verhindern. Das Insichgeschäft wurde also zu einer Umgehung, weil das Gesetz diesem Ziel durch seinen begrenzten Geltungsbereich nicht voll dienen konnte. Bereits erwähnt wurde ein Urteil des Landgerichts Bonn aus dem Jahr 1996 3 7 . Der Schuldner eines Anspruchs auf Unterhaltsrente war gleichzeitig Gläubiger eines Kostenerstattungsanspruchs gegen die Unterhaltsberechtigte. Eine Aufrechnung ist in solchen Fällen nach § 394 BGB nicht möglich, weil Unterhaltsrenten unpfändbar sind ( § 8 5 0 b Abs. 1 Nr.2 ZPO). Der Unterhaltsschuldner fand einen einfachen Weg zur Umgehung dieser Vorschriften, indem er die Rente auf ein Konto überwies, das er zuvor wegen des Erstattungsanspruchs hatte pfänden lassen. Das Landgericht Bonn verneinte eine Erfüllung der Unterhaltspflicht; die Begründung stützt sich im wesentlichen auf § 2 4 2 BGB. In Wahrheit liegt eine GeZuge der Schuldrechtsreform eingeführten § 4 9 2 Abs. 4 BGB erfassen die Formvorschriften ebenfalls Kreditvollmachten; ebenso bereits zum alten Recht O L G München 2 2 . 4 . 1 9 9 9 - 31 W 1110/99, N J W 1999, 2 1 9 6 (2197). Zu allem oben § 5 I.l.c)bb). 34 Teichmann, S . 6 9 ; Staudinger - Sack § 134 Rdnr. 145; so im Ansatz auch Sieker, S.8ff. Teichmanns Gedanke der Umgehung als Frage der Rechtsanwendung wurde auch vom BGH in einer Entscheidung über verdeckte Sacheinlagen aufgenommen; BGH 1 5 . 1 . 1990 - II Z R 164/ 88, B G H Z 110, 4 7 (64). 3 5 Oben § 7 I.l.a). 3 6 R G 2 6 . 1 0 . 1915 - Rep. II. 236/15, R G Z 87, 2 4 6 (248). 3 7 LG Bonn 2 7 . 2 . 1 9 9 6 - 2 S 109/95, FamRZ 1996, 1486.

II. Stufen der Wertung in

Umgehungsfällen

119

setzesumgehung vor: Zwar lassen sich § § 3 9 4 B G B , 8 5 0 b Z P O weder nach ihrem Wortlaut noch Sinn auf gepfändete Konten anwenden. Dennoch drängt sich die Wertung auf, über den Geltungsbereich hinauszugehen, da anderenfalls das Ziel des § 3 9 4 B G B i.V.m. den Regeln über den Pfändungsschutz unterlaufen würde, Schuldnern ein Mindesteinkommen zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts zu sichern 3 8 . Ähnliches gilt für die z.T. bereits genannten Fälle der Umgehung der Vorschriften des Kapitalgesellschaftsrechts über die Aufbringung und Erhaltung des Sachkapitals. Die Wertung, die über ihren eigentlichen Geltungsbereich hinaus führt, ergibt sich aus dem Ziel des Gläubigerschutzes 3 9 . Ein weiteres Beispiel ergibt sich aus der Umgehung der Regelung in § 9 9 Abs. 1 Z P O , die die isolierte Anfechtung von Kostenentscheidungen verbietet. Nach einer Entscheidung des O L G Düsseldorf ist nach dem Zweck dieser Regelung auch ein mit der Berufung gestellter Sachantrag unzulässig, der erklärtermaßen dem alleinigen Ziel dient, eine Änderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung zu erreichen 4 0 . Ein Gegenbeispiel bildet eine Entscheidung des B G H aus dem Jahr 1 9 7 7 , bei der es um ein Vorkaufsrecht ging: Ein mit einem Vorkaufsrecht belastetes Grundstück war verkauft worden, dabei hatte sich der Käufer den Rücktritt vom Vertrag vorbehalten 4 1 . Die Vorkaufsberechtigte war der Ansicht, § 4 6 5 B G B (der frühere § 5 0 6 BGB) müsse auf diese Vereinbarung analog angewandt werden. Der B G H sah das anders: § 4 6 5 B G B solle nur verhindern, daß in den Kaufvertrag Vereinbarungen aufgenommen werden, welche es dem Verpflichteten ermöglichen, sich vom Vertrag zu lösen. Ein Rücktrittsrecht des Käufers greife nicht in die Rechte des Vorkaufsberechtigten ein. Da das Ziel der vermiedenen Norm also nicht verletzt war, lag keine Gesetzesumgehung vor. Die Bedeutung des gesetzlichen Ziels wird auch deutlich an einem Urteil des B G H aus dem Jahr 2 0 0 3 4 2 . Es ging um einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag, in dem sich der Verleiher vorbehalten hatte, ein Vermittlungshonorar von 2 7 0 0 bis 4 0 0 0 D M für den Fall zu verlangen, daß der Entleiher den Arbeitnehmer einstellt. Der B G H wies die Klage auf Zahlung des Vermittlungshonorars unter Hinweis auf § 9 Nr. 4 AÜG a.F. (jetzt § 9 Nr. 3 AÜG) ab. Diese Norm verbietet je3 8 Zur Umgehung von Aufrechnungsverboten Werner, Umgehung von Aufrechnungshindernissen; zu § 8 9 4 BGB S. 166ff. Werner kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, daß es für die von ihm untersuchte Umgehung durch Zwangsvollstreckung in eigene Forderungen auf das Ziel der umgangenen Norm ankommt, S. 143ff., 247ff. Zur Umgehung einer Aufrechnungslage OLG Düsseldorf 2 3 . 3 . 2 0 0 1 - 22 U 140/00, NJW-RR 2 0 0 1 , 1 0 2 5 ; zur Ergehung einer Aufrechnungslage BGH 2 8 . 4 . 1 9 8 7 - VI Z R 1 und 43/86, DB 1987, 1884. 3 9 In OLG Hamm 2 3 . 1 0 . 1996 - 8 U 63/96, BB 1997, 4 3 3 kommt diese Wertung dadurch zum Ausdruck, daß die Normen über Kapitalaufbringung und -erhaltung ausdrücklich als „umgehungsfest" bezeichnet werden; im einzelnen unten § 9 1.3. 4 0 O L G Düsseldorf 5 . 1 1 . 1 9 9 0 - 10 U 14/90, NJW-RR 1991, 4 4 7 . 4 1 BGH 1 1 . 2 . 1 9 7 7 - V Z R 40/75, B G H Z 67, 3 9 5 (398). 4 2 BGH 3 . 7 . 2 0 0 3 - III Z R 384/02, DB 2 0 0 3 , 2 1 2 5 .

120

5 8 Umgehungsspezifische

Wertung

doch nur Vereinbarungen, die dem Entleiher die Einstellung des Leiharbeitnehmers untersagen. In dem vergleichsweise geringen Vermittlungshonorar kann kaum ein Verstoß gegen das Ziel des Gesetzes gesehen werden, da gerade nicht die Einstellung verhindert werden soll, sondern der Entleiher im Gegenteil an der Vermittlung verdienen wollte 4 3 .

2 . Die Eingriffsschwelle Der Verstoß gegen das Ziel des umgangenen Gesetzes ist also der Ausgangspunkt für die umgehungsspezifische Wertung. Jedoch ist es in der Praxis keineswegs so, daß alle derartigen Umgehungsfälle unwirksam sind. Zwar wird oft der Begriff Gesetzesumgehung benutzt, wenn die Unwirksamkeit eines Geschäfts begründet werden soll. Es gibt aber auch Konstruktionen, die durchaus ein Gesetz umgehen, aber keineswegs unwirksam sind. Bereits eingangs erwähnt wurden die Beispiele der Ein-Mann-GmbH und der G m b H & Co. K G , die mit den Zielen des GmbH-Rechts oder des Personengesellschaftsrechts nicht unbedingt konform gehen; ähnliches läßt sich auch über die Sicherungsübereignung und das Faustpfandrecht sagen 4 4 . Allgemein neigt die Rechtsprechung dazu, Umgehungsfälle ungeachtet der Abgrenzungsschwierigkeiten eher anderen Normen zu unterstellen, insbesondere § 138 B G B . Dieser vorsichtige Umgang mit der Rechtsfigur der Gesetzesumgehung ist auch einleuchtend. Die „Gleichstellung" als Lösung eines Umgehungsfalles enthält immerhin ein nicht unproblematisches Vorgehen: Eine Rechtsnorm wird über ihren eigentlichen Geltungsbereich hin ausgedehnt. Gesetzesumgehung ist daher mit Recht in der Praxis eine Art „letzter Nothelfer" 4 5 . Diese Bezeichnung bringt den grundlegenden Konflikt zum Ausdruck: Nothelfer sollte man nicht zu oft bemühen, damit sie nicht zum Regelfall werden. Andererseits kommt man ohne Nothelfer nicht weiter, wenn wirklich einmal Not besteht. Wo aber ist die Grenze; wie soll man bestimmen, was „ N o t " ist? Eine eingrenzende Wirkung folgt bereits daraus, daß der Verstoß gegen das Ziel der umgangenen Norm von der unbeachtlichen Gesetzesvermeidung unterschieden wird. Die Unterscheidung zwischen Ziel und Zweck der Norm ergibt sich jedoch bereits aus der Definition der Umgehung; sie ist also nur der erste, definitorische Schritt der umgehungsspezifischen Wertung. Zusätzlich muß die Verfehlung des Gesetzesziels ein bestimmtes Ausmaß haben, damit die Gesetzesumgehung nicht mehr toleriert werden kann 4 6 . Es muß abgewogen werden zwischen dem Interesse an der Anwendung der Norm und dem Interesse des NormSo auch Thüsing DB 2 0 0 3 , 2 1 2 2 (2122f.). Dazu beachtliche Argumente bei Barthelmes, S.42ff. 4 5 So Delahaye WuW 1987, 877 (882) (zum Kartellrecht), der diese Bezeichnung allerdings kritisch meint. 46 Schurig, Gesetzesumgehung, S. 401 f. 43

44

II. Stufen der Wertung in

Umgehungsfällen

121

unterworfenen, sich darauf verlassen zu können, daß eine Norm nicht willkürlich über ihren Geltungsbereich hinaus ausgedehnt wird. Schurig hat für diese zweite Wertungsstufe zwei Bezeichnungen geprägt, die dasselbe aus unterschiedlicher Perspektive beschreiben: Eingriffsschwelle oder Toleranzschwelle 47 . Im folgenden wird der Begriff der Eingriffsschwelle verwendet. Er umschreibt die Stufe, von der an eine Gesetzesumgehung unwirksam sein muß, das Interesse an der Ausweitung der Norm also überwiegt. In Deutschland liegt die Eingriffsschwelle in der Praxis recht hoch; eine Ausnahme bildet die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte 48 . Die Verantwortung für die Möglichkeit von Gesetzesumgehungen liegt nach wohl überwiegender Ansicht beim Gesetzgeber, der nur in drastischen Fällen - eben in Notfällen - gerichtlich korrigiert werden sollte. Was aber sind Notfälle? Im Gegensatz zu Schurigs Ansatz liegt das Hauptproblem nicht in dem Ausmaß an Not oder Unangemessenheit, also dem quantitativen Moment. Problematisch ist vielmehr, daß es keine auch nur halbwegs verläßlichen Kriterien dafür gibt, woran „Not" überhaupt kenntlich wird; es fehlt also an der Feststellung der Qualität der Eingriffsschwelle. Was haben beispielsweise Aufhebungsverträge und Neueinstellungen beim Betriebsübergang mit der Mantelgründung einer GmbH gemeinsam, daß ein „Eingriff" erfolgt; und warum ist das bei Gründung einer GmbH & Co. KG nicht erforderlich? Schurig schlägt vor, zur Abgrenzung auf „subjektive Elemente" abzustellen 49 . Diese Formulierung ist vorsichtiger als die von der früheren Rechtsprechung geforderte Umgehungsabsicht, aber nicht weniger unbestimmt. Insbesondere ist es nicht möglich, Gesetzesumgehungen von der - erlaubten und unbeachtlichen rechtlichen Planung des Handelns abzugrenzen, wenn nicht auch objektive Elemente einbezogen werden. Darüber hinaus bleibt unbestimmt, ob die „subjektiven Elemente" gleichzeitig eine Wertung enthalten müssen, beispielsweise ist in der Literatur zum IPR oft die Rede davon, die umgangene Norm müsse mißbraucht worden sein 50 . Schließlich sind subjektive Elemente stets den Einwänden ausgesetzt, die auch gegen das Merkmal der Umgehungsabsicht vorgebracht werden und es weitgehend bedeutungslos gemacht haben: Subjektives ist nur schwer oder gar nicht zu beweisen. Zwar kann aus objektiven Elementen auf Umgehungsabsicht geschlossen werden, insbesondere aus einem konstruierten und künstlich wirkenden Vorgehen 51 . Subjektive Elemente können aber auch zu einer willkürlichen 4 7 Der erste Begriff stammt aus Schurig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 1 ; der zweite aus Kegel/ Schurig, IPR, S . 4 2 2 . Eine derartige Differenzierung fehlt bei Sieker, vgl. S. 66ff., 87ff. 4 8 So auch Schurig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 1 f. 49 Schurig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 3 f . , 4 0 7 . 5 0 Grundlegend Römer, S.39ff.; s. nur Ferid, IPR, Rdnr. 3 - 1 7 8 ; v. Hoffmann, IPR, § 6 Rdnr. 123 hält „Verwerflichkeit" für erforderlich; dazu im einzelnen unten § 14 II., § 15 III.3. 5 1 So 1889 Barthelmes, S. 11; 1998 Heeder, S . 2 1 3 f .

122

§8 Umgehungsspezifische

Wertung

Abgrenzung führen, wenn der Schutzgedanke des umgangenen Gesetzes im Vordergrund steht. Ein Beispiel bildet der befristete Arbeitsvertrag, an dem die Arbeitsgerichte den Begriff der „objektiven Gesetzesumgehung" entwickelten: Der Arbeitgeber wird nicht zugeben, eine Umgehung des Kündigungsschutzes gewollt zu haben; oft wird er auch tatsächlich andere Gründe für die Befristung gehabt haben. Gleichzeitig kann eine so einfache vertragliche Gestaltung wie eine Befristung nicht als konstruiert oder künstlich bezeichnet werden. D e r Schutzzweck des Kündigungsrechts gebietet jedoch, trotzdem die Möglichkeiten der Befristung einzuschränken; und zwar nach gleichen Kriterien unabhängig von der Einstellung des Arbeitgebers - auch das T z B f G sieht keine derartige Einschränkung vor. Somit können subjektive Elemente für die Bestimmung der Eingriffsschwelle zwar wichtig sein, sie sind jedoch nicht in jedem Fall allein ausschlaggebend. Auch die Praxis wendet nicht nur subjektive Kriterien an, wenn sie wirksame von unwirksamen Umgehungen abgrenzt. Die statt dessen verwendeten Abgrenzungsmerkmale sind ganz unterschiedlich, lassen sie sich aber bestimmten Gruppen zuordnen. Diese Kriterien der Wertung sind Gegenstand des nächsten Abschnitts.

§ 9 Kriterien der Wertung Für die H ö h e der Eingriffsschwelle k a n n es keine festen Grenzen geben, da sie von der grundlegenden Einstellung zu Gesetzesumgehungen abhängt. Das Spekt r u m reicht von Empörung über das Aushebeln gesetzlicher Regelungen und die Verletzung der Autorität des Gesetzes bis zur Bewunderung f ü r einfallsreiche Umgehungskonstruktionen, wobei die Unvollständigkeit des umgangenen Gesetzes als gesetzgeberisches Risiko angesehen wird. Die Rechtsunsicherheit bis an die Grenze der Willkür, wie sie sich im praktischen Umgang mit Umgehungsfällen gezeigt hat, ist jedoch weniger auf die Frage zurückzuführen, wie die H ö h e der Eingriffsschwelle quantitativ festgelegt werden soll. Statt dessen liegt die Unsicherheit auf der qualitativen Ebene: Es fehlt an einheitlichen und vorhersehbaren inhaltlichen Kriterien, nach denen sich die Eingriffsschwelle bestimmen ließe. Sieker entwickelt eine Systematisierung, indem sie Fallgruppen von Umgehungsgeschäften bildet. Solche „typischen Formen der Ausweichgestaltung" sollen z.B. die Aufspaltung einheitlicher Gestaltungen oder das Zwischenschalten anderer Personen sein 1 . Dieses Vorgehen begegnet jedoch in mehrfacher Hinsicht Bedenken. Wie schon die bisherigen Beispielsfälle gezeigt haben, sind Umgehungsgeschäfte so vielgestaltig, d a ß es nicht möglich ist, alle denkbaren Umgehungsstrategien in noch so weit gefaßten Fallgruppen zu erfassen. Das gilt erst recht, wenn die Gesetzesumgehung nicht durch ein Geschäft erfolgt, sondern durch tatsächliche Handlungen, so die verbreitete Umgehung von Aufrechnungshindernissen durch M a ß n a h m e n der Zwangsvollstreckung 2 . Auch Aufspaltungen müssen nicht stets auf vertraglichem Wege geschehen. So ist werden beispielsweise Dachfonds verbreitet in mehrere gleichartige Produkte aufgespalten, um damit eine Regelung des Kapitalanlagenrechts zu umgehen, wonach ein Dachfond höchstens 1 0 % der Anteile an einem Zielfond erwerben kann 3 .

1

Sieker, S . 4 6 f f . Dazu 'Werner, U m g e h u n g von Aufrechnungshindernissen, S.43ff., 147ff. mit zahlreichen Beispielsfällen. 3 Dazu „ D a c h f o n d s umgehen Anlegerschutzklausel", FAZ v o m 2 3 . 1 . 2 0 0 2 , S.23. Diese Gestaltungen werden als Folge einer Gesetzeslücke allgemein akzeptiert; allerdings haben sie bislang noch nicht zu M i ß s t ä n d e n geführt. - Auch mit Siekers M e t h o d e der „Qualifikation des Sachverhalts" w ä r e dieser Beispielsfall nicht zu lösen; dazu oben § 4 I I . l . 2

124

§ 9 Kriterien der

Wertung

Zuletzt hilft eine derartige Systematisierung für die in Umgehungsfällen entscheidende Wertung nicht weiter. Wenn beispielsweise der Geltungsbereich eines Gesetzes durch eine Vertragsaufspaltung umgangen wird, kann die Wirksamkeit dieser Gestaltung ganz unterschiedlich zu bewerten sein, je nachdem, um welches Gesetz es geht. So kann man sich z.B. bei der Aufteilung eines Grundstücks zur Umgehung einer Genehmigungspflicht auf den Standpunkt stellen, ein solches Vorgehen sei - sofern es kein Scheingeschäft darstellt - als Folge klarer gesetzlicher Grenzen zu akzeptieren. Anders ist es, wenn ein Arbeitgeber grundlos mehrere extrem kurzfristige Arbeitsverträge abschließt, um damit über § 3 Abs. 3 EFZG die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu umgehen 4 . Entscheidend für die Wertung ist in diesen Fällen nicht die Gestaltungsform, sondern vorrangig der Zweck des umgangenen Gesetzes; im Beispielsfall der Schutzzweck der gesetzlichen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Weiter kann von Bedeutung sein, ob z.B. eine Aufspaltung nur zum Zweck der Gesetzesumgehung erfolgt oder aus anderen Gründen. Es ist daher keine Gruppenbildung von Umgehungsgeschäften möglich, sondern eine wertende Einzelfallbetrachtung erforderlich. Die dabei angewandten Wertungskriterien dürfen sich nicht auf bestimmte Mittel der Umgehung beschränken, wenn sie alle praktischen Fälle erfassen sollen. Die Rechtsprechung bedient sich bei der Ermittlung der Eingriffsschwelle verbreitet subjektiver Kriterien. Es wird dabei unterschiedlich beurteilt, ob Umgehungsabsicht oder Umgehungszweck vorhanden sein, wie sie im einzelnen ausgestaltet sein müssen und wie sie festgestellt werden können. In vielen Umgehungsfällen werden aber auch objektive Kriterien herangezogen. Sie können unterschiedliche Grundlagen haben: Erstens können objektive Kriterien aufgestellt werden, um die subjektive Einstellung des Umgehers festzustellen oder zu manifestieren. Ein Beispiel bildet die Umgehung der Gründungsvorschriften für eine GmbH: Der BGH hat dazu eine entsprechende Absprache gefordert 5 . Zweitens können objektive Voraussetzungen auch unabhängig von der Umgehungsabsicht das Verhalten im Zusammenhang mit der Umgehung betreffen. Diese objektiven Kriterien sind oft wertender Natur; so kann entscheidend sein, ob das Verhalten Elemente der Sittenwidrigkeit oder des Rechtsmißbrauchs aufweist oder ob ein Dritter - zum Beispiel ein Vorkaufsberechtigter - geschädigt wird. Drittens kann die umgangene N o r m als objektives Kriterium herangezogen werden; es kann auf ihr Verhältnis zur Privatautonomie ankommen; darauf, ob sie Teil einer Kodifikation oder eines Spezialgesetzes ist oder auf ihr Verhältnis zu anderen Normen. 4

BAG 1 1 . 1 2 . 1 9 8 5 - 5 AZR 135/85, BAGE 5 0 , 2 9 2 zur früheren Regelung § 1 Abs. 1 LFZG. BGH 4 . 3 . 1996 - II Z R 89/95, B G H Z 1 3 2 , 1 3 3 (139) = N J W 1996, 1286; ausführlich unten § 9 I . 3 . a ) . 5

I. Besonderheiten

des umgangenen

Gesetzes

I. Besonderheiten des umgangenen

125

Gesetzes

Das umgangene Gesetz ist als Objekt der Gesetzesumgehung bereits für die erste Stufe der umgehungsspezifischen Wertung maßgeblich. In der Praxis wird aber auch bei der weitergehenden Wertung regelmäßig auf die Besonderheiten des umgangenen Gesetzes abgestellt. So werden die Normen über Kapitalaufbringung und -erhaltung bei der G m b H ausdrücklich als „umgehungsfest" bezeichnet 6 . Eindringliche Worte finden sich in einer Entscheidung des Reichsgerichts zur Umgehung einer gesetzlichen Regelung, die eine Beschränkung des Ruhegehalts für Beamte vorsah: „Die planmäßige Umgehung eines Gesetzes kann [...] nichtig sein, zumal dann, wenn das betroffene Gesetz in der Not des Vaterlandes und zu ihrer Bekämpfung erlassen worden ist" 7 . In der kartellrechtlichen Literatur werden vor allem die Besonderheiten des Kartellrechts herangezogen, um den Umfang eines Umgehungsverbots zu bestimmen 8 . Die Kriterien dieser Einzelfälle lassen sie sich kaum verallgemeinern. Das liegt bereits daran, daß sich das umgangene Gesetz nicht immer genau ermitteln läßt: Es können mehrere unterschiedliche Gesetze in Betracht kommen, es kann ein Normengefüge oder sogar ein ganzes Rechtsgebiet umgangen werden. Deutlich wird das in der Begründung der Grundsatzentscheidung des BAG zu Gratifikationen mit Rückzahlungsklausel 9 : Der Senat stellte fest, eine Rückzahlungspflicht für Weihnachtsgratifikationen für unübersehbar lange Zeit sei „wegen Verstoßes gegen die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und aus dem Gesichtspunkt der Gesetzesumgehung nichtig". Es handele sich um eine Vertragsgestaltung, für die „im Gefüge des deutschen Arbeitsrechts ein verständiger Arbeitgeber keine sachliche Rechtfertigung" finden könne - umgangenes Gesetz ist also das gesamte Arbeitsrecht. Selbst wenn sich die umgangene Norm genau feststellen läßt, fehlt es oft an Kriterien, was ein Gesetz „umgehungsfest" macht und bis zu welchem Grad. Die einzelfallbezogenen Entscheidungen lassen keine einheitliche Linie erkennen. Allerdings bilden sich Schwerpunkte heraus. So wird häufig wird mit dem umgangenen Gesetz argumentiert, wenn dieses die Privatautonomie einschränkt und wenn es sich um ein Schutzgesetz handelt. Von besonderer praktischer Bedeutung sind dabei die schon mehrfach erwähnten Fälle der Gesetzesumgehung im Kapitalgesellschaftsrecht. Sie betreffen meist die Regeln über die Aufbringung und Erhaltung des Stammkapitals, deren „Umgehungsfestigkeit" mit dem Schutz von Gläubigern und Rechtsverkehr begründet wird.

6 7 8 9

So z.B. O L G Hamm 2 3 . 1 0 . 1996 - 8 U 63/96, BB 1997, 4 3 3 . R G 2 9 . 1 . 1 9 2 9 - I I I 161/28, R G Z 123, 2 0 8 (211). Delabaye WuW 1987, 877. BAG 1 0 . 5 . 1 9 6 2 - 5 AZR 452/61, BAGE 13, 129 (Ls. 2, S.134).

126

§ 9 Kriterien

der

Wertung

1. Einschränkung der Privatautonomie Viele Umgehungsfälle betreffen Gesetze, durch die in irgendeiner Weise die Privatautonomie eingeschränkt wird. Bereits erwähnt wurden die Verbraucherschutzregelungen der allgemeinen Geschäftsbedingungen, Haustürgeschäfte etc., die ausdrückliche Umgehungsverbote enthalten 10 . Einschränkungen der Privatautonomie enthalten auch die ebenfalls bereits erörterten Genehmigungspflichten, die bestimmte Rechtsgeschäfte unter Genehmigungsvorbehalt stellen 11 . Mit den Genehmigungspflichten verwandt sind Erlaubnispflichten, die nicht einzelne Rechtsgeschäfte betreffen, sondern eine bestimmte Tätigkeit. Auch Gesetze, die einen Erlaubnisvorbehalt begründen, werden oft umgangen. So hat die Rechtsprechung eine Umgehung des Erlaubniszwangs in Art. 1 § 1 RBerG angenommen, wenn an einen Detektiv Forderungen zum Einzug abgetreten werden12 oder eine Bank einen „Unfallhilfe-Ring" betreibt 13 . Damit verwandt ist die Erlaubnispflicht für selbständige Steuerhilfe. Das OLG Koblenz hatte 1990 abzugrenzen, unter welchen Voraussetzungen sie durch ein Arbeitsverhältnis umgangen werden kann 14 . Andere Fälle betreffen die Konzessionspflicht für Gastwirte, die oft durch Strohmanngeschäfte umgangen wird 15 . Eine Entscheidung des Reichsgerichts befaßte sich mit der Umgehung der Zulassung und Aufsicht im Versicherungsrecht16. Eine besondere Rolle spielt die Gesetzesumgehung auch im Kartellrecht. Neben dem ausdrücklichen Verbot der Umgehungsempfehlung in § 38 Abs. 1 Nr. 11 GWB a.F. (jetzt § 2 2 Abs. 1 S. 1 GWB) wird ein allgemeines kartellrechtliches Umgehungsverbot diskutiert 17 . Deutlich wird das an der umstrittenen Frage, ob in einem planmäßigen Vorgehen eines Verbandes gegen eine Vielzahl von KfzHändlern wegen Rabattverstoßes eine Umgehung des Kartellgesetzes liegt 18 . Delahaye vertritt die Auffassung, das BGB begründe die Privatautonomie, das GWB schränke sie ein 19 . Damit sei das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt: Während im BGB die Einschränkung der Privatautonomie die Regel sei, bilde sie

Oben § 5 1.2. Oben § 7 II.2.b). 1 2 OLG Nürnberg 1 7 . 1 0 . 1975 - 1 U 53/75, O L G Z 1976, 2 3 5 . 1 3 BGH 6 . 1 1 . 1973 - VI Z R 194/71, B G H Z 61, 3 1 7 (320); dazu oben § 6 I.2.b). 1 4 O L G Koblenz 3 0 . 1 0 . 1990 - 3 U 1293/89, N J W 1991, 4 3 0 . 1 5 Z.B. LG Berlin 2 0 . 4 . 1 9 7 7 - 54 S 129/76, N J W 1977, 1826. 1 6 RG 1.6. 1937 - VII 15/37, R G Z 155, 138. Die Begründung der Entscheidung stützt sich allerdings ausschließlich auf das „gesunde Volksempfinden" (S. 146f.); vermutlich von nationalsozialistischem Gedankengut beeinflußt. 17 Benkendorff WuW 1954, 147; Delahaye WuW 1987, 877. Zu den Besonderheiten des Kartellrechts im übrigen Mansch Z H R 150 (1986), 3 5 4 (356ff.). 18 Bejahend O L G Hamm 1 1 . 1 2 . 1984 - 4 U 121/84, W R P 1985, 283 m.w.N. 19 Delahaye WuW 1987, 877 (883f.). 10 11

1. Besonderheiten

des umgangenen

Gesetzes

127

im Kartellrecht die Ausnahme. Der Umgehungsgedanke des allgemeinen Zivilrechts könne damit nicht auf das Kartellrecht übertragen werden. Es stellt sich die Frage, o b sich daraus allgemeine Schlußfolgerungen ziehen lassen: M u ß die Eingriffsschwelle um so höher sein, je mehr das umgangene Gesetz in die Privatautonomie eingreift? Das oben erwähnte Beispiel des Verbraucherschutzes zeigt, daß sich die Überlegungen nicht verallgemeinern lassen. Selbst wenn die gesetzlichen Umgehungsverbote nicht existierten oder - folgt man der herrschenden Meinung - nur deklaratorisch sind, sprechen Z w e c k und Schutzrichtung des Verbraucherschutzes dafür, die Eingriffsschwelle eher niedrig anzulegen. Dasselbe gilt für Arbeits- und Gesellschaftsrecht, die zwar ebenfalls die Freiheit des Unternehmers einschränken, aber gleichzeitig Arbeitnehmer und Gläubiger schützen. Die Privatautonomie und das Ausmaß ihrer Einschränkung allein bilden so zwar einen häufigen Grund für Umgehungen, aber kein geeignetes Abgrenzungskriterium. Statt dessen m u ß untersucht werden, welchem Sinn und Z w e c k die Regulierung dient. Ein geeigneter Prüfstein dafür kann die Schutzrichtung des umgangenen Gesetzes sein.

2. Schutznormen Der Begriff der „ S c h u t z n o r m " ist kein bestimmter Rechtsbegriff, da nahezu alle N o r m e n dem Schutz irgendeines Rechtsguts dienen. Er ist jedoch geeignet, eine bestimmte Gruppe von Gesetzesumgehungen zu beschreiben. Sie zeichnen sich dadurch aus, daß die Wertung, die zur Bestimmung der Eingriffsschwelle dient, sich allein auf die Schutzrichtung der umgangenen N o r m stützen kann. Weitere Umstände - insbesondere Umgehungsabsicht o . ä . - müssen im Regelfall nicht hinzukommen. Schutznormen greifen zugunsten eines Betroffenen ein, wenn die Voraussetzungen der Privatautonomie - Ausgleich durch gleich starke Kräfte - nicht gegeben sind 2 0 . Das kann daran liegen, daß eine der Parteien der anderen unterlegen ist, insbesondere wegen eines wirtschaftlichen Ungleichgewichts 2 1 . Beispiele bilden der Verbraucherschutz und das Arbeitsrecht - vor allem der Kündigungsschutz - der Mieterschutz und der Pfändungsschutz. Sie lassen sich mit dem Begriff der sozialen Schutznorm zusammenfassen. Schutznormen sind aber auch erforderlich, wenn jemand Nachteile durch das Handeln und die Rechtsgeschäfte eines Dritten erleiden kann, ohne darauf unmittelbar Einfluß nehmen zu können. Das ist besonders im R a h m e n von Vertragsverhältnissen der Fall; daher können sowohl Vorschriften umgangen werden, die dem Schuldnerschutz, als auch solche, die dem Gläubigerschutz dienen. 2 0 Daher kommen nur Normen in Betracht, die dem Schutz Privater dienen. Die Argumentation des Reichsgerichts, das umgangene Gesetz diene der Behebung der „Not des Vaterlandes" (RG 2 9 . 1 . 1 9 2 9 - III 161/28, R G Z 123, 2 0 8 [211]) gehört nicht zu dieser Gruppe. 2 1 Dazu Sieker, S.24f.

128

§9 Kriterien der Wertung

Die meisten Umgehungsfälle lassen sich diesen Fallgruppen zuordnen; es kommen jedoch auch Schutznormen anderer Rechtsgebiete in Betracht, z.B. des Familienrechts 22 . a) Beispiele „sozialer"

Schutznormen

Von den sozialen Schutznormen wurden die Regeln des Verbraucherschutzes bereits erörtert 2 3 . Die gesetzlichen Umgehungsverbote haben nach herrschender Meinung nur deklaratorische Bedeutung. Dennoch wird die Eingriffsschwelle bei der Umgehung von Verbraucherschutznormen sehr niedrig angelegt; es gibt kaum Umgehungsfälle, bei denen die Rechtsprechung eine analoge Anwendung der umgangenen Vorschrift abgelehnt hat. Zusätzliche Anforderungen werden nicht gestellt, insbesondere ist nach ganz herrschender Auffassung keine Umgehungsabsicht erforderlich. Einen Kernbereich der sozialen Schutznormen bildet das Arbeitsrecht. In der Praxis spielt vor allem die Umgehung des Kündigungsschutzes durch verschiedene rechtliche Gestaltungen eine Rolle. Betroffen ist dabei insbesondere das KSchG, es können aber auch Spezialgesetze wie § 9 MuSchG oder der Schutz vor außerordentlicher Kündigung umgangen werden. Neben den inzwischen gesetzlich geregelten befristeten oder auflösend bedingten Arbeitsverträgen wurde beispielsweise das Recht des Arbeitgebers, Arbeitszeit und Lohn einseitig zu bestimmen, als Umgehung des Kündigungsschutzes angesehen. Ferner mußte sich die Rechtsprechung mit der Umgehung von § 6 1 3 a BGB und der Vorschriften über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall befassen 24 . Die Eingriffsschwelle der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung liegt niedrig, da seit i 9 6 0 der Begriff der „objektiv funktionswidrigen Umgehung" gilt 2 5 . Daraus folgt, daß außer der Feststellung einer Umgehung keine zusätzlichen Voraussetzungen erforderlich sind, um die umgangene Norm anzuwenden; insbesondere muß keine Umgehungsabsicht oder auch nur das Bewußtsein der Umgehung festgestellt werden. Da die Arbeitsgerichtsbarkeit Gesetzesumgehung als selbständiges Rechtsinstitut ansieht, müssen auch nicht die Voraussetzungen eines Analogieschlusses vorliegen. Zuletzt muß nicht einmal eine konkrete umgangene Norm existieren, es genügt, wenn die Umgehung allgemein dem „Gefüge des deutschen Arbeitsrechts" widerspricht 26 .

2 2 Beispielsweise zur Umgehung von § 1 6 1 4 B G B O L G H a m m 2 7 . 9 . 1 9 7 6 - 8 U 6 6 / 7 6 , F a m R Z 1 9 7 7 , 5 5 6 und K G 4 . 6 . 1 9 8 5 - 1 7 U F 6 0 0 4 / 8 4 , F a m R Z 1 9 8 5 , 1 0 7 3 .

Oben § 5 1.2. Ausführlich unten § 11 IV.2. 2 5 B A G 1 2 . 1 0 . 1 9 6 0 - G S 1 / 5 9 , B A G E 1 0 , 6 5 = AP Nr. 16 zu § 6 2 0 B G B befristeter Arbeitsvertrag = N J W 1 9 6 1 , 7 9 8 . 2 6 B A G 1 0 . 5 . 1 9 6 2 - 5 A Z R 4 5 2 / 6 1 , B A G E 13, 1 2 9 ( 1 3 4 ) ; dazu schon oben § 9 I. 23

24

I. Besonderheiten des umgangenen Gesetzes

129

Oft ist in arbeitsgerichtlichen Entscheidungen von einer „funktionswidrigen" Umgehung die Rede. Auch wenn dieser Begriff nicht genau definiert ist, enthält er einen Hinweis auf die Funktion der umgangenen Norm; ihren Zweck und ihre Stellung in der Rechtsordnung. Ein Beispiel bildet die Rechtsprechung des BAG zur Zulässigkeit von Anwesenheitsprämien: Während Anwesenheitsprämien in den 1980er Jahren als objektiv funktionswidrige Umgehung der Entgeltfortzahlungspflicht angesehen wurden 2 7 , änderte das BAG 1 9 9 0 seine Rechtsprechung mit der Begründung, die Prämie verstoße nicht gegen den Schutzzweck dieser Bestimmungen 28 . Mit dem Arbeitsrecht verwandt, allerdings der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen ist der Schutz des Handelsvertreters gemäß §§ 84ff. HGB. Der BGH hatte sich 1 9 7 2 mit einer Regelung zu befassen, nach der ein Teil der laufenden Vergütung des Handelsvertreters auf seinen Ausgleichsanspruch nach § 8 9 b HGB angerechnet werden solle 29 . Nach der Entscheidung sind derartige Vereinbarungen im Zweifel wegen Umgehung von § 8 9 b Abs. 4 HGB nichtig. Die Begründung stützt sich darauf, daß eine Umgehung „bezweckt" sei und der „Eindruck der Umgehungsabsicht" entstehe. Entscheidend ist also nicht die objektive Umgehung, sondern subjektive und finale Aspekte. Ein weiterer Umgehungsfall im Zusammenhang mit dem Recht des Handelsvertreters betraf die Verkürzung der Kündigungsfrist nach § 8 9 H G B 3 0 . Bereits erwähnt wurden einige Entscheidungen zur Umgehung des Mieterschutzes. In einem Fall des Kammergerichts sollte § 5 6 6 BGB (der frühere § 5 7 1 BGB) umgangen werden, indem sich der Erwerber das Eigentum am Grundstück durch Zwangsversteigerung statt durch Rechtsgeschäft verschaffte 31 . Die Entscheidung war auf Rechtsmißbrauch und unzulässige Rechtsausübung gestützt; Umgehungsgesichtspunkte werden nicht erörtert. Nach einer Entscheidung des BGH bildet ein Mieterdarlehen mit bestimmten Konditionen eine Umgehung von § 5 4 7 BGB (früher § 5 5 7 a BGB) 3 2 . Die Vereinbarung sei nichtig; ein subjektives Element wird ausdrücklich nicht für erforderlich gehalten. b) Beispiele Schuldner- und

Gläubigerschutz

Ebenfalls sozialen Gesichtspunkten folgt der dem Schuldnerschutz dienende Pfändungsschutz. Seine Umgehung erfolgt oft mittelbar, indem das AufrechB A G 1 9 . 5 . 1 9 8 2 - 5 A Z R 4 6 6 / 8 0 , B A G E 3 9 , 6 7 (70). B A G 1 5 . 2 . 1 9 9 0 - 6 A Z R 3 8 1 / 8 8 , AP Nr. 15 zu § 6 1 1 B G B Anwesenheitsprämie. 2 9 B G H 1 3 . 1 . 1 9 7 2 - VII Z R 8 1 / 7 0 , B G H Z 5 8 , 6 1 ( 6 5 f . ) . 3 0 O L G Nürnberg 2 9 . 1 . 1 9 8 6 - 4 U 3 3 7 0 / 8 5 , N J W - R R 1 9 8 6 , 7 8 2 . In der Entscheidung spielte auch A G B - R e c h t eine Rolle, allerdings ist von einer „Umgehung im Sinne von § 6 A G B G " die Rede; es wird also der heutige § 3 0 6 B G B anstelle des heutigen § 3 0 6 a B G B zitiert. Z u m Schutz des Handelsvertreters vor Rechtswahlklauseln im IPR unten § 13 II.2. 27 28

31 32

K G 2 0 . 4 . 1 9 7 2 - 8 U 1 8 3 1 . 7 1 , O L G Z 1 9 7 3 , 1 (3f.). B G H 2 3 . 6 . 1 9 7 1 - V I I I Z R 1 6 6 / 7 0 , B G H Z 5 6 , 2 8 5 ( 2 8 9 ) ; zum Sachverhalt s.o. § 7 1 1 . 1 .

130

§ 9 Kriterien

der

Wertung

nungsverbot des § 3 9 4 B G B umgangen wird. Bereits erwähnt wurde der Fall des Landgerichts Bonn, in dem der Schuldner einer Unterhaltsrente diese auf ein Konto überwies, das er aufgrund eines Erstattungsanspruchs gegen die Unterhaltsberechtigte hatte pfänden lassen 3 3 . Nach der Entscheidung ist der Unterhaltsanspruch damit nicht erloschen. Die Begründung stützt sich auf § 2 4 2 BGB, berücksichtigt also wertende und subjektive Elemente. Um eine andersartige Umgehung von § 3 9 4 B G B ging es in einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Frankfurt/Main 3 4 . Gegenstand der Entscheidung war eine tarifvertragliche Vorschrift. Diese sah vor, daß eine Jahresleistung (Gratifikation), deren Voraussetzungen später wegfallen, als Vorschuß gelten sollte. Das LAG führte aus, eine Aufrechnung mit dem Anspruch auf Rückzahlung der Gratifikation sei nur im Rahmen der Pfändungsgrenzen möglich. Die unbegrenzte Rückzahlungspflicht sei daher wegen Umgehung von § 3 9 4 B G B nichtig. Ein ähnlicher Sachverhalt lag einer Entscheidung des B A G zugrunde: Hier ergab sich aus dem Tarifvertrag ein Anspruch auf Rückerstattung eines „Vorschusses auf die Urlaubsbezahlung" 3 5 . Im Gegensatz zum LAG Frankfurt begründete das BAG seine Entscheidung nicht mit Gesetzesumgehung. Das mag zu den unterschiedlichen Ergebnissen geführt haben: Nach dem BAG muß der Arbeitgeber nur „bei der Restlohnabrechnung § 3 9 4 B G B beachten", es findet also der Sache nach eine „Gleichstellung" durch geltungserhaltende Reduktion der Tariflohnklausel statt. Nach dem L A G ist die Klausel dagegen „wegen Umgehung von § 3 9 4 B G B nichtig". Eine weitere Begründung für die Nichtigkeit erfolgt nicht; insbesondere wird keine Umgehungsabsicht gefordert 3 6 . Oft betreffen Gesetzesumgehungen auch Normen, die dem Schutz von Gläubigern dienen sollen. Bereits erwähnt wurden die Vorschriften über Kapitalaufbringung und -erhaltung bei der Kapitalgesellschaft; sie werden wegen ihrer praktischen Bedeutung unten gesondert erörtert. Gesetzlich geschützt ist aber auch der Konkurs- oder Vollstreckungsgläubiger. Der B G H hielt 1 9 9 0 eine Umgehung des Aufrechnungsverbots im damals geltenden § 5 5 K O für unwirksam 3 7 . § 5 5 K O beschränkte die Aufrechnung im Konkursverfahren zugunsten der Masse, indem er das Erfordernis der Gegenseitigkeit verschärfte 3 8 .

3 3 LG Bonn 2 7 . 2 . 1996 - 2 S 109/95, FamRZ 1996, 1486; s. auch Werner, Umgehung von Aufrechnungshindernissen, S. 166 ff. 3 4 LAG Frankfurt 2 1 . 1 . 1992 - 7 Sa 933/91, NZA 1992, 840. 3 5 BAG 2 5 . 2 . 1965 - 5 AZR 59/64, AP Nr. 13 zu § 13 BUrlG; die frühere entgegengesetzte Rechtsprechung wurde mit dieser Entscheidung ausdrücklich aufgegeben. 3 6 Es ist auch kaum davon auszugehen, daß Tarifvertragsparteien bewußt Pfändungsschutzvorschriften umgehen wollen. 3 7 BGH 6 . 1 2 . 1990 - IX Z R 44/90, NJW 1991, 1060; im einzelnen unten § 1 0 II.2.b)aa). Nachfolgevorschrift zu § 55 KO ist § 96 InsO. Zur Umgehung von Konkursvorschriften auch R G 2 6 . 9 . 1905 - Rep. II 17/05, R G Z 61, 2 9 6 . 38 Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 5 5 Rdnr.l.

I. Besonderheiten

des umgangenen

Gesetzes

131

Zu einem anderen Ergebnis kam das O L G Düsseldorf in einer bereits erwähnten Entscheidung, die sich mit dem Schutz des Gläubigers in der Zwangsvollstreckung beschäftigte 39 . Die Schuldnerin wollte die Folgen des § 93 Z V G durch einen Mietvertrag mit ihrem Ehemann umgehen. Nach der Entscheidung war der Mietvertrag wirksam: Eine Nichtigkeit nach § 117 BGB, § 134 BGB i.V.m. § 2 8 3 f f . StGB oder § 138 BGB kam nicht in Betracht; Gesetzesumgehung wird in der Entscheidung nicht erörtert. c)

Ergebnis

Die Vielgestalt der Umgehungshandlungen und umgangenen Gesetze macht es unmöglich, aus den erwähnten Fällen exakte Grenzen für die Eingriffsschwelle bei Umgehung von Schutznormen abzuleiten. Es können aber Tendenzen festgestellt werden. So fällt vor allem auf, daß in vielen der genannten Fälle die Tatsache einer Gesetzesumgehung allein genügt, um die Anwendung des umgangenen Gesetzes zu begründen. Nur vereinzelt wird auf zusätzliche, vor allem subjektive Kriterien abgestellt. Insgesamt ist die Eingriffsschwelle um so niedriger, je mehr das umgangene Gesetz dem „Schutz des Schwächeren" dient. Das zeigt sich vor allem im Arbeits- und Verbraucherschutzrecht, aber auch beim Mieterschutz und Pfändungsschutz. Auch der Schutz des Gläubigers kann in Umgehungsfällen eine Rolle spielen. Die Höhe der Eingriffsschwelle richtet sich nach dem M a ß der Schutzbedürftigkeit. So sind die Gläubiger einer Kapitalgesellschaft besonders schutzwürdig, da ihnen ein Einblick in die tatsächlichen finanziellen Verhältnisse der Gesellschaft kaum möglich ist. In einer ähnlichen Lage befindet sich auch der Konkursgläubiger. Weniger schutzbedürftig ist der Gläubiger demgegenüber in der Zwangsvollstreckung, da ihm zahlreiche Maßnahmen zur Verfügung stehen und sein Schutzbedürfnis darüber hinaus mit dem Schuldnerschutz kollidiert.

3. Insbesondere: Gesetzesumgehung im Gesellschaftsrecht Neben dem Arbeitsrecht ist das Gesellschaftsrecht das Gebiet, auf dem Umgehungskonstruktionen die größte praktische Bedeutung haben 4 0 . Die Rechtsprechung ist einzelfallbezogen; es fehlt an einer Leitentscheidung wie der BAG-Entscheidung zu befristeten Arbeitsverträgen. Das ermöglicht eine pragmatische Anpassung an praktische Gegebenheiten, so wird beispielsweise die Zulässigkeit der Einmann-GmbH & Co. KG heute nicht mehr in Zweifel gezogen, obwohl sie

O L G Düsseldorf 2 2 . 1 . 1996 - 9 U 115/95, NJW-RR 1996, 720. Grundlegend Klass, Buyout von Aktiengesellschaften, insb. S.47ff., s. auch S. 161 ff.; Wilhelm Z H R 167 (2003), 520. 39

40

Sieker,

132

§ 9 Kriterien

der

Wertung

zur Umgehung zahlreicher gesellschafts- und steuerrechtlicher Regeln geeignet ist. Praktische Bedeutung hat der Begriff der Gesetzesumgehung weniger in bezug auf Gesellschaftsformen und -typen, sondern bei einzelnen Regelungen. Im Personengesellschaftsrecht k a n n z.B. der Grundsatz der Selbstorganschaft umgangen werden 4 1 . Bereits erwähnt wurde die in Kapitalgesellschaften verbreitete Umgehung von Abstimmungsverboten, insbesondere durch Abtretung von GmbH-Anteilen an Angehörige 4 2 und die Umgehung von § 84 AktG durch vorzeitige Kündigung und Neuabschluß von Verträgen mit Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft 4 3 . Als unzulässige Umgehung wurde vom B G H auch ein Auflösungs- und Umwandlungsbeschluß angesehen, durch den die Vorschriften über den Gesellschafterausschluß und Minderheitenschutz ausgeschlossen werden sollten 4 4 . Umgehungsmöglichkeiten eröffnen ferner die aktienrechtlichen Neuregelungen der letzten Jahre, so die seit 1. J a n u a r 2 0 0 2 in Kraft getretenen Regelungen der § § 3 2 7 a f f . AktG über den Squeeze-Out von Minderheitsaktionären 4 5 sowie das Übernahmegesetz 4 6 . Fragen der Umgehung vertraglicher Regelungen stellen sich im Z u s a m m e n h a n g mit sog. Vinkulierungsklauseln, durch die die Übertragung von Gesellschaftsanteilen von der Z u s t i m m u n g der Gesellschaft abhängig gemacht wird. Umgehungskonstruktionen sind z.B. die Übertragung von Verwaltungsrechten oder die Einschaltung einer Zwischenholding 4 7 . Die größte Rolle in der gesellschaftsrechtlichen Praxis spielt die Umgehung der Grundsätze über die Aufbringung und Erhaltung des Stammkapitals von Kapitalgesellschaften. Diese Grundsätze sind in mehreren Regeln des Kapitalgesellschaftsrechts konkretisiert. Einige dieser Regeln erfassen besondere Tatbestände, um damit Umgehungen des allgemeinen Grundsatzes zu verhindern, z.B. § 19 Abs. 5 G m b H G oder § 7 1 a AktG 4 8 . Bei Umgehungsgeschäften ist daher oft nicht eindeutig, ob der allgemeine Grundsatz oder die Sondervorschrift umgangen ist 49 . Für die Wertung spielt das aber keine Rolle, da die Vorschriften demselben Ziel dienen: dem Gläubigerschutz und damit dem Schutz des Rechtsverkehrs. Es würde hier den Rahmen sprengen, alle möglichen Umgehungskonstruktionen und die oft umstrittenen Rechtsgrundsätze dazu darzustellen. Es sollen daher nur einige Beispiele herausgegriffen werden, die in der Rechtspre41 In der Praxis wird das weitgehend toleriert: s. Zinn, Abschied vom G r u n d s a t z der Selbstorganschaft, S. 104 ff., zur U m g e h u n g S. 168 f. 42 Dazu z.B. O L G Düsseldorf 8 . 3 . 2 0 0 1 - 6 U 64/00, DB 2 0 0 1 , 2 0 3 5 . 43 Dazu oben § 7 I.l.a). 44 B G H 1 . 2 . 1988 - II Z R 75/87, B G H Z 103, 184. 45 Bolte DB 2 0 0 1 , 2 5 8 7 . 46 Dazu Herrmann, „ M o b i l c o m ist Test für Übernahmegesetz", FAZ vom 1 3 . 4 . 2 0 0 2 , S. 23. 47 Ausführlich Liebscher Z I P 2 0 0 3 , 825 m . w . N . 48 Z u gesellschaftsrechtlichen Umgehungsverboten oben § 5 I . l . a ) . 49 So Klass, Buyout von Aktiengesellschaften, S . 5 9 f . , zur verdeckten Sacheinlage (m.w.N.).

I. Besonderheiten

des umgangenen

Gesetzes

133

chungspraxis von besonderer Bedeutung sind und die Wertungskriterien deutlich machen. Der Stellenwert des Stammkapitals oder Grundkapitals ergibt sich aus den Besonderheiten der Kapitalgesellschaft: Nach § § 1 Abs. 1 S.2 AktG, 13 Abs.2 G m b H G haftet für die Verbindlichkeit von Kapitalgesellschaften nur das Gesellschaftsvermögen. Eine persönliche Haftung der Gesellschafter ist also grundsätzlich ausgeschlossen. Daher ist es für den Schutz der Gläubiger und des Rechtsverkehrs von zentraler Bedeutung, als Haftungsmasse ein Vermögen der Gesellschaft zu verschaffen und möglichst zu erhalten, das mindestens der Höhe ihres Stammkapitals entspricht 5 0 . Diesem Zweck dienen die Grundsätze der Aufbringung und Erhaltung des Stammkapitals bzw. Grundkapitals. Dieser Schutz des Stammkapitals im deutschen Gesellschaftsrecht hat seit 1999 eine internationalprivatrechtliche Dimension bekommen: Durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs seit „Centros" ist es möglich, die Anforderungen des deutschen materiellen Gesellschaftsrechts durch Verwendung ausländischer Gesellschaftsformen zu unterlaufen 5 1 . Es ist daher als widersprüchlich kritisiert worden, an dem materiellen Umgehungsschutz im Kapitalaufbringungsrecht festzuhalten, wenn der kollisionsrechtliche Umgehungsschutz durch die Sitztheorie nicht mehr gewährleistet sei 52 . Diese Kritik ist nicht unberechtigt. Dennoch hat der interne Kapitalaufbringungsschutz auch einige Jahre nach „Centros" keineswegs an Bedeutung verloren. So hat der EuGH selbst zum Gläubigerschutz ausgeführt, die ausländische Gesellschaft trete auch als solche auf, so daß die Gläubiger wüßten, daß sie anderen Haftungsregeln unterliegt 53 . Daraus folgt, daß die deutsche G m b H durch ihr Stammkapital den Vorteil einer größeren Seriosität im Verhältnis zu den Gläubigern genießen kann, so daß der Schutz des Stammkapitals nicht leichtfertig verworfen werden sollte. Die zeitgleich zur EuGH-Rechtsprechung im Inland geführte Diskussion zur Mantelgründung beweist, daß die Grundsätze der Aufbringung des Stammkapitals weiterhin aktuell bleiben 54 . a) Umgehung der Grundsätze

der Aufbringung

des

Stammkapitals

aa) Bei der Aufbringung des Stammkapitals sind vor allem zwei Umgehungskonstruktionen von praktischer Bedeutung: die Mantelgründung und die sog. verdeckte oder verschleierte Sacheinlage. Die Grundsätze der Mantelgründung wurden oben bereits erwähnt: Nach Ansicht des BGH und des überwiegenden Teils der Literatur kann in der Gründung einer Gesellschaft unter Verwendung eines 50 51 52 55 54

Baumbach/Hueck-Hueck/Fastrich, G m b H G , Einl. Rdnr. 20. „ C e n t r o s " : E u G H 9 . 3 . 1999 - Rs. C - 2 1 2 / 9 7 , ZIP 1 9 9 9 , 4 3 8 ; im einzelnen unten § 16 II.2. Wilhelm Z H R 1 6 7 (2003), 520. E u G H 3 0 . 9 . 2 0 0 3 - Rs. C - 1 6 7 / 0 1 , DB 2 0 0 3 , 2 2 1 9 (2222), Nr. 135 (Inspire Art). O b e n § 8 1.1.a) und gleich unten.

134

5 9 Kriterien

der

Wertung

sog. GmbH-Mantels oder einer Vorratsgesellschaft eine Umgehung der Gründungsvorschriften liegen, welche deshalb analog anzuwenden sind 5 5 . Entscheidend ist die wirtschaftliche Vergleichbarkeit. Weitere, insbesondere subjektive Voraussetzungen werden nicht aufgestellt; allerdings werden Mantelgründungen regelmäßig bewußt und gezielt erfolgen. Der Begriff der verdeckten

oder verschleierten

Sacheinlage umschreibt kein si-

muliertes Geschäft, sondern eines, das ernst gemeint und gewollt ist. Der Sammelbegriff umfaßt Geschäfte mit dem Ziel, die Sacheinlagevorschriften des Kapitalgesellschaftsrechts zu umgehen. Sacheinlagen sind Einlagen zum Gesellschaftsvermögen, die nicht in Geld zu leisten sind, § § 2 7 AktG, 5 6 G m b H G 5 6 . Sie bringen für die Aufbringung des Gesellschaftsvermögens Gefahren mit sich, die mit dem Problem ihrer Bewertung verbunden sind. Das Kapitalgesellschaftsrecht stellt sie daher unter besonders strenge Voraussetzungen. Um diesen strengen Vorschriften auszuweichen, werden in der Praxis verbreitet Versuche unternommen, Sacheinlagen durch rechtliche Konstruktionen zu Bareinlagen zu machen. Eine verdeckte Sacheinlage kommt in Betracht, wenn sich ein Gesellschafter in engem sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit seiner Pflicht zur Leistung der Einlage aufgrund einer anderen Leistung einen Gegenanspruch gegen die Gesellschaft verschafft 5 7 . Die dafür geltenden Grundsätze werden wegen der größeren praktischen Bedeutung im folgenden am GmbHRecht erläutert 5 8 . bb) Eine Umgehung liegt vor allem nahe, wenn beide Ansprüche aufgerechnet werden, wenn also beispielsweise der Gesellschafter eine Sachleistung an die Gesellschaft erbringt und den daraus entstehenden Zahlungsanspruch mit dem Bareinlageanspruch verrechnet. Derartige einfache Umgehungsversuche werden bereits vom Gesetz erfaßt: § 19 Abs. 5 G m b H G . Nach § 19 Abs. 2 G m b H G sind außerdem Aufrechnungen des Gesellschafters ausgeschlossen.

Aufrechnungen

durch die Gesellschaft sind nach überwiegender Auffassung nur möglich, wenn die Gegenforderung vollwertig, fällig und liquide, d.h. ganz unbestritten ist 5 9 . Trotz dieser gesetzlichen Einschränkungen waren Umgehungen von

§19

Abs. 2 G m b H G schon seit den Zeiten des Reichsgerichts ein Thema für die

Dazu oben § 8 I.l.a). Scholz-Priester, GmbHG, § 5 6 Rdnr.4; Hüffer, AktG, § 2 7 Rdnr.3. 5 7 LG Regensburg 6 . 4 . 2001 - 2 HK O 2505/00, NJW-RR 2 0 0 2 , 2 4 7 ; Henze DB 2 0 0 1 , 1 4 6 9 (1473); Beispiele s. Scholz-Priester, GmbHG, § 5 6 Rdnr.8. 5 8 Zum Aktienrecht: Hüffer, AktG, § 2 7 Rdnrn. 9ff.; Traugott/Groß BB 2 0 0 3 , 4 8 1 . 59 BGH 2 1 . 2 . 1994 - II Z R 60/93, B G H Z 125, 141 = N J W 1994, 1477; zuletzt BGH 1 6 . 9 . 2 0 0 2 - II Z R 1/00, DB 2 0 0 2 , 2 3 6 7 = BB 2 0 0 2 , 2 3 4 7 = EWiR § 7 GmbHG 1/03, 63 (Saenger/ Scharf}-, BGH 2 . 1 2 . 2 0 0 2 - II Z R 101/02, DB 2 0 0 3 , 3 8 7 (388); BGH 7 . 7 . 2 0 0 3 - II Z R 235/01, DB 2 0 0 3 , 1894; Baumbach/Hueck-Hueck/Fastrich, GmbHG, § 19 Rdnr. 18; Lutter/Hommelh o f f , GmbHG, § 1 9 Rdnrn. 18ff.; Rowedder-Pentz, GmbHG, § 1 9 Rdnrn. 51 ff. Diese Einschränkung gilt auch im Rahmen von § 19 Abs. 5 GmbHG, vgl. Baumbach/Hueck-Hueck/Fastrich a.a.O. Rdnr.29. 55 56

I. Besonderheiten

des umgangenen

Gesetzes

135

Rechtsprechung 6 0 . Ein verbreitetes Mittel zur Umgehung des Aufrechnungsverbots ist vor allem, die Zahlung der Gesellschaft an den Gesellschafter und die Leistung der Einlage getrennt zu verbuchen, statt einer Aufrechnung also hin und her zu zahlen. Diese Fälle des Hin- und Herzahlens sind nach ganz herrschender Auffassung als Gesetzesumgehung u n w i r k s a m 6 1 . Ebenfalls nicht möglich ist eine Vereinbarung, nach der ein Gesellschafter seine (Bar-) Einlageverpflichtung durch Verrechnung mit künftigen Lohnforderungen gegen die G m b H tilgen k a n n 6 2 . Anderen Fällen der verdeckten Sacheinlage ist das Vorschieben oder Dazwischenschalten eines Dritten gemeinsam 6 3 . Einlageschuldner und Gläubiger des Umgehungsgeschäfts müssen nicht identisch sein; es genügt, wenn der Einlageschuldner in gleicher Weise begünstigt ist wie bei Leistung an sich selbst 6 4 . O f t sind weitere G m b H beteiligt, so in einem Fall des B G H 6 5 : Der Gesellschafter trat seinen Geschäftsanteil, aus dem die Resteinlage noch nicht fällig gestellt war, an eine andere G m b H ab, an der er ebenfalls beteiligt w a r und an die er die Mindesteinlage geleistet hatte. N a c h dem B G H greifen die Grundsätze über die verdeckte Sacheinlage ein, wenn die nunmehr fällig gestellte Resteinlageverpflichtung mit dem Mindesteinlagebeitrag erfüllt wird. N a c h einer Entscheidung des O L G H a m m ist die Einlagepflicht ebenfalls nicht erfüllt, wenn die eingezahlten Barmittel an eine andere Gesellschaft herausgegeben werden, die von einem Gesellschafter der neuen G m b H beherrscht wird 6 6 . Weitere Konstruktionen der Umgehung der Einlagepflicht und der verdeckten Sacheinlage lassen sich beispielhaft Gerichtsentscheidungen entnehmen: N a c h einer Entscheidung des O L G Köln liegt eine verdeckte Sacheinlage vor, wenn eingezahlte Stammeinlagen der G m b H vor deren Eintragung dazu verwandt werden, von einem der Gesellschafter den Warenvorrat aus dessen vorher betriebenen Einzelhandelsgeschäft aufzukaufen 6 7 . O f t werden in diesen Fällen auch Dar6 0 Zu Fragen der Gesetzesumgehung z.B. RG 12.4. 1918 - Rep. II. 473/17, RGZ 92, 365; RG 7.12. 1928 - II 252/28, RGZ 123, 8. 61 Grundlegend BGH 10.11. 1958 - II ZR 3/57, BGHZ28, 318; BGH 21.2. 1 9 9 4 - I I Z R 60/93, BGHZ 125,141 = NJW 1994,1477;HansOLG Hamburg 9 . 1 0 . 1 9 8 7 - 1 1 U 125/87, BB 1988,504; OLG Köln 14.12. 1994 - 26 U 19/94, BB 1995, 426; BGH 16.3. 1998-11 ZR 303/ 96, NJW 1998, 1951; LG Karlsruhe 30.1. 1998 - O 145/97, KfH IV, NJW-RR 1999, 1263; BGH 17.9. 2001 - II ZR 275/99, BB 2001, 2282 = ZIP 2001, 1997; Henze DB 2001, 1469 (1473); Baumbach/Hueck-Hueck/Fastrich, GmbHG, § 19 Rdnr.30; Klass, Buyout von Aktiengesellschaften, S. 57ff.; Traugott/Groß BB 2003, 481 (481); Ulmer ZHR 154 (1990), 128 (137f.); ausführlich und kritisch Henze ZHR 154 (1990), 105 (107ff.) und Wilhelm ZHR 167 (2003), 520 (522ff.) ; vgl. auch Sieker, S. 171ff. 6 2 BGH 21.9. 1978 - II ZR 214/77, NJW 1979, 216. 63 Vgl. Klass, Buyout von Aktiengesellschaften, S.59. 6 4 BGH 2.12. 2002 - II ZR 101/02, DB 2003, 387 (388); Henze DB 2001, 1469 (1473) mit Beispielen. 65 BGH 4.3. 1996-11 ZR 89/95, BGHZ 132, 133 (139) = NJW 1996, 1286. 6 6 OLG Hamm 23.10. 1996 - 8 U 63/96, BB 1997, 433. 67 OLG Köln 2.2. 1 9 9 9 - 2 2 U 116/98, NJW-RR 1999, 1262.

136

§ 9 Kriterien der

Wertung

lehen verwendet, so ist nach mehreren Entscheidungen die Einlageverpflichtung nicht erfüllt, wenn der zur Erbringung einer Stammeinlage an die G m b H gezahlte Betrag in einem engen zeitlichen und sachlichen Z u s a m m e n h a n g an den Gesellschafter als Darlehen zurückübertragen wird 6 8 . cc) Über die Rechtsfolge einer verdeckten Sacheinlage besteht in Rechtsprechung und Literatur im Grundsatz Einigkeit: Sie ist zu behandeln wie eine unwirksame offene Sacheinlage 69 . N a c h der Rechtsprechung ist sowohl das Verpflichtungs- als auch das Erfüllungsgeschäft unwirksam 7 0 . Danach bleibt die Bareinlagepflicht bestehen; soweit der Gesellschafter Gegenstände eingebracht hat, können Bereicherungsansprüche entstehen. Die Eintragung ist abzulehnen 7 1 . Es wird also eine Gleichstellung vorgenommen, indem auf die verdeckte Sacheinlage die Regeln der offenen Sacheinlage angewandt werden. Der BGH begründet die Unwirksamkeit der Sacheinlage auch bei der G m b H mit analoger Anwendung von § 2 7 Abs. 3 S. 1 AktG 7 2 . Dahinter steht eine doppelte Analogie: Das Aktienrecht wird auf das G m b H - R e c h t angewandt und die Regeln der fehlenden Einlage auf die verdeckte Einlage. Wie die Beispielsfälle zeigen, ist die Eingriffsschwelle bei der Umgehung der Regeln über die Aufbringung des Stammkapitals niedrig. Die Grundsätze der verdeckten Sacheinlage erfassen grundsätzlich alle Fälle, bei denen das Stammkapital in gleicher Weise betroffen ist wie durch eine - unwirksame - Sacheinlage 7 3 . Der Gläubigerschutz wirkt sich also ähnlich stark aus wie bei den Schutzgesetzen, die ein vertragliches Ungleichgewicht ausgleichen sollen. Einigkeit besteht auch darin, daß Umgehungsabsicht nicht erforderlich sein soll 74 . Dennoch wollen der B G H und der überwiegende Teil der Literatur nicht ganz auf subjektive Voraussetzungen verzichten. Verbreitet wird eine - wenn auch unwirksame - Abrede verlangt, die den wirtschaftlichen Erfolg einer Sacheinlage

68 B G H 2 . 1 2 . 2 0 0 2 - II Z R 101/02, DB 2 0 0 3 , 387; bereits zuvor O L G H a m m 2 9 . 6 . 1992 - 8 U 2 7 9 / 9 1 , DB 1992, 2 1 3 0 ; O L G Köln 9 . 3 . 1998 - 12 U 182/97, N J W - R R 2 0 0 0 , 1480; s. auch den zweiten Leitsatz der Entscheidung. Ausführlich zu derartigen Konstruktionen Henze Z H R 154 (1990), 105 (119ff.); s. auch Himer Z H R 154 (1990), 128 (138f.). 69 B G H 1 6 . 3 . 1 9 9 8 - I I Z R 3 0 3 / 9 6 , N J W 1 9 9 8 , 1 9 5 1 (1952f.); O L G H a m m 2 3 . 1 0 . 1 9 9 6 - 8 U 63/96, BB 1 9 9 7 , 4 3 3 ; Henze Z H R 154 (1990), 105 (118); Baumbach/Hueck-Hueck/Fastrich, G m b H G , § 19 R d n r . 3 0 c ; Rowedder-Schmidt-Leithoff, G m b H G , § 5 Rdnr.50; Traugott/Groß BB 2 0 0 3 , 4 8 1 (485ff.). 70 B G H 7 . 7 . 2 0 0 3 - 1 1 Z R 2 3 5 / 0 1 , DB 2 0 0 3 , 1894. 71 Scholz-Winter, GmbHG, § 5 Rdnr.78. 72 B G H 7 . 7 . 2 0 0 3 - II Z R 2 3 5 / 0 1 , DB 2 0 0 3 , 1894 (1896); dazu Pentz ZIP 2 0 0 3 , 2 0 9 3 (2099ff.). 73 Kritisch dazu Wilhelm Z H R 167 (2003), 5 2 0 (522ff.). 74 Grundlegend B G H 1 5 . 1 . 1990 - II Z R 164/88, B G H Z 110, 47; H a n s O L G H a m b u r g 9 . 1 0 . 1 9 8 7 - 11 U 125/87, BB 1988, 504; O L G H a m m 2 9 . 6 . 1992 - 8 U 2 7 9 / 9 1 , DB 1992, 2 1 3 0 ; Henze DB 2 0 0 1 , 1469 (1473); ders. Z H R 154 (1990), 105 (107ff.); Baumbach/HueckHueck/Fastrich, G m b H G , § 19 R d n r . 3 0 a; Ulmer Z H R 154 (1990), 128 (141 f.); Scholz-Winter, G m b H G , § 5 R d n r n . 77.

/. Besonderheiten

des umgangenen

Gesetzes

137

erfaßt 7 5 . Andere verlangen einen entsprechenden Gestaltungswillen 76 oder zumindest Kenntnis von den Umständen, aus denen sich der Tatbestand des Umgehungsgeschäfts ergibt 7 7 . Nur vereinzelt wird ausdrücklich auf jede subjektive Voraussetzung verzichtet 78 . Eine Vermutung für eine entsprechende Abrede soll bei sachlichem und zeitlichem Zusammenhang zwischen Einlageverpflichtung und schuldrechtlichem Geschäft bestehen 7 9 . Eine „objektive Gesetzesumgehung" gibt es im Fall der verdeckten Sacheinlage also nach herrschender Auffassung nicht: Zumindest unbewußte Umgehungen werden nicht erfaßt. b) Umgehung

der Grundsätze der Erhaltung des

Stammkapitals

aa) Die Grundsätze zur Erhaltung des Stammkapitals dienen in gleicher Weise dem Gläubigerschutz wie die Regeln über seine Aufbringung: Auch in der Krise muß den Gläubigern einer Kapitalgesellschaft zumindest ihr Stamm- oder Grundkapital zur Verfügung stehen. Das Aktien- und das GmbH-Recht enthalten daher verschiedene Regeln zur Sicherung des Stammkapitals. Auch hier kommen Umgehungen vor, deren rechtliche Beurteilung aber nicht immer so eindeutig ist wie bei der verdeckten Sacheinlage. Im Aktienrecht bietet der Kauf eigener Aktien zahlreiche Möglichkeiten der Umgehung von Kapitalerhaltungsgrundsätzen 80 . Er ist daher nach § § 7 1 ff. AktG nur eingeschränkt möglich; § 7 1 a AktG will ausdrücklich Umgehungsgeschäfte verhindern. Auch diese Vorschrift vermag aber nicht alle möglichen Konstellationen zu erfassen. Unter dem Aspekt der Gesetzesumgehung wird vor allem der sog. Leveraged Buyout diskutiert. Darunter versteht man die Finanzierung des Kaufpreises durch Fremdkapital, das von Kreditinstituten o.a. bereitgestellt wird und zu dessen Sicherung das Vermögen der Zielgesellschaft dient. Die Umgehungsproblematik des Buyout ist Ge-

7 5 Offengelassen in BGH 1 5 . 1 . 1990 - II Z R 164/88, B G H Z 1 1 0 , 4 7 ; später verlangt in BGH 4 . 3 . 1 9 9 6 - 1 1 Z R 89/95, B G H Z 132, 133 (139) = N J W 1996, 1286; ausdrücklich BGH 1 6 . 9 . 2 0 0 2 - II Z R 1/00, DB 2 0 0 2 , 2 3 6 7 = BB 2 0 0 2 , 2 3 4 7 = EWiR § 7 GmbHG 1/03, 63 (Saenger/ Scharf)-, bestätigt BGH 2 . 1 2 . 2 0 0 2 - II Z R 101/02, DB 2 0 0 3 , 387; Henze DB 2 0 0 1 , 1 4 6 9 (1473); ausführlich ders. Z H R 154 (1990), 105 (107ff.) ; Baumbach/Hueck-Hueck/Fastrich, GmbHG, § 19 Rdnr.30a; Ulmer Z H R 154 (1990), 128 (139); zu den praktischen Konsequenzen Schellenberg, „Die Keule der verdeckten Sacheinlage", FAZ vom 8 . 1 . 2 0 0 3 , S. 19; Traugott/Groß BB 2 0 0 3 , 4 8 1 (487ff.); kritisch Wilhelm Z H R 167 (2003), 5 2 0 (525ff.). 76 Scholz-Winter, GmbHG, § 5 Rdnrn. 77, 79. 7 7 O L G Hamm 2 9 . 6 . 1992 - 8 U 2 7 9 / 9 1 , DB 1992, 2 1 3 0 . 78 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 5 Rdnrn. 4 3 ff., die sich ausdrücklich auf die allgemeinen Regeln zur Gesetzesumgehung und auf Teichmann beziehen. 7 9 BGH 4 . 3 . 1996 - II Z R 89/95, B G H Z 132, 133 (139) = N J W 1996, 1286; Henze ZHR 154 (1990), 105 (107ff.); ders. DB 2 0 0 1 , 1 4 6 9 (1471); Ulmer Z H R 154 (1990), 128 (141 f.). 8 0 Dazu „Wie man mit Aktien ein Unternehmen kauft" - FAZ vom 1 3 . 1 0 . 2 0 0 1 , S. 23; vgl. auch Fleischer/Körber BB 2 0 0 1 , 2 5 8 9 (2594).

138

5 9 Kriterien

der

Wertung

genstand umfangreicher Darstellungen 8 1 . Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß nicht in allen Fällen des Leveraged Buyout die Eingriffsschwelle überschritten ist; zu differenzieren ist vor allem zwischen einstufigen und mehrstufigen Erwerbstatbeständen. Entscheidend ist der Zweck von § 7 1 a AktG, der neben dem Kapitalschutz dem Schutz der aktienrechtlichen Kompetenzverteilung dient 8 2 . bb) Die Parallele zur verdeckten Sacheinlage bildet die Umgehung der Kapitalerhaltungsregeln § 5 7 AktG und § § 3 0 , 31 G m b H G . § 5 7 Abs. 1 AktG verbietet die Einlagenrückgewähr an die Aktionäre; § 3 0 Abs. 1 G m b H G die Auszahlung des zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögens an die Gesellschafter. Ist eine Auszahlung entgegen § 3 0 G m b H G erfolgt, regelt § 31 G m b H G die Rechtsfolgen: Nach § 31 Abs. 1 G m b H G sind die Zahlungen der Gesellschaft zu erstatten; § 3 1 Abs. 2 bis 6 G m b H G regeln Einzelheiten. Die § § 5 7 AktG, 3 0 , 3 1 G m b H G sind zwingend und nach wohl allgemeiner Auffassung streng auszulegen. Auch Umgehungen sollen unter die Normen fallen, soweit der Normzweck verletzt ist 8 3 . Nach einer Entscheidung des B G H aus dem Jahre 1 9 6 8 soll sogar der Hauptanwendungsbereich des § 3 0 G m b H G in seiner entsprechenden Anwendung auf Umgehungstatbestände liegen 8 4 . Derartige Umgehungsgeschäfte werden oft als verdeckte Leistungen oder verdeckte Gewinnausschüttungen bezeichnet, können aber noch weniger als die verdeckte Sacheinlage in Fallgruppen eingeteilt werden. Verbreitet sind auch hier Geschäfte unter Einbeziehung von Dritten. Leistungen der Gesellschaft an Dritte werden unmittelbar weder von § 5 7 AktG noch von § 3 0 G m b H G erfaßt 8 5 . Daher verfiel in einem Fall des B G H ein Gesellschafter auf den Gedanken, eine Leistung in Erfüllung einer ihm gegenüber bestehenden, aber nach § 3 0 G m b H G einredebehafteten Darlehensforderung nicht an sich selbst, sondern an seinen minderjährigen Sohn erbringen zu lassen 8 6 . Der B G H verpflichtete den Minderjährigen zumindest dann zur Rückgewähr, wenn er oder sein gesetzlicher Vertreter den Verstoß gegen das Kapitalerhaltungsgebot kannte oder hätte kennen müssen.

81 Klass, Buyout von Aktiengesellschaften; auch rechtsvergleichend Fleischer AG 1996, 4 9 4 ; Schroeder, Das Verbot der finanziellen Unterstützung des Aktienerwerbs. 82 Hüffer, AktG, § 7 1 Rdnr. 1; § 7 1 a Rdnr. 1; ausführlich Klass, Buyout von Aktiengesellschaften, S.33ff. 8 3 BGH 2 1 . 9 . 1981 - II Z R 104/80, B G H Z 81, 311 (315); Baumbach/Hueck-Hueck/Fastrich, GmbHG, § 30 Rdnr. 1; Hüffer, AktG, § 57 Rdnrn. 7ff.; Klass, Buyout von Aktiengesellschaften, S . 7 7 ; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 3 0 Rdnr. 1; Scbolz-H.P. Westermann, GmbHG, § 30 Rdnrn, Iff., 4. 8 4 BGH 3 . 4 . 1968 - V I I I Z R 38/66, LM Nr.3 zu § 3 0 GmbHG. 85 Klass, Buyout von Aktiengesellschaften, S . 7 8 f . 8 6 BGH 2 8 . 9 . 1981 - II Z R 223/80, B G H Z 81, 365; zur gesetzlichen Typisierung von Umgehungsvorschriften S . 3 6 8 f .

II. Objektive

und wertende

Kriterien

139

Auf eine raffiniertere Variante verfielen die Beteiligten in einem Fall, den der BGH 2 0 0 0 zu entscheiden hatte 8 7 . Eine G m b H in der Krise benötigte Finanzierungsmittel. Hätte der Alleingesellschafter der G m b H ihr diese Mittel im Wege eines Gesellschafterdarlehens zugeführt, hätte die Rückzahlung des Darlehens unter dem Vorbehalt von § 30 G m b H G gestanden. Daher n a h m er zusammen mit seiner Ehefrau einen Bankkredit auf. Die Ehefrau wurde - unter interner Freistellung von ihrer Rückzahlungspflicht - als Darlehensgeberin gegenüber der G m b H eingeschaltet. N a c h dem Urteil des B G H war der Gesellschafter zur Erstattung der von der inzwischen in Konkurs geratenen G m b H geleisteten Darlehensrückzahlungen verpflichtet. Die Eigenkapitalersatzregeln erfaßten auch Umgehungstatbestände, die im wirtschaftlichen Ergebnis auf ein Gesellschafterdarlehen oder eine vergleichbare Kredithilfe des Gesellschafters hinausliefen. In solchen Fällen sei jedenfalls auch der Gesellschafter als wirtschaftlicher Kreditgeber anzusehen und unterliege den Kapitalersatzregeln entsprechend § § 3 0 , 31 G m b H G . Subjektive Voraussetzungen werden in dem Urteil nicht aufgestellt; allerdings hatte das Berufungsgericht bereits festgestellt, das Darlehen sei als „Fremddarlehen" gewollt gewesen 8 8 . Für die Eingriffsschwelle gelten also ähnliche Grundsätze wie bei den Fällen der verdeckten Sacheinlage. Der Schutzzweck der N o r m e n wird als grundlegend und zwingend angesehen, die Eingriffsschwelle ist niedrig. Entscheidend ist, ob durch die Umgehung dasselbe wirtschaftliche Ergebnis erzielt wird wie mit dem in der umgangenen N o r m beschriebenen Verhalten. Die Fallösung erfolgt durch Gleichstellung in Gestalt entsprechender Anwendung der umgangenen N o r m e n . Bemerkenswert ist auch hier die subjektive Seite: Auch wenn die Rechtsprechung keine Umgehungsabsicht verlangt, scheint sie nur im Fall zumindest bewußten Verhaltens von einer unwirksamen Umgehung auszugehen.

II. Objektive und wertende

Kriterien

Objektive und wertende Kriterien können zusammen mit subjektiven, aber auch allein für die Eingriffsschwelle maßgeblich sein. Eine Trennung oder Abgrenzung von Objektivem und Wertendem ist nicht möglich, weil die Wertung oft an objektiven Gesichtspunkten festgemacht wird und die objektiven Abgrenzungsmerkmale nach wertenden Kriterien ausgewählt werden. Aus objektiven und wertenden Kriterien k a n n sich in der Praxis sowohl eine niedrige als auch eine hohe Eingriffsschwelle ergeben. 87

B G H 2 6 . 6 . 2 0 0 0 - II Z R 21/99, Z I P 2 0 0 0 , 1489 = EWiR § 30 G m b H G 1/01, 19 (v. Ger-

kan). 88 Es hatte damit allerdings die Abweisung der Klage auf Erstattung begründet, s. B G H 2 6 . 6 . 2 0 0 0 - II Z R 21/99, ZIP 2 0 0 0 , 1489 (1490).

140

§ 9 Kriterien

der

Wertung

Von den Punkten, die für eine Absenkung der Eingriffsschwelle sprechen, wurden einige bereits erwähnt. Es handelt sich um die Fälle aus dem Grenzbereich der Gesetzesumgehung zu Sittenwidrigkeit und Rechtsmißbrauch: Auch wenn die Umgehung eines Gesetzes nicht regelmäßig zu Sittenwidrigkeit oder Rechtsmißbrauch führt, können doch entsprechende Elemente dafür sprechen, das umgangene Gesetz - analog - anzuwenden 89 . In der Literatur wird als kennzeichnend für eine Gesetzesumgehung außerdem ein atypisches, gekünsteltes, konstruiertes Vorgehen genannt 90 ; auch einige der bisher besprochenen Fälle fielen durch ungewöhnliche rechtliche Konstruktionen auf. Seltener sind in der Praxis Fälle, in denen objektive Kriterien als Begründung dafür dienen, trotz Vorliegen einer Umgehung das umgangene Gesetz nicht anzuwenden. Ein Beispiel bilden Bedürfnisse des Verkehrs, die zur Zulässigkeit bestimmter Rechtsfiguren wie der Sicherungsübereignung und der GmbH & Co. KG führen sollten. Im Einzelfall kann auch der Schutz Dritter, die durch die Gesetzesumgehung begünstigt werden, die Eingriffsschwelle anheben. 1. Atypizität des Umgehungstatbestandes a) Atypizität und Gesetzesumgebung

in der

Literatur

In der Literatur wird verbreitet die Besonderheit der Umgehung in einem atypischen Vorgehen gesehen. Die Terminologie ist nicht einheitlich; es geht aber in jedem Fall darum, daß die Umgehung Merkmale des Ungewöhnlichen, Künstlichen und Konstruierten aufweist. In diesem Sinne wird die Gesetzesumgehung vor allem von internationalprivatrechtlichen Autoren umschrieben. Grundlegend sind die Ausführungen von Römer, der bei der „Gewinnung eines allgemeinen Umgehungsbegriffs" die „atypischen Gestaltungen" und die „künstliche Benutzung rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten" als maßgeblich ansah 91 . Heute wird Gesetzesumgehung im IPR verbreitet damit beschrieben, sie müsse in „ungewöhnlicher Weise erfolgen" 9 2 . Im Sachrecht spielt Atypizität vor allem als gemeinsames Kennzeichen von Gesetzesumgehung und Simulation eine Rolle 9 3 . Unterschieden wird der formale oder Rechtsformtypus, wie er gesetzlichen Tatbeständen zugrunde liegt - z.B. der Einteilung in Vertragstypen - und der Strukturtypus 94 . Für GesetzesumgeVgl. oben § 4 III. Insb. Huber JurA 1970, 784 (796ff.); Römer, S.17ff. 91 Römer, S. 17ff. 92 Ferid, IPR, R d n r . 3 - 1 5 9 ; Junker, IPR, Rdnr. 184. KegelÖJZ 1 9 5 8 , 1 5 betont: „Kennzeichnend für die Gesetzesumgehung ist etwas Ungewöhnliches. Das Gewöhnliche würde unsere Zweifel nicht erregen". 93 Huber JurA 1970, 7 8 4 (796ff.); Schurig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 5 ; s. auch Thomä, Die typenwidrige Zwecksetzung beim Rechtsgeschäft. 94 Huber JurA 1970, 7 8 4 (786ff.). 89

90

II. Objektive

und wertende

141

Kriterien

hungen soll die Abweichung vom Strukturtypus kennzeichnend sein, d.h. das Geschäft ist einem bestimmten Rechtsformtyp ähnlich, stellt aber einen ungewöhnlichen Fall dar. Das kann daran liegen, daß eine zulässige Rechtsform benutzt wird, um den Zweck einer anderen Rechtsform zu erreichen (Beispiel: mit der Sicherungsübereignung wird der Zweck der Verpfändung erreicht). Eine Abweichung vom Strukturtypus liegt aber auch vor, wenn eine neue, an den Rechtsformtypus

angelehnte

Rechtsform

entwickelt

wird

(Beispiel:

Ein-Mann-

GmbH)95. Die praktische Bedeutung dieser Unterscheidung ist zweifelhaft, da sie sich nur auf Rechtsgeschäfte bezieht. Wie erwähnt, kann eine Gesetzesumgehung aber auch in tatsächlichem Handeln liegen, wie in der Uberweisung auf das gepfändete Konto im Fall des L G Bonn 9 6 oder in einer Prozeßhandlung, wenn zur Erschleichung der Zuständigkeit des Landgerichts eine Räumungsklage nur auf § 9 8 5 B G B gestützt werden soll 9 7 . Eine tatsächliche und gleichzeitig prozessual wirksame Handlung liegt vor, wenn der Klagegegenstand gezielt ins Inland gebracht wird, um den Gerichtsstand des § 2 3 Z P O zu erschleichen 98 . Zudem müssen Gesetzesumgehungen nicht unbedingt von der gesetzlichen Typisierung abweichen: Der befristete Arbeitsvertrag, vor Erlaß des T z B f G wichtigster Anwendungsbereich des Rechtsinstituts der Gesetzesumgehung im Arbeitsrecht, ist in § 6 2 0 B G B sogar ausdrücklich „typisiert". Nach einer Entscheidung des O L G München kann das Stimmrechtsverbot für Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft bei der Gesamtentlastung (§ 136 Abs. 1 S. 1 AktG) nicht durch Einzelentlastung ( § 1 2 0 Abs. 1 S . 2 AktG) umgangen werden 9 9 , obwohl beide Formen der Abstimmung gesetzlich vorgesehen sind. Atypizität ist also nicht für alle Umgehungsfälle kennzeichnend. Sie kann damit zumindest im Sachrecht kein Kriterium zur Definition einer Gesetzesumgehung sein. Allerdings ist eine ungewöhnliche, konstruierte, künstliche Handlungsform in Umgehungsfällen häufig, wie etliche der bereits erwähnten Fälle zeigen. Es stellt sich daher die Frage, ob die Atypizität für die Eingriffsschwelle von praktischer Bedeutung sein kann.

b) Atypische Fälle in der Praxis aa) Zu den Umgehungsfällen mit untypischer, konstruierter Vorgehensweise gehören vor allem die verschiedenen Geschäfte zur Umgehung von Vorkaufsrechten: Hier finden sich vertragliche Konstruktionen aus langfristigen PachtverträHuber JurA 1970, 7 8 4 (791f.); Schurig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 5 . LG Bonn 2 7 . 2 . 1996 - 2 S 109/95, FamRZ 1996, 1486. 9 7 Nach HansOLG Hamburg 2 4 . 4 . 1 9 6 8 - 4 U7/68, M D R 1968, 846 ändert das nichts an der Zuständigkeit des Amtsgerichts. 9 8 Dazu unten § 17 II.2.a). 9 9 O L G München 1 7 . 3 . 1995 - 23 U 5930/94, NJW-RR 1996, 159. 95

96

142

5 9 Kriterien der

Wertung

gen, Nießbrauch u.ä., die eindeutig ungewöhnlich sind 100 . Das gleiche gilt für die Umgehung von § 817 S. 2 BGB durch eine Vereinbarung, daß der Empfänger das Geleistete als Darlehen schulde 101 , die Umgehung einer Genehmigungspflicht, indem statt eines Kredits eine Garantie auf Einlösung von Wechseln gegeben wird 102 und Umgehung von § 116 Nr. 2 ZPO durch den Gesellschafter der GmbH, der Ansprüche im eigenen Namen geltend macht 103 . In diesen und anderen Fällen hat die Rechtsprechung die umgangene Norm analog - angewandt, die Umgehung ist also unwirksam. Die Begründungen stützten sich allerdings nicht allein auf die Atypizität, sondern es kamen in der Regel andere Kriterien hinzu. Insbesondere wurde eine atypische Vorgehensweise als Indiz für subjektive Merkmale angesehen, also für Umgehungsabsicht oder zumindest ein bewußtes Vorgehen. Ein Beispiel bildet eine Entscheidung des BGH zu einem Handelsvertretervertrag mit einer komplizierten Anrechnungsregelung 104 . In der Begründung führt der BGH aus, es liege nahe, daß lediglich eine Umgehung des Ausgleichsanspruchs in § 89b Abs. 4 HGB bezweckt sei. An anderer Stelle ist von einen „Eindruck der Umgehungsabsicht" die Rede. Der BGH schloß also aus der Eigenart der Konstruktion auf subjektive Voraussetzungen. Das OLG Hamm hatte sich 1988 in zwei Entscheidungen mit GesellschafterGeschäftsführern von GmbH zu befassen, die abberufen werden sollten 105 . Vor der entscheidenden Abstimmung übertrugen beide ihre GmbH-Anteile auf ihre Ehefrauen und konnten auf diese Weise das Stimmverbot in § 47 Abs. 4 GmbHG umgehen. In beiden Fällen war nicht die Konstruktion ausschlaggebend für die Entscheidung, sondern die Frage, ob ein Umgehungszweck verfolgt würde. In einer der Entscheidungen hielt das OLG angesichts der Umstände den Beweis des ersten Anscheins für möglich. Um eine Gesetzesumgehung im Prozeß ging es in einem weiteren Beispielsfall. Eine der Prozeßparteien hatte einen eingeschränkten Berufungsantrag gestellt und den Wert des Beschwerdegegenstands mit 701 DM angegeben, also nur eine D M über der Berufungssumme nach der damals geltenden Fassung von § 511a ZPO (vgl. jetzt §511 Abs.2 ZPO) 1 0 6 . Sonstige Anhaltspunkte für diese Summe bestanden nicht. Das OLG München schloß aus dieser Konstruktion, es solle unter Umgehung von § 14 Abs. 1 S. 2 GKG eine Absenkung des Streitwerts im Berufungsverfahren erreicht werden. Es hielt den Berufungsantrag daher für unbe-

100 Ausführlich zu den verschiedenen Konstruktionen: Grunewald, Umgehungen schuldrechtlicher Vorkaufsrechte, S. 137ff. 101 B G H 2 5 . 9 . 1958 - VII Z R 85/57, B G H Z 28, 164, oben § 6 I.2.b). 102 B G H 7 . 7 . 1 9 7 7 - I I I Z R 111/75, W M 1977, 1044. 103 O L G Köln 9 . 1 2 . 1988 - 13 W 84/88, VersR 1989, 2 7 7 . 104 B G H 1 3 . 1 . 1972 - VII Z R 81/70, B G H Z 58, 61 (65f.); dazu schon oben § 9 I.2.a). 105 O L G H a m m 9 . 5 . 1988 - 8 U 2 5 0 / 8 7 , N J W - R R 1988, 1439 auch zum Beweise des ersten Anscheins und O L G H a m m 2 . 1 1 . 1988 - 8 U 2 9 2 / 8 7 , G m b H R 1989, 2 5 7 . 106 O L G M ü n c h e n 4 . 7 . 1990 - 28 U 3 2 0 9 / 9 0 , J u r B ü r o 1992, 2 5 2 m . A n m . Mümmler.

II. Objektive und wertende Kriterien

143

achtlich. Auch in diesem Fall kam es also auf den - subjektiven - Umgehungszweck an. bb) Der Z u s a m m e n h a n g der Atypizität mit subjektiven oder anderen wertenden Kriterien ist aber nicht zwingend. Ein Amtsgericht hatte sich 1 9 9 1 mit einer komplizierten Konstruktion zu beschäftigen, durch die § 2 Abs. 2 Nr. 2 WoVermittG umgangen werden sollte 1 0 7 . N a c h dieser Vorschrift steht dem Wohnungsvermittler keine Provision zu, wenn er selbst Eigentümer oder Mieter der vermieteten Wohnung ist. In dem Fall hatte der Wohnungseigentümer und Vermieter mit dem Wohnungsmakler eine Vereinbarung geschlossen, w o n a c h der Eigentümer eine Provision nach Zahlung der Maklercourtage durch den Mieter an den M a k l e r dafür erhält, daß der Eigentümer dem M a k l e r einen Makleralleinauftrag für die Wohnungsvermittlung erteilt hat. N a c h der Entscheidung ist § 2 WoVermittG „jedenfalls über die Grundsätze der Gesetzesumgehung a n w e n d b a r " , die Vereinbarung ist nichtig. Subjektive Kriterien hat das Amtsgericht nicht angewandt; es bestehen auch keine zwingenden Anhaltspunkte dafür, daß Vermieter und Wohnungsmakler mit Umgehungsabsicht handelten. Eine Sonderstellung nimmt auch hinsichtlich des Kriteriums der Atypizität das Arbeitsrecht ein. D a die Arbeitsgerichtsbarkeit von dem Begriff der objektiven Umgehung ausgeht, spielen wertende wie subjektive Kriterien eine geringe Rolle; ebenso ist grundsätzlich nicht entscheidend, o b die Umgehung auf ungewöhnliche oder atypische Weise erfolgt. Befristete oder bedingte Arbeitsverträge wiesen auch vor Erlaß des T z B f G keine atypischen Züge auf, sondern benutzten Rechtsformen des B G B (§ 6 2 0 Abs. 1 B G B ) . In einigen Fällen werden aber auch in arbeitsgerichtlichen Entscheidungen atypische Besonderheiten im Vorgehen der Beteiligten berücksichtigt. In der Begründung heißt es dann in der Regel, die Konstruktion sei „objektiv funktionswidrig". N a c h dem B A G ist das der Fall, wenn ein Aushilfsarbeitsverhältnis ohne besonderen Grund genau für die Zeit von vier Wochen vereinbart w i r d 1 0 8 . Auf diese Weise kann der Arbeitgeber die Regelung in § 3 Abs. 3 E F Z G (früher § 1 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 L F Z G ) „ e r g e h e n " , schuldet also keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Deutlich ist die Konstruktion auch bei folgender Umgehung der Unkündbarkeitsregel in § 5 3 Abs. 3 B A T 1 0 9 : Grundsätzlich ist für die Voraussetzungen der Unkündbarkeit (Vollendung des 4 0 . Lebensjahres und 15jährige Dienstzeit des Angestellten) der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung maßgeblich. Diesen Umstand hatte der Arbeitgeber ausgenutzt, indem er die Kündigung frühzeitig erklärte, aber mit der Einschränkung, diese solle erst zu einem späteren Termin wirksam werden. Eine objektiv funktionswidrige Umgehung ist schließlich auch angenommen worden, wenn § 6 1 3 a B G B durch Aufhebungs-

107 108 109

AG Ebersberg 14.11. 1991 - 3 C 492/91, NJW-RR 1992, 596. BAG 11.12. 1985 - 5 AZR 135/85, BAGE 50, 292. BAG 16.10. 1 9 8 7 - 7 AZR 204/87, BAGE 57, 1.

144

§ 9 Kriterien der Wertung

vertrage oder arbeitnehmerseitige Kündigung und anschließende Neueinstellung umgangen werden soll 1 1 0 . Atypizität hat in der Praxis jedoch keineswegs immer die Unwirksamkeit der Umgehung zur Folge. In vielen Fällen waren Konstruktionen zur Vermeidung bestimmter Gesetze und ihrer Rechtsfolgen wirksam, obwohl sie ebenfalls durchaus künstlich oder atypisch erscheinen. Z u m Teil kann das darauf zurückzuführen sein, daß die Entscheidungsbegründung nicht von einer Gesetzesumgehung ausgeht. Beispielsweise sind die bereits erwähnten „Roggenklauseln" zur Umgehung der Genehmigungspflicht für Wertsicherungsklauseln w i r k s a m 1 1 1

und

ebenso sog. Lohnschiebungsverträge zur Umgehung der Schuldnerpfändung 1 1 2 . W i r k s a m ist auch, wenn eine Forderung einzig zu dem Z w e c k abgetreten wird, als Zeuge auftreten zu können, obwohl es sich um eine überaus künstliche K o n struktion h a n d e l t 1 1 3 . Es gibt aber auch nicht wenige Beispiele, in denen ungewöhnliche, künstliche Konstruktionen wirksam waren, obwohl in der Entscheidungsbegründung die Umgehung durchaus gesehen wurde. In einem Fall des B G H aus den 1 9 5 0 e r J a h ren sollte zwischen zwei Gesellschaften, die von denselben Personen vertreten wurden, ein Erlaßvertrag geschlossen werden. Die Handelnden konnten § 1 8 1 B G B wirksam umgehen, indem sie statt dessen einen pactum de non petendo vere i n b a r t e n 1 1 4 . W i r k s a m ist auch die Umgehung von § 9 3 Z V G durch Abschluß eines Mietvertrages zwischen Familienangehörigen 1 1 5 . Eine besonders auffällige, aber dennoch von dem Gericht nicht beanstandete künstliche Konstruktion liegt einer Entscheidung des O L G H a m m zugrunde 1 1 6 . Es ging um ein Grundstück, dessen Verkauf genehmigungspflichtig war. Um die Genehmigungspflicht zu umgehen, schlössen die Parteien einen Pachtvertrag mit einer Laufzeit von 15 J a h r e n . D e m Pächter wurde ein Vorkaufsrecht an dem Grundstück eingeräumt. Später wurde eine Zusatzvereinbarung getroffen, nach der für einen Verkauf ein Festpreis vereinbart wurde, der auch schon gezahlt und mit einer Grundschuld gesichert worden war. Das O L G begründete seine Entscheidung damit, eine Umgehung des Gesetzes liege nicht schon dann vor, wenn der zulässige wirtschaftliche Erfolg durch ein statthaftes Rechtsgeschäft in einer anderen als der ursprünglich vereinbarten Rechtsform erzielt werden könne.

S. z.B. BAG 10.12. 1998 - 8 AZR 324/97, DB 1999, 537. BGH 3.7. 1981 - V ZR 100/80, NJW 1981, 2241; oben § 7 II.2.b)bb). 1 1 2 RG 2 9 . 1 1 . 1 9 1 2 - R e p . III. 247/12, RGZ 82, 41. 1 1 3 RG 3 . 1 . 1913 - Rep. III. 233/12, RGZ 81, 160; OLG Frankfurt 2 4 . 3 . 1982 - 17 U 145/ 81, VersR 1982, 1079 (nur Sittenwidrigkeit geprüft). 1 1 4 BGH 3 0 . 1 1 . 1955 - VI ZR 95/54, LM Nr. 19 zu § 1 3 4 BGB. Zur Begründung wies der BGH auf den Unterschied zwischen Erfolgs- und Wegverbot hin; dazu oben § 7 1.3. 1 1 5 OLG Düsseldorf 2 2 . 1 . 1996 - 9 U 115/95, NJW-RR 1996, 720; zum Sachverhalt oben 110 111

§4 11.2. 116

OLG Hamm 2 6 . 1 1 . 1952 - 10 W/w 260/52, DNotZ 1953, 208 m. Anm.

Remeke.

II. Objektive und wertende

145

Kriterien

cc) Die dargestellten Fälle machen deutlich, daß eine einheitliche Aussage über die Bedeutung der Typizität für die Eingriffsschwelle nicht möglich ist. Atypische, konstruierte Umgehungsgeschäfte können wirksam oder unwirksam sein. Ihre Unwirksamkeit ergibt sich aber nicht aus ihrer Konstruktion, sondern aus anderen, wertenden, oft subjektiven Voraussetzungen. Der Grund liegt darin, daß es zu viele verschiedene Aspekte gibt, die ein Handeln atypisch oder konstruiert machen können. Atypizität ist im Grunde kein wertendes Kriterium, sondern stellt auf einen Vergleich zwischen typischen und ungewöhnlichen Rechtsformen ab. Daher m u ß atypisches Verhalten ebensowenig für eine niedrige Eingriffsschwelle sprechen wie typisches Verhalten für eine hohe Schwelle. In zahlreichen Fällen kann die Atypizität aber mittelbar für die Feststellung der Eingriffsschwelle von Bedeutung sein, indem sie ein Indiz für die Feststellung wertender Kriterien bildet. Das gilt vor allem für subjektive Voraussetzungen der Gesetzesumgehung wie Umgehungsabsicht oder Umgehungszweck, die durch ein ungewöhnliches und künstliches Verhalten indiziert sein k ö n n e n 1 1 7 . Bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen können auch Sittenwidrigkeit oder Rechtsmißbrauch gegeben sein.

2. Sittenwidrigkeit und Rechtsmißbrauch Die nahe Verwandtschaftsbeziehung der Gesetzesumgehung zu Sittenwidrigkeit und Rechtsmißbrauch wurde bereits e r ö r t e r t 1 1 8 . Es gibt zahlreiche Umgehungsfälle, die sich im Grenzbereich beider Rechtsinstitute bewegen. Außerdem bestehen Überschneidungen zu anderen Kriterien der Eingriffsschwelle, so können die Umgehung einer Schutznorm und auch Atypizität Kennzeichen für Sittenwidrigkeit oder Rechtsmißbrauch sein. Elemente der Sittenwidrigkeit oder des Rechtsmißbrauchs sind oft im Spiel, wenn in der Praxis die Eingriffsschwelle bei Umgehungsfällen niedrig ist 1 1 9 . In Urteilsbegründungen ist dann verbreitet die Rede davon, die Gesetzesumgehung müsse als „sittenwidriges Umgehungsgeschäft" oder

„rechtsmißbräuchliches

Vorgehen" unwirksam sein. Eine Abgrenzung zwischen beiden Wertungskriterien gibt es nicht; so sah der B G H in der Ergehung einer Aufrechnungslage durch Forderungserwerb ein rechtsmißbräuchliches Vorgehen, das O L G Düsseldorf in Dazu noch unten § 9 III. O b e n § 4 III. 1 1 9 Wenn keine Sittenwidrigkeit vorliegt, ist dementsprechend die Eingriffsschwelle höher: Nach einer Entscheidung des B G H aus den 1 9 5 0 e r J a h r e n sind Strohmanngründungen von G m b H nicht generell sittenwidrig oder „wegen Umgehung nichtig"; B G H 9 . 1 0 . 1 9 5 6 - II Z B 1 1 / 5 6 , B G H Z 2 1 , 3 7 8 ( 3 8 2 f f . ) . Auch die Abtretung einer Forderung, damit der Zedent als Zeuge auftreten kann, ist nicht sittenwidrig und damit wirksam; O L G Frankfurt 2 4 . 3 . 1 9 8 2 - 1 7 U 1 4 5 / 8 1 , VersR 1 9 8 2 , 1 0 7 9 ; ebenso die bereits erwähnte Umgehung von § 9 3 Z V G durch Mietvertrag mit Familienangehörigen; O L G Düsseldorf 2 2 . 1 . 1 9 9 6 - 9 U 1 1 5 / 9 5 , N J W - R R 1 9 9 6 , 720. 117 118

146

§ 9 Kriterien der

Wertung

der Umgehung einer Aufrechnungslage durch Abtretung dagegen ein sittenwidriges Rechtsgeschäft 1 2 0 . Unklar bleibt oft auch, ob sich hinter derartigen Formulierungen nur eine Wertung verbirgt oder ob die Rechtsinstitute Sittenwidrigkeit und Rechtsmißbrauch gemeint sind. Das kann unterschiedliche Folgen haben, da § 138 Abs. 1 BGB als absolute Rechtsfolge die Nichtigkeit des Geschäfts anordnet. Es stellt sich also die Frage, ob eine sittenwidrige Umgehung stets nichtig ist oder ob die Sittenwidrigkeit auch ein Kriterium der Eingriffsschwelle bilden kann mit der Folge, daß die umgangene N o r m anzuwenden ist 121 . Beim Rechtsmißbrauch fragt sich entsprechend: Wenn eine Umgehung gleichzeitig rechtsmißbräuchlich ist, bildet dann der Rechtsmißbrauch ein Kriterium für die Eingriffsschwelle bei der Gesetzesumgehung oder stellt andersherum die Gesetzesumgehung ein Indiz für den Rechtsmißbrauch dar?

a) Sittenwidrigkeit

als

Wertungskriterium

Im Verhältnis von Gesetzesumgehung zur Sittenwidrigkeit ist - wie oben erörtert - das Umgehungsargument vorrangig 1 2 2 . Die Nichtigkeitsfolge des § 138 Abs. 1 BGB paßt nicht auf alle Umgehungsfälle, wie das Beispiel des Vorkaufsrechts zeigt 123 . Ein weiterer Beispielsfall lag einer Entscheidung des OLG Karlsruhe zugrunde 1 2 4 . Bei einer Firmenübernahme war § 25 HGB durch kollusives Verhalten umgangen worden, indem die Übernehmerin u.a. das übernommene Handelsgeschäft kurzzeitig umfirmiert hatte, inzwischen aber wieder die frühere Firma benutzte. Die Klägerin machte gegen die Übernehmerin einen Kaufpreisanspruch geltend, der aus einem vor der Übernahme geschlossenen Vertrag herrührte. In diesem Fall wäre der Klägerin nicht damit gedient, die Übernahme wegen der kollusiven Vereinbarungen als nichtig anzusehen. Ihr war an einem zahlungsfähigen Schuldner gelegen, so daß nur eine Anwendung von § 25 HGB zu einem sachgerechten Ergebnis führte. Der Fall zeigt aber auch, daß die Sittenwidrigkeit trotz des Vorrangs der Gesetzesumgehung nicht ohne Bedeutung ist. Die Besonderheit lag gerade darin, daß § 25 HGB nicht einfach vermieden worden war, sondern durch ein kollusives, sittenwidriges Handeln der Beteiligten umgangen wurde. Es lag also nicht eine 120 B G H 2 8 . 4 . 1 9 8 7 - VI Z R 1 und 4 3 / 8 6 , DB 1 9 8 7 , 1 8 8 4 ; O L G Düsseldorf 2 3 . 3 . 2 0 0 1 - 2 2 U 140/00, N J W - R R 2 0 0 1 , 1025. Z u derartigen Geschäften Werner, Umgehung von Aufrechnungshindernissen. 121 Z u m Unterschied von Nichtigkeit und Gleichstellung in Umgehungsfällen oben § 7 I I . l . 122 O b e n § 4 III.l.; Schurig, Gesetzesumgehung, S.407. 123 Liegen die Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit vor, w ü r d e es dem Vorkaufsberechtigten wenig nützen, w e n n das Umgehungsgeschäft - z. B. ein Pachtvertrag - nichtig wäre. Statt dessen m u ß die umgangene N o r m a n g e w a n d t werden, also g e m ä ß 4 6 3 BGB (früher § 5 0 4 BGB) der Vorkaufsfall eintreten. 124 O L G Karlsruhe 9 . 5 . 1995 - 8 U 2 6 / 9 5 , N J W - R R 1995, 1310.

II. Objektive

und wertende

Kriterien

147

bloße Gesetzesvermeidung vor, sondern der Sonderfall einer sittenwidrigen Gesetzesumgehung. Sittenwidrigkeit kann also für die Eingriffsschwelle für Bedeutung sein: Ist eine Gesetzesumgehung sittenwidrig, kommt zwar nicht § 1 3 8 Abs. 1 BGB zur Anwendung, die Eingriffsschwelle sinkt aber in der Weise, daß im Regelfall die umgangene N o r m Anwendung findet. Es sind also drei Gruppen sittenwidriger Umgehungsfälle zu unterscheiden: Erstens: Die Sittenwidrigkeit liegt in der Umgehung des Gesetzes selbst. Das kann der Fall sein, weil es sich um eine Schutznorm handelt, wie einige der in diesem Zusammenhang angeführten Beispielsfälle zeigen; aber auch bei wirtschaftsregelnden Normen 1 2 5 . Die Sittenwidrigkeit kann sich aber auch daraus ergeben, daß das Verhalten der Handelnden sinnlos wäre, wenn es nicht der Umgehung diente, z.B. ein unzulässiges Mahnverfahren, mit dem eine obligatorische Schlichtung umgangen werden soll 126 . In diesen Fällen steht die Gesetzesumgehung im Vordergrund. Diejenigen Elemente, die die Sittenwidrigkeit ausmachen, gehen in die Wertung zur Bestimmung der Eingriffsschwelle ein. Eine Abgrenzung zwischen Sittenwidrigkeit und Rechtsmißbrauch ist nicht erforderlich. Zweitens: Die Gesetzesumgehung wird sittenwidrig, weil andere Aspekte hinzukommen. Das gilt vor allem für subjektive Kriterien, z.B. die Absicht, jemanden zu schädigen. In solchen Fällen geht die Rechtsprechung oft von Sittenwidrigkeit aus, ohne die Gesetzesumgehung zu prüfen. Nach einer älteren Entscheidung des BGH sind Verträge, die lediglich zu dem Zweck abgeschlossen werden, ein vertragliches Vorkaufsrecht zu vereiteln, nach § 138 BGB nichtig 127 . Richtige Rechtsfolge ist in diesen Fällen aber die Anwendung der umgangenen N o r m , nicht die Nichtigkeit nach § 138 BGB. Daher wandte auch das O L G Karlsruhe in der oben erwähnten Entscheidung zutreffend § 25 HGB an 1 2 8 . Die Schädigungsund Umgehungsabsicht ist in diesem Fällen lediglich eines der Kriterien zur Bestimmung der der Eingriffsschwelle zugrundeliegenden Wertung; die Umgehung ist vorrangig. Drittens: Die Sittenwidrigkeit ergibt sich aus Umständen des Falles, die nichts mit der Gesetzesumgehung zu tun haben. In solchen Fällen wird zwar der Tatbestand eines Gesetzes vermieden. Im Regelfall hätte darin jedoch keine Gesetzesumgehung gelegen. Zweifel ergeben sich aus anderen Umständen, die den Fall sittenwidrig machen. Ein Beispiel bildet der Sachverhalt einer Entscheidung des OLG Schleswig: Ein in Scheidung lebender M a n n hatte ein Grundstück auf seine Lebensgefährtin übertragen, um das Eheauseinandersetzungsverfahren zu um125

Beispiele aus der Rechtsprechung: Umgehung von Einfuhrbestimmungen in BGH 8.6. 1983 - VIII Z R 77/82, N J W 1983, 2873; Umgehung des Futter- oder Arzneimittelgesetzes in BGH 23.4 1968 - VI Z R 217/65, N J W 1968, 2286. 126 AG Rosenheim 11.4. 2 0 0 1 - 18 C 65/01, N J W 2001, 2030; zum Sachverhalt im einzelnen oben § 4 I. 127 BGH 2 . 7 . 1970 - III Z R 42/67, W M 1970, 1315. 128 O L G Karlsruhe 9 . 5 . 1995 - 8 U 26/95, NJW-RR 1995, 1310.

148

5 9 Kriterien der

Wertung

gehen 1 2 9 . Die Übertragung des Grundstücks allein würde hier noch nicht genügen, um eine Gesetzesumgehung anzunehmen; nur die Umstände machen den Fall sittenwidrig. In solchen Fällen ist das sittenwidrige Geschäft nichtig nach § 138 BGB 130 . Einen weiteren Beispielsfall bildet der bereits erwähnte Fall der „ Deutschen-Sex-Partei" 1 3 1 . b) Rechtsmißbrauch

als

Wertungskriterium

Weniger Konkurrenzprobleme wirft das Verhältnis der Gesetzesumgehung zum Rechtsmißbrauch auf 1 3 2 . Die Rechtsfolge ist in beiden Fällen dieselbe, da die Rechtsfolge des Mißbrauchs in seiner Unwirksamkeit liegt; ebenso wie bei Überschreiten der Eingriffsschwelle auch die Gesetzesumgehung unwirksam ist. Im Regelfall ist der Rechtsmißbrauch vorrangig, weil seine Voraussetzungen enger sind: Die betroffene N o r m ist in diesen Fällen nicht nur umgangen, sondern sogar mißbraucht. Daher ist neben dem Rechtsmißbrauch in der Regel kein Raum für die Gesetzesumgehung. Auch die Praxis prüft in solchen Fällen meist nur die Voraussetzungen des Rechtsmißbrauchs. So stützt sich die bereits erwähnte Entscheidung des Kammergerichts zur Umgehung von § 566 BGB (früher § 571 BGB) durch Ersteigerung nur auf Rechtsmißbrauch 1 3 3 . Rechtsmißbrauch liegt auch vor, wenn durch Abtretung eines Anspruchs die Prozeßkostenhilfe - früher Armenrecht - „ergangen" wird 1 3 4 . Deutlich wird der Vorrang des Rechtsmißbrauchs in einem arbeitsrechtlichen Fall: Wenn eine streikführende Gewerkschaft ihren Streik nur über Feiertage unterbricht und damit die Entgeltzahlung an Feiertagen ergeht, kann die Zahlung nur verweigert werden, wenn darin ein Rechtsmißbrauch liegt 135 . Auch in anderen Anwendungsfällen des § 242 BGB wurden dessen Grundsätze vorrangig herangezogen 1 3 6 . 129

OLG Schleswig 16.12. 1994 - 14 U 138/94, NJW-RR 1995, 900. In der Entscheidung des O L G Schleswig wurden sowohl das obligatorische als auch das dingliche Rechtsgeschäft gemäß § 138 BGB für nichtig erklärt. 131 H a n s O L G H a m b u r g 7 . 3 . 1 9 7 4 - 3 U 173/73, M D R 1975, 141; oben § 4 IH.l.a). 132 Eine Verwandtschaftsbeziehung besteht vor allem zur Rechtsfigur des sog. Institutsmißbrauchs, s.o. § 4 III.2.a). 133 KG 2 0 . 4 . 1972 - 8 U 1831.71, O L G Z 1973, 1. 134 BGH 2 0 . 3 . 1967 - VII Z R 296/64, B G H Z 47, 289; OLG Köln 2 0 . 1 1 . 1 9 5 3 - 6 W 268/ 53, M D R 1954, 174. 135 Nach BAG 11.5. 1993 - 1 A Z R 649/92, N Z A 1993, 809 ist bei Unterbrechung des Streiks für den Feiertag und einen Arbeitstag Feiertagsvergütung geschuldet; es liegt kein Rechtsmißbrauch vor. Dagegen ist nach BAG 1.3. 1995 - 1 A Z R 786/94, N Z A 1995, 996 eine Streikunterbrechung nur für einen Feiertag bedeutungslos. 136 So begründete das LG Bonn 2 7 . 2 . 1996 - 2 S 109/95, F a m R Z 1996, 1486 die Entscheidung zu dem „Unterhaltsrentenfall" nur mit § 242 BGB. Das LG Berlin 30.3. 1983 - 99 O 2/83, W M 1984, 224 (m.w.N.) sah in einer sog. Zahlstellenklausel bei der Zession eine unzulässige Umgehung der rechtlichen Rangreihenfolge für die Zessionare: M a n dürfe sich nach Treu und Glauben nicht darauf berufen. In beiden Fällen ist die Begründung allerdings recht ungenau. Auf die Besonderheiten der Gesetzesumgehung gehen die Gerichte nicht ein. 130

II. Objektive und wertende Kriterien

149

Nicht selten sind aber auch Fälle, in denen Rechtsmißbrauch ähnlich wie Sittenwidrigkeit ein Kriterium für die Eingriffsschwelle bildet. Das ist dann der Fall, wenn sich der M i ß b r a u c h nicht auf die umgangene oder ergangene N o r m bezieht. Ein Beispiel bilden die Fälle der Umgehung von § 3 1 1 b Abs. 1 B G B (früher § 3 1 3 B G B ) durch unwiderrufliche V o l l m a c h t 1 3 7 . M i ß b r a u c h t wird hier nicht die umgangene Formvorschrift, sondern es k o m m t allenfalls ein M i ß brauch der formlosen Vollmacht in Betracht 1 3 8 . Diese Konstellation liegt auch der von der Arbeitsgerichtsbarkeit häufig verwendeten Formulierung zugrunde, eine Gesetzesumgehung liege vor, „wenn der Z w e c k einer zwingenden Rechtsnorm dadurch vereitelt wird, daß andere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten mißbräuchlich

verwendet w e r d e n " 1 3 9 .

In einem weiteren Beispielsfall ging es um die Entlastung des Vorstands einer Aktiengesellschaft 1 4 0 . Findet die Entlastung wie im Regelfall als Gruppenentlastung statt, sind die Vorstandsmitglieder nicht stimmberechtigt, § 1 3 6 Abs. 1 S. 1 A k t G . Die Vorstandsmitglieder umgingen diese Vorschrift, indem nach § 1 2 0 Abs. 1 S. 2 A k t G eine Einzelentlastung stattfand. Die dann jeweils nicht betroffenen Vorstandsmitglieder konnten mit abstimmen, so daß im Vergleich zur Gruppenentlastung eine deutliche Änderung der Mehrheitsverhältnisse eintrat. Das Gericht sah in diesem Vorgehen einen M i ß b r a u c h von § 1 2 0 Abs. 1 S . 2 A k t G . Der M i ß b r a u c h betraf aber nicht die umgangene N o r m des § 1 3 6 Abs. 1 S. 1 A k t G , sondern es lag eine Umgehung einer N o r m durch M i ß b r a u c h einer anderen vor. In solchen Fällen gelten die Grundsätze von Rechtsmißbrauch und Gesetzesumgehung nebeneinander; beide führen zur Unwirksamkeit. Im Beispielsfall war also die Anordnung der Einzelentlastung unwirksam; § 1 3 6 Abs. 1 S. 1 A k t G fand Anwendung.

3. Bedürfnisse des Verkehrs Objektive Kriterien können nicht nur für eine Absenkung der Eingriffsschwelle sprechen, sondern auch für ihre Erhöhung. Für die Wirksamkeit des Umgehungsgeschäfts spricht in diesen Fällen nicht nur allgemein die Gefahr einer willkürlichen Ausweitung von Tatbeständen, sondern es treten noch besondere M e r k m a l e hinzu. Diese können zwar nicht generell die Unwirksamkeit der Umgehung ausschließen, sollten aber doch eine zusätzliche Hemmschwelle bilden, den Anlaß für eine vertiefte Uberprüfung, ob die umgangene N o r m tatsächlich

1 3 7 Dazu und zur entsprechenden Problematik bei der Befreiung von der Beschränkung des § 1 8 1 B G B oben § 8 I . l . b ) . 1 3 8 Dazu R G 2 9 . 3 . 1 9 2 2 - V 493/21, R G Z 1 0 4 , 2 3 6 . 1 3 9 Zitat aus B A G 1 9 . 5 . 1 9 8 2 - 5 A Z R 4 6 6 / 8 0 , B A G E 3 9 , 6 7 (70) zu der umstrittenen Frage, ob eine Anwesenheitsprämie eine Umgehung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bildet (hier bejaht). 1 4 0 O L G München 1 7 . 3 . 1 9 9 5 - 2 3 U 5 9 3 0 / 9 5 , N J W - R R 1 9 9 6 , 1 5 9 .

150

§ 9 Kriterien

der

Wertung

angewandt werden soll. Das kann dann der Fall sein, wenn Bedürfnisse des Verkehrs für das Umgehungsgeschäft sprechen. Der Aspekt der Bedürfnisse des Verkehrs wird vorrangig in älteren Gerichtsentscheidungen ausdrücklich genannt. Ein Beispiel bildet die bei Einzahlung eines Sparguthabens getroffene formlose Vereinbarung, nach dem Tode des Einzahlenden solle einem Dritten ein unmittelbarer Anspruch auf Auszahlung des Guthabens bestehen. Die Rechtsprechung sieht zwar die Gefahr einer Umgehung der für letztwillige Verfügungen bestehenden Formvorschriften. Diese Bedenken müßten u.a. jedoch „zurücktreten gegenüber den Bedürfnissen des Verkehrs, der sich in steigendem Maße derartiger Geschäfte bedient, um damit auch einem beachtlichen wirtschaftlichen Interesse der Beteiligten gerecht zu werden"141. Ein anderes Urteil betrifft die Umgehung einer früher geltenden Fassung des § 2 4 7 B G B 1 4 2 . Sie enthielt ein Sonderkündigungsrecht für Darlehensverträge, die einen Zinssatz von über 6% vorsahen. Die Parteien hatten einen Zinssatz von 5 % vereinbart, aber gleichzeitig eine gesellschaftsrechtliche Regelung getroffen, wonach der Gläubiger an dem Gewinn des Schuldners beteiligt war, so daß sich eine Gesamtverzinsung seines Kapitals in Höhe von etwa 1 0 % ergab. Das Reichsgericht hielt den Schuldner dennoch nicht für berechtigt, die Vereinbarung zu kündigen. Die Vorschrift sei nicht über ihren Wortlaut hinaus auszulegen; im übrigen würden „durch eine Anwendung des § 2 4 7 [...] zahlreiche, namentlich im Handelsverkehr häufige, auf die Beteiligung an dem Unternehmen eines anderen gerichtete Vertragsverhältnisse gefährdet sein". In anderen Entscheidungen sind die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs zwar nicht ausdrücklich erwähnt, die große praktische Bedeutung der betroffenen Rechtsinstitute spricht aber dafür, daß sie bei den Erwägungen des Gerichts eine Rolle gespielt haben. Dazu gehört vor allem die Sicherungsübereignung, die in Deutschland seit einer Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1 9 0 4 als zulässig angesehen wird, obwohl objektiv die Vorschriften über das Besitzpfand (§ 1 2 0 5 BGB) umgangen werden 1 4 3 . Von ähnlicher praktischer Bedeutung ist die Rechtsform der G m b H & Co. K G , die ebenfalls von der Rechtsprechung als zulässig angesehen wird 1 4 4 . Auch beim Umgang mit Börsentermingeschäften werden Bedürfnisse des Verkehrs eine Rolle gespielt haben 1 4 5 . 1 4 1 R G 8 . 2 . 1 9 2 3 - IV 8 6 / 2 2 , R G Z 1 0 6 , 1 (2f.) ; auch B G H 1 2 . 1 1 . 1 9 5 2 - IV Z B 9 3 / 5 2 , B G H Z 8, 2 3 (31 f.). 1 4 2 R G 7 . 5 . 1 9 1 5 - Rep. II. 3 6 / 1 5 , R G Z 8 6 , 3 9 9 (401). 1 4 3 R G 8 . 1 1 . 1 9 0 4 - Rep. VII. 1 7 3 / 0 4 , R G Z 5 9 , 1 4 6 ; vgl. auch R G 2 . 6 . 1 8 9 0 - Rep. VI. 68/ 9 0 , R G Z 2 6 , 1 8 0 zum ähnlichen Rechtsinstitut des constitutum possesorium. Wie erwähnt, wird das in Österreich und der Schweiz anders gesehen. 1 4 4 B G H 2 8 . 9 . 1 9 5 5 - VI Z R 2 8 / 5 3 , W M 1 9 5 6 , 6 1 . In der Begründung wird angeführt, ein Rechtsmißbrauch liege nicht vor. 1 4 5 Zulässig seit R G 2 7 . 1 0 . 1 9 1 4 - Rep. III. 1 2 7 / 1 4 , R G Z 8 5 , 3 8 0 . Dagegen sah R G 2 8 . 1 0 . 1 8 9 9 - Rep. I. 2 4 2 / 9 9 , R G Z 4 4 , 103 in Börsentermingeschäften noch eine Umgehung der Ein-

II. Objektive

und wertende

Kriterien

151

Die Gefahr dieser Argumentation liegt auf der Hand: Die Bedürfnisse des Verkehrs sind der Rechtsordnung nachrangig. Sie können nicht grundsätzlich Gesetzesumgehungen rechtfertigen; vor allem, wenn Dritte betroffen sind. Daher mag zwar die Umgehung erbrechtlicher Formvorschriften zulässig sein; bei der Umgehung von Erbverträgen oder gemeinschaftlichen Testamenten müssen aber die Erben geschützt werden 1 4 6 . Besteht allerdings tatsächlich ein erhebliches praktisches Bedürfnis nach einer bestimmten Konstruktion, kann dem auf der anderen Seite auch nicht beliebig das Umgehungsargument entgegengehalten werden. Anderenfalls bestünde die Gefahr einer Schädigung des Rechtsverkehrs durch willkürliche Ausweitung von Normen, die nicht einmal ausdrücklich eingreifen, sondern eben nur umgangen werden. Es hat daher eine Abwägung im Einzelfall zu erfolgen, wobei auf der einen Seite das Bedürfnis des Verkehrs, auf der anderen Seite der Zweck der umgangenen Norm steht. Schützt die betroffene Norm wichtige Individualinteressen oder Belange der Allgemeinheit, wird eine Umgehung auch im Verkehrsinteresse in aller Regel nicht möglich sein. Ein Beispiel bilden die zahlreichen Fälle zur Umgehung der Gründungsvorschriften von Kapitalgesellschaften. Bereits ihre Zahl weist auf das erhebliche Verkehrsinteresse hin, das hier betroffen ist. Auf der anderen Seite macht der Zweck der Gründungsvorschriften, Gläubiger zu schützen, diese „umgehungsfest"; der Schutzzweck ist vorrangig 1 4 7 . Je mehr die umgangene Norm jedoch als reine Ordnungsnorm anzusehen ist, um so mehr sprechen die Bedürfnisse des Verkehrs für eine Anhebung der Eingriffsschwelle. Deswegen können die Formvorschriften für Testamente eher umgangen werden als diejenigen Regeln, die beispielsweise den Schutz des Vertragserben regeln. Nicht so eindeutig ist die Abwägung bei der Norm des § 1 2 0 5 B G B über das Besitzpfand. Sie ist einerseits eine Ordnungsnorm, indem sie dem Publizitätsgedanken folgt, soll aber auch sicherstellen, daß dieselbe Sache nicht mehrfach verpfändet wird 1 4 8 . Je nachdem, welche Funktion man in den Vordergrund rückt, lassen sich sowohl die deutsche als auch die österreichische Auffassung zur Sicherungsübereignung vertreten. 4. Schutz von Rechten Dritter Der Schutz der Rechte Dritter ist mit dem Schutz von Verkehrsinteressen verwandt und bildet das Gegenstück zur Umgehung von Schutznormen: Der Dritte tragungspflicht; s. auch R G 1 2 . 1 0 . 1 8 9 8 - R e p . I. 226/98, R G Z 4 2 , 4 3 . Inzwischen sind Börsentermingeschäfte in §§ 50 ff. BörsG ausdrücklich geregelt. 1 4 6 S. dazu grundlegend BGH 5 . 7 . 1972 - IV Z R 125/70, B G H Z 59, 343 = NJW 1973, 2 4 0 ; zur früheren Rechtslage BGH 8 . 7 . 1954 - IV Z R 229/53, LM Nr.4 zu § 2 2 7 1 BGB. Auch die Schenkung beweglicher Sachen, die erst nach dem Tode des Schenkenden überbracht werden, ist wegen Umgehung unwirksam, R G 2 8 . 1 0 . 1913 - Rep. VII 271/13, R G Z 83, 2 2 3 . 1 4 7 Dazu oben § 9 I., Einführung. 148 Staudinger-Wiegand $ 1205 Rdnr. 10.

152

5 9 Kriterien der

Wertung

wird hier nicht durch die Gesetzesumgehung geschädigt, sondern profitiert im Gegenteil davon, indem ihm beispielsweise ein Anspruch aus dem Umgehungsgeschäft zusteht. Ein Schutzbedürfnis besteht vor allem, wenn der Dritte von der Gesetzesumgehung nichts wußte. Beispiele für diese Fallgruppe sind eher selten, weil im Regelfall der Gesetzesumgehung nur der oder die „ U m g e h e r " Begünstigte des Geschäfts sind. Das praktisch wichtigste Beispiel bilden die Fälle der Umgehung von erbrechtlichen Bindungen; so besteht z.B. die Möglichkeit, daß der vom Erblasser Beschenkte nichts von dessen erbvertraglicher Bindung wußte. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit sein Vertrauen geschützt werden kann und muß. Das Ergebnis m u ß ähnlich wie in den Fällen der Verkehrsinteressen in einer Interessenabwägung zwischen Nutznießer und „ O p f e r " der Gesetzesumgehung gesucht werden. Im Regelfall wird das Interesse des „ O p f e r s " vorrangig sein. So hat die Rechtsprechung nur bei Umgehung bloßer erbrechtlicher Formvorschriften Leistungen des Erblassers für wirksam angesehen 1 4 9 . Im übrigen waren - mit unterschiedlicher Begründung - Leistungen unter Lebenden in der Regel unwirksam, das Interesse des in gemeinschaftlichem Testament oder Erbvertrag Bedachten also vorrangig 1 5 0 . Einen K o m p r o m i ß zwischen den betroffenen Interessen fand der B G H in einem Urteil zu der Frage, o b ein Vertrag zugunsten eines Dritten - also nicht des Bedachten - möglich ist, wenn der Versprechensempfänger durch Erbvertrag oder gemeinschaftliches Testament in der Testierfreiheit beschränkt i s t 1 5 1 . N a c h der Entscheidung ist der Vertrag nicht schon wegen der Umgehung der Bindung unwirksam. D e r benachteiligte Vertrags- oder Schlußerbe kann aber einen Bereicherungsanspruch entsprechend § 2 2 8 7 B G B haben. In einem Sonderfall, über dessen Ergebnis sich allerdings streiten läßt, hat der B G H den Schutz eines Dritten über den Schutz der durch die Umgehung benachteiligten Gläubiger gestellt 1 5 2 . Die Schuldnerin hatte in der Absicht, die Zwangsvollstreckung zu umgehen, das Eigentum an wertvollen Teppichen auf ihren damals minderjährigen Sohn übertragen, sich aber den Besitz vorbehalten. Der B G H hielt dieses Vorgehen für nicht anfechtbar, da das Kind die Benachteiligungsabsicht der Mutter nicht kannte.

RG 8.2. 1923 - IV 86/22, RGZ 106, 1 (2f.). RG 28.10.1913 - Rep. VII. 271/13, RGZ 83,223; BGH 8.7.1954 - IV ZR 229/53, LM Nr. 4 zu § 2271 BGB; BGH 24.1.1958 - IV ZR 234/57, BGHZ 26, 274 = NJW 195 8,547; BGH 17.11. 1959 - V ZR 18/59, BGH NJW 1960, 524 = BB 1961, 489; BGH 5.7. 1972 - IV ZR 125/70, BGHZ 59, 343 = NJW 1973, 240. 151 BGH 26.11. 1975 - IV ZR 138/74, BGHZ 66, 8. 152 BGH 25.4. 1 9 8 5 - I X ZR 141/84, JZ 1985, 795. 149

150

III. Die subjektive Seite der Umgehung

III. Die subjektive Seite der

153

Umgebung

In der Literatur wird die subjektive Seite der Gesetzesumgehung oft auf die Frage reduziert, o b Umgehungsabsicht erforderlich sein soll. Historisch setzte die Annahme einer fraus legis meistens voraus, daß diese von einem entsprechenden Willen getragen war. Auch heute wird diese Ansicht in zahlreichen Rechtsordnungen, vor allem der französischen, vertreten 1 5 3 . N a c h der in Deutschland etwa seit den 1 9 7 0 e r Jahren herrschenden Literaturauffassung kann dagegen eine Gesetzesumgehung auch objektiv, d.h. ohne Umgehungsabsicht, erfolgen 1 5 4 . Gesetzesumgehung wird als Problem der Geltung des umgangenen Gesetzes „aus eigener K r a f t " Raum

155

angesehen;

für subjektive Voraussetzungen

bleibt damit

kein

.

Der Rechtsprechung beurteilt die subjektiven Voraussetzungen der Gesetzesumgehung unterschiedlich; die Entscheidungen auch der neueren Zeit sind weitgehend fallbezogen. M i t der Abkehr vom selbständigen Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung verliert auch die Umgehungsabsicht als dessen subjektive Voraussetzung an Bedeutung. So hat der Bundesgerichtshof, soweit ersichtlich, zuletzt 1 9 5 9 ausdrücklich Umgehungsabsicht als entscheidend angesehen 1 5 6 . Allerdings wurde noch in den 1 9 7 0 e r Jahren die Nichtigkeit einer vertraglichen Regelung mit dem „Eindruck der Umgehungsabsicht" begründet 1 5 7 . Den in der Literatur befürchteten Beweisproblemen wird die Möglichkeit entgegengehalten, aus objektiven Kriterien auf die subjektive Seite zu schließen 1 5 8 . Eine differenzierende Ansicht vertritt Schurig159.

Er definiert „ A b s i c h t " im

Sinne einer bewußten Vermeidung. Eine solche sei das „definitorische Minim u m " der Gesetzesumgehung: Es müsse wenigstens eine vom Willen gesteuerte Handlung vorliegen. Darüber hinaus sei „das Subjektive" für die von Schurig beschriebene Frage der Eingriffsschwelle bedeutsam. Subjektive Elemente der Um-

Oben § 3 I. Grundlegend Teichmann, S. 67ff.; ebenso Staudinger-Sack §134 Rdnr. 145; Sieker, S.39ff.; Römer, S.42ff.; v. Gamm WRP 1961, 259 (260); Liebscher ZIP 2003, 825 (831f.) und die ganz herrschende Ansicht zu den gesetzlichen Umgehungsverboten, dazu oben § 5 1.2. Grundsätzlich Umgehungsabsicht verlangen MünchKomm-Mayer-Maly/Armbrüster §134 Rdnr. 18; ähnlich zum Spezialfall der Umgehung eines Vorkaufsrechts Schermaier AcP 96 (1996), 256 (266ff.; 268ff.). Anders ein Teil der IPR-Literatur, dazu ausführlich unten § 15IV. 1. Zu allem Heeder, S. 211 ff. 155 Staudinger-Sack §134 Rdnr. 145 mit Nachweis auf BGH 15.1. 1990 - II ZR 164/88, BGHZ 110, 47 = WM 1990, 222 (227); Häsemeyer, S. 166f.; Sieker, S.39ff. 156 BGH 17.11. 1959 - V ZR 18/59, NJW 1960, 524 = BB 1961, 489. 1 5 7 BGH 13.1. 1972 - VII ZR 81/70, BGHZ 58, 61 (65f.). 158 BGH 17.11.1959 - V Z R 18/59, NJW 1960,524 = BB 1961,489; so auch 1889 Barthelmes (S. 11); und 1998 Heeder, S.213f. 159 Schurig, Gesetzesumgehung, S.398, 403f.; ebenfalls angedeutet bei Westerhoff, S. 139ff. (§§ 150ff.). S. auch Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S.243f. zur entsprechenden Problematik im IPR. 153

154

154

§ 9 Kriterien der

Wertung

gehung erweitern danach den Anwendungsbereich der Analogie oder der Auslegung. Eine ähnliche Formulierung findet sich in einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 19 90 1 6 0 : Der BGH verlangt hier ausdrücklich zwar keine Umgehungsabsicht, aber ein „subjektives Moment". Auch in anderen Entscheidungen wird ein derartiges „subjektives Moment" für die Eingriffsschwelle berücksichtigt. Es wird oft als Umgehungszweck bezeichnet. Neben Umgehungsabsicht und -zweck kommen für die Feststellung der Eingriffsschwelle weitere subjektive Kriterien in Betracht. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Umgehung einer Täuschung dient. Wie oben erwähnt, sind Gesetzesumgehung und Simulation logisch und bei der Fallösung voneinander zu trennen. In der Praxis spricht es aber regelmäßig für die Unwirksamkeit einer Gesetzesumgehung, wenn sie zu Zwecken der Täuschung oder mit Täuschungsabsicht erfolgt. 1. Bedeutung des Subjektiven a) Das Erfordernis der Umgehungsabsicht im Sinne der französischen Tradition darf nicht dahingehend mißverstanden werden, daß in Umgehungsfällen nur der Wille entscheidend sein soll, ein Gesetz zu vermeiden. Auf diese Weise würde der Begriff der Gesetzesumgehung in absurder Weise ausgedehnt: Eine Umgehung läge bereits vor, wenn K beim Juwelier eine Kette kauft, um § 242 StGB zu umgehen 161 oder wenn A und B eine GmbH gründen, um die persönliche Haftung nach dem Personengesellschaftsrecht zu umgehen. Umgehungsabsicht kann nur von Belang sein, wenn zusätzlich objektiv eine Gesetzesumgehung vorliegt, also die sententia, das Ziel des umgangenen Gesetzes verletzt ist 162 . Das Erfordernis der Umgehungsabsicht ist dann der subjektive Tatbestand. Auch ein solcher subjektiver Tatbestand wird nach heute herrschender Meinung aber nicht verlangt. Sieht man die Gesetzesumgehung nur als Problem der Analogie oder auch der Auslegung an, muß die Umgehungsabsicht schon deswegen unbeachtlich sein: Einen subjektiven Tatbestand kann nur ein selbständiges Rechtsinstitut haben. Außerdem wird in der Literatur auf die Schwierigkeit hingewiesen, Umgehungsabsicht zu beweisen. Das ist sicher zutreffend, aber nicht ausschlaggebend: Eine Lösung, die in der Praxis Richtern die Arbeit erleichtert, muß nicht unbedingt die richtige sein 163 . b) Wenig diskutiert wird, ob eine Gesetzesumgehung auch möglich ist, wenn bei dem Handelnden keine subjektiven Voraussetzungen vorliegen, ihm die Gesetzesumgehung nicht einmal bewußt ist. Nach Schurig können die inneren Tat-

u o 161 162 163

BGH 9 . 2 . 1990 - V Z R 274/88, B G H Z 110, 2 3 0 (233f.). Beispiel s. Benkendorff WuW 1954, 147 (151 f.). Dazu oben § 7 1.1.a), § 8 II. 1. Römer, S. 44.

III. Die subjektive

Seite der

Umgehung

155

Sachen nicht schlechthin unerheblich sein 1 6 4 . Sie seien - wie erwähnt - für die Eingriffsschwelle von Bedeutung, indem sie die Grenzen des Anwendungsbereichs von Auslegung und Analogie erweiterten. Darüber hinaus liege das „definitorische M i n i m u m " der Gesetzesumgehung darin, daß der „Tatbestand der umgangenen Norm bewußt vermieden, der der ergangenen Norm bewußt, d.h. durch eine vom Willen gesteuerte Handlung herbeigeführt sein" muß. Die Rechtsprechung hat demgegenüber in einigen Fälle Gesetzesumgehungen für unwirksam gehalten, obwohl jede subjektive Komponente fehlte. In der bereits erwähnten Entscheidung des B G H , in der ein Mieterdarlehen unter anderem wegen Umgehung von § 5 4 7 B G B (früher § 5 5 7 a BGB) für nichtig erklärt wurde, wird ein subjektives Element nicht für nötig angesehen 1 6 5 . Es ist sogar wahrscheinlich, daß der Vermieter die umgangene Norm nicht einmal kannte. Ähnliches gilt in dem ebenfalls bereits erwähnten Fall, in dem das „Bemühungsentgelt" eines Maklers so hoch war, daß der Kunde damit praktisch gezwungen war, eine Immobilie zu erwerben 1 6 6 . Der B G H hielt die Vereinbarung wegen Umgehung von § 3 1 1 b Abs. 1 B G B (früher § 3 1 3 BGB) für formunwirksam, obwohl der Makler vermutlich zwar die Höhe der Vergütung, aber kaum die Formvorschrift im Blick gehabt hatte. Wie erwähnt, stammt der Begriff der „objektiven Gesetzesumgehung" aus dem Arbeitsrecht und fand insbesondere auf befristete und auflösend bedingte Arbeitsverträge Anwendung. Auch das TzBfG stellt keine subjektiven Voraussetzungen auf. Tatsächlich kann auch bei derartigen vertraglichen Gestaltungen eine andere Motivation im Vordergrund stehen, so daß die Umgehung des Kündigungsschutzes keine Rolle spielt. Ein Beispiel bildet der oben erwähnte Lizenzfußballspieler, für dessen auflösend bedingten Arbeitsvertrag sicher der drohende Entzug der DFB-Lizenz im Vordergrund stand und nicht die Umgehung von §626 BGB167. Ähnliches kann auch für vertragliche Gestaltungen außerhalb des Geltungsbereichs des T z B f G gelten. So liegt in einem Aufhebungsvertrag zum Urlaubsende mit bedingter Wiedereinstellungszusage sicherlich eine objektive Umgehung des Kündigungsschutzrechts; vorrangig soll aber eine pünktliche Rückkehr aus dem Urlaub erzwungen werden 1 6 8 . Das O L G H a m m hielt Umgehungsabsicht ebenfalls nicht für erforderlich, wenn § 5 Abs. 2 BBiG dadurch umgangen wird, daß der Vater des Auszubildenden bei dem zukünftigen Ausbilder einen Omnibus

Schurig, Gesetzesumgehung, S.403f.; 3 9 8 f . BGH 2 3 . 6 . 1971 - V I I I Z R 166/70, B G H Z 56, 2 8 5 (289). 1 6 6 BGH 2 . 7 . 1986 - IV a Z R 192/85, BB 1986, 1876. 1 6 7 BAG 9 . 7 . 1981 - 2 AZR 788/78, AP Nr.4 zu § 6 2 0 BGB Bedingung m. Anm. Herschel = DB 1982, 121; eine ähnliche Konstruktion im Vertrag eines Fußballtrainers liegt BAG 4 . 1 2 . 2 0 0 2 - 7 AZR 492/01, DB 2 0 0 3 , 2 0 1 6 zugrunde. 1 6 8 Dazu BAG 1 3 . 1 2 . 1 9 8 4 - 2 A Z R 2 9 4 / 8 3 , N J W 1 9 8 5 , 1 9 1 8 = NZA 1985, 324; LAG Düsseldorf 2 4 . 6 . 1 9 7 4 - 15 Sa 44/74, DB 1974, 2 1 1 1 . 164

165

156

§ 9 Kriterien

der

Wertung

kauft 1 6 9 . Auch in diesem Fall ist es möglich, daß die Parteien die umgangene N o r m nicht einmal kannten. O b w o h l in diesen Fällen selbst das „subjektive M i n i m u m " der Gesetzesumgehung fehlte, wurden die umgangenen N o r m e n angewandt. Dennoch sind die Entscheidungen nicht falsch: Allen Geschäften ist gemein, daß das umgangene Gesetz ein Schutzgesetz ist. So dient § 5 4 7 BGB dem Mieterschutz, § 3 1 1 b Abs. 1 BGB dem Schutz vor Übereilung, die arbeitsrechtlichen Gesetze dem Arbeitnehmerschutz. Wie bereits erwähnt, k a n n sich vor allem bei Schutzgesetzen aus dem Ziel des umgangenen Gesetzes ergeben, d a ß es auch gegen eine unbewußte Umgehung geschützt sein soll 1 7 0 . Die Beispiele zeigen jedoch, daß es sich um Ausnahmefälle handelt. c) Die Bedeutung des Subjektiven für die Gesetzesumgehung im praktischen Fall läßt sich also folgendermaßen zusammenfassen: Die innere Einstellung ist nicht allein entscheidend, sondern k a n n nur dann von Belang sein, wenn objektiv eine Gesetzesumgehung vorliegt. D a n n ist sie jedoch vor erheblicher Bedeutung: Eine subjektive Komponente der Gesetzesumgehung kann zwar im Ausnahmefall fehlen, wenn ein absoluter Schutzzweck des umgangenen Gesetzes das erfordert. Im übrigen sieht die Praxis Umgehungen aber nur dann als unwirksam an, wenn das Gesetz zumindest bewußt und mit einem zielgerichteten Vorgehen umgangen wurde. Die subjektive Seite ist also bei der Lösung praktischer Fälle ein entscheidendes Kriterium der Wertung, der Eingriffsschwelle.

2. Umgehungsabsicht und Umgehungszweck a) Der Begriff Umgehungsabsicht spielt in der Praxis so gut wie keine Rolle. Der Grund d a f ü r liegt in der Bedeutung, die er gemäß der französischen Rechtstradition hat. Erstens gilt Umgehungsabsicht als zwingende Voraussetzung des Rechtsinstituts Gesetzesumgehung. Wie erwähnt, ist diese Voraussetzung für die Lösung praktischer Fälle nicht flexibel genug. Zweitens umschreibt „Absicht" eine Haltung, der es auf ein bestimmtes Ziel a n k o m m t . Umgehungsabsicht ist damit eine subjektive Einstellung, der es darauf a n k o m m t , Gesetze zu umgehen; 169

O L G H a m m 1 6 . 1 2 . 1982 - 28 U 198/82, N J W 1983, 2 7 0 8 . Das gilt jedenfalls für das Zivilrecht: Die G a r a n t i e f u n k t i o n des öffentlichen Rechts verlangt strengere Voraussetzungen bei der A n n a h m e einer Gesetzesumgehung. Daher weisen einige öffentlich-rechtliche Gesetze gesetzliche Umgehungsverbote auf, die ausdrücklich einen subjektiven Tatbestand vorsehen; insbesondere § 4 2 A O , der einen M i ß b r a u c h voraussetzt (dazu oben § 4 III.2. und Sieker, S.40ff.). Umgehungsvorschriften gibt es auch im Wettbewerbsrecht, beispielsweise setzt die Vorschrift über die U m g e h u n g der Einschränkung des Räumungsausverkaufs in § 8 A b s . 6 Nr. 1 U W G Umgehungsabsicht voraus; dazu O L G F r a n k f u r t 3 1 . 3 . 1988 - 6 U 3/88, G R U R 1988, 773 (774). Historisch fand sich eine ausdrückliche Regelung der Umgehungsabsicht in den Militärregierungsgesetze über U m g e h u n g von Genehmigungspflichten (s.o. § 5, E i n f ü h r u n g , Fußnoten) und in früheren Vorschriften des Kartellrechts, w o U m g e h u n g sogar unter Strafe gestellt w a r ; Benkendorff W u W 1954, 147 (149f.). 170

III. Die subjektive

Seite der

Umgehung

157

die sich also bewußt und gewollt gegen das Recht stellt. Eine solche „intention frauduleuse" wird in Frankreich als Voraussetzung der weitgehenden Rechtsfolge „fraus omnia corrumpit" verlangt 1 7 1 . Als Kriterium der Eingriffsschwelle ist der Begriff Umgehungsabsicht zu weitgehend. So mögen in der Praxis die Handelnden oft keineswegs die Absicht haben, sich bewußt gegen das Recht zu stellen, sondern werden im Gegenteil davon ausgegangen sein, nur eine rechtliche Möglichkeit zu nutzen; so beispielsweise in den Fällen des Erwerbs einer Wohnung über eine Zwangsversteigerung, der Schaffung einer Aufrechnungslage und der Vermeidung von Formerfordernissen. Andererseits liegt in diesen Fällen auch keineswegs eine unbewußte oder gar zufällige Gesetzesumgehung vor, sondern im Gegenteil ein bewußtes, geplantes und gezieltes Vorgehen. In der Rechtsprechung wird das oft als „ Umgehungszweck" bezeichnet. Die Bedeutung des Umgehungszwecks und die Unterschiede zur Umgehungsabsicht werden deutlich in einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1990, in der es um die Umgehung eines Vorkaufsrechts ging 1 7 2 . Danach setzt die Umgehung voraus, daß die Beteiligten die Umgehungskonstruktion zu dem Zweck wählen, die Rechtsfolge einer Unwirksamkeit des Erstkaufs für den Fall der Ausübung des Vorkaufsrechts zu verhindern. Damit werde nicht auf eine „für die Gesetzesumgehung unnötige Umgehungsabsicht" abgestellt, vielmehr sei das in diesem Zusammenhang geforderte „subjektive Moment insoweit notwendiger Teil des Umgehungsgeschäfts, als mit ihm der gleiche wirtschaftliche Erfolg erstrebt wird, dessen Eintritt die umgangene Vorschrift verhindern will". Entscheidend ist für den Umgehungszweck also zweierlei: - Es wird nicht auf Absicht im Sinne eines „Umgehungsdolus" abgestellt, sondern ein bewußtes, zielgerichtetes Handeln genügt. Der Umgehungszweck fehlt, wenn das Ergebnis der Gesetzesumgehung unbewußt oder zufällig eintritt. - Entscheidend ist nicht eine rechtsfeindliche Einstellung, sondern die Vergleichbarkeit dessen, was das Gesetz verhindern will, mit dem, was mit der Umgehung erreicht wird. Dabei muß dem Umgeher nicht die umgangene Norm als solche, aber diese Vergleichbarkeit bewußt sein. Außerdem muß sein Vorgehen bewußt und in der Regel gezielt und geplant auf das Erreichen des Umgehungserfolgs ausgerichtet sein. b) In diesem Sinne bildet der Umgehungszweck eines der wichtigsten Kriterien der Eingriffsschwelle. Seine Bedeutung wird deutlich, wenn Abstimmungsverbote umgangen werden; so wenn Gesellschafter-Geschäftsführer vor einer für sie entscheidenden Abstimmung ihren GmbH-Anteil auf ihre Angehörigen übertraDazu oben § 3 1. BGH 9 . 2 . 1990 - V Z R 274/88, B G H Z 110, 2 3 0 (233f.); Hervorhebungen von der Verfasserin. Ähnlich zur Umgehung von Vorkaufsrechten auch R G 2 6 . 1 . 1934 - II 179/33, J W 1934, 1412; BGH 2 . 7 . 1970 - III Z R 42/67, W M 1970, 1315. 171

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5 9 Kriterien der

Wertung

gen, um § 4 7 Abs. 4 S.2 GmbHG zu umgehen 173 . Eine Übertragung von Geschäftsanteilen auf Angehörige kann nicht grundsätzlich unwirksam sein, nur weil die Möglichkeit einer objektiven Umgehung des Stimmverbots besteht. Maßgeblich ist vielmehr der Umgehungszweck, der die Übertragung zu einer nicht hinnehmbaren Gesetzesumgehung macht. Wendete man auf einen solchen Fall den rein objektiven Umgehungsbegriff der Arbeitsrechtsprechung an, käme man nicht zu einem befriedigenden Ergebnis. Auch in anderen Fällen kommt man ohne Berücksichtigung der subjektiven Komponente nicht zu einem befriedigenden Ergebnis. Das gilt vor allem in den praktisch häufigen Fällen, in denen ein Vorgehen in mehreren Teilakten erfolgt, die nur durch einen Gesamtplan zur Gesetzesumgehung zusammengefaßt werden 174 . Ein Beispiel bilden die oben erwähnten Fälle der Umgehung der kapitalgesellschaftsrechtlichen Grundsätze zur Aufbringung und Erhaltung des Stammkapitals. Nach zutreffender herrschender Auffassung sind sie nur dann als Gesetzesumgehung unwirksam, wenn die Beteiligten zumindest bewußt handeln, sich über die wirtschaftlichen Folgen im klaren sind und u.U. eine entsprechende Abrede getroffen haben 1 7 5 . Auch bei der Auflösung einer Gesellschaft kann maßgeblich sein, ob sie der Umgehung der Vorschriften über Umwandlung und Verschmelzung dient oder aus anderen Gründen erfolgt 176 . Ein weiteres Beispiel bilden sog. Grundstücksgesellschaften. Die Verpflichtung, Mitgliedschaftsrechte an Personengesellschaften zu übertragen, bedarf grundsätzlich auch dann nicht der Form des § 311b Abs. 1 BGB (früher § 313 BGB), wenn das Gesellschaftsvermögen im wesentlichen aus Grundstücken besteht. Nach einer einleuchtenden Entscheidung des BGH gilt das jedoch nicht, wenn die Gesellschaft bewußt nur zum Zweck der Umgehung der Formvorschrift gegründet wird 177 . Ebenfalls unverzichtbar sind subjektive Momente, wenn durch Forderungsabtretung eine Aufrechnungslage umgangen oder ergangen wird. Auch hier kann es nicht gleichgültig sein, ob die Aufrechnungslage zufällig entsteht oder ob es sich um bewußte Transaktionen zur Schädigung eines Dritten handelt 178 . 173 B G H 2 9 . 1 . 1 9 7 6 - II Z R 19/75, J Z 1976, 5 3 0 ; dazu Müller-Graff J Z 1976, 6 8 6 ; O L G H a m m 9 . 5 . 1988 - 8 U 2 5 0 / 8 7 , N J W - R R 1 9 8 8 , 1 4 3 9 ; O L G H a m m 2 . 1 1 . 1988 - 8 U 2 9 2 / 8 7 , G m b H R 1989, 2 5 7 ; O L G Düsseldorf 8 . 3 . 2 0 0 1 - 6 U 64/00, DB 2 0 0 1 , 2 0 3 5 . 174 Ähnlich auch Behrends, S. 11 - mit Hinweis auf B G H 2 4 . 1 . 1 9 8 0 - I I I Z R 1 6 9 / 7 8 , N J W 1980, 1572 - u n d Sieker, S. 174. 175 B G H 2 . 1 2 . 2 0 0 2 - II Z R 101/02, DB 2 0 0 3 , 387; dazu oben § 9 I.3.a)cc); ausführlich Henze Z H R 154 (1990), 105 (109 ff.); zu subjektiven Voraussetzungen als Wertungskriterium Ulmer Z H R 154 (1990), 128 (139f.); zum Risiko der verdeckten Sacheinlage Traugott/Groß BB 2003,481. 176 Vgl. B G H 1 . 2 . 1988 - II Z R 75/87, B G H Z 103, 184. 177 B G H 3 1 . 1 . 1 9 8 3 - II Z R 2 8 8 / 8 1 , B G H Z 96, 3 6 7 (371). 178 Vgl. dazu B G H 2 8 . 4 . 1 9 8 7 - VI Z R 1 und 4 3 / 8 6 , DB 1987, 1884 (Bank erwirbt in nicht banküblicher Weise den Anspruch eines Dritten gegen ihren K u n d e n allein zu dem Z w e c k , durch A u f r e c h n u n g gegen eine G u t h a b e n f o r d e r u n g ihres K u n d e n d e m Dritten einen Zugriff auf dessen Vermögen zu verschaffen) und O L G Düsseldorf 2 3 . 3 . 2 0 0 1 - 2 2 U 140/00, N J W - R R

III. Die subjektive

Seite der

Umgehung

159

Auch bei der Umgehung prozessualer Vorschriften kommt es oft auf den Umgehungszweck an. Bereits erwähnt wurde der Fall des O L G München, in dem eine der Prozeßparteien in einem eingeschränkten Berufungsantrag den Wert des Beschwerdegegenstands eine D M über der Berufungssumme angab, ohne daß es dafür weitere Anhaltspunkte gegeben hätte 1 7 9 . Die Unwirksamkeit des Antrags ergab sich nicht aus seinem durchaus zulässigen objektiven Inhalt, sondern allein aus dem Umgehungszweck, den das O L G München aufgrund der Umstände des Falles annahm 1 8 0 . Der Umgehungszweck soll außerdem entscheidend sein, wenn ein inländischer Inkasso-Zessionar ausländische Forderungen eintreibt, um die Pflicht zur Sicherheitsleistung nach § 1 1 0 Z P O zu umgehen. c) In allen diesen Fällen ist eine sachgerechte Entscheidung nur möglich, wenn subjektive Momente berücksichtigt werden. Das Handeln des oder der Umgeher mag zwar bereits objektiv zumindest eine Gefährdung für das Ziel des umgangenen Gesetzes enthalten. Die Eingriffsschwelle ist jedoch nur dann überschritten, wenn mit Umgehungszweck, also bewußt und zielgerichtet vorgegangen wurde. Im Gegensatz zur Umgehung von Schutznormen steht hier also mehr der Schutz des Umgehers im Vordergrund: Ein zufälliges oder unbewußtes Handeln rechtfertigt noch nicht die Anwendung der umgangenen Norm. Eine genaue Abstufung ist nicht möglich, sondern die Bewertung des Subjektiven muß im Einzelfall erfolgen, abhängig von der betroffenen Norm und der konkreten Fallgestaltung 1 8 1 .

3 . M o t i v e der U m g e h u n g , i n s b e s o n d e r e T ä u s c h u n g s a b s i c h t In dem vorhergehenden Abschnitt ging es um die Intensität, mit der Bewußtsein und Wille des Umgehenden auf die Gesetzesumgehung ausgerichtet sind. Es stellt sich die Frage, ob auch die Qualität der subjektiven Seite eine Rolle spielen kann, die Motivation, die hinter der Umgehung steht. Das wäre der Fall, wenn z.B. nicht nur die objektive Schädigung eines Dritten durch die Umgehung eines Schutzgesetzes berücksichtigt wird, sondern darüber hinaus die Schädigungsabsicht. Kommt es bei einer Umgehung auf die Schädigung eines anderen an, liegt allerdings meist ein Anwendungsfall von § 1 3 8 B G B oder des Rechtsmißbrauchs vor, so in den erwähnten Fällen der Umgehung oder Ergehung einer Aufrechungslage zur Schädigung eines Dritten, die von den Gerichten als sittenwidrig oder rechtsmißbräuchlich angesehen wurden 1 8 2 . Wie erwähnt, sprechen Ele2 0 0 1 , 1025 (Abtretung einer Werklohnforderung allein zu dem Zweck, die Aufrechnung von Mängelansprüchen durch den Auftraggeber zu vereiteln oder zu erschweren). 1 7 9 O L G München 4 . 7 . 1990 - 28 U 3209/90, JurBüro 1992, 2 5 2 m. Anm. Mümmler. 1 8 0 Zu der Indizwirkung atypischer Gestaltungen oben § 9 II.l.b)cc); vgl. auch O L G Düsseldorf 5 . 1 1 . 1 9 9 0 - 10 U 14/90, NJW-RR 1 9 9 1 , 4 4 7 (448). 1 8 1 Ähnlich Kracht, Das Kündigungsverbot gemäß § 6 1 3 a BGB, S. 138ff., nach der es auf Sinn und Zweck des umgangenen Gesetzes ankommt. 1 8 2 B G H 2 8 . 4 . 1 9 8 7 - V I Z R 1 und 43/86, DB 1 9 8 7 , 1 8 8 4 ; OLG Düsseldorf 2 3 . 3 . 2 0 0 1 - 2 2 U 140/00, NJW-RR 2 0 0 1 , 1025.

160

5 9 Kriterien der Wertung

mente der Sittenwidrigkeit oder des Rechtsmißbrauchs grundsätzlich für die Unwirksamkeit der U m g e h u n g 1 8 3 . Neben der Schädigungsabsicht ist ein häufiges M o t i v von Gesetzesumgehungen die Täuschungsabsicht. Sie kann für die Eingriffsschwelle nur dann eine Rolle spielen, wenn die Anwendung von § 1 1 7 B G B nicht vorrangig ist, wenn die Umgehungskonstruktion also nicht simuliert, sondern tatsächlich gewollt i s t 1 8 4 . Das gilt besonders für die praktisch häufigen Strohmannfälle: Sie sind nur dann Scheingeschäfte, wenn der Strohmann das Rechtsgeschäft nicht tatsächlich durchführen s o l l 1 8 5 . D a das aber meist der Fall ist, greift § 1 1 7 B G B nicht ein. Dennoch sind Strohmanngeschäfte in der Regel mit Täuschungsabsicht abgeschlossen und dienen oft der Gesetzesumgehung. Die Rechtsprechung k o m m t zu unterschiedlichen Ergebnissen. Unwirksam sind in der Regel Strohmanngeschäfte, durch die eine Konzessionspflicht umgangen werden soll, beispielsweise die Konzession zur Betreibung einer Gaststätte 1 8 6 . Im übrigen sind aber die meisten Strohmanngeschäfte wirksam. Beispiele finden sich in unterschiedlichen Gebieten des Handels- und Gesellschaftsrechts. N a c h einer Entscheidung des B G H aus der Nachkriegszeit ist ein Strohmanngeschäft im genehmigungspflichtigen Interzonenhandel wirksam, sofern der Strohmann selbst h a f t e t 1 8 7 . Ähnliches galt für die Strohmann-Gründung einer G m b H : D e r B G H sah zwar in den 1 9 5 0 e r Jahren die E i n - M a n n - G m b H als unzulässig an; unter Beteiligung eines Strohmannes könne eine G m b H jedoch wirksam gegründet werden, sofern tatsächlich zwei Personen existieren 1 8 8 . Auch Strohmanngeschäfte zur Umgehung von Bardepotpflichten für im Ausland aufgenommene Kredite sind grundsätzlich w i r k s a m 1 8 9 . Im Kfz-Handel werden Strohmanngeschäfte oft zur Umgehung von Reimportverboten abgeschlossen; auch solche Geschäfte sind grundsätzlich w i r k s a m 1 9 0 . Die unterschiedliche Behandlung von Strohmanngeschäften erklärt sich aus dem jeweils umgangenen Gesetz: Bei Konzessionspflichten k o m m t es auf die Person des Konzessionsträgers und seine Zuverlässigkeit an. In den meisten übrigen Fällen ist dagegen nur entscheidend, o b die Rechte der Gläubiger gesichert sind. Gibt es jemanden, der tatsächlich haftet, k o m m t es auf das Innenverhältnis von Oben §9 II.2. Zur Abgrenzung oben §4 II. 185 RG 20.3. 1914 - Rep. III. 532/13, RGZ 84, 304. 186 OLG Hamm 22.5. 1986 - 2 U 277/85, NJW 1986,2240; RG 11.4. 1906 - Rep. VI. 305/ 05, RGZ 63, 143 (145); Staudinger-Sack % 134 Rdnr. 158 m.w.N. Wahrend das OLG Hamm dieses Ergebnis aus § 134 BGB herleitete, stützte das Reichsgericht sich auf § 138 BGB, § 134 BGB sei „weniger zutreffend". 187 BGH 2.12. 1958 - VIII ZR 154/57, NJW 1959, 332 (334). 188 BGH 9.10. 1956 - I I ZB 11/56, BGHZ 21, 378 (382ff.). 1 8 9 BGH 24.1. 1980 - III ZR 169/78, NJW 1980, 1572 (1573); BGH 22.10. 1981 - III ZR 149/80, NJW 1982, 569. 190 OLG Oldenburg 2.2. 1987 - 13 U 941/86, DAR 1987, 120; OLG Schleswig 4.5. 1 9 8 8 4 U 244/86, NJW 1988, 2247. 183

184

III. Die subjektive Seite der Umgehung

161

Strohmann und Hintermann nicht an. In diesen Fällen richtet sich die Eingriffsschwelle also vorrangig nach objektiven Kriterien, insbesondere nach dem umgangenen Gesetz. Die M o t i v a t i o n des Handelnden bei der Gesetzesumgehung ist kein selbständiges Kriterium für die Eingriffsschwelle, sondern kann allenfalls verstärkend zu einem objektiven Kriterium hinzukommen. Außerdem liegt in solchen Fällen auch die subjektive Voraussetzung des Umgehungszwecks regelmäßig vor.

IV. Gemeinsamer

Nenner der

Wertungskriterien

1. F a l l g r u p p e n u n d S c h w e r p u n k t e Der praktische Umgang der Rechtsprechung mit Umgehungsfällen hat andere Schwerpunkte als die Diskussion in der Literatur. Definition und dogmatische Einordnung der Gesetzesumgehung sind von geringer Bedeutung; für die Praxis ist die Eingriffsschwelle vorrangig: Soll eine Umgehung toleriert werden oder nicht? Die Entscheidungen sind fallbezogen; eine einheitliche D o g m a t i k existiert nicht. Schon die grundlegende Frage, ob die umgehungsspezifische Wertung von objektiven oder subjektiven Kriterien abhängig sein soll, wird unterschiedlich beantwortet. Bei genauerer Untersuchung kristallisieren sich aber Schwerpunkte heraus. So k o m m t es für die Eingriffsschwelle oft auf das umgangene Gesetz an; die ihm zugrundeliegende Wertung und seinen Schutzzweck. Die Umgehung von Schutznormen wird fast nie toleriert, bei Ordnungsnormen sind Rechtsprechung und Literatur großzügiger. Vor allem die Umgehung sozialer Schutznormen ist unabhängig vom Vorliegen sonstiger - z.B. subjektiver - Voraussetzungen in der Regel unwirksam. Bei der Umgehung von Gläubigerschutznormen k o m m t es auf die Schutzbedürftigkeit des Gläubigers an. Die Privatautonomie spielt nur mittelbar eine Rolle, soweit ihre Störung durch Schutzgesetze ausgeglichen wird. Daneben können andere objektive und wertende Kriterien für und gegen eine Anwendung des umgangenen Gesetzes sprechen. Am häufigsten sind Fälle aus dem Grenzbereich zu Sittenwidrigkeit und Rechtsmißbrauch. Die diesen Rechtsinstituten zugrundeliegenden Wertungen können auch bei der Bestimmung der Eingriffsschwelle maßgeblich sein. Voraussetzung ist allerdings, daß

§138

Abs. 2 B G B oder die Grundsätze über den Rechtsmißbrauch nicht vorrangig sind 1 9 1 . Kennzeichnend für diese Fallgruppe ist die Einbeziehung der subjektiven Seite, da sowohl § 1 3 8 B G B als auch der Rechtsmißbrauch subjektive Voraussetzungen haben. Gegen eine Anwendung der umgangenen N o r m können Bedürfnisse des Verkehrs oder schutzwürdige Rechte Dritter sprechen. In beiden Fällen m u ß eine 191

Dazu oben §4 III.l., 2.

162

§ 9 Kriterien der Wertung

Abwägung mit den durch die umgangene N o r m geschützten Rechtsgütern erfolgen. Keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Eingriffsschwelle hat demgegenüber die Atypizität der Umgehungshandlung, das künstliche und konstruierte Vorgehen des Umgehers. Das atypische Handeln kann jedoch mittelbar als Indiz für die Feststellung subjektiver Voraussetzungen zu berücksichtigen sein. O b w o h l die heute in Deutschland ganz herrschende Meinung Umgehungsabsicht für bedeutungslos hält, ist die subjektive Seite mittelbar oder unmittelbar das wohl am häufigsten herangezogene M e r k m a l für die Bestimmung der Eingriffsschwelle. Dabei wird jedoch weniger auf den Begriff der Umgehungsabsicht abgestellt, als vielmehr auf den des Umgehungszwecks, der ein bewußtes und zielgerichtetes Handeln umschreibt. Die Eingriffsschwelle ist also nicht überschritten, wenn die objektive Gesetzesumgehung Ergebnis eines unbewußten oder zufälligen Handelns ist. Der Umgehungszweck kann eigentlich legale und legitime Handlungen erst zu einer Umgehung machen oder verschiedene Handlungen zu einer solchen verbinden. Sonstige Motive bei der Umgehung, vor allem Täuschungsabsicht, werden dagegen nur mittelbar und zusätzlich zu objektiven Kriterien berücksichtigt.

2 . Verbindung der Wertungskriterien Die Schwerpunkte und Fallgruppen werfen die Frage auf nach Gemeinsamkeiten, dem gemeinsamen Nenner: Gibt es ein allgemeines Kriterium der Eingriffsschwelle, etwas, was alle umgehungsspezifischen Wertungen gemein haben? Die Suche muß bei der Frage ansetzen, was allen Umgehungen gemein ist. Gesetzesumgehungen sind auf unterschiedliche Weise möglich: als tatsächliches oder rechtsgeschäftliches Handeln, als Umgehungen oder „ E r g e h u n g e n " , es kann ein „ O p f e r " geben oder nicht. Allen Gesetzesumgehungen ist jedoch ein Subjekt und ein O b j e k t gemein. O b jekt ist die umgangene N o r m , die nicht notwendig ein formelles Gesetz sein muß. Subjekt sind ein oder mehrere Personen, welche die Umgehungshandlung vornehmen. Die deutsche Sprache stellt für diese Personen keine schöneren Ausdrücke als „ U m g e h e r " oder „Umgehender" zur Verfügung. Die praktisch wichtigsten Kriterien für die Eingriffsschwelle bilden eine Parallele: der Schutzzweck des Gesetzes (Objekt) und der v o m Subjekt verfolgte Umgehungszweck. Die anderen Wertungskriterien sind mit diesen oft interdependent oder mittelbar zusammengehörig, so haben Sittenwidrigkeit und Rechtsmißbrauch

subjektive

Voraussetzungen und die Bedürfnisse des Verkehrs oder der Schutz Dritter sind mit dem Schutzzweck des umgangenen Gesetzes abzuwägen. In fast allen Fällen ist also für die umgehungsspezifische Wertung maßgeblich, welche Schutzrichtung das „ O b j e k t " der Gesetzesumgehung hat und welche innere Einstellung die Subjekte oder das Subjekt der Umgehung. Gleichzeitig spiegeln diese beiden Kriterien die Abwägung wieder, die dem Problem der Eingriffs-

III. Die subjektive

Seite der

Umgehung

163

schwelle zugrunde liegt: Der Konflikt zwischen der lückenlosen Anwendung der Rechtsordnung und dem Vertrauen des Handelnden, nicht einer willkürlichen Ausdehnung gesetzlicher Tatbestände ausgesetzt zu sein. Betrachtet man die beiden maßgeblichen Faktoren Schutzzweck der umgangenen Norm und Umgehungszweck des Handelnden zusammen, läßt sich auch zwischen ihnen ein gemeinsamer Nenner finden. Es handelt sich um die Frage, inwieweit der Umgeher schutzwürdig ist. Er ist um so weniger schutzwürdig, je ausgeprägter die Schutzwirkung des von ihm umgangenen Gesetzes ist und je mehr sein Verhalten von einem Umgehungszweck getragen ist. Auch die anderen, spezielleren Faktoren lassen sich auf die Schutzwürdigkeit des Umgehers zurückführen: Er ist des Schutzes eher bedürftig, wenn ihm Bedürfnisse des Verkehrs oder Rechte Dritter zur Seite stehen; weniger, wenn sein Handeln rechtsmißbräuchlich oder sittenwidrig ist oder von negativen Motiven getragen. Eine genauere Bestimmung des gemeinsamen Nenners für die Eingriffsschwelle ist nicht möglich, da sie immer einige der zahlreichen verschiedenen Fallgestaltungen außer Acht lassen würde. Stellt man mit Schurig192 allein auf „das Subjektive" ab, fallen diejenigen Fälle unter den Tisch, bei denen der starke Schutzzweck des umgangenen Gesetzes sogar das Umgehungsbewußtsein überflüssig macht. Es handelt sich dabei zwar um mit Vorsicht zu behandelnde Ausnahmefälle; sie sind jedoch vor allem im Arbeitsrecht von praktischer Bedeutung 193 . Der Ansatz von Schurig kann aber weiterentwickelt werden, wenn man „das Subjektive" objektiviert. Die Schutzwürdigkeit des Umgehers kann bestimmt werden anhand der Wahrscheinlichkeit, mit der er mit der Anwendung der umgangenen Norm rechnen mußte, also der Vorhersehbarkeit. Jedoch darf die Entscheidung nicht von der tatsächlichen Kenntnis einer Rechtsnorm oder einer bestimmten Einstellung des Umgehers abhängen. Das gilt vor allem, wenn es mehrere Umgeher gibt, so bei Gesetzesumgehungen durch vertragliche Vereinbarung: Nach wessen subjektiver Einstellung sollte sich die Eingriffsschwelle richten? Ausgangspunkt der Überlegungen muß daher der Handelnde in objektivierter Form sein; die aus dem Recht der Willenserklärung bekannte „vernünftige Person in der Lage des Empfängers" 194 - hier in der Lage des Umgehenden. Die Schutzwürdigkeit des Umgehers ist also davon abhängig, ob ein verständiger Durchschnittsmensch in seiner Lage mit der Anwendung des umgangenen Gesetzes rechnen müßte. Mithin richtet sich die Eingriffsschwelle nach der Schutzwürdigkeit des Umgehenden; bestimmt durch die objektive Vorhersehbarkeit. Schurig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 3 f . Dazu oben § 9 III.l.c). Entsprechendes gilt für das Verbraucherschutzrecht. Die gesetzlichen Umgehungsverbote im Verbraucherschutz setzen nach herrschender Meinung ebenfalls keine Umgehungsabsicht voraus; die Verbraucher sollen auch geschützt werden, wenn dem Umgeher das umgangene Gesetz nicht bewußt ist; dazu oben § 5 1.2. 194 Soergel-Hefermehl § 133 Rdnr. 14 m.w.N. 192

193

§ 1 0 Grenzen der Analogie in Umgehungsfällen Die heute herrschende M e i n u n g sieht in der Gesetzesumgehung einen Fall des Analogieschlusses: Das umgangene Gesetz sei - bei Überschreiten der Eingriffsschwelle - analog auf das Umgehungsgeschäft anzuwenden 1 . In der Tat sind auf diese Weise die meisten Umgehungsfälle zu lösen. So liegen die Voraussetzungen eines Analogieschlusses in der Regel vor, und die Rechtsfolge der Analogie führt zu einer „Gleichstellung" der Folgen von Umgehung und umgangener N o r m . Wie erwähnt, ist dieses Ergebnis zumeist sachgerecht, weil eine Umgehung durch Anwendung der umgangenen N o r m unwirksam gemacht wird. Andererseits sind einige der von der Rechtsprechung entschiedenen Fälle offenbar nicht das Ergebnis einer Gesetzesanalogie. Bis zum Erlaß des T z B f G praktisch wichtigstes Beispiel war die Umgehung des Kündigungsschutzes durch befristete und bedingte Arbeitsverträge oder andere Konstruktionen. Die Nichtigkeit dieser Vertragsklauseln ließ sich nicht mit einer analogen Anwendung des K S c h G oder des § 6 2 6 B G B begründen. Auch die Rechtsfolge der „Gleichstellung" mit der analog angewandten N o r m paßt nicht auf alle Umgehungsfälle 2 . Ein noch aktuelles Beispiel ergibt sich aus der Umgehung der Regeln über den Verbrauchsgüterkauf durch Vertreterkonstruktionen 3 .

I. Strukturelle

Unterschiede

Ist die Gesetzesumgehung ein Unterfall der Analogie, müssen sich die Voraussetzungen beider Rechtsinstitute entsprechen. Die Voraussetzungen des Analogieschlusses sind weitgehend unumstritten: Es muß eine planwidrige Regelungslükke vorliegen und die analog anzuwendende N o r m m u ß einen ähnlichen Sachverhalt erfassen 4 . Für die Anwendung einer umgangenen N o r m auf die Umgehungshandlung gibt es ebenfalls zwei Voraussetzungen 5 : Sie ist gekennzeichnet durch 1 Ist die Umgehungshandlung dagegen schon mit Auslegung der umgangenen Norm zu erfassen, liegt nur ein mißlungener Umgehungsversuch vor; dazu oben §6 II.l. 2 Oben §7 II.2.b), c). 3 Oben §5 I.l.e); II.2.c). 4 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 202ff.; Schmalz, Methodenlehre, Rdnrn. 372ff.; ausführlich Teichmann, S. 80ff. 5 Dazu auch Gramlich/Zerres ZIP 1998, 1299 (1304).

I. Strukturelle

ein Bezugsobjekt,

165

Unterschiede

die umgangene Norm. Außerdem muß eine Wertung ergeben,

daß das Ziel der umgangenen Norm verfehlt wurde und die Eingriffsschwelle für ein Vorgehen gegen die Umgehung überschritten ist. Trotz der begrifflichen Unterschiede bestehen zwischen den Voraussetzungen der Rechtsinstitute Parallelen. „Bezugsobjekt" und „Regelungslücke" enthalten jeweils die formelle, tatsächliche Voraussetzung. Ausgangspunkt ist in beiden Fällen, daß der fragliche Tatbestand gesetzlich nicht geregelt ist. Ein ähnliches Paar bilden „Ähnlichkeit" und „Wertung": Beide enthalten ein inhaltliches, wertendes Element und können vergleichbaren Kriterien folgen. Diese Parallelität bildet den Ausgangspunkt zu Teichmanns zesumgehung als Problem der Analogie 6 . Teickmann

Lehre der Geset-

sieht in der Gesetzeslücke

den Ausgangspunkt in Umgehungsfällen. Er bejaht die Ähnlichkeit, indem er von einem „Ähnlichkeitskreis" um eine Norm ausgeht, „deren Glieder ihr so sehr gleichen, daß es gerechter erscheint, sie ihr zuzuordnen als sie anders zu regeln". Nach Teichmann

sind also die Voraussetzungen Bezugsobjekt und Geset-

zeslücke zum einen und Wertung und Ähnlichkeit zum anderen gleichzusetzen. Im praktischen Fall läßt sich diese Gleichsetzung jedoch nicht immer durchhalten.

1. Methodisches Vorgehen Teichmann

begreift die Gesetzeslücke als Bedürfnis nach einer bestimmten Rege-

lung, die sich mit der - auch teleologischen - Auslegung nicht erzielen läßt 7 . Sie sei mit dem „Ähnlichkeitskreis" einer Norm zu schließen. Auf diese Weise ist die Vorgehensweise sowohl in Umgehungsfällen als auch beim Analogieschluß beschrieben. Am praktischen Fall werden jedoch Unterschiede zwischen Gesetzesumgehung und Analogie deutlich. Das gilt sogar für solche Umgehungsfälle, die mit der entsprechenden Anwendung der umgangenen Norm gelöst werden. Bereits bekannte Beispiele sind die Umgehung des Vorkaufsrechts, die zu einer analogen Anwendung von § 4 6 3 B G B (früher § 5 0 4 BGB) auf kaufähnliche Verträge führt 8 und die Anwendung von § 2 2 8 7 B G B auf Rechtsgeschäfte, durch die Ansprüche des Vertragserben umgangen werden 9 . Im Vergleich dazu wird in der Literatur als klassischer Anwendungsfall des Analogieschlusses die Anwendung von § 9 8 8 B G B auf den rechtsgrundlosen Erwerb genannt 1 0 . Vor der Schuldrechtsreform galt das gleiche für die entsprechende Anwendung der Haftung für Teichmann, S.78ff., 88ff.; Zitat S . 8 6 . Teichmann, S.79f., 87. 8 S. BGH 1 1 . 1 0 . 1991 - V Z R 127/90, B G H Z 115, 335 (339ff.) = N J W 1992, 2 3 6 = J R 1992,415. 9 BGH 5 . 7 . 1972 - IV Z R 125/70, B G H Z 59, 343 = N J W 1973, 2 4 0 . 10 Staudinger-Coing Einl. zum BGB Rdnr. 157; ständige Rechtsprechung seit RG-GS 3 0 . 1 . 1940 - GSZ 3/38, R G Z 163, 348; umstritten. 6 7

166

§10

Grenzen

der Analogie

in

Umgehungsfällen

zugesicherte Eigenschaften gemäß § 4 6 3 S . 2 B G B a.F. auf die Vorspiegelung einer nicht vorhandenen Eigenschaft 1 1 . In einem Fall des Amtsgerichts Rosenheim zeigen sich klassischer Analogieschluß und Gesetzesumgehung an ein und demselben Sachverhalt 1 2 : Zwei Personen hafteten für dieselbe Forderung, einer als Bürge und der andere als dinglicher Sicherungsgeber. Der dingliche Sicherungsgeber verfiel dabei auf folgenden Kunstgriff: Statt den Gläubiger zu befriedigen, kaufte er diesem die Forderung ab. Anschließend nahm er den Bürgen aus der auf ihm gemäß § 4 0 1 Abs. 1 B G B übergegangenen Bürgschaft in Anspruch. Es widerspricht dem Rechtsgefühl, dem dinglichen Sicherungsgeber diesen Anspruch zuzugestehen. Zur Begründung bedarf es jedoch sowohl einer Analogie als auch einer Umgehungswertung. Die Analogie betrifft die Frage, wie ohne diesen Kunstgriff der Ausgleich zwischen dinglichem Sicherungsgeber und Bürgen ausgesehen hätte. Im Gesetz ist das nicht geregelt; zur Schließung dieser Regelungslücke wird § 4 2 6 B G B analog angewandt, es müßte also ein hälftiger Ausgleich erfolgen. Demgegenüber ist es eine Frage der Gesetzesumgehung, o b § 4 2 6 B G B trotz des Umgehungsgeschäfts durch den Forderungskauf Anwendung findet. Das AG Rosenheim hat diese Frage - zutreffend - bejaht. Die Beispielsfälle zeigen den strukturellen Unterschied zwischen der Gesetzesumgehung und dem „klassischen" Anwendungsbereich der Analogie: Gegenstand des Analogieschlusses ist eine Sachlage, für die es keine gesetzliche Regelung gibt - im Beispielsfall der Ausgleich zwischen Bürgen und dinglichem Sicherungsgeber. Ausgangspunkt der Gesetzesumgehung ist demgegenüber eine gesetzliche Norm, deren Ziel durch ein bestimmtes Vorgehen ausgehebelt wird im Beispielsfall der Ausgleich nach § 4 2 6 BGB. Daraus ergeben sich Unterschiede in bezug auf: 1) rechtliche Problematik (dazu a), 2) Vorgehen bei der Fallösung (dazu b) und 3) die zugrundeliegende Wertung (dazu c). a) Die Gemeinsamkeit von Gesetzesumgehung und Analogie besteht darin, daß in beiden Fällen eine bestimmte Sachlage nicht so geregelt ist, wie sie geregelt sein müßte. Es liegt also in beiden Fällen eine Gesetzeslücke vor. Jedoch verkennt die Gleichstellung von Gesetzesumgehung und Analogie, daß die Ursachen für die Abweichung der Rechtslage vom Rechtsgefühl unterschiedlich sind. Beim Analogieschluß ist Ausgangspunkt der Sachverhalt, der vom Gesetzgeber nicht geregelt, planwidrig übersehen wurde. Bei der Gesetzesumgehung entsteht gerade nicht der Eindruck, daß der Gesetzgeber den verwirklichten Sachverhalt nicht

11 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S . 2 0 3 ; Palandt-Heinrichs, 61. Aufl., Einleitung Rdnr.40; Soergel-Hefermehl Anh. § 1 3 3 Rdnr. 13; Gramlich/Zerres ZIP 1998, 1299 (1304, Fn.56). 1 2 AG Rosenheim 2 9 . 1 0 . 1999 - 12 C 2044/99, NJW-RR 2 0 0 0 , 863.

I. Strukturelle

Unterschiede

167

geregelt hat 1 3 . Im Gegenteil bildet den Ausgangspunkt die gesetzliche Norm, deren Ziel durch ein - in der Regel zweckgerichtetes - Vorgehen ausgehebelt wird. b) Daraus ergeben sich Unterschiede in der Vorgehensweise bei der Fallösung. Während bei der Analogie die Lücke den Ausgangspunkt bildet und dann nach einer ähnlichen Norm gesucht wird, bildet bei der Umgehung die umgangene Norm den Ausgangspunkt, nach deren analoger Anwendbarkeit später gefragt wird. Die Ähnlichkeit steht somit bei der Gesetzesumgehung bereits fest. Die Gesetzeslücke muß erst später festgestellt werden, was jedoch nicht immer möglich ist. Bei der Analogie ergibt sich die Regelungslücke aus dem Vergleich der vom Gesetzgeber vorgegebenen Regelungen untereinander. Der mögliche Umgehungstatbestand ist erst auf der zweiten Stufe der Prüfung einer Analogie, der Rechtsähnlichkeit, relevant 14 . Die Feststellung der Merkmale „Lücke" und „Ähnlichkeit" erfolgt also bei Gesetzesumgehung und Analogie in genau umgekehrter logischer Reihenfolge. c) Ausgangspunkt ist sowohl bei der Gesetzesumgehung als auch beim klassischen Analogieschluß das Bedürfnis nach einer bestimmten Regelung, also eine Wertung 1 5 . Bei der Gesetzesumgehung hat die Wertung aber einen anderen Inhalt. In der Literatur wird diese Differenz zutreffend mit den Begriffen nungsfunktion

und Schutzfunktion

Ausdeb-

umschrieben 1 6 . Die Ausdehnungsfunktion

ist kennzeichnend für die Analogie: Sie setzt eine Regelungslücke voraus und führt zu einer „Erweiterung" oder Erstreckung des gesetzlichen Anwendungsbereichs auf „wertungsmäßig ähnliche Fallgestaltungen". Kennzeichnend für die Gesetzesumgehung ist demgegenüber eine schon vorhandene Regelung. Die Fallgestaltung ist bereits vom Schutzzweck und der gesamten Zielrichtung des Gesetzes erfaßt. Der Anwendungsbereich dieser Norm muß vor Umgehungen geschützt werden („Schutzfunktion"), denn eine Nichterfassung der Umgehungsfälle hätte eine Aushöhlung der Vorschrift zur Folge, wodurch der gesetzliche Zweck gefährdet wäre. Bei der Analogie bleibt die Funktion der analog angewendeten Norm grundsätzlich unberührt, es kommt nur auf ihre Ähnlichkeit an. Die Funktion der früheren Regelung § 4 6 3 S. 2 a.F. B G B wäre unbeeinträchtigt geblieben, wenn man die Regelung nicht auf die Vorspiegelung von Eigenschaften angewandt hätte. Ebensowenig würde die Bedeutung von § 9 8 8 B G B ausgehöhlt, wenn man die Regelung nur auf den unentgeltlichen und nicht auch auf den rechtsgrundlosen Besitzer anwendete. Bei der Gesetzesumgehung ist die Funktion der Norm dage-

Westerhoff, S. 92 (§94). So zum Kartellrecht Delahaye WuW 1987, 877 (882), den „diese Verquickung zweier unterschiedlicher Arten der Rechtsfortbildung, nämlich der Analogie einerseits und des Umgehungsverbots andererseits, nicht überzeugt". 15 Westerhoff S.91 (§92). 16 Gramlich/Zerres ZIP 1998, 1299 (1304) (zur früheren Regelung § 5 Abs. 1 HaustürWG). 13

14

168

§ 10 Grenzen

der Analogie

in

Umgehungsfällen

gen der zentrale Begriff. Eine Gesetzesumgehung liegt nur dann vor, wenn die betroffene Norm ausgehöhlt, also ihr Ziel verfehlt wird. Wenn nach heute herrschender Meinung Gesetzesumgehung als Unterfall des Analogieschlusses angesehen wird, geraten die in den Merkmalen Regelungslükke und Ähnlichkeit enthaltenen Wertungen durcheinander. Das geschieht dadurch, daß die Regelungslücke damit begründet wird, das Ziel der umgangenen Norm sei nicht erreicht; die Ähnlichkeit damit, daß es diese umgangene Norm gibt. Da beide Wertungen logisch konform gehen müssen, entsteht die Gefahr eines Zirkelschlusses. 2. Konsequenzen Die Gesetzesumgehung ist also entgegen herrschender Meinung kein Unterfall der Analogie. Gemeinsam sind zwar die Elemente Regelungslücke und Ähnlichkeit, also das Auseinanderfallen von Rechtslage und Rechtsgefühl, das durch die Anwendung einer vergleichbaren Norm ausgeglichen wird. Jedoch kommt dem Begriff der Regelungslücke in Umgehungsfällen eine andere Bedeutung zu als beim Analogieschluß17: Sowohl gedanklicher Ansatz als auch logische Vorgehensweise weichen voneinander ab. Demzufolge können auch die Wertungen, die der Fallösung zugrunde liegen, in unterschiedliche Richtungen gehen. Die Wertung bei der Analogie beruht auf der Ausdehnungsfunktion, die der Gesetzesumgehung auf der Schutzfunktion, der Gefahr der Aushöhlung der umgangenen Norm. Dennoch schließen Gesetzesumgehung und Analogieschluß sich keineswegs aus. Im Gegenteil bleibt die analoge Anwendung der umgangenen Norm der wichtigste Ansatz bei Gesetzesumgehungen, wie zahlreiche Beispielsfälle zeigen. Die Gesetzesumgehung ist dabei jedoch nicht ein Unterfall der Analogie, sondern die Analogie bildet einen Unterfall - wenn auch den wichtigsten - der Möglichkeiten, in Umgehungsfällen vorzugehen. Das bedeutet, daß erst das Vorliegen eines Umgehungsfalls festgestellt wird und anschließend zu prüfen ist, ob die Analogie als Methode möglich ist. Im Vordergrund steht bei der Gesetzesumgehung nicht die „Regelungslücke", sondern die umgehungsspezifische Wertung. Anders ausgedrückt: Ausgangspunkt ist nicht die methodische Begründung, sondern die Frage, wie die Wertung methodisch umgesetzt werden kann. Bei der Gesetzesumgehung kommt es nicht nur auf den Normzweck, sondern auch auf den Geschäftszweck an 18 . Beim Analogieschluß spielen subjektive Belange des Handelnden keine Rolle, während sie in vielen Umgehungsfällen von zentraler Bedeutung sind. Es ist beispielsweise für die analoge Anwendung des § 988 BGB auf den rechtsgrundlosen Erwerb gleich17 18

So auch Westerhoff, S.91ff. (§§92ff.). Köndgen AcP 184 (1984), 6 0 0 (606).

II. Praktische Grenzen der Analogie

169

gültig, ob der Erwerber zielgerichtet vorgegangen ist. Wenn die Voraussetzung einer Analogie vorliegen, muß die ähnliche Norm immer angewendet werden, unabhängig von der individuellen Wertung, die für die Gesetzesumgehung gerade typisch ist. Das Verhältnis von Gesetzesumgehung und Analogie kann also folgendermaßen zusammengefaßt werden: Gesetzesumgehung ist kein Unterfall der Analogie. Gleichwohl schließen sich beide nicht aus, sondern die Anwendung der umgangenen Norm im Umgehungsfällen beruht in der Regel auf einem Analogieschluß. Daraus folgt aber auch, daß die umgehungsspezifische Wertung ein Eingreifen auch da verlangen kann, wo keine Analogie möglich ist oder ein anderes Vorgehen und Ergebnis, als es nach der Analogie möglich wäre. Daher muß und kann sich eine Umgehungslehre nicht in den Grenzen der Analogie halten, sondern sich auch anderer Methoden bedienen.

II. Praktische

Grenzen

der

Analogie

Die Grenzen der Analogie lassen sich nicht nur theoretisch herleiten, sondern zeigen sich vor allem am praktischen Fall. Bereits erörtert wurden die Verbraucherschutzregeln, deren Umgehungsverbote nicht nur deklaratorische Bedeutung haben 1 9 . In anderer Hinsicht hat sich die Analogie bei der Umgehung von Genehmigungspflichten als untauglich erwiesen: Eine „Gleichstellung" durch analoge Anwendung des umgangenen Genehmigungsvorbehalts ist nicht möglich, da bei Umgehungsabsicht statt schwebender Unwirksamkeit Nichtigkeit

eintreten

muß. Die praktischen Grenzen der Analogie können sich also in verschiedener Hinsicht bemerkbar machen. Bei den Verbraucherschutzregeln sind die Voraussetzungen der Analogie fraglich: das Vorliegen einer Regelungslücke und die Zulässigkeit der Analogie. Bei den Genehmigungspflichten machen dagegen Methode und Folgen der Analogie Schwierigkeiten.

1. V o r a u s s e t z u n g e n der A n a l o g i e

a) Normen mit beschränktem

Geltungsbereich

Immer mehr Rechtsnormen sind dadurch gekennzeichnet, daß sie nur einen bestimmten, genau definierten Teilbereich des Rechts regeln. Viele dieser Vorschriften beruhen auf EG-Richtlinien. Auch wenn der Gesetzgeber einige dieser Normen in die vorhandenen Kodifikationen - insbesondere das B G B - eingegliedert hat, bleibt diese Struktur erhalten. Sie ist häufig dadurch gekennzeichnet, daß in der ersten Norm der Geltungsbereich für die folgenden Spezialregelungen defi-

19

S.o. §5 1.2., II.2.

170

§10 Grenzen der Analogie in

Umgehungsfällen

niert ist. Solche Regelungen sind besonders anfällig für Umgehungen, da sie oft Vorschriften enthalten, die den Betroffenen lästig sein können. aa) Beispiele für N o r m e n mit begrenztem Geltungsbereich bilden vor allem die Regelungen des Verbraucherschutzes. Wie bereits erwähnt, hat ihre A u f n a h m e in das BGB nichts an ihrer Struktur geändert, wonach sie Sonderregeln für eine eigens definierte Situation oder Vertragsgestaltung enthalten, die zu besonderer Schutzwürdigkeit des Verbrauchers führt. Gleichzeitig hat auch die Gesetzesumgehung im Verbraucherschutzrecht besondere praktische Bedeutung. Wie oben dargelegt, sind die Regelungen § § 3 0 6 a , 312f S. 2, 4 8 7 S. 2, 506 S. 2, 655e Abs. 1 S.2 BGB (früher § § 7 AGBG, 5 Abs.2 FernAbsG, 5 Abs. 1 H a u s t ü r W G , 9 Abs.2 TzWrG, 18 VerbrKrG) und § 4 7 5 Abs. 1 S.2 BGB keineswegs nur deklaratorisch, da es zahlreiche Umgehungsfälle gibt, die nicht allein mit Mitteln der Analogie gelöst werden können. Das gilt vor allem, wenn bereits der Geltungsbereich der jeweiligen Regelungen umgangen wird, wenn also beispielsweise ein Verbraucher in eine Situation gebracht wird, die einen ähnlichen „Uberrumpelungseffekt" wie das Haustürgeschäft hat, aber nicht unter § 3 1 2 f S.2 BGB (früher § 1 Abs. 1 H a u s t ü r W G ) fällt 2 0 . Eine analoge A n w e n d u n g von § 312f S. 2 BGB ist nur eingeschränkt möglich, da die § § 3 1 2 f f . BGB eine Ausnahme vom Grundsatz der Vertragsfreiheit bilden und ihr begrenzter Anwendungsbereich daher nicht Folge einer planwidrigen Regelungslücke ist. Gleiches gilt für die bereits erwähnte Umgehung des Geltungsbereichs der § § 4 7 4 f f . BGB, indem ein Unternehmer als Vertreter einer Privatperson auftritt. Die Grenzen der Analogie in nicht kodifizierten Rechtsgebieten haben sich vor allem an der erheblichen praktischen Bedeutung des früheren § 6 AbzG gezeigt 21 . Auch wenn heute die weiter gefaßten Regelungen der §§ 491ff. BGB gelten, wird es immer wieder Gesetze geben, deren enger Anwendungsbereich sie besonders anfällig für Umgehungen und gleichzeitig nur begrenzt analogiefähig macht. So ist den neuen Verbraucherschutzregeln § § 6 5 5 ä f f . BGB ebenfalls ein Umgehungsverbot hinzugefügt worden ( § 6 5 5 e Abs. 1 S.2 BGB); ebenso den neuen Regeln zum Verbrauchsgüterkauf in § 4 7 5 Abs. 1 S.2 BGB. bb) Regelungen mit eingeschränktem und speziellem Geltungsbereich gibt es neben dem Verbraucherschutz vor allem auf dem Gebiet des Arbeitsrechts. Würde die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung nicht die „objektive Gesetzesumgeh u n g " als selbständiges Rechtsinstitut begreifen, sondern nur Analogien bilden, hätten viele praktische Fälle anders gelöst werden müssen. Den H a u p t a n w e n dungsfall für das Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung bildeten bis zum Erlaß des TzBfG befristete und bedingte Arbeitsverträge.

20 21

Dazu Grämlich/Zerres ZIP 1998, 1299. So auch Löwe/v. Westphalen/Trinkner, AGBG, § 7 Rdnr. 4.

II. Praktische

Grenzen

der

Analogie

171

Auch nach Erlaß des T z B f G bestehen noch Möglichkeiten zur Umgehung des gesetzlichen Kündigungsschutzes, so durch Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts 2 2 oder eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts des Arbeitgebers zum Umfang der Arbeitszeit bei arbeitszeitabhängiger Vergütung 2 3 . Verträge, durch die nur Arbeitsbedingungen befristet werden, fallen nicht unter das TzBfG; jedoch kann durch derartige Gestaltungen der gesetzliche Änderungsschutz umgangen werden 2 4 . In allen diesen Fällen ist eine analoge Anwendung der Regeln des gesetzlichen Kündigungsschutzes, vor allem des KSchG, nur eingeschränkt möglich. Die früheren Regeln der Rechtsprechung zu befristeten und bedingten Arbeitsverträgen sind heute zwar nur noch für Altfälle von Bedeutung, eignen sich aber dazu, die Besonderheiten des Arbeitsrechts darzustellen. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG waren solche Vertragsgestaltungen darauf zu kontrollieren, ob ein sachlicher Grund für die Befristung besteht. Fehlte ein solcher Grund, war die Befristungserklärung nichtig, es lag ein unbefristeter Arbeitsvertrag vor 2 5 . Darin lag kein Analogieschluß, da das Kriterium des sachlichen Grundes nicht dem umgangenen KSchG entnommen ist und die anerkannten sachlichen Gründe auch nur zum Teil mit den Kriterien für die soziale Rechtfertigung nach § 1 Abs. 1 KSchG übereinstimmen. Aus diesem Grunde wurde das Kriterium des sachlichen Grundes von einem Teil der älteren Literatur und einigen Untergerichten kritisiert. Da das KSchG umgangen werde, müsse auch auf den Umgehungstatbestand das umgangene Gesetz - analog - angewendet werden. Daher komme es nicht auf einen sachlichen Grund an, sondern eine wirksame Befristung müsse sozial gerechtfertigt gemäß § 1 KSchG sein 2 6 . Das BAG lehnte diese Auffassung in einer Entscheidung aus den Jahr 1 9 7 9 ausdrücklich ab 2 7 . Müsse der befristete Arbeitsvertrag sozial gerechtfertigt werden, liege darin eine gesetzesüberschreitende Rechtsfortbildung. Dafür fehle es aber an der notwendigen Regelungslücke. Statt dessen sei an dem Kriterium des sachlichen Grundes festzuhalten, das mit einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung von § 6 2 0 B G B gerechtfertigt werden könne.

BAG 7 . 1 0 . 1982 - 2 AZR 455/80, N J W 1983, 2 2 8 5 (Ls.). BAG 1 2 . 1 2 . 1984 - 7 AZR 509/83, BAGE 4 7 , 3 1 4 (319); LAG Schleswig-Holstein 1 . 1 2 . 1 9 8 3 - 2 Sa 244/83, NZA 1984, 328; LAG Brandenburg 2 4 . 1 0 . 1996 - 3 Sa 393/96, NZA-RR 1997, 127. 2 4 BAG 4 . 6 . 2 0 0 3 - 7 AZR 406/02, BB 2 0 0 3 , 1683; BAG 2 4 . 1 . 2 0 0 1 - 7 AZR 208/99, EzA Nr. 173 zu § 6 2 0 BGB. 2 5 Grundlegend BAG 1 2 . 1 0 . 1960 - GS 1/59, BAGE 10, 65 = AP Nr. 16 zu § 6 2 0 BGB befristeter Arbeitsvertrag = N J W 1 9 6 1 , 798; dazu ausführlich unten § 11 IV.l.a). 26 Gamillscheg AcP 164 (1964), 386 (392f.); Kempff DB 1976, 1576; weitere Nachweise s. BAG 2 9 . 8 . 1 9 7 9 - 4 AZR 863/77, BAGE 32, 85 (89). 2 7 BAG 2 9 . 8 . 1 9 7 9 - 4 AZR 863/77, BAGE 32, 85 (90ff.) = AP Nr. 50 zu § 6 2 0 BGB Befristeter Arbeitsvertrag m. Anm. Kraft = N J W 1 9 8 0 , 1766; für den auflösend bedingten Arbeitsvertrag bestätigt durch BAG vom 25. 8. 1 9 9 9 - 7 AZR 75/98, DB 2 0 0 0 , 1470. 22

23

172

§10

Grenzen

der Analogie

in

Umgehungsfällen

Diese methodische Begründung ist zweifelhaft. § 620 BGB enthält keine Anhaltspunkte dafür, daß für eine Befristung ein sachlicher Grund erforderlich ist. Die Problematik des befristeten Arbeitsvertrages ergab sich vielmehr ausschließlich aus ihrem Spannungsverhältnis zum gesetzlichen Kündigungsschutz, insbesondere dem KSchG. Daher läge in der - analogen - Anwendung der Kriterien des KSchG in weit geringerem Maße eine gesetzesüberschreitende Rechtsfortbildung als in dem Kriterium des sachlichen Grundes 28 . Gegen eine Anwendung der Regeln der sozialen Rechtfertigung auf befristete Arbeitsverträge sprechen aber andere Gründe. Das KSchG hat - wie die oben erwähnten Verbraucherschutzregeln - einen abgegrenzten, speziellen Geltungsbereich: die ordentliche, arbeitgeberseitige Kündigung des Arbeitsvertrages als auf unbestimmte Zeit abgeschlossenes Dauerverhältnis. Dementsprechend sind auch die Kriterien der sozialen Rechtfertigung auf diese Situation zugeschnitten. Auch das TzBfG folgt heute keineswegs den Kriterien des KSchG, sondern stellt eigene Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Befristung auf, § 14 Abs. 1 TzBfG. Im Gegensatz zu einer Kündigung erfolgt die Befristungserklärung in der Regel bereits bei Abschluß des Arbeitsvertrages, also in einer ex-ante-Situation. Daraus folgt, daß eine Anwendung des KSchG auf die Befristung sachlich nicht möglich ist oder nicht zu sachgerechten Ergebnissen führen kann. Zwar wurde von Teilen der Literatur auch zwischen betriebs-, personen- und verhaltensbedingten Befristungsgründen unterschieden, diese haben aber einen anderen Inhalt: So richtet sich z.B. eine verhaltensbedingte Befristung (Probezeit) nach anderen Kriterien als eine verhaltensbedingte Kündigung 29 . Auch das Erfordernis der sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG läßt sich nicht auf die Befristungserklärung übertragen, da es keine Personengruppe gibt, unter der ausgewählt werden kann. Schließlich sind die Kriterien der sozialen Rechtfertigung allein auf die arbeitgeberseitige Kündigung zugeschnitten. Sachliche Gründe können sich jedoch auch aus beruflichen oder familiären Interessen eines Arbeitnehmers ergeben, der nicht an eine Kündigungsfrist gebunden sein möchte (z.B. bei einem Ferienjob). Das Kündigungsschutzgesetz zeigt mithin die Grenzen der Analogie bei Regelungen mit beschränktem Geltungsbereich. Eine entsprechende Anwendung der sehr speziellen Regelungen ist oft nicht möglich. Das gilt vor allem, wenn bereits der Geltungsbereich der Normen umgangen ist. Das gleiche zeigt sich auch in dem heute noch aktuellen, eingangs erwähnten Fall einer Umgehung des gesetzlichen Änderungsschutzes durch befristete Arbeitsbedingungen. Läge die Fallösung in einer analogen Anwendung der umgan28 So auch Kraft, A n m . zu AP N r . 5 0 zu § 6 2 0 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, II. 2. m . w . N . Z u r Rechtsfortbildung im einzelnen unten § 11 II. 29 M ü n c h H d b . A r b R . Bd.II - Wank, § 116 R d n r n . 63, 64ff.; zur verhaltensbedingten Befristung Rdnr. 118.

II. Praktische

Grenzen

der

Analogie

173

genen Norm, müßten die umgangenen Regeln über die Änderungskündigung Anwendung finden. Sachgerecht wäre dagegen, die Kriterien des TzBfG analog anzuwenden 30 . Dieses Gesetz ist jedoch nicht umgangen, da die Beteiligten gerade keine Beendigung des Arbeitsvertrages wollten, sondern nur geänderte Bedingungen. b)

Ausnahmevorschriften

Ahnliche Probleme ergeben sich bei der Umgehung von Ausnahmevorschriften. Ausnahmevorschriften sind nach der Rechtsprechung grundsätzlich eng auszulegen und damit nur eingeschränkt analogiefähig 31 . Praktische Bedeutung hat vor allem die Umgehung von Verboten, insbesondere Aufrechnungsverboten. Für Gläubiger ist Aufrechnung oft die einzige Möglichkeit, zu einem Ausgleich ihrer Forderung zu gelangen; entsprechend lästig können Aufrechnungsverbote sein. Nach überkommener Ansicht sind Aufrechnungsverbote generell Ausnahmevorschriften, da die Aufrechnung grundsätzlich erlaubt ist; heute gilt das zumindest noch für die Aufrechnungsverbote außerhalb des BGB 3 2 . aa) Thema mehrerer Gerichtsentscheidungen war die analoge Anwendung der früheren Vorschrift § 55 KO. § 55 K O beschränkte zugunsten der Masse das Erfordernis der Gegenseitigkeit und schränkte damit die Zulässigkeit der Aufrechnung im Konkurs ein 3 3 . Zu diesem Zweck wurden in den Nrn. 1 - 3 verschiedene Tatbestände aufgezählt, die auf eine künstliche Schaffung der Aufrechnungslage in Krise und Konkurs hindeuten 34 . Der heute geltende § 9 6 InsO ist an diese Vorschrift angelehnt. 3 0 Das BAG hat in Fällen, der zwar nach Erlaß des TzBfG entschieden wurden, sich aber mit davor geschlossenen Arbeitsverträgen beschäftigten, die dargestellten Grundsätze der Befristungskontrolle angewandt, BAG 2 4 . 1 . 2 0 0 1 - 7 AZR 208/99, EzA Nr. 173 zu § 6 2 0 BGB, S.3f.; BAG 4 . 6 . 2 0 0 3 - 7 AZR 406/02, BB 2 0 0 3 , 1683. 3 1 Im einzelnen ist das umstritten, dazu Schmalz, Methodenlehre, Rdnrn. 2 5 7 , 398 m.w.N.; ausführlich Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 175 f. 3 2 Ausführlich Werner, Umgehung von Aufrechnungshindernissen, S. 128ff., insb. 133f. m.w.N., der den von ihm untersuchten § 393 BGB nicht für eine Ausnahmevorschrift hält. 53 Hess/Kropshofer-Hess, KO, § 5 5 Rdnr.l; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 5 5 Rdnrn. l f f . 34 Kuhn/Uhlenbruck, K O , § 55 Rdnr. 1. Die Vorschrift lautete auszugsweise: „Eine Aufrechnung im Konkursverfahren ist unzulässig: 1. wenn jemand vor oder nach der Eröffnung des Verfahrens eine Forderung an den Gemeinschuldner erworben hat und nach der Eröffnung etwas zur Masse schuldig geworden ist; 2. wenn jemand dem Gemeinschuldner vor der Eröffnung des Verfahrens etwas schuldig war und nach derselben eine Forderung an den Gemeinschuldner erworben hat, auch wenn diese Forderung vor der Eröffnung für einen anderen Gläubiger entstanden war; 3. wenn jemand vor der Eröffnung des Verfahrens dem Gemeinschuldner etwas schuldig war und eine Forderung gegen den Gemeinschuldner durch ein Rechtsgeschäft mit demselben oder durch Rechtsabtretung oder Befriedigung eines Gläubigers erworben hat, falls ihm zur Zeit des Erwerbes bekannt war, daß der Gemeinschuldner seine Zahlungen eingestellt hatte, oder daß die Eröffnung des Verfahrens beantragt war [...]."

174

§ 10 Grenzen

der Analogie

in

Umgehungsfällen

Eine analoge Anwendung von § 5 5 K O auf andere Verfahren war vom Reichsgericht abgelehnt worden: Ausnahmevorschriften, die für einen besonderen Fall wie den des Konkurses erlassen worden seien, seien nicht ohne weiteres auf ein anderes Gebiet anzuwenden 3 5 . Demgegenüber kam der B G H in einer Entscheidung aus dem Jahre 1 9 8 1 für eine sog. Konzernaufrechnungsklausel in A G B zu einer „rechtsähnlichen" Anwendung von § 5 5 Nr. 2 und Nr. 3 K O 3 6 . Diese Rechtsprechung wurde vom B G H 1 9 9 1 ergänzt 3 7 . In dem zugrundeliegenden Sachverhalt hatten sich zwei durch eine Muttergesellschaft verbundene Unternehmen gegenseitig ihre Außenstände still zum Inkasso abgetreten und so ihre Aufrechnungsmöglichkeit erweitert. Einer der Geschäftsgegner fiel in Konkurs. Der B G H begründete ausführlich, warum § 5 5 K O nicht direkt, aber auch nicht analog anwendbar sei. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich ein allgemeines Aufrechnungsverbot im Konkurs abgelehnt. Sowohl § 5 5 Nr. 2 als auch Nr. 3 K O regelten nur einen bestimmten Ausnahmefall, der hier nicht vorliege. Jedoch, so der B G H , sei die getroffene Inkassovereinbarung wegen Gesetzesumgehung „nach § 1 3 4 B G B " nichtig, da ein vom Gesetz mißbilligter Erfolg nicht mit der Umgehung des Gesetzes erreicht werden dürfe. Die Rechtsprechung zu § 5 5 K O macht deutlich, welche Grenzen der analogen Anwendung von Ausnahmevorschriften im allgemeinen und insbesondere von Aufrechnungsverboten gesetzt sind 3 8 . Andererseits sind gerade derartige Vorschriften besonders umgehungsanfällig, da sie oft zu besonderen Belastungen führen. Ein Beispiel bildet der bereits erwähnte Fall des L G Bonn, in dem der Unterhaltsschuldner ein Aufrechnungsverbot durch Uberweisung auf ein von ihm gepfändetes Konto umging 3 9 . Das Landgericht stützte in diesem Fall seine Entscheidung etwas hilflos auf § 2 4 2 BGB. Eine analoge Anwendung des umgangenen Aufrechnungsverbots wurde nicht erwogen.

3 5 R G 9 . 1 . 1917 - Rep. III. 321/16, R G Z 8 9 , 1 9 9 (201 f.). In der Entscheidung ging es um das Verfahren der Geschäftsaufsicht. Die Geschäftsaufsicht beruhte auf einer damals geltenden Verordnung; es handelte sich um ein Verfahren, mit dem der Konkurs abgewendet werden sollte. 3 6 BGH 3 . 6 . 1981 - VIII Z R 171/80, B G H Z 81, 15 (18ff.); dazu Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 55 Rdnr. 7 q auch mit Nachweisen zur Gegenmeinung. Die Klausel erlaubte der Beklagten, gegen die Forderungen des späteren Gemeinschuldners auch mit Forderungen anderer Konzerngesellschaften aufrechnen. Der BGH hielt eine solche Aufrechnung in für unwirksam. Zwar liege keine Abtretung vor, jedoch komme man durch die Konzernaufrechnungsklausel zu einer Benachteiligung der übrigen Gläubiger, die durch die zwingende Vorschrift des § 55 Nr. 2, 3 KO verhindert werden solle. Der Gesichtspunkt der Umgehung wird in der Entscheidung nicht erwähnt. 3 7 BGH 6 . 1 2 . 1990 - IX Z R 44/90, N J W 1991, 1060 (1060f.). Angesichts der Begründung kann man darüber streiten, ob die Entscheidung von 1991 tatsächlich nur eine „Ergänzung" der Entscheidung von 1981 darstellt (so der erste Leitsatz) oder nicht vielmehr neue Grundsätze aufgestellt werden. 3 8 Ablehnend zur Analogie auch O L G Koblenz 7 . 4 . 1995 - 2 U 1903/93, NJW-RR 1996, 757. 3 9 LG Bonn 2 7 . 2 . 1996 - 2 S 109/95, FamRZ 1996, 1486.

II. Praktische Grenzen der Analogie

175

bb) Probleme bereitete auch die Umgehung von § 4 1 9 B G B a.F.; die Vorschrift wurde ebenfalls im Zuge der Insolvenzrechtsreform abgeschafft. Sie sah eine Haftung desjenigen vor, der durch Vertrag das Vermögen eines anderen übernommen hatte. Die Geschichte der Vorschrift war geprägt durch den Zwiespalt, einerseits Umgehungen zu verhindern und andererseits diese Ausnahmevorschrift nicht zu weit auszudehnen 4 0 . W ä h r e n d das Reichsgericht die Ausdehnung der Vorschrift noch großzügig betrieben hatte, lehnte der Bundesgerichtshof aufgrund des Ausnahmecharakters eine Anwendung von § 4 1 9 B G B auf die Bestellung von Sicherungsrechten ab, auch wenn sie wirtschaftlich einer Vermögensübernahme gleichkamen 4 1 . Anders sollte das sein, wenn die Vermögensübernahme in F o r m eines Verzichts erfolgte, dem eine Absprache zugrunde lag oder wenn eine Umgehung beabsichtigt w a r 4 2 .

c) Feste gesetzliche

Grenze

In der Literatur wird vereinzelt als Problem für die Analogie in Umgehungsfällen angesehen, wenn das umgangene Gesetz feste, insbesondere zahlenmäßig geregelte Grenzen h a t 4 3 . Ein Beispiel bilden die bereits erwähnten sog. Lohnschiebungsverträge, die vor dem Erlaß von § 8 5 0 h Z P O verbreitet waren. N a c h dem damals geltenden Lohnbeschlagnahmegesetz konnten Arbeitseinkommen bis zu 1 . 5 0 0 M a r k nicht gepfändet werden. Arbeitnehmer, denen eine Pfändung drohte, schlössen daher mit ihrem Arbeitgeber einen Vertrag, wonach ihr Arbeitseink o m m e n genau 1 . 5 0 0 M a r k betrug, der Arbeitgeber sich aber verpflichtete, einen weiteren Betrag an die Familie des Arbeitnehmers - meist die Ehefrau - zu zahlen. Das Reichsgericht sah entgegen der damals herrschenden Meinung in der Literatur solche Verträge als wirksam an; Gesetzesumgehung wurde dabei nicht geprüft 4 4 . Ein weiterer Beispielsfall für die Verbindlichkeit fester Grenzen ist ebenfalls rechtshistorischer Natur. Es handelt sich um eine Entscheidung des Reichsgerichts aus dem J a h r 1 9 1 5 zur Umgehung von § 2 4 7 B G B a.F. 4 5 . Die Parteien hatten das Sonderkündigungsrecht bei einem Zinssatz von über 6 % umgangen, indem der Gläubiger aufgrund einer gesellschaftsrechtlichen Regelung am Gewinn des Schuldners beteiligt war. Das Reichsgericht lehnte eine Anwendung des Kün-

Dazu Schricker JZ 1971, 27ff. m.w.N. BGH 3.6. 1 9 7 0 - V I I I ZR 199/68, BGHZ 54, 101 (104f.). 4 2 MünchKomm-MöscM § 419 Rdnr. 36; vgl. auch BGH 29.1.1970 - VII ZR 34/68, BGHZ 53, 174 (177). 43 Heeder, S.217, S.51f. (Fn. 108); dazu Sieker, S. 81 ff.; s. auch Teichmann JZ 2003, 761 (767). 4 4 RG 29.11. 1912 - Rep. III. 247/12, RGZ 81, 41. 45 RG 7.5. 1915 - Rep. II. 36/15, RGZ 86, 399 (Zitat S.401). 40 41

176

§10

Grenzen

der Analogie

in

Umgebungsfällen

digungsrechts ab: § 2 4 7 BGB a.F. erfasse keine Gewinnanteile und sei nicht über seinen Wortlaut hinaus auszulegen 46 . Auch wenn das Ergebnis in diesen Fällen umstritten ist, ein Sonderproblem der Gesetzesumgehung folgt nicht daraus. Feste, zahlenmäßige Bestimmungen haben gerade die Funktion, eine konkrete Grenze zu ziehen 47 . So liegt beispielsweise keine Umgehung der Folgen wirksamer Rechtsgeschäfte vor, wenn M einen Tag vor seinem 18. Geburtstag ein nicht lediglich rechtlich vorteilhaftes Geschäft abschließt und sich anschließend auf § 107 BGB beruft. Für den Analogieschluß ist statt dessen die Umgebungskonstruktion entscheidend. Es wäre also im Lohnschiebefall zu fragen, ob die Pfändungsgrenzen analog auf das Familienvermögen anzuwenden sind und in dem Zinsfall, ob § 2 4 7 BGB a.F. für Hingabe von Geld gegen Beteiligung am Gewinn analog gelten kann. Entscheidend sind nach den allgemeinen Regeln das Ziel der gesetzlichen Regeln und die Eingriffsschwelle. Einen Beispielsfall neueren Datums ergibt sich aus einer bereits erwähnten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Umgehung der Unkündbarkeitsgrenze in § 53 Abs. 3 BAT 48 . Der Arbeitgeber hatte die Kündigung schon vor Eintritt der Unkündbarkeit ausgesprochen; sie sollte aber erst später wirksam werden. Das BAG hielt dieses Verfahren für unwirksam. Die Begründung stützte sich aber nicht auf den Zeitpunkt der Kündigung kurz vor dem Eintritt der Unkündbarkeit, sondern auf die Besonderheiten des Zugangs: Der Arbeitgeber hatte ausgenutzt, daß es für die Frist normalerweise auf den Zugang der Kündigung ankommt.

2. Methode und Rechtsfolge der Analogie Bei den bisher genannten Fällen ging es um die Regelungslücke, also die Voraussetzungen des Analogieschlusses. In anderen Fällen der Gesetzesumgehung kann zwar eine Regelungslücke angenommen werden, es läßt sich aber mit Methode und Rechtsfolge des Analogieschlusses keine sachgerechte Lösung erzielen. Die Schwierigkeiten ergeben sich aus den Merkmalen Ähnlichkeit auf der einen und Wertung auf der anderen Seite. Beim Analogieschluß bildet der Sachverhalt den Ausgangspunkt und es wird nach einer ähnlichen N o r m gesucht, die dann angewandt wird. Bei der Gesetzesumgehung geht es hingegen darum, ob und wie eine Aushöhlung des umgangenen Gesetzes zu verhindern ist. Die Fallösung in Umgehungsfällen kann also andere Aufgaben und andere Ergebnisse haben als die Gesetzesanalogie. 46 Wie oben § 9 II.3. erörtert, stützte das R G seine Entscheidung auf die Bedürfnisse des Verkehrs. 47 Ähnlich Sieker, S. 81 ff.; Teichmann J Z 2 0 0 3 , 761 (767) mit d e m Beispiel des Verbots der Drittorganschaft. 48 BAG 1 6 . 1 0 . 1 9 8 7 - 7 A Z R 2 0 4 / 8 7 , BAGE 57, 1.

II. Praktische

a) Umgangene

und ähnliche

Grenzen

der

Analogie

177

Norm

Die Parallelen zwischen der Methode in Umgehungsfällen und beim Analogieschluß sind eindeutig: In beiden Fällen wird eine Norm herangezogen, deren Voraussetzungen nicht vorliegen. Jedoch weichen Ausgangslage, Vorgehensweise und vor allem angewandte Kriterien grundlegend ab. Entscheidend für die Analogie ist die Ähnlichkeit von verwirklichtem Sachverhalt und umgangener Norm. Bei den oben erwähnten Beispielen des Analogieschlusses ist also zu fragen, ob die Vorspiegelung einer nicht vorhandenen Eigenschaft dem arglistigen Verschweigen eines Fehlers (nach alter Rechtslage) ähnlich ist oder ob eine ähnliche Situation vorliegt, wenn ein rechtsgrundloser oder ein unentgeltlicher Besitzer Nutzen aus der Sache ziehen. Bei der Gesetzesumgehung ist bereits der Ausgangspunkt anders. Die Ähnlichkeit steht in Umgehungsfällen von vornherein fest: Ohne eine „ähnliche" Norm oder ein Normengefüge, dessen Ziel verfehlt ist, ist eine Umgehung begrifflich nicht denkbar. Kennzeichnend für die Gesetzesumgehung ist statt dessen das wertende Element, das zur Bestimmung der Eingriffsschwelle dient. Kommt es nur darauf an, ob die anzuwendende Norm ähnlich ist, spielt es keine Rolle, ob sie eine Schutznorm ist, Elemente der Sittenwidrigkeit vorliegen oder ob der Handelnde einen Umgehungszweck verfolgt. Streitet man um die Frage, ob § 9 8 8 BGB auf den rechtsgrundlosen Besitzer analog angewandt werden kann, kommt es darauf an, ob die Problemlage ähnlich ist, wenn Verwendungen durch einen unentgeltlichen Besitzer vorgenommen werden. Anders bei der Umgehung des Stimmverbots in § 4 7 Abs. 4 G m b H G durch Abtretung des Geschäftsanteils an Angehörige 49 : Grundsätzlich liegt keine ähnliche Situation vor, wenn die Ehefrau eines Gesellschafters Inhaberin des Geschäftsanteils wird. Die vergleichbare Situation ergibt sich vielmehr aus dem Umgehungsfall, weil der Geschäftsanteil gezielt anläßlich der Abstimmung über die Absetzung des Ehemanns als Geschäftsführer übertragen wird. Dann aber liegt die Ähnlichkeit von vornherein fest. Maßgeblich für das Eingreifen von § 4 7 Abs. 4 G m b H G ist die Wertung; die Berücksichtigung des ziel- und zweckgerichteten Verhaltens. b) Rechtsfolgen

von Analogie und

Umgehung

Die Rechtsfolge des Analogieschlusses macht im Umgehungsfällen normalerweise keine Schwierigkeiten: Da die ähnliche Norm - entsprechend - angewandt wird, gilt auch ihre Rechtsfolge. In der Regel führt eine solche „Gleichstellung"

4 9 Dazu z.B. OLG Hamm 9 . 5 . 1988 - 8 U 250/87, NJW-RR 1 9 8 8 , 1 4 3 9 ; O L G Hamm 2 . 1 1 . 1988 - 8 U 292/87, GmbHR 1989, 2 5 7 ; O L G Düsseldorf 8 . 3 . 2 0 0 1 - 6 U 64/00, DB 2 0 0 1 , 2035.

178

§10

Grenzen

der Analogie

in

Umgehungsfällen

auch bei der Gesetzesumgehung zu sachgerechten Ergebnissen 5 0 . Wie oben erörtert, können aber einige Umgehungsfälle nicht mit Gleichstellung gelöst werden. Demzufolge kann die Fallösung auch nicht auf einer Gesetzesanalogie beruhen.

aa) Umgehung von

Genehmigungspflichten

Einen solchen Sonderfall bildet die Umgehung von Genehmigungspflichten. Die Rechtsfolge dieser Fälle wurde bereits erörtert 5 1 : Wird ein genehmigungspflichtiges Rechtsgeschäft ohne die erforderliche Genehmigung abgeschlossen, ist es grundsätzlich schwebend unwirksam. Nichtig ist es erst dann, wenn die Genehmigung unanfechtbar versagt wurde. Wird eine Genehmigungspflicht umgangen, wäre sie nach herrschender Meinung analog anzuwenden; das Umgehungsgeschäft also schwebend unwirksam. Nach der Rechtsprechung ist das Umgehungsgeschäft aber von Anfang an nichtig, falls die Beteiligten die Genehmigungspflicht bewußt umgehen wollten 5 2 . Dieses Ergebnis ist auch sachgerecht: Die schwebende Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts und die daraus folgenden Pflichten sind sinnlos, wenn die Genehmigungspflicht gerade umgangen werden sollte 5 3 .

bb) Umgehung von Regeln mit begrenztem

Geltungsbereich

Bei Umgehung von Regeln mit begrenztem Geltungsbereich sind nicht nur die Voraussetzungen des Analogieschlusses problematisch, sondern auch seine Rechtsfolgen: Die Rechtsfolgen dieser Spezialgesetze sind oft so auf ihren Regelungsbereich zugeschnitten, daß ihre analoge Anwendung keine sinnvolle Regelung für den Umgehungsfall bietet. Statt dessen ist eine individuelle Lösung erforderlich, die in einer Nichtigerklärung bestehen, aber auch anderen Gesichtspunkten folgen kann. Beispiele finden sich vor allem auf dem Gebiet des Arbeitsrechts. Wie erwähnt, beruhte die Rechtsprechung zur Umgehung durch Befristung nicht auf einer analogen Anwendung der umgangenen Normen. Der gesetzliche Kündigungsschutz des KSchG, des § 6 2 6 B G B und der sonstigen Normen gilt in befristeten und auflösend bedingten Arbeitsverhältnissen ohnehin; bei wirksamer Befristung war die ordentliche Kündigung sogar grundsätzlich ausgeschlossen (jetzt § 1 5 Abs. 3 T z B f G ) 5 4 . Noch deutlicher werden die Unterschiede zur

Ausführlich Westerhoff, S.86ff. (§§87ff.). Oben § 7 I I . 2 . b ) . 52 BGH 7 . 7 . 1 9 7 7 - III Z R 111/75, W M 1977, 1044. Vgl. BGH 28.6 1968 - V Z R 77/65, N J W 1968, 1928. Sieker, S . 8 0 f . sieht in Genehmigungspflichten dagegen ein Beispiel für einen Analogieschluß. 5 4 Zur früheren Rechtslage BAG 1 9 . 6 . 1 9 8 0 - 2 AZR 660/78, AP Nr. 55 zu § 6 2 0 Befristeter Arbeitsvertrag; MünchHdb.ArbR Bd.2 - Wank § 1 1 6 Rdnr.145; Benecke SAE 1999, 90 m.w.N. 50 51

III.

Ergebnis

179

Analogie, wenn der Kündigungsschutz dadurch umgangenen wird, daß dem Arbeitgeber bei arbeitszeitabhängiger Bezahlung ein einseitiges Recht zur Bestimmung der Leistungszeit eingeräumt wird 5 5 . Zwar kann durch solche Regelungen der Kündigungsschutz vollständig unterlaufen werden, es bestehen aber keine Parallelen zu der Kündigungssituation. Damit fehlt es auch an einem Ansatzpunkt für eine analoge Anwendung der Kriterien der sozialen Rechtfertigung in § 1 KSchG. Ein weiteres Beispiel bildet die Umgehung von § 6 1 3 a B G B durch Aufhebungsverträge, arbeitnehmerseitige Kündigung oder ähnliche Konstruktionen 5 6 . Rechtsfolge ist in diesen Fällen die Unwirksamkeit der Umgehungskonstruktion. Zwar könnte dieses Ergebnis mit einer analogen Anwendung von § 6 1 3 a Abs. 4 B G B begründet werden. Nach dieser Norm ist die arbeitgeberseitige Kündigung unwirksam, soweit sie wegen des Betriebsübergangs erfolgt. Jedoch ist § 6 1 3 a Abs. 4 B G B nicht umgangene Norm: Zweck der Aufhebungsverträge ist nicht, den Kündigungsschutz des § 6 1 3 a Abs. 4 B G B auszuhebein, zumal den Arbeitnehmern in der Regel neue Arbeitsplätze beim Ubernehmer angeboten werden. Verhindert werden soll vielmehr der Übergang der Rechte und Pflichten aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis auf den neuen Arbeitgeber, also die Rechtsfolge von § 6 1 3 a Abs. 1 B G B . Eine analoge Anwendung von § 6 1 3 a Abs. 1 B G B auf Aufhebungsverträge etc. ist aber wegen des anderen Regelungsinhalts der Vorschrift nicht möglich.

III.

Ergebnis

Die Gleichstellung der Lösung von Umgehungsfällen mit dem Analogieschluß, wie sie die herrschende Meinung vornimmt, ist nicht gerechtfertigt: Die analoge Anwendung der umgangenen Norm führt nicht in allen Umgehungsfällen zu einen eindeutigen und sachgerechten Ergebnis. Die Bedenken gegen die herrschende Meinung sind bereits theoretischer und methodischer Natur, wirken sich aber auch auf die Praxis aus. Bei der Analogie geht es um die Lückenfüllung mit dem Mittel der Ähnlichkeit; bei der Gesetzesumgehung dagegen um die Anwendbarkeit der umgangenen Norm. Kennzeichnend für Umgehungsfälle sind zwei Gesichtspunkte. Erstens stellt sich die Frage, ob das Ziel der umgangenen Norm verfehlt wird, diese durch die Umgehung „ausgehöhlt" werden kann. Zweitens ist eine Wertung vorzunehmen, bei der nicht nur die Zielrichtung der umgangenen Norm berücksichtigt wird, sondern auch Besonderheiten des Einzelfalles, insbesondere Bewußtsein 5 5 BAG 1 2 . 1 2 . 1984 - 7 AZR 509/83, BAGE 4 7 , 3 1 4 (319); LAG Schleswig-Holstein 1 . 1 2 . 1983 - 2 Sa 244/83, NZA 1984, 328; LAG Brandenburg 2 4 . 1 0 . 1996 - 3 Sa 393/96, NZA 1997, 127. 5 6 Dazu z.B. BAG 2 8 . 4 . 1987 - 3 AZR 75/86, ZIP 1988, 120 = NZA 1988, 198.

180

§10

Grenzen der Analogie in

Umgehungsfällen

und Willensrichtung der Handelnden. Für den Normalfall der Analogie sind diese Fragen ohne Bedeutung. Entscheidend ist hier nicht, ob die analog anzuwendende Norm ausgehöhlt wird, sondern ob ihr Tatbestand dem zu lösenden Sachverhalt ähnlich ist. Andere Wertungen, insbesondere die Berücksichtigung subjektiver Besonderheiten, erfolgen nicht. Trotz dieser Unterschiede besteht, wie Teichmann dargelegt hat, ein enger Zusammenhang zwischen Gesetzesumgehung und Analogie. In den weitaus meisten Umgehungsfällen liegt in der analogen Anwendung der umgangenen Norm die sachgerechte Lösung, indem beispielsweise auf Mantelgründungen die Gründungsvorschriften des GmbHG analog angewandt werden. Es müssen aber die unterschiedlichen Ausgangspunkte berücksichtigt werden: Die Gesetzesumgehung ist also kein Unterfall der Analogie, sondern das Verhältnis zwischen beiden Rechtsinstituten ist genau umgekehrt: Die Analogie ist eine der Methoden, mit denen die umgehungsspezifische Wertung umgesetzt werden kann. Somit ist die Lösung durch Analogieschluß nicht für alle Umgehungsfälle geeignet. Der Grund dafür kann darin liegen, daß die umgangene Norm nicht analogiefähig ist, weil sie eine Sonder- oder Ausnahmeregelung darstellt. In diesen Fällen führt die umgehungsspezifische Wertung dazu, daß sie trotzdem anwendbar wird. Es gibt auch einige Fälle, für die die entsprechende Anwendung der umgangenen Norm nicht zu einer sachgerechten Rechtsfolge führt. Diese Sonderfälle werden im folgenden Abschnitt näher untersucht.

§ 1 1 Gesetzesumgehung jenseits der Grenzen der Analogie Nach der herrschenden Meinung der Literatur ist die Gesetzesumgehung ausschließlich ein Fall der Analogie. Danach dürfte es einen Bereich „Gesetzesumgehung jenseits der Grenzen der Analogie" nicht geben. Bei der Lösung praktischer Fälle sieht das Bild anders aus: Die Rechtsprechung wendet zwar in vielen Fällen der Gesetzesumgehung die umgangene Norm entsprechend an. Wie sich im vorhergehenden Abschnitt gezeigt hat, machen es die Besonderheiten der umgangenen Norm und der Interessenlage aber auch nicht selten nötig, für ein sachgerechtes Ergebnis über die Grenzen der Analogie hinauszugehen. Diese Fallgruppe ist bislang kaum untersucht worden. Nur sehr vereinzelt werden für ihre Lösung methodische Begründungen angeführt.

1. Methodische

Ansätze

Neben der Auslegung und der Analogie sind für die Lösung von Umgehungsfällen weitere methodische Ansätze denkbar, die nicht den Grenzen der Analogie unterliegen. Die Möglichkeiten lassen sich einteilen in solche, die die Gesetzesumgehung als eigenes, selbständiges Rechtsinstitut ansehen und solche, die sie als unselbständiges Problem betrachten. Die Auffassung, Gesetzesumgehung sei ein eigenes Rechtsinstitut, wurde vor allem vom Reichsgericht, aber auch der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vertreten 1 . Allerdings spricht der BGH auch in den 1990er Jahren noch von einem unwirksamen Umgehungsgeschäft „nach § 134 BGB" 2 . Wird Gesetzesumgehung generell als verboten angesehen, wird sie auch auf diese Weise zu einem selbständigen Rechtsinstitut. Die ganz herrschende Auffassung in der Literatur sieht Gesetzesumgehung als unselbständiges Rechtsproblem an, sofern sie nicht bereits den Begriff der Gesetzesumgehung für überflüssig hält. Bereits erwähnt wurde der Ansatz von Schurig, wonach sich die gewöhnlichen Grenzen der Analogie im Falle der Gesetzesumgehung erweitern ließen 3 . Schließlich wird die Auffassung vertreten, eine

1 2 3

S.o. § 2 IV.l.a), V.2. BGH 6 . 1 2 . 1990 - IX Z R 44/90, N J W 1991, 1060 (1060f.). Schurig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 7 f .

182

§11

Gesetzesumgebung

jenseits der Grenzen

der

Analogie

Gleichstellung von Umgehung und umgangener N o r m über die Grenzen der Analogie hinaus könnte im Wege der Rechtsfortbildung möglich sein 4 . Von der methodischen Begründung kann auch die Rechtsfolge der Gesetzesumgehung abhängen: Sieht man in der Gesetzesumgehung einen Unterfall von § 1 3 4 BGB, kann Folge nur Nichtigkeit des Umgehungsgeschäfts sein; sieht man in ihr einen Sonderfall der Analogie, ist ihre Rechtsfolge die der umgangenen N o r m . Geht man dagegen von einem eigenen Rechtsinstitut aus oder löst die Fälle mit Rechtsfortbildung, sind unterschiedliche Rechtsfolgen denkbar.

1. Gesetzesumgehung als selbständiges Rechtsinstitut a) Gesetzesumgehung

und

Gewohnheitsrecht

Bis etwa in die 1950er Jahre galt Gesetzesumgehung als gewohnheitsrechtliches, selbständiges Rechtsinstitut. Heute kann von einem Gewohnheitsrecht nicht mehr gesprochen werden. Die Entstehung von Gewohnheitsrecht setzt nicht nur eine über längere Zeit andauernde Übung voraus, sondern vor allem eine allgemeine Rechtsüberzeugung in Rechtsprechung, Literatur und Praxis 5 . Eine entsprechende Rechtsüberzeugung mag noch in Teilen der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung und der IPR-Lehre vorliegen 6 ; in der übrigen Literatur und Rechtsprechung wird dem Institut Gesetzesumgehung dagegen nur noch vereinzelt selbständige Bedeutung zuerkannt 7 . Aber auch diese einzelnen Stimmen wenden sich vor allen gegen die Auffassung, Gesetzesumgehung sei ein reines Problem der Auslegung. Es wird weniger ein bestimmtes Rechtsinstitut postuliert, sondern vielmehr auf die spezifische, selbständige Bedeutung der Gesetzesumgehung aufmerksam gemacht. In der Tat scheitert ein selbständiges Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung bereits daran, daß sich ein solches nicht formulieren läßt. Die bislang erwähnten Beispiele zeigen, welche verschiedenartigen Fälle in der Praxis Fragen der Gesetzesumgehung aufwerfen und welche unterschiedlichen Wertungen berücksichtigt werden müssen. Ein konkretes Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung müßte gleichartige Voraussetzungen und eine einheitliche Rechtsfolge für alle Umgehungsfälle festlegen. In der Praxis gibt es aber schon für die Eingriffsschwelle keine einheitlichen Kriterien; eine einheitliche Rechtsfolge ist ebenfalls - wie schon erwähnt - nicht für alle Umgehungsfälle möglich. Ein gewohnheitsrechtliches Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung läßt sich also nicht begründen. Jedoch haben sich für bestimmte Fälle der Gesetzesumge4

Vgl. Huber JurA 1970, 7 8 4 (809f.). Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.433; 3 5 6 . 6 Dazu unten 3. Teil, E i n f ü h r u n g (vor § 13). 7 Vor allem MüncbKomm-Mayer-Maly/Armbrüster § 1 3 4 R d n r n . 11 ff.; ferner S. 78 ff. 5

Heeder,

1. Methodische

Ansätze

183

hung Grundsätze herausgebildet, die gewohnheitsrechtlichen Charakter haben. Beispiele finden sich wieder vor allem auf dem Gebiet des Arbeitsrechts. Alle Voraussetzungen des Gewohnheitsrechts erfüllen vor allem die Regeln der Rechtsprechung zu befristeten Arbeitsverträgen, die seit Erlaß des T z B f G nur noch für Altverträge gelten. Die Kriterien des sachlichen Grundes für eine Befristung des Arbeitsvertrages waren seit 1 9 6 0 ständige Übung 8 und ließen sich als Rechtssatz formulieren 9 ; so hat § 1 4 Abs. 1 T z B f G weitgehend früheres Gewohnheitsrecht normiert. Außerdem entspricht die Rechtsprechung des B A G allgemeiner Rechtsüberzeugung: Auch wenn ihre M e t h o d i k kritisiert wird, sind kaum Stimmen im arbeitsrechtlichen Schrifttum ersichtlich, die in Altfällen befristete Arbeitsverträge ohne Einschränkung zulassen wollen 1 0 . Einen ähnlich gewohnheitsrechtlichen Charakter werden vermutlich auch die Grundsätze der Umgehung von § 6 1 3 a B G B erlangen, auch wenn es sich hier um ein relativ neues Problem handelt, bei dem sich noch keine länger andauernde Übung herausgebildet hat. Außerhalb des Arbeitsrechts haben z.B. die Regeln über die verdeckte Sacheinlage bei Kapitalgesellschaften gewohnheitsrechtliche Qualität. Gewohnheitsrecht ist also nicht geeignet, ein eigenes Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung zu begründen. Es kann zwar in Einzelfällen entstehen; für die übrigen - insbesondere selteneren - Fälle der Umgehung lassen sich daraus aber keine Schlußfolgerungen ziehen.

b) Gesetzesumgehung

und § 134

BGB

Der Z u s a m m e n h a n g zwischen Gesetzesumgehung und § 1 3 4 B G B wird vor allem von der Rechtsprechung hergestellt. Z w a r halten die Gerichte Umgehungsgeschäfte nicht mehr generell für nichtig: Wie erwähnt, wurde in einem Vorkaufsrecht-Fall erkannt, daß dieser Grundsatz zu falschen Ergebnissen führen k a n n 1 1 . Bis in die 1 9 9 0 e r J a h r e hat sich jedoch die Formulierung gehalten, Gesetzesumgehung sei „unwirksam nach § 1 3 4 B G B " . Sie wurde vom B G H in der bereits erwähnten Entscheidung über die Umgehung von § 5 5 K O a.F. verwandt 1 2 ; außerdem in der ebenfalls bekannten Entscheidung über die Umgehung von § 5 4 7 B G B (früher § 5 5 7 a B G B ) durch Mieterdarlehen 1 3 . Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung spricht von „unwirksamer Umgehung nach § 1 3 4 B G B " im Zusammenhang mit der Umgehung von § 6 1 3 a B G B durch Aufhebungsverträge

8 Grundlegend BAG-GS 12.10. 1960 - GS 1/59, BAGE 10, 65 (70ff.) = AP Nr. 16 zu § 620 BGB befristeter Arbeitsvertrag = NJW 1961, 798. 9 Zu dieser Voraussetzung Schmalz, Methodenlehre, Rdnr. 44. 10 Kritisch vor allem Bickel JuS 1987, 861 mit zahlreichen Nachweisen; im einzelnen oben § 10 II.l.a)bb); s. auch unten § 11 IV.l.a).bb). 11 BGH 11.10. 1991 - V ZR 127/90, BGHZ 115, 335 = NJW 1992, 236 = J R 1992, 415. 12 BGH 6 . 1 2 . 1990 - IX ZR 44/90, NJW 1991, 1060 (1060f.). 13 BGH 2 3 . 6 . 1971 - VIII ZR 166/70, BGHZ 56, 285.

184

§11

Gesetzesumgehung

jenseits der Grenzen

der

Analogie

oder arbeitnehmerseitige Kündigungen 1 4 und bei der Umgehung des Kündigungsschutzes 1 5 . Vor dem Hintergrund der herrschenden Meinung ist die Anwendung von § 1 3 4 B G B in Umgehungsfällen nur möglich, wenn das umgangene Gesetz ein Verbotsgesetz im Sinne dieser Norm ist; das Eingreifen von § 134 B G B also eine Folge von dessen - analoger -Anwendung 1 6 . In den oben erwähnten Fällen ist das jedoch nicht der Fall: § 5 5 K O war zwar ein Verbotsgesetz, wurde jedoch in der Entscheidung ausdrücklich als nicht analogiefähig angesehen. § 5 4 7 B G B ist kein Verbotsgesetz, ebensowenig § 6 1 3 a B G B , § 6 2 6 B G B oder das KSchG. Es stellt sich daher die Frage, auf welche Weise die Rechtsprechung in diesen Fällen zu der Anwendung von § 1 3 4 B G B kommt. Aus der Formulierung kann nur der Schluß gezogen werden, daß offenbar ein „Verbot des Gesetzesumgehung" zugrunde gelegt wurde, welches als „Verbotsgesetz" gemäß § 134 B G B angesehen wurde. In diesem Fall würde Gesetzesumgehung ebenfalls ein eigenständiges Rechtsinstitut bilden, das sich sogar rechtssatzmäßig formulieren ließe mit dem Satz: „Die Umgehung (zwingender) Normen ist verboten". Die Bedenken dagegen ergeben sich also schon aus den Bedenken gegen die Formulierung eines selbständigen Rechtsinstituts der Gesetzesumgehung allgemein 1 7 . Hinzu kommt, daß die Anwendung von § 134 B G B nur die Rechtsfolge der Nichtigkeit zuläßt, die nicht in allen Umgehungsfällen sachgerecht ist. So ist in den erwähnten Entscheidungen auch oft nicht von Verboten und Nichtigkeit die Rede, sondern vielmehr von „Unwirksamkeit" der Umgehung. Möglicherweise soll daher nur die allgemeine Regel aufgestellt werden, Gesetzesumgehungen seien unwirksam. Damit würde kein selbständiges Rechtsinstitut begründet, die Nachteile der Inflexibilität entfielen. Jedoch trägt diese Formulierung nichts zur Konkretisierung der Gesetzesumgehung bei. Mit § 1 3 4 B G B hat eine solche Lösung ohnehin nichts zu tun, da dessen Voraussetzungen (Verbotsgesetz) und Rechtsfolgen (Nichtigkeit) eindeutig sind. Nach allem bildet § 1 3 4 B G B keinen geeigneten methodischen Ansatz. Sein Anwendungsbereich in Umgehungsfällen beschränkt sich auf die Umgehung von Verbotsgesetzen. 1 4 BAG 1 1 . 7 . 1995 - 3 AZR 154/95, AP Nr. 56 zu § 1 Tarifverträge: Einzelhandel; BAG 2 8 . 4 . 1987 - 3 AZR 75/86, ZIP 1988, 120 = NZA 1988, 198. 1 5 BAG 1 2 . 1 2 . 1 9 8 4 - 7 AZR 509/83, BAGE 4 7 , 3 1 4 ; LAG Brandenburg 2 4 . 1 0 . 1996 - 3 Sa 393/96, NZA-RR 1997, 127 (Umgehung durch ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers zum Umfang der Arbeitszeit); BAG 9 . 7 . 1981 - 2 AZR 788/78, DB 1982, 121 = AP Nr.4 zu § 6 2 0 BGB Bedingung m. Anm. Herschel (Lizenzfußballspieler-Entscheidung zum auflösend bedingten Arbeitsvertrag). 1 6 S. dazu schon oben § 7 II.2.a)aa). Beispielsfälle bilden die Umgehung des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit, dazu BGH 2 3 . 9 . 1982 - VII Z R 183/80, BGHZ 8 5 , 3 9 und die Umgehung des Erwerbsverbots für Ausländer durch Gründung einer GmbH; KG 2 4 . 9 . 1996 1 W 4534/95, BB 1997, 172 = NJW-RR 1997, 794. 1 7 Oben § 1 1 I.l.a).

1. Methodische

185

Ansätze

2. Gesetzesumgehung als unselbständiges Rechtsproblem a) Erweiterung

der Grenzen der

Analogie

Der Vorschlag, im Falle der Gesetzesumgehung die Grenzen der Analogie zu erweitern, stellt einen Versuch dar, auf Grundlage der herrschenden Meinung auch die Grenzbereiche der Analogie zu erfassen. Er stammt von Schurig, der seine Definition der Gesetzesumgehung folgendermaßen zusammenfaßt 18 : „Voraussetzung ist zunächst, daß jemand bewußt und zweckbestimmt den Tatbestand einer bindenden N o r m vermeidet und (bzw. oder) den einer anderen N o r m erfüllt. Hinzukommen muß, daß die Nichtanwendung der umgangenen und die Anwendung der ergangenen N o r m vor dem gesetzlichen Hintergrund und unter Berücksichtigung des allgemeinen Beharrungsinteresses an Kontinuität der Rechtsanwendung als untragbarer Widerspruch zur Sach- oder Systemgerechtigkeit erscheinen. Folge ist Anwendung der umgangenen, Nichtanwendung der ergangenen N o r m . Es handelt sich bei dem Vorgang um ein methodisches Sonderproblem von Auslegung und Analogie. Gleichwohl können subjektive Elemente bei der Abwägung den Ausschlag geben und den Abwehrmechanismus auslösen; insoweit kann die Gesetzesumgehung die „gewöhnlichen Grenzen" vor allem der Analogie erweitern."

Wie bereits erwähnt, hält Schurig für das von ihm entdeckte Problem der Eingriffsschwelle subjektive Elemente für ausschlaggebend19. Offen bleibt aber, in welcher Weise die „gewöhnlichen Grenzen der Analogie" erweitert werden sollen. Vorstellbar wäre eine Erweiterung sowohl der Grenzen als auch der Rechtsfolgen der Analogie: Es können die Anforderungen an die Regelungslücke oder die Ähnlichkeit gesenkt werden oder die Rechtsfolgen ausgeweitet in der Weise, daß statt der Anwendung der umgangenen Norm auch Raum bleibt für andere Folgen. Die letzte Möglichkeit wird jedoch von Schurig selbst verneint: Für ihn ist Folge der Umgehung Anwendung der umgangenen und Nichtanwendung der ergangenen Norm. Die Erweiterung der Grenzen kann also nur die Voraussetzungen des Analogieschlusses betreffen. Senkt man die Anforderungen an die Voraussetzung der Regelungslücke, könnte der Analogieschluß weiterhelfen, wenn die umgangene Norm einem Rechtsgebiet mit abschließend geregelten Anwendungsbereich entstammt (z.B. Verbraucherschutzregeln, KSchG) 20 . Andererseits gehört die Regelungslücke zu den definitorischen Voraussetzungen der Analogie. Sieht man diese Voraussetzung zu flexibel, könnten Normen unkontrolliert und beliebig ausgedehnt werden. Die Regelungslücke ist also als definitorische und methodische Voraussetzung der Analogie unverzichtbar. Schurig selbst scheint vorrangig die Absenkung der Anforderungen an die Ähnlichkeit im Sinn zu haben. Das hilft im Schurig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 7 f . Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 9 8 , 4 0 3 f.; s. auch Schurig, recht, S . 2 4 3 f . 2 0 Dazu oben § 5 II.2. 18

19

Kollisionsnorm und Sach-

186

§ 11 Gesetzesumgehung

jenseits der Grenzen

der

Analogie

konkreten Fall jedoch wenig weiter, da die Ähnlichkeit von vornherein feststeht: Ohne eine umgangene, „ähnliche" Norm gibt es keine Gesetzesumgehung. Eine Erweiterung der Grenzen der Analogie ist daher nur in den wenigen Umgehungsfällen hilfreich, wenn Regelungslücke oder Ähnlichkeit zwar denkbar, aber zweifelhaft sind. Es kann dann zugunsten der entsprechenden Anwendung der umgangenen Norm entschieden werden. Das kann beispielsweise in Vorkaufsrecht-Fällen der Fall sein, wenn fraglich ist, ob die Umgehungskonstruktion (Pacht o.ä.) einem Kauf ähnlich ist: Liegt eine bewußte und zweckbestimmte Umgehung vor, wird § 4 6 3 BGB eher analog angewandt werden als bei einem nicht zweckgerichteten Vorgehen. Der Schwerpunkt von Schurigs Ansatz liegt jedoch in dem Hinweis, daß bei der Gesetzesumgehung anders als beim Regelfall der Analogie auf subjektive - und andere wertende - Kriterien abgestellt werden kann. b)

Rechtsfortbildung

Die Möglichkeiten der Rechtsfortbildung in Umgehungsfällen sind bislang nicht ausführlich untersucht worden. Nur vereinzelt findet sich in der Literatur der Hinweis, daß die „Gleichstellung" dann zur Rechtsfortbildung würde, wenn die Grenzen der Auslegung überschritten würden 21 . Das Bundesarbeitsgericht hat demgegenüber betont, seine Rechtsprechung zu befristeten Arbeitsverträgen sei keine „gesetzesüberschreitende Rechtsfortbildung" 22 . Begriff und Grenzen der Rechtsfortbildung sind bereits im Ansatz umstritten. Im juristischen allgemeinen Sprachgebrauch wird von Rechtsfortbildung gesprochen, wenn die - ebenfalls umstrittenen - Grenzen der Auslegung und Analogie überschritten sind. Zu einem differenzierteren Bild kommt man, wenn man vier Stufen der Rechtsfortbildung unterscheidet: die Rechtsfortbildung intra oder secundum legem, praeter legem, extra legem und contra legem 23 . Mit Rechtsfortbildung intra legem ist die erweiternde Auslegung gemeint; Rechtsfortbildung praeter legem umschreibt den Bereich der Analogie. Den Bereich jenseits der Analogie umschreibt schließlich die Rechtsfortbildung extra und contra legem. Ob und unter welchen Voraussetzungen welche Stufe der Rechtsfortbildung zulässig ist, kann nicht einheitlich beantwortet werden und hängt von dem methodischen Grundansatz ab. Weitgehend Einigkeit besteht darin, daß die Vor-

21 Huber JurA 1970, 784 (809f.); der sich allerdings allgemein mit der Gleichstellung von typischen und atypischen Rechtsgeschäften befaßt. Vgl. auch Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.216ff. und Schmalz, Methodenlehre, Rdnr.432 mit Hinweis auf BGH 2 9 . 4 . 1960 - VI Z R 51/59, B G H Z 32, 2 4 6 : Ausdehnung einer Vorschrift durch „teleologische Extension". 2 2 BAG 2 9 . 8 . 1979 - 4 AZR 863/77, BAGE 32, 85 (90) = AP Nr. 50 zu § 6 2 0 BGB Befristeter Arbeitsvertrag m. Anm. Kraft = N J W 1980, 1766. 23 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 2 5 2 .

II. Rechtsfortbildung

in

Umgehungsfällen

187

aussetzungen für Rechtsfortbildung um so enger sein müssen, je mehr sie sich vom positiven Recht entfernt. In der Praxis haben sich für die Rechtsfortbildung extra und contra legem bestimmte Fallgruppen zulässiger Rechtsergänzung herausgebildet, die weitgehend anerkannt sind. Gesetzesumgehung gehört nicht zu diesen anerkannten Fallgruppen. Uberträgt man die herrschende Auffassung der Literatur zur Gesetzesumgehung auf die eben ausgeführte Terminologie, sind Umgehungsfälle mit Rechtsfortbildung praeter und ggf. intra legem zu lösen; nicht aber über das - umgangene - Gesetz hinaus. Jedoch geht die Praxis, wie sich gezeigt hat, verbreitet über die Analogie hinaus. Diese Entscheidungen lassen sich auch nicht sämtlich auf andere methodische Begründungen stützen: Gewohnheitsrecht braucht einen längeren Zeitraum, um wirksam zu werden; hilft also bei neuen und in Einzelfällen nicht weiter. Auch eine Ausweitung der Grenzen der Analogie erfaßt längst nicht alle denkbaren Fälle. Es stellt sich daher die Frage, ob die Rechtsprechung auf einer Rechtsfortbildung extra oder contra legem beruht und ob diese zulässig ist.

II. Rechtsfortbildung

in

Umgebungsfällen

1. Grundlagen der Rechtsfortbildung Im rechtsvergleichenden Teil ist deutlich geworden, daß das anglo-amerikanische Recht keine Umgehungslehre kennt und auch recht gut ohne auszukommen scheint 2 4 . Demgegenüber können im deutschen Recht Gesetzesumgehungen zu einem Problem werden, das mit bloßer Rechtsanwendung nicht gelöst werden kann. Der Grund liegt in den unterschiedlichen Ansätzen des anglo-amerikanischen case law und des kontinentaleuropäischen common law: Während der angelsächsische Richter Wertungen und rechtspolitische Überlegungen freier umsetzen kann und umsetzt, ist der deutsche grundsätzlich an das Gesetz gebunden; Wertungen müssen auf eine Subsumtion zurückgeführt werden 2 5 . Sind die Probleme des zu entscheidenden Sachverhalts vom Gesetzgeber nicht berücksichtigt worden, kann dieser Entscheidungsstil schwerfällig wirken; die Subsumtion mitunter mühsam oder auf Generalklauseln gestützt. In Umgehungsfällen kommt der Unterschied zwischen case law und common law in besonderer Weise zum Tragen, denn ihre Besonderheit besteht gerade in einem Sachverhalt, den der Gesetzgeber nicht bedacht hat. Einige der bisher zitierten Entscheidungen machen eine gewisse Hilflosigkeit deutlich, wenn Gerichte versuchen, eine sachgerechte Entscheidung dennoch mit einer Subsumtion unter das gesetzte Recht zu begründen; so die Begründungen mit § § 2 4 2 , 134, 138 Oben § 3 III. Dazu ausführlich Kötz RabelsZ 37 (1973), 2 4 5 (257ff.); zum Deliktsrecht v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Rdnr.292 (S.303). 24

25

188

§11

Gesetzesumgehung

jenseits der Grenzen der

Analogie

BGB. In den meisten Umgehungsfällen kann man sich freilich mit der Analogie und damit einer weitgehend anerkannten Methode behelfen. Wie oben ausgeführt, ist aber auch dies angesichts einer Gesetzesumgehung eher ein Ausdruck der Hilflosigkeit, da der Anwendungsbereich der Analogie eigentlich ein anderer ist. Die praktischen Probleme beim Analogieschluß und mit dessen Ergebnissen in Umgehungsfällen bringen das zum Ausdruck. Ein Uberschreiten der Grenzen der Analogie nennt man gesetzesüberschreitende Rechtsfortbildung: Setzt der Analogieschluß noch eine planwidrige Regelungslücke voraus, läßt sich eine gesetzesüberschreitende Rechtsfortbildung nicht mehr aus dem Gesetz allein rechtfertigen 26 . Im einzelnen wird differenziert zwischen Rechtsfortbildung extra und contra legem. Die Begriffe umschreiben zwei unterschiedliche Methoden, für die unterschiedliche Voraussetzungen und Grenzen gelten: Die Erforderlichkeit der Rechtsfortbildung extra legem, der Rechtsergänzung, muß sich aus der Gesamtrechtsordnung ableiten; Rechtsfortbildung contra legem ist hingegen nur möglich, wenn ein Rechtsnotstand droht 27 . Für Umgehungsfälle kommt vor allem Rechtsfortbildung extra legem in Betracht, die aus der Gesamtrechtsordnung und den ihr zugrundeliegenden Rechtsprinzipien folgt. In der Praxis haben sich dafür bestimmte Fallgruppen herausgebildet 28 . Eine Rechtsergänzung kann durch zwingende Bedürfnisse des Rechtsverkehrs gerechtfertigt werden. Beispiele bilden die im Gesetz nicht vorgesehene Einziehungsermächtigung und das Anwartschaftsrecht; beide beruhten ursprünglich auf Rechtsfortbildung. Auch das Sicherungseigentum wird gelegentlich dazugerechnet 29 . Das stärkste und gleichzeitig problematischste Argument für die Rechtsergänzung ist die Natur der Sache. Eine genaue Bestimmung dieses eher philosophischen Begriffs ist nicht möglich; vereinfacht ist eine Rechtsfortbildung nach der Natur der Sache dann gerechtfertigt, wenn nach der Rechtsordnung nichts anderes möglich erscheint. Beispiele bilden die Parteifähigkeit nicht rechtsfähiger Vereine (insbesondere Gewerkschaften) oder die Beweislastumkehr bei der Arzthaftung und ähnlich bei der Produzentenhaftung nach § 823 Abs. 1 BGB. Vor der Schuldrechtsreform war gemäß § § 2 7 5 , 280 BGB a.F. eine Rechtsergänzung nötig, damit der Schuldner wird auch bei verschuldeter Unmöglichkeit von der Verpflichtung zur Leistung frei wurde. Die praktisch wichtigste Fallgruppe ist die, in der ein rechtsethisches Prinzip, d.h. ein grundlegendes Rechtsprinzip oder wichtiges Rechtsgut, die ergänzende Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.232. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.240f.; 251. Als Beispiel für einen Rechtsnotstand wird die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage genannt, die sich angesichts der Inflation in den 1920er Jahren entwickelte (jetzt in § 3 1 3 BGB geregelt). 28 Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 413 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 233 ff.; Schmalz, Methodenlehre, Rdnrn. 426 ff. 29 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 233 ff. m.w.N. 26 27

II. Rechtsfortbildung

in

Umgehungsfällen

189

Fortbildung des Rechts rechtfertigt. Beispiele aus dem Zivilrecht sind vor allem die früheren Grundlagen der Haftung für schuldhafte Vertragsverletzung und Störungen der Vertragsparität: positive Vertragsverletzung, culpa in contrahendo 3 0 , Wegfall der Geschäftsgrundlage und Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. Auch wenn diese Rechtsinstitute weitgehend aus § 2 4 2 B G B abgeleitet wurden, gingen sie in ihrer konkreten Ausprägung weit über die Konkretisierung einer Generalklausel hinaus. Ein weiteres Beispiel ist die zivilrechtliche Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, insbesondere eines Schmerzensgeldes für Verletzungen des Persönlichkeitsrechts.

2. Umgehungsfälle und Rechtsfortbildung Die Rechtsprechung hat ihr Vorgehen in Umgehungsfällen nie als gesetzesüberschreitende Rechtsfortbildung bezeichnet 3 1 . Soweit jedoch die Grenzen der Auslegung, des Gewohnheitsrechts und erst recht der Analogie überschritten werden, liegt darin in einer Rechtsordnung des kodifizierten Gesetzesrechts eine Rechtsfortbildung extra oder sogar contra legem: die Durchsetzung von Wertungen unabhängig von der gesetzlichen Grundlage. Die Beispielsfälle der anerkannten Rechtsfortbildungen machen deutlich, daß eine Rechtsordnung nicht in jedem Fall ohne die Möglichkeit einer solchen freien Umsetzung von Wertungen auskommt. Bedenken aus Gesichtspunkten der Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit bestehen zumindest dann nicht, wenn sich die Rechtsfortbildung im Rahmen der anerkannten Fallgruppen hält - Natur der Sache, Schutz eines ethischen Prinzips oder Bedürfnisse des Rechtsverkehrs. Für Umgehungsfälle sind nur die ersten beiden Fallgruppen von praktischer Bedeutung, da Bedürfnisse des Verkehrs zwar für die Wirksamkeit eines Umgehungsgeschäfts sprechen können 3 2 , aber kaum für seine Unwirksamkeit. Die beiden erstgenannten Fallgruppen der Rechtsergänzung erfassen indes auch Umgehungsfälle. Ethische Prinzipien sind berührt, wenn Umgehungen durch eine Störung der Parität zugunsten des Umgehers ermöglicht werden. Das ist der Fall bei Umgehungen von Schutzgesetzen. Vor allem auf dem Gebiet des Arbeitsrechts werden auf diese Weise rechtsethisch wichtige soziale Gesichtspunkte geschützt: der Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses und der Arbeitsbedingungen gegen die Umgehung des Kündigungsschutzes oder von § 6 1 3 a BGB. Gleichzeitig spielt die „Natur der Sache" eine Rolle: Ähnlich wie sich die Dazu ausführlich Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 241 ff. Nach BAG 2 9 . 8 . 1 9 7 9 - 4 AZR 863/77, BAGE 32, 85 (90) = AP Nr. 50 zu § 6 2 0 BGB Befristeter Arbeitsvertrag m. Anm. Kraft = N J W 1980, 1766, soll die Rechtsprechung zu befristen Arbeitsverträgen eine „gesetzesimmanente Rechtsergänzung" von § 6 2 0 BGB sein. Dazu oben § 10 II.l.a)bb) und unten § 11 IV.l.a)bb)(l). 3 2 Oben § 9 II.3. zur Eingriffsschwelle. Dementsprechend beruht auch die Wirksamkeit der Sicherungsübereignung auf Bedürfnissen des Rechtsverkehrs. ,0

31

190

§11 Gesetzesumgehung jenseits der Grenzen der Analogie

Rechte des Patienten gegenüber dem Arzt ohne Beweislastumkehr nicht hinreichend schützen ließen, ließe sich der Kündigungsschutz nicht wirksam durchsetzen, wenn z.B. Verträge zulässig wären, durch die der Arbeitgeber bei arbeitszeitabhängiger Vergütung die Arbeitszeit frei bestimmen kann. Ähnliches gilt auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes, soweit nicht gesetzliche Umgehungsverbote eingreifen. Ein Beispiel bildet die bereits bekannte Entscheidung zur Umgehung von § 5 4 7 B G B (früher § 5 5 7 a B G B ) , die dem Mieterschutz als Unterfall des Verbraucherschutzes Rechnung trägt 3 3 . Auch in diesem Fall wäre § 5 4 7 B G B nicht durchsetzbar, wenn Mieterdarlehen mit Konditionen wie in dem Beispielsfall geschlossen werden könnten. Die Entscheidung beruht nicht auf dem vom Bundesgerichtshof erwähnten § 1 3 4 B G B - § 5 4 7 B G B ist kein Verbotsgesetz - sondern auf einer Rechtsergänzung. Ebenfalls mit der N a tur der Sache zu begründen sind die Rechtsfolgen der Umgehung von Genehmigungspflichten: Wegen der besonderen Struktur von Rechtsnormen, die Genehmigungspflichten aufstellen, kann im Falle ihrer Umgehung nicht eine Gleichstellung mit der Rechtsfolge der schwebenden Unwirksamkeit erfolgen, sondern das Umgehungsgeschäft m u ß nichtig sein 3 4 . Problematisch wird die Rechtsfortbildung, wenn wegen einer Gesetzesumgehung N o r m e n ausgedehnt werden, die grundsätzlich eng auszulegen und nur eingeschränkt analogiefähig sind. Wie oben erwähnt, ist in diesem Z u s a m m e n h a n g vor allem die Umgehung von Aufrechnungsverboten von Interesse. Die Problematik wird deutlich anhand der Entscheidung des B G H zur Umgehung von § 5 5 K O aus dem J a h r e 19 9 0 3 5 . Der 9. Senat führt hier zuerst ausführlich aus, warum § 5 5 K O nicht analog anwendbar sei. Die Aufrechnung sei aber trotzdem unzulässig, weil ein „unwirksames Umgehungsgeschäft" vorliege: Ein „vom Gesetz mißbilligter E r f o l g " dürfe „nicht durch die Umgehung des Gesetzes erreicht werden". M i t dieser lapidaren Begründung lassen sich nahezu alle N o r m e n auf alle Umgehungsgeschäfte ausdehnen. Handelt es sich dabei jedoch um eine grundsätzlich eng auszulegende und nicht oder nur eingeschränkt analogiefähige N o r m , ist Zurückhaltung geboten. Freie Rechtsschöpfung aus Gründen der Gesetzesumgehung läßt sich nicht mit der N a t u r der Sache begründen. Es kann ferner kaum behauptet werden, daß § 5 5 K O a.F. ein rechtsethisches Grundprinzip schützte, dessen Schutz ohne seine Anwendung auf solche Fälle obsolet wäre. Die Grundsätze der Rechtsfortbildung ermöglichen daher nicht nur ein Vorgehen gegen Gesetzesumgehungen über die Grenzen der Analogie hinaus. Gleichzeitig beschränken sie ein derartiges Vorgehen auf wenige, anerkannte Fallgrup3 3 B G H 2 3 . 6 . 1 9 7 1 - VIII Z R 166/70, B G H Z 5 6 , 2 8 5 ; zum Sachverhalt im einzelnen oben § 7 II.l. 3 4 Dazu oben § 7 II.2.b). 3 5 B G H 6 . 1 2 . 1 9 9 0 - I X Z R 44/90, N J W 1 9 9 1 , 1 0 6 0 ( 1 0 6 1 ) zu § 5 5 K O . Z u r Begründung des B G H oben § 1 0 I l . l . b j a a ) .

II. Rechtsfortbildung

in

Umgehungsfällen

191

pen und verhindern damit willkürliches Vorgehen mit der Begründung der Gesetzesumgehung.

3. S c h l u ß f o l g e r u n g Wie erwähnt, haben Rechtsordnungen des Gesetzesrechts im Vergleich zum case law größere Schwierigkeiten, wenn es um die Umsetzung richterlicher Wertungen geht. Ihr Vorteil liegt demgegenüber in einem größeren M a ß an Rechtssicherheit; vor allem, w e n n der zu beurteilende Sachverhalt noch nicht Gegenstand eines Präjudizes war. Wird das positive Recht umgangen, steht der deutsche Rechtsanwender daher vor einem Dilemma: Reagiert eine Rechtsordnung nicht, wenn ihre Lücken (bewußt) ausgenutzt werden, k a n n sie in weiten Teilen obsolet werden. Auf der anderen Seite gefährdet jede freie Umsetzung von Wertungen die Rechtssicherheit - erst recht, wenn sie ohne eindeutige Kriterien erfolgt. Die M e t h o d e der gesetzesüberschreitenden Rechtsfortbildung, Rechtsfortbildung extra legem oder Rechtsergänzung spiegelt diesen Konflikt wider. Ihre grundsätzliche Zulässigkeit und Notwendigkeit für sachgerechte Entscheidungen ist in der Rechtsprechung allgemein und in der Literatur weitgehend anerkannt. Die oben genannten Fallgruppen „ N a t u r der Sache" und „rechtsethisches Prinzip" machen jedoch deutlich, auf welche seltenen und gut begründeten Ausnahmefälle eine solche Rechtsfortbildung beschränkt werden soll. In Umgehungsfällen sind zahlreiche praktische Entscheidungen auf Rechtsfortbildungen und Rechtsergänzungen zurückzuführen. Die Rechtsprechung hat sie zwar soweit ersichtlich nie ausdrücklich so bezeichnet; nichts anderes liegt aber vor, wenn ein umgangenes Gesetz über die Grenzen der Analogie hinaus angewandt wird oder andere Rechtsfolgen - vor allem Nichtigkeit - eintreten. Wenn die Rechtsprechung § 134 BGB oder andere Begründungen heranzieht, wird allerdings der Blick dafür verstellt, daß eine solche freie Umsetzung von Wertungen nur unter den engen Voraussetzungen der Rechtsfortbildung möglich ist. Grundsätzlich bestehen gegen Rechtsfortbildung in Umgehungsfällen weder methodisch noch inhaltlich Bedenken. Wie sich gezeigt hat, kann die heute herrschende Meinung, nach der die Gesetzesumgehung ein Unterfall der Analogie sei, nicht alle praktischen Fälle erfassen. Im Gegenteil bildet die Umgehung ein inhaltliches, ein Wertungsproblem, für dessen Lösung verschiedene Methoden in Betracht kommen. Der Analogieschluß eignet sich zwar aufgrund seiner ähnlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen für viele Umgehungsfälle, hat aber grundsätzlich einen anderen Anwendungsbereich. Auch inhaltlich ist in vielen Umgehungsfällen eine gesetzesüberschreitende Rechtsfortbildung möglich und gerechtfertigt. In der Praxis gilt das vor allem, wenn die umgangenen N o r m e n grundlegende Rechtsgüter schützen und die Ge-

192

§11 Gesetzesumgehung jenseits der Grenzen der Analogie

fahr besteht, daß dieser Schutz durch Umgehungsgeschäfte obsolet wird. Geringere praktische Bedeutung haben Umgehungsfälle, für die der Analogieschluß aufgrund der Struktur des umgangenen Gesetzes nicht geeignet ist (Bsp. Genehmigungspflichten). Es ist jedoch im Einzelfall eine sorgfältige Abwägung erforderlich. D a s gilt vor allem, wenn aus Gesichtspunkten der Gesetzesumgehung der Anwendungsbereich von Gesetzen ausgedehnt wird, die grundsätzlich nur für einen begrenzten Bereich gelten sollen. Darüber hinaus bestehen keine Unterschiede bei der Lösung von Umgehungsfällen diesseits und jenseits der Analogie. D a nicht die M e t h o d e , sondern die Wertung im Vordergrund steht, gelten insbesondere für die Eingriffsschwelle dieselben Kriterien. Allerdings steht bei Rechtsergänzungen anders als beim Analogieschluß die Rechtsfolge nicht von vornherein fest. Im folgenden wird untersucht, welche Rechtsfolgen Gesetzesumgehung haben kann und welche Aspekte im Bereich jenseits der Analogie zu berücksichtigen sind.

III. Rechtsfolgen

über Gleichstellung

hinaus

1. G l e i c h s t e l l u n g u n d S a n k t i o n e n Die Rechtsfolge einer Gesetzesumgehung ist unproblematisch, wenn die umgangene N o r m analog angewandt wird. In diesem Fall entspricht die Rechtsfolge der Umgehung derjenigen der umgangenen N o r m , es erfolgt eine „Gleichstellung". Erfolgt dagegen die Lösung eines Umgehungsfalles mit Rechtsfortbildung extra legem, gibt es keine festen Regelungen hinsichtlich der Rechtsfolge. D e n n o c h ist auch in diesen Fällen die Gleichstellung Ausgangspunkt und Regelfall der Rechtsfolgen einer Gesetzesumgehung 3 6 . Durch eine Gesetzesumgehung soll die Anwendung einer bestimmten N o r m und damit das Eintreten ihrer Rechtsfolge gerade verhindert werden. Soll die Umgehung wirkungslos bleiben, m u ß ihre Rechtsfolge also mit derjenigen der umgangenen N o r m identisch sein. Eine pauschale Nichtigerklärung ist in vielen Fällen - z.B. Vorkaufsrecht - nicht sachgerecht. Das gleiche ergibt sich aus theoretischen Überlegungen: Eine Gesetzesumgehung setzt per definitionem ein Verhalten voraus, das dem Z w e c k der umgangenen N o r m widerspricht. Soll die Falllösung also dem Z w e c k der umgangenen N o r m entsprechen, kann das im Regelfall nur durch die Anwendung der N o r m erreicht werden und nicht durch abweichende Ergebnisse. „Die Folge des Handelns in fraudem legis ist demnach stets, daß der Erfolg, den das Recht herbeiführen will und den die Gesetzesumgehung verhindern will, unverändert eintritt" - so Barthelmes 36 37

schon 1 8 8 9 3 7 . Einer entsprechenden Über-

Dazu ausführlich Westerhoff, S.86ff. (§§87ff.). Barthelmes, S.23.

III. Rechtsfolgen

über Gleichstellung

hinaus

193

legung folgen auch die heutigen gesetzlichen Umgehungsverbote im Verbraucherschutzrecht. Mit Formulierungen wie „Diese Vorschriften finden auch Anwendung, wenn sie durch anderweitige Gestaltung umgangen w e r d e n " weisen Umgehungsverbote ebenfalls darauf hin, daß eine „Gleichstellung" der Gesetzesumgehung mit der Rechtsfolge der umgangenen N o r m erfolgen soll. Bis in die 1950er Jahre wurde diskutiert, ob an Gesetzesumgehungen Sanktionen zu knüpfen sind, deren Folgen über die Gleichstellung hinausgehen 3 8 . Heute besteht Einigkeit, d a ß Gesetzesumgehung als solche nicht sanktionswürdig ist, da es niemand verwehrt werden kann, Gesetzeslücken auszunutzen: „In der sog. Gleichstellung erschöpft sich auch die Sanktion der Gesetzesumgehung. Es genügt, wenn die Zweckvereitelung durch Z w e c k b e h a u p t u n g zunichte gemacht wird. Die Sanktion darf - außerhalb des Strafrechts - niemals Strafcharakter erlangen" 3 9 . Eine strafende Sanktionierung von Gesetzesumgehungen ist also nicht durch Rechtsfortbildung oder in ähnlicher Weise möglich, sondern nur aufgrund entsprechender Gesetze. In diesen N o r m e n müßte ein besonderer Umgehungsbegriff mit subjektiven Voraussetzungen definiert werden 4 0 .

2 . R e c h t s f o l g e n in S o n d e r f ä l l e n Wie oben erörtert, hilft indes in einigen Umgehungsfällen die Anwendung der umgangenen N o r m und ihrer Rechtsfolgen nicht weiter 4 1 . Z u diesen Sonderfällen gehört die Umgehung von Genehmigungspflichten ebenso wie die Umgehung von § 6 1 3 a BGB durch Aufhebungsverträge. Praktisch besonders wichtig war bis zum Erlaß des TzBfG die Fallgruppe der Umgehung des Kündigungsschutzes durch befristete und bedingte Arbeitsverträge. Einen Einzelfall aus diesem Bereich bildet schließlich die Entscheidung des B G H zur Umgehung von § 547 BGB (früher § 5 5 7 a BGB) 42 . Die Praxis behilft sich in diesem Fällen mit Rechtsfortbildung der Sache nach, die o f t mit allgemeinen Grundsätzen oder mit § 134 BGB begründet wird. Ein gemeinsamer Nenner, der für ähnliche Fälle Anhaltspunkte bieten könnte, läßt sich nicht ohne weiteres ausmachen; die Ergebnisse sind individuell auf die Besonderheiten der Fallgruppen bezogen. Ein Beispiel bildet die Rechtsfolge der Umgehung von Genehmigungspflichten, die sich aus den Besonderheiten dieser Fallkonstellation ergibt. 38 Römer, S. 50ff. Barthelmes, S. 2 3 f f . geht der Sache nach von „Gleichstellung" aus, erörtert aber besondere Folgen der Gesetzesumgehung als Sanktion. 39 Römer, S.50. Eine N o r m , durch die Empfehlung von Umgehungsgeschäften zur O r d nungswidrigkeit erklärt wird, findet sich in § 2 2 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 81 Abs. 1 Nr. 1 G W B (früher § 38 Abs. 1 Nr. 11 GWB). Z u r Gesetzesumgehung im Kartellrecht - z. T. überholt - Delahaye W u W 1987, 8 7 7 und Benkendorff W u W 1954, 147. 40 Benkendorff W u W 1954, 147 (150): „Bestrafung erfordert den Willen zur U m g e h u n g " . 41 O b e n § 1 0 11.2., § 7 11.2. 42 B G H 2 3 . 6 . 1971 - V I I I Z R 166/70, B G H Z 56, 2 8 5 .

194

§11

Gesetzesumgehung

jenseits der Grenzen

der

Analogie

Eine Gemeinsamkeit läßt sich jedoch darin finden, daß eine Gesetzesumgehung, die nicht hingenommen werden kann, auch keine Wirkung entfalten darf: „Die Handlung, welche bewirkt, daß der Rechtssatz seinen Worten nach nicht mehr anwendbar erscheint, ist wirkungslos; ist die Handlung ein Rechtsgeschäft, so ist dies nichtig" 4 3 . Daher führt Gesetzesumgehung oft auch dann zur Nichtigkeit, wenn das umgangene Gesetz kein Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB ist. Neben den Genehmigungspflicht-Fällen gilt das z.B. für die Umgehung von § 613 a Abs. 1 BGB: Eine entsprechende Anwendung dieser N o r m wäre sinnlos, vielmehr muß der Aufhebungsvertrag für nichtig erklärt werden; dann findet § 6 1 3 a BGB unmittelbar Anwendung 4 4 . Vor größeren Schwierigkeiten stand das BAG bei der Entwicklung seiner Grundsätze zu befristeten und bedingten Arbeitsverträgen, die heute noch für Altfälle und z.B. die Umgehung des Änderungsschutzes von Bedeutung sind. So konnten Befristungsklauseln nicht einfach für nichtig erklärt werden, weil durchaus Fälle denkbar sind, in denen eine solche Klausel im Interesse auch des Arbeitnehmers liegt 45 . Eine - entsprechende - Anwendung des KSchG wäre möglich, indem für Befristungen eine soziale Rechtfertigung nach den Kriterien von § 1 KSchG gefordert wird. Da diese Vorschrift jedoch auf die Situation der Kündigung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses zugeschnitten ist, wären dabei erhebliche praktische Schwierigkeiten entstanden 4 6 . Die Rechtsprechung konnte das Spannungsverhältnis zwischen § 620 BGB und den KSchG also nur mit dem Erfordernis des heute in § 14 Abs. 1 TzBfG normierten sachlichen Grundes ausgleichen 47 . Darin lag keine analoge Anwendung des Kündigungsschutzrechts, sondern eine Rechtsfortbildung extra legem, die vor dem TzBfG gewohnheitsrechtlichen Charakter erlangt hatte 4 8 . Zwar sind nach § 626 BGB und § 1 KSchG auch für eine Kündigung Gründe erforderlich, diese folgen jedoch im Ansatz anderen Kriterien, da sie auf die Kündigungssituation zugeschnitten sind. Dennoch gibt es Parallelen zwischen den umgangenen Gesetzen und den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien: In beiden Fällen wird die Wertung umgesetzt, wonach der Arbeitsvertrag im Normalfall auf unbegrenzte Dauer angelegt ist und von 43

Barthelmes, S. 24. Dazu im einzelnen oben § 10 II.2.b)bb). 45 Beispiel: Ein geprüfter Rechtskandidat, der die Wartezeit auf seinen Referendarsplatz mit J o b b e n überbrückt. 46 Dazu oben § 10 II.2.b)bb); ausführlich unten § 11 IV.2.; ablehnend auch BAG 2 9 . 8 . 1979 - 4 A Z R 863/77, BAGE 32, 85 = AP Nr. 50 zu § 6 2 0 BGB befristeter Arbeitsvertrag = N J W 1980, 1766. 47 Dazu M ü n c h H d b . A r b R Bd. 1 - Richardi§44 R d n r n . 28ff.; 4 0 f f . mit zahlreichen N a c h weisen. Bei der auflösenden Bedingung w a r die Rechtsprechung uneinheitlich, s. ebenda Rdnr.46. 48 So auch Kraft, A n m e r k u n g zu AP Nr. 50 zu § 6 2 0 BGB befristeter Arbeitsvertrag. Z u m Gewohnheitsrecht oben § 1 1 I . l . a ) ; zu den Besonderheiten des Arbeitsrechts ausführlich unten § 1 1 IV.2. 44

IV. Sonderfall

Arbeitsrecht?

195

diesem Normalfall nicht grundlos abgewichen werden kann 4 9 . M a n kann eine solche Rechtsfortbildung als teleologischen Analogieschluß bezeichnen: Es erfolgt keine „Gleichstellung", sondern aus dem umgangenen Gesetz werden Kriterien abgeleitet, die das Umgehungsgeschäft insoweit wirkungslos machen, als es das Ziel des umgangenen Gesetzes vereitelt. Die Rechtsfolgen einer Rechtsfortbildung in Umgehungsfällen lassen sich also folgendermaßen zusammenfassen: Den Ausgangspunkt bildet eine Umgehung, die die Eingriffsschwelle überschreitet und die Voraussetzung für eine Rechtsfortbildung erfüllt und. Sie muß daher unwirksam gemacht werden. In der Regel ist das durch „Gleichstellung" mit der Rechtsfolge des umgangenen Gesetzes möglich. Kann eine solche Gleichstellung nicht erfolgen oder ist das Ergebnis nicht interessengerecht, ist zu prüfen, ob die Umgehung durch Nichtigerklärung des Umgehungsgeschäfts wirkungslos gemacht werden kann. Ist auch auf diese Weise kein sachgerechtes Ergebnis möglich, sind die Kriterien für die Rechtsfortbildung aus Ziel und Wertungen des umgangenen Gesetzes abzuleiten.

IV. Sonderfall

Arbeitsrecht?

In den vorangegangenen Ausführungen ist mehrfach eine Sonderstellung des Arbeitsrechts deutlich geworden. Die erste Besonderheit liegt in einer allgemein niedrigen Eingriffsschwelle, da die umgangenen Gesetze in der Regel Schutzgesetze sind. Besonders auffällig ist die Häufigkeit von Beispielen aus dem Arbeitsrecht, wenn es um die Grenzen der Analogie geht. Insbesondere in dem weiten Bereich der Umgehung des Kündigungsschutzes und in den Fällen der Umgehung von § 6 1 3 a B G B ist eine sachgerechte Lösung durch analoge Anwendung der umgangenen Norm nicht möglich. Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte folgt anderen Regeln als die der ordentlichen Zivilgerichte. Seit der grundlegenden Entscheidung des Großen Senats des BAG aus dem Jahre i 9 6 0 5 0 geht die Arbeitsgerichtsbarkeit in ständiger Rechtsprechung von einem selbständigen Rechtsinstitut der „objektiven Gesetzesumgehung" aus. Danach sind Umgehungsabsicht oder andere subjektive Voraussetzungen nicht erforderlich. Gesetzesumgehungen sind grundsätzlich unwirksam. Zur Begründung wird oft § 1 3 4 B G B herangezogen, auch wenn keine Verbotsgesetze betroffen sind. Die Rechtsfolgen der Umgehung sind unterschiedlich: In einigen Fällen wird die umgangene Norm - analog - herangezogen, in anderen Fällen werden Vertragsbedingungen für nichtig erklärt „wegen

4 9 Zu den sachlichen Gründen aus der Wertung des § 1 KSchG ausführlich MünchHdb.ArbR Bd. 2 - Wank § 1 1 6 Rdnrn. 63 ff. 5 0 BAG-GS 1 2 . 1 0 . 1 9 6 0 - G S 1/59, BAGE 10, 65 (70ff.) = AP Nr. 16 zu § 6 2 0 BGB befristeter Arbeitsvertrag = NJW 1961, 798.

196

§11

Gesetzesumgebung

jenseits der Grenzen

der

Analogie

objektiver Gesetzesumgehung"; einen Sonderfall bildet das Erfordernis des „sachlichen Grundes". Es stellt sich die Frage, worauf diese Sonderstellung des Arbeitsrechts zurückzuführen ist. Die Gründe könnten rein inhaltlicher Natur sein, d.h. sich aus Inhalt und Zielen der arbeitsrechtlichen Regelungen ergeben. Da sich Umgehungsfragen aber auf ganz verschiedenen Gebieten des Arbeitsrechts stellen, spricht das eher dafür, daß die Gründe in der Struktur des Arbeitsrechts liegen, insbesondere seiner Regelung in Einzelgesetzen mit begrenztem Geltungsbereich. Ist das der Fall, können daraus Schlüsse gezogen werden für Umgehungsfälle in Sachgebieten, die ähnliche Besonderheiten aufweisen.

1. Gesetzesumgehung in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung Der Rechtsbegriff der Gesetzesumgehung hat in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung wohl die größte praktische Bedeutung. Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte zu diesem Problemkreis ist umfangreich, vielfältig und hochdifferenziert. Die meisten Entscheidungen befaßten sich bislang mit der Umgehung des Kündigungsschutzes, aber auch in anderen Gebieten des Arbeitsrechts spielt Gesetzesumgehung eine Rolle. a) Umgehung

des

Kündigungsschutzes

Das Kündigungsschutzrecht, das „Nervenzentrum des Arbeitsvertragsrechts" 5 1 , steht auch bei der arbeitsrechtlichen Gesetzesumgehung im Mittelpunkt. Wie erwähnt, hat die Rechtsprechung ihre Grundsätze der „objektiven Gesetzesumgehung" in ihrer Grundsatzentscheidung zur Umgehung des Kündigungsschutzes durch befristete und Kettenarbeitsverträge aufgestellt 5 2 . Der Begriff wurde durch die Rechtsprechung zu befristeten und auflösend bedingten Arbeitsverträgen im Laufe der folgenden 4 0 Jahre weiter präzisiert. Objekt der Umgehung ist in diesen wie in anderen Fällen nicht nur das Kündigungsschutzgesetz, sondern ein befristeter Arbeitsvertrag endet beispielsweise auch unabhängig von einem wichtigen Grund nach § 6 2 6 B G B oder dem Mutterschutz nach § 9 MuSchG.

MünchKomm - Schwerdtner § 6 2 2 Anh. Rdnr. 1. BAG-GS 1 2 . 1 0 . 1 9 6 0 - GS 1/59, BAGE 1 0 , 6 5 (70ff.) = AP Nr. 16 zu § 6 2 0 BGB befristeter Arbeitsvertrag = N J W 1961, 798. Kettenarbeitsverträge sind befristete Arbeitsverträge, die nach Ablauf der Frist wieder auf bestimmte Zeit erneuert werden. Derartige Vertragsgestaltungen wurden schon vom Reichsarbeitsgericht als Gesetzesumgehungen angesehen, während sie in der Literatur der 1950er Jahre eher unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht oder nach allgemeinen Grundsätzen beurteilt wurden. Dazu Hueck RdA 1953, 85 auch zur früheren Rechtsprechung des RAG, die auf Umgehungsabsicht abstellte; ferner Teichmann, S. 53 ff.; weitere Nachweise BAG-GS 1 2 . 1 0 . 1960 - GS 1/59, BAGE 10, 65 (67ff.) auch Bickel JuS 1987, 861 (864). 51

52

IV. Sonderfall

Arbeitsrecht?

197

Wie sich bereits mehrfach gezeigt hat, ist die Rechtsprechung zu befristeten Arbeitsverträgen mit der herrschenden Meinung zur Gesetzesumgehung nicht vereinbar: Eine Fallösung durch Analogie - und erst recht durch Auslegung - der umgangenen Kündigungsschutzregelungen ist nicht möglich, da mit einer „Gleichstellung" der Rechtsfolgen kein befriedigendes Ergebnis zu erzielen ist 5 3 . Subjektive Momente können nicht berücksichtigt werden, da es nicht darauf ankommen darf, ob die Parteien bei Abschluß des befristeten oder bedingten Vertrags an die Umgehung des Kündigungsschutzes gedacht haben 5 4 . aa) Teilzeit- und

Befristungsgesetz

Seit dem Inkrafttreten des T z B f G am 1. Januar 2 0 0 1 sind die Voraussetzungen für befristete und auflösend bedingte Arbeitsverträgen gesetzlich geregelt. Das TzBfG setzt zwei EG-Richtlinien um 5 5 und ersetzt die frühere Rechtslage in Deutschland, die durch das Nebeneinander von richterrechtlichen Regelungen und den Sonderregeln des BeschFG bestimmt w a r 5 6 . Obwohl die frühere Rechtsprechung nun nur noch für Altverträge gilt, wird sie im folgenden als Ursprung des Begriffs „objektive Gesetzesumgehung" überblicksartig dargestellt. Im übrigen hat das frühere Gewohnheitsrecht weiterhin praktische Bedeutung: Da das TzBfG weitgehend die Grundsätze des früheren Gewohnheitsrechts übernimmt, wird die frühere Rechtsprechung für die Interpretation des Gesetzes von Bedeutung bleiben. Schließlich werden auch nicht alle Fälle der Umgehung des Kündigungsschutzes durch Befristungen vom T z B f G eindeutig erfaßt, wie einige neuere Fälle zeigen: So hatte das BAG über die Umgehung der Befristungsmöglichkeit nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz durch Arbeitgeberwechsel in der Absicht der Aneinanderreihung sachgrundloser Befristungen zu entscheiden 5 7 . Ein anderes Urteil betraf einen Aufhebungsvertrag, der aber nicht auf die alsbaldige Beendigung, sondern auf die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gerichtet 5 3 Ablehnend zur Analogie auch BAG 2 9 . 8 . 1 9 7 9 - 4 AZR 863/77, AP Nr. 50 zu § 6 2 0 BGB Befristeter Arbeitsvertrag = N J W 1980, 1766. 5 4 Für die Berücksichtigung subjektiver Momente Schurig, Gesetzesumgehung, S.407f.; dazu oben § 9 II.l. 5 5 Der Teilzeitteil setzt die Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 1 5 . 1 2 . 1 9 9 7 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit um (ABl. EG 1998 Nr. L 14 S. 9) und der Befristungsteil die Richtlinie des Rates zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (1999/70/EG) vom 2 8 . 6 . 1 9 9 9 (ABl. EG Nr. L 175 vom 1 0 . 7 . 1999, S.43). 5 6 Zum TzBfG z.B. Hromadka N J W 2 0 0 1 , 4 0 0 ; Link/Fink AuA 2 0 0 1 , 107, 155, 2 0 4 , 2 5 2 ; Preis/Gotthardt DB 2 0 0 1 , 145; ausführlich MünchHdb.ArbR Ergänzungsband - Wank § 116 Rdnrn. 14ff.; zu den Befristungsregelungen M/emi NZA 2 0 0 1 , 2 9 6 ; zu den Sachgründen für die Befristung Plander Z T R 2 0 0 1 , 4 9 9 ; vergleichend Dörner Z T R 2 0 0 1 , 4 8 5 (485f.), der von der „Abkoppelung der Befristungskontrolle vom Kündigungsschutz" ausgeht. 5 7 BAG 2 5 . 4 . 2 0 0 1 - 7 AZR 376/00, ZIP 2 0 0 1 , 1511. Zur Bedeutung für das TzBfG: Löwisch EWiR § 1 BeschFG 2/01, 981.

198

§11

Gesetzesumgehung

jenseits der Grenzen

der

Analogie

war 5 8 . Bereits erwähnt wurde die Umgehung des Änderungsschutzes durch Befristung von Vertragsbedingungen 59 .

bb) Dogmatik der

Rechtsprechung

(1) Der Große Senat hielt in seiner Grundsatzentscheidung zu befristeten Arbeitsverträgen aus dem Jahr 1 9 6 0 „für die Beurteilung und Lösung des Problems eine Anwendung des Rechtsbegriffs der Gesetzesumgehung für geboten". Umgangen würden zwingende Bestimmungen des Kündigungsschutzrechts. Umgehungsabsicht sei nicht erforderlich („objektive Gesetzesumgehung"). Befristete Arbeitsverträge sollten nicht unzulässig sein, müßten aber „im Gefüge der Grundprinzipien des deutschen Arbeitsrechts einen verständigen sachlich gerechtfertigten Grund haben". Fehle ein sachlicher Grund für die Befristung bei Abschluß des Vertrages, sei die Befristung unwirksam, an die Stelle des befristeten Arbeitsverhältnisses trete eines auf unbestimmte Dauer. Die methodische Herleitung war unklar. Der Vierte Senat des BAG hat in einer späteren Entscheidung von einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung von § 6 2 0 BGB gesprochen 6 0 . Stimmen der Literatur gingen von einer teleologischen Reduktion des § 6 2 0 B G B aus 6 1 . Es ist jedoch zweifelhaft, ob sich ein derart enger Zusammenhang mit dem Gesetz konstruieren läßt. Sowohl eine gesetzesimmanente Rechtsfortbildung als auch eine teleologische Interpretation würden voraussetzen, daß sich für das Ergebnis Anhaltspunkte im Gesetz ergeben. Zwar ergibt sich das Erfordernis des sachlichen Grundes aus dem gesetzlichen Spannungsverhältnis von § 6 2 0 B G B und dem Kündigungsschutz, jedoch ist weder in § 6 2 0 B G B noch im Kündigungsschutzrecht eine derartige Voraussetzung unmittelbar und zwingend angelegt. Die Rechtsprechung beruhte daher in Wahrheit auf einer Rechtsfortbildung extra legem 6 2 . Ihre Zulässigkeit folgte aus dem bedeutsamen Rechtsgut des Bestandsschutzes von Arbeitsverträgen; auch eine Herleitung aus der Natur der Sache war möglich 6 3 . Ein gesetzgeberischer Notstand war nicht erforderlich 6 4 , weil er nur bei einer Rechtsfortbildung contra legem gefordert werden muß 6 5 . Eine Rechtsfortbildung contra legem lag aber nicht vor, da § 6 2 0 B G B nicht nur durch BAG 1 2 . 1 . 2 0 0 0 - 7 AZR 48/99, SAE 2 0 0 1 , 2 2 0 m. Anm. Coester. BAG 4 . 6 . 2 0 0 3 - 7 AZR 406/02, BB 2 0 0 3 , 1683; BAG 2 3 . 1 . 2 0 0 2 - 7 AZR 563/00, DB 2 0 0 2 , 1326 (1327); BAG 2 4 . 1 . 2 0 0 1 - 7 AZR 208/99, EzA § 6 2 0 BGB Nr. 173. 6 0 BAG 2 9 . 8 . 1 9 7 9 - 4 AZR 863/77, BAGE 32, 85 = AP Nr. 50 zu § 6 2 0 BGB befristeter Arbeitsvertrag = N J W 1980, 1766. 61 MünchHdb.ArbR Bd.2 - Wank § 116 Rdnrn. 11 f.; Erfurter Kommentar Müller-Glöge § 14 TzBfG Rdnr. 2. 6 2 So auch Kraft, Anmerkung zu AP Nr. 50 zu § 6 2 0 BGB befristeter Arbeitsvertrag; Söllner SAE 1966, 2 5 5 . 6 3 Oben § 1 1 II.2. 6 4 So aber Btckel JuS 1987, 861 (864). 6 5 Dazu oben § 1 1 II.l. 58

59

/V. Sonderfall

Arbeitsrecht?

199

den Kündigungsschutz modifiziert wurde, sondern auch durch andere gesetzliche Regelungen, beispielsweise das Beschäftigungsförderungsgesetz und die Regelungen über befristete Arbeitsverhältnisse im Hochschulrahmengesetz 6 6 . Durch diese gesetzgeberischen M a ß n a h m e n war die Rechtsprechung nicht überholt 6 7 , sondern wurde eher bestätigt; auch das TzBfG folgt weitgehend denselben Kriterien. In der Literatur wurde die Auffassung des BAG dogmatisch kritisiert, aber im Ergebnis weitgehend akzeptiert 6 8 . In der Tat wäre der gesetzliche Kündigungsschutz weitgehend gegenstandslos geworden, wenn m a n befristete und auflösend bedingte Arbeitsverhältnisse uneingeschränkt zugelassen hätte. Die Rechtsprechung hielt an der Grundsatzentscheidung von 1960 sowohl inhaltlich als auch in der Begründung fest. Insbesondere wurde die Begründung mit der objektiven Gesetzesumgehung des Kündigungsschutzes mehrfach bestätigt. Aus diesem Grunde setzte die Befristungskontrolle stets eine zwingende Anwendbarkeit des KSchG voraus, eine bloß gewillkürte Anwendung genügte nicht 6 9 . (2) Die Rechtsprechung zu Befristungen in Arbeitsverträgen war zahlreich und sehr differenziert. Viele Entscheidungen betrafen die Frage, was sachlicher Grund sein konnte: Diese konnten sich aus dem Interesse des Arbeitnehmers, beiderseitigem Interesse oder Drittinteresse ergeben, vor allem aber aus Interessen des Arbeitgebers 7 0 . Ein sachlicher G r u n d w a r nach der Rechtsprechung des BAG zur Umgehung des Kündigungsschutzes nur für die Befristung als solche nötig, nicht für ihre Dauer 7 1 . Auch die Befristung einzelner Arbeitsbedingungen richtete sich nach den Regeln über die Gesetzesumgehung 7 2 . Das Bundesarbeits66 Z u weiteren gesetzlichen Regelungen s. Erfurter K o m m e n t a r - Miiller-Glöge § 2 3 TzBfG Rdnrn. 2ff. 67 So aber Bickel JuS 1987, 861 (862). 68 Nachweise zum M e i n u n g s s t a n d M ü n c h H d b . A r b R B d . 2 - Wank § 116 Rdnr. 10 (Fn.22); Bickel JuS 1987, 861 (864). Z u r Kritik Söllner SAE 1966, 2 5 5 ; Preis, Neuer Wein in alten Schläuchen, S . 4 3 0 f f . m . w . N . (insb. F n . 7 2 ) ; ausführlich Staudinger-Preis § 6 2 0 R d n r n . 35ff., der für eine differenzierte H a n d h a b u n g plädiert. 69 LAG Köln 1 0 . 3 . 1 9 9 5 - 1 3 Sa 842/94, N Z A - R R 1 9 9 6 , 2 0 2 . Das TzBfG hat demgegenüber keine einschränkenden Anwendungsvoraussetzungen wie in §§ 1 Abs. 1, 2 3 KSchG. In der Gesetzesbegründung findet sich zwar der Hinweis, in Betrieben mit nicht mehr als fünf Arbeitnehmern k ö n n t e n erleichterte Befristungen weiterhin geschlossen werden, weil eine U m g e h u n g des Kündigungsschutzes nicht möglich sei; BT-Drucks. 14/4374, S. 18. Es ist aber fraglich, ob sich diese Einschränkung durchsetzen wird, da sie im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden hat; so auch Dörner Z T R 2 0 0 1 , 4 8 5 (486); dagegen auch M ü n c h H d b . A r b R Ergänzungsband - Wank § 1 1 6 Rdnr. 12. 70 Z u den a n e r k a n n t e n sachlichen G r ü n d e n M ü n c h H d b . A r b R Bd.2 - Wank § 116 R d n r n . 63ff.; Scbaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 3 9 R d n r n . 4 1 ff. 71 BAG 2 6 . 8 . 1 9 8 8 - 7 A Z R 101/88, N Z A 1989, 965 (Ls.); BAG 2 2 . 1 1 . 1 9 9 5 - 7 A Z R 2 5 2 / 95, N Z A 1996, 878 (879). Anders LAG H a m b u r g 4 . 9 . 2 0 0 0 - 5 Sa 19/00, A r b u R 2 0 0 1 , 111 (m. Anm. Engel) unter ausdrücklicher Berufung auf Umgehungsschutz und A r b G Karlsruhe 4 . 1 0 . 2 0 0 0 - 9 Ca 152/00, N Z A 2 0 0 1 , 5 7 5 . 72 BAG 1 3 . 6 . 1986 - 7 A Z R 650/84, N Z A 1987, 2 4 1 (S.243); BAG 2 4 . 1 . 2 0 0 1 - 7 A Z R 2 0 8 / 9 9 , EzA § 6 2 0 BGB Nr. 173; anderes gilt bei einer vergleichsweise unerheblichen Provi-

200

§11

Gesetzesumgebung

jenseits der Grenzen der

Analogie

g e r i c h t b e g r ü n d e t e das m i t der m ö g l i c h e n U m g e h u n g der R e g e l n ü b e r d e n Ä n d e rungskündigungsschutz73.

E i n R a h m e n v e r t r a g f ü r j e w e i l s a u f einen T a g ge-

schlossene Einzelarbeitsverträge umgeht den Kündigungsschutz nicht, möglic h e r w e i s e a b e r die e i n z e l n e n A r b e i t s v e r t r ä g e 7 4 . F ü r d e n a u f l ö s e n d b e d i n g t e n A r b e i t s v e r t r a g w u r d e die R e c h t s p r e c h u n g z u m b e f r i s t e t e n A r b e i t s v e r t r a g in einer E n t s c h e i d u n g v o n 1 9 7 4 ü b e r n o m m e n 7 5 . H i n t e r g r u n d w a r eine K l a u s e l , n a c h der das A r b e i t s v e r h ä l t n i s e n d e n s o l l t e , w e n n ein t ü r k i s c h e r A r b e i t n e h m e r n i c h t r e c h t z e i t i g a u s d e m U r l a u b in der T ü r k e i z u r ü c k k e h r t e . N a c h der E n t s c h e i d u n g ist a u c h für eine a u f l ö s e n d e B e d i n g u n g ein sachlic h e r G r u n d e r f o r d e r l i c h . In der bereits e r w ä h n t e n L i z e n z f u ß b a l l s p i e l e r - E n t s c h e i d u n g v o n 1 9 8 1 h a t t e das B A G d a g e g e n e r w o g e n , a u f l ö s e n d e

Bedingungen

g r u n d s ä t z l i c h für u n w i r k s a m zu e r k l ä r e n , s o f e r n sie n i c h t allein den I n t e r e s s e n des A r b e i t n e h m e r s d i e n t e n 7 6 . S p ä t e r r ü c k t e das G e r i c h t v o n dieser A u f f a s s u n g w i e d e r a b , stellte a n d e n s a c h l i c h e n G r u n d a b e r sehr h o h e A n f o r d e r u n g e n 7 7 , auß e r d e m w a r eine A u s l a u f f r i s t zu b e a c h t e n 7 8 . D i e B e g r ü n d u n g w a r a u c h hier ausd r ü c k l i c h die U m g e h u n g z w i n g e n d e r K ü n d i g u n g s v o r s c h r i f t e n 7 9 . sionszusage, BAG 2 1 . 4 . 1 9 9 3 - 7 AZR 297/92, NZA 1 9 9 4 , 4 7 6 . Nach BAG 4 . 6 . 2 0 0 3 - 7 AZR 406/02, BB 2 0 0 3 , 1 6 8 3 (1684) findet jedenfalls die Klagefrist von § 17 TzBfG auf solche Verträge keine Anwendung. 7 3 Insbesondere für den Fall, daß die Befristung auf einer einverständlichen Regelung beruht, wird daran in der Literatur Kritik geübt; vgl. Bickel JuS 1987, 861. 7 4 BAG 16.4. 2003 - 7 AZR 187/92, DB 2 0 0 3 , 2391. 7 5 BAG 19.12. 1974 - 2 AZR 565/73, BAGE 26, 417 (420ff.) = ArbuR 1975, 220; zustimmend auch zur Begründung Wollenschläger ArbuR 1 9 7 5 , 2 2 2 ; zu derartigen „Rückkehrerklauseln" auch BAG 13.12. 1984 - 2 AZR 294/83, NJW 1985, 1918 = NZA 1985, 324; LAG Düsseldorf 2 4 . 6 . 1974 - 15 Sa 44/74, DB 1974, 2111. Im Jahre 1999 hat das BAG bestätigt, daß auflösende Bedingungen nach den Grundsätzen der Befristungskontrolle, nicht der sozialen Rechtfertigung der Kündigung zu beurteilen seien: BAG 2 5 . 8 . 1 9 9 9 - 7 AZR 75/98, DB 2000, 1470. Die praktische Bedeutung der Rechtsprechung folgt daraus, daß das BAG auch Altersgrenzen als auflösende Bedingungen ansieht und nach der Grundsätzen der Gesetzesumgehung beurteilt; dazu Preis, Neuer Wein in alten Schläuchen, S.430ff. m.w.N. - Die Nähe von Befristung und auflösender Bedingung kommt in einem Fall des LAG Hamm zum Ausdruck, dessen Gegenstand ein befristeter Arbeitsvertrag zur Krankheitsvertretung war, der zusätzlich eine auflösende Bedingung enthielt, LAG Hamm 10.7. 1997 - 17 Sa 280/97, ZTR 1997, 474. 7 6 BAG 9.7. 1981 - 2 AZR 788/78, DB 1982, 121 = AP Nr.4 zu § 6 2 0 BGB m. Anm. Herschel. 7 7 Einschränkend BAG 2 0 . 1 0 . 1 9 9 9 - 7 AZR 658/98, NZA 2000, 717 und die Vorinstanz LAG Köln 2 2 . 6 . 1998 - 3 Sa 184/98, NZA-RR 1999, 512; dazu van der Waldenburg NZA 1999, 1033. Nach diesen Entscheidungen sind die Gründe für die auflösende Bedingung denen für die Befristung gleichzustellen. Im konkreten Fall soll ein sachlicher Grund für die Bedingung darin liegen, wenn die Rolle einer Schauspielerin in einer TV-Serie infolge fehlender Zuschauerakzeptanz gestrichen wird. Das TzBfG differenziert allerdings nicht zwischen Befristung und auflösender Bedingung, vgl. § 2 1 TzBfG. 7 8 MünchHdb.ArbR Bd. 2 - Wank § 1 1 6 Rdnr.165. Zur Auslauffrist BAG 2 6 . 3 . 1986 - 7 AZR 599/84, NZA 1987, 238; in der Entscheidung geht es um eine der auflösenden Bedingung vergleichbare Zweckbefristung (zum Begriff Erfurter Kommentar - Müller-Glöge § 3 TzBfG Rdnr.5). 7 9 BAG 5 . 1 2 . 1 9 8 5 - 2 AZR 61/85, AP Nr. 10 zu § 620 BGB Bedingung; BAG 4 . 1 2 . 2 0 0 2 - 7

IV. Sonderfall

cc) Weitere Umgehungen des

Arbeitsrecht?

201

Kündigungsschutzes

Umgehungen des gesetzlichen Kündigungsschutzes sind nach der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte auch dann unwirksam, wenn sie durch andere vertragliche Gestaltungen als Befristungen oder auflösende Bedingungen erfolgen 80 . So kann nach einer Entscheidung des BAG ein Widerrufsvorbehalt wie eine auflösende Bedingung unwirksam sein 81 . Umgehung des Kündigungsschutzes ist auch angenommen worden, wenn im Arbeitsvertrag ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers zum Umfang der Arbeitszeit bei arbeitszeitabhängiger Vergütung vorgesehen war 8 2 . Schließlich ist Umgehung des Kündigungsschutzes auch durch tatsächliche Maßnahmen möglich; so im Falle eines Unternehmers, der langfristig die Stillegung seines Betriebes plant und umsetzt und gleichzeitig ein neues Unternehmen im selben Geschäfts- und Marktbereich und mit denselben Zulieferern und Kunden aufbaut, um sich auf diese Weise von langfristig beschäftigten oder unbeliebten Arbeitnehmern zu trennen 83 . Nach einer Entscheidung des BAG kann der Änderungskündigungsschutz eines angestellten Abonnentenwerbers dadurch umgangen werden, daß Kundenadreßmaterial nicht zuerst an ihn, sondern an ein Call-Center übergeben wird, wenn seine Verdienstminderung dadurch größer als ca. 30% ist 84 . Nach herrschender Meinung zulässig sind dagegen arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, sie werden nicht als Umgehung des Kündigungsschutzes angesehen 85 . Das gilt allerdings nicht, wenn der Aufhebungsvertrag eine Auslauffrist enthält, die die Kündigungsfrist um ein Vielfaches übersteigt und es auch an sonstigen Kennzeichen eines Aufhebungsvertrages fehlt 86 . Restriktiver ist die Rechtsprechung bei Befristungen, die die Kündigung zu Lasten des Arbeitnehmers erA Z R 4 9 2 / 0 1 , DB 2 0 0 3 , 2 0 1 6 zu einem sowohl befristeten als auch bedingten Arbeitsvertrag mit einem Fußballtrainer. 80 Z u m Verzicht auf Kündigungsschutz als allgemeines Problem der Gesetzesumgehung: Neuhausen, Der im voraus erklärte Verzicht eines Arbeitnehmers auf Kündigungsschutz, S. 15 ff. 81 BAG 7 . 1 0 . 1982 - 2 A Z R 4 5 5 / 8 0 , N J W 1983, 2 2 8 5 (Ls.). 82 BAG 1 2 . 1 2 . 1 9 8 4 - 7 A Z R 509/83, BAGE 4 7 , 314: N a c h der Entscheidung ist diese Regelung als objektive U m g e h u n g des Kündigungsschutzrechts „ g e m ä ß § 134 BGB nichtig" (S. 319). Ebenso LAG Schleswig-Holstein 1 . 1 2 . 1 9 8 3 - 2 Sa 2 4 4 / 8 3 , N Z A 1984, 3 2 8 u n d LAG Brandenburg 2 4 . 1 0 . 1 9 9 6 - 3 Sa 3 9 3 / 9 6 , N Z A - R R 1 9 9 7 , 127. 83 A r b G Berlin 17.2. 2 0 0 0 - 4 Ca 3 2 4 7 1 / 9 9 , A r b u R 2 0 0 1 , 72. 84 BAG 7 . 8 . 2 0 0 3 - 10 A Z R 2 8 2 / 0 1 , EWiR § 6 1 1 BGB 1/03, 2 0 3 (Diller). 85 N a c h BAG 7 . 3 . 2 0 0 2 - 2 A Z R 93/01, BB 2 0 0 2 , 2 0 7 0 = EzA § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr. 4 0 gilt das auch d a n n , wenn w ä h r e n d der Probezeit ein Aufhebungsvertrag mit einer Auslauffrist vereinbart wird, die länger als die Probezeit, aber kürzer als die Kündigungsfrist ist, um dem Arbeitnehmer eine zweite Chance zu geben. Ausführlich zur Gesetzesumgehung d u r c h Aufhebungsverträge Schacht, Der Übereilungsschutz beim arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag, S. 1 0 2 f f . 86

BAG 1 2 . 1 . 2 0 0 0 - 7 A Z R 4 8 / 9 9 , BB 2 0 0 0 , 2 5 7 = DB 2 0 0 0 , 1183 = N J W 2 0 0 0 , 2 0 4 2 .

202

§11

Gesetzesumgehung

jenseits der Grenzen

der

Analogie

schweren. Nach einer Entscheidung des BAG aus dem Jahr 1991 verstößt ein Arbeitsvertrag, der nur alle fünf Jahre den „Ausstieg" ermöglicht, nicht gegen Sinn und Zweck von § 6 2 4 BGB, stellt also keine Umgehung dar 8 7 . Einige Entscheidungen betreffen die Umgehung der sozialen Auswahl als Teilaspekte des Kündigungsschutzes. So können Arbeitgeber nach zwei Entscheidungen aus dem Jahre 1 9 9 4 die Sozialauswahl nicht dadurch umgehen, daß sie zuerst verbleibende Arbeitsplätze ohne Beachtung sozialer Gesichtspunkte besetzen und erst danach den nicht übernommenen Arbeitnehmern kündigen 88 . Nach einer untergerichtlichen Entscheidung können die Regeln über die soziale Auswahl auch umgangen werden, wenn der Arbeitgeber gegen untertarifliche Absenkung der Monatsvergütung auf betriebsbedingte Kündigungen verzich-

b) Umgehung anderer

Normen

Neben der Umgehung des Kündigungsschutzes hat seit den 1980er Jahren die Umgehung von § 6 1 3 a BGB praktische Bedeutung erlangt 90 . 19 8 7 erging eine Entscheidung des BAG zum sog. „Lemgoer Modell" 9 1 : Beim Betriebsübergang werden die Arbeitnehmer veranlaßt, selbst zu kündigen oder Aufhebungsverträgen zuzustimmen, um mit dem Erwerber neue Arbeitsverträge abzuschließen. Nach dem BAG sind die Kündigungen und Aufhebungsverträge „nach § 1 3 4 B G B " unwirksam; § 6 1 3 a Abs. 1 B G B findet Anwendung. Diese Rechtsprechung ist in der Folgezeit mehrfach bestätigt worden 92 . Eine Gesetzesumgehung soll insbesondere vorliegen, wenn nur Beseitigung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bei Erhalt der Arbeitsplätze bezweckt ist. Das sei dann der Fall,

BAG 1 9 . 1 2 . 1 9 9 1 - 2 AZR 363/91, NZA 1992, 543 (544f.). BAG 1 0 . 1 1 . 1994 - 2 AZR 242/94, AP Nr. 65 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG 1 5 . 1 2 . 1994 - 2 AZR 320/94, AP Nr. 66 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 89 ArbG Marburg 1 1 . 1 2 . 1 9 9 8 - 2 Ca 335/98, ArbuR 1 9 9 9 , 4 9 3 mit fehlerhaftem Leitsatz. 9 0 Dazu ausführlich Kracht, Das Kündigungsverbot gemäß § 6 1 3 a BGB, S. 129ff. Bei der Darstellung fehlt allerdings eine genaue Differenzierung zwischen Gesetzesumgehung und Scheingeschäft. Zur Umgehung von § 6 1 3 a BGB auch Sieker, S. 92f. 91 BAG 2 8 . 4 . 1987 - 3 AZR 1988/120, ZIP 1988, 120 (122) = NZA 1988, 198; dazu Kracht, Das Kündigungsverbot gemäß § 6 1 3 a BGB, S. 154ff. 92 BAG 2 9 . 1 1 . 1988 - 3 AZR 250/87, BB 1989, 558 (559); BAG 1 1 . 7 . 1995 - 3 AZR 154/ 95, AP Nr. 56 zu § 1 T V G Tarifverträge m.w.N.; LAG Düsseldorf 1 3 . 1 2 . 1985 - 9 Sa 781/85, NZA 1986, 3 9 9 . Bemerkenswert ist der Sachverhalt von LAG Thüringen 2 0 . 6 . 1994 - 8/3 Sa 1826/93, NZA 1996, 110 = AuA 1995, 320. Der Veräußerer hatte Aufhebungsverträge mit einer Abfindungsvereinbarung geschlossen. Die Zahlung der Abfindungen verweigerte er jedoch mit dem Argument, es liege eine Gesetzesumgehung vor. Das LAG Thüringen hielt das für rechtsmißbräuchlich. S. auch LAG Hamburg 2 2 . 1 0 . 1 9 7 9 - 4 Sa 103/79, IPRax 1981, 175: Im Entscheidungsfall waren Veräußerer und Erwerber allerdings nicht an § 6 1 3 a BGB gebunden, weil es um die Veräußerung eines Schiffes an eine ausländische Reederei ging. 87 88

IV. Sonderfall

Arbeitsrecht?

203

wenn ein neues Arbeitsverhältnis vereinbart oder zumindest verbindlich in Aussicht gestellt ist 9 3 . Der Umgehungsschutz greift auch ein, wenn anläßlich eines Betriebsübergangs Erlaßverträge hinsichtlich erdienter Versorgungsanwartschaften abgeschlossen werden und die neuen Arbeitsverträge keine betriebliche Altersversorgung vorsehen 9 4 . Schließlich ist eine Umgehung des § 6 1 3 a B G B auch durch eine Befristung möglich, wenn kein sachlicher Grund vorliegt und das KSchG wegen der geringen Zahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer nicht eingreift 9 5 . Gesetzesumgehungen im Arbeitsrecht können sich ferner auf die Regeln über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall beziehen. Für „objektiv funktionswidrig" hielt das BAG in einer bereits erwähnten Entscheidung eine „Ergehung" der Ausnahmeregelung in § 1 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 L F Z G (jetzt § 3 Abs. 3 E F Z G ) durch grundlos kurzfristige Arbeitsverträge 9 6 . Deswegen sei der Arbeitsvertrag aber nicht nichtig, sondern die umgangene N o r m sei anzuwenden, es bestehe also ein Anspruch auf Lohnfortzahlung. Unter dem Gesichtspunkt der Umgehung der Entgeltfortzahlung wird auch die umstrittene Frage diskutiert, ob sog. Anwesenheitsprämien zulässig sind 9 7 . Die Gesetzesumgehung im Arbeitsrecht ist nicht auf das Individualarbeitsrecht beschränkt. In einer Entscheidung des BAG wurde Umgehung von § § 1 1 1 , 1 1 2 BetrVG geprüft 9 8 . Es ging um eine sog. „Heimkehrerklausel", die eine Abfindung für ausländische Arbeitnehmer bei endgültiger Rückkehr in ihre Heimat vorsah. Nach der Entscheidung kann diese Klausel wegen Gesetzesumgehung unwirksam sein, wenn der Aufhebungsvertrag in Ausführung einer Betriebsvereinbarung geschlossen wird, die Personalabbau zum Ziel hat und der daher ein Sozialplanersatzcharakter zukommt. Eine Umgehung von Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes kommt auch bei befristeten Arbeitsverträgen in Betracht, da gleichermaßen das Beteiligungsrecht des Betriebsrats bei Kündigungen gemäß § 1 0 2 BetrVG umgangen wird 9 9 . Zuletzt ist eine Umgehung der Rechte des Betriebsrats möglich, wenn der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht nach § 8 7 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG durch - angebli9 3 BAG 1 0 . 1 2 . 1 9 9 8 - 8 AZR 324/97, DB 1999, 537; ebenso BAG 2 1 . 1 . 1999 - 8 AZR 218/ 98, ZIP 1999, 1572 (Dörries Scharmann II - Entscheidung). Arbeitgeberseitige Kündigungen sind bereits nach § 6 1 3 a Abs.4 BGB unwirksam; dazu Willemsen ZIP 1983, 4 1 1 (413), nach dem § 6 1 3 a Abs.4 BGB eine spezialgesetzliche Ausprägung eines allgemeinen Umgehungsverbots enthält. 9 4 BAG 1 2 . 5 . 1992 - 3 AZR 247/91, NZA 1992, 1080. 9 5 BAG 2 . 1 2 . 1998 - 7 AZR 579/97, ZIP 1999, 1321. Das TzBfG sieht keine derartige Einschränkung vor. 9 6 BAG 1 1 . 1 2 . 1985 - 5 AZR 135/85, BAGE 50, 2 9 2 . 9 7 BAG 1 9 . 5 . 1 9 8 2 - 5 AZR 466/80, BAGE 39, 67 sieht eine Umgehung durch LFZG durch Anwesenheitsprämien. Anders BAG 1 5 . 2 . 1990 - 6 AZR 381/88, AP Nr. 15 zu § 6 1 1 BGB Anwesenheitsprämie: kein Verstoß gegen Schutzzweck des LFZG. 9 8 BAG 7 . 5 . 1987 - 2 AZR 271/86, N J W 1988, 159. 9 9 Dazu kritisch Scbwerdtner ZIP 1983, 4 0 6 (408f.) m.w.N.

204

§11

Gesetzesumgehung

jenseits der Grenzen

der

Analogie

che - Einzelvereinbarungen statt der Aufstellung allgemeiner Entlohnungsgrundsätze zu unterlaufen versucht 100 . Eine Besonderheit des Arbeitsrechts bilden schließlich Tarifverträge, die eine Stellung zwischen Vertrag und Rechtsgeschäft haben. Daher können einerseits tarifliche Normen - z.B. Unkündbarkeitsregeln - umgangen werden 101 . Auf der anderen Seite kann aber in tarifvertragliche Regelungen auch die Umgehung eines Gesetzes enthalten sein. Bereits erwähnt wurden Fälle, in denen Rückzahlungsansprüche in Tarifverträgen eine Umgehung des Aufrechnungsverbots in §394 BGB enthielten 102 . Nach einer Entscheidung des LAG Düsseldorf soll durch tarifvertragliche Erweiterung des Direktionsrechts eine Umgehung von § 2 KSchG in Verbindung mit § 1 Abs. 2, 3 KSchG möglich sein 103 .

2. Besonderheiten des Arbeitsrechts Die Vorliebe der Arbeitsrechtsprechung für das Institut der Gesetzesumgehung wird in der Literatur nicht immer zu Unrecht kritisiert, da die Rechtsprechung tatsächlich mitunter kuriose Züge annimmt. Bereits erwähnt wurde eine Entscheidung des BAG zu dem umstrittenen Problem der Rückzahlung von Weihnachtsgratifikation, nach der die Pflicht zur Rückzahlung wegen Gesetzesumgehung unwirksam sein soll, obwohl ein umgangenes Gesetz nicht erwähnt wurde und auch nicht ersichtlich ist 104 . Auch Gestaltungen wie einseitige Verlängerungsoptionen im Arbeitsvertrag des Berufsfußballspielers werden von Untergerichten unter dem Gesichtspunkt der Gesetzesumgehung beurteilt 105 . Auf der anderen Seite stehen zahlreiche praktisch wichtige Fälle, in denen die Rechtsprechung mit dem Umgehungsargument zu Lösungen kommt, die zwar oft methodisch, im Ergebnis aber selten kritisiert werden. Diese praktische Bedeutung begründet bereits eine Sonderstellung des Arbeitsrechts: Ist im allgemeinen Zivilrecht die Bedeutung der Gesetzesumgehung auf Sonderfälle beschränkt, so verlören im Arbeitsrecht grundlegende Regelungen weitgehend an Bedeutung, wenn ihre Umgehung toleriert würde. Das gilt vor allem für die Umgehung des Kündigungsschutzes: Obwohl befristete Arbeitsverträge nunmehr im TzBfG

100

Vgl. BAG 1 8 . 1 0 . 1994 - 1 ABR 17/94, AP Nr. 70 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung. Dazu bereits oben § 71.2.c) und BAG 1 6 . 1 0 . 1 9 8 7 - 7 A Z R 2 0 4 / 8 7 , BAGE 5 7 , 1 zur Umgehung der Unkündbarkeitsregel § 5 3 Abs. 3 BAT sowie BAG 2 1 . 4 . 1993 - 7 A Z R 376/92, N Z A 1994, 2 5 8 zur U m g e h u n g der Protokollnotiz N r . 2 zu Nr. 1 SR 2 y BAT (str.). Berkowsky DB 1999, 1606 erörtert Ä n d e r u n g s k ü n d i g u n g e n zur T a r i f u m g e h u n g . 102 BAG 2 5 . 2 . 1965 - 5 A Z R 59/64, AP N r . 5 zu § 13 BUrlG u n d LAG F r a n k f u r t / M . 2 1 . 1 . 1 9 9 2 - 7 Sa 933/91, N Z A 1992, 8 4 0 mit unterschiedlichem Ergebnis; dazu oben § 9 I.2.b). 103 LAG Düsseldorf 1 7 . 3 . 1995 - 17 Sa 1981/94, DB 1995, 2 2 2 4 . Das Gericht weicht in seiner Entscheidung ausdrücklich vom BAG ab. 104 BAG 1 0 . 5 . 1 9 6 2 - 5 A Z R 4 5 2 / 6 1 , BAGE 13, 129; dazu schon oben § 9 1., vor 1. 105 Dazu Kindler N Z A 2 0 0 0 , 7 4 4 (748) m . w . N . 101

IV. Sonderfall

Arbeitsrecht?

205

geregelt sind, verbleiben zahlreiche andere Konstruktionsmöglichkeiten, um diese zentralen Regelungen ganz oder in Teilbereichen auszuschalten. Eine Parallele besteht in dieser Hinsicht zwischen Arbeitsrecht und Verbraucherschutzrecht. Auch das frühere Abzahlungsgesetz und heute vor allem die Regeln über den Widerruf von Haustürgeschäften und den Verbrauchsgüterkauf sind besonders umgehungsanfällig und würden an Bedeutung verlieren, wenn die Umgehung uneingeschränkt möglich wäre. Die gesetzlichen Umgehungsverbote im Verbraucherschutzrecht sind daher entgegen der herrschenden Auffassung in der Literatur keineswegs deklaratorisch oder überflüssig. Zwischen Arbeitsrecht und Verbraucherschutz bestehen Parallelen, die zum Teil strukturell bedingt, zum Teil inhaltlich sind 1 0 6 . Strukturell ist beiden Gebieten gemein, daß sie in Normen mit beschränktem und speziellem Geltungsbereich geregelt sind. Werden die Regeln über ihre Anwendung umgangen (Beispiel: Kündigungsschutz) oder Ausnahmeregeln ergangen (Beispiel: § 3 Abs. 3 E F Z G ) ist eine Regelungslücke für einen Analogieschluß nur schwer zu begründen. Darüber hinaus ist eine Gleichstellung oft nicht möglich oder führt nicht zu interessengerechten Ergebnissen, da die Regelungen auf ihren besonderen Anwendungsbereich zugeschnitten sind. Das Recht des Arbeitgebers zur einseitigen Bestimmung der Arbeitszeit bei arbeitszeitabhängiger Vergütung kann nicht mit einer Kündigung gleichgestellt werden; die Regelungen des § 6 1 3 a Abs. 1 B G B können im Fall von arbeitnehmerseitigen Kündigungen, Aufhebungs- oder Erlaßverträgen nur angewandt werden, wenn diese nichtig sind. Die Rechtsprechung kommt in diesen Fällen zu Rechtsfolgen und Differenzierungen, die sich nicht unmittelbar aus dem umgangenen Gesetz ableiten lassen. Inhaltlich stehen die Schutzrichtung des Arbeitsrechts und die besondere Situation des geschützten Arbeitnehmers im Vordergrund. Gesetzesumgehungen im Arbeitsrecht erfolgen in aller Regel durch Bestimmungen im Arbeitsvertrag oder andere einverständliche Regelungen. Im Gegensatz zum klassischen Fall der Gesetzesumgehung, in dem es ein „Opfer" gibt - beispielsweise den Vorkaufsberechtigten - , ist im Arbeitsrecht das „Opfer" an der Umgehung beteiligt 1 0 7 . Arbeitnehmer „veräußern" also gewissermaßen ihren eigenen Schutz - aus wirtschaftlicher Unerfahrenheit oder weil ihnen kein anderer Arbeitsvertrag angeboten wird. Eine ähnliche Situation liegt auch im Verbraucherschutz vor. Darin liegt der Grund für den rein objektiven Umgehungsbegriff der Arbeitsrechtsprechung. Es darf keinen Unterschied machen, ob der Arbeitnehmer bei befristeten Arbeitsverträgen bewußt die Umgehung des Kündigungsschutzes in Kauf genommen hat oder nicht. Ebensowenig darf auf die subjektive Seite beim S. schon oben § 5 II.2.d). Das gilt nur in Ausnahmefällen nicht: In BGH 2 5 . 6 . 2 0 0 2 - X Z R 83/00, EWiR § 1 AÜG 1/02, 887 (Zeppenfeld/Beyerlein) hatte sich der BGH mit einem Fall zu beschäftigen, in dem durch Abschluß eines sog. „Werkrahmenvertrags" anstelle eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags das AÜG umgangen wurde. Dazu bereits oben § 4 II.2. 106

107

206

§11

Gesetzesumgehung

jenseits der Grenzen der Analogie

Arbeitgeber abgestellt werden: Es würde zu nicht gerechtfertigten Unterschieden führen, w e n n danach differenziert würde, ob der Arbeitgeber die Umgehung bezweckte oder - wie in vielen Fällen der auflösenden Bedingung - den Arbeitnehmer nur „disziplinieren" wollte. Keine Sonderstellung folgt demgegenüber aus dem kollektiven Arbeitsrecht. Z w a r sind Umgehungsversuche hier relativ häufig, so beispielsweise die Umgehung der Einschränkungen für die Betriebspartner durch § 7 7 Abs. 3 BetrVG. In der Rechtsprechungspraxis zum kollektiven Arbeitsrecht spielt die Gesetzesumgehung jedoch als Rechtsinstitut und Argumentationsfigur eine eher geringe Rolle. Im übrigen ist der Umgehungsbegriff der gleiche wie im Individualarbeitsrecht. Unterschiede ergeben sich nur daraus, daß zusätzlich die Arbeitnehmervertretung beteiligt ist, so d a ß das „ O p f e r " der Umgehung öfter ein Dritter ist. Wenn Regeln eines Tarifvertrages beispielsweise § 394 BGB umgehen, ist das „ O p f e r " der betroffene Arbeitnehmer. Die Besonderheiten des Arbeitsrechts lassen sich also wie folgt zusammenfassen: Erstens gelten in diesem Rechtsgebiet Spezialgesetze mit eingeschränktem Anwendungsbereich. Zweitens schützt das Arbeitsrecht den Benachteiligten, obwohl er an der Gesetzesumgehung beteiligt ist. Diese Besonderheiten lassen sich auf andere Rechtsgebiete übertragen. Insbesondere der Erlaß von Spezialregelungen nimmt mit der Verlagerung von Gesetzgebungskompetenzen auf die EU zu, da sich EG-Richtlinien oft nicht übergangslos in die vorhandenen Kodifikationen einfügen lassen. Gleichzeitig ergehen in diesem Bereich oft Schutzgesetze. Je enger der Geltungsbereich von Rechtsnormen ist, um so größer ist auch ihre Anfälligkeit für Umgehungen und um so größere Schwierigkeiten macht die Lösung der Umgehungsfälle.

§12 Gesetzesumgehung im Sachrecht: Theorie und Praxis Die Rechtswissenschaft hat im Umgang mit der Gesetzesumgehung zahlreiche verschiedene Ansätze entwickelt. Umgehungsfälle wurden einem eigenen Rechtsinstitut unterstellt; sie wurden als Unterfall der Simulation oder der Sittenwidrigkeit, als Problem der Gesetzesauslegung oder der Analogie behandelt. Die Rechtsprechung löst Umgehungsfälle ebenfalls auf unterschiedliche Weise: Sie wendet die Generalklauseln §§ 134, 138 Abs. 1 und gelegentlich § 2 4 2 BGB an, sie entwickelt den Begriff der „objektiven Gesetzesumgehung" oder bildet Analogien; mal mit, mal ohne Berücksichtigung der subjektiven Seite. Aus dem Blickwinkel des praktischen Falles können weder die theoretischen Lösungen der Literatur noch die kasuistischen Entscheidungen der Rechtsprechung befriedigen. Auch wenn heute weitgehend Einigkeit über ihre Dogmatik besteht, ist die Lösung von Umgehungsfällen nicht vorhersehbar; die Rechtsunsicherheit erheblich. Gemeinsam ist allen vielgestaltigen Umgehungsfällen, d a ß sie die Rechtsanwendung vor eine Aufgabe stellen, die eine Wertung erfordert. Für diese umgehungsspezifische Wertung fehlt es an einheitlichen Kriterien. Im folgenden werden die Ergebnisse der Untersuchung über die Gesetzesumgehung im Sachrecht zusammengefaßt. Ausgangspunkt sind die (Streit-) Fragen, von denen sich einige bereits seit Jahrhunderten um das Problem der Gesetzesumgehung ranken: I. Was ist Gesetzesumgehung, wie definiert m a n sie? II. Gibt es ein eigenes Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung? III. Lassen sich Umgehungsfälle einem bestehenden Rechtsinstitut zuordnen (vor allem §§ 138, 134 BGB oder der Simulation)? IV. Bilden Umgehungsfälle einen Unterfall der Auslegung? V. Bilden sie einen Unterfall der Analogie? VI. Ist in Umgehungsfällen ein Überschreiten der Grenzen der Analogie möglich und notwendig? VII. Welche Rolle spielen gesetzliche Umgehungsverbote? VIII. Ist Umgehungsabsicht oder sind sonstige subjektive Voraussetzungen notwendig? IX. Welche Besonderheiten und Kriterien bestehen für die umgehungsspezifische Wertung? X. Welche Rechtsfolge soll Gesetzesumgehung haben?

208

§12

Gesetzesumgehung

im Sachrecht:

I. Definition der

Theorie und Praxis

Gesetzesumgehung

Die Frage, was unter einer Umgehung von Gesetzen zu verstehen ist, wird weitgehend einheitlich beantwortet. Nach einer verbreiteten Definition liegt eine Gesetzesumgehung vor, wenn der Wortlaut einer Norm nicht eingreift, aber gegen ihren Sinn verstoßen wird 1 . Lehnt man das Vorliegen einer Umgehung ab, soweit eine Auslegung der betroffenen Norm möglich ist, muß diese Definition präzisiert werden: Eine Gesetzesumgehung liegt vor, wenn der Geltungsbereich einer Norm nicht eingreift, aber gegen ihr Ziel verstoßen wird 2 . Jedoch hilft eine Definition der Umgehung im Einzelfall nicht weiter. Für den praktischen Fall ist von Interesse, ob Gesetzesumgehung zu einem anderen Ergebnis führt als ihr Gegenstück, die bloße Gesetzesvermeidung. Nicht jedes Rechtsgeschäft oder Verhalten, das nach dieser Definition eine Gesetzesumgehung darstellt, hat auch besondere Rechtsfolgen. So erfaßt die Definition auch durchaus wirksame Geschäfte wie die Gründung einer GmbH & Co. KG, um die Haftung nach dem Personengesellschaftsrecht zu „umgehen", oder den Abschluß eines Aufhebungsvertrags zur „Umgehung" des Kündigungsschutzes. Die Lösung von Umgehungsfällen richtet sich also nicht nach der Definition, sondern ganz vorrangig nach Wertungsfragen: der umgehungsspezifischen Wertung. Zwar erfordert bereits die Definition des Ziels des umgangenen Gesetzes eine wertende Feststellung3. Maßgeblich für die Fallösung ist aber, ob die sog. Eingriffsschwelle überschritten ist. Dafür ist eine Abwägung im Einzelfall erforderlich; eine abstrakte Definition nicht möglich. Die Definition der Gesetzesumgehung umschreibt also nur das Rechtsproblem. Eine konkrete Fallösung ergibt sich daraus nicht.

II. Rechtsinstitut der

Gesetzesumgehung

Bis heute aktuell ist der Streit, ob es ein eigenes, selbständiges Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung gibt. Das Meinungsspektrum ist weit: Während die einen vom Bestehen eines solchen Instituts ausgehen, wird auf der anderen Seite selbst der Begriff der Gesetzesumgehung für überflüssig gehalten. Aus dem Blickwinkel des praktischen Falles sind beide Extrempositionen abzulehnen. Ein eigenes, gewohnheitsrechtlich oder ähnlich begründetes Institut der Gesetzesumgehung setzte voraus, daß sich ein bestimmter Tatbestand formulieren ließe, bei dessen Vorliegen stets bestimmte Rechtsfolgen eintreten. Praktisch ist die Formulierung eines solchen Tatbestands jedoch nicht möglich. Wie ausgeführt, Kritisch dazu Teichmann, S. 62 f. Dazu oben § 7 1.1.a). Zum Verhältnis von Gesetzesumgehung und Auslegung zusammenfassend unten § 12 IV. 3 Dazu oben § 8 II.l. 1

2

III. Gesetzesumgehung

und bestehende

Rechtsinstitute

209

kann zwar der Begriff der Gesetzesumgehung definiert werden. Angesichts der Vielgestalt der Fälle und Lösungen ist jedoch keine eindeutige Formulierung denkbar, die alle Umgehungsfälle einer einheitlichen Lösung zuführt. Schließlich ist ein Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung auch nicht erforderlich. Wie sich gezeigt hat, liegt in den weitaus meisten Umgehungsfällen die sachgerechte Lösung in der Anwendung der umgangenen Norm. Daher ergibt sich die richtige Fallösung zumeist aus einem Analogieschluß. Die analoge Anwendung der umgangenen Norm läßt sich in der Regel auch methodisch begründen: Die Voraussetzungen des Analogieschlusses „Regelungslücke" und „ähnliche N o r m " finden Parallelen in den Merkmalen der Gesetzesumgehung: „umgangene N o r m " und „Wertung". Ist ein Analogieschluß nicht möglich oder führt er nicht zu einem sachgerechten Ergebnis 4 , erfolgt die Fallösung in der Praxis durch Rechtsfortbildung, die auch zu einem anderen Ergebnis als der Anwendung des umgangenen Gesetzes führen kann. Solange dabei die engen methodischen Grenzen und Voraussetzungen solcher Rechtsergänzungen eingehalten werden, bestehen dagegen keine Bedenken. Problematisch ist, wenn mit dem Begriff oder dem Institut Gesetzesumgehung undifferenziert eine Ausdehnung von Normen begründet wird. Auch wenn er kein eigenes Rechtsinstitut beschreibt, ist der Begriff der Gesetzesumgehung nicht überflüssig. Obwohl die schon seit längerem herrschende Meinung ein Institut der Umgehung ablehnt, hat sich der Begriff in Literatur und Praxis bis heute erhalten. Vor allem aus der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung ist das Umgehungsargument kaum wegzudenken; in Verbraucherschutzregeln des B G B und anderen Gesetzen ist der Begriff Umgehung sogar gesetzlich normiert. Der Begriff Gesetzesumgehung umschreibt weniger ein Rechtsinstitut, sondern ein Rechtsproblem und einen bestimmten Denkansatz: nicht ein Ergebnis, sondern eine Aufgabe im Prozeß der Rechtsfindung 5 . Die Gemeinsamkeit aller Umgehungsfälle liegt in gleichartigen Fragen der Methodik und der Wertung.

III. Gesetzesumgebung

und bestehende

Rechtsinstitute

Die Antwort auf die dritte Frage ergibt sich bereits aus dem Vorhergehenden: Läßt sich die Gesetzesumgehung nicht als selbständiges Rechtsinstitut formulieren, kann sie auch kein Unterfall bestehender Rechtsinstitute sein. Trotzdem werden in der Praxis Verwandtschaftsbeziehungen der Gesetzesumgehung zum Bereich der Simulation, der Sittenwidrigkeit und zum Regelungsbereich von § 1 3 4 B G B deutlich.

4 5

Zu den Gründen dafür zusammenfassend unten § 12 V. Kegel/Schurig, IPR, S . 4 1 9 .

210

§12

Gesetzesumgehung

im Sachrecht:

Theorie

und

Praxis

Fast nur noch historische Bedeutung hat die Ansicht, nach der Gesetzesumgehung ein Anwendungsfall der Simulation ist. Seit sich der heutige, subjektiv geprägte Simulationsbegriff durchgesetzt hat, liegt der Unterschied auf der Hand: Während beim Scheingeschäft das Vereinbarte nicht ernstlich gewollt ist, kommt es beim Umgehungsgeschäft gerade darauf an, daß die erzielte Rechtsfolge eintritt. Auch Abgrenzungsprobleme im praktischen Fall lassen sich durch strikte Trennung beider Rechtsinstitute lösen 6 . In Urteilsbegründungen ist nicht selten von „sittenwidrigen Umgehungsgeschäften" die Rede. § 1 3 8 B G B kann aber nicht in allen Umgehungsfällen weiterhelfen, weil die Voraussetzungen von § 1 3 8 Abs. 1 B G B zu eng sind und die Rechtsfolge - Nichtigkeit - nicht in allen Fällen zu einem sachgerechten Ergebnis führt. Allerdings bestehen Berührungspunkte in doppelter Hinsicht: Zum einen unterfallen viele Umgehungsgeschäfte tatsächlich § 1 3 8 Abs. 1 BGB, weil sie gleichzeitig sittenwidrig sind. Zum anderen können bei der umgehungsspezifischen Wertung vergleichbare Kriterien eine Rolle spielen wie im Rahmen von § 1 3 8 Abs. 1 B G B . Eine Abgrenzung erfolgt nach dem jeweiligen Schwerpunkt. Die Verbindung zwischen Gesetzesumgehung und § 1 3 4 B G B ist ein Kind der Rechtsprechung: In zahlreichen Urteilen ist vom „nichtigen Umgehungsgeschäft nach § 1 3 4 B G B " die Rede. Da § 1 3 4 B G B nur den Verstoß gegen Verbotsgesetze erfaßt, ließe sich eine solche Konstruktion nur bilden, wenn es ein gesetzliches Verbot der Gesetzesumgehung gäbe. Allgemeine Regelungen dieser Art existieren jedoch nicht 7 . § 134 B G B kann in Umgehungsfällen also nur mittelbar angewandt werden, wenn das umgangene Gesetz ein Verbotsgesetz im Sinne dieser Norm ist. Wird das Verbotsgesetz - analog - angewandt, greift auch § 1 3 4 B G B ein.

IV. Gesetzesumgehung und Auslegung Die heute ganz herrschende Meinung sieht die Gesetzesumgehung als Unterfall der Gesetzesauslegung oder der Analogie an. Das Verhältnis zwischen beiden Methoden wird wenig diskutiert, jedoch lassen sich drei Meinungsgruppen ausmachen: Die wohl überwiegende Meinung betrachtet die Gesetzesumgehung als reines Analogieproblem 8 , einige als Fall der Analogie und Auslegung; manchmal ist auch von der Gesetzesumgehung als Auslegungsproblem die Rede. Im Rah-

Dazu oben § 4 II.3. Anders offenbar Sieker, S. 95ff. Beim Erlaß des BGB wurde die Einführung einer Umgehungsregelung ausdrücklich abgelehnt; dazu oben § 2 III.3. Die gesetzlichen Umgehungsverbote im Verbraucherschutz wurden zwar mit der Schuldrechtsreform in das BGB eingefügt, beziehen sich aber ausdrücklich nur auf die jeweiligen Schutznormen. 8 Grundlegend Teichmann, S. 78 ff. 6 7

V. Gesetzesumgehung

und

Analogie

211

men der letzteren Auffassungen kommt oft der teleologischen oder anderweitig erweiternden Auslegung eine Sonderrolle zu. Richtig ist es, mit der überwiegenden Auffassung die Bereiche der Auslegung und der Gesetzesumgehung zu trennen. Auslegung dient zur Ermittlung des Geltungsbereichs eines Gesetzes, Gesetzesumgehung beginnt erst dort, wo der Geltungsbereich endet. Kann eine Handlung mit - auch teleologischer - Auslegung erfaßt werden, liegt keine Umgehung vor, sondern ein mißlungener Umgehungsversuch. Daher ist entgegen der üblichen Definition für Gesetzesumgehung nicht ein Verstoß gegen den Sinn des umgangenen Gesetzes kennzeichnend, sondern gegen sein Ziel: Der Sinn dient der Ermittlung des Geltungsbereichs, das Ziel kann über den Geltungsbereich hinausgehen. Diese Abgrenzung bestimmt auch den Anwendungsbereich gesetzlicher Umgehungsverbote 9 . Sähe man in der Umgehung ein reines Auslegungsproblem, enthielten sie nur ein Gebot zur - weiten - Auslegung. Trennt man zwischen Auslegung und Umgehung eines Gesetzes, kommt gesetzlichen Umgehungsverboten selbständige Bedeutung zu: Sie ermöglichen es, in Umgehungsfällen durch Analogiebildung oder in anderer Weise die Grenzen der Auslegung zu überschreiten.

V. Gesetzesumgehung und Analogie Gesetzesumgehung liegt also erst vor, wenn zur Anwendung der umgangenen Norm zumindest ein Analogieschluß erforderlich ist. In der Praxis wird ein erheblicher Teil der Umgehungsfälle auf diese Weise gelöst. So reagiert das Kapitalgesellschaftsrecht auf die Umgehung von Gründungsvorschriften regelmäßig mit deren entsprechender Anwendung. Weitere Beispiele bilden die analoge Anwendung von Schutzgesetzen oder Formvorschriften. Der Analogieschluß führt in aller Regel zu einem sachgerechten Ergebnis, da er im Gegensatz zur früher vertretenen „Nichtigkeitstheorie" eine Gleichstellung der Rechtsfolgen von Gesetzesumgehung und umgangenem Gesetz ermöglicht 10 . Als unzutreffend hat sich aber die Schlußfolgerung der herrschenden Meinung erwiesen, Gesetzesumgehung sei ein reines Analogieproblem oder ein Unterfall der Analogie. Zwischen Umgehungsfällen und dem Anwendungsbereich des Analogieschlusses bestehen methodische Unterschiede. Die Problematik ist anders, da bei der Umgehung die anzuwendende Norm den Ausgangspunkt bildet: Ohne umgangenes Gesetz keine Gesetzesumgehung. Bei der Analogie steht die ähnliche Norm dagegen erst am Ende des Prozesses. Daraus ergeben sich Unterschiede für das Vorgehen bei der Fallösung. Auch die zugrundeliegende Wertung ist eine andere: Kennzeichnend für die Umgehung ist die Aushöhlung des betrof9 10

Dazu zusammenfassend unten § 12 VII. Dazu unten § 1 2 X.

212

§12

Gesetzesumgebung

im Sachrecbt:

Theorie und Praxis

fenen Gesetzes, für die Analogie k o m m t es nur auf die Ähnlichkeit der Fallgestaltungen an. Die Grenzen des Analogieschlusses für die Umgehungsproblematik machen sich auch im praktischen Fall bemerkbar. Wenn das umgangene Gesetz nur einen begrenzten rechtlichen Teilbereich regelt - z.B. im Arbeitsrecht - , ist eine Analogiebildung oft nicht möglich oder führt nicht zu sachgerechten Ergebnissen. N u r eingeschränkt analogiefähig sind Ausnahmevorschriften; sie werden aber nicht selten umgangen (beispielsweise Aufrechnungsverbote). Ein Sonderproblem bildet die Umgehung von Genehmigungspflichten, w o die Gleichstellung durch Analogie nicht zu einer sachgerechten Lösung führt. Das Verhältnis von Gesetzesumgehung und Analogie ist also genau umgekehrt zu sehen, als es die herrschende Meinung beurteilt. Die Gesetzesumgehung ist kein Unterfall der Analogie, sondern die Analogie ist eine M e t h o d e zur Lösung vieler Umgehungsfälle. Das Wertungsproblem der Gesetzesumgehung kann sich jedoch auch in Fällen stellen, die nicht mit Hilfe eines Analogieschlusses gelöst werden können.

VI. Rechtsfortbildung

in

Umgebungsfällen

Die Rechtsprechungspraxis beachtet in Umgehungsfällen nur selten die Grenzen der Analogie. Hält sie es für erforderlich, sieht sie Gesetzesumgehungen als unwirksam an. Die Rechtsfolge besteht oft, wenn auch nicht immer, in der Anwendung der umgangenen N o r m . Eine besondere methodische Begründung erfolgt in der Regel nicht. Jedoch wird diese Rechtsfindung, sobald sie die Grenzen der Analogie überschreitet,

der Sache nach zu einer

gesetzesüberschreitenden

Rechtsfortbildung 1 1 . Grundsätzlich sind Rechtsfortbildungen in Umgehungsfällen möglich. Voraussetzung einer Rechtsfortbildung ist eine Regelungslücke im weiteren Sinne, also eine Gesetzeslage, die nach Rechtsempfinden und Gesamtrechtsordnung unvollständig erscheint 1 2 : Bei Gesetzesumgehungen ist das per definitionem der Fall. Viele Umgehungsfälle lassen sich anerkannten Fallgruppen der Rechtsfortbildung zuordnen; vor allem, wenn der Schutz eines wichtigen Rechtsguts durch die Gesetzesumgehung gefährdet ist. Vereinzelt ergibt sich die Folge von Umgehungen auch aus der N a t u r der Sache. Allerdings sind Rechtsfortbildungen nur unter einschränkenden Voraussetzungen zulässig; es ist eine Abwägung zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit erforderlich. Rechtsunsicherheit entsteht, wenn die Rechtsprechung Entscheidungen, die der Sache nach eine Rechtsfortbildung enthalten, mit 11 12

Vgl. Huber JurA 1970, 784 (809f.). Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.246.

VII. Gesetzliche

Umgehungsverbote

213

§ 1 3 4 B G B oder auf ähnliche Weise begründet. Es besteht dann die Gefahr einer willkürlichen Ausweitung von Normen auf jede Form der Gesetzesvermeidung. Bedenklich ist das vor allem, wenn die „umgangene" Norm grundsätzlich eng auszulegen ist.

VII. Gesetzliche

Umgebungsverbote

In verschiedenen Gebieten des privaten und öffentlichen Rechts gibt es gesetzliche Regelungen, die sich generalklauselartig gegen Gesetzesumgehungen richten. Im Privatrecht sind vor allem die Umgehungsverbote im Verbraucherschutzrecht von Bedeutung: § § 3 0 6 a , 3 1 2 f S . 2 , 4 8 7 , 5 0 6 S . 2 , 6 5 5 a Abs. 1 S . 2 B G B (früher §§ 7 A G B G , 5 A b s . 2 FernAbsG, 5 Abs. 1 HaustürWG, 9 A b s . 2 TzWrG, 18 S. 2 VerbrKrG) und § 4 7 5 Abs. 1 S. 2 BGB. Nach ganz herrschender Meinung in der Literatur haben diese gesetzlichen Umgehungsverbote keine selbständige Bedeutung. Während einige sie für überflüssig oder sogar schädlich halten, sehen andere „allgemeine Funktionen" der Umgehungsverbote, insbesondere einen deklaratorischen Hinweis auf die Möglichkeit der erweiternden Auslegung oder Analogie 1 3 . In der Praxis geht die Bedeutung der Umgehungsverbote darüber weit hinaus. Die frühere Regelung § 6 AbzG diente zahlreichen Urteilen als Begründung. Heute hat § 3 1 2 f S. 2 B G B , der frühere § 5 HaustürWG, eine ähnlich bedeutsame Stellung eingenommen 1 4 und auch § 4 7 5 Abs. 1 S. 2 B G B ist in der Praxis von Interesse 15 . Die übrigen gesetzlichen Umgehungsverbote haben wegen der weiten Regelungen in § § 4 8 1 , 4 9 1 , 6 5 5 a B G B (früher § 1 TzWrG, § 1 VerbrKrG) und der Generalklausel § 3 0 7 B G B (früher § 9 AGBG) geringere Bedeutung, werden jedoch in der Praxis ebenfalls herangezogen. Aus vielen dieser Fälle läßt sich eine eigenständige Bedeutung der Umgehungsverbote ableiten: Gäbe es keine Regelung der Gesetzesumgehung, hätten sie zwingend anders entschieden werden müssen. Der Grund liegt in der Struktur und Schutzrichtung des Verbraucherschutzrechts. Die betroffenen Regelungen gelten nur für einen eng abgegrenzten Bereich. Vor allem dann, wenn dieser Anwendungsbereich umgangen wird (auch durch „Ergehung" von Ausnahmen), ist eine Gesetzesanalogie nur eingeschränkt möglich. Werden beispielsweise § § 3 1 2 f f . B G B umgangen, indem sich der Verkäufer mit dem Kunden nicht in dessen Wohnung, sondern in seinem Hotelzimmer trifft, kann § 3 1 2 Abs. 1 B G B (früher § 1 Abs. 1 HaustürWG) nicht analog angewandt werden, da bei dem eng abgegrenzten Geltungsbereich der

13 14 15

Vor allem Mäller-Graff J Z 1977, 2 4 5 (248); im einzelnen oben § 5 II. 1. Koziolek, Die Umgehungsregelung des Verbraucherkreditgesetzes, S . 5 4 f . Müller ZIP 2 0 0 3 , 1975 (1976ff.); oben § 5 I.l.e) II.2.c).

214

§12

Gesetzesumgehung

im Sachrecht:

Theorie

und

Praxis

Vorschrift keine Regelungslücke begründet werden kann. Dennoch kann der Kunde ebenso schutzbedürftig sein wie im Geltungsbereich der §§ 3 1 2 f f . BGB. Gesetzliche Umgehungsverbote vor allem im Verbraucherschutzrecht haben also eine selbständige Bedeutung, indem sie es ermöglichen, in Umgehungsfällen die Grenzen der Auslegung und auch der Analogie zu überschreiten. Im Vordergrund steht auch in diesem Bereich die umgehungsspezifische Wertung, die bei der Anwendung der gesetzlichen Umgehungsverbote den gleichen Kriterien folgt wie beim allgemeinen Problem der Gesetzesumgehung 16 .

VIII.

Umgehungsabsiebt: subjektive Voraussetzungen der Gesetzesumgehung

Eine der meistdiskutierten Fragen ist, ob Gesetzesumgehungen von einer Umgehungsabsicht getragen sein müssen. Bis heute gehen die Meinungen auseinander: Die Arbeitsrechtsprechung geht seit 1 9 6 0 von dem Begriff der „objektiven Gesetzesumgehung" aus, in der internationalprivatrechtlichen Lehre ist dagegen die Auffassung verbreitet, Absicht sei Voraussetzung einer Gesetzesumgehung. Die heute herrschende Lehre lehnt für das Sachrecht das Erfordernis subjektiver Voraussetzungen konsequent ab: Wenn es kein eigenes Institut der Gesetzesumgehung gibt, können auch keine besonderen subjektiven Voraussetzungen aufgestellt werden. Auch für gesetzliche Umgehungsverbote kommt es nach herrschender Meinung nicht auf die Umgehungsabsicht an. Auf den praktischen Fall bezogen, wird diese logische Folgerung jedoch zweifelhaft. Als Beispiel dienen kann der Fall einer sog. „Grundstücksgesellschaft", deren Vermögen im wesentlichen aus Grundbesitz besteht. Nach dem B G H bedarf die Verpflichtung, Mitgliedschaftsrechte an einer solchen Personengesellschaft zu übertragen, grundsätzlich nicht der notariellen Form des § 3 1 1 b Abs. 1 BGB (früher § 3 1 3 BGB) 1 7 . Soll das auch gelten, wenn die Gesellschaft bewußt zu dem Zweck gegründet wurde, § 3 1 1 b Abs. 1 BGB zu umgehen? Mit dem Rechtsgefühl erscheint dies nur schwer vereinbar. Ähnliches gilt bei Umgehung gesellschaftsrechtlicher Stimmverbote. Auch bei Umgehung von Genehmigungspflichten kann nur unter Berücksichtigung der subjektiven Seite eine sachgerechte Lösung gefunden werden. Wenn die Praxis in Umgehungsfällen subjektive Kriterien heranzieht, spielt der hergebrachte Begriff der Umgehungsabsicht selten eine Rolle. Statt dessen benutzt die Rechtsprechung das Kriterium des Umgehungszwecks. Es umschreibt das Bewußtsein des Umgehers: Er muß sich über sein Vorgehen im klaren sein und darüber, daß das Ziels der umgangenen Norm ausgehebelt wird. In 16 17

Zu den Wertungskriterien zusammenfassend unten § 12 I X . B G H 3 1 . 1 . 1 9 8 3 - II Z R 2 8 8 / 8 1 , B G H Z 86, 3 6 7 (371 zur Umgehung).

IX.

Umgehungsspezifische

Wertung

215

der Regel handelt er auch geplant. Im Gegensatz zum hergebrachten Begriff Umgehungsabsicht setzt der Umgehungszweck nicht die Existenz eines eigenen Rechtsinstituts der Umgehung voraus: Er ist ein Kriterium der „Eingriffsschwelle", der umgehungsspezifischen Wertung. Die Bedeutung der subjektiven Seite für die umgehungsspezifische Wertung wird in der Literatur wenig diskutiert und von der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. Schurig ist der Auffassung, „das Subjektive" sei generell für die Eingriffsschwelle ausschlaggebend 18 . Diese Auffassung führt in vielen Umgehungsfällen zum richtigen Ergebnis, jedoch nicht in allen: Ist der Schutzzweck des umgangenen Gesetzes besonders stark und der Schutz unabhängig von subjektiven Motiven des Eingriffs gewährleistet, kommt es auch bei der Umgehung nicht auf subjektive Kriterien an. Beispielsfälle finden sich im Arbeitsrecht und bei der Umgehung anderer sozialer Schutznormen, beispielsweise des Mieterschutzes. Auch bei Verstößen gegen die gesetzlichen Umgehungsverbote im Verbraucherschutzrecht kann die subjektive Seite irrelevant sein. Umgehungsabsicht oder eine sonstige subjektive Seite ist also keine zwingende Voraussetzung der Gesetzesumgehung im Sachrecht. In vielen Fällen wird jedoch die Eingriffsschwelle davon abhängen, ob mit Umgehungszweck vorgegangen wurde. Die Feststellung dieses Zwecks kann in der Praxis Beweisprobleme machen. In der Regel kann aber aus objektiven Kriterien auf die subjektive Seite geschlossen werden. Indiz für den Umgehungszweck ist vor allem eine atypische, künstliche Konstruktion des Umgehungsgeschäfts 19 .

IX.

Umgehungsspezifische

Wertung

Die umgehungsspezifische Wertung ist für die Gesetzesumgehung von zentraler Bedeutung: Gesetzesumgehung als Aufgabe im Prozeß der Rechtsfindung 20 ist nicht vorrangig eine methodische, sondern eine Wertungsfrage. Die Methodik, insbesondere der Analogieschluß, dient der Durchsetzung der Wertung und gleichzeitig ihrer Eingrenzung. In dem Prozeß der Rechtsfindung ist auf zwei Stufen eine Wertung vorzunehmen. Die erste ist die definitorische Stufe: Da die Gesetzesumgehung einen Verstoß gegen das Ziel des umgangenen Gesetzes voraussetzt, muß dieses Ziel in wertender Betrachtung festgestellt werden. Entscheidend für die Fallösung ist die zweite Stufe. Damit die Gesetzesumgehung besondere Rechtsfolgen haben kann, muß nicht nur definitorisch eine Umgehung vorliegen, sondern diese muß auch eine bestimmte Intensität und Qualität haben. Diesen Wertungsprozeß umschreibt der Begriff der Eingriffsschwel18 19 20

Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 9 8 , 4 0 3 f . Zur Atypizität oben § 9 I I . l . Vgl. Kegel/Schurig, IPR, S . 4 1 9 .

216

§ 12 Gesetzesumgehung

im Sachrecht:

Theorie

und

Praxis

le 21 . Die Praxis bestimmt die Eingriffsschwelle nach unterschiedlichen, auf den jeweiligen Fall zugeschnittenen Kriterien, aus denen sich jedoch Fallgruppen bilden lassen. Wichtigstes objektives Kriterium ist das umgangene Gesetz. Entscheidend ist vor allem, ob das Gesetz einem Schutzziel dient, das durch die Gesetzesumgehung ausgehebelt werden soll. Die zweite Hauptgruppe bilden subjektive Kriterien. Weist das umgangene Gesetz kein absolutes Schutzziel auf, stellt die Rechtsprechung in der Regel auf den Umgehungszweck ab 2 2 . Andere Kriterien betreffen Sonderfälle. So können Elemente der Sittenwidrigkeit und des Rechtsmißbrauchs für die Eingriffsschwelle maßgeblich sein, soweit diese Institute nicht vorrangig sind. Für eine Erhöhung der Eingriffsschwelle können Bedürfnisse des Verkehrs und der Schutz eines durch die Umgehung Begünstigten sprechen. Insgesamt richtet sich die Eingriffsschwelle nach der Schutzwürdigkeit des Umgehers. Sie bestimmt sich danach, inwieweit die Unwirksamkeit der Umgehung objektiv vorhersehbar war.

X. Rechtsfolge der

Gesetzesumgehung

Ist die Eingriffsschwelle überschritten, muß eine Gesetzesumgehung eine andere Rechtsfolge haben als eine bloße Gesetzesvermeidung. In der Geschichte sind Umgehungen oft grundsätzlich als nichtig angesehen worden; auch heute ist noch von der „nach § 134 BGB nichtigen Gesetzesumgehung" die Rede, auch wenn es keineswegs um ein Verbotsgesetz geht. Die herrschende Meinung hat die Mängel dieser Nichtigkeitstheorie jedoch erkannt. Als einleuchtendes Beispiel dient die Umgehung von Vorkaufsrechten: Hier ist die Nichtigkeit des Umgehungsgeschäfts nicht im Sinne des Vorkaufsberechtigten, sondern sachgerecht ist allein die Anwendung des umgangenen § 4 6 3 BGB (früher § 5 0 4 BGB). Heute herrscht also weitgehend Einigkeit, daß die Lösung eines Umgehungsfalles normalerweise die „Gleichstellung" von Umgehungsgeschäft und umgangener Norm ist 23 . Sieht man mit der heute herrschenden Meinung in der Gesetzesumgehung ein reines Analogieproblem, ist auch kein anderes Ergebnis möglich: Rechtsfolge des Analogieschlusses ist stets die Anwendung des ähnlichen Gesetzes. Gleichzeitig ergibt sich daraus aber auch eine Schwäche der herrschenden Meinung. In einigen Umgehungsfällen ist eine Anwendung des umgangenen Gesetzes nicht möglich oder führt nicht zu einem sachgerechten Ergebnis. Das ist der Fall, wenn es 2 1 Grundlegend Schurig, Gesetzesumgehung, S. 401 f.; in Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 2 f . heißt es „Toleranzschwelle". 2 2 Dazu oben § 9 III.2. 2 5 Grundlegend Römer, S. 50f.; s. auch Westerhoff, S. 86ff. (§§ 87ff.); im einzelnen oben § 7 II.

XI.

Fazit

217

sich um Spezialgesetze handelt, deren Regelungen nicht auf das Umgehungsgeschäft passen (insbesondere im Arbeitsrecht); ferner bei der Umgehung von Genehmigungspflichten. Wie oben erwähnt, hilft sich die Rechtsprechung in solchen Fällen der Sache nach mit Rechtsfortbildung; die Rechtsfolgen können dann unterschiedlich sein. Ausgangspunkt ist, die Gesetzesumgehung entsprechend der zugrundeliegenden Wertung unwirksam zu machen. Daher liegt auch dann, wenn kein Analogieschluß möglich ist, die Rechtsfolge grundsätzlich in der Anwendung des umgangenen Gesetzes, der Gleichstellung. Im Einzelfall können jedoch auch andere Folgen sachgerecht sein; insbesondere die Nichtigkeit des Umgehungsgeschäfts. Einer besonderen Methode bedient sich die Arbeitsgerichtsbarkeit in den Fällen der Umgehung des Kündigungsschutzes: Sie überträgt im Wege einer „partiellen Analogie" nicht das umgangene Gesetz selbst, sondern Elemente seiner Wertung auf das Umgehungsgeschäft 2 4 .

XI. Fazit Die herrschende Meinung der Literatur, die Gesetzesumgehung sei ein reines Problem der Analogie, führt in etlichen praktischen Fällen nicht zu einem sachgerechten Ergebnis. Die Rechtsprechung setzt den Begriff Gesetzesumgehung demgegenüber undifferenziert ein, ohne die methodischen Hintergründe zu klären. Dadurch entsteht die wiederholt beklagte Rechtsunsicherheit. Eine Problemlösung ergibt sich aus der Verbindung von Theorie und Praxis. So dürfen die praktischen Fälle und Probleme nicht aus den Augen verloren werden. Es muß jedoch auch nachvollziehbare Kriterien für Methodik und umgehungsspezifische Wertung geben.

24

Im einzelnen oben § 11 I V . l . a ) auch zur Regelung des T z B f G .

3. Teil

Gesetzesumgehung im Internationalen Privatrecht „Auch im IPR stellt sieb das Umgehungsproblem, und reiner als im Sachrecht"

und zwar im allgemeinen

drängender

- so Schurig, der diese Feststellung damit begründet, dem Sachrecht stünden andere Mittel zur Verfügung, zu angemessenen Ergebnissen zu kommen 1 . Schon im Mittelalter war das Problem der Umgehung durch Ausweichen in eine andere Rechtsordnung bekannt; Umgehungslehren haben sich oft auf dem Gebiet des IPR entwickelt oder fortentwickelt 2 . Das IPR hat eine andere Funktion und weist daher andere Strukturen auf als das private Sachrecht. Es handelt sich um eine dem Sachrecht vorgeschaltete Rechtsordnung, die Rechtsanwendungsrecht enthält 3 . Bei Sachverhalten mit Auslandsberührung (Art. 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB) 4 bestimmt das IPR, nach welcher Rechtsordnung der Fall gelöst wird. Ungeachtet der Bezeichnung „Internationales Privatrecht" ist es also nationales, internes Recht, kann aber auf andere, ausländische Rechtsnormen verweisen. Die Lösung eines Falles ergibt sich nie unmittelbar aus dem IPR, sondern dieses verweist auf die Rechtsordnung, nach der der Fall zu lösen ist 5 . Aus dieser Aufgabe folgt die besondere Struktur des IPR. Es bedient sich der Methode der Anknüpfung: Die zu regelnde Frage - Anknüpfungsgegenstand wird über ein bestimmtes Anknüpfungsmerkmal - beispielsweise der Vornahmeort einer Handlung - einer Rechtsordnung zugeordnet 6 . In Art. 7 Abs. 1 EGBGB ist z.B. Anknüpfungsgegenstand die Rechts- und Geschäftsfähigkeit einer PerSchurig, Gesetzesumgehung, S.385. Dazu oben § 2 ; Römer, S. 11 f. In einigen ausländischen Kollisionsrechtsordnungen ist die Gesetzesumgehung gesetzlich geregelt; dazu Ferid, IPR, Rdnr. 3 - 1 7 3 ; oben § 3 , Einführung. 3 Junker, IPR, Rdnrn. 2ff.; Kegel/Schurig, IPR, S.50ff. 4 Umstritten ist, ob das IPR dogmatisch nur dann zur Anwendung kommt, wenn eine Auslandsberührung vorliegt. Nach richtiger und wohl überwiegender Auffassung ist das nicht der Fall: Das IPR ist abstrakt stets vorgeschaltet. Die Gegenansicht führt zu einer grundlosen Vorrangstellung des deutschen Sachrechts vor dem ausländischen und zu unfruchtbaren Überlegungen, was „Auslandsberührung" sein soll. Das IPR gilt also auch für Fälle ohne Auslandsberührung, hat dann aber keine praktische Bedeutung. Wie hier v. Hoffmann, IPR, § 1 Rdnrn. 15ff.; Junker, IPR, Rdnrn. 8f.; Kegel/Schurig, IPR, S.6f.; a.A. Lüderitz, IPR, Rdnr.6. 5 Zur Verweisungstechnik des IPR, insbesondere zu dem Unterschied von Gesamtverweisung und Sachnormverweisung v. Hoffmann, IPR, § 6 Rdnrn. 73ff.; Junker, IPR, Rdnrn. 192ff.; Kegel/Schurig, IPR, S.338f. 6 Dazu Junker, IPR, Rdnrn. 170ff.; Lüderitz, IPR, Rdnrn. 76ff. 1

2

220

3. Teil: Gesetzesumgehung

im Internationalen

Privatrecht

son; Anknüpfungsmerkmal die Staatsangehörigkeit. Die Voraussetzungen der Rechts- und Geschäftsfähigkeit einer Person richten sich also nach dem Recht des Staates, dem diese angehört. Für Umgehungsfälle ergeben sich aus Funktion und Struktur des IPR zahlreiche Besonderheiten. Gesetzesumgehungen erscheinen im IPR in mehrfacher Hinsicht reizvoller als im Sachrecht, denn zwischen verschiedenen Rechtsordnungen können wesentlich größere Wertungsunterschiede bestehen als innerhalb einer Sachrechtsordnung 7 . Auf den Gebieten mit den größten Unterschieden liegen auch die praktischen Schwerpunkte der Gesetzesumgehung im IPR. Historisch war das vor allem das Ehe- und Scheidungsrecht, da einige Länder für Katholiken keine Scheidung und damit auch keine Möglichkeit der Wiederverheiratung vorsahen 8 . Unterschiede bestanden auch hinsichtlich der Voraussetzungen für eine Heirat, vor allem in bezug auf Mindestalter und Ehefähigkeitszeugnis. Für diese Epoche stehen kommerziell durchaus erfolgreiche „Ehe"- und „Scheidungsparadiese"; insbesondere Gretna Green und Tondern in Dänemark 9 . Heute betreffen Gesetzesumgehungen vor allem das Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht 1 0 . Ein weiterer Anreiz zur Gesetzesumgehung im IPR entsteht dadurch, daß sie einfacher zu sein scheint. Während Umgehungen im Sachrecht oft komplexe Konstruktionen erfordern, müssen im IPR nur Anknüpfungsmomente manipuliert werden, um die Weichen in die gewünschte Richtung zu stellen 1 1 . Allerdings kann die Manipulation der Anknüpfungsmerkmale praktische Schwierigkeiten aufwerfen: Während es im Rahmen von Artt. 11, 13 E G B G B genügt, den Abschlußort des Vertrages oder die Eheschließung ins Ausland zu verlagern, ist eine Änderung der oft maßgeblichen Staatsangehörigkeit schon schwieriger. Rechte an einer Sache richten sich gemäß Art. 4 3 Abs. 1 E G B G B nach dem Staat, in dem sich die Sache befindet; bei beweglichen Sachen ist also eine Manipulation leicht, bei unbeweglichen Sachen unmöglich. Ein Umgehungs-"Geschäft" liegt im IPR fast nie vor, da Anknüpfungen in der Regel durch tatsächliche Handlungen manipuliert werden 1 2 .

Kegel/Schurig, IPR, S.418ff.; Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 7 6 f . Dazu Kegel/Schurig, IPR, S . 4 1 7 , 425ff. mit zahlreichen Beispielsfällen. 9 Zu den wirtschaftlichen Vorteilen, die sich vor allem auch aus dem Ausflaggen von Schiffen ergeben: v. Hoffmann, IPR, § 6 Rdnrn. 134f.; zu einem Kuriosum Böhmer, Der neue „Scheidungsservice" auf Guam, S.49ff. 1 0 Fragen der Gesetzesumgehung stellen sich vor allem mit der faktischen Abschaffung der Sitztheorie durch die Rechtsprechung des EuGH nach „Centros" (EuGH 9 . 3 . 1 9 9 9 - R s C-212/ 97, ZIP 1 9 9 9 , 4 3 8 ) ; dazu im einzelnen unten § 16 II.2. Im Wirtschaftsrecht sind auch Umgehungen von Formvorschriften verbreitet. 11 Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 7 7 ; Heeder, S. 184f. 12 Schurig, Gesetzesumgehung, S. 385. In der gleichnamigen Schrift von Sieker wird das IPR ausgeklammert, vgl. Sieker, S. 7. 7 8

3. Teil: Gesetzesumgehung im Internationalen

Privatrecht

221

Scheinbar ist die Struktur der Gesetzesumgehung im Bereich des IPR also einfacher: Sie findet stets durch Manipulation von Anknüpfungsmerkmalen statt. Es gibt immer eine „umgangene" und eine „ergangene" N o r m , da kein rechtsordnungsfreier R a u m möglich ist. Schwierigkeiten macht jedoch bereits die Antwort auf die Frage, welche N o r m e n umgangen oder ergangen, also O b j e k t der Umgehung sind. Aus der Sicht des Umgehers soll die Sachnorm vermieden bzw. erschlichen werden, manipuliert wird jedoch auf Ebene der Kollisionsnorm. Diese Frage ist nicht rein akademisch, da die umgangene N o r m - wie oben gezeigt wurde - maßgeblich sein kann für die umgehungsspezifische Wertung und das methodische Vorgehen. In der Literatur hat die Gesetzesumgehung im IPR größere Beachtung erfahren als die Umgehung im Sachrecht. Es gibt jedoch k a u m vergleichende und übergreifende Untersuchungen 1 3 . Auffällig sind allerdings Abweichungen der überwiegenden IPR-Literatur von der ganz herrschenden Lehre zum Sachrecht. So wird die Gesetzesumgehung verbreitet als eigenes Rechtsinstitut angesehen; dabei oft die Notwendigkeit subjektiver Voraussetzungen - Umgehungsabsicht b e t o n t 1 4 . Ebenfalls verbreitet ist die Auffassung, Gesetzesumgehung im IPR setze einen Mißbrauchstatbestand v o r a u s 1 5 . Gegenstand der folgenden Überlegungen ist die Frage, o b solche Differenzen tatsächlich auf die Unterschiede von IPR und Sachrecht zurückzuführen sind und welche Konsequenzen sich daraus für die Fallbearbeitung ergeben. Dabei wird zunächst auf die formalen Unterschiede zwischen beiden Rechtsgebieten eingegangen, die sich aus den unterschiedlichen Strukturen ergeben (dazu § 13). Außerdem bestehen auch im IPR bei der Abgrenzung zu verwandten Rechtsbegriffen Unterschiede, so ist insbesondere der Anwendungsbereich der ordre-public-Klausel (Art. 6 E G B G B ) in Umgehungsfällen zu klären (dazu § 14). Weiter wird untersucht, o b sich Umgehungsfälle in der kollisionsrechtlichen Praxis hinsichtlich der Wertungsfragen unterscheiden und wie methodisch vorzugehen ist ( § § 1 5 , 16). Eine zentrale Rolle spielt bei Sachverhalten mit Auslandsberührung die gerichtliche Zuständigkeit. D a IPR staatliches Recht ist, wendet jeder nationale Richter sein IPR an. Dabei können die jeweiligen IPR-Gesetze unterschiedliche Anknüpfungsmomente enthalten, so daß der Inhalt eines Urteils davon abhängig sein k a n n , w o geklagt wird. Wird dieses Phänomen ausgenutzt, entstehen die der 13 Eine Ausnahme machen Schurig, Gesetzesumgehung, S. 375 ff. und Westerhoff, Gesetzesumgehung und Gesetzeserschleichung. 14 V. Hoffmann, IPR, §6 Rdnr.123; Heeder, S.202ff.; Luther FamRZ 1956, 76; Raape/ Sturm IPR, Bd.I, S, 328; wohl auch Hay, IPR, S.153ff.; Ferid, IPR, Rdnrn. 3-158ff.; Staudinger-Blumenwitz Art. 6 EGBGB Rdnrn. 40ff.; differenzierend Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB, Rdnrn. 135f.; Kegel/Schurig, IPR, Rdnr.423; dazu Junker, IPR, Rdnr. 188. 15 Ferid, IPR, Rdnrn. 3-158, 3-178; Hay, IPR, S.153f.; v. Hoffmann, IPR, §6 Rdnr.123; Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des IPR, S.525f. zum schweizerischen Recht; Römer, S.73ff.; MünchKomm-Sonnenberger, Einl. IPR, Rdnrn. 696f.; Staudinger-Stoll Int SachenR Rdnr.261.

222

3. Teil: Gesetzesumgehung

im Internationalen

Privatrecht

Gesetzesumgehung verwandten Probleme der Zuständigkeitserschieichung und des sog. forum Shopping. Aus der Sicht des deutschen Rechts stellt sich die Frage der Anerkennung solcher Urteile gemäß § 328 ZPO. Hier kommt es darauf an, ob sich aus der prozessualen Situation Besonderheiten für die Wertung ergeben (dazu §§17, 18).

§ 1 3 Strukturelle Besonderheiten der Umgehung im IPR Die unterschiedlichen gesetzlichen Strukturen führen dazu, daß auch Umgehungsfälle im IPR anders aussehen als im Sachrecht. Die Gründe ergeben sich aus Art und Funktion der beteiligten N o r m e n sowie aus den abweichenden M i t teln der Umgehung. Bis heute wird in der Literatur diskutiert, welche N o r m O b jekt der Gesetzesumgehung ist: Im IPR besteht die Umgehung in der Manipulation einer Kollisionsnorm, ihr Ziel ist jedoch die Ausschaltung oder Ergehung einer Sachnorm. Das I P R bietet außerdem andere Möglichkeiten der Umgehung. D e r Regelfall ist die Veränderung anknüpfungserheblicher Tatsachen, jedoch kann das gewünschte Ergebnis auch durch die Manipulation qualifikationserheblicher Tatsachen erzielt werden 1 6 . Weiter knüpfen einige Kollisionsnormen an die Rechtswahl der Parteien a n 1 7 . N a c h hergebrachter Ansicht schließen sich Rechtswahl und Umgehung a u s 1 8 . Fraglich ist das in der jüngeren Zeit im Z u s a m m e n h a n g mit dem Verbraucherschutz geworden, vor allem der internationalprivatrechtlichen Umgehung des deutschen Haustürgeschäfterechts (sog. Gran-Canaria-Fälle). Aus diesen strukturellen Besonderheiten ergeben sich auch besondere Wertungsfragen.

I. Umgangene Norm im IPR Die umgangene N o r m ist für die Lösung von Umgehungsfällen in mehrfacher Hinsicht maßgeblich. Für die definitorische Eingrenzung k o m m t es darauf an, o b ein Sachverhalt vorliegt, der nicht mehr vom Geltungsbereich der N o r m erfaßt wird, aber ihrem Ziel widerspricht 1 9 . Die Rechtsfolge der unwirksamen Umgehung ist im Regelfall identisch mit der Rechtsfolge der umgangenen N o r m . Richtet sich die Eingriffsschwelle nach subjektiven Kriterien, k o m m t es darauf an, auf die Umgehung welcher N o r m die Vorstellungen der Handelnden gerichtet sind. Darüber hinaus bilden die umgangene N o r m und ihr Schutzzweck die wichtigsten objektiven Kriterien für die Eingriffsschwelle. 16 17 18 19

Zum Problem der Qualifikation Junker, IPR, Rdnrn. 150ff. Vor allem Art.27 EGBGB, z.B. aber auch Artt. 25 Abs.2, 15 Abs.2, 10 Abs.2 EGBGB. V. Bar/Mankowski, IPR I, § 7 Rdnrn. 128f. Dazu oben §7.I.l.a) und zusammenfassend § 12 I.

224

§13

Strukturelle

Besonderheiten

der Umgehung im IPR

Im Sachrecht macht die Bestimmung der umgangenen Norm, des „Objekts" der Gesetzesumgehung, selten Schwierigkeiten: Umgangen ist die Norm oder sind die Normen, deren Anwendung durch die Umgehung verhindert wird oder verhindert werden soll. Im IPR sind demgegenüber an Gesetzesumgehungen notwendig beide Typen von Normen beteiligt, Kollisions- und Sachnormen. Handeln und Vorstellung bei der Umgehung sind auf die Sachnormen ausgerichtet. Da Kollisionsnormen allein unmittelbar keine Rechtsfolgen entfalten, sind sie aus Sicht der Handelnden unmaßgeblich. Mittel der Gesetzesumgehung im IPR ist jedoch eine Manipulation, deren Objekt nicht die Sachnorm, sondern die Kollisionsnorm ist. 1. Meinungsstand in der Literatur Im IPR besteht also ein Unterschied zwischen objektiver und subjektiver Betrachtungsweise. Für die Handelnden ist die Sachnorm entscheidend, für die Umgehungshandlung dagegen die Kollisionsnorm. Dementsprechend lassen sich die in der Literatur vertretenen Ansichten zum Objekt der Gesetzesumgehung im IPR danach einteilen, ob die Sachnormen oder die Kollisionsnormen als umgangen angesehen werden. Andere Ansichten werden nur vereinzelt vertreten: Lüderitz sieht in der Gesetzesumgehung ein Problem des ordre public; danach ist nur maßgeblich, ob der deutsche oder der ausländische ordre public zur Anwendung kommt 20 . Neuhaus unterscheidet begrifflich-methodisch: Umgehungsobjekt sei die Rechtsfolge der Kollisionsnorm 21 . Die Auffassung, die das Objekt der Gesetzesumgehung in der Sachnorm sieht, ist vor allem in der älteren Literatur verbreitet, wird aber auch heute noch vertreten 22 . Begründet wird sie mit der Sichtweise der Handelnden; Römer sieht darin eine „natürliche Betrachtungsweise" 23 . Die Beteiligung der Kollisionsnormen an der Umgehung wird berücksichtigt, indem zwischen Objekt und Mitteln der Gesetzesumgehung differenziert wird: Die Sachnorm sei das Objekt, die Kollisionsnorm das Mittel der Gesetzesumgehung24. Von einigen wird auch unterschieden zwischen der Sachnorm, die Objekt der Umgehung sei und der Kollisionsnorm, welche mißbraucht worden sei 25 . Nach dieser Auffassung liegt die Rechtsfolge der Gesetzesumgehung in der Anwendung der umgangenen Sachnorm 26 .

Lüderitz, IPR, Rdnrn. 144ff. Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S.194f. (Fn.525); zu den Konsequenzen S.195, 199f. 22 Ferid, IPR, Rdnr.3-170; Heeder, S.155ff.; Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des IPR, S.527ff.; Raape/Sturm, IPR Bd.I, S.327; Römer, S.62ff. 23 Römer, S. 62ff. 24 Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des IPR, S.527; Heeder, S. 157ff. 25 Raape/Sturm, IPR Bd.I, S.327; ausführlich Römer, S.62ff., 73ff. 2 6 Ausführlich Römer, S. 87ff. 20 21

I. Umgangene

Norm im IPR

225

Die heute überwiegende Auffassung sieht die Kollisionsnorm als umgangene Norm an 27 . Kennzeichnend für diese Auffassung ist, daß nur noch vereinzelt von dem „Objekt" der Umgehung die Rede ist 28 . Statt dessen wird das Problem der Umgehung als ein funktionales und methodisches angesehen. Entscheidend soll nicht die akademische Frage sein, welche Norm umgangen wird, sondern, welche Norm für die Folge der Umgehung maßgeblich sein soll. Dabei komme es auf die Norm an, die Objekt der Manipulation sei, also auf die Kollisionsnorm. Die Umgehung sei ein Problem der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit und der internationalprivatrechtlichen Interessen 29 . Entscheidend sei also, ob die Kollisionsnorm auch für den Umgehungsfall gelten solle 30 . Die Kollisionsnorm lasse sich auch funktionell als Objekt der Umgehung verstehen. Umgangen seien Anknüpfungen der Kollisionsnorm; daher sei die Kollisionsnorm gleichzeitig umgangene und ergangene Norm: Ein Teil derselben Norm werde umgangen, ein anderer ergangen 31 . Die Rechtsfolge der unwirksamen Umgehung liegt danach in der Anwendung des umgangenen Teils der Kollisionsnorm, indem die Manipulation außer Acht gelassen und der vermiedenen Anknüpfung nachgegangen wird 32 . 2 . Stellungnahme Die Frage nach der umgangenen Norm ist nicht nur akademisch von Interesse. Wie im Sachrecht bildet die umgangene Norm auch im IPR einen Ausgangspunkt für die umgehungsspezifische Wertung. Von der umgangenen Norm hängt außerdem die Rechtsfolge der Gesetzesumgehung ab. Wie oben erörtert, wird im Regelfall eine „Gleichstellung" vorgenommen, indem die umgangene Norm auf den Umgehungsfall angewandt wird; methodisch wird das meist mit einem Ana-

27 Junker, IPR, Rdnr. 189; Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB; Rdnr. 137; Kegel, IPR (7. Aufl.), S . 3 5 0 f . ; Kegel/Schurig, IPR, S.423f.; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S.243f.; Kropholler, IPR, § 2 3 I; Luther FamRZ 1956, 76; wohl auch v. Bar/Mankowski, IPR I, § 7 Rdnrn. 131 f.; MünchKomm-Sonnenberger, Einl. IPR Rdnr. 687; ähnlich Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 194f.; wohl auch BGH 5 . 1 1 . 1 9 8 0 - V I I I Z R 230/79, B G H Z 78, 318 = IPRax 1 9 8 1 , 1 3 0 = NJW 1981, 522; dazu zustimmend v. Bar/Mankowski, IPR I, § 7 Rdnrn. 131 f. 28 So noch Luther FamRZ 1956, 76 (76). 29 Kegel, IPR, S.350f.; Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 3 f . ; ähnlich v. Bar/Mankowski, IPR I, § 7 Rdnrn. 131 f. 30 Junker, IPR, Rdnr. 189; Kropholler, IPR, § 23 I; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 195; ähnlich Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 243 ff. und BGH 5 . 1 1 . 1980 - VIII Z R 230/ 79, B G H Z 78, 318 = IPRax 1981, 130 = N J W 1981, 5 2 2 . 31 Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB; Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 1 ; Kegel, IPR, S . 3 5 0 f . 32 Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 3 f . ; Kropholler, IPR, § 2 3 II 3; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 199f. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S . 2 4 6 , bezeichnet diesen Vorgang genauer als „isoliert zu bildende Ersatzkollisionsnorm [...], die die Anknüpfung der ,umgangenen' Norm benutzt". Zu den methodischen Fragen im einzelnen unten § 16 I.

226

§13 Strukturelle

Besonderheiten

der Umgehung im IPR

logieschluß begründet. Nach dem „Objekt" der Umgehung richtet sich also, ob die Analogie auf die Sachnorm oder die Kollisionsnorm zu beziehen ist. Erläutern läßt sich das an einem Fallbeispiel, das einer Entscheidung des OLG Hamburg nachgebildet ist: Ein Deutscher hat in Deutschland eine nichteheliche Tochter. Um den damals bestehenden Anspruch der Tochter auf vorzeitigen Erbausgleich nach § 1934d BGB a.F. zu umgehen, wird er kanadischer Staatsbürger. Das nach Art. 25 Abs. 1 EGBGB nunmehr anwendbare kanadische Erbrecht kennt keinen vorzeitigen Erbausgleich 33 . Es stellt sich also die Frage, ob die Anknüpfung in Art. 25 Abs. 1 EGBGB analog anzuwenden ist oder die Sachnorm § 1934d BGB a.F. Sieht man mit der heute überwiegenden Auffassung die Kollisionsnorm als Objekt der Umgehung an, würde eine Gleichstellung erreicht, indem bei der Anknüpfung des Erbstatuts der fraudulöse Statutenwechsel außer Acht gelassen wird. Damit würde an die frühere deutsche Staatsangehörigkeit des Vaters angeknüpft, man käme also unmittelbar zur Anwendung deutschen Erbrechts. Würde man dagegen mit der anderen Ansicht die umgangene Sachnorm analog anwenden 34 , käme ein merkwürdiges Verfahren zustande: Es würde zwar nach der - vorgeschalteten - Norm Art. 25 Abs. 1 EGBGB kanadisches Erbrecht zur Anwendung kommen, aber der Tochter stünde ein Anspruch des deutschen Erbrechts - analog - zu 35 . Folgte man dieser Auffassung, stellte sich bereits die Frage, ob das gesamte deutsche Erbrecht Anwendung finden soll oder nur die umgangenen Regeln über den vorzeitigen Erbausgleich. Da sich die Umgehung nur auf diese Normen bezieht, muß letzteres der Fall sein. Daraus ergeben sich Abgrenzungsschwierigkeiten: Wonach soll sich der Umfang des anzuwendenden Sachrechts richten, nach der Umgehungsabsicht oder der objektiven Eignung der Umgehung? Darüber hinaus müßten die umgangenen Normen in das im übrigen geltende kanadische Erbstatut integriert werden. Dabei käme es auch darauf an, nach welcher Rechtsordnung sich die methodischen Voraussetzungen (insbesondere der Analogie) richten würden. Entsprechende Probleme ergeben sich aus der Sicht des deutschen Rechtsanwenders bei der Umgehung ausländischen Rechts. Die Folgen einer Umgehung 33 Vgl. OLG Hamburg 22.8. 1995 - 2 U 29/94, NJW-RR 1996, 203. Das OLG lehnte im konkreten Fall eine Umgehung allerdings ab, weil der Vater für den Statutenwechsel andere Motive als die Gesetzesumgehung gehabt hatte. § 1 9 3 4 d BGB wurde 1997 durch das ErbGleichG aufgehoben; es lassen sich aber ähnliche Fallgestaltungen beispielsweise zur Umgehung des Pflichtteilsanspruchs denken. 34 Römer, S. 87ff. 35 Kritisch zu Römer auch Luther FamRZ 1956, 76. Römer, S.88 zieht diese Konsequenz nicht, sondern will den fraudulösen Statutenwechsel in dem Maße ignorieren, in dem seine „Berücksichtigung zur Vereitelung der umgangenen Sachnorm führen würde". Er will also ebenfalls eine Lösung auf kollisionsrechtlicher Ebene, die sich mit seinem Ansatz aber nicht begründen ließe.

IL Mittel der Gesetzesumgehung im IPR

227

ausländischen Rechts sind im einzelnen umstritten; grundsätzlich kann sie nach der deutschen Rechtsprechung aber beachtlich sein 3 6 . Wird durch Ergehung deutschen Rechts eine ausländische Sachvorschrift umgangen, ist eine analoge Anwendung dieser Vorschrift im deutschen Recht k a u m möglich und sachgerecht. Am praktischen Fall zeigt sich also, daß methodischer Ausgangspunkt die Kollisionsnorm sein muß: D a auf kollisionsrechtlicher Ebene manipuliert wurde, muß auch auf dieser Ebene repariert werden. O b j e k t der Gesetzesumgehung im IPR und Ausgangspunkt der Wertung ist also das Kollisionsrecht. Allerdings zeigt der praktische Fall auch, daß es nicht die Kollisionsnorm als solche ist, die umgangen wird: Im Gegenteil wollte der Vater im Beispielsfall Art. 2 5 Abs. 1 E G B G B gerade zur Anwendung bringen, um in das kanadische Erbrecht hineinzugelangen. O b j e k t der Gesetzesumgehung im IPR ist also weder die Sachnorm noch die Kollisionsnorm, sondern die Anknüpfung an eine bestimmte Rechtsordnung; im Beispielsfall die Anknüpfung an das deutsche R e c h t 3 7 . Ergangen ist demzufolge die Anknüpfung an die gewünschte Rechtsordnung, also die kanadische. Danach richtet sich auch die Rechtsfolge einer unwirksamen Umgehung: Bei Überschreiten der Eingriffsschwelle ist die umgangene Anknüpfung der betroffenen Kollisionsnorm außer Betracht zu lassen und die ergangene Anknüpfung anzuwenden.

II. Mittel der Gesetzesumgehung

im IPR

Gesetzesumgehung im IPR wird oft gleichgesetzt mit der Manipulation von Anknüpfungsmerkmalen. In der Tat liegt darin das praktisch wichtigste Mittel zur Umgehung. Anders als im Sachrecht, w o das Umgehungsgeschäft die Regel ist und die tatsächliche Umgehungshandlung die A u s n a h m e 3 8 , ist das Verhältnis im IPR genau umgekehrt. Die Manipulation von Anknüpfungsmomenten erfolgt grundsätzlich durch tatsächliches Handeln, indem z.B. der Abschlußort eines Rechtsgeschäfts verlegt oder die Staatsangehörigkeit gewechselt wird. Die Besonderheiten des IPR ermöglichen jedoch zwei weitere Mittel der Gesetzesumgehung. Mitunter bestehen Gesetzesumgehungen im IPR nicht in der M a 3 6 Vgl. obiter BGH 8.3. 1979 - VIII Z R 48/78, W M 1979, 486 zur Umgehung spanischen Devisenrechts - in casu verneint, da die Umgehung nicht „bezweckt" war (S.487); anders Römer, S. 80ff. Darüber hinaus kann ausländisches Recht bei Rück- und Weiterverweisungen beachtlich sein, dazu Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB, Rdnrn. 150ff.; Kegel/Schurig, IPR, S.427f.; MünchKomm - Sonnenberger, Einl. IPR, Rdnrn. 694 f. 3 7 Dazu ausführlich unten § 16 I.2.b)bb)(l). 3 8 Eine Ausnahme bilden die verbreiteten Fälle der Umgehung von Aufrechnungsverboten mit Mitteln der Zwangsvollstreckung; dazu Werner, Umgehung von Aufrechnungshindernissen und z.B. LG Bonn 2 7 . 2 . 1996 - 2 S 109/95, FamRZ 1996, 1486.

228

§ 13 Strukturelle

Besonderheiten

der Umgebung

im IPR

nipulation eines Anknüpfungsmoments, sondern nutzen den Formalismus der Rechtsbegriffe des Kollisionsrechts aus, indem z.B. dem Handeln ein gesellschaftsrechtliches Gewand gegeben wird 39 . Die Manipulation betrifft dann nicht anknüpfungserhebliche, sondern qualifikationserhebliche Momente (dazu 1.). Außerdem ist für das IPR kennzeichnend, daß es vielfach nicht (nur) objektiv anknüpft, sondern den Parteien die Möglichkeit der Rechtswahl gibt. Es stellt sich daher die Frage, ob eine Umgehung durch Rechtswahl möglich ist (dazu 2.). Neben dem abweichenden rechtlichen Ansatzpunkt weisen diese Sonderfälle der Gesetzesumgehung im IPR auch tatsächliche Besonderheiten auf. Anders als bei der Manipulation von Anknüpfungsmomenten wird hier im Regelfall eine vertragliche Vereinbarung, ein Umgehungsgeschäft, vorliegen. Im ersten Fall wird ein Umgehungsgeschäft in der Regel erforderlich sein, da anders die Qualifikation nicht geändert werden kann, im zweiten Fall der Rechtswahl ist ein Vertrag begriffsnotwendig nötig. 1. Veränderung qualifikationserheblicher Tatsachen a) Der erste Sonderfall der Umgehung wird gelegentlich als Wechsel des Anknüpfungsmoments „auf Umwegen" bezeichnet40. Der bekannteste Beispielsfall eines derartigen Vorgehens ist der französische „case Caron" aus den 1980er Jahren 41 . Es ging um den vermögenden früheren Franzosen Caron, der später Amerikaner wurde und auf St. Thomas (Jungferninseln, USA) lebte. Caron hatte zwei Kinder, die er offenbar von jeder Erbschaft ausschließen wollte. Schwierigkeiten machte ihm dabei eine Wohnung an der Cöte d'Azur, da nach französischem IPR Grundstücke nach der lex rei sitae vererbt werden und das französische Erbrecht im Gegensatz zum Recht von St. Thomas ein Pflichtteilserbrecht vorsieht. Caron gründete daher eine Grundstücksgesellschaft in Form einer amerikanischen Corporation mit der Wohnung als einzigem Aktivum. Die Anteile an dieser Gesellschaft wurden - z.T. auf Umwegen - seiner ehemaligen Sekretärin und deren Ehemann übertragen. Die cour de Cassation gab der Klage der Kinder auf Herausgabe des Pflichtteils statt: Die Gründung der corporation sei wegen Gesetzesumgehung unbeachtlich, so daß es bei der Geltung französischen Erbrechts bleibe. Die Besonderheit dieses Falles liegt darin, daß die Manipulation nicht unmittelbar die Anknüpfungskriterien betraf. Caron hat statt dessen aus einem erbrechtlichen Fall einen gesellschaftsrechtlichen gemacht. Die Manipulation betraf also die Qualifikation, d.h. die Frage, unter welchen Anknüpfungsgegenstand

Dazu Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 127f. Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 1 . 4 1 Cour de cassation 2 0 . 3 . 1984, Rev. crit. dr. i. p. 1986, 66 m. Anm. Lequette; mann, IPR, § 6 Rdnr.130; Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 1 m.w.N. 39

40

dazu v. Hoff-

II. Mittel der Gesetzesumgehung

im IPR

229

das rechtliche Verhältnis zu subsumieren ist 4 2 . Damit gibt es mit der Manipulation qualifikationserheblicher Tatsachen ein weiteres, wenn auch praktisch selteneres Mittel der Gesetzesumgehung im IPR 4 3 . Derartige Fälle lassen sich auch zum deutschen IPR konstruieren, wenn beispielsweise eine Schenkung unter Lebenden erfolgt, um eine erbrechtliche Qualifikation und damit den Pflichtteilsanspruch zu umgehen 44 . b) Wie erwähnt, sind umgangene und ergangene Normen nicht die Sachnormen, sondern die Kollisionsnormen, genauer die jeweiligen Anknüpfungen 45 . Soll die Umgehung nicht toleriert werden, wird also die umgangene Anknüpfung angewandt, die „ergangene" ignoriert. Der Unterschied zum Regelfall der Gesetzesumgehung im IPR liegt bei der Veränderung qualifikationserheblicher Merkmale darin, daß sich die Anknüpfungen in unterschiedlichen Normen befinden, wenn beispielsweise eine gesellschaftsrechtliche Anknüpfung ignoriert und nach der erbrechtlichen gefragt wird. Ob die Umgehung toleriert werden soll, ist eine Frage der - umgehungsspezifischen - Wertung. Dabei ergeben sich für die Manipulation qualifikationserheblicher Tatsachen keine Besonderheiten, weil die Folgen der Umgehung nicht von dem Ansatzpunkt der Manipulation abhängen. Das zeigt folgende Überlegung: In dem französischen Fall gab es für Caron keine andere Möglichkeit als die Manipulation qualifikationserheblicher Tatsachen, da das Erbstatut der lex rei sitae für Immobilien unwandelbar ist. Der Pflichtteilsanspruch kann jedoch in ähnlicher Weise durch Manipulation anknüpfungserheblicher Tatsachen umgangen werden; auf der Grundlage von Art. 2 5 Abs. 1 E G B G B beispielsweise durch einen Wechsel der Staatsangehörigkeit. Das rein rechtstechnische Vorgehen des Umgehers ist für die umgehungsspezifische Wertung also grundsätzlich ohne Belang: Für die Manipulation qualifikationserheblicher Merkmale gelten die gleichen objektiven und subjektiven Kriterien wie für die Manipulation anknüpfungserheblicher Tatsachen. Allerdings ergibt sich eine tatsächliche Besonderheit. Wie eingangs erwähnt, sind für die Manipulation qualifikationserheblicher Merkmale in der Regel - vertragliche - Umgehungsgeschäfte erforderlich. Daher wird regelmäßig aus den Umständen geschlossen werden können, daß die Umgehung beabsichtigt oder bezweckt war, also subjektive Voraussetzungen vorliegen 46 .

Junker, IPR, Rdnr. 151; ausführlich zur Qualifikation Rdnrn. 152ff. V. Hoffmann, IPR, § 6 Rdnr. 1 3 0 . 4 4 Beispiel: v. Hoffmann, IPR, § 6 Rdnr. 123. 4 5 Oben § 1 3 1.2. 4 6 Zu den Wertungskriterien der Praxis im einzelnen unten § 15 IV. Es ist fraglich, ob deutsche Gerichte, die Gesetzesumgehungen allgemein toleranter entgegenstehen als französische, den case Caron in gleicher Weise entschieden hätten wie die cour de Cassation. 42

43

230

§13

Strukturelle

Besonderheiten

der Umgehung

im IPR

1. Gesetzesumgehung durch Rechtswahl In einigen Fällen stellt das IPR den Rechtssubjekten frei, die anwendbare Rechtsordnung zu wählen. Das gilt für Schuldverträge, die nach Art. 2 7 Abs. 1 E G B G B grundsätzlich dem von dem Parteien gewählten Recht unterliegen. Weitere Möglichkeiten der Rechtswahl ergeben sich beispielsweise aus Artt. 14 Abs. 3, 15 Abs. 3 (Allgemeine Ehewirkungen und Güterstand), 2 5 Abs. 2 (deutsches Recht als Erbstatut für in Deutschland belegenes unbewegliches Vermögen) und seit 1 9 9 9 aus Art. 4 2 E G B G B (außervertragliche Schuldverhältnisse). Die größte Bedeutung hat die in Art. 2 7 E G B G B niedergelegte freie Rechtswahl für vertragliche Schuldverhältnisse. Art. 2 7 E G B G B beruht auf Art. 3 EVÜ; allerdings war der Grundsatz der Parteiautonomie schon vorher gewohnheitsrechtlich anerkannt 4 7 . Art. 2 7 Abs. 1 und 2 E G B G B normiert weitgehende Möglichkeiten der Rechtswahl: Sie kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen, den gesamten Vertrag oder nur Teile davon betreffen, bei Vertragsschluß oder auch nachträglich erfolgen 4 8 . Nach der Einschränkung in Art. 2 7 Abs. 3 E G B G B darf aber von den zwingenden Vorschriften eines Staates nicht abgewichen werden, wenn der sonstige Sachverhalt nur mit dem Recht dieses Staates verbunden ist. Weitere Einschränkungen ergeben sich aus Artt. 2 9 Abs. 1 und 3 0 Abs. 1 E G B G B sowie aus Art. 34 E G B G B 4 9 . Eine weitere, praktisch bedeutsame Einschränkung der Rechtswahlfreiheit folgt aus einer Entscheidung des E u G H aus dem Jahr 2 0 0 0 5 0 . Es ging im Entscheidungsfall um Ansprüche eines Handelsvertreters gegen seinen Prinzipal nach Vertragsbeendigung, die sich aus Artt. 17 und 18 der Richtlinie 86/653/ E W G des Rates vom 18. Dezember 1 9 8 6 ergeben (in Deutschland § 8 9 b H G B ) . Der klagende Handelsvertreter übte seine Tätigkeit innerhalb des Binnenmarktes aus; der Prinzipal hatte seinen Sitz in einem Drittland (Kalifornien/USA). Der Vertrag zwischen Handelsvertreter und Unternehmer unterlag kraft ausdrücklicher Rechtswahl dem Recht von Kalifornien, das keine entsprechenden Ausgleichsansprüche vorsieht. Nach dem Urteil des E u G H stehen dem Handelsvertreter die Ausgleichsansprüche trotzdem zu. Ein Unternehmer, dessen Handelsvertreter seine Tätigkeit innerhalb der Gemeinschaft ausübt, könne die Regelungen der Richtlinie nicht „schlicht durch eine Rechtswahlklausel umgehen". M i t dieser etwas apodiktischen Begründung zog der E u G H aus der Bedeutung der Artt. 1 7 , 1 8 der Richtlinie für Niederlassungsfreiheit und Binnenmarkt den Schluß, sie seien auch ohne Palandt-Heldrich An. 27 EGBGB, Rdnr. 1. Ausführlich v. Hoffmann, IPR, § 1 0 Rdnrn. 26 ff.; Junker, IPR, Rdnrn. 343 ff.; Lorenz RIW 1987, 5 6 9 . 4 9 Dazu Palandt-Heldrich Art. 2 7 EGBGB, Rdnrn. 3f. Zu Art. 34 EGBGB unten § 18 11.4. 5 0 EuGH 9 . 1 1 . 2 0 0 0 - R s . C-381/98, NJW 2 0 0 1 , 2 0 0 7 = DB 2 0 0 1 , 36 (Ingmar); anders zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters BGH 3 0 . 1 . 1961 - VII Z R 180/60, N J W 1961, 1061. 47

48

II. Mittel der Gesetzesumgebung

im IPR

231

ausdrückliche Regelung international zwingend (in Deutschland Art. 34 EGBGB) 5 1 . Wenn durch Rechtswahl eine Norm ausgehebelt wird, welche einer EG-Richtlinie entstammt, muß also geprüft werden, ob diese nach ihrem Wortlaut und ihrem Ziel international zwingend sein soll.

a) „Mißbrauch

der Rechtswahl" durch

Umgehungf

Ungeachtet des Wortlauts seiner Begründung ging es in dem Urteil des EuGH nicht um Fragen der Gesetzesumgehung, sondern um den international zwingenden Charakter von Normen, welche auf EG-Richtlinien beruhen. Eine „europäische fraus legis" sollte keineswegs begründet werden, zumal das Gericht auch keinerlei Ausführungen zur Umgehungsabsicht macht 5 2 . Das Urteil des EuGH läßt also eine in Deutschland seit langem umstrittene Frage unbeantwortet, ob in der Ausübung von Parteiautonomie durch Rechtswahl auch eine Gesetzesumgehung liegen kann. Die Problematik wird anhand zweier Beispielsfälle mit historischem Kolorit deutlich. Parteien eines Verfahrens vor dem Reichsgericht aus dem Jahre 1 9 2 3 waren zwei in Petersburg wohnende Russen, die aus dem bolschewistischen Rußland fliehen wollten. Sie hatten einen auf Zahlung amerikanischer Valuta gerichteten Schuldvertrag abgeschlossen; einer solchen Gestaltung standen aber die russischen Devisengesetze entgegen. Daher schlössen sie die Anwendbarkeit russischen Rechts vertraglich aus und vereinbarten die Geltung einer anderen Sachrechtsordnung. Das Reichsgericht hielt den Vertrag für wirksam 5 3 . Zu einem anderen Ergebnis kam das Reichsgericht in einem noch älteren Fall, der sich mit dem heute noch aktuellen Problem unseriöser Ehemaklerverträge beschäftigt 54 . Der spätere Beklagte, ein sächsischer Staatsbürger, schloß in Sachsen mit einer sächsischen Staatsbürgerin einen derartigen Vermittlungsvertrag. Es wurde darin ein Honorar vereinbart, das 3 % des Vermögens der zukünftigen Ehefrau erfaßte. Für Streitigkeiten wurde die Geltung preußischen Rechts vereinbart. Hintergrund dieser Vereinbarung war, daß nach dem sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuch ein Vergütungsversprechen für Ehemäkler nichtig war. Als der Beklagte tatsächlich eine überaus vermögende Dame heiratete, kam es zum Rechtsstreit um das Honorar. Das Reichsgericht hielt die Vereinbarung für nichtig: Die Vertragsfreiheit sei dahingehend eingeschränkt, „daß es den Beteilig-

Dazu Staudinger N J W 2 0 0 1 , 1974 (1975f.). Staudinger NJW 2 0 0 1 , 1 9 7 4 (1975, Fn. 11). Zur Bedeutung der Umgehungsabsicht für die Gesetzesumgehung im IPR unten § 15 IV. 1. Es ist davon auszugehen, daß die Beklagte im Entscheidungsfall des EuGH keinerlei Umgehungsabsicht hatte, die europäischen Bestimmungen vermutlich nicht einmal kannte. " R G 3 . 1 0 . 1923 - V 886/22, R G Z 108, 2 4 1 ; dazu Römer, S.6; ebenso in einem ähnlichen Fall KG 1 . 4 . 1926 - 19 U 4617/24, J W 1926, 2 0 0 2 . 5 4 R G 2 1 . 9 . 1 8 9 9 - Rep. VI. 173/99, R G Z 44, 300 (Zitat S.302). 51 52

232

§ 13 Strukturelle Besonderheiten

der Umgehung im IPR

ten nicht möglich ist, Rechte und Pflichten im Widerspruche mit zwingenden Rechtssätzen zu begründen": Es fehle jeder Bezug nach Preußen; die umgangene Vorschrift des sächsischen B G B sei zwingend. Die Rechtswahl scheiterte damit bereits an den heute in Art. 2 7 Abs. 3 E G B G B niedergelegten Grundsätzen. Die Frage der Umgehung blieb also dahingestellt, wäre jedoch zu erörtern gewesen, wenn ein Bezug nach Preußen bestanden hätte. In der Literatur finden sich unterschiedliche Stellungnahmen zu der Frage, ob die Parteiautonomie bei der Rechtswahl durch den Gedanken der Gesetzesumgehung oder der mißbräuchlichen Rechtswahl eingeschränkt werden kann. In der älteren Literatur wurde gelegentlich eine Gesetzesumgehung hinter „ungehörig e r " oder „illegitimer" Rechtswahl vermutet 5 5 . Bis etwa 1 9 9 0 war die Auffassung verbreitet, Gesetzesumgehung und Rechtswahl schlössen sich aus: Wo Rechtswahl, also Parteiautonomie, möglich sei, könne in der Ausübung dieser Autonomie keine Gesetzesumgehung liegen 5 6 . N a c h der heute wohl überwiegenden Ansicht kann fraus legis auch in Fällen der Rechtswahl angenommen werden, wird aber nur in seltenen Fällen zu einer Unwirksamkeit der Rechtswahl führen5'. Auch die Rechtsprechung war bis etwa 1 9 9 0 zurückhaltend, wenn es um „ M i ß b r a u c h der R e c h t s w a h l " ging. Als Beispiel kann ein Fall des B G H aus dem J a h r 1 9 7 6 dienen 5 8 : Ein Niederländer übernahm eine Bürgschaft für die Verpflichtung einer niederländischen Gesellschaft gegenüber dem späteren Kläger, einem Deutschen. Es wurde deutsches Recht gewählt. Dabei ausgeschaltet wurde eine Regelung des niederländischen Rechts, wobei Bürgschaften grundsätzlich der Zustimmung des Ehegatten des Bürgen bedürfen. Der B G H hielt die Vereinbarung dennoch für wirksam, es gelte das Prinzip der Parteiautonomie. Die Entscheidung ist in der Literatur wegen „Heimwärtsstrebens" kritisiert worden; allerdings ging es dabei nicht um M i ß b r a u c h der Rechtswahl, sondern insbesondere um Fragen der Qualifikation 5 9 . D e r B G H k a m 1 9 6 8 auf Umwegen zu einer generellen Aussage über die Gesetzesumgehung in Fällen der Privatautonomie 6 0 . Gegenstand der Entscheidung war die Anerkennung eines französischen Urteils, dabei die Frage nach der Verbürgung der Gegenseitigkeit nach § § 7 2 3 , 3 2 8 Abs. 1 N r . 5 Z P O 6 1 . Voraussetzung dafür ist, daß die Vollstreckung eines deutschen Urteils gleichen Inhalts in Gamillscheg, AcP 157 (1958/59), 303 (308); Römer, S. 159ff. V. Bar/Mankowski, IPR I, § 7 Rdnrn. 128f.; Palandt-Heldnch Einl. v. Art. 3 EGBGB, Rdnr.26. 57 MünchKomm-Martiny Art.27 EGBGB Rdnr.10; Staudinger-Magnus Art.27 EGBGB, Rdnr.29; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S.174; s. auch Lando RabelsZ 57 (1993), 155 (164f.). 58 BGH 15.11. 1 9 7 6 - V I I I ZR 76/75, NJW 1977, 1011 = JZ 1977,438. 59 Jochem NJW 1977, 1012; Kühne JZ 1977, 439. 6 0 BGH 8.5. 1968 -VIII ZR 43/65, BGHZ 50, 100 (103, l l l f . ) . 61 Zur Anerkennung gemäß § 328 ZPO unten § 18 I. 55

56

II. Mittel der Gesetzesumgehung

im IPR

233

Frankreich auf keine wesentlich größeren Schwierigkeiten stieße als die Vollstreckung des französischen Urteils in Deutschland. In Frankreich gehört zu den Voraussetzungen der Anerkennung „l'absence de toute fraude ä la loi". Nach dem BGH nimmt auch das deutsche Anerkennungsrecht eine Umgehung der Kollisionsnormen nicht ohne weiteres hin. Doch „in vermögensrechtlichen Angelegenheiten, für die der Grundsatz der Privatautonomie gilt, die Parteien mithin grundsätzlich frei bestimmen können, welches Recht anwendbar sein soll, kommt eine Umgehung des an sich maßgeblichen Kollisionsrechts kaum in Betracht".

b)

„Gran-Canaria-Fälle"

aa) Der Anlaß für den Wandel des Meinungsbildes um 1990 waren die sog. Gran-Canaria-Fälle. 1986 war in Deutschland das Haustürgeschäfte-Widerrufsgesetz in Kraft getreten, das auf einer EG-Richtlinie beruhte und Käufern u.a. bei Freizeitveranstaltungen ein Widerrufsrecht einräumte (seit der Schuldrechtsreform §§ 312ff. BGB). Spanien setzte die entsprechende Richtlinie erst 1992 um. Diesen Umstand machten sich deutsche Geschäftsleute zunutze, indem sie in spanischen Urlaubsgebieten Verkaufsveranstaltungen für deutsche Urlauber abhielten. Für den Kauf wurde - meist in AGB - spanisches Recht vereinbart, um das Widerrufsrecht nach § 1 HaustürWG (jetzt §§312, 355ff. BGB) zu umgehen. Zahlreiche Urlauber beriefen sich gegenüber den Ansprüchen auf Bezahlung der überteuerten Ware dennoch auf das Widerrufsrecht. Vor deutschen Instanzgerichten bekamen sie in aller Regel recht 62 . Die Begründungen waren indes denkbar unterschiedlich. Einige Gerichte wandten die Verbraucherschutzregelung in Art. 29 EGBGB unmittelbar oder analog an; zur Begründung wurde dabei auch auf Gesetzesumgehung hingewiesen 63 . Andere sahen einen Verstoß gegen den deutschen ordre public 64 . Das LG Hamburg zog in einer frühen Entscheidung das Umgehungsverbot in § 5 HaustürWG (jetzt § 312f S.2 BGB) heran und verkannte dabei die vorgeschaltete Kollisonsrechtsordnung 65 . Auch von

62

Anders n u r LG Düsseldorf 5 . 1 2 . 1 9 9 0 - 2 3 S 380/89, N J W 1 9 9 1 , 2 2 2 0 und O L G Düsseld o r f 9 . 6 . 1 9 9 4 - 1 3 U 1 7 3 / 9 2 , N J W - R R 1 9 9 5 , 1 3 9 6 . In d e n E n t s c h e i d u n g e n g i n g es n i c h t u m ein e n G r a n - C a n a r i a - F a l l , s o n d e r n einen T e p p i c h k a u f in d e r T ü r k e i ; im ü b r i g e n eine e n t s p r e c h e n de F a l l k o n s t e l l a t i o n . 63 LG Limburg 2 . 5 . 1990 - 3 S 407/89, N J W 1990, 2206; O L G Stuttgart 18.5. 1990 - 2 U 191/89, IPRax 1991, 332; LG Konstanz 1 7 . 6 . 1 9 9 2 - 6 S 47/92, N J W - R R 1 9 9 2 , 1 3 3 2 (1333) diese E n t s c h e i d u n g s t ü t z t sich a u ß e r d e m a u f A r t . 2 8 E G B G B ; w o h l a u c h L G S t u t t g a r t 2 3 . 5 . 1990 - 5 S 427/89, NJW-RR 1990, 1394. 64 So O L G Celle 2 8 . 8 . 1 9 9 0 - 2 0 U 8 5 / 8 9 , I P R a x 1 9 9 1 , 3 3 5 ; a n d e r s L G D ü s s e l d o r f 5 . 1 2 . 1990 - 23 S 380/89, N J W 1991, 2220. 65

L G H a m b u r g 2 1 . 2 . 1 9 9 0 - 2 S 8 2 / 8 9 , I P R a x 1 9 9 9 , 2 3 9 ( 2 4 1 f.); zu § 3 1 2 f S . 2 B G B (§ 5 H a u s t ü r W G ) o b e n §5 I . 2 . b ) .

234

§13

Strukturelle

Besonderheiten

der Umgehung

im IPR

einem Teil der Literatur vertreten wurde die Ansicht, das deutsche Verbraucherschutzrecht könne über Art. 31 Abs. 2 E G B G B Anwendung finden 6 6 . Zuletzt kamen einige Gerichte auf europarechtlichem Weg zu einem Widerspruchsrecht: Sie wandten die zugrundeliegende EG-Richtlinie unmittelbar an, da Spanien sie verspätet umgesetzt habe 6 7 . Vor dem Hintergrund der EuGH-Entscheidung zum Schutz des Handelsvertreters aus dem Jahre 2 0 0 0 6 8 würde sich heute die Frage stellen, ob die entsprechenden Regelungen der Verbraucherschutz-Richtlinien als international zwingendes Recht im Sinne von Art. 3 4 E G B G B auszulegen sind. In der Literatur wird diese Frage unter Hinweis auf das EuGH-Urteil bejaht 6 9 . Sieht man die Regelung des damaligen HaustürWG (§ § 3 1 2 ff. BGB) als unmittelbar anwendbar an, käme eine Gesetzesumgehung nicht im Betracht, sondern nur ein mißlungener Umgehungsversuch. bb) In der Literatur wurde ganz überwiegend ein Widerspruchsrecht in den „Gran-Canaria-Fällen" abgelehnt. Läßt man die europarechtliche Besonderheit der Fälle beiseite, kann in der Tat die Anwendung deutschen Rechts mit dem deutschen Kollisionsrecht nicht begründet werden. Art. 2 9 E G B G B kann weder unmittelbar noch analog Anwendung finden: Keiner der Tatbestände von Art. 2 9 Abs. 1 Nrn. 1 - 3 E G B G B ist erfüllt. Einer Analogie steht entgegen, daß die Aufzählung ausdrücklich abschließend sein soll 7 0 . Auch Art. 2 7 Abs. 3 E G B G B führt nicht zu deutschem Recht, da die Auslandsbeziehungen bei einem Vertragsschluß im Ausland nicht nur geringfügig sind 7 1 . Die ordre-public-Klausel (Art. 6 E G B G B ) greift nicht ein, weil das Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften nicht den Rang eines Grundgedankens des deutschen Rechts oder eines unverzichtbaren Grundprinzips erreicht 7 2 .

6 6 So LG Aachen 2 0 . 1 2 . 1 9 9 0 bzw. 2 1 . 2 . 1991 - 6 S 267/90, mit unterschiedlichen Entscheidungsdaten in N J W 1991, 2 2 2 1 und NJW-RR 1991, 885; LG Rottweil 3 1 . 5 . 1995 - 3 O 1240/ 94, NJW-RR 1996, 1401: In der Entscheidung wird der zwingende Charakter des HaustürWG mit § 5 HaustürWG (jetzt § 3 1 2 f BGB) begründet; auch LG Gießen 1 4 . 1 2 . 1994 - 4 O 528/93, IPRax 1993, 3 9 5 ; LG Hamburg 2 1 . 2 . 1990 - 2 S 82/89, IPRax 1990, 2 3 9 (240); dazu ausführlich Müsch IPRax 1995, 3 7 1 . 6 7 AG Bremerhaven 2 7 . 6 . 1 9 9 0 - 53 C 650/88, NJW-RR 1 9 9 0 , 1 0 8 3 ; O L G Celle 2 8 . 8 . 1 9 9 0 - 2 0 U 85/89, IPRax 1991, 3 3 5 ; LG Hildesheim 1 1 . 1 2 . 1991 - 7 S 236/91, IPRax 1993, 173; dagegen Coester-Waltjen, Der Eskimo-Mantel aus Spanien, S. 3 1 0 . Die Anwendbarkeit der Richtlinie bejaht Jayme IPRax 1 9 9 0 , 2 2 0 unter Berufung auf Art. 34 EGBGB. 6 8 EuGH 9 . 1 1 . 2 0 0 0 - Rs. C-381/98 - Ingmar, N J W 2 0 0 1 , 2 0 0 7 = DB 2 0 0 1 , 36; zu Sachverhalt und Entscheidung oben § 13 II.2. 69 Staudinger N J W 2 0 0 1 , 1974 (1976f.). 70 Coester-Waltjen/Mäsch, Übungen im IPR, S.lOOf.; Junker, IPR, Rdnr.374; Taupitz BB 1990, 643 (658f.). Der abschließende Charakter ergibt sich aus den Materialien zu Art. 5 EVÜ, die wegen des Gebots der einheitlichen europäischen Auslegung in Art. 36 EGBGB auch für das deutsche IPR beachtlich sind. Nach Coester-Waltjen, Der Eskimo-Mantel aus Spanien, S. 311, steht der Analogie außerdem entgegen, daß kein hinreichender Inlandsbezug besteht. 71 Taupitz BB 1990, 643 (648). 72 Soergel-v. Hoffmann, Art.29 EGBGB Rdnr.35; Taupitz BB 1990, 643 (650f.).

II. Mittel der Gesetzesumgehung

im IPR

235

Der Weg über Artt. 3 4 und 31 Abs. 2 E G B G B zum deutschen Verbraucherschutz ist - abgesehen von der Geltung aus europarechtlichen Aspekten - ebenfalls grundsätzlich nicht möglich 7 3 . Art. 34 E G B G B wird von Art. 2 9 E G B G B ausgeschlossen, soweit dieser eine in sich geschlossene Regelung darstellt 7 4 . Im einzelnen bedeutet das nach zwei Entscheidungen des B G H für das Verhältnis von Art. 2 9 und Art. 3 4 E G B G B 7 5 : Grundsätzlich ist Art. 3 4 E G B G B auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes anwendbar. Soweit keine Spezialanknüpfung eingreift (vor allem A r t . 2 9 a E G B G B - früher §§ 12 A G B G , 8 TzWrG), ist A r t . 2 9 E G B G B jedoch vorrangig. Das bedeutet, daß Art. 3 4 E G B G B nicht eingreift, wenn zwar ein Verbrauchervertrag i.S.d. Art. 2 9 E G B G B vorliegt, der Vertrag aber nicht von der abschließenden Aufzählung in Art. 2 9 Abs. 1 Nrn. 1 - 3 E G B G B erfaßt ist. Entsprechendes gilt für das Verhältnis von Art. 2 9 und Art. 3 1 Abs. 2 E G B G B : Die Anwendung von Art. 31 Abs. 2 E G B G B darf nicht den differenzierten Wertungen von Art. 2 9 E G B G B widersprechen 7 6 . Der Geltungsbereich des Art. 31 Abs. 2 E G B G B ist enger als sein Wortlaut vermuten läßt. Art. 31 E G B G B befaßt sich nicht mit den inhaltlichen Bindungen, die den Parteien aus dem Vertragsschluß erwachsen, sondern nur mit der Bindung durch das äußere, objektive Verhalten der Parteien und dessen Deutung als rechtsgeschäftlich erheblich. Außerdem werden in der Regel keine „besonderen Umstände" im Sinne von Art. 31 Abs. 2 E G B G B vorliegen. Die „Überrumpelung" der Urlauber betrifft allein die Ebene des materiellen Sachrechts, während sich der Terminus im Gesetz auf die Ebene des Kollisionsrechts bezieht 7 7 . cc) Vereinzelt wurden die Gran-Canaria-Fälle von Rechtsprechung und Literatur auch unter dem Gesichtspunkt der Rechts- oder Gesetzesumgehung untersucht 7 8 . Die Stellungnahmen machen deutlich, wie jeweils wertende Aspekte im Vordergrund stehen, auch wenn sich zur Dogmatik der Gesetzesumgehung unterschiedliche Aussagen finden. So behandelt Coester-Waltjen

die Gesetzesum-

gehung als Form der Einrede des Rechtsmißbrauchs (exceptio doli praeteriti) und will daher auch subjektive Kriterien berücksichtigen 7 9 . Im Gegensatz zur 73 Coester-Waltjen/Mäsch, Übungen im IPR, S. 103ff. ab; ebenso zum früheren VerbrKrG Felke R I W 2 0 0 1 , 30. 74 Coester-Waltjen, Der Eskimo-Mantel aus Spanien, S.313f.; v. Hoffmann, IPR, § 1 0 Rdnr. 73; Junker, IPR, Rdnr.408; Masch IPRax 1995, 371 (374); TaupitzW 1990, 643 (649f.). 7 5 BGH 2 6 . 1 0 . 1 9 9 3 - X I Z R 42/93, B G H Z 123, 3 8 0 (390f.); BGH 1 9 . 3 . 1 9 9 7 - V I I I 316/ 96, N J W 1 9 9 7 , 1 6 9 7 ; dazu Junker, IPR, Rdnr. 4 0 8 . Eine analoge Anwendung von Art. 2 9 Abs. 1 EGBGB wird in den Entscheidungen ausdrücklich abgelehnt. 76 V Hoff mann, IPR, § 10 Rdnr. 73. 7 7 Dazu ausführlich Müsch IPRax 1995, 371. 7 8 Insbesondere Coester-Waltjen, Der Eskimo-Mantel aus Spanien, S.315ff.; Coester-Waltjen/Mäsch, Übungen im IPR, S. 106ff.; ferner v. Hoffmann, IPR, § 10 Rdnr. 73; Soergel-v. Hoffmann Art. 2 7 EGBGB Rdnr. 92; Staudinger-Reinhart Art. 2 9 EGBGB Rdnr. 67; Taupitz BB 1990, 643 (651 f.); zur Rechtsprechung s.o. § 13 II.2.b)aa). 79 Coester-Waltjen, Der Eskimo-Mantel aus Spanien, S . 3 1 6 .

236

§ 13 Strukturelle

Besonderheiten

der Umgehung

im IPR

Rechtsprechung kommt die Literatur meist zur Unanwendbarkeit des deutschen Verbraucherschutzrechts und damit zur Wirksamkeit der Verträge. Tatsächlich sind bei einer Gesamtbetrachtung die „euphorischen Urlauber" nicht schutzwürdig genug, um über den Geltungsbereich der entsprechenden Kollisionsnormen - insbesondere Art. 2 9 Abs. 1 E G B G B - hinaus deutsches Recht anzuwenden 8 0 . Die Urlauber wußten, daß sie sich im Ausland befanden und daß Spanien eine andere Rechtsordnung hat als Deutschland. Sie konnten nicht davon ausgehen, den deutschen „Verbraucherschutz im Urlaubsgepäck" 8 1 mit sich zu führen. Der B G H ist vor wettbewerbsrechtlichem Hintergrund zum gleichen Ergebnis gekommen: 1 9 9 0 verwarf er die Klage eines Verbraucherverbandes gegen eine Textilfirma auf Unterlassung, Verkaufsformulare ohne Widerrufsbelehrung nach § 1 HaustürWG (jetzt §§ 3 1 2 Abs. 2 , 3 5 5 f f . BGB) zu verwenden. Es sei spanisches Wettbewerbsrecht anwendbar, nicht § 1 U W G 8 2 . dd) Jedoch machen die Gran-Canaria-Fälle die lapidare Feststellung, eine Gesetzesumgehung durch Rechtswahl sei nicht möglich, zweifelhaft. Es sind ähnliche Fälle denkbar, bei denen der Schutz des Betroffenen eindeutig eine Uberschreitung der Eingriffsschwelle erfordert. In der Literatur werden dafür unterschiedliche Ansatzpunkte genannt. Nicht stichhaltig ist es, einen „fraudulösen Auslandsbezug" nur dann anzunehmen, wenn der Verkäufer die Kunden veranlaßt, nach Gran Canaria zu fahren 8 3 : Das bewußte Ausnutzen einer Situation ist nicht unbedingt höher zu bewerten als ihr Herstellen; überdies wird in diesen Fällen oft bereits Art. 2 9 Abs. 1 Nr. 3 E G B G B eingreifen. Statt dessen ist auf subjektive Vorstellungen sowohl des Verkäufers als auch des Kunden abzustellen 8 4 . So ist eine unwirksame Gesetzesumgehung durch Rechtswahl vor allem dann vorstellbar, wenn der Verkäufer Maßnahmen ergreift, um dem Kunden die Geltung deutschen Rechts vorzuspiegeln - ohne allerdings die Grenze der anfechtbaren Täuschung zu überschreiten. Schließlich müssen diese Maßnahmen auch bewußt in dieser Absicht getroffen worden sein und der Käufer muß tatsächlich das Gefühl gehabt haben, deutsches Verbraucherschutzrecht fände Anwendung. Das könnte beispielsweise der Fall sein, wenn der Verkäufer besonders mit der deutschen Herkunft seines Betriebes oder seiner Produkte wirbt.

Kegel/Schurig, IPR, S . 5 3 9 ; ebenso Coester-Waltjen/Mäsch, Übungen im IPR, S. 107. So der Untertitel von Taupitz BB 1990, 6 4 3 . 8 2 BGH 1 5 . 1 1 . 1990 - I Z R 22/89, B G H Z 113, 11; dazu Kegel/Schurig, IPR, S . 5 3 9 , 629ff. 83 Taupitz BB 1990, 643 (651f.). 8 4 Ähnlich Coester-Waltjen, Der Eskimo-Mantel aus Spanien, S.317f.; Coester-Waltjen/ Müsch, Übungen im IPR, S. 108. 80

81

II. Mittel der Gesetzesumgehung

im 1PR

237

c) Fazit Auch in einer Rechtswahlvereinbarung kann also eine Gesetzesumgehung liegen. Praktisch werden solche Fälle selten sein 8 5 . Methodisch bestehen allerdings keine Bedenken. Auch in Rechtswahlfällen lassen sich umgangene Normen finden, nämlich diejenigen Kollisionsnormen, die die Rechtswahl einschränken. In den Gran-Canaria-Fällen kommt eine Umgehung von Art. 2 7 Abs. 3 E G B G B in Betracht: Dessen Zweck, bei Binnensachverhalten zwingendes Inlandsrecht zur Anwendung zu bringen, wird ausgeschaltet, wenn für den Abschluß des Vertrages zwischen deutschem Käufer und Verkäufer der Auslandsurlaub genutzt wird 8 6 . Maßgeblich für die umgehungsspezifische Wertung ist in diesen Fällen vor allem die umgangene Anknüpfung, der Inhalt und Gesamtzusammenhang der betroffenen Kollisionsnorm. In den Gran-Canaria-Fällen ist beispielsweise der abschließende Charakter von Art. 2 9 Abs. 1 E G B G B maßgeblich. Außerdem müssen die Gesamtumstände abgewogen werden, insbesondere die subjektive Einstellung des Umgehers, die objektive Situation und ihre Wirkung auf den schutzwürdigen Kunden. Viele dieser Fälle werden darüber hinaus von anderen Normen erfaßt werden 8 7 . Liegt kein tatsächlicher Bezug zum Land der gewählten Rechtsordnung vor, sind der Rechtswahl schon durch Art. 2 7 Abs. 3 E G B G B Grenzen gesetzt. Ferner kann die ordre-public-Klausel eingreifen oder es kann ein Verstoß gegen die guten Sitten des Schuldstatuts vorliegen. So hat das Reichsgericht in der Wahl deutschen Rechts einen Verstoß gegen § 1 3 8 B G B gesehen, wenn dadurch eine zwingende dänische Vorschrift umgangen wird 8 8 . Diese Normen machen jedoch die Rechtsfigur der Gesetzesumgehung durch Rechtswahl nicht überflüssig 89 . Weder ordre public noch Sittenwidrigkeit können Umgehungsfälle voll erfassen: Die ordre-public-Klausel richtet sich nur nach dem Inhalt des Sachrechts, nicht nach den Modalitäten des Vertragsschlusses; die Regelung der Sittenwidrigkeit kann nicht alle Auslandsbezüge berücksichtigen. Das gilt auch für die Gran-Canaria-Fälle. M a n kann nicht davon ausgehen, daß eine Rechtsordnung dem ordre public widerspricht, nur weil sie kein Widerrufsrecht für Geschäfte auf Verkaufsveranstaltungen vorsieht. Gleichzeitig kann es im Rahmen der internen spanischen Regeln (z.B. der Norm über den Rechtsmißbrauch, Art. 7 Abs. 2 Codigo Civil) keine Rolle spielen, ob deutsche Urlauber von der Geltung ihres Heimatrechts ausgegangen sind. 85 Hier finden sich Parallelen zu dem sachrechtlichen Problem, ob eine Umgehung dispositiven Rechts möglich ist. 86 V. Hoffmann, IPR, § 10 Rdnr. 73 mit Hinweis auf den Sachverhalt von LG Stuttgart 2 3 . 5 . 1990 - 5 S 427/89, NJW-RR 1990, 1394; anders Römer, S. 168f. 87 MünchKomm - Martiny Art. 27 EGBGB Rdnr. 1. 88 R G 1 7 . 6 . 1939 - II 19/39, R G Z 161, 2 9 6 . 89 So aber Römer, S. 171 ff.

§14 Verwandte Rechtsbegriffe im IPR Auch in kollisionsrechtlichen Umgehungsfällen gibt es Abgrenzungsprobleme und Konkurrenzen mit anderen Rechtsinstituten 1 . So m u ß auch hier zum Scheingeschäft, der simulierten A n k n ü p f u n g , abgegrenzt werden. Der Begriff ist zwar im IPR derselbe, jedoch ist das tatsächliche Vorgehen anders, da es um Anknüpfungsgegenstände geht. Ebenfalls aus dem Sachrecht bekannt ist der Begriff des Rechtsmißbrauchs. Im IPR gibt es kein Institut „Rechtsmißbrauch", jedoch wird hier der Begriff der Gesetzesumgehung oft mit Rechtsmißbrauch umschrieben oder gleichgesetzt. IPR-spezifische Abgrenzungsprobleme gibt es in zwei anderen Fällen. So besteht ein enger Z u s a m m e n h a n g zwischen der Gesetzesumgehung und dem Regelungsbereich des ordre-public-Vorbehalts nach Art. 6 EGBGB. Bis heute sind einige Autoren der Ansicht, die fraus legis sei ein Anwendungsfall des ordre public 2 . Eine weitere Besonderheit des IPR ist der Begriff der unechten Gesetzesumgehung, der allerdings nicht einheitlich verwendet wird.

I. Gesetzesumgebung

und

Simulation

Das Scheingeschäft ist - anders als im Sachrecht in § 117 BGB - im Kollisionsrecht nicht ausdrücklich normiert. Als Scheingeschäfte mit internationalem Bezug k o m m e n in der deutschen Rechtspraxis vor allem Scheinehen und Scheinadoptionen vor, durch die Ausländern ein Aufenthaltsrecht verschafft werden soll. Für die Beurteilung dieser Fälle ist allerdings das inländische Sachrecht maßgeblich, also die Entscheidung darüber, ob ein Eltern-Kind-Verhältnis nach § 1741 Abs. 1 S. 1 BGB entsteht oder ob der Standesbeamte den Willen zur ehelichen Gemeinschaft zu berücksichtigen hat (vgl. § 1310 Abs. 1 S.2 2. HS i.V.m. § 1314 Abs.2 Nr. 5 BGB n.F.) 3 . Auf kollisionsrechtlicher Ebene liegt ein Scheingeschäft vor, wenn Anknüpfungsmomente vorgetäuscht werden. Eine derartige simulierte A n k n ü p f u n g ist

1 2 3

Z u m Sachrecht oben § 4. Vgl. Lüderitz, IPR, R d n r n . 144ff.; wohl auch Raupe/Sturm, Dazu Kegel/Schurtg, IPR, S . 8 3 1 , 688.

IPR Bd.I, S . 3 2 9 f f .

I. Gesetzesumgehung

und

Simulation

239

„selbstverständlich unwirksam" 4 . Die vorgetäuschte Anknüpfung bleibt also außer Betracht; es wird nach den allgemeinen Regeln angeknüpft. Dasselbe gilt auch im Internationalen Prozeßrecht: Bejaht ein ausländisches Gericht seine Zuständigkeit wegen einer Simulation zu Unrecht, ist seine Entscheidung nach §§ 3 2 8 Abs. 1 N r . 4 Z P O , 16 a N r . 4 F G G nicht anzuerkennen 5 . Der Unterschied zwischen Simulation und Gesetzesumgehung im IPR liegt darin, daß die Anknüpfung bei der Umgehung tatsächlich hergestellt, bei der Simulation nur vorgetäuscht wird 6 . Wie im Sachrecht sind auch im IPR Überschneidungen möglich, wenn eine Simulation der Umgehung dient; wenn also beispielsweise Heiratswillige ihre Staatsangehörigkeit fehlerhaft angeben oder wenn Parteien einen Vertrag über eine Vollmacht zur Grundstücksveräußerung zwar im Inland schließen, ihn aber mit der Formel „Liechtenstein, den . . . " unterschreiben, um § 3 1 1 b Abs. 1 B G B (früher § 3 1 3 BGB) zu umgehen und Notarkosten zu sparen 7 . Bei der Fallbearbeitung ist auch im IPR die Simulation vorrangig, da erst geprüft werden muß, ob das Anknüpfungsmerkmal tatsächlich erfüllt worden ist. Das Scheingeschäft ist im Gegensatz zur Gesetzesumgehung nicht ein Problem der Rechtsanwendung und Rechtsfindung, sondern der Sachverhaltsfeststellung 8 . Ist die Simulation erkannt, wird die Konstruktion in der Regel zur Umgehung nicht mehr geeignet sein. Es kann jedoch in dem dissimulierten Sachverhalt noch eine Umgehung liegen; beispielsweise bei einem nur teilweise simulierten Geschäft. Simulation und Gesetzesumgehung können im IPR noch in anderer Weise ineinander greifen, indem eine bestimmte Rechtsordnung ergangen und dann innerhalb dieser Rechtsordnung eine Täuschung vorgenommen wird. Ein Beispiel bildet eine Scheinehe, die unter erleichterten Voraussetzungen im Ausland geschlossen wird 9 . In solchen Fällen ist nach den allgemeinen Regeln erst zu prüfen, ob die manipulierte Anknüpfung wirksam sein soll und dann, ob nach dem maßgeblichen Sachrecht eine wirksame Ehe vorliegt. 4 Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB Rdnr. 145 mit zahlreichen Beispielen; s. auch Wolff, Das IPR Deutschlands, S . 4 6 . 5 Einzelheiten zum Internationalen Zivilprozeßrecht und zur Anerkennung unten § 18 I. 6 Ferid, IPR, Rdnr. 3 - 1 7 2 ; v. Hoffmann, IPR, § 6 Rdnr. 133; Heeder, S. 101 ff.; Junker, IPR, Rdnr. 185; Kegel/Schurig, IPR, S . 4 3 1 f . und Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB Rdnr. 145 jeweils mit weiteren Beispielen; Schurig, Gesetzesumgehung, S. 3 8 6 , 4 0 4 f f . ; MünchKomm-Sonnenberger, Einl. IPR Rdnr. 6 9 0 . 7 In Liechtenstein bedürfen derartige Verträge nicht der notariellen Form, O L G Stuttgart 1 8 . 1 2 . 1981 - 8 W 2 1 5 / 8 1 , IPRspr 1981, Nr. 12 (S.30); ähnliches Beispiel bei v. Hoffmann, IPR, § 6 Rdnr. 133. 8 Kegel/Schurig, IPR, S . 4 3 2 ; ähnlich v. Hoffmann, IPR, § 6 Rdnr. 133. 9 Vgl. R G 2 1 . 1 2 . 1916 - 326/16 IV, J W 1917, 364 m. Anm. Opet. Hier ging es allerdings nicht um eine Scheinehe, sondern eine Eheschließung Minderjähriger in England, wobei zusätzlich über das Alter getäuscht wurde. Das R G sah die Ehe als „bestehend" an (S. 3 6 6 zur Umgehung).

240

§14

Verwandte

II. Gesetzesumgehung

Rechtsbegriffe

und

im IPR

Rechtsmißbrauch

Die herrschende Auffassung in der Schweiz sieht in der Gesetzesumgehung einen Unterfall des - dort in Art. 2 Abs. 2 ZGB ausdrücklich geregelten - Rechtsmißbrauchs 10 . In Deutschland wird das Verhältnis zwischen Gesetzesumgehung und Rechtsmißbrauch unterschiedlich gesehen. Die Rechtsprechung verwendet den Begriff des Rechtsmißbrauchs in kollisionsrechtlichen Umgehungsfällen nur vereinzelt 11 . In der Literatur finden sich demgegenüber folgende Formulierungen: Gesetzesumgehung im IPR sei der „Mißbrauch der Kollisionsnorm" 12 , sie setze einen Mißbrauch voraus 13 , sie sei in Form der Einrede des Rechtsmißbrauchs (exceptio doli praeteriti) zu erörtern 14 . Der Begriff Rechtsmißbrauch ist dabei von dem im Sachrecht anerkannten Institut der mißbräuchlichen Rechtsausübung zu unterscheiden. Da sich aus dem IPR nicht unmittelbar Rechte ergeben können, kann in einer Manipulationshandlung auf der Ebene des Kollisionsrechts nicht der Mißbrauch eines bestehenden Rechts oder einer Rechtsposition liegen. So kann ein Rechtsmißbrauch darin liegen, wenn durch Schenkungen das Erbrecht von Vertragserben ausgehebelt werden soll: Der Handelnde mißbraucht die sachrechtlichen Regelungen über die Verfügungsgewalt des gebundenen Erblassers. Wer allerdings zum selben Zweck seine Staatsangehörigkeit wechselt, mißbraucht nicht etwa die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit. Bei Umgehungsfällen im IPR geht es also nicht um den Mißbrauch der Ausübung eines bestehenden Rechts, sondern um den Mißbrauch einer Gestaltungsmöglichkeit 15 . Daher ist auch kein konkretes Rechtsinstitut mit Tatbestand und Rechtsfolgen gemeint, wenn in der Literatur ein Zusammenhang zwischen Umgehung im IPR und Mißbrauch hergestellt wird. Statt dessen bringt die Formulierung „Mißbrauch der Kollisionsnorm" eine Wertung zum Ausdruck. Diese Wertung kommt zu dem Ziel, daß die vom Umgeher manipulierte Anknüpfung nicht wirksam sein kann. Auch die exceptio doli praeteriti ist kein dem Rechtsmißbrauch vergleichbares Institut, sondern ein methodischer Ansatz. Sie wird in der Literatur vereinzelt als mögliche Lösung von Umgehungsfällen angesehen: Wenn ein Umgehungsgeschäft nicht durch Auslegung der Kollisionsnorm zu lösen sei oder durch ihre 10

Keller/Siebr, Allgemeine Lehren des IPR, S.526; dazu Heeder, S.76f., 92f.; 114. KG 2 9 . 3 . 1 9 5 1 - 1 W 4 8 5 / 5 1 , N J W 1 9 5 1 , 4 8 5 (486) = J Z 1 9 5 1 , 5 0 8 m. Anm. Beitzke-, bereits e r w ä h n t w u r d e die „mißbräuchliche R e c h t s w a h l " ; dazu vor allem B G H 1 5 . 1 1 . 1976 VIII Z R 76/75, N J W 1977, 1011 (1012) m. A n m . Jocbem = J Z 1977, 4 3 8 m. A n m . Kühne. 12 Römer, S . 7 3 . Auf S . 7 6 f . ist d a v o n die Rede, die Kollisionsnorm w ü r d e „zweckentfremdet". 15 Ferid, IPR, R d n r . 3 - 1 7 8 ; ähnlich Hay, IPR, S. 153f. 14 Coester-Waltjen, Der Eskimo-Mantel aus Spanien, S . 3 1 6 unter Hinweis auf M ü n c h K o m m - Sonnenberger Einl. IPR Rdnr. 703. 15 Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB Rdnr. 148; Römer, S. 39f.; vgl. Heeder, S. 1 lOff. 11

III.

Gesetzesumgehung

und ordre

public

241

„Korrektur" zur Ausfüllung von Regelungslücken, könne aufgrund der exceptio doli praeteriti die durch die Umgehung geschaffene Anknüpfung trotzdem nicht zu beachten sein 1 6 . Diese Möglichkeit soll insbesondere bei „mißbräuchlichem" Vorgehen bestehen, wobei subjektive Kriterien eine Rolle spielen 17 - auch diese Formulierung enthält nur einen Hinweis auf eine Wertung. Im IPR besteht also nicht ein Rechtsinstitut des Rechtsmißbrauchs, von dem die Gesetzesumgehung abzugrenzen wäre. Wird in der Literatur der Terminus Mißbrauch verwandt, bringt das lediglich zum Ausdruck, daß in Umgehungsfällen eine Wertung vorgenommen werden muß. Bei „ M i ß b r a u c h " ist die Umgehung nicht zu tolerieren, anderenfalls kann die ergangene Anknüpfung Anwendung finden. Zur konkreten Fallösung ist der Begriff des Rechtsmißbrauchs in Umgehungsfällen wenig hilfreich 1 8 , da nur der ungeklärte Begriff der Gesetzesumgehung durch einen ebenfalls unbestimmten Rechtsbegriff ergänzt wird.

III. Gesetzesumgehung und ordre public In Art. 6 E G B G B ist der Vorbehalt des sog. ordre public normiert. Eine derartige Klausel ist im Kollisionsrecht der meisten Staaten enthalten. Da es in der Eigenart des IPR liegt, ausländisches Recht auch dann zur Anwendung zu bringen, wenn es von inländischen Rechtsvorstellungen abweicht, muß in bestimmten Fällen ein Ausgleich geschaffen werden können. Nach der ordre-public-Klausel finden Rechtsnormen eines anderen Staates keine Anwendung, wenn das Ergebnis der Anwendung fremden Rechts mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere den Grundrechten, unvereinbar ist. Die bekanntesten Anwendungsfälle der Vorbehaltsklausel sind die in manchen islamischen Ländern erlaubte Vielehe und der Strafschadensersatz (punitive damages) nach US-amerikanischem Recht 1 9 . Bis etwa 1 9 7 0 war in der IPR-Literatur die Auffassung verbreitet, die Gesetzesumgehung als Anwendungsfall der Vorbehaltsklausel (Art. 3 0 E G B G B a.F.) anzusehen, auch einige Gerichtsentscheidungen gingen in diese Richtung 2 0 . Heu16 MürichKomm-Sonnenberger Einl. IPR Rdnr. 703. Zum methodischen Vorgehen in Umgehungsfällen im übrigen unten § 16 I. 17 Coester-Waltjen, Der Eskimo-Mantel aus Spanien, S . 3 1 6 f . 1 8 Zutreffend Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB Rdnr. 148. 1 9 Im einzelnen zur Vorbehaltsklausel Junker, IPR, Rdnrn. 9 7 , 2 7 0 f f . ; ausführlich Spickhoff, Der ordre public im Internationalen Privatrecht. 2 0 Grundlegend Bertram, Gesetzesumgehung im IPR, S . 4 , 84ff.; Frankenstein, IPR I, S. 168f.; Melchior, Grundlagen des deutschen IPR, S . 3 7 9 f . ; Wolff, Das IPR Deutschlands, IPR Bd.I, S.329ff.; S . 4 7 f . ; heute noch Lüderitz, IPR, Rdnrn. 144ff. ; s. auch Raape/Sturm, Kropholler Z H R 140 (1976), 3 9 4 (397, 399); einschränkend auch Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 131 f., der vom ordre public auch den Fall erfaßt sieht, daß die Anwendung ausländischen Rechts wegen ihrer Umstände anstößig erscheint. Aus der Rechtsprechung KG 8 . 1 1 . 1 9 3 7 - 1 3 U 1205/37, J W 1 9 3 8 , 1 2 4 2 ; AG Hamburg 3 1 . 7 . 1 9 6 4 - 6 6 AR 1183/63, M D R 1964,

242

§14

Verwandte

Rechtsbegriffe

im IPR

te wird diese Auffassung überwiegend zu recht abgelehnt. Gesetzesumgehung und ordre public-Vorbehalt greifen auf unterschiedlichen Ebenen: Die Vorbehaltsklausel betrifft den Inhalt des fremden Sachrechts, die Gesetzesumgehung befaßt sich mit der Art und Weise, wie das Recht zur Anwendung gelangt ist 21 . Dementsprechend setzt die Wertung bei Gesetzesumgehung auf kollisionsrechtlicher Ebene an, bei Verletzung des ordre public auf der Ebene des Sachrechts. Darüber hinaus erfaßt der ordre public-Vorbehalt nur ausländisches Sachrecht und kann ausschließlich zum deutschen Recht führen. Er kann daher nicht Umgehungen erfassen, durch die ausländisches Recht zugunsten deutschen Rechts vermieden wird oder die Umgehung des Rechts eines ausländischen Staat zugunsten eines anderen 2 2 . Schließlich ist die Umgehung ein Problem der allgemeinen Rechtslehre, Art. 6 EGBGB dagegen auf das IPR beschränkt; es gibt solche Klauseln auch nicht im Kollisionsrecht aller Staaten 23 . In der Praxis sind indes Fälle recht häufig, in denen sowohl Gesetzesumgehung als auch ein Eingreifen der Vorbehaltsklausel in Betracht kommen. Das gilt z.B. für Fälle, in denen Ehemänner zum Zweck der Scheidung die Staatsangehörigkeit eines islamischen Landes annehmen und zum Islam übertreten 2 4 . Einer der bekanntesten Fälle stammt aus dem Jahr 1900 2 5 : Ein in Petersburg geborener Staatenloser war seit 1863 mit einer Sächsin verheiratet. 1886 ging er mit der Schriftstellerin Helene Böhlau in die Türkei, trat zum Islam über und wurde Türke. Er schickte seiner Ehefrau einen Scheidebrief und heiratete im folgenden Jahr in Konstantinopel Helene Böhlau. In diesem und ähnlichen Fällen liegt eine Umgehung des ohne die Manipulation für die Ehe geltenden Scheidungsrechts vor und in der Regel gleichzeitig ein Verstoß des angewandten Scheidungsrechts gegen den ordre public. Der Grund für das Zusammentreffen liegt darin, daß Gesetzesumgehung im IPR besonders attraktiv ist, wenn zwischen den betroffenen Rechtsordnungen ein Wertungsge-

1009; O L G H a m b u r g 12.2. 1 9 7 0 - 6 U 148/69, IPRspr 1970 Nr. 112, S.370; O L G H a m b u r g 2 8 . 5 . 1970 - 6 U 2 0 7 / 6 9 , IPRspr 1970, Nr. 113, S. 376; LG H a m b u r g 3 . 6 . 1971 - 2 8 O 2 1 2 / 7 0 , IPRspr 1972, Nr. 135 (S.365f.); unklar O L G F r a n k f u r t 1 0 . 4 . 1981 - 20 W 4 6 0 / 8 0 , DB 1981, 1456. Weitere Nachweise bei Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB Rdnr. 144, Fn. 12; Heeder, S. 117. 21 V. Bar/Mankowski, IPR I, § 7 R d n r n . 136f.; Staudinger-Blumenwitz A r t . 6 EGBGB R d n r n . 40ff.; Ferid, IPR, R d n r n . 3 - 1 7 7 f f . ; Heeder, S. 117ff.; Junker, IPR, Rdnr. 189; SoergelKegel vor Art. 3 EGBGB, Rdnr. 144; Kegel/Schurig, IPR, Rdnr. 4 3 4 ; Kropholler, IPR, § 2 3 II 2; Luther F a m R Z 1956, 76; Römer, S. 89ff.; Schurig, Gesetzesumgehung, S.386; Ders., Kollisionsnorm und Sachrecht, S.242; M ü n c h K o m m - S o n n e n b e r g e r , Einl. IPR, Rdnr. 691. 21 Junker, IPR, Rdnr. 189; Ferid, IPR, Rdnr. 3 - 1 8 0 ; Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB Rdnr. 144; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 131 f. 23 Ferid, IPR, Rdnr. 3 - 1 7 9 ; Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB Rdnr. 144. 24 Dazu O L G Stuttgart 1 8 . 1 2 . 1 9 7 0 - 1 VA 2/70, IPRspr 1970, Nr. 125 b (S.432); Senator für Rechtspflege und Strafvollzug Bremen 1 3 . 5 . 1974 - 346 E b 2 3 / 7 3 , IPRspr 1974, Nr. 1984 (S.497). Z u diesen Entscheidungen im einzelnen unten § 15 1.2. 25 Dazu Kegel/Schurig, IPR, S . 4 1 7 mit Nachweisen.

IV.

Unechte und echte

Gesetzesumgehung

243

fälle besteht 2 6 . Konkurrenz ist möglich, wenn aufgrund der Umgehung ein mit unserer Wertvorstellung unvereinbarer ausländischer Rechtssatz zur Anwendung gelangt oder wenn die Ausschaltung einer inländischen Vorschrift dem deutschen ordre public zuwiderläuft 2 7 . Im praktischen Fall ist grundsätzlich die Umgehung vorrangig, da sie erst zu der ordre-public-widrigen Rechtsordnung hinführen kann. Auch wenn die Umgehung erfolgreich ist, besteht also noch die Möglichkeit, die erstrebte Sachnorm mit Hilfe des ordre public auszuschalten 2 8 . Die Vorbehaltsklausel kann daher die Funktion eines Rettungsankers für Umgehungsfälle einnehmen, die sonst zu untragbaren Ergebnissen kämen. Allerdings hat die Tatsache der Gesetzesumgehung auf das Eingreifen der Vorbehaltsklausel keinen Einfluß, da es nur auf das Sachrecht ankommt, nicht auf den kollisionsrechtlichen Weg dorthin.

IV. Unechte und echte

Gesetzesumgehung

Im IPR wird verbreitet zwischen sog. unechter und echter Gesetzesumgehung unterschieden. Der Begriff der unechten Gesetzesumgehung wird vor allem in Verbindung mit Eheschließungen verwendet; historisches Beispiel sind die Gretna Green-Ehen. In diesen Fällen ging es darum, durch die Verlegung des Trauungsortes ins Ausland inländische Ehehindernisse zu umgehen. Einen Spezialfall bildeten die sog. Tondern-Ehen: Heiratswillige versuchten mittels einer Hochzeit in Dänemark, insbesondere im grenznahen Ort Tondern (Tonder) Ehehindernisse zu umgehen, die zwar nicht dem deutschen Recht entstammten, aber einer Hochzeit in Deutschland im Weg standen, weil das nach § 19 EheG erforderliche Ehefähigkeitszeugnis nicht erteilt wurde. Ermöglicht wurden und werden solche Umgehungsversuche, wenn das IPR des Heiratslandes anders anknüpft als das deutsche Internationale Eheschließungsrecht 2 9 . Der Begriff „unechte Umgehung" ist nicht einheitlich definiert. Von einigen wird sie mit der Vortäuschung von Anknüpfungsmomenten gleichgesetzt, also der Simulation 3 0 . Andere sehen in ihr eine mißglückte Anknüpfung; bei einer unechten Umgehung gelinge es den Parteien nicht, in die angestrebte Rechtsordnung hineinzukommen 3 1 . Nach wohl überwiegender Meinung geht es bei der unechten Umgehung jedoch vorrangig um folgendes: Das deutsche IPR bleibt

Vgl. Kegel/Schurig, IPR, S . 4 3 4 . Ferid, IPR, Rdnrn. 3 - 1 8 1 f. 28 Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 8 6 . 2 9 Dazu ausführlich Junker, IPR, Rdnr. 186; Kegel/Schurig, IPR, S . 4 3 3 ; Luther RabelsZ 34, 1970, 679; Staudinger-v. Bar/Mankowski Art. 13 EGBGB Rdnrn. 69ff. 30 Hay, IPR, S. 153; v. Hoffmann, IPR, 6. Aufl., § 6 Rdnr. 133 ausdrücklich; der Sache nach in 7. Aufl., ebenda. 31 Römer, S.79; ihm folgend Luther FamRZ 1956, 76; ähnlich Westerhoff, § 7 1 (S.67f.). 26 27

244

§14

Verwandte

Rechtsbegriffe

im IPR

unberührt, statt dessen wird ein Anknüpfungsmoment eines ausländischen internationalen Privat- oder Verfahrensrechts verwirklicht und damit die Entscheidungszuständigkeit eines anderen Staates hergestellt 3 2 . Nach dieser Definition können die Tondern-Ehen als „echte" Gesetzesumgehungen angesehen werden, soweit es nur um die Uberwindung des in Deutschland verlangten Ehefähigkeitszeugnisses geht 3 3 . Unstreitig liegen „unechte" Umgehungen vor, wenn die Ehe geschlossen wird, obwohl die Voraussetzungen der Eheschließung nach Art. 13 E G B G B nicht vorliegen. z.B. bei sog. Gretna-GreenEhen, die von Minderjährigen geschlossen wurden 3 4 . Denkbar sind auch unechte Gesetzesumgehungen im Zusammenhang mit einer Scheidung, wenn der ausländische Staat anders als Art. 1 7 E G B G B an den bloßen Wohnsitz anknüpft 3 5 . Ein Beispiel bildet der 1 9 9 1 vom AG Düsseldorf entschiedene Fall einer Italienerin, deren Scheidung 1 9 6 7 in Italien nicht möglich war. Sie ließ sich in M e x i k o scheiden und heiratete einen Deutschen. Das Amtsgericht hielt die Ehe wegen der Umgehung italienischen Rechts für nichtig 3 6 . Einigkeit besteht über die Rechtsfolge der unechten Gesetzesumgehung: Wenn ein ausländisches Anknüpfungsmoment verwirklicht wird, ist das aus deutscher Sicht als „Handeln unter fremdem R e c h t " unbeachtlich 3 7 . Das deutsche IPR bleibt unberührt und behält seinen Geltungsanspruch 3 8 . Allerdings kann den Beteiligten ein „halber Erfolg" gelingen, indem „hinkende Rechtsverhältnisse" und der Schein eines wirksamen Rechtsverhältnisses in Deutschland entstehen 3 9 . Auf prozessualer Ebene bildet das sog. „forum Shopping" ein „unechtes" Gegenstück zur Zuständigkeitserschieichung 4 0 . M i t der „echten" Gesetzesumgehung verbindet die unechte ein ähnlicher äußerer Vorgang und in der Regel auch ähnliche Parteiabsichten 4 1 : Auch hier wird eine bestimmte Rechtsordnung vermieden, und zwar sowohl die Kollisionsrechtsordnung als auch das Sachrecht. Ein weiterer Berührungspunkt entsteht dadurch, daß vom Standpunkt des ausländischen Rechts (z.B. am Ort der Ehe-

32 Junker, IPR, Rdnr.186; Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB Rdnr.146; Kegel/Schurig, IPR, S.432ff.; Raape/Sturm, IPR Bd.I, S . 3 2 8 f . ; MünchKomm-Sonnenberger Einl. IPR Rdnr.688. " Kegel/Schurig, IPR, S . 4 3 3 . 34 Junker, IPR, Rdnr.186; Kegel/Schurig, IPR, S . 4 3 3 ; Römer, S . 7 9 . 35 Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB Rdnr. 146; Soergel-Scburig Art 17 EGBGB Rdnrn. 172 ff. 3 6 AG Düsseldorf 1 9 . 2 . 1991 - 2 6 6 F 172/90, IPRax 1991, 346; zu der Entscheidung auch unten § 15 I.l.b) 37 Kegel/Schurig, IPR, S.432ff.; MünchKomm -Sonnenberger Einl. IPR, Rdnr. 688; Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 8 6 . 38 V. Bar/Mankowski, IPR I, § 7 Rdnr. 136; Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB Rdnr. 146; Römer, S. 79. 39 Junker, IPR, Rdnr. 186; Kegel/Schurig, IPR, S. 4 3 2 ff.; 40 Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB Rdnr. 147; dazu im einzelnen unten § 17 I. 41 Römer, S.79.

IV. Unechte und echte

Gesetzesumgehung

245

Schließung) eine - gelungene oder mißlungene - Gesetzesumgehung vorliegen kann42. Der maßgebliche Unterschied liegt jedoch darin, daß kein R a u m für eine rechtliche Wertung besteht. Die „ u n e c h t e " Gesetzesumgehung ist aus deutscher Sicht stets unwirksam, da sie die Geltung des deutschen Kollisionsrechts und der dadurch berufenen Sachrechtsordnung nicht beeinträchtigt. Daher bildet die unechte Umgehung kein eigentliches Rechtsproblem, sondern ist eine tatsächliche Folge der Tatsache, daß die verschiedenen Kollisionsrechtsordnungen unterschiedlich anknüpfen. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Die Fälle der „ u n e c h t e n " Umgehung sind von der - echten - Gesetzesumgehung zu unterscheiden. Die Abgrenzung erfolgt danach, daß die deutsche Kollisionsrechtsordnung bei der unechten Umgehung nicht berührt wird, während es bei der „ e c h t e n " Umgehung gerade darauf a n k o m m t , die Kollisionsnormen auszunutzen. Die unechte Umgehung ist daher kein der Umgehung verwandtes Rechtsproblem, sondern gehört zum Problemkreis des Handelns unter falschem R e c h t 4 3 .

Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB Rdnr. 146. Kegel/Schurig, IPR, S. 432f.; zum Handeln unter falschem Recht S. 63 f., Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB Rdnrn. 164f.; v. Bar/Mankowski, IPR I, §4 Rdnr.25. 42 43

§ 1 5 Umgehungsfälle im IPR und Wertung

Eine Definition der Gesetzesumgehung läßt sich für das Kollisionsrecht folgendermaßen formulieren: Gesetzesumgehung im IPR ist ein Vorgehen, das nicht unter den Geltungsbereich einer kollisionsrechtlichen Anknüpfung fällt, nach dem Ziel der Kollisionsnorm aber dieser Anknüpfung zuzuordnen wäre 1 . Wie im Sachrecht faßt diese Definition eine Gruppe von Fällen zusammen, mit denen der Rechtsanwender vor bestimmte Aufgaben gestellt wird 2 . Die Gemeinsamkeit besteht vor allem in Wertungsfragen. Auch im Kollisionsrecht erfolgt eine Wertung auf zwei Ebenen, die ineinanderfließen können: Zuerst muß festgestellt werden, ob das Ziel des umgangenen Gesetzes verletzt ist. Aufgrund der Besonderheiten des IPR ist zu differenzieren: Wie erwähnt, ist Objekt der Gesetzesumgehung nicht die Kollisionsnorm als solche, sondern die Anknüpfung an eine bestimmte Rechtsordnung. In der Regel wird innerhalb einer Kollisionsnorm eine Anknüpfung umgangen und eine andere ergangen. Für die Wertung kommt es dagegen auf das Ziel der gesamten Kollisionsnorm an, da Anknüpfungen als solche gewöhnlich keinem konkreten Ziel dienen. Wird also beispielsweise durch Vertragsabschluß im Ausland die Anknüpfung an die inländische Form umgangen, ist für die Wertung das Ziel von Art. 11 E G B G B maßgeblich. Auf der zweiten Ebene stellt sich wie im Sachrecht die Frage der Eingriffsschwelle oder Toleranzschwelle, also die Frage nach Ausmaß oder Qualität der Umgehung 3 . Nur wenn die Eingriffsschwelle überschritten ist, kann das Anknüpfungssystem der betroffenen Norm korrigiert werden, indem die umgangene Anknüpfung angewandt wird und die ergangene außer Acht gelassen. In Deutschland neigen Rechtsprechung und Literatur durchweg dazu, die Eingriffsschwelle bei Umgehungsfällen im IPR hoch anzusetzen 4 . Grundsätzlich wird es als Risiko des Gesetzgebers angesehen, für „umgehungsfeste" Anknüpfungen zu sorgen 5 .

Zur Definition im Sachrecht zusammenfassend oben § 12 I. Nach Kegel/Schurig, IPR, S. 4 1 9 , ist die Gesetzesumgehung kein Ergebnis, sondern eine Aufgabe im Prozeß der Rechtsfindung; dazu schon oben § 12 II. 3 Kegel/Schurig, IPR, S.422f.; Schurig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 1 . 4 Ferid, IPR, Rdnr.3-175; Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 4 ; Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB, Rdnr. 143; Palandt-Heldrich Einl. v. Art. 3 EGBGB, Rdnrn. 25f.; Schurig, Gesetzesumgehung, S.401. 5 Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 2 ; Schurig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 2 . 1

2

I. Wertungskriterien

der Praxis:

Fallgruppen

247

Auch auf dieser Grundlage finden sich in der Praxis jedoch immer wieder Fälle der Gesetzesumgehung im IPR, die besondere Wertungsfragen aufwerfen. Historisch handelt es sich dabei vor allem um die Umgehung von Hindernissen für Ehe und Scheidung, heute spielt die Umgehung eher im Internationalen Wirtschaftsrecht eine Rolle. Aus diesen Fällen lassen sich Gruppen bilden, die Parallelen aufweisen und meist auch nach ähnlichen Kriterien entschieden wurden. Auf einige davon wird im folgenden eingegangen (I.). Außerhalb dieser Fallgruppen sind die Kriterien für die Eingriffsschwelle weitgehend ungeklärt. Wie im Sachrecht finden sich auch in der kollisionsrechtlichen Praxis objektive und subjektive Kriterien, allerdings liegen die Akzente anders. So spielen Schutzzwecküberlegungen keine vergleichbare Rolle. Statt dessen wird gelegentlich betont, maßgeblich sei ein ungewöhnliches Vorgehen oder es komme darauf an, ob die Umgehung verwerflich ist (dazu II. und III.). Ungeklärt ist, ob und inwieweit subjektive Kriterien Anwendung finden 6 (dazu IV.).

I. Wertungskriterien

der Praxis:

Fallgruppen

Stärker als im Sachrecht lassen sich viele der Umgehungsfälle im IPR bestimmten Fallgruppen zuordnen. Ein Grund mag darin liegen, daß die Manipulation von Anknüpfungsmomenten unterschiedlich große Schwierigkeiten macht: Der Abschlußort eines Vertrages kann leicht beeinflußt werden, der Wechsel der Staatsangehörigkeit ist schon schwieriger und der Belegenheitsort eines Grundstücks kann - jedenfalls von Privatpersonen - gar nicht verändert werden. Außerdem ist das Bedürfnis von Umgehungen besonders hoch, wenn die Sachrechtsordnungen maßgebliche Unterschiede aufweisen. Daraus erklärt sich die erhebliche praktische Bedeutung von Umgehungsfällen bei Heirat und Scheidung bis zum Ende des 2 0 Jahrhunderts.

1. H e i r a t a) Fälle, in denen eine Heirat durch Gesetzesumgehung ermöglicht werden soll, haben heute fast nur noch historische Bedeutung 7 . Die formellen und sonstigen Voraussetzungen der Eheschließung sind international weitgehend angeglichen; insbesondere gibt es kaum noch Staaten, die ihren Bürgern die Möglichkeit der Scheidung und anschließender Wiederverheiratung verweigern. Die Rechtsprechung verhielt sich in diesen romantischen Fällen seit jeher tolerant: 1 9 1 6 hatte 6 Dafür z.B. O L G Hamburg 2 2 . 8 . 1995 - 2 U 29/94, NJW-RR 1996, 2 0 3 ; Heeder, S.202; Luther FamRZ 1956, 76; Raape/Sturm, IPR Bd. I, S . 3 2 8 . Dagegen z.B. O L G Celle 8 . 7 . 1959 3 U 26/59, N J W 1959, 2 1 2 4 m. Anm. Rötelmann; Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des IPR, S . 5 3 2 ; differenzierend Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB, Rdnrn. 135 f. 7 Vgl. Kegel/Schurig, IPR, S.424ff.

248

§15

Umgehungsfälle

im IPR und

Wertung

das Reichsgericht über die Heirat zweier Minderjähriger in England zu entscheiden. Dabei hatte der Bräutigam über sein Alter getäuscht, das er mit 2 1 Jahren statt mit 19 Jahren angegeben hatte. Dennoch wies das R G die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Ehe ab: Die Umgehung werde lediglich dadurch ermöglicht, daß das englische Recht keine so weitgehenden Vorsichtsmaßregeln treffe wie das deutsche Personenstandsgesetz 8 . In der ersten Hälfte des 2 0 . Jahrhunderts waren sog. „ungarische Ehen" verbreitet. Österreich gestattete damals Katholiken keine Scheidung, nur eine „Trennung von Tisch und Bett". Eine Wiederheirat war nicht möglich. Österreicher wurden daher durch Adoption oder auf andere Weise Ungarn, ließen sich dort scheiden und heirateten erneut. Das Reichsgericht hatte nach dem Tod eines Ehemannes 1 9 4 1 darüber zu entscheiden, welcher der Frauen Ansprüche auf Witwenversorgung zusteht, wenn die erste Frau Inländerin geblieben war. Es hielt salomonisch beide Ehen für wirksam 9 . 1 9 3 7 beschäftigte sich das Kammergericht mit der Eheschließung eines erst polnischen, später staatenlosen Juden. Dieser wollte zuerst in Deutschland heiraten, konnte aber kein Ehefähigkeitszeugnis beibringen. Die Heirat fand daraufhin in der Tschechoslowakei statt. Nach dem Kammergericht ist „die im Ausland ohne dieses Zeugnis vorgenommene Eheschließung noch keine Umgehung deutscher Gesetze, kann auch niemals zur Nichtigkeit der Ehe führen" 1 0 . In der Nachkriegszeit wurde Gesetzesumgehung bei Eheschließungen im Ausland vor allem im Zusammenhang mit den bereits erwähnten „Tondern-Ehen" diskutiert 1 1 . Die Rechtsprechung sah die „dänischen Ehen" überwiegend als wirksam an: Die Form der Ehe richte sich nach Ortsrecht; eine Gesetzesumgehung sei wegen der vom Gesetzgeber eröffneten Möglichkeit, von der Ortsform Gebrauch zu machen (Art. 11 Abs. 1 2. Alt E G B G B ) , nicht denkbar 1 2 . Nur das Landgericht Hamburg hielt in einer Entscheidung aus dem Jahre 1 9 7 4 eine Tondern-Ehe für ungültig und begründete das ausdrücklich mit Gesetzesumgehung 1 3 . Dabei ging es allerdings um einen Sonderfall: Ein Iraner, der bereits eine Ehefrau hatte, hatte in Tondern eine Deutsche geheiratet. Die Gründe für diese Toleranz sind vielfältig. Der Tatsache, daß der Gesetzgeber nun einmal die Möglichkeit eröffnet habe, von der Ortsform Gebrauch zu machen, ist allein sicher nicht ausschlaggebend. In einigen Fällen mag auch eine R G 2 1 . 1 2 . 1916 - 326/16 IV, J W 1917, 3 6 4 (366) m. Anm. Opet. R G 2 4 . 1 . 1941 - IV 240/40, R G Z 165, 3 9 8 . Die Zuständigkeit des Reichsgerichts folgte aus dem damaligen „Anschluß" Österreichs an das Deutsche Reich. 10 KG 8 . 1 1 . 1 9 3 7 - 13 U 1205/37, J W 1938, 1242. 11 Dazu oben § 14 IV. 1 2 OLG Frankfurt 2 6 . 5 . 1 9 6 7 - 6 W 472/66, N J W 1967, 1426 (1427); O L G Celle 18.9. 1968 - 11 W 51/68, IPRspr 1968169, Nr. 67 (S. 127); AG Hamburg 3 0 . 1 . 1968 - 116 VIII W 8 7 0 3 , IPRspr 1968/69, Nr. 129 (S.314); dazu Luther RabelsZ 34 (1970) 697. 1 3 LG Hamburg 3 0 . 1 0 . 1974 - 5 R 449/74, IPRspr 1974, Nr. 50, S. 142 (145). Hier handelt es sich um einen weiteren Grenzfall zwischen Gesetzesumgehung und ordre public. 8 9

I. Wertungskriterien

der Praxis:

Fallgruppen

249

Rolle gespielt haben, hinkende Rechtsverhältnisse zu vermeiden 1 4 . Vermutlich steht hinter den Entscheidungen auch die Überlegung, daß bei Hochzeiten grundsätzlich nur die Umgeher selbst betroffen sind. Zumindest bei einer Erstheirat k a n n es daher keinen Geschädigten geben. Anders ist es, wenn die Heirat mit einer Scheidung verbunden ist: Die Entscheidung des Reichsgerichts zur ungarischen Ehe zeigt das Bemühen der Rechtsprechung, schädliche Folgen für den früheren Ehepartner zu vermeiden. b) Das Gegenbeispiel einer wegen Gesetzesumgehung unwirksamen Heirat findet sich in einer Entscheidung des Amtsgerichts Düsseldorf aus dem Jahre 1991 1 5 . Eine Italienerin ließ sich 1967 in Mexiko scheiden und heiratete dort anschließend einen Deutschen. N a c h italienischem Recht galt damals ein Scheidungsverbot. Das Amtsgericht gab der Klage des zweiten Ehemannes auf Nichtigerklärung statt. Die zweite Ehe sei sowohl nach deutschem als auch nach italienischem Recht nichtig. Da die Beklagte den Mangel kannte, der ihrer zweiten Ehe wegen der Umgehung italienischen Rechts anhaftete, sei die Ehenichtigkeitsklage nicht rechtsmißbräuchlich. Das Ergebnis erklärt sich dadurch, d a ß in diesem Fall eine „unechte" Gesetzesumgehung vorlag 1 6 . Eine A n k n ü p f u n g an den tatsächlichen Aufenthaltsort des Scheidungswilligen w a r weder im italienischen noch im deutschen IPR damals und heute vorgesehen. Die Scheidung war nur möglich, weil das mexikanische IPR anders anknüpfte; aus deutscher und italienischer Sicht lag also ein „Handeln unter fremdem Recht" vor.

2. Scheidung Bei Scheidungen ist die Neigung zur Toleranz gegenüber Umgehungen geringer, da sie einen „tiefen Eingriff" 1 7 in das Leben der Betroffenen bilden. Auch wenn sog. „Scheidungsparadiese" k a u m mehr aktuell sind 1 8 , können die formellen und materiellen Voraussetzungen, die internationale Rechtsordnungen an die Scheidung einer Ehe stellen, auch heute noch erheblich abweichen. Da Scheidungen in der Regel durch Gerichtsurteil erfolgen, ist Ausgangspunkt inländischer Entscheidungen meist die Frage, ob das Urteil nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 4 Z P O anzuerkennen ist 19 . Für die Kriterien der Eingriffsschwelle ergeben sich daraus keine Unterschiede.

14

Vgl. Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des IPR, S.533. AG Düsseldorf 19.2. 1991 - 266 F 172/90, IPRax 1991, 346. 16 Dazu und zu diesem Fall bereits oben § 14 IV. 17 Kegel/Schurig, IPR, S.425. 18 Z u jüngeren Fällen vgl. Böhmer, Der neue „Scheidungsservice" auf G u a m , S.49ff. 19 Dazu bereits R G 4 . 4 . 1928 - IV 6 2 9 / 2 7 , R G Z 121, 24 zur A n e r k e n n u n g eines russischen (Scheidungs-) Urteils. Allgemein zur A n e r k e n n u n g von Urteilen unten § 18 I. 15

250

§15

Umgehungsfälle

im IPR und

Wertung

a) Eine Besonderheit auf diesem Gebiet sind die interzonalen Scheidungsfälle in der Nachkriegszeit. Scheidungswillige begaben sich für einige Zeit in die D D R , ließen sich dort nach wesentlich großzügigerem Recht scheiden und kehrten - was damals noch möglich war - wieder in die Bundesrepublik zurück 2 0 . N a c h einer Entscheidung des B G H aus dem J a h r 1 9 5 9 sind solche Scheidungen nicht nach § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 1 Z P O anzuerkennen, wenn der Ehemann die Gerichte der D D R über seinen gewöhnlichen Aufenthalt getäuscht hat 2 1 . Eine Entscheidung des O L G Celle aus dem selben J a h r k o m m t zum gleichen Ergebnis; zur Begründung stellt das Gericht ausdrücklich auf die Gesetzesumgehung ab, die als „zweckfremder Gebrauch der durch § 6 0 6 Z P O gewährten rechtlichen M ö g l i c h k e i t " definiert wird 2 2 . Umgehungsabsicht sei nicht nötig, da das Ergebnis entscheide. Dagegen stellt das O L G Nürnberg in einem Armenrecht-Beschluß darauf ab, ob sich der Scheidungswillige nur deshalb in die D D R begeben hatte, um ein Scheidungsurteil zu erlangen 2 3 . Die Anerkennung wird hier also vom Umgehungszweck abhängig gemacht. In den 1 9 7 0 e r Jahren beschäftigten modernere Varianten des H e l e n e - B ö b l a u Falles die Gerichte und Behörden; also Ehemänner, die zum Zweck der Scheidung Moslems wurden. Die Kriterien waren zweifelhaft: N a c h dem O L G Stuttgart soll es darauf ankommen, ob es sich bei dem Antragsteller um einen „Orientalen" handelt, der zur Religion „seiner Väter und seines Heimatlandes" zurückkehre. In diesem Fall sei die Manipulation der Anknüpfung unbeachtlich, die Scheidung also wirksam 2 4 . Anders soll es bei der Scheidung eines deutschen Staatsangehörigen von seiner irakischen Ehefrau durch ein irakisches Gericht sein. Sie könne nicht nach § 3 2 8 A b s . l Nr. 4 Z P O anerkannt werden, wenn der Ehemann nur zum Zweck der Scheidung zum Islam übergetreten ist und die in Deutschland erforderlichen Anforderungen an eine Scheidung umgehen wollte 2 5 . Einige Entscheidungen deutscher Gerichte befassen sich mit der Umgehung des früher sehr restriktiven italienischen Scheidungsrechts. Die „unechte Umgeh u n g " durch Scheidung und Wiederheirat in M e x i k o wurde bereits erwähnt 2 6 . Im Jahre 1 9 7 1 hatte der B G H über die Scheidungsklage eines gebürtigen Italieners zu entscheiden, der während der nach deutschem Recht maßgeblichen drei-

2 0 Zu den Fragen der Anerkennung in diesen Fällen Voß FamRZ 1959, 189; s. auch OLG Köln 2 0 . 5 . 1 9 5 8 - 1 U 5/58, FamRZ 1 9 5 9 , 2 1 8 ; OLG Hamm 2 4 . 6 . 1958, 2 W 52/58, FamRZ 1959, 221. 21 BGH 18.3. 1 9 5 9 - I V ZR 274/58, FamRZ 1959, 207. 2 2 OLG Celle 8.7. 1959 - 3 U 25/59, NJW 1959, 2124 m. Anm. Rötelmann mit ausdrücklichem Hinweis auf Römer, S.43. 2 3 OLG Nürnberg 18.11. 1958 - 1 W 78/58, FamRZ 1959, 222. 2 4 OLG Stuttgart 18.12. 1970 - 1 VA 2/70, IPRspr 1970, Nr. 125 b (S.432; 439). 2 5 Senator für Rechtspflege und Strafvollzug Bremen 13.5. 1974 - 346 E b 23/73, IPRspr 1974, Nr. 1984 (S.497); in dem Beschluß wird die „Orientalen-Theorie" des OLG Stuttgart aufgegriffen. 2 6 AG Düsseldorf 19.2. 1991 - 266 F 172/90, IPRax 1991, 346; s.o. § 15 I.l.b).

I. Wertungskriterien

der Praxis:

Fallgruppen

251

jährigen Trennungsfrist Deutscher geworden war. Das italienische Recht sah damals eine Scheidung wegen Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft nicht vor 2 7 . Nach dem B G H ist es unerheblich, ob der Wechsel der Staatsangehörigkeit nur vorgenommen wurde, um eine Scheidung zu ermöglichen. Bei der Anwendung der Kollisionsnormen dürfe nicht darauf abgestellt werden, welche Gründe den Kläger bewogen hätten, seine Staatsangehörigkeit zu wechseln. b) Die angewandten Kriterien entziehen sich einer einheitlichen Zusammenfassung. In den interzonalen Scheidungsfällen stellten das O L G Nürnberg und auch der B G H auf den subjektiven Umgehungszweck ab; das O L G Celle lehnte subjektive Kriterien ausdrücklich ab. Auch im Fall des früheren Italieners hielt der B G H Umgehungsabsicht und -zweck ausdrücklich für unbeachtlich. Ebenso willkürlich wie unsicher ist die Differenzierung in den Moslem-Fällen. Es läßt sich bereits darüber streiten, ob der Islam eine Religion für „Orientalen" ist (schließlich ist er auch auf dem Balkan, in Ostasien und Afrika verbreitet), wer unter diesen Voraussetzungen ein „Orientale" ist und warum dieses zweifelhafte Kriterium geeignet sein soll, den Umgehungszweck unbeachtlich zu machen, der im Fall der Scheidung des Deutschen von der Irakerin gerade ausschlaggebend sein sollte. In der Literatur wird für die Eingriffsschwelle bei Scheidungen auf die mögliche Schädigung eines früheren Ehepartners abgestellt 2 8 . Danach soll die Toleranzschwelle insbesondere dann überschritten sein, wenn ein Partner zu Lasten des anderen die Anknüpfung manipulieren kann. Ein gemeinsamer Wechsel der Staatsangehörigkeit zur Verbesserung der Scheidungsmöglichkeit sei eher hinzunehmen. Diese Kriterien sind den einzelfallbezogenen Entscheidungen der Rechtsprechungen vorzuziehen. Sie machen deutlich, daß die Umgehung allein nicht ausreicht, um eine Scheidung für unwirksam zu halten. Inhaltlich ist das Abstellen auf die einseitige Manipulation eines Partners gut nachvollziehbar, unabhängig von schwer nachweisbaren subjektiven Kriterien und wird dennoch in der Regel zu sachgerechten Ergebnissen kommen. Auf diese Weise erhöht sich auch die Rechtssicherheit. Trotz der uneinheitlichen Aussagen spricht einiges dafür, daß sich bei der Heirat und bei der Scheidung ähnliche Überlegungen hinter den Wertungen der Praxis verbergen. Eine einseitige Manipulation zu Lasten des ersten Ehegatten lag den interzonalen Scheidungsfällen zugrunde; grundsätzlich auch den MoslemFällen, wenn auch das O L G Stuttgart die Ehefrauen von „Orientalen" offensichtlich für weniger schutzwürdig hielt. In dem Fall des Italieners bleibt offen, ob die Scheidung im Einvernehmen mit der früheren Ehefrau erfolgte. In den letzten 2 0 Jahren kommen derartige Fälle kaum mehr vor. Das ist sicherlich auf die familienrechtliche Angleichung zumindest in Europa zurückzuführen; viel27 28

BGH 4 . 6 . 1971 - IV Z R 97/70, NJW 1971, 2 1 2 4 (2125). Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 5 f . und S . 4 2 6 f . zur Adoption, wo sich ähnliche Probleme stellen.

252

§ IS Umgehungsfälle

im IPR und

Wertung

leicht aber auch darauf, daß durch die Neufassung von Art. 17 Abs. 1 E G B G B die Möglichkeiten von Manipulationen zu Lasten des anderen Partners deutlich eingeschränkt wurden.

3.

Formvorschriften

Eine der bis heute praktisch wichtigsten Fallgruppen der Gesetzesumgehung im IPR ist die Umgehung von Formvorschriften. Art. 11 Abs. 1 2. Alt. E G B G B (locus regit actum - Regel) ermöglicht es Vertragsschließenden, den Abschlußort zu verlegen und auf diese Weise beispielsweise die notarielle Form des § 3 1 1 b Abs. 1 B G B (früher § 3 1 3 BGB) zu vermeiden. Ein Bedürfnis für die Verlegung eines Vertragsschlusses ins Ausland kann sich aber auch daraus ergeben, daß dort zwar ebenfalls die notarielle Form vorgeschrieben ist, die Gebühren der Notare aber deutlich niedriger sind. So werden besonders GmbH-rechtliche Rechtsgeschäfte gerne in die Schweiz verlegt. a) Die Umgehung von Formvorschriften spielt auch im Sachrecht eine Rolle. Wie oben dargelegt, sind derartige Geschäfte nicht selten unwirksam; die umgangene Formvorschrift wird analog angewandt 2 9 . Das gilt vor allem dann, wenn die Formvorschrift einem Schutzzweck dient. Anders ist es, wenn sich die Gesetzesumgehung des Kollisionsrechts bedient. So hat das Reichsgericht bereits 1 9 0 6 entschieden, daß keine Umgehung vorliegt, wenn eine Bürgschaft ohne Einhaltung der erforderlichen Form im Ausland abgeschlossen wird 3 0 . Deutlich wird die Abweichung bei Vollmachten zur Veräußerung eines Grundstücks. In Inlandsfällen können sie der notariellen Form bedürfen, um Umgehungen zu verhindern. Nach zwei Entscheidungen des O L G Stuttgart gilt das jedoch nicht für eine im Ausland erteilte Vollmacht zur Grundstücksveräußerung, auch wenn sie aufgrund ihrer besonderen Ausgestaltung im Inland der notariellen Beurkundung bedürfte: Sie sei formgültig, wenn sie den Formvorschriften des ausländischen Rechts entspreche 3 1 . Der Vorwurf der Gesetzesumgehung stehe nicht entgegen. In einer Entscheidung wird allerdings ausdrücklich ausgeführt, eine „fraudulöse Manipulation" liege nicht vor, da die Parteien sachliche Beziehungen zum Vertragsort Liechtenstein gehabt hätten 3 2 . b) Die gesellschaftsrechtliche Praxis hat sich in den letzten 2 0 Jahren vielfach mit der Frage beschäftigt, ob die Beurkundung GmbH-rechtlicher Rechtsgeschäfte im Ausland wirksam ist; es ging vor allem um Übertragungen von Gesellschaftsanteilen und um Verschmelzungen. Früher wurden derartige Rechtsgeschäfte oft unter dem Gesichtspunkt der Umgehung der deutschen Vorschriften Oben § 8 I.l.b). R G 1 2 . 2 . 1906 - Rep. VI 343/05, R G Z 62, 379 (381 f.). 3 1 O L G Stuttgart 1 1 . 1 1 . 1980 - 8 W 173/80, IPRspr 1980, Nr. 12 (S.47); O L G Stuttgart 1 8 . 1 2 . 1981 - 8 W 215/81, IPRspr 1981, Nr. 12 (S.30). 3 2 O L G Stuttgart 1 8 . 1 2 . 1981 - 8 W 215/81, IPRspr 1981, Nr. 12 (S. 30, 34). 29 30

I. Wertungskriterien der Praxis: Fallgruppen

253

über die notarielle Beurkundung derartiger Rechtsgeschäfte diskutiert (z.B. § § 1 5 Abs. 3, 4 G m b H G , 6, 13 Abs. 3 U m w G ) 3 3 . In Wahrheit geht es jedoch um ein Problem zweier konkurrierender Anknüpfungen: Es k o m m t darauf an, o b für die F o r m Art. 1 1 E G B G B gilt oder das allgemeine Gesellschaftsstatut. Im Vordringen ist eine Auffassung, nach der für alle Vorgänge, die die Verfassung der Gesellschaft betreffen und in ein Register einzutragen sind, das Gesellschaftsstatut gilt; für sonstige Geschäfte soll die alternative O r t s f o r m nach Art. 1 1 Abs. 1 2 . Alt. E G B G B genügen 3 4 . Selbst wenn nicht an das Ortsstatut angeknüpft wird, ist eine Beurkundung im Ausland jedoch nicht zwangsläufig unwirksam. Es besteht die Möglichkeit der Substitution:

Sind im Ausland die Tatbestandsmerkmale einer deutschen Sach-

norm verwirklicht, k o m m t es darauf an, o b das ausländische Rechtsinstitut oder Rechtsgeschäft dem inländischen gleichwertig ist 3 5 . In der Praxis lassen Gerichte nicht selten die Anknüpfung gesellschaftsrechtlicher Rechtsgeschäfte dahinstehen und beschränken sich auf die Feststellung, die Auslandsbeurkundung sei jedenfalls gleichwertig 3 6 . Das Gesamtbild ist recht großzügig: Die Beurkundung von schweizerischen Notaren wird überwiegend als gleichwertig angesehen 3 7 ; nach einer Entscheidung des L G Kiel ist auch eine Beurkundung in Österreich gleichwertig 3 8 , das O L G Düsseldorf stellte obiter das gleiche für einen niederländischen N o t a r fest 3 9 .

33 Kropholler ZHR 140 (1976), 394 (396ff.); Staudinger-Karl Firsching (12. Aufl.) Art. 11 EGBGB Rdnrn. 145ff.; Winkler NJW 1972, 981 (983f.). 34 Goette DStR 1996, 709 (710ff.) mit dem Hinweis (S.711), daß Art. 11 EGBGB im Zuge der Neufassung in den Abschnitt über „natürliche Personen" eingefügt wurde; ebenso Gätsch/ Schulte ZIP 1999, 1954; Kropholler ZHR 140 (1976) 394 (402ff.); Kröll ZGR 2000, 111 (114ff., 122ff.); Junker, IPR, Rdnr.329; Rowedder-Rowedder/Bergmann, GmbHG, §15 Rdnrn. 52ff.; Rowedder-Zimmermann, GmbHG, §53 Rdnrn. 39f.; Scholz-H.P. Westermann, GmbHG, Einl. Rdnr. 94; dazu Benecke RIW 2002,280 m. w.N. auch zu den abweichenden Auffassungen. 35 Dazu v. Hoffmann, IPR, § 6 Rdnr. 40; Junker, IPR, Rdnr. 269, 328; auch zu den Kriterien dafür Benecke RIW 2002, 280 (283f.). 36 So BGH 16.2. 1981 - II ZB 8/80, BGHZ 80, 76; BGH 22.5. 1989 - II ZR 211/88, ZIP 1989, 1052 (1054f.);LG Köln 13.10. 1989 - 87 T20/89, DB 1989,2214; LG Nürnberg-Fürth 20.8. 1991 - 4 HK T 489/91, DB 1991, 2029. 37 Grundlegend BGH 1 6 . 2 . 1 9 8 1 - I I ZB 8/80, BGHZ 80, 76 (78) (Zürich); BGH 22.5.1989 - II ZR 211/88, ZIP 1989,1052 (1054f.); LG Köln 13.10. 1989 - 87 T 20/89, DB 1989,2214 (Zürich); LG Nürnberg-Fürth 20.8. 1991 - 4 HK T 489/91, DB 1991, 2029; OLG München 1 9 . 1 1 . 1 9 9 7 - 7 U 2511/97, BB 1998,119 = EWiR Art. 11 EGBGB 2/98, 309 (Mankowski) (Basel). Anders noch OLG Hamm 1.2. 1974 - 15 Wx 6/74, NJW 1974, 1057; OLG Karlsruhe 10.4. 1979 - 11 W 104/78, RIW/AWD 10979, 567; AG Fürth 16.11. 1990 - HR B 2177, DB 1991, 32 = GmbHR 1991, 24 m. zust. Anm. Heckschen; LG Augsburg 4.6. 1996 - 2 HK T 2093/96, BB 1998, 120 = ZIP 1996, 1872. 38 LG Kiel 25.4. 1997 - 3 T 143/97, BB 1998, 120 zu einem eG-Verschmelzungsvertrag. 39 OLG Düsseldorf 25.1. 1989 - 3 Wx 21/89, NJW 1989, 2200; weitere Nachweise s. Staudinger-Großfeld IntGesR Rdnr. 474.

254

§15 Umgehungsfälle im IPR und Wertung

c) Insgesamt zeigt sich bei der Umgehung von Formvorschriften mit Mitteln des I P R eine auffallend größere Toleranz als bei der Umgehung mit Mitteln des Sachrechts. Das gilt selbst dann, wenn Schutzvorschriften betroffen sind. Im Hintergrund mag die Überlegung eine Rolle gespielt haben, daß Parteien, die raffiniert genug sind, sich zur Umgehung ins Ausland zu begeben, eine Warnung nicht unbedingt nötig haben. Ausschlaggebend ist jedoch die Wertung der umgangenen Kollisionsnorm. Z w a r hat Art. 11 Abs. 1 2 . Alt. E G B G B grundsätzlich Parteien im Auge, die sich ohnehin im Ausland aufhalten 4 0 . Wird die Auslandsform bewußt gewählt, wird gegen dieses Ziel verstoßen, es liegt also grundsätzlich eine Umgehung vor. J e d o c h ist Art. 11 E G B G B durch seine weite Fassung, insbesondere die unterschiedlichen Anknüpfungen in den Absätzen 1 und 2 , eine formfreundliche Ausrichtung zu entnehmen 4 1 : Das IPR soll der Formwirksamkeit eines Vertrages möglichst nicht im Wege stehen. Diese formfreundliche Ausrichtung des Art. 11 E G B G B dient auch einem weiteren Ziel dieser Rechtsnorm: der Rechtssicherheit. Gerade im Z u s a m m e n h a n g mit formbedürftigen Rechtsgeschäften ist es unerwünscht, wenn über die Wirksamkeit des Geschäfts Unklarheit besteht 4 2 . In der Literatur wird demgegenüber gefordert, aus Schutzzweckgesichtspunkten könnten nicht alle derartigen Umgehungen toleriert werden. N a c h

Krophol-

ler m u ß Art. 11 E G B G B aus dem Gesichtspunkt des Schutzes des Schuldners vor Übervorteilung eingeschränkt werden 4 3 . Römer differenziert: Soll die F o r m dem Schutz des Formpflichtigen dienen, so k o m m e es darauf an, o b die Umgehung bewußt gewählt wurde oder nicht 4 4 . Die Rechtsprechung hat dazu noch nicht im einzelnen Stellung genommen. d) Maßgeblich für die Eingriffsschwelle ist bei derartigen Umgehungsfällen also der Z w e c k der Kollisionsnorm auf der einen, Schutzüberlegungen auf der anderen Seite. Allerdings darf angesichts der eindeutigen Ausrichtung von Art. 11 E G B G B die Ortsform nur in wenigen Ausnahmefällen für unwirksam erklärt werden. Keineswegs genügt es für die Überschreitung der Eingriffsschwelle, wenn deutsche Notariatsgebühren gefährdet sind 4 5 . Auslandsbeurkundungen sind deshalb auch nicht aus anderem Grunde nichtig; so merkte das O L G Frankfurt/Main in einer einschlägigen Entscheidung lapidar an, es verstoße nicht gegen die guten Sitten, wenn aus mehreren zulässigen Möglichkeiten die kostengünstigste gewählt wird 4 6 .

40 41 42 43 44 45 46

Kropholler ZHR 140 (1976), 394 (398). Dazu Junker, IPR, Rdnrn. 320ff. Vgl. Kropholler ZHR 140 (1976), 394 (398). Kropholler ZHR 140 (1976), 394 (399). Römer, S.153f. Kropholler ZHR 140 (1976), 394 (399). OLG Frankfurt/M. 10.4. 1981 - 20 W 460/80, DB 1981, 1456.

11. Umgangene

Norm

255

Ausnahmefälle lassen sich unter ähnlichen Umständen wie bei den Gran-Canaria-Fällen denken, wenn beispielsweise die Auslandsform bewußt ausgenutzt wird oder sogar der Betroffene zu einer Auslandsreise überredet wird, um ihm ein wirksames mündliches Bürgschaftsversprechen zu entlocken. Weitere Ausnahmen können gemacht werden, wenn die Ortsform bewußt zur Schädigung eines Dritten - z.B. eines Vertretenen - eingesetzt wird 4 7 .

II. Umgangene

Norm

Die eben erläuterten Fallgruppen fassen die praktisch häufigsten Fälle der Umgehung im IPR zusammen, sind aber keineswegs abschließend. Es stellt sich daher die Frage, ob sich im IPR wie im Sachrecht 4 8 allgemeine Wertungskriterien aufstellen lassen. Im Sachrecht gibt es zwei zentrale Wertungskriterien: Die subjektive Seite der Umgehung und die umgangene Norm. Wie bereits bei der Erörterung der Fallgruppen deutlich geworden ist, geht das Vorliegen von Umgehungsabsicht und Umgehungszweck auch im IPR verbreitet in die Wertung ein. Ein anderer Ansatzpunkt ergibt sich dagegen bei der umgangen Norm. Im Sachrecht kommt es vor allem darauf an, ob es sich um eine Schutznorm handelt. Nur dann, wenn der Schutz absolut ist, insbesondere unabhängig von subjektiven Voraussetzungen, kann auch eine rein objektive Gesetzesumgehung unwirksam •

sein

49

.

Auf das IPR lassen sich diese Überlegungen nicht ohne weiteres übertragen. Zwar richtet sich das Ziel der Gesetzesumgehung im IPR auf das Sachrecht, umgangene Norm ist aber die Anknüpfung der Kollisionsnorm 5 0 . Kollisionsnormen selbst und ihre Anknüpfungen haben jedoch nur selten eine ausgesprochene Schutzfunktion. Es stellt sich also die Frage, ob und wie unter diesen Voraussetzungen Schutzzweckerwägungen eine Rolle spielen können (dazu 1.). Einen Sonderfall bildet der Schutz des Rechtsverkehrs. Wie bereits bei der Umgehung von Formvorschriften deutlich wurde, dienen einige Kollisionsnormen ausdrücklich dem Verkehrsschutz, wobei das individuelle Schutzbedürfnis nachrangig sein kann (dazu 2.). Keine Rolle darf für die Wertung spielen, ob durch die Umgehung deutsches oder ausländisches Sachrecht vermieden wird 5 1 . Auch wenn in der Praxis deutsche Gerichte dazu neigen werden, die „Umgehung" deutschen Sachrechts als besonders verwerflich anzusehen, liegt darin kein taugliches Wertungskriterium. 47 48 49 50 51

486.

Ähnlich MünchKomm-Sonnenberger Einl. IPR Rdnr. 708; Lüderitz, IPR, Rdnr. 145. Dazu oben § 9 IV. Oben § 9 III. 1. und zusammenfassend § 12 VIII. Dazu oben § 13 1.2. Zur „Umgehung" spanischen Rechts z.B. BGH 8 . 3 . 1 9 7 9 - VIII Z R 48/78, W M 1979,

256

§15

Umgehungsfälle

im IPR und

Wertung

Das Anknüpfungssystem des Kollisionsrechts kann nur funktionieren, wenn alle Rechtsordnungen bis zur Grenze des ordre public als gleichwertig angesehen werden. Gesetzesumgehung darf also nicht dazu dienen, ein „Heimwärtsstreben" von Gerichten zu begründen. 1. S c h u t z z w e c k im K o l l i s i o n s r e c h t Zu den Besonderheiten der Gesetzesumgehung im IPR gehört, daß sich hier stets eine umgangene und eine ergangene Norm finden läßt: Wenn die Anknüpfung an eine bestimmte Rechtsordnung vermieden wird, so muß zwangsläufig die Anknüpfung an eine andere Rechtsordnung ergangen werden, da es keinen rechtsordnungsfreien Raum gibt. Häufiger als im Sachrecht wird auch das Bewußtsein der Handelnden vorrangig auf die ergangene, nicht die umgangene Kollisionsnorm gerichtet sein. Schutzzweckgesichtspunkte können also im Kollisionsrecht in zweierlei Hinsicht von Bedeutung sein. Einerseits kann die umgangene Norm bzw. Anknüpfung eine Schutzfunktion zugunsten eines Dritten haben. Im Sachrecht ist das z.B. bei Umgehung von Arbeitnehmerschutznormen der Fall; Folge ist regelmäßig eine niedrige Eingriffsschwelle. Andererseits können aber auch Normen ergangen werden, die den fraudulös Handelnden schützen. Nach einer Entscheidung des B G H bleibt in solchen Fällen der Anknüpfungspunkt unberücksichtigt. a) Ergehung

von

Schutznormen

Der BGH versagte in dem 1 9 8 0 ergangenen Urteil den Schutz einer kollisionsrechtlichen Anknüpfung, weil der Geschützte sie „ergangen" hatte. Der - sehr grundsätzlich gehaltene - erste Leitsatz der Entscheidung lautet: „Im deutschen Internationalen Privatrecht kann ein Anknüpfungspunkt für die Anwendung fremden Rechts keine Berücksichtigung finden, der allein dem Vertrauensschutz Dritter und der Verkehrssicherheit Rechnung trägt, wenn schützenswerte Interessen desjenigen, der sich hierauf beruft, wegen fraudulösen Verhaltens nicht gegeben sind" 5 2 . In dem Ausgangsfall ging es um komplizierte Methoden der Geldwäsche. Vereinfacht spielte sich folgendes ab: Der Deutsche T. unterhielt bei einer schweizerischen Bank ein Konto, auf das erhebliche Summen veruntreuten Geldes aus dem Eigentum der - ebenfalls deutschen - Klägerin eingezahlt worden waren. Er gründete in der Schweiz mit diesem Geld mehrere Anstalten liechtensteinischen Rechts. Eine davon - die Beklagte - befand sich zum Klagezeitpunkt in Liquidation. Sie war Eigentümerin eines Grundstücks bei Uelzen, das 7 0 0 . 0 0 0 D M wert 5 2 BGH 5 . 1 1 . 1980 - V I I I Z R 230/79, BGHZ 78, 318 = IPRax 1 9 8 1 , 1 3 0 = N J W 1981, 522; dazu ausführlich Hanisch ZIP 1981, 5 6 9 (574f. zur Umgehung).

II. Umgangene

Norm

257

sein sollte. Die Klägerin verlangte von der Beklagten Zahlung von 7 0 0 . 0 0 0 D M als Teil der zuvor veruntreuten Summe. Entscheidend für den Erfolg des Prozesses war die Einhaltung der Frist für eine Anfechtungsklage, die nach schweizerischem Recht kürzer war als nach deutschem. Der B G H hielt weder liechtensteinisches noch schweizerisches Recht für anwendbar. Grundsätzlich könne zwar an das Recht angeknüpft werden, das über den anfechtbaren Erwerbsvorgang bestimme. Grund dafür sei die Verkehrssicherheit und das Vertrauen des Erwerbers, daß der Erwerbsvorgang auch im Falle einer Anfechtung nach dem maßgeblichen örtlichen Recht zu beurteilen sei. Das sei hier jedoch nicht der Fall, so daß das für den Erwerbsvorgang maßgebende Recht unbeachtlich sei. Das schützenswerte Interesse der Klägerin, wenigstens einen Teil des veruntreuten Geldes zurückzuerhalten, ist in diesem Fall nicht zu leugnen. Fraglich ist aber, ob sich der Leitsatz der Entscheidung in der Weise verallgemeinern läßt, wie es sein Wortlaut vermuten läßt. Die Besonderheit des Falles liegt darin, daß das - inzwischen zusammenhängend geregelte - Internationale Insolvenzrecht 1 9 8 0 noch weitgehend Gewohnheitsrecht war 5 3 . Die vom B G H erwähnte Anknüpfung an das Recht des anfechtbaren Erwerbsvorganges war also ausschließlich aus Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes entwickelt worden. Im geschriebenen Kollisionsrecht stellen sich derartige Fragen in geringerem Maße: Der Tatbestand, auf dem das schützenswerte Vertrauen beruht, ist in der Regel soweit beschrieben, daß er fraudulöses Vorgehen ohnehin nicht erfaßt. Ein Beispiel bildet Art. 2 9 E G B G B , der dem Verbraucherschutz dient. In Art. 2 9 Abs. 1 E G B G B sind die Umstände, unter denen man in den Genuß des Internationalen Verbraucherschutzes kommt, genau und abschließend beschrieben, so daß seine „Ergehung" kaum möglich ist. Betrachtet man die Begründung des B G H , ist die Aussage des ersten Leitsatzes auch weniger grundsätzlich zu sehen, als es den Anschein hat. Der B G H stellt fest, das für den Erwerbsvorgang maßgebliche Recht sei unbeachtlich, „wenn eine sog. fraudulöse Anknüpfung vorliegt [...], etwa wenn der Erwerbsvorgang nur zum Zwecke der Umgehung der inländischen Anfechtungsvorschriften ins Ausland verlegt worden ist"; „weiterhin" auch dann, wenn „schützenswerte Interessen des Erwerbers deshalb zu verneinen sind, weil kein echtes Verkehrsgeschäft vorliegt" 5 4 . Es ging dem B G H weniger um eine allgemeine Aussage zu Anknüpfungen, sondern um die angemessene Anknüpfung in einem gewohnheitsrechtlich geregelten Gebiet. Im Vordergrund stand die Suche nach der engsten Verbindung, wie sie für ein bewegliches Anknüpfungssystem charakteristisch ist 5 5 .

53 54 55

Zur Reform des Insolvenzrechts Flessner IPRax 1997, 1. BGH 5 . 1 1 . 1980 - VIII Z R 230/79, B G H Z 78, 318 (325). Zutreffend v. Bar/Mankowski, IPR I, § 7 Rdnr. 131.

258

§ IS Umgehungsfälle

im IPR und

Wertung

Die Grundsätze aus der BGH-Entscheidung vom 1 9 8 0 lassen sich mithin nicht uneingeschränkt auf die Ergehung gesetzlich konkret geregelter Anknüpfungen übertragen. Gegenstand der Entscheidung war die Eingrenzung einer gewohnheitsrechtlichen Anknüpfung, die den Gesichtspunkt der engsten Verbindung mit Schutzzwecküberlegungen verbindet. Wenn die Anknüpfung fraudulös hergestellt ist, ist sie nicht dazu geeignet, eine solche engste Verbindung zu begründen. Es kann aber nicht generell Vertrauens- und Verkehrsschutz nur deswegen verweigert werden, weil fraudulös oder auch nur gezielt vorgegangen wurde - es sei denn, der den Vertrauensschutz bildende Tatbestand ist bereits tatsächlich nicht gegeben. b) Umgebung

von

Schutznormen

Im Sachrecht bildet die Umgehung individueller Schutznormen eine der praktisch wichtigsten Gruppen von Umgehungsfällen. Wird durch vertragliche oder tatsächliche Gestaltungen z.B. der Schutz des Arbeitnehmers durch das Kündigungsschutzgesetz, des Verbrauchers durch das Recht der Haustürgeschäfte oder des Mieters durch das Mietrecht umgangen, ist regelmäßig eine niedrige Eingriffsschwelle die Folge; selbst dann, wenn Umgehungsabsicht oder auch nur Bewußtsein der Umgehung fehlen. aa) Im IPR spielt die Umgehung von Normen, die einem individuellen Schutzzweck dienen, eine geringere Rolle. Ein Grund liegt darin, daß derartige Normen im Kollisionsrecht seltener sind. Das vorrangige Ziel des Kollisionsrechts liegt darin, einen Sachverhalt der sachnächsten Rechtsordnung zu unterstellen. Werden z.B. durch Änderung der Staatsangehörigkeit erbrechtliche Ansprüche vermieden, so kann sich die Fallösung nicht darauf stützen, es sei eine Schutznorm umgangen: Die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Erblassers in Art. 2 5 E G B G B dient nicht dem individuellen Schutz - erst recht nicht dem des Erben sondern soll die sachnächste Rechtsordnung für die Rechtsnachfolge von Todes wegen ermitteln. Allerdings gibt es auch im IPR Regeln, die dem Individualschutz dienen. So soll Art. 12 E G B G B das Vertrauen eines Vertragsteils in die Rechts-, Geschäftsund Handlungsfähigkeit des anderen schützen. Im Internationalen Familienrecht zielen Art. 16 E G B G B und der auf dem Haager Unterhaltsabkommen beruhende Art. 18 E G B G B auf bestimmte Schutzzwecke ab 5 6 . Dem Schutz des Schwächeren dienen auch der bereits erwähnte Art. 2 9 EGBGB und seit Juni 2 0 0 0 Art. 2 9 a E G B G B (Verbraucherschutz) sowie das Günstigkeitsprinzip des Art. 30 Abs. 1 E G B G B (Schutz des Arbeitnehmers). Ein letztes Beispiel bildet der Schutz des Verletzten einer unerlaubten Handlung in Art. 4 0 EGBGB.

56

Zum Schutzzweck von Art. 18 EGBGB Junker,

IPR, Rdnrn. 99, 5 4 2 .

II. Umgangene Norm

259

Die Umgehung dieser Regeln zu Lasten des Geschützten hat allerdings so gut wie keine praktische Bedeutung 5 7 . Artt. 1 2 und 16 E G B G B stellen ohnehin Ausnahmeregeln dar und schützen vorrangig den Rechtsverkehr; eine Umgehung würde auch nur selten Vorteile mit sich bringen. D e r Schutz der Artt. 18 und 4 0 E G B G B ist von Handlungen des Verletzten abhängig, durch einen Schädiger also kaum zu manipulieren. Art. 2 9 E G B G B wurde im Z u s a m m e n h a n g mit den GranCanaria-Fällen bereits e r w ä h n t 5 8 . Wird der Geltungsbereich dieser N o r m vermieden, wird darin im Regelfall keine Gesetzesumgehung liegen, da der Geltungsbereich ausdrücklich abschließend geregelt ist. Ähnliches gilt für Art. 2 9 a EGBGB. Auch Art. 3 0 E G B G B läßt wenig R a u m für Umgehungen. Sein Geltungsbereich richtet sich nach objektiven Kriterien und erfaßt z.B. auch faktische Arbeitsverhältnisse 5 9 . Das gilt sogar dann, wenn Grundlage auf sachrechtlicher Ebene ein Umgehungsgeschäft ist. So hatte sich das Sächsische Oberverwaltungsgericht 1 9 9 6 mit einer sog. Arbeitnehmergesellschaft zu befassen, die zwischen deutschen Unternehmen und Ausländern aus Nicht-EU-Staaten gegründet wurde. N a c h der Entscheidung ist ein derartiges Gebilde wegen Umgehung ausländerrechtlicher Vorschriften gemäß § 1 3 4 B G B nichtig; das Arbeitsvertragsstatut richtet sich nach Art. 3 0 E G B G B 6 0 . bb) Im praktischen Fall ist Anlaß einer internationalprivatrechtlichen Gesetzesumgehung auch selten der Schutzzweck einer Kollisionsnorm. W i e die bisherigen Beispielsfälle gezeigt haben, geht es eher darum, sachrechtliche Schutznormen auszuschalten: den Verbraucherschutz, Erbansprüche, oder auch den Übereilungsschutz durch eine Formvorschrift. Daher könnte man daran denken, den Schutzzweck der „umgangenen" Sachnorm in die Wertung einzubeziehen 6 1 . Das wird jedoch zu Recht selbst von denjenigen abgelehnt, die in der Sachnorm das „ O b j e k t " der Umgehung sehen 6 2 . Die Gesetzesumgehung im IPR spielt sich auf kollisionsrechtlicher Ebene a b und ist eine Frage der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit, so daß auch die Wertung auf diese Ebene abstellen m u ß 6 3 . Dasselbe ergibt sich aus logischen Überlegungen: N a c h heute nahezu allgemeiner Ansicht ist das IPR der nationa5 7 Zur Umgehung durch Gerichtsstandsklauseln des Internationalen Zivilprozeßrechts unten §18 II. 5 8 Oben § 13 II.2.b). 5 9 Vgl. MiincbKomm-Martiny Art. 30 EGBGB, Rdnrn. 7 ff. 6 0 Sachs. OVG 2.6.1996 - 3 S 390/94, AR-Blattei ES 330 Nr. 39 m. Anm. Mankowski = WiB 1997, 30 m. Anm. Mankowski; zur Geltung von Art. 30 EGBGB MünchKomm - Martiny Art. 30 EGBGB, Rdnr.9. 61 Die Sachnormen sollen ausschlaggebend sein nach RG 15.11. 1920 - 1 1 3 3 / 2 0 , RGZ 100, 210 (in der Entscheidung ging es um eine Gothaische Gewerkschaft). 6 2 Ausführlich Römer, S. 64ff., s. auch Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB, Rdnr. 138. 6 3 Vgl. Kegel, IPR, S.350f.; Kegel/Schurig, IPR, S.423f.; Junker, IPR, Rdnr. 189; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S.195; ähnlich v. Bar/Mankowski, IPR I, §7 Rdnrn. 131 f.; s. schon oben §13 1.2.

260

§15

Umgehungsfälle

im IPR und

Wertung

len Rechtsordnung „vorgeschaltet". Es kann daher zwar dem Zweck und Ziel einer Sachnorm entnommen werden, ob sie auf nationaler Ebene umgehungsfest sein soll. Auf internationaler Ebene ist sie jedoch ohnehin nur unter der Voraussetzung anwendbar, daß sie durch das Kollisionsrecht für anwendbar erklärt wird 6 4 . Eine Ausnahme gilt nur für international zwingende Vorschriften wie § 12 A G B G a.F. (jetzt Art. 2 9 a E G B G B ) oder § 61 BörsG 6 5 .

2. Verkehrsschutz Kollisionsnormen dienen selten dem Individualschutz. Dennoch folgen einige Regeln des IPR neben ihrer Aufgabe, das sachnächste Recht zuzuordnen, auch einem Schutzzweck: Ihr Ziel sind Verkehrsschutz und Verkehrserleichterung. Bei internationalen Fällen sind Sicherheit und Leichtigkeit des Rechtsverkehrs von besonderer Bedeutung 6 6 . Da von dem auf einen Sachverhalt anwendbaren Recht beispielsweise Wirksamkeit und Rechtsfolgen eines Geschäfts abhängen können, ist Rechtssicherheit unerläßlich. Im Sachrecht wirken sich Verkehrsinteressen auf die Eingriffsschwelle umgekehrt aus wie geschützte Individualinteressen: Besteht ein Interesse des Rechtsverkehrs an der Wirksamkeit einer Anknüpfung oder eines Geschäfts, kann es in der Regel nicht aus Gründen der Gesetzesumgehung für unwirksam erklärt werden 6 7 . Für das Kollisionsrecht hat sich dasselbe bereits bei der Umgehung von Formvorschriften gezeigt 6 8 . Wie oben ausgeführt, hat Art. 11 E G B G B eine formfreundliche Ausrichtung. Sie dient dem Verkehrsschutz und der Rechtssicherheit, damit die Wirksamkeit eines internationalen Geschäfts nicht an Formfragen scheitert. Daher wird von Rechtsprechung und Literatur in aller Regel akzeptiert, wenn mit Hilfe der alternativen Ortsform nach Art. 11 Abs. 1 2. Alt. E G B G B bewußt inländische Formvorschriften umgangen werden. Die Einbuße an Individualschutz wird hingenommen, da anderenfalls Rechtsunsicherheit über die Wirksamkeit formbedürftiger Geschäfte entstehen könnte, die die Leichtigkeit des internationalen Rechtsverkehrs erheblich beeinträchtigen würde. Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung von Verkehrsinteressen folgt aus dem Internationalen Sachenrecht. Nach der dort herrschenden Anknüpfungsregel der lex rei sitae, die seit 1 9 9 9 in Art. 4 3 Abs. 1 E G B G B gesetzlich normiert ist, richten sich die Rechte an Sachen nach ihrem Belegenheitsort. Nach ganz herrschender Auffassung gilt die lex rei sitae auch für den gutgläubigen Erwerb be-

Ähnlich Römer, S . 6 8 f . Zu § 61 BörsG unter Gesichtspunkten der Gesetzesumgehung: BGH 2 1 . 9 . 1993 - IX Z R 62/92, NJW-RR 1993, 1519 = W M 1993, 2 1 2 1 . 66 Junker, IPR, Rdnr.93. 6 7 Zur Rolle der Verkehrsinteressen im Sachrecht oben § 9 II.3. 6 8 Oben § 1 5 1.3. 64 65

III. Objektive und wertende

Kriterien

261

weglicher Sachen vom Nichtberechtigten 6 9 . Gleichzeitig weichen die internationalen Sachrechtsordnungen bei den Voraussetzungen und Rechtsfolgen des gutgläubigen Eigentumserwerbs deutlich voneinander ab; so ist z.B. nach Art. 1 1 5 3 Abs. 1 des italienischen codice civile der gutgläubige Erwerb unabhängig davon möglich, o b eine Sache abhanden gekommen ist 7 0 . Es liegt daher nahe, z.B. gestohlene Kunstwerke oder Autos gezielt nach Italien zu bringen, um sie dort an einen Gutgläubigen weiterzuveräußern 7 1 . In der Literatur werden solche Geschäfte verbreitet als Gesetzesumgehung angesehen 7 2 . J e d o c h sind sie nach ganz herrschender Auffassung dennoch wirksam. Begründet wird das mit Erwägungen der Verkehrssicherheit. An der Geltung der lex rei sitae besteht ein erhebliches praktisches Interesse 7 3 : Es hat schwerwiegende Auswirkungen auf den Verkehr, wenn Rechtsunsicherheit über die sachenrechtliche Lage einer Sache besteht - insbesondere über die Eigentumslage. Wird also zur Gesetzesumgehung die verkehrsfreundliche Ausrichtung einer Kollisionsnorm genutzt, ist Folge im Regelfall eine hohe Eingriffsschwelle.

III. Objektive und wertende

Kriterien

Auch im IPR gibt es über die umgangene N o r m hinaus weitere objektive und wertende Kriterien zur Bestimmung der Eingriffsschwelle. Wie erwähnt, wird in der internationalprivatrechtlichen Literatur verbreitet die Auffassung vertreten, Gesetzesumgehung zeichne sich durch ein objektiv ungewöhnliches Vorgehen aus (dazu l . ) 7 4 . Daneben stellt sich die Frage, o b sich sonstige objektive Beson-

6 9 BGH 25.9. 1996 - VIII ZR 76/95, NJW 1997, 461 (462); OLG Köln 21.7. 1 9 9 9 - 13 U 147/98, VersR 2000,462 (463); OLG Brandenburg 12.12. 2000 - 11 U 14/00, NJW-RR 2001, 597 (597); BGH 11.3. 1991 - II ZR 88/90, IPRax 1993, 176 (177) (Kreuzer S. 157) zum gutgläubigen lastenfreien Erwerb; Benecke ZVglRWiss 2002, 362; Coester-Waltjen/Mäsch, Übungen im IPR, S. 120; Palandt-Heldrich, Art. 43 EGBGB Rdnr. 3; v. Hoffmann, IPR, § 12 Rdnr. 22; Ferid, IPR, Rdnr.7-16; Erman-Hohloch, Art.43 EGBGB Rdnr. 12-junker, IPR, Rdnr.480; Kegel/Schurig, IPR, S. 667; MünchKomm-Krewzer nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 70; Kropholler, IPR, § 54 I 3 c; Müller-Katzenburg NJW 1999, 2551 (2554); Staudinger-Stoll, Int SachenR, Rdnr. 300. 7 0 Dazu Benecke ZVglRWiss 2002, 362 (363f.) m.w.N. Gleichzeitig schadet nach Art. 1147 Abs. 1 codice civile nur grobe Fahrlässigkeit. 71 Zur „Italian connection" bei Kunstwerken Müller-Katzenburg NJW 1999, 2551 (2555). 7 2 V. Bar, IPR II, Rdnr. 754, Fn. 41 ; Soergel-Lüderitz Anh. II Art. 38 EGBGB Rdnr. 107, der in der Gesetzesumgehung allerdings einen Gegenstand des ordre public sieht; Staudinger-Stoll, Int SachenR, Rdnr. 261. 73 Staudinger-Stoll, Int. SachenR, Rdnr. 261; zur Bedeutung der lex rei sitae für die Verkehrssicherheit Benecke ZVglRWiss 2002, 362 (364f.) m.w.N. auch zur Gegenauffassung, die auf den Ort des Abhandenkommens abstellen will. 74 Zum Sachrecht oben § 9 II.l.

262

§15

Umgehungsfälle

im IPR und

Wertung

derheiten finden lassen, die unwirksame Gesetzesumgehungen im IPR von anderem Handeln unterscheiden (dazu 2.). Im Sachrecht spielt für die Wertung in Umgehungsfällen oft eine Rolle, ob das Vorgehen des Umgehers Elemente der Sittenwidrigkeit oder des Rechtsmißbrauchs enthält. Diese Begriffe werden auch im IPR im Zusammenhang mit der Gesetzesumgehung verwandt. Sie haben hier aber eine andere rechtliche Bedeutung. Wie erwähnt, gibt es im IPR kein Institut der mißbräuchlichen Rechtsausübung; Formulierungen wie „Mißbrauch der Kollisionsnorm durch Umgehung" enthalten nur einen Hinweis auf eine besondere Wertung (dazu 3.) 7 5 . Auch eine § 1 3 8 Abs. 1 BGB entsprechende Regelung gibt es im IPR nicht. Die Sittenwidrigkeit kollisionsrechtlichen Vorgehens ist abzugrenzen vom ordre public gemäß Art. 6 EGBGB, der sich auf den Inhalt des anwendbaren Sachrechts bezieht (dazu 4.). 1. Ungewöhnliches Vorgehen a) „Kennzeichnend für die Gesetzesumgehung ist etwas Ungewöhnliches. Das Gewöhnliche würde unsere Zweifel nicht erregen" - so Kegel im Jahr 1957 7 6 . Ihm folgend wird in der Literatur bei der Definition und Bewertung der Gesetzesumgehung im IPR verbreitet darauf abgestellt, ob der Umgehung eine ungewöhnliche Vorgehensweise zugrunde liegt 77 . Für das Sachrecht wurde ein Zusammenhang zwischen ungewöhnlichem Vorgehen und Eingriffsschwelle abgelehnt 78 . Im IPR besteht jedoch ein stärkerer Zusammenhang zwischen Gesetzesumgehung und Ungewöhnlichkeit. Das wichtigste Mittel der Gesetzesumgehung im Kollisionsrecht ist die Manipulation von Anknüpfungspunkten, wobei der Begriff der Manipulation bereits auf eine ungewöhnliche und konstruierte Vorgehensweise hinweist. In der Tat zeichnen sich viele praktische Fälle durch ungewöhnliches, künstliches oder konstruiertes Vorgehen aus. Jedoch kennzeichnet die ungewöhnliche Vorgehensweise die Gesetzesumgehung im IPR nicht per definitionem; stellt also keine notwendige Voraussetzung dar. Damit würde der Begriff der Gesetzesumgehung zu stark eingeschränkt. Die Definition der Gesetzesumgehung im IPR entspricht derjenigen im Sachrecht: Das Ziel der umgangenen Norm oder Anknüpfung wird verletzt, obwohl das fragliche Vorgehen nicht von ihrem Geltungsbereich erfaßt ist. Das wird oft, aber nicht zwangsläufig durch ungewöhnliches Handeln geschehen. Anderenfalls käme man zu der zweifelhaften Abgrenzung, wonach ein bestimmtes VorgeDazu oben § 14 II. Vortrag vor der Wiener Juristischen Gesellschaft; Ö J Z 1958, 15. 7 7 Ebenso Kegel, IPR (7. Aufl.), S . 3 4 8 ; Soergel-Kegel vor Art.3 EGBGB, Rdnr. 139; Junker, IPR, Rdnrn. 184, 187; einschränkend Raape/Sturm IPR Bd. I, S. 328, nach dem Umgehungsabsicht und Arglist nötig ist; ungewöhnliches Verhalten allein genüge nicht. 7 8 Oben § 9 II.l. 75 76

III.

Objektive

und wertende

Kriterien

263

hen keine Umgehung mehr sein kann, wenn es sich eingebürgert hat. Danach könnten Tondern-Ehen, Beurkundungen in der Schweiz oder Gran-Canaria-Geschäfte schon aufgrund ihrer Häufigkeit keine Umgehungen sein. b) Die Ungewöhnlichkeit kann also nur Kriterium der Eingriffsschwelle sein: J e ungewöhnlicher die Vorgehensweise, desto niedriger die Eingriffsschwelle. Insbesondere die Heirats- und Scheidungsfälle fallen in der Tat durch raffinierte Konstruktionen auf, die von einem gewöhnlichen Vorgehen weit entfernt sind 7 9 . Dennoch wird der überwiegende Teil der Umgehungen von der Rechtsprechung toleriert. Das Kriterium klingt lediglich in den Fällen an, in denen mittels Übertritt vom Islam eine Scheidung ermöglicht werden soll: Möglicherweise kann die Begründung des O L G Stuttgart dahingehend verstanden werden, es sei für einen „Orientalen" weniger ungewöhnlich, Moslem zu werden 8 0 . Wie bereits oben erwähnt, ist diese Abgrenzung jedoch unklar und sachlich unbegründet. Auch andere Umgehungen haben sich in der Praxis als wirksam erwiesen, obwohl die Handelnden durchaus ungewöhnlich vorgegangen sind. Das gilt vor allem für die Umgehung von Formvorschriften: Sie wird toleriert, obwohl es für Deutsche nicht unbedingt die gewöhnliche Vorgehensweise ist, zum Zweck des Grundstücksverkaufs oder der Veräußerung eines GmbH-Anteils eine Reise in die Schweiz oder nach Liechtenstein zu unternehmen 8 1 . In einer Entscheidung wird zwar betont, eine „fraudulöse Manipulation" sei durch sachliche Beziehungen nach Liechtenstein ausgeschlossen 8 2 ; diese Formulierung bezieht sich aber eher auf Umgehungsabsicht oder -zweck als auf die ungewöhnliche Vorgehensweise. Ein ungewöhnliches Vorgehen ist schließlich für den ebenfalls bereits erwähnten Geldwäschefall des B G H aus dem Jahre 1 9 8 0 kennzeichnend 8 3 . Der B G H bezeichnete das Vorgehen des T. als „fraudulös" und lehnte deswegen die Anwendung schweizerischen Rechts ab. Bei genauerer Betrachtung ist für die Einordnung als fraudulös jedoch nicht das objektiv ungewöhnliche Vorgehen maßgeblich. Vielmehr ging der B G H davon aus, das veruntreute Geld sei gezielt ins Ausland geschafft worden, um deutsche Anfechtungsvorschriften auszuhebein; es ging also um subjektive Kriterien. Die Ungewöhnlichkeit des Vorgehens bei einer Gesetzesumgehung macht sicherlich neugierig. Sie ist aber nicht als objektives Kriterium für die Eingriffsschwelle geeignet: Ungewöhnliche Konstruktionen können also ebenso wirksam

Oben § 1 5 I . I . , 2 . Vgl. O L G Stuttgart 1 8 . 1 2 . 1 9 7 0 - 1 VA 2 / 7 0 , IPRspr 1 9 7 0 , Nr. 125 b ( S . 4 3 2 ; 4 3 9 ) ; Senator für Rechtspflege und Strafvollzug Bremen 1 3 . 5 . 1 9 7 4 - 3 4 6 E b 2 3 / 7 3 , IPRspr 1 9 7 4 , Nr. 1 9 8 4 ( S . 4 9 7 ) ; dazu schon oben § 15 1.2. 8 1 Dazu oben § 1 5 1.3.b). 8 2 O L G Stuttgart 1 8 . 1 2 . 1 9 8 1 - 8 W 2 1 5 / 8 1 , IPRspr 1 9 8 1 , Nr. 12 ( S . 3 0 , 34). 8 3 B G H 5 . 1 1 . 1 9 8 0 - V I I I Z R 2 3 0 / 7 9 , B G H Z 7 8 , 3 1 8 = IPRax 1 9 8 1 , 130; zum Sachverhalt oben § 1 5 I l . l . a ) . 13 80

264

§15

Umgehungsfälle

im IPR und

Wertung

wie unwirksam sein. Entscheidend ist für die Praxis vielmehr, ob es jemanden gibt, der durch die Umgehung in seiner Rechtsstellung gefährdet sein kann. Jedoch kann - wie im Sachrecht - ein ungewöhnliches Vorgehen als Indiz von Bedeutung sein, indem es Rückschüsse auf die subjektive Seite der Umgehung zuläßt. 2 . Individuelle Fallgestaltung Der Uberblick über die Fallgruppen hat gezeigt, daß Gesetzesumgehung im IPR in der Regel toleriert und nur in seltenen Fällen als unwirksam angesehen wird. So unterschiedlich diese Fälle sind, haben sie doch Gemeinsamkeiten. So werden Umgehungen oft nicht hingenommen, wenn es ein „Opfer" gibt, das durch sie geschädigt wird. Das zeigt sich vor allem in den familienrechtlichen Fällen: Gesetzesumgehungen waren vor allem in Scheidungsfällen unwirksam, seltener bei Eheschließungen. Auch hier sind Gerichte weniger tolerant, wenn von einer neuen Eheschließung ein ehemaliger Ehegatte betroffen oder einer der Verlobten sogar noch verheiratet ist 8 4 . Ein „Opfer" gibt es auch dann, wenn bei einer Gesetzesumgehung jemand bewußt übertölpelt wird, weil er von der Geltung einer anderen Rechtsordnung ausgehen mußte. Beispiele bilden die Gran-Canaria-Fälle und die Umgehung von Formvorschriften, die unter vergleichbaren Umständen unwirksam sein kann. Objektiv haben diese unwirksamen Umgehungsfälle im IPR also zwei Elemente gemeinsam: - durch das Umgehungsgeschäft wird jemand geschädigt oder zumindest in seinen Rechten gefährdet - dazu a) - das Geschäft ist in einer Weise gestaltet, die dem Geschädigten keinen Einfluß gibt oder seine Einflußnahme einschränkt - dazu b). a) In allen eingangs genannten Fällen unwirksamer Gesetzesumgehung gibt es einen oder mehrere Geschädigte. In den familienrechtlichen Fällen ist es der frühere Ehegatte, der gegen seinen Willen geschieden wird oder dessen (früherer) Ehegatte erneut heiratet. In diesen Fällen sind familienrechtliche, versicherungsrechtliche und andere Ansprüche gefährdet. In den anderen Fällen wird der Geschädigte um seinen Widerrufsanspruch nach dem Verbraucherschutzrecht gebracht oder sieht sich wider Erwarten an einen formwirksamen Vertrag gebunden. Dabei spielt es keine Rolle, ob tatsächlich ein Schaden eingetreten ist, oder ob der andere lediglich in einer Rechtsposition gefährdet wurde. In keiner der erwähnten Entscheidungen finden sich Ausführungen zu einem konkreten (Vermögens-)Schaden. Statt dessen genügt bereits der Verlust einer rechtlichen Ge8 4 So bei einem Iraner, der in Tondern eine Deutsche heiraten wollte: LG Hamburg 3 0 . 1 0 . 1 9 7 4 - 5 R 4 4 9 / 7 4 , IPRspr 1 9 7 4 , N r . 5 0 , S. 1 4 2 (145).

III. Objektive und wertende

Kriterien

265

staltungsmöglichkeit wie des Widerrufsrechts in den Gran-Canaria-Fällen. Für ein unwirksames Umgehungsgeschäft spricht also bereits, daß es einen „Geschädigten" gibt, der sich aufgrund manipulierter Anknüpfung tatsächlich oder rechtlich in einer schlechteren Position befindet. Dieser „Geschädigte" wird in der Regel eine individuelle Person sein. Allgemeine wirtschaftspolitische Erwägungen spielen im I P R schon deshalb keine Rolle, weil es nur im Ausnahmefall Z w e c k einer Kollisionsnorm ist, die interne Wirtschaftsordnung zu schützen. So entspricht es heute ganz herrschender Meinung und ständiger Rechtsprechung, daß die Umgehung einer Formvorschrift nicht schon deshalb unwirksam sein kann, weil sie die Gebühreneinnahmen des deutschen Notariats gefährdet 8 5 . b) Gleichzeitig sind unwirksame Manipulationen dadurch gekennzeichnet, daß der Geschädigte ihnen gewissermaßen „ausgeliefert" ist. Er hat also auf das Geschäft keinen Einfluß, oder er ist sich über die Möglichkeiten und Folgen seiner Einflußnahme nicht im klaren. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Schädigung aufgrund einer einseitigen

Manipulation

des Umgehers erfolgt.

Hauptbeispiel dafür sind die Scheidungsfälle. So m u ß die Ehefrau beispielsweise hilflos zuschauen, wenn ihr E h e m a n n die Staatsangehörigkeit eines muslimischen Landes annimmt und ihm auf diese Weise die Scheidung ermöglicht oder wesentlich erleichtert wird. Eine einseitige Manipulation zu Lasten des Geschädigten lag auch in dem Geldwäschefall von 1 9 8 0 vor 8 6 ; ebenso in dem Fall des Vaters, der mittels Wechsel der Staatsangehörigkeit den Erbersatzanspruch seiner nichtehelichen Tochter aushebelt 8 7 . In diesen beiden Fällen stützte das Gericht seine Wertung allerdings zusätzlich auf subjektive M o m e n t e . Die Eingriffsschwelle kann aber auch überschritten sein, wenn der Geschädigte an der Gesetzesumgehung beteiligt ist. Sowohl in Rechtswahlfällen als auch in solchen der Umgehung von Formvorschriften ist Grundlage der Umgehung eine vertragliche Vereinbarung. Diese kann jedoch unwirksam sein, wenn der Geschädigte übertölpelt

wurde, weil er sich über ihre internationalprivatrechtli-

chen Folgen nicht im klaren war. Über die Rechtsprechung zu den Gran-CanariaFällen hinaus wird man außerdem verlangen müssen, daß der Schädiger ein schutzwürdiges Vertrauen des Geschädigten ausnutzt. Es ist also zweierlei notwendig: Es m u ß bewußt eine Situation geschaffen werden, die den Geschädigten an eine andere Anknüpfung oder sachrechtliche Rechtsfolge denken läßt als die tatsächliche und der Geschädigte m u ß auch tatsächlich unter dem Einfluß dieser Fehlvorstellung gehandelt haben.

Dazu oben § 1 5 I.3.b). BGH 5 . 1 1 . 1 9 8 0 - V I I I Z R 230/79, B G H Z 7 8 , 3 1 8 = IPRax 1 9 8 1 , 1 3 0 = N J W 1 9 8 1 , 5 2 2 ; zum Sachverhalt oben § 15 Il.l.a). 8 7 O L G Hamburg 2 2 . 8 . 1995 - 2 U 29/94, NJW-RR 1996, 2 0 3 . 85 86

266

§15

Umgehungsfälle

im IPR und

Wertung

3. „Rechtsmißbräuchliches V o r g e h e n " a) Wie oben ausgeführt, gibt es im IPR kein Rechtsinstitut der mißbräuchlichen Rechtsausübung; es können allerdings Gestaltungsmöglichkeiten mißbraucht werden 88 . In der Literatur wird verbreitet der Begriff des rechtsmißbräuchlichen Vorgehens verwendet, um unwirksame Gesetzesumgehungen im IPR zu kennzeichnen. So setzt nach von Hoffmann Gesetzesumgehung tatbestandlich eine rechtsmißbräuchliche Umgehungshandlung voraus, die in bezug auf den von den Parteien angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen sei. Die Verwerflichkeit könne sich ergeben aus dem Grad, in dem die Autorität des Gesetzes untergraben worden sei, der Bedeutung der umgangenen Norm oder aus dem Vorgehen und den Motiven der Beteiligten 89 . Römer sieht in dem „Mißbrauch der Kollisionsnorm" die „Entfremdung von ihrem normalen Zweck" in Verbindung mit einer „schädlichen Wirkung" 9 0 . Auch in Urteilsbegründungen taucht gelegentlich der Begriff Mißbrauch auf. Zwei Beispielsfälle betreffen das interzonale Kollisionsrecht und spielen in der Nachkriegszeit. Bereits erwähnt wurde der Fall des westdeutschen Ehemanns, der sich in der DDR scheiden ließ und wieder in den Westen zurückkehrte. Das OLG Celle erkannte die Scheidung nicht an und übernahm zur Begründung den Umgehungsbegriff Römers: § 606 ZPO sei zweckfremd ausgenutzt und damit mißbraucht worden 91 . Einen ähnlichen Fall hatte das Kammergericht 1951 zu entscheiden 92 . Damals lag das Volljährigkeitsalter in der DDR bei 18 Jahren, in der Bundesrepublik noch bei 21 Jahren. Ein junger Mann aus dem Westen hatte seinen 18. Geburtstag im Osten verbracht und war anschließend zurückgekehrt. Das Kammergericht hielt ihn immer noch für minderjährig: Grundsätzlich seien Deutsche, die in der DDR mit 18 Jahren volljährig geworden sind, auch als volljährig anzusehen. Das Vorgehen im konkreten Fall sei aber rechtsmißbräuchlich. Das OLG Düsseldorf verwandte eine entsprechende Formulierung in einer Entscheidung zum Gesellschaftsstatut aus dem Jahr 1994 9 3 . Es ging um die Gründung einer „Corporation" im US-Bundesstaat Delaware, die sonst keine Verbindungen in die USA hatte und sämtliche Aktivitäten in Deutschland entfaltete. Nach den Feststellungen des Gerichts käme auf diesen Fall grundsätzlich nicht die Sitztheorie, sondern die Gründungstheorie zur Anwendung: Der deutsch-amerikanische Handelsvertrag von 1954 sei so auszulegen, daß für die Anerkennung amerikanischer Gesellschaften allein auf die in dem anglo-ameriOben § 14 II. V. Hoffmann, IPR, § 6 Rdnr. 123; ähnlich Hay, IPR, S. 153. 90 Römer, S.77f. 91 OLG Celle 8 . 7 . 1959 - 3 U 25/59, NJW 1959, 2 1 2 4 m. Anm. Rötelmann mit ausdrücklichem Hinweis auf Römer, S . 4 3 . 9 2 KG 2 9 . 3 . 1951 - 1 W 485/51, N J W 1 9 5 1 , 4 8 5 = J W 1951, 508 m. Anm. Beitzke. 9 3 OLG Düsseldorf 1 5 . 1 2 . 1994 - 6 U 59/94, NJW-RR 1995, 1124 = DB 1995, 1021 = IPRax 1996, 128; dazu Berndt J Z 1996, 187. 88

89

III.

Objektive

und wertende

Kriterien

267

kanischen Rechtsraum herrschende Gründungstheorie abzustellen sei. In diesem Fall sei dennoch die Anerkennung zu versagen, da es sich um eine „rechtsmißbräuchliche Unternehmensgründung [...] unter Ausnutzung der liberalen bis laxen' Rechtsordnung" von Delaware handele. Heute würde die Rechtsprechung solche Fälle vermutlich anders sehen 94 . b) Die erwähnten Fälle sind nur schwer auf einen Nenner zu bringen. So ist nur im Fall der Scheidung eine Dritte betroffen; bei der Gesellschaft allenfalls der Rechtsverkehr und im Fall der Volljährigkeit vorrangig der Umgeher selbst. Auffällig ist allerdings, daß der Vorwurf des mißbräuchlichen Vorgehens drei der wenigen Umgehungsfälle vereint, in denen die Praxis kollisionsrechtliche Gesetzesumgehungen nicht toleriert hat und auch die Literatur mit diesem Merkmal unwirksame Umgehungen umschreibt. Im einzelnen findet sich aber wenig Konkretes. So stimmen von Hoffmann und Römer darin überein, daß der Zweck oder das Ziel des umgangenen Gesetzes in besonders starker Weise „hintergraben" oder „entfremdet" worden sein müsse. Eine solche rein quantitative Aussage ist aber wenig geeignet zu der Bestimmung, ob im Einzelfall die Eingriffsschwelle überschritten ist. Gemeinsam ist allen Fällen lediglich, daß mit der Umgehung ein - vermeintlicher - Vorteil erstrebt wird. Als Kriterium der Eingriffsschwelle wäre das allein jedoch zu ungenau. Einen Vorteil wird regelmäßig erstreben, wer Regelungen der Rechtsordnung gezielt ausnutzt. Nach Schurig, der in Umgehungsfällen ebenfalls auf das Vorteilsstreben abstellt; kommt es darauf an, ob der durch die Gesetzesumgehung erlangte Vorteil unberechtigt ist oder ob er dem Umgeher nach dem Gerechtigkeitsempfinden nicht zusteht 95 . Auch daraus ergeben sich indes keine Hinweise für eine Fallösung: Die Frage, ob der Vorteil berechtigt ist oder nicht, hängt davon ab, ob die Gesetzesumgehung wirksam ist oder nicht, es bestünde also die Gefahr des Zirkelschlusses. Bei dem Abstellen auf das Gerechtigkeitsempfinden besteht diese Gefahr zwar nicht, dieses Kriterium ist indes das denkbar unkonkreteste. Formulierungen wie „mißbräuchliches Vorgehen" oder „Mißbrauch der Kollisionsnorm" allein sind also nicht dazu geeignet, die Anforderungen an die Eingriffsschwelle zu konkretisieren. Es lassen sich weder aus den Begriffen der Literatur noch aus den praktischen Fällen der Rechtsprechung Kriterien ableiten, um unwirksame Gesetzesumgehungen von anderen Fällen zu unterscheiden. Darüber hinaus ist eine Verwechslung mit dem gewohnheitsrechtlich anerkannten sachrechtlichen Institut der mißbräuchlichen Rechtsausübung möglich. 5 4 Vgl. BGH 2 9 . 1 . 2 0 0 3 - V I I I Z R 155/02, DB 2 0 0 3 , 818, wonach sich die Rechts- und Parteifähigkeit einer in den USA gegründeten Gesellschaft nach dem Gründungsrecht richtet; dazu Bungert DB 2 0 0 3 , 1043. In dem Urteil ging es allerdings um eine in Florida gegründete Gesellschaft; Anhaltspunkte für die bewußte Ausnutzung einer Rechtsordnung lagen nicht vor. Zur Sitz- und Gründungstheorie im einzelnen unten § 16 II.2. 5 5 So Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S . 2 4 5 .

268

§ IS

Umgehungsfälle

im IPR und

Wertung

c) Dennoch ist es kein reiner Zufall, daß diese Formulierungen vor allem dann verwendet werden, wenn es um die Kennzeichnung unwirksamer Gesetzesumgehungen im IPR geht. Sie machen eine Besonderheit des IPR deutlich: Stärker als im Sachrecht besteht im IPR das Bedürfnis, die Unwirksamkeit der Gesetzesumgehung besonders zu begründen und damit zu begrenzen. Begriffe wie „mißbräuchliches Vorgehen" weisen darauf hin, daß es sich um Sonder- und Ausnahmefälle handelt, in denen das Vorgehen des Umgehers besonders negativ zu bewerten ist. Wie oben erwähnt, kann ein solcher Fall vorliegen, wenn jemand durch eine Gesetzesumgehung geschädigt wird, ohne darauf Einfluß nehmen zu können 9 6 . Auf eine andere besondere Fallgruppe der Gesetzesumgehung im IPR weisen die Fälle hin, in denen die Rechtsprechung das Vorgehen des Umgehers als „rechtsmißbräuchlich" bezeichnete. So gibt es vor allem im Fall des jugendlichen Geburtstagsreisenden von 1 9 5 1 keinerlei „Opfer" der Gesetzesumgehung. Dennoch ist es mit dem Rechtsgefühl kaum zu vereinbaren, ihn aufgrund seines kurzen Aufenthalts in der D D R für volljährig zu erklären. Er hat eine wohl einmalige Rechtslage ausgenutzt, bedingt durch die rechtliche, politische und tatsächliche Situation der Nachkriegszeit. Eine ähnliche Ausnahmekonstellation liegt auch dem Fall der „Delaware Corporation" zugrunde, in dem es ebenfalls keinen konkret Geschädigten gibt. Hier bestand die Besonderheit darin, daß ausnahmsweise nicht die im Entscheidungszeitpunkt geltende Sitztheorie Anwendung fand, nach der sich das Gesellschaftsstatut ohnehin nach deutschem Recht gerichtet hätte 9 7 . Gerade deswegen, weil ihre Besonderheit nur in einer rechtlichen Ausnahmesituation besteht, lassen sich diese Fälle aber nicht verallgemeinern. Schlußfolgerungen für die Eingriffsschwelle können aus einer solchen Situation nur mit äußerster Vorsicht gezogen werden. Vor allem dürfen sie sich nicht auf die Bewertung einer ausländischen Rechtsordnung stützen, wie es das O L G Düsseldorf in der Entscheidung zum Delaware-Fall tut 9 8 . Zusammenfassend kann also festgehalten werden: Formulierungen, die auf das mißbräuchliche Vorgehen des Umgehers abstellen, enthalten keinen Hinweis auf ein Kriterium für die Eingriffsschwelle bei der Lösung konkreter Fälle. Sie verdeutlichen aber, daß im IPR allgemein von einer hohen Eingriffsschwelle auszugehen ist: Kollisionsrechtliche Gesetzesumgehungen sollen nur in Ausnahmeund Sonderfällen unwirksam sein. Ihre Besonderheit besteht vor allem darin, S. oben § 15 III.2. Zur Sitztheorie unten § 16 II.2. 9 8 Die Begründung beruht im wesentlichen darauf, das Gesellschaftsrecht von Delaware sei „liberal bis lax". Eine Bewertung der internen Rechtsordnung eines ausländischen Staates darf im Kollisionsrecht grundsätzlich nur im Rahmen des ordre public eine Rolle spielen. Unterhalb der Grenze dieser Einschränkung sind alle Rechtsordnungen als gleichrangig anzusehen; vgl. Junker, IPR, Rdnrn. 84, 2 7 0 . 96

97

III.

Objektive

und wertende

Kriterien

269

daß das Vorgehen bei der Umgehung besonders negativ zu bewerten ist. Ausnahmsweise kann die Eingriffsschwelle auch überschritten sein, weil eine besondere, ungewöhnliche Rechtslage für eine Gesetzesumgehung zum eigenen Vorteil ausgenutzt wird.

4. Sittenwidrigkeit und ordre public Der Begriff „Sittenwidrigkeit" wird in der Literatur vereinzelt in ähnlicher Weise verwendet wie die oben erwähnte Formulierung des „rechtsmißbräuchlichen Vorgehens". Beides umschreibt die besonderen Anforderungen, die an die Gesetzesumgehung im IPR und die Eingriffsschwelle gestellt werden. Schurig bringt das zum Ausdruck, wenn er die Eingriffsschwelle von Rücksichtslosigkeit, Arglist und dem Streben nach unberechtigten Vorteilen abhängig macht und dies mit „Makel der,Sittenwidrigkeit'" zusammenfaßt, wobei der Begriff in Anführungsstrichen s t e h t " . Er ist also ausdrücklich untechnisch gemeint. Davon zu unterscheiden ist der Verstoß gegen die gesetzlichen Regelungen der Sittenwidrigkeit. So kann im Sachrecht ein Umgehungsgeschäft nach § 1 3 8 Abs. 1 BGB nichtig sein; es können sich aber auch Elemente der Sittenwidrigkeit auf die Eingriffsschwelle auswirken 1 0 0 . Im IPR stellt sich die Frage der Sittenwidrigkeit vor allem im Zusammenhang mit dem ordre public, Art. 6 EGBGB, dessen Vorgängernorm Art. 3 0 EGBGB a.F. neben dem Zweck des deutschen Gesetzes noch ausdrücklich auf die guten Sitten abstellte. Aber auch die interne Norm des § 138 Abs. 1 BGB kann für internationale Fälle von Bedeutung sein. a) Ordre

public

Nach zutreffender und heute herrschender Meinung ist Gesetzesumgehung im IPR kein Unterfall des ordre public-Verstoßes: Der ordre-public-Vorbehalt bezieht sich auf das anwendbare Sachrecht; die Gesetzesumgehung auf die Art und Weise, wie es zur Anwendung kommt 1 0 1 . Ungeklärt ist dagegen, ob es einen Einfluß es auf die Eingriffsschwelle haben kann, wenn Ziel des Umgehungsgeschäfts eine ordre-public-widrige Regelung ist. In Gerichtsurteilen wird gelegentlich die Unwirksamkeit von Umgehungen mit dem Inhalt der „ergangenen" Sachrechtsordnung begründet, so in dem oben erwähnten Fall der Delaware Corporation und auch in den Fällen der muslimischen Scheidung. Ein eindeutiges, wenn auch theoretisches Beispiel bildete ein Mann, der die jordanische Staatsangehörigkeit annimmt, um eine Mehrehe eingehen zu können 1 0 2 .

Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S . 2 4 5 . Dazu oben § 4 111.1., § 9 II.2.a). 101 Oben § 1 4 III. 1 0 2 Zum Verstoß der Mehrehe gegen den ordre public Junker,

99

100

IPR, Rdnr. 2 7 9 .

§15 Umgebungsfälle im IPR und Wertung

270

Bei einer solchen Argumentation werden allerdings in unzulässiger Weise sachrechtliche und kollisionsrechtliche Regelungen miteinander vermischt. Gesetzesumgehung ist eine Frage der kollisionsrechtlichen Anknüpfung und der kollisionsrechtlichen Gerechtigkeit; das anwendbare Sachrecht darf dabei nicht bewertet werden und auch inhaltlich nicht in die Wertung eingehen. Die Bewertung einer Rechtsordnung als ordre-public-widrig und die umgehungsspezifische Wertung sind voneinander zu trennen. Untragbare Ergebnisse entstehen auf diese Weise nicht: Ist die Gesetzesumgehung - aus anderen Gründen - unwirksam, ist die ordre-public-widrige Rechtsordnung bereits aus diesem Grund nicht anwendbar. Ist die Eingriffsschwelle nicht überschritten, greift Art. 6 E G B G B ein.

b) §138

Abs. 1 BGB und

IPR

Sachrechtliche Umgehungsfälle bewegen sich oft im Grenzbereich zur Regelung des sittenwidrigen

Rechtsgeschäfts,

§ 1 3 8 Abs. 1 B G B 1 0 3 . Im IPR fehlt eine ent-

sprechende N o r m , jedoch werden in Rechtsprechung und Literatur vielfach Verbindungen zwischen § 1 3 8 Abs. 1 B G B und dem Kollisionsrecht hergestellt. So ist insbesondere im Z u s a m m e n h a n g mit Timesharing-Verträgen die Auffassung vertreten worden, § 1 3 8 Abs. 1 B G B sei international zwingend im Sinne von Art. 3 4 E G B G B , gelte also für alle Verträge unabhängig v o m sonstigen Vertragss t a t u t 1 0 4 . W ä r e das der Fall, könnten auch kollisionsrechtliche Umgehungsfälle am M a ß s t a b von § 1 3 8 Abs. 1 B G B gemessen werden. Diese Auffassung wird jedoch von der heute herrschenden Meinung zu Recht abgelehnt 1 0 5 . § 1 3 8 Abs. 1 B G B ist eine N o r m , die in enger Verbindung zu dem zugrundeliegenden Vertrag und dem Vertrauensverhältnis der betroffenen Parteien steht. Die Folgen dieses Vertrauensverhältnisses müssen aber demselben R e c h t unterstellt werden wie der Rest des Vertrages; es können nicht einzelne N o r m e n des deutschen Rechts eingreifen. Darüber hinaus ist § 1 3 8 Abs. 1 B G B als Generalklausel zu allgemein und unbestimmt, um Eingriffscharakter haben zu k ö n n e n 1 0 6 . § 1 3 8 Abs. 1 B G B ist also keine Eingriffsnorm und kann demzufolge auch nicht unmittelbar für Umgehungsgeschäfte im I P R gelten. Die Frage der Sittenwidrigkeit eines Vertrages ist nach dem Vertragsstatut zu b e a n t w o r t e n 1 0 7 . Dazu oben §4 Ill.l.b). LG Detmold 29.9. 1994 - 9 O 57/94, IPRax 1995, 249 (Jayme IPRax 1995, 234); LG Berlin 9.11. 1 9 9 4 - 2 2 O 319/94, NJW-RR 1995, 754 (755); LG Duisburg 6.10. 1 0 0 4 - 8 O 129/93, NJW-RR 1995, 883; LG Tübingen 8.2. 1995 - 7 O 219/94, NJW-RR 1995, 1142. 105 Ausführlich Mankowski RIW 1996, 8; Palandt-Heldrich Art. 34 EGBGB Rdnr. 3; Junker, IPR, Rdnr. 316; MünchKomm-Martiny Art. 34 EGBGB Rdnr. 62 b; s. aber auch Jayme/Kobler IPRax 1995, 343 (353); Jayme IPRax 1995, 234. 106 Mankowski RiW 1996, 8 (10). 107 MünchKomm-Spellenberg vor Art. 11 EGBGB Rdnr. 153; Soergel-v. Hoffmann Art.31 EGBGB Rdnrn. 23 f. 103 104

III. Objektive

und wertende

Kriterien

271

Allerdings kann im Rahmen der internen Anwendung von § 1 3 8 Abs. 1 B G B ausländischen Wertvorstellungen Rechnung getragen werden 1 0 8 . Eine Besonderheit gilt nach zwei Entscheidungen des B G H in Fällen mit deutschem Vertragsstatut: Verträge können unter § 1 3 8 Abs. 1 B G B fallen, wenn sie zwar deutschen Gesetzen entsprechen, aber gegen ausländische Verbotsnormen verstoßen 1 0 9 . Das gilt jedenfalls dann, wenn die ausländische Norm auch deutsche Interessen schützt oder Ausdruck international anerkannter moralischer Wertungen oder berechtigter Interessen ist. In dem ersten Fall aus dem Jahr 1 9 6 0 ging es um einen Kaufvertrag deutscher Kaufleute, in dem vereinbart worden war, zum Zweck der Umgehung US-amerikanischer Embargobestimmungen amerikanische Dienststellen zu täuschen. Problematisch an der Konstruktion des B G H ist ihre Weite: Die interne Norm § 138 Abs. 1 B G B wird damit zu einem Einfallstor für alle Embargos oder ähnliche Regelungen der Welt 1 1 0 . Die Entscheidungen des B G H wären besser mit den sonstigen Umständen des Falles begründet worden, beispielsweise mit der geplanten Täuschung 1 1 1 . Diese Rechtsprechung wirft die Frage auf, ob auch die Art und Weise sittenwidrig sein kann, auf die man in eine Rechtsordnung hineingelangt. Wäre das der Fall, könnte § 1 3 8 Abs. 1 B G B auch gelten, wenn die Geltung deutschen Recht „ergangen" worden ist. Das Problem der übermäßigen Ausweitung von § 1 3 8 Abs. 1 B G B würde sich dann allerdings noch verstärkt stellen, da § 138 Abs. 1 B G B zentrale Norm für Umgehungsfälle im IPR würde. § 138 Abs. 1 B G B ist aber eine interne Norm und auf interne Sachverhalte zugeschnitten. Wie alle internen Normen ist die Regelung nur anwendbar, wenn das Kollisionsrecht sie für anwendbar erklärt. Damit ist § 1 3 8 Abs. 1 B G B fehl am Platze, wenn es um die Anwendbarkeit eines bestimmten Statuts geht. Somit kann die internrechtliche Regelung der Sittenwidrigkeit keine Anwendung auf Umgehungsfälle im IPR finden. In der Literatur wird nur in einem Ausnahmefall aus sachrechtlichen Gründen die Nichtigkeit des Umgehungsgeschäfts angenommen: wenn in der Gesetzesumgehung eine unerlaubte Handlung liegt 1 1 2 . Voraussetzung dafür ist ein rechtswidriges und schuldhaftes Vorgehen. In der Rechtsprechung wurde das soweit ersichtlich nur in einem Einzelfall bejaht, der allerdings in Ergebnis und Begründung zweifelhaft ist: Das Reichsge-

Soergel-v. Hoffmann Art.31 EGBGB Rdnrn. 23f. Grundlegend BGH 2 1 . 1 2 . 1960 - VIII Z R 1/60, B G H Z 34, 169; bestätigt von BGH 2 0 . 1 1 . 1 9 9 0 - V I Z R 6/90, J Z 1 9 9 1 , 7 1 9 ; dazu kritisch Junker J Z 1991, 6 9 9 ; Schurig RabelsZ 54 (1990), 2 1 7 (242f.); s. auch Junker, IPR, Rdnr.607; MünchKomm-Sonnenberger Einl IPR Rdnr.393; MünchKomm-Spellenberg vor Art. 11 EGBGB Rdnrn. 127, 136; MünchKommMartiny Art. 34 EGBGB Rdnr.51 und BGH 2 2 . 6 . 1 9 7 2 - 1 1 Z R 113/70, B G H Z 59, 83 (85). 1 1 0 Vgl. Junker J Z 1991, 6 9 9 . 1 , 1 Auch im Fall von 1990 war nicht der Embargoverstoß als solcher, sondern die Umstände sittenwidrig, dazu Junker J Z 1991, 699 (702). 1 1 2 Dazu Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB, Rdnr. 149. 108

109

272

§15 Umgehungsfälle im IPR und Wertung

rieht sah 1 9 3 8 in einer Scheidungsklage vor einem grundsätzlich zuständigen lettischen Gericht eine sittenwidrige Schädigung nach § 8 2 6 B G B 1 1 3 . Festgehalten werden kann also, daß Überlegungen der Sittenwidrigkeit nur auf der Ebene des Sachrechts eine Rolle spielen. Eine „kollisionsrechtliche Sittenwidrigkeit" gibt es grundsätzlich nicht; auch der ordre public bezieht sich ausschließlich auf das betroffene Sachrecht. Dementsprechend gibt es auch für die Eingriffsschwelle kein Kriterium, das den im Sachrecht maßgeblichen Elementen der Sittenwidrigkeit entspricht. D e r Begriff Sittenwidrigkeit kann in Umgehungsfällen im IPR wie bei Schurig

nur untechnisch gebraucht werden, um die

besonderen Anforderungen an das Überschreiten der Eingriffsschwelle zu beschreiben.

IV. Subjektive

Elemente

Wie im Sachrecht stellt sich auch im IPR die Frage, o b und inwieweit Gesetzesumgehungen subjektiv von einer entsprechenden Absicht oder auch nur von dem Bewußtsein des oder der Handelnden getragen sein müssen. Dabei sind drei verschiedene Ansätze denkbar: Erstens kann man die subjektive Voraussetzung als begrifflich zwingend ansehen; danach gäbe es keine Gesetzesumgehung ohne Umgehungsabsicht. Zweitens kann die subjektive Seite der Umgehung maßgeblich sein für die Eingriffsschwelle. Drittens können schließlich subjektive Voraussetzungen ganz gleichgültig sein, es kann also eine „objektive Gesetzesumgeh u n g " genügen. Bis etwa in die 1 9 5 0 e r J a h r e wurde Umgehungsabsicht verbreitet als subjektive Voraussetzung des Rechtsinstituts Gesetzesumgehung angesehen. Für das Sachrecht wird diese Ansicht heute in Literatur und Rechtsprechung k a u m mehr vertreten. Für die Literatur ergibt sich das bereits aus der Abkehr von dem Institut Gesetzesumgehung: N u r ein selbständiges Rechtsinstitut kann auch subjektive Voraussetzungen haben; während die Lösung von Umgehungsfällen durch Auslegung oder analoge Anwendung des umgangenen Gesetzes davon unabhängig ist. Auch die Rechtsprechung hat mehrfach ausdrücklich auf subjektive Voraussetzungen in Umgehungsfällen verzichtet; das gilt vor allem für die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung, w o seit 1 9 6 0 der Begriff „objektive Gesetzesumgeh u n g " gilt. Von praktischer Bedeutung können subjektive Kriterien aber auch für die Eingriffsschwelle sein. So ist im Sachrecht oft maßgeblich, o b bei der Umgehung ziel- und zweckgerichtet vorgegangen wurde. Das ist allerdings nicht zwingend 1 1 3 R G 3 . 3 . 1 9 3 8 - IV 2 2 4 / 3 7 , R G Z 1 5 7 , 1 3 6 . Z u r Begründung führte das Reichsgericht aus, der Beklagte habe ein Ziel verfolgt, dessen Erreichung ihm die inländische Gesetzgebung verwehre. Dabei sei ihm auch bewußt gewesen, daß der Klägerin - seiner Ehefrau - dabei Schäden in H ö h e der Kosten für die Rechtsverteidigung bei lettischen Gerichten entstünden.

IV. Subjektive

Elemente

273

der Fall; insbesondere bei der Umgehung von Schutzgesetzen ist nicht die Einstellung des Umgehers entscheidend, sondern die Schutzrichtung des umgangenen Gesetzes. Im IPR ist die überwiegende Meinungslage anders. Auch bei der Wertung werden subjektive Voraussetzungen stärker in den Vordergrund gerückt. Dafür kann es tatsächliche, praktische, oder auch rechtliche Gründe geben. 1. Umgehungsabsicht in Literatur und Rechtsprechung Wie erwähnt, weichen die Ansichten zum selbständigen Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung in der Lehre zum IPR und zum Sachrecht voneinander ab: In der internationalprivatrechtlichen Lehre ist bis heute die Auffassung verbreitet, Gesetzesumgehung oder fraus legis stelle ein selbständiges Rechtsinstitut dar. Diejenigen Autoren, die diese Auffassung vertreten, sehen in der Umgehungsabsicht eine zwingende Voraussetzung des Instituts Gesetzesumgehung114. Bei diesem Ansatz fallen das Objekt der Umgehung - die Kollisionsnorm - und das Objekt der Umgehungsabsicht auseinander, denn die tatsächliche Umgehungsabsicht der Parteien wird in aller Regel auf die Sachnorm gerichtet sein. Die Sachnorm erlangt damit mittelbar Bedeutung 115 . Ein Teil der Literatur hält ebenfalls das Vorliegen von Umgehungsabsicht für zwingend erforderlich, ohne gleichzeitig ein eigenes Rechtsinstitut der Umgehung zu begründen 116 . Nur vereinzelt wird Gesetzesumgehung auch ohne Umgehungsabsicht für möglich gehalten. So betont Schurig, wenn die mit der Gesetzesumgehung erzielte Anknüpfung korrekturbedürftig sei, komme es nicht auf die Absicht an 1 1 7 . Neuhaus stellt lapidar fest, die Vereitelung des Gesetzeszwecks solle unabhängig von der Intelligenz der Betroffenen verhindert werden 118 . Auch damit wird aber nicht der Begriff einer rein „objektiven Gesetzesumgehung" begründet, wie ihn die Rechtsprechung zum internen Arbeitsrecht anwendet. Vielmehr wenden sich die Vertreter der letzteren Ansicht vor allem gegen die definitorische Verknüpfung von Gesetzesumgehung und Umgehungsabsicht. Geht es dagegen um die konkrete Frage, ob eine Gesetzesumgehung Erfolg haben soll oder nicht, stellen auch sie auf subjektive Momente ab; so berücksichtigt

1 1 4 Nach v. Hoffmann, IPR, § 6 Rdnr. 123 soll das sogar die herrschende Meinung sein; wohl auch Hay, IPR, S. 154 und Raape/Sturm, IPR Bd.I, S. 328; zu dieser Auffassung Junker, IPR, Rdnr. 188. 115 Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB, Rdnrn. 141 f.; ausführlich MünchKomm-Sonnenberger, Einl IPR, Rdnr. 698. Zur Kollisionsnorm als Objekt der Umgehung oben § 13 I. 116 Heeder, S.202ff.; Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB, Rdnrn. 135f., 141 f.; Luther FamRZ 1956, 76 (76); vgl. auch Kropboller Z H R 140 (1976), 3 9 4 (396ff.). 117 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S . 2 4 4 ; ähnlich (zum schweizerischen IPR) Keller/Siehr, Allgemeine Lehren des IPR, S . 5 3 2 , nach denen Absicht zwar in der Regel vorliegt, aber nicht entscheidend ist, da es auf den „Willen des Gesetzes" ankommt. 118 Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 130f.

274

§15

Umgehungsfälle

im IPR und

Wertung

Neuhaus die Motive der Umgeher 1 1 9 ; Schurig will für die Eingriffsschwelle ausdrücklich auf „das Subjektive" abstellen 1 2 0 . In der Rechtsprechungspraxis spielt der Begriff Umgehungsabsicht ähnlich wie im Sachrecht keine große Rolle. Zwei bereits erwähnte Entscheidungen bilden eine Ausnahme: In einer Entscheidung des Reichsgerichts zu einer sog. gothaischen Gewerkschaft wird die Rechtsfähigkeit der Gewerkschaft bejaht, da keine Umgehungsabsicht gegeben sei 1 2 1 . Ein entsprechendes obiter dictum findet sich in der Entscheidung des O L G Hamburg zum Fall des nichtehelichen Vaters, der durch Erwerb der kanadischen Staatsbürgerschaft den Erbersatzanspruch seiner Tochter aushebelte: Dieser Statutenwechsel könne nur dann nicht berücksichtigt werden, wenn er arglistig, d.h. mit erwiesener Umgehungsabsicht vorgenommen worden sei 1 2 2 . Im Ergebnis hat das Gericht daher einen Anspruch der Tochter abgelehnt. In anderen Gerichtsentscheidungen wird die Notwendigkeit von Umgehungsabsicht dagegen ausdrücklich verneint. Ein Beispiel bildet die Entscheidung des O L G Celle zu einem der interzonalen Scheidungsfälle aus der Nachkriegszeit 1 2 3 . Das O L G folgte dem Umgehungsbegriff Römers. Danach konnte das Scheidungsurteil nicht anerkannt werden, weil eine Gesetzesumgehung vorliege. Umgehungsabsicht sei nicht nötig, sondern das Ergebnis entscheidend. Auch der B G H hielt 1 9 7 1 Umgehungsabsicht für irrelevant. Nach der Entscheidung ist es unerheblich, ob jemand - im Entscheidungsfall ein Italiener - die deutsche Staatsangehörigkeit nur angenommen hat, um eine Scheidung zu ermöglichen 1 2 4 . Insgesamt entspricht das Bild dem im Sachrecht: So viel die Umgehungsabsicht in der Literatur diskutiert wird, so ungeklärt und insgesamt gering ist ihre Bedeutung in der Praxis.

2. Umgehungszweck und Eingriffsschwelle a) Für die Wertung in der Praxis kommt es auf andere Gesichtspunkte an, die oben mit dem Begriff Umgehungszweck zusammengefaßt wurden 1 2 5 . Dieser Begriff kommt in Literatur und Rechtsprechung zum IPR selten wörtlich vor, statt dessen ist z.B. von „fraudulösem Vorgehen" die Rede. Umschrieben wird damit ein Verhalten, das zielgerichtet und bewußt, meist auch geplant, eine GesetzesNeuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 128. Schurig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 3 f . ; 407f.; Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 3 . Auch in Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S . 2 4 5 , wird ausgeführt, Umgehungsabsicht führe zu einem Interessenschwund zu Lasten der vom Umgeher hergestellten Anknüpfung. 1 2 1 R G 1 9 . 6 . 1 9 2 0 - 1 5/20, R G Z 99, 2 1 7 (219); zu diesen Fällen oben § 2 IV.l.b). 1 2 2 O L G Hamburg 2 2 . 8 . 1995 - 2 U 29/94, NJW-RR 1996, 2 0 3 . 1 2 3 O L G Celle 8 . 7 . 1 9 5 9 - 3 U 25/59, NJW 1959, 2 1 2 4 m. Anm. Rötelmann (mit Hinweis auf Römer, S.43); zu dieser Fallgruppe oben § 15 I.2.a). 1 2 4 BGH 4 . 6 . 1971 - IV Z R 97/70, N J W 1971, 2 1 2 4 (2125). 1 2 5 Zum Kriterium Umgehungszweck im Sachrecht oben § 9 III. 1 b), 2. 119 120

IV. Subjektive

Elemente

275

umgehung anstrebt. Im Gegensatz zur Umgehungsabsicht bildet dabei die subjektive Einstellung keine definitorische Voraussetzung der Gesetzesumgehung, sondern ein Kriterium der Eingriffsschwelle. Die Wirksamkeit einer Gesetzesumgehung wird also davon abhängig gemacht, o b der Umgeher bewußt und zielgerichtet vorgegangen ist und sich im klaren war über die Vergleichbarkeit des von ihm angestrebten Ziels mit dem, was die umgangene N o r m verhindern will. Wie im Sachrecht stellt auch im IPR die Rechtsprechung oft auf ein derartiges ziel- und zweckgerichtetes, bewußtes Handeln a b , um die - seltene - Unwirksamkeit von Umgehungsgeschäften zu begründen. Ein Beispiel bildet der bereits erwähnte Geldwäschefall des B G H 1 2 6 . N a c h der Entscheidung ist eine Anknüpfung unwirksam, wenn „der Erwerbsvorgang nur zum Z w e c k e der Umgehung der inländischen Anfechtungsvorschriften in das Ausland verlegt worden ist". M i t ähnlichen Erwägungen lehnte das O L G Nürnberg 1 9 5 8 die Anerkennung einer Scheidung in der D D R ab: Wenn sich der Ehemann nur zum Z w e c k der Scheidung in die D D R begeben hat, läge in dem Scheidungsurteil ein Verstoß gegen die guten Sitten 1 2 7 . Das gleiche gilt umgekehrt, d.h. eine Anknüpfung wird als wirksam angesehen, weil ihre Manipulation ohne Umgehungszweck erfolgt ist. Zwei Beispielsfälle betreffen Formvorschriften. N a c h einer Entscheidung des B a y O b L G genügt für die Übertragung eines GmbH-Geschäftsanteils im Ausland grundsätzlich die Beachtung der O r t s f o r m , es sei denn, es bestehe ein „Anhaltspunkt für fraudulöse Gesetzesumgehung, die etwa zur Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts führen k ö n n t e " 1 2 8 . N a c h dem O L G Stuttgart ist eine Vollmacht zur Grundstücksveräußerung in Liechtenstein formlos möglich, auch wenn sie nach deutschem Recht nach § 3 1 1 b Abs. 1 B G B (früher § 3 1 3 B G B ) formbedürftig w ä r e 1 2 9 . Allerdings betont das Gericht ausdrücklich, daß eine „fraudulöse M a n i p u l a t i o n " ausgeschlossen sei, da sachliche Beziehungen nach Liechtenstein bestünden. Vereinzelt wird die Relevanz subjektiver Kriterien aber auch ausdrücklich abgelehnt. Beispiele wurden bereits oben im Z u s a m m e n h a n g mit dem Begriff Umgehungsabsicht genannt. Auf den „ Z w e c k " der Umgehung bezieht sich eine Entscheidung des L G Frankfurt/Main zu einer Provisionsvereinbarung, die im Z u sammenhang mit einem deutschen Recht unterstehenden Kaufvertrag stand. N a c h dem Urteil ist „kraft hypothetischen Parteiwillens" auf die Vereinbarung deutsches Recht anwendbar, o b w o h l der von den Parteien verfolgte Z w e c k die Umgehung ausländischer Devisenvorschriften w a r 1 3 0 . Wie oben erwähnt, kann 126 BGH 5.11. 1980 -VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 318 (325) = IPRax 1981,130; zum Sachverhalt oben § 15 Il.l.a). 127 Armenrecht-Beschluß OLG Nürnberg 18.11. 1958 - 1 W 78/58, FamRZ 1959, 222. 128 BayObLG 18.10. 1977 - BReg. 3 Z 68/76, NJW 1978, 500 (501 ) mit Hinweis auf Kropboller ZHR 140 (1976), 394. 1 2 9 OLG Stuttgart 18.12. 1981 - 8 W 215/81, IPRspr 1981, Nr. 12 (S.30, 34). 130 LG Frankfurt/M. 18.4. 1984 - 3/3 O 33/84, IPRax 1986, 298.

276

§ IS Umgebungsfälle

im IPR und "Wertung

der Umgehungszweck auch unmaßgeblich sein, wenn zur Umgehung eine Kollisionsnorm ausgenutzt wurde, die dem Verkehrsschutz dient. Daher ist die bewußte und gezielte Umgehung GmbH-rechtlicher Formvorschriften wirksam; ebenso das Verbringen einer Sache ins Ausland, um die dortige Sachenrechtsordnung zur Anwendung zu bringen 131 . In der Literatur wird nur vereinzelt auf bewußtes und gezieltes Vorgehen bei der Gesetzesumgehung abgestellt. So will Ferid zwar von einer unwirksamen Gesetzesumgehung im IPR grundsätzlich nur bei „mißbräuchlichem" und „arglistigem" Handeln sprechen, stellt aber in seinen Beispielsfällen eher auf bewußtes, zielgerichtetes Vorgehen ab; ohne daß darüber hinaus besondere Verwerflichkeit gegeben ist 1 3 2 . Nach Schurig soll - wie erwähnt - auch im IPR für die Eingriffsschwelle „das Subjektive" maßgeblich sein 133 . b) Beim Überblick über die Rechtsprechung ergibt sich also folgendes Bild: Zwar ist vereinzelt in Gerichtsentscheidungen betont worden, die subjektive Seite der Gesetzesumgehung sei gleichgültig. Bei genauer Betrachtung war dies aber nie der Fall, wenn es an einem subjektiven Tatbestand fehlte: Es ging in den Entscheidungen stets um Fälle, in denen ein Geschäft trotz Umgehungsabsicht wirksam war; so im Fall des gebürtigen Italieners, der zum Zweck der Scheidung Deutscher wurde und in den Fällen, in denen Verkehrsinteressen für die Wirksamkeit der Umgehung sprechen. Soweit ersichtlich, ist die Rechtsprechung aber nie von einer Überschreitung der Eingriffsschwelle ausgegangen, wenn die Gesetzesumgehung zufällig oder unbewußt war oder auf anderen Motiven beruhte - so z.B. ein Wechsel der Staatsangehörigkeit, der aufgrund geschäftlicher oder persönlicher Verbindung zu dem neuen Heimatstaat erfolgt und gleichzeitig eine Änderung des Familienoder Erbstatuts mit sich bringt. Eine „objektive Gesetzesumgehung" gibt es in der internationalprivatrechtlichen Praxis nicht. Bei Umgehungsfällen im IPR sind subjektive Kriterien also von zentraler Bedeutung für die Eingriffsschwelle: In der Praxis kommt es darauf an, ob die Gesetzesumgehung auf einem planmäßigen, zielgerichteten Verhalten beruht. Auf den Plan kann dabei aus objektiven Umständen geschlossen werden. Zwar kann eine Umgehung trotz Umgehungszweck wirksam sein, sie wird aber kaum je unwirksam sein, wenn es am Umgehungszweck fehlt. Ein ähnliches Bild ergibt sich in der Literatur. Zwar wird heute nicht mehr allgemein Umgehungsabsicht verlangt, also eine Willensrichtung, der es gerade auf die Umgehung ankommt. Für die Eingriffsschwelle ist dieser Begriff zu eng und spielt in der Praxis auch kaum eine Rolle. So richten sich auch die Stimmen aus 1 , 1 Dazu oben § 15 II.2. Wie erwähnt, ist das Verbringen beweglicher Gegenstände ins Ausland ist vor allem vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Regeln über den gutgläubigen Erwerb von Interesse. 132 Ferid, IPR; Definition Rdnr. 3 - 1 7 6 ; Beispielsfälle Rdnrn. 3 - 1 8 5 f f . 1,3 Scburig, Gesetzesumgehung, S . 4 0 3 f . ; 4 0 7 f . ; Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 3 .

IV. Subjektive

Elemente

277

der Literatur, die sich gegen eine subjektive Seite des Umgehungsbegriffs wenden, in der Regel gegen die Umgehungsabsicht als Element des Instituts Gesetzesumgehung. Auch diejenigen, die das Erfordernis der Umgehungsabsicht ablehnen, stellen ganz überwiegend auf Motivation und Willensrichtung ab, wenn es um die Wirksamkeit einer Umgehung - die Eingriffsschwelle - geht. 3. „Arglist" und ähnliche Kriterien In der Literatur wird die subjektive Seite der Gesetzesumgehung verbreitet mit Formulierungen umschrieben, die über den neutralen „Umgehungszweck" hinausgehen. Besonders häufig taucht der Begriff „Arglist" auf. So verlangt Ferid „mißbräuchliches und arglistiges Handeln", Lüderitz „Arglist gegenüber einer anderen Partei"; nach Raape/Sturm soll Umgehungsabsicht und Arglist erforderlich sein und nach Sonnenberger ist für die Gesetzesumgehung die „arglistige, anstößige Art und Weise, wie Anknüpfungsgrundlagen geschaffen werden", entscheidend 134 . Wie die unterschiedlichen Formulierungen zeigen, wird der Begriff „Arglist" hier in ähnlicher Weise untechnisch gebraucht wie die Begriffe „Rechtsmißbrauch" und gelegentlich „Sittenwidrigkeit" 135 . Auch lassen sich aus ihm keine konkreten Kriterien für die Eingriffsschwelle ableiten. Vielmehr bringt Arglist ebenso wie die entsprechenden objektiven Kriterien zum Ausdruck, daß im IPR auch auf der subjektiven Seite verbreitet ein Bedürfnis nach zusätzlichen Kriterien für eine Erhöhung der Eingriffsschwelle besteht. Auch ein Vorgehen mit Umgehungszweck soll nicht ohne weiteres unwirksam sein, sondern im Gegenteil nur in Ausnahmefällen, wenn die Willensrichtung des Umgehers von Arglist geprägt ist. Dasselbe gilt zwar nicht ausdrücklich, aber der Sache nach auch für die Rechtsprechung. Wie erwähnt, wird in zahlreichen Entscheidungen das Vorliegen von Umgehungsabsicht oder Umgehungszweck für bedeutungslos erklärt; Gesetzesumgehungen trotzdem als wirksam angesehen. Die Figur der fraus legis kommt also im IPR nur als „allerletzte Auffanglinie" 136 zum Tragen. Wie objektive sprechen auch subjektive Kriterien nur in wenigen Ausnahmefällen für die Unwirksamkeit der Umgehung. Inhaltlich gibt der Begriff Arglist Hinweise, wann ein solcher Ausnahmefall vorliegen kann. Er umschreibt zwei nicht streng zu trennende Aspekte: Zunächst geht es um eine pejorative Bewertung der subjektiven Willensrichtung: Der Umgeher sieht die Anstößigkeit seines Vorgehens und handelt trotzdem bewußt. Gleichzeitig hat die Bewertung aber auch eine objektive Komponente, da oft die 134 Ferid, IPR, Rdnr. 3 - 1 7 6 ; Lüderitz, IPR, Rdnr.145; Raape/Sturm, WlünchKomm-Sonnenberger Einl. IPR, Rdnr. 697. 1 3 5 Dazu oben § 1 5 III.3., 4.b). 136 MünchKomm-Sonnenberger Einl. IPR, Rdnr. 697.

IPR Bd.I, S . 3 2 8 ;

278

§15

Umgebungsfälle

im IPR und

Wertung

Willensrichtung auf die Schädigung eines anderen gerichtet ist, die „Arglist gegenüber einer anderen Partei" 1 3 7 . Schurig differenziert zwischen Arglist in dem Sinne, „daß dem Betreffenden die Unangemessenheit der ,ergangenen' Norm bewußt war und er sie mit Absicht für Vorteile einsetzte, die ihm nach dem Gerechtigkeitsempfinden nicht zustanden" und „Rücksichtslosigkeit gegenüber den Rechten anderer" 1 3 8 .

V. Ergebnis:

Umgehungsspezifische

Wertung im IPR

1. Stufen der W e r t u n g a) Die Definition der Gesetzesumgehung ist im IPR die gleiche wie im Sachrecht: Der Geltungsbereich der umgangenen Norm ist nicht betroffen, aber ihr Ziel verletzt. Liegt nach dieser Definition eine Gesetzesumgehung vor, muß sie aber noch nicht unwirksam sein. Im IPR ist wie im Sachrecht eine zweistufige Wertung vorzunehmen: Auf erster Stufe stellt sich die Frage, ob das Ziel der umgangenen Norm verletzt ist und auf zweiter Stufe, ob diese Verletzung schwerwiegend genug ist, um einen Eingriff zu rechtfertigen. Besonderheiten ergeben sich aus dem Anknüpfungsaufbau der Kollisionsnormen. Wie bereits erwähnt, wird im Gegensatz zum Sachrecht nicht die Norm als solche umgangen: Wer die Staatsangehörigkeit zum Zweck der Manipulation der Erbfolge wechselt, möchte Art. 25 E G B G B gerade zur Anwendung bringen. Ebenso soll Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 E G B G B gelten, wenn im Ausland ein Vertrag formfrei abgeschlossen wird. Umgangen ist vielmehr die Anknüpfung; in den Beispielen also die Anknüpfung an die ursprüngliche Staatsangehörigkeit des Erblassers oder die Anknüpfung an die inländische Form. Diese Besonderheit ist bei der Ermittlung des Ziels der umgangenen Norm zu berücksichtigen. Ist im Sachrecht eine erbrechtliche Vorschrift umgangen, kann auf deren Ziel abgestellt werden, also z.B. auf den Schutz des Abkömmlings. Im IPR ist Objekt der Umgehung dagegen nicht die Anknüpfung des Art. 2 5 Abs. 1 E G B G B an die Staatsangehörigkeit - sie soll gerade gelten - sondern z.B. die Anknüpfung an die frühere deutsche Staatsangehörigkeit. Entscheidend ist also nicht das Ziel dieser abstrakten umgangenen Anknüpfung, sondern vielmehr das Ziel der manipulierten Kollisionsnorm und ihres Anknüpfungssystems. Das Ziel der umgangenen Norm ist mit den Mitteln der Auslegung zu ermitteln. Für die Beispiele bedeutet das: Zwar entspricht es ursprünglich nicht dem Ziel von Art. 11 Abs. 1 2. Alt. EGBGB, die Ortsform gezielt auszuwählen. Zu berücksichtigen ist aber auch, daß diese Anknüpfung den internationalen Ge137 Lüderitz, IPR, Rdnr. 145 sieht darin, nicht in einer „Beleidigung des Rechts" die wesentliche Begründung für das Institut der Gesetzesumgehung im modernen IPR. 138 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S . 2 4 5 .

V. Ergebnis: Umgehungsspezifische

Wertung im IPR

279

schäftsverkehr erleichtern soll 1 3 9 . Bei Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit soll das fragliche Rechtsverhältnis derjenigen Rechtsordnung unterworfen werden, der die handelnde Person in ihrer gesamten Rechtsstellung unterworfen ist 1 4 0 . Verletzt wird dieser Z w e c k , wenn die Staatsangehörigkeit nur für das Umgehungsgeschäft geändert wird und der Betroffene zu seiner alten Staatsangehörigkeit zurückkehrt. Entsprechendes gilt, wenn an den Wohnsitz angeknüpft wird; während bei der Anknüpfung an den Belegenheitsort einer beweglichen Sache wieder der Verkehrsschutz im Vordergrund s t e h t 1 4 1 . b) Die zweite Stufe der Wertung ist die Eingriffsschwelle. Es m u ß abgewogen werden, o b die Verletzung des Ziels des umgangenen Gesetzes so schwerwiegend ist, daß die Gesetzesumgehung unwirksam gemacht werden muß. Im Sachrecht geschieht das meist durch Ausdehnung des umgangenen Gesetzes über seinen eigentlichen Geltungsbereich hinaus oder durch teleologische Reduktion des ergangenen Gesetzes; im IPR durch eine Korrektur des Anknüpfungssystems der Kollisionsnorm 1 4 2 . Die Eingriffsschwelle kann aufgrund objektiver oder subjektiver Kriterien bestimmt werden; es können auch beide kumulativ vorliegen. Im Sachrecht ist das wichtigste objektive Kriterium der Schutzzweck der umgangenen N o r m 1 4 3 . Er kann so schwerwiegend sein, daß auch eine unbeabsichtigte oder sogar unbewußte Gesetzesumgehung unwirksam sein kann. Außerdem ist die Eingriffsschwelle in der Regel überschritten, wenn das Umgehungsgeschäft Elemente der Sittenwidrigkeit oder des Rechtsmißbrauchs enthält. Das andere zentrale Kriterium im Sachrecht ist der subjektive Umgehungszweck; so hängt die Wirksamkeit des Umgehungsgeschäfts in der Praxis oft davon ab, o b der Umgeher bewußt, planmäßig und gezielt vorgegangen ist. Zusammenfassend richtet sich die Eingriffsschwelle bei der Gesetzesumgehung im Sachrecht nach der Schutzwürdigkeit des Umgehers, bestimmt durch die objektive Vorhersehbarkeit 1 4 4 . Im IPR ist die Ausgangsproblematik grundsätzlich die gleiche: Auch hier m u ß ermittelt werden, o b die Gesetzesumgehung schwerwiegend genug ist, um ihre Unwirksamkeit zu rechtfertigen. Es finden sich bei den Wertungskriterien auch einige Parallelen, insbesondere das Nebeneinander objektiver und subjektiver Kriterien. Im einzelnen bestehen jedoch Unterschiede. Sie lassen sich auf unterschiedliche gesetzliche Strukturen und Tatbestände von Kollisionsrecht und Sachrecht zurückführen; einige gehen aber auch auf die besondere Funktion einer Kollisionsrechtsordnung zurück.

139

Junker,

IPR, Rdnr.321; MünchKomm - Spellenberg

mer, S. 151 ff. 140 Römer, S. 103.

Art. 11 EGBGB Rdnrn. 1, 36; Rö-

S. Römer, S. 121ff., 141 ff.; zum Verkehrsschutz oben § 15 II.2. Vgl. MünchKomm-Sonnenberger Einl. IPR Rdnrn. 701 f. Zum methodischen Vorgehen im einzelnen unten § 16 I. 1 4 3 Dazu oben § 9 1.2. 1 4 4 Im einzelnen oben § 9 IV.2. und zusammenfassend oben § 12 X . 141

142

280

§15

Umgebungsfälle

im IPR und

Wertung

2. Wertungskriterien Praktische Umgehungsfälle bringen immer wieder Gestaltungen mit sich, die die theoretische Einordnung der Gesetzesumgehung fraglich erscheinen lassen. Das hat sich bereits im Sachrecht gezeigt; vor allem bei der subjektiven Seite der Umgehung. Ahnlich verhält es sich auch im IPR, so wird z.B. in der Literatur verbreitet angenommen, die Lösung von Umgehungsfällen sei von Kriterien wie Umgehungsabsicht oder ungewöhnlichem Vorgehen abhängig. Beide Voraussetzungen spielen dagegen eine geringe Rolle, wenn sich die Rechtsprechung tatsächlich mit Fällen derartiger „juristischer Kreativität" 145 auseinanderzusetzen hat. Der Blick in die Rechtsprechungspraxis zeigt außerdem Unterschiede zwischen Gesetzesumgehung im IPR und Sachrecht, die in der Literatur ebenfalls kaum Beachtung finden. Zwar geht es in beiden Rechtsgebieten um eine vergleichbare rechtliche Aufgabe, es ist jeweils eine zweistufige Wertung erforderlich und auch die betroffenen Gebiete gleichen sich - z.B. Formvorschriften und Verbraucherschutz. Dennoch sind die Kriterien bei der Lösung praktischer Umgehungsfälle im IPR nicht die gleichen wie im Sachrecht; auch ihr Gewicht bei der Abwägung kann anders sein. So unterschiedlich und kasuistisch die Entscheidungen der Praxis sind, lassen sich insgesamt folgende Besonderheiten ausmachen: a) Im IPR besteht allgemein eine höhere Eingriffsschwelle als im Sachrecht. In der Praxis gibt es nur wenige Fälle, in denen Gesetzesumgehungen tatsächlich für unwirksam erklärt wurden. In der Literatur wird dagegen das Problem der Gesetzesumgehung im IPR als schwerwiegend angesehen und umfangreicher diskutiert als im Sachrecht. Allerdings sind sich Literatur und Praxis im Grundsatz einig darin, daß die Unwirksamkeit von Gesetzesumgehungen im IPR auf Ausnahmefälle beschränkt ist. Das kommt zum Ausdruck durch Formulierungen, in denen auf objektiv „mißbräuchliches" oder subjektiv „arglistiges" Verhalten des Umgehers abgestellt wird. b) Die Fallgruppe der Umgehung von Schutznormen hat im IPR praktisch keine Bedeutung. Schutzzwecke des „umgangenen" Sachrechts müssen außer Betracht bleiben, da die Lösung eines Umgehungsfalles im IPR auf kollisionsrechtlicher Ebene zu erfolgen hat. Statt dessen kommt es auf die konkrete Fallgestaltung an. Entscheidend ist in der Praxis oft, ob es ein „Opfer", einen Betroffenen, der Umgehung gibt und ob bei der Gesamtabwägung das Opfer schutzwürdig erscheint. Das ist dann der Fall, wenn entweder ein Dritter oder ein an der Umgehung Beteiligter einen rechtlichen oder tatsächlichen Nachteil erleidet oder in seiner Rechtsstellung gefährdet wird. Außerdem muß das „Opfer" in seinem Einfluß auf die Umgehungshandlung eingeschränkt sein. Das kann deswegen der Fall sein, weil es einer rechtlichen 145

Schurig, Gesetzesumgehung, S. 3 7 5 .

V. Ergebnis:

Umgehungsspezifische

Wertung im IPR

281

oder tatsächlichen Manipulation ausgeliefert ist, ohne selbst Einfluß nehmen zu können. Die Eingriffsschwelle kann aber auch überschritten sein, wenn ein Geschädigter an der Umgehung beteiligt war, z.B. bei Gesetzesumgehung durch Rechtswahl. Dann ist aber Voraussetzung, daß er in irgendeiner Weise übertölpelt worden ist. c) Im IPR müssen grundsätzlich subjektive Voraussetzungen vorliegen, damit die Eingriffsschwelle überschritten ist. Entscheidend ist dabei nicht die Umgehungsabsicht im Sinne der hergebrachten Lehre, sondern es kommt darauf an, ob planmäßig, gezielt und bewußt vorgegangen wurde, also ein Umgehungszweck verfolgt wurde. Mit anderen Worten: Wenn das Handeln des Umgehers nicht von Umgehungszweck getragen, sondern unbewußt, ungeplant oder zufällig erfolgte, ist die Eingriffsschwelle nicht überschritten. Eine „objektive Gesetzesumgehung" gibt es im IPR praktisch nicht. Wie im Sachrecht muß die subjektive Einstellung des Umgehers im Prozeß nicht konkret bewiesen werden, sondern kann sich auch aus den Umständen ergeben, insbesondere aus einem ungewöhnlichen, konstruierten Vorgehen. 3. Abwägung Umgehungsfälle im IPR sind in der Praxis zumindest seit dem Abebben der familienrechtlichen Fälle nicht eben häufig - ein weiterer Kontrast zwischen Theorie und Praxis, da die internationalprivatrechtliche Umgehungslehre einen vergleichbar deutlich größeren Raum einnimmt als die sachrechtliche. Aufgrund dieses Befundes stellt sich die Frage, ob die eben erwähnten Besonderheiten der praktischen Wertung zufällig sind oder sich durch theoretische Überlegungen stützen lassen. Ist dies der Fall, können für das IPR ähnlich wie für das Sachrecht allgemeine Kriterien für die Wertung in Umgehungsfällen entwickelt werden. a)

Abwägungskriterien

Entscheidungen im Umgehungsfällen beruhen auf einer Abwägung: Gebietet es der Einzelfall, über den Geltungsbereich der umgangenen Norm hinauszugehen? Im Sachrecht stehen dahinter individuelle Interessen. Der Umgeher ist vor willkürlicher und uneingeschränkter Ausweitung der von ihm vermiedenen Norm zu schützen, während hinter dem Interesse an Einzelfallgerechtigkeit in der Regel der durch die umgangene Norm Geschütze steht. Das entspricht der Funktion einer materiellen Zivilrechtsordnung, zu einem sachgerechten Ausgleich von Individualinteressen zu kommen. Die Funktion einer Kollisionsrechtsordnung geht darüber hinaus: Sie soll nicht nur private Interessen, sondern vor allem staatliche Zivilrechtsordnungen zum Ausgleich bringen. Daraus ergibt sich eine Besonderheit des Kollisionsrechts, die Schurig treffend umschreibt mit dem Beharrungsinteresse der Rechts-

282

§ IS Umgehungsfälle

im IPR und

Wertung

Ordnung oder „kollisionsrechtlichem Trägheitsprinzip" 146 : Wird von den vorhandenen Kollisionsnormen abgewichen, muß das Bedürfnis nach der Abweichung abgewogen werden gegen das Ordnungsinteresse des Rechtsverkehrs an der Fortgeltung und Befolgung einer einmal aufgestellten Norm. Das von Schurig erwähnte „Beharrungsinteresse" ist grundsätzlich jedem Rechtsgebiet immanent. Es tritt stets auf den Plan, wenn in einem speziellen Interesse vom eigentlichen Geltungsbereich der Normen abgewichen werden soll. In einer Kollisionsrechtsordnung ist es aber von besonderem Gewicht. Das liegt daran, daß Kollisionsrecht die Weichen nicht nur zu Einzelregelungen stellt, sondern zu ganzen Rechtsordnungen mit ihren unterschiedlichen Wertungen. Daher besteht an der Kontinuität einer Kollisionsrechtsordnung ein besonderes Interesse nicht nur der betroffenen Individuen, sondern auch des allgemeinen Rechtsverkehrs: Die Verkehrsunsicherheit ist ungleich schwerwiegender, wenn nicht die Geltung einzelner Regelungen fraglich ist, sondern das Statut überhaupt. Es müssen also Gründe von einigem Gewicht vorliegen, um in Umgehungsfällen das Beharrungsinteresse zurücktreten zu lassen. In der Literatur besteht keine Einigkeit, worauf hier vorrangig abzustellen ist. Kegel sieht den Grund für das Eingreifen gegen Gesetzesumgehungen in dem Ordnungsinteresse am Ansehen des eigenen IPR 1 4 7 . Das „Ansehen der Rechtsordnung", an die französische „autorité de la loi" angelehnt, ist jedoch wenig hilfreich, wenn eine Abwägung im konkreten Einzelfall getroffen werden soll. So wird z.B. kaum die Frage aufgeworfen werden, ob es das Ansehen der Rechtsordnung gefährdet, wenn der Abschlußort einer Bürgschaft ins Ausland verlegt wird. Auch in der Praxis spielen derartige Erwägungen keine Rolle. Statt dessen stützt sich die Rechtsprechung auf Besonderheiten des Einzelfalles: das „Opfer" der Umgehung, die negative Bewertung der Umgehungshandlung und der Willensrichtung des Umgehers. Maßgeblich sind also Individualinteressen und Einzelfallgerechtigkeit. Zum selben Ergebnis kommt Schurig, nach dem das Interesse am Ansehen der Rechtsordnung nur sekundär ist, vielmehr identisch mit dem allgemeinen Interesse an „gerechter" (Kollisions-) Rechtsfindung 148 . Bezogen auf die Umgehung führt Schurig aus: „Je mehr ... die Herbeiführung der Anknüpfung den Makel der ,Sittenwidrigkeit' trägt (hier ergibt sich einer der Berührungspunkte mit dem ordre public) der Rücksichtslosigkeit gegenüber den Rechten anderer, je mehr sie ,arglistig' war in dem Sinne, daß dem Betreffenden die Unangemessenheit der ,ergangenen' Norm bewußt war und er sie mit Absicht für Vorteile einsetzte, die ihm nach dem Gerechtigkeitsempfinden nicht zustanden, um so weniger existiert ein allgemeines Ordnungsinteresse an Kontinui-

146 147 148

Scburig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 2 4 3 ff.; zum Trägheitsprinzip S. 197ff. Kegel, IPR (7. Aufl.), S . 3 5 2 . Scburig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 2 4 6 .

V. Ergebnis:

Umgehungsspezifische

Wertung im IPR

283

tat der Rechtsanwendung gerade in diesem Fall" 1 4 9 . Abzuwägende Faktoren sind also das „Beharrungsinteresse", Kontinuität und Vertrauensschutz auf der einen Seite und Individualinteressen und Einzelfallgerechtigkeit auf der anderen. b) Individualinteressen

im IPR

Die Einzelfallgerechtigkeit, die zur Durchbrechung des Beharrungsinteresses führt, zeichnet sich in der Regel dadurch aus, daß Individualinteressen betroffen sind; vor allem die Interessen des „Opfers" der Gesetzesumgehung. Im Sachrecht sind derartige Schutzerwägungen nichts Ungewöhnliches. Im IPR stehen sie dagegen in einem gewissen Spannungsverhältnis zu der hergebrachten Auffassung von der Funktion des Kollisionsrechts. Danach geht es im IPR nicht um den Inhalt eines Rechts, sondern um dessen Anwendung 150 . Sein Ziel ist nicht, das sachlich beste, sondern das räumlich beste Recht anzuwenden 151 . Daraus folgt ein besonderer Interessenbegriff des IPR. Er wird herkömmlich beschrieben mit der sog. Lehre von den internationalprivatrechtlichen Interessen 1 5 2 . Diese Lehre geht auf Kegel zurück 153 . Sie wird im IPR verbreitet vertreten, ist aber nicht unumstritten 154 . Nach der Lehre von den internationalprivatrechtlichen Interessen ist dem Parteiinteresse im Sinne des IPR genügt, wenn ein Mensch - oder auch eine juristische Person - nach einer Rechtsordnung beurteilt 149 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S . 2 4 5 ; ähnlich S . 2 4 3 : „Die Anknüpfung erscheint nicht angemessen und diese Anknüpfung ist beabsichtigt". 150 Junker, IPR, Rdnr.90; Kegel/Schurig, IPR, S. 115. 151 Kegel/Schurig, IPR, S. 114; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 135. 1 5 2 Die Lehre von den internationalprivatrechtlichen Interessen hat sich aus der sog. Interessenjurisprudenz entwickelt, einem methodischen Ansatz, der im frühen 20. Jahrhundert entwikkelt wurde. Im Sachrecht hat sich die Interessenjurisprudenz nicht durchgesetzt; als heute herrschende Auffassung gilt ihr Gegenstück, die sog. Wertungsjurisprudenz (dazu ausführlich Lorenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 119ff.; Überblick zu den verschiedenen Methodentheorien Schmalz, Methodenlehre, Rdnr. 210ff.). Die Wertungsjurisprudenz kritisiert an der Interessenjurisprudenz die unklare Verwendung des Begriffs „Interesse". Sie versteht unter „Interesse" die Vorstellungen der an dem Rechtsstreit Beteiligten: Nicht diese Vorstellungen sollten für den Ausgang eines Rechtsstreits entscheidend sein, sondern die aus dem Gesetz zu entnehmenden Wertungen des Gesetzgebers (Kegel/Schurig, IPR, S. 116; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 119f.). Demgegenüber vertritt die Lehre von den internationalprivatrechtlichen Interessen ein weites Verständnis von Begriff des Interesses (s. Kegel/Schurig, IPR, S. 116; auch Junker, IPR, Rdnr.90; Kropholler IPR, § 5 I.). 1 5 3 Zu den kollisionsrechtlichen Interessen gehören nach der traditionellen Einteilung von Kegel insbesondere Parteiinteressen, Ordnungsinteressen und Verkehrsinteressen (jetzt Kegel/ Schurig, IPR, S. 118 ff.; ebenso Junker, IPR, Rdnr. 92ff.). Daneben spielen auch materiellprivatrechtliche Interessen und öffentliche Staatsinteressen eine Rolle. Das Verkehrsinteresse ist wie im Sachrecht auf Schnelligkeit und Leichtigkeit gerichtet; zu den Ordnungsinteressen gehört der innere und äußere Entscheidungseinklang sowie die Rechtssicherheit. 1 5 4 Dagegen vor allem Flessner, Interessenjurisprudenz im internationalen Privatrecht; skeptisch auch MünchKomm-Sonnenberger Einl. IPR Rdnrn. 83ff. Gegen Flessner wendet sich Schurig RabelsZ 59 (1995), 2 2 9 . Zum Gerechtigkeitsbegriff Wiethölter, Begriffs- oder Interessenjurisprudenz, S. 2 1 3 ff.

284

525

Umgehungsfälle

im IPR und

Wertung

wird, der er eng verbunden ist 1 5 5 . In diesem Sinne spielt es z.B. für das Interesse einer Frau an Gleichberechtigung im IPR keine Rolle, ob das Heimatrecht des Mannes für sie günstiger ist, sondern entscheidend ist nur, ob das anzuwendende Recht geschlechtsneutral angeknüpft wird 1 5 6 . Im heutigen IPR gelten diese Grundsätze nicht mehr uneingeschränkt. Einige vor allem neuere - Kollisionsnormen schützen auch materiellrechtliche Individualinteressen, indem sie an das für den Betroffenen günstigere Recht anknüpfen oder diesem eine Wahlmöglichkeit geben, so Artt. 2 9 , 3 0 und 4 0 Abs. 1 E G B G B . Wie oben erörtert, spielen aber gerade diese Normen bei der Gesetzesumgehung im IPR nur eine geringe Rolle. Werden dagegen Art. 11 E G B G B oder Art. 2 5 E G B G B zur Umgehung benutzt, so dienen diese Normen nicht z.B. dem Schutz des Erben oder dem Schutz vor Übertölpelung, sondern es geht ausschließlich um das sachnächste Recht. Eine Kollisionsnorm wird nicht „ausgehöhlt", wenn sie zur Umgehung manipuliert wird; während im Sachrecht beispielsweise die Formvorschrift des § 3 1 1 b Abs. 1 B G B (früher § 3 1 3 BGB) ausgehöhlt würde, wenn unwiderrufliche Vollmachten zur Grundstücksveräußerung formfrei möglich wären. Für eine Korrektur des Anknüpfungssystems zum Schutz des übervorteilten Erben oder Vertragspartners gibt also die manipulierte Norm keine Anhaltspunkte. Daraus folgt, daß mit Erwägungen des Individualinteresses im IPR zurückhaltend umzugehen ist. In Umgehungsfällen ist abzuwägen: Einerseits können Individualinteressen besonders schwerwiegend betroffen sein, wenn die Wertungen einer anderen Rechtsordnung gelten. Eine Korrektur des Anknüpfungssystems des IPR aus diesen Erwägungen steht jedoch in einem Spannungsverhältnis zur Funktion der meisten Kollisionsnormen, das sachnächste Recht unabhängig davon auszuwählen, wen es schützt.

c) Fazit Stellt sich das Umgehungsproblem im IPR tatsächlich „drängender und rein e r " 1 5 7 als im Sachrecht? Die Rechtsprechungspraxis wird diese Frage eher verneinen. Gesetzesumgehung spielt in Gerichtsurteilen nur eine geringe Rolle; noch seltener sind Fälle, in denen Umgehungsgeschäfte tatsächlich für unwirksam erklärt wurden. Es kommt darauf an, aus welcher Perspektive man die Um-

155 Kegel/Schurig, IPR, S. 118; ähnlich Battifol, Les intérêts de droit international privé, S. 15f.; v. Hoffmann, IPR, § 5 Rdnr. 5 und Lüderitz, Anknüpfung im Parteiinteresse, S. 31 ff., nach dem es auf das Recht ankommt, das den Parteien „vertraut" ist. Diesem Parteiinteresse dient z.B. die Anknüpfung an das Recht des Heimatstaates in Angelegenheiten, die eine Partei besonders nahe angehen, aber auch die Möglichkeit, parteiautonom eine Rechtsordnung auszuwählen. 156 Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 109. 157 So Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 8 5 ; s. bereits oben vor § 13, Einführung.

V. Ergebnis:

Umgehungsspezifische

Wertung im IPR

285

gehung betrachtet: Auf der einen Seite stehen die Folgen, die eine Gesetzesumgehung im IPR haben kann, auf der anderen Seite die Frage, ob eine Durchbrechung des Anknüpfungssystems tatsächlich gerechtfertigt ist. Tatsächlich spricht die Funktion des IPR für einen zurückhaltenden Umgang mit der fraus legis. Wie erwähnt, hängt die der Eingriffsschwelle zugrundeliegende Wertung von zwei abzuwägenden Faktoren ab: dem „Beharrungsinteresse" auf der einen Seite und dem Bedürfnis nach Einzelfallgerechtigkeit auf der anderen. Das Interesse an „Beharrung", Kontinuität und Rechtssicherheit ist im IPR größer als im materiellen Recht, da seine Aufgabe darin besteht, die Anwendung von Rechtsordnungen zum Ausgleich zu bringen. Demgegenüber spielen Erwägungen der Einzelfallgerechtigkeit im IPR eine geringere Rolle: Gerade in Umgehungsfällen sind in der Regel Normen betroffen, die nicht das „bessere", sondern das sachnächste Recht zur Anwendung bringen sollen. Die Wertungskriterien des IPR dienen daher vor allem dazu, die Eingriffsschwelle anzuheben und die Anwendung der fraus legis einzugrenzen. Erstens sind Umgehungen grundsätzlich zu tolerieren, wenn niemand geschädigt wurde und der Umgeher sich nicht eine rechtliche Ausnahmelage zunutze machte. Dabei reicht die Schädigung allein in der Regel nicht, sondern der Geschädigte muß gleichzeitig zum Objekt, zum „ O p f e r " gemacht werden, der Manipulation ausgeliefert sein. Zweitens müssen Gesetzesumgehungen zumindest bewußt und in der Regel auch gezielt erfolgen; allerdings ist keineswegs schon jedes Vorgehen mit Umgehungsabsicht ein unwirksames Umgehungsgeschäft. Drittens wird zusätzlich in vielen Fällen eine negative Gesamtbewertung vorgenommen, die das Handeln des Umgehers und seine Willensrichtung erfaßt.

§16 Methodische Möglichkeiten und Grenzen Die Unterschiede zwischen IPR und Sachrecht ergeben sich nicht nur aus der Funktion, sondern auch aus der rechtlichen Struktur beider Gebiete. So ist das IPR im Gegensatz zum zivilen Sachrecht nach wie vor nur teilweise kodifiziert. Einige Gebiete beruhen ausschließlich auf Gewohnheits- und Richterrecht; ein praktisch wichtiges Beispiel ist das Internationale Gesellschaftsrecht. Daraus ergeben sich Besonderheiten für die Gesetzesumgehung in nicht kodifizierten Gebieten. Aber auch auf kodifiziertem Gebiet unterscheidet sich das IPR vom internen Zivilrecht durch das System der Anknüpfung. Wird eine A n k n ü p f u n g z.B. zur Schädigung eines anderen umgangen, m u ß ein Analogieschluß anders ansetzen, planwidrige Regelungslücke und Ähnlichkeit anders als im Sachrecht begründet werden. Auf nicht kodifiziertem Gebiet sind Umgehungen k a u m möglich, weil ungeschriebene Rechtsnormen flexibler sind. Hier stellt sich aber die Frage, ob ungeschriebene Kollisionsnormen aus dem Gesichtspunkt entwickelt werden können, eine Umgehung zu verhindern. Das Hauptbeispiel bildet die Sitztheorie für das Gesellschaftsstatut. Sie beruht auf der Überlegung, daß bei Geltung der Gründungstheorie im Inland operierende Gesellschaften durch einen Gründungsakt im Ausland restriktive Regelungen des inländischen materiellen Gesellschaftsrechts umgehen können 1 . Die Sitztheorie ist allerdings durch die Rechtsprechung des E u G H seit 1999 (Centros) weitgehend obsolet geworden 2 . N u r wenige Anhaltspunkte finden sich in der Rechtsprechung zu der Frage, inwieweit Umgehungsgesichtspunkte geltend gemacht werden können, wenn die Sitztheorie nicht gilt 3 .

1 So auch Schurig, Gesetzesumgehung, S . 3 8 7 , der darauf hinweist, d a ß auch Erwägungen des gesetzten Rechts auf Umgehungsgesichtspunkten beruhten. Das gilt vor allem für den Vorzug des Staatsangehörigkeitsprinzips, weil die Staatsangehörigkeit schwieriger zu manipulieren ist als z.B. der Wohnsitz. 2 Dazu unten § 16 II.2. 3 Dazu vor allem E u G H 9.3.1999Rs C - 2 1 2 / 9 7 , ZIP 1 9 9 9 , 4 3 8 = IPRax 1999, 3 6 0 = N J W 1999, 2 0 2 7 (Centros) u n d E u G H 3 0 . 9 . 2 0 0 3 - Rs. C - 1 6 7 / 0 1 , DB 2 0 0 3 , 2 2 1 9 (Inspire Art); im einzelnen unten § 16 II.2.

I. Gesetzesumgehung

I. Gesetzesumgebung

im kodifizierten

Bereich

im kodifizierten

287

Bereich

Im kodifizierten Bereich des IPR entspricht die Ausgangslage der Gesetzesumgehung derjenigen im Sachrecht: Grundsätzlich ist die Rechtslage klar; der Sachverhalt wäre unter eine bestimmte Norm oder Anknüpfung zu subsumieren. Die umgehungsspezifische Wertung ergibt jedoch, daß das auf diese Weise erzielte Ergebnis unannehmbar ist. Der Fall ist somit mit Hilfe des gesetzten Rechts nicht befriedigend zu lösen. Im Sachrecht ist man sich weitgehend einig, wie in solchen Fällen vorzugehen ist. Wie oben erwähnt, ist nach herrschender Auffassung die Gesetzesumgehung im Sachrecht ein Fall der Analogie: Die umgangene Norm ist analog anzuwenden. Auch im praktischen Fall führt die Analogie in der Regel zum richtigen Ergebnis. Ist das ausnahmsweise nicht der Fall, kann in Umgehungsfällen auch eine Rechtsfortbildung erfolgen. 1. Methodische Ansätze und Ziele a) Ansätze der

Literatur

Hinweise zum methodischen Vorgehen bei Umgehungsfällen im IPR finden sich in Literatur und Rechtsprechung nur selten. Der Streit um das Objekt der Umgehung hat zur Folge, daß bereits die Ansätze unterschiedlich ausfallen. So will Römer im Wege der „Gleichstellung" die umgangene Sachnorm anwenden 4 . Entscheidend für ihre Anwendung sei, ob die betroffene Kollisionsnorm „mißbraucht" worden sei. Demgegenüber sieht Schurig mit der heute herrschenden Meinung in der Gesetzesumgehung ein rein kollisionsrechtliches Problem. Sie sei ein „Sonderproblem der Auslegung bzw. Analogie" 5 . Die Lücke sei durch Neubildung einer Kollisionsnorm zu schließen, die sich an der umgangenen Norm zu orientieren habe. Frühere Stimmen der Literatur wählen einen anderen Ansatz. So sollen nach Raape/Sturm die zur Gesetzesumgehung geschaffenen Tatsachen, der manipulierte Anknüpfungsgrund, nicht beachtet werden 6 . Ähnlich klingt der Ansatz von Neuhaus. Danach ist die Gesetzesumgehung unwirksam zu machen, d.h. das umgangene „lästige" Gesetz sei anzuwenden und das erschlichene „günstige" Gesetz nicht anzuwenden, als wenn die fraudulöse Erklärung oder Handlung nicht vorläge 7 .

Römer, S.85ff. Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 4 . 6 Raape/Sturm, IPR Bd.I, S . 3 3 1 . 7 Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 130 (mit Hinweis auf Art. 13 Abs. 3 des damaligen liechtensteinischen Sachenrechts). Unten (S. 132) sieht Neuhaus allerdings auch die Verwandtschaft von Umgehung und teleologischer Auslegung. 4

5

288

§16

Methodische

Möglichkeiten

und

Grenzen

Einem mehrstufigen Ansatz folgt Sonnenbergers. Vorab sei zu klären, daß der manipulierte Anknüpfungsgrund im IPR von Belang ist und außerdem keine Vortäuschung vorliegt; darauf als nächstes zu prüfen, ob die Kollisionsnorm durch Auslegung eingeengt und eine die entsprechende Lücke ausfüllende, besondere Kollisionsnorm entwickelt werden könne. Erweist sich die Kollisionsnorm nicht als korrekturbedürftig und führt die Umgehung ins ausländische Recht, sei ein Verstoß gegen den ordre public zu prüfen. Bei Gesamtverweisung könne es auch auf den ausländischen ordre public und die ausländischen Regeln über Gesetzesumgehung ankommen. Wenn danach die Umgehung immer noch wirksam sei, komme abschließend ausnahmsweise in Betracht, daß der Berufung auf die Anwendbarkeit des erschlichenen Statuts die exceptio doli praeteriti entgegenstehe 9 . b) Rechtsfolge der

Umgehung

Es stellen sich also zwei Fragen; erstens nach der Rechtsfolge einer Gesetzesumgehung im IPR und zweitens nach dem methodischen Weg, auf dem man zu dieser Rechtsfolge gelangt. Dabei ist die erste Frage einfach zu beantworten: Während im Sachrecht bis heute die Formulierung vom „nichtigen Umgehungsgeschäft" zu lesen ist, ist man sich im IPR darüber einig, daß Gesetzesumgehungen nicht nichtig sind, sondern - bei entsprechender Wertung - unwirksam. Wenn ein Vertragsschluß also zur Umgehung ins Ausland verlegt wird, ist der Vertrag nicht wegen der Umgehung nichtig, sondern seine Wirksamkeit richtet sich nach den Formvorschriften des eigentlich berufenen Rechts. Die Nichtigkeit ist, wie oben ausgeführt, auch für das Sachrecht eine zu pauschale Lösung 10 . Das gilt für die Gesetzesumgehung im IPR erst recht, weil hier die Umgehung im Regelfall nicht durch ein Rechtsgeschäft, sondern durch eine tatsächliche Handlung vorgenommen wird. Ein Beispiel bildet der interzonale Fall des jungen Mannes, der seinen 18. Geburtstag in der DDR verbrachte, weil die Volljährigkeit in der Bundesrepublik damals erst mit dem 21. Geburtstag eintrat 11 . Wollte man hier ein „Umgehungsgeschäft" für nichtig erklären, käme man nicht weiter: Weder der Aufenthalt in der DDR noch die Tatsache des Geburtstags sind Geschäfte, die eine Nichtigkeitsfolge haben könnten. Außerdem können Umgehungen oft auf Rechtsakten ausländischer Staaten (z.B. der Einbürgerung) beruhen, die von inländischen Gerichten nicht für nichtig erklärt werden können 1 2 . Weitgehend Einigkeit besteht auch darin, wodurch Unwirksamkeit der Gesetzesumgehung im IPR erreicht wird: Die ergangene Anknüpfung ist nicht anzu8

M ü n c h K o m m - S o n n e n b e r g e r Einl. IPR R d n r n . 6 9 9 f f . So auch Coester-Waltjen, Der Eskimo-Mantel aus Spanien, S . 3 1 6 . 10 Oben § 7 II.l. 11 KG 2 9 . 3 . 1 9 5 1 - 1 W 4 8 5 / 5 1 , N J W 1951, 4 8 5 = J Z 1951, 5 0 8 m. A n m . 12 Heeder, S . 2 2 4 f f .

9

Beitzke.

I. Gesetzesumgehung

im kodifizierten

Bereich

289

wenden, die umgangene anzuwenden 1 3 . Abzulehnen ist dagegen die Ansicht, die das L G Hamburg 1 9 7 4 vertrat 1 4 . In dem Urteil wird abweichend von der herrschenden Meinung eine Tondern-Ehe als ungültig angesehen. Nach der Urteilsbegründung unterliege als Folge die Umgehung „den Sanktionen, die das maßgebliche Recht dafür festsetzt". Dabei wird verkannt, daß sich die Gesetzesumgehung auf der Ebene des Kollisionsrechts abspielt und die „Sanktion" bereits darin besteht, daß gerade das tatsächlich „maßgebliche" Recht angewandt wird.

c) Methodische

Ansätze

aa) Lösung über die tatsächliche

Ebene

Zu klären bleibt, durch welches methodische Vorgehen dieses Ziel der Unwirksamkeit zu erreichen ist. Raape/Sturm

und Neuhaus

setzen auf der tatsächlichen

Ebene an: Diejenigen Handlungen, mit denen zum Zweck der Gesetzesumgehung Anknüpfungsmomente manipuliert werden, werden nicht beachtet. In eine ähnliche Richtung gehen auch einige praktische Entscheidungen. Ein Beispiel bildet die bekannte Entscheidung des O L G Hamburg zu dem Vater, der aufgrund eines Wechsels zur kanadischen Staatsangehörigkeit dem Anspruch seiner nichtehelichen Tochter auf vorzeitigen Erbausgleich ( § 1 9 3 4 d B G B a.F.) entging 15 . Das O L G deutete in seiner Urteilsbegründung an: „Ist die Umgehungsabsicht bewiesen, könnte u.U. daran gedacht werden, einen Statutenwechsel nicht zu berücksichtigen". Danach wäre der Vater als Deutscher zu behandeln; in anderen Fällen Vertragsschlüsse und Heiraten so anzusehen, als hätten sie im Inland stattgefunden, der 18jährige so, als hätte er seinen Geburtstag in Westdeutschland verlebt. Die praktischen Beispiele zeigen die Problematik dieses Vorgehens. Es ist durchaus nicht immer eindeutig, wie die Sachlage ohne die Gesetzesumgehung ausgesehen hätte. Hätten z.B. der Iraner und die Deutsche nicht in Tondern geheiratet, hätten sie auch im Iran oder sonst irgendwo die Ehe schließen können; keineswegs zwangsläufig in Deutschland. Außerdem bestehen gegen diesen Lösungsansatz grundlegende Bedenken, da er sich über die Unterschiede von Umgehung und Simulation hinwegsetzt 16 . Wer einen Umgehungsfall über die tatsächliche Ebene löst, entscheidet einen Fall, der sich so nicht abgespielt hat. Gesetzesumgehung und Simulation unterscheiden sich gerade dadurch, daß sich bei der Umgehung die Manipulation tatsächlich 13 Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 130; Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S.244f.; s. auch Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 4 . Der Begriff „Norm" ist dabei allerdings recht ungenau; im einzelnen unten § 16 I.2.b)bb)(l). 14 LG Hamburg 3 0 . 1 0 . 1974 - 5 R 449/74, IPRspr 1974, Nr.50 (S.142, 145). 15 OLG Hamburg 22. 8. 1995 - 2 U 29/94, NJW-RR 1 9 9 6 , 2 0 3 (Zitat S. 204). 16 S. dazu oben § 4 II. 1. zu ähnlichen Ansätzen im Sachrecht, insbesondere der sog. „Qualifikation des Sachverhalts" nach Sieker, S.95ff.

290

§16

Methodische

Möglichkeiten

und

Grenzen

ereignet hat und nicht vorgetäuscht wird. W ä h r e n d in Fällen der Simulation bei der Dissimulierung der wahre Sachverhalt ermittelt wird, ginge es um das Ermitteln eines fiktiven Sachverhalts. Eine Lösung über die tatsächliche Ebene k o m m t also nur in Betracht, soweit im Sonderfall eine Simulation Mittel der Gesetzesumgehung ist. Ein Beispiel dafür bildet der Ehemann aus der Nachkriegszeit, der sich zum Zweck der Scheidung in die D D R begibt und die dortigen Behörden über seinen ständigen Aufenthalt täuscht 1 7 . Umgehungsfälle müssen somit im IPR wie im Sachrecht auf der rechtlichen Ebene gelöst werden. Das ist auch der Ausgangspunkt von Scburig, für den die Gesetzesumgehung in beiden Rechtsgebieten ein „Sonderproblem der Auslegung bzw. Analogie" ist 18 und von Sonnenberger, der die „Kollisionsnorm durch Auslegung einengen" möchte 1 9 . bb) Auslegung

des umgangenen

Gesetzes

Nicht zutreffend ist an diesen Formulierungen allerdings die Gleichsetzung von Gesetzesumgehung und Auslegung. Wie Teichmann für das Sachrecht ausgeführt hat, ist beides zu unterscheiden: Die Gesetzesauslegung dient dazu, den Geltungsbereich eines Gesetzes zu ermitteln. Die Gesetzesumgehung ist demgegenüber gerade dadurch gekennzeichnet, d a ß sie den Geltungsbereich des Gesetzes vermeidet 2 0 . Eine Gesetzesumgehung kann danach erst dort beginnen, w o eine analoge Anwendung der umgangenen N o r m erforderlich ist. Für das IPR kann im Grundsatz nichts anderes gelten: Wenn das H a n d e l n des Umgehers bereits durch Auslegung von der „umgangenen" A n k n ü p f u n g erfaßt wird, liegt keine Umgehung vor, sondern nur ein mißlungener Umgehungsversuch. Allerdings sind die Begriffe der Auslegung und Analogie für Umgehungsfälle im IPR zu modifizieren, da der Ansatzpunkt ein anderer ist. Wie bereits erörtert, wird im IPR nicht die Kollisionsnorm als solche umgangen, sondern die A n k n ü p f u n g an eine Rechtsordnung umgangen und die A n k n ü p f u n g an eine andere Rechtsordnung ergangen. Es geht daher weniger um Auslegung oder analoge Anwendung der umgangenen N o r m , sondern das Ziel der Analogie ist Schaffung einer besonderen Kollisionsnorm 2 1 .

2. Analogie in kollisionsrechtlichen Umgehungsfällen Schon bei den Überlegungen zum Sachrecht hat sich herausgestellt, d a ß die Analogie kein Allheilmittel in Umgehungsfällen ist. Allerdings f ü h r t die analoge An17

B G H 1 8 . 3 . 1 9 5 9 - IV Z R 2 7 4 / 5 8 , F a m R Z 1959, 2 0 7 . Kegel/Schurig, IPR, S.424. 19 M ü n c h K o m m - Sonnenberger Einl. IPR R d n r . 7 0 1 . 20 Teichmann, S.86ff.; ferner Staudinger-Sack § 1 3 4 Rdnr. 146; Westerhoff, S.63ff. (§§ 68ff.); oben § 6 II. 1. 21 So auch Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 4 ; MünchKomm-Sonnenberger, Einl. IPR, R d n r . 7 0 1 . 18

I. Gesetzesumgehung

im kodifizierten

Bereich

291

wendung der umgangenen Norm - bzw. die teleologische Reduktion der ergangenen Norm - im Regelfall zu einer sachgerechten Lösung von Umgehungsfällen. Diese Lösung hat jedoch auch Grenzen: So ist bereits der Ansatz ein anderer, weil Ausgangspunkt der Analogie grundsätzlich die Regelungslücke ist; Ausgangspunkt der Umgehung dagegen die umgangene Norm. Auch am praktischen Fall zeigen sich Ausnahmen von der Möglichkeit der Analogie, da sie z.B. bei der Umgehung von Genehmigungspflichten und im nicht kodifizierten Bereich oft nicht zu einem sachgerechten Ergebnis führt 2 2 . Im IPR ergeben sich andere Besonderheiten. So stellt sich die Frage, was überhaupt analog anzuwenden ist: die Kollisionsnorm oder die Anknüpfung? Das gilt um so mehr, als es im IPR keinen rechtsordnungsfreien Raum gibt, also immer an irgendein Recht angeknüpft werden muß. Daraus ergeben sich Unterschiede bei der Begründung einer Regelungslücke und der Ähnlichkeit der umgangenen Norm mit dem Umgehungstatbestand. Wie schon beim Unterschied von Umgehungsfall und Analogieschluß im Sachrecht werden auch im IPR die methodischen Besonderheiten am praktischen Fall deutlich. Daher soll im folgenden die methodische Vorgehensweise an je einem „klassischen" Beispielsfall für den Analogieschluß, die Gesetzesumgehung im IPR und im Sachrecht im einzelnen erörtert werden. a) Analogieschluß

und Gesetzesumgehung

im Sachrecht

aa) Rechtsanalogie im klassischen Sinne ist die Übertragung der für einen oder mehrere bestimmte Tatbestände im Gesetz vorgesehenen Regel auf einen darin nicht geregelten, aber rechtsähnlichen Tatbestand. Voraussetzung ist eine planwidrige Regelungslücke, also das Fehlen einer Regelung, mit der sich der vorliegende Sachverhalt sachgerecht lösen ließe 2 3 . Für Umgehungsfälle von Interesse ist nur die Einzelanalogie, durch die die Rechtsfolge einer Norm auf einen vergleichbaren Fall übertragen wird 2 4 . Eines der Hauptbeispiele für eine solche Analogie ist durch die Schuldrechtsreform gegenstandslos geworden: die Anwendung des Schadensersatzanspruchs § 4 6 3 S. 2 BGB a.F. auf die Vorspiegelung einer nicht vorhandenen Eigenschaft 25 . Ausführlich oben § 10 II. S. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 191 ff., 196, zur Analogie S.202ff. 24 Palandt-Heinrichs (61. Aufl.) Einleitung Rdnr. 40. Gegenbegriff zur Einzelanalogie ist die Gesamtanalogie, bei der aus mehreren Normen ein übergeordnetes Prinzip hergeleitet wird; Hauptbeispiel dafür ist das bis zur Schuldrechtsreform geltende Rechtsinstitut der p W . Zu den Voraussetzungen der Ähnlichkeit BGH 1 3 . 7 . 1988 - IVa Z R 55/87, B G H Z 105, 140 (143). 2 5 Dazu Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 1 9 6 , 2 0 3 ; Palandt-Heinrichs (61. Aufl.) Einleitung Rdnr. 40; Soergel-Hefermehl Anh. § 133 Rdnr. 13; Beispielsfall BGH 2 5 . 3 . 1 9 9 2 - V I I I Z R 74/91, NJW-RR 1992, 1076. Zur Ähnlichkeit BGH 2 9 . 1 . 1 9 9 3 - V Z R 227/91, N J W 1993, 1643 (1644); Staudinger-Honsell § 4 6 3 Rdnr. 45; Erman-B. Grunewald 22

23

292

§16

Methodische

Möglichkeiten

und

Grenzen

Ein noch aktuelles Beispiel wurde bereits erwähnt: die analoge Anwendung des Ausgleichsanspruchs § 4 2 6 BGB auf das Verhältnis von Bürgen und dinglichem Sicherungsgeber 2 6 . Die Ansprüche im Innenverhältnis dieser Sicherungsgeber sind gesetzlich nicht geregelt; es liegt eine Regelungslücke vor. Sie ist auch planwidrig, da das Ergebnis anderenfalls davon abhinge, welchen Sicherungsgeber der Gläubiger zuerst in Anspruch nimmt 2 7 . Schließlich regelt § 426 BGB einen vergleichbaren Sachverhalt, da es auch hier um das Innenverhältnis mehrerer Personen geht, die vom Gläubiger nach dessen Wahl in Anspruch genommen werden können. Vereinfacht sind also zwei Gedankenschritte erforderlich: Erstens die Feststellung einer Regelungslücke und zweitens die Suche unter den zur Verfügung stehenden N o r m e n nach einer ähnlichen N o r m . bb) Für die Gesetzesumgehung im Sachrecht bildet die Umgehung von Vorkaufsrechten ein typisches Beispiel. In der Regel wird dabei § 4 6 3 BGB (früher § 5 0 4 BGB) umgangen. Besonders aufschlußreich ist indes ein bereits erwähnter Fall des BGH aus dem Jahre 1950, in dem es um eine raffinierte Konstruktion zur Umgehung von § 4 6 5 BGB (damals § 506 BGB) ging: Die Parteien des Erstkaufes schlössen mit einem für den Vorkaufsberechtigten handelnden vollmachtlosen Vertreter einen Erlaßvertrag über die Nichtausübung des Vorkaufsrechts, um damit für den Fall der Nichtgenehmigung die Unwirksamkeit des mit dem Erlaßvertrag in Rechtseinheit ( § 1 3 9 BGB) stehenden Kaufvertrages zu erreichen 2 8 . Der BGH bejahte u.a. aus subjektiven Erwägungen eine Gesetzesumgehung und k a m zur „Anwendung von § 506 BGB" (a.F.). Dahinter steht folgende Überlegung: Anders als bei der herkömmlichen Analogie entsteht die Gesetzeslücke nicht durch ein „Versehen" des Gesetzgebers, sondern durch ein gezieltes Vorgehen der Handelnden: Die Konstruktion mit dem vollmachtlosen Vertreter diente nach den Feststellungen des BGH einzig dazu, § 4 6 5 BGB (§ 506 BGB a.F.) zu umgehen, weil die Beteiligten mit der Versagung der Genehmigung rechnen mußten. Der Tatbestand des Gesetzes w u r d e also vermieden, die Lücke - bewußt - hergestellt. Gleichzeitig folgt aus der Gesetzesumgehung auch die Ähnlichkeit: Die umgehungsspezifische Wertung ergibt, d a ß es sachgerecht ist, die Regel über unwirksame Vereinbarungen auch auf Fälle wie den vorliegenden anzuwenden (sog. Gleichstellung). Die analog anzuwendende N o r m wird also nicht gesucht, sondern steht von vornherein fest 2 9 .

§ 4 6 3 Rdnr.8; Palandt-Putzo (61.Aufl.) § 4 6 3 Rdnr. 13; M ü n c h K o m m - W e s t e r m a n n § 4 6 3 Rdnr. 10. Mittlerweile findet sich der Schadensersatzanspruch in § 4 3 7 Nr. 3 BGB. 26 S. A G Rosenheim 2 9 . 1 0 . 1999 - 12 C 2 0 4 4 / 9 9 , N J W - R R 2 0 0 0 , 863. In dieser Entscheid u n g k a m es sowohl auf Analogieschluß als auch auf Gesetzesumgehung an; zum Sachverhalt oben § 10 1.1. Z u r analogen A n w e n d u n g von § 4 2 6 BGB Palandt-Sprau § 7 7 4 Rdnr. 13 m . w . N . 27 Palandt-Sprau § 7 7 4 Rdnr. 13. 28 B G H 9 . 2 . 1 9 9 0 - V Z R 2 7 4 / 8 8 , B G H Z 110, 2 3 0 (Zitat S.234). 29 Z u den Unterschieden von Analogieschluß und Umgehungsfall im einzelnen oben § 1 0 1.

I. Gesetzesumgehung

im kodifizierten

Bereich

293

cc) Der zur Analogie führende Gedankengang läßt sich für das Sachrecht also folgendermaßen zusammenfassen: - Klassische Analogie: Dieser Sachverhalt ist - planwidrig - nicht geregelt; dieser gesetzliche Tatbestand ist ähnlich, also tritt die Rechtsfolge dieses Gesetzes ein; - Gleichstellung bei Gesetzesumgehung: Dieser Sachverhalt vermeidet den Tatbestand eines Gesetzes in zweckwidriger und nicht hinnehmbarer Weise, also tritt die Rechtsfolge des Gesetzes trotzdem ein.

b) Analogieschluß

bei Gesetzesumgehung

im IPR

Bei der Gesetzesumgehung im IPR gibt es keinen typischen Fall. Die historisch wichtigen Ehe- und Scheidungsfälle sind gesetzgeberisch überholt und basieren nicht selten auf „unechten" Umgehungen 30 . Unter den aktuellen Umgehungsfällen im IPR finden sich nur wenige, in denen die Umgehung für unwirksam erklärt und die umgangene Norm analog angewandt wurde. Allerdings wird verbreitet eine unzulässige Manipulation von Anknüpfungsmomenten darin gesehen, die Staatsangehörigkeit nur zum Zweck der Gesetzesumgehung zu ändern und später sogar zur alten Staatsangehörigkeit zurückzukehren 31 . Wie oben 3 2 festgestellt, gilt das vor allem dann, wenn jemand geschädigt wird und entsprechende subjektive Voraussetzungen gegeben sind. Als Beispiel soll daher der bereits mehrfach erwähnte Fall des O L G Hamburg in der vom Gericht angedeuteten Variante dienen 3 3 : Der nichteheliche Vater nimmt die kanadische Staatsangehörigkeit nur an, um seiner Tochter keinen vorzeitigen Erbausgleich nach § 1 9 3 4 d BGB a.F. zahlen zu müssen. Er plant dabei, nach Ablauf der Frist für den Erbausgleich wieder zur deutschen Staatsangehörigkeit zurückzukehren. Die Tochter klagt dennoch auf vorzeitigen Erbausgleich. Für diesen fiktiven Fall käme das O L G Hamburg ebenso wie die wohl herrschende Meinung zur Unwirksamkeit der Umgehung. Nach der Rechtsprechung des BGH wurde der vorzeitige Erbausgleich entsprechend Art. 2 5 Abs. 1 EGBGB angeknüpft, wobei es statt auf den Zeitpunkt des Todes auf den Zeitpunkt der Geltendmachung des Erbausgleichs ankam 3 4 . Hätte das O L G Hamburg den Fall in der Variante zu entscheiden gehabt, hätte es aber nicht an die kanadische Staatsangehörigkeit, sondern an die deutsche Dazu oben § 1 5 I.I., 2. Ausführlich Römer, S. 97ff. m. w.N.; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 129f.; zur Scheidung Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 6 ; einschränkend Raape/Sturm, IPR Bd.I, S.328f.; 331. 3 2 Oben § 15 III.2. 3 3 O L G Hamburg 2 2 . 8 . 1995 - 2 U 29/94, NJW-RR 1996, 203 (204). 3 4 BGH 1 9 . 1 1 . 1985 - IVa Z R 145/84, B G H Z 96, 2 6 2 mit Nachweisen zur Gegenmeinung, die den Erbausgleich unterhaltsrechtlich qualifizierte. 30 31

294

§16

Methodische

Möglichkeiten

und

Grenzen

Staatsangehörigkeit anknüpfen müssen. Im folgenden wird aufgeschlüsselt, wie dabei im einzelnen vorzugehen wäre. aa) Regelungslücke,

umgangene

Norm und

Ähnlichkeit

Wie eben festgestellt, ergibt sich die Gesetzeslücke als erste Voraussetzung des Analogieschlusses in Umgehungsfällen nicht aus einem - zufälligen - Fehler des Gesetzgebers, sondern aus einem - in der Regel gezielten - Vorgehen des Umgehers. Sie folgt daraus, daß der Geltungsbereich der umgangenen N o r m nicht so weit geht, wie er nach ihrem Ziel gehen müßte. Umgangene N o r m ist daher die N o r m , die mittels Analogieschluß zur Anwendung gebracht werden muß. Im Sachrecht läßt sich die umgangene N o r m in der Regel einfach feststellen, so ist im obigen Beispiel § 465 BGB (früher § 506 BGB) umgangen; in anderen Beispielsfällen § § 4 6 3 , 3 1 1 b Abs. 1 (früher § § 5 0 4 , 313) oder 394 BGB, u.U. auch Normengefüge wie das Kündigungsschutzrecht. Der Vater im fiktiven Beispielsfall zum IPR hat dagegen keineswegs Art. 25 Abs. 1 EGBGB umgangen; im Gegenteil soll genau diese N o r m zur Anwendung kommen, da sie für ihn zum kanadischen Erbrecht hinführt. Umgangene N o r m ist hier also nicht die betroffene Kollisionsnorm als solche. Das gilt allerdings nicht für alle Fälle der Gesetzesumgehung im IPR. So ist es möglich, eine einseitige Kollisionsnorm oder eine unvollkommen allseitige Kollisionsnorm 3 5 durch Gesetzesumgehung außer Kraft zu setzen oder zu ergehen, indem z.B. ein Ausländer Deutscher wird, um eine Scheidung seiner Ehe über Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGBGB zu ermöglichen. Von praktischem Interesse kann auch eine Umgehung von Sonderanknüpfungen sein, so z.B. des Regelungsbereichs von Art. 29 Abs. 1 EGBGB. Hier verhält es sich wie im Sachrecht: Das umgangene Gesetz wird durch seine Nichtanwendung „ausgehöhlt". Anders ist es im Regelfall der einschränkungslosen, allseitigen Anknüpfung, zu dem auch Art. 25 Abs. 1 EGBGB gehört. Werden solche Normen umgangen, werden sie keineswegs durch die Umgehung „ausgehöhlt". Im Gegenteil kommen sie sowohl zur Anwendung, wenn an die deutsche, als auch, wenn an die kanadische Staatsangehörigkeit angeknüpft wird; eine „Regelungslücke" liegt also allenfalls in bezug auf Staatenlose vor. Im Beispielsfall läßt sich eine Regelungslücke also nur folgendermaßen begründen: Das Gesetz ist lückenhaft, da Art. 25 Abs. 1 EGBGB keine Anknüpfung für den Fall enthält, daß die Staatsangehörigkeit nur zum Zweck der Gesetzesumgehung geändert wird, insbesondere vorübergehend und zur Schädigung eines anderen. Eine Regelungslücke liegt vor, weil gerade dieser Fall vom Geltungsbereich nicht erfaßt ist. Auch die Ähnlichkeit ergibt sich wie in allen Umgehungsfällen bereits aus der Tatsache der Umgehung. Der Gedankengang läßt sich folgendermaßen formulieren: Der Anknüpfung an die deutsche Staatsangehörigkeit ist es 35

Z u diesen N o r m e n t y p e n Junker,

IPR, R d n r n . 107f.; Kegel/Schurig,

IPR, S . 2 5 4 f .

/. Gesetzesumgehung

im kodifizierten

Bereich

295

ähnlich, wenn ein Deutscher vorübergehend und um einen anderen zu schädigen in eine andere Staatsangehörigkeit wechselt. Es ist also die Anknüpfung an die deutsche Staatsangehörigkeit analog anzuwenden. Damit gibt es im Vergleich zur klassischen Analogie und zur analogen Anwendung der umgangenen Norm im Sachrecht folgende Besonderheiten: - Umgangen und analog anzuwenden ist im IPR nicht eine Norm als solche, sondern die Anknüpfung an eine bestimmte Rechtsordnung. - Bei der Wertung, die der Bestimmung der Ähnlichkeit zugrundeliegt, sind im IPR Gesichtspunkte des Individualfalles und der sachrechtlichen Rechtsfolgen der Umgehung maßgeblich. bb) Analogieschluß

und Wertung im IPR

(1) Der Grund für diese Besonderheiten liegt nicht darin, daß Analogien im IPR grundsätzlich anders gebildet würden als im Sachrecht 3 6 . Im Gegenteil bildet gerade der Beispielsfall des nichtehelichen Vaters auch ein Beispiel für einen „klassischen" Analogieschluß im IPR: Die Anwendung von Art. 2 5 Abs. 1 E G B G B auf den Anspruch auf vorzeitigen Erbausgleich. Folgt man der Rechtsprechung des B G H , die den vorzeitigen Erbausgleich erbrechtlich qualifizierte, läßt sich dieser Analogieschluß folgendermaßen wiedergeben: Eine Regelungslücke ist gegeben, weil das E G B G B keine Kollisionsnorm für einen Erbanspruch enthält, der bereits zu Lebzeiten des Erblassers fällig wird. Der Anspruch auf vorzeitigen Erbausgleich ist dem Erbanspruch nach Tod des Erblassers ähnlich. Also kann man die Anknüpfung von Art. 2 5 Abs. 1 E G B G B an die Staatsangehörigkeit zum Todeszeitpunkt entsprechend auf die Anknüpfung des vorzeitigen Erbausgleichs zum Zeitpunkt seiner Geltendmachung anwenden. Der Vergleich macht deutlich, wie sich innerhalb desselben Falles die analoge Anwendung einer Kollisionsnorm und die Korrektur der Anknüpfung bei der Gesetzesumgehung unterscheiden. Im klassischen Analogiefall ist es die gesamte Norm Art. 2 5 Abs. 1 E G B G B , die analog angewandt wird: die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit allgemein. Im Umgehungsfall ist es demgegenüber die Anknüpfung an eine bestimmte Staatsangehörigkeit, die umgangen wird und analog anzuwenden wäre: im Beispielsfall die Anknüpfung an die deutsche Staatsangehörigkeit. In der Literatur ist das Objekt der Umgehung im Kollisionsrecht auf unterschiedliche Weise beschrieben worden, so als „Einzelnorm" 3 7 oder als „Elementkollisionsnorm" 3 8 der betroffenen Kollisionsnorm. 3 6 Zum Analogieschluß im IPR allgemein Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S . 2 8 2 f . Inzwischen von nur noch historischer Bedeutung ist der Hauptfall der Analogie im IPR: die allseitige Interpretation einseitiger Kollisionsnormen, dazu Raape/Sturm, IPR Bd.I, S. 94f. 37 Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB, Rdnr. 137 begründet das damit, die umgangene Norm bestünde aus Einzelnormen, die z.B. regeln: „Wer dem Staat A angehört, wird nach dem Recht A geschieden" usw. 38 Kegel/Schurig, IPR, S . 2 6 6 , 4 2 1 .

296

§16

Methodische

Möglichkeiten

und

Grenzen

Diese Umschreibungen sind mißverständlich, da sie den Eindruck entstehen lassen, umgangen und analog anzuwenden sei eine gesetzliche Norm als solche oder zumindest ein Teil davon. Umgangen ist nicht ein Teil der Kollisionsnorm, sondern ihre Rechtsfolge für den konkreten Fall: die Anknüpfung stimmte Rechtsordnung.

an eine be-

Das gilt auch dann, wenn scheinbar eine ganze Kolli-

sionsnorm umgangen ist wie beispielsweise Art. 2 9 E G B G B . Auch in einem solchen Fall ist Ziel der Umgehung nicht das Vermeiden der Kollisionsnorm, sondern eine bestimmte Sachrechtsordnung soll nicht zur Geltung kommen. Für die „Ergehung" einer Anknüpfung gilt umgekehrt das gleiche: Auch hier wird nicht die Norm ergangen, sondern ihre Anknüpfung an eine bestimmte Rechtsordnung. Schließlich paßt diese Umschreibung auch für die Umgehung bei Alternativanknüpfungen 3 9 . So wird bei einer Auslandsbeurkundung nicht die Anknüpfung an die Geschäftsform umgangen, sondern mittels der Ortsform eine konkrete Anknüpfung. Wenn Deutsche also einen GmbH-Anteil in der Schweiz verkaufen, wird damit nicht die Geschäftsform als solche umgangen, sondern die Anknüpfung an das deutsche Recht, die sich ohne Manipulation ergäbe. (2) Besonderheiten bestehen jedoch nicht nur bei dem Objekt, sondern auch bei den Voraussetzungen

des Analogieschlusses. Bereits im Sachrecht ist der Un-

terschied zwischen Gleichstellung und Analogieschluß deutlich geworden: Die klassische Analogie ist dadurch gekennzeichnet, daß eine Norm gesucht und grundsätzlich zufällig - gefunden wird, deren Tatbestand dem nicht geregelten Lebenssachverhalt ähnlich ist. In Umgehungsfällen ergibt sich dagegen die Regelungslücke aus der Umgehung, die analog anzuwendende Norm steht deswegen von vornherein fest. Die Ähnlichkeit beruht nicht auf Zufall, sondern folgt aus der umgehungsspezifischen Wertung: Das Ziel des umgangenen Gesetzes ist verletzt und die Eingriffsschwelle überschritten, also ist die Norm analog anzuwenden. Dem entspricht der Ansatz im IPR. Allerdings entfernt sich hier die umgehungsspezifische Wertung noch weiter von der Ähnlichkeit des gewöhnlichen Analogieschlusses. Bei der entsprechenden Anwendung von Art. 2 5 Abs. 1 E G B G B auf den vorzeitigen Erbausgleich kommt es tatsächlich auf die Ähnlichkeit der Anknüpfungsgegenstände - Erbfall und vorzeitiger Erbausgleich - an. Bei der umgehungsspezifischen Wertung entscheiden dagegen Gesichtspunkte des Einzelfalles - im Beispielsfall vor allem die Schädigung der Tochter - und der Umgehungszweck. Das kollisionsrechtliche Ziel der Anknüpfung spielt dagegen in Umgehungsfällen eine untergeordnete Rolle. Wie oben erörtert, ergibt sich das aus der besonderen Konstruktion der Gesetzesumgehung im IPR 4 0 .

39 40

Vgl. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S . 2 4 3 f . Dazu oben § 1 5 V.3.b)

I. Gesetzesumgehung

im kodifizierten

Bereich

297

Zusammenfassend ergibt sich für den Gedankengang bei der Gesetzesumgehung im IPR, wenn man ihn in ähnlicher Weise formuliert wie oben 41 für das Sachrecht: - Gleichstellung im IPR: Der Sachverhalt vermeidet den Tatbestand einer Anknüpfung mit einem nicht hinnehmbaren Ergebnis im Einzelfall, also ist die vermiedene Anknüpfung trotzdem anzuwenden. 3. Grenzen der Analogie im IPR Im IPR ist der Unterschied zwischen dem Normalfall der Analogie und dem Analogieschluß in Umgehungsfällen noch größer als im Sachrecht: Sowohl die Feststellung der Gesetzeslücke als auch der Ähnlichkeit erfolgen bei der Gesetzesumgehung nach einem anderen Ansatz. Auch das Objekt weicht ab: Geht es beim Analogieschluß um die entsprechende Anwendung einer Kollisionsnorm, geht es bei der Umgehung um die Anknüpfung an eine bestimmte Rechtsordnung. Es stellen sich daher zwei Fragen: Erstens ist zu klären, ob die Gleichstellung bei Umgehungsfällen im IPR überhaupt noch als Analogieschluß bezeichnet werden kann (dazu a). Zweitens kommen ähnlich wie im Sachrecht auch im IPR praktische Grenzen der Analogie in Betracht. Das gilt vor allem für die Umgehung durch Rechtswahl (dazu b). a) Methodische

Grenzen der

Analogie

Aus der Analyse praktischer Fälle hat sich zweierlei ergeben: Bei Umgehungsfällen ist im IPR ebenso wie im Sachrecht vom Prinzip der Gleichstellung auszugehen: die Gesetzesumgehung ist unwirksam zu machen. Das gedankliche Vorgehen dabei hat allerdings wenig mit dem klassischen Analogieschluß zu tun, wie es ihn auch im IPR gibt. Zur Begründung der Anwendung des umgangenen Gesetzes sind daher unterschiedliche Ansätze denkbar. Römer vertritt eine selbständige „Umgehungsbekämpfung" mit dem Ziel der Gleichstellung, die ohne Bezug auf den Analogieschluß allein auf den „Mißbrauch der Kollisionsnorm" abstellt 42 . aa) Analogie als

Ausgangspunkt

Demgegenüber nimmt Schurig die Analogie als Ausgangspunkt. Er führt im einzelnen aus 43 : Oben § 1 6 I.2.a)cc). Römer, S.85ff., insb. S . 8 8 . 43 Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 4 (Hervorhebungen wie im Original); vgl. auch Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S.245f.; Ders., Gesetzesumgehung, S . 3 9 9 f . , 4 0 4 , 4 0 8 . Ähnlich MünchKomm-Sonnenberger Einl. IPR Rdnr. 701, der ebenfalls von einer besonderen Kollisionsnorm ausgeht, welche die Lücke schließt, darin allerdings eine Auslegung sieht. 41 42

298

§16 Methodische

Möglichkeiten

und

Grenzen

„Durch N i c h t a n w e n d u n g der ergangenen N o r m entsteht d a n n eine Lücke, die durch Neubildung einer (Kollisions-)Norm zu schließen ist. Diese m u ß sich an der umgangenen N o r m orientieren, mit anderen Worten, die letztere wird analog angewandt. [...] D a m i t erweist sich die Umgehungsfrage als ein methodisches Sonderproblem von Analogie und Auslegung, bei dem subjektive Elemente eine besondere Rolle spielen und bei der A b w ä g u n g so den Ausschlag geben k ö n n e n , d a ß der Abwehrmechanismus ausgelöst wird. Insoweit k a n n die Gesetzesumgehung die g e w ö h n l i c h e n ' Grenzen vor allem der Analogie erweitern."

Wie bereits erwähnt, ist dabei die Auslegung vom Bereich der Gesetzesumgehung abzugrenzen. Es verbleibt die Frage, ob m a n trotz der oben erwähnten Abweichungen die Gesetzesumgehung als „Sonderproblem der Analogie" ansehen kann. Sie ist es sicherlich nicht, wenn m a n unter „Sonderproblem" das gleiche versteht wie Unterfall: Auch im IPR ist die Umgehung kein Unterfall der Analogie, sondern im Gegenteil ist die Lösung von Umgehungsfällen möglich, indem man den Analogieschluß modifiziert und an die Besonderheiten des Umgehungsfalles anpaßt. Eine derartige Gleichsetzung ist mit dem Ansatz von Schurig auch nicht gemeint: Ausdrücklich ist von einem „Sonderfall" die Rede, einem Fall also, für den andere Regeln gelten als für den Normalfall der Analogie. Die Besonderheit besteht in der Möglichkeit, die Grenzen der Analogie zu erweitern. Im einzelnen geht Schurig von der Neubildung einer Kollisionsnorm auf der Basis eines Analogieschlusses aus. Für ein solches Vorgehen ist nach seinem Ansatz im IPR vermehrt R a u m , da das System des Kollisionsrechts über eine „größere Offenheit" verfüge als das Sachrecht 4 4 . Die Gründe d a f ü r seien einerseits allgemein, andererseits spezifisch kollisionsrechtlich. Allgemein ergebe sich die Offenheit daraus, d a ß die Rechtsfindung nicht allein durch Subsumtion erfolge, sondern es müßten auch Wertung und allgemeine Grundsätze hereinspielen. Das gelte erst recht für das Kollisionsrecht, da es nicht vollständig kodifiziert sei. Der spezifisch kollisionsrechtliche Grund folge erstens daraus, daß das Kollisionsnormensystem nicht geschlossen und statisch sein könne, solange die evtl. zu berufenden Sachnormsysteme es nicht sind. Zweitens könnten sich auch die tatsächlichen Konstellationen ändern, z.B. durch Veränderung des internationalen Wirtschaftsverkehrs. Daher bestünde im IPR weniger eine Bindung an das gesetzte Recht, sondern mehr das allgemeine Beharrungsinteresse im Interesse des Rechtsverkehrs, das Schurig „kollisionsrechtliches Trägheitsprinzip" nennt 4 5 .

44 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 170ff.; ebenso ders., Gesetzesumgehung, S.399; Kegel/Schurig, IPR, S. 270f. Ähnlich Neuhaus, der zwar Billigkeitsentscheidungen im IPR ablehnt, aber von der Möglichkeit einer „kühnen Auslegung" ausgeht: Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S.278f., 283, s. auch S. 132. Vgl. auch MünchKomm-Sonnenberger Einl. IPR Rdnrn. 701 ff. 45 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 197ff.; s. auch Kegel/Schurig, IPR, S. 125, 271.

I. Gesetzesumgehung

bb) Erweiterte

Grenzen der

im kodifizierten

Bereich

299

Analogie

Diese Ausführungen Schurigs stammen aus dem Jahr 1981. Heute ist das IPR umfassender kodifiziert; vor allem die Reformen von 1986 und 1999 haben zumindest zu einer Teilkodifikation wichtiger Bereiche des Internationalen Schuldrechts geführt 4 6 . Uneingeschränkt zugestimmt werden kann dagegen den Überlegungen Schurigs zu den spezifisch kollisionsrechtlichen Gründen. Ein internationales Kollisionsrecht kann nie ein gleichermaßen geschlossenes System bilden wie ein rein internes Rechtssystem, da es stets in Bezug zu verschiedenen Sachrechtssystemen steht, die unterschiedlichen Rechtskreisen angehören und ihrerseits dem Wandel unterworfen sind. Ein Beispiel bildet das Familienrecht. Das bürgerliche Sachrecht nicht nur der europäischen Zivilrechtsordnungen hat in den letzten 3 0 - 4 0 Jahren grundlegende Änderungen erfahren. Ein Beispiel bildet das Recht der nichtehelichen Kindschaft, dessen Änderung in Deutschland durch das NEhelG von 1969 z.B. die soeben erwähnte Frage der Qualifikation des vorzeitigen Erbausgleichs aufwarf, die mit dem 1998 in Kraft getretenen ErbGleichG wieder hinfällig geworden ist. Bezogen auf die Gesetzesumgehung sind es die Fälle der Umgehung von Ehehindernissen, die es heute kaum mehr gibt. Eine Kollisionsrechtsordnung muß in der Lage sein, nicht nur unterschiedliche Sachrechtssysteme, sondern auch deren Änderungen zu erfassen, sie muß also zwangsläufig flexibler, „offener" sein als eine rein interne Rechtsordnung. Daher läßt es sich im IPR auch leichter als im Sachrecht begründen, die Grenzen der Analogie zu erweitern oder über sie hinauszugehen. Im IPR bestehen also grundsätzlich mehr Möglichkeiten, Voraussetzungen und Folgen des Analogieschlusses an die Besonderheiten des Kollisionsrechts einerseits und der Gesetzesumgehung andererseits anzupassen. Auch im Sachrecht unterscheidet sich, wie erwähnt, die Gleichstellung in Umgehungsfällen bereits im Ansatz von dem klassischen Analogieschluß 47 . Dennoch bildet die analoge Anwendung der umgangenen N o r m für den Regelfall der Gesetzesumgehung eine sachgerechte Lösung. Das liegt daran, daß das Ausgangsproblem vergleichbar ist: Es liegt eine unzureichende Rechts- bzw. Gesetzeslage vor sowie eine N o r m , durch deren Anwendung eine sachgerechte Lösung erreicht werden könnte, deren Tatbestand aber nicht erfüllt ist. Diese Beschreibung erfaßt die Fälle der klassischen Analogie und auch die meisten Fälle der Gesetzesumgehung - wenn auch nicht alle. Die Analogie wird damit aber zu einer Basis für die Lösung von Umgehungsfällen. Das ist bereits im Sachrecht der Fall. Ein Hinausgehen über die Grenzen der Analogie muß im Sachrecht aber in besonderer Weise begründet werden und ist nur unter den Voraussetzungen einer Rechtsfortbildung extra legem möglich, 46 47

Dazu v. Hoffmann, IPR, § 1 Rdnrn. 134ff.; Kegel/Schurig, IPR, S. 184ff. Oben §10 I.; §16 I.2.a).

300

§16 Methodische Möglichkeiten und Grenzen

d.h. z.B. aufgrund der N a t u r der Sache oder zum Schutz eines wichtigen Rechtsguts 4 8 . Im I P R sind die Grenzen der Analogie aufgrund der Offenheit des Systems weicher. Daher k o m m t es bei der Lösung von Umgehungsfällen im IPR auch in geringerem M a ß e auf die Grenzen der Analogie an. Statt dessen ist zu klären, o b die Gleichstellung durch Analogie im Einklang steht mit dem allgemeinen Beharrungsinteresse, dem „kollisionsrechtlichen Trägheitsprinzip". cc) Modifizierte

Analogie

im IPR

Die Voraussetzungen der Analogie sind also zu modifizieren:

Das Vorliegen einer

Gesetzeslücke kann ohnehin nur eine Rolle spielen, soweit zumindest eine Teilkodifikation vorliegt. Auch dann wird man aber die Feststellung einer Gesetzeslücke weniger von einem „ M a n g e l des Systems", sondern eher von einer entsprechenden Wertung abhängig machen, die zu dem Ergebnis einer unzureichenden Gesetzeslage k o m m t . Die Ähnlichkeit beruht schon in sachrechtlichen Umgehungsfällen auf umgehungsspezifischer Wertung. Im IPR m u ß die Wertung auch Elemente einbeziehen, die über die kollisionsrechtlichen Interessen hinausgehen: D a Umgehungen im IPR um des sachrechtlichen Ergebnisses willen erfolgen, wird z.B. berücksichtigt, o b durch das sachrechtliche Ergebnis jemand geschädigt wird 4 9 . Diese modifizierte Analogie ist vorzugswürdig gegenüber dem Ansatz Römers,

Umgehungsfälle durch freie „Gleichstellung" auf der Basis des „ M i ß -

brauchs der Kollisionsnorm" zu lösen. Bereits erwähnt wurde die Problematik des Mißbrauchsbegriffs: Es besteht Verwechselungsgefahr mit dem sachrechtlichen Begriff des Rechtsmißbrauchs und auch darüber hinaus Unsicherheit, da der Begriff im einzelnen ungeklärt ist. Darüber hinaus setzt ein Rechtsmißbrauch stets eine entsprechende Absicht voraus und außerdem eine negative Gesamtbewertung. Für die Lösung von Umgehungsfällen wird er durch diese Einschränkungen sehr inflexibel. Darüber hinaus bietet der Analogieschluß als Ausgangspunkt den Vorteil einer sinnvollen Einschränkung des Umgehungsarguments im I P R 5 0 . Auch wenn die Voraussetzungen der Analogie modifiziert werden, bleibt diese ein Instrument zur Füllung von Gesetzeslücken. Die ungenügende Gesetzeslage, die die Umgehung ermöglicht, m u ß daher auch im IPR planwidrig

sein. D a r a n fehlt es vor allem,

wenn die Gesetzesumgehung eine Kollisionsnorm mit speziellem Regelungsbereich betrifft, die nur eingeschränkt analogiefähig ist. So läßt es sich nicht mit Analogie begründen, wenn z. B. im Z u s a m m e n h a n g mit den Gran-Canaria-Fällen eine übermäßige Ausweitung von Art. 2 9 E G B G B vertreten worden ist 5 1 . 48 49 so 51

Dazu oben § 11 II. Dazu oben § 1 5 III.2. Z u r Notwendigkeit der Einschränkung oben § 15 V.3. Dazu oben § 1 3 II.2.b).

I. Gesetzesumgehung

im kodifizierten

Bereich

301

Auch im IPR bildet also die analoge Anwendung der umgangenen Norm - genauer der Anknüpfung - die Basis für die Lösung von Umgehungsfällen. O b man diesen Ansatz mit Schurig Sonderfall der Analogie nennt, modifizierte Analogie oder Entwicklung einer besonderen Kollisionsnorm auf der Basis von Auslegung und Analogie 5 2 , spielt im Ergebnis keine Rolle: Jedenfalls liegt kein Unterfall der klassischen Analogie vor. Daher gilt im IPR wie im Sachrecht, daß sich auch mit der modifizierten Analogie nicht alle Umgehungsfälle erfassen lassen. Einen Sonderfall bildet vor allem die Umgehung durch Rechtswahl, die im folgenden erörtert wird. Schließlich ist auch in den nicht kodifizierten Bereichen des IPR wenig Platz für Analogie; der Umgehungsbegriff hat dort eine andere Funktion.

b) Gesetzesumgehung

durch

Rechtswahl

Bei den Untersuchungen zum Sachrecht hatten sich einige Fallgruppen herausgebildet, für die die Gleichstellung durch analoge Anwendung der umgangenen Norm nicht zu einem sachgerechten oder eindeutigen Ergebnis führt 5 3 . Auch wenn das IPR bei der Gleichstellung noch weniger der herkömmlichen Analogie gleicht als das Sachrecht, sind solche Fälle hier seltener. Dafür gibt es mehrere Gründe. Wie oben erwähnt, sind die Grenzen der Analogie im IPR weicher; es ist also eher eine Modifikation des Analogieschlusses möglich, ohne daß die Grenzen zur Rechtsfortbildung überschritten sind. Außerdem sind Kollisionsnormen weniger vielgestaltig als Sachnormen. Da ihr Gegenstand regelmäßig die Zuweisung einer bestimmten Rechtsordnung ist, gibt es keine so unterschiedlichen Fälle wie die Umgehung von Verbotsgesetzen, Schutzgesetzen oder Genehmigungspflichten. Im IPR werden immer Anknüpfungen umgangen: die Anknüpfung an das deutsche Eherecht, das dänische Bürgschaftsrecht, das französische Erbrecht etc. Die Gleichstellung durch Analogie wird damit einfacher. Daher bildet auch ein Sonderfall die Ausnahme: Bei Gesetzesumgehung durch Rechtswahl kann die analoge Anwendung der umgangenen Anknüpfung unmöglich sein. Wie oben erwähnt 5 4 , gibt das E G B G B mehrfach den Parteien die Möglichkeit der Rechtswahl - Hauptbeispiel ist die Rechtswahl für Schuldverträge, Art. 2 7 E G B G B . Nach heute wohl herrschender Meinung besteht grundsätzlich die Möglichkeit einer unwirksamen Rechtswahl; die Literatur beschränkt diese Möglichkeit auf Sonderfälle, während die Rechtsprechung in den Gran-CanariaFällen die Eingriffsschwelle tiefer rückte. Auch solche unwirksamen Rechtswahlvereinbarungen können Gesetzesumgehungen sein: Die Rechtswahl ist ebenso wie objektive Anknüpfungen ein Anknüpfungsmerkmal, das manipuliert

52 53 54

So MünchKomm-Sonnenberger Einl. IPR Rdnr. 7 0 1 . Dazu oben § 10 II. und zusammenfassend § 12 V. Oben § 1 3 II.2.

302

§16

Methodische

Möglichkeiten

und

Grenzen

werden kann. Auch die Wertungskriterien entsprechen bei der Gesetzesumgehung durch Rechtswahl der Gesetzesumgehung durch Manipulation objektiver Anknüpfungskriterien. Als Beispiel kann ein fiktiver Gran-Canaria-Fall dienen, der eine Konstellation hat, bei der wohl auch die Literatur von einer unwirksamen Rechtswahl ausgehen würde: Ein deutscher Verkäufer veranstaltet Verkaufsveranstaltungen für deutsche Touristen in einem Land, in dem für derartige Geschäfte kein Widerrufsrecht gilt. Er spiegelt ihnen die Geltung deutschen Rechts vor, läßt sie aber Formularkaufverträge unterschreiben, in denen Ortsrecht vereinbart wird. Es stellt sich die Frage, welche Norm in diesem Fall umgangen ist und analog anzuwenden wäre. Wie oben erwähnt, wird vereinzelt Art. 29 EGBGB entsprechend herangezogen. Die ganz überwiegende Meinung lehnt das aber zu Recht ab, da der Katalog in Art. 29 Abs. 1 EGBGB abschließend und nicht analogiefähig ist 55 . Als umgangene Anknüpfung kann daher nur Art. 27 Abs. 3 EGBGB angesehen werden: Indem die Verkaufsverhandlungen im Ausland stattfanden, umging der Verkäufer eine Verbindung des Sachverhalts mit Deutschland und damit die Anknüpfung des Art. 27 Abs. 3 EGBGB an das deutsche Recht 56 . Diese Anknüpfung wäre mithin analog anzuwenden. Eine „Regelungslücke" kann mit der Umgehung begründen werden. Schwieriger ist es dagegen, den Geltungsanspruch - die „Ähnlichkeit" - Art. 27 Abs. 3 EGBGB darzulegen: Sie müßte mit der Ubertölpelung begründet werden, obwohl Art. 27 Abs. 3 EGBGB subjektive Vorstellungen gerade ausklammern will. Auch diese Analogie wird aber unmöglich, wenn man den Beispielsfall nur geringfügig variiert: An der Verkaufsveranstaltung hat auch ein Österreicher teilgenommen, der gleichfalls nicht an den Vertrag gebunden sein möchte und in Deutschland klagt. Österreich sieht in § 3 Abs. 2 des Konsumentenschutzgesetzes von 1979 ein ähnliches Widerrufsrecht für Werbeveranstaltungen vor wie Deutschland 57 - aber welche Kollisionsnorm ist umgangen? Art.27 Abs. 3 EGBGB kann hier nicht eingreifen, da der Sachverhalt auch unabhängig von der Rechtswahl und dem Vertragsort nicht allein mit einem Staat verbunden ist. Es ist keine Anknüpfung an deutsches oder österreichisches Recht ersichtlich, die umgangen ist und analog anzuwenden wäre. Die objektive Anknüpfung gemäß Art. 28 EGBGB kann nicht durch Rechtswahl umgangen werden, da sie gegenüber der Rechtswahl gerade subsidiär ist. Es läßt sich also keine umgangene Norm finden, die analog anzuwenden wäre. Zwar ist es grundsätzlich in Rechtswahlfällen möglich, als umgangen solche Normen anzusehen, die die Rechtswahl einschränken. Eine umgangene Anknüp55 56 57

O b e n § 13 II.2.b)bb). So v. Hoff mann, IPR, § 6 Rdnr. 131. Dazu Koziol, Grundriss des bürgerlichen Rechts, Bd. I, S. 114.

I. Gesetzesumgehung im kodifizierten

Bereich

303

fung läßt sich jedoch nur dann feststellen, wenn diese N o r m eine objektive Anknüpfung vorsieht, die den Umgehungsfall erfaßt. Wie soeben gesehen, ist das bei der praktisch wichtigsten N o r m Art. 2 7 Abs. 3 E G B G B schon dann nicht der Fall, wenn keine alleinige Verbindung des Sachverhalts mit einem Staat vorliegt. Diese Besonderheit ergibt sich aus der Systematik der Artt. 2 7 , 2 8 E G B G B , nach denen die Rechtswahl die Regel sein soll, ihre Einschränkung und die objektive Anknüpfung die Ausnahme. Im Sonderfall der Gesetzesumgehung durch Rechtswahl hilft die analoge Anwendung der umgangenen N o r m also nicht weiter. Das Ziel, die Umgehung unwirksam zu machen, läßt sich - ähnlich wie in den sachrechtlichen Genehmigungsfällen - nur erreichen, wenn man das Umgehungsgeschäft für nichtig erklärt, die Rechtswahlvereinbarung also für unwirksam. Der Sachverhalt ist dann objektiv anzuknüpfen. Im Beispielsfall gilt also Art. 2 8 Abs. 1, 2 E G B G B : Es k o m m t darauf an, w o der Verkäufer - der die charakteristische Leistung zu erbringen hat - seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Hauptniederlassung hat.

c) Methodik

jenseits der Grenzen

der

Analogie

Für Umgehungsfälle im I P R , die nicht mit Hilfe der Analogie gelöst werden können, stellt sich die Frage, wie die Wertung mit einem sinnvollen Ergebnis methodisch umzusetzen ist. Vor dem Hintergrund der Gran-Canaria-Fälle ist die Ansicht vertreten worden, die Gesetzesumgehung sei „in F o r m der Einrede des Rechtsmißbrauchs (exceptio doli praeteriti) zu e r ö r t e r n " 5 8 . Diese exceptio doli praeteriti wird in der Literatur vereinzelt als Lösungsmöglichkeit für den Fall angesehen, daß eine Gesetzesumgehung im IPR weder durch Auslegung der betroffenen Kollisionsnorm noch mit Hilfe des ordre public unwirksam zu machen ist 5 9 . Sie beruhe auf dem allgemeinen Verbot arglistigen, rechtlich mißbilligten Verhaltens und könne als allerletzte Auffanglinie für Ausnahmefälle der Umgehung gelten. Eine ähnliche Mißbrauchseinrede wird auch in den bereits erwähnten Fällen erwogen, in denen eine gestohlene Sache zum Z w e c k des erleichterten Gutglaubenserwerbs ins Ausland - vor allem nach Italien - gebracht wird 6 0 . Ihre genauen Grenzen bleiben indes unscharf: Sieht man in ihr eine Einrede 6 1 , wäre sie nur dann zu beachten, wenn sich der Betroffene im Prozeß auf sie beruft - eine Umgehungsfällen sonst fremde Einschränkung. Unklar bleibt auch, o b die exceptio doli praeteriti der Berufung auf die Anwendbarkeit des „erschlichenen" Rechts

58 59 60

61

Coester-Waltjen, Der Eskimo-Mantel aus Spanien, S.316. MünchKomm-Sonnenherger, Einl. IPR, Rdnrn. 697, 703. Staudinger-Stoll, Int SachenR, Rdnr.261; zu dieser Fallgruppe oben § 15 II.2. So Coester-Waltjen, Der Eskimo-Mantel aus Spanien, S . 3 1 6 .

304

§16

Methodische

Möglichkeiten

und

Grenzen

entgegenstehen soll oder ob sie im Rahmen des ordre public zu beachten sein soll 6 2 . Hinzu kommt, daß - wie bereits erwähnt - der Begriff des Rechtsmißbrauchs im IPR kaum definiert ist. Das gewohnheitsrechtliche Institut des Rechtsmißbrauchs aus dem Sachrecht läßt sich auf das Kollisionsrecht nicht übertragen, weil sich daraus keine Rechtspositionen ergeben, die mißbraucht werden könnten 6 3 . Für Umgehungsfälle im IPR wird der Begriff „Mißbrauch" eher benutzt, um eine negative Gesamtbewertung des Verhaltens des Umgehers zum Ausdruck zu bringen; ein fester Rechtsbegriff liegt darin nicht. Im Gegenteil birgt ein derartiges Vorgehen die Gefahr, aus der Wertung auch gleich die methodische Begründung abzuleiten und damit die gebotene Zurückhaltung bei Umgehungsfällen im IPR zu verlassen. Es ist auch nicht erforderlich, im IPR ein eigenes Rechtsinstitut für Umgehungsfälle zu entwickeln. Ebenso wie im Sachrecht besteht auch hier die Möglichkeit der Rechtsfortbildung extra legem, wenn eine Analogie nicht möglich ist. Für den Sonderfall der Gesetzesumgehung durch Rechtswahl läßt sich die Rechtsfortbildung mit der Natur der Sache begründen, da die Nichtigkeit des Vertrages für die Fallösung sachgerecht und eine Analogie nicht möglich ist. Ferner kann je nach konkretem Fall der Verbraucherschutz oder andere wichtige Gemeinschaftsgüter eine Rolle spielen. Insgesamt hat die Rechtsfortbildung bei Umgehungsfällen im IPR eine geringere praktische Bedeutung als im Sachrecht, da - wie erwähnt - die Grenzen der Analogie weniger eng sind.

II. Gesetzesumgehung

im nicht kodifizierten

Bereich

1. Gewohnheitsrecht und Analogie In dem 1 9 7 7 erschienenen Lehrbuch von Raape/Sturm findet sich die Aussage, Quellen des IPR seien Gesetz und Gewohnheitsrecht 6 4 . Aus heutiger Sicht muß das eingeschränkt werden: Durch die Reformen und 1 9 8 6 und 1999 sowie verschiedene Staatsverträge ist mittlerweile ein wesentlicher Teil des IPR gesetzlich kodifiziert. Weiterhin ungeregelt sind allerdings zwei wichtige Gebiete des Kollisionsrechts: Das Recht der Stellvertretung und insbesondere das Recht der juristischen Person, das Internationale Gesellschaftsrecht 65 . In diesen Rechtsgebieten gelten Kollisionsregeln, die auf Richterrecht beruhen und von denen einige den Status des Gewohnheitsrechts erreicht haben 6 6 . Der So MünchKomm-Sonnenherger, Einl. IPR, Rdnrn. 703 einerseits, 6 9 7 andererseits. ' Dazu oben § 14 II. 64 Raape/Sturm, IPR Bd.I, S . 4 3 . 65 Kegel/Schurig, IPR, S . 1 8 6 ; v. Hoffmann, IPR, § 1 Rdnrn. 44, 138. 6 6 Zum Unterschied zwischen Richterrecht und Gewohnheitsrecht v. Hoffmann, IPR, § 1 62 6

II. Gesetzesumgehung

im nicht kodifizierten

Bereich

305

Geltungsgrund von richterrechtlichen Normen ist rechtstheoretisch streitig; einige gehen von einer faktischen, andere von einer rechtlichen Bindungswirkung aus 6 7 . Auf den Geltungsgrund kommt es im einzelnen jedoch nicht an, da Einigkeit darüber besteht, daß derartige Normen gelten, gelten müssen und nicht beliebig abänderbar sind. Auch richterrechtliche und gewohnheitsrechtliche Normen können umgangen werden. Wie im Sachrecht ist auch im IPR nicht Voraussetzung einer Gesetzesumgehung, daß es sich bei der umgangenen Norm um geschriebenes Recht handelt. Allerdings werden solche Umgehungen eher selten sein, da gewohnheitsrechtliche Normen in Ermangelung eines präzisen Wortlauts weniger umgehungsanfällig sind 68 . Dementsprechend gibt es in der Praxis auch kaum Beispiele für Umgehungen kollisionsrechtlichen Gewohnheitsrechts. Es kommen eher Fälle in Betracht, bei denen der Schwerpunkt auf der „Ergehung" liegt wie dem schon mehrfach erwähnten „Geldwäschefall" des B G H aus dem Jahr 1 9 8 0 , in dem eine damals noch gewohnheitsrechtliche insolvenzrechtliche Anknüpfung ergangen worden war 6 9 . Weitere Beispiele lassen sich vor allem zu der bis 1 9 9 9 geltenden richterrechtlichen Sitztheorie zur Bestimmung des Gesellschaftsstatuts finden. So hielt es Römer für eine Umgehung der Sitztheorie, wenn eine Gesellschaft ihren Verwaltungssitz nachträglich oder bei der Gründung ins Ausland verlegt, obwohl alles dafür spricht, ihn im Inland zu führen 7 0 . In diesem Fall sollte das Verkehrsinteresse an der Berücksichtigung des Verwaltungssitzes nicht gegeben sein. Für die Eingriffsschwelle kämen dieselben Kriterien wie bei der Umgehung geschriebenen Rechts in Betracht; im Beispielsfall vor allem Schädigungsabsicht. Ganz neue Fragen stellen sich dem Internationalen Gesellschaftsrecht jedoch, seit die Sitztheorie in der Praxis weitgehend irrelevant geworden ist.

2. Insbesondere: Sitztheorie und Gesetzesumgehung im Internationalen Gesellschaftsrecht Im geschriebenen deutschen Kollisionsrecht ist es wichtiges gesetzgeberisches Ziel, eine Kollisionsnorm „umgehungsfest" zu gestalten. Darin werden die Vorteile der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit anstelle des Domizilprinzips sowie unwandelbarer Anknüpfungen gesehen; darin liegt auch der Grund für die geringe Bedeutung, die das deutsche Internationale Schuldrecht dem Ort der GeRdnrn. 45 ff. Zu der Aufgabe des Richters beim Füllen derartiger Gesetzeslücken Wolff, Das Internationale Privatrecht Deutschlands, S. 34. 6 7 Dazu Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 198f. m.w.N. 68 Römer, S. 29. 6 9 BGH 5 . 1 1 . 1980 - V I I I Z R 230/79, B G H Z 78, 318 = IPRax 1 9 8 1 , 1 3 0 = N J W 1981, 5 2 2 . Zu Sachverhalt und Entscheidung s.o. § 15 Il.l.a). 70 Römer, S. 118 ff.; Beispiel S. 124. Zur Sitztheorie gleich unten § 16 II.2.

306

§16

Methodische

Möglichkeiten

und

Grenzen

schäftsvornahme zubilligt 71 . Im nicht kodifizierten Bereich des Internationalen Gesellschaftsrechts erfüllte die Sitztheorie diese Aufgabe. Nach der Sitztheorie wurde traditionell und bis 1999 ganz überwiegend das Gesellschaftsstatut, das Personalstatut einer juristischen Person, bestimmt 72 . a) Sitztheorie als „umgehungsfeste"

Anknüpfung

Art. 7 Abs. 2 EGBGB regelt nur die Anknüpfung der Voraussetzungen für die Rechts- und Geschäftsfähigkeit natürlicher Personen. Demgegenüber fehlt eine geschriebene Regelung für die Anknüpfung der Vorschriften, nach denen eine juristische Person gegründet wird, existiert oder untergeht. Grundsätzlich gibt es für die Anknüpfung zwei Möglichkeiten: Man kann auf das Recht des Staates abstellen, in dem die Gesellschaft gegründet ist (Gründungstheorie) oder auf das Recht des Staates, in dem die (Haupt-) Verwaltung ihren Sitz hat (Sitztheorie). Vermittelnde Ansichten wie die Uberlagerungs- und Kombinationstheorie haben nur wenige Anhänger gefunden 73 . Die Sitztheorie ist eine Schutztheorie: Der Verkehrsschutz im Sitzland wird höher bewertet als die Privatautonomie der Gründer, die für ihre Gesellschaft maßgebliche Rechtsordnung zu wählen 74 . Insbesondere in der Rechtsprechung ist die Sitztheorie eng mit dem Gedanken der Gesetzesumgehung verbunden: Es wurde als Umgehung deutscher Gründungs- und Gläubigerschutzvorschriften angesehen, wenn eine Gesellschaft, die ihre wesentlichen Aktivitäten im Inland entfaltet, durch bloße Gründung in einem anderen Staat dessen Vorschriften unterworfen werden kann. Hinzu kommt, daß die Gründer in diesen Fällen oft besonders regelungsarme Rechtsordnungen wählen 75 . Dementsprechend wandte bereits das Reichsgericht in einer Entscheidung von 1916 auf eine sog. Gothaische Gewerkschaft das Recht 71 So bereits Wolff, Das Internationale Privatrecht Deutschlands, S.47; Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB, Rdnr. 143; Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 7 ; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 132, 149f. zum Domizilprinzip. Der V o r n a h m e o r t k a n n lediglich für die Form des Rechtsgeschäfts maßgeblich sein, Art. 11 Abs. 1, 2. Alt EGBGB. 72 Z u m Geltungsbereich der Sitztheorie Kegel/Schurig, IPR, S. 5 0 5 f f . ; Staudinger-Großfeld, Internationales Gesellschaftsrecht, R d n r n . 84ff. Die Sitztheorie liegt auch Art. 5 des Brüsseler Ü b e r e i n k o m m e n s über die gegenseitige A n e r k e n n u n g von Gesellschaften und juristischen Personen zugrunde. Dieses A b k o m m e n w u r d e in Deutschland ratifiziert, ist aber wegen ausstehender Ratifikation durch die Niederlande nicht in K r a f t getreten. 73 Z u diesen Auffassungen und den Bedenken dagegen Kegel/Schurig, IPR, S. 502f.; Staudinger-Großfeld, Internationales Gesellschaftsrecht, R d n r n . 3 4 f f . Z u r Überlagerungstheorie grundlegend Sandrock RabelsZ 4 2 (1978), 2 2 7 . 74 Staudinger-Großfeld, Internationales Gesellschaftsrecht, R d n r n . 3 8 ff.; v. Hoffmann, IPR, § 7 R d n r . 2 4 ; Kegel/Schurig, IPR, S.502Í.; M ü n c h K o m m - Kindler IntGesR Rdnr. 3 1 3 . 75 Dazu Staudinger-Großfeld, Internationales Gesellschaftsrecht, Rdnr. 56. In den USA, w o wie in England die G r ü n d u n g s t h e o r i e gilt, gibt es deswegen einen hohen Anteil an Gesellschaften, die in D e l a w a r e gegründet sind, dazu O L G Düsseldorf 1 5 . 1 2 . 1994 - 6 U 59/94, N J W - R R 1995, 1124 = DB 1995, 1021 = IPRax 1996, 128 (zu Sachverhalt und Entscheidung oben § 15 III.3.a).

II. Gesetzesumgehung

im nicht kodifizierten

Bereich

307

des tatsächlichen Sitzes an, da eine „offenbare Umgehung des Gesetzes" nicht geduldet werden könne 7 6 . Bis 2 0 0 2 finden sich ähnliche Formulierungen in Gerichtsentscheidungen 77 . Auch in der Literatur war die Sitztheorie eng mit der Gesetzesumgehung verbunden. So wird sie als „umgehungsfest" bezeichnet 78 oder es wird festgestellt, sie mache „den Rückgriff auf das Institut der Gesetzesumgehung überflüssig" 79 . Nach Kindler verhindert die Sitzanknüpfung, daß „laxere ausländische Regeln inländische gesellschaftsrechtliche Statuten unterlaufen können" 8 0 . Demgegenüber soll die Gründungstheorie einen Anreiz bieten, unangenehme inländische Regeln zu umgehen 81 . In der Praxis wirkt sich die Sitztheorie dahingehend aus, daß eine Gesellschaft, sobald sie im Inland ihren Sitz hat, auch den Vorschriften des inländischen Gesellschaftsrechts unterliegt, damit beispielsweise als englische limited nicht partei- und prozeßfähig ist. Wenn der Gründungsstaat ein Mitgliedsland der Europäischen Union ist, ergibt sich daraus ein Spannungsverhältnis zu den europäischen Grundfreiheiten, vor allem der Niederlassungsfreiheit nach Artt. 4 3 , 4 8 EG-Vertrag. Zu diesem Spannungsverhältnis ergingen in den Jahren 1 9 9 9 - 2 0 0 3 mehrere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs; für die wichtigsten stehen die Stichworte „Centros", „Überseering" und „Inspire Art". Obwohl der EuGH in keiner dieser Entscheidungen die Sitztheorie als solche für europarechtswidrig erklärte, wurde sie doch in ihren Auswirkungen so weitgehend eingeschränkt, daß spätestens seit der Entscheidung Inspire Art kaum mehr Raum für ihre Anwendung besteht.

76 R G 2 2 . 1 . 1916 - Rep. V. 293/15, R G Z 88, 53 (54f.) zu den „Gothaischen Gewerkschaf; ten" bereits oben § 2 IV.l.b). 7 7 Z.B. stellte das O L G Oldenburg 4 . 4 . 1989 - 12 U 13/89, N J W 1 9 9 0 , 1 4 2 2 darauf ab, eine Gesellschaft wolle inländische GmbH-Vorschriften umgehen. Hintergrund war die Gründung einer Non Resident Limited Company nach britischem Recht mit effektivem Verwaltungssitz im Inland; ähnlich noch die später aufgehobene Entscheidung des LG Frankenthal 6 . 1 2 . 2 0 0 2 1 HK.T 9/02, BB 2 0 0 3 , 542 = JuS 2 0 0 3 , 616 ( H o h l o c h ) zur Gründung einer limited in England, die dort allerdings keinen effektiven Sitz hatte. Das AG Hamburg 3 1 . 7 . 1 9 6 4 - 66 AR 1183/63, M D R 1964, 1009 meinte zur Gründung einer deutschen GmbH durch ein liechtensteinisches Treuunternehmen, die Handlungen dieses gesellschaftsrechtlichen „Gebildes" umgingen das deutsche Recht und das LG Marburg 2 7 . 8 . 1 9 9 2 - 1 O 115/92, NJW-RR 1 9 9 3 , 2 2 2 (223) äußerte zu einer Gesellschaft nach dem Recht von Gibraltar, durch die Sitztheorie werde die Umgehung der deutschen Gründungsvorschriften vermieden. 78 Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 7 . 79 V. Hoffmann, IPR, § 7 Rdnr.24. 8 0 MünchKomm-K/Wfer IntGesR Rdnr.314; s. auch Rdnrn. 8f. 81 Ausführlich Ebenroth, Konzernkollisionsrecht im Wandel außenwirtschaftlicher Ziele; dazu auch Großfeld/Jasper RabelsZ 53 (1989), 52 (53ff.).

308 b) Entwicklung

§16

der

Methodische

Möglichkeiten

und

Grenzen

Rechtsprechung

aa) Der ersten Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 1 9 9 9 - „Centros" - lag folgender Sachverhalt zugrunde 82 : Zwei dänische Staatsangehörige, die Eheleute Bryde, gründeten nach englischem Recht die Centros Ltd. mit Satzungssitz in England und einem Kapital von 100 £. Die Gesellschaft entfaltete in England keinerlei Geschäftstätigkeit, sondern unterhielt lediglich bei einem Freund in London eine Postadresse. Der gesamte Geschäftsablauf sollte von einer dänischen Zweigniederlassung aus betrieben werden. Sinn dieser Konstruktion war es, die dänischen Mindestkapitalanforderungen von 2 0 0 . 0 0 0 Kronen (etwa 2 5 . 0 0 0 € ) zu umgehen. Die dänische Registerbehörde verweigerte die Zustimmung mit der Begründung, daß es sich wegen der beabsichtigten Umgehung der Einzahlung des Mindestkapitals um Rechtsmißbrauch handele. Das dänische Hojesteret legte dem EuGH die Frage vor, ob die Verweigerung der Eintragung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Dieser beantwortete die Vorlagefrage dahingehend, es sei ein Verstoß gegen Artt. 5 2 und 58 EG-Vertrag (a.F., jetzt Artt. 4 3 , 48) gegeben, wenn ein Mitgliedsstaat die Eintragung der Zweigniederlassung einer Gesellschaft verweigere, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat habe. Es liege noch keine mißbräuchliche Auswirkung des Niederlassungsrechts darin, wenn eine Gesellschaft in einem Mitgliedsstaat gegründet würde, dessen gesellschaftsrechtliche Vorschriften die größte Freiheit ließen und in anderen Mitgliedsstaaten Zweigniederlassungen gegründet würden 8 3 . In der Literatur wurden die Auswirkungen der Entscheidung auf die Sitztheorie unterschiedlich beurteilt 84 . Die deutschen Gerichte zeigten sich zunächst geneigt, an der Sitztheorie festzuhalten 85 . EuGH 9 . 3 . 1 9 9 9 - Rs. C-212/97, ZIP 1999, 4 3 8 = IPRax 1999, 3 6 0 = NJW 1999, 2 0 2 7 . EuGH 9 . 3 . 1999 - Rs C-212/97, ZIP 1999, 4 3 8 = IPRax 1999, 3 6 0 = NJW 1999, 2 0 2 7 , Nrn. 21, 27. 84 Zimmer BB 2 0 0 3 , 1 ( l f . ) merkt an, daß man zweifeln konnte, ob die Verfasser dasselbe Urteil besprachen. Nach wohl überwiegender Ansicht machte die Centros-Entscheidung eine Kehrtwende innerhalb der EU von der Sitztheorie hin zur Gründungstheorie erforderlich, was aus Gründen des Verkehrsschutzes bedauert wurde, aber auch als Anreiz zur Harmonisierung des Gesellschaftsrechts begrüßt; so Behrens IPRax 1999, 323; Ders. IPRax 2 0 0 0 , 3 8 4 (385); Cascante RIW 1999, 4 5 0 ; Forsthoff DB 2 0 0 0 , 1109; Freitag EuZW 1999, 268; Meilicke DB 1999, 627; Neye EWiR Art. 53 EGV 1/99, 2 5 9 ; Puszkajler IPRax 2 0 0 0 , 79; Roth ZIP 1999, 861; Sedemund/Hausmann BB 1999, 810; Ulmer J Z 1999, 662; mit Einschränkung Steindorff J Z 1999, 1140. Nicht wenige waren aber auch der Ansicht, es könne zumindest in denjenigen Ländern, in denen die Sitztheorie gilt, an dieser festgehalten werden; so Ebke J Z 1999, 656; Ders. J Z 2 0 0 0 , 2 0 3 ; Görk GmbHR 1999, 793; Palandt-Heldrich (61. Aufl.) Anh. zu Art. 12 EGBGB Rdnr. 2; Erman-Hohloch Art. 3 7 EGBGB Nr. 25 a; Kindler N J W 1 9 9 9 , 1 9 9 3 ; Masch J Z 2 0 0 0 , 2 0 1 ; Timme/Hülk JuS 1999, 1055; Sonnenberger/Großerichter RIW 1999, 721; wobei Bungert DB 1999, 1841 und ähnlich Zimmer BB 2 0 0 0 , 1361 zunehmende Schwierigkeiten bei der Anwendung der Sitztheorie sehen und Borges RIW 2 0 0 0 , 167 (176) die Notwendigkeit ihrer Modifikation. Auch die Vertreter der Überlagerungstheorie sehen sich durch die CentrosEntscheidung bestätigt: Sandrock BB 1999, 1337 „Etappensieg für die Überlagerungstheorie"; ebenso Höfling DB 1999, 1206. 82 83

II. Gesetzesumgehung

im nicht kodifizierten

Bereich

309

bb) Eine Wende brachte eine Vorlage des B G H an den E u G H vom M ä r z 2 0 0 0 : der Fall Überseering 8 6 . Dieser Fall gründete auf eine Auswirkung der Sitztheorie, die auch unter deren Anhängern umstritten w a r 8 7 . Die Überseering, eine in den Niederlanden gegründete Besloten Vennootschap (BV), machte gegen eine deutsche G m b H Gewährleistungsansprüche in H ö h e von mehr als einer Millionen D M geltend. Das O L G Düsseldorf wies die Klage als unzulässig ab: Die Anteile der Überseering waren von zwei Deutschen erworben wurden und die Gesellschaft hatte ihren tatsächlichen Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt. N a c h der Sitztheorie sei also deutsches Recht anzuwenden. D a n a c h sei die Gesellschaft nicht rechts- und parteifähig, könne also ihre Ansprüche nicht durchsetzen. Der E u G H reagierte darauf verständnislos: Es verstoße gegen Artt. 4 3 und 4 8 EG-Vertrag, wenn eine Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz von einem Mitgliedsstaat in einen anderen verlegt habe, zu einer Neugründung gezwungen sei, um dort ihre Ansprüche gerichtlich durchzusetzen 8 8 . Der Siebte Senat des B G H sah sich daran gebunden: N a c h seinem Urteil vom 1 3 . M ä r z 2 0 0 3 ist die Rechts- und Parteifähigkeit einer Gesellschaft, die unter dem Schutz der Niederlassungsfreiheit steht, der Rechtsordnung des Staates zu unterstellen, in dem sie gegründet wurde 8 9 . Die Überseering kann nach dem Urteil des B G H ihre Ansprüche als niederländische B V verfolgen. Der Siebte Senat lehnte damit ausdrücklich einen Weg ab,

8 5 Noch nach Überseering LG Frankenthal 6.12. 2002 - 1 HK.T 9/02, BB 2003, 542 m. Anm. Leible/Hoffmann = JuS 2003, 616 (Hohloch); später aufgehoben durch OLG Zweibrükken 2 6 . 3 . 2003 - 3 W 21/03, 864; nach Centros BayObLG 2 0 . 2 . 2002 - 3Z BR 380/01, ZIP 2002, 1400 = EWiR § 4 GmbHG 1/03, 927 (Borges); OLG Düsseldorf 2 6 . 3 . 2001 - 3 Wx 88/ 01, N J W 2 0 0 1 , 2184; OLG Hamm 1.2. 2001 - 15 W 390/00, BB 2001, 744; OLG Zweibrükken, 2 0 . 1 0 . 2 0 0 0 - 3 W 171/00, NJW-RR 2 0 0 1 , 341; OLG Brandenburg 31.5. 2000 - 14 U 144/99, ZIP 2 0 0 0 , 1 6 1 5 ; LG Potsdam 3 0 . 9 . 1999 - 31 O 134/98, RIW 2 0 0 0 , 1 4 5 ; s. auch Leible/Hoffmann ZIP 2003, 925 (926f.); noch vor Centros OLG Düsseldorf 10.9. 1998 - 5 U 1/98, J Z 2 0 0 0 , 203 m. Anm. Ebke; demgegenüber für einen Spezialfall der Gründungstheorie zuneigend OLG Frankfurt/Main 2 3 . 6 . 1 9 9 9 - 2 2 U 219/97, ZIP 1999, 1710; anders auch der ÖsterrOGH 15.7. 1 9 9 9 - 5 Ob 123/99b, J Z 2000, 199 m. Anm. Müsch, der die in § 10 IPRG fixierte Sitztheorie auf Binnenmarktsachverhalte nunmehr nur noch eingeschränkt anwenden wollte. 8 6 BGH 3 0 . 3 . 2000 - VII ZR 370/98, IPRax 2000, S.423; dazu Behrens IPRax 2000, 384 [387f.] ; Forsthoff DB 2000, 1109; Zimmer BB 2 0 0 0 , 1361. Ein weiterer Vorlagebeschluß des Amtsgerichts Heidelberg befaßt sich mit der Verlegung des Satzungssitzes einer Gesellschaft; AG Heidelberg 3.3. 2 0 0 0 - HRB 831-SNH, IPRax 2000, 425 (dazu Behrens IPRax 2 0 0 0 , 384 (388ff.) und Roth ZIP 2 0 0 0 , 1 5 9 7 ) . Diese Vorlage wurde jedoch als unzulässig abgewiesen; dazu Zimmer BB 2 0 0 3 , 1 (3) m.w.N. 8 7 EuGH 5.11. 2 0 0 2 - Rs. C-208/00, IPRax 2 0 0 3 , 65 = NJW 2002, 3614 = BB 2002, 2402; dazu z.B. Paefgen DB 2003, 486; Zimmer BB 2003, 1. S. auch Schlußanträge des Generalanwalts Colomer 4 . 1 2 . 2001 - Rs. C-208/00, DB 2 0 0 1 , 2 6 4 2 (zur Sitztheorie Nrn. 63 ff.); dazu die gegensätzlichen Stellungnahmen „Generalanwalt: Keine Bedenken gegen ,Sitztheorie'", FAZ vom 12.12. 2001, S.25 einerseits und Forsthoff BB 2002, 318 andererseits. 88 EuGH 5 . 1 1 . 2002 - Rs. C-208/00, IPRax 2003, 65 = NJW 2002, 3614 = BB 2002, 2402. 8 9 BGH 13.3. 2003 - V I I Z R 370/98, NJW 2003, 1461 = ZIP 2003, 718 = JuS 2003, 821 (Hohloch) = EWiR Art. 48 1/03,571 (Paefgen); dazu „Verkündet", FAZ vom 19.3. 2003, S. 23.

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Methodische

Möglichkeiten

und

Grenzen

den der Zweite Senat des BGH inzwischen eingeschlagen hatte. N a c h seinem Urteil vom 1. Juli 2 0 0 2 sind ausländische Kapitalgesellschaften, die ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegen, vor deutschen Gerichten zumindest als BGB-Gesellschaft rechts- und parteifähig 9 0 . Eine solche Umqualifikation genüge nicht den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts, weil die ausländische Gesellschaft damit in eine andere Gesellschaftsform mit besonderen Risiken, insbesondere Haftungsrisiken, gedrängt würde 9 1 . Entsprechendes gilt nach einer Entscheidung des Achten Senats des B G H auch für US-amerikanische Gesellschaften, die unter den deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handels-, und Schiffahrtsvertrag vom 2 9 . 1 0 . 1954 fallen 9 2 . Der B G H bejahte die Rechts- und Parteifähigkeit einer nach dem Recht von Florida gegründeten Incorporation unabhängig von ihrem Verwaltungssitz, da Art. X X V Abs. 5 S.2 des Vertrages an das Gründungsrecht anknüpfe. cc) Eine weitere Präzisierung brachte das EuGH-Urteil „Inspire Art" vom 30. September 2003 9 3 . Ihm liegt die Klage der britischen Inspire Art Limited zugrunde, die eine Zweigniederlassung in den Niederlanden betreibt. Die Niederlande sind ein Gründungstheorieland, sehen aber in einem speziellen internen Gesetz einschränkende Regeln für ausländische Gesellschaften vor - vor allem über Firmierung, Stammkapital und H a f t u n g . Werden diese Verpflichtungen nicht erfüllt, führt das als Sanktion zu einer persönlichen H a f t u n g der Geschäftsführer. Der E u G H erklärte die Vorschriften dieses Gesetzes über Mindestkapital und Sanktionen wegen Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit für unwirksam 9 4 . Dabei stellte er ausdrücklich klar, d a ß es für die Anwendung der Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit ohne Bedeutung sei, d a ß Inspire Art nur deshalb in Großbritannien gegründet worden sei, um die Vorschriften des niederländischen Gesellschaftsrechts zu umgehen: Auf die Gründe, aus denen eine Gesellschaft in einem Mitgliedsstaat errichtet sei, k o m m e es nicht an und es liege kein Mißbrauch in dem Streben, in den Genuß vorteilhafterer Rechtsvorschriften zu k o m m e n . Bedenken hinsichtlich des Gläubigerschutzes trat der E u G H mit dem Argument entgegen, die Inspire Art trete als Gesellschaft englischen Rechts und nicht als niederländische Gesellschaft auf. Ihre potentiellen Gläubiger seien also darüber unterrichtet, d a ß sie anderen Rechts- und Haftungsvorschriften unterliege. 90 B G H 1 . 7 . 2 0 0 2 - II Z R 3 8 0 / 0 0 , B G H Z 151, 2 0 4 = N J W 2 0 0 2 , 3 5 3 9 = BB 2 0 0 2 , 2 0 3 1 = JuS 2 0 0 3 , 88 (Hohloch). 91 So bereits vor der Entscheidung des B G H Lutter BB 2 0 0 3 , 7 (9); Hirte, „Der A n f a n g vom Ende der G m b H d r o h t " , FAZ v o m 2 2 . 1 . 2 0 0 3 , S. 19; Leible/Hoffmann BB 2 0 0 3 , 5 4 3 (543f.); skeptisch Zimmer BB 2 0 0 3 , 1 (4, 6). 92 B G H 2 9 . 1 . 2 0 0 3 - VIII Z R 155/02, DB 2 0 0 3 , 818; dazu Bungert DB 2 0 0 3 , 1043; ebenso mit steuerrechtlichem H i n t e r g r u n d BFH 2 9 . 1 . 2 0 0 3 - I R 6/99, Z I P 2 0 0 3 , 1340. 93 E u G H 3 0 . 9 . 2 0 0 3 - Rs. C - 1 6 7 / 0 1 , DB 2 0 0 3 , 2 2 1 9 = N J W 2 0 0 3 , 3 3 3 1 = EWiR Art. 4 3 EG 4 / 0 3 , 1 0 2 9 (Drygala); s. auch schon E u G H 1 8 . 9 . 2 0 0 3 - Rs. C - 1 6 8 / 0 1 , ZIP 2 0 0 3 , 1 8 4 1 = EWiR A r t . 4 3 EG 5/03, 1085 (Olgemöller) - „Bosal H o l d i n g BV". 94 Dabei folgte er im wesentlichen den Schlußanträgen des Generalanwalts Alber vom 3 0 . 1 . 2 0 0 3 - Rs. C - 1 6 7 / 0 1 , DB 2 0 0 3 , 3 7 7 = EWiR A r t . 4 3 EG 2/03, 5 6 9 (GeyrhalterfGänßler).

II. Gesetzesumgehung

im nicht kodifizierten

Bereich

311

Allerdings habe die Niederlassungsfreiheit auch Grenzen: Eine „mißbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht" sei nicht gestattet 9 5 . Ein solcher Fall liege bei Inspire Art jedoch nicht vor. In der deutschen Rechtsprechung und Literatur besteht nach den Entscheidungen „Uberseering" und „Inspire Art" weitgehend Einigkeit darüber, daß für die Anwendung der Sitztheorie zumindest innerhalb der EU kaum mehr Raum bleibt 9 6 . Allerdings sind noch nicht alle Fragen beantwortet, so beispielsweise die Konsequenzen für die Wegzugsfreiheit: Nach der Daily-Mail-Entscheidung des E u G H aus dem Jahr 1 9 8 8 sind Sanktionen des Gründungslandes beim Wegzug einer Gesellschaft möglich 9 7 . Insbesondere stellt sich die Frage, welche Grenzen unter den neuen Voraussetzungen für gesellschaftsrechtliche Umgehungskonstruktionen gelten.

c) Grenzen gesellschaftsrechtlicher

Umgehungskonstruktionen

aa) Den Fällen „Centros", „Überseering" und „Inspire Art" liegen unterschiedliche gesellschaftsrechtliche Konstruktionen zugrunde. Im Fall Centros liegt, obwohl das in der Literatur oft anders gesehen wird 9 8 , gerade keine Umgehung des Sitzprinzips vor. Der Grund liegt darin, daß Dänemark keineswegs der reinen Sitztheorie folgt, sondern in der dänischen Praxis auch im Ausland gegründete Gesellschaften eingetragen werden 9 9 . Danach ist grundsätzlich in Dänemark die EuGH 3 0 . 9 . 2 0 0 3 - R s . C-167/01, DB 2 0 0 3 , 2 2 1 9 = N J W 2 0 0 3 , 3 3 3 1 , Nrn. 135, 136. So aus der Rechtsprechung nach „Überseering": O L G Celle 1 0 . 1 2 . 2 0 0 2 - 9 W 168/01, IPRax 2 0 0 3 , 2 4 5 = EWiR Art. 4 3 EG 3/03, 703 ( M a n k o w s k i ) , wo allerdings eine Umgehung der Gewerbebefugnis ausgeschlossen wird; OLG Zweibrücken 2 6 . 3 . 2 0 0 3 - 3 W 21/03, BB 2 0 0 3 , 864; zum Mißbrauch anders AG Hamburg 9 . 7 . 2 0 0 3 - 67g IN 358/02, BB 2 0 0 3 , 1 4 5 7 ; aus der Literatur nach „Überseering": Ebke J Z 2 0 0 3 , 927; Eidenmüller J Z 2 0 0 3 , 5 2 6 ; Leible/Hoffmann ZIP 2 0 0 3 , 925; Schulz N J W 2 0 0 3 , 2 7 0 5 ; aus der Literatur nach „Inspire Art": Forsthoff, Gastkommentar, DB 9/2003, S.I; Kleinert/Probst DB 2 0 0 3 , 2 2 1 7 ; Maul/Schmidt BB 2 0 0 3 , 2 2 9 7 auch zum Recht der limited; Sandrock BB 2 0 0 3 , 2 6 8 8 ; Tnebel/von Hase BB 2 0 0 3 , 2 4 0 9 ; Ziemons ZIP 2 0 0 3 , 1 9 1 3 ; Zimmer N J W 2 0 0 3 , 3585; jeweils m.w.N.; „EuGH bestimmt Reichweite des Niederlassungsrechts", FAZ vom 1 . 1 0 . 2 0 0 3 , S . 2 3 ; „Wettbewerb der Rechtsordnungen", FAZ vom 2 1 . 1 0 . 2 0 0 3 , S. 13. 9 7 Daily Mail: EuGH 2 7 . 9 . 1988 - Rs. 81/87, IPRax 1989, 381 = RIW 1 9 8 9 , 3 0 4 = N J W 1989, 2 1 8 6 . Zum „Wegzug" vor Inspire Art Lutter BB 2 0 0 3 , 7 (10); Zimmer BB 2 0 0 3 , 1 (7); BayObLG 2 0 . 2 . 2 0 0 2 - 3 Z BR 380/01, ZIP 2 0 0 2 , 1400 = EWiR § 4 GmbHG 1/03, 927 (Borges)-, auch nach Inspire Art wird die Wegzugsfreiheit abgelehnt von Zimmer N J W 2 0 0 3 , 3 5 8 5 (3592) und Eidenmüller J Z 2 0 0 3 , 526 (528), der das für kritikwürdig hält; Leible/Hoffmann ZIP 2 0 0 3 , 925 (929f.) halten diese Frage nach Überseering für offen; einen anderen „Grundgedanken" sehen hinter Inspire Art Maul/Schmidt BB 2 0 0 3 , 2 2 9 7 (2300) und - ausführlich - Triebel/von Hase BB 2 0 0 3 , 2 4 0 9 . 9 8 So Timme/Hülk JuS 1999, 1055 (1058): „wohl klarer Umgehungsfall"; ähnlich Kegel/ Schurig, IPR, S. 4 2 7 , wo die Centros-Entscheidung unter dem Stichwort Gesetzesumgehung behandelt und dem EuGH „kaum nachvollziehbare Toleranz" attestiert wird; dagegen Kindler NJW 1999, 1993 (1999); Steindorff J Z 1999, 1140 (1143), ihm folgend Ebke J Z 2 0 0 0 , 2 0 4 . 9 9 Vgl. Behrens-Carsten, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung im internationalen und 95

96

312

§16

Methodische

Möglichkeiten

und

Grenzen

Eintragung einer nach englischem Recht in England gegründeten Gesellschaft möglich. Bei der Argumentation der dänischen Behörden mit der Gesetzesumgehung geht es also nicht um die Sitztheorie, sondern um das Gründungsprinzip, das nach dänischer Ansicht wegen der Besonderheiten des Centros-Falles teleologisch zu reduzieren war. Damit war Ausgangspunkt der EuGH-Entscheidung die Frage, ob ein Umgehungsgeschäft für unwirksam erklärt werden kann, wenn es unter den Schutz der europäischen Grundfreiheiten fällt. Anders war es im Fall „Überseering". Hier war Deutschland als Sitztheorieland betroffen. Allerdings lag offenbar zumindest keine gezielte Gesetzesumgehung vor, da die Gesellschaft zunächst in dem Niederlanden tätig geworden war und die Verlegung des Geschäftssitzes nach Deutschland eine Folge ihres Verkaufs war. Demgegenüber war die „Inspire Art" nach den Feststellungen des E u G H gezielt gegründet worden, um die Vorschriften des niederländischen internen Gesellschaftsrechts zu umgehen. Andererseits sind die Niederlande wieder kein Sitztheorieland, sondern schützen ihr Gesellschaftsrecht mit dem internen Gesetz, das in der Entscheidung für nichtig erklärt wurde. Der Vergleich der Ausgangsfälle macht deutlich, daß die Urteile des E u G H sich weder gegen die Sitztheorie als solche wenden noch Aussagen zur Gesetzesumgehung im IPR enthalten. Ihr Ausgangspunkt ist vielmehr allein die Niederlassungsfreiheit. Im Ergebnis machen die EuGH-Entscheidungen die Sitztheorie jedoch weitgehend bedeutungslos, da die Niederlassungsfreiheit es Unternehmen mit ausländischer Rechtsform erlaubt, im Inland ihren Geschäftssitz zu nehmen. Für Umgehungsfälle stellt sich daher die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Einschränkung der Niederlassungsfreiheit möglich bleibt. bb) In den Entscheidungen „Centros", „Uberseering" und „Inspire Art" finden sich weitgehend gleiche Aussage zu den Fragen, welche Aspekte der Gesetzesumgehung nicht für eine Einschränkung der Niederlassungsfreiheit genügen und wo sich ein Ansatz für die Geltung von internem Gesellschaftsrecht findet. Danach ist als Sicht des Gemeinschaftsrechts unbeachtlich 1 0 0 : - Der Sitz der Gesellschaft im Inland und damit - die Ausschaltung zwingenden internen Rechts - einschließlich der Vorschriften zum Schutz der Verkehrssicherheit und des Gläubigerschutzes, jedenfalls soweit die Gesellschaft als ausländische auf-

europäischen Recht, Rdnr. DK 49. Auch die Centros-Entscheidung geht davon aus, die dänische Zentralverwaltungakzeptiere die Eintragung der Zweigniederlassung einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedsstaats errichteten Gesellschaft in Dänemark: EuGH 9 . 3 . 1 9 9 9 - R s C-212/97, ZIP 1 9 9 9 , 4 3 8 = IPRax 1 9 9 9 , 3 6 0 = N J W 1 9 9 9 , 2 0 2 7 , Nr. 15. Dagegen zur deutschen Sitztheorie und ihren Auswirkungen Staudinger-Großfeld, Internationales Gesellschaftsrecht, Rdnr. 85. 1 0 0 In der Inspire Art-Entscheidung finden sich diese Aussagen ausdrücklich, in Centros ergeben sie sich aus dem Sachverhalt. 1 0 1 Vgl. Überseering: EuGH 5 . 1 1 . 2 0 0 2 - Rs. C-208/00, IPRax 2 0 0 3 , 65 = NJW 2 0 0 2 , 3 6 1 4 = BB 2 0 0 2 , 2 4 0 2 , Nrn. 83ff., insb. Nr. 87; Inspire Art: EuGH 3 0 . 9 . 2 0 0 3 - Rs. C-167/01, DB

II. Gesetzesumgehung

im nicht kodifizierten

Bereich

313

- sowie die klare und unverhohlene Absicht der Umgehung internen Sachrechts 1 0 2 . Eine Rechtfertigung von Eingriffen in das Gemeinwohl ist nach allen Entscheidungen nur in drei Fällen möglich 1 0 3 : - im Fall des Betrugs, - bei Mißbrauch der Niederlassungsfreiheit und - zur Abwehr einer Schädigung des Gemeinwohls. cc) Unter welchen Voraussetzungen solche Sonderfälle vorliegen, ist noch nicht geklärt. In der Literatur werden Sonderanknüpfungen für Mißbrauchsfälle diskutiert 1 0 4 . Diskussionsschwerpunkte bilden dabei vor allem das Recht des Gläubigerschutzes, insbesondere der Insolvenzhaftung, sowie die Arbeitnehmermitbestimmung als spezifisch deutsche Institution. Ein Mißbrauchsfall aus Gesichtspunkten des Gläubigerschutzes wird in der Literatur vor allem gesehen, wenn Gesellschaften von ihren Gesellschaftern gezielt in den Ruin getrieben werden: In solchen Fällen sollen auch auf ausländische Gesellschaften die Grundsätze der Rechtsprechung des B G H zum existenzvernichtenden Eingriff Anwendung finden 1 0 5 . Ein Ansatzpunkt für die Lösung dieser Problematik liegt darin, derartige Haftungstatbestände nicht gesellschaftsrechtlich, sondern deliktsrechtlich zu qualifizieren 106 . Darin läge allerdings keine Sonderanknüpfung wegen Mißbrauchs, sondern man käme über das Deliktskollisionsrecht zur Anwendung deutschen Rechts. 2 0 0 3 , 2 2 1 9 = N J W 2 0 0 3 , 3 3 3 1 , Nr. 135; anders AG Hamburg 9 . 7 . 2 0 0 3 - 67g IN 358/02, BB 2 0 0 3 , 1457: In der Entscheidung wird die Tätigkeit im Inland mit mangelnder Haftungsmasse als Mißbrauch angesehen. 1 0 2 So ausdrücklich Inspire Art: EuGH 3 0 . 9 . 2 0 0 3 - Rs. C-167/01, DB 2 0 0 3 , 2 2 1 9 = NJW 2 0 0 3 , 3 3 3 1 , Nrn. 95f., 98, 137. 103 Centros: EuGH 9 . 3 . 1999 - Rs. C-212/97, ZIP 1999, 4 3 8 = IPRax 1999, 360 = NJW 1999, 2 0 2 7 Nrn. 24, 27; Überseering: EuGH 5 . 1 1 . 2 0 0 2 - Rs. C-208/00, IPRax 2 0 0 3 , 65 = N J W 2 0 0 2 , 3 6 1 4 = BB 2 0 0 2 , 2 4 0 2 , Nrn. 83ff., insb. Nr. 91; Inspire Art: EuGH 3 0 . 9 . 2 0 0 3 - Rs. C-167/01, DB 2 0 0 3 , 2 2 1 9 = N J W 2 0 0 3 , 3331, Nrn. 1 3 3 , 1 3 6 , 1 4 2 ; so auch schon Schlußanträge des Generalanwalts Alber vom 3 0 . 1 . 2 0 0 3 - Rs. C-167/01, DB 2 0 0 3 , 377, Nrn. 115 ff., insb. Nr. 123; zur Gesetzesumgehung auch Paefgen DB 2 0 0 3 , 4 8 7 (488) und Borges RIW 2 0 0 0 , 167 (172) mit dem Hinweis, daß durch Centros-ähnliche Konstruktionen sowohl das Gründungsais auch das Sitzrecht umgangenen werden könnte: Der Verkehrsschutz würde nicht notwendigerweise durch Gesellschaftsrecht bewirkt, sondern z.B. durch behördliche Aufsicht über Kapitalgesellschaften; letzteres sei gerade in England der Fall. Jedoch geht Borges selbst davon aus, daß eine solche Konstellation ein faktisches Problem bildet, welches hinzunehmen ist. Ausführlich zum Mißbrauchseinwand Fleischer J Z 2 0 0 3 , 865. 1 0 4 Dazu Eidenmüller J Z 2 0 0 3 , 526 (528f.); Leible/Hoffmann ZIP 2 0 0 3 , 925 (930), die innerhalb der EU größere Toleranz gestatten wollen als im Verhältnis zu Nichtmitgliedsländern. Zum Einzelfallbezug des Mißbrauchseinwands Fleischer J Z 2 0 0 3 , 865 (873 f.). 1 0 5 So Eidenmüller J Z 2 0 0 3 , 5 2 6 (529); Schulz N J W 2 0 0 3 , 2 7 0 5 (2708); umfassend zur Problematik Zimmer N J W 2 0 0 3 , 3 5 8 5 (3587ff.); skeptisch zu einer Sonderanknüpfung Ziemons ZIP 2 0 0 3 , 1913 (1917). Zum Rechtsinstitut des existenzvernichtenden Eingriffs BGH 2 4 . 6 . 2 0 0 2 - II Z R 300/00, N J W 2 0 0 2 , 3 0 2 4 = ZIP 2 0 0 2 , 1578; vgl. dazu Benecke BB 2 0 0 3 , 1190 m.w.N. 1 0 6 So Z i m m e r N J W 2 0 0 3 , 3 5 8 5 (3588ff.).

314

§16

Methodische

Möglichkeiten

und

Grenzen

Bis in die Tagespresse hinein Aufmerksamkeit gefunden hat die Möglichkeit, durch die Wahl einer ausländischen Gesellschaftsform die deutsche Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Unternehmen zu umgehen 1 0 7 . Hier besteht in ähnlicher Weise die Möglichkeit, die Mitbestimmung arbeitsrechtlich zu qualifizieren und damit an den Ort des Betriebs anzuknüpfen. Dann ergäbe sich aber die Schwierigkeit, die internen gesetzlichen Regeln auf das board-System zu übertragen 1 0 8 . Bleibt man bei der gesellschaftsrechtlichen Qualifikation, stellt sich die Frage, ob die Mitbestimmung ein so überragendes Gemeinschaftsgut ist, daß eine Sonderanknüpfung aus dem Gesichtspunkt des Mißbrauchs gerechtfertigt ist 1 0 9 . Das ist fraglich, da auch bisher die Möglichkeit bestand, beispielsweise durch Einschaltung von Personengesellschaften die Mitbestimmung zu vermeiden 1 1 0 . Nach Ulmer liegt dagegen beispielsweise bei Gründung einer inländischen GmbH & Co. K G unter Beteiligung einer ausländischen Komplementär-GmbH - die entgegen § 4 Abs. 1 MitbestG mitbestimmungsfrei wäre - ein Verstoß gegen den inländischen ordre public offen zutage" 1 1 1 . Da eine Gesetzesumgehung als solche keinen Verstoß gegen den ordre public bilden kann 1 1 2 , kommt ein Eingreifen von Art. 6 E G B G B allerdings nur in Betracht, wenn die Unternehmensmitbestimmung selbst zum deutschen ordre public gehört. Das ist nach herrschender Ansicht nicht der Fall 1 1 3 . Das faktische Ende der Sitztheorie stellt das Internationale Gesellschaftsrecht vor zahlreiche Fragen. Zumindest im Verhältnis zu den EU-Mitgliedsstaaten und den USA sind Sonderanknüpfungen bei gesellschaftsrechtlichen Umgehungskonstruktionen nur in Ausnahmefällen möglich, wenn eine ernsthafte Schädigung des Gemeinwohls in Betracht kommt. Einige Probleme lassen sich auf der Ebene der Qualifikation lösen. Eine weitere Grenze ergibt sich, wenn Regeln ausgehebelt werden, die zum deutschen ordre public gehören. Auf diese Weise können zumindest eklatante Fälle vermieden werden.

107 yg[ ^Konzerne können deutsche Mitbestimmung umschiffen", FAZ vom 2 1 . 1 . 2 0 0 3 , S. 11; „Freie Bahn für ausländische Unternehmen", FAZ vom 1 . 1 0 . 2 0 0 3 , S. 13; „Freie Auswahl im europäischen Gesellschaftsrecht", FAZ 8 . 1 0 . 2 0 0 3 , S.21. 108 Maul/Schmidt BB 2 0 0 3 , 2 2 9 7 (2300); auch zur Rechtspolitik Zimmer N J W 2 0 0 3 , 3 5 8 5 (3590f.). 1 0 9 Ablehnend Z i e m o n s ZIP 2 0 0 3 , 1913 (1917f.). 110 Zimmer N J W 2 0 0 3 , 3 5 8 5 (3590). 111 Ulmer J Z 1999, 6 6 2 (663) - nach Centros, allerdings vor Überseering und Inspire Art. 1 1 2 Dazu oben § 14 III.; zum Eingreifen des ordre public im Zusammenhang mit „Überseering": Paefgen DB 2 0 0 3 , 4 8 7 (489ff.). 1 1 3 Der deutsche Standard an Arbeitsschutz und Mitbestimmung ist grundsätzlich nicht von Art. 6 EGBGB erfaßt: Palandt-Heldrich Art. 6 EGBGB Rdnr. 31; Paefgen DB 2 0 0 3 , 4 8 7 (491 f.); zur Mitbestimmung anläßlich grenzüberschreitender Fusion BGH 1 6 . 1 1 . 1 9 8 1 - 1 1 Z R 150/80, BB 1982, 2 6 9 = RIW/AWD 1982, 3 5 3 .

§ 1 7 Gesetzesumgehung im Internationalen Verfahrensrecht Bei der Gesetzesumgehung im Internationalen Verfahrensrecht wird anders als bei der Gesetzesumgehung im IPR das gewünschte Ergebnis nicht durch Manipulation einer kollisionsrechtlichen Anknüpfung erzielt, sondern durch Begründung einer bestimmten internationalen Zuständigkeit1. Beispiele dafür bilden einige der bereits bekannten Scheidungsfälle; vor allem die Fälle der Scheidungsklagen in islamischen Ländern, zu denen auch die Scheidung des späteren Ehemannes von Helene Böhlau gehörte2. Ein vergleichbares Vorgehen liegt auch den bereits erwähnten interzonalen Scheidungen der Nachkriegszeit zugrunde3. In den 1930er Jahren erregte in Deutschland die Scheidung von Max Reinhardt Aufsehen4. Reinhardt, der in Berlin lebte und tschechoslowakischer Staatsangehöriger war, wollte von seiner Frau geschieden werden. Da er nach seinem Heimatrecht offenbar keinen Scheidungsgrund fand, ging er folgenden Weg: Er begab sich nach Riga, schloß mit der dortigen Theaterdirektion einen Vertrag über die Inszenierung einiger Stücke und mietete eine Wohnung an. Eine Woche später erhob er Scheidungsklage in Riga. Da nach dem lettländischen Kollisionsrecht für Scheidungen das Domizilprinzip galt, war die Klage in allen Instanzen erfolgreich. Der Beispielsfall zeigt die Parallelen zur Gesetzesumgehung im materiellen Recht. Reinhardt hatte den Wohnsitz in Lettland durchaus ernsthaft begründet. Dennoch bestanden keine Zweifel daran, daß er sich nach Rechtskraft der Scheidung von dort entfernen würde; die Zuständigkeit des lettischen Gerichts diente 1 Nicht dazu gehören also Fälle anderer Umgehungen mit prozessualem und internationalem Bezug; beispielsweise der Fall eines Ausländers, der seine Forderung an einen Inländer abtritt, um § 110 ZPO zu umgehen, s. OLG Hamburg 10.5. 1979 - 6 U 27/79, IPRspr 1979, Nr. 147 (S.500); dazu Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB Rdnr. 132. 2 Zum Fall Böhlau s.o. § 14 III. Modernere Fälle dieser Art liegen folgenden Entscheidungen zugrunde: Senator für Rechtspflege und Strafvollzug Bremen 13.5. 1974 - 346 E b 23/73, IPRspr 1974, Nr. 184 (Scheidung eines deutschen Ehemannes von Irakerin im Irak; der Ehemann war zu diesem Zweck Moslem geworden); BayObLG 2 4 . 6 . 1977 - BReg 1 Z 137/76, BayObLGZ 1977, 180 (Scheidung eines Iraners im Iran ohne Anhörung der deutschen Ehefrau); OLG Koblenz 2 0 . 1 1 . 1 9 9 0 - 15 U F 351/90, FamRZ 1 9 9 1 , 4 5 9 (Erschleichen eines Scheidungsurteils in der Türkei durch Täuschung über den Aufenthaltsort der Beklagten). 3 Z.B. OLG Nürnberg 18.11. 1958 - 1 W 78/58, FamRZ 1 9 5 9 , 2 2 2 ; BGH 18.3. 1 9 5 9 - I V ZR 274/58, FamRZ 1 9 5 9 , 2 0 7 ; OLG Celle 8.7. 1959 - 3 U 25/59, NJW 1 9 5 9 , 2 1 2 4 m. Anm. Rötelmann; dazu oben § 15 I.2.a). 4 Lettländischer Senat 3 0 . 6 . 1932 - 2098/32, J W 1932, 3844 m. Anm. Frankenstein.

316

§17

Gesetzesumgehung

im Internationalen

Verfahrensrecht

nur als Mittel zum Zweck. Es lag also ähnlich wie bei der Gesetzesumgehung im materiellen IPR eine Manipulation vor, allerdings wurde nicht (nur) die Anknüpfung der Kollisionsnorm manipuliert, sondern ein Anknüpfungspunkt der Zuständigkeitsregelung. Ein solches Vorgehen wird überwiegend mit dem Begriff Zuständigkeitserschieichung umschrieben. Die Zuständigkeitserschieichung ist zu unterscheiden von einem ähnlichen Vorgehen, das ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Gesetzesumgehung diskutiert wird: dem sog. forum Shopping. Im Gegensatz zur Zuständigkeitserschleichung wird hier nicht durch Manipulation die Zuständigkeit eines eigentlich nicht zuständigen Gerichts erreicht. Beim forum Shopping wählt der Kläger vielmehr unter mehreren international zuständigen Gerichtsständen denjenigen aus, der für ihn am günstigsten ist. So wird z.B. ein deutscher Geschädigter wegen eines Schadens in Deutschland gegen einen US-amerikanischen Schädiger in den USA klagen, um in den Genuß des hohen Strafschadensersatzes zu kommen. Ermöglicht werden solche Wege des prozessualen Vorgehens dadurch, daß das Internationale Verfahrensrecht und das IPR eben keine „internationalen" Regelungen, sondern Teile der nationalen Rechtsordnung sind. Jeder Staat und jeder nationale Richter wendet seine eigenen Zuständigkeitsregeln an. Ist er danach zuständig, kommt er zur Anwendung seiner eigenen Kollisionsregeln5. Da aber nicht alle nationalen Kollisionsnormen nach denselben Gesichtspunkten anknüpfen, können sie für denselben Sachverhalt zu unterschiedlichen Sachrechtsordnungen führen6. So galt in Deutschland bis zu der Reform von 1986 für Scheidungen das Heimatrecht des Mannes 7 ; das Statut richtete sich also nach dessen Staatsangehörigkeit 8 . Hätte Reinhardt in Deutschland geklagt, hätte der deutsche Richter also das deutsche Kollisionsrecht angewandt und die Scheidung nach tschechoslowakischem Recht beurteilt. Nach der heutigen Regelung des Art. 17 EGBGB wäre er - unterstellt, die Ehefrau sei Deutsche - gemäß Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB zu deutschem Recht gekommen. Entsprechend unterschiedlich sind auch die materiellrechtlichen Voraussetzungen der Scheidung. Im Gegensatz zu den bisher erörterten Fällen ist bei der Gesetzesumgehung im Internationalen Verfahrensrecht die Ebene der Umgehungshandlung also nicht das Kollisionsrecht, sondern durch das Prozeßrecht wird eine bestimmte Kollisionsrechtsordnung überhaupt erst zur Anwendung gebracht, um auf diese Wei5 Zum IPR als nationales Recht Ferid, IPR, Rdnrn. l - 2 f f . , insb. 1 - 5 ; Junker, IPR, Rdnrn. 2ff.; zur Funktion des Internationalen Zivilverfahrensrechts v. Hoffmann, IPR, § 3 Rdnrn. 28ff. 6 Zu den Wechselwirkungen von Zuständigkeit und anwendbarem Recht: Schuck, IZVR, Rdnrn. 214ff.; grundlegend Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, S. 14ff. 7 Kegel/Schurig, IPR, S . 6 8 1 f . 8 Für eine Gesetzesumgehung war damit immerhin ein Wechsel der Staatsangehörigkeit erforderlich; vgl. BGH 4 . 6 . 1971 - IV Z R 97/70, N J W 1971, 2 1 2 4 .

I. Forum

shopping

317

se die Weichen zur gewünschten Sachnorm zu stellen. Unabhängig von der materiellen Rechtsordnung kann die Manipulation aber auch auf das Verfahrensrecht des Forumstaates abzielen, z.B. auf die Möglichkeit der Prozeßkostenhilfe 9 . In diesen Fällen gibt es wie bei der Gesetzesumgehung im Sachrecht nur eine rechtliche Ebene.

I. Forum

Shopping

1. Begriff und Bedeutung „Das Unbehagen am forum Shopping" lautet der Titel eines Beitrags von Kropholler aus dem Jahr 1 9 8 5 1 0 . Mit zunehmender internationaler Verflechtung wirtschaftlicher und privater Beziehungen trat eine Vorgehensweise hervor, die allerdings älter ist als die dem anglo-amerikanischen Rechtskreis entlehnte Bezeichnung 1 1 : Der Kläger sucht sich aus mehreren zulässigen Gerichtsständen denjenigen aus, der für ihn am vorteilhaftesten ist. Forum Shopping ist grundsätzlich auch auf nationaler Ebene möglich, aber besonders interessant im internationalen Bereich oder in Staaten mit mehreren Teilrechtsordnungen. Ein Beispiel bildet ein Fall des B G H aus dem Jahr 1 9 9 3 mit tragischem Hintergrund 1 2 . Ein deutscher Schüler war auf einer Klassenfahrt nach Italien bei einer Bergwanderung tödlich verunglückt. Begleiter der Bergtour war sein Lehrer, der in Deutschland im Beamtenverhältnis stand. Die Familie des Verunglückten verfolgte ihre Schadensersatzansprüche nicht in Deutschland - obwohl das ebenfalls möglich gewesen wäre - sondern in Italien. Auf diese Weise konnte sie den Haftungsausschluß nach der damaligen Regelung §§ 6 3 6 , 6 3 7 RVO umgehen 1 3 . Bekannt wurde der Fall, weil der B G H den Haftungsausschluß als Teil des deutschen ordre public ansah. Eine Zuständigkeitserschieichung lag nicht vor: Die Kläger hatten lediglich unter mehreren tatsächlich zuständigen Gerichtsständen ausgewählt. a) Vorteile für den Kläger Forum Shopping wird dadurch ermöglicht, daß in vielen Rechtsstreitigkeiten konkurrierende Gerichtsstände gegeben sind 14 . Vorteile für den Kläger kann es ' Dazu Heeder, S. 3 0 6 f . ; im einzelnen unten § 17 II.2.a). 1 0 In: Festschrift Firsching, S. 165ff. 1 1 Forum Shopping ist vor allem in den USA von praktischer Bedeutung, weil der Kläger dort durch sorgfältige Auswahl des Bundesstaates, in dem er klagt, erhebliche materiellrechtliche und prozeßrechtliche Vorteile haben kann, dazu Scback, I Z V R , Rdnr. 2 2 2 . 1 2 B G H 1 6 . 9 . 1 9 9 3 - I X Z B 8 2 / 9 0 , IPRax 1 9 9 4 , 118 (Basedow S. 85). 13 Soergel-Kegel vor Art. 3 E G B G B Rdnr. 1 3 2 Fn. 2 2 . Die entsprechende Regelung findet sich jetzt in § § 1 0 4 f f . SGB VII. 1 4 V. Hoffmann, IPR, § 1 Rdnrn. 4 8 f . ; § 3 Rdnr. 6 3 .

318

§17

Gesetzesumgehung

im Internationalen

Verfahrensrecht

vor allem bringen, wenn kein internationaler Entscheidungseinklang besteht, wenn also die nationalen Kollisionsrechte für denselben Fall zu verschiedenen Sachrechtsordnungen führen 1 5 . So wird forum Shopping am häufigsten dadurch motiviert sein, daß das angerufene Gericht aufgrund seines nationalen Kollisionsrechts zu einer Rechtsordnung mit einer für den Kläger günstigen materiellrechtlichen Regelung kommt. Sein Ziel können aber auch prozeßrechtliche oder tatsächliche Vorteile sein, wenn z.B. ein Staat wegen seiner langen Prozeßdauer vermieden wird 1 6 . Der Begriff forum Shopping ist mißverständlich, da er darauf abzuzielen scheint, eine Konsumhaltung anzuprangern. Dafür besteht jedoch kein Anlaß, da es aus Sicht des Klägers nur vernünftig ist, bei mehreren legalen Möglichkeiten die günstigste zu wählen. Das „Unbehagen am forum Shopping" resultiert vielmehr aus dessen tatsächlichen Folgen, da es die Gewichte zwischen Kläger und Beklagten massiv zugunsten des Klägers verschiebt 1 7 . Das mag nachvollziehbar sein, wenn es - wie im Beispielsfall des verunglückten Jungen - gleichzeitig dem Schutz der Geschädigten dient. Oft ist es aber Zufall, wer (zuerst) klagt 1 8 : Ist beispielsweise die Mangelhaftigkeit eines Werkes streitig, kann der Besteller auf Nachbesserung klagen, der Unternehmer auf Zahlung der Vergütung. Internationales forum Shopping bietet für den Kläger vielfältige Vorteile und Möglichkeiten 1 9 . Wie erwähnt, kann er die gewünschten Prozeßnormen und über das angewandte Kollisionsrecht Sachnormen zur Anwendung bringen. Auch nachträgliches forum Shopping ist möglich, wenn der Kläger bei dem zuerst gewählten Gericht mit seinem Antrag gescheitert ist. In einem Fall des B G H aus dem Jahr 1 9 8 4 hatte eine Deutsche gegen einen Niederländer zunächst in den Niederlanden auf Unterhaltszahlung und Feststellung der Vaterschaft geklagt. Nachdem sie dort abgewiesen worden war, erhob sie den gleichen Antrag in Deutschland. Nach dem B G H stand das niederländische Urteil der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen 2 0 . In einem weiteren Fall des B G H nutzte der Antragsteller einen Antrag auf Armenrecht (jetzt Prozeßkostenhilfe) als eine Art „Versuchsballon" 2 1 . Der Antrag wurde in Deutschland mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abgewiesen. Daraufhin verfolgte der Kläger seinen Anspruch vor einem international zuständigen ausländischen Gericht und obsiegte. Auch hier stand nach der Entschei-

15 Geimer, IZPR, Rdnr. 1099; v. Hoffmann, IPR, § 1 Rdnr.49; vgl. auch Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S . 4 0 . 16 Schuck, IZVR, Rdnr. 2 2 5 . 1 7 Ausführlich Kropholler, Das Unbehagen am forum Shopping, S. 166ff. 18 Dazu auch Roth IPRax 1984, 183 (184). 19 Kropholler, Das Unbehagen am forum Shopping, S. 169ff. 2 0 BGH 2 7 . 6 . 1984 - IV b Z R 2/83, NJW 1985, 5 5 2 (553). 2 1 BGH 2 2 . 6 . 1983 - VIII Z B 14/83, IPRax 1984, 2 0 2 (Roth IPRax 1984, 183).

I. Forum

shopping

319

dung des Senats die Entscheidung zum Antrag auf Armenrecht der Anerkennung des ausländischen Urteils nicht entgegen.

b) Abwehrmöglichkeiten

des

Beklagten

Die Abwehrmöglichkeiten des Beklagten gegen forum Shopping sind de lege lata begrenzt. Einen materiellrechtlichen Anspruch auf Unterlassung der Prozeßführung, der sich vor deutschen Gerichten durchsetzten ließe, gibt es im Regelfall nicht 2 2 . Eine negative Feststellungsklage kann das ausländische Verfahren nicht aufhalten und allenfalls zum Erfolg führen, wenn sie präventiv (also vor der Klage des Gegners) erhoben wird und das ausländische Gericht den Einwand der anderweitigen

Rechtshängigkeit

anerkennt 2 3 .

Schadensersatzansprüche

nach

§ 8 2 3 B G B scheitern daran, daß in der Regel kein absolutes Rechtsgut verletzt ist und es außerdem an der Rechtswidrigkeit fehlt, wenn legale Möglichkeiten genutzt werden 2 4 . Nur im Vorfeld möglich ist eine klärende Gerichtsstandsvereinbarung 2 5 . Eine nachträgliche Abwehrmöglichkeit gegen forum Shopping kann sich also nur aus dem Anspruch gemäß § 8 2 6 B G B ergeben, der sich auch auf Rücknahme und Unterlassung der Klage richten kann 2 6 . Voraussetzungen sind die Verletzung eines Rechtsgutes und eine sittenwidrige Handlung. Die Rechtsprechung hat die Anwendung des § 8 2 6 B G B bei forum Shopping lediglich in einigen Fällen lettischer Scheidungen vor dem 2. Weltkrieg bejaht. Dabei hatte in einem Fall des O L G Königsberg der Ehemann das lettische Gericht über seine Zuständigkeit getäuscht 2 7 . In seiner Entscheidung zu einem anderen Fall ließ es das Reichsgericht für eine Schädigung ausreichen, daß der Ehemann die - hier tatsächlich begründete - Zuständigkeit des lettischen Gerichts dazu ausnutzte „vor einem ausländischen Gericht zum Schaden des anderen Ehegatten eine Scheidung herbeizuführen, die ihm nach den für ihn maßgebenden deutschen Gesetzen versagt w a r " 2 8 . Diese Formulierung ist allerdings zu weitgehend. Sucht der Kläger sich seinen eigenen Vorteil, wird damit regelmäßig ein Nachteil für seinen Prozeßgegner, den Beklagten, verbunden sein. Eine Anwendung von § 8 2 6 BGB läßt sich daher nur Gelmer, IZPR, Rdnrn. 1116ff.; Schack, IZVR, Rdnrn. 2 3 0 , 771. Geimer, IZPR, Rdnrn. 1113ff.; Schack, IZVR, Rdnrn. 2 3 1 ; dazu Roth IPRax 1984, 183 (184). 2 4 Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Kap. 3 Rdnr. 169; Geimer, IZPR, Rdnrn. 1122ff. hält einen Schadensersatzanspruch bei Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb für möglich. 25 Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Kap. 3 Rdnr. 168; Schack, IZVR, Rdnr. 2 3 1 . Zu Gerichtsstandsvereinbarungen unten § 18 II. 2 6 Zu dieser Möglichkeit ausführlich Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts Kropholler Kap. 3 Rdnrn. 170 ff. 2 7 O L G Königsberg 2 1 . 3 . 1935 - 5 U 245/34, IPRspr 1 9 3 5 - 4 4 , Nr. 10. 28 R G 3 . 3 . 1 9 3 8 - I V 224/37, R G Z 157, 136; zur Reaktion auf dieses Urteil: Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Kap. 3 Rdnr. 173. 22 23

320

§17 Gesetzesumgebung

im Internationalen

Verfahrensrecht

mit Besonderheiten des Falles begründen, die über das bloße forum Shopping hinausgehen. Das kann der Fall sein, wenn die Grenzen zur Zuständigkeitserschieichung überschritten sind wie bei der Täuschung im Fall des O L G Königsberg 2 9 . Außerdem k o m m t eine Anwendung von § 8 2 6 B G B in Betracht, wenn der Kläger den Beklagten durch forum Shopping bewußt stärker schädigt als zur Erreichung seiner Ziele erforderlich, oder wenn sich die Klage sogar als reine Schikane darstellt, die für den Kläger objektiv nutzlos ist.

2 . R e c h t s f o l g e n des f o r u m S h o p p i n g

a) Grundsatz:

Legalität

Zusammenfassend kann zum forum Shopping also festgehalten werden: Es ist in vielen Fällen mit Auslandsbezug möglich und oft weniger aufwendig als die M a nipulation von Anknüpfungsmomenten des nationalen Kollisionsrechts. Forum Shopping bringt vielfache Möglichkeiten und Vorteile für den Kläger mit sich. Demgegenüber sind die Abwehrmöglichkeiten des Beklagten begrenzt. D e n n o c h besteht in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit darüber, daß forum Shopping wirksam ist, das angerufene Gericht also zuständig und sein Urteil grundsätzlich anerkennungsfähig. Der Grund dafür folgt aus den Unterschieden zur Zuständigkeitserschleichung: Bei der Zuständigkeitserschieichung manipuliert der Kläger, beim forum Shopping wählt er nur aus. Bei der Zuständigkeitserschieichung nutzt er eine dem Ziel des Gesetzes widersprechende Möglichkeit, beim forum Shopping eine im Gesetz vorgesehene Möglichkeit. Anders als das frühere französische Recht kennt das deutsche Recht kein Verbot einer Prozeßführung im Ausland 3 0 , sondern nimmt grundsätzlich auch schwache Bezugspunkte zum Forum in K a u f 3 1 . Das gilt insbesondere für den Bereich der E u G W O , da Artt. 5 , 6 E u G W O wie die früheren Artt. 5 , 6 E u G V Ü zahlreiche Gerichtsstände neben dem Wohnsitz des Beklagten vorsehen 3 2 . Forum Shopping ist daher kein R e c h t s m i ß b r a u c h 3 3 . Es führt auch grundsätzlich nicht zu einem Verstoß gegen den ordre public und steht damit einer Anerkennung des ausländischen Urteils nicht entgegen 3 4 . Insbesondere liegt in forum

2 9 Eine Täuschung des ausländischen Gerichts steht außerdem der Anerkennung entgegen: OLG Koblenz 20.11. 1990 - 15 U F 351/90, FamRZ 1991,459: Erschleichen eines Scheidungsurteils in der Türkei durch Täuschung über den Aufenthaltsort der Beklagten verstößt gegen ordre public im Sinne des § 328 Abs. 1 Nr.4 ZPO; dazu im einzelnen unten § 18 I.2.c). 30 Dazu Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Kap. 3 Rdnr. 157, Fn.337. 31 Kropholler, IPR, §58 VII 2 a. 32 Dazu Geimer, IZPR, Rdnr. 1100. 33 Juenger RabelsZ 46 (1982), 708 (712f.). 34 Staudinger-Spellenberg, §328 ZPO, Rdnrn. 542, 578. Zur Anerkennung unten § 18 I.

I. Forum

shopping

321

Shopping auch keine Gesetzesumgehung 35 . Es fehlt bereits an einer Umgehungshandlung, da die Voraussetzungen der Zuständigkeitsnorm nicht manipuliert werden. Schließlich ist forum Shopping nach heute überwiegender Auffassung nicht nur legal, sondern auch legitim 36 , so daß ein Überschreiten der Eingriffsschwelle kaum zu begründen wäre. Im Gegenteil ergibt sich für den Anwalt sogar eine Pflicht zum forum Shopping: Er muß den für seinen Mandanten günstigsten Gerichtsstand wählen und kann sich bei Verletzung dieser Pflicht schadensersatzpflichtig machen 3 7 .

b)

Forum-non-conveniens-Lehre

Der anglo-amerikanische Rechtskreis wehrt forum Shopping mit einer besonderen richterrechtlichen Lehre ab, der sog. forum-non-conveniens-Doktrin 38 . Diese Lehre greift ein, wenn ein Gericht zwar grundsätzlich international zuständig ist, der Fall aber wesentlich engere Beziehungen zu einem anderen Land aufweist. Das angerufene Gericht kann sich dann unter Berufung auf forum non conveniens für unzuständig erklären 39 . Eine Übernahme der forum-non-conveniens-Lehre in das deutsche Recht wurde in der Literatur vereinzelt gefordert und klingt auch in einigen älteren Entscheidungen an 4 0 . Auch einigen Vorschriften des deutschen Rechts liegen ähnliche Gedanken zugrunde, so z.B. § § 4 7 Abs. 1, 6 5 a FGG 4 1 . Insgesamt hat sich aber der Gedanke, forum Shopping auf diese Weise einzudämmen, in Deutschland nicht durchgesetzt 42 . Die forum-non-conveniens-Lehre mit ihren unbestimmten Voraussetzungen kann zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen und paßt nicht in das deutsche Zuständigkeitssystem mit seinen

35 So auch v. Bar/Mankowski, IPR I, § 5 Rdnr.164; Geirrter, IZPR, Rdnr. 1100; Hay, IPR, S. 153f.; Heeder, S.310f.; v. Hoffmann, IPR, § 6 Rdnrn. 123, 132; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S.40. 36 Geimer, IZPR, Rdnr. 1100; v. Hoffmann, IPR, § 6 Rdnr. 132; Kropholler, IPR, § 58 VII 2; Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rdnr. 211; Schack, IZVR, Rdnr. 222; Staudinger-Sonnenberg, Einl. IPR Rdnr. 705. 37 V. Bar/Mankowski, IPR I, § 5 Rdnr. 160; Geimer, IZPR, Rdnr. 1096; Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Kap. 3 Rdnr. 160; Schack, IZVR, Rdnr. 223. 38 Dazu ausführlich Huber, Die englische forum-non-conveniens-Doktrin. 39 Kropholler, IPR, § 5 8 VII 1. 4 0 Z.B. Wahl, Die verfehlte internationale Zuständigkeit; KG 4 . 6 . 1959 - 1 W 522/59, IPRspr 1958/59, Nr.209 (S.683ff.); OLG Zweibrücken 13.12. 1974 - 3 W 103/74, IPRspr 1975, Nr. 203 b (S.530f.); weitere Nachweise bei Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Kap. 3 Rdnrn. 205f.; Kropholler, IPR, § 58 II 4; s. auch Schack, IZVR, Rdnrn. 500f. 41 Schack, IZVR, Rdnr. 499 mit weiteren Beispielen. 42 Geimer, IZPR, Rdnr. 1100; Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts Kropholler Kap. 3 Rdnr. 157; Kropholler, IPR, § 5 8 VII 2; Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rdnr.210f.; Schack RabelsZ 58 (1994), 40 (47).

322

§17

Gesetzesumgebung

im Internationalen

Verfahrensrecht

konkret festgelegten Anknüpfungen 4 3 . Darüber hinaus bestehen inhaltliche Bedenken, da die forum-non-conveniens-Doktrin die Gefahr mit sich bringt, daß Gerichte unbequeme Auslandsfälle mit unbestimmter Argumentation abschieben 4 4 . Damit verbunden ist die Möglichkeit eines negativen Kompetenzkonflikts, da das ausländische Gericht an die Verweisung keineswegs gebunden ist und ebenfalls die Zuständigkeit ablehnen kann 4 5 . Somit hinterläßt das Phänomen des forum Shopping eine „gewisse Ratlosigk e i t " 4 6 . Immerhin steht im deutschen Recht seiner übermäßigen Ausweitung § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 1 Z P O entgegen 47 : Ist das angerufene Gericht nach deutschem Recht international nicht zuständig, wird das Urteil nicht anerkannt, die Rechtshängigkeit ist unbeachtlich 4 8 . In Mißbrauchsfällen kommen Ansprüche nach § 8 2 6 BGB, bei Eingriffen in das Recht am Gewerbebetrieb auch nach § 8 2 3 Abs. 1 BGB in Betracht. Darüber hinaus ist forum Shopping als Folge des Rechtspluralismus hinzunehmen. Ein Fall der Gesetzesumgehung ist es nicht.

II.

Zuständigkeitserschieichung

Zuständigkeitserschieichung liegt vor, wenn der Kläger Anknüpfungsmomente einer die Zuständigkeit begründenden N o r m manipuliert, so daß er an einem eigentlich nicht zuständigen Gericht klagen kann. Wie erwähnt, kommt das in der Praxis oft bei Scheidungen vor. Einen anderen Gegenstand hatte ein Fall, den der B G H 1 9 7 7 zu entscheiden hatte 4 9 : Der Kläger, der in Berlin lebte, fühlte sich durch Behauptungen einer in Wien erscheinenden Zeitschrift in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt. Er beschaffte sich über einen Berliner Zeitschriftenhändler die fragliche Ausgabe sowie weitere Ausgaben der Zeitschrift und klagte vor dem Landgericht Berlin auf Unterlassung und Entschädigung. Der B G H führte in der Revisionsentscheidung aus, Verletzungen des Persönlichkeitsrechts durch Presseerzeugnisse seien dort begangen, wo die Zeitschrift erscheine oder vertrieben werde. Der Geschädigte könne das Gericht an seinem Wohnort nicht dadurch zuständig machen, daß er sich die fragliche Zeitschrift beschaffe. Aus dem Sachverhalt der Entscheidung geht nicht hervor, weshalb der Kläger einen Prozeß in Berlin anstrebte. Vermutlich war es ihm zu aufwendig, ihn in Österreich zu führen. Zuständigkeitserschieichung kann unterschiedliche Ziele 43 Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Kap.3 Rdnrn. 208f.; Kropholler, IPR, § 5 8 VII 2 a) b); Reus RIW 1991, 542 (551); Schack, IZVR, Rdnr.502. 44 Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rdnr.211. 45 Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Kap.3 Rdnr.211; Kropholler, IPR, § 58 VII 2 c); Reus RIW 1991, 542 (552). 46 Roth IPRax 1984, 183 (185). 4 7 So auch Staudinger-Sonnenberg Einl. IPR Rdnr. 705. 48 V. Bar/Mankowski, IPR I, § 5 Rdnrn. 162f. 4 9 BGH 3 . 5 . 1 9 7 7 - V I Z R 24/75, NJW 1977, 1590.

II.

Zuständigkeitserschieichung

323

haben; so kann der Kläger lediglich tatsächliche Vorteile suchen. Es kann aber auch das Prozeßrecht des Forumstaates für ihn günstig sein 5 0 . Insbesondere in den Scheidungsfällen liegt die Motivation allerdings in der Regel darin, über das Kollisionsrecht des Forumstaates zur Anwendung einer Sachnorm mit der gewünschten Rechtsfolge zu kommen. Im Beispielsfall wäre das dann gegeben, wenn die Zeitschrift in einem Land erscheint, in dem kein Schadensersatz wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts anerkannt ist oder die Schadensersatzsummen niedriger sind. In Rechtsprechung und Literatur herrscht Einigkeit darüber, welche Folgen Zuständigkeitserschieichung haben soll: Das angerufene Gericht ist unzuständig, das Urteil kann nicht anerkannt und vollstreckt werden, u.U. sind Schadensersatzansprüche des Beklagten möglich 5 1 . Im praktischen Fall stellen sich indes ähnliche Fragen wie bei der Gesetzesumgehung im IPR; so die Abgrenzung von Fällen der Simulation und des Verstoßes gegen den ordre public, wobei es im Prozeßrecht neben dem materiellrechtlichen ordre public auch auf den prozessualen Vorbehalt in § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 4 Z P O ankommen kann. Entscheidend für die Fallösung ist aber auch im Internationalen Zivilprozeßrecht die Wertung. Es muß festgelegt werden, wann die prozessuale Eingriffsschwelle überschritten ist, unter welchen Voraussetzungen also eine Zuständigkeitserschieichung vorliegt, die tatsächlich zur Unzulässigkeit der Klage führt.

1.

Abgrenzungen

a)

Simulation

aa) Wie die Gesetzesumgehung ist auch die Zuständigkeitserschieichung von der Simulation zu unterscheiden 5 2 . Bei der Simulation wird die Zuständigkeit nicht durch eine Manipulation, sondern durch Täuschung begründet, indem z.B. der ständige Aufenthalt im Forumstaat vorgetäuscht wird. Liegt eine derartige Täuschung vor, fehlt es an dem betroffenen Tatbestandsmerkmal der Zuständigkeitsnorm. Das angerufene Gericht ist also nicht zuständig, die Klage unzulässig. Auf der Grenze liegen auch bei der Zuständigkeitserschieichung die Fälle, in denen die Simulation ein Mittel der Erschleichung bildet.

Dazu Heeder, S . 3 0 6 f . ; im einzelnen unten § 17 II.2.a). Ferid, IPR, R d n r . 3 - 1 8 3 ; Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 8 ; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 42; Roth, Der Vorbehalt des ordre public, S. 47; Schuck, IZVR, Rdnr. 4 9 0 ; Stein/]onus-Schumann, ZPO, § 1 Rdnr. 12; zu Schadensersatzansprüchen Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht und prozessuales Fremdenrecht, S. 338ff.; Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Kap. 3 Rdnrn. 167ff., 178 F n . 3 6 6 ; weitere Nachweise ebenda Rdnr. 176. 52 Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht, S . 3 3 3 ; Schuck, IZPR, Rdnr. 4 8 9 ; vgl. auch Lüderitz, IPR, Rdnr. 148. Zur Abgrenzung von Simulation und Gesetzesumgehung im Sachrecht oben § 4 II. und im IPR oben § 14 I. 50 51

324

§17

Gesetzesumgebung

im Internationalen

Verfahrensrecht

Über einen derartigen Fall, der allerdings auf nationaler Ebene spielt, hatte 1 9 0 2 das Reichsgericht zu entscheiden 5 3 . Der Kläger hatte in einem Wechselprozeß die Zuständigkeit nach § 6 0 3 Abs. 2 CPO (entspricht § 6 0 3 Abs. 2 Z P O ) erschlichen, indem er eine Streitgenossenschaft verklagte, dabei aber denjenigen, der am Klageort wohnte, nur zum Schein. Das Reichsgericht begründete seine Entscheidung mit der Einrede der Arglist. Etwas anderes war in diesem Fall auch nicht möglich, da der Streitgenosse immerhin tatsächlich Schuldner war. Sonst gilt dasselbe wie im materiellen Recht: Es ist zunächst eine Dissimulation vorzunehmen und dann von diesem Sachverhalt auszugehen. bb) Wurde das angerufene Gericht erfolgreich getäuscht und ist ein Urteil ergangen, stellt sich in Simulationsfällen die Frage der Anerkennung dieses Urteils 5 4 . Das O L G Koblenz hielt die Anerkennung eines türkischen Scheidungsurteils für ausgeschlossen nach § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 4 Z P O , weil der Ehemann durch Täuschung über den Aufenthaltsort seiner Ehefrau ein Urteil erlangte, ohne daß die Frau von dem Verfahren Kenntnis hatte 5 5 . In einem Fall des B G H hatte der Kläger das (italienische) Gericht über die Begründetheit der Klage getäuscht und dem Beklagten durch Täuschung die Möglichkeit genommen, sich gegen die Klage zu verteidigen 5 6 . Auch in diesem Fall wurde die ordre-public-Klausel angewandt (damals Art. 2 7 Nr. 1 EuGVÜ, jetzt Art. 3 4 Nr. 1 E u G W O ) . Bezieht sich die Täuschung auf ein zuständigkeitsbegründendes Merkmal, kann die Anerkennung bereits an § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 1 Z P O scheitern. Das angerufene Gericht war dann bereits nach seinen eigenen Zuständigkeitsregeln nicht zuständig, so daß in aller Regel auch keine internationale Zuständigkeit nach deutschem Recht gegeben war. Ein Beispiel bildet einer der interzonalen Scheidungsfälle der Nachkriegszeit 5 7 . Der aus dem Westen stammende Ehemann hatte in Thüringen auf Scheidung geklagt und dabei die dortigen Behörden über die Dauer seines Aufenthalts getäuscht. Der B G H bestätigte die - damals umstrittene - entsprechende Anwendung von § § 3 2 8 , 6 0 6 f f . Z P O , lehnte aber wegen der Täuschung eine Anerkennung nach § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 1 Z P O ab. Wie oben erwähnt, kommt in Täuschungsfällen auch ein Schadensersatzanspruch nach § 8 2 6 B G B in Betracht 5 8 .

R G 1 2 . 4 . 1902 - Rep. I. 427/01, R G Z 51, 175 (176). Zur Anerkennung und ihren gesetzlichen Voraussetzungen unten § 18 I. 5 5 O L G Koblenz 2 0 . 1 1 . 1990 - 15 U F 351/90, FamRZ 1991, 4 5 9 . Die Versagung des rechtlichen Gehörs ist der Hauptanwendungsfall der ordre-public-Klausel in § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO; dazu Stein/]onas-Roth, ZPO, § 3 2 8 Rdnr.139 m.w.N. 5 6 BGH 1 0 . 7 . 1986 - IX Z B 27/86, IPRax 1987, 2 3 6 (Grunsky, S.219). 5 7 BGH 1 8 . 3 . 1 9 5 9 - IV Z R 274/58, FamRZ 1959, 207. 58 OLG Königsberg 2 1 . 3 . 1 9 3 5 - 5 U 245/34, IPRspr 1 9 3 5 - 4 4 , Nr. 10; dazu oben § 171.1.b). 53

54

II.

Zuständigkeitserschieichung

325

b) Ordre public Ein vergleichbares Verwandtschaftsverhältnis besteht zum ordre public. Im Internationalen Zivilprozeßrecht sind der materiellrechtliche ordre public des Art. 6 E G B G B und der prozessuale ordre public zu unterscheiden: N a c h § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 4 Z P O steht auch die Anerkennung eines ausländischen Urteils unter einem ordre-public-Vorbehalt. N a c h einer in Rechtsprechung und Literatur verbreiteten Auffassung greift der prozessuale ordre public auch dann ein, wenn das anzuerkennende Urteil auf einer Zuständigkeitserschieichung beruht - diese Frage wird im Zusammenhang mit dem Recht der Urteilsanerkennung erörtert 5 9 . Für das Verhältnis zu dem materiellrechtlichen ordre public gilt das gleiche wie bei der Umgehung von Kollisionsnormen. Z w a r gehen Zuständigkeitserschieichungen oft mit einem ordre-public-Verstoß einher, wenn sie auf die Wertungsunterschiede zwischen Rechtsordnungen abzielen. Es liegt aber nicht bereits in der Zuständigkeitserschieichung als solcher ein Verstoß gegen den ordre public: Art. 6 E G B G B befaßt sich mit dem Inhalt des angewandten Sachrechts, nicht mit dem Weg, auf dem man dorthin gelangt 6 0 .

2. Erscheinungsformen Die Zuständigkeitserschieichung wirft also ähnliche Abgrenzungsfragen auf wie die Gesetzesumgehung im materiellen IPR. Wenig erörtert wird jedoch die Frage, welches Verhältnis Gesetzesumgehung und Zuständigkeitserschieichung zueinander haben. N a c h wohl überwiegender Auffassung ist die Zuständigkeitserschieichung ein Unterfall der Gesetzesumgehung; so ist in der Literatur zu lesen, es gelte „- wie immer - das Verbot der Gesetzesumgehung, hier in Form der Z u ständigkeitserschleichung" 6 1 . Z w a r wird an anderer Stelle erklärt, angesichts von § 3 2 8 Abs. 1 N r n . 1, 4 Z P O sei keine fraus legis erforderlich 6 2 ; das bezieht sich aber nur auf die spezielle Frage der Urteilsanerkennung. N a c h der hier entwickelten Definition ist Gesetzesumgehung ein Rechtsproblem, das sich aus der Differenz zwischen Geltungsbereich und Ziel der umgangenen N o r m ergibt und besondere Wertungsfragen sowie besondere methodische Probleme aufwirft 6 3 . Z u diesem Problemkreis gehört - wie erwähnt - das forum Shopping nicht: Wenn es mehrere konkurrierende Gerichtsstände gibt, kann nicht das Ziel einer Zuständigkeitsnorm verfehlt sein, wenn einer davon zu Lasten der anderen ausgewählt wird.

Unten § 1 8 I.2.c). Kegel/Schurig, IPR, S.428; Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht, S.337; Roth, Der Vorbehalt des ordre public, S.48. 61 Soergel-Kronke Anh. IV Art. 38 EGBGB Rdnr.39. 62 MünchKomm-Sonnenherger, Einl. IPR Rdnr. 705. 6 3 Dazu zusammenfassend oben § 12 I. 59 60

326

§17

Gesetzesumgehung

im Internationalen

Verfahrensrecbt

Anders ist es bei der Zuständigkeitserschieichung: Der Handelnde „ergeht" oder erschleicht hier durch eine Manipulation den Tatbestand der zuständigkeitsbegründenden Prozeßnorm und umgeht gleichzeitig den Tatbestand der sonst anwendbaren N o r m 6 4 . Es liegt auch eine Zielverletzung vor. So hat z.B. im Fall M a x Reinhardt die A n k n ü p f u n g an den Wohnsitz des Klägers das Ziel, den sachnächsten Gerichtsstand zur Geltung zu bringen. Wird das Domizil nur vorübergehend zum Zweck der Scheidung begründet, ist dieses Ziel nicht erreicht. Bei der Zuständigkeitserschieichung stellen sich auch ähnliche Wertungsfragen wie bei der Gesetzesumgehung. So kann die Möglichkeit einer Scheidung sowohl durch die Manipulation einer Zuständigkeitsnorm als auch durch die Manipulation einer Kollisionsnorm ergangen werden. Die Besonderheit der Zuständigkeitserschieichung liegt aber in der zusätzlichen rechtlichen Ebene des Prozeßrechts. Sie k a n n daher ganz unterschiedliche Ziele und Motive haben, die auch für die Struktur des Vorgehens von Bedeutung sind: Dem Kläger k a n n es nur auf das Prozeßrecht a n k o m m e n , oder er k a n n mit Hilfe des im Forumstaat geltenden Kollisionsrechts in eine bestimmte Sachnorm hineinkommen wollen. Es stellt sich die Frage, ob sich daraus Besonderheiten für die Wertung und das methodische Vorgehen ergeben.

a) „Erschleichung"

des

Prozeßrechts

K o m m t es dem Kläger bei Manipulationen der Zuständigkeit auf das Prozeßrecht an, können dahinter wieder unterschiedliche Motive stecken. Der Kläger kann tatsächliche Vorteile (einfachere Prozeßführung) anstreben oder rechtliche Vorteile (z.B. Anspruch auf Prozeßkostenhilfe; Zugriff auf inländisches Vermögen des Beklagten). Die Zuständigkeitserschieichung aus tatsächlichen Gründen k a n n in gleicher Weise auch auf inländischer Ebene stattfinden, wenn beispielsweise ein in Flensburg w o h n h a f t e r Kläger vermeiden möchte, seinen Prozeß vor dem Landgericht Freiburg zu führen. In derartigen Fällen besteht kein Wertungsunterschied zu einer Zuständigkeitserschieichung auf nationaler und internationaler Ebene. In der Praxis spielt die Erschleichung im Inland keine große Rolle, da die meisten nationalen Zuständigkeitsnormen nur schwer zu manipulieren sind 6 5 . Anders ist es, wenn der Kläger rechtliche prozessuale Vorteile anstrebt, da er sich hier wie bei der Gesetzesumgehung im materiellen Zivilrecht die Unterschiede verschiedener nationaler Rechtsordnungen zunutze macht. Aus deutscher Sicht werden prozessuale Vorteile oft mit Hilfe von § 2 3 Z P O erschlichen. N a c h dieser N o r m besteht ein Gerichtsstand gegen einen Beklagten, der im Inland kei64

Heeder, S. 106. Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 R d n r . 2 1 1 . Der im folgenden erörterte § 2 3 Z P O findet nur A n w e n d u n g , w e n n der Beklagte im Inland keinen Wohnsitz hat. 65

II.

Zuständigkeitserschieichung

327

nen Wohnsitz hat, bei dem Gericht, in dessen Bezirk sich Vermögen des Beklagten oder der mit der Klage in Anspruch genommene Gegenstand befindet. Z w e c k dieser N o r m ist es, zugunsten des Klägers die Rechtsverfolgung und Zwangsvollstreckung im Inland zu ermöglichen. N a c h herrschender Meinung ist § 2 3 Z P O zwar international unerwünscht, verstößt aber weder gegen Völker- noch Verfassungsrecht 6 6 . Im R a h m e n der E u G W O ist die Anwendbarkeit dieser Zuständigkeitsnorm allerdings eingeschränkt; vgl. Artt. 3 Abs. 2 , 4 Abs. 2 , Anhang I E u G W O (so auch schon in Artt. 3 Abs. 2 , 4 Abs. 2 E u G V Ü ) . Die weite Formulierung von § 2 3 Z P O läßt verschiedene Möglichkeiten der Zuständigkeitserschieichung zu. Bereits erwähnt wurde die M e t h o d e , dem Beklagten durch unzulässige Klage im Inland einen Anspruch auf Erstattung seiner Kosten und damit einen inländischen Vermögensgegenstand zu beschaffen 6 7 . Ein anderer Weg besteht darin, den Klagegegenstand oder einen Vermögensgegenstand des Beklagten gezielt ins Inland zu verbringen 6 8 . Die Rechtsprechung zu diesen Fällen hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. N a c h dem Reichsgericht und der früheren Rechtsprechung des B G H k o m m t es nur darauf an, ob die Voraussetzungen von § 2 3 Z P O objektiv vorliegen, eine Überprüfung des M o t i v s oder der Relation von Vermögens- und Klagegegenstand findet nicht statt 6 9 . In einer Entscheidung aus dem J a h r e 1 9 7 6 erwähnte der Fünfte Senat des B G H obiter, der Gerichtsstand nach § 2 3 Z P O könne arglistig herbeigeführt werden und nannte ausdrücklich das Beispiel der Klage vor einem unzuständigem G e r i c h t 7 0 . Der vollständige Wandel der Rechtsprechung erfolgte 1 9 9 1 mit einer Entscheidung des Elften Senats des B G H 7 1 . Es ging um einen Rechtsstreit, der sich aus der vorzeitigen Auflösung eines Bauvertrages eines zypriotischen Bauunternehmens über ein O b j e k t in Libyen ergab. Klägerin war eine Mitgesellschafterin der zypriotischen Firma aus abgetretenem Recht, Beklagte eine türkische G r o ß bank mit Sitz in Ankara und einer Niederlassung in Deutschland. Die Klage in Deutschland beruhte also nicht auf einer Manipulation der Klägerin, sondern nur auf forum Shopping, da sie sich auf das Vermögen der Niederlassung stützen konnte. Dennoch hielt der B G H die Klage für unzulässig: Das Tatbestandsmerkmal „ V e r m ö g e n " sei einschränkend auszulegen in der Weise, daß der Rechtsstreit einen hinreichenden Bezug zum Inland haben müsse.

Zöller-Vollkommer, ZPO, §23 Rdnr. 1 mit Nachweisen. Dazu oben §4 1. 68 Dazu Baumbach/Lauterbach-Hartmann, ZPO, § 23 Rdnr. 7. 69 So bereits RG 26.5. 1 8 8 6 - R e p . I . 121/86, RGZ 16, 391 (393) zum damaligen §24 CPO; BGH 30.1. 1980, VIII ZR 197/78, WM 1980, 410; weitere Nachweise auch zur Literatur in BGH 2.7. 1991 - X I ZR 206/90, BGHZ 115, 90 (93). 7 0 BGH 10.12.1976 - V Z R 145/74, IPRspr 1976, Nr.212 (S.586ff.) (593) = BGHZ 68,16 (in BGHZ ist die entscheidende Passage nicht abgedruckt). 71 BGH 2.7. 1991 - XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90. 66

67

328

§17

Gesetzesumgehung

im Internationalen

Verfahrensrecht

Z u r Begründung verwies der B G H auf Entstehungsgeschichte, Völkerrecht sowie den „eigentlichen Sinn und Z w e c k " von § 2 3 Z P O . Es widerspräche der gesetzgeberischen Vorstellung, aufgrund des Wortlauts von § 2 3 Z P O „die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für jedwede Streitigkeit zwischen Parteien ohne Wohnsitz in Deutschland zu begründen und damit in weitem Umfang dem ,forum Shopping' [...] Vorschub zu leisten" 7 2 . D e r B G H wollte seine Auslegung also ausdrücklich nicht nur auf Fälle der Zuständigkeitserschieichung, sondern auch auf das im übrigen allgemein tolerierte forum Shopping ausdehnen. Eine derartige Einschränkung des Geltungsbereichs von § 2 3 Z P O ist jedoch zu weitgehend, da auch die anderen Zuständigkeitsregeln objektiv anknüpfen und grundsätzlich M o t i v e des Klägers nicht berücksichtigt werden. Wie erwähnt, wird forum Shopping aus guten Gründen grundsätzlich akzeptiert 7 3 . Insbesondere gibt auch der klare Wortlaut von § 2 3 Z P O wenig R a u m für eine Auslegung im Sinne des B G H . So könnte sich eine Auslegung darauf beziehen, o b das Tatbestandsmerkmal „ V e r m ö g e n " in einem angemessenen Verhältnis zum Klagegegenstand stehen muß. Die Entscheidung des B G H befaßt sich jedoch ausdrücklich nicht mit dieser Frage, sondern konstruiert ein eigenes Tatbestandsmerkmal in Gestalt des Inlandsbezuges. D a m i t hat der B G H die Grenze der Auslegung verlassen und die der Rechtsfortbildung erreicht. Es ist fraglich, ob bloßes forum Shopping eine so weitgehende richterliche M a ß n a h m e rechtfertigt. Überdies führt die Auslegung des B G H zu einer Benachteiligung von Ausländern, da der Beklagte in Fällen des § 2 3 Z P O regelmäßig ein Ausländer sein wird. Klagen von Ausländern im Inland sind danach selten möglich, solche von Inländern schon, da der geforderte Inlandsbezug in der Regel durch einen inländischen Kläger hergestellt wird 7 4 . Die Entlastung deutscher Gerichte vor komplizierten ausländischen Rechtsstreitigkeiten

ist

nicht Schutzgut des § 2 3 Z P O und im übrigen auch nicht zu befürchten, da das deutsche Prozeßrecht und Kollisionsrecht Ausländern keine besonderen Vorteile bieten. Demgegenüber kann eine Rechtsfortbildung extra legem vorgenommen werden, wenn dies in Umgehungsfällen zwingend geboten ist 7 5 . Ein angemessener K o m p r o m i ß kann also darin liegen, die Zuständigkeit nach § 2 3 Z P O nicht bereits in Fällen von forum Shopping abzulehnen, wie es auch der allgemeinen Richtung der deutschen Rechtsprechung zum forum Shopping entspricht. Demgegenüber ist die Forderung nach einem Inlandsbezug sachgerecht in Fällen ech-

BGH 2 . 7 . 1991 - X I ZR 206/90, BGHZ 115, 90 (98f.). Dazu oben § 1 7 I.2.a). 74 Deutsche Staatsangehörigkeit, Geschäfts- oder Wohnsitz des Klägers genügen für den Inlandsbezug, Zöller- Vollkommer, ZPO, § 2 3 Rdnr. 13 mit Nachweisen. Das OLG Düsseldorf will eine Ausnahme machen, wenn der Anspruch an einen Inländer abgetreten wird, dazu gleich unten. 75 Dazu oben § 11 II. zum Sachrecht, § 16 I.3.c) zum IPR. 72

73

II.

Zuständigkeitserschieichung

329

ter Gesetzesumgehung; wenn also die Zuständigkeit durch eine gezielte Manipulation erschlichen wird. Ein Fall des O L G Düsseldorf aus dem Jahr 1 9 9 4 zeigt, daß auch die Rechtsprechung in Wahrheit nicht beim Inlandsbezug, sondern bei der Umgehungshandlung ansetzt 7 6 . Beklagte war auch hier eine Bank; und zwar ein irakisches Geldinstitut mit Vermögen in Deutschland. Der ursprüngliche Anspruchsteller, ein türkisches Unternehmen, hatte seine Forderung an den Kläger abgetreten, der seit langem in Deutschland wohnte. Trotz dieses inländischen Klägers vermißte das O L G Düsseldorf auch hier den Inlandsbezug und begründete das mit der Erschleichung der Zuständigkeit. Konsequent wäre es dagegen gewesen, den Umweg über den Inlandsbezug wegzulassen und gleich bei der Manipulation durch Abtretung der Forderung, also der Zuständigkeitserschieichung, anzusetzen. b) „Erschleichung"

von

Sachrecht

In anderen Fällen kommt es dem Kläger nicht auf die Geltung des Prozeßrechts an, sondern auf bestimmte Sachnormen. Die Erschleichung der Zuständigkeit bildet aber das Mittel zum Zweck, weil entweder der Forumstaat bei Zuständigkeit grundsätzlich sein eigenes Recht anwendet (so in den USA), oder weil das Kollisionsrecht des Forumstaates auf die angestrebte Sachnorm verweist 77 . Im letzteren Fall ist theoretisch sogar möglich, daß der Kläger eigentlich in A klagen müßte, aber in B klagt, weil das Kollisionsrecht von B auf die Rechtsordnung von C verweist. Die Manipulation betrifft in diesen Fällen meist nicht nur die Zuständigkeitsnorm, sondern auch die Kollisionsnorm; so mußte z.B. M a x Reinhardt nicht nur die Zuständigkeit lettischer Gerichte, sondern auch die Geltung des lettischen Sachrechts herbeiführen. Deswegen ist hier § 2 3 ZPO von geringerer Bedeutung. Aus dem Ziel der Zuständigkeitserschieichung ergeben sich auch Unterschiede in der rechtlichen Struktur. Geht es dem Kläger nur um prozessuale Vorteile, ist sein Vorgehen einstufig wie bei der Gesetzesumgehung im Sachrecht: So kann ein Anspruch auf Prozeßkostenhilfe im Inland durch Abtretung an einen Bedürftigen erschlichen werden; auf internationaler Ebene durch Abtretung des Anspruchs an einen Inländer - beide Manipulationen werden von der Rechtsprechung in der Regel nicht akzeptiert. Wenn es dem Kläger auf eine Sachnorm ankommt, ist sein Vorgehen dagegen mindestens zweistufig; wenn es eine Kollisionsrechtsordnung gibt, sogar dreistufig: Zuständigkeitsnorm - Kollisionsnorm - Sachnorm. Der Kläger geht in gleicher Weise mittelbar vor wie bei der Gesetzesumgehung im IPR. Die Möglichkeit eines dreistufigen Vorgehens macht deutlich, daß dem Objekt der Manipulation 76 77

O L G Düsseldorf 11.8. 1994 - 6 U 227/93, RIW 1996, 598 (601). Dazu Heeder, S . 3 0 7 .

330

§17

Gesetzesumgehung

im Internationalen

Verfahrensrecht

auch die Rolle des Objekts der Gesetzesumgehung zukommen muß. Sieht man mit der früher vertretenen Auffassung das Objekt der Gesetzesumgehung in der Sachnorm, könnte man nicht zwischen Gesetzesumgehung im IPR und im Internationalen Verfahrensrecht differenzieren78. Betrachtet man die Rechtsprechung, scheinen sich diese unterschiedlichen Strukturen auch auf die Wertung im praktischen Fall auszuwirken. Wie oben erwähnt, wird die Erschleichung prozessualer Vorteile über § 23 ZPO streng beurteilt. Kommt es dem Kläger dagegen auf die Sachnorm an, ist die Rechtsprechung sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, Klagen aus dem Gesichtspunkt der Zuständigkeitserschieichung für unzulässig zu halten 79 . Im nächsten Abschnitt werden die Gründe für diese unterschiedlichen Wertungen zu klären sein. 3. Methodik und Wertung a) Rechtsnatur

der

Zuständigkeitserschieichung

aa) Zuständigkeitserschieichung kommt nicht nur im deutschen Prozeßrecht vor 80 . Wie bei der Gesetzesumgehung im materiellen Recht fallen auch hier die Wertungsunterschiede der Rechtsordnungen auf. In England, wo die Gesetzesumgehung im materiellen Recht praktisch keine Rolle spielt, können Zuständigkeitserschieichungen unter die oben erwähnte Lehre vom forum non conveniens fallen. Da sich die Entwicklung dieser Lehre in den letzten Jahren jedoch weitgehend auf das häufigere forum Shopping konzentriert hat, lassen sich kaum Feststellungen zu ihrer praktischen Auswirkung treffen. Riezler stellte 1949 fest, die Anwendung der Lehre beschränke sich auf Fälle, in denen die Zuständigkeit des britischen Gerichts für den Beklagten eine besonders schwere Belastung bedeute 81 . Eine Extremposition vertritt wie schon bei der Gesetzesumgehung im materiellen Recht das französische Recht. Zuständigkeitserschieichung gilt als Unterfall des Rechtsinstituts der fraude ä la loi. Auch hier sind französische Gerichte wenig tolerant; so wurde im bekannten Fall der Prinzessin Bauffremont eine Scheidung im Ausland unter Wechsel der Staatsangehörigkeit nicht anerkannt, während deutsche Gerichte die Motive für den Erwerb der zuständigkeitsbegründenden Staatsangehörigkeit für gleichgültig halten 82 . Besonders anfällig für 78 Römer, der 1955 das Objekt der Umgehung im Sachrecht sah, erwähnt die Gesetzesumgehung im Internationalen Zivilverfahrensrecht nicht. 7 9 So Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Kap. 3 Rdnr. 177 mit Nachweisen; im einzelnen unten § 17 II.5. 8 0 Zur Rechtsvergleichung: Heeder, S.312ff.; Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht, S. 336ff. 81 Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht, S. 337. 8 2 Zur Rechtslage in Frankreich Heeder, S.312ff.; Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Kap. 3 Rdnr. 179; Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht, S.336

IL

Zuständigkeitserschieichung

331

Erschleichungen ist Art. 14 Code civil, wonach der inländische Gerichtsstand gegeben ist, wenn ein Franzose aus einem Schuldverhältnis mit einem Ausländer klagt. Nach einer Entscheidung der Cour de Cassation aus dem Jahre 1987 gilt das nicht, wenn die Forderung zu diesem Zweck an einen Franzosen abgetreten wurde („fraude au juge naturel") 83 . In der deutschen Literatur folgt bis heute ein erheblicher Teil der Autoren der französischen Tradition. Zuständigkeitserschieichung wird als Fall der Gesetzesumgehung oder fraus legis angesehen, wobei offenbar die meisten Vertreter dieser Ansicht von einem selbständigen Rechtsinstitut der fraus legis ausgehen 84 . In der jüngeren Literatur ist demgegenüber die Auffassung verbreitet, die Lösung liege in einer sachgerechten Auslegung der Zuständigkeitsregeln 85 . Die deutsche Rechtsprechung hat sich nicht dogmatisch festgelegt. In der Sache ist sie großzügig; auch die durch Manipulation begründete Zuständigkeit wird in der Regel anerkannt 8 6 . Von der Literatur wird diese Toleranz begrüßt oder zumindest nicht grundlegend kritisiert - unabhängig von der dogmatischen Ausgangsposition. bb) Wie oben erwähnt, ist Zuständigkeitserschieichung ein Fall der Gesetzesumgehung: Die zuständigkeitsbegründende Norm wird ergangen, die eigentlich geltende Norm umgangen; der Grund dafür liegt in einem Auseinanderfallen von Ziel und Geltungsbereich der Zulässigkeitsnormen. Es stellen sich entsprechende Rechtsfragen der Abgrenzung und Wertung. Ein eigenes Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung ist ebenso wie bei der materiellrechtlichen Umgehung nicht erforderlich und auch nicht sachgerecht, da der Ansatz bei der umgehungsspezifischen Wertung und ihrer Umsetzung liegen muß 8 7 . Die Auffassung, das Problem durch Auslegung der umgangenen oder ergangenen Norm zu lösen, ist ebenfalls aus der allgemeinen Umgehungslehre bekannt. Es gilt das bereits dort entwickelte Ergebnis: Die Frage der Umgehung oder Erschleichung stellt sich erst, wenn die Grenzen der Auslegung überschritten sind. Bei der Gesetzesumgehung liegt die Lösung von Umgehungsfällen daher im Regelfall in der analogen Anwendung der umgangenen Norm. Bei der Zuständig-

zum Fall Bauffremont; Schack, I Z V R , Rdnr. 4 9 0 . Z u r Praxis in Deutschland insbesondere B G H 4 . 6 . 1971 - IV Z R 97/70, N J W 1 9 7 1 , 2 1 2 4 (2125) und bereits das Reichsgericht zu den sog. ungarischen Ehen, R G 2 . 1 2 . 1940 - IV 2 4 0 / 4 0 , D R (NJW) 1941, 946 m. A n m . Lauterbach. 83 C o u r de Cassation 2 4 . 1 1 . 1987, Soc. Europe Aero Service c. Soc. Garret C o r p o r a t i o n , Rev. crit. dr. i. p . 1 9 8 8 , 3 6 4 . 84 Heeder, S.306; Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht, S. 3 3 1 f.; Roth, Der Vorbehalt des ordre public, S.47f.; so o f f e n b a r auch die Grundlage von Soergel-Kegel vor Art. 3 EGBGB, Rdnr. 132. 85 H a n d b u c h des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Kap. 3 Rdnr. 180; Schack, I Z V R , Rdnr. 4 9 1 . 86 H a n d b u c h des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Kap. 3 Rdnr. 177. 87 Z u m Sachrecht zusammenfassend oben § 12 II.; z u m IPR oben § 16 I.3.c).

332

§17

Gesetzesumgehung

im Internationalen

Verfahrensrecht

keitserschleichung wird es eher um eine Reduktion der erschlichenen Norm gehen 88 . Als Beispiel für zweckmäßige Auslegung wird von Vertretern der erwähnten Auffassung § 23 ZPO genannt 89 . Wie oben erwähnt, wird aber gerade hier die Grenze der Auslegung überschritten, wenn die Rechtsprechung einen Inlandsbezug des gesamten Sachverhalts fordert, obwohl in der Norm nur von inländischem Vermögen des Beklagten die Rede ist. Es liegt keine Auslegung vor, sondern eine Rechtsfortbildung, die auch die Grenzen der teleologischen Reduktion überschreitet. Im Vordergrund steht also weniger die „zweckmäßige Auslegung", sondern die Wertung, aufgrund der Erschleichung die Zulässigkeit nicht zu gewähren. Andere Zulässigkeitsnormen sind durch Handlungen des Klägers kaum zu erschleichen 90 . Die Zuständigkeitserschieichung bildet also auch methodisch einen Unterfall der Gesetzesumgehung. Wie die Gesetzesumgehung ist auch die Zuständigkeitserschieichung kein eigenständiges Rechtsinstitut, aber ein eigenständiges Rechtsproblem. Bei der Lösung steht die Wertung im Vordergrund. Sie kann zu einer Überschreitung der Grenzen der Auslegung führen; u.U. ist auch Rechtsfortbildung möglich. Entgegen der Ansicht des BGH genügt bloßes forum Shopping dafür aber noch nicht. b) Stufen der

Wertung

Somit entspricht die Fallbearbeitung bei der Zuständigkeitserschieichung derjenigen in anderen Umgehungsfällen: Im Vordergrund steht die Wertung, die sich aus den Besonderheiten der Gesetzesumgehung ergibt. Die umgehungsspezifische Wertung ist auch hier zweistufig: Von der ersten Stufe der Zielverfehlung hängt ab, ob überhaupt eine Gesetzesumgehung vorliegt; auf der nächsten Stufe, der Eingriffsschwelle, stellt sich die Frage ihrer Wirksamkeit. Die Methode Analogieschluß, teleologische Reduktion oder Rechtsfortbildung - dient nur dazu, die Wertung umzusetzen und zu begrenzen. Das Ziel des umgangenen Gesetzes ist wie im materiellen Recht mit den Mitteln der Auslegung festzustellen. Dabei kommt es auch darauf an, ob die Anknüpfung bewußt umgehungsfest oder eher locker gestaltet ist. Ein Beispiel bildet der Sachverhalt einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main, bei der es um die Anerkennung einer Scheidung im Ausland ging 91 . Eine philippinische Ehefrau wollte sich von ihrem Mann scheiden lassen, was nach philippini8 8 Analogieschlüsse sind im Prozeßrecht nach dem allgemeinen Regeln möglich; dazu Baumbach/Lauterbach-Hartmann, ZPO, Einl. III, Rdnrn. 44ff.; Zöllner-Vollkommer, Einleitung, Rdnr. 97. 89 Schack, IZVR, Rdnr. 491. 90 Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rdnr.211. 91 OLG Frankfurt/M. 14.7. 1989 - 20 VA 4/89, NJW 1989, 3101.

II.

333

Zuständigkeitserschieichung

schem Eherecht nicht möglich war. Sie begab sich für etwa zwei Monate nach Guam (USA) und erwirkte dort ein als Versäumnisurteil bezeichnetes Ehescheidungsurteil. Die Anerkennung scheiterte daran, daß kein gewöhnlicher Aufenthalt begründet worden war, das Urteil also auf einer Simulation beruhte. Wäre das - wie im Fall M a x Reinhardt

- anders gewesen, hätte die Scheidung jedoch anerkannt

werden müssen, da die internationale Zuständigkeit für Ehesachen eine bewußt schwache Anknüpfung hat 9 2 . Die Parallele einer bewußt schwachen Anknüpfung für das materielle IPR bildet die Anknüpfung an die Ortsform in Art. 11 Abs. 1 2. Alt. E G B G B 9 3 . Eine Abwägung erfordert wie in allen Umgehungsfällen die Eingriffsschwelle: Ist die Umgehung schwerwiegend genug, um ihre Unwirksamkeit zu rechtfertigen? Im materiellen Recht kann sich die Unwirksamkeit aus einer negativen Bewertung des Vorgehens des Umgehers ergeben, wenn dieser beispielsweise einen anderen bewußt schädigen wollte oder aus den besonders schweren Folgen, wenn z.B. der Schutzzweck eines Gesetzes ausgehebelt wird. Ausgangspunkt der umgehungsspezifischen Wertung auf der zweiten Stufe sind zwei Fragen: 1) Nach welchen Kriterien richtet sich die Wertung im praktischen Fall? - Dazu im folgenden 4. 2) Wie hoch ist die Eingriffsschwelle, d.h. welches Ausmaß muß die negative Bewertung haben, um ein Abweichen vom eigentlichen Geltungsbereich des Gesetzes zu rechtfertigen? - Dazu im folgenden 5. Beim Blick in Literatur und Rechtsprechung zeigt sich ein ähnliches Bild wie bei der Gesetzesumgehung im materiellen Recht. Zu den Wertungskriterien gibt es keine einheitlichen Aussagen, praktische Fälle werden kasuistisch entschieden. Zu der Frage, ob subjektive Kriterien vorhanden sein müssen und welche Rolle sie spielen, gibt es unterschiedliche Aussagen. Einigkeit besteht allerdings darin, daß die deutsche Rechtsprechung zu Umgehungsfällen im Internationalen Verfahrensrecht als zurückhaltend und tolerant bezeichnet wird 9 4 . Wie erwähnt, wird das im Ergebnis von der Literatur auch generell akzeptiert.

4. Kriterien der Eingriffsschwelle a) Objektive Kriterien: Mißbrauch,

Arglist

Auf den ersten Blick bieten Literatur und Rechtsprechung zur Zuständigkeitserschieichung ein einheitliches Bild. Wie erwähnt, besteht Einigkeit darüber, daß

92

Kegel/Schurig,

IPR, S . 4 2 8 sind der Ansicht, eine Zuständigkeitserschieichung sei abzuleh-

nen. Dazu oben § 15 I.3.c). Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Schack, IZVR, Rdnr. 4 9 0 , jeweils mit Nachweisen. 93

94

Kap. 3 Rdnr. 177;

334

§17

Gesetzesumgehung

im Internationalen

Verfahrensrecht

auch die durch Manipulation begründete Zuständigkeit grundsätzlich zu akzeptieren ist. Nach einer Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1980 kann sogar eine widerrechtliche Kindesentführung den nach Art. 1 MSA zuständigkeitsbegründenden gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes verändern. Allerdings machte der BGH die Einschränkung, es müsse zu einer sozialen Einbindung des Minderjährigen gekommen sein, das Kindeswohl stand also offenbar im Vordergrund 95 . Auf der anderen Seite besteht jedoch auch Einigkeit, daß die Toleranz nicht schrankenlos sein kann. Zur Abgrenzung werden in Rechtsprechung wie Literatur zwei Begriffe verwandt: Zuständigkeitserschieichungen sollen entweder zur Unzuständigkeit führen, wenn sie einen Mißbrauch96 darstellen oder, wenn sie arglistig97 erfolgt sind. Beide Begriffe werden in der Literatur nicht definiert, sondern nur verwendet, um die Grenze zu umschreiben, ab der eine Zuständigkeitserschieichung ausnahmsweise unwirksam ist. Inhaltlich sind keine Unterschiede zwischen den Begriffen ersichtlich. Eine Definition findet sich nur in dem 1949 erschienenen Handbuch von Riezler. Danach liegt ein Mißbrauch vor, „wenn eine an sich nicht verbotene rechtlich bedeutsame Handlung nur zu einem Zwecke vorgenommen wird, der von den mit solchem Handeln üblicherweise verbundenen oder im Sinne der Rechtsordnung liegenden Zwecken abweicht und dadurch ein in fremdes Interesse, sei es ein privates oder ein öffentliches des Staates, verletzend oder in einer offenbar gefährdenden Weise eingreift." 98 . Die Besonderheiten des Mißbrauchs liegen also in der Zweckverfehlung und der Verletzung oder Gefährdung fremder Interessen. Für die Schädigung soll es auch auf die praktischen Folgen ankommen, z.B. bei einer Klage an einem Ort, der schwer zu erreichen ist oder an dem die Bestellung eines Anwalts oder die Beweisführung erschwert wird 99 . Im Grundsatz entspricht diese Definition den bisherigen Ergebnissen: Die Zweckverfehlung - oder Zielverfehlung - umschreibt die Besonderheit der Gesetzesumgehung, die sie von anderem Handeln unterscheidet. Die Schädigung oder Gefährdung eines Dritten durch rechtliche oder tatsächlich Nachteile ist 95 B G H 2 9 . 1 0 . 1980 - IV b Z B 5 8 6 / 8 0 , B G H Z 78, 2 9 3 (297f.); dazu - zögernd zustimmend - Schack, I Z V R , Rdnr. 4 9 2 ; anders Kegel/Schurig, IPR, S.430; dazu ausführlich Soergel-Kegel vor Art. 19 EGBGB Rdnr. 15 F n . 5 und Art. 19 EGBGB Rdnr. 98 mit zahlreichen Nachweisen. 96 O L G Düsseldorf 1 1 . 8 . 1994 - 6 U 227/93, RIW 1996, 5 9 8 (601); ausführlich Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht, S. 3 3 1 ; Baumbach/Lauterbach-Hartmann, Z P O , Einl. III R d n r n . 54ff., insb. Rdnr. 56; auch Kropholler, IPR, § 58 VII 2 a), der allerdings als Beispiel die Vorspiegelung des gewöhnlichen Aufenthalts a n f ü h r t , also o f f e n b a r M i ß b r a u c h u n d Simulation gleichsetzt. 97 B G H 1 0 . 1 2 . 1976 - V Z R 145/74, IPRspr 1976, N r . 2 1 2 (S. 586) (593) = B G H Z 6 8 , 1 6 (zu § 2 3 Z P O ) ; R G 1 2 . 4 . 1 9 0 2 - R e p . I. 4 2 7 / 0 1 , R G Z 5 1 , 1 7 5 (176: „Arglisteinrede") zu einem Fall aus dem nationalen Recht; H a n d b u c h des Internationalen Zivilverfahrensrechts Kropholler Kap. 3 Rdnr. 178; Nagel/Gottwald, I Z P R , § 3 Rdnr. 211; Schack, I Z V R , Rdnr. 4 8 9 ; Stein/JonasSchumann, § 1 Z P O , Rdnr. 12. 98 Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht, S . 3 3 1 . 99 Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht, S.332.

II.

Zuständigkeitserschieichung

335

auch in anderen Umgehungsfällen ein wichtiges Wertungskriterium und besonders im IPR meist ausschlaggebend 100 . Keine Rolle spielen heute allerdings die von Riezler erwähnten öffentlichen Interessen. Zuständigkeitserschieichungen betreffen Interessen der anderen Prozeßpartei, nicht des Staates. Die Formulierung läßt sich damit erklären, daß Riezler entsprechend der französischen Tradition des „abus de la droit" die Zuständigkeitserschieichung für eine „Verpönung des Rechtsstaats" hält. Präzisiert werden muß auch das Kriterium der geschädigten privaten Interessen. Bei Zuständigkeitserschieichungen wird Geschädigter regelmäßig der Beklagte sein, nur selten ein anderer Prozeßbeteiligter. Allerdings liegt es in der Natur der Prozeßsituation, daß der Beklagte Nachteile erleidet, wenn sein Prozeßgegner - der Kläger - seinen Vorteil sucht. Ahnlich wie bei der Anwendung von § 826 B G B auf Fälle des forum Shopping 101 kann dieser „spiegelbildliche" Schaden also nicht bereits genügen, um eine Zuständigkeitserschieichung für unwirksam zu halten. Es ist vielmehr eine Abwägung der betroffenen Interessen im Einzelfall notwendig. Dabei spricht es für eine Unwirksamkeit der Zuständigkeitserschleichung, wenn die Nachteile des Beklagten über die Vorteile des Klägers hinausgehen. Wenn eine Zuständigkeitserschieichung einem Ehepartner die Scheidung ermöglicht und der andere sie erdulden muß, liegt darin ein nur spiegelbildlicher Schaden. Wirkt sich die Manipulation aber außerdem dahingehend aus, daß dem Beklagten z.B. eine Teilnahme am Verfahren erheblich erschwert wird oder er Nachteile hinsichtlich der Scheidungsfolgen (z.B. Ausschluß von Erbfolge) erleidet, kann die Zuständigkeitserschieichung deswegen unwirksam sein. b) Subjektive

Kriterien:

„Objektive

Zuständigkeitserschieichung"?

Die Begriffe „Mißbrauch" und „Arglist" erwecken den Eindruck, als richte sich die Wirksamkeit der Zuständigkeitserschieichung auch nach subjektiven Kriterien oder als setze der Begriff zumindest ein planmäßiges Handeln voraus. Nach ganz überwiegender Meinung ist das jedoch nicht der Fall: Motive und Zwecke des Klägers sollen bei der Zuständigkeit keine Rolle spielen; das soll ausdrücklich auch für Umgehungsfälle gelten 1 0 2 . Die Rechtsprechung geht sogar vom Begriff der „objektiven Zuständigkeitserschieichung" aus. Danach ist für die ZuDazu oben § 1 5 III.2., V.2. Dazu oben § 1 7 1.1.b). 1 0 2 Lettländischer Senat 3 0 . 6 . 1932 - 2 0 9 8 / 3 2 , J W 1932, 3 8 4 4 m. Anm. Frankenstein (Fall (sog. Max Reinhardt)-, R G 1 . 1 2 . 1940 - IV 240/40, DR (NJW) 1941, 946 m. Anm. Lauterbach ungarische Ehe); BGH 4 . 6 . 1971 - IV Z R 97/70, NJW 1971, 2 1 2 4 (2125): Staatsangehörigkeitswechsel eines Italieners zwecks Scheidung in Deutschland; außerdem R G 2 6 . 5 . 1886 Rep. I. 121/86, R G Z 16, 391 (zu § 23 ZPO); insbesondere O L G Düsseldorf 11. 8. 1994 - 6 U 227/93, RIW 1 9 9 6 , 5 9 8 (601); aus der Literatur Kropholler, IPR, § 58 V I I 2 a), Fn. 77; Lüderitz, IPR, Rdnr.148. 100

101

336

§17

Gesetzesumgehung

im Internationalen

Verfahrensrecht

lässigkeit gleichgültig, ob die Erschleichung der Zuständigkeit überhaupt vom Bewußtsein des Klägers getragen ist. aa) Entwicklung

der

Rechtsprechung

Diese Rechtsprechung hat sich nicht auf internationaler Ebene entwickelt, sondern anhand von Fällen, in denen Kläger Ansprüche oder Sachverhalte aufteilen, um die landgerichtliche Zuständigkeit zu vermeiden 1 0 3 . Zur Begründung der „objektiven Zuständigkeitserschieichung" wird angeführt, der Beklagte werde durch dieses Vorgehen seinem gesetzlichen Richter entzogen. Das O L G Düsseldorf übertrug diese Grundsätze in der bereits erwähnten Entscheidung zu § 23 Z P O auf die internationale Ebene 1 0 4 . Nach den Entscheidungsgründen besteht keine internationale Zuständigkeit nach § 2 3 Z P O , wenn zwar ein Inländer klagt, aber die Zuständigkeit objektiv erschlichen worden sei. Es sei „kein subjektives Unrechtselement" erforderlich; schon durch die objektive Zuständigkeitserschieichung sei der Beklagte seinem gesetzlichen Richter entzogen. Die Begründung der Rechtsprechung mit dem „gesetzlichen Richter" kann nicht überzeugen. Wie bei jeder Gesetzesumgehung tut der Kläger bei einer Zuständigkeitserschleichung nichts Verbotenes, sondern manipuliert die Rechtslage lediglich zu seinen Gunsten. Greift § 23 Z P O also ein, so kann darin kein Entzug des gesetzlichen Richters liegen. Vielmehr ist es eine reine Wertungsfrage, ob § 23 Z P O aufgrund der Erschleichung ausnahmsweise nicht eingreift. Zutreffend an der Ansicht der Rechtsprechung ist aber, daß im Zentrum der Zuständigkeitserschieichung der Beklagte steht. Dieser ist nicht vor üblen Motiven seines Klagegegners, sondern vor einer objektiven Schädigung zu schützen. bb) Erfordernis

zumindest

bewußten

Vorgehens

Dennoch wirft der Begriff der objektiven Zuständigkeitserschieichung Probleme auf. Das zeigt sich im Vergleich mit dem Begriff der objektiven Gesetzesumgehung, der insbesondere der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zugrunde liegt. In beiden Fällen ist damit gemeint, daß auch ein unbewußtes oder zufälliges Handeln die Eingriffsschwelle überschreiten kann 1 0 5 . Wie oben ausgeführt, ist das bei Gesetzesumgehungen im materiellen Recht nur in Ausnahmefällen möglich: wenn die umgangene N o r m einen starken Schutzzweck hat, der über 103

Z.B. KG 2 3 . 6 . 1989 - 13 UF 3 0 5 1 / 8 9 , F a m R Z 1 9 8 9 , 1 1 0 5 ; dazu Baumbach/LauterbachHartmann, Z P O , § 2 R d n r . 7 ; § 3 8 Rdnr. 10; § 1 1 4 Rdnr. 113 Erschleichung des Gerichtsstandes; zum Begriff der objektiven Zuständigkeitserschieichung Einl. III, Rdnr. 56; Übers. § 1 2 , Rdnr. 22. 104 O L G Düsseldorf 11.8. 1994 - 6 U 2 2 7 / 9 3 , R I W 1996, 5 9 8 (601); dazu bereits oben § 17 II.2.a). 105 Z u r objektiven Gesetzesumgehung des BAG s.o. § 9 III. 1 § 11 IV.; zur Zuständigkeitserschieichung d u r c h unbeabsichtigtes Verhalten Baumbach/Lauterbach-Hartmann, Z P O , Einl. III Rdnr. 56.

II.

Zuständigkeitserschieichung

337

ihren Geltungsbereich hinausgeht und auch gegen unbewußte Eingriffe geschützt werden m u ß . Auch Zulässigkeitsnormen können eine Schutzfunktion haben; so wird der Beklagte durch die grundsätzliche A n k n ü p f u n g an seinen Gerichtsstand geschützt, die besonderen Gerichtsstände schützen dagegen oft den Kläger, wie das Beispiel des § 2 3 Z P O zeigt. Diese Beispiele machen bereits die unterschiedliche Ausrichtung von Arbeitsrecht und Prozeßrecht deutlich: Die Schutznormen des Arbeitsrechts sollen ein Uber- und Unterordnungsverhältnis ausgleichen, w ä h rend im Zivilprozeß die Parteien gerade gleichgestellt sind. Ein starker Schutzzweck, der eine „objektive Gesetzesumgehung" für die Unwirksamkeit ausreichen läßt, ist in der Praxis immer nur bejaht worden, wenn ein Ungleichgewicht ausgeglichen werden sollte, z.B. bei Umgehung von Vorschriften des Mieterschutzes. Darüber hinaus f ü h r t der Begriff der objektiven Zuständigkeitserschieichung zu erheblichen Abgrenzungsproblemen bei unbewußtem und zufälligem H a n deln. Insbesondere bei Fällen mit internationalem Bezug hat der Kläger fast immer mehrere Gerichtsstände zur Auswahl, eine objektive Zuständigkeitserschleichung läßt sich fast in jedem Fall begründen, bei dem nicht der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten gewählt wird. Im nationalen Bereich wird zur Abgrenzung der Grundsatz der Prozeßökonomie genannt 1 0 6 . Das hilft im Internationalen Verfahrensrecht jedoch nicht weiter, da ein Prozeß in einem bestimmten Land durchaus ökonomisch sein und dennoch schwere Nachteile für den Beklagten mit sich bringen k a n n - z.B. die Scheidung in einem „Scheidungsparadies". Die A n n a h m e einer objektiven Zuständigkeitserschieichung ist daher zu weitgehend. Z w a r ist der Rechtsprechung zuzugeben, d a ß dem Kläger kein subjektives Unrechtselement 1 0 7 nachzuweisen sein muß, also die Absicht einer Schädigung oder das Bewußtsein, am „falschen" Gerichtsstand zu klagen. Es m u ß sich aus dem Sachverhalt jedoch zumindest ein planmäßiges Handeln ergeben, ein absichtliches Suchen des Gerichtsstands. Schon begrifflich k a n n eine „Erschleichung" nicht unbewußt oder zufällig erfolgen, sondern setzt ein Ziel und grundsätzlich auch ein geplantes Vorgehen voraus. So hat auch die Rechtsprechung nie eine Zuständigkeitserschieichung bejaht oder auch nur geprüft, wenn nicht ein geplantes Handeln, eine bewußte M a n i p u lation, zugrunde lag. Beispielsweise steht es in dem eingangs erwähnten Persönlichkeitsrechtsfall außer Frage, d a ß der Kläger sich die Zeitschriften absichtlich beschafft hat, um in Berlin klagen zu können; auch im Fall des O L G Düsseldorf wird in der Urteilsbegründung ausdrücklich erwähnt, für die Abtretung der Klageforderung k o m m e kein anderer Grund in Betracht als die Begründung der in-

106 107

Baumbach/Lauterbach-Hartmann, Z P O , Grdz. § 128 R d n r n . 14ff.; Einl. III R d n r . 5 6 . So O L G Düsseldorf 1 1 . 8 . 1994 - 6 U 2 2 7 / 9 3 , R I W 1996, 5 9 8 (601).

338

§17

Gesetzesumgehung

im Internationalen

Verfahrensrecht

ternationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte 1 0 8 . Schließlich ist auch bei Umgehungsfällen im IPR für die Unwirksamkeit der Gesetzesumgehung stets ein bewußtes Handeln erforderlich. cc) Regelung

in Art. 6 Nr. 2 EuGWO

(früher Art. 6 Nr. 2

EuGVÜ)

Dieses Ergebnis wird auch gestützt durch die im deutschen Recht einzige gesetzliche Regelung der Zuständigkeitserschieichung: Art. 6 Nr. 2 E u G W O schränkt wie die Vorgängervorschrift Art. 6 Nr. 2 EuGVÜ die Grundregel in Art. 6 der Europäischen Zuständigkeits- und Vollstreckungsverordnung ein. Danach können Personen, die einen Wohnsitz innerhalb eines Vertragsstaates haben, unter bestimmten Voraussetzungen auch außerhalb ihres allgemeinen Gerichtsstands verklagt werden. Art.6 Nr.2 E u G W O trifft die Regelung: „Eine Person [...] kann auch verklagt werden: 2. wenn es sich um eine Klage auf Gewährleistung oder eine Interventionsklage handelt, vor dem Gericht des Hauptprozesses, es sei denn, daß die Klage nur erhoben wurde, um diese Person dem für sie zuständigen Gericht zu entziehen". Art. 6 Nr. 2 E u G W O ist nach Art. 65 Abs. 1 E u G W O (früher Art. V des Protokolls vom 2 7 . 9 . 1968) mit einem deutschen Vorbehalt versehen; die Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 2 E u G W O kann danach in Deutschland nicht geltend gemacht werden 1 0 9 . In der Literatur wird jedoch vertreten, die „selbstverständliche" Einschränkung am Ende der Regelung gelte auch für die anderen Nummern von Art. 6 E u G W O 1 1 0 . Von besonderer praktischer Bedeutung ist das bei Art. 6 Nr. 1 E u G W O , da der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft besonders anfällig für Erschleichungen ist, indem der Kläger einen Dritten mitverklagt, an dem ihm sonst nichts gelegen ist 1 1 1 . Die Formulierung „Klage nur erhoben ..., um ... zu" in Art. 6 Nr.2 E u G W O weist darauf hin, daß ein bewußtes und zielgerichtetes Handeln vorausgesetzt wird 1 1 2 . Das Ziel muß darin liegen, die Person „dem für sie zuständigen Gericht zu entziehen". Weitere Kriterien, insbesondere eine Schädigung oder auch nur eine Zweckverfehlung sind nicht vorgesehen; die gesetzliche Regelung stellt damit allein auf die subjektive Seite ab. Auch wenn sich bei diese einzige gesetzliche Regelung der Zuständigkeitserschieichung auf einen Spezialfall bezieht, spricht sie OLG Düsseldorf 1 1 . 8 . 1994 - 6 U 227/93, RIW 1996, 5 9 8 (601), 2. Leitsatz. Dazu Zöller-Geimer, ZPO, Anh. I Art. 6 E u G W O Rdnrn. 3f. 1 1 0 So zur entsprechenden Regelung im EuGVÜ Geimer W M 1979, 3 5 0 (359). 1 1 1 Oft werden sich diese Fälle allerdings mit dem Begriff der Streitgenossenschaft lösen lassen, indem der erforderliche Sachzusammenhang abgelehnt wird; Geimer W M 1979, 3 5 0 (359); Schack, IZVR, Rdnr.359. Anders ist es beim Wechselrecht, wo § 603 Abs.2 ZPO ähnliche Manipulationen ermöglicht, dazu R G 1 2 . 4 . 1 9 0 2 - Rep. 1.427/01, R G Z 5 1 , 1 7 5 (176) (Zuständigkeitserschleichung hier auf nationaler Ebene). 1 1 2 Nach Kropholler, EuZPR, Art. 6 Rdnr. 32 ist ein „kollusives Zusammenwirken" erforderlich. 108

109

II.

Zuständigkeitserschieichung

339

also dafür, auch allgemein bei der Zuständigkeitserschieichung die subjektive Seite nicht völlig unbeachtet zu lassen.

c)

Zusammenfassung

Die Wertungskriterien lassen sich also folgendermaßen zusammenfassen. Die erste Stufe bildet auch bei der Zuständigkeitserschieichung die Zielverfehlung: Es ist zwar der Geltungsbereich der erschlichenen Zuständigkeitsnorm gegeben; nach dem Ziel der betroffenen N o r m e n müßte aber ein anderes Gericht zuständig sein. Auf der zweiten Stufe steht die Wertung der Eingriffsschwelle. Ihr wichtigstes Kriterium wird in der Literatur mit „ M i ß b r a u c h " oder „Arglist" beschrieben: Durch die Zuständigkeitserschieichung werden tatsächliche oder rechtliche Interessen anderer geschädigt oder gefährdet. Eine rein „objektive Zuständigkeitserschieichung" gibt es im Gegensatz zu einer in Literatur und Rechtsprechung verbreiteten Auffassung nicht. Z w a r genügt „Umgehungsabsicht" oder das Bewußtsein, den Gerichtsstand erschlichen zu haben, allein noch nicht für die Unzulässigkeit der Klage. Es ist jedoch ein bewußtes, im Regelfall auch ein geplantes Vorgehen erforderlich. Es genügt also noch nicht für die Unzulässigkeit einer Klage oder die Nichtanerkennung eines Urteils, wenn dem Verfahren eine unbewußt oder sogar zufällig „erschlichene" Klage zugrunde liegt. Dabei kann aus den Umständen auf ein bewußtes Handeln geschlossen werden.

5. Höhe der Eingriffsschwelle Wie bei allen Gesetzesumgehungen stellt sich auch bei der Erschleichung der Zuständigkeit die Frage nach der H ö h e der Eingriffsschwelle: Welches Ausmaß müssen M i ß b r a u c h oder Arglist haben, damit die Erschleichung unwirksam ist? In Deutschland besteht in Rechtsprechung wie Literatur weitgehend Einigkeit, daß Zuständigkeitserschieichungen grundsätzlich mit Zurückhaltung und Toleranz zu begegnen ist. Eine Analyse der Gründe hierfür ist bislang nicht im einzelnen erfolgt.

a) Manipulation

des Prozeß- und

Kollisionsrechts

Die Besonderheit der Zuständigkeitserschieichung im Internationalen Verfahrensrecht besteht darin, daß es im praktischen Fall meist nicht nur eine Umgehungshandlung gibt. Das gilt jedenfalls dann, wenn Ziel der Erschleichung nicht die prozessuale Ebene ist, sondern die materiellrechtliche. Wenn ein Staat über ein Kollisionsrecht verfügt, das von der Zuständigkeitsordnung unabhängig ist, ist es allein mit der Manipulation der Zuständigkeitsnorm nicht getan, da die Kollisionsrechtsordnung sonst selten in die erwünschte Richtung führt. M a x

340

§17

Gesetzesumgebung

im Internationalen

Verfahrensrecht

Reinhardt mußte beispielsweise nicht nur für die Zuständigkeit lettischer Gerichte sorgen, sondern gleichzeitig auch dafür, d a ß auch für seine Scheidung das lettische Recht galt. Hätte das lettische Gericht tschechoslowakisches Recht angewandt, wäre seine Zuständigkeitserschieichung sinnlos gewesen. Für die Eingriffsschwelle k o m m t es darauf an, ob für beide Manipulationen derselbe M a ß s t a b gilt, ob also eine Klage schon deswegen unzulässig ist, weil kollisionsrechtlich eine unwirksame fraus legis vorliegt. In der Rechtsprechung geht oft beides ineinander über. Bei genauerer Betrachtung ist aber zu differenzieren. Das ergibt sich schon aus der Möglichkeit, d a ß Prozeßrecht und Kollisionsrecht unterschiedliche Anknüpfungskriterien aufweisen können. So k a n n z.B. der Gerichtsstand über § 2 3 Z P O erschlichen werden und sich dann auf der Ebene des Kollisionsrechts die Frage stellen, ob eine Rechtswahlvereinbarung wirksam ist. Im Regelfall wird dieselbe H a n d l u n g beide Ebenen manipulieren, wie es z.B. bei Reinhardts Wechsel des Domizils der Fall war. Auch d a n n gilt aber nichts anderes, weil die Manipulation auf beiden Ebenen unterschiedliche Auswirkungen haben kann und die N o r m e n unterschiedliche Ziele haben können. Die Eingriffsschwelle bei der Zuständigkeitserschieichung ist also mit einer selbständigen Wertung unabhängig von der Eingriffsschwelle des Kollisionsrechts zu beurteilen.

b) Toleranz gegenüber

der

Zuständigkeitserschieichung

Wie in anderen Umgehungsfällen ist auch bei der Zuständigkeitserschieichung die Eingriffsschwelle durch eine Abwägung zu bestimmen. Es k o m m t darauf an, ob die Besonderheiten des Umgehungsfalles es rechtfertigen, das umgangene Gesetz über seinen Geltungsbereich auszudehnen oder den Geltungsbereich des ergangenen Gesetzes zu reduzieren. Wie erwähnt, herrscht bei der Zuständigkeitserschieichung Konsens, die Eingriffsschwelle hoch anzusetzen. Der G r u n d dafür wird in dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit gesehen 1 1 3 . Dagegen wendet sich Heeder. N a c h seiner Auffassung können sich nur gutgläubige, durch die Erschleichung begünstigte Dritte „auf die Rechtssicherheit berufen" 1 1 4 ; er hält also nur solche Personen für schützenswert. Das ist jedoch nicht der Fall. Zuständigkeitserschieichung ist wie jede Gesetzesumgehung grundsätzlich kein illegales Verhalten, sondern eine bloße Ausnutzung von Fehlern des Gesetzgebers. Wer den Geltungsbereich eines Gesetzes vermieden hat, kann sich normalerweise darauf verlassen, d a ß es nicht zur Anwendung k o m m t . Entsprechendes gilt, wenn bewußt eine bestimmte N o r m zur Anwendung gebracht wird. 113 114

Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Heeder, S.310.

Kap. 3 Rdnr. 178.

II. Zuständigkeitserschieichung

341

Das gilt in besonderer Weise beim Prozeßrecht und noch verstärkt bei den Zuständigkeitsregeln. Rechtssicherheit garantiert hier den Rechtsschutz. Wird eine Klage wegen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts abgewiesen, kann der Kläger seine Ansprüche nicht durchsetzen, mögen sie auch materiellrechtlich begründet sein. Die §§12.ff. ZPO sollen den gesetzlichen Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 S.2 GG garantieren 115 . Dieses Grundrecht schützt nicht nur den Beklagten, sondern auch den Kläger. Die Zurückhaltung der deutschen Rechtsprechung gegenüber Zuständigkeitserschieichungen ist daher der richtige Ansatz. Zuletzt muß die Zulässigkeit einer Klage auch noch nicht dazu führen, daß das Vorgehen des Klägers Erfolg hat. Betrifft die Manipulation wie im Regelfall auch die kollisionsrechtliche Ebene, kann sie unabhängig vom Prozeßrecht als Gesetzesumgehung im IPR unwirksam sein. So bestünde beispielsweise im Fall Max Reinhardt die Möglichkeit, die Klage als zulässig anzusehen, sie aber wegen Gesetzesumgehung als unbegründet abzuweisen. Bei untragbarem Ergebnis bleibt als letzter „Notanker" der ordre public. Eine andere Bewertung ist geboten, wenn es dem Kläger nicht auf das Sachrecht, sondern nur auf die tatsächlichen oder prozessualen Vorteile des Gerichtsstandes ankommt. In solchen Fällen liegt nur eine Manipulation vor; in der Praxis wird meist § 23 ZPO genutzt. Die Nachteile für den Beklagten ergeben sich dann nicht aus der Anwendung des Kollisions- oder Sachrechts, sondern im Regelfall bereits aus dem Prozeßrecht. Auch in diesen Fällen ist selbstverständlich das Bedürfnis des Klägers nach Rechtssicherheit und Rechtsschutz zu schützen. Jedoch ist das Schutzbedürfnis des Beklagten höher, zumal es an einer weiteren Kontrolle auf der Ebene des Sachrechts fehlt. Die Eingriffsschwelle ist daher niedriger. Auch die Rechtsprechung ist diesen Fällen restriktiver - sogar erheblich restriktiver, wie ihre Linie zu § 2 3 ZPO zeigt 116 .

115 116

Baumbach/Lauterbach-Hartmann, Dazu kritisch oben § 1 7 II.2.a).

Z P O , Übers. § 1 2 Rdnr. 1.

§ 1 8 Prozessuale Besonderheiten: Anerkennung und Gerichtsstandsvereinbarungen

Im Prozeßrecht stellt sich die Frage der Zuständigkeitserschieichung nicht nur aus der Perspektive des angerufenen Gerichts. Die Wirksamkeit erschlichener Urteile kann auch von Bedeutung sein, wenn später das eigentlich zuständige oder ein drittes Gericht mit der Sache befaßt ist oder in einem anderen Land Vollstreckung beantragt wird. Wenn z.B. im Fall Max Reinhardt die deutsche Ehefrau in Deutschland Unterhaltsklage erhoben hätte, hätte sich die Frage gestellt, ob das lettische Scheidungsurteil in Deutschland gilt. Voraussetzung dafür, daß ausländische Urteile im Inland Wirkung entfalten, ist die Anerkennung dieser Urteile. Die Voraussetzungen der Anerkennung sind in § 328 ZPO geregelt. Sie ist gemäß §§ 722, 723 ZPO auch Voraussetzung der Vollstreckung 1 . Eine weitere Besonderheit des Prozeßrechts ist die Möglichkeit der Gericbtsstandsvereinbarung. Solche Klauseln sind insbesondere im Internationalen Frachtrecht und Wirtschaftsrecht üblich. Gerichtsstandsvereinbarungen können für eine Partei zu Nachteilen führen, wenn diese bei der Vereinbarung der Klausel nicht bedacht hat, daß das am Gerichtsort angewandte Recht z.B. bestimmte Ansprüche nicht kennt. Es handelt sich also um ein Parallelproblem zu der oben erwähnten Gesetzesumgehung durch Rechtswahl 2 ; in beiden Fällen geht es um die Grenzen der Privatautonomie aus Gründen des Individualschutzes. Allerdings beurteilt die Rechtsprechungspraxis Gerichtsstandsvereinbarungen milder als Rechtswahlvereinbarungen; sie werden auch dann als wirksam angesehen, wenn sie zur Schädigung eines Beteiligten oder eines Dritten führen 3 .

I. Anerkennung

erschlichener

Urteile

Die Erschleichung der Zuständigkeit führt - soweit die Eingriffsschwelle überschritten ist - aus Sicht des Forumstaates zur Unzulässigkeit der Klage, aus Sicht des Drittstaates zur Ablehnung der Anerkennung. Über diese Grundregel besteht 1 Eine eigene Vollstreckungserschleichung kommt dagegen nicht in Betracht, da im Vollstrekkungsverfahren ein besonderer Inlandsbezug nicht erforderlich ist, Kegel/Schurig, IPR, S . 4 3 0 f . 2 Dazu oben § 1 3 II.2. 3 Z.B. BGH 2 1 . 1 2 . 1 9 7 0 - 1 1 Z R 39/70, IPRspr 1970, Nr. 112 b = N J W 1971, 3 2 5 ; BGH 3 0 . 5 . 1983 - II Z R 135/82, N J W 1983, 2 7 7 2 = IPRax 1985, 27 (Trappe S.18).

I. Anerkennung

erschlichener

Urteile

343

Einigkeit. Dabei spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob die Anerkennung in demjenigen Staat erfolgen sollte, der eigentlich zuständig gewesen wäre, oder in einem beliebigen Drittstaat. Es können auch mehr als drei Rechtsordnungen eine Rolle spielen: Das O L G Bremen mußte sich 1 9 6 8 mit der Anerkennung der Scheidung eines staatenlosen früheren Briten von einer Kolumbianerin in Mexiko befassen, da der Ehemann inzwischen seinen Wohnsitz in Deutschland genommen hatte 4 . Eine Besonderheit der Anerkennung liegt darin, daß hier ein besonderer prozessualer Vorbehalt des ordre public besteht. In der Z P O befindet sich diese Klausel in § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 4 Z P O ; vergleichbare Regelungen gibt es auch in den in Deutschland geltenden Staatsverträgen zum Internationalen Prozeßrecht. Nach der Rechtsprechung und einem erheblichen Teil der Literatur sollen diese ordre-public-Klauseln eingreifen, wenn das anzuerkennende Urteil auf einer Zuständigkeitserschleichung beruht. Nach einem kurzen Überblick über die gesetzliche Regelung der Anerkennung wird daher im folgenden untersucht, ob dieser Weg der richtige ist und welche Wertungskriterien bei der Anerkennung gelten.

1. F o l g e n der A n e r k e n n u n g Die Anerkennung von Urteilen ist die Voraussetzung dafür, daß diese in einem anderen Staat Wirkung erlangen können 5 . Regelungen der Anerkennung finden sich in zahlreichen Staatsverträgen und bilateralen Abkommen, die in der Regel die Anerkennung gegenüber der allgemeinen Regelung erleichtern. Die weitestgehenden und praktisch wichtigsten Möglichkeiten der Anerkennung gibt es nach A m . 32ff. E u G W O (früher Artt. 2 5 f f . EuGVÜ) im Geltungsbereich der Verordnung 6 . Die allgemeine Regel des nationalen Anerkennungsrechts ist § 3 2 8 Z P O ; ergänzt durch die Vorschriften der Zwangsvollstreckung, § § 7 2 2 , 7 2 3 ZPO. Zur genauen Rechtsfolge der Anerkennung werden verschiedene Theorien vertreten 7 . Einigkeit besteht darin, daß es nicht das Urteil selbst ist, sondern seine Wirkungen,

die anerkannt werden. Durch die Anerkennung werden die Wirkun-

gen auf den anerkennenden Staat übertragen. Das geschieht jedoch nicht vorbehaltlos; so darf die Anerkennung insbesondere nicht dazu führen, daß die Wirkung des Urteils über die Wirkung eines entsprechenden inländischen Urteils

O L G Bremen 2 9 . 1 0 . 1968 - VA 4/68, IPRspr 1968/69, Nr.235. Schuck, IZVR, Rdnr.775. 6 Im einzelnen Baumbach/Luuterbuch-Hartmann, ZPO, § 3 2 8 Rdnrn. 1, 5; Geimer, IZPR, Rdnrn. 2757ff.; Kropholler, EuZPR, Art. 32 Rdnrn. 1 ff.; Schuck, IZVR, Rdnrn. 791 ff. (Rdnr.798 zu EuGVÜ und E u G W O ; Rdnr.807 zu den Konkurrenzen). 7 Dazu Geimer, IZPR, Rdnrn. 2276ff.; Schuck, IZVR, Rdnrn. 791 ff.; Zöller-Geimer, ZPO, § 3 2 8 Rdnr. 18. 4 5

344

§18

Prozessuale

Besonderheiten:

Anerkennung

und

Gerichtsstandsvereinbarungen

hinausgeht 8 oder daß Wirkungen übernommen werden, die dem inländischen Recht fremd sind 9 . Schließlich ist die Anerkennung teilbar, d.h. der anerkennende Staat kann ausdrücklich die Übertragung einiger Urteilswirkungen - z.B. der Vollstreckbarkeit - ablehnen 10 . Welche Wirkungen eines Urteils außerdem von der Anerkennung erfaßt werden, ergibt sich aus der Natur des Urteils und der Anerkennung 11 . Als wichtigste Urteilswirkung erfaßt die Anerkennung die materielle Rechtskraft, § 322 ZPO; bei Gestaltungsurteilen außerdem die Gestaltungswirkung. In der Praxis steht oft die Vollstreckungswirkung des Urteils im Vordergrund. Nach § § 722, 723 ZPO wird die Vollstreckbarkeit durch ein gesondertes Vollstreckbarerklärungsverfahren festgestellt, dessen Grundlage die Anerkennung ist. Nicht anerkennungsfähig ist dagegen z.B. die innerprozessuale Bindungswirkung gemäß § 318 ZPO und die Tatbestandswirkung eines Urteils. Schwierigkeiten kann die Auswirkung ausländischer Urteile auf die Verjährung machen; sie ergibt sich aus dem maßgeblichen Verjährungsstatut.

2. Ablehnungstatbestände des § 328 Abs. 1 ZPO a) §328 Abs. 1 ZPO und

Gesetzesumgehung

Bei der Anerkennung von Urteilen steht in Umgehungsfällen meist die allgemeine Regelung § 328 ZPO im Vordergrund. Sie regelt die Voraussetzungen der Anerkennung durch eine negative Formulierung: In § 328 Abs. 1 Nrn. 1 - 5 ZPO werden Tatbestände aufgezählt, die eine Anerkennung ausschließen. Einige Tatbestände zeigen das gesetzgeberische Bemühen, der Gesetzesumgehung entgegenzutreten; so soll die seit 1986 geltende Regelung § 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO der Umgehung der Rechtshängigkeit und Rechtskraft eines inländischen oder anerkannten ausländischen Urteils durch einen Prozeß in einem anderen Land entgegenwirken 12 . Nach § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO ist Voraussetzung der Anerkennung eines ausländischen Urteils die sog. Verbürgung der Gegenseitigkeit: In Deutschland wird eine ausländische Entscheidung nur anerkannt, wenn der Urteilsstaat umgekehrt deutsche Urteile anerkennt. Die Vorschrift soll außerhalb von Staatsverträgen die Gleichheit zwischen den Staaten verwirklichen 13 . Wie bereits erwähnt, hatte sich der BGH 1968 mit der Frage zu befassen, ob die strenge französische Lehre der Gesetzesumgehung der Gegenseitigkeit entgegenstehen kann 14 . Er stellte 8

Schuck, I Z V R , R d n r n . 7 9 2 f f . Geimer, I Z P R , Rdnr. 2 7 8 0 . 10 Baumbach/Lauterbach-Hartmann, Z P O , § 3 2 8 Rdnr.2. 11 Geimer, I Z P R , R d n r n . 2 7 9 9 ff.; Schack, I Z V R , R d n r n . 776 ff. 12 Kegel/Schurig, IPR, S.431. 13 Kritisch Schack, I Z V R , R d n r n . 872ff. 14 B G H 8 . 5 . 1968 - VIII Z R 4 3 / 6 5 , B G H Z 50, 100 (103, 110); zur französischen Position

9

I. Anerkennung erschlichener

Urteile

345

fest, in Frankreich sei „l'absence de toute fraude ä la l o i " Voraussetzung der Anerkennung. Das stehe jedoch der Gegenseitigkeit nicht entgegen, da Gesetzesumgehung im deutschen IPR ebenfalls nicht hingenommen würde, sondern „Abhilfe beim ordre public [...] oder bei der Auslegung der Kollisionsnormen [...] ges u c h t " . Es bleibt offen, o b damit auch die Zuständigkeitserschieichung erfaßt wird.

b) Spiegelbildprinzip,

§328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO

Bei der Anerkennung ausländischer Urteile, die auf einer Erschleichung beruhen, k o m m t vor allem ein Verstoß gegen den prozessualen ordre public gemäß § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 4 Z P O in Betracht. In der Praxis scheitert die Anerkennung aber oft schon am sog. Spiegelbildprinzip des § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 1 Z P O . N a c h diesem Prinzip, das auch einigen Staatsverträgen sowie dem Recht anderer europäischer Staaten zugrunde liegt, überträgt der Anerkennungsstaat seine Zuständigkeitsregeln spiegelbildlich auf den Forumstaat: Das Urteil wird anerkannt, wenn das Gericht des Forumstaates auch nach den deutschen Regeln international zuständig w ä r e 1 5 . Gemeint ist damit nicht die Zuständigkeit im Einzelfall, sondern die internationale Zuständigkeit des erkennenden Gerichts 1 6 . Wurde eine Klage also vor einem Gericht erhoben, das nach deutschem Recht nicht international zuständig ist, wird das erschlichene Urteil in Deutschland nicht anerkannt; eine Vollstreckung ist nicht möglich. D a m i t steht § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 1 Z P O bereits unangemessenem forum Shopping entgegen 1 7 . Insbesondere begrenzt die Regelung aber die Möglichkeiten der Zuständigkeitserschieichung: Wenn der Kläger das Urteil eines Staates erschleicht, der nach deutschem Recht nicht international zuständig ist, ist schon deshalb keine Anerkennung möglich 1 8 .

c) Ordre-public-Klausel,

§328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO

Die Anerkennung ausländischer Urteile hat einiges mit der Anwendung von Kollisionsrecht gemeinsam: In beiden Fällen wird ausländisches Recht „importiert" - unter Voraussetzungen, die das nationale R e c h t aufstellt. Im Kollisionsrecht geschieht das durch unmittelbare Anwendung ausländischen Rechts im deut-

auch Heeder, S. 312ff. Der BGH kam dabei zu einer generellen Aussage über die Gesetzesumgehung in Fällen der Privatautonomie; dazu oben § 13 II.2.a). 15 Zu den Vorteilen des Prinzips Schack, IZVR, Rdnrn. 831 ff.; ausführlich Geimer, IZPR, Rdnrn. 2896ff. 16 Baumbach/Lauterbach-Hartmann, ZPO, §328 Rdnr. 16. 17 Staudinger-Sonnenberg Einl. IPR Rdnr. 705. 18 Kegel/Schurig, IPR, S.428; MünchKomm-Sonnenberger Einl. IPR Rdnr. 705; Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht, S.337f.

346

§18

Prozessuale

Besonderheiten:

Anerkennung

und

Gerichtsstandsvereinbarungen

sehen Prozeß; im Internationalen Zivilprozeßrecht durch die Anerkennung von Urteilen, denen ausländisches Prozeßrecht, Kollisionsrecht und in der Regel auch ausländisches Sachrecht zugrunde liegt. Daher ist es konsequent, daß auch im Recht der Anerkennung ein ordre-public-Vorbehalt gilt. § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO wurde durch das IPR-Reformgesetz von 1986 geändert; die frühere Fassung nahm auf die guten Sitten und den Zweck des deutschen Gesetzes Bezug 19 . Eine Änderung in der Toleranzschwelle ergibt sich aus der Neufassung grundsätzlich nicht 20 . Obwohl die heutige Fassung an den Wortlaut von Art. 6 EGBGB angepaßt ist, ist die Anerkennung eines Urteils, das auf einem ordre-public-widrigen Gesetz beruht, nicht von vornherein ausgeschlossen 21 . Ein ordre-public-Vorbehalt findet sich auch in Art. 34 Nr. 1 EuGVVO (früher Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ). Trotz allgemein gehaltener Formulierung ist die Regelung nicht weiter als § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO 2 2 . Die ordre-public-Kontrolle ausländischer Urteile erfolgt auf zwei Ebenen: Sie umfaßt sowohl das dem Urteil zugrundeliegende Prozeßrecht als auch das Sachrecht, also die Art des Verfahrens und den Inhalt des Urteils 23 . An diesen Vorbehalten scheitern nicht wenige Fälle der Zuständigkeitserschieichung und des forum Shopping, in denen die Wertungsunterschiede zwischen verschiedenen Rechtsordnungen ausgenutzt werden. So sah der BGH in dem oben erwähnten Schulausflug-Fall die Haftungsfreistellung der §§636, 637 RVO a.F. als durch den ordre public geschützt an 24 . Das OLG Koblenz lehnte die Anerkennung einer Scheidung in der Türkei ab, da die betroffene Ehefrau nicht angehört worden war 25 . aa) Zuständigkeitserschieichung

und ordre public

Die Rechtsprechung und ein erheblicher Teil der Literatur gehen in Fällen der Zuständigkeitserschieichung jedoch noch weiter. Danach soll bereits in der Erschleichung als solcher ein Verstoß gegen den ordre public liegen. Die Anerken19 Dazu unter Gesichtspunkten der Gesetzesumgehung R G 4 . 4 . 1928 - IV 629/27, R G Z 121, 24 (28). 20 Vgl. Baumbach/Lauterbach-Hartmann, Z P O , § 3 2 8 Rdnr. 30; Geimer, I Z P R , R d n r . 2 9 1 1 F n . 2 6 7 ; Zöller-Geimer, Z P O , § 3 2 8 Rdnr. 152. 21 Zöller-Geimer, Z P O , § 3 2 8 Rdnr. 152; im einzelnen Kropholler, E u Z P R , Art. 34 R d n r n . 3 ff. 22 Schack, I Z V R , R d n r n . 861 f. 23 Geimer, I Z P R , R d n r . 2 9 1 3 ; Schack, I Z V R , R d n r n . 863ff. 24 B G H 1 6 . 3 . 1 9 9 3 - I X Z B 82/90, IPRax 1994, 118 ( B a s e d o w S.85) = J Z 1994, 2 5 4 m. Anm. Eichenhofer. 25 O L G Koblenz 2 0 . 1 1 . 1990 - 15 UF 3 5 1 / 9 0 , F a m R Z 1991, 4 5 9 (460); ebenso B a y O b L G 2 4 . 6 . 1 9 7 7 - BReg 1 Z 137/76, B a y O b L G Z 1977, 180 zu einer Scheidung im Iran o h n e Anhör u n g der deutschen Ehefrau. Im letzteren Fall ging es u m eine Privatscheidung, auf die der materiellrechtliche ordre public A n w e n d u n g findet, in den aber „ G r u n d g e d a n k e n der verfahrensrechtlichen Anerkennungsvorschriften hineinspielen", so das B a y O b L G a.a.O.S. 183.

I. Anerkennung

erschlichener

Urteile

347

nung erschlichener Urteile scheitert infolgedessen unabhängig von dem erschlichenen Prozeßrecht und materiellen Recht 2 6 . Zur Begründung wird in der Literatur angeführt, der Vorbehalt des ordre public erfasse über die bereits aufgeführten Punkte hinaus auch die Art und Weise, wie das ausländische Urteil zustandegekommen sei 2 7 . Die Gegenauffassung hält die Anwendung der ordre-public-Klausel für überzogen. Der Vorbehalt des § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 4 Z P O richte sich nur gegen das ausländische materielle Recht und die Umsetzung ausländischen Verfahrensrechts 2 8 . Kern dieser Streitfrage ist das allgemeine Problem, ob der ordre public nur das ausländische Verfahrensrecht als solches erfaßt oder auch seine konkrete Umsetzung. M i t anderen Worten: Es geht darum, ob auch Urteile ordre-public-widrig sein können, wenn das ausländische Prozeßrecht (hier die Zuständigkeitsregeln) zwar dem ordre public entspricht, aber im konkreten Fall falsch angewandt wurde, indem trotz der Erschleichung ein Urteil ergangen ist. Der Wortlaut von § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 4 Z P O steht dieser Möglichkeit nicht entgegen. Es geht hier ausdrücklich um das „Ergebnis" der Anerkennung des Urteils, nicht um das angewandte Recht. Jedoch gilt im Internationalen Prozeßrecht das Verbot der sog. révision au fond: Der deutsche Richter darf nicht die Richtigkeit des ausländischen Urteils überprüfen, weder hinsichtlich des Verfahrens noch des Inhalts 2 9 . Ausländische Urteile können also nicht schon deshalb gegen den ordre public verstoßen, weil der Forumrichter seine eigenen Zuständigkeitsregeln falsch angewandt hat. Das Verbot der révision au fond wird nur durchbrochen, wenn höherwertige Interessen dies dringend erfordern. Beim prozessualen ordre public ist das der Fall, wenn das Zustandekommen des Urteils mit grundlegenden Verfahrensmaximen des deutschen Prozeßrechts unvereinbar ist 3 0 . Als Beispiel kann einer der praktischen Hauptanwendungsfälle des prozessualen ordre public dienen: die Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs 3 1 . Ein ausländisches Urteil verstieße sicherlich gegen den ordre public, wenn die Prozeßordnung des Forumstaates kein rechtliches Gehör für den Be2 6 R G 4 . 4 . 1 9 2 8 - IV 629/27, R G Z 1 2 1 , 2 4 (29f.); O L G Nürnberg 1 8 . 1 1 . 1 9 5 8 - 1 W 78/58, FamRZ 1959, 222; Senator für Rechtspflege und Strafvollzug Bremen 1 3 . 5 . 1974 - 346 E b 23/ 73, IPRspr 1974, Nr. 184; OLG Koblenz 2 0 . 1 1 . 1990 - 15 UF 351/90, FamRZ 1 9 9 1 , 4 5 9 (460) (obiter zur anderen Sachverhaltsalternative); MünchKomm-Sonnenberger Einl. IPR Rdnr. 705. 27 Baumbach/Lauterbach-Hartmann, ZPO, § 3 2 8 Rdnr.38 Erschleichung; Ferid, IPR, Rdnr. 3 - 1 8 3 ; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S . 2 6 6 . 28 Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 8 , 4 3 1 ; ebenso Heeder, S.317ff., 319; Roth, Der Vorbehalt des ordre public, S . 4 8 ; Stein/Jonas-Roth, ZPO, § 3 2 8 Rdnr. 143 m.w.N. 2 9 BGH 2 5 . 3 . 1970 - VIII Z R 202/69, B G H Z 53, 3 5 7 (363); Baumbach/Lauterbach-Hartmann, ZPO, § 723 Rdnr. 3; Zöller-Geimer, ZPO, § 328 Rdnr. 151; zur EuGVVO ebenda Anh. I Art. 34 E u G W O Rdnr. 6. Ausdrücklich geregelt ist das in § 723 Abs. 1 ZPO. ,0 Geimer, IZPR, Rdnr.2913; Zöller-Geimer, ZPO, § 3 2 8 Rdnrn. 153, 155. 3 1 Zum Schutz durch den ordre public Baumbach/Lauterbach-Hartmann, ZPO, § 3 2 8 Rdnr.42 Rechtliches Gehör; BGH 1 9 . 9 . 1 9 7 7 - V I I I Z R 120/75, N J W 1978, 1114 (1115).

348

§ 18 Prozessuale

Besonderheiten:

Anerkennung

und

Gerichtsstandsvereinbarungen

klagten vorsähe. Es verstößt aber ebenso dagegen, wenn es zwar eine entsprechende gesetzliche Regelung gibt, diese aber fehlerhaft nicht angewandt wurde, sei es wegen richterlichen Mutwillens, Rechtsirrtums, oder weil die Nichtanhörung auf einer Täuschung beruhte 3 2 . Mit einer Zuständigkeitserschieichung läßt sich die Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht vergleichen. In den vorhergehenden Abschnitten ist deutlich geworden, daß die Zuständigkeitserschieichung im deutschen Recht äußerst unscharfe Konturen hat und überdies aus guten Gründen - Rechtssicherheit für den Kläger - nur zurückhaltend angewandt wird. Es kann daher nicht davon die Rede sein, daß es zu den grundlegenden Maximen des deutschen Prozeßrechts gehöre, die erschlichene Zuständigkeit nicht zu akzeptieren. bb) Fallösung über §328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Abgesehen davon ist eine solche Konstruktion auch nicht erforderlich, da die Anerkennung erschlichener Urteile bei genauer Betrachtung meist bereits an § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 1 Z P O scheitert 33 . Wie erwähnt, überträgt §328 Abs. 1 Nr. 1 Z P O die deutschen Zuständigkeitsregeln spiegelbildlich auf den Forumstaat. Ist aber das ausländische Urteil erschlichen, so war der Forumstaat auch aus deutscher Sicht nicht zuständig 3 4 . Dabei kommt es nicht auf die Umgehungsdoktrin des Forumstaates an, sondern auf die deutschen Zuständigkeitsregeln, da diese für die Anerkennung entscheidend sind: Ihre Anwendung und ggf. ihre teleologische Reduktion entscheiden, ob die Erschleichung Erfolg hat 3 5 . Dieser Ansatz hat den Vorteil, daß sich Bewertung und Eingriffsschwelle bei der Erschleichung inländischer und ausländischer Urteile nach denselben Kriterien richten. Die Erschleichung eines Urteils kann wie jede Gesetzesumgehung nicht an den Regeln des ordre public gemessen werden, sondern folgt eigenen Regeln. Diese Regeln sind auch bei der Anerkennung entscheidend. Das bedeutet im Ergebnis auch, daß gegenüber der Erschleichung der Zuständigkeit ausländischer Gerichte die gleiche Zurückhaltung angebracht ist wie bei der Erschleichung inländischer Zuständigkeit - auch wenn das in der Praxis mitunter anders gesehen wird. Führt die Zuständigkeitserschieichung für den Beklagten zu einer unerträglichen prozessualen oder materiellrechtlichen Situation, kann noch der ordre public in seiner eigentlichen Funktion eingreifen. 32

Dazu O L G Koblenz 2 0 . 1 1 . 1990 - 15 U F 351/90, F a m R Z 1 9 9 1 , 4 5 9 (460). Ebenso Kegel/Schurig, IPR, S . 4 2 8 , 4 3 1 . 34 Theoretisch ist denkbar, d a ß die Zuständigkeit nach dem Recht des Forumstaates erschlichen war, w ä h r e n d nach unserem Recht die internationale Zuständigkeit gegeben ist. Das würde in der Praxis aber grundlegend abweichende Z u s t ä n d i g k e i t s n o r m e n sowie einen u n w a h r scheinlichen Zufall voraussetzen u n d k a n n damit vernachlässigt werden. 35 Kegel/Schurig, IPR, S.428; ebenso Heeder, S. 3 1 7 f . mit der Überlegung, d a ß der Umgeher wegen des Spiegelbildprinzips sowohl die ausländische als auch die deutsche A n k n ü p f u n g manipulieren m ü ß t e . 33

IL

Gerichtsstandsvereinbarungen

349

Wie erwähnt, wird in der Rechtsprechung ganz überwiegend die gegenteilige Auffassung vertreten. Eine Ausnahme machen zwei Entscheidungen von Oberlandesgerichten; die zugrundeliegenden Sachverhalte bilden gleichzeitig instruktive Beispielsfälle. In einem - bereits erwähnten - Fall des OLG Celle ging es um eine interzonale Scheidung der Nachkriegszeit 36 . Das Gericht stellte fest, der Ehemann habe sich ausschließlich zum Zwecke der Scheidung in die DDR begeben. Die Ehe der Parteien habe „nicht der Gerichtsbarkeit der SBZ" unterlegen. Das Scheidungsurteil sei daher „nach § 328 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO nicht anzuerkennen". Auch der BGH wandte in einem ähnlichen Fall §328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an 37 . Ein Beispiel für eine differenzierte Anwendung von § 328 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 ZPO bildet die eingangs erwähnte Entscheidung des OLG Bremen aus dem Jahre 196 8 38 . Ein staatenloser früherer Brite heiratete in Medellin eine Kolumbianerin; seit der endgültigen Trennung des Paares lebte er in Deutschland, die Ehefrau in Kolumbien. Einige Jahre später erreichte er vor einem mexikanischen Gericht die Scheidung. Seine Ehefrau war zu diesem Verfahren öffentlich geladen worden, hatte aber nichts davon erfahren und war demzufolge nicht gehört worden. Das OLG führte aus: Das Urteil sei schon nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht anzuerkennen, weil das mexikanische Gericht nach deutschem Recht nicht zuständig gewesen sei. Gleichzeitig greife aber auch der ordre public nach § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO ein, da die schnelle Scheidung in Mexiko deutschen rechtsstaatlichen Vorstellungen widerspreche.

II.

Gerichtsstandsvereinbarungen

Gerichtsstandsvereinbarungen oder Zuständigkeitsvereinbarungen sind für das Internationale Zivilverfahrensrecht das, was die Rechtswahl für das Kollisionsrecht ist: Bei der Rechtswahl wird das geltende Statut privatautonom festgelegt, bei der Gerichtsstandsvereinbarung der Gerichtsstand. Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen haben mittelbar Einfluß auf das geltende Sachrecht, da der Richter am gewählten Forum sein Kollisionsrecht und das sich daraus ergebende Sachrecht anwendet - außerdem selbstverständlich sein Prozeßrecht. Ebenso wie im IPR die Gesetzesumgehung durch Rechtswahl diskutiert wird, wird auch im Internationalen Verfahrensrecht verbreitet fraus legis als Grenze von Gerichtsstandsvereinbarungen angesehen. Es gibt allerdings kaum praktische Fälle, in denen solche Vereinbarungen tatsächlich als unwirksam angesehen wurden. 36 OLG Celle 8.7. 1959 - 3 U 25/59, NJW 1959, 2124 m. Anm. Rötelmann; oben § 1 5 I.2.a). 37 BGH 18.3. 1959 - IV ZR 274/58, FamRZ 1959, 207. 38 OLG Bremen 29.10. 1968 - VA 4/68, IPRspr 1968/69, Nr. 235.

dazu bereits

350

§18

Prozessuale

Besonderheiten:

Anerkennung

und

Gerichtsstandsvereinbarungen

1. R e c h t s n a t u r u n d W i r k u n g e n Gerichtsstandsvereinbarungen sind privatautonome Vereinbarungen von Parteien über die Gerichtszuständigkeit für Streitigkeiten, die zwischen ihnen entstehen können oder bereits bestehen. Sie sind sowohl innerhalb eines Landes als auch international möglich; bei internationalen Vereinbarungen setzt §38 Abs. 2 S.3 ZPO der weiteren Auswahl nationaler Gerichte Grenzen 39 . Die Gerichtsstandsvereinbarung ist nach herrschender Ansicht ein privatrechtlicher Vertrag 40 . Bei internationalen Zuständigkeitsvereinbarungen ist ihr Zustandekommen nach der lex causae zu beurteilen, dem für den zugrundeliegenden Vertrag geltenden Statut. Dagegen richten sich ihre prozessualen Wirkungen nach der lex fori 41 . Hinsichtlich der Voraussetzungen internationaler Zuständigkeitsvereinbarungen differenziert das Recht der meisten Staaten zwischen zwei unterschiedlichen Arten bzw. Auswirkungen, der Prorogation und der Derogation. Durch eine Prorogation wird ein nach den gesetzlichen Regeln nicht international zuständiges Gericht für zuständig erklärt; durch eine Derogation eine gerichtliche Zuständigkeit abgewählt 42 . Beide Arten von Vereinbarungen sind unabhängig voneinander und auch isoliert möglich; so kann insbesondere ein zusätzlicher Gerichtsstand prorogiert werden, ohne einen anderen zu derogieren. Die Einstellung zu Gerichtsstandsvereinbarungen ist international unterschiedlich 43 und hat auch in der jüngeren deutschen Rechtsgeschichte einige Änderungen erfahren. Bis 1974 galt in Deutschland weitgehende Prorogationsfreiheit, was zu Mißständen insbesondere bei Verbraucherverträgen führte 4 4 . Seit der Gerichtsstandsnovelle von 1974 ist die Prorogation grundsätzlich verboten; Ausnahmen und ihre Voraussetzungen regeln §§ 38, 40 ZPO. Danach sind nur noch Personen gemäß §38 Abs. 1 ZPO - insbesondere Kaufleute - uneingeschränkt prorogationsberechtigt. Für andere Personen gelten die Einschränkungen des § 38 Abs. 3 ZPO; sie können Gerichtsstandsvereinbarungen nur nachträglich und schriftlich abschließen. 39 Es handelt sich u m eine Regelung, die ausdrücklich dem Umgehungsschutz dient. Der Gesetzgeber hatte Unternehmen im Blick, die sich künstlich einen Auslandsbezug verschaffen, u m d a n n frei ihre inländischen Gerichtsstände zu wählen, dazu Zöller-Vollkommer, Z P O , vor § 38 Rdnr.9; §38 Rdnr.29. 40 Grundlegend B G H 1 5 . 4 . 1 9 7 0 - V I I I Z R 87/69, N J W 1971, 3 2 3 m. Anm. Geimer, B G H 2 2 . 9 . 1971 - VIII Z R 2 5 9 / 6 9 , B G H Z 57, 72 ; dazu kritisch Geimer, IZPR, R d n r n . 1677f. 41 Geimer, IZPR, Rdnr. 1757; H a n d b u c h des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler K a p . 3 R d n r n . 4 7 7 f f . ; Schack, I Z V R , R d n r . 4 3 2 ; B G H 2 4 . 1 1 . 1988 - III Z R 150/87, IPRax 1990, 4 1 (Schack S.19f.). 42 H a n d b u c h des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Kap.3 Rdnr.471; Reithmann/Martiny-Hausmann, Internationales Vertragsrecht, Rdnr. 2 9 8 7 ; Schack, I Z V R , R d n r . 4 3 3 ; Zöller-Vollkommer, Z P O , § 3 8 R d n r . 2 ; zu den unterschiedlichen Voraussetzungen ausführlich Geimer, I Z P R , R d n r n . 1 6 3 6 ff. 43 Z u England und USA z.B. Gottwald, Grenzen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen, S. 90ff. 44 Zöller-Vollkommer, Z P O , vor § 3 8 Rdnr. 8.

II.

Gerichtsstandsvereinbarungen

351

§ 40 Abs. 1 ZPO regelt die Verbindung von Prorogation und zugrundeliegendem Rechtsverhältnis. Die Einschränkung gemäß § 40 Abs. 2 ZPO betrifft seit der Zivilprozeßreform vom 1. Januar 2002 nicht mehr alle nichtvermögensrechtlichen Ansprüche, sondern eine Vereinbarung ist nur noch dann unwirksam, wenn sie nichtvermögensrechtliche Ansprüche betrifft, die den Amtsgerichten ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes zugewiesen sind. Ungeachtet ihres Wortlautes gelten die §§ 38, 40 ZPO in gleicher Weise für die Derogation 45 . Die §§38, 40 ZPO hatten bereits bei ihrem Erlaß nur einen eingeschränkten Geltungsbereich: Art. 17 des EuGVÜ von 1968 enthielt ebenfalls eine Regelung für Zuständigkeitsvereinbarungen, die im Geltungsbereich des EuGVÜ vorrangig war 4 6 . Ihr entspricht die heutige Regelung in Art. 23 E u G W O 4 7 . Die Regelung gilt, wenn mindestens eine der Parteien ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat (Art. 23 Abs. 1 S. 1 E u G W O ) . Sie geht vom Grundsatz der Prorogationsfreiheit aus und ist deutlich weniger restriktiv als die autonome deutsche Regelung. So gibt es keine Beschränkung auf Kaufleute; neben der Schriftform sind nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 , 2 E u G W O andere Formen zulässig. Aus dem Wortlaut von Art. 23 E u G W O ergeben sich wie schon in Art. 17 EuGVÜ keine Anhaltspunkte für eine Mißbrauchskontrolle 48 . Auch können Gerichtsstandsvereinbarungen im Geltungsbereich der E u G W O grundsätzlich nicht an internem Recht - z.B. § 138 BGB oder Art. 6 EGBGB - gemessen werden 49 . In der Literatur wird das verbreitet als unbefriedigend empfunden. Lösungen werden auf zweierlei Weise gesucht: Erstens im Wege einer einschränkenden Auslegung des Geltungsbereichs der E u G W O , indem ein Gemeinschaftsbezug des Sachverhalts als immanente Anwendungsvoraussetzung verlangt wird 50 . Zweitens wird vereinzelt versucht, die Grundsätze der deutschen Mißbrauchskontrolle auf die europäische Regelung zu übertragen 51 . 45 Geimer, IZPR, Rdnr. 1607; Schack, I Z V R , R d n r . 4 5 0 . Die Derogation birgt sogar erheblich größere Risiken als die Prorogation, da sie dazu f ü h r e n k a n n , d a ß bestehende materiellrechtliche Ansprüche im Inland nicht geltend gemacht werden k ö n n e n , dazu Schack, I Z V R , Rdnr. 4 4 7 . 46 Reithmann/Martiny-Hausmann, Internationales Vertragsrecht, Rdnr. 2 0 9 4 ; Schack, I Z V R , Rdnr. 4 3 5 ; zur E u G W O Kropholler, E u Z P R , Art. 2 3 R d n r n . 16 f. 47 Art. 2 3 E u G W O weicht insofern von Art. 17 E u G V Ü ab, als nach Art. 2 3 Abs. 1 S.2 E u G W O der prorogierte Gerichtsstand nur d a n n ausschließlich zuständig ist, w e n n die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Die Abweichungen in Art. 2 3 Abs. 2 - 5 E u G W O beruhen z.T. auf redaktionellen Änderungen und der veränderten N u m e r i e r u n g ; zur Neuregelung Kropholler, E u Z P R , Art. 2 3 R d n r n . 79ff.; Zöller-Geimer, Z P O , Anh. I A r t . 2 3 E u G W O R d n r n . l f . 48 Kropholler, E u Z P R , Art. 2 3 R d n r n . 87ff. 49 Kohler IPRax 1983, 2 6 5 (271, F n . 5 8 ) ; Schack, I Z V R , R d n r . 4 7 5 ; Zöller-Geimer, ZPO, Anh. I A r t . 2 3 E u G W O R d n r n . 32f., 35. 50 Kropholler, E u Z P R , Art. 2 3 Rdnr. 89; Schack, I Z V R , Rdnr. 4 6 4 ; vgl. auch Reithmann/ Martiny-Hausmann, Internationales Vertragsrecht, R d n r . 2 1 8 5 . 51 Gottwald, Grenzen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen, S. 102f.; Reithmann/ Martiny-Hausmann, Internationales Vertragsrecht, R d n r . 2 1 8 4 ; dazu unten § 18 II.3.

352

§18 Prozessuale Besonderheiten:

Anerkennung und

Gerichtsstandsvereinbarungen

2. Gerichtsstandsvereinbarungen und Gesetzesumgehung Gerichtsstandsvereinbarungen und Rechtswahlklauseln haben, wie eingangs erwähnt, vieles gemeinsam: Sie greifen privatautonom in ein sonst gesetzlich geregeltes Zuweisungssystem ein und wirken sich - mittelbar oder unmittelbar - auf das anwendbare Sachrecht aus. Die Rechtswahl ist jedoch gesetzlich weit weniger eingeschränkt als die Zuständigkeitsvereinbarung: N a c h Art. 2 7 E G B G B gilt sie als Grundsatz bei vertraglichen Schuldverhältnissen, sie kann von jedermann vereinbart werden; einen Formzwang gibt es nicht. Die Gran-Canaria-Fälle haben gezeigt, daß diese weitgehende Freiheit auch die Möglichkeit fraudulösen Vorgehens mit sich bringt und deswegen in Ausnahmefällen die Möglichkeit bestehen muß, unter dem Gesichtspunkt der Gesetzesumgehung Rechtswahlvereinbarungen nicht zu beachten. Auch im Z u s a m m e n h a n g mit Gerichtsstandsvereinbarungen wird die M ö g lichkeit der Gesetzesumgehung diskutiert. Gelegentlich wird in Rechtsprechung und Literatur allgemein behauptet, Gesetzesumgehung oder fraus legis bildeten die Grenze der Zuständigkeitswahl 5 2 ; in der Regel geht es spezieller um die Umgehung zwingender oder international zwingender N o r m e n 5 3 . Allerdings hat die Rechtsprechung eine Zuständigkeitsvereinbarung noch nie ausdrücklich als Gesetzesumgehung bezeichnet und auch bei der Annahme international zwingender N o r m e n ist sie eher restriktiv. Selbst bei Schädigung eines Vertragspartners wird eine Prorogation noch als wirksam angesehen 5 4 . Der Grund könnte darin liegen, daß Gerichtsstandsvereinbarungen ohnehin wesentlich stärker eingeschränkt sind als Rechtswahlvereinbarungen, so daß für Gesetzesumgehungen kaum R a u m bleibt. Bereits erwähnt wurden die gesetzlichen Einschränkungen in den § § 3 8 , 4 0 Z P O und Art. 2 3 E u G W O . In der Literatur werden Gerichtsstandsvereinbarungen noch zusätzlichen Grenzen unterworfen: So wird § 1 3 8 B G B angewandt oder das Recht der Schiedsverträge analog. Andere sehen Fälle des ordre public oder wollen zumindest in den Fällen der Umgehung international zwingenden inländischen Rechts eine Ausnahme machen. Z u r Begründung dieser Auffassungen wird ausdrücklich auf die N o t w e n digkeit einer Mißbrauchskontrolle hingewiesen.

52 Heeder, S. 311; Soergel-Kronke Anh. IV Art. 38 EGBGB Rdnr.39; vgl. auch StaudingerSonnenberg Einl. IPR Rdnr. 705. 53 So v. Bar/Mankowski, IPR I, § 5 Rdnr. 163; BGH 30.1.1961 - V I I Z R 180/60, NJW 1961, 1061; BGH 30.5. 1983 - II ZR 135/82, NJW 1983, 2772 = IPRax 1985, 27 (Trappe S.18); BGH 12.3. 1984 - II ZR 10/83, NJW 1984, 2037 = IPRax 1985, 216. 5 4 Vgl. OLG Hamburg 12.2. 1970 - 6 U 148/69, IPRspr 1970, Nr. 112 a (S. 370) und 28.5. 1970 - 6 U 207/69, IPRspr 1970. Nr. 113 (S.376); Revisionsentscheidung BGH 21.12. 1 9 7 0 II ZR 39/70, IPRspr 1970, Nr. 112 b = NJW 1971, 325.

II.

353

Gericbtsstandsvereinbarungen

3. Grenzen von Gerichtsstandsvereinbarungen Grenzen internationaler Zuständigkeitsvereinbarungen

kommen aus unter-

schiedlichen Aspekten in Betracht. So können Normen, die solche Vereinbarungen zulassen, einschränkend ausgelegt werden. Außerdem kann eine Inhaltskontrolle der Vereinbarung vorgenommen werden. Dabei richten sich die in Betracht kommenden Normen nach der Perspektive, aus der der deutsche Richter die Vereinbarung betrachtet. Wenn der zugrundeliegende Vertrag aus seiner Sicht deutschem Recht unterliegt, gilt die allgemeine Inhaltskontrolle für Verträge, insbesondere § 1 3 8 Abs. 1 B G B und ggf. das AGB-Recht. Wird aufgrund der Zuständigkeitsvereinbarung ausländisches Recht angewandt, kommt eine ordre-public-Kontrolle in Betracht. Einen Sonderfall bildet die Umgehung international zwingenden Rechts.

a) Zulässigkeit

internationaler

Zuständigkeitsvereinbarungen

Unabhängig von ihrem materiellrechtlichen Gehalt kommt eine Einschränkung der Prorogationsbefugnis für Fälle in Betracht, in denen der Sachverhalt keinerlei Beziehung zu dem gewählten Forum aufweist. Unproblematisch ist allerdings die Wahl eines dritten, neutralen Forums, z.B. der Gerichtsstand Schweiz für einen Rechtsstreit mit Bezügen nach Deutschland und Frankreich. Das Bedürfnis nach einem neutralen Gerichtsstand wird allgemein akzeptiert und ist in der Praxis verbreitet; solche Gerichtsstandsklauseln sind also wirksam 5 5 . Dasselbe gilt aus deutscher Sicht, wenn in einem Streit ohne Inlandsbezug die deutsche internationale Zuständigkeit gewählt wird 5 6 . Es gibt kein Rechtsgut, das durch eine solche Vereinbarung gefährdet würde, zumal eine Überlastung der deutschen Gerichte durch derartige Vereinbarungen nicht zu befürchten ist. Erwägungen des forum non conveniens sind der deutschen Rechtsordnung, wie oben erwähnt, fremd. Anders ist die Sachlage im umgekehrten Fall: In einem reinen Inlandsfall wird deutsches Recht derogiert und ein ausländischer Gerichtsstand gewählt. Der B G H hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1 9 6 1 obiter angemerkt, es käme ein Verstoß gegen § 1 3 4 B G B in Betracht, wenn „zwei Deutsche mit Wohnsitz und Vermögen im Inland und ohne jeden Bezug zum Ausland zu Umgehungszwecken ihr Vertragsverhältnis einer ausländischen Rechtsordnung und einem 5 5 Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Kap. 3 Rdnr. 544. Eine Ausnahme gilt nur, wenn ein Staat gewählt wird, in dem aus politischen Gründen keine sachgerechte Rechtsverfolgung möglich ist, dazu Zöller-Geimer, ZPO, IZPR Rdnr. 64; O L G Frankfurt/M. 1 . 1 0 . 1 9 9 8 - 1 U 163/96, IPRax 1999, 2 4 7 (250) zum Gerichtsstand Irak im Jahr 1992; BAG 2 9 . 6 . 1978 - 2 AZR 973/77, NJW 1 9 7 9 , 1 1 1 9 zum Gerichtsstand Lissabon im Jahr 1976. 56 Geimer, IZPR, Rdnr. 1745; Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Kap. 3 Rdnr. 545; Zöller-Geimer, ZPO, IZPR Rdnrn. 77f.; a.A. LG Hamburg 6 . 8 . 1975 - 24 O 56/75, IPRspr 1975, Nr. 141.

354

§18

Prozessuale

Besonderheiten:

Anerkennung

und

Gerichtsstandsvereinbarungen

ausschließlichen ausländischen Gerichtsstand unterstellen" 5 7 . Diese Auffassung wird auch für den Anwendungsbereich von Art. 23 E u G W O , dem früheren Art. 17 EuGVÜ, vertreten 5 8 . In dieser Allgemeinheit geht sie jedoch zu weit. Eine Auslandsberührung des Falles wird ausdrücklich nur in § 38 Abs. 2 Z P O gefordert 5 9 ; in § 38 Abs. 1 Z P O gibt es keine derartige Einschränkung. Eine Derogation der deutschen Zuständigkeit in Inlandsfällen kommt ohnehin nur für Kaufleute in Betracht. Bei Rechtsstreitigkeiten unter Kaufleuten werden aber reine Inlandsfälle selten vorliegen, so daß Abgrenzungsprobleme entstünden: Läge z.B. noch ein reiner Inlandsfall vor, wenn eine der Parteien Vermögen im Ausland hat oder wenn ein Streitgenosse (auch) einen ausländischen Gerichtsstand hat? Im Interesse der Rechtssicherheit sind daher Gerichtsstandsklauseln grundsätzlich auch für „Inlandsfälle" anzuerkennen. Eine Ausnahme kommt in Betracht, wenn durch die Klausel international zwingendes Recht ausgehebelt wird 6 0 . b) Inhaltskontrolle

nach §§138 Abs. 1 BGB, 1025 Abs. 2 ZPO a.F. analog

Wenn sich Gerichtsstandsvereinbarungen in Verträgen befinden, die inländischem Recht unterliegen, ist auch ihre Mißbrauchskontrolle nach deutschem Recht möglich. Dabei kommen vor allem Konstellationen der Knebelung in Betracht, wenn also eine Partei der anderen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Überlegenheit eine Zuständigkeitsklausel auferlegt hat, aus der die überlegene Partei einseitig Vorteile zieht. Im internen Bürgschaftsrecht werden derartige Vertragsgestaltungen am Maßstab von § 138 Abs. 1 BGB gemessen. aa) Geht es um Zuständigkeitsvereinbarungen, wurde eine andere N o r m vorrangig herangezogen: § 1025 Abs. 2 Z P O a.F. traf eine Regelung für Knebelungsvereinbarungen in Schiedsverträgen 61 . Nach einer verbreiteten Ansicht sollte diese N o r m auf Gerichtsstandsvereinbarungen analog angewandt werden, für § 138 BGB bliebe daneben wenig Raum 6 2 . In der Tat liegt eine Analogie nahe: So57 B G H 3 0 . 1 . 1 9 6 1 - V I I Z R 180/60, N J W 1 9 6 1 , 1 0 6 1 (1062); dazu H a n d b u c h des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Kap. 3 Rdnr. 543. 58 Vgl. Kropholler, E u Z P R , A r t . 2 3 Rdnr. 89 und Zöller-Geimer, Z P O , Anh. I, Art. 17 GVÜ Rdnr. 5 auch zu der Frage, ob im R a h m e n von Art. 17 EuGVÜ eine A n k n ü p f u n g zu mehreren Vertragsstaaten gegeben sein m u ß ; zur E u G W O ebenda A r t . 2 3 E u G W O R d n r . 4 4 . 59 Z u r Unwirksamkeit in Inlandsfällen Baumbach/Lauterbach-Hartmann § 3 8 Rdnr. 25; sehr weitgehend B G H 2 0 . 1 . 1986 - II Z R 56/85, N J W 1986, 1438 m . krit. A n m . Gelmer. 60 Dazu unten § 1 8 11.4. 61 Die Regelung lautete: „Der Schiedsvertrag ist unwirksam, wenn eine Partei ihre wirtschaftliche oder soziale Überlegenheit dazu ausgenutzt hat, den anderen Teil zu seinem Abschluß oder zur Annahme von Bestimmungen zu nötigen, die ihr im Verfahren, insbesondere hinsichtlich der Ernennung der Ablehnung der Schiedsrichter, ein Übergewicht über den anderen Teil einräumen." 62 Gottwald, Grenzen internationaler Gerichtsbarkeit, S. 102f.; Reithmann/Martiny-Hausmann, Internationales Vertragsrecht, Rdnr. 2 1 8 4 ; H a n d b u c h des Internationalen Zivilverfah-

II.

Cerichtsstandsvereinbarungen

355

wohl bei einer Schiedsvereinbarung als auch bei einer Gerichtsstandsvereinbarung kann der schwächeren Vertragspartei eine Instanz und ein Verfahren aufgenötigt werden, die zu ihren Ungunsten von dem gesetzlich vorgesehenen abweicht. Einige Autoren wollten die Analogie sogar im Rahmen einer europäischen Mißbrauchskontrolle bei Art. 17 EuGVÜ - jetzt Art. 2 3 EuGVVO - heranziehen 63 . Jedoch wurde die erwähnte Regelung mit dem Gesetz zur Neuregelung des Schiedsverfahrens von 1 9 9 7 abgeschafft und § 1 0 2 5 ZPO neu gefaßt. Das Knebelungsverbot soll durch das Gebot der Gleichbehandlung gemäß § 1 0 4 2 Z P O überflüssig geworden sein 6 4 . Diese Regelung hilft allerdings im Recht der Gerichtsstandsvereinbarungen nicht weiter, weil hier ohnehin ein staatliches Gericht entscheidet. Die Literatur hat zu den Konsequenzen der Änderung nur vereinzelt Stellung genommen, so findet sich z.B. in der 2 0 0 4 aufgelegten Kommentierung des § 38 Z P O von Vollkommer immer noch der Hinweis auf die analoge Anwendung der nicht mehr existierenden Regelung 6 5 . Es sprechen jedoch mehrere Gründe dafür, nach dem Wegfall von § 1 0 2 5 Abs. 2 Z P O a.F. an der Analogie nicht mehr festzuhalten. Die gesetzliche Änderung war zwar nicht auf Gerichtsstandsvereinbarungen bezogen, läßt aber auch allgemein darauf schließen, daß der Gesetzgeber privatautonomen Vereinbarungen mehr Raum geben wollte 6 6 . Im übrigen ist bei Gerichtsstandsvereinbarungen, die die Einschränkungen der § § 3 8 , 4 0 Z P O zu beachten haben, eine Knebelung unwahrscheinlich, da ohnehin nur Kaufleute voll prorogationsbefugt sind. Im Rahmen der E u G W O wird die analoge Anwendung einer auch in Deutschland nicht mehr existierenden Regelung kaum Beifall finden. bb) Liegt ausnahmsweise eine echte Knebelung durch eine Gerichtsstandsvereinbarung oder eine in anderer Weise unerträgliche Gestaltung vor, bleibt somit nur der Rückgriff auf die allgemeinen Regeln der §§ 138 Abs. 1, 2 4 2 BGB. Sie sind zwar wie alle Generalklauseln nur zurückhaltend heranzuziehen, bieten aber den Vorteil der Flexibilität. Einen Beispielsfall für ihre Anwendung bildet der Sachverhalt einer Entscheidung des O L G Hamburg 6 7 . Der Beklagte hatte den Kläger durch vorsätzliche Falschausstellung von Konnossementen betrogen. Auf die Klage wegen vorsätzlicher unerlaubter Handlung hin berief er sich auf eine Gerichtsstandsklausel zu seinen Gunsten, in der die äthiopische Gerichtsbarrensrechts - Kropholler Kap. 3 Rdnr. 5 3 9 bezeichnet das als „allgemein anerkannt"; ZöllerVollkommer, ZPO, § 38 Rdnr. 30; Gelmer, IZPR, Rdnrn. 1600 wendet die Kriterien von § 1025 Abs. 2 ZPO a.F. heran, ohne die Norm ausdrücklich zu erwähnen. Der BGH zog den Rechtsgedanken der Norm heran, BGH 3 . 1 2 . 1973 - II Z R 91/72, IPRspr 1973, Nr. 128 b (S.363). 63 Zöller-Vollkommer, ZPO, § 3 8 Rdnr.30. 6 4 Dazu Zöller-Geimer, ZPO, vor § 1025 Rdnr. 10. 65 Zöller-Vollkommer, ZPO, § 3 8 Rdnr.30. 6 6 Zur Reform des Schiedsverfahrens Baumbach/Lauterbach-Albers, ZPO, Einführung vor § 1 0 2 5 Rdnrn. lff. 6 7 O L G Hamburg 1 2 . 2 . 1981 - 6 U 150/80, RIW/AWD 1982, 669.

356

§18

Prozessuale

Besonderheiten:

Anerkennung

und

Gerichtsstandsvereinbarungen

keit vereinbart worden war. Das O L G Hamburg sah darin eine unzulässige Rechtsausübung im Sinne von § 2 4 2 BGB. Engere Grenzen sind der Inhaltskontrolle bei Zuständigkeitsvereinbarungen im Geltungsbereich von Art. 2 3 EuGVVO gezogen. Das ergibt sich daraus, daß Art. 2 3 E u G W O die Prorogation eines Vertragsstaates voraussetzt. Europäisches Gemeinschaftsrecht ist aber generell integrationsfreundlich auszulegen 68 , so daß die Wahl der Gerichtsbarkeit eines Vertragsstaates selten den Makel der Sittenwidrigkeit tragen wird. So entschied 1989 das O L G München, eine Prorogation gemäß Art. 2 3 E u G W O (damals Art. 17 EuGVÜ) sei auch dann wirksam, wenn es um deliktische Ansprüche gegen den durch die Vereinbarung begünstigten Beklagten ging 69 . Insgesamt sind also die Einschränkungen für Gerichtsstandsvereinbarungen über den Wortlaut der gesetzlichen Regelungen hinaus nicht allzu erheblich. Ein allgemeiner Vorbehalt des Bezuges zum prorogierten Staat existiert nicht; nach richtiger Ansicht auch nicht in sog. Inlandsfällen. Eine Inhaltskontrolle für Vereinbarungen, die sich nach deutschem Recht richten, ist nach dem Wegfall von § 1 0 2 5 Abs.2 ZPO a.F. nur noch unter den Voraussetzungen der §§ 138, 2 4 2 BGB möglich und erfaßt nur entsprechend schwerwiegende Fälle. Es stellt sich also die Frage, ob ähnlich wie Rechtswahlvereinbarungen auch Gerichtsstandsvereinbarungen als Gesetzesumgehung unwirksam sein können.

4. Umgehung zwingenden Recht durch Gerichtsstandsvereinbarungen a) Zwingende

und international zwingende

Normen

aa) In Literatur und Rechtsprechung ist die Auffassung verbreitet, Gerichtsstandsvereinbarungen als unwirksam anzusehen, soweit sie zur Umgehung zwingenden deutschen Rechts führen 70 . Ein Beispiel bildet ein Fall des BGH aus dem Jahr 1 9 6 1 7 1 : Der deutsche Kläger war als Handelsvertreter für eine niederländische AG tätig. In ihrem Vertretervertrag hatten die Parteien als zuständigen Gerichtsstand Eindhofen sowie die Geltung niederländischen Rechts vereinbart. Als der Vertrag gekündigt worden war, machte der Kläger vor einem deutschen Gericht einen Ausgleichsanspruch aus § 8 9 b H G B geltend; das niederländische Recht kennt keine entsprechende Regelung. Nach der Entscheidung des BGH kann die Nichtigkeit der Gerichtsstandsklausel grundsätzlich mit der Umgehung

Grundmann/Riesenhuber JuS 2 0 0 1 , 5 2 9 (531). O L G München 8 . 3 . 1989 - 15 U 5989/88, RIW 1989, 901. 70 V. Bar/Mankowski, IPR I, § 5 Rdnr. 163; Gottwald, Grenzen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen, S. 100f.; Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Kap. 3 Rdnr. 5 4 0 ; s. auch Schack, IZVR, Rdnr. 4 5 1 . 71 BGH 3 0 . 1 . 1961 - V I I Z R 180/60, N J W 1 9 6 1 , 1 0 6 1 ; vgl. aber EuGH 9 . 1 1 . 2 0 0 0 - Rs. C381/98, NJW 2 0 0 1 , 2 0 0 7 . 68

69

II.

357

Gerichtsstandsvereinbarungen

des zwingenden § 8 9 b H G B begründet werden, im Einzelfall sei die Klausel aber wegen Verbindungen der Beklagten zu den Niederlanden wirksam. Mittlerweile durch eine Gesetzesänderung und einen Rechtsprechungswechsel überholt ist eine Entscheidung des B G H aus dem Jahr 1 9 8 4 zu § 61 BörsG a.F. 7 2 . Der Kläger hatte als Termingeschäftsunfähiger mit einem englischen Broker ein Warentermingeschäft abgeschlossen. § 6 1 BörsG a.F. verwies für ausländische Termingeschäfte auf die §§ 5 2 - 6 0 BörsG; nach § 53 BörsG war das Geschäft für den Kläger unverbindlich. Der B G H hielt § 6 1 BörsG a.F. für eine Kollisionsnorm des deutschen IPR, die die Anwendung entgegenstehenden ausländischen Rechts ausschlösse. Es sei Zweck dieser Norm, deutsches Recht auch gegen entgegenstehendes ausländisches Recht durchzusetzen. Daher sei die Vereinbarung der Zuständigkeit ausländischer Gerichte, die diese Vorschrift nicht beachten, nicht anzuerkennen. Diese Rechtsprechung ist in den 1990er Jahren nicht mehr aufrechterhalten worden. Nach einer Entscheidung des LG Darmstadt von 1 9 9 3 verdrängt Art. 2 3 E u G W O (damals Art. 17 EuGVÜ) nationale Prorogationsregelungen 73 . 1 9 9 6 lehnte das O L G Frankfurt eine Anwendung der Neufassung von § 6 1 BörsG auf Bereicherungsansprüche des nicht börsenterminfähigen Kunden ab 7 4 . Wegen der Sonderregelung des § 61 BörsG könnten die Regeln über den Differenzeinwand ( § § 7 6 2 , 7 6 4 BGB) auch nicht über den ordre public eingreifen. 1 9 9 8 änderte der B G H seine Rechtsprechung ausdrücklich 7 5 . Seit der Änderung der § § 5 3 , 5 8 und 6 1 BörsG und der Einschränkung des Geltungsbereichs von § 6 1 BörsG gehöre diese Norm nicht mehr zum deutschen ordre public, der die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Urteils in Deutschland ausschließe. bb) Wie die differenzierten Entscheidungen der Rechtsprechung zeigen, betrifft der Vorbehalt gegenüber Gerichtsstandsklauseln nicht alle zwingend ausgestalteten Normen des internen Rechts. Da die meisten internen Sachnormen in dieser Weise zwingend sind, bliebe sonst auch nicht viel Raum für Gerichtsstandsvereinbarungen und Rechtswahl. Das IPR kennt vielmehr die Besonderheit der international

zwingenden

Norm

oder Eingriffsnorm76.

Nach A r t . 3 4

E G B G B ist durch das Internationale Schuldvertragsrecht der Artt. 2 7 f f . E G B G B nicht die Anwendung derjenigen Normen ausgeschlossen, die ohne Rücksicht auf das auf den Vertrag anwendbare Recht den Sachverhalt zwingend regeln, also einen Anwendungsbefehl in sich tragen, der unabhängig vom Vertragsstatut gilt 77 . 72 73 74 75 76 77

BGH 1 2 . 3 . 1984 - II Z R 10/83, N J W 1984, 2 0 3 7 = IPRax 1985, 2 1 6 (Roth, S. 198). LG Darmstadt 1 . 1 2 . 1993 - 13 O 438/92, W M 1994, 1565 (1569). O L G Frankfurt 2 5 . 7 . 1996 - 16 U 157/95, NJW-RR 1997, 1202 (1203). BGH vom 2 1 . 4 . 1998 - XI Z R 377/97, NJW 1998, 2 3 5 8 (2359). Zur Unterscheidung MünchKomm-Martiny Art. 34 EGBGB Rdnrn. 6 f. Art. 34 EGBGB setzt Art. 7 EVÜ um. Der international zwingende Charakter kann sich

358

§18

Prozessuale

Besonderheiten:

Anerkennung

und

Gerichtsstandsvereinbarungen

Danach gelten international zwingende Normen auch dann, wenn die objektive Anknüpfung eines internationalen Schuldvertrags zu einer anderen Rechtsordnung führt und insbesondere auch, wenn durch privatautonome Rechtswahl nach Art. 2 7 E G B G B die Geltung einer anderen Rechtsordnung festgelegt wurde. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie der eingangs erwähnte Fall des BGH heute zu entscheiden wäre. Nach einer Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2 0 0 0 sind die Ausgleichsregeln für Handelsvertreter international zwingend, soweit sie auf der EG-Richtlinie 86/653/EWG vom 18. Dezember 1 9 8 6 beruhen 78 . Der EuGH hat offengelassen, ob sich international zwingende Normen nur gegenüber Rechtswahlvereinbarungen durchsetzen oder ob das auch für eine Gerichtsstandsklausel gilt. Nach dem eindeutigen Wortlaut und der systematischen Stellung von Art. 34 E G B G B ist das nicht der Fall: Die Norm befindet sich im IPR und bezieht sich inhaltlich auf das „auf den Vertrag anzuwendende Recht". Das Beispiel des Handelsvertreters zeigt also, daß eine Umgehung von Art. 34 EGBGB leicht möglich ist, wenn statt der Rechtswahl ein Gerichtsstand gewählt wird, an dem das gewünschte Kollisions- und Sachrecht angewendet wird.

b) Verstoß gegen den ordre

public

In Literatur und Rechtsprechung ist verbreitet, das Vermeiden international zwingender Normen im Wege der Gerichtsstandsvereinbarung als Verstoß gegen den ordre public anzusehen 79 . Dabei ist jedoch zu differenzieren: Wie bei einer Gesetzesumgehung im IPR liegt auch in einer Zuständigkeitserschieichung als solcher noch kein Verstoß gegen den ordre public. Der ordre public betrifft das Ergebnis der Anknüpfung und nicht die Frage, wie man dorthin gelangt 80 . Ein ordre public-Verstoß käme also nur in Betracht, wenn sämtliche international zwingenden Normen zum deutschen ordre public gehörten. Das ließe sich aber nur mit der heute überholten Auffassung begründen, wonach international zwingende Normen einen sog. positiven ordre public bilden. Nach heute herr-

aus einer ausdrücklichen Regelung ergeben, aber auch aus der Funktion der Norm. Beispiele für eine ausdrücklich international zwingende Norm finden sich außer in dem erwähnten § 6 1 BörsG in § § 7 Abs. 1 AEntG und in dem früheren § 12 S. 2 AGBG (jetzt Art. 29 a EGBGB). Darüber hinaus kann sich der Eingriffscharakter aus der Auslegung der Norm ergeben, vgl. MünchKomm-Martiny Art. 34 EGBGB Rdnrn. 91 ff.; Soergel-v. Hoffmann Art. 34 EGBGB Rdnr. 16. 78 EuGH 9 . 1 1 . 2 0 0 0 - Rs. C-381/98, NJW 2 0 0 1 , 2 0 0 7 ; dazu Staudinger NJW 2 0 0 1 , 1974. 79 Gottwald, Grenzen internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen, S. 100f.; Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts - Kropholler Kap. 3 Rdnr. 540; Schack, IZVR, Rdnr.451; aus der Rechtsprechung neben den erwähnten Entscheidungen zu § 6 1 BörsG z.B. BGH 2 1 . 1 2 . 1 9 7 0 - II Z R 39/70, IPRspr 1970, Nr. 112 b = NJW 1971, 325; BGH 3 0 . 5 . 1 9 8 3 II Z R 135/82, N J W 1983, 2 7 7 2 = IPRax 1985, 27 (Trappe S. 18). 80 Vgl. o. § 14 III.

II.

Gericbtsstandsvereinbarungen

359

sehender Ansicht ist die Durchsetzung der Eingriffsnormen nur eine Frage des Art. 3 4 E G B G B ; sie gehören also nicht sämtlich zum ordre public 8 1 . Unabhängig davon begegnet die Anwendung des ordre public in diesen Fällen methodischen Bedenken 8 2 . Wenn Gerichtsstandsklauseln am M a ß s t a b des ordre public gemessen werden, geraten Prozeßrecht und materielles R e c h t , forum und ius durcheinander. Das Ergebnis des ausländischen Urteils wird vorweggenommen, indem das deutsche Gericht ihm seine Zuständigkeit bereits aberkennt, weil es nach deutscher Ansicht zu einem ordre-public-widrigen Ergebnis kommen wird. Eine solche Kontrolle ist jedoch nach dem Internationalen Zivilprozeßrecht erst auf der Ebene der Anerkennung möglich: § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 4 Z P O setzt voraus, daß ein ausländisches Urteil ergangen ist, das auf seine K o n f o r m i t ä t mit dem ordre public zu überprüfen ist. Eine Nichtigerklärung bereits im Vorfeld ist mit Hilfe des ordre public nicht möglich.

c) Gesetzesumgehung

und

Eingriffsschwelle

aa) Somit bleibt nur die Möglichkeit, derartige Gerichtsstandsklauseln statt dessen aus Umgehungsgesichtspunkten für nichtig zu erklären. Das Ergebnis eines ausländischen Urteils spielte dann keine Rolle. Als umgangene N o r m k o m m t Art. 3 4 E G B G B in Verbindung mit der betroffenen international zwingenden N o r m im Betracht. Der Geltungsbereich von Art. 3 4 E G B G B greift - wie erwähnt - nicht ein, da es sich nicht um eine prozessuale N o r m handelt. Auch ein Verstoß gegen das Ziel von Art. 3 4 E G B G B läßt sich begründen, da diese Regelung den absoluten Schutz international zwingender N o r m e n gewährleisten soll. Eine Gesetzesumgehung liegt der Sache nach also vor. Ihr kann allerdings nicht durch die analoge Anwendung der umgangenen N o r m begegnet werden: Es ist bereits fraglich, o b angesichts der unterschiedlichen Rechtsgebiete Prozeßrecht und IPR eine Regelungslücke in Betracht k o m m t . Auf jeden Fall paßt die Rechtsfolge von Art. 3 4 E G B G B nicht, da es primär nicht um die Anwendung der international zwingenden N o r m geht, sondern um die Unwirksamkeit der Derogation des deutschen Gerichtsstandes. Es wäre also eine Rechtsfortbildung nötig in der Weise, daß eine Gerichtsstandsklausel nicht bindend ist, soweit das prorogierte Gericht die international zwingende N o r m nicht anwendet. bb) Unter diesen Umständen sind an die Eingriffsschwelle hohe Anforderungen zu stellen. Wie Rechtswahlklauseln können auch Gerichtsstandsklauseln als privatautonome Regelungen nur in seltenen Ausnahmefällen als Gesetzesumgehung unwirksam sein, da sie Ausfluß der Vertragsfreiheit sind und Rechtssicher-

81 Dazu Junker, IPR, Rdnr.273; Kegel/Schurig, IPR, S. 453ff.; MünchKomm-Martiny Art. 34 EGBGB Rdnr.31. 82 So auch Schack, IZVR, Rdnr.453; Gelmer, IZPR, Rdnrn. 1762, 1770; Zöller-Geimer, ZPO, IZPR Rdnr.69.

360

§ IS Prozessuale Besonderheiten:

Anerkennung und

Gerichtsstandsvereinbarungen

heit für die Beteiligten gewährleisten sollen 8 3 . Darüber hinaus ist weitgehend ungeklärt und umstritten, welche N o r m e n zu den Eingriffsnormen im Sinne von Art. 3 4 E G B G B gehören. Diese Unsicherheit würde auf das Prozeßrecht übertragen, wenn alle derartigen N o r m e n auch bei ausdrücklicher Derogation des inländischen Gerichtsstands berücksichtigt werden müßten. Weitere Unklarheiten ergäben sich daraus, ob die international zwingenden N o r m e n auch in Fällen mit (überwiegendem) Auslandsbezug geschützt werden sollen und o b die Umgehung bewußt erfolgen muß. Diese

Bedenken

EuGWO

gelten

verstärkt

im

Anwendungsbereich

von

Art. 2 3

(früher Art. 1 7 E u G V Ü ) . Die Einschränkung dieser prorogations-

freundlichen N o r m aus Erwägungen des nationalen Rechts läßt sich k a u m rechtfertigen. Die Inhaltskontrolle von Gerichtsstandsklauseln m u ß daher der Anerkennung vorbehalten bleiben. Die Unwirksamkeit einer solchen Klausel ist trotz der Umgehung international zwingenden Rechts gemäß Art. 3 4 E G B G B nur in extremen Ausnahmefällen denkbar. Auch die Rechtsprechung folgt dieser Linie; sie hält Gerichtsstandsvereinbarungen in aller Regel für wirksam. N a c h der - bereits erwähnten - Handelsvertreterentscheidung des B G H aus dem J a h r e 1 9 6 1 gilt das auch dann, wenn mit Umgehungsabsicht gehandelt wurde, soweit ein Bezug zu dem prorogierten Forum vorhanden ist 8 4 . M e h r f a c h hatte sich die Rechtsprechung mit Gerichtsstandsklauseln in seerechtlichen Konnossementen zu befassen. Sie wurden regelmäßig für wirksam angesehen; auch dann, wenn sie eine der Parteien einseitig zum Schaden der anderen bevorzugten 8 5 . Dasselbe gilt, wenn die Gerichtsstandsklausel für eine Partei praktische - vor allem sprachliche - Schwierigkeiten mit sich bringt. Der B G H erklärte daher die Klage einer deutschen Partei für unzulässig, weil eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten des Rechts von Thailand bestand 8 6 . cc) Eine Ausnahme will - in einem obiter dictum - das B A G machen. N a c h einer Entscheidung des Dritten Senats aus dem J a h r 1 9 7 0 kann in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten nur dann ein ausländischer Gerichtsstand vereinbart werden, wenn nicht im Einzelfall zum Schutz des Arbeitnehmers geboten ist, den Rechts' Zur Eingriffsschwelle bei Gesetzesumgehung durch Rechtswahl oben § 13 II.2c). BGH 30.1. 1961 - V I I ZR 180/60, NJW 1961, 1061. 85 Nach OLG Hamburg 12.2. 1970 - 6 U 148/69, IPRspr 1970, Nr. 112 a (S. 370) und 28.5. 1970 - 6 U 207/69, IPRspr 1970, Nr. 113 (S. 376) ist die Zuständigkeitsklausel sogar wirksam, wenn das Urteil in Deutschland nicht anerkannt werden würde; Revisionsentscheidung zu Paramount-Klauseln: BGH 21.12. 1 9 7 0 - I I ZR 39/70, IPRspr 1970, Nr. 112 b = NJW 1971, 325; dazu Staudinger-Sonnenberg Einl. IPR Rdnr.705; s. auch BGH 30.5. 1983 - II ZR 135/82, NJW 1983,2772 = IPRax 1985,27 (Trappe S. 18); OLG Bremen 18.7. 1985 - 2 U 29/85, VersR 1985, 987. 86 BGH 3.12. 1973 - II ZR 91/72, AWD 1974, 221 (222) m. Anm. v. Hoffmann. Materiellrechtlich ergaben sich aus der Klausel keine Bedenken, da die ersten drei Bücher des deutschen und des thailändischen BGB fast identisch waren. 8

84

II.

Gericbtsstandsvereinbarungen

361

streit vor deutschen Gerichten zu führen 8 7 . Im Entscheidungsfall wurde eine derartige Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers indes abgelehnt. Nach heutiger Rechtslage besteht im Arbeitsverhältnis ohnehin kaum noch Raum für eine Gerichtsstandsklausel, da Arbeitnehmer keine Kaufleute im Sinne der §§38, 40 ZPO sind. Auch Art. 21 E u G W O (früher Art. 17 Abs. 5 EuGVÜ) schränkt die Prorogationsfreiheit für Arbeitsverträge ein. Davon abgesehen spricht in der Tat einiges dafür, die Eingriffsschwelle auf dem Gebiet des Arbeitsrechts niedriger anzusetzen: International zwingende Normen sind im deutschen Arbeitsrecht besonders häufig, sei es aufgrund gesetzlicher Regelungen (z.B. § 7 Abs. 1 AEntG) oder aufgrund ihres Inhalts, z.B. ihres Zusammenhangs mit der Sozialversicherung 88 . Zum Schutz der Arbeitnehmer gibt es seit 1986 die spezielle Kollisionsnorm Art. 30 EGBGB, durch deren Abs. 1 die Freiheit der Rechtswahl erheblich eingeschränkt wird. Durch Gerichtsstandsklauseln in Arbeitsverträgen kann also nicht nur die allgemeine Regelung des Art. 34 EGBGB umgangen werden, sondern auch der besondere Schutz von Art. 30 Abs. 1 EGBGB. Eine Parallele bildet das Verbraucherschutzrecht, das ebenfalls besonderen kollisionsrechtlichen Schutz genießt, Art. 29 EGBGB. 5. Gerichtsstandsklauseln u n d R e c h t s w a h l k l a u s e l n Gerichtsstandsklauseln und Rechtswahlklauseln haben, wie eingangs erwähnt, parallele Bedeutung und führen in der Praxis oft zum gleichen Ergebnis. Ihre rechtliche Regelung ist jedoch unterschiedlich: Während Art. 27 EGBGB die Freiheit der Rechtswahl gewährleistet und zum Regelfall macht, ist die Prorogationsfreiheit durch Art. 23 E u G W O und noch mehr durch §§ 3 8 , 4 0 ZPO eingeschränkt. Dennoch sind mit Hilfe von Gerichtsstandsklauseln Gesetzesumgehungen möglich, da für sie Art. 34 EGBGB nicht gilt und so der besondere Schutz international zwingender Normen umgangen werden kann. Für die Gesetzesumgehung durch Gerichtsstandsklauseln gelten in der Praxis vergleichbare Kriterien wie durch die Gesetzesumgehung durch Rechtswahl. Entsprechende Klauseln werden in den meisten Fällen als wirksam angesehen; auch dann, wenn sie eine der Parteien benachteiligen. Die Eingriffsschwelle ist nur dann niedriger, wenn durch eine Gesetzesumgehung eine Person geschädigt wird, die einer durch das Kollisionsrecht und international zwingende Normen besonders geschützten Gruppe angehört - vor allem Arbeitnehmer oder Verbraucher. Die Ähnlichkeit der Wertungskriterien trotz der grundlegend unterschiedlichen rechtlichen Regelungen von Gerichtsstandsklauseln und Rechts87 BAG 20.7. 1970 - 3 AZR 417/69, BAGE 22, 410; dazu kritisch Geimer, Rdnr. 1774. 88 Dazu Benecke, IPRax 2001, 449.

IZPR,

362

§18 Prozessuale Besonderheiten:

Anerkennung und

Gerichtsstandsvereinbarungen

Wahlklauseln verdeutlicht erneut, daß in Umgehungsfällen die Wertung im Vordergrund steht.

III. Ergebnisse:

Gesetzesumgehung

im Internationalen

Prozeßrecht

Gesetzesumgehungen im IPR und im Internationalen Verfahrensrecht lassen sich im praktischen Fall oft kaum voneinander trennen: Um den gewünschten Erfolg zu erreichen, muß der Umgeher - wie erwähnt - in den meisten Fällen sowohl den Anknüpfungspunkt der Zuständigkeitsnorm als auch denjenigen der Kollisionsnorm manipulieren. Vielfach geschieht das auch durch dieselbe Handlung im Fall Max Reinhardt z.B. durch die Begründung eines Wohnsitzes in Lettland. Für die praktischen Folgen und die Betroffenen scheint es daher gleichgültig, auf welcher Ebene die Manipulation ansetzt.

1. Unterschiede Internationales Prozeßrecht - I P R Dennoch ist zwischen beiden Gruppen der Umgehung zu differenzieren. Die prozessualen Zuständigkeitsregeln haben eine andere Funktion und Regelungstechnik als das Kollisionsrecht. Zusammengefaßt ergeben sich daraus für die Gesetzesumgehung im Internationalen Verfahrensrecht folgende Besonderheiten: a) Sie bringt andere Abgrenzungsfragen mit sich. Die Zuständigkeitserschleichung als Gesetzesumgehung ist zu unterscheiden vom forum Shopping. Zwar kann auch forum Shopping die gerichtliche Entscheidung erheblich beeinflussen. Es werden in diesem Fall aber keine Manipulationen vorgenommen, um in den Geltungsbereich einer Zuständigkeitsnorm hineinzukommen, sondern es wird lediglich unter den vorhandenen gesetzlichen Möglichkeiten ausgewählt. b) Sie spielt sich auf einer anderen rechtlichen Ebene ab und kann daher unterschiedliche Ziele haben - die Anwendung bestimmter sachrechtlicher Normen oder die tatsächlichen oder prozessualen Vorteile eines bestimmten Gerichtsstands. Im ersten Fall liegt eine dreistufige Gesetzesumgehung vor: Das Gericht am erschlichenen Gerichtsstand wendet sein Kollisionsrecht an, das auf die gewünschte Sachrechtsordnung verweist. Im zweiten Fall ist das Vorgehen wie bei der Gesetzesumgehung im Sachrecht einstufig. Eine Besonderheit im internationalen Bereich ist die Zuständigkeitserschieichung mit Hilfe von § 23 ZPO. c) Sie kann auch durch Gerichtsstandsklausel erfolgen. Anders als bei einer Rechtswahlklausel wird dabei vertraglich nicht das angewandte Recht, sondern das zuständige Gericht gewählt. Auf diese Weise können auch international zwingende inländische Normen ausgehebelt werden, da Art. 34 EGBGB nicht für Gerichtsstandsklauseln gilt. Allerdings sind Prorogation und Derogation nach §§ 38, 40 ZPO, Art.23 E u G W O nur eingeschränkt zulässig.

III. Ergebnisse: Gesetzesumgebung

im Internationalen

Prozeßrecht

363

d) Sie m u ß aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden. Für den Staat, dessen Zuständigkeit erschlichen wurde, f ü h r t das bei Überschreitung der Eingriffsschwelle zur Unzuständigkeit. Aus der Sicht der anderen Staaten stellt sich die Frage der Anerkennung (§ 328 Z P O , Artt. 32ff. E u G W O ) . Im Gegensatz zu einer in der deutschen Literatur und Rechtsprechung verbreiteten Auffassung scheitert die Anerkennung dabei nur selten an dem ordre-public-Vorbehalt (§ 328 Abs. 1 Nr. 4 Z P O ) , sondern meist greift § 328 Abs. 1 Nr. 1 Z P O ein, das sog. Spiegelbildprinzip.

2. Insbesondere: Wertungsfragen Die Wertung in Fällen der Gesetzesumgehung im Internationalen Verfahrensrecht m u ß zwei Ausgangspunkte berücksichtigen. Einerseits k a n n Zuständigkeitserschieichung ebenso schwerwiegende Folgen haben wie die Manipulation von Kollisionsnormen. Dennoch m u ß die Wertung auf beiden Ebenen u n a b h ä n gig voneinander erfolgen, da andererseits die besonderen Funktionen des Prozeßrechts und der Zuständigkeitsregelungen berücksichtigt werden müssen. Individueller Rechtsschutz und Durchsetzung materiellrechtlicher Ansprüche sind nur möglich, wenn ein zuständiges Gericht über eine Sache entscheidet. Das Bedürfnis nach Rechtssicherheit ist daher auf diesem Gebiet besonders groß. Die Kriterien, die von der Praxis für die Eingriffsschwelle herangezogen werden, spiegeln diese Überlegungen wider: Die Eingriffsschwelle ist generell hoch, die Rechtsprechung sieht also ebenfalls das Bedürfnis nach Rechtssicherheit als vorrangig an. Unwirksam können Zuständigkeitserschieichungen und - selten auch Gerichtsstandsklauseln allenfalls sein, w e n n sie für einen Betroffenen schwere Folgen haben. Auch in diesen Fällen wird jedoch dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsschutz dadurch Rechnung getragen, daß nur bewußte Umgehungen unwirksam sein können. Eine „objektive Zuständigkeitserschieichung" genügt entgegen einer verbreiteten Auffassung in der Literatur nicht. Trotz der Unterschiedlichkeit der Rechtsgebiete sind die Kriterien der Praxis bei Gesetzesumgehungen im IPR und Internationalem Verfahrensrecht ähnlich das gilt auch für den Bereich der Rechtswahlvereinbarungen und Gerichtsstandsklauseln. In beiden Fällen spielen die Schädigung eines anderen, besonderer gesetzlicher Schutz sowie subjektive Merkmale eine Rolle und die Eingriffsschwelle ist insgesamt hoch. Die Besonderheiten umgehungsspezifischer Wertung führen also auch d a n n zu Gemeinsamkeiten, wenn es um Rechtsgebiete mit ganz unterschiedlicher Funktion und Struktur geht.

§ 1 9 Zusammenfassung: Gesetzesumgehung im IPR und Sachrecht Das IPR ist in vielen Rechtsordnungen der wichtigste Anwendungsbereich von Lehre und Begriff der Gesetzesumgehung. Es ist das Rechtsgebiet, auf dem sich die Frage der Gesetzesumgehung „drängender und reiner" stellt: Eine Umgehung im IPR kann nicht nur die Unzulänglichkeiten der nationalen Rechtsordnung ausnutzen, sondern die Unterschiede verschiedener Rechtsordnungen. Auf der anderen Seite herrscht in der Praxis weitgehende Toleranz gegenüber Gesetzesumgehungen im IPR und im Internationalen Verfahrensrecht. Die Umgehung von Formvorschriften beispielsweise wird selten akzeptiert, wenn sie mit Hilfe von Vertragsgestaltungen des internen Rechts erfolgt; anders, wenn sie sich durch Herstellung eines internationalen Bezuges vollzieht. Wie oben für das Sachrecht geschehen 1 , werden im folgenden die Besonderheiten der Gesetzesumgehung im IPR und Internationalem Verfahrensrecht anhand der umstrittenen und ungeklärten Fragen auf diesen Gebieten zusammengefaßt: 1) Wie lautet die Definition der Gesetzesumgehung im IPR, welche Norm wird umgangen? 2) Gibt es im IPR ein eigenes Institut der Gesetzesumgehung oder lassen sich die Umgehungsfälle einem anderen Institut zuordnen - insbesondere dem ordrepublic-Vorbehalt? 3) Wie ist in Umgehungsfällen im IPR methodisch vorzugehen, welche Möglichkeiten und Grenzen bietet der Analogieschluß? 4) Welche Bedeutung hat die Frage der Gesetzesumgehung im gesetzlich ungeregelten Bereich des IPR? 5) Welche Kriterien gelten für die umgehungsspezifische Wertung? 6) Ist Gesetzesumgehung durch Wahl des geltenden Rechts oder des Gerichtsstands möglich und welche Wertungsfragen sind dabei zu beachten?

I. Definition der Gesetzesumgebung

im IPR

Die Definition der Gesetzesumgehung im IPR ergibt sich wie diejenige im Sachrecht aus dem Auseinanderfallen von Geltungsbereich und Ziel der umgangenen 1

Oben § 12.

II. Umgehung und bestehende

Rechtsinstitute

365

N o r m . Sie ist aber aufgrund der Besonderheiten des IPR zu modifizieren: Gesetzesumgehung im I P R ist ein Verhalten, das nicht unter den Geltungsbereich einer kollisionsrechtlichen Anknüpfung an eine bestimmte Rechtsordnung fällt, aber nach dem Ziel der Kollisionsnorm dieser Anknüpfung zuzuordnen wäre. Für das Internationale Zivilverfahrensrecht ist an die Stelle der kollisionsrechtlichen Anknüpfung die Anknüpfung einer Zuständigkeitsnorm zu setzen; für die Ergehung gilt die Definition umgekehrt entsprechend. Wie die Definition zeigt, sind O b j e k t e der Umgehung nicht die Sachnorm oder die Sachnormen, auch wenn diese im Bewußtsein des Umgehers meist im Vordergrund stehen. Das O b j e k t der Umgehung richtet sich danach, an welcher N o r m und auf welcher Ebene die umgehungsspezifische Wertung ansetzt. Dies m u ß dieselbe Ebene sein, auf der auch die Manipulation erfolgt ist, also die Ebene des Kollisionsrechts. Bei der Umgehung im Internationalen Verfahrensrecht wird das besonders deutlich, da mit der Manipulation von Anknüpfungsmerkmalen die Geltung von Sachnormen, aber auch das Eingreifen prozessualer N o r m e n angestrebt werden kann. O b j e k t der Umgehung ist jedoch auch nicht die Kollisionsnorm als solche. Im Regelfall der allseitigen Kollisionsnorm soll die gesetzliche Regelung keineswegs vermieden werden, sondern gerade zur Anwendung k o m m e n . Dabei soll sie aber nicht in die ihrem Ziel gemäße Rechtsordnung führen, sondern in die vom U m geher gewünschte. O b j e k t der Umgehung ist also nur die Anknüpfung an eine konkrete Rechtsordnung als Teil der Regelung der Kollisionsnorm. Entsprechendes gilt für einseitige Kollisionsnormen und das Internationale Verfahrensrecht; hier macht sich diese Differenzierung aber weniger bemerkbar. Die Anwendung der gewünschten Sachnormen kann auf den Gebieten des IPR und des Internationalen Verfahrensrechts auf vielfältige Weise erreicht werden: Durch Manipulation anknüpfungserheblicher Tatsachen oder qualifikationserheblicher Tatsachen, durch Zuständigkeitserschieichung, durch

Rechtswahl

oder Wahl des Gerichtsstands; dabei kann es im Prozeßrecht auch auf tatsächliche oder prozessuale Vorteile a n k o m m e n . Die Vielzahl der Möglichkeiten ergibt sich daraus, daß die Gesetzesumgehung im IPR die Verweisungstechnik der betroffenen N o r m e n ausnutzt: Wird die Verweisung geändert, stellen sich die Weichen automatisch in die gewünschte Richtung.

II. Umgehung und bestehende

Rechtsinstitute

1. In der internationalprivatrechtlichen Doktrin ist bis heute verbreitet, der französischen Tradition folgend Gesetzesumgehung als eigenes Rechtsinstitut anzusehen. J e d o c h gilt hier das gleiche wie im Sachrecht: Ein derartiges Rechtsinstitut ist für die Fallösung nicht sinnvoll, da es sich nicht mit einheitlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen formulieren läßt. In der Praxis werden in Umgehungs-

366

§19 Zusammenfassung:

Gesetzesumgehung im ¡PR und Sachrecht

fällen im I P R und Internationalen Prozeßrecht unterschiedliche Wertungskriterien herangezogen und die Rechtsfolgen der Umgehung hängen ebenfalls von der individuellen Fallgestaltung ab. Auf der anderen Seite ist der Rechtsbegriff der Umgehung nicht überflüssig. Umgehungsfälle im IPR stellen auch keinen bloßen Sonderfall der Analogie oder gar Auslegung dar. Wie im Sachrecht bilden Umgehungsfälle im IPR eine Aufgabe, vor die der Rechtsanwender gestellt wird. Dabei steht im Vordergrund eine Wertungsfrage: die Abwägung zwischen dem Vertrauen in den Geltungsbereich der Anknüpfungsnormen einerseits und der Einzelfallgerechtigkeit andererseits. Z u r Umsetzung dieser Wertung ist ein besonderes Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung nicht erforderlich, weil andere methodische Mittel zur Verfügung stehen 2 . 2 . Die Fälle der Gesetzesumgehung lassen sich also nicht als Rechtsinstitut vereinheitlichen. Sie lassen sich aber ebensowenig einem bestehenden Rechtsinstitut zuordnen. Für das Verhältnis zur Simulation gilt entsprechendes wie im Sachrecht: Simulation kann Mittel der Umgehung sein, beides ist aber voneinander zu trennen. Ein Institut des kollisionsrechtlichen Rechtsmißbrauchs gibt es nicht, da sich aus dem IPR keine Rechtspositionen ergeben, die mißbraucht werden könnten. D e r Begriff des Rechtsmißbrauchs oder M i ß b r a u c h s einer N o r m beschreibt im I P R daher nur die negative Bewertung einer bestimmten Handlung. Ein enges Verwandtschaftsverhältnis besteht zwischen kollisionsrechtlicher Gesetzesumgehung und dem Regelungsbereich des

ordre-public-Vorbehalts,

Art. 6 E G B G B . J e d o c h ist die Gesetzesumgehung entgegen einer verbreiteten Auffassung kein Fall des ordre-public-Verstoßes: Art. 6 E G B G B befaßt sich mit dem Inhalt des fremden Rechts, nicht mit der Art und Weise, wie es zur Anwendung k o m m t . Daher können zwar Fälle der Gesetzesumgehung unter den Vorbehalt fallen, wenn durch die Umgehung Rechtsnormen zur Anwendung gebracht werden, die ordre-public-widrig sind. D e r Vorbehalt greift jedoch nicht schon aufgrund der Umgehung ein. Entsprechendes gilt für die ordre-public-Klausel im Recht der Anerkennung, § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 4 Z P O . Auch hier k o m m t es nur auf das v o m ausländischen Richter angewandte Recht an, nicht auf die Frage, wie seine Zuständigkeit begründet wurde.

III. Methodische

Fragen

Das methodische Vorgehen bei Gesetzesumgehung im IPR wird wenig diskutiert, soweit nicht ohnehin auf das Rechtsinstitut der fraus legis verwiesen wird. Nicht zu folgen ist dem Ansatz, auf der tatsächlichen Ebene anzusetzen und die Umgehungshandlung nicht zu beachten, denn im Gegensatz zur Simulation geht 2

Dazu zusammenfassend unten § 19 III.

III. Methodische

Fragen

367

es bei der Gesetzesumgehung um die rechtliche Ebene. Statt dessen muß die Lösung von Umgehungsfällen grundsätzlich in gleicher Weise erfolgen wie im Sachrecht: Das Objekt der Umgehung, die umgangene Norm, ist analog anzuwenden. Wenn eine solche Analogie nicht möglich ist oder nicht zu einem sinnvollen, eindeutigen Ergebnis führt, kommt eine Rechtsfortbildung extra legem in Betracht 3 . Bereits bei der Gesetzesumgehung im Sachrecht weicht diese Analogie aber vom Regelfall des Analogieschlusses ab. Im Kollisionsrecht ist das verstärkt der Fall, weil es nicht die Kollisionsnorm als solche ist, die analog angewandt wird, sondern - wie erwähnt - die Anknüpfung an ein bestimmtes Statut. Ergebnis der Analogie ist daher nicht die bloße Ausdehnung der umgangenen Norm, sondern die Bildung einer besonderen Kollisionsnorm, durch die die Umgehung unwirksam gemacht wird. Auch die Voraussetzungen der Analogie sind zu modifizieren: Da das Kollisionsrecht jeden Fall einer Rechtsordnung zuweist, läßt sich eine Regelungslücke im klassischen Sinne kaum begründen. Gleichzeitig stößt der Analogieschluß im IPR seltener auf Grenzen; die Abgrenzung zur Rechtsfortbildung extra legem ist fließend, da das IPR als „offenes System" 4 größeren Raum für eine freie Rechtsgestaltung gibt. Allerdings gibt es auch einen Fall, in dem die analoge Anwendung der umgangenen Norm nicht weiterhilft: der Sonderfall der Umgehung durch Rechtswahl. Da sich hier nicht immer eine umgangene Anknüpfung finden läßt, die analog anzuwenden wäre, muß statt dessen die Rechtswahlklausel nichtig sein. Entsprechendes gilt für Gerichtsstandsklauseln, bei denen oft nicht eindeutig ist, ob ihr Ziel im Prozeßrecht oder im Kollisionsrecht liegt. Bei der Gesetzesumgehung im Internationalen Verfahrensrecht haben die betroffenen Normen eine andere Funktion als bei der Gesetzesumgehung im IPR. So ist die Zuständigkeitserschieichung eine Gesetzesergehung, die bei Überschreitung der Eingriffsschwelle zur teleologischen Reduktion der Zuständigkeitsnorm und damit zur Unzuständigkeit führt. Daher wird die Anerkennung erschlichener Urteile oft am Spiegelbildprinzip des § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 1 Z P O scheitern, da das betroffene Gericht aus deutscher Sicht nicht zuständig war. Ein Rückgriff auf § 3 2 8 Abs. 1 Nr. 4 Z P O ist dagegen nur zulässig, wenn inhaltlich ein ordre-public-Verstoß vorliegt 5 .

3 Nicht zu folgen ist auch der gelegentlich vertretenen Ansicht, derartige Fälle über eine Mißbrauchseinrede zu lösen, dazu oben § 16 1.3. 4 Grundlegend Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 170ff.; dazu im einzelnen oben § 1 6 I.3.a)bb). 5 S. dazu oben § 1 8 I.2.c).

368

§19

Zusammenfassung:

Gesetzesumgehung

IV. Gesetzesumgehung

im IPR und

im nicht kodifizierten

Sachrecht

Bereich

Eine Besonderheit des IPR besteht darin, daß nach wie vor einige seiner Bereiche nicht gesetzlich kodifiziert sind, insbesondere das Internationale Gesellschaftsrecht. Im nicht kodifizierten Bereich können Gesetzesumgehungen in unterschiedlicher Weise von Bedeutung sein: Erstens können auch gewohnheitsrechtliche Normen umgangen werden, und zweitens kann die Vorbeugung gegen Umgehung den Ausgangspunkt für die Entwicklung richterrechtlicher Kollisionsnormen bilden. Eine Umgehung oder Ergehung gewohnheitsrechtlicher Anknüpfungen ist grundsätzlich ebenso möglich wie bei kodifizierten Anknüpfungen, allerdings durch deren Flexibilität selten problematisch. Eine gewohnheitsrechtliche Norm, die der Umgehungsvorbeugung dienen soll, ist die gesellschaftsrechtliche Sitztheorie. Sie ist jedoch seit den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs in den Fällen „Centros", „Uberseering" und „Inspire A r t " 6 weitgehend gegenstandslos geworden. Der EuGH sah in mehreren Auswirkungen der Sitztheorie einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit nach Artt. 4 3 , 4 8 EG-Vertrag. So dürfen Gesellschaften mit ausländischer Rechtsform im Inland nicht diskriminiert werden, auch wenn sie nur einen inländischen Gesellschaftssitz haben. Das gilt im Verhältnis zu den Mitgliedsstaaten der EU und nach einer Entscheidung des B G H auch im Verhältnis zu den USA 7 . Für Umgehungsfälle im Internationalen Gesellschaftsrecht ist die Eingriffsschwelle damit sehr hoch. Nach dem E u G H soll nur in Fällen von Betrug oder Mißbrauch des Gemeinschaftsrechts eine Ausnahme gemacht werden können. Dazu gehört ausdrücklich nicht die bewußte Umgehung des Rechts des Sitzstaates: Der Genuß vorteilhafterer Rechtsvorschriften sei kein Mißbrauch. Welche Instrumente des deutschen Rechts auf diese Weise zur Anwendung gebracht werden können, ist noch ungeklärt; diskutiert werden insolvenzrechtliche Haftungsinstrumente und die Arbeitnehmermitbestimmung 8 .

V.

Wertungsfragen

Die Lösung von Umgehungsfällen hängt im IPR wie im Sachrecht vor allem von der zugrundeliegenden Wertung ab. Die erste, definitorische Stufe dieser Wertung wurde bereits erwähnt: Gesetzesumgehung unterscheidet sich von anderem rechtlich erheblichen Vorgehen dadurch, daß zwar der Geltungsbereich der um6 Centros: EuGH 9 . 3 . 1999 - Rs. C-212/97, ZIP 1999, 4 3 8 = IPRax 1999, 3 6 0 = N J W 1999, 2 0 2 7 ; überseering: EuGH 5 . 1 1 . 2 0 0 2 - Rs. C-208/00, IPRax 2 0 0 3 , 65 = N J W 2 0 0 2 , 3 6 1 4 = BB 2 0 0 2 , 2 4 0 2 ; Inspire Art EuGH 3 0 . 9 . 2 0 0 3 - Rs. C-167/01, DB 2 0 0 3 , 2 2 1 9 = N J W 2 0 0 3 , 3 3 3 1 ; ausführlich zu Sachverhalten und Urteilen oben § 16 II.2.b). 7 BGH 2 9 . 1 . 2 0 0 3 - VIII Z R 155/02, DB 2 0 0 3 , 818. 8 Dazu statt aller Zimmer N J W 2 0 0 3 , 3585; im einzelnen oben § 16 II.2.c).

VI. Gesetzesumgehung

und

Privatautonomie

369

gangenen Norm nicht betroffen ist, aber ihr weitergehendes Ziel verletzt wird. Die zweite Stufe, die Eingriffsschwelle, ergibt sich aus der Abwägung zwischen der interessengerechten Lösung des Einzelfalles und dem Interesse an Rechtssicherheit und Vertrauensschutz, damit Normen nicht mit der Begründung der Gesetzesumgehung beliebig ausgedehnt werden. Auch wenn der Ansatz im IPR und im Sachrecht gleich ist, ergeben sich doch Besonderheiten aus der Natur von IPR und Internationalem Verfahrensrecht: Beide Rechtsgebiete stellen Verweisungsrecht dar. Die Lösung des konkreten Falles ergibt sich nicht aus der umgangenen Norm, sondern im IPR aus dem Statut, an das angeknüpft wird und im Internationalen Prozeßrecht aus den Normen, die der zuständige Richter anwendet. Das IPR dient vorrangig der Ermittlung des sachnächsten Rechts, das Internationale Verfahrensrecht soll den für die Fallösung geeignetsten Gerichtsstand ermitteln. Anders als im Sachrecht spielt der Schutzzweck der umgangenen Norm für die Wertung also keine zentrale Rolle. Statt dessen setzt die umgehungsspezifische Wertung bei der Betrachtung des Einzelfalles und der konkreten Folgen für die Betroffenen an. Dabei kommt es meist darauf an, ob es ein „Opfer" der Umgehung gibt. Die Opferstellung ergibt sich daraus, daß der Betroffene rechtliche oder tatsächliche Nachteile erleidet oder befürchten muß und gleichzeitig in seinem Einfluß auf die Umgehungshandlung eingeschränkt ist. Der Grund kann in einer einseitigen Manipulation liegen oder darin, daß er übertölpelt wurde. Sowohl im IPR als auch im Verfahrensrecht wird die Eingriffsschwelle in der Praxis sehr hoch angesetzt: Rechtssicherheit hat auf dem Gebiet des Verweisungsrechts einen hohen Stellenwert. Dazu gehört vor allem, daß zwar überwiegend das Erfordernis der Umgehungsabsicht abgelehnt wird, Gesetzesumgehung im IPR aber grundsätzlich bewußt und gezielt erfolgen muß, um sanktioniert zu werden. Es gibt also keine rein objektive Gesetzesumgehung im IPR und - entgegen einer verbreiteten Auffassung - auch keine objektive Zuständigkeitserschleichung. Auch die anderen Kriterien der Eingriffsschwelle haben begrenzende Funktion. In der Praxis sind daher Fälle überaus selten, deren Ergebnis tatsächlich mit fraus legis begründet wurde.

VI. Gesetzesumgehung

und

Privatautonomie

Nach einer verbreiteten Ansicht zum Sachrecht muß die umgangene Norm eine zwingende sein, da sonst keine Umgehung, sondern die vertragliche Abbedingung der Norm vorliegt 9 . Wie oben gezeigt, ist diese Auffassung jedoch nicht zutreffend: In Ausnahmefällen, wenn die betroffene Norm eine Schutznorm ist und die Vertragsgestaltung eine Partei unangemessen benachteiligt, kann auch die 9

Dazu oben § 7 I.2.b).

370

§19

Zusammenfassung:

Gesetzesumgehung

im ¡PR und

Sachrecht

Umgehung dispositiver Normen unwirksam sein. Im IPR und Internationalen Verfahrensrecht können durch privatautonome Vereinbarungen nicht nur Teile der internen Rechtsordnung außer Kraft gesetzt werden, sondern ein Rechtsverhältnis als ganzes einer bestimmten Rechtsordnung unterworfen werden. Mittel der Privatautonomie im IPR ist die Rechtswahl; vor allem gemäß Art. 2 7 E G B G B . Die gleichen Auswirkungen wie eine Rechtswahl kann auch eine Gerichtsstandsklausel im Internationalen Verfahrensrecht haben, da das Gericht am prorogierten Gerichtsstand sein eigenes Recht anwendet 1 0 . Solche Vereinbarungen können größere Risiken mit sich bringen als Vereinbarungen des internen Rechts, da den Beteiligten die fremde Rechtsordnung oft nicht in gleicher Weise vertraut ist und sie die Folgen ihrer Geltung nicht überblicken. Eine Inhaltskontrolle am Maßstab von Sittenwidrigkeit und Rechtsmißbrauch ist im internationalen Bereich nur eingeschränkt möglich; der Vorbehalt des ordre public greift nicht immer ein. Auch derartige Vereinbarungen können daher aus dem Gesichtspunkt der Gesetzesumgehung unwirksam sein. Die Eingriffsschwelle ist aber wesentlich höher, da der Privatautonomie und dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit Rechnung zu tragen sind. Es müssen mehrere Merkmale zusammenkommen, damit sie überschritten ist: - die Schädigung oder Gefährdung eines „ O p f e r s " 1 1 , - ein objektiv besonders verwerfliches Vorgehen des Umgehers, insbesondere Übertölpelung und Irreführung und - subjektiv ein bewußtes und gezieltes Handeln. Obwohl Gerichtsstandsvereinbarungen und Rechtswahlklauseln unterschiedliche rechtliche Ausgangspunkte haben, gelten diese Wertungskriterien für beide in gleicher Weise.

10 11

Zu den Unterschieden zwischen beiden Klauselformen oben § 18 II.5. Dazu zusammenfassend oben § 19 V.

§20 Schlußbetrachtung „Die Untersuchung hat gezeigt, daß in dem Begriff „Gesetzesumgehung" eine Fülle verschiedenartiger Probleme enthalten ist." - Diese Aussage stellt Teicbmann der Zusammenfassung seiner Schrift aus dem Jahr 1962 voran 1 . Sie kann auch an dieser Stelle stehen. Auch wenn sich manche Umgehungsfälle durch Gesetzesänderungen erledigt haben, wird es immer „Schläulinge" geben, „die eine unbequeme Gesetzesvorschrift durch irgendwelche Winkelzüge umgehen zu können glauben" 2 . Gesetzesumgehungen sind möglich, weil es nicht das perfekte Gesetz gibt, das alle Tatbestände erfaßt, die es erfassen sollte. Dennoch ist Gesetzesumgehung heute, anders als z.B. in der Zeit der Römischen Klassik, kein schweres und grundlegendes Rechtsproblem mehr. Die Leistungsfähigkeit einer Rechtsordnung ist nicht von ihrer fraus-legis-Doktrin abhängig, sondern von den Möglichkeiten der Gesetzesauslegung. Umgehungsfälle sind Ausnahmefälle, die sich weder mit Auslegung noch mit anderen Rechtsinstituten befriedigend lösen lassen. Das Kernproblem liegt heute nicht mehr in dem Schaden, der einer Rechtsordnung durch Gesetzesumgehung zugefügt wird, sondern in der Rechtsunsicherheit, die in diesen Ausnahmefällen herrscht. Während Sicherungsübereignungen heute einhellig akzeptiert werden, zeigt z.B. die Rechtsprechung zu § 23 ZPO, mit welcher Leichtigkeit sich Gerichte wegen „Gesetzesumgehung" über den Wortlaut gesetzlicher Regelungen hinwegsetzen 3 . Diese Arbeit versucht, einen Beitrag zur Verringerung der Rechtsunsicherheit zu leisten. Die erzielten Ergebnisse lassen sich in drei Thesen zusammenfassen: - Es gibt keine einheitliche Lösung in Umgehungsfällen; - Gesetzesumgehung ist als Rechtsbegriff dennoch nicht überflüssig; - Gesetzesumgehungen im materiellen Sachrecht und im IPR weisen viele Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede auf.

1

Teichmann, S. 105. Schweizerisches populärwissenschaftliches Rechtsbuch, zitiert nach Schurig, gehung, S . 3 7 5 . 3 Dazu oben § 17 II.2.a). 2

Gesetzesum-

372

§20

Schlußbetrachtung

I. Keine einheitliche Lösung in

Umgehungsfällen

Seit der Antike gibt es vielfältige Versuche, Umgehungsfälle einer einheitlichen Lösung zuzuführen. Die dazu vertretenen Ansichten lassen sich in drei Gruppen einteilen: erstens

die Gesetzesumgehung als eigenes Rechtsinstitut (fraus legis

oder fraude ä la loi). Zweitens

der Versuch, Umgehungsfälle über die tatsächli-

che Seite zu lösen, die Umgehungshandlung also nicht zu beachten.

Drittens

schließlich die heute in Deutschland herrschende Auffassung, wonach die analoge Anwendung oder Auslegung der umgangenen N o r m die Lösung des Problems sein soll. 1. Die Auffassung der Gesetzesumgehung als eigenem Rechtsinstitut stammt aus der französischen Doktrin und wird heute vor allem in dem der französischen Tradition folgenden IPR vertreten. Die heute ganz überwiegende Meinung in Deutschland lehnt jedoch ein Rechtsinstitut der fraus legis zu recht ab. Ein selbständiges Rechtsinstitut ist zur Lösung von Umgehungsfällen nicht erforderlich und auch nicht hilfreich. Es ist nicht möglich, dieses Rechtsinstitut so zu formulieren, daß einem eindeutigen Tatbestand eine bestimmte Rechtsfolge zugewiesen wird. Umgehungsfälle sind zu vielgestaltig, um sie mit einem einheitlichen Institut zu erfassen. Wenn Gesetzesumgehung heute verbreitet als „Verstoß nicht gegen den Wortlaut, aber gegen den Sinn einer N o r m " bezeichnet wird, liegt darin nur eine Definition: Längst nicht alle Handlungen, die von dieser Definition erfaßt werden, sind als Umgehung unwirksam. Darüber hinaus ist ein Institut Gesetzesumgehung nicht erforderlich, da sich Umgehungsfälle auch ohne seine Hilfe sachgerecht lösen lassen. Im Regelfall ist die analoge Anwendung der umgangenen N o r m die richtige Lösung - wobei Voraussetzungen und Mechanismus der Analogie zu modifizieren sind; im IPR stärker als im Sachrecht. Ist eine Analogie nicht möglich oder nicht sinnvoll, werden oft die Voraussetzungen einer Rechtsfortbildung extra legem vorliegen. Ist beides nicht möglich, geht das Interesse an einer kontinuierlichen Rechtsanwendung dem Interesse an Einzelfallgerechtigkeit vor: Die umgangene N o r m ist nicht auszudehnen; das „Umgehungsgeschäft" ist wirksam. 2 . Auch die zweite Auffassung hat eine alte Tradition. Durch die gesamte Geschichte der Gesetzesumgehung zieht sich ihre enge Verwandtschaft mit dem Scheingeschäft: N a c h der Lehre von der Simulation werden bei Scheingeschäften die vorgetäuschten Teile eines Sachverhalts nicht beachtet. Savigny hielt die Gesetzesumgehung für einen Unterfall der Simulation; mit ideologischem Hintergrund vertrat die nationalsozialistische Rechtslehre einen ähnlichen Ansatz. Heute geht die Auffassung von Sieker

in diese Richtung, bei einigen Umge-

hungsgeschäften sei die Lösung in der „Qualifikation des Sachverhalts" zu suchen. In der Praxis sind sich beide Rechtsinstitute tatsächlich sehr nahe: Wenn eine komplizierte Konstruktion zur Umgehung eines Vorkaufsrechts gewählt wird,

II. Gesetzesumgehung

als Rechtsbegriff

nicht überflüssig

373

soll man diese nicht einfach als Kaufvertrag auslegen, statt sich zu fragen, ob sie von § 463 BGB (früher § 504 BGB) erfaßt wird? Jedoch zeigen praktische Überlegungen auch, warum trotzdem eine Trennung zwischen Umgehung und Scheingeschäft erfolgen muß. Das Ergebnis einer Dissimulation nach § 117 Abs. 2 BGB ist der wahre Sachverhalt. Bei einer Gesetzesumgehung ist das anders, weil sie gerade ernst gemeint ist. Wer Umgehungsfälle mit „Dissimulation" oder „Qualifikation" des Sachverhalts löst, entscheidet einen Fall, der sich so nicht abgespielt hat. Umgehungsfälle sind nicht auf der tatsächlichen Ebene, sondern auf der Ebene der Rechtsanwendung zu lösen. 3. Die dritte, heute herrschende Auffassung geht auf Teichmann zurück. Teichmann entwickelte zwei wesentliche Weichenstellungen für die Lösung von Umgehungsfällen: Erstens grenzte er die Gesetzesumgehung vom Bereich der Auslegung ab: Wird eine Handlung bereits von dem durch Auslegung zu ermittelnden Geltungsbereich der Norm erfaßt, liegt keine Umgehung vor, sondern allenfalls ein mißglückter Umgehungsversuch. Zweitens sind nach Teichmann Umgehungsfälle mit der Methode des Analogieschlusses zu lösen. Um die umgangene Norm sei ein „Ahnlichkeitskreis" zu bilden, der die Fälle ihrer Umgehung mit erfasse. Die Abgrenzung zwischen Gesetzesumgehung und Auslegung ist einleuchtend. Auch der Weg über die Methode der Analogie ist grundsätzlich in sich schlüssig: Wenn eine Umgehung eine Norm gerade vermeiden will, läßt sich dadurch die Regelungslücke und die Ähnlichkeit ableiten. Dennoch gilt auch diese Auffassung nicht ausnahmslos; ihre Lücken zeigen sich am praktischen Fall. In der Praxis gibt es etliche Konstellationen, in denen ein Analogieschluß nicht zu einem eindeutigen und sachgerechten Ergebnis führt oder sich nicht begründen läßt, weil die umgangene Norm nicht analogiefähig ist. Auch für diese Fälle gibt es keine einheitliche Lösung. Die Praxis nimmt der Sache nach Rechtsfortbildungen vor. Ihr Inhalt hängt davon ab, wie Umgehungsgeschäft oder Umgehungshandlung unwirksam gemacht werden können. Dabei liegt die Lösung oft in der Nichtigkeit von Umgehungsgeschäften. Einen Sonderfall bildete die inzwischen in das TzBfG eingegangene arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zu befristeten und auflösend bedingten Arbeitsverträgen, die für Umgehungsfälle eigene, an das umgangene KSchG angelehnte Kriterien entwickelte.

II. Gesetzesumgehung

als Rechtsbegriff

nicht

überflüssig

Diese These steht scheinbar im Widerspruch zur ersten. Wenn sich Umgehungsfälle keiner einheitlichen Lösung zuführen lassen, warum sollte man dieses Rechtsinstitut oder diesen Rechtsbegriff nicht als untauglich verwerfen? Das Gegenteil ist richtig: Weil es keine einheitliche Lösung gibt, ist die eingangs erwähnte Rechtsunsicherheit im Umgang mit Umgehungsfällen entstanden. Sie kann

374

§20

Schlußbetrachtung

nur eingedämmt werden, wenn m a n sich über die Besonderheiten im klaren ist, die eine Gesetzesumgehung von anderem H a n d e l n unterscheiden. In der Vergangenheit hat sich der rechtliche Umgang mit Umgehungsfällen oft auf zwei Aspekte konzentriert: die dogmatische Einordnung des Umgehungsgeschäfts und die Möglichkeiten, die Gesetzesumgehung unwirksam zu machen; oft sogar aggressiv als „ U m g e h u n g s b e k ä m p f u n g " bezeichnet 4 . Für die Lösung praktischer Fälle ist beides nicht maßgeblich, sondern k a n n im Gegenteil die Rechtsunsicherheit verstärken. So wäre die dogmatische Einordnung der Gesetzesumgehung nur insoweit von Interesse, als sie zu einer einheitlichen Lösung von Umgehungsfällen führen könnte; wie eben gezeigt, ist dies aber gerade nicht möglich. Wer im Z u s a m m e n h a n g mit der Gesetzesumgehung nur ihre „Bekämpfung" sieht, vernachlässigt das zivilrechtliche Ziel des sachgerechten Interessenausgleichs und k a n n übersehen, d a ß es um ein grundsätzlich nicht verbotenes H a n deln geht. Sicherlich besteht die Gefahr, d a ß durch Gesetzesumgehungen N o r men praktisch funktionslos werden und dadurch einzelnen oder der Allgemeinheit schwerer Schaden zugefügt wird. Mindestens ebenso wichtig ist aber vor allem im Interesse der Rechtssicherheit, zu verhindern, d a ß Gesetzesumgehung als undifferenziertes Argument für freie Rechtsfindung verwendet wird. Ein modernes Verständnis der Gesetzesumgehung m u ß diese also als Aufgabe ansehen 5 ; als Aufgabe der Rechtsanwendung auf einen bestimmten Fall. Es sind die Besonderheiten des Umgehungsfalles als Aufgabe, die den Umgehungsbegriff nicht überflüssig machen: die Überlistung des Rechts mit Hilfe des Rechts. Geht m a n vom Buchstaben und der herkömmlichen Auslegung des Gesetzes aus, k o m m t man nicht zu einer sachgerechten Fallösung. Die Gesetzesumgehung bildet also ein Sonderproblem der Ergänzung von Gesetzeslücken, für das besondere Regeln und M a ß s t ä b e gelten. Eine Gesetzesumgehung stellt den Rechtsanwender vor die Frage, ob das umgangene Gesetz über seinen eigentlichen Geltungsbereich hinaus auszudehnen oder in sonstiger Weise zu modifizieren ist. Dem Interesse an kontinuierlicher Rechtsanwendung steht ein besonders starkes Interesse an Einzelfallgerechtigkeit gegenüber; überspitzt formuliert steht Rechtssicherheit gegen Gerechtigkeit. Aus dieser Abwägung ergibt sich die umgehungsspezifische Wertung. Die - oben erwähnte - gängige Definition der Gesetzesumgehung umschreibt dabei nur die erste Stufe der Abgrenzung von der bloßen Gesetzesvermeidung. Entscheidend für das Ergebnis der Fallösung ist die Abwägung, die sich aus der von Schurig entdeckten Frage der Eingriffsschwelle ergibt. Kriterien für die Eingriffsschwelle lassen sich aus dem praktischen Fall ableiten. So vielgestaltig Umgehungsfälle und die Entscheidungen der Rechtsprechung sind, lassen sie 4 5

So z.B. Römer, S.85ff.; Sieker, Untertitel. So auch Kegel/Schurig, IPR, S . 4 1 9 .

III. Gesetzesumgehung

im Sachrecht und IPR

375

sich doch auf allgemeine Kriterien zurückführen. M a c h t m a n sich bewußt, d a ß Gesetzesumgehung ein Problem der Rechtsanwendung ist, das eine besondere Wertung erfordert, kann die Rechtsunsicherheit auf diesem Gebiet zumindest eingedämmt werden.

III. Gesetzesumgehung

im Sachrecht und IPR

Gesetzesumgehungen und -erschleichungen sind sowohl auf dem Gebiet des Sachrechts als auch des IPR möglich; Besonderheiten bestehen außerdem bei der Gesetzesumgehung im Internationalen Zivilprozeßrecht. Eine genaue Untersuchung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Gesetzesumgehungen in den unterschiedlichen Rechtsgebieten ist bislang nicht erfolgt. Betrachtet man die Lösung praktischer Fälle, ergeben sich Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede. 1. Gemeinsam ist die erwähnte Aufgabe, vor die eine Gesetzesumgehung den Rechtsanwender stellt. Eine N o r m müßte auf einen bestimmten Sachverhalt angewendet werden, um eine sachgerechte Fallösung zu gewährleisten, erfaßt diesen Sachverhalt aber gerade nicht. Daraus ergibt sich die gemeinsame Definition und erste Stufe der umgehungsspezifischen Wertung in allen Rechtsgebieten: Die Gesetzesumgehung wird zwar nicht vom Geltungsbereich einer N o r m erfaßt, verletzt aber ihr Ziel. Für das IPR ist diese Definition aufgrund des Anknüpfungsaufbaus der N o r m e n zu modifizieren; da Objekt der Umgehung die Ank n ü p f u n g an eine bestimmte Rechtsordnung ist, betroffen ist aber das Ziel der Kollisionsnorm. Im Internationalen Prozeßrecht gilt entsprechendes für den Geltungsbereich internationaler Zuständigkeitsnormen. 2. Trotz des gleichen Ansatzes bestehen im einzelnen Unterschiede bei der Wertung. Sie ergeben sich aus den rechtstechnischen Besonderheiten des Kollisionsrechts, vor allem aber aus der unterschiedlichen Funktion und Ausrichtung der Rechtsgebiete. Das private Sachrecht ist vor allem auf den sachgerechten Interessenausgleich ausgerichtet, wobei oft Schutzzweckerwägungen eine Rolle spielen. Das IPR und das Internationale Prozeßrecht sollen staatliche Rechtsordnungen oder Zuständigkeiten zuordnen. Daher tritt der individuelle Interessenausgleich in den Hintergrund; von Bedeutung sind vor allem Rechtssicherheit, Vertrauensschutz und kontinuierliche Rechtsanwendung. Deshalb ist die Eingriffsschwelle auf diesen Gebieten besonders hoch. Auch die Wertungskriterien dienen vor allem der Eindämmung der kollisionsrechtlichen fraus legis. So werden Gesetzesumgehungen grundsätzlich toleriert, wenn durch die Manipulation niemand konkret geschädigt oder gefährdet wird. Außerdem setzt die Unwirksamkeit der Umgehung ein geplantes bewußtes Vorgehen voraus - entgegen einer Auffassung aus der Literatur gilt das auch für das Internationale Prozeßrecht. Im Sachrecht k a n n dagegen der Schutzzweck der um-

376

§20

Schlußbetrachtung

gangenen Norm so weit im Vordergrund stehen, daß auch eine rein objektive Gesetzesumgehung möglich ist. 3. Gleiche Grundsätze gelten auch für das methodische Vorgehen in Umgehungsfällen des IPR und des Sachrechts. Wie erwähnt, liegt in den weitaus meisten Umgehungsfällen die Lösung in der analogen Anwendung der umgangenen Norm; in den Fällen der Gesetzesergehung - zu der auch die Zuständigkeitserschieichung gehört - in der teleologischen Reduktion. Im IPR besteht die Analogie in einer Modifikation der umgangenen Kollisionsnorm. Ist ein Analogieschluß nicht möglich, ist für alle Rechtsgebiete nach den Voraussetzungen einer Rechtsfortbildung zu fragen. Weitere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten z.B. in Form einer Einrede sind darüber hinaus nicht möglich und erforderlich.

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Sachregister „Ähnlichkeitskreis" 1 6 5 AGB-Recht 59ff., 65, 70ff. Analogie 8 4 f f . , 1 1 4 f f . , 164ff., 290ff., 2 8 7 , 3 7 2 f . - IPR 290f., 293ff., 304f.

211f.,

- gesetzliche Umgehungsverbote 5 7 f . , 7 7 f . - Gewohnheitsrecht 3 0 4 f . - Grenzen 7 5 , 7 7 f . , 1 1 6 , 164ff., 169ff., 1 8 1 ff., 1 8 5 f f . , 2 1 7 f . , 2 9 7 f f . , 3 7 3 - Methode 176f., 2 0 9 , 2 9 2 f . - Rechtsfolge 1 7 7 f . - Regelungslücke 8 5 f . , 1 6 4 f . , 1 6 7 f . , 1 8 5 , 294f., 300 - Römisches Recht 11 f. - Strukturen 1 6 4 ff. - Wertung 1 1 1 ff., 2 9 5 f f . Anerkennung (von Urteilen) 2 2 2 , 2 3 9 , 3 4 2 ff. - Ablehnung 3 4 4 f f . - Folgen 3 4 3 f. - Ordre public 3 2 0 , 3 2 5 , 3 4 3 , 3 4 5 f f . , 3 5 2 , 358f. - Spiegelbildprinzip 3 4 5 - Verbürgung der Gegenseitigkeit 3 4 4 f. Siehe auch Verfahrensrecht, internationales Anknüpfung 2 1 9 f . , 2 5 7 f . , 2 9 6 Arbeitsrecht 1, 4 9 , 7 8 f . , 106ff., 1 1 6 , 1 2 8 f . , 1 4 3 f . , 1 7 0 f f . , 1 7 8 f., 1 8 3 , 1 8 9 , 195ff. - Anwesenheitsprämien 1 2 9 - Arbeitsgerichtsbarkeit 2 4 f . 9 9 f . , 1 9 5 - befristete Arbeitsverträge 2 , 7 9 , 9 3 , 107f., 116, 122, 128, 143, 164, 170ff., 178f., 194f., 197ff., 373 - Besonderheiten 2 0 4 ff. - Betriebsübergang 1 7 9 , 1 8 3 f . , 2 0 2 f . - Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall 1 2 4 , 1 4 3 , 2 0 3 - Gerichtsstandsvereinbarungen 3 6 0 f . - Internationales 2 5 8 f. - Kollektives 2 0 3 f., 2 0 6 - Mitbestimmung 3 1 4 , 3 6 8 - „objektive Gesetzesumgehung" 2 4 f . , 107, 128f., 155f., 170, 195f., 205, 2 0 7 , 272, 336

- Rechtsfortbildung 1 9 3 ff., 1 9 8 f. - Soziale Rechtfertigung 1 7 2 - Tarifvertrag 1 3 0 Arglist 2 7 7 f . , 3 3 4 Atypizität 1 4 0 ff., 1 6 2 , 2 6 2 f f . Aufrechnungsverbote 2 , 8 3 f . , 8 6 , 1 1 8 f . , 123, 129f., 134f., 173f., 190, 2 1 2 Aufspaltung 124 Ausdehnungsfunktion 1 6 7 Auslegung des Gesetzes 2 6 , 80ff., 2 1 0 f . , 290 - Abgrenzung zur Umgehung 8 4 f f . , 2 9 8 - 1 8 . und 19. Jahrhundert 1 4 f . - erweiternde 83 - Europäisches Recht 3 5 6 - gesetzliche Umgehungsverbote 5 7 f . - Grenzen 81 ff., 8 4 f f . - IPR 2 7 8 f . , 2 9 0 - Kriterien 8 0 f. - objektive 14 - teleologische 93 - römisches Recht 8 ff. - Umgehungsargument 8 2 f . , 8 7 „Aushöhlungsrechtsprechung" 82 Ausnahmevorschriften - Ergehung von 6 1 , 6 5 , 6 8 , 2 1 3 - Umgehung von 1 7 3 ff., 2 1 2 Befristete Arbeitsverträge 2 , 7 9 , 9 3 , 1 0 7 f . , 116, 122, 128, 143, 164, 170ff., 178f., 194f., 197ff., 373 Siehe auch Arbeitsrecht Beharrungsinteresse 2 8 2 f . Case C a r o n 2 2 8 f. Case law 3 1 , 1 8 7 , 1 9 1 „Centros"-Entscheidung 1 3 3 , 2 8 6 , 3 0 7 f . , 311f., 368 Culpa in contrahendo 1 8 9 DDR 250f., 266, 268, 275, 288, 324 Derogation 3 5 0 , 3 5 4 Ehe Siehe

Familienrecht

390

Sachregister

Eingriffsnormen 352, 356 ff. Eingriffsschwelle 120ff., 123ff., 156f., 161 ff., 177, 2 1 5 , 374f. - Begriff 120 ff. - Gerichtsstandsklauseln 359ff. - Gesellschaftsrecht 136 - Internationales Verfahrensrecht 3 3 2 , 339ff., 359ff., 369 - IPR 223, 2 4 6 , 2 6 3 , 2 7 2 , 274ff., 2 7 9 , 369 - Kriterien 123ff., 161ff., 246ff., 333ff., 369 - Schutznormen 127ff., 156 Siehe auch Wertung England 31ff., 187, 248 Erbausgleich 2 2 6 , 2 9 3 f. Ergehung Siehe Gesetzesergehung „Erschleichung" Siehe Gesetzesergehung; Zuständigkeitserschieichung Exceptio doli praeteriti 2 3 5 f., 2 4 0 , 2 8 8 , 303f. Siehe auch Rechtsmißbrauch Familienrecht 1 0 2 , 2 9 9 - Ehe 2 2 0 , 2 3 9 , 247ff. - Scheidung 2 2 0 , 249ff., 2 6 5 , 3 2 4 , 332f. - unechte Gesetzesumgehung 2 4 3 ff., 2 4 9 , 250f. Fernabsatzgeschäfte 61, 63 Formvorschriften 118, 150, 258, 239, 252ff., 260, 275f. Forum non conveniens 3 2 1 , 3 5 3 Forum shopping 2 2 2 , 2 4 4 , 316, 317ff., 3 2 8 , 345 - Abgrenzung zur Gesetzesumgehung 320f., 325 - Forum non conveniens 3 2 I f . - Rechtsfolgen 320ff. Frankreich 29ff., 153, 156, 232f., 330f., 3 3 5 , 344f. Fraus legis Siehe Römisches Recht; Geschichte Freirechtsbewegung 21 Genehmigungspflichten 103ff., 116, 126, 169, 178, 194 Gerichtsstand Siehe Verfahrensrecht, internationales; Gerichtsstandsvereinbarungen Gerichtsstandsvereinbarungen 3 4 2 , 3 4 9 ff., 362, 369f. - Arbeitsrecht 3 6 0 f .

- Derogation 3 5 0 , 3 5 4 - Eingriffsnormen/ International zwingende Normen 3 5 2 , 356ff. - Grenzen 353ff., 361 - Inlandsfälle 353 f., 3 5 6 - Prorogation 350, 3 6 0 - Rechtsnatur 3 5 0 f . - Verhältnis zur Gesetzesumgehung 352f. - Wertung 363 - Wirkung 350f. Siehe auch Rechtswahl Geschäftszweck 168 Geschichte 8 ff. - Mittelalter 12f. - Neuzeit 13 ff. - Römisches Recht 8 ff. Gesellschaftsrecht 64f., 83f., 92f., 100, l l l f f . , 131ff., 266Í. - Abstimmungsverbote 157f. - Entlastung 149 - EuGH-Rechtsprechung 133, 307ff., 368 - Formvorschriften 252f., 263 - Gründungstheorie 266f., 3 0 6 f . - Grundstücksgesellschaften 158 - Internationales 2 6 6 f., 305 ff. - Mantelkauf; Mantelverwertung 112f., 133 f. - Qualifikation 2 2 8 - Selbstorganschaft 132 - Sitztheorie 20, 2 8 6 , 305ff., 368 - Squeeze-Out 132 - Stammkapital, Aufbringung und Erhaltung 119, 125, 130, 13 7 ff. - Verdeckte Sacheinlage 112, 114f., 134ff. Gesetzesergehung 34ff., 61, 65, 68, 162, 256ff., 2 9 6 , 326ff., 3 6 7 , 376 - Internationales Verfahrensrecht 326 ff. - Sachrecht 329ff. Siehe auch Zuständigkeitserschieichung Gesetzeslücke Siehe Regelungslücke Gesetzesvermeidung 91 ff. Gesetzesziel 92ff., 118f., 208, 2 1 1 , 2 4 6 , 334 - Bestimmung 93 f. - Wertung 1 1 8 , 2 0 8 Gewohnheitsrecht 182f., 257, 304f. Gläubigerschutz 130f. Gleichstellung 23, 45, 90, 97ff., 116, 164, 177f., 192 f., 2 1 6 , 2 2 5 , 292, 3 0 0 Siehe auch Analogie

Sachregister „Gran-Canaria-Fälle" 2 2 3 , 2 3 3 f f . , 2 5 5 , 265, 300, 302 siehe auch Rechtswahl Gründungstheorie 266(., 306(. Siehe auch Gesellschaftsrecht; Sitztheorie Handelsvertreter 1 2 9 , 1 4 2 , 2 3 0 , 3 5 6 f . „Hapimag-Modell" 6 6 Haustürgeschäfte 61 ff., 7 4 f . , 1 7 0 , 2 1 3 f . , 2 2 3 , 2 3 3 ff. Siehe auch Gran-Canaria-Fälle; Verbraucherschutz Heirat Siehe Familienrecht „Hotelhallenfälle" 6 2 f . , 7 1 , 7 5 , 2 1 3 „Inspire Art" 3 0 7 , 3 1 0 f . , 3 1 2 , 3 6 8 Institutsmißbrauch 4 7 f . Interessenjurisprudenz 2 1 Internationales Privatrecht (IPR) 2 5 f . , 219ff., 364ff. - Anknüpfung 2 1 9 f . - Arbeitsrecht 2 5 8 f. - Eingriffsnormen 3 5 2 , 3 5 6 f f . - Fallgruppen 2 4 7 f f . - Gesellschaftsrecht 2 6 6 f . , 3 0 5 f f . - Insolvenzrecht 2 5 7 - Interessen 2 2 5 , 2 8 2 f f . , 2 9 8 - Ordre public 2 4 , 2 2 4 , 2 3 4 , 2 3 7 , 2 3 8 , 2 4 1 ff., 2 6 2 , 2 6 9 ff., 3 1 4 , 3 1 7 , 3 2 0 , 3 4 8 , 352, 357, 358f., 366 - Rechtswahl 2 3 0 f f . - Reichsgericht 19 f. - Sachenrecht 2 6 0 - Strukturen 2 2 0 ff. - Trägheitsprinzip 2 9 8 , 3 0 0 - Umgangene Norm 2 2 3 ff. - Wertung 2 4 6 f f . , 2 6 1 ff., 2 6 4 f f . , 2 7 8 f f . , 368f., 375f. Islam 2 4 2 , 2 5 0 f . , 2 6 9 Kartellrecht 1 2 6 f . Kollisionsnorm 2 2 3 f f . , 2 5 5 , 2 9 5 f . , 3 2 9 , 339f., 365, 376 Kollisionsrecht Siehe Internationales Privatrecht „Kuhverstellung" 13 Leasing 6 7 Lex rei sitae 2 6 0 f. Lohnschiebungsverträge 3 9 , 4 3

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Mantelkauf, -gründung, -Verwertung 1 1 2 f . , 1 3 3 f. Siehe auch Gesellschaftsrecht Methodik - Analogie 165ff., 1 7 6 f f . , 1 8 1 ff., 2 9 2 f f . , 303ff., 376 - Ansätze 181 ff., 2 8 9 f f . - Gewohnheitsrecht 1 8 2 f. - Internationales Verfahrensrecht 3 3 0 f f . , 367 - IPR 2 8 6 f f . , 2 9 7 f f . , 3 6 6 f . , 3 7 6 - Ökonomische Analyse 9 2 - Rechtsfortbildung 1 8 6 f . , 187ff. Siehe auch Analogie; Auslegung; Rechtsfortbildung Natur der Sache 1 8 8 , 1 8 9 f . , 1 9 1 , 2 1 2 Nichtigkeit von Rechtsgeschäften 18, 2 3 f . , 4 5 , 9 0 , 9 9 , 101 f f . , 2 1 6 Normzweck 168 „Objektive Gesetzesumgehung" 2 4 f . , 1 0 7 , 128f., 155f., 170, 195f., 205, 207, 272, 336 Siehe auch Arbeitsrecht Öffentliches Recht 5 f. Ökonomische Analyse 9 2 Ordre public 2 4 , 2 2 4 , 2 3 4 , 2 3 7 , 2 3 8 , 2 4 1 ff., 2 6 2 , 2 6 9 f f . , 3 1 4 , 3 1 7 , 3 2 0 , 3 4 8 , 352, 357, 358f., 366 - Abgrenzung zur Gesetzesumgehung 2 4 1 ff., 2 6 9 - Als Wertungskriterium 2 6 9 f f . - Internationales Verfahrensrecht 3 2 0 , 3 2 5 , 343, 345ff., 352, 358f. - Positiver 3 5 8 f . Persönlichkeitsrecht 1 8 9 , 3 2 2 Positive Vertragsverletzung 1 8 9 Privatautonomie 1 2 6 f . , 2 3 2 , 3 6 9 f . Siehe auch Gerichtsstandsvereinbarungen; Rechtswahl Prorogation 3 5 0 , 3 6 0 Prozeßrecht, internationales Siehe Verfahrensrecht, internationales Public policy 3 2 Qualifikation - des Sachverhalts 3 8 f . , 3 7 2 - IPR 2 2 3 , 2 2 8 ff., 2 3 2 Rechtsergänzung Siehe Rechtsfortbildung

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Sachregister

Rechtsethisches Prinzip 188f., 191, 2 1 2 Rechtsfortbildung 186ff., 2 0 9 , 2 1 2 f . , 2 1 7 , 2 9 9 , 373, 3 7 6 - Arbeitsrecht 1 9 8 f . , 2 1 7 - Begriff 186 f. - G r u n d l a g e n 187ff. - Sonderfälle 193 ff. - Stufen 186 - Umgehungsfälle 189ff., 2 1 2 f . Rechtsgeschichte siehe Geschichte Rechtsinstitut (Gesetzesumgehung als) 23, 26, 78, 154, 182f., 2 0 8 f . , 2 7 2 , 3 7 2 - IPR 3 6 5 f . - Methodische Ansätze 181 ff. - 19. J a h r h u n d e r t 15 ff. - 20. J a h r h u n d e r t 2 3 f. Rechtsmißbrauch 4 7 f f . , 145ff., 159, 161, 2 4 0 f . , 313, 3 6 6 - als Wertungskriterium 146ff., 2 6 6 f f . - Einrede (exceptio doli praeteriti) 2 3 5 f . , 2 4 0 , 288, 3 0 3 f . - F o r u m shopping 3 2 0 - Institutsmißbrauch 4 7 f . - Internationales Verfahrensrecht 3 3 4 f . - IPR 235f., 2 4 0 f . , 2 6 6 f f . , 3 0 3 f . Siehe auch Rechtswahl, M i ß b r a u c h Rechtsverkehr 149, 188, 2 6 0 f . Rechtsvergleichung 28 ff. - England 3 1 ff. - Frankreich 2 9 f f . Rechtswahl 2 3 0 f f . ; 301ff., 3 6 9 f . - „Gran-Canaria-Fälle" 233ff. - M e t h o d i k 301 ff. - M i ß b r a u c h 2 3 1 ff. Siehe auch Gerichtsstandsvereinbarung Regelungslücke 8 5 f . , 1 6 4 f . , 167, 179, 185, 2 9 4 f., 300 Reichsgericht 15 ff., 17ff. Révision au f o n d 3 4 7 Römisches Recht 1, 8 ff. Siehe auch Auslegung „Roggenklausel" 105 Sacheinlage, verdeckte 112, 114f., 134ff. Siehe auch Gesellschaftsrecht Sachnormen 2 2 4 ff. Scheidung Siehe Familienrecht Scheingeschäft 3 7 f f . , 102f., 2 3 8 f . Siehe auch Simulation Schiedsverträge 3 5 4 Schuldnerschutz 129ff.

Schuldrechtsreform 52, 61, 65, 66, 69 Schutzfunktion 167, 2 2 3 , 2 4 7 , 2 5 6 ff., 2 6 4 f f . , 337, 3 7 5 f . Schutznormen 127ff., 151 f., 156, 161, 256ff. - IPR 2 2 3 , 25 6 ff. - Schuldner- und Gläubigerschutz 129ff., 161 - Schutzzweck 162f., 2 2 3 , 2 5 4 , 2 5 6 f f . , 2 7 9 , 3 7 5 f. - „soziale" Schutznormen 128f., 161, 189 - Zulässigkeitsnormen 3 3 7 Sententia legis 91 f. Siehe auch Gesetzesziel Sicherungsübereignung 2, 28, 117, 150 Simulation 3, 2 3 , 2 7 , 37ff., 2 1 0 , 2 3 8 f f . , 366, 3 7 2 f . - Gesetzesumgehung: Verhältnis 23, 3 7 f f . , 210, 238ff., 289f. - IPR 2 3 8 ff., 3 2 3 f., 366 - Mittelalter 12f. - 19. J a h r h u n d e r t 14f., 16 - Römisches Recht 11 - Zuständigkeitserschieichung 3 2 3 f. Siehe auch Scheingeschäft Sittenwidrigkeit 24, 2 7 , 4 3 f f . , 102, 14Sff., 159, 210, 2 6 9 f f . - Gesetzesumgehung: Verhältnis 24, 4 3 f f . - Reichsgericht 18 f. - Wertung 148 ff., 1 6 1 , 2 7 0 Sitztheorie 20, 2 6 6 , 2 6 8 , 2 8 6 , 305ff. - E u G H - R e c h t s p r e c h u n g 308ff., 3 6 8 - Umgehungsfestigkeit 3 0 7 Siehe auch Gesellschaftsrecht Spezialregelungen 169ff., 185, 2 0 5 f . Spiegelbildprinzip 345, 3 6 7 Squeeze-Out 132 Stammkapital 119, 125, 137ff. Siehe auch Gesellschaftsrecht Steuerrecht 6, 47, 56 Strohmanngeschäfte 39, 160f. Substitution 2 5 3 Täuschungsabsicht 159ff., 162, 2 3 9 Teilzeitwohnrechte 64 f., 65 f. Teleologie 1 1 5 , 3 4 6 Toleranzschwelle Siehe Eingriffsschwelle Trägheitsprinzip 2 9 8 , 3 0 0 „Überseering" 307, 3 0 9 f . , 311, 3 6 8 Umgehungsabsicht 2 2 f . , 26, 104ff., 121 f., 124, l S 3 f f . , 162, 2 1 4 , 272ff.

Sachregister - Begriff 156 f. - IPR 2 7 3 f. - Sachrecht 153ff. - Umgehungsverbote 5 7 Umgehungsfähigkeit 90, 94ff. Umgehungsfestigkeit 125, 2 4 6 , 305 Umgehungskonstruktion 176 Umgehungsverbote, gesetzliche 4, 17, 52ff., 170, 2 1 3 f . - Allgemeine Funktion 71 ff. - Bedeutung 71 ff., 73ff., 2 1 3 f . - Begriff 52 ff. - Echte/ unechte 53 - Geschichte 17 - Rechtsvergleichung 28 - Umgehungsabsicht 5 7 - Verbraucherschutz 57ff., 76ff. Umgehungsversuch, mißlungener 85, 86f., 89 Umgehungszweck 1 2 4 , 1 5 4 , 157ff., 162, 214f. - Bedeutung 154ff. - Begriff 157, 162 Unechte Gesetzesumgehung 2 4 3 ff., 2 4 9 , 250f. Verbotsgesetze 16, 94, 101 f., 183f., 195 210 - Umgehungsgeschäfte und § 134 BGB 98ff., 101f., 183f. - Zweck- und Wegverbote 96 f. Verbraucherkreditrecht 66 ff. - Abzahlungsgesetz 57, 58f., 73f. - Darlehensvermittlungsverträge 66 - Leasingverträge 67 Verbraucherschutz 57ff., 76ff., 128, 169f., 185, 190, 2 0 5 , 2 1 3 f . - AGB-Recht 59ff., 65, 70ff. - Internationaler 233ff., 2 5 7 , 2 5 8 f . - „Gran-Canaria-Fälle" 233ff. - Haustürgeschäfte 61 ff., 170 - Verbraucherkredite 66ff. Siehe auch Umgehungsverbote, gesetzliche Verbrauchsgüterkauf 69f., 75f., 78, 170 Verdeckte Sacheinlage Siehe Gesellschaftsrecht; Sacheinlage Verfahrensrecht, internationales 315ff., 362f., 364ff. - Anerkennung 2 2 2 , 2 3 9 , 342ff. - Forum Shopping 317ff. - Gerichtsstandsvereinbarungen 342, 349ff., 3 6 9 f .

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- Ordre public 325, 343, 345ff., 358f. - Rechtliches Gehör 347f. - Révision au fond 3 4 7 - Vermögensgerichtsstand 326ff., 3 4 1 , 371 - Zuständigkeitserschieichung 316, 322ff. Vertragsumgehung 50f. Vinkulierungsklauseln 50, 132 Vorbehaltsklausel Siehe ordre public Vorkaufsrecht 2f., 38f., 50, 119, 165, 186, 192, 2 9 2 , 372f. Warentermingeschäft 3 5 7 Wegverbot 96 f. Wertung l l l f f . , 208, 2 1 5 , 246ff., 374f., 3 75 f. - Analogie l l l f f . , 176ff. - Atypizität 141 ff. - Internationales Verfahrensrecht 2 2 2 , 332ff., 363, 374f. - IPR 246ff., 261 ff., 264ff., 278ff., 368f., 375 f. - Kriterien 123ff., 153ff., 161ff., 280ff. - Privatautonomie 126f., 3 6 9 f . - Sachrecht l l l f f . , 2 1 5 f . - Schutznormen 127ff. (Sachrecht), 256ff. (IPR) - Sittenwidrigkeit und Rechtsmißbrauch 145ff., 266ff. - Stufen 117ff. - Subjektive Seite 136,153ff. (Sachrecht), 272ff. (IPR) - Täuschungsabsicht 159ff. - Umgangenes Gesetz 125 ff. - Zuständigkeitserschieichung 332ff. Siehe auch Eingriffsschwelle Ziel Siehe Gesetzesziel Zuständigkeiterschleichung 2 2 2 , 316, 322ff„ 376 - Abgrenzung 323 ff. - Gerichtsstand des Vermögens 326 ff. - Gesetzesumgehung 325ff., 331 - Objektive 335ff., 363, 3 6 9 - Ordre public 346ff. - Wertung 332ff. Siehe auch Gesetzesergehung Zweckverbot 96 f.

Jus Privatum Beiträge zum Privatrecht - Alphabetische Ubersicht

Adolphsen, Jens: Internationale Dopingstrafen. 2003. Band 78. Assmann, Dorothea: Die Vormerkung (§ 883 BGB). 1998. Band 29. Barnert, Thomas: Die Gesellschafterklage im dualistischen System des Gesellschaftsrechts. 2003. Band 82. Bayer, Walter: Der Vertrag zugunsten Dritter. 1995. Band 11. Beater, Axel: Nachahmen im Wettbewerb. 1995. Band 10. Beckmann, Roland Michael: Nichtigkeit und Personenschutz. 1998. Band 34. Benecke, Martina: Gesetzesumgehung im Zivilrecht. 2004. Band 94. Berger, Christian: Rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkungen. 1998. Band 25. Berger, Klaus: Der Aufrechnungsvertrag. 1996. Band 20. Bittner, Claudia: Europäisches und internationales Betriebsrentenrecht. 2000. Band 46. Bodewig, Theo: Der Rückruf fehlerhafter Produkte. 1999. Band 36. Braun, Johann: Grundfragen der Abänderungsklage. 1994. Band 4. Brors, Christiane: Die Abschaffung der Fürsorgepflicht. 2002. Band 67. Bruns, Alexander: Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung. 2003. Band 74. Busche, Jan: Privatautonomie und Kontrahierungszwang. 1999. Band 40. Dauner-Lieb, Barbara: Unternehmen in Sondervermögen. 1998. Band 35. Dethloff, Nina: Europäisierung des Wettbewerbsrechts. 2001. Band 54. Dreier, Thomas: Kompensation und Prävention. 2002. Band 71. Drexl, Josef: Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers. 1998. Band 31. Eberl-Borges, Christina: Die Erbauseinandersetzung. 2000. Band 45. Ebert, ¡na: Pönale Elemente im deutschen Privatrecht. 2004. Band 86. Einsele, Dorothee: Wertpapierrecht als Schuldrecht. 1995. Band 8. Ekkenga, Jens: Anlegerschutz, Rechnungslegung und Kapitalmarkt. 1998. Band 30. Ellger, Reinhard: Bereicherung durch Eingriff. 2002. Band 63. Eschert eingart, Christina: Reform durch Deregulierung im Kapitalgesellschaftsrecht. 2001. Band 49. Giesen, Richard: Tarifvertragliche Rechtsgestaltung für den Betrieb. 2002. Band 64. Gotting, Horst-Peter: Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte. 1995. Band 7. Gruber, Urs Peter: Methoden des internationalen Einheitsrechts. 2004. Band 87. Gsell, Beate: Substanzverletzung und Herstellung. 2003. Band 80. Habersack, Mathias: Die Mitgliedschaft - subjektives und ,sonstiges' Recht. 1996. Band 17. Haedicke, Maximilian: Rechtskauf und Rechtsmängelhaftung. 2003. Band 77. Hanau, Hans: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranke privater Gestaltungsmacht. 2004. Band 89. Hau, Wolfgang: Vertragsanpassung und Anpassungsvertrag. 2003. Band 83. Heermann, Peter W.: Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte. 1998. Band 24. Heinemann, Andreas: Immaterialgüterschutz in der Wettbewerbsordnung. 2002. Band 65.

Jus Privatum - Beiträge zum

Privatrecht

Heinrich, Christian: Formale Freiheit und materielle Gerechtigkeit. 2000. Band 47. Henssler, Martin: Risiko als Vertragsgegenstand. 1994. Band 6. Hergenröder, Curt Wolfgang: Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung. 1995. Band 12. Hess, Burkhard: Intertemporales Privatrecht. 1998. Band 26. Hofer, Sibylle: Freiheit ohne Grenzen. 2001. Band 53. Huber, Peter: Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung. 2001. Band 58. Jänicb, Volker: Geistiges Eigentum - eine Komplementärerscheinung zum Sacheigentum? 2002. Band 66. Jansen, Nils: Die Struktur des Haftungsrechts. 2003. Band 76. Jung, Peter: Der Unternehmergesellschafter als personaler Kern der rechtsfähigen Gesellschaft. 2002. Band 75. Junker, Abbo: Internationales Arbeitsrecht im Konzern. 1992. Band 2. Kaiser, Dagmar: Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge wegen Nicht- und Schlechterfüllung nach BGB. 2000. Band 43. Katzenmeier, Christian: Arzthaftung. 2002. Band 62. Kindler, Peter: Gesetzliche Zinsansprüche im Zivil- und Handelsrecht. 1996. Band 16. Kleindiek, Detlef: Deliktshaftung und juristische Person. 1997. Band 22. Krause, Rüdiger: Mitarbeit in Unternehmen. 2002. Band 70. Luttermann, Claus: Unternehmen, Kapital und Genußrechte. 1998. Band 32. Looschelders, Dirk: Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht. 1999. Band 38. Lipp, Volker: Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson. 2000. Band 42. Masch, Gerald: Chance und Schaden. 2004. Band 92. Mankowski, Peter: Beseitigungsrechte. Anfechtung, Widerruf und verwandte Institute. 2003. Band 81. Merkt, Hanno: Unternehmenspublizität. 2001. Band 51. Möllers, Thomas M.J.: Rechtsgüterschutz im Umwelt- und Haftungsrecht. 1996. Band 18. Muscheler, Karlheinz: Die Haftungsordnung der Testamentsvollstreckung. 1994. Band 5. - Universalsukzession und Vonselbsterwerb. 2002. Band 68. Oechsler, Jürgen: Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag. 1997. Band 21. Oetker, Hartmut: Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung. 1994. Band 9. Obly, Ansgar: „Volenti non fit iniuria" Die Einwilligung im Privatrecht. 2002. Band 73. Oppermann, Bernd H.: Unterlassungsanspruch und materielle Gerechtigkeit im Wettbewerbsprozeß. 1993. Band 3. Peifer, Karl-Nikolaus: Individualität im Zivilrecht. 2001. Band 52. Peters, Frank: Der Entzug des Eigentums an beweglichen Sachen durch gutgläubigen Erwerb. 1991. Band 1. Raab, Thomas: Austauschverträge mit Drittbeteiligung. 1999. Band 41. Reiff, Peter: Die Haftungsverfassungen nichtrechtsfähiger unternehmenstragender Verbände. 1996. Band 19. Repgen, Tilman: Die soziale Aufgabe des Privatrechts. 2001. Band 60. Röthel, Anne: Normkonkretisierung im Privatrecht. 2004. Band 91. Robe, Mathias: Netzverträge. 1998. Band 23. Sachsen Gessaphe, Karl August Prinz von: Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter für eingeschränkt Selbstbestimmungsfähige. 1999. Band 39.

Jus Privatum - Beiträge zum Privatrecht Saenger, Ingo: Einstweiliger Rechtsschutz und materiellrechtliche Selbsterfüllung. 1998. Band 27. Sandmann, Bernd: Die H a f t u n g von Arbeitnehmern, Geschäftsführern und leitenden Angestellten. 2001. Band 50. Schäfer, Carsten: Die Lehre vom fehlerhaften Verband. 2002. Band 69. Schnorr, Randolf: Die Gemeinschaft nach Bruchteilen (SS 741 - 758 BGB). 2004. Band 88. Schubel, Christian: Verbandssouveränität und Binnenorganisation der Handelsgesellschaften. 2003. Band 84. Schur, Wolfgang: Leistung und Sorgfalt. 2001. Band 61. Schwarze, Roland: Vorvertragliche Verständigungspflichten. 2001. Band 57. Sieker, Susanne: Umgehungsgeschäfte. 2001. Band 56. Sosnitza, Olaf: Besitz und Besitzschutz. 2003. Band 85. Stadler, Astrid: Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion. 1996. Band 15. Stoffels, Markus: Gesetzlich nicht geregelte Schuldverhältnisse. 2001. Band 59. Taeger, Jürgen: Außervertragliche H a f t u n g für fehlerhafte C o m p u t e r p r o g r a m m e . 1995. Band 13. Trunk, Alexander: Internationales Insolvenzrecht. 1998. Band Veil, Rüdiger: Unternehmensverträge. 2003. Band 79. Wagner, Gerhard: Prozeßverträge. 1998. Band 33.

28.

Waltermann, Raimund: Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie. 1996. Band 14. Weber, Christoph: Privatautonomie und Außeneinfluß im Gesellschaftsrecht. 2000. Band 44. Wendehorst, Christiane: Anspruch und Ausgleich. 1999. Band 37. Wiehe, Andreas: Die elektronische Willenserklärung. 2002. Band 72. Wimmer-Leonhardt, Susanne: Konzernhaftungsrecht. 2004. Band 90. Würthwein, Susanne: Schadensersatz für Verlust der Nutzungsmöglichkeit einer Sache oder für entgangene Gebrauchsvorteile? 2001. Band 48.

Einen Gesamtkatalog erhalten Sie gerne vom Verlag Mohr Siebeck, Postfach 2040, D-72010 Tübingen. Aktuelle Informationen im Internet unter www.mohr.de