Modefotografie: Eine fotografische Praxis zwischen Konvention und Variation 9783839438701

Fashion photography is expected to consistently find new ways to visualise and mediate ideas of fashion or a fashionable

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Modefotografie: Eine fotografische Praxis zwischen Konvention und Variation
 9783839438701

Table of contents :
Inhalt
I. Einleitung
II. Dokumentation, Vermittlung und Repräsentation
III. Welt der Bilder: Tradition und Vision
IV. Körperinszenierungen: Posen, Räume und Illusionen
V. Zwischen Begehren und Angst: Mode, Sex und Tod
VI. Mode als Fotografie
Literatur
Abbildungsverzeichnis
Dank

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Sylvia Brodersen Modefotografie

Image | Band 113

Für Arden

Sylvia Brodersen, Kunsthistorikerin, studierte Kunstgeschichte und Medien & Kultur in Wien und Amsterdam und promovierte an der Philipps-Universität Marburg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen u.a. in den Bereichen Geschichte und Theorie der Fotografie.

Sylvia Brodersen

Modefotografie Eine fotografische Praxis zwischen Konvention und Variation

Die Arbeit wurde vom Fachbereich Germanistik und Kunstwissenschaften der Philipps-Universität Marburg (Hochschulkennziffer 1180) als Dissertation angenommen. Begutachtet wurde die Arbeit von Prof. Dr. Hubert Locher und Prof. Dr. Jens Ruchatz. Eingereicht am 22. Januar 2015. Die Disputation fand am 23. September 2015 statt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Satz: Sylvia Brodersen Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3870-7 PDF-ISBN 978-3-8394-3870-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt I.

EINLEITUNG | 7 1.1 Fragestellungen und Vorgehensweise | 7 1.2 Zur Rezeption von Modefotografie und Mode | 15

1.2.1 Modefotografie als Diskurs | 15 1.2.2 Mode und Gesellschaft | 24

II. DOKUMENTATION , VERMITTLUNG UND REPRÄSENTATION | 31 2.1 Schnittstellen von Fotografie und Mode | 31

2.1.1 Fotografien der Mode | 32 2.1.2 Präsenz und Nebensächlichkeit der Mode: Frühe Modefotografien in Vogue | 34 2.1.3 Die Abwesenheit der Mode | 37 2.2 Die Eroberung der Kunstwelt | 41

2.2.1 Mode, Kunst und Lifestyle | 42 2.2.2 Vom Magazin in den Ausstellungsraum | 52 2.2.3 Zur Bedeutung der Autorschaft | 56 2.3 Alles ist möglich? Grenzauflösungen und Neukontextualisierungen | 66

III. WELT DER BILDER : TRADITION UND VISION | 71 3.1 Zum Besonderen des Bewährten | 71

3.1.1 Bilder nach Bildern | 72 3.1.2 Die gute alte Zeit | 82 3.1.3 Das Modeportrait | 93 3.2 Zur Erhabenheit der Imagination | 102

3.2.1 Erzählungen in Bildern | 105 3.2.2 Die Erschaffung von Bildwelten | 113 3.2.3 Zum Modefilm auf SHOWstudio | 124 3.3 Im Spannungsbereich von Vergangenheit und Zukunft | 134

IV. KÖRPERINSZENIERUNGEN : POSEN , RÄUME UND ILLUSIONEN | 137 4.1 Inszenierungen von Illusion und Realität | 137

4.1.1 Im Reich der Puppen | 139 4.1.2 Die Tradition der Straße | 151 4.1.3 Wenn alles von Belang ist | 164 4.2 Wer willst Du morgen sein? | 178

4.2.1 Die Zukunft ist jetzt | 179 4.2.2 Die Frage nach dem Original | 184 4.2.3 Faszination des Anderen | 189 4.3 Über das (Re-)Konstruieren von Identität | 195

V. ZWISCHEN BEGEHREN UND ANGST : MODE , SEX UND T OD | 201 5.1 Zu Reizen, Anreizen und Trieben | 201

5.1.1 Mode und Sex? Sehr chic! | 202 5.1.2 Porno Chic-Bilder im Magazin | 215 5.1.3 Porno Chic neu definiert | 229 5.1.4 Anmerkungen zu Pornografie, Kunst und Fotografie | 245 5.2 Modefotografien − frei von allem Übel? | 253

5.2.1 Mode und Tod: Tod als Tabu? | 254 5.2.2 Der schöne Tod | 260 5.2.3 Krieg, Krankheit und andere Katastrophen | 267 5.3 Möge der Kreis geschlossen bleiben | 283

VI. MODE ALS FOTOGRAFIE | 289 L ITERATUR | 297 ABBILDUNGSVERZEICHNIS | 323 DANK | 325

I. Einleitung The history of fashion photography is inseparable from that of fashion itself.1 EUGÉNIE SHINKLE, 2008

1.1 F RAGESTELLUNGEN

UND

V ORGEHENSWEISE

Richard Avedon fotografiert 1989 die berühmte Schauspielerin Isabelle Adjani auf einem Friedhof: In die Kamera blickend und verstört lachend hat sie auf einem Sarkophag Platz genommen. Die Haare sind unfrisiert und sie trägt einen vierzig Jahre alten und zerfetzten Mantel aus dem Privatbesitz des Fotografen.2 Entstanden ist die Aufnahme anlässlich der Werbekampagne des Chanel-Duftes Egoïste. Entsprechend Martin Harrisons Auslegung ist es Avedons Intention gewesen, Adjani im Zustand eines Nervenzusammenbruches einzufangen. Folglich versinnbildlicht die Darstellung ihres psychischen sowie physischen Verfalls den Tod einer althergebrachten Form der Modefotografie.3 Avedons Fotografie veranschaulicht in der Tat, dass Mode- und Werbebilder auf den ersten Blick nicht mehr zwangsläufig als solche zu identifizieren sind. Die Abkehr von einem augenscheinlich kommerziellen Zweck impliziert einen Umbruch, infolge dessen Freiräume entstehen und Öffnungen zu anderen fotografischen Bereichen vorangetrieben werden. Dennoch erfüllen Modefotografien in ihrem ursprünglichen Kontext (meist im Rahmen der Modestrecke oder einer Werbekampagne) eine Funktion, die über den Ausdruck der individuellen Kreativität

1

Shinkle, 2008: 2.

2

S. Harrison, 1991: 300.

3

»We appear to be witnessing the end of fashion photography [...]. She [Isabelle Adjani, Anm. der Autorin] is literally laughing on the grave of fashion.« Harrison, 1991: 300.

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hinausgeht. Aufgrund dieser Verknüpfung von Kreativität und Kommerzialität bieten sie sich als Repräsentanten der vielbeschworenen Grenzauflösung von Hochund Alltagskultur geradezu an. Die Fotografie hat sich mittlerweile als eigenständige Form der Gegenwartskunst etabliert und die Modefotografie ist im Laufe dieser Phase tiefgreifender Transformationen als bedeutender Akteur hervorgetreten, der eine Brücke zwischen Alltagskultur und künstlerischer Praxis schlägt. Darzulegen, auf welche Art und Weise im Besonderen die Modefotografie der 1990er Jahre das Modefoto als ausstellungswürdiges Objekt und wissenschaftlichen Forschungsgegenstand legitimiert hat, ist einer der Grundgedanken dieses Buches. Modefotografie wird im Rahmen dieser Untersuchung als Einsatzgebiet der Fotografie verstanden, das sowohl kommerzielle wie künstlerische Intentionen verfolgen kann und auf bestimmte Wirkungsweisen sowie Prozesse der Wahrnehmung und Deutung ausgerichtet ist. Beleuchtet werden sollen die ästhetischen Verfahren, die zur Wiedergabe von Mode – gemeint ist im Grunde genommen Kleidermode – eingesetzt werden. Wobei sich der Fokus auf die Untersuchung von Bildlösungen richtet, die durch die Auflösung von Grenzen ein dynamisches Genreverständnis forcieren oder die Prozesse der Eigenwahrnehmung als fotografische Praxis vorweisen. Da Modefotos immer wieder aufs Neue Ideen von Mode oder einem modischen Lebensgefühl visualisieren und überzeugend vermitteln sollen, so lautet die These, stellt sich die Modefotografie zwangsläufig der Herausforderung, ihr stilistisches und motivisches Repertoire zu aktualisieren und erweitern. Von Interesse ist dabei auch, wie sich die Verschränkung von Strategie und Ästhetik auf den konventionellen Leitsatz, die Modefotografie ist der Mode verpflichtet, auswirkt. Im Hinblick auf die Wandlungsprozesse der Modefotografie stellt sich die Frage nach veränderten Erwartungshaltungen an das Modefoto und Rezeptionsmechanismen werden zu einem zentralen Aspekt der Untersuchung. Da die Bedeutung des Bildes in der Werbung stets intentional ist, hat Roland Barthes das Beispiel des Werbebildes herangezogen, um die Botschaften, die ein Bild enthalten kann, zu analysieren. »Die Signifikate der Werbebotschaft werden a priori von gewissen Attributen des Produktes gebildet, und diese Signifikate gilt es so klar wie möglich zu vermitteln; enthält das Bild Zeichen, so hat man die Gewißheit, daß in der Werbung diese Zeichen eindeutig und im Hinblick auf eine optimale Lektüre gesetzt sind [...]«4, äußert Barthes und folgert, dass man in der Werbung nie ein buchstäbliches Bild im Reinzustand antrifft, da es stets durch eine symbolische Botschaft ergänzt wird.5 Weil man davon ausgehen kann, dass die Bedeutung des Modefotos in der Regel ebenfalls intentional ist, richtet sich der Blick verstärkt auf Aspekte der Bedeutungsgenerierung und der Lektüre. Wie erschaffen diverse Bildstrategien An-

4

Barthes 2013 [a]: 28-29.

5

Barthes 2013 [a]: 37.

E INLEITUNG | 9

knüpfungspunkte zum Betrachter und wie wird durch Modefotografien Wahrnehmung konzipiert und die Gegenwart erfahren? Wie wird ein bestimmtes Publikum (beziehungsweise der potentielle Konsument) gezielt angesprochen und welche Rolle spielen Bilder in der Konstruktion und Vermittlung von Konzepten der Zugehörigkeit, Abgrenzung, Individualität und Identität?6 Diese Fragestellungen sind wesentliche Ausgangspunkte für eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Modefotografie. Modefotografie als wissenschaftlicher Forschungsgegenstand Hauptargument für die Relevanz einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Thematik ist, dass die Modefotografie im Zuge ihrer Verbreitung unmittelbaren Einfluss auf die Gesellschaft und das Individuum ausübt. Modefotografien umgeben den Menschen. Im Alltag sind sie beinahe überall anzutreffen. Konstant werden neue Bilder produziert und geraten meist ebenso schnell wieder in Vergessenheit. Charles Baudelaire stellt bereits 1864 fest: »Da alle Zeiten und Völker ihre Schönheit hatten, haben auch wir notwendigerweise die unsere.«7 Modefotos nehmen in diesem Prozess der zeitlichen Verankerung eine tragende Rolle ein und können ein verbindendes Generationengefühl schaffen. Sie formen und treiben zeitgenössische Vorstellungen (beispielsweise davon wie Schönheit und Weiblichkeit zu definieren sind) voran und haben somit erhebliche Auswirkungen auf Wahrnehmungskategorien des Selbst und des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Insofern ist das Eingeständnis dieser umgreifenden Mechanismen Grundlage einer jeden ernsthaften Auseinandersetzung mit diesem speziellen fotografischen Zweig. Eben darauf mag auch ein gewisses Unwohlsein, das Modefotografien durchaus auslösen können, zurückzuführen sein. Denn trotz ihrer unverkennbaren Wirkung ist der Modefotografie von Seiten der Wissenschaft erst zögerlich Aufmerksamkeit entgegengebracht worden. Seit Ende der neunziger Jahre ist das Thema jedoch immer mehr in den Fokus der fächerübergreifenden Forschung gerückt. Während der kommerzielle Ursprung der Modefotografie in den Sphären des Kunstmarktes und des Ausstellungswesens weniger problematisch erachtet zu werden scheint, werfen die Faktoren Kommerzialität und Allgegenwärtigkeit im Bereich der wissenschaftlichen Disziplin Kunstgeschichte evidente Zweifel am Kunststatus auf. Doch wie Isabella Graw in ihrer Studie zum Kunstmarkt einwendet: »Kein Kunstwerk ist an sich wertvoll, sein Wertausdruck findet sich stets woan-

6

Angesichts seiner Vagheit wird der Terminus Identität zunächst mit Bedacht benutzt, soll im Laufe der Untersuchung jedoch deutlicher definiert und im Hinblick auf eine Ablösung von vorgegebenen Identitätsmustern, gemeint sind prinzipiell durch Mode und Medien vermittelte Konstruktionen, verankert werden.

7

Baudelaire, 1990 [c]: 101.

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ders.«8 Einen fortwährenden Bedeutungsgehalt erhalten Kunstwerke insbesondere durch die Thematisierung innerhalb eines akademischen Diskurses. Im Hinblick auf die Modefotografie ist dabei vor allem das Problem der Selektion aus einem beinahe unerschöpflichen Fundus stets präsent: Welche Fotos erfüllen lediglich eine kommerzielle Funktion und welche können als Nahtstellen von Kunst und Kommerz hervorgehen? Obwohl Ausstellungskuratoren ebenso wie Herausgeber von Bildbänden mit ihrer Auswahl bereits eine Basis für die wissenschaftliche Vertiefung geschaffen haben, bleibt die subjektive Differenzierung zwischen dem Trivialen und dem Bemerkenswerten ein unabdingbarer Aspekt der Auseinandersetzung mit Modefotografien. Zwar weisen die vielschichtigen Funktionsebenen sowie das unmittelbare Wirkungspotential die Modefotografie durchaus als komplexes Thema von beständiger Aktualität aus, doch es sind eben auch genau diese Merkmale, die einer Hinwendung vonseiten der Kunstgeschichte auf paradoxe Weise im Weg zu stehen scheinen. Das Anliegen dieser Arbeit ist daher, anhand der Untersuchung von Tendenzen der jüngeren Modefotografie, einen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte der Modefotografie zu liefern und zugleich die Komplexität sowie Relevanz des Forschungsgegenstandes aufzuzeigen. Zur Vorgehensweise Um nicht nur die Palette an Bildverfahren, sondern zudem auch die komplexen Wirkungsweisen geltend zu machen, ist sich gegen die Darstellung in Form einer möglichst umfangreichen Überblicksarbeit zu den bedeutendsten Fotografen entschieden worden. Dafür werden verstärkt wahrnehmbare fotografische Positionen und Gestaltungsweisen im Hinblick auf bestimmte Aspekte betrachtet und anhand ausgewählter Werkbeispiele veranschaulicht.9 Grundlage der Untersuchung ist somit die selektive Auswahl einer Materialzusammenstellung, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und stattdessen repräsentativ verstanden werden will. Im Fokus stehen Arbeiten, die in den 90er Jahren im Rahmen von Modestrecken und Werbekampagnen in Mode- und Lifestyle-Magazinen veröffentlicht wurden. Während Modestrecken in der Regel redaktionell bearbeitet und für die Einbindung in ein bestimmtes Magazin produziert werden, wird die Werbekampagne durch Mo-

8

Graw, 2008: 17.

9

Wenn Begriffe wie Fotograf, Künstler und Betrachter im maskulinen Singular verwendet werden, geschieht dies zugunsten der Lesbarkeit und im Sinne einer abstrahierenden Verallgemeinerung, die sowohl weibliche als auch männliche Subjekte meint. In einzelnen Fällen kommt es jedoch vor, dass die Doppelnennung zur Betonung der weiblichen Rolle innerhalb des jeweiligen Kontextes benutzt wird.

E INLEITUNG | 11

dehäuser in Auftrag gegeben.10 Üblicherweise spielen bei der Umsetzung einer Werbekampagne finanzielle Hintergründe eine größere Rolle als bei der Konzeption einer Modestrecke. Obwohl sich dies restriktiv auf den kreativen Freiraum der Produktion auswirken kann, haben viele der Fotografen, die in dieser Arbeit behandelt werden, ihre gewagtesten und experimentierfreudigsten Werke im Rahmen der Werbekampagne vorgelegt.11 Da sich ab den 80er Jahren einschneidende Entwicklungen in der britischen Printlandschaft vollzogen haben und London sich im darauf folgenden Jahrzehnt immer prägnanter als ein kreatives Zentrum von Mode und Kunst herauskristallisiert hat, werden zu einem großen Teil Arbeiten aus den britischen Lifestyle-Magazinen The Face, i-D und Dazed & Confused sowie Werke von Fotografen, die in diesem Zeitraum hauptsächlich in Großbritannien tätig gewesen sind, beleuchtet. Es wird sich jedoch bewusst gegen die Eingrenzung auf einen bestimmten Entstehungsraum oder Verbreitungskontext entschieden, weil dies den vielfältigen Ausrichtungen von Modefotos ebenso wie dem internationalen Tätigkeitsbereich des Modefotografen nicht gerecht werden würde. In seinem Aufsatz Die Fotografie als Botschaft unterscheidet Barthes zwischen drei Bestandteilen aus denen sich die Botschaft zusammensetzt: der Senderquelle, dem Übermittlungskanal und dem Empfängermilieu. Bereits der Name des Übermittlungskanals (der Zeitung oder, Barthes Analyse weiterführend, zum Beispiel auch der Name einer Website), kann ein Wissen bilden, »[...] das die Lektüre der eigentlichen Botschaft nachhaltig steuern kann.«12 Durch die Einbeziehung von

10 Venohr unterscheidet in gleicher Weise zwischen den beiden Produktionsweisen. Dabei differenziert sie jedoch konsequent zwischen Werbefotografie, die durch Modefirmen in Auftrag gegeben wird, und Modefotografie, deren Schauplatz die Modestrecke im Magazin ist. Da sich Venohr in erster Linie mit dem Medium Modezeitschrift beschäftigt, erscheint eine strikte Differenzierung schlüssig. Forschungsansätze, die Modefotografie primär als visuelles Erzeugnis betrachten, integrieren indessen meist auch Werbefotografien. Da die vorliegende Untersuchung Modefotografie als fotografische Praxis versteht, deren Werke in verschiedenen Kontexten auftauchen und wirken können, werden beide Erscheinungsformen behandelt. Erwähnt werden sollte in diesem Zusammenhang zudem, dass der Einfluss von Modehäusern auf die Produktion von Modestrecken immer stärker geworden ist. Vgl. Venohr, 2010: 49. 11 Vgl. Bright, 2007: 22. 12 Barthes, 2013 [b]: 11. Besonders die Modestrecke im Magazin ist durch eine Bild-TextRelation gezeichnet, die eine Lektüre der Fotografien steuern kann. Bereits der Titel der Modestrecke kann die Lektüre der Modestrecke beeinflussen. Insofern die Modenachweise keine bemerkenswerten Abweichungen von der traditionellen Beschreibungsform aufweisen, wird sich in dieser Arbeit auf den fotografischen Gegenstand konzentriert. Zur Bedeutung des Zusammentreffens der Strukturen Text und Bild s. Barthes, 1985 (a).

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etablierten Hochglanzmagazinen wie Vogue, deren Namen spezifische Assoziationen (Klasse, Luxus, Tradition etc.) hervorrufen, sollen im Hinblick auf den Erscheinungskontext Rückschlüsse auf unterschiedliche Intentionen und Interpretationen des Modefotos gezogen werden.13 Aufgrund der Vielfalt innovativer und stilprägender Modefotografien sowie Faktoren wie dem bevorstehenden Jahrtausendwechsel, die auf kollektive Wahrnehmungsschemata einwirken, ist das ausgehende zwanzigste Jahrhundert ein spannungsreicher zu untersuchender Abschnitt. Die 90er Jahre stehen daher im Zentrum des Interesses, jedoch werden Positionen aus der früheren Geschichte der Modefotografie nicht ausgeblendet. »Decades avoid the neatness of their purely temporal boundaries,«14 äußert sich Michael Bracewell über die Unmöglichkeit präziser zeitlicher Abgrenzungen. Ebenso lassen sich die 90er Jahre nicht als autonome Dekade betrachten. Denn besonders ab den 70er Jahren haben sich solch tiefgreifende und nachwirkende Umbrüche in Bezug auf die Funktionszuschreibung des Modefotos und das Selbstverständnis des Auftragsfotografen vollzogen, dass Namen wie Helmut Newton und Guy Bourdin im Rahmen einer ausführlichen Studie ein wesentlicher Platz zugesprochen werden sollte. Ausgerichtet ist die Untersuchung des Forschungsgegenstands primär auf einen kunsthistorischen Zugang. Bisher wurde der Modefotografie und besonders der Frage nach ihren komplexen Rezeptionsmechanismen und dynamischen Verhältnissen zu anderen Bildformen von der Kunstgeschichte zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Damit geht die Untersuchung über bisherige Ansätze − die sich meist nicht der speziellen fotografischen Praxis, sondern dem Œuvre eines bestimmten Fotografen angenommen haben − hinaus. Obwohl sich der vergleichende Blick immer wieder auf die Kunstfotografie sowie Traditionen und Verfahren der Kunst

13 Wenn möglich, werden Veröffentlichungsquellen im Original als Bildmaterialien herangezogen. Die Sammlung der National Art Library, London bietet umfangreiches Material, da u.a. die Ausgaben der genannten Magazine beinahe vollständig in den Bestand aufgenommen wurden. Das in ausgewählten Bibliotheken nutzbare digitale Archiv der amerikanischen Vogue, das dem Nutzer Zugriff auf sämtliche seit 1892 erschienenen Ausgaben bietet, ist ebenfalls zu erwähnen. Zugunsten der kontextuellen Unterscheidung werden Titel von Modestrecken hier durch die Schreibweise ›Titel‹ kenntlich gemacht und Werke, deren Titel aus Bildbänden oder Ausstellungskatalogen übernommen wurden oder die ursprünglich nicht im Kontext Mode- oder Werbefotografie entstanden sind, kursiv hervorgehoben. Es wird davon ausgegangen, dass eine Herauslösung aus dem ursprünglichen Kontext und die Transformation vom Bestandteil einer Serie zum autonom abgebildeten oder ausgestellten Werk Verfremdungen hervorrufen können. 14 Bracewell, 2010: 19.

E INLEITUNG | 13

richtet, geschieht dies nicht zur Belegung eines Kunst-Kommerz-Gefälles.15 Wechselwirkungen werden nicht vorab ausgeklammert und allzu selbstverständliche Hierarchieparadigmen sollen in Frage gestellt werden. Aus dem Interesse für genreund medienübergreifende Prozesse und Bildverfahren entwickelt sich ein interdisziplinärer Ansatz, in dem auch Methoden aus den Film- und Medienwissenschaften, der Soziologe und Kulturwissenschaft Anwendung finden. Durch die Integration relevanter theoretischer Texte zur Fotografie ergibt sich ein detailliertes Bild der diversen Funktionsweisen und Zusammenhänge. Da Mode als Phänomen der Gesellschaft nicht einzig auf die Fotografie als Medium baut, sondern auch durch die Verflechtungen mit anderen Medien neue Moden erschafft und vermittelt, erscheint der Blick auf mediale Relationen ebenso bedeutsam wie die Verortung in einem zeitgenössischen Kontext. Zum Aufbau der Arbeit Einleitend wird in I.1.2 der Forschungsstand aufgearbeitet und einige bedeutsame Positionen des Modediskurses werden angesprochen. In einem ersten Schritt wird auf Umbrüche hingewiesen, die im Zusammenhang mit Beschaffenheit und Rezeption von Mode und Modefotografie stehen. Teil II widmet sich zunächst der Beziehung von Mode und Fotografie. Im Fokus stehen sich wandelnde Funktionszuschreibungen der Modefotografie, die verschiedenen Rollen als Wissens- und Kommunikationsmedium sowie der Versuch einer Definition als fotografische Praxis. Der zweite Teil des Kapitels, der unter dem Leitsatz Die Eroberung der Kunstwelt steht, befasst sich mit dem Gleiten zwischen Alltags- und Hochkultur. Im Hinblick auf die verschiedenen Kontexte der Modefotografie (Magazin, Ausstellungsraum, Fotobuch etc.) wird die Entwicklung des Lifestyle-Magazins, vor dem Hintergrund perspektivischer Umbrüche im Bereich der Kunst und der Wechselwirkungen zwischen Kunst- und Modebetrieb, skizziert. Schließlich wird die Frage nach der Autorschaft angesprochen und das Interesse auf den Modefotografen und sein Selbstverständnis als Auftragsfotograf/Künstler gerichtet. In Teil III wird die Modefotografie als Bestandteil einer Welt begriffen, die maßgeblich auf visuelle Eindrücke baut und in der Bilder allgegenwärtig sind. Es wird nachgegangen, wie sich Modefotografie als Vermittlungssystem der Mode zur Vergangenheit verhält und wie ihre Produzenten aus dem Bilderfundus von Hochund Populärkultur schöpfen. Besonderes Augenmerk wird auf Rezeptionsmechanismen gelegt, die durch Verschränkungen von Tradition und Innovation ausgelöst werden. Der zweite Teil des Kapitels rückt die Gestaltungsweisen und Prozesse der

15 Die Bezeichnung des Kunstfotografen bezieht sich im weiteren Verlauf auf Fotografen, deren Werke primär im Rahmen der Kunst präsentiert und rezipiert werden.

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analogen und der digitalen Bildgestaltung in den Mittelpunkt. Ansätze der Bilderzählung und die Erschaffung neuer Bildwelten werden näher betrachtet. Zuletzt wird ein Blick auf Nick Knights Online-Projekt SHOWstudio unternommen, um intermediale Bezüge von Fotografie und Film sowie die Verknüpfung mit den neuen Medientechnologien zu veranschaulichen. In Teil IV verdichtet sich die Analyse auf eines der Hauptmotive − den Körper. Die These wird formuliert, dass der Körper im Modefoto ebenfalls den Mechanismen der Mode unterliegt. Daraus ergeben sich Fragen zur ästhetischen und funktionalen Beschaffenheit der dargestellten Körper: Wie werden anhand fotografischer Strategien Körper konstruiert und welche Wirkung forcieren die scheinbar gegenläufigen Tendenzen des authentischen und des künstlichen Körpers? Die Entwicklung des digitalen Bildes soll als einschneidendes Moment kenntlich gemacht werden, da es besonders im Hinblick auf die Konstruierbarkeit des Körpers von Interesse ist und die Wahrnehmung des Körpers innerhalb des technischen Fortschrittes zur Diskussion stellt. Der Körper bleibt in Teil V ein signifikantes Motiv, das auf wesentliche Aspekte des Lebens hinweist. Als Schnittstelle der Bereiche Mode, Sex und Tod dient der Körper der gezielten Ansprache und Erzeugung von Bedürfnissen, Wünschen und Ängsten. Aus dieser Perspektive betrachtet, lassen sich weitere Aussagen zu Regeln und Tabus der Modefotografie ableiten und Tendenzen der Kunst sowie gesellschaftliche Zusammenhänge werden diskutiert. Im abschließenden Kapitel, das den Titel Mode als Fotografie trägt, wird der Status- und Funktionswandels des Modefotos resümierend betrachtet und die jüngsten Entwicklungen der Modefotografie werden angesprochen. Anhand eines Vergleiches von Printmedien und Onlineveröffentlichungen werden aktuelle Tendenzen erwähnt und ein Ausblick zur Stellung des Magazins als Schauplatz der Modefotografie formuliert.

E INLEITUNG | 15

1.2 Z UR R EZEPTION

VON

M ODEFOTOGRAFIE

UND

M ODE

Der Bezug zu gesellschaftlich relevanten Themen, die gleitende Position innerhalb einer Kunst-Kommerz-Relation als auch die Dualität von Ästhetik und Inhalt liefern diverse Anknüpfungspunkte zur Auseinandersetzung mit Modefotografien und haben den Weg für komplexe Fragestellungen bereitet. Das Vorhaben dieses einleitenden Kapitels ist zunächst die Darlegung des Forschungsstandes. In diesem Zusammenhang sollen bemerkbare Veränderungen hinsichtlich der Rezeption der Modefotografie als fotografische Praxis sowie bestimmte Aspekte, die zu einem Rezeptionswandel beigetragen haben, angesprochen werden. Anschließend wird sich dem Forschungsgegenstand über den Begriff der Mode angenähert. Denn es ist anzunehmen, dass sich Wesenszüge, die der Mode zugesprochen werden, auch auf die Wahrnehmung des vermittelnden Mediums Fotografie auswirken. Auffallend ist, dass sich der Blick auf das Phänomen Mode häufig nicht auf dessen ästhetische Beschaffenheit richtet, sondern auf die Funktionen, die es im Zusammenleben erfüllt. Mode wird demnach vorwiegend im Alltag verortet und mit Assoziationen des Banalen verknüpft. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts stellt sich jedoch ein Paradigmenwechsel ein, der mit einem Definitionswandel der Mode einhergeht. Selbstverständlich erheben die folgenden Ausführungen zum Modediskurs nicht den Anspruch, die gesamte Diskussion um Prozesse und Funktionen der Mode zu beleuchten. Stattdessen werden vor dem Hintergrund dieses Umbruchs wiederkehrende Schlüsselbegriffe (unter anderem Mode und Stil, Abgrenzung und Zugehörigkeit, Klasse und Subkultur) eingeführt. 1.2.1 Modefotografie als Diskurs »Frustratingly lacking in British culture is an established critical and historical framework within which to consider fashion photography«,16 bemängelt Val Williams in ihrem Text, der 1998 anlässlich der Ausstellung Look at Me. Fashion and Photography in Britain 1960 to the Present im gleichnamigen Katalog erschienen ist. Williams These wird aufgegriffen und es wird eingangs die Frage nach ihrer Legitimität gestellt (nicht nur in Bezug auf die britische Modefotografie, sondern im Allgemeinen auf die Modefotografie als fotografische Praxis). Kernanliegen ist eine Wiedergabe der Forschungssituation und die Überlegung, welche Faktoren ein Aufgreifen des Themas Modefotografie vorantreiben. Im Dezember 1975 erscheint in der New York Times eine Rezension der aktuellen Wanderausstellung Fashion Photography: Six Decades, verfasst von dem Kunstkritiker Hilton Kramer. Der Zeitungsartikel mit dem aussagekräftigen Titel

16 Williams, 1998: 99.

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The Dubious Art of Fashion Photography befasst sich primär mit dem Kunstanspruch der Modefotografie und dem Widerstand des fotografieinteressierten Publikums. Aufgrund des Sensationsgehaltes prognostiziert Kramer der Ausstellung viel Erfolg und spricht ihr somit in erster Linie Unterhaltungspotential zu, zieht den Aspekt der Bildung allerdings nicht in Erwähnung. Stattdessen weist er auf die Gefahren der musealen Präsentation hin, da dieser Schritt den erkämpften Status des Mediums Fotografie ins Wanken bringen könne. Kramer lehnt die Integration der Modefotografie in den Kunstkontext zwar nicht entschieden ab, aber er kritisiert das überblicksartige Ausstellungskonzept. Demnach seien einige Werke, unter anderem jene von Cecil Beaton und Irving Penn, zu Recht ins Ausstellungsprogramm aufgenommen worden, andere empfindet er hingegen als unangebracht, da sie lediglich in Anbetracht des Fotografennamens ausgewählt worden seien.17 In Kramers Ausführungen zeichnen sich verschiedene Unsicherheiten im Umgang mit Modefotografien außerhalb ihres kommerziellen Kontextes ab. Auslöser ist die Sorge um den Verlust des Kunstansehens des Mediums Fotografie. Es folgt die Problematik des Selektionsprozesses und die Frage, welche einzelnen Werke eine Erhöhung durch den Kunstbetrieb erfahren sollten. Der wohl prägnanteste Unsicherheitsfaktor bezieht sich auf die Definition der Modefotografie als eigenständigen Bereich der Fotografie. Kramer teilt die Modefotografie vereinfachend dem Fotojournalismus zu. Im Hinblick auf das gesteigerte Interesse an sowie die neuesten Entwicklung innerhalb der Modefotografie, erkennt er jedoch, dass diese Zuordnung nicht mehr ohne Weiteres möglich ist. Insbesondere das Aufgreifen von Themen wie Mord, Gewalt und Perversionen löst Unverständnis aus. In dem Versuch, diese fotografischen Tendenzen zu kategorisieren, ordnet er beispielweise Newtons Modefotos einem Subgenre der Pornografie zu. Kramer beendet seine Besprechung mit der Behauptung, dass die Geschichte der Modefotografie zu einem Ende gekommen sei und dafür etwas Neues ihren Platz eingenommen habe.18 Erst die Erweiterung des modefotografischen Repertoires um ungewohnte und zuweilen verstörende Themen hat die Modefotografie ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt und öffentliche Diskussionen um die Darstellung von Sex, Gewalt und der modernen Frau entfacht. Im Vorfeld zu Kramers Ausstellungsbesprechung ist die Mai-Ausgabe der amerikanischen Vogue erschienen, in der Modestrecken von Deborah Turbeville sowie Helmut Newton zu sehen gewesen sind und die Empörung unter den Lesern ausgelöst haben. Aufgrund der ungewohnten Darstellungweise der Frau haben die Aufnahmen derart schockierend gewirkt, dass viele

17 Kramer, 1975: SE28. 18 Kramer, 1975: SE28.

E INLEITUNG | 17

Leser ihr Zeitschriftenabonnement kündigten.19 Harrison betont, in welchem Maße das Erlebnis einschneidend für die Rezeption der Modefotografie gewesen ist, denn zuvor war sie selten derart Gegenstand einer öffentlichen Diskussion.20 Das Genre ist zu einem meinungsbildenden Thema geworden, das kontroverse Reaktionen hervorrufen kann. In dieser Hinsicht kann man Kramer zustimmen, wenn er behauptet, dass die Geschichte der Modefotografie – so wie sie bisher wahrgenommen wurde – vorbei sei. Die Geschichtsschreibung der Modefotografie scheint zu diesem Zeitpunkt jedoch erst zu beginnen. Vier Jahre nach Kramers Artikel und dem Skandal um die Vogue-Bilder erscheint Hall-Duncans Standardwerk The History of Fashion Photography (1979), eine erste Aufarbeitung der Geschichte der Modefotografie. Der Katalog wird zwei Jahre nach der gleichnamigen Ausstellung veröffentlicht und bespricht die verschiedenen bedeutenden Stilrichtungen in chronologischer Abfolge. Einleitend stellt Hall-Duncan die Ziele ihrer Arbeit dar, zu denen die Skizzierung stilistischer Entwicklungen und die Betrachtung der Modefotografie in Relation zu Kunst, Gesellschaft und anderen fotografischen Bereichen gehören. Sie beendet ihre Einleitung mit einer Referenz an Kramers Artikel und einem Gegenentwurf zu der Befürchtung, die Eingliederung der Modefotografie in den Kunstkontext könne den Status der Fotografie gefährden. Die kritische Auseinandersetzung mit Modefotografien wirke sich hingegen bereichernd auf das Medium aus und betone die stilistischen Möglichkeiten des Mediums Fotografie, wendet Hall-Duncan ein.21 Bereits zu Beginn ihrer Untersuchung zeichnen sich die bereits besprochenen charakteristischen Problematiken ab: Die Frage nach den konkreten Anfängen der Modefotografie und nach der Abgrenzung zu anderen fotografischen Bereichen. Mit dem Piktorialismus beginnend ordnet Hall-Duncan bestimmten Zeiträumen stilistische Titel zu und verfolgt Entwicklungen anhand von Beiträgen bekannter Modefotografen. In der Gegenwart angekommen, resümiert Hall-Duncan, dass sich in den 1970er Jahren eine Tendenz zu innovativen Werbekampagnen abzeichnet und die Zukunft der Modefotografie daher ungewiss sei. Die Autorin knüpft mit ihrer Prognose explizit an Kramers Artikel an und spricht zum Schluss die Herauslösung des Modefotos aus dem Kontext des Magazins und die Transformation zum Einzelwerk an. Hall-Duncan verdeutlicht, dass sich die Schwerpunktsetzung gewandelt

19 Kramer erwähnt zwar nicht den Skandal um besagte Vogue-Ausgabe, zieht jedoch beide Fotografen als Exempel für die aktuellen Entwicklungen heran. Ausführlicher wird der Skandal hier in Kapitel V besprochen. S.a. Edkins, 1990: 30 und Newton, 1998: 311. 20 Harrison, 1991: 233. 21 Hall-Duncan, 1979: 13.

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hat und nicht mehr die inhaltliche Einbettung in das Magazin als Priorität gilt, sondern die formale Qualität des Einzelfotos.22 Das Magazin und die Ausstellung sind als mögliche Stationen des Modefotos die treibenden Kräfte, die beeinflussen, wie Modefotografie wahrgenommen wird. Neben der chronologischen Betrachtungsweise sind die Untersuchungen bestimmter Zeitfenster, Tendenzen, Fotografen, Modehäuser oder Printmedien häufig gewählte Methoden, sich mit Modefotografien auseinanderzusetzen. So gibt es beispielsweise mehrere Publikationen, die sich der Geschichte des Magazins Vogue und dort veröffentlichten Arbeiten widmen. Einen umfassenden Überblick zur Geschichte des Hochglanzmagazins bietet die von Norberto Angeletti und Alberto Olivia verfasste und zusammengestellte Monographie In Vogue (2006), die Fotografen als Künstler mit individuellen Positionen wiedergibt, ihre Arbeiten aber auch in ein Netzwerk von beteiligten Akteuren einbettet.23 Da auch international weniger bekannte Magazine, wie beispielsweise das britische Magazin Nova (1965-1975), mitunter starken Einfluss auf die Printmedienlandschaft und Entwicklung der Modefotografie genommen haben, sind auch sie zum Gegenstand der Geschichtsschreibung geworden.24 Die Dominanz von Monographien, die zu hauseigenen Publikationen vom Verlagshaus oder Mitwirkenden herausgegeben werden, zeigt jedoch auch, dass der Blick von außen ein vergleichsweise seltener ist. Genannt sei an dieser Stelle auch Polly Devlins Vogue. Geschichte der Modefotografie (1980). Die Journalistin, die lange Zeit für die britische und die amerikanische Ausgabe der Vogue tätig gewesen ist, schafft in ihrem begleitenden Text den historischen Rahmen für die nach Jahrzehnten geordneten Fotografien. Das Vorwort stammt von Alexander Liberman, langjähriger künstlerischer Leiter des Condé Nast Publikationshauses sowie Bildhauer, Maler und Fotograf. Er beginnt mit einem Erklärungsversuch für das aktuelle Interesse an der Modefotografie, das er der Faszination für Macht zuschreibt – womit er die neue Macht der Frau, die Macht der Mode sowie die bildliche Macht der Fotografie meint.25 Die These ausführend geht er im weiteren Verlauf auf gesellschaftliche Aspekte ein und insbesondere auf die Rolle der Frau in Modefotografie und Gesellschaft. Liberman spricht der Fotografie dabei in erster Linie einen dokumentarischen Wert zu: Sie erschafft »eine Art Erinnerungsbank [...], die Auskunft gibt, wie die Frauen zu einem gegebenen Zeit-

22 Vgl. Hall-Duncan, 1979: 9, 14-30 und 221-222. 23 Die Autoren veranschaulichen inbesonders wie die jeweiligen Chefredakteure auf die Ausrichtung und das Erscheinungsbild des Hochglanzmagazins eingewirkt haben. S. Angeletti/Olivia, 2006. 24 S. Gibbs, 1993. 25 Liberman, 1980: 7.

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punkt und in einer bestimmten Gesellschaft ausgesehen haben.« 26 Dabei unterscheidet Liberman nicht zwischen fotografischen Einsatzgebieten und den strittigen Aspekt der Konstitution als Kunst erachtet er als redundant: »Die Frage, ob Fotografie Kunst ist oder nicht, hat relativ wenig zu bedeuten.«27An anderer Stelle äußert sich Liberman entschiedener zu der Thematik und spricht der Fotografie den Kunststatus ab, da Fotografie und Kunst für ihn schlichtweg unter verschiedene Kategorien kreativer Ausdrucksformen fallen.28 Ähnlich wie Baudelaire verweigert er der Fotografie den Kunstanspruch und betont ihre dokumentarischen Leistungen. Allerdings spricht er dem Fotografen das Vermögen zu, den Ausdruck zeitgenössischer Schönheit einzufangen − eben jene Fähigkeit, die Baudelaire an Constantin Guys geschätzt und ihn in seinen Augen als Maler des modernen Lebens ausgezeichnet hat.29 Die Platzierung in einen vorwiegend sozialen und teils deutlich feministisch ausgerichteten Diskurs hat, laut Williams, zur Folge, dass die Modefotografie vom allgemeinen Kunstkontext ausgeschlossen wird.30 Man kann Williams zustimmen, dass Modefotografie häufig vor dem Hintergrund ihrer gesellschaftlichen Relevanz wissenschaftlich behandelt wird. Doch genau diese Einbettung in ihren zeitgenössischen Entstehungsrahmen, die besonders durch die Frauenbewegung in den 70er Jahren Impulse erhalten hat, trägt in vielerlei Hinsicht erheblich zur kritischen Betrachtung der Modefotografie bei. In den 80er Jahren wächst auch das Interesse, das der Person Modefotograf entgegengebracht wird. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang der Katalog zur Ausstellung Shots of Style (1985), die von 1985 bis 1986 im Victoria & Albert Museum für Kunst und Design in London stattfand. David Bailey hat die Fotografien ausgewählt, während Harrison als Kunsthistoriker und Kurator den dazugehörigen Text verfasst und die Fotografien in eine historische Abfolge platziert hat.31 Die Entscheidung, einem bekannten britischen Modefotografen die Selektion zu überlassen, spricht für die wachsende Wahrnehmung des Modefotografen als Individuum mit persönlicher Sichtweise.

26 Liberman, 1980: 18. 27 Liberman, 1980: 18. 28 Alexander Liberman in: Farber, 1984: 22. 29 »Most photographers who interest us [Vogue; Anm. der Autorin] are the ones who can capture women as ›modern‹ −the word that is used today as opposed to ›beautiful‹ − which means to portray women who are part of their time.« Alexander Liberman in: Farber, 1984: 22. Vgl. Baudelaire, 1990 [a]: 296-298 und 320. 30 Williams, 1998: 99. 31 Harrison, 1985.

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Obwohl die Frage nach dem Gehalt an Kunst und/oder Kommerz immer präsent ist, haben sich die Anschauungsweisen erweitert und sind komplexer geworden, wie die vielfältigen Ansätze zu Stilentwicklung und Rezeptionsästhetik veranschaulichen. 1991 erscheint die Monographie Appearances, in der Harrison die Modefotografie von 1945 bis 1991 behandelt und damit, laut Williams, das Ausbleiben ausführlicher Studien durchbrochen hat.32 Harrison stellt die fotografische Praxis als eigenständigen und untersuchungswürdigen Bereich dar, der auch komplexe Inhalte wiedergeben und von sozialer, kultureller und politischer Bedeutung sein kann. Harrison beschließt sein Buch ebenfalls mit der Feststellung, dass die Modefotografie – wie wir sie kennen – zu einem Ende gekommen sei.33 Im Gegensatz zu Kramer legt er diese Entwicklung jedoch durchaus positiv aus. Denn gerade dadurch, dass sich Modefotografie für kulturelle und soziale Zusammenhänge öffnet, kann sie nicht mehr als banal abgetan werden. Dementsprechend lautet Harrisons finale Aussage: »Fashion photography has forced itself into photographic discours.«34 Im selben Jahr veröffentlicht die Aperture Foundation eine Sammlung von Aufsätzen zu diversen Teilbereichen der Modefotografie unter dem Titel The Idealizing Vision. The Art of Fashion Photography. Susan Brights Monographie Art Photography Now, deren Erstauflage 2005 ebenfalls im Aperture Verlag erschienen ist, unterteilt die Arbeiten herausragender zeitgenössischer Fotografen in sieben Sektionen, zu denen Modefotografie als eigenständige Kategorie gehört. Als Verleger der traditionsreichen gleichnamigen Zeitschrift sowie von Fotobüchern und Publikationen zum Thema Fotografie erklärt die Aperture Foundation Modefotografie als anerkannten Einsatzbereich des Mediums, der für ein fotografieinteressiertes Publikum von Relevanz ist. In dem Katalog zur Ausstellung Archeology of Elegance (Deichtorhallen Hamburg, 2002) wird das Bestreben, eine Geschichte der Modefotografie zu schreiben, nicht in Form der chronologischen Aufarbeitung umgesetzt. Stattdessen wird ein Zeitfenster von zwanzig Jahren (1980-2000) betrachtet und der Versuch unternommen, verschiedene Stilrichtungen und modefotografische Positionen in vier Kategorien zu unterteilen: Glamour, Punk Rock, High-Tech/Futurismus und Kunst. Dadurch werden die Pluralität der Stilrichtungen und die kreative Vielfalt in den Fokus gerückt. Außerdem wird durch die umfassenden Schlüsselrubriken auf geteilte Erfahrungen hingewiesen. Analysen, in denen sich der Modefotografie mit ausdrücklich kunsthistorischen Erfassungsinstrumentarien und Methoden genähert wird, ist oft eine strikte

32 Vgl. Williams, 1998: 99. 33 Harrison, 1991: 300. 34 Harrison, 1991: 300.

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Gegenüberstellung von Kunst und Kommerz anzumerken. Kranzfelders 1993 erschienene Untersuchung zu Surrealismus und neuerer Modefotografie greift den Vergleich zwischen Kunst und Modefotografie als Leitgedanken auf und betrachtet die Modefotografie in erster Linie im Hinblick auf die Aneignung von künstlerischen Stilmitteln. Wobei sich die Modefotografie, Kranzfelder zufolge, durch ihre Trivialität sowie einen Mangel an Selbstreflexion auszeichnet und »sie versucht, sich oft den Anschein von gewagt und tabubrechend zu geben, [...] über billige Imitation aber nicht hinauskommt.«35 Beim Lesen von Kranzfelders Ausführungen verfestigt sich der Eindruck, dass es der Modefotografie an einer eigenen theoretischen und historischen Grundlage mangelt. Dies hat zur Folge, dass sie im direkten Vergleich zu kunsthistorischen Vorläufern leicht als oberflächig und imitierend abgetan wird. Eine gängige Veröffentlichungsform, die gewöhnlich darauf abzielt, die Komplexität des Forschungsgegenstandes zum Ausdruck zu bringen, ist die Eingliederung von Essays in Sammelbände. Dabei werden die einzelnen Essays häufig in Relation zu diversen Perspektiven auf Fotografie oder Mode gesetzt und auf diese Weise medien- sowie genreübergreifende Prozesse betont. In Fashion Cultures (2000) ist zum Beispiel ein Essay von Elliott Smedley über Modefotografie erschienen, das einen wesentlichen Beitrag zur Aufarbeitung der realistischen Ästhetik in den 90er Jahren geliefert hat.36 Der von Eugénie Shinkle herausgegebene Sammelband Fashion as Photograph (2008) gibt durch das breite Spektrum an vorgestellten Betrachtungsweisen die Komplexität der Modefotografie wieder. Perspektiven, die im Modesystem oder Kunst- und Kulturbetrieb zu verorten sind, eröffnen neue Sichten auf Mechanismen der Produktion und Rezeption. Während Perspektiven aus der Kunstgeschichte sowie den Kultur- und Medienwissenschaften über die Fachgrenzen hinweg die Vielschichtigkeit des Forschungsgegenstandes verdeutlichen und verschiedene Erkenntnisinteressen verfolgen. Da Modewissenschaft als deutlich abgegrenzte Disziplin noch nicht besteht, findet die Mode als Interessengebiet in verschiedenen Wissenschaftsgebieten ihren Platz.37 Daher können auch besonders Fachpublikationen zur Mode Impulse für die wissenschaftliche Annäherung an Modefotografie geben. Als exemplarisches Beispiel hierfür kann der seit 1997 von Valerie Steele, Direktorin des Museums am Fashion Institute of Technology (FIT), herausgegebene und viermal jährlich erscheinende Band Fashion Theory. The Journal of Dress, Body and Culture angeführt werden.38 Die Bände enthalten Essays zu diversen Themen, die auf soziologi-

35 Kranzfelder, 1993: 150. 36 Smedley, 2000. 37 S. Lehnert, 2013: 11. 38 Steele, 1997.

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sche, kulturwissenschaftliche, kunsthistorische oder ähnliche Ansätze ausgerichtet sind. Innerhalb dieses offen gehaltenen wissenschaftlichen Austauschs nimmt in sporadischen Abständen auch die Modefotografie ihren Platz ein. Im neuen Jahrtausend wird die Tendenz, Modegeschichte anhand wissenschaftlicher Theorien darzulegen, stets präsenter. Diesbezüglich ist speziell auf Rebecca Arnolds Fashion, Desire and Anxiety. Image and Morality in the 20th Century (2001) sowie Caroline Evans Fashion at the Edge. Spectacle, Modernity and Deathliness (2003) hinzuweisen. Während die Mode in kunsthistorischen Beiträgen zum Thema Modefotografie oft nur angeschnitten oder schlichtweg negiert wird, beschränkt sich die Literatur zur Mode häufig nicht auf ihr eigenes Gebiet, sondern Fotografie wird als fester und unabdingbarer Bestandteil erachtet. Evans und Arnold integrieren Fotografien, um ihre Thesen zur Mode zu unterstützen und machen durch diesen Ansatz deutlich, dass eine Wechselwirkung stattfindet. Die Theoretisierung der Mode – wie sie insbesondere in Großbritannien und den USA verfolgt wird – kann eine Grundlage sein, an die Betrachtungen zur Modefotografie anknüpfen können. Abseits von Fachzeitschriften, Sammelbändern und Monographien ist die Tageszeitung zum Informationsträger aktueller Tendenzen in der Mode und Modefotografie geworden. Dass oftmals eben nicht Kunsthistoriker, sondern Journalisten Modefotografien besprechen, scheint eine weitere These von Williams zu bestätigen: »Journalists (usually fashion or style journalists) have become the main chroniclers of fashion photography.«39 Der nahe Bezug zur Mode und die hieraus resultierende Aktualität erwecken die Aufmerksamkeit der Journalisten von Tageszeitungen wie der Süddeutschen Zeitung oder der New York Times. Obwohl diese Quellen durchaus bedeutsam sind und Themen aufgreifen, die einem großen Teil der Öffentlichkeit entgehen würden, sind diese Medien meist gegenwartsorientiert und das Modefoto als Ereignis gerät schnell wieder in Vergessenheit. Primär ist es dem Interesse der Ausstellungsbetriebe zu verdanken, dass Geschichten der Modefotografie geschrieben und festgehalten werden. Auffallend hierbei ist ein Wandel des zeitlichen Interesses. Statt chronologischer Übersichtsschauen, hat sich der kuratorische Fokus zunehmend auf ausgewählte künstlerische Positionen und Themenschauen zur jüngsten Vergangenheit verlagert. Zu Beginn des neuen Jahrtausends präsentiert die Ausstellung Imperfect Beauty. The Making of Contemporary Fashion Photographs im Victoria & Albert zeitgenössische britische Modefotografie. Der begleitende Ausstellungskatalog von Charlotte Cotton (2000) legt den Fokus auf die kollaborativen Produktionsprozesse und setzt sich hauptsächlich aus Interviews mit Fotografen, Artdirectors und Stylisten zusammen.

39 Williams, 1998: 99.

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Ferner deutet der Titel auf ästhetische Vorstellungen und einen Wandel im vorhergegangen Jahrzehnt hin.40 Die 1990er Jahre stehen auch im Mittelpunkt von Fashioning fiction in photography since 1990 (2004), der ersten Ausstellung im Museum of Modern Art, New York, in der sich ausschließlich dem Thema Modefotografie angenommen wird. Die Kuratorinnen Susan Kismaric und Eva Respini haben mit der Ausstellung und dem ergänzenden Katalog einen wertvollen Beitrag zur Bedeutung des narrativen Elements in Modefotografien geliefert und den Einfluss des Films sowie die Tradition des Schnappschusses verdeutlicht.41 Im deutschsprachigen Raum legt 1990 die umfassende Ausstellung Modefotografie von 1900 bis heute im Kunstforum Länderbank Wien den Grundstein zur historischen Auseinandersetzung. Der Direktor des Kunstforums hat die Intentionen der Ausstellung als Darbietung eines »beinahe lückenlosen Bild[es] aller für die Entwicklung der Modefotografie bedeutenden Fotografen [...]« ausgelegt, in der »[...] insbesondere die Leistungen der deutschen Modefotografie nach 1945 erstmals im internationalen Kontext präsentiert werden.«42 Gewiss ist eine beinahe vollständige Übersicht über diesen Zeitraum ein hochgestecktes Ziel. Aber die Bemühungen, die deutsche Modefotografie innerhalb ihres international ausgerichteten Wirkungsraumes in ihrer Herkunft zu verorten, verdeutlicht die Auswirkungen der Vertreibung und Unterdrückung kreativen Potentials durch die Nationalsozialisten. Besonderes Bemühen, die Modefotografie in Deutschland als erhaltungs- und ausstellungswürdiges Objekt zu etablieren, kann man F.C. Gundlach zusprechen. Anlässlich seines 65. Geburtstages hat der Modefotograf, Sammler und Kurator 1991 einen großen Bestandteil seiner Kollektion der Fotografischen Abteilung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe gestiftet und somit einen neuen Sammlungsschwerpunkt begründet.43 Diese Sammlung bedeutender modefotografischer Arbeiten hat die Basis für diverse Ausstellungen und Publikationen geboten, an denen Gundlach mitgewirkt hat. Erwähnenswert ist mitunter der Katalog zur Ausstellung Mode-Körper-Mode (2000), der eine chronologische Übersicht der internationalen und vor allem der deutschen Modefotografie vom Ende des 19. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts bietet. Darüber hinaus haben ausstellungsbegleitende Veranstaltungen den Gedankenaustausch über Definition und Vielfalt der Modefotografie initiiert. Die Publikation zum gleichnamigen Symposium Schnittstellen. Mode und Fotografie im Dialog (2010 veröffentlicht) hat für die Schwerpunkte die-

40 Vgl. Cotton, 2000: 6-7. 41 S. hierzu besonders Kismaric/Respini, 2000: 12, 22 und 25-26. 42 F.C. Gundlach in: Kat.Ausst. Modefotografie, 1990: 7. 43 S. Wilhelm Hornbostel in: Kat.Ausst. ModeWelten, 1991: 5.

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ser Untersuchung einige relevante Beiträge, zum Beispiel zu den Arbeiten Steven Meisels sowie zum Modeblog The Sartorialist von Scott Schuman, zusammengetragen.44 Obwohl sich im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ein Umbruch in der Rezeption von Modefotografien beobachten lässt und der fotografischen Praxis eine bisher ungewohnte Aufmerksamkeit zugesprochen wird, bleibt die Grenze zwischen Kunst und Modefotografie meist noch deutlich spürbar. Gerade dieses Paradoxon scheint jedoch immer öfters zur ausführlichen Auseinandersetzungen mit dem fotografischen Einsatzgebiet anzuregen. In Chic Clicks. Modefotografie zwischen Auftrag und Kunst (2002) wird die Gültigkeit der Unterscheidung zwischen in Auftrag gegebenen und frei entstandenen Arbeiten kritisch hinterfragt. Dabei stehen vor allem Werke aus den 1990er Jahren im Fokus. Ebenfalls auf dieses Jahrzehnt ausgerichtet ist die Ausstellung Not in Fashion. Photography and Fashion in the 90s, die 2010 im Frankfurter Museum für Moderne Kunst zu sehen ist und deren Titel bereits auf ein komplexes Zusammenspiel von Fotografie und Mode hinweisen will. 1.2.2 Mode und Gesellschaft Im 19. Jahrhundert werden die Begriffe Mode und Modernität insbesondere durch Baudelaire geprägt, der in seinen Schriften beide in einem Zuge verwendet. Er erkennt in ihnen das fortwährende Streben nach Schönheit und den Versuch, sich einem Ideal zu nähern. So setzt sich für ihn das Schöne aus zwei Elementen zusammen: dem Ewigen und Unveränderlichen sowie dem zeitlich Bedingten, das abhängig von der Epoche der Mode ist. Damit definiert er das Ideal als eine unbeständige Kategorie, der man sich lediglich annähern kann, die letztendlich aber unerreichbar bleibt. Modernität definiert Baudelaire als das Vorübergehende, Entschwindende und Zufällige.45 Er versteht die Mode als bestimmte Haltung einer Epoche, als »flüchtige, vergängliche Schönheit des gegenwärtigen Lebens.«46 Folglich spricht sich Baudelaire dagegen aus, die Kleidermode als belanglos abzutun. Stattdessen weist er auf ihre Bedeutung im Prozess der Annäherung an ein zeitgenössisches Ideal hin. Die Frau nimmt hierbei eine Schlüsselrolle ein, denn die Schmückung ihres Körpers und der Drang, besser als die Natur erscheinen zu wollen, gehören, so

44 S. Rüter, 2010 und Kessemeier, 2010. Das Symposium fand 2008 im Rahmen einer Retrospektive zum Werk Gundlachs statt. Durch die Umsetzung von parallelen Veranstaltungen, in denen nicht nur Gundlachs Schaffen im Fokus stand, wurde der Leitgedanke bekundet, ein breites Spektrum der Fotografie zu fördern. 45 Baudelaire, 1990 [a]: 301. 46 Baudelaire, 1990 [a]: 320.

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Baudelaire, zu den Rechten und Pflichten ihrer Weiblichkeit und tragen zur Lebendigkeit der Mode bei.47 Baudelaires Schilderungen zum Schönheitsdrang der Frau weisen, ähnlich wie die Ausführungen zur individuellen Beschaffenheit des Dandys, auf die Bedeutung hin, die Kleidung als Element des gesellschaftlichen Zusammenlebens zugesprochen werden kann.48 Mit seiner Wertschätzung der Mode als Phänomen der Moderne sowie als Ausdruck der eigenen Zeit ist Baudelaire lange Zeit eine Ausnahme geblieben. Die Warenkonnotation, primäre Verortung in eine weibliche Interessensphäre und die von Baudelaire geschätzte Eigenart der Vergänglichkeit haben dazu geführt, dass die Mode von vielen Autoren als redundantes Thema erachtet wurde.49 1879 eröffnet Friedrich Theodor Vischer seinen Aufsatz Mode und Zynismus mit der Feststellung, dass nachdenkliche Menschen gewöhnlich besseres im Sinne hätten, als sich mit der Mode zu beschäftigen. Doch in Zeiten extremer Geschmacksverstöße sehe er es als nachdenklicher Beobachter als seine Aufgabe an, auf die Verrücktheiten der Mode hinzuweisen.50 Im Zuge seiner detaillierten Beschreibungen zeitgenössischer Modeirrtümer offenbart Vischer eine wesentliche Charakteristik der Mode: Trotz ihrer scheinbaren Belanglosigkeit verfügt sie über die Fähigkeit, Aufmerksamkeit zu erregen und dadurch zu einem gesellschaftlichen Thema zu werden. Mode spielt sich demnach vorwiegend im öffentlichen Raum ab, wird dort präsentiert und von aufmerksamen Beobachtern wie Baudelaire, aber auch von weitgehend desinteressierten wie Vischer, wahrgenommen und bewertet. Als Ursachen der modischen Geschmacksverstöße erachtet Vischer die Schnelllebigkeit der Mode und den Drang zum stets Neuen. Im Gegensatz zu Baudelaire schätzt er ihre Flüchtigkeit nicht als ein Streben nach Schönheit, sondern erkennt darin den Verfall des Guten und Bewährten.51 Der Ursprung der Mode ist eng mit der Entwicklung der westlichen Gesellschaft verbunden und kann im Grunde nicht losgelöst von der Geschichte des Kapitalismus betrachtet werden.52 Gilles Lipovetsky zufolge bezog sich die Mode im 19.

47 Baudelaire, 1990 [a]: 314. 48 Zum Dandytum bei Baudelaire und vergleichsweise Fürst von Pückler-Muskaus Beschreibung von George Brummel s. Baudelaire, 1990 [a]: 306-310 und Fürst von Pückler-Muskau, 1985: 19. 49 Der Bedeutung des Warenaspekts zeichnet sich in Benjamins Schriften über Baudelaires Paris als Geburtsstätte der Moderne und der Schlüsselfigur der Prostituierten ab. Vgl. Benjamin, 1974 [b]: 164. 50 Vischer, 1986: 34 und 77. 51 Vischer, 1986: 50. 52 S. weiterführend Wilson, 2003: 16-46.

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und zu Anfang des 20. Jahrhunderts inhaltlich meist auf Kleidung.53 Aber durch ihre vielfältigen Manifestationen und Inhalte hat sich die Mode zu einem komplexen und vielseitigen Phänomen entwickelt. Malcolm Barnard, ein aus den Disziplinen der Soziologie und Philosophie stammender Bildwissenschaftler, weist darauf hin, dass der Begriff Mode immer in ein Netzwerk aus anderen Begriffen eingebettet und benutzt wird. Je nach Kombination kann sich auch die Bedeutung des Begriffes Mode verändern. 54 Unterschiedliche Wissenschaftsgebiete haben sich der Frage gewidmet, wie der abstrakte Begriff Mode zu definieren ist und wie Mode in der Gesellschaft funktioniert. Bedeutende Impulse zur ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema haben um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert kritische Positionen aus der Soziologie geliefert. Thorstein Veblen beschreibt den Modewechsel in seiner 1899 verfassten Gesellschaftsstudie, die den bissigen Titel Theory of the Leisure Class trägt, als Kreislauf des Konsums, in dem die Mode primär das Prinzip der »demonstrativen Verschwendung« erfüllt: Dem erworbenen Objekt wird als Reaktion auf den unerfüllbaren Versuch, den Schönheitssinn vollkommen zu befriedigen, ein angeblicher Nutzen zugesprochen. Infolge der Täuschung stellt sich ein Gefühl der Unerträglichkeit ein und der Kreislauf wird geschlossen, indem erneut Zuflucht in einer neuen Mode gesucht wird.55 Allerdings bezweckt der Konsum nicht nur die persönliche Befriedigung, sondern zielt hauptsächlich auf eine Zurschaustellung finanzieller Verhältnisse ab. Es liegt nahe, dass sich Kleidung dafür besonders eignet.56 In Georg Simmels Schrift Die Mode (1911) wird Kleidung ebenfalls als ein Instrument zur Demonstration gesellschaftlicher Verhältnisse auslegt. So sind Moden bei Simmel immer Klassenmoden, die zwei gegensätzliche soziale Bedürfnisse bedienen: verbinden und unterscheiden. Demzufolge unterliegt der Modewechsel einem festen Zyklus, in dem sich die obere Klasse durch neuartige Modeobjekte von den unteren Klassen äußerlich abgrenzt. Im weiteren Verlauf des Prozesses übernimmt die untere Klasse jedoch diese Mode und daraufhin entsteht wieder eine neue Mode.57 Simmel charakterisiert den Modezyklus als Kreislauf der verantwortungslosen Nachahmung, in dem insbesondere die unteren Klassen nicht aktiv teilnehmen, sondern lediglich imitieren.58

53 Lipovetsky, 1994: 16. 54 Barnard, 2002: 10. 55 Veblen, 1994: 43-62 und 108-109. 56 Veblen, 1994: 103-115. 57 Simmel, 1986: 180-181. 58 Simmel, 1986: 180-181. Das von einer Form der Passivität ausgehende Erklärungsmodell dient ebenfalls dazu, die dominante Präsenz der Frau in der Mode zu erläutern. So legt Simmel das weibliche Interesse an der Mode als Resultat des schwachen sozialen Standes

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Eduard Fuchs merkt allerdings bereits 1906 an, dass im Hinblick auf die Ziele des Kapitalismus eine Aufrechterhaltung der Unterscheidungsfunktion immer schwieriger wird. Da ein hoher Absatzmarkt erst durch die modische Masse ermöglicht wird, wird die Gesellschaft äußerlich einer Demokratisierung unterzogen.59 Zwei Jahrzehnte nach Fuchs’ Prognose vollzieht sich ein einschneidender Wandel des Schönheitssinnes, der als Schritt zur modischen Demokratisierung der Gesellschaft ausgelegt werden kann. Die mühelose Imitierbarkeit des reduzierten und zugleich schicken Modestils der 1920er Jahre, geprägt durch Coco Chanel, schränkt die Erkennbarkeit der sozialen Herkunft ein. Das Ideal der Klasse wird von anderen modischen Merkmalen wie Jugend und Schlankheit abgelöst. Parallel dazu wird ein out-of-date-Sein zum neuen Massentabu. Demnach bedeutet Demokratisierung in diesem Zusammenhang, so auch Lipovetsky, nicht Gleichheit.60 Grundlegende Veränderungen hat das konventionelle Theoriemodell von Mode und Klasse mit dem Aufkommen jugendlicher Subkulturen erfahren. Der im Bereich der Kulturwissenschaft zu verortende Autor Dick Hebdige definiert den Begriff Subkultur als »a form of restistance in which experienced contradictions and objections to this ruling ideology are obliquely represented in style.«61 Die traditionelle Klassentheorie wird bei Hebdige von Problemstellungen abgelöst, die um die Begriffe Identität und Masse kreisen. Dementsprechend verfolgt er die These, dass Stile gesellschaftliche Spannungen visualisieren und die Konstruktion von alternativen Identitäten stereotypische Klassen- und Geschlechtergegebenheiten in Frage stellt. Der Anthropologe Ted Polhemus, dessen Untersuchungsschwerpunkte sich hauptsächlich Fragen um Mode und Körpermodifizierung widmen, bricht, ähnlich wie Hebdige, mit der Allgemeingültigkeit des sogenannten »trickle-down«Modells, unter das auch Simmels klassenbedingte Nachahmungstheorie fällt. 62 Polhemus erachtet ebenfalls die 1970er als Jahrzehnt der Wandlung: Zuvor bezog die Mode ihre Autorität in erster Linie aus dem Mangel an Alternativen. Im Laufe der 60er Jahre wird die Mode jedoch vielfältiger und am Ende des folgenden Jahr-

und der Unselbstständigkeit der Frau aus. Veblen unterscheidet im Hinblick auf das Prinzip der demonstrativen Verschwendung zwischen männlicher und weiblicher Kleidung. Denn die Frau repräsentiert anhand ihrer Kleidung den Stand des Hausherrn. Vgl. Simmel, 1986: 190, 193 und Veblen, 1994: 105-106, 110-111. 59 Fuchs, 1986: 173. 60 Lipovetsky, 1994: 59-60 und 63. 61 Hebdige, 1979: 133. 62 Vgl. Hebdige, 1979: 96 und Polhemus, 1994: 8-13.

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zehnts ist eine Diversität modischer Stilrichtungen zu beobachten.63 Der Autor behandelt und kategorisiert in seiner Untersuchung unterschiedliche Street-Styles, die, so Polhemus, traditionelle Funktionen des Ausdrucks von Zugehörigkeit zu stammesähnlichen Gruppenstrukturen erfüllen.64 Die Möglichkeit, zwischen alternativen Stilen wählen zu können, geht einher mit dem Prozess, Entscheidungen zu treffen und die Wahrnehmung seiner Person gezielt zu beeinflussen. Diese bewussten oder unbewussten Entscheidungen können als Botschaften aufgefasst werden und machen die Mode zu einem Phänomen, das folglich als Kommunikationsform verstanden werden kann.65 Der kommunikative Aspekt von Kleidung hat die Mode insbesondere für die Semiotik zu einem interessanten Thema gemacht. Roland Barthes gehört mit der Sprache der Mode (im Französischen 1967 publiziert) zu den Ersten, die sich methodisch mit dem Thema Mode auseinandergesetzt haben. 66 Im Hinblick auf Barthes These, dass die reale Kleidung zum Zwecke der Kommunikation individuell genutzt und aktualisiert wird, stellt sich jedoch die Frage, ob überhaupt von einer allgemeinen Lesbarkeit von Kleidungscodes ausgegangen werden kann und wie eindeutig diese sind. 67 Gerade im Hinblick auf die Zunahme von Alternativen scheint die Frage gerechtfertigt. So beschreibt Polhemus die 90er als Jahrzehnt, das sich durch eine auffallende Heterogenität an Stilen auszeichnet. Die Abgrenzungen deutlich identifizierbarer Gruppierungen haben sich sukzessiv aufgelöst, mit dem Resultat der Diversität. Als Ursachen dieser Entwicklung nennt Polhemus die Präsenz jugendlicher Subkulturen in den Medien und die daraus resultierende Entwicklung eines modehistorischen Bewusstseins. Die Generation der 90er Jahre verfügt über angesammeltes Wissen, aus dem sie schöpfen, Stilelemente entnehmen und zu neuen Konstruktionen zusammenfügen kann. Um es mit den Worten Polhemus’ zu beschreiben − dem Träger von Kleidung steht am Ende des 20. Jahrhunderts ein »supermarket of style« zur Verfügung, aus dem sich nach dem Prinzip »sample and mix« bedient und Neues geschaffen werden kann.68 Die Pluralität der Stile offenbart das Potential zum individuellen und kreativen Umgang mit Kleidung und Mode. Die akademischen Perspektiven, die sich mit Bedeutung und Funktion von Mode auseinandersetzen, sind ebenfalls vielfältiger und disziplinenübergreifend

63 Polhemus, 1994. S.a. Lipovetsky, 1994: 88-96 und 103-120. 64 Polhemus, 1994: 13-16. 65 Zur Kommunikationstheorie s. Barnard, 2002 und 2007. 66 Barthes, 1985 (a). 67 Vgl. Barthes, 1985 (a): 14-15 und weiterführend Campbell, der das Sprachmodell mit dem Turm von Babel vergleicht. Campbell, 2007: 159-160. 68 Polhemus, 1994: 128-134.

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geworden. Lange Zeit haben vornehmlich Soziologen (mit Simmel und Veblen wurden hier nur die wohl bekanntesten frühen Vertreter ausgewählt) dem Thema angenommen. Im Zuge des Aufkommens neuer Methoden und erweiterter Fachbereiche haben sich die Blickwinkel und Fragestellungen vervielfacht. Als allgegenwärtige Erscheinung, die Produktions- sowie Distributionsprozessen unterliegt und zugleich ein Verhältnis mit individuellen Körpern eingeht, bietet sich die Mode als Gegenstand zur Untersuchung durch interdisziplinäre Forschungsdisziplinen (zum Beispiel Gender- oder Culture Studies) an.69 Innerhalb des Modediskurses auftauchende Schlüsselbegriffe wie Identität, Zugehörigkeit oder Pluralität verweisen darauf, dass Kleidermode eine gewisse Ambivalenz innewohnt und dass sich die Modefotografie als ihr Medium in diesem Spannungsfeld zwischen Individuum und Masse bewegt.

69 In den 90er Jahren hat sich besonders in den USA und Großbritannien ein reges akademisches Interesse an der Mode entwickelt. Zu jüngeren interdisziplinären Forschungsansätzen s. weiterführend Craik, 2009: 115-117.

II. Dokumentation, Vermittlung und Repräsentation We were trying to do something culturally significant, that would say something.1 RANKIN ÜBER DAZED & CONFUSED, 2000

2.1 S CHNITTSTELLEN

VON

F OTOGRAFIE

UND

M ODE

Der Modefotografie als fotografische Praxis wird konventionell eine dienende Funktion zugesprochen − das Medium Fotografie wird eingesetzt, um Produkte der Mode festzuhalten und in bildlicher Form wiederzugeben. Folglich kann man davon ausgehen, dass die Mode das Motiv der Modefotografie ist und die Mode die Fotografie benötigt, um ihre Intentionen zu verfolgen. Diese Auslegung ist jedoch hinsichtlich diverser Transformationen, die sich in der Beziehung von Mode und Fotografie vollzogen haben, nicht mehr ohne Weiteres aufrecht zu erhalten. Zentrale Frage dieses Kapitels ist daher, wie Modefotografie definiert wird. Zunächst soll sich der Geschichte der Modefotografie, ihrem Ursprung, der Schwierigkeit, sie von anderen Bereichen der Fotografie abzugrenzen sowie der dokumentierenden und vermittelnden Funktion gewidmet werden. Der Fokus auf die motivische Präsenz der Mode dient als Ansatz für ein Verständnis der Modefotografie als Medium der Mode. Nachdem sich das Interesse auf die Geschichte der Zeitschrift Vogue, die Pionierin des Hochglanzmagazins, gerichtet hat, soll im Anschluss die Brücke von Tradition zu Gegenwart geschlagen werden. Die Untersuchung einer im Magazin Dutch veröffentlichten Fotostrecke von Mikael Jansson und der Vergleich mit Barthes Analyse der Modefotografie in Die Sprache der Mo-

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Rankin in: Cotton, 2000: 140.

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de liefern weitere Schlussfolgerungen zu den Schnittstellen von Motiv und Medium sowie zum ästhetischen Eigenwert der Modefotografie. 2.1.1 Fotografien der Mode Über die konkreten Anfänge der Modefotografie herrscht bis heute Uneinigkeit. Dies liegt hauptsächlich an der Schwierigkeit, Modefotografie als fotografisches Genre eindeutig zu definieren. Die nahe Verwandtschaft von Portrait- und Modefotografie liegt darin begründet, dass Fotografen nicht nur das fotografische Subjekt, sondern meist auch dessen Kleidung bildlich festhalten. Sowohl Nancy HallDuncan als auch William Ewing erkennen die Carte-de-visite als historischen Vorläufer der Modefotografie an.2 Das 1854 von André Adolphe-Eugène Disdéri zum Patent angemeldete Verfahren ermöglichte die Herstellung von Portraitaufnahmen in Massenproduktion. Aufgrund des Visitenkartenformates eigneten sich die Aufnahmen von Verwandten und Bekannten zum Sammeln und Präsentieren in Fotoalben. Des Weiteren wurden aber auch Portraits berühmter Persönlichkeiten angeboten, die sich einer hohen Nachfrage erfreuten. Diese Portraits gehörten zu den ersten Fotografien von getragener Mode, die ein größeres Publikum erreichten und gleichzeitig eine kommerzielle Funktion erfüllten. Da das Format das nähere Betrachten von Gesichtern oder Details nicht ermöglichte, konnte die Fotografie allerdings nur eine vage Vorstellung von der getragenen Kleidung vermitteln.3 Aus kostümhistorischer Perspektive können die Malerei und besonders die Fotografie Aufschluss darüber geben, welche Kleidung wo, wie und von wem getragen wurde. Guillaume Garniers enzyklopädischer Eintrag im Ausstellungskatalog Anziehungskräfte. Variété de la mode 1786-1986 zum Thema Mode und Fotografie, teilt das Informationsmaterial zum Beispiel in drei relevante Bereiche ein: Portraitfotografie, Reportagefotografie sowie Fotografien in Modezeitschriften.4 Richtet man das Augenmerk vom fotografischen Motiv auf den Kontext des Modemagazins, tritt die kommerzielle Funktion in den Vordergrund, die auch als Begründung für die Eingliederung der Carte-de-visite in die frühe Geschichte der Modefotografie herangezogen wird. Hall-Duncan vermeidet zwar eine genaue Datierung der Anfänge, hebt jedoch den Aspekt der kommerziellen Verbreitung als bedeutenden Faktor für die Entfaltung eines eigenständigen fotografischen Zweigs hervor: »The exact beginnings of fashion photography have yet to be determined but they probably go back as far as the 1850’s or 1860’s, when it fulfilled its com-

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Hall-Duncan, 1979: 16 und Ewing, 1991: 10 und 14.

3

Vgl. Hall-Duncan, 1979: 16 sowie Ewing, 1991: 10 und 14. Weiterführend s. Newhall, 1998: 66-68.

4

Garnier, 1987: 152.

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mercial purpose of selling to a large audience through the medium of the printed page, that fashion photography came into common use.«5 Harrison datiert die Entstehung der ersten kommerziellen Modefotografien zeitgleich mit der Entwicklung des Halbton-Druckverfahrens, das die massenhafte Reproduktion der Fotografie im Printmedium ermöglichte.6 Die erste vollständige Reproduktion einer Modefotografie wurde 1892 im exklusiven Journal La Mode Pratique veröffentlicht.7 In der Zeitschrift Les Modes, die 1901 auf dem Markt erschien, kam die Fotografie in vollem Umfang zum Einsatz und löste die traditionelle Modeillustration ab. Ferner ließen sich Fotografien der aktuellen Modeentwürfe auch in Warenkatalogen antreffen oder Modehäuser nutzten das Medium zur archivarischen Dokumentation ihrer Roben. 8 Eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Formen von Fotografien der Mode ist besonders im Hinblick auf die Anfangszeit von Modejournalen mit fotografischen Abbildungen schwierig. Adelheid Rasche differenziert in ihrer Untersuchung der ersten Ausgabe von Les Modes zwischen vier Bildtypen. Die Modeportraits zeigen bekannte Persönlichkeiten und der Name der Portraitierten sowie des Fotografen sind den Bildunterschriften zu entnehmen. Fotografien der zweiten Gruppe unterscheiden sich stilistisch nicht von denen der ersten, sind durch die Bildunterschriften jedoch eindeutig als Modefotografien zu erkennen. Erwähnt werden das Modehaus und der Fotograf, das Model bleibt anonym. Für die Starportraits, die dritte Gruppe, sind Schauspielerinnen in privater Bekleidung oder im Bühnenoutfit abgelichtet worden. Der Leser erhält Informationen zu Person, Rolle und Kleidung. Die sogenannten Rennplatz-Fotografien gehören zum vierten Bildtyp. In den inszenierten Außenaufnahmen werden das Model und die Mode im Rahmen mondäner Pferderennen präsentiert und es wird die aristokratische Eleganz des Schauplatzes genutzt.9 Rasches Beschreibungen machen deutlich, inwieweit die Relation von Foto und Text zur Zuordnung beitragen kann. Ein Vergleich zu zeitgenössischen Publikationen würde zeigen, dass die traditionellen Bildtypen (Starportraits, Mode-, Gesellschafts- und Event-Fotografie) in vielen Magazinen noch vorzufinden sind. Als Beispiel sei hier nur das 1993 gegründete Magazin InStyle genannt, das den Fokus auf Prominente und deren modische Kleidung, Schönheitsprodukte, aktuelle Arbeitsprojekte und persönlichen Wohnstil legt. Im Gegensatz zu den Titelseiten von Vogue, die gewohntermaßen die gefragtesten Models in den

5

Hall-Duncan, 1979: 9.

6

Harrison, 1991: 10.

7

Hall-Duncan, 1979: 26.

8

Die Präsentation der Kleider an kopflosen Ständern ist ein Bildtypus, der Hall-Duncan zufolge in der Regel archivarischen Nutzen erfüllen sollte. Hall-Duncan, 1979: 30.

9

Rasche, 2007: 81-83. S.a. Hall-Duncan, 1979: 26-30.

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neuesten Designerstücken zieren, schlüpfen für die InStyle prominente Schauspielerinnen oder Sängerinnen in die Rolle des Covermodels und setzen andere Mechanismen der Konsumentenansprache in Gang.10 2.1.2 Präsenz und Nebensächlichkeit der Mode: Frühe Modefotografien in Vogue 1909 kauft der amerikanische Verleger Condé Montrose Nast das wöchentlich erscheinende Gesellschaftsblatt Vogue und führt thematische sowie gestalterische Neuerungen ein, durch die sich Vogue zum führenden Modemagazin entwickelt. »Vogue is the technical adviser − the consulting specialist − to the woman of fashion in the matter of her clothes and of her personal adornment,«11 fasst Nast zusammen und signalisiert eine autoritäre Stellung in Sachen modischen Geschmacks. In den späten 1910er und frühen 1920er Jahren beginnt das Magazin, Fotografien zu integrieren, doch die Modeillustration wird lange Zeit beibehalten. Im April 1932 wird zum ersten Mal eine farbige Fotografie im Magazin abgebildet. Kurze Zeit später (Juli 1932) schreibt eine Aufnahme Edward Steichens Magazingeschichte und wird die erste Farbfotografie auf dem Titelblatt. Mit der Einführung des Kodachrome-Farbfilms übernimmt die Fotografie die führende Rolle in der Vermittlung von Mode und leitet den Ausklang der Modeillustration ein.12 Vor Steichen prägte Baron Adolph de Meyer von 1913 bis 1922 das Erscheinungsbild des Magazins mit seinem piktorialistischen Stil. De Meyer ließ die Mode vorzugsweise von den Damen der höheren Gesellschaft oder berühmten Schauspielerinnen vorführen und setzte somit die traditionelle Überschneidung von Portraitund Modefotografie fort. Statt Mode möglichst detailliert darzustellen, setzte er ästhetische Strategien des Piktorialismus ein. Seine Experimente mit Unschärfe und Licht haben Atmosphären erschaffen, die seine Modelle der Realität entrückt und in traumgleiche Welten versetzt wirken lassen.13 In der Mai-Ausgabe des Jahres 1919 ist das Model Beatrice Beckley in Hochzeitskleidung zu sehen.14 Dem Betrachter

10 Vogue hat sich diesen Entwicklungen der Konkurrenz angepasst und zeigt seit Ende der 90er Jahre immer öfters Berühmtheiten aus anderen Branchen auf der Titelseite. Vgl. Angeletti/Olivia, 2006: 275. 11 Condé Nast zit. in: Seebohm, 1982: 76. 12 Zu Veränderungen nach Nasts Übernahme, der Etablierung als Modepublikation und der Einbindung von Fotografien s. Angeletti/Olivia, 2006: 10-15, 56-59 und 102-105. Vgl. Harrison, 1985: 20. 13 Zu de Meyer s. beispielsweise Hall-Duncan, 1979: 32-43 und Devlin, 1980: 114-115. 14 S. Baron Adolph de Meyer: ›Jewels of Enchanting Beauty‹ in: Vogue (US), 1. Mai 1919: S. 67.

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im Profil zugewandt, berührt sie mit den Fingern eine vor ihr liegende Glaskugel und richtet den Blick auf sie. Das Licht scheint sich in der Glaskugel zu sammeln und auf den feinen Spitzenstoff des Kleides zu reflektieren. Hierdurch entsteht eine Verbindung zwischen den beiden Ereignissen − der Befragung der Glaskugel und der in der Zukunft stattfindenden Hochzeit. Der gewählte Bildausschnitt vermittelt Nähe und obwohl de Meyer die Stofflichkeit des Gewandes unterstreicht, scheint die Mode nebensächlich zu sein. Zugunsten der Atmosphäre und des narrativen Elements hat der Fotograf auf eine möglichst detaillierte Ganzkörperdarstellung verzichtet. De Meyers modefotografische Position spiegelt den Streit zwischen dem jungen Medium Fotografie und der Malerei wider. Der Fotografiediskurs des 19. Jahrhunderts ist geprägt von der Frage, ob Fotografie Kunst sein kann oder nicht.15 Baudelaire verneint die Frage entschieden. Während er an der Mode ihr Streben nach Schönheit schätzt, erkennt er in der Fotografie und ihrem Streben nach Schönheit eine Gefährdung der Schönheit. Er verurteilt die Meinung seiner Zeitgenossen, Kunst sei mit einer genauen Wiedergabe der Natur gleichzusetzen und die Fotografie sei durch ihre technischen Möglichkeiten die absolute Kunst. Denn der Fotografie spricht Baudelaire nur dokumentarische und archivarische Qualitäten zu, aber keine künstlerischen.16 Zu Beginn der 1920er Jahre wirkt de Meyers träumerischer Stil überholt und wird von Steichens modernistischen Bildformeln abgelöst. Steichen rückt, mittels eines klaren Bildaufbaus und fotografischer Schärfe, Schnitt und Struktur der Kleidung in den Mittelpunkt. Motiv und Medium ergänzen sich in seinen Aufnahmen. Die Kleidermode ist zugleich Motiv und gestalterisches Element des Bildes. Obwohl Steichen kein ausgeprägtes Interesse an Mode hat, ist die Darstellung des Objektes das zentrale Anliegen seiner modefotografischen Arbeiten. Rückblickend schreibt er: »My first contribution to the fashion photograph was to make it as realistic as possible. I felt that a woman, when she looked at a picture of a gown, should be able to form a very good idea of how that gown was put together and what it looked like.«17 William Ewing, der die Modefotografie als Verschmelzung von Mode und Fotografie definiert, beschreibt Steichens Fotografien als Schlüsselbilder der Konstituierung der Modefotografie als distinktiven fotografischen Zweig. 18 Statt wie de Meyer gesellschaftlichen Status oder Ansehen der Portraitierten in den Mittelpunkt zu rücken, ist Steichens Intention, Mode durch das Model darzustellen, das die Trägerin der Mode verkörpert. So schreibt er über sein bevorzugtes Model

15 Zum Fotografiediskurs des 19. Jahrhunderts s. Stiegler, 2006: 15-55. 16 Baudelaire, 1990 [b]: 205-208. 17 Steichen, 1963: o.S. (Kap. 7). 18 Ewing, 1991: 8.

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Marion Morehouse: »Miss Morehouse was no more interested in fashion as fashion than I was. But when she put on the clothes that were to be photographed, she transformed herself into a woman who really would wear that gown.«19 Steichens ehemaliger Förderer Alfred Stieglitz, der seine Arbeiten wiederholt in Camera Works publiziert und mit ihm gemeinsam die Galerie 291 gegründet hatte, fasst die kommerzielle Arbeit für das Modemagazine hingegen als Verrat an der künstlerischen Fotografie und den Anliegen der Photo-Secessionisten auf. Woraufhin der Verlag Steichen den Vorschlag unterbreitet, seine Fotografien anonym abdrucken zu lassen. Der Fotograf lehnt das Angebot jedoch ab und veröffentlicht die Arbeiten weiterhin unter dem eigenen Namen.20 Der Konflikt zwischen Steichen und Stieglitz veranschaulicht die oppositionelle Gegenüberstellung von Kunst und Kommerz, die bis heute bezeichnend für die Rezeption der Modefotografie ist und die zum Dreh- und Angelpunkt geworden ist, unter dem ihr Status immer wieder verhandelt wird. Ihre kommerzielle Funktion bettet die Modefotografie in ein Produktions- und Distributionssystem ein, in dem verschiedene Interessen und Visionen aufeinandertreffen, die nicht immer in Einklang stehen. Dies kann für den Fotografen zur Gratwanderung werden, bei der er sich unter Umständen entscheiden muss, inwieweit er den Fokus auf die zufriedenstellende Umsetzung der individuellen Vision oder die Ansprüche der Auftraggeber, Designer und des Publikums legt. So beschreibt Anna Wintour, Chefredakteurin der amerikanischen Vogue, im Vorwort der Publikation The Idealizing Vision. The Art of Fashion Photography (1991) Modefotografie als eine unbehagliche Mischung aus Kunst und Kommerz und erkennt im Untertitel des Buches das zugrunde liegende Paradoxon von Kunst und Mode: Auf der einen Seite tragen die Moderedakteure dafür Verantwortung, dass nach Produktionsende verwendbare Aufnahmen vorgelegt werden, in denen die Modeobjekte zu erkennen sind. Auf der anderen Seite haben gute Fotografen den Drang, künstlerisch wertvolle Bilder zu erschaffen, die in der Erinnerung haften bleiben.21 Bereits 1936 hat sich die damalige Vogue-Chefredakteurin Edna Woolman Chase zum Konflikt von Modedarstellung und Kunstanspruch geäußert. Doch im Gegensatz zu Wintour hat sie klare Prioritäten gesetzt, wie aus einer Anweisung an die Fotografen hervorgeht: »I’m sick and tired of having women say to me: How is this dress made?, What is it like? Concentrate completely on the dress, light it for this

19 Steichen, 1963: o.S. (Kap. 7). 20 Devlin, 1980: 115-116. Steichen erwähnt Stieglitz in seinen Schilderungen nicht. Aber er bekundet seine Überzeugung, für die eigenen Werke mit seinem Namen einzustehen. »I also said that, if I made a photograph, I would stand by it with my name; otherwise I wouldn’t make it.« Steichen, 1963: o.S. (Kap. 7). 21 Wintour, 1991: 4.

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purpose, and if that can’t be done without art then art be damned.«22 Beinahe dreißig Jahre später äußern sich auch die Designer explizit zu der Problematik. Im amerikanischen Magazin TIME erscheint 1965 der Artikel The Furor over Fashions, der die Entrüstung über zunehmend künstlerisch ambitionierte Bildlösungen, in denen Modestücke zu bloßen Requisiten werden, wiedergibt.23 Die Geschichte der Modefotografie haben meist jene Fotografen gekennzeichnet, die von einer Suche nach innovativen Möglichkeiten zur bildlichen Darstellung oder Repräsentation der Mode angetrieben werden. Dabei wird die Mode immer öfter beinahe beiläufig in Bilder eingebunden, die augenscheinlich mehr beabsichtigen als Fotografien der Mode zu sein. Gewiss wirkt der kommerzielle Rahmen in vielen Fällen einer Entfaltung kreativer Ideen entgegen. Er kann aber auch eine vorantreibende Wirkung entfalten und »womöglich sind es die enggezogenen Grenzen, die das kreative Potential der hervorragendsten Fotografen herausgefordert haben, an denen sie sich reiben konnten und die umgekehrt stets natürlich auch zur Überschreitung eingeladen haben.«24 2.1.3 Die Abwesenheit der Mode »Mode ist eigentlich eine darstellende Kunst, sie überlebt nur im Bild«,25 bemerkt Kranzfelder und weist auf die Gemeinsamkeiten von Performancekunst, Happening und Mode hin. Alle drei Darstellungs- oder Ausdrucksformen zeichnen sich durch Körperbezogenheit, ihre flüchtiges Wesen sowie die Angewiesenheit auf ein unmittelbar anwesendes Publikum oder eine Form der Dokumentation aus. Fotografien und Aufzeichnungen von Laufstegshows (wie sie in den Magazinen und mittlerweile auch oft im Fernsehen übertragen werden oder als Videos in den Modegeschäften zu sehen sind) ermöglichen der Masse, an den Präsentationen der neuesten Mode teilzuhaben − ein Privileg, das lange Zeit nur einem kleinen Kreis vorbehalten war.26 Im Hinblick auf die Modenschau macht Evans auf eine weitere bedeutsame Entwicklung aufmerksam. Oftmals werden einige sensationelle Modestücke speziell zum Zweck der Inszenierung für den Laufsteg entworfen und im Anschluss archiviert. Unter Umständen gelangen die Objekte im Rahmen von Ausstellungen später noch einmal ins Scheinwerferlicht. Doch da nur ein relativ begrenzter Kreis tatsächlich in der Lage ist, sich die hochpreisigen Designerstücken der Laufstege anzueignen, ist die mediale Vermittlung durch Bilder oft der einzige Weg, über den

22 Edna Woolman Chase zit. in: Yoxall, 1966: 102. 23 O.N., 1965: 52. 24 Honnef, 1990: 14. 25 Kranzfelder, 1993: 62. 26 Vgl. Lehmann, 2002: T12 und Evans, 2008: 18.

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die Mode mit der breiten Öffentlichkeit in Verbindung tritt. Nach Ende der Schauen wird nicht das Kleidungsstück zur konsumierbaren Ware, sondern das Foto. 27 ›Homosapiens Modernus‹ Am Beispiel einer im Magazin Dutch erschienen Fotostrecke von Mikael Jansson wird deutlich, welch repräsentative Funktion die Fotografie zu erfüllen vermag. Die Strecke mit dem Titel ›Homosapiens Modernus‹ (Nr. 18, 1998) umfasst achtzig Seiten Schwarz-Weiß-Fotografien, in denen nicht ein Kleidungsstück zu sehen ist. Nackt und ungezwungen zeigt sich eine Gruppe von Models in einer Waldlandschaft − auf einen Baum kletternd, die Füße in einen Bach gestreckt oder mit Blumenkranz als Kopfschmuck in die Kamera blickend. Die Posen und Handlungen vermitteln ein Gefühl des Sich-Treiben-Lassens in der Abgeschiedenheit der Natur und jenseits der Hektik des urbanen Lebens. Das dämmernde Tageslicht auf den nackten Körpern erzeugt eine intime und idyllische Atmosphäre. Im Sinne von Baudelaires Auslegung der Mode als das Künstliche und seiner Beschreibung der Unvereinbarkeit von Mode und Natur, würde Kleidung in dieser Landschaft beinahe unpassend wirken und gegen den Eindruck des Natürlichen und Ungezwungenen arbeiten.28 Das Modefoto wird hier nicht durch die visuelle Wiedergabe von Kleidung definiert, sondern lediglich durch das Hinzufügen von moderelevanten Texten. Jeder Seite sind die Namen von Designern oder Modehäusern (Gucci, Lacroix etc.) in Form von traditionellen Modeangaben hinzugefügt worden. Obwohl zwischen der zuvor besprochenen Arbeit de Meyers und der Janssons beinahe achtzig Jahre liegen, haben beide Fotografen mit ihren eigenen Mitteln die Abkehr von einer instrumentalisierten Modefotografie angestrebt, deren Hauptintention eine möglichst objektive Wiedergabe der Kleidung ist. Stattdessen liegt der Fokus auf der Erschaffung von Atmosphären. Beide haben hierfür unterschiedliche Stilmittel eingesetzt. De Meyer hat sich Techniken des Piktorialismus bedient. Jansson hingegen betont die spezifische Qualität seines Mediums, indem er vorwiegend Ästhetiken der Dokumentarfotografie anwendet: Die direkten Blickkontakte mit der Kamera bestätigen die Anwesenheit des Fotografen, die Figuren heben sich kontrastreich vor dem Hintergrund ab und sind teilweise ungünstig am Bildrand beschnitten, wodurch der Eindruck von Flüchtigkeit entsteht. Einige andere Aufnahmen wirken jedoch verschwommen und Gegenlicht verleiht den Szenen eine idyllische Wirkung (Abbildung 1), vergleichbar mit de Meyers stimmungsvollen Bildlösungen.

27 Evans, 2003: 47 und Evans, 2008: 21-25. 28 Vgl. Baudelaire, 1990 [a]: 312-314.

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Abbildung 1: Mikael Jansson: ›Homosapiens Modernus‹.

In: Dutch, 1998 (Nr. 18).

Jansson rückt zugleich das visuelle Potential der Modefotografie und die Frage nach einer Botschaft in den Fokus. Matthias Vriens, Chefredakteur des Magazins, legt einleitend die Aussage der Modestrecke aus: »On the pages that follow, you will see a story that requires a certain imagination, since we have left the clothes to be filled in by you. We have merely provided the brands. The ultimate message, however, is one of freedom from censure, from fashion and from fear. It’s a story which will hopefully make you realise that we as human beings are equal, but at the same time unique. Individuals with the potential to break free and make a difference. That is what homosapiens modernus means to me.«29

Die Nacktheit verweist auf die bedeutungsvolle Präsenz des Körpers in der Modefotografie, da durch ihn das Modeobjekt erst belebt wird. Außerdem verdeutlicht der nackte Körper die Zugehörigkeit des Individuums zu einem Kollektiv. Den Homosapiens Modernus steht frei zu entscheiden, wie sie sich geben und wer sie sein wollen. Mode bietet sich demnach als eine Möglichkeit an, um die eigene Erscheinung zu konstruieren. Eine ähnliche Strategie der Anbringung von Modeangaben zu nicht abgebildeten Kleidungsstücken wurde erstmals in dem Magazin Interview verwendet. So

29 Matthias Vriens in: Dutch, Nr. 18, 1998: 120.

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wurden zum Beispiel einem Brustbild auch Informationen zu den getragenen Schuhen beigefügt.30 Obgleich die Mode (gemeint ist ihre Manifestation als Kleidungsstück) in Janssons Fotografie nicht festgehalten wird, verleiht ihr die Kombination von materieller Abwesenheit und textueller Präsenz Bedeutung. Entsprechend Barthes’ Auslegung des Textes als bedeutendes »Konnotationsverfahren des fotografischen Bildes« wird hervorgehoben, dass Text und Bild als Informationsträger unterschiedliche Strukturen bilden. Dabei formt der Text »[...] eine parasitäre Botschaft, die das Bild konnotieren, das heißt ihm ein oder mehrere zusätzliche Signifikate ›einhauchen‹ soll.«31 Die Modenachweise versehen die Fotografien mit Konnotationen, die nicht im Bild enthalten sind, und definieren sie − trotz der Abwesenheit von Modeobjekten − rückwirkend als Modefotografien.32 Doch wenn die Modefotografie keine Fotografien der Mode erfordert, wie lässt sie sich definieren? In Die Sprache der Mode legt Barthes 1967 Kleidung noch als das primäre Motiv der Modefotografie aus. Die Fotografie trägt in der Mode dazu bei, vor dem Signifikanten, der Kleidung, »einen Schleier von Bildern, Motiven und Bedeutungen auszubreiten [...]« und ein »[...] Trugbild des realen Objektes zu schaffen.«33 Statt lediglich die Trägerin der Mode zu fotografieren, äußert Barthes, wird um sie herum immer häufiger eine Welt aus Signifikaten erschaffen. Diese Welt dient als Dekor, wodurch das »Theater der Mode« entsteht. Eine »[...] von allem Naturalismus befreit[e]« Welt, die um die Kleidung konstruiert wird und auf den Effekt abzielt, dass nur noch sie glaubwürdig für den Betrachter erscheint. 34 Vergleicht man Barthes’ Beschreibung mit Janssons fotografisch konstruierter Welt, lässt sich eine Umkehrung erkennen. Denn gerade durch die Verbannung der Kleidung erhalten die zusätzlichen Modehinweise ihre Glaubwürdigkeit. Es scheint, als sei die Modefotografie nicht mehr so präzise definierbar, wie Barthes’ Analyse vermuten lässt. Susan Sontag hat bereits 1978 festgestellt, dass das Einwirken des fotografischen Bildes auf das Verständnis von Mode evidenter geworden ist und die Mode immer mehr zur Modefotografie wird.35 Modefotografien können zwar primär Fotografien der Mode sein, sie können aber auch deutlich komplexere Vermittlungsstrategien vorweisen. Wird die Mode als Bildelement zunehmend nebensächlicher, so wird die kommerzielle Botschaft häufig vordergründig verschleiert. Die fotografischen Bildlösungen zeichnen sich ebenso wie die zeitgenössische Mode durch eine Vielfalt aus, die »immer wieder [...] dazu verlei-

30 S. Kismaric/Respini, 2004: 20. 31 Barthes, 2013 [b]: 21. 32 Vgl. Barthes, 2013 [b]: 22. 33 Barthes, 1985 (a): 10. 34 Barthes, 1985 (a): 311-313. 35 »More and more, fashion is fashion photography.« Sontag, 1978: 508.

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tet, über das Wesen der ›Mode‹ und das der ›Fotografie‹ zu philosophieren«.36 Beide Bereiche stehen in der Modefotografie nicht in einer eindeutig festlegbaren und unveränderlichen Beziehung zueinander, sondern in einer instabilen und aktualisierbaren.

2.2 D IE E ROBERUNG

DER

K UNSTWELT

Die Geschichte der Fotografie ist gezeichnet von dem Bestreben sowie der Abneigung verschiedener Autoren und Kritiker, das Medium innerhalb der Kunstgeschichte zu positionieren. Soll die Fotografie – im Sinne Baudelaires – der Kunst lediglich dienen oder kann sie selbst Kunst sein?37 Von der Amateurfotografie bis hin zur professionellen Fotografie kann der Fotoapparat vielfältig eingesetzt werden. Entsprechend folgert Abigail Solomon-Godeau: »I would submit that the history of photography is not the history of remarkable men, much less a succession of remarkable pictures, but the history of photographic uses.«38 Zentraler Gedanke dieses Kapitels ist das Gleiten der fotografischen Praxis Modefotografie zwischen den Bereichen Kunst und Kommerz. Zunächst gelangen die Schnittstellen von Mode, Kunst und Fotografie im Kontext des Magazins in das Blickfeld der Untersuchung. Einleitend wird der Stellenwert, der Mode in Kunstmagazinen und im Rahmen der Institution Museum zugesprochen wird, näher betrachtet, um Rückschlüsse auf die Entwicklung der Beziehung von Kunst und Mode ziehen zu können. Als bedeutende Schlüsselfigur kann Andy Warhol in diesem Zusammenhang nicht umgegangen werden. Anhand seiner Person wird die Brücke zu den 90er Jahren und zum Austausch der britischen Kunstszene mit der Modewelt geschlagen. Im Hinblick auf die thematische Auflösung der Grenzen von Hoch-und Populärkultur lässt sich auch der Begriff Lifestyle-Magazin präzisieren. Anschließend wird der Fokus auf die Platzierung in neue Kontexte gelegt − womit vornehmlich die Überführung in den Ausstellungsraum gemeint ist. Zu den zentralen Fragen gehört in diesem Zusammenhang: Welche Auswirkungen hat die Transformation vom Gebrauchsgegenstand zum ausstellungswürdigen Objekt? Wie wirken sich die diversen Kontexte auf die Betrachtererfahrung aus? Im letzten Teil dieses Unterkapitels stehen der Modefotograf und sein Selbstverständnis als Auftragsfotograf und/oder Künstler zentral. Am Beispiel Jürgen Tellers soll gezeigt werden, wie sich der Modefotograf zwischen Auftrag und Autonomie bewegt und die Mode sich charakteristische Positionen von Fotografen zu eigen macht.

36 Kaufhold, 1993: 6. 37 S. Baudelaire, 1990 [b]: 199-229. 38 Solomon-Godeau, 1991: xxiv.

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2.2.1 Mode, Kunst und Lifestyle Is Fashion Art? fragt Sung Bok Kim in dem gleichnamigen Artikel, der die thematische Präsenz von Mode in amerikanischen Kunstmagazinen (publiziert zwischen den Jahren 1980 und 1995) behandelt. Einleitend weist die Autorin auf die Auswirkungen einer Differenzierung zwischen Alltagsfunktion und Ästhetik der Mode hin: Da ästhetische Qualitäten häufig von der Analyse ihrer Funktionen überschattet werden, sind gezielte Untersuchungen hierzu im Modediskurs eher selten. Diskutiert wird der Kunststatus der Mode sowohl in den Sphären der Kunst als auch in denen der Mode kontrovers.39 Richard Martin hat sich als Kunsthistoriker und Kurator einiger vielbeachteter Ausstellungen im Museum des Fashion Institute of Technology (FIT), New York explizit bejahend zum Kunstpotential der Mode geäußert. Die kommerziellen Interessen der Mode legt er ihr nicht zum Nachteil aus, sondern betont, dass die Mode im Vergleich zur Kunst ihren Warenstatus und Aspekte der Vermarktung schlichtweg weniger diskret behandelt.40 Die Gegenseite wendet zur Differenzierung zwischen Kunst und Mode häufig typische Entgegensetzungen bezüglich Intention und Produktion an. So schreibt Michael Boodro, Journalist und Redakteur im Bereich Kunst und Wohndesign, 1990 in Artnews: »Fashion is not art. Fashion is frivolous and unimportant.«41 Er fährt fort und schildert die enge Beziehung von Kunst und Mode, um zuletzt auf die wesentlichen Unterschiede hinzuweisen: »Art is typically private, the creation of an individual. Fashion is public, a collaboration between designer, manufacturer, and wearer and then between wearer and viewer. Art requires time, contemplation, and thought. Fashion is instantaneous − a flash of color and shape on the street; a new idea to be mocked or embraced [...] while most of us are not artists, we all get dressed everyday.«42

Chris Townsend stellt diese traditionelle Auffassung jedoch in Frage und sieht in ihr den Versuch, die Kunst weiterhin von den angewandten Künsten abzugrenzen, um ihre erhöhte Stellung beizubehalten und zu legitimieren.43

39 Kim, 1998: 51-52. 40 Entsprechend lassen sich, Martin zufolge, die subjektiven Kriterien, die einen guten Künstler auszeichnen können, auf die Beschreibung eines guten Designers übertragen. Richard Martin in: Martin/Turner, 1996: 16. 41 Boodro, 1990: 120 und 121. 42 Boodro, 1990: 127. 43 Townsend, 2002: 18.

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Weiteren Aufschluss über den künstlerischen Stellenwert, der Mode zugesprochen wird, kann ein Blick auf die Sammlungs- und Ausstellungspraxis von Museen geben. Seit Mitte des 19. Jahrhundert haben viele Museen Textil- und Kleidungsstücke in ihre Sammlungsbestände aufgenommen. Dennoch ist das historische Kostüm, im Vergleich zu anderen Objekten des Kunstgewerbes, lange Zeit als geringwertig erachtet und zeitgenössische Mode nicht erfasst worden.44 Einen bedeutenden Wendepunkt in der Ausstellungspraxis verzeichnet das Jahr 1971. Auf Initiative des Fotografen Cecil Beaton begann das Victoria & Albert Museum ab 1969 eine umfassende Kollektion zeitgenössischer Mode anzulegen, die 1971 in Fashion: An Anthology by Cecil Beaton präsentiert wurde.45 In den USA erregte Diana Vreeland, Beraterin des Costume Institute am Metropolitan Museum of Art (Met) in New York und vormalige Chefredakteurin der amerikanischen Vogue, als Kuratorin von zahlreichen Modeausstellungen Aufsehen. Für Kritik sorgte vor allem ihr oft bewusst ahistorischer Umgang mit den Objekten zu Gunsten einer spektakulären und modernen Wirkung. Als erste umfassende Ausstellung zum Werk eines noch lebenden Designers verursachte ihre Retrospektive Yves Saint Laurent 1983 einen Eklat. Die Verschränkung von kultureller Räumlichkeit und kommerziellem Interesse rief eine Kontroverse hervor, die bei ähnlichen Ausstellungskonzepten und besonders durch das Auftreten von Sponsoren aus dem Bereich der Mode immer wieder laut wurde.46 Besonders in den 90er Jahren

44 In der Geschichte der Modeausstellung gilt die Pariser Weltausstellung 1900 als erstes bedeutendes Ereignis. Anhand von Wachsfiguren, die historische Kostümreproduktionen oder aktuelle Modekreationen zur Schau stellten, wurden im Palais du Costume historische und zeitgenössische Szenen aus dem Leben nachgestellt. Das Victoria & Albert Museum lehnte 1913 eine Schenkung zeitgenössischer Stücke ab, aber besitzt heute weltweit eine der größten Textil- und Modesammlungen. S. Clark/de la Haye, 2014: 11-15. Zur Entwicklung musealer Kostümabteilungen und der Gründung eigenständiger Modemuseen in Frankreich, Großbritannien und den USA s. weiterführend Steele, 2008: 8-9. 45 Trotz des Erfolges der Ausstellung und der hohen Besucherzahlen vergingen bis zur nächsten intern konzipierten Modeausstellung mit zeitgenössischem Bezug 16 Jahre. Clark/de la Haye/Horsley, 2014: 69-71, 74 und weiterführend 89-168. S.a. Kat.Ausst. Fashion an Anthology by Cecil Beaton, 1971. 46 Das Met hat daraus die Konsequenz gezogen, keine weiteren Ausstellungen zum Werk von noch lebenden Designern auszurichten. Dennoch hat sich die Überblicksschau zum Schaffen eines bestimmten Designers zur wohl zuschauerträchtigsten Form der Modeausstellung entwickelt. Beispiele hierfür sind die diversen Ausstellung zum Werk Gianni Versaces (u.a. 1992 im Design Laboratory des FIT sowie 1997 im Met), die Retrospektiven Christian Dior (Met, 1997) und Giorgio Armani (Met, 2000) sowie Alexander

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lässt sich eine ansteigende Popularität von Modeausstellungen wahrnehmen. Im Vergleich zur konventionellen Kunstausstellung lässt sich vermuten, dass Mode als Ausstellungsthema zugänglicher erscheint und eine breite Masse anspricht.47 Die Öffnung des Museums für den Gegenstand Mode ruft die traditionellen Gegenüberstellungen von Kunst und Kommerz sowie Bildung und Unterhaltung hervor. Das Kunstmagazin verknüpft diese beiden Intentionen, da es in der Regel in massenhafter Auflage erscheint und zu informieren und bilden beabsichtigt. Richtungsweisend für eine Erweiterung des inhaltlichen Spektrums ist 1982 die FebruarAusgabe von Artforum, auf deren Cover ein Kleid von Issey Miyake zu sehen ist.48 Die nüchterne Inszenierung des Modeobjektes spricht dafür, dass das Cover nicht als Ausdruck des Interesses an der Fotografie, sondern an der abgebildeten Mode aufzufassen ist. Ohne weitere bildliche Ausschmückungen wird das skulptural anmutende Kleid am Model präsentiert.49 Mit der kontextuellen Verschiebung der Mode auf die Titelseite eines Kunstmagazins hat Artforum für Aufsehen und Empörung gesorgt und die Frage forciert: Kann Mode Kunst sein? Ingrid Sischy, die neben Germano Celanto verantwortliche Redakteurin, hat diesen Schritt nicht als Erklärung der Mode zur Kunst ausgelegt, sondern als eine Ausdehnung des Verständnisses, welche Objekte unter die Definition künstlerischer Kreativität fallen. 50 Sischys Perspektive entsprechend resümiert Kim in ihrer Analyse, dass in Folge der Tendenz zur Interdisziplinarität und der Erweiterung des Kunstbegriffes die kunstkritische Auseinandersetzung mit der Mode im Kunstmagazin zugenommen hat.51 Denn trotz der Beharrlichkeit kultureller Hierarchiezuweisungen wird Mode zu-

McQueen. Savage Beauty (2011) als eine der erfolgreichsten Ausstellungen des Museums. Steele, 2008: 10-20. 47 Am Beispiel Großbritanniens führt Fiona Anderson den Anstieg von Modeausstellungen auf eine sich verändernde Haltung des Staates zur finanziellen Förderung von Museen zurück. Unter Druck gesetzt, ihre kulturelle Bedeutung innerhalb der Gesellschaft zu legitimieren und sinkenden Besucherzahlen entgegen zu wirken, gingen Museen in den neunziger Jahren dazu über, gezielt auf Marketing Strategien sowie das unterhaltende Potential der Mode zu setzen. Anderson, 2000: 372-374. Zum Anspruch von Bildung und Unterhaltung s. Steele, 2008: 11 und 14-15. 48 Fotografiert von Eiichiro Sakata. 49 Vgl. Townsend, 2002: 58. Die Auswahl des Myake-Kleides spricht auch für Kims Beobachtung, dass die skulpturale Qualität der Mode für Kunstmagazine der bedeutendste Aspekt ist . Kim, 1998: 64. 50 »It had nothing to do with being on a mission to say fashion is art [...]. I don’t think fashion is art, but why is that definition for artistic creativity so narrow that it’s just a painting in a frame?« Ingrid Sischy zit. in: Spindler, 1996: H40. 51 Vgl. Kim, 1998: 64 und 68-70.

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nehmend dem Bereich der visuellen Kunst zugerechnet und sowohl im Kunstmuseum als auch im Kunstmagazin dementsprechend behandelt. Die Reize von Mode und Kunst Die Beziehung von Kunst und Mode ist einem stetigen Wandel unterworfen. Welche medialen und kreativen Formen der Sphäre der Kunst zugerechnet werden können, gehört zu den Fragen, die fortwährend neu verhandelt werden. Der zweite Weltkrieg bedeutet sowohl für die Kunst als auch die Mode einen Tiefpunkt und wirkt sich entzweiend auf ihr produktives Verhältnis aus.52 In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist Andy Warhol die zentrale Person der Wiederannäherung von Kunst und Mode. Warhols Hinwendung zu Phänomenen der Populärkultur haben den Künstler als aktiven Teil und nicht nur bloßen Kommentator der Konsumgesellschaft ausgewiesen und eine medienübergreifende Grenzauflösung von Hochund Populärkultur eingeläutet. Zu Warhols ersten Aufträgen als Grafiker gehören Illustrationen von Schuhen für das Frauenmagazin Glamour. 1955 konzipiert er Anzeigen für den Schuhhersteller I. Miller, die wöchentlich in der New York Times zu sehen sind. Für das Buchprojekt À La Recherche Du Shoe Perdu trägt er im gleichen Jahr seine diversen Schuhzeichnungen zusammen53 und verzichtet somit auf die Unterscheidung zwischen kommerzieller Auftragsarbeit und Privatprojekt. In aufsehenerregender Weise nutzt Warhol Mitte der 60er den Körper zur Präsentationsfläche seiner Arbeiten und lässt Nico Papierkleider tragen, auf denen seine Banana- und FragileDrucke zu sehen sind. Andere Motive aus Warhols Repertoire von Alltagsobjekten (die Brillo-Box oder Campbell Soup-Dose) werden ebenfalls zu dekorativen Klei-

52 Als Beispiel für die Verschränkung von Kunst und Mode kann die Erweiterung der Wiener Werkstätten herangezogen werden. Neben der Textilabteilung formte sich gesondert eine Modeabteilung, die 1911 die Gewerbeerlaubnis für den Handel mit Damenkleidern erhielt. Im selben Jahr wurde das Bestreben eines direkten Austausches mit der Modewelt durch den Besuch Paul Poirets bekundet. S. weiterführend Völker, 1984. Eine Schlüsselfigur der Vorkriegszeit ist Salvador Dalí, der u.a. Titelseiten und Illustration für die Vogue konzipierte. Seine Kollaborationen mit Modeschöpferin Elsa Schiaparelli sind wegweisend für den Zusammenfall von Kunst- und Modeprodukt gewesen, wie er zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch Marc Jacobs Kooperationen (Stephan Sprouse, 2001, Takeshi Murakami, 2003, Richard Prince, 2008 sowie Yayoi Kusama, 2012) für das Modehaus Louis Vuitton einen Höhepunkt erfährt. Die nachhaltige Wirkung der surrealistischen Bewegung auf die Beziehung von Kunst und Mode veranschaulichte 1987 die Ausstellung Fashion and Surrealism. Weiterführend s. Martin, 1987. 53 Zu À La Recherche Du Shoe Perdu s. Schleif, 2013: 94-106 und zu Warhols Modeillustrationen weiterführend Martin, 1997: 70-95.

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dungselementen transformiert und durch die Neu-Kontextualisierung erneut wahrgenommen. Aber auch die Modewelt greift gezielt auf die Erzeugnisse der Kunst zurück. 1972 überführt Halston Warhols Flowers als gestalterisches Element auf seine eigenen Kreationen und beinahe zwei Jahrzehnte später eignet sich Gianni Versace Warhols Marilyn als Druck für Abendkleider an.54 Warhols Auffassung von einem aktiven Zusammenspiel von Produktion und Konsum veranschaulicht das dynamische Verhältnis von Mode, Kunst, Gesellschaft und Medien. Die künstlerische Beschäftigung mit Themen der Mode und Konsumkultur kann auf vielseitige und komplexe Weise geschehen. Seit den 70er Jahren sind kommerzielle Erscheinungsformen aus sozialkritischer oder feministischer Perspektive verstärkt im Hinblick auf ihre hierarchischen, kapitalistischen und psychologischen Mechanismen in der Gesellschaft betrachtet worden. Das Bewusstmachen von verborgenen Prozessen und Strukturen lässt sich in den 90er Jahren zum Beispiel auch in den Werken der Künstlerin Sylvie Fleury erkennen. Statt einen konträr ausgerichteten Standpunkt zur Mode und Konsumkultur zu beziehen, bringt Fleury eine ambivalente Haltung zum Ausdruck. Vergleichbar mit Warhols Strategien wird eine Position eingenommen, in der sich die Künstlerin als Teil der Konsumkultur ausweist.55 Jenes Abrücken von dem Künstlerstandpunkt des bloßen Kommentators, wie es für Warhol und Fleury Positionen bezeichnend ist, scheint zu den primären Voraussetzungen für ein lebendiges und grenzdurchlässiges Verhältnis zwischen Kunst und Mode zu gehören. Im Zuge dieser Entwicklung zeichnen sich in den 90er Jahren zwei simultan verlaufende Tendenzen ab: eine Popularität der Mode in der Kunstwelt sowie eine Popularität der Kunst in der Modewelt. Künstlern, aber auch Galeristen, Sammlern und anderen im Kunstbetrieb Tätigen wird das Potential zugesprochen, zu Berühmtheiten zu werden − insofern sie über eine hervorstechende, mediengeeignete Präsenz verfügen oder Fläche zur Identifikation bieten. Dadurch, dass das Prinzip Celebrity immer mehr auch in der Kunstwelt gilt, hat die Kunst, »wenn man so will, ihr einschüchterndes Moment verloren, indem sie selbst modeförmig geworden ist.«56

54 Weiterführend s. John W. Smith in: Kat.Ausst. The Warhol Look, 1997: 228-231. 55 S.a. Townsend, 2002: 124-127. 56 Graw, 2004: o.S. (Onlinearchiv). Zum Phänomen der Celebrity Kultur im Hinblick auf den Kunstmarkt s. ausführlich Graw, 2008. Des Weiteren ist der in der Kunstwelt verbreitete Hang zur Selbstinszenierung durch die Mode, Graw zufolge, deshalb auch so ausgeprägt, da ein modisches Auftreten maßgeblich zum ökonomischen Erfolg beitragen kann. Ein Gespür für das Neueste wird eben nicht nur in der Mode, sondern insbesondere in der Kunst als entscheidende Qualität erachtet und kann durch das Tragen der aktuellen Designer-Stücke gezielt vermittelt werden. S. Graw, 2004: o.S. (Onlinearchiv).

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Dementsprechend sind Berichte über zeitgenössische Kunst, Ausstellungseröffnungen oder Kunstmessen nicht nur in Kunstmagazinen zu finden, sondern auch in Gesellschafts-, Mode- und sogenannten Lifestyle-Magazinen. 1995 erscheint in der Juni-Ausgabe der britischen Vogue ein Artikel von Andrew Graham-Dixon (Kunsthistoriker und Fernsehpersönlichkeit), in dem er der Frage nachgeht: »Why are young British artists the flavour of the moment?« 57 In der Ausgangsfrage verknüpft der Autor Jugend und »Britishness« mit Aktualität und Flüchtigkeit, Merkmalen, die der Kunstszene das Flair des Modischen verleihen. Dem Text anbei gestellt sind Fotografien von einzelnen Künstlern, die neben Kuratoren, Sammlern und anderen Einflussreichen aus dem Kunstbereich posieren. Die Ganzkörperpositionierung vor neutralem Hintergrund ist eine in der Portrait- und Modefotografie gängige Methode. In diesem Fall soll durch die räumliche Isolation nicht die Mode eingefangen werden, sondern die Figuren werden zugleich als individuelle Persönlichkeiten und Mitglieder einer Gemeinschaft ausgewiesen. Auf diese Weise tritt die Kunstszene als relativ übersichtlicher und geschlossener Kreis auf, der durch ein dynamisches Austauschverhältnis mit den Medien auch in der breiten Öffentlichkeit präsent ist. Im Gegenzug eignet sich die Kunstszene als Thema im Modemagazin, da dem Leser der Eindruck vermittelt wird, auch in diesem Bereich auf der Höhe der Zeit zu sein. Die Young British Artists (YBAs) verkörpern eine neue Generation von Künstlern, die medienwirksam Aufmerksamkeit für Entwicklungen innerhalb der Kunstszene und die individuellen Künstlerpositionen geschaffen haben. Ausgangspunkt der Entfaltung dieser lockeren Künstlergruppierung ist die Ausstellung Freeze, in der 1988 Arbeiten von sechzehn Studenten des Goldsmiths Colleges gezeigt werden und die von Damien Hirst und anderen beteiligten Künstlern organisiert wird. Schauplatz ist eine Lagerhalle im Londoner Hafenviertel.58 Das Charakteristikum der Jugend, das im weiteren Sinne auch das Neue und Innovative meint, muss sich folglich nicht nur auf die produzierte Kunst, sondern kann sich auch auf das aktive Publikmachen der Werke und einen gewissen Gruppenzusammenhalt

57 Graham-Dixon, 1995: 118-123. 58 Weitere in Eigeninitiative konzipierte Ausstellungen und andere Maßnahmen, darunter beispielsweise der von Tracey Emin und Sarah Lucas gegründete Laden The Shop (1993), erregten die Aufmerksamkeit von Kunsthändlern wie Jay Jopling sowie Förderern und Sammlern wie Charles Saatchi. Insbesondere Saatchi hat maßgeblich zum Erfolg einzelner Mitglieder beigetragen und mit der ab 1992 in seiner Galerie stattfindenden Ausstellungsreihe Young British Artists den Anstoß zur Etablierung der umfassenden Gruppenbezeichnung gegeben. Zu den Anfängen und weiteren prägenden Ereignissen s. Shone, 1998: 12-25.

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beziehen.59 Die Rezeption der YBAs als Verkörperung des Neuen und Nationalen in der Kunst sowie die aufmerksamkeitserregenden und provokativen Arbeiten einzelner Künstler − man denke nur an Hirsts in Formaldehyd präservierten Tigerhai (The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living, 1991) oder Emins zerwühltes Bett (My Bed, 1998), neben dem blutverschmierte Unterwäsche, benutzte Kondome und weitere private Gegenstände verstreut wurden − haben die YBAs zu einem Medienphänomen gemacht. Die individuellen Persönlichkeiten werden ebenso wie die künstlerischen Aktivitäten auch außerhalb der Kunstwelt wahrgenommen und diskutiert.60 Im Mai 2000 erscheint, ebenfalls in der britischen Vogue, eine Strecke, die über die journalistische Berichterstattung hinausgeht und unter dem Motto »fashion meets art« die kollaborative Beziehung von Kunstwelt und Modemedium zum Aufhänger macht. Für besagte Ausgabe fertigen sieben YBAs jeweils sechs Werke an, deren gemeinsamer künstlerischer Gegenstand das Model Kate Moss ist.61 Das Model wird, wie auf dem Cover angekündigt,62 zur Muse des 21. Jahrhunderts und Verkörperung eines zeitgenössischen Ideals erkoren. Für die Künstler dient Moss, zu diesem Zeitpunkt wohl das berühmteste britische Model, auf unterschiedliche Weise als Inspiration und Projektionsfläche.63 Im Kontext des Magazins wird sie zu einem Bindeglied zwischen Kunst und Mode sowie Künstler und Öffentlichkeit.64 Ihre Präsenz verleiht der Kunst Glamour und liefert die Legimitation zur Einbindung der Kunst ins traditionsreiche Hochglanzmagazin. Bemerkenswert ist im Hinblick auf die Annäherung von Mode und Kunst im Magazin besonders die Entwicklung einer alternativen Printmedienlandschaft in

59 Obwohl die Nutzung alternativer Präsentationsflächen keine neue Methode ist, haben die Geschichten über die Ursprünge erheblich zur Entstehung des Mythos um die YBAs beigetragen. S. Ford, 1996: 3-9. 60 Das gesteigerte öffentliche Interesse an zeitgenössischer Kunst lässt sich am Angebot der Fernsehsender ablesen. Nennenswert ist der private Sender Channel 4, der zum Hauptsponsor der jährlich stattfindenden und kontrovers diskutierten Turner PrizeVergabe geworden ist und die Berichterstattung übernommen hat. 61 Zu den beteiligten Künstlern gehören: die Brüder Jake und Dinos Chapman, Tracey Emin, Gary Hume, Sarah Morris, Marc Quinn und Sam Taylor-Wood. 62 »Kate Moss. Seven Great Artists’ 21st Century Muse.« Fotografie: Sarah Morris. S. Vogue (UK), Mai 2000: Cover. 63 Weiterführend s. Townsend, 2002: 136-144. 64 Trotz der Möglichkeit zur ausgeprägten medialen Präsenz wird dem Künstler im Hinblick auf seine schöpferische Tätigkeit in der Regel weiterhin ein hohes Maß an Privatsphäre zugesprochen. Wohingegen das Model mit Starstatus hauptsächlich als Produkt der Konsumgesellschaft rezipiert wird.

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Großbritannien. Ab den 80er Jahren werden vermehrt neue alternative Magazine ins Leben gerufen, die zunächst in niedriger Auflage erscheinen und sich im Laufe der Zeit auf dem Markt etablieren. Trotz unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen haben jene Magazine die gleiche Intention, mit der Autorität der Mode zu brechen.65 Statt Mode vorschreiben zu wollen, berichten sie über vielfältige Formen von Stil sowie Trends aus Mode, Musik oder Kunst. Der Begriff Stil bezieht sich demnach nicht ausschließlich auf Kleidung und das Äußere, sondern bedeutet Lebensstil im umfassenderen Sinn. Wie jemand seine Freizeit gestaltet, wie er wohnt, sich ernährt etc. sind alltägliche Entscheidung, die, neben Kleidung, zu Indizien eines individuellen Geschmacks und Stils werden.66 So legt Mike Featherstone den Begriff folgendermaßen aus: »Within contemporary consumer culture lifestyle connotes individuality, self-expression, and a stylistic self-consciousness. [...] Rather than unreflexively adopting a lifestyle through tradition or habit, the new heroes of consumer culture make lifestyle a life project and display their individuality and sense of style in the particularity of the assemblage of goods, clothes, practices, experiences, appearance, and bodily dispositions they design together into a lifestyle.«67

Demzufolge ist Lifestyle unweigerlich ein wesentlicher Aspekt der zeitgenössischen Konsumgesellschaft. Die diversen Produkte, die zu dem persönlichen Entwurf eines Lifestyles vermengt werden, sollen nicht nur dem bloßen Konsum dienen, sondern werden mit Vorstellungen von Individualität und Selbstrepräsentation aufgeladen. Diese Entwicklung lässt vermuten, dass sich Lifestyle-Magazine von Simmels Modell eines klassenbestimmten sowie auf Imitation basierendem Modezyklus distanzieren wollen und sich die Ansprache, im Unterschied zu konventionellen Modemagazinen, nicht explizit an die modebewusste Frau richtet. Je nachdem wie ausdrücklich die alternative Ausrichtung den Namen des Magazins prägt,

65 S. Jones, 2001 und Furniss/Hack, 2011. Zur Schwierigkeit dauerhaft einen ›anti-elitären‹ Standpunkt zu beziehen und frei vom Einfluss der Anzeigenkunden zu agieren, s. Rankin in: Rankin/Shinkle, 2008: 91-94. 66 Max Weber hat den Begriff Lebensführung in die Soziologie eingeführt und ihn zur Unterscheidung charakteristischer Lebensführungsarten bestimmter Klassen und Stände benutzt. In Abgrenzung zur klassenbezogenen Auslegung nach Weber wird im weiteren Verlauf der englischsprachige Terminus Lifestyle verwendet. Weiterführend vgl. Weber, 2013: 598. 67 Featherstone 2007: 81 und 84.

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umso nachhaltiger wird ein Wissen gebildet, dass sich auf die Auslegung der Inhalte auswirken kann.68 Lifestyle-Magazine wie Blitz (1980-1991), The Face (1980-2004) und i-D (seit 1980) sind in den 80er Jahren durch die Vermengung von zeitgenössischen Themen aus diversen Bereichen (Mode, Unterhaltung, Nachtleben, Musik, Kunst etc.) sowie durch die Einbindung von innovativen Gestaltungsmittel als richtungsweisend hervorgegangen.69 1980 macht als Gründungsjahr der drei Magazine einen Umbruch innerhalb der Printmedienlandschaft kenntlich, der bereits in den 60er Jahren vom britischen Magazin Nova (1965-1975) und von Warhols Interview ( ab 1969) eingeleitet worden ist.70 Nova sprach durch vielfältige und teils auch gesellschaftskritische Inhalte gezielt Bedürfnisse der Frauenbewegung an. Herausragende Fotografen wie Helmut Newton, Harry Peccinotti und Hans Feurer trugen Fotografien bei, die visuell die Frau in den Fokus rückten und synchron eine weibliche und männliche Leserschaft ansprachen.71 Interview wurde ursprünglich als monatlich erscheinendes Filmjournal gegründet, wandelte sich jedoch zügig zur vielseitigen Publikation, in der Mode ab 1972 einen gravierenden Stellenwert einnahm. Warhol nutzte das Magazin auch gezielt zur Kontaktaufnahme mit Berühmtheiten und um Zugang zu Filmvorfüh-

68 Vgl. auch Barthes’ Formulierung, dass eine Fotografie, je nachdem wo sie abgebildet wird, einen unterschiedlichen Sinn annehmen kann. Barthes, 2013 [b]: 11. Ruelfs folgert hinsichtlich der Beziehung von künstlerischer Fotografie und Modefotografie in jüngeren deutschen Magazinen, dass mit Mitteln der Kunstgeschichte keine Unterscheidung zwischen den Genres möglich ist. Stattdessen zieht sie Bourdieu heran und beschreibt die zunehmende Überschneidung in hochspezialisierten (und hochpreisigen) Magazinen als eine Frage des Geschmacks. Dadurch hebt sie die Bedeutung von Kontext und Zielgruppe hervor. Ruelfs, 2006: 115. Weiterführend s. Bourdieu, 1982. 69 Alle drei Magazine haben sich durch einen experimentellen Ansatz und das Interesse für alle Bereiche, die unter dem Begriff Lifestyle zusammengefasst werden können, ausgezeichnet. Allerdings wirkten die unterschiedlich gewichteten Ausrichtungen einer Konkurrenzsituation entgegen. Blitz richtete das Augenmerk z.B. auf Mode und die Londoner Clubszene. Während i-D dieselben Themen deutlicher im Hinblick auf subkulturelle Aspekte aufgriff und The Face die Bereiche Mode und Musik zentral stellte. Ruelfs resümiert nach dem Heranziehen mehrerer Jahrgänge von The Face, dass diese Magazine im Allgemeinen kaum an Kunst interessiert gewesen seien. Obwohl keines der genannten Magazine den Fokus auf Kunst legte, zeigten sie sich dem Bereich gegenüber offen und besonders in i-D ist Kunst ein wiederkehrendes Thema. Vgl, Ruelfs, 2006: 116. Zur Publikation Blitz s. weiterführend Webb, 2013. 70 Vgl. Val Williams, 1998: 103. Weiterführend zu Nova s. Gibbs, 1993. 71 Weiterführend s. Gibbs, 1993.

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rungen und Laufstegshows zu erhalten. Er rückte die Designer, Models und Träger der Mode in den Mittelpunkt und stellte den Modestrecken Interviews zur Seite, in denen sich berühmte Persönlichkeiten in Form des Gespräches gegenseitig befragten. Das Konzept des Austausches entsprach Warhols dualer Personifizierung der Künstler-Berühmtheit und des Fans. Fasziniert vom Glamour zeitgenössischer Berühmtheiten hat er sie durch seine Arbeiten zu zeitlosen Ikonen erhoben und damit zur Erschaffung ihres Mythos beigetragen oder auch neue Phänomene der Popkultur erschaffen.72 Zu seinem eigenen Status als Berühmtheit trug die Überschneidung von privaten und öffentlichen Lebensbereichen bei, so wirkte sich zum Beispiel auch seine Präsenz im Nachtleben auf die Formung der Künstlerpersona aus. Die Vermengung von diversen Interessensphären, die sich unter dem Begriff Lifestyle zusammenfassen lassen, ist charakteristisch für sowohl Interview als auch die alternativen Magazine der 80er Jahre. Im Unterschied zum Kunstmagazin sowie zum traditionellen Modemagazin schafft der Terminus Lifestyle und seine Alltagsassoziation Raum für eine Verbindung diverser Bereiche. Folglich erscheint auch eine konsequente Abgrenzung von Hoch- und Populärkultur redundant. Warhol ist mit dieser Aufhebung von Grenzen dem Kunstmagazin zuvorgekommen. In dem 1992 gegründeten britischen Magazin Dazed & Confused treten Mode und Kunst auffallend häufig als gleichwertige Elemente zur Gestaltung eines zeitgenössischen Lifestyles auf. Statt sich an den bereits etablierten Londoner Lifestyle-Magazinen zu orientieren, richtet sich der Blick auf das amerikanische Vorbild Interview und dessen Auflösung der Grenzen von Hoch- und Populärkultur. Rankin [Waddell], Fotograf und Mitbegründer von Dazed & Confused, beschreibt rückblickend, dass die Beteiligten von Beginn an eine Neugier für Kunst verbunden hat und sie sich ihr aus einer wertfreien Perspektive genähert haben.73 In diesem Sinne sieht auch Jefferson Hack die gedruckten Seiten als Möglichkeit zur Umsetzung persönlicher Ideen und als Präsentationsplattform für künstlerische Projekte: »All sorts of people would come in and want to realise their dreams or their next project, and we would become a kind of exhibition in print, if you like.«74 Insbesondere die YBAS haben regelmäßig Platz zum Präsentieren ihrer Arbeiten erhalten. 1995 wählen die Brüder Jake und Dinos Chapman für die 16. Ausgabe des Magazins Arbeiten ihrer Künstlerkollegen aus. Damien Hirst, Sarah Lucas, Marc Quinn und Sam Taylor-Wood haben ihre Werke des Öfteren in diesem Rahmen vorgestellt. Aber auch Projekte von internationalen Künstlern wie Barbara Kruger (Juni 1996) oder Richard Prince (März 1998) sind auf den Seiten des Magazins vertreten.

72 Weiterführend s. John W. Smith in: Kat.Ausst. The Warhol Look, 1997: 228-231. 73 Rankin in: Hack/Rankin, 2011: 9. 74 Jefferson Hack in: Hack/Rankin, 2011: 12. Vgl. Rankin in: Rankin/Shinkle, 2008: 88.

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Im Gegensatz zur typischen Darstellung der Kunstszene in Hochglanzmagazinen wird nicht über einen ausgewählten Kreis berichtet, sondern Nachdruck auf ein zugängliches und beinahe familiär anmutendes Konzept gelegt. Eigeninitiative und Kollaboration sind Schlagworte, die in den Schilderungen der Beteiligten wiederholt fallen und Beschreibungen der zeitgenössischen Künstlergeneration gleichen. Bezeichnend für den experimentellen Ansatz ist eine gewisse Nichts-zu-verlierenAttitüde, die eine Einbindung provokativer Inhalte ins Magazin ermöglicht. Diese Haltung wird von den Gründern auf die gesellschaftliche Stimmung in Großbritannien zurückgeführt, geprägt durch die Rezession und eine starke Drogenkultur.75 Das Magazin veranschaulicht, dass wenn der Reiz des Modischen auf die Originalität der Kunst trifft, die Verknüpfung von Mode und Kunst in gleichem Maße zum Experiment wie zum Mittel der Individualisierung und Abgrenzung wird. In diesem Sinne ließe sich Glenn O’Briens Beschreibung von Interview auch auf den britischen Nachfolger übertragen: »It was a new kind of fashion magazine. It wasn’t out to sell garments or makeup or fragrance, although it would do all of that. It was out to sell itself. And that is pretty much what fashion is all about.«76 2.2.2 Vom Magazin in den Ausstellungsraum Heutzutage gelangen Modefotografien durch diverse Präsentationsflächen an die Öffentlichkeit, um nur einige mögliche Originalpublikationsformen zu nennen: Magazin, Katalog oder Online-Lookbook (meist nüchtern gehaltenen Fotografien von Kollektionsstücken). Die geläufigste ist jedoch immer noch das gedruckte Magazin, in dem das Modefoto im Rahmen einer Modestrecke oder als Werbekampagne anzutreffen ist. Während die Modestrecke als Serie angelegt ist, besteht die Werbekampagne meistens aus mehreren Fotos, die als Einzelstücke funktionieren und zugleich als Teil eines Gesamtkonzeptes aneinander referieren. Daher kann das Werbefoto sowohl als großformatiges Plakat an der Bushaltestelle angebracht als auch in Form einer autonomen Seite ins Magazin integriert werden. Das Blättern im Magazin ist gewöhnlich eine private Aktivität. Aufgrund des Formats blättert der Betrachter, meist alleine und nach eigener Vorliebe, entweder flüchtig oder konzentriert durch die Seiten. Die Fotos einer Werbekampagne sind generell in diversen Magazinen zu finden und wiederholen sich für die Dauer einer Saison. Nach einem gewissen Zeitraum wird eine Kampagne somit bewusst oder unbewusst von einem großen Publikum wahrgenommen. Man kann jedoch davon ausgehen, dass ein Großteil der Leserschaft dazu tendiert, seine Aufmerksamkeit auf Modestrecken zu richten, die meistens gezielt für die Magazinerscheinung pro-

75 Rankin in: Rankin/Shinkle, 2008: 91 und Hack/Rankin, 2011: 12. 76 O’Brien, 1997: 256.

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duziert und in der Regel nur einmalig in ihrer Originalzusammenstellung zu sehen sind. Der Begriff Blättern impliziert bereits eine gewisse Flüchtigkeit. Insofern das Magazin nicht unbedingt wöchentlich erscheint und somit einen gewissen Seltenheitswert beansprucht, werden bestimmte Ausgaben von interessierten Sammlern vielleicht sogar aufgehoben. In den meisten Fällen wird das Magazin jedoch entsorgt und die Bilder geraten in Vergessenheit. Während die Grenzen zwischen Dokumentar- und Kunstfotografie besonders im Ausstellungsbetrieb fließend geworden sind, haftet der Modefotografie oft noch der Beigeschmack des Banalen an. Aus dieser Perspektive betrachtet, wird die Modefotografie meist weder als erhaltungs- noch ausstellungswürdig erachtet. Dementsprechend ordnet Vilém Flusser Werbefotos den redundanten Erscheinungsformen der Fotografie zu. Dies ausführend nennt er zwei Kriterien, die eine Überflüssigkeit von Fotografien belegen: zum einen die Bilderflut immer neuer Fotos und zum anderen die Überflutung durch Farbigkeit, die einen Verlust der Symbolhaftigkeit von Farbe mit sich bringt.77 Zwar ist der Einsatz von Farbe lange Zeit der kommerziellen Fotografie vorbehalten gewesen, aber die Zuschreibung von Farbe als ästhetisches Merkmal ist weitestgehend überholt. Schon in den 70er Jahren haben wegweisende Fotografen wie Stephan Shore und William Egglestone mit dieser Konvention gebrochen und Farbe in die Kunstfotografie eingeführt. Die Omnipräsenz und somit eine unausweichliche Vergänglichkeit sind die Wesensmerkmale, die der Mode- und Werbefotografie nachhaltig haften geblieben sind. Das Fotobuch als Präsentationsfläche für Modefotografien wirkt als Gegenstück zum meist kurzweiligen Printmedium Magazin. Produziert, um sie in privaten Bücherregalen zu verwahren, in Bibliotheken zu sammeln oder Zuhause als coffeetable books zu platzieren, sind diese Fotografien ausgewählt worden, um sie in Buchform zu erhalten und der Öffentlichkeit in neuem Kontext zugänglich zu machen. In ähnlicher Weise wird mit der vorbestimmten Vergänglichkeit von Modefotografien gebrochen, wenn ein Foto von den Seiten des Magazins oder einer Werbetafel an die Wände eines Ausstellungsraumes gelangt. Gemeinhin verläuft das modische Gedächtnis in den Etappen: vergessen, wiederentdecken und in neuer Form wiederbeleben. Nachdem ein Modestil eine gewisse Zeit modisch gewesen ist, kehrt er sich ins Gegenteil um und wird unmodisch. Im Anschluss an diese Phase des Vergessens werden der Stil oder einzelne Elemente oft wiederentdeckt und in abgewandelter Form wieder zur Mode erklärt.78 Das wiederentdeckte Modefoto ist oftmals auch ein Dokument vergangener Moden. In den Ausstellungsraum platziert zielt die Fotografie auf das Erinnern und die Veran-

77 Flusser, 2011: 59. 78 Zur Wiederentdeckung historischer Motive insbesondere in den 90er Jahren s. Evans, 2003: 20-35.

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kerung in einem kollektiven visuellen Gedächtnis ab. Jene Loslösung aus dem Originalkontext definiert Harrison als eine zeitliche Störung. Denn im Magazin bleibt das Foto in einem zeitgenössischen Kontext eingebettet. Wohingegen das ausgestellte Foto und auch das Fotobuch immer retrospektiv betrachtet werden.79 Die Neukontextualisierung von Werbung durch die Anbringung im Ausstellungsraum ist ein Schritt, der bereits von Künstler wie Richard Prince umgesetzt wurde. Im Gegensatz zu Princes ›Refotografien‹ (Fotografien von Fotografien), die sich meist durch ihren seriellen Charakter auszeichnen, werden Modefotografien im Museum gerne als autonome Einzelwerke präsentiert.80 Es entsteht der Eindruck von Einzigartigkeit und das aus der Bildstrecke herausgelöst Einzelbild erhält eine neue Bedeutung oder erzählt eine andere Geschichte. Durch die Anbringung im Museumsraum wird die ursprüngliche Intention des Modefotos verfremdet und häufig unkenntlich gemacht. Im modefotografischen Kunstobjekt tritt der Warencharakter der abgebildeten Konsumgüter in den Hintergrund. Stattdessen wird die Ästhetik des Gesamtfotos zum zentralen Anliegen. Ein weiterer Faktor der Verfremdung ist das Wegfallen des Textes. Am Beispiel von Janssons ›Homosapiens Modernus‹ (Abbildung 1), ist deutlich geworden, welche Auswirkungen das Fehlen des Textes auf die Aussage haben kann. Denn wenn die Kleidung nicht mehr zwingend primäres Motiv ist und zunehmend komplexere Bedeutungen zum Inhalt der Modefotografie werden, können Kontext und Text ausschlaggebend für die Einordnung in die Kategorie Modefoto sein. Im Ausstellungsraum werden die moderedaktionellen Texte meistens entfernt. Stattdesen werden traditionelle Informationstafeln angebracht, die dem Besucher Auskunft über Fotografen, Titel und Entstehungsdatum gibt. Dies trägt ebenfalls zur Platzierung in die Vergangenheit bei, da ein retrospektiver Betrachterstandpunkt eingenommen wird. Ob in der Bildunterschrift die ursprüngliche Quelle des Modefotos erwähnt wird, ist eine kuratorische Entscheidung, die sich häufig an dem Gesamtkonzept der Ausstellung orientiert. Die Anpassung des Formats an den Ausstellungsraum scheint allerdings die größte Veränderung, die am Einzelfoto vorgenommen wird. Durch die frontale Präsentation des vergrößerten Fotos verändert sich die Beziehung zwischen Betrachter und Bild. Jean-François Chevrier definiert den Bildtypus des Tableaus als autonom, nicht an einen Ort oder Text gebunden. Durch die Loslösung aus dem Magazin und vom dazugehörigen Text wandelt sich das Modefoto zum autonomen Werk. Des

79 Harrison, 1991: 14. Zur retrospektiven Betrachtungsweise vgl. Sontag: »Seen in this retrospective form (compiled in a book, on the walls of a museum), images that started out as fashion photographs become a commentary on the idea of the fashionable.« Sontag, 1978: 508. 80 Weiterführend zu Princes Refotografien s. Kat.Ausst. Richard Prince, 1994.

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Weiteren erkennt Chevrier in der Verwendung der Tableau-Form durch die Kunstfotografen der 80er Jahre nicht das Bestreben, sich der Malerei anzunähern, sondern die Möglichkeit, den Betrachter mit dem Bild zu konfrontieren und ihn davor eine »Pose der Kontemplation«81 einnehmen zu lassen.82 Michael Fried vergleicht die Entwicklung der großformatigen Fotografie mit Barthes’ Schilderungen in Die helle Kammer und kommt zu dem Schluss, dass Barthes’ Empfindungen nicht auf diese Präsentationsform übertragbar sind. Denn Barthes beschreibt das Betrachten einer Fotografie als ein sehr privates und persönliches Erlebnis, bei dem er am liebsten ungestört ist.83 Obwohl Modefotografien über das Medium Magazin ein möglichst großes Publikum erreichen sollen, bleibt die Betrachtersituation unmittelbar. Zwischen Leser und Foto besteht eine gewisse Nähe, die alleine schon durch den körperlichen Kontakt mit den Seiten entsteht. Im Museum hingegen wird der Betrachter, durch die räumliche Umgebung und das Format, in eine distanzierte Haltung versetzt. Eine alternative Präsentationsmethode ist die Darbietung des Magazins im Glasschaukasten. Das Kleinformat reduziert die Distanz zwischen Betrachter und Fotografien und die originale Anordnung sowie die Beziehung der einzelnen Fotos zueinander bleiben erhalten. Häufig werden die Glasschaukasten nicht an der Wand angebracht, sondern als Tisch über den sich der Betrachter beugen kann. Durch die Nähe zum Objekt und die Körperhaltung wird die private Erfahrung des MagazinLesens simuliert. Trotzdem kann der Betrachter das Blättern in der Quelle nicht aktiv erfahren. Diese Präsentationsform kann angewandt werden, um multiple Betrachtersituationen im Ausstellungsraum zu erschaffen und die Idee, das Modefoto sei als autonomes Einzelwerk entstanden, zu revidieren. Dennoch bleiben großformatige, an der Wand angebrachte Einzelwerke die vorherrschende Variante. Kunst und Kommerz Parallel zur Wandlung des Modefotos zum Ausstellungsobjekt lässt sich eine ästhetische Annäherung der Kunstfotografie an den Typus des Werbebilds beobachten. Am Beispiel Jeff Walls sei auf einen Künstler verwiesen, dessen Werke sich durch Farbe und ein großes Format – ursprünglich spezifische Kennzeichen des in der Öffentlichkeit angebrachten Werbebilds – auszeichnen. Auf diese Weise werden die Berührungspunkte zwischen Kunst und Werbung in seinen Fotografien deutlich.84

81 Chevrier, 2006: 51. 82 Chevrier, 2006: 51-52 und Chevrier, 1989: 16. 83 Vgl. Fried, 2008: 107 und Barthes, 1985 (b): 108. 84 Als Bildträger nutzt Wall ein großformatiges Diapositiv, das in einem Metallkasten angebracht und von hinten durch Leuchtstoffröhren illuminiert wird. Die Kästen erinnern

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Seitdem Künstler wie Prince oder Wall begonnen haben, gezielt die Grenzen von künstlerischer und kommerzieller Fotografie zu hinterfragen, scheint der Spannungszustand auch im Museums- und Galerieraum vertretbar geworden zu sein. Beim näheren Betrachten ist diese Kluft jedoch immer noch vorhanden. Ulrich Lehmann berichtet als Kurator der Ausstellung Chic Clicks. Modefotografie zwischen Kunst und Kommerz in der Einführung des Katalogs von den Problemen, diese Art der Ausstellung zu konzipieren. So konnten die Arbeiten einiger Künstler nicht integriert werden, da ihre Galeristen oder Agenten ihnen davon abrieten, an einer Ausstellung zum Thema Mode teilzunehmen.85 Obwohl die Kunst und die Mode ihren Warencharakter gemeinsam haben, wird vonseiten der Kunst- und Kulturbetriebe ungern allzu deutlich auf diese Parallele hingewiesen.86 Die Platzierung der Modefotografie in den Museumsbetrieb scheint den Warencharakter der Kunst jedoch allzu offensichtlich aufzuzeigen. Es stellt sich die Frage, warum Museen diesen Schritt trotzdem immer öfter wagen? Die Ursache hierfür ist wahrscheinlich in den Überlebensängsten begründet, die Anderson als Motivation für die Integration der Mode in den Museumsraum anführt. Da moderelevante Themen das Potential haben, ein jüngeres und breiter gefächertes Publikum anzuziehen, werden sie – trotz bleibender Bedenken – als Ausstellungsgegenstand toleriert.87 Bright weist jedoch darauf hin, dass in den letzten Jahren lediglich der Eindruck entstanden ist, Modefotografie sei häufig ausgestellt worden. Denn sobald Modefotografie zum Ausstellungsobjekt wird, kommen andere Marketingstrategien zum Einsatz und es wird eine höhere Aufmerksamkeit erzielt.88 Obwohl Modefotografie nur äußerst sporadisch als Ausstellungsthema aufgegriffen wird, haben einige Ausstellungen starkes öffentliches Interesse erregt und die Produkte der fotografischen Praxis als beachtenswert und erhaltenswert erklärt. 2.2.3 Zur Bedeutung der Autorschaft Die Vorstellung vom Künstler als Genie, Schöpfer oder Individuum mit außergewöhnlichen Ideen und Sichtweisen ist seit jeher prägend für die Kunstgeschichte gewesen. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat Marcel Duchamp mit seinen

an Reklame-Leuchtkästen, wodurch Wall die Sehgewohnheiten des Betrachters hinterfragt und darauf hinweist, dass das Kunstobjekt ebenfalls eine Ware ist. 85 Lehmann, 2002: T4. 86 Vgl. Townsend, 2002: 15. Zum Sonderstatus und der Wertbildung der Kunst auf dem Markt s. Graw, 2008. 87 Anderson, 2000: 372-374. S.a. Bright, 2007: 17. 88 Bright, 2011: 134.

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Ready-mades dieses Künstlerverständnis jedoch in Frage gestellt. Am Ende der 70er und in den 80er Jahren rücken die Begriffe Autorschaft und Originalität wieder verstärkt in den Fokus von zeitgenössischen Künstlern wie Sherrie Levine oder Richard Prince.89 Während in der Kunst des 20. Jahrhunderts der Mythos des autonomen Künstlergenies häufig bewusst in Zweifel gezogen wird, betonen französische Filmtheoretiker ab Mitte der 40er Jahre die Idee des Autors immer prägnanter. Ein bedeutender Beitrag zu dieser Diskussion stammt von Alexandre Astruc, der 1948 den Begriff »la caméra-stylo« einführt und den Filmautoren mit einem Schriftsteller gleichsetzt: »The film-maker/author writes with his camera as a writer writes with his pen.«90 Unter Astrucs oder auch François Truffauts Definition des Autors fallen nur Filmemacher, die auch Verfasser des Drehbuchs und somit Schöpfer ihres Werks sind. Sie sind für die Umsetzung hauptverantwortlich, während die Beteiligten nur als Instrumente agieren.91 Die Autorentheorie hat nachhaltig Einfluss auf die Filmkritik ausgeübt, aber hinsichtlich einer Ausblendung der vielseitigen Faktoren der Filmproduktion auch Kritik erfahren.92 Erschüttert wird die Idee des Autors in den 60er Jahren durch Barthes’ Text Der Tod des Autors, in dem er fordert, dass die Bedeutung eines literarischen Werks nicht auf den Urheber zurückgeführt wird, da der Text erst durch den Leser Bedeutung erhält.93 Obwohl in der Literatur in der Regel ein Einzelner Urheber eines Textes ist, wird gerade in diesem Bereich die Idee des Autors besonders ausdrücklich in Frage gestellt. Bei Modeshootings sind, ähnlich wie bei der Produktion eines Films, oft mehrere Beteiligte involviert. Moderedakteure, Assistenten, Stylisten, Visagisten, Friseure, Bühnenbildner etc. bringen sich, abhängig von den Forderungen des Auf-

89 Weiterführend s. Kat.Ausst. The Last Picture Show, 2003. 90 Astruc, 1968: 22. 91 Vgl. Truffauts Aufsatz zur Tradition der Qualität als Art des Filmemachens, die größtenteils auf die filmische Adaption von Literaturvorlagen setzt und mit dem Kino der Autoren nicht vereinbar ist. Truffaut, 1999: 295-313. Weiterführend s. Bordwell/Thompson, 2003: 415-438. 92 Vgl. zum Beispiel Wollens 1969 verfasster Text zur Autorentheorie, den er vielmehr als Ansatz zur Weiterentwicklung sieht. Wollen weist auf die verschiedenen Ebenen der Ausführung hin und sieht den Regisseur als Bindeglied zwischen den Ebenen der Gestaltung und Performance. Dabei kann der Regisseur auf individuelle Art und Weise innerhalb der verschiedenen Prozesse agieren, besitzt aber nicht die vollständige Kontrolle über sein Werk. Wollen, 1996: 104-115. 93 Barthes, 2000: 181-193. Vgl. weiterführend Foucaults Text zur Funktion des Autors. Foucault, 2000.

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traggebers oder der Arbeitsweise des Fotografen, unterschiedlich stark in die Entstehungprozesse von Modefotografien ein. Erst im Laufe der 90er Jahre wird die Bedeutung des individuellen Stils einzelner Stylisten und anderer Mitwirkender stärker in den Fokus gerückt. So zeigt der Katalog zur Ausstellung Imperfect Beauty. The Making of Contemporary Fashion Photographs (2000) anschaulich, in welch hohem Maße Akteure wie beispielsweise Hair- und Make-Up-Artists oder Stylisten auf die Ästhetik des Modefotos einwirken können.94 Diese Hervorhebung der kollaborativen Entstehungshintergründe steht mit der Vorstellung vom Modefotografen als Schöpfer des Fotos nicht unbedingt im Widerspruch. Der emanzipierte Modefotograf Beinahe zeitgleich zu Barthes’ Der Tod des Autors tritt immer deutlicher der Typus des Modefotografen und ebenso schöpferischen Künstlers in Erscheinung. Michelangelo Antonionis Film Blow-Up aus dem Jahr 1966 ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert, da der Hauptcharakter Thomas, das Bild des erfolgreichen Modefotografen verkörpert, das, Hall-Duncan zufolge, in den 60ern den neuen Typus des ›Fotografen-Helden‹ verkörpert.95 Trotz des Erfolgs und der Bewunderung durch sein Umfeld, scheint sich die Figur Thomas in der Ausübung seines Berufes nicht als Künstler wahrzunehmen. Diese Desillusionierung gleicht er durch die Beschäftigung mit der Kamera im Privatleben aus. Obwohl Ausnahmefotografen, wie Richard Avedon oder Irving Penn, es geschafft haben, sowohl in der Mode- wie auch in der Kunstwelt Anerkennung zu finden und über einen langen Zeitraum erfolgreich zu bleiben, ist die zwiespältige Eigenwahrnehmung ein Phänomen, das in der Modefotografie kontinuierlich anzutreffen ist. Dies verleitet zu der Frage, ob der Modefotograf innerhalb seiner kommerziellen Tätigkeit Künstler sein kann. Sontag verfasst 1978, anlässlich einer Avedon Retrospektive im Met, New York für die Vogue einen Artikel mit dem Titel The Avedon Eye. Bereits anhand des Titels stellt sie Avedon als Individuum mit einer speziellen Fähigkeit, die Dinge wahrzunehmen, dar. Des Weiteren führt sie seinen Erfolg darauf zurück, dass er zeigt, dass Modefotografie sich eben nicht auf das Darstellen von Mode beschränkt: »The greatest fashion photography is more than the photography of fashion.«96 In welchem Maß der Modefotograf die Fähigkeit besitzt, seine Kreativität und persönliche Wahrnehmung innerhalb der Grenzen kommerzieller Auftragsfotografie auszuleben, ist demnach ein Bewertungskriterium, das den reinen Auftragsfotografen vom ›modefotografischen Künstler‹ unterscheidet.

94 S. Cotton, 2000. 95 Hall-Duncan, 1979: Kap. 8 und explizit 161-162. Der Filmcharakter basiert in Zügen auf der realen Person David Bailey. 96 Sontag, 1978: 508.

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Das emanzipierte Selbstverständnis des Modefotografen ist eine Entwicklung der 70er Jahre, durch die auch die Unterscheidung zwischen privaten und kommerziellen Arbeiten weitgehend hinfällig geworden ist, da, so stellt Harrison treffend fest, nun beide unter die Kategorie persönliche Fotografien fallen.97 Im Umgang mit den eigenen Arbeiten lassen sich jedoch gravierende Unterschiede erkennen. Bourdin zum Beispiel hat zu Lebzeiten das Modemagazin als seine Präsentationsflächen angesehen und Buchpublikationen sowie ein Ausstellen und Verkaufen seiner Modefotografien in Form von autonomen Drucken ablehnt.98 Newton hingegen hat die Platzierung in neue Kontexte genutzt, um seinen Künstlerstatus zu festigen, und sich dennoch in erster Instanz als Auftragsfotografen verstanden: »If any of these photographs end up on a gallery or museum or in the possession of collectors, well, all the better, and I am delighted, but primarily these pictures are taken for a very definite purpose: [...] to sell a product [...]. Within the framework of a commission, may it be editorial or advertising, I have always found my inspiration.«99

Bei Newton sind die Grenzen zwischen privater und in Auftrag gegebener Arbeit fließend. Dafür spricht auch die Arbeitsweise, gelegentlich Set und Model direkt nach dem Auftragsshooting für private Projekte zu nutzen.100 Der Grad der Umsetzung kreativen Potentials wird jedoch für gewöhnlich von den Vorgaben des Auftraggebers mitbestimmt. Sowohl Newton wie Bourdin wurde von der französischen Vogue unter Francine Crescent (von 1957 bis 1987 bei Vogue (FR) und ab 1967 Chefredakteurin des Magazins) ein unüblich hohes Maß an schöpferischem Freiraum zugesprochen.101 Mit dem Aufkommen neuer alternativer Magazine haben sich die Chancen zur Verwirklichung innovativer und individueller Ideen erhöht. Das erweiterte Verständnis von Mode und Lifestyle fordert dazu auf, neue Bildlösungen zu finden, und bietet somit mehr Raum für Kreativität. Maureen Paley, die in ihrer Galerie Interim Art schon Künstler wie Wolfgang Tillmans oder Hannah Starkey vertreten und früher selbst als Fotografin für i-D gearbeitet hat, rät daher insbesondere ihren

97

Vgl. Harrison, 1985: 14 und Harrison, 1991: 242.

98

S. Gingeras, 2006: o.S.

99

Newton, 1998: 11.

100 Helmut Newton in: Booth, 1983: 196. 101 »I never refused one of his [Bourdins; Anm. der Autorin] pictures, even when my director did not understand it very well.« Francine Crescent zit. in: Gingeras, 2006: o.S. und vgl. auch Newton, 1998: 58.

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jüngeren Künstlern, auch für Mode- und Lifestyle-Magazine tätig zu sein.102 Denn diese Form der Auftragsfotografie hat nicht mehr zwangsläufig zur Folge, in die Kategorie des reinen Modefotografen eingeordnet zu werden. Der (Anti-)Modefotograf In den 90ern wird die Verschmelzung von privat und kommerziell durch den Typus des ›(Anti-)Modefotografen‹ zum einen revidiert und zum anderen verstärkt. Der (Anti)-Modefotograf weist sich durch seine Arbeit für die Modeindustrie als zugehörig aus und distanziert sich gleichzeitig bewusst, indem er das Image des Außenseiters forciert. So betonen Fotografen wie Rankin oder Jürgen Teller konsequent, dass sie sich selbst nicht als Modefotografen bezeichnen würden. Obwohl das Bedürfnis, in verschiedenen Spaten tätig zu sein, als ein Bestehen auf kreative Freiheit und nicht zwingend als Abkehr von der Modewelt ausgelegt werden kann, 103 scheint diese Entwicklung ein Rückschritt für die Emanzipation des Modefotografen zu sein. Rankin zum Beispiel bezeichnet seine Beziehung zur Mode als HassLiebe und betont: »I just call myself a photographer. In interviews I’ve always said I’m not a fashion photographer, I’m a portrait photographer who does fashion.«104 Er fährt fort und gesteht, dass er sich nie gänzlich wohlgefühlt habe, als Modefotograf tätig zu sein. In diesem Unwohlsein erkennt er jedoch den Beweggrund für die Umsetzung von innovativen modefotografischen Ideen.105 Im Vergleich zur Modestrecke, die für das Magazin konzipiert wird, tragen Fotografen bei der Produktion von Werbefotografien eine noch erheblichere Verantwortung, den Auftraggeber beziehungsweise die Marke angemessen zu repräsentieren. Mert Alas & Marcus Piggott beschreiben ihre Herangehensweise an Werbeaufnahmen daher folgendermaßen: »When you go into an advertising shoot you have a responsibility to respect the brand and the history. The client will have very high expectations so our advertising is a little more controlled, it’s a little more thought through and prepared. You have to understand the product and you have to know what you are selling. There is a lot of competition out there and not surprisingly every client wants to outshine the rest.«106

102 Townsend, 2002: 135 und 149. 2004 wurde die 1984 gegründete Galerie in Maureen Paley umbenannt. 103 Vgl. Helmut Lang in: Lang/von Olfers , 2010: 52. 104 Rankin in: Rankin/Shinkle, 2008: 95. 105 Vgl. Rankin in: Rankin/Shinkle, 2008: 95-96. 106 Mert Alas & Marcus Piggot in: Kat.Ausst. Face of Fashion, 2007: 43.

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Interessanterweise greift Rankin das Fotografenduo als Exempel auf, um sein ambivalentes Verhältnis zur Modefotografie zu veranschaulichen: »Mert and Marcus [...] became the most important fashion photographers in the world. The desire and the love and the embrace of the whole medium is scary. I can’t take it seriously.«107 Es zeichnen sich zwei Positionen im Bereich der kommerziellen Fotografie ab: Auf der einen Seite stehen die Fotografen, die Kreativität innerhalb der Vorgaben ausleben und die Grenzen dabei unter Umständen erweitern − wobei sie sich den Verpflichtungen gegenüber den Auftraggebern stets bewusst sind. Die andere Position beziehen jene Fotografen, die ein kritisches Verhältnis zur Modeindustrie pflegen und diesen Standpunkt bewusst zum Ausdruck bringen. Am Beispiel Tellers sei auf einen Fotografen verwiesen, der die Konventionen der Modeindustrie nicht allzu ernst nimmt und ihre Illusionen zerstört, indem er Abläufe und Mechanismen zeigt, die üblicherweise im Verborgenen bleiben. In seinem Projekt Go-Sees (1999) macht er den Betrachter mit dem Modelalltag aus Sicht des Fotografen vertraut. Das go-see ist ein wichtiges Ritual auf dem Weg zur Modelkarriere und Teil der Suche der Modeindustrie nach neuen vielversprechenden Gesichtern. Gewöhnlich schickt eine Modeagentur vorab ausgewählte Mädchen zur Beurteilung in das Studio eines Fotografen. Teller hingegen ließ über einen bestimmten Zeitraum alle Interessierten vorbeikommen. Aufgrund des Andrangs entwickelte sich das Projekt zu einer Dokumentation, die sich über einen Zeitraum von beinahe einem Jahr erstreckte.108 Fotografiert wurden die Mädchen von Teller meistens im Bereich der Eingangstür des Studios. Dieser Bereich wird von Neville Wakefield und Elisabeth Bronfen als Schwebesituation zwischen öffentlichem und privatem Raum beschrieben.109 Das Sich-zur-Schau-stellen in fremder und doch privater Umgebung verdeutlicht die Machtstrukturen dieser Situation. Obwohl beide Parteien mit gewissen Erwartungen aufeinandertreffen, ist der Fotograf in der überlegenen Position, da es an ihm liegt, ein Urteil zu fällen und somit über die weitere Zukunft der Mädchen zu entscheiden.110 Man sieht Mädchen, die verschüchtert oder bemüht lasziv in die Kamera schauen, die in Begleitung ihrer Eltern erscheinen, eine Asiatin, die für den deutschen Fotograf die Titelseite ihres Buches Let’s talk German hochhält sowie einige wenige Gesichter, die man vielleicht schon in einem Magazin gesehen hat oder noch sehen wird. Im Nachwort des Bu-

107 Rankin in: Rankin/Shinkle, 2008: 95. 108 S. Bronfen, 2004: 38 und Poschardt, 2003: o.S. 109 Wakefield, 2003: o.S. und Bronfen, 2004: 38. 110 Teller und Bronfen betonen, dass beide Seiten Erwartungen hegen und somit indirekt Macht

ausüben.

Vgl.

Bronfen,

2004:

38

und

Jürgen

Teller

in:

Eskildsen/Pohlmann/Teller, 2003: o.S. Poschardt hingegen bezeichnet die Macht des Fotografen als »perverses Privileg«. Poschardt, 2003: o.S.

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ches wird die besondere räumliche Situation betont, die sowohl ein Kommen als auch ein Gehen sowie den Wunsch nach Anerkennung und das damit einhergehende Risiko des Scheiterns visualisiert.111 Beim Durchsehen des Buches wird der Betrachter mit dem kollektiven Wunsch nach Annerkennung der abgebildeten Individuen konfrontiert und zugleich in die beurteilende Rolle des Fotografen versetzt. Bereits drei Jahre zuvor hatte Teller schon einmal mit seinem Ansatz, Bräuche und Abläufe der Modeindustrie darzustellen, für Aufsehen gesorgt. In seinem Fotoessay zum Thema Mode und Moral für das Süddeutsche Zeitung Magazin (März 1996) hat er Backstage den Modelalltag von Kristen McMenamy während einer Modenschau dokumentiert.112 Statt Bildern, die zeigen, wie sie zurechtgemacht wird und auf ihren glamourösen Auftritt wartet, sieht man das Model nackt und meist alleine in einer kargen Umgebung. Auf dem Boden kniend muss sie ihr Gesäß an einer kleinen aufgestellten Heizung wärmen. In anderen Fotografien verzieht sie ihr Gesicht grimassenhaft oder präsentiert ihren von Kratzern und blaue Flecken übersäten Körper und ein aufgemaltes Herz, in dem Versace geschrieben steht. Mit der Darstellung ihres Körpers, der von den physischen und psychischen Belastungen des Modelalltags gezeichneten ist, widerlegt sie das Bild, das der Betrachter aus Hochglanzmagazinen von ihr kennt und zerstört idealisierende Vorstellungen von der glamourösen Welt der Mode. Das rote Herz ist der einzige unmittelbare Bezugspunkt zur Mode und wirkt auf ihrem nackten und von den Strapazen gezeichnetem Körper beinahe wie eine Anklage. Ulf Poschardt bezeichnet das Fotoessay als Bruch mit den Konventionen der Modewelt und auch im einleitenden Text wird der Tabubruch, in Form der Abkehr von der Illusion, bereits angekündigt:113 »Wollt ihr wirklich sehen, wie ich mich fühle?« Natürlich sieht Kristen McMenamy, eines der höchst bezahltesten Models der Welt, in Wahrheit nicht so aus. Aber wen schert schon die Wahrheit? Ihr Job ist die Illusion. [...] Dem Photographen, den sie kennt und vertraut, zeigt sie sich offen und verwundet. [...] Und Jürgen Teller bedankt sich für diese Geschenk mit einem in der Modewelt seltenen Geschenk: der nackten Wahrheit.«114

Teller setzt sich als Fotograf in Szene, der die Modeindustrie kennt, innerhalb dieser Welt eine Außenseiterposition bezieht und sich als unabhängiger Fotograf das Recht beibehält, durchaus auch Kritik zu üben. Bezeichnend ist, dass die Aufnahmen für das Süddeutsche Zeitung Magazin nicht Tellers erste Backstage-Arbeiten

111 Teller, Jürgen: 1999: o.S. (Nachwort). 112 S. Jürgen Teller: Foto-Essay (Mode! Moral?), in: Süddeutsche Zeitung-Magazin, 15. März 1996: 69-77. 113 Vgl. Poschardt, 1996: o.S. (Onlinearchiv). 114 O.N. (Text) in: Süddeutsche Zeitung-Magazin, 15. März 1996: 69.

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gewesen sind. Davor hatte er bereits die Modeschauen von Helmut Lang fotografiert und eben jene Aufnahmen sind im Nachhinein in die Kampagne des Designers aufgenommen worden. In diesen Fotografien nutzt er ebenfalls die Ästhetik des Schnappschusses und das Treiben hinter den Kulissen der Modenschauen als Hintergrund. Dadurch wirken die eingefangenen Kollektionsstücke umso glaubhafter. Aber in den Kampagnenfotos wird auf die verstörenden Elemente des Fotoessays verzichtet. Abbildung 2: Terry Richardson, ›Private View‹.

In: i-D, Januar 1996.

Eine vergleichbare Fotostrecke ist im Januar 1996 in i-D zu sehen und trägt den Titel ›Private View‹. Die Zusammenstellung von Terry Richardsons (Abbildung 2), Mark Borthwicks und Craig McDeans Fotografien zeigt sowohl den Arbeitsalltag der Models, die teilweise namentlich genannt werden, als auch die Mode, die sie auf dem Laufsteg präsentieren sollen. Man sieht die Models beim hektischen Kleiderwechsel, wie sie für den Auftritt vorbereitet werden oder wie sie gelangweilt warten und rauchen. Gelegentlich lachen sie und posieren für die Kamera. Statt Einsamkeit, Nacktheit und Desillusionierung werden Gemeinschaftlichkeit, Mode und eine Illusion hinter der Illusion präsentiert. Trotz der formalen Ähnlichkeiten zu Tellers Aufnahmen im Süddeutsche Zeitung Magazin, zielen die Fotos auf eine unterschiedliche Wirkung ab. Selbst Gesten und Aktivitäten wie ein Gähnen oder das Feilen von Fußnägeln scheinen die Models in ›Private View‹ nicht zu entzaubern, sondern verleihen dem Glamour der Modewelt Glaubwürdigkeit. Durch die

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Verweise der Designernamen zu den jeweiligen Schauen sowie die Anwesenheit der Mode bleiben die Bilder im Kontext der Modefotografie verankert. Obwohl Tellers Fotoessay von der Modewelt zunächst erwartungsgemäß kontrovers aufgenommen worden ist, scheint dies Tellers Karriere als Modefotograf nicht geschadet zu haben.115 Tillmans steht der Selbstdarstellung wie sie Teller und andere ausüben daher kritisch gegenüber: »I don’t like the pretence that we’re doing something radical. However grand the proclamations from photographers such as Juergen Teller or Terry Richardson that they don’t want to be ›in fashion‹, that their work is subversive, they take a look and propel it into fashionability.«116 Tellers Verwendung derselben fotografischen Ästhetik für sowohl modefotografische als auch kritisch-dokumentarische Arbeiten weist darauf hin, dass Desillusionierung entweder zur Kritik oder gezielt als Strategie eingesetzt werden kann. Den (Anti-)Modefotografen zeichnet demnach vor allem die Demonstration eines individuellen Standpunktes aus. Dieser wiederum kann der Mode zur Vermittlung bestimmter Qualitäten dienlich sein und letztendlich selbst zur Mode zu werden. Zu Tellers regelmäßigen Auftraggebern gehört seit den 90er Jahren neben Helmut Lang auch Marc Jacobs. Jacobs hat zwei Jahre nach dem Abschluss an der Parsons New School for Design, New York sein eigenes Label gegründet. International bekannt geworden ist er jedoch durch seine umstrittene Grunge-Kollektion für Perry Ellis. Als künstlerischer Direktor des angesehenen Modehauses Louis Vuitton (von 1997 bis 2013) ist er zudem verantwortlich für das verjüngte Image der traditionsreichen Marke.117 Sein Status als anerkannter Designer zeichnet ihn mittlerweile als Teil der etablierten Modewelt aus, gegen die er zu Beginn seiner Karriere noch rebelliert hat. Auf seine Stellung innerhalb der Modeindustrie angesprochen, betont Jacobs hingegen, dass er sich trotz seines Erfolgs immer noch als Außenseiter sieht.118 Sowohl Jacobs als Teller positionieren sich selbst ambivalent

115 Zu den Reaktionen während den Pariser Modenschauen s. Brubach, 1997: Sek. 6; 24. 116 Wolfgang Tillmans zit. in: Williams, 1998: 115. 117 Zur Karriere des Designers s. Jones, 2009: 294 sowie Jones/Rushton, 2008: 34 und 350. 118 Marc Jacobs in: Jones/Rushton, 2008: 357. Jacobs Haltung kann vor dem Hintergrund eines sich wandelnden Verständnisses des Begriffs Modedesigner verstanden werden. Charles Frederick Worth, Urheber der Haute Couture, läutete durch sein Selbstverständnis als Modeschöpfer einen einschneidenden Umbruch ein. Galt der Schneider bis dato als Handwerker, der die Wünsche seiner Auftraggeber lediglich umzusetzen hatte, wandelte sich die Beziehung in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer SchöpferKäufer-Beziehung. Ab Mitte der 1980 Jahre tritt besonders in Großbritannien das Phänomen des an der Kunstschule ausgebildeten Modedesigners in Erscheinung. So hat das Londoner Central Saint Martins College of Art and Design (Alexander McQueen, John Galliano und Hussein Chalayan gehören u.a. zu den Absolventen) einen neuen Desig-

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innerhalb der Modebranche. Durch sein Image kann Teller den unkonventionellen Charakter der Marke Marc Jacobs zum Ausdruck bringen und strategisch mitgestalten. Er trägt somit in erheblichem Maße dazu bei, wie sich Produkt und Designer der Öffentlichkeit präsentieren. Teller selbst äußert sich über die Zusammenarbeit folgendermaßen: »Marc Jacobs [...] braucht meines Erachtens eine Werbekampagne, die sich von den 08/15 Modefotos abhebt und er gewährt mir daher die Freiheit, ihr meine eigene Handschrift aufzudrücken und zu wählen, mit wem, wie und wo ich arbeiten will.«119 Ergebnis dieser langjährigen Zusammenarbeit ist unter anderem ein 2009 publizierter Bildband, der alle Kampagnen versammelt und die künstlerische Identifikation Tellers und Jacobs mit den Kampagnen bekundet.120 Dass Fotografen wie Teller sich in erster Linie über ihre künstlerische Originalität definiert sehen wollen, muss der Arbeit in der Mode- und Werbebranche nicht im Weg stehen. Denn die Mode kann das individuelle Image des Fotografen zur Repräsentation der eigenen Marke nutzen. Die Aufteilung in private und kommerzielle Werke markiert im Ausstellungskatalog Chic Clicks. Modefotografie zwischen Auftrag und Kunst die Verschiedenartigkeit der beiden Kategorien und veranschaulicht zugleich, dass sich Kunst und Kommerz nicht ausschließen. Annelie Lütgens weist in ihrem Beitrag darauf hin, dass es dem Konzept der Ausstellung dabei auch um eine allgemeine Zuordnung nach Fotografentypen geht. Demnach unterscheidet sie zwischen zwei Tendenzen, die, ihr zufolge, für entgegengesetzte Motivationen stehen: der Realismus, der durch Jürgen Teller und in der Ausstellung vertretene Fotografen repräsentiert wird, sowie der Idealismus, repräsentiert durch Steven Meisel, der mit seinen Arbeiten nicht vertreten ist. Lütgens setzt, mit anderen Worten, Realismus mit Widerstand und Idealismus mit Komplizenschaft gleich und differenziert zwischen charakteristischen Haltungen gegenüber der Modeindustrie. Daraus folgernd vermittelt der realistische Stil Inhalte, die in der Mode unerwünscht sind.121 Inwieweit auch mittels eines scheinbar idealisierenden Stils kontroverse Themen adressiert werden können und Realismus oftmals als bloßes Stilmittel eingesetzt wird, wird nicht angesprochen.

nertypus hervorgebracht, der dem zeitgenössischen Modedesign eine unangepasste Haltung verliehen hat. Einen Überblick zu genannten Designern sowie allgemein zum Modedesign in den 90er Jahren liefert Evans, 2003. Zur Integration des Fachbereichs Mode in den Sektor der Kunsthochschule s. weiterführend McRobbie, 2000: 257-258. 119 Jürgen Teller in: Matt/Teller, 2004: 78. 120 Jacobs/Teller, 2009. 121 Lütgens, 2002: T23. Teller hat zwar nicht an der Ausstellung teilgenommen, aber Lütgens nennt ihn in einem Zug mit den in der Ausstellung präsentierten Fotografen.

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Ferner bleibt die Frage, ob eine demonstrativ rebellierende Haltung als Markenzeichen den kommerziellen Interessen der Mode dient. Schließlich ist die Repräsentation eines Images ein zentrales Bestreben der Mode− sei es ein unangepasstes, jugendliches, glamouröses oder konventionelles Image. Die unterschiedlichen Arten eines beruflichen Selbstverständnisses, die in der Modewelt tätige Fotografen zum Ausdruck bringen, sollten daher nicht unbedingt als vehemente Gegenentwürfe ausgelegt werden, sondern vielmehr vor dem Hintergrund einer Zunahme an Möglichkeiten und Vielfalt an Stilen betrachtet werden.

2.3 A LLES IST MÖGLICH ? G RENZAUFLÖSUNGEN N EUKONTEXTUALISIERUNGEN

UND

»So you want to be a Rock’n’Roll star...just throw away your electric guitar and buy yourself a camera. The fashion photographer has never had it so good...«,122 lautet 1996 die Überschrift zu einem Artikel von Liz Farrelly in The Face. Warhols Aufhebung der Grenzen von Hoch- und Populärkultur haben ebenso wie die Entwicklung des emanzipierten Modefotografen in den 70er Jahren zum erhöhten Ansehen des Modefotografen beigetragen. Mode und Modefotografie haben sich ihren Weg in den Ausstellungsraum gebahnt. Die Modefotografie ist nicht mehr ausschließlich Instrument zur Dokumentation und Vermittlung der flüchtigen Mode. Das Modefoto kann über das Bestehen im Modemagazin oder der kurzzeitigen Anbringung im öffentlichen Raum hinaus als Dokument des Lebensgefühls einer Zeit oder als autonomes Objekt mit Kunstwert im kollektiven Gedächtnis behalten werden. Trotz ihres kommerziellen Ursprungs hat es die Modefotografie erreicht, sich außerhalb der ursprünglichen Schauplätze und in der Welt der Museen und Galerien zu etablieren. Mit welchen Intentionen die Integration der Modefotografie vonseiten der Museen herbeigeführt worden ist, mag zwar vorrangig wirtschaftliche Hintergründe haben, doch letztendlich hat dieser Schritt Modefotografie als beachtenswerten Bereich der Kunst legitimiert. Galerien, die sich der Präsentation und Vermarktung von Modefotografien widmen, haben zum gestiegenen Bekanntheitsgrad vieler Fotografen beigetragen. Im Vergleich zur öffentlichen Institution des Museums erscheint der Umgang mit Modefotos in der Galerie für gewöhnlich unbeschwerter, zurückzuführen ist dies auf die offenkundige Einbettung in den Kunstmarkt.123 Die ambivalente Rezeption der Modefotografie im Museum als sowohl Gegenstand der Bildung als auch Sensation gibt den Zustand ihres Gleitens zwischen Kunst und Kommerz wieder. Auf

122 Farrelly, 1996: 164-165. 123 Vgl. Bright, 2011: 134.

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der einen Seite kommt hierbei die Aufrechterhaltung kultureller Hierarchien zum Ausdruck. Andererseits eröffnet sich dem Fotografen jedoch auch die Möglichkeit, sich zwischen den Kategorien zu bewegen. Obwohl die Mode diverse Plattformen der Vermittlung (der Laufsteg, die Printmedien, das Internet, das Musikvideo etc.) nutzt, um gezielt ihr Publikum zu erreichen, sind es letztendlich die Museums- und Galerieräume, die am evidentesten zur kulturellen Erhöhung der Modefotografie beitragen. Hinsichtlich der Problematik des Selektionsprozesses äußert sich Karl Lagerfeld folgendermaßen: »Whatever is good will survive, the rest has to go to the garbage can.«124 Der Designer und Fotograf macht deutlich, dass nicht der Entstehungshintergrund, sondern die Qualität zählt und den Unterschied zwischen dem erhaltungswürdigen und dem kurzlebigen Foto ausmacht. Dies spricht für eine emanzipatorische Tendenz der Modefotografie, die den Kunstbegriff für sich beanspruchen und sich nicht länger anderen Formen der Fotografie unterordnen will. Aus dieser Perspektive betrachtet, rückt die visuelle Wiedergabe des Motivs Mode in den Hintergrund und die repräsentativen Strategien sowie inhärenten Merkmale des Fotos werden relevant. Eine Herauslösung aus dem Originalkontext und die Neuplatzierung von Modefotos in den Ausstellungsraum oder in Publikationen wie das Fotobuch oder den Katalog resultiert jedoch immer in einer Verfremdung.125 In Folge der Transformation zum Kunstobjekt ist oftmals keine deutliche Unterscheidung zwischen Modeund Kunstfoto mehr möglich. Die Art der Einbindung in den neuen Kontext kann daher maßgeblich eine Auslegung bestimmen. So lassen sich Tellers Fotos, die ursprünglich für das Süddeutsche Zeitung Magazin entstanden sind, kurze Zeit später im Bildband Fashion. Photography of the Nineties wiederentdecken, der im selben Jahr von Camilla Nickerson und Neville Wakefield herausgegeben wird. Als Einzelbilder sind die Fotografien voneinander getrennt und mit anderen Modefotografien des Jahrzehnts sowie Arbeiten, die in keinem unmittelbaren Bezug zur Modefotografie stehen, zusammengestellt worden. Richard Princes GirlfriendsRefotografien aus Motorradmagazinen oder Bilder aus Nobuyoshi Arakis und Nan Goldins Fotobuch Tokyo Love (1995) werden ohne weitere Erläuterung mit Bildern, die unter anderem aus Modestrecken in Vogue oder The Face stammen, in einen neuen geteilten Kontext platziert.126 Aufgrund der Kontextverschiebung wirft Smedley den Herausgebern vor, Realität und Fiktion zu vermengen.127 In welchem Maß die Kategorien real und inszeniert, zum Beispiel auf die Fotografien Tellers für das

124 Karl Lagerfeld in: Lagerfeld/Wilkes, 1992: 112. 125 Vgl. Jobling, 1999: 6. Harrison definiert die Kontextverschiebung als Störung der Chronologie. Harrison, 1991: 14. 126 Vgl. Nickerson/Wakefield, 1996: 7, 34, 47-48, 53, 80, 92, 95, 98, 107, 144 und 174. 127 Smedley, 2000: 153.

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Süddeutsche Zeitung Magazin oder das Buchprojekt Go-Sees zutreffen, ist sowieso fraglich. Aussagekräftig an ihrer Zusammenführung im Buch ist hingegen vor allem, dass Originalkontext und damit verbundene inhaltliche Intentionen keine wirkliche Relevanz mehr zu besitzen scheinen. Die Tatsache, dass die Fotos Mode als Thema aufgreifen, vereint sie unter der übergreifenden Kategorie Modefotografie.128 Durch die Erweiterung des Begriffs Modefotografie müssen herausragende Modefotos mittlerweile mehr sein, als ein Mittler zwischen dem Magazin, das modische Ratschläge erteilt, und dem Leser. Modefotografen fangen das Lebensgefühl einer Zeit ein, vermitteln und erschaffen dabei modische Haltungen. Im Hinblick auf die von Polhemus beschriebene Heterogenität an modischen Stilen, lässt sich vermuten, dass zugleich auch die Nachfrage nach vielfältigen fotografischen Stilen zunimmt.129 Immer deutlicher hängt die Vermittlung des Modischen dabei von der Fotografie ab, die nicht mehr nur Medium, sondern visueller Repräsentant der Mode oder eines modischen Lifestyles ist. Zugleich scheint auch die Definition des Modefotos variationsreicher und immer ausgeprägter vom Wissen des Lesers sowie vom Erscheinungskontext abhängig zu werden. Im Rahmen sogenannter LifestyleMagazine gliedert sich die Mode thematisch in ein umfassendes Konzept ein, das bestimmte Haltungen und Visionen einer Generation formt, einfängt und vermittelt. Das Nebeneinander von thematischen Aspekten und die kollaborativen Strukturen der Produktion bieten neuen Boden für die Annäherung von Kunst und Mode. Ein erweitertes Verständnis davon, was Mode bedeuten und beinhalten kann, ermöglicht eine kreativere und zwanglosere Präsentation und Repräsentation von Mode. Im Gegensatz zu traditionellen Magazinen, die ihre feste Leserschaft nicht verlieren wollen, besteht gerade in der Anfangszeit Raum, sich von konventionellen Darstellungsformen der Mode abzuwenden. Die kreative Freiheit, die diese Magazine und auch bestimmte Modedesigner bieten, hat viele etablierte Kunstfotografen dazu verleitet, sich der Mode als fotografisches Motiv anzunehmen. Cindy Sherman ist unter anderem 1993 und 1994 für die Kampagne von Comme des Garçons (gegründet von der Designerin Rei Kawakubo) verantwortlich.130 Ebenso wie in anderen Arbeiten ist sie auch hier ihr eigenes Model. Shermans fotografische Selbstinszenierungen erhalten Impulse durch die Repräsentation von Identität in Film, Mode und Kunstgeschichte. Ihre Praktiken

128 Farrelly legt die Publikation hinsichtlich der Vermengung von Bildern, deren verbindendes Element die Darstellung von Kleidermode ist, als Zelebration der Fotografen aus. Vgl. Farrelly, 1996: 168. 129 Polhemus, 1994. 130 Einzelne Kampagnenbilder wurden u.a. abgedruckt in: Dazed & Confused, 1995 (Nr. 16): 45. Eine Zusammenstellung ist auch zu finden in: Kismaric/Respini, 2004: 54-61.

D OKUMENTATION , V ERMITTLUNG UND R EPRÄSENTATION | 69

der Kostümierung und Maskierung weisen auf die Signifikanz von Kleidung für die Konstruktion von Identität in Medien und Alltag hin. Doch statt wie in ihren bekannten Untitled Film Stills (1977-1980) in stereotype weibliche Filmrollen zu schlüpfen, nutzt sie die Mode in der Modekampagne zur Erschaffung absurder, verstörender und zum Teil beängstigender Figuren. Die Kleidungsstücke werden von Sherman nicht als konsumierbare Hüllen angepriesen, die Äußeres und Inneres der Käuferin verschönern und befriedigen werden. Dagegen erscheinen ihre Bilder beinahe wie eine Warnung davor, dass Mode auch einen gegenteiligen Effekt haben kann und ein hässliches oder lächerliches Inneres nach außen kehrt.131 »Attack clothes − ugly person (face/body) vs. fashionable clothes,«132 hat sich Sherman Jahre zuvor als Herangehensweise für eine Fotostrecke, die Stücke des Modehauses Dorothée Bis zeigt, notiert und mit ihren Portraits für Comme des Garçons scheint sie eine vergleichbare Intention zu verfolgen. Nan Goldin, Philip-Lorca diCorcia, Tina Barney und Larry Sultan sind weitere Beispiele für Fotografen, die sich als Kunstfotografen bereits einen Namen gemacht und sporadische Ausflüge in die Welt der Mode unternommen haben. Diese Fotografen verstehen die kommerzielle Auftragsfotografie jedoch nicht lediglich als Einnahmequelle, um private Projekte zu finanzieren.133 Stattdessen scheint der Reiz vielmehr darin zu liegen, die Grenzen des Möglichen auszuloten. So äußert sich Sherman über ihre Arbeit für Dorothée Bis folgendermaßen: »I preferred anything that was different from that – going against what the fashion magazines said.«134 Der Auftraggeber kann im Gegenzug davon ausgehen, dass die Marke durch die Zusammenarbeit mit einem bekannten Künstler eine kulturelle Aufwertung erfährt. Zwischen Kunst- und Modewelt findet ein Austausch statt, der sich auch in dem anhaltenden Einfluss von Fotografen wie Newton und Bourdin auf die inszenierte Kunstfotografie zeigt. Yang Yong zum Beispiel lässt seit Ende der 90er Jahre junge Frauen an Plätzen des urbanen Chinas posieren und fügt Elemente ein, die an die Modefotografie referieren. Die Posen der Frauen erinnern an Modefotografien oder Filmplakate und vermitteln durch diese vertrauten Inszenierungsmodi Stimmungen wie Langeweile oder Einsamkeit.135 Wenn der autonome künstlerische Standpunkt gezielt als Markenzeichen eingesetzt und von Auftraggebern und Magazinen genutzt wird, kann das Vordringen der Kunstfotografen in den Bereich der Mode durchaus als Bedrohung aufgefasst

131 Vgl. Kismaric/Respini, 2004: 23. 132 Notiz Cindy Shermans vom 3. Januar 1983 in: Kat.Ausst. Cindy Sherman Retrospective, 1997: 118. 133 Vgl. Bright, 2011: 135. 134 Cindy Sherman zit. in: Harrison, 1991: 292. 135 S. Curtin, 2006: 201 und Cotton, 2009 (a): 155.

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werden. Zwei unterschiedliche Reaktionen auf diese Entwicklung erscheinen naheliegend: die Fortführung der Tradition des emanzipierten Modefotografen, der nicht zwischen kommerzieller und privater Fotografie differenziert, oder die Verweigerung einer Zuschreibung zur Modefotografie. Der erste Typus spricht seinem modefotografischen Stil in der Regel bereits einen künstlerischen Wert zu und versteht diesen als Markenzeichen. Wohingegen der zweite Typus sein Künstlerimage besonders außerhalb der Modewelt zu festigen beabsichtigt und es wiederum gezielt als Markenzeichen für seine kommerzielle Arbeit einsetzt. Auf funktionaler Ebene können sich demnach die fotografische Repräsentation von Mode und die Selbstrepräsentation von Medium und Produzent ergänzen.

III. Welt der Bilder: Tradition und Vision Nick is looking for images that he has never seen. His photographs clearly tell us that there are no limitations in our imagination.1 SATOKA NAKAHARA ÜBER NICK KNIGHT, 2009

3.1 Z UM B ESONDEREN

DES

B EWÄHRTEN

Zum Ende eines Jahrhunderts hin kann die Zukunft unsicherer denn je erscheinen und die Tendenz zur Retrospektive liegt nahe. Nostalgie kann sich sowohl als Wertschätzung von Vergangenem sowie als Flucht vor einer Auseinandersetzung mit der Gegenwart äußern. Dabei haftet dem Begriff immer eine gewisse Sentimentalität an und impliziert eine Verfremdung der realen Vergangenheit.2 Im Gegensatz zur Nostalgie scheint sich die Mode, ihrem flüchtigen Wesen entsprechend, primär an der unmittelbaren Gegenwart sowie der Zukunft zu orientieren, um im selben Zug die jüngste Gegenwart als bereits überholt zu erklären. Die Fotografie im Modemagazin soll die Öffentlichkeit über die aktuelle oder bevorstehende Mode in Kenntnis setzen. Dabei sind die Magazine dem Leser immer einen Schritt voraus und auf zeitlicher Ebene entsteht eine gewisse Ambivalenz. Denn das Medium Fotografie versetzt das Subjekt und Objekt durch das Festhalten im Bild immer in die Vergangenheit.3 Was dem Betrachter neu und aktuell erscheint, zeigt gleichzeitig die fotografisch festgehaltene Vergangenheit. Insbesondere die Generation der 90er

1

Satoko Nakahara in: Knight, 2009: 12.

2

Im medizinischen Kontext wurde der Terminus erstmals 1688 von dem Schweizer Arzt Johannes Hofe zur Beschreibung einer krankhaften Form des Heimwehs von in der Fremde stationierten Soldaten verwendet. Im Laufe der Übernahme in einen allgemeineren Sprachgebrauch wurde die räumliche Bedeutung durch eine zeitliche ersetzt und Nostalgie somit in Relation zur Geschichte gebracht. S. Wilson, 2013: 35-36.

3

Vgl. Barthes, 1985 (b): 89.

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Jahre bricht, Polhemus zufolge, nicht mit der Vergangenheit, sondern zeichnet sich durch einen kreativen Umgang mit ihr aus und schöpft aus dem modischen und kulturellen Wissen, das sich über die letzten Jahrzehnte angesammelt hat.4 Simmel stellt bereits 1911 fest, dass die Mode zwar den Bruch mit der jüngsten Vergangenheit forciert, allerdings auch historisierende Neigungen hat. Denn der Kreislauf von Aktualität und Vergessensein ermöglicht eine Wiederentdeckung bestimmter Moden, sobald eine gewisse Zeit verstrichen ist.5 Demnach orientiert sich die Mode durchaus an der Vergangenheit, versetzt sie jedoch immer in einen gegenwärtigen oder vorausschauenden Kontext. In diesem Kapitel wird das Augenmerk auf die Tradition und die Zeit gerichtet. Es soll untersucht werden, wie sich Modefotografie zum bewährten Bild verhält und auf welche Weise dem Vertrauten der Anreiz des Neuen verliehen wird. Da Mode in ein Netzwerk von Vermittlungssystemen eingebunden ist, können Moden auf vielfältige Art und Weise geschaffen und verbreitet werden, sei es durch Printmedien, Musikvideos, das Fernsehen oder den Kinofilm. In Anbetracht des Stichwortes Bilderflut scheint die Frage geboten: Wie bedient sich die Modefotografie aus dem reichen visuellen Fundus der Welt der Bilder, greift bewährte Bildformeln auf und definiert sich dabei als Teil der Populärkultur? Im Anschluss daran soll veranschaulicht werden, mit welchen Mitteln aus zeitgenössischer Perspektive vergangene Zeiten visualisiert werden. Zuletzt verdichtet sich der Blick und richtet sich auf das Modeportrait. Wie steht die Modefotografie zur Tradition des Portraits und welche Verfahrensweisen werden eingesetzt, um das Konventionelle mit dem Modischen zu verbinden? 3.1.1 Bilder nach Bildern Elaine Constantins Fotostrecken erzählen oft Geschichten aus dem Leben jugendlicher Mädchen. In ›To the Manor Born‹ (The Face, Oktober 1998) sind es Kissenschlachten, gemeinsame Ausflüge und Ponyausritte, die eine Gruppe von Mädchen aus gutem Hause zusammenschweißt. Nicht dem typischen Erscheinungsbild des Models entsprechend, bieten die Mädchen der Betrachterin Fläche zur Identifikation. Die Inszenierung zwischen dem Klischee und dem Individuellen löst möglicherweise Erinnerungen an die eigene Jugend aus oder Vorstellungen davon, was eine glückliche Jugend auszeichnen kann. Constantine dienen persönliche Erinnerungen sowie Bilder aus Printmedien als Inspirationsquellen.6 Ihre Vorgehensweise bei der Gestaltung eines Settings beschreibt sie folgendermaßen:

4

Polhemus, 1994: 9 und 130.

5

Simmel, 1986: 204.

6

Elaine Constantine in: Cotton, 2000: 152.

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»When I put together a fashion story I consciously avoid any props or location details or even, where possible, styling references that situate the pictures in too precise a time. This seems to be the only way of giving my images a feeling of nostalgia. I think that a lot of people identify with my work for this reason.«7

Lediglich die dargestellten Kleidungsstücke liefern eventuelle Hinweise zur zeitlichen Verortung. Die temporale Unbestimmtheit der Szenen erzeugt den Effekt der Nostalgie und verlagert das Gesehene zugleich in eine fortdauernde Gegenwart. In einer ähnlichen Fotostrecke, die im Dezember 1997 in The Face zu sehen war, wird unter anderem eine Gruppe Mädchen auf Fahrrädern (Abbildung 3) gezeigt. Das Motiv ruft eine Arbeit Herman Landshoffs aus den 30er Jahren in Erinnerung. In jener Schwarz-Weiß-Aufnahme für Junior Bazaar hat Landshoff drei junge Frauen festgehalten, die auf Fahrrädern am Fotografen vorbeifahren.8 Der verschwommene Hintergrund hebt die Bewegung als bedeutende Bildkomponente hervor und ist hier zum ersten Mal als Gestaltungsmittel in Modefotografien eingesetzt worden.9 Die Abkehr von einem bis ins Detail erkennbaren Gesamtbild spricht zunächst für einen fotografischen Kontrollverlust zugunsten der Spontanität. Hierdurch wird der Eindruck vermittelt, dass die dargestellte Aktivität und nicht die Mode im Mittelpunkt steht. Die Models wenden sich nicht der Kamera zu, sondern scheinen lediglich ihre Freude am Fahrradfahren zu genießen und den Fotografen dabei nicht wahrzunehmen. Lachend strecken sie ihre Beine von sich, werfen den Kopf in den Nacken oder fahren im Stehen – die Mode wird folglich nicht mittels der gängigen starren Posen zur Schau gestellt. Dennoch wird die Kleidung deutlich eingefangen, was für ein starkes Maß an fotografischer Kontrolle spricht. Constantines Fotografie kann auf den ersten Blick entweder als Hommage an oder Parodie auf Landshoffs Vorbild ausgelegt werden. Die Wiederverwendung des für die Modefotografie untypischen Motivs – junge Mädchen, die zusammen Spaß beim Fahrradfahren haben – deutet schon auf die Bedeutung Landshoffs innerhalb der Geschichte der Modefotografie hin. Durch die Abwandlung der formalen Elemente bleibt im Grunde jedoch nur noch das Motiv erhalten. Die beobachtende Distanz zwischen Fotograf und Mädchen wird aufgehoben und statt vorbeizufahren, fährt die Gruppe eine Straße hinab, direkt auf die Kamera zu, und es wirkt, als würden sie die Fotografin jeden Moment umfahren. Dabei schreien sie und verzerren die Gesichter beinahe grimassenhaft. Die Lebendigkeit der Szene wird durch die künstlich wirkende Farbigkeit zusätzlich betont.

7

Elaine Constantine in: Cotton, 2000: 152.

8

Abgebildet in: Hall-Duncan, 1979: 81.

9

Hall-Duncan, 1979: 78.

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Abbildung 3: Elaine Constantine: ›Sarf Coastin’‹.

In: The Face, Dezember 1997.

Landshoff hatte Jahrzehnte zuvor eine Bildlösung gefunden, der Zeit entsprechend Mode in Kombination mit Bewegung darzustellen. Constantins Variante kann als eine überspitze Wiedergabe dessen beschrieben werden. Statt eleganter Freude zeigt sie losgelöste und unkontrollierte Emotionen und statt Bewegung von einem neutralen Standpunkt aus zu beobachten, fühlt sich der Betrachter von der Dynamik unmittelbar betroffen. Die Ungezwungenheit der Mädchen entspricht nicht den Erwartungen des Betrachters an ein Modefoto und somit nicht den Konventionen. Doch trotz der Überspitzung bewegt sich der Humor nicht auf der Ebene der Verspottung. Es wird Sympathie für die Mädchen hervorgerufen und dadurch Wertschätzung für das Original zum Ausdruck gebracht. Anfang des 21. Jahrhunderts bemerkt der Modefotograf und Sammler Gundlach, dass es: »[...] in jüngster Zeit sicher auffallend ist, in welch starkem Maße die Modephotographie sich auf ihre eigene Geschichte besinnt. Sie ist in ihr selbst-reflexives Stadium eingetreten. Immer häufiger zitiert sie sich selbst, greift Themen und Bildsprachen der Vergangenheit wieder auf. Das ist kein bloßes Recycling. Das Zitat kann als Hommage gemeint sein [...]. Es kann aber auch in ironischer Brechung zur kritischen Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart reizen.«10

10 Gundlach, 2000: 14.

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Constantines Fotografie bewegt sich auf der Ebene der Hommage und die Fotografin verleiht ihrer Version durch Humor eine einzigartige Komponente. Pastiche und Schizophrenie Angesichts der imitativen und zitathaften Verwendung von Vorlagen sowie des Effekts der Nostalgie, den Constantine bei der Konzeption ihrer Modestrecken im Sinn hat, könnte man hier mit Fredric Jameson für typische Kennzeichen des Postmodernismus argumentieren: »[...] we seem condemned to seek the historical past through our own pop images and stereotypes about the past, which itself remains forever out of reach.«11 Im Hinblick auf die postmoderne Beschaffenheit wird der vielseitig verwendbare Begriff Pastiche von diversen Autoren aufgegriffen. Jameson legt in The Cultural Logic of Late Capitalism das Pastiche als bezeichnendes Verfahren der Postmoderne aus und tendiert zur negativbehafteten Verwendung des Begriffs. Er weist darauf hin, dass Parodie und Pastiche gewisse Übereinstimmungen aufweisen, aber zwei unterschiedliche Formen der Imitation sind. Beide machen sich bestimmte Besonderheiten zu eigen und ahmen diese nach. Allerdings ist das Pastiche im Gegensatz zur Parodie neutral und vermittelt nicht die Idee des Exzentrischen oder des Einzigartigen, das sich von einer Norm absetzt. Als Folge der Abkehr von dem Konzept eines individuellen Stils und der Entwicklung hin zu einem Zustand, in dem Heterogenität und Diversität vorherrschen, wird die Parodie unmöglich und das Verfahren Pastiche gibt den postmodernen Zweifel an Einzigartigkeit wieder. Was bleibt den Produzenten kultureller Werke also noch zu erschaffen? Jameson zufolge bleibt ihnen nur die Plünderung der Geschichte. Die Vergangenheit wird zu einer unüberschaubaren Sammlung von Bildern ohne historische Struktur und Bedeutung, aus der geschöpft und Simulakren, Kopien ohne Originale, erschaffen werden.12 Neben dem Pastiche benutzt Jameson den Begriff der Schizophrenie (im nicht-klinischen Sinne) zur Beschreibung postmoderner Tendenzen. Das schizophrene Erlebnis entspricht Jamesons Verwendung nach einem Zustand zeitlicher Entrücktheit, in dem chronologische Zuordnungen nicht gegeben sind. Darstellungen der Vergangenheit basieren nicht auf eigenen Erfahrungen, sondern setzen sich aus stereotypischen Ideen über vergangene Zeiten zusammen. Am Beispiel des so-

11 Jameson, 1998: 135. 12 Jameson, 2009: 16-18. Als konkretes Beispiel für die Idee des Simulakrums bezieht sich Jameson auf den Fotorealismus: »[Photorealism; Anm. der Autorin] looked like a return to representation and figuration [...] until it became clear that their objects were not to be found in the ›real world‹ either but were themselves photographs of that real world, this last now transformed into images, of which the ›realism‹ of the photorealist painting is now a simulacrum.« Ebd.: 30. S.a. Jameson, 1998: 130-133.

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genannten ›Nostalgie-Films‹ illustriert Jameson, dass die Annäherung an die Vergangenheit nicht über die Wiedergabe historischen Inhalts erfolgt. Vielmehr werden historische Stilmittel und ›Kulturartefakte‹13 wie Kleidermoden und Musik, aufgegriffen und erschaffen Darstellungen von Vergangenem, die reale Erfahrungen von Geschichte ersetzen.14 Constantins Schilderung ihrer Vorgehensweise weist zwar Parallelen zu Jamesons Beschreibung postmoderner Tendenzen auf, aber dem Bedienen aus einem kollektiven visuellen Archiv setzt sie eine individuelle Komponente, in Form von persönlichen Erinnerungen oder Wahrnehmungen, entgegen. Durch die Verwendung der Bezeichnung Vision betont sie das Charakteristikum der Einzigartigkeit. 15 Die zeitliche Entrücktheit ihrer Fotografien ist mit dem schizophrenen Erlebnis vergleichbar. Doch ohne den Bezug auf eine bestimmte Zeit oder ein Stilmittel, wird nicht die Vergangenheit zur Kopie ohne Original, sondern die Szene wird zu einer zeitlosen Darstellung des Themas der weiblichen Jugend. Ob Landshoffs Fotografie aus den 30er Jahren tatsächlich als Referenz verstanden werden soll, ist für die Auslegung daher irrelevant. Aneignung geht hier nicht mit einer Entleerung von Bedeutung einher und die Wertschätzung für das Original wird durch die sympathieerweckende Darstellung der Mädchen zum Ausdruck gebracht. Nur insofern eine gewisse Vertrautheit mit der Geschichte der Modefotografie besteht, kann Constantines Fotografie vom Betrachter als Referenz an oder Parodie auf ein Original ausgelegt werden. Jamesons recht eingrenzende Auslegung des Begriffs Pastiche verleitet dazu, dem Verfahren Bedeutungsgehalt abzusprechen, besonders in Bezug auf eine wertschätzende oder auch kritische Auseinandersetzung mit einem Original.16 Daher wird im weiteren Verlauf Imitation als Grundlage des Pastiches verstanden, der Be-

13 Dika benutzt in Bezug auf Jamesons Definition des Nostalgie-Films die Begrifflichkeit des Kulturartefakts. Dika, 2003: 10. 14 Jameson, 2009: 19-21 und 25. S.a. Jameson, 1998: 133-138. 15 Vgl. Elaine Constantine in: Cotton, 2000: 152. 16 Hoestery weist auf diese Tendenz hin. »The locus classicus for the lack of critical reflection about the classification in question is Fredric Jameson’s commentary on pastiche [...] the prominent critic dismisses postmodern pastiche as ›blank parody‹.« Hoesterey, 2001: ix-x. Bereits in der Einleitung zum Buch Postmodernism or, the Cultural Logic of Late Capitalism (1991) macht Jameson seinen kritischen Standpunkt deutlich, indem er sich auf Theodor W. Adornos und Max Horkheimers Text Kulturindustrie, Aufklärung als Massenbetrug (1947) bezieht: »Any sophisticated theory of the postmodern ought to bear something of the same relationship to Horkheimer and Adorno’s old ›Culture Industry‹ concept as MTV or fractal ads bear to fifties television series.« Jameson, 2009: x. Weiterführend s. Adorno/Horkheimer, 2013: 128-176.

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griff aber in seiner vielseitigen Definitionsform genutzt. Entsprechend seiner Abstammung von dem Wort Pasticcio kann Pastiche als eine Zusammenstellung von Elementen aus verschiedenen Werken, Kontexten und Medien oder als Imitation (unabhängig von einer kombinierenden Anwendung) verstanden werden, die eine bewertende oder neutrale Form der Übernahme darstellt.17 Kollektive Erinnerungen: Glen Luchfords Film Stills 1997 und 1998 erhält Glen Luchford den Auftrag, die Werbekampagnen für das Modehaus Prada zu erstellen. Für die Produktion wird ihm ein ungewöhnlich hohes Maß an kreativem Freiraum, Budget, technischem Zubehör und Zeit zur Verfügung gestellt. Schon in früheren Arbeiten, in denen Lichtquellen wie Fernsehbildschirme, Aufzüge oder Korridore atmosphärische und erzählerische Verwendung finden, wird Luchfords ausgeprägtes Interesse für die Belichtung in der Fotografie ersichtlich.18 Die technische Ausstattung sowie die Möglichkeit, ganze Settings im Studio aufzubauen, haben die Grundidee der Prada-Kampagnen zuwege gebracht: die Erschaffung cinematographischer Lichtqualitäten.19 Für eine Außenaufnahme von Amber Valletta auf einem im Dämmerlicht treibendem Boot wird zum Beispiel die Hilfe des Kameramanns Barry Ackroyd herangezogen, um der Fotografie die stimmungsvolle Beschaffenheit eines Stills aus einem Andrei Tarkowsky Film zu verleihen. Die Innenaufnahmen orientieren sich hingegen an David Lynchs Blue Velvet (1986) und seinem Gebrauch von low-keyBeleuchtung. Die starken Kontraste zwischen dunklen Schatten und hellen Bildbereichen schaffen Bereiche, in denen Details der Kleidungsstücke und Accessoires zu erkennen sind.20 Ähnlich wie in Lynchs Geschichte über die Abgründe, die sich innerhalb einer idyllischen amerikanischen Vorstadt auftun, sind in den Bildern die mysteriöse Stimmung und das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, vorherrschend.21 Die atmosphärische Wirkung der einzelnen Fotografien ebenso wie die Zusammenstellung als Serie regt die Fantasie des Betrachters an, liefert jedoch keine weiteren Erklärungen zu den Beweggründen Vallettas, der wiederkehrenden und einzigen Figur beider Kampagnen. Die teilweise nur fragmentarisch dargestellten Ausschnitte ihres Körpers erzeugen einen klaustrophobischen Effekt und vermitteln den Eindruck einer unmittelbar anwesenden Bedrohung.

17 Vgl. Dyers vielseitige Auslegung von Imitation sowie die Einbeziehung von Begrifflichkeiten und Motivationen wie Genre, Hommage, Emulation etc. Dyer, 2007: 7-51. 18 Vgl. Jenny Saville in: Luchford, 2009: o.S. 19 Glen Luchford in: Cotton, 2000: 53. 20 Zur Inspiration für die Beleuchtung s. Glen Luchford in: Cotton, 2000: 53 und Luchford, 2009: o.S. 21 Vgl. Kismaric/Respini, 2004: 23-25.

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Durch den Einsatz filmischer Verfahren und die verschiedenen Genreassoziationen werden Szenen aus Filmen in Erinnerungen gerufen, die abhängig von der filmischen Kenntnis des Betrachters vielfältig ausfallen können. Im Gegensatz zu beispielsweise Shermans Untitled Film Stills, die Kopien ohne Originale sind,22 lassen sich einige von Luchfords Einzelfotografien auf Vorlagen zurückführen. Vallettas Blick durch einen Türspion zitiert zum Beispiel eine Szene aus Luis Buñuels Belle de Jour aus dem Jahr 1967.23 Besonders in der zweiten Kampagne von 1998 lassen sich diverse motivische Zitate entdecken: Valetta, die sich in einer weiß erleuchteten Winterlandschaft den dunklen Mantel zuhält, erinnert an Jack Nicholson im verschneiten Irrgarten in The Shining (Stanley Kubrick, 1980) oder die Nachtaufnahme einer vom Neonlicht erleuchteten Fassade, die an Ridley Scotts Konstruktion der futuristischen und mit leuchtenden Werbetafeln übersäten Stadt in Blade Runner (1982) denken lässt. Filmgeschichte wird als kollektive Erfahrung verstanden, deren Bildverfahren und Ikonographie zum allgemeinen kulturellen Bestand gehören.24 Dabei greift Luchford mit Blade Runner und Blue Velvet interessanterweise Filme auf, die häufig als Exempel für ihre Pastiche-Strukturen herangezogen werden. 25 Luchfords Orientierung an filmischen Vorlagen und Methoden ist demnach mehr als ein bloßes Imitieren von Originalen, denn die Modefotografie wird in der Tradition des Pastiches verankert. Mit der Aneignung formaler und stilistischer Konstruktionsweisen bewegter Bilder geht jedoch eine Anpassung an den Kontext und damit verknüpften Intentionen des stillen Bildes einher. Denn als Modebilder müssen die Fotografien auch losgelöst von einem referentiellen Bezugsrahmen funktionieren. Die Inszenierung der Mode in erzählerischer Form und ästhetische Elemente, die typisch für die Bilder der Hochglanzmagazine sind, machen die Kampagnen unabhängig von ihrer Referenz zu Vorlagen oder dem Konzept der Serie einsetzbar. Ihre Definition als Pastiche erfahren sie hingegen erst durch den Betrachter. So schreibt Richard Dyer über die Bedeutung der Erkenntnis des Rezipienten: »Pastiche intends that it is understood as pastiche by those who read, see or hear it. For it to work, it needs to be ›got‹ as a pastiche. [...] Considered purely as an understanding among producers and consumers, every pastiche has its particular group that gets it.«26

22 Vgl. Krauss, 1998: 217-220. 23 Vgl. Luchford, 2009: o.S. und Luis Buñuel, Belle de Jour, 1967: 41:40. 24 Vgl. Jenny Saville in: Luchford, 2009: o.S. 25 Vgl. beispielshalber Hoesterey, 2001: 47-52 und 77. 26 Dyer, 2007: 3.

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Die primäre Intention von Luchfords Fotografien ist das Wiedererkennen der Vorlagen oder die allgemeine Erkenntnis, dass Strategien des Filmes auf die Fotografie übertragen wurden. Dadurch entwickelt sich eine Ansprache jener, die über ähnliches Wissen verfügen. Doch selbst wenn das Pastiche unerkannt bleiben sollte, bleiben Aufnahmen, deren atmosphärische Kulissen die Mode ansprechend in Szene setzen. Die durch die Ästhetik und das Pastiche erzielten Effekte stimmen mit Barthes’ Analyse des Werbebildes als sowohl eindeutig und variationsreich überein. So vermitteln die Bilder gezielt Attribute wie anziehend, mysteriös etc. und zugleich scheint es » [...] als ob sich das Bild mehreren Menschen zur Lektüre anböte, und diese Menschen können durchaus in einem einzigen Individuum koexistieren.«27 Steven Meisels Plünderungen der Bilderwelt 2001 präsentiert die Londoner White Cube Galerie in der Ausstellung Four Days in LA: The Versace Pictures Steven Meisels Werbeserie für die Herbst/WinterKollektion 2000/2001 des Modehauses. Obwohl die Werbeaufnahmen Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, ist eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Meisels Serie die Ausnahme geblieben.28 Lütgens, die dem Fotografen eine dem Idealismus verpflichtete Haltung unterstellt, erkennt die Funktion der Bilder im Bedienen des luxuriösen Images des Modehauses und beschreibt die anschließende Überführung in den Kontext der Kunst als perfekte »Komplizenschaft zwischen Auftraggeber (Versace), Fotograf (Meisel), Medium (zum Beispiel Vogue) und Kunstbetrieb (White Cube).«29 Einer tatsächlichen Grenzüberschreitung von Kunst und Kommerz steht diese Art der Neu-Kontextualisierung, die, Lütgens zufolge, nur die kommerziellen Interessen des Kunstbetriebes befriedigt, allerdings im Wege. 30 Hauptsächlich scheint Lütgens die glamouröse Präsentationart Meisels zu missfallen, der sie Ironie und jegliche Bedeutung, die über das Offensichtliche hinausgeht, abspricht. Unerwähnt bleibt die Pastiche-Verfahrensweise, die kennzeichnend für seine vielfältigen Bildlösungen ist und die, auf den ersten Blick, durchaus zu Lütgens Auffassung von Idealismus als das Konventionelle gerechnet werden kann.

27 Barthes, 2013 [a]: 41, s.a. 28. 28 Loring Wallace nimmt diese Haltung des Kunstjournalismus zum Ausgangspunkt für ihre Analyse der Serie. Im Hinblick auf die Ära des Klonens untersucht sie Meisels Darstellung von Gleichheit. S. Loring Wallace, 2008: 154-167. 29 Lütgens, 2002: T23. 30 Vgl.: »Ein solcher Auftritt im Kunstbetrieb mag einem Star der Modefotografie als Imagegewinn dienen, während die geschäftstüchtige Kunstgalerie ihr Sommerloch mit dem Glamour der Haute Couture füllen kann.« Lütgens, 2002: T23.

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Meisel bedient sich frei aus dem visuellen Fundus verschiedenster Medien und Genres. Für die bereits erwähnte Versace-Kampagne hat er die Models Amber Valletta und Georgina Greenville, beinahe identisch zurechtgemacht, in imposanten Innenräumen diverser Villen in Beverly Hills als Hausherrinnen posieren lassen. Meisel hat die Arbeit als krankhafte Form von Glamour beschrieben und der zur Schau gestellte Glamour sowie das perfekte Äußere der Models erinnern unweigerlich an erfolgreiche Fernsehserien der 80er Jahre wie Dallas (1978-1991) oder Dynasty (1981-1989), in denen Luxus, Reichtum und Macht den Stoff für Geschichten um Intrigen und Familienschicksale bilden.31 Evans zieht zum Vergleich ebenfalls die bekannten Serien heran und ordnet Meisels Kampagne zwischen der trockenen Darstellung demonstrativen Konsums und der Parodie ein.32 Das Muster der präsentierten Kleidung ist inspiriert durch die 70er Jahre und die Innenausstattung der verschiedenen Villen erscheint im Ganzen der Fotoserie wie ein eklektisches Zusammentreffen verschiedenster Epochen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Bildtypus des repräsentativen Portraits zur Darstellung aktueller Mode genutzt wird, die gewisse Tendenzen zur Retroästhetik aufweist. Vermengt werden die Verweise an die Bildtradition mit Elementen, die aus Seifenopern vergangener Zeiten vertraut scheinen, und dem Glamour realer Schauplätze. Resultat ist die Konstruktion einer »imaginary, pastiched world of Los Angeles, in some unspecified and unspecifiable time.« 33 Innerhalb ihres kommerziellen Rahmens unterstreichen die Bilder die Retroästhetik der Mode und wirken zugleich wie eine übersteigerte Repräsentation des glamourösen VersaceImages sowie eine ironische Darstellung der wohlhabenden Zielgruppe des Modehauses. Losgelöst vom Originalkontext tritt die Mode in den Hintergrund und die Ironie und der Exzess rücken in den Mittelpunkt. Zwei Jahre zuvor hatte Meisel für Versace eine Werbekampagne erstellt, deren Inspirationsvorlagen aus der Kunstgeschichte stammen.34 In einer düster malerischen Schneelandschaft nehmen die weiblichen Models starre Posen ein und geben Szenen wieder, die sich der christlichen Ikonographie bedienen. Sei es die Schlüsselübergabe an Petrus oder Christus Grablegung. Attribute wie Schlüssel, Schwerter, Posaunen, Bücher, Dolche, Kelche etc. erzeugen eine überladene Symbolhaftigkeit. Die bleiche und wächsern glänzende Haut der Models verstärkt die

31 Steven Meisel in: Aletti/Meisel, 2001: o.S. Zwar wurden in der Ausstellung nicht alle Kampagnenbilder als Exponate gezeigt, aber der Katalog bietet einen umfangreichen Überblick. 32 Vgl. Evans, 2003: 110-111. 33 Loring Wallace, 2008: 158. 34 Die Bilder der Herbst/Winter-Kampagne 1998 sind online zu finden: http://www. fashionadexplorer.com/l-versace--p-steven-meisel--i-2.

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Wirkung der materiellen Oberfläche und verleiht ihr eine beinahe auratische Ausstrahlung, wie sie Gemälden innewohnt. Benjamin schreibt in Anbetracht der Auswirkungen der Reproduktionstechniken auf die Einzigartigkeit des Kunstwerkes und dessen Einbettung in einen Traditionszusammenhang vom Verlust der Aura. Dieser Verlust von Einmaligkeit durch Reproduktion geht einher mit der Überwindung von Distanz und Dauer.35 Der auratische anmutende Effekt wird in Meisels Serie durch ihre Einbettung in einen kommerziellen Kontext und die damit einhergehenden Kennzeichen der Flüchtigkeit, Wiederholbarkeit und Nähe unmittelbar als Illusion entlarvt. Die Darstellung von männlichen Figuren durch weibliche Models betont den theatralischen Bühnencharakter und die imitative Konstruktion. Zwar verweist die Aneignung christlicher Bildformeln auf einen religiösen Kultwert und eine vertraute Bedeutungshaftigkeit, aber durch die überbordende malerische Ästhetik und starre Komposition rücken traditionelle Bedeutungen in den Hintergrund und die Offensichtlichkeit der Imitation wird hervorgekehrt. Meisels Plünderungen eines umfassenden Bilderfundus von Hoch- und Populärkultur weisen keine hierarchischen Differenzierungen auf. Während die spätere Reihe für Versace auf verschiedenen Ebenen eine Vermengung von Vertrautem beabsichtigt, richtete sich der Blick in der Kampagne von 1998 gezielt auf die Kunstgeschichte und ist auf eine imitative Konzipierung von modisch stilisierten Bildlösungen ausgelegt.36 Die Deutung beider Kampagnen als Pastiche hängt von der Vertrautheit des Betrachters mit den verwendeten Bildtypen und Motiven ab. Im Gegensatz zur Werbekampagne können die begleitenden Texte der Modestrecke dem Leser zusätzliche Hinweise liefern. »A Renaissance Romance. A wedding set in Arcadia is a fairy-tale affaire, where champagne chalices, floral crowns, and tulle trains bring strokes of romance to a country canvas,«37 lautet zum Beispiel die Einleitung zu einer Strecke von Meisel in der amerikanischen Vogue (Juni 1998). Ungeachtet der Bildtradition Arkadiens werden anhand des Textes Vorstellungen von der Romantik einer märchenhaften Landidylle erzeugt. Die Einzelfotografien der Kampagnen bauen nicht auf textuelle Ergänzungen, sondern weisen

35 Benjamin, 1977 [a]: 11-18. 36 Vergleichbar ist auch Meisels Werbeaufnahme für den Yves Saint Laurent Duft Opium (1999), die eine nackte sich rekelnde Sophie Dahl auf dunkelblauer Samtdrapierung zeigt und deren Inspirationsquelle bekannte Akte der Kunstgeschichte sind − mit Augenmerk auf die Pose besonders Bronzinos Allegorie mit Venus und Cupido (ca. 1545) Die Steigerung des explizit sexuellen Gehalts ist zugleich Abwandlung und Aktualisierung der Tradition und hat zum Verbot der Fotografie geführt. S.a. Loring Wallace, 2008: 154 und 166. 37 O.N.(Text): ›A Renaissance Romance‹, in: Vogue (US), Juni 1998: 180.

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wieder durch die Übersteigerung des Dargestellten auf ihre zugrundeliegende Pastiche-Struktur hin. Durch den Eindruck des Überspitzten und Exzesshaften scheinen sich Kommentare auf aufgegriffene Originale oder Bildtraditionen abzuzeichnen. Ist die Repräsentation von Status und Macht erstrebenswert und wirkt tatsächlich noch modern? Welche Rollen werden Frauen in der Kunstgeschichte traditionell zugewiesen? Diese und ähnliche Fragen können aufkommen und der bloßen Neutralität der ästhetisch glänzenden Oberfläche Risse zufügen. Norbert Bolz’ These, dass Reklame stets die Balance zwischen dem Neuen und Vertrauten finden muss, dabei im Gegensatz zur Kunst allerdings nicht anstrengend sein darf, lässt sich sowohl bestätigend als widerlegend auf Meisels Modefotografien übertragen.38 Seine Arbeiten können durchaus komplexe Inhalte vermitteln, eine tiefergehende Lektüre wird dem Betrachter jedoch nie aufgedrängt. 3.1.2 Die gute alte Zeit Die Modefotografie ist am Ende des 20. Jahrhunderts gekennzeichnet durch einen kreativen Umgang mit der Vergangenheit. Wie die bisherigen Beispiele veranschaulicht haben, hat ein Aufgreifen bestimmter Originale nicht zwangsläufig die Referenz an vergangene Epochen zum Anliegen. Durch den Einsatz von Retroästhetiken wird jedoch häufig an eine bestimmte Zeit referiert oder die nostalgische Hinwendung zur Vergangenheit hervorgekehrt. Meisel beschränkt sich daher nicht auf ein Aneignen kollektiver Inspirationsquellen, sondern wendet sich auch dem Bereich des Privaten zu und imitiert dessen fotografische Bildtypen. Gerade die Fotografie scheint durch ihr Bezeugen der Vergangenheit über nostalgischen Wert zu verfügen oder wie Sontag es formuliert: »Fotos fördern Nostalgie.«39 Barthes’ Die helle Kammer gehört wohl zu den meist zitierten Texten des Diskurses um das Medium Fotografie. Im Laufe seiner persönlichen Annäherung an das Wesen der Fotografie, stellt sich Zeit als einer der Schlüsselbegriffe der fotografischen Erfahrung heraus. Dieses, sein zugleich letztes Buch, hat Barthes mit dem Ziel begonnen, die Anziehungskraft bestimmter Fotografien nachvollziehen zu wollen: »Eines Tages, vor sehr langer Zeit, stieß ich auf eine Photographie des jüngeren Bruders von Napoleon, Jérôme (1852). Damals sagte ich mir, mit einem Erstaunen, das ich seitdem nicht mehr mindern konnte: ›Ich sehe die Augen, die den Kaiser gesehen haben‹.«40 Mit diesen Worten beginnt Barthes und beschreibt eines jener Fotos, die eine anhaltende Faszination auf ihn ausgeübt haben. Damit eröffnet

38 Bolz, 1996: 28. 39 Sontag, 2008: 21. 40 Barthes, 1985 (b): 11.

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sich jedoch schon eine der größten Schwierigkeiten: »der PHOTOGRAPHIE auf die Spur zu kommen«. Denn was »[...] immer auch ein Photo dem Auge zeigt und wie immer es gestaltet sein mag, es ist doch allemal unsichtbar: es ist nicht das Photo, das man sieht. [...] der Referent bleibt haften.«41 Barthes unterscheidet als Betrachter von Fotografien zwischen zwei verschiedenen Anschauungsweisen. Das ›studium‹ lässt sich zusammenfassend als ein allgemeines Interesse an bestimmten Fotografien beschreiben. 42 Wohingegen das ›punctum‹ schwieriger zu erfassen ist, da es die subjektive Betrachtererfahrung eines Details ist, das immer zufällig anwesend ist und sich den Intentionen des Fotografen entzieht. Die Erfahrung des punctums ist eine individuelle und hinterlässt gewissermaßen ihre eigene Spur beim Betrachter: »Denn punctum, das meint auch: Stich, kleines Loch, kleiner Fleck, kleiner Schnitt − und Wurf der Würfel. Das punctum einer Photographie, das ist jenes Zufällige an ihr, das mich besticht (mich aber auch verwundet, trifft.)«43 Die zweite Erkenntnis des punctums bezieht sich im Gegensatz zum Detail nicht auf das unmittelbar Abgebildete, sondern auf die Bestätigung der Zeit. Der Sinngehalt der Fotografie, ihr ›Es-ist-so-gewesen‹, liegt, so Barthes, in der Verbindung von Realität und Vergangenheit. Damit verortet er die Zeugenschaft der Fotografie auf einer zeitlichen Ebene. Dennoch fördert ein Foto nicht die Erinnerung, da es ausgefüllt ist von einer Präsenz dessen ›das-so-gewesenist‹ und daher keinen Raum für Erinnerungen lässt.44 An Barthes’ Beschreibungen anknüpfend kann man behaupten, dass Fotografien sich eben nicht zur Erweckung von Nostalgie (womit der idealisierende Blick auf Vergangenes gemeint ist) anbieten, da die Zeugenschaft des Mediums diesen ins Stocken bringt. Ohnehin nimmt die Modefotografie in dieser Hinsicht eine Sonderstellung ein: Denn in der Regel ist der Blick auf das Modefoto von der Gewissheit erfüllt, dass das Gesehene nicht nur so gewesen ist, sondern oft bis ins Detail so inszeniert worden ist.45 Dadurch wird die Frage nach den Intentionen des Fotografen und des Auftraggebers zum vorherrschenden Gedanken. Darüber hinaus wird die Fotografie im Magazin in einen möglichst aktuellen Kontext eingebettet und erfüllt üblicherweise eine vorausschauende Funktion. Diese Verschränkung von zeitlichen Ebenen erschwert die Erzeugung von Nostalgie zusätzlich. Es stellt sich die Frage: Welche Funktionen erfüllen Retroästhetik und der Anschein von Nostalgie in der Modefotografie?

41 Barthes, 1985 (b): 14. 42 Vgl. Barthes, 1985 (b): 35-37. 43 Barthes, 1985 (b): 36. 44 Barthes, 1985 (b): 86-87 und 92-100. 45 Vgl. auch Barthes’ Wahrnehmung der intentionalen Bedeutung im Werbebild. Barthes, 2013 [a]: 28.

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Es war einmal in Vogue Für die Modestrecke ›The Good Life‹ (italienische Ausgabe der Vogue, Oktober 1997) nutzt Meisel die retrospektive Qualität der Fotografie, um das Modell eines idealen Familienlebens übersteigert darzustellen.46 Die Fotostrecke lässt sich wie ein typisches Fotoalbum durchblättern, in dem besondere Momente wie Feste oder Urlaube gesammelt werden. Ein junges Pärchen mit mehreren Kindern ist bei diversen Aktivitäten und gelegentlich in verschiedenen Konstellationen mit weiteren Paaren zu sehen. Die gepackten Koffer auf dem Autodach des Eröffnungsbildes lassen darauf schließen, dass hier nicht der Alltag der Familie, sondern ein Urlaub zu sehen ist – ein Anlass, der es wert ist, bildlich festgehalten und aufbewahrt zu werden. Während der diversen Gruppenaktivitäten sehen sowohl die Erwachsenen als auch die Kinder äußerlich perfekt zurechtgemacht aus und lächeln ununterbrochen. Die einzelnen Kleidungsstücke (karierte Blusen, Cardigans, knielange Röcke, Hemden oder Anzüge) sind zu konservativen Outfits zusammengestellt worden. Passend hierzu sind die Frauen makellos geschminkt, ihre Föhnfrisuren glänzen gepflegt und die Männer tragen ihre Haare akkurat gescheitelt. Das Interieur erinnert an amerikanische TV-Sitcoms der 60er Jahre wie die Dick van Dyke Show (19611966) oder I Dream of Jeannie (1965-1970). Durch das Styling, die Inneneinrichtung, den Oldtimer sowie die intensive Farbsättigung der Fotografien wird ein Retroeffekt kreiert und die Szenen in einen Vorort der späten 50er oder 60er Jahre platziert. Häusliche Aufgaben werden nach geschlechterspezifischen Konventionen aufgeteilt. Folglich kümmern sich die Frauen um die Verpflegung, während die Männer Zeitung lesen oder Klavier spielen. Da gemeinschaftliche Rituale aufrechterhalten werden und jeder zu wissen scheint, welche Rolle er einzunehmen hat, erscheint das Familienleben unkompliziert und harmonisch. Familienschnappschüsse werden mit nicht allzu formell anmutenden Gruppenportraits kombiniert. In den meisten Bildern blicken entweder alle abgelichteten Familienmitglieder in die Kamera oder die Gruppe ist mit anderen Aktivitäten beschäftigt, sodass niemand die Kamera wahrnimmt. Pierre Bourdieu zufolge ist der kollektive Augenkontakt mit der Kamera eine soziale Norm für Gruppenfotografien. Wenn ein Einzelner diese Regel nicht beachtet, kann ihm dies als Abwesenheit und somit fehlende Zugehörigkeit ausgelegt werden.47 Lediglich in einer Szene (Abbildung 4) wird der Blickkontakt mit einer einzelnen Person hergestellt: Während des gemeinschaftlichen Autowaschens lächelt nur die Mutter direkt in die Kamera und vermittelt durch die Geste den Eindruck, dass der Fotograf kein ano-

46 Eine Auswahl der Fotografien ist abgebildet in: Kismaric/Respini, 2004: 106-111. 47 Bourdieu, 2006: 93.

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nymer Beobachter ist. Der Betrachter fühlt sich hierdurch eingeladen, diesen glücklichen Moment mit der Familie zu teilen. Abbildung 4: Steven Meisel: ›The Good Life‹.

In: Vogue (IT), Oktober 1997.

Die überschwängliche Harmonie wirkt jedoch nicht überzeugend. Denn die Schnappschüsse sind allzu offensichtlich bis ins kleinste Detail gestellt. Aus zeitgenössischer Sicht wirken sie klischeehaft und gerade deshalb allzu vertraut. Die Farbfotografien rufen alte Werbebilder ins Gedächtnis.48 Wohlstandssymbole wie das Auto werden mit weiteren typischen westlichen Annehmlichkeiten − Cola, Fernsehen oder Cocktailabende − als Zutaten des guten Lebens präsentiert. Bücher und Zeitungen vermitteln darüber hinaus die Aussage, dass Bildung mit einem gewissen Lebensstandard einhergeht. Meisel kombiniert die Ästhetik privater Familienfotografien mit der von Werbebildern vergangener Zeiten, deren Zielgruppe in der Regel die gehobene Mittelklassefamilie war. Hierdurch erzielt er einen ambivalenten Effekt von Vertrautheit und Künstlichkeit, den Kismaric und Respini treffend beschreiben:

48 Vgl. die Gegenüberstellung von Meisels Aufnahme und einer Werbefotografie der 40er oder 50er Jahre aus dem Archiv des Museum of Modern Art, in: Kismaric/Respini, 2004: 30.

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Private Familienschnappschüsse dienen üblicherweise dazu, schöne Ereignisse bildlich festzuhalten und zu bewahren. Konventionelle Werbebilder sollen in vergleichbarer Weise gemeinhin positive Gefühle erzeugen. Da beide Bildformen dazu tendieren, soziale Tabuthemen und häusliche Probleme auszublenden, sind sie in der Regel idealisierend. Meisel imitiert traditionelle Werbebilder, stellt diese überspitzt dar und entblößt die Welt der Werbung hierdurch als unwahr. Als Modefotograf bezieht er somit eine selbstreflexive Position und kommentiert ironisch die Strategien kommerzieller Fotografie sowie die verfälschte Wahrnehmung eines perfekten Familienlebens und einer scheinbar besseren Vergangenheit. Für ›The Good Life‹ hat Meisel (Mitte der 50er Jahre in Amerika geboren) die amerikanische Vergangenheit anhand von stereotypischen kulturellen Artefakten und Bildformeln der Werbung für ein zeitgenössisches (zum Großteil italienisches) Publikum konstruiert. In diesem Zusammenspiel von Zeit, Realität und Bilderfahrung lassen sich Züge des von Jameson beschriebenen schizophrenen Zustands ablesen.50 Im selben Zug macht Meisel seine Darstellung der Vergangenheit als Illusion kenntlich. Nicht die Zeugenschaft der Fotografie blockiert in diesem Fall ein Aufkommen von Nostalgie, sondern die Offensichtlichkeit der inszenierten Imitationen nimmt dies vorweg. Kleidung und Accessoires sind wesentliche Bestandteil von Meisels Inszenierungen. Daher rührt sicherlich auch Lütgens Vorwurf, Meisel repräsentiere die dienende Haltung des Fotografen zur Modeindustrie.51 1992 hat Meisel einen Exklusivvertrag mit dem Verlagshaus Condé Nast unterschrieben und seine Fotografien erscheinen seitdem regelmäßig auf dem Cover der italienischen Vogue. Seine Modestrecken in der italienischen sowie der amerikanischen Ausgabe des Magazins umfassen teilweise bis zu dreißig Seiten. Durch den Fokus auf das Motiv Mode eignet sich Meisel besonders für Hochglanzmagazine als Fotograf. Dies schließt eine kritische Position zwar nicht aus, trotzdem erscheinen provokantere Arbeiten, in denen er häufig gesellschaftliche und politische Stimmungen der USA zum Thema macht, für gewöhnlich in der italienischen Vogue.52

49 Kismaric/Respini, 2004: 31. 50 Vgl. Jameson, 2009: 19-21 und 25 sowie Jameson, 1998: 133-138. 51 Vgl. Lütgens, 2002: T23. 52 Vgl. Rüter, 2010: 97.

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Der Wunsch nach Beständigkeit: Punk’s Not Dead Die Punk-Bewegung ist in vielerlei Hinsicht der Gegenentwurf zur Besinnung auf konservative Familienkonstruktionen, Idealvorstellungen und soziale Ungleichheiten wie sie in ›The Good Life‹ aufgegriffen werden. Obwohl die musikalischen Wurzeln von Punkmusik in Amerika liegen, ist die Bewegung ab Mitte der 70er Jahre vornehmlich auf den Londoner Straßen präsent gewesen. Die Inflation, gestiegene Arbeitslosigkeit und zahlreiche Gewerkschaftsstreiks, deren Höhepunkt im Winter 1978-1979 als ›Winter of Discontent‹ in die Geschichte eingegangen ist,53 schafften den Boden für eine ›no future-Ideologie‹, die sich zugleich gegen das Establishment und den Optimismus der Hippies richtete. In Bezug auf die Kleidung zeichnet sich Punk durch seine Künstlichkeit und die kostümähnliche Verkleidung des Körpers aus. Statt Kleidung fertig von der Stange zu kaufen, wurden die Stücke Zuhause zerschnitten und mit Sicherheitsnadeln oder Nieten bearbeitet.54 Inspiration bezogen Punker von den verschiedensten Jugendbewegungen, abgesehen vom Stil der Hippies und ihrer Hinwendung zum Natürlichen. Ohne vordefinierte Intention wurden sich diverse Elemente angeeignet und losgelöst von ihrer ursprünglichen Bedeutung zusammengefügt. 55 Vivienne Westwood und Malcolm McLaren, der spätere Manager der Band Sex Pistols, verkauften in ihrem Laden SEX auf der King’s Road Kleidung, die von S/MAccessoires und Materialen inspiriert war und den typischen Punk-Stil verkörperte. »We were interested in what we thought was rebellious, in wanting to annoy English people – and the way to do that was through sex«56, äußert sich Westwood rückblickend. Des Weiteren provozierten sie durch T-Shirt-Slogans wie beispielsweise: »God Save the Queen and the Facist Regime.«57 Aufgrund der Botschaften,

53 Zur politischen Lage Großbritanniens in den 70er Jahren s. weiterführend Tiratsoo, 1997: 163-190. 54 S. weiterführend Poschardt, 1998: 256-267 und Arnold, 2001: 45-47. Mit dem do-ityourself-Ansatz richtete sich Punk indirekt auch gegen das elitäre Modeverständnis der Hochglanzmagazine. Mulvagh führt die mangelnde Erfassung des Stils durch Vogue z.B. auf den amateurhaften und kreativen Umgang mit Kleidung zurück. Mulvagh, 1988: 344. 55 Aufgrund dieser Verfahrensweise, mit dem Vorgefundenen zu arbeiten und es zu neuen Konstruktionen zusammenzufügen, hat sich zur Beschreibung des Punk-Stils auch die Verwendung des von Claude Lévi-Strauss geprägten Begriffes Bricolage etabliert. Vgl. Polhemus, 2010: 137. 56 Vivienne Westwood zit. nach Arnold, 2001: 47. 57 Der Slogan entspricht dem gleichnamigen Song der Sex Pistols, der 1977 veröffentlicht wurde. S. beispielsweise den bekannten Aufdruck, der die Queen mir Hakenkreuzen auf den Augen und Sicherheitsnadel durch den Mund zeigt. Mulvagh, 1988 : 344.

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der verwendeten Formen und Materialen drückte das Phänomen Punk in seiner Entstehungszeit Rebellion und Wut aus. Besonders Lifestyle-Magazine scheinen die rebellische Wirkung, die der Jugendbewegung und ihren äußerlichen Erkennungszeichen anhaftet, als Mittel der Abgrenzung zum elitäreren Modemagazin einzusetzen. Mehr als ein Jahrzehnt nach der Blütezeit der Jugendkultur erscheint in The Face (August, 1993) die achtseitige Modestrecke ›Head Hunters. Back to the No Future‹ von Jean-Baptiste Mondino. Abbildung 5: Jean-Baptiste Mondino: ›Head Hunters. Back to the Future No Future‹.

In: The Face, August 1993.

Die schwarz-weiß gehaltenen Studioaufnahmen referieren mit den wiederkehrenden Details wie Reißverschlüssen und Sicherheitsnadeln an die Punkbewegung. Eine der Fotografien (Abbildung 5) zeigt ein männliches Model mit freiem Oberkörper, das lässig posierend in die Kamera blickt und dabei im rechten Arm einen Frauenkopf hält. Entlang seiner Augen verlaufen Reißverschlüsse, an seiner schwarzen Hose ist eine Hakenkette befestigt, um den Hals trägt er eine breite Gliederkette und in der Brust ein Piercing − Details, die als Kennzeichen der Zugehörigkeit zur Punk-Kultur ausgelegt werden. Im Zuge der Überführung in Fotobü-

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cher hat das Foto den aussagekräftigen Titel Punk’s Not Dead erhalten.58 In Form von Tätowierungen wird die Aussage »Punk’s Not Dead« häufig auch als Botschaft auf dem Körper wiedergegeben. Folgerichtig beschreibt Polhemus die Formulierung als Wunsch, dass die eigene Gruppe sowie die verbindenden Vorlieben und Überzeugungen zeitlos und unverändert fortbestehen.59 Doch kann Punk zu Anfang der 90er Jahre noch als lebendige Gruppierung verstanden werden, welche die gleichen Ideale und Ansichten vertritt wie in ihren Anfängen? Hebdige untersucht am Beispiel des Punkstils der 70er Jahre, wie durch die Entstehung alternativer Subkulturen stereotypische Klassen- und Gendergegebenheiten in Frage gestellt werden und wie Gesellschaft und Medien auf die Bildung einer sich von der Allgemeinheit abgrenzenden Gruppe reagieren. Seine Ausführungen stellen dar, wie der Ausbruch jugendlicher Subkulturen zunächst Aufmerksamkeit erregt und eine Hysterie mit ambivalenten Reaktionen erzeugt. Daran anschließend werden die Zeichen subkultureller Stile jedoch allmählich zur Massenware und erfahren somit eine Neudefinition. Als konkretes Beispiel für diesen Wandlungsprozess nennt er eine Modestrecke in der britischen Cosmopolitan, in der bereits 1977 typische Kleidungselemente des Punk-Stils übernommen wurden und der dazugehörige Artikel die Aussage »To Shock Is Chic« formulierte.60 Durch die Repräsentation in den Medien wurde die ursprüngliche Vielfalt auf eine stereotype Verkörperung des Punkers reduziert.61 Punk hat die Geschichte der Mode jedoch nachhaltig geprägt. Elemente des Kleidungsstils tauchen in regelmäßigen Abständen in den Kollektionen etablierter Designer auf, so zum Beispiel 1994 in Versaces berühmtem Abendkleid, das von goldenen Sicherheitsnadeln zusammengehalten wird. Allerdings ist Versaces Sicherheitsnadel-Kleid eine ebenso stark abgewandelte Version des Punkstils wie Mondinos Fotografie, die durch einzelne Merkmale lediglich an ein Original erinnert. Punk ist hier allzu offensichtlich in den Bereich des Modischen übergegangen. Das männliche Model erscheint makellos, selbst die zwei Narben an seinem Arm wirken schmückend und nicht entstellend. Seine Pose und der neutrale Studiohintergrund rufen einen professionellen Eindruck hervor. Die gekonnte und zu glatte Erscheinung arbeitet gegen das ursprünglich rebellische Image der Punkbewegung.

58 Titel des Werkes in Kat.Ausst. Archeology of Elegance, 2002: Abb. 86. Der Titel des Einzelwerkes nimmt somit eine konkrete Zuschreibung bereits vorweg, während der vage gehaltene Titel der Modestrecke an eine für die Punkbewegung bezeichnende Haltung referiert. 59 Polhemus, 2010: 15 und 18. 60 Hebdige, 1979: 69 und 89-96. 61 Polhemus, 2010: 17, 134 und 136.

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Die zeitliche Distanz zur damaligen gesellschaftlichen Situation führt automatisch zur Verfremdung. Jamesons These, dass wir die Vergangenheit durch unsere eigenen zeitgenössischen stereotypischen Vorstellungen von jener Zeit beanspruchen, diese selbst jedoch unwiederbringlich bleibt, erscheint hier zutreffend.62 Punk hat relativ zügig den Weg in die Mainstreamkultur gefunden und lebt durch die Aneignung mit »entstelltem Antlitz [...]« und ohne »[...] den alten Geist des Punk«63, weiter.64 ›Head Hunters. Back to the No Future‹ verweist auf diese Ambivalenz von Beständigkeit und Vergänglichkeit. Der leblose Kopf im Arm der zeitgenössischen Punkversion verkörpert die Erkenntnis, dass ein unveränderliches Fortbestehen nicht möglich ist. Denn die Mode lebt durch den Wechsel und die Vergänglichkeit einzelner Moden. Die Zusammenhänge von gesellschaftlichen Entwicklungen und Moden sind allgegenwärtig, äußern sich jedoch gerade bei subkulturellen Strömungen umso offensichtlicher. Als gesellschaftlich bedingte Phänomene gehören der Ausdruck von Zugehörigkeit und das Fortdauern zu den Hauptanliegen dieser Gruppierungen. Das Äußere als verbindendes Element unterliegt jedoch dem Wechsel jeder Modeerscheinung. Die Beständigkeit, mit der abgewandelte Versionen des Punkstils wiederkehren, verdeutlicht die Bedeutung von Jugendkulturen innerhalb der Geschichte der Mode. Mondinos Fotografie gesteht ein, dass Punk in seiner ursprünglichen Form der Vergangenheit angehört und ist zugleich der nostalgische Ausdruck einer Sehnsucht nach Rebellion und Zugehörigkeit. Sarah Moons Déjà-vus Im Gegensatz zu Meisels und Mondinos expliziten Referenzen an eine vergangene Ära bewegen sich Sarah Moons Arbeiten auf einer indirekten zeitlichen Ebene und Andeutungen an Vergangenes entstehen primär durch die Bildästhetik. Nach einem Karrierebeginn als Model hat Moon 1968 die Positionen gewechselt und ist hinter die Kamera getreten. Seitdem vertritt sie einen wiedererkennbaren fotografischen Stil, der die mysteriöse Stimmung einer vergangenen Zeit ausstrahlt. In der Regel sind ihre Fotografien auf eine relativ kontrastarme SchwarzWeiß-Skala reduziert oder nehmen eine Sepiatönung an. Durch den Einsatz von Gegenlicht wird eine Weichzeichnung der fotografierten Subjekte erreicht, welche die piktorialistisch anmutenden Modefotografien de Meyers ins Gedächtnis rufen. Anhand von diversen Filtern oder auch Stoffen vor der Linse kann die Unschärfe

62 Jameson, 1998: 135. 63 Poschardt, 1998: 265-266. 64 Hebdiges Beispiel einer Cosmopolitan-Fotostrecke, die von Löchern, Sicherheitsnadeln und Metallketten übersäte Abendkleider der Designerin Zandra Rhodes zeigt, veranschaulicht den Übergang zum Mainstream. Hebdige, 1979: 69. Vgl. auch Polhemus, 2010: 10 und 14.

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und Körnigkeit verstärkt werden.65 Die Verschwommenheit lässt das Dargestellte traumähnlich und aus der Realität entrückt wirken. Aufgrund der traumähnlichen Wirkung werden ihre Arbeiten oft als persönliche Visionen beschrieben.66 Da ihren Arbeiten meist keine eindeutige Bedeutung oder Handlung zu entnehmen ist, bewirken sie zunächst eine subjektive Betrachtungsweise. Moons Aussagen und ihr auffallend poetisch anmutender Sprachgebrauch führen den Betrachter ebenfalls zu dieser emotional gefärbten Deutungsweise. So schreibt sie in der Einleitung zu ihrem 2001 erschienen Fotoband Coincidences: »Is it dreams that my photographs are about? Or even better, are they hallucinations? [...] I do see mirages, I believe in miracles when I hear an echo between me and what I see, a resonance, the memory of a memory already lost. Did I dream it before I saw it [...]? Yet, I do remember, I saw it with my seeing eyes, as if I had already seen it, [...], I passed by ..., I photographed, I know. Coincidences...?«67

Das Phänomen des Déjà-vus wird von Moon des Öfteren angesprochen und verankert ihre Fotografien auf einer Ebene des Unbewussten.68 Trotz der malerischen Ästhetik, die eine anziehende Wirkung ausübt, strahlen ihre Arbeiten gleichzeitig etwas Beunruhigendes aus.69 Dieser Effekt resultiert aus der Kombination von Retrolook und einer gewissen Undefinierbarkeit. Am Beispiel einer Schwarz-Weiß-Fotografie aus dem Jahr 1993 wird diese Wirkung anschaulich: Die Arbeit zeigt ein Model in einem langen dunklen Kleid von Chanel.70 Leicht gedreht ist sie der Kamera frontal zugewandt, ihr Kopf wird jedoch oberhalb des Mundes vom Bildrand abgeschnitten. Durch die Auswahl des Bildausschnittes wird das fotografische Subjekt visuell verletzt.71 Der Eindruck von Gewalt wird durch das schwarze Tuch um den Hals des Models intensiviert und zugleich erzeugt die Verweigerung eines Blickkontaktes eine mysteriöse Atmosphäre.

65 Zu Moons fotografischen Techniken s. Sarah Moon in: Booth, 1983: 163-165. 66 S. beispielsweise Hall-Duncan, 1979: 215. 67 Moon, 2001: o.S. 68 »I like my images to be familiar to me, almost to have a feeling of déjà vu.« Sarah Moon in: Booth, 1983: 163. 69 Vgl. Harrison, 1991: 242. Das Gefühl des Bedrohlichen ist ebenfalls ein Kennzeichen von Bourdins Arbeiten. Hinsichtlich der Frage nach modefotografischen Vorbildern nennt Moon alleinig Bourdin. Vgl. Sarah Moon in: Kouwenhoven/Moon, 2008: 20. 70 Abgebildet in: Delpire, 2012: Abb. 50. 71 In der Regel beschneidet Moon ihre Arbeiten nicht im Nachhinein, sondern arbeitet viel mit Zoom. S. Sarah Moon in: Booth, 1983: 165.

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Moon verwendet regelmäßig Bildlösung, in denen der weibliche Körper fragmentarisch dargestellt wird oder das Subjekt dem Betrachter den Rücken zudreht. Durch das Element des Ungewissen wird Spannung erzeugt. Der Betrachter fragt sich, was kurz zuvor geschehen ist oder was dem fotografierten Subjekt bevorsteht. Moon beschreibt diese zeitlichen Verweise als »echoes of the past« und »implications for the future«72. Die narrative Betrachtungsweise legt den Vergleich zum bewegten Bild nahe und Moon selbst gibt als ihre primäre Inspirationsquelle alte Schwarz-Weiß-Filme, wie jene von G.W. Pabst oder Erich von Stroheim, an.73 Zur Visualisierung ihrer Visionen nutzt sie Gestaltungsmittel, die der Betrachter unweigerlich mit Träumereien oder Erinnerungen in Zusammenhang bringt. Der Retrolook ihrer Fotos verweist demnach nicht auf eine bestimmte Zeit oder Ära, sondern schlichtweg auf Vergangenes. Bewusste Ungenauigkeiten der Fotografie verdeutlichen die Flüchtigkeit des Momentes, welcher bildlich festgehalten wurde. Das Gestaltungsmittel des innerbildlichen Rahmens scheint die Kostbarkeit dieses vergangenen Momentes hervorheben zu wollen. Häufig enthalten Moons Fotografien auch Kratzer oder sichtbare Spuren des Entwicklungsprozesses. Hierdurch wird nicht nur die Vergänglichkeit des Motivs, sondern auch des Bildträgers deutlich74 − wie Erinnerungen verblassen auch ihre Fotografien mit der Zeit. Bezüglich der Intensität der Töne stellt Ilona Suschitzky fest, dass das Weiß in Moons Fotografien meist kein klares Weiß darstellt, sondern beinahe durchsichtig wirkt.75 Die dokumentarisch anmutende Wirkung von Schwarz-Weiß-Fotografien wird hierdurch in eine subjektive beinahe träumerische verwandelt. Moons Bildlösungen lassen keine detaillierte Wiedergabe der Kleidung zu. Stattdessen vermitteln sie einen emotional gefärbten Eindruck der Kleidungsstücke. Moon sieht die Modefotografie als ihr primäres Beschäftigungsgebiet an und stellt fest, dass die Mode für ihr künstlerisches Anliegen ideal ist. Denn es geht der Fotografin in erster Linie nicht um die Kleidung an sich, sondern ihre Formen und Farben.76 Bezeichnenderweise wird Moon regelmäßig von japanischen Designern wie Yohji Yamamoto oder Rei Kawakubo engagiert, deren Modeschöpfungen sich durch klare und auffallende Formen auszeichnen. Seit den 90er Jahren arbeitet sie sporadisch auch in Farbe. Während Moon Sepia als Farbe ihrer persönlichen Erinnerung definiert, erkennt sie in Farben einen

72 Sarah Moon in Booth, 1983: 163. 73 S. beispielsweise Sarah Moon in: Kouwenhoven/Moon, 2008: 23. 74 Moon beschreibt die Fotografie auch als Souvenir von etwas, das nie wieder passieren wird. Das Gefühl des Verlustes ist, so Moon, in der Fotografie stets präsent. Vgl. Moon, 2001: 112-113. 75 Ilona Suschitzky in: Moon, 2001:113. 76 Sarah Moon in: Booth, 1993: 163.

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deutlicheren Bezug zur Realität.77 Gerade ihre Farbfotografien erscheinen jedoch umso surrealer. Im Gegensatz zu den Schwarz-Weiß-Arbeiten erzeugen diese Werke nicht den Effekt des Vergangenen, sondern erscheinen wie Traumwelten. Am Beispiel der Wiedergabe eines weiteren Chanel-Kleides aus dem Jahr 1997 zeigt sich Moons atmosphärischer Einsatz von Farbe:78 Die Haut des Models wirkt gelblich und setzt sich hierdurch von dem dunklen türkisfarbenem Hintergrund ab. Die voluminösen Volants des transparenten Kleides und der große Hut sind in einem satten Schwarz gehalten, Details können jedoch nur erahnt werden. Dem Betrachter den Rücken zugewandt, scheint sich der Körper in einer tanzenden Bewegung jeden Moment umdrehen zu können. Die Betonung liegt auf dem Schnitt des Kleides und der Art, wie es den Körper der Trägerin formt. Vergleichbar mit kolorierten Modeskizzen gibt die Fotografie nur bestimmte Eigenschaften des Kleidungsstückes wieder und überlässt die Einzelheiten der Fantasie des Betrachters. Statt die Detailgenauigkeit der Fotografie zu nutzen, gehen Moons Bilder ins Malerische über. Zugleich rückt die malerische Ästhetik den Entstehungsprozess ins Bewusstsein. Moon schildert ihre Arbeitsweise als langwierigen Verlauf, in dem der Ausführung ausführliche Vorbereitungen vorangehen. Nachdem die gewünschte Stimmung geschaffen worden ist, platziert die Fotografin ihr Subjekt in dem inszenierten Rahmen und wartet auf den richtigen Moment.79 Selbst wenn Bewegungen innerhalb des Bildes angedeutet werden, bleibt das Gefühl einer gewissen Langsamkeit und Ruhe vorherrschend. Nostalgie ist in Moons Arbeiten als die Abkehr von gegenwarts- beziehungsweise zukunftsorientierten fotografischen Auffassungen, welche die Perfektion oder Schnelligkeit der modernen Fotografie hervorheben, zu verstehen. Gerade in Form des werbenden Einzelbildes scheinen die Werke in ihrer Wirkung einen Moment des Innehaltens zu forcieren. 3.1.3 Das Modeportrait David Bailey beschreibt die Überschneidung von Mode- und der Portraitfotografie folgendermaßen: »A fashion photograph only becomes one when captions and prices are put on or under the picture. Before this happens it is a portrait of someone wearing a dress.«80 Die von Rasche angewendete Unterteilung in vier traditionelle Bildtypen des Magazinfotos bekundet ebenfalls die historische Verwandtschaft von

77 Moon, 2001: 112. 78 Abgebildet in: Kat.Ausst. Archeology of Elegance, 2002: Abb. 81. 79 Sarah Moon in: Booth, 1983: 161-162. Moon benutzt in diesem Zusammenhang häufig den Begriff der Zeitlupe. S. Sarah Moon in: Exner/Moon, 2011: o.S. (Online). 80 David Bailey in: Kat.Ausst. Shots of Style, 1985: 9.

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Mode- und Portraitfotografie.81 In jüngerer Zeit haben die Neukontextualisierungen des Modefotos in den Ausstellungsraum oder das Fotobuch dazu beigetragen, dass die Grenzen von Mode- und Portraitfotografie umso unbeständiger geworden sind. Aufgrund der formalen Ähnlichkeiten und der kontextuellen Verschiebungen scheint die Frage nach den unterschiedlichen Intentionen umso bedeutender. Zunächst scheint sich das Modefoto vom Portrait vor allem hinsichtlich der Rezeption seines Realitätsgehaltes zu unterscheiden. Denn der Versuch, dem Portrait Hinweise über die reale Persönlichkeit zu entnehmen, erscheint naheliegender, als die Suche nach einer authentischen Persönlichkeit des Models in der Modefotografie. Folgende Aussage Irving Penns macht die Intention des Modefotos deutlich: »For me, who the model was as a real person was not of any significance. She was used as a symbol, and any individualism that she had, had to be obscured, because she had to be somebody with whom any reader could have identified.«82 Beim Betrachten des Models ist die Identität der Portraitierten als wesentlicher Bezugspunkt der Repräsentation und Authentifizierung nicht zwangsläufig evident.83 Das Model als Projektionsfläche und Medium der Mode setzt andere Identifizierungs- und Wahrnehmungsmechanismen in Gang als das ebenfalls geläufige Verfahren, die Mode von berühmten Persönlichkeiten vorführen zu lassen. Der Einsatz von Schauspielerinnen ist eine Strategie, in der sowohl die Bekanntheit als auch ihre Vertrautheit, vor der Kamera zu agieren, genutzt wird. Wohingegen in den 70er und 80er Jahren Interviews mit oder Artikel zu Berühmtheiten lediglich von einem illustrierenden Foto begleitet wurden, sind Fotos immer deutlicher zu dem zentralen Präsentationsmedium geworden und die Portraitstrecken in den Magazinen haben immer stärker die Form visueller Portfolios angenommen, in denen der Text (abgesehen von den Modehinweisen) nur von beiläufiger Relevanz ist.84 Im September 1999 erscheint in der amerikanischen Vogue eine Fotostrecke von Meisel in der Gwyneth Paltrow verschiedene Charaktere aus unterschiedlichen Zeiten darstellt, die durch keine narrative Struktur in Verbindung stehen. Kleidung,

81 Rasche, 2007: 81-83. 82 Irving Penn in: Janis/Morris, 1977: 126. 83 Sadre-Orafai stellt in ihren Beobachtungen zum Typecasting-Verfahren in Modelagenturen die Bedeutung von nationalen, regionalen und ethnischen Merkmalen dar. Gerade in der Anfangsphase der Modellaufbahn können spezifische Eigenheiten und Zuschreibungskennzeichen das gewisse Etwas ausmachen. Agenten nutzen diese Merkmale zur Konstruktion verschiedener Personae, die auf die Bedürfnisse der Kunden ausgerichtet sind und trotz Formbarkeit durch ein authentisches Image überzeugen müssen. Dieses Oszillieren zwischen dem Typischen und dem Besonderen sowie Wandelbarkeit und Authentizität zeichnet die Ambivalenz des Models aus. Sadre-Orafai, 2008: 144-149. 84 Vgl. Bright, 2007: 18-19.

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Styling und Posen transformieren Paltrow zu Figuren, die nicht eindeutig identifizierbar sind und dennoch vertraut erscheinen: die blasse Schönheit aus einem elisabethanischen Kostümdrama, die 60er Jahre Modelikone in einer Aufnahme von Richard Avedon, die kühle Blondine aus einem Alfred Hitchcock-Film etc. Die Einleitung zu ›Costume Drama‹ lautet: »Gwyneth Paltrow can take on any persona, from Elizabethan actress to contemporary adulteress. For Steven Meisel she adds new decades to her repertoire.« 85 Im separat erscheinenden Artikel wird über Paltrows privaten und daher als authentisch empfundenen Kleidungsstil berichtet.86 Die professionelle Persona Paltrows, gemeint sind die vielseitigen Masken der Schauspielerin, und die Persona der privaten Berühmtheit, die in der Öffentlichkeit ein modisches Image pflegt, überschneiden sich. Beide Bereiche sind in Paltrows Modefotos präsent. 87 Für das Publikum sind Schauspielerinnen oft die personifizierte Erfüllung der Träume von Ruhm, Schönheit und Glamour. In der Vorbildfunktion erkennt Bärbel Sill den entscheidenden Unterschied zwischen dem Model und dem Mode präsentierenden Filmstar. Das Modefoto unterstützt den Prozess der Identifizierung der Betrachterin mit dem Star, da die präsentierte Kleidung mit dem persönlichen Stil des Stars aufgeladen wird und die materielle Konsumierbarkeit der Mode eine Möglichkeit zur Imitation darstellt. Das Model hingegen kann die Modestücke nicht in gleicher Weise personalisieren. Denn seine primäre Funktion ist das Präsentieren von Mode, wodurch die Entwicklung einer öffentlichen Persona mit persönlichem Stil blockiert wird. Der Betrachter will eventuell wie das Model aussehen, will aber nicht wie das Model sein. Sill muss an dieser Stelle jedoch das Top-

85 O.N. (Text): ›Costume Drama‹, in: Vogue (US), September 1999: 599. 86 Vgl. die im Artikel erwähnten Aussagen von Designern zum Stil der Schauspielerin. »Gwyneth knows who she is. She is authentic, and it shows in her sense of style.« Calvin Klein zit. in: Talley, 1999: 602. 87 In Steven Kleins Arbeiten spielen die Portraitierten ebenfalls meist ganz offensichtlich eine Rolle. Doch wenn etwa Schauspieler Edward Norton anlässlich seines aktuellen Filmes Fight Club (David Fincher, 1999) mit blauem Auge und herausgeschlagenen Zähnen für die Kamera posiert (The Face, Dezember 1999) rückt die fiktive Ebene in den Vordergrund und arbeitet gegen die Überzeugung an, dem Portrait Spuren einer Wahrheit über die private Person Norton zu entnehmen. Nicht Nortons modischer Stil, sondern der seines Filmcharakters ist in diesem Fall präsent. Diese Strategie baut auf das Wechselverhältnis von Mode und anderen Bildmedien und veranschaulicht wie Film, Fernsehen und Musikvideos Moden kreieren können. Die Präsenz einer modischen Persona Nortons ist in diesem Fall nicht von Belang, da schon der Reiz des Zeitgemäßen Aneignungsmechanismen auslösen soll.

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model als Ausnahme anmerken.88 Denn mit wachsendem Status und Bekanntheitsgrad von Models ist das Ausblenden der Persönlichkeit und die uneingeschränkte Fokussierung auf die Kleidung immer weniger die Intention des Modefotos. Abhängig vom Bekanntheitsgrad des Models steigt das Bedürfnis, anhand des Bilds mehr über die abgebildete Person zu erfahren. Seit den 80er Jahren, dem Jahrzehnt der hochbezahlten Supermodels mit Starstatus, ist die Persönlichkeit des Models verstärkt in das Interesse der Öffentlichkeit gerückt. Bedeutender Schritt, der dieser Entwicklung vorausgegangen ist, ist das Heraustreten des Models aus der Anonymität durch den Namensvermerk. Dieses häufig in Modestrecken angewandte Verfahren versieht das Bild mit einem Hinweis auf die reale und individuelle Person. Das Vergangene und das Wiederkehrende 1997 portraitiert Paolo Roversi das Model Guinevere van Seenus für die Frühling/Sommer-Kollektion von Yohji Yamamoto (Abbildung 6) in Form eines schwarz-weiß gehaltenen Kniestücks, das den Konventionen des traditionellen Studioportraits entspricht. Die Portraitfotografie referiert als Genre an die Geschichte der Modefotografie und verweist außerdem auf die Bedeutung der fotografisch repräsentierten Identität als wesentliches Bildelement. Das Model sitzt vor einem neutralen Hintergrund und sieht direkt in die Kamera. Die ausbalancierte Komposition, ihre Pose sowie der Blick zur Kamera wirken steif. Ihr überbelichtetes Gesicht wird von den dunklen Haaren eingerahmt und erscheint unter dem großen Hut bleich und nahezu geisterhaft. Sowohl die Mode als auch das Medium Fotografie haben die Assoziation mit der Vergänglichkeit und dem Tod gemeinsam. Die Erfahrung des Todes bezieht Barthes zum einen auf das Erlebnis des Fotografiert-Werdens und zum anderen auf das Betrachten von Fotografien. So stellt Barthes fest, dass er in dem Moment in dem sich die Kamera auf ihn richtet unweigerlich eine posierende Haltung einnimmt: »Ich [...] schaffe mir auf der Stelle einen anderen Körper, verwandele mich bereits im voraus zum Bild. [...] ich spüre, daß die PHOTOGRAPHIE meinen Körper erschafft oder ihn abtötet, ganz nach ihrem Belieben [...].«89 Diese Erfahrung der Umformung vom Subjekt zum Objekt kommt dem »Ereignis des Todes« nahe, durch das der Fotografierte zum Gespenst wird.90 Das Betrachten von Fotografien gleicht daher immer einer »Wiederkehr der Toten« und verleiht einen unheimlichen

88 Sill, 2008: 129 und 134-136. Als Sonderfall ist z.B. Kate Moss zu erwähnen, die sowohl durch ihr Privatleben als durch ihren individuellen und wiedererkennbaren modischen Stil als öffentliche Persona wahrgenommen wird. 89 Barthes, 1985 (b): 19. 90 Barthes, 1985 (b): 22.

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Beigeschmack.91 Zwar blockiert die Fotografie, laut Barthes, Erinnerungen und ist, seinen Gedanken weiterführend, daher nicht für ein Hervorrufen nostalgischer Stimmungen geeignet, doch das Wesen der Fotografie ist dafür durchdrungen von Melancholie. Die »Melancholie der PHOTOGRAPHIE« liegt begründet im Prozess der Verlagerung des Realen in die Vergangenheit. Wodurch der Eindruck entsteht, das einst Lebendige sei bereits tot. So zeichnet sich die Fotografie im Gegensatz zum Film durch ihre Unbewegtheit aus, die wiederum den Eindruck des Innehaltens und des vergangenen Momentes verstärkt.92 Abbildung 6: Paolo Roversi: Guinevere van Seenus für Yohji Yamamoto, 1997.

In ähnlicher Weise legt Sontag Fotografien als Memento Mori aus und erkennt im Akt des Fotografierens ein Teilnehmen »an der Sterblichkeit, Verletzlichkeit und Wandelbarkeit anderer Menschen (oder Dinge).«93 Die Wirkung der fotografischen Verankerung des Referenten in einen zeitlichen Rahmen wird in Roversis Portrait anhand einzelner Elemente, wie das Fehlen von Farbe sowie der starren Pose, verstärkt. Aus diesem Blickwinkel betrachtet scheint van Seenus’ geisterhafte Erscheinung auf die transformierende Eigenschaft des Mediums Fotografie hinzuweisen.

91 Barthes, 1985 (b): 17. 92 Barthes, 1985 (b): 88-89. 93 Sontag, 2008: 21.

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Nicht ohne Grund spricht Walter Benjamin der frühen Fotografie, mit ihrer Fokussierung auf das Portrait und den »Kult der Erinnerung«, den sie noch pflegte, ein Nachhallen der Aura zu.94 Die Inszenierung der Vergangenheit zeigt sich auch im Hinblick auf den Retrostil der Kleidung. Der große Hut und das Bouclékostüm erinnern an den ChanelLook – ein Look, der ein zeitloser Klassiker ist. Hierdurch wird der Betrachterin nahegelegt, dass das Kostüm, ebenso wie der auf van Seenus’ Schoß liegende Dackel, ein treuer Begleiter sein wird. Simmel hat bereits 1911 angemerkt, dass die Mode einem Zyklus von vergessen und wiederbeleben unterliegt.95 Dabei ist jedoch von Bedeutung, dass eine gewisse Zeitspanne vergangen ist oder um es mit Lipovetskys Worten zusammenzufassen: »Yesterday’s fashion is boring, those of the day before yesterday and those of the distant past continue to hold charm.«96 Statt die Neuwertigkeit der Kollektion zu unterstreichen, platziert Roversi das Outfit in den Kontext der Modegeschichte und präsentiert den Stil sowohl als erinnerungswürdig als auch unvergänglich. Insbesondere seit den Sampling-Verfahren der Punkbewegung weisen Mode und subkulturelle Stile eine ausgeprägte Tendenz zur kreativen Aneignung der Vergangenheit auf. Die Vergangenheit wird als Inspirationsquelle gesehen und einzelne Elemente der Modegeschichte werden gezielt wieder aufgegriffen und miteinander kombiniert.97 Folglich ist Roversis Portrait weniger als Sehnsucht nach Vergangenem zu verstehen, sondern vielmehr als Ausdruck des Zweifels an der konstanten Suche nach dem Neuen. Indem Roversi die Kleidung in eine nostalgisch anmutende Bildlösung eingebettet präsentiert, inszeniert er eine Fotografie, die in ähnlicher Form in Archiven oder privaten Sammlungen und Alben wiederentdeckt werden und als Inspirationsquelle dienen könnte. Der »Kult der Erinnerung«98, den die frühe Fotografie noch förderte und der sich am prägnantesten im Bildtypus des Portraits äußerte, bezieht sich hier nicht auf das zum Objekt gewordene Subjekt, sondern auf einen bestimmten erkennbaren Modestil. Das vergängliche Dasein des Subjektes hebt den Referent Kleidung zugleich als das bereits Dagewesene und das Wiederkehrende hervor.

94 Benjamin, 1977[a]: 21. 95 Simmel, 1986: 204. 96 Lipovetsky, 1994: 44. 97 Vgl. Polhemus, 2010: 209-211 sowie Evans, 2003: 25 und 297. 98 Benjamin, 1977[a]: 21.

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Einblicke in die höhere Gesellschaft: Tina Barneys Portraits Tina Barneys modefotografische Arbeiten sind exemplarisch für die Vermengung der Kategorien des Privaten und des Öffentlichen. Für die Serie ›New York Stories‹ (W, Oktober 1999) hat Barney die wohlhabenden und einflussreichen Familien der Stadt fotografiert. 99 Die Portraitierten sind in unterschiedlichen Sparten des Kulturbereiches tätig und spiegeln somit die kreative Vielfalt und den kulturellen Reichtum der Stadt wieder; zu sehen sind unter anderem die Schauspielerin Julianne Moore, Schriftstellerin Joan Didion und Maler Brice Marden. In häuslicher Umgebung und im Kreise der Familie rücken die Persönlichkeit und das private Leben der posierenden Individuen in den Fokus der Betrachtung. Im Gegensatz zu Familienschnappschüssen weisen die Posen und die daraus resultierende ausgewogene Gesamtkomposition auf ein hohes Maß an Inszenierung hin. Gewöhnlich haben das Portrait und das formelle Familienfoto den Akt des Sich-Präsentierens gemeinsam, da die Einzelperson oder Gruppe bewusst für die Kamera posiert. Die typisch steifen Posen sind bezeichnend für Familienbilder, die in der Regel nicht darauf abzielen, die Individualität des Subjektes einzufangen, sondern seine soziale Identität sowie die Beziehung der Gruppenmitglieder zueinander.100 Die privilegierte Herkunft der Portraitierten wird in Barneys Arbeiten sowohl durch das Interieur als auch durch den Kleidungstil repräsentiert. Kleidung dient hier als verbindendes Element zwischen den einzelnen Mitgliedern. Farbe und Stil von Kleidungsstücken können Zugehörigkeit oder Ausgrenzung kenntlich machen, Zuordnungen, die in der Fotografie der Marden Familie anschaulich eingesetzt werden. Brice Marden ist in leichter Entfernung zu seinen Kindern in den Hintergrund gerückt, doch der direkte Blickkontakt zur Kamera verleiht ihm eine dominante Präsenz. Die Kinder Melia und Nick harmonisieren durch ihre Kleidungswahl mit dem Vater. Tochter Mirabella, auf einem roten Stuhl sitzend, wird von ihren Geschwistern eingerahmt, doch durch ihre äußere Erscheinung und die Pose schreibt der Betrachter ihr die Außenseiterrolle zu. Anhand der Kleidung, Gestiken und Blickrichtungen wird eine spürbare Spannung erzeugt, die Fragen zur Beziehung der einzelnen Familienmitglieder und zu Mustern innerhalb der Gruppe aufwirft. Wohlstand und eine privilegierte Herkunft scheinen nicht zwangsläufig Verbundenheit herzustellen, sondern können sich stattdessen auf die Fähigkeit, Emotionen zu demonstrieren, auswirken.101 Die Umgebung und äußere Erscheinung

99

Abgebildet in: Kismaric/Respini, 2004: 100-105.

100 Zu den Normen der Familienfotografie s. Bourdieu, 2006: 92–95. 101 »Wenn Leute behaupten, daß es in meinen Fotografien eine bestimmte Steifheit gebe, daß die Menschen aussehen, als ob sie keine Verbindung hätten, antworte ich, daß dies das beste ist, was diese Menschen tun können. Die Unfähigkeit, über den Körper Zuneigung zu zeigen, liegt in unserer Herkunft.« Barney, 1997: 10.

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geben in Barneys Fotografien stets Auskunft über die Herkunft und den Gesellschaftsstand der Portraitierten.102 Die Statik der Komposition und Posen weist auf familiäre Strukturen hin, die im Familienportrait nur angedeutet werden, aber unausgesprochen bleiben. Im Gegensatz zu ihren privaten Arbeiten, die Barney meist als großformatige Tableaus präsentiert, vermitteln die kleinformatigen Drucke im Magazin einen intimeren Eindruck, vergleichbar mit Fotografien in einem Fotoalbum.103 Die Starrheit unterstreicht, dass die Fotografien darauf ausgelegt sind, von Dauer zu sein und eine flüchtige Existenz im Magazin zu überstehen. Der methodische Einsatz von Farbe kennzeichnet Kleidung nicht als bloßes modisches Bildelement, sondern als Bedeutungsträger.104 Im Zuge einer Loslösung der Fotografien aus dem Magazin wird hierdurch eine spätere Datierung des Fotos erschwert. Denn in erster Linie verankern die Portraitierten das Bild in einen zeitlichen Rahmen und nicht die getragene Mode oder das Setting. Mode wird nicht vorgeführt, sondern als Komponente des Stils bestimmter Gesellschaftskreise dargestellt. Barney selbst entstammt dem gleichen privilegierten Kreis der amerikanischen Ostküste, dem auch die fotografischen Subjekte ihrer nicht-kommerziellen Arbeiten angehören. Sie ist demnach nicht nur Beobachterin dieser Gesellschaftsschicht, sondern gewährt dem Betrachter Einblicke in ihr persönliches Umfeld – ein Milieu, dem der Großteil der Leser nicht angehört und mit dessen Lebensstil und Traditionen er nicht vertraut ist.105 Diese fehlende Vertrautheit spricht dafür, dass die Fotografien primär nicht auf eine Identifikation des Betrachters ausgelegt sind. In der Modestrecke wird diese distanzierte Perspektive durch Filmstars wie Julianne Moore aufgelockert. Trotzdem lenkt das statische Arrangement die Aufmerksamkeit auf den repräsentativen Aspekt des Portraits. Der Abstand zwischen den Personen weist auf die möglichen Schattenseiten eines Lebens im Wohlstand hin und regt den Betrachter dazu an, die Lücken mit seiner Fantasie oder dem Wissen zur Lebensgeschichte der Portraitierten zu füllen.

102 S.a. Polzer, 1996: 4 und 9 sowie Bussard, 2006: 19. 103 Vgl. Kismaric/Respini, 2004: 31. 104 Vgl. Kismaric und Respini legen die Kleidung als wesentlichen Bestandteil der Inszenierung aus, der die Suche nach einer Geschichte zu Bild und Portraitierten vorantreibt. Kismaric/Respini, 2004: 31. 105 Weiterführend s. Polzer, 1996: 4-9.

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Aus der Sicht des Außenseiters: Jürgen Tellers ›The Clients – Haute Couture‹ Im selben Jahr wurde in W (März 1999) bereits eine vergleichbare Modestrecke von Jürgen Teller veröffentlicht, in der ebenfalls Einblicke in eine höhere Gesellschaftsschicht geboten wurden.106 Statt die Kleidung der traditionsreichen Modehäuser an jungen und dünnen Models vorzuführen, hat Teller ihren realen Kundenstamm portraitiert – wohlhabende Damen des europäischen Adels und der höheren amerikanischen Gesellschaft, die sich Haute Couture Mode tatsächlich leisten können.107 Teller führt vor Augen, dass die Welt der Haute Couture nur einem kleinen Kreis zugänglich ist. Der spezielle Modezweig erfüllt demnach immer noch den gleichen Zweck, den Veblen und Simmel der Mode zugesprochen haben: Sie dient der Demonstration von Klassenunterschieden.108 Dementsprechend rege ist auch das Interesse seitens der Kundinnen gewesen, in die fotografische Dokumentation dieser höheren Gesellschaftsschicht aufgenommen zu werden.109 Die einzelnen Fotografien geben nicht nur die Kleidung wieder, sondern lassen auch Persönlichkeitszüge der Portraitierten erkennen. Individuell nimmt jede eine andere Pose ein und wird aus einer anderen Perspektive festgehalten. Die Posen sollen nicht verschleiern, dass es sich um nicht-professionelle Models handelt. Ann Getty zum Beispiel sitzt auf einem Stuhl, lächelt verträumt in die Kamera und hält mit ihren Fingerspitzen den Schal nach oben. Diese Gestik, mit der sie die teure Kleidung vorzeigen möchte, wirkt allzu offensichtlich und beinahe naiv. Die ungewöhnlichen Perspektiven haben häufig einen wenig schmeichelhaften Effekt und die Makel der meist älteren Damen werden nicht ausgeleuchtet, sondern durch den starken Blitz betont. Tellers nicht-idealisierender fotografischer Stil und die Absage vom jungen und dünnen Model zerstören die Illusion des Glamours der Haute Couture. Dementsprechend kontrovers wurde die Fotostrecke von der Modewelt aufgenommen.110 Im Gegensatz zu Barneys Perspektive auf die höhere Gesellschaft bezieht Teller die Position eines Außenseiters. Die oft unsicheren oder skeptischen Blicke der Portraitierten arbeiten gegen den Eindruck einer intimen Atmosphäre und der harte Blitz erscheint beinahe wie eine Barriere zwischen Fotograf und Subjekt. Kismaric und Respini beschreiben die Wirkung der Fotografien auf den Betrachter als Möglichkeit zur Identifikation. Demzufolge wird durch den amateurhaften Stil der Eindruck vermittelt, der Betrachter sei mit anwesend im Raum, er könne sogar

106 Abgebildet in: Kismaric/Respini, 2004: 112-119. 107 Zu den Portraitierten s. Dennis Freedman in: Kismaric/Respini, 2004: 136. 108 Veblen, 1986: 120-141 und Simmel, 1986: 180-181. 109 Dennis Freedman in: Kismaric/Respini, 2004: 136. 110 S. Dennis Freedman in: Kismaric/Respini, 2004: 136.

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selbst das Foto aufgenommen haben. Wodurch die Fantasie von Reichtum und schöner Kleidung gar nicht so weit entfernt wirke.111 Eine gewisse Ironie ist Tellers Bildern nicht abzusprechen und drückt seine Haltung gegenüber dem elitären Charakter der Haute Couture Mode aus. Offensichtliches Beispiel hierfür ist die Positionierung De Bourbons hinter einem ausgestopften Elefanten. Das Tier hebt seinen Rüssel vor ihren Beinen in die Höhe, wodurch unweigerlich sexuelle Assoziationen ausgelöst werden. Teller zeigt, dass die Portraitierten trotz ihres Reichtums nicht frei von Makeln und Unsicherheiten sind. Dadurch verleiht er seinen Aufnahmen Authentizität und schafft Anknüpfungspunkte für den Betrachter. Gleichzeitig bringt Teller zum Ausdruck, dass er die Mode und ihre klassenfestigende Eigenschaft nicht allzu ernst nimmt. Bedenkt man, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts bedeutende Modefotografen wie de Meyer die aktuelle Mode auch nicht von professionellen Models vorführen ließen, sondern von den Damen der Bourgeoise, kann man Tellers Ansatz auch als Parodie auf die Geschichte der Modefotografie verstehen. Je nachdem wie das Individuum auftritt und sich darstellt, wird beim Betrachten Sympathie oder Distanz hervorgerufen. Die Gesamtwirkung der Modestrecke ist daher ambivalent und lädt sowohl zum Identifizieren als auch zum kritischen Beobachten ein.

3.2 Z UR E RHABENHEIT

DER I MAGINATION

Die Geschichte der Fotografie ist seit jeher von der Frage geprägt, ob die Fotografie Kunst sein kann oder nicht. Bernd Stiegler fasst die Antwort, die im Zuge der Debatte des 19. Jahrhunderts auf diese Frage gefunden wurde, folgendermaßen zusammen: Ja, die Fotografie kann Kunst sein – jedoch nur, wenn sie auf ihre fotografischen Qualitäten verzichtet.112 Die Manipulationen und Eingriffe in die Fotografie durch die Piktorialisten zeigen anschaulich, wie mittels der Reduktion fotografischer Charakteristiken und Imitation einer malerischen Ästhetik probiert wurde, die Fotografie als künstlerisches Medium zu etablieren. Baudelaire spricht dem Medium durchaus archivarische und dokumentarische Qualitäten zu, erhebt jedoch Widerspruch gegen eine Anschauung von Fotografie als Kunst. Die Fähigkeit, die Natur objektiv und genau wiederzugeben, ist nicht vereinbar mit Baudelaires Kunstverständnis. Denn die Kunst fällt, ihm zufolge, in den Bereich des Subjektiven und Imaginären und die Fotografie bietet vor allem dem schlechten und faulen Maler eine Zuflucht. Baudelaires Schilderungen sind gezeichnet von den Befürchtungen, dass die Malerei durch die Fotografie verdrängt

111 Kismaric/Respini, 2004: 29. 112 Stiegler, 2006: 46.

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und der Künstler letztendlich durch den Fotografen ersetzt wird. 113 Als Befürworter der Fotografie als Kunst tritt Peter Henry Emerson 1889 in seinem Buch Naturalistic Photography for Students of the Arts auf.114 Doch bereits 1891 revidiert er seinen Standpunkt in der Schrift Death of Naturalistic Photography und betont in welchem Umfang der persönliche Ausdruck in der Fotografie eingeschränkt wird: »The limitations of photography are so great though the results may and sometimes give a certain aesthetic pleasure, the medium must always rank the lowest of all arts, [...] for the individuality of the artist is cramped, in short, it can scarcely show itself.«115 Zehn Jahre nach dem Erscheinen von Naturalistic Photography for Students of the Arts formuliert er in der dritten und überarbeiteten Auflage unmissverständlich: »Photographers can never be artists.«116 Demnach kann der Fotograf, laut Emerson, kein Künstler sein. Vielmehr ist er ein Entdecker, ausgestattet mit einer Maschine, die das Bild erschafft.117 Baudelaire und Emerson exemplifizieren als zwei Positionen des 19. Jahrhunderts einleitend die ausschlaggebende Problematik des Mediums und seiner Definition als Kunst: Die Gegensätze von objektiver Wiedergabe und subjektiver Schöpfung erscheinen als anhaftende Charakteristiken der beiden Darstellungsformen Fotografie und Malerei nicht überbrückbar. Die einzige Methode der Annäherung wurde zunächst in der Imitation und dem Leugnen fotografischer Qualitäten gesehen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bleibt der Fotografiediskurs weiterhin von dem Vergleich mit der Malerei durchdrungen. So schreibt Barthes: »Die PHOTOGRAPHIE wurde und wird immer noch vom Gespenst der MALEREI heimgesucht [...]; sie hat die Malerei, indem sie diese kopierte oder in Frage stellte, zur absoluten, zur väterlichen REFERENZ gemacht.« 118 Die Beharrlichkeit des Vergleichs mit der erhabenen Malerei bringt der Fotograf Steven Klein 2007 in einer Äußerung zum Ausdruck, in der er für eine autonome Auffassung des Mediums Fotografie, losgelöst von der Tradition anderer Kunstformen, plädiert: »There is a desire to link photography with painting. My background is painting and I feel there is no connection between the two. It is as if the camera is linked to a sin, producing a

113 Baudelaire [b], 1990: 207-208. 114 »We propose in this book to treat photography from the artistic standpoint.« Emerson, 1972: 8. 115 Emerson, 1973: o.S. 116 Emerson, 1973: 26 (Book I). 117 »A photographer does not make his picture - A MACHINE DOES IT ALL FOR HIM.« Emerson, 1973: 56 (Book III), s.a. 54-63. Weiterführend s.a. Stiegler, 2006: 142-153. 118 Barthes, 1985 (b): 40.

104 | MODEFOTOGRAFIE bastard art form that we feel we must link to the past in order to give it credentials, I don’t want those credentials. I have no need to apologize for photography,«119

Obwohl die Fotografie und die Malerei ebenso wie der Film unterschiedliche Verfahren der Bildherstellung darstellen, haben sie gemeinsam, dass sich ihre Werke aus visuell wahrnehmbaren Bildelementen zusammensetzen. Besonders die offensichtlich inszenierte Fotografie verleitet durch den Prozess des Erzeugens eines bildwürdigen Momentes dazu, die gestalterischen Intentionen des Fotografen in den Fokus der Betrachtung zu rücken. Der Vergleich mit der ehrwürdigen Kunstform Malerei haftet der Fotografie, wie Barthes und Klein feststellen, zwar an, dennoch hat sich die Fotografie als Medium des persönlichen und künstlerischen Ausdrucks etablieren können und ihr Zwang zur Legitimierung hat spürbar nachgelassen. In seiner Theorie des Films schreibt Siegfried Kracauer über die Fotografie: »[...], dass die Leistungen innerhalb eines bestimmten Mediums künstlerisch umso befriedigender sind, je mehr sie von den spezifischen Eigenschaften des Mediums ausgehen. [...] ein Werk, das in irgendeiner Weise dem Wesen seines Mediums zuwiderläuft – indem es etwa auf Effekte abzielt, die der Natur eines anderen Mediums besser entsprächen – wird sich nur selten als geglückt erweisen.«120

Die Fotografie hat als neues Medium zwangsläufig den Prozess von Definitionsproblematik, Legitimationszwang und Etablierung durchlaufen – ein Prozess der auch heute nicht vollkommen abgeschlossen ist. Die Modefotografie unterläuft als fotografische Praxis eine ähnliche Entwicklung. Insbesondere durch ihre kommerziellen Wurzeln scheinen die Phasen des Etablierungsprozesses signifikanter wahrnehmbar als es bei manch anderen Einsatzgebieten, wie beispielsweise der Dokumentarfotografie, der Fall ist. Vor dem Hintergrund der traditionellen Beschreibung der Fotografie als objektive und dokumentarische Bildform soll sich in diesem Kapitel den imaginativen Qualitäten der Modefotografie zugewandt werden. Zunächst wird der Frage nachgegangen: Welche Bildlösungen hat die Modefotografie entwickelt und wie sind diese auf ihre primären Kontexte ausgerichtet? Im Fokus stehen dabei vor allem die erzählerische Konstruktion von Modebildern und ihre Anordnung als Serie oder ihr Aufbau als autonome Einzelwerke. Im Anschluss daran wird unter dem Schlagwort der Bildwelt das schöpferische Potential des Mediums betrachtet und ergründet, welche Rolle der Übergang von der analogen zur digitalen Fotografie in diesem Zusammenhang spielt. Abschließend wird, anhand des durch Nick Knight

119 Steven Klein in: Kat.Ausst. Face of Fashion, 2007: 113. 120 Kracauer, 1993: 36.

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ins Leben gerufenen Online-Projektes SHOWstudio, ein Blick auf die Erweiterung der medialen Grenzen und das Phänomen des Modefilms unternommen. 3.2.1 Erzählungen in Bildern In Die Sprache der Mode behandelt Barthes die Fotografie der Mode in Form eines dreiseitigen Anhangs. Er stellt fest, dass das ›Theater der Mode‹ immer thematisch und auf ein Antreiben von Ideenassoziationen ausgerichtet ist. Entweder können poetische Verkettungen (das Signifikat Strickjacke lässt etwa an Herbst, Frösteln, Holz und ähnlich plastische oder stimmungshafte Entsprechungen denken) oder, durch eine objektive Herangehensweise, Wortspiele in Gang gesetzt werden (Models auf einem Trapez verweisen auf den modischen Kleiderschnitt der TrapezLinie). Statt der bloßen Präsentation der Mode wird die Kleidung immer öfter aktiv dargestellt und die Frau, die als Trägerin der Mode in dem signifikanten Dekor zu leben scheint, nimmt zur Erschaffung der Szene eine transitive Pose ein.121 Der Modefotografie stehen hierbei drei Verfahrensweisen zur Verfügung. Zuerst nennt Barthes den objektiven Stil, der auf naheliegende Bedeutungsassoziationen setzt. Constantines Mädchen, die ausgelassen Rad fahren (Abbildung 3), Möwen mit Pommes Frites füttern (The Face, Dezember 1997) und sich Kissenschlachten liefern (The Face, Oktober 1998), veranschaulichen zum Beispiel Jugendlichkeit. Eine weitere Möglichkeit bietet der romantische Stil, der die Szene in ein Gemälde verwandelt. So etwa auch in David LaChapelles Fotostrecke ›The New Seekers‹ (The Face, April 1995), in der Einhörner als Fabelwesen auftreten, Models in idyllischer Landschaft Schwäne an einem See beobachten und die einzelnen Szenen in ein warmes orangefarbenes Licht getaucht sind. »Das Leben erhält hier die Weihen der Kunst, und zwar einer edlen Kunst, emphatisch genug, um zu verstehen zu geben, daß sie mit der Schönheit oder dem Traum spielt,«122 lautet Barthes’ Beschreibung des Stils, die sich auch auf LaChapelles traumgleiche Darstellung übertragen ließe. Zuletzt bleibt noch der ulkige Stil, bei dem der Szene durch Lächerlichkeit Lebendigkeit verliehen wird. Zu entdecken auch in Mario Testinos Strecke ›Silly Benjamin‹ (The Face, Februar 1996), in der ein androgyn wirkendes männliches Model die elegante und doch konservative Damenmode vorführt. Durch das Ausbleiben von jeglichen Anzeichen der Exzentrik wandelt sich die ernsthafte Präsentationsform dem Titel entsprechend zur Albernheit.123 Alle drei Stile dienen, so Barthes, letztendlich der »Irrealisierung ihres Signifikats [...]«,

121 Barthes, 1985 (a): 311-312. 122 Barthes, 1985 (a): 312. 123 Vgl. Barthes’ Beschreibungen der drei Stile. Barthes, 1985 (a): 312-313.

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durch die, »[...] die Mode ihren Signifikanten, daß heißt die Kleidung, um so besser realisieren« kann.124 Barthes’ Vergleich mit der Malerei impliziert die Möglichkeit des Modefotos als Einzelwerk, legt zugleich jedoch eine hierarchische Ordnung dar, in der sich die Modefotografie am ehrwürdigen Gemälde orientiert. Der Vergleich mit dem Theater unterstreicht die Bedeutung der Inszenierung und kehrt das erzählerische Moment hervor. Ebenso verweist Barthes damit auf die Relevanz eines Publikums, das den Prozess der Gedankenassoziationen und somit der Erzählung erst vollständig macht. Die Inszenierung und das Publikum sind demnach jene Faktoren, die eine Präsentation der Mode begründen und ihr eine gewisse Sinnhaftigkeit verleihen. Konstruierte Erzählungen Im Magazin setzen Modestrecken in der Regel zwei verschiedene serielle Anordnungsformen ein: entweder eine Bildabfolge mit linear konstruiertem Handlungsstrang oder eine Zusammenfügung verschiedener Variationen eines übergreifenden Themas. In der ersten Variante können Setting, Gesten, Requisiten und andere Hilfsmittel, wie zum Beispiel Beleuchtung, erheblich zur narrativen Orientierung des Betrachters beitragen. Während sie in der zweiten oft nur als Hintergrund und gestalterische Elemente dienen und die Pose zentrales Instrument ist, das einen Ablauf suggeriert, ohne eine erzählerische Ausgestaltung zu erfordern. Lehmann stellt fest, dass die Bildreportage das formale Mittel ist, mit dem die Modefotografie eine Geschichte um die dargestellte Kleidung herum erschafft. Die konventionelle Konstruktion der geradlinigen Geschichte von der metaphorischen Reise des Models wird jedoch immer häufiger von Szenarien abgelöst, in denen die Kleidung eine Reihe von Transformationen unterläuft. Anstelle der erzählerischen Identifikation mit dem Subjekt wird eine erzählerische Identifikation mit dem modischen Objekt angeregt.125 Wenn für die Reihe ›BLUE‹ (i-D, August 1996) beispielsweise mehrere unzusammenhängende, stilistisch gänzlich unterschiedliche Aufnahmen diverser Fotografen zusammengetragen werden, fungiert lediglich die Kleidung − in diesem Fall der Jeansstoff − als verbindendes Brückenelement. Ausschnitthaft wird von der Vielseitigkeit des Materials erzählt. Allerdings wird kein handlungsorientiertes Erzählschema entwickelt. Oft ergeben sich die Bezüge innerhalb einer Strecke schlichtweg durch ein verbindendes Merkmal der Mode (Farbe, Designer, Material etc.) oder durch das Wiederauftauchen des gleichen Models. Lehmann nimmt den filmischen Charakter von Modestrecken und Kampagnense-

124 Barthes, 1985 (a): 313. Obwohl die kategorisierten Stile als Schemata erhalten geblieben sind, wurde schon am Beispiel ›Homosapiens Modernus‹ von Mikael Jansson nachgewiesen, dass die Modefotografie ihre Verfahren erweitert hat. 125 Lehmann, 2002: T15.

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rien zwar wahr, weist jedoch ausdrücklich auf den Unterschied zwischen filmischer und modefotografischer Erzählung hin: »Serielle Modebilder untergraben alle Konventionen der filmischen Erzählung, denn der Held oder die Heldin muss sozusagen in einem unglaublichen Tempo das Kostüm wechseln, nämlich von Foto zu Foto. [...] Der Fotograf nimmt die fortlaufende Folge von Filmbildern und reißt diese dann auseinander. Er wählt eine Reihe von individuellen Bildern aus, die ihm repräsentativ (oder visuell interessant) erscheinen, sodass zwischen den syntaktisch unverbundenen Bildern riesige Lücken entstehen, die der Betrachter durch Assoziation oder durch die Herstellung eines logischen Zusammenhangs füllen muss, damit sich eine Handlung ergibt.«126

Ähnlich wie Barthes kehrt Lehmann die Bedeutung der Gedankenassoziationen des Betrachters hervor. Je unzusammenhängender die einzelnen Fotografien einer Serie erscheinen, umso vielfältiger kann die Konstruktion einer möglichen Erzählung demnach ausfallen. Erst durch die Anordnung als Strecke und einer sich aufbauenden Erkennbarkeit von Handlung und Figuren werden, Lehmann zufolge, Metaphern und Symbolik deutlich. Das Einzelbild liefert hingegen keine Erklärungen.127 Im Vergleich zu Barthes’ Analyse einzelner Fotografien bedarf die Assoziation bei Lehmann, allerdings auf die Modestrecke angewandt, deutlich der Verbindungen und Lücken zwischen den Einzelbildern. Justin Westovers Fotostrecke ›Stalker‹ (Dazed & Confused, Februar 1998) ist zu einer linearen Erzählung angeordnet, in der die Kamera die einzelnen Schritte der Hauptfigur ebenso wie die des sich nähernden Mörders wiedergibt. Zusätzlich gesteigert wird der Eindruck der geschlossenen Handlung durch das Hinzufügen von point-of-view-Aufnahmen und einem reduzierten Kleiderwechsel, der in die Geschichte eingebaut wird. Derart geschlossene Modestrecken sind jedoch selten. In der Regel bleiben Lücken erhalten und besonders Werbekampagnen bauen auf eine kontextuelle Aufspaltung des zusammengehörenden Ganzen. Dadurch, dass Lehmann zum einen die Bildreportage als formgebendes Mittel und zum anderen die konventionelle filmische Narration als Bezugspunkt heranzieht, wird die Bedeutung einer vielschichtigen Erzählstruktur im autonomen Einzelbild ausgeblendet. Auch im Hinblick auf die Herauslösung des Modefotos aus seinem Originalkontext sieht sich die Modefotografie zunehmend damit konfrontiert, Bilder zu erschaffen, die nicht nur als Bestandteile einer Serie, sondern auch als Einzelwerke funktionieren. In Luchfords Prada-Kampagne aus dem Jahr 1997 werden, mithilfe des wiedererkennbare gleichen Models, der filmischen Ästhetik und der Atmosphä-

126 Lehmann, 2002: T16. 127 Lehmann, 2002: T15.

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re einer unmittelbaren Bedrohung, Verbindungen hergestellt. Die Serie basiert auf keiner logischen Erzählstruktur und es werden dem Beobachter keine Erklärungen angeboten. Posen, Gestik und Wahl der Bildausschnitte suggerieren Bewegung sowie ein Davor und Danach. Durch die Vertrautheit mit der filmischen Ästhetik wird die Imagination vorangetrieben und die Lücken zwischen den verschiedenen Bildern vom Betrachter gefüllt. Diese imaginative Reaktion setzt jedoch auch beim Betrachten des Einzelbildes ein. »The still dis-stills. It does not so much give us a frozen moment of a continuous action (like a freeze frame) as it condenses an entire drama,«128 beschreibt Arthur C. Danto jene erzählerisch verdichtende Qualität des Film Stills, die sich auch in Luchfords Aufnahmen entdecken lässt. Kismaric und Respini bemerken im Zuge der Abkehr von einer fotografischen Schwerpunktlegung auf das Portrait die Verschiebung auf eine filmische Rezeptionsweise. Denn beinahe alle Fotografien können als herausgelöste Aufnahmen aus einem Film oder Element einer Geschichte aufgefasst werden. Dementsprechend begreifen die Autorinnen den Film sowie den fotografischen Schnappschuss als die zwei dominanten Erzählformen der zeitgenössischen Modefotografie. Des Weiteren macht sich auch der Einfluss narrativer Techniken der Kunstfotografie bemerkbar.129 Damit knüpfen Kismaric und Respini an die Gegenüberstellung von offensichtlich inszenierter und dokumentarischer Fotografie an, lassen jedoch das Theater oder die Malerei unerwähnt. Seit ihren Anfängen hat die Fotografie eine Neigung zum theatralischen Bild aufgewiesen. Exemplarisch seien hier nur die Fotografien der im 19. Jahrhundert beliebten Tableau Vivant Darbietungen oder Henry Peach Robinsons gestellte Fotografie Fading Away (1858) genannt. Mit Entwicklung der Kleinbildkamera ist die dokumentarische Fotografie jedoch zur dominierenden fotografischen Praxis geworden und die inszenierte Fotografie hat sich auf die Bereiche der Mode und Werbung konzentriert. Erst seit den 1960er Jahren setzt sich die inszenierte Fotografie, auch abseits von kommerziellen Bereichen der Fotografie, wieder wahrnehmbar durch und wird in den 70ern durch Künstler wie Jeff Wall oder Cindy Sherman umso eindringlicher in der Kunst präsent.130 Die medien- und genreübergreifenden Tendenzen der inszenierten Fotografie verweisen auf das Bedürfnis, visuell Geschichten zu erzählen, und machen den Reichtum der Bilderwelt kenntlich, durch den sich die Fähigkeit des Betrachters, Bilder auf vielfältigste Art und Weise lesen zu können, stetig erweitert.

128 Danto, 1990: 13. 129 Kismaric/Respini, 2004: 12 und 22. 130 Einen Überblick zur Tradition des Theaters in der inszenierten Fotografie vom 19. bis 21. Jahrhundert liefert: Kat.Ausst. Acting the Part, 2006.

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Das modefotografische Gesamtbild bei Guy Bourdin »Bourdin was the first explicit storyteller in fashion photography,«131 halten Kismaric und Respini fest. Verbindende Elemente in Bourdins Fotostrecken sind oft spezifisch formale Interessen sowie wiederkehrende Motive oder Inhalte. Als solches formen die Bilder in ihrer Anordnung zur Serie meist keine lineare Erzählung, aber können als Einzelbilder dennoch vielschichtige Erzählebenen aufweisen.132 Seine Konstruktionen autonomer Einzelbilder, die gezielt auf die Doppelseite des Magazins ausgerichtet sind, sind wegweisend für die Repräsentation eines Produktimages durch das Werbebild gewesen. Bourdin hatte zunächst die konventionelle Künstlerlaufbahn als Maler eingeschlagen, ist dann zum Medium Fotografie gewechselt und hat sich später beinahe ausschließlich der Modefotografie gewidmet. Beeindruckt vom Werk Man Rays sucht Bourdin mit 22 Jahren sein Vorbild in dessen Pariser Atelier auf. Dieser erkennt in den frühen Arbeiten Bourdins Potential und verfasst 1952, anlässlich der ersten nennenswerten fotografischen Ausstellung des jungen Künstlers, das Vorwort für das Begleitheft. Bezüge zum Surrealismus lassen sich im Œuvre Bourdins vielfach entdecken: Wiederkehrende formale Elemente, wie das Foto-im-Foto, erinnern an René Magrittes verdoppelte Bildebenen, des Öfteren hat sich Bourdin Motive von Man Ray angeeignet und auch seine Wiedergabe der puppenhaften Frau lässt Bezüge zu Hans Bellmers Faszination für den künstlichen Körper der Puppe erkennen. Die wohl bezeichnendsten Merkmale seiner Arbeiten sind jedoch die Anwesenheit des Bedrohlichen sowie die Abwesenheit von logischen Erklärungsansätzen.133 Es werden mehr Rätsel aufgeworfen, als Antworten geliefert. Seine Annäherungen an die Umsetzung einer Fotografie und die entwickelten Bildlösungen sind von seinem malerischen Ausgangspunkt geprägt.134 Dabei widmet er sich allerdings explizit den formalen Eigenarten und Problemen modefotografischer Präsentationsflächen. 1975 entwickelt Bourdin für den Schuhhersteller Charles Jourdan, der neben der französischen Vogue der größte Förderer in der Karriere des Modefotografen gewesen ist, eine Fotografie, die seinen Einsatz von Farbe, räumlichen Gestaltungs-

131 Kismaric/Respini, 2004: 15. 132 Brookes weist auf die verbindenden Elemente und die Suggestion einer Narration hin, betont allerdings, dass die Bilder meist keine Geschichten erzählen. Vgl. Brookes, 2003: 130. 133 Zu Bourdins frühen Künstlerjahren und der Verbindung zum Surrealismus s. Garner, 2003. 134 S. hierzu Cottons Untersuchung der Charles Jourdan-Kampagne, Frühling 1975. Anhand von Fotografie und Vorzeichnung untersucht sie den kompositorischen Aufbau sowie historische Bezüge. Cotton, 2003: 142-149.

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trukturen und dem Bild-im-Bild zur Konstruktion einer im Rahmen des Einzelbildes zusammengefassten mysteriösen Geschichte (Abbildung 7) veranschaulichen. In einem dunklen Zimmer liegt ein beinahe nackter Frauenkörper ausgestreckt auf einem Bett. Der Kopf ist vom Bildrand abgeschnitten und weiße Handtücher verdecken ihr Geschlecht. Sie trägt Schuhe, die durch das warme Licht beleuchtet werden, das vom Gang durch die offenstehende Tür fällt. Auf dem Gang läuft ein kleiner Junge an dem Zimmer vorbei, der nur den unteren Teil des Frauenkörpers erblicken kann. Neben der geöffneten Tür im Rauminneren läuft der Fernsehapparat, dessen kühles bläuliches Licht die Bildhälfte erhellt. Die Fotografie hat das bewegte Bild zu einem Standbild umgeformt und zeigt eine auf dem Rücken liegende Frau, deren vor Entsetzen gezeichnetes Gesicht einen stummen Schrei von sich gibt. Das Bild-im-Bild erscheint als die Verdopplung jenen Bereiches, der dem Betrachter durch die Beschneidung der Fotografie vorenthalten wird. Durch die starr anmutende Haltung sowie die nur partiell bedeckten Körperteile erscheint der anonymisierte Körper bereits abgestorben und das Fernsehstandbild suggeriert eine Fantasie von dem, was sich hier kurz zuvor zugetragen haben könnte. Abbildung 7: Guy Bourdin für Charles Jourdan, Frühling 1975.

Die Teilung des Bildraums, die durch die zwei unterschiedlichen Lichtquellen sowie die aus vertikalen und horizontalen Linien erzeugten räumlichen Ebenen entsteht, erschafft zwei Perspektiven auf den leblosen Frauenkörper: In dem Jungen kann von seiner Position aus nur eine düstere Vorahnung keimen, während der Be-

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trachter zwar mehr Hinweise zum Schrecken im Inneren erhält, aber ebenfalls im Ungewissen gehalten wird. Anhand der Verschränkung von inner- und außerbildlicher Perspektive entwickelt sich Empathie für den Jungen. Cotton sieht die gewaltvolle Beschneidung des Kopfes als Methode zur Erzeugung einer Verbindung zwischen dem Frauenkörper und dem Jungen. Das Verwehren einer Bestätigung ihrer Identität lässt die Möglichkeit zu, dass es sich bei dem Körper nicht um den eines Models handelt. Dafür, so Cotton, versieht die Beziehung zu dem Jungen den Körper mit der Identität der Mutter und der Junge wird zum Zeugen des Todes der eigenen Mutter.135 Einerseits ist Cottons Lesart der Szene naheliegend, auf der anderen Seite ist die Beziehung zwischen Opfer und Jungen nur von sekundärer Bedeutung. Entscheidend ist das Verhältnis des Betrachters zu dem Jungen, der in ihm ebenso einen Zeugen erkennt, wie er selbst einer ist. Das weitgehend nebensächliche Modeprodukt wird durch das nicht identifizierbare Opfer umso präsenter, da es, erhellt vom Licht des Ganges, für den Jungen zu dem maßgeblichen Hinweis auf die Objekthaftigkeit des leblosen Körpers wird. Die scheinbare Beiläufigkeit des Modeprodukts und dessen Integration in ein Bild mit verstörendem Inhalt fordert den Betrachter heraus und konfrontiert ihn mit den eigenen Verlangen und Sehgewohnheiten. »Bourdin states that this is not a typical fashion image. Within this nightmarish scenario the fashion product becomes a poisoned fruit. [...] once the fashion product loses its centrality within the image, our consumer desires are revealed for what they are: shallow, deathly and meaningless. [...] His grand gesture was made for the reader of the magazine to enjoy, to contemplate and to laugh at, albeit nervously,«136

fasst Cotton zusammen. Obwohl das Modeobjekt bei näherer Betrachtung oft nicht so nebensächlich ist, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, ist dessen Präsentation nicht mehr das zentrale Anliegen des Modefotos. Dafür spricht auch die reduzierte Präsenz des Designernamens, in Form eines kleinformatigen Schriftzugs. Brookes ordnet Bourdin daher einer Gruppe von Modefotografen der 70er Jahre zu, der auch Newton und Turbeville angehören, für die das »product image« bedeutender ist als das Produkt. Das primäre Anliegen ist demnach die Konstruktion des Bildes als Ganzes und nicht die Darstellung des Produktes.137 Interessant hierbei ist die Zweideutigkeit des Wortes ›image‹. Einerseits kann das Wort schlicht das Bild bedeuten. Anderseits kann der Begriff Image auch das Charakteristische oder Markenzeichen meinen. Daraus kann abgeleitet werden, dass das künstlerische Ge-

135 Cotton, 2003: 148. 136 Cotton, 2003: 148-149. 137 Brookes, 2003: 127.

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samtbild zum Image eines Produktes werden und es repräsentieren kann. Mit dem stetig zunehmenden Anteil von Werbeanzeigen in Hochglanzmagazinen, wird das Anhalten des ruhelosen Blicks des Lesers ein umso relevanteres Anliegen. Bourdins räumlicher Bildaufbau wirkt, um es wie Brookes mit den Worten Lacans zu beschreiben, als »trap for the gaze«.138 Indem gegen die Erwartungen des Betrachters gearbeitet wird, wird sein Blick eingefangen. Bourdins gestalterische Verfahrensweisen zur Konstruktion eines Gesamtbildes verleiten dazu, ihn als Maler zu verstehen, der die Kamera als seinen Pinsel und das Magazin als seine Leinwand nutzt.139 Brookes betont jedoch zutreffend, dass Bourdin die Seiten im Magazin eben nicht als Leinwand, sondern als Fläche verstanden hat, die einer speziellen Lösung und eines entsprechenden Bildaufbaus bedarf.140 Schlägt man die Seiten der Märzausgabe der französischen Vogue aus dem Jahr 1978 auf, sieht man eine doppelseitige Kampagne für Charles Jourdan, in der eine Frau auf einem Weg kniet. Frontal dem Betrachter zugewandt, winkelt sie beide Knie zur jeweiligen Seite an und hält eine Fotografie vor ihr Gesicht und in die Kamera. Auf dem Foto-im-Foto ist sie in beinahe identischer Position zu sehen, jedoch ohne die zweite Fotografie, die ihr Gesicht bedeckt. Die Fotografie verdeckt und enthüllt zugleich ihre Identität und macht, durch die Reproduktion der Szene, die Künstlichkeit des Werbebilds kenntlich.141 Die Staffelung der Bildebenen erzeugt eine Direktheit, mit welcher der Betrachter unmittelbar konfrontiert wird. Die spitz auf den Fluchtpunkt zulaufenden Brüstungen zu beiden Seiten des Weges verstärken die Symmetrie. Durch die Mitte beider Fotografien verläuft die Trennlinie der Doppelseite im Magazin, sodass beim Blättern der Eindruck entsteht, die Beine des Models würden sich öffnen und schließen. Der graphische Aufbau ist bis ins kleinste Detail durchdacht sowie speziell für die Doppelseite im Magazin erdacht worden.142 In vergleichbarer Weise unterteilt die Trennlinie das Werbebild von 1975 auf der Höhe der Tür in eine warme und eine kühle Bildfläche sowie in innerund außerbildliches Sichtfeld.143

138 Brookes benutzt hier Lacans allgemeine Beschreibung von Bildern als »traps for the gaze«. Im Gegensatz zu Lacan bezieht sie sich damit allerdings speziell auf Bilder, die das Potential haben, den Blick einzufangen und den Betrachter in eine Auseinandersetzung zu involvieren. Brookes, 1992: 22 und 24 sowie Brookes 2003: 133. Weiterführend s. Lacan, 1977: 91-104. 139 »The camera was Guy Bourdin’s brush and the magazine his canvas.« Scheips, 2010: o.S. 140 Brookes, 1992: 21-22 und Brookes, 2003: 123. 141 Vgl. Gingeras, 2006: o.S. 142 Vgl. Brookes, 1992: 21. 143 Vgl. Cotton, 2003: 144.

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Bourdins Konzepte können dem Betrachter somit nur in Form der Doppelseite als Erlebnis vermittelt werden. Unter diesem Blickwinkel wird die beharrliche Weigerung, seine Modearbeiten in Ausstellungen oder Monographien zu präsentieren, nachvollziehbar. Die Bilder sind zwar als autonome Werke angelegt, doch eine Überführung in neue Präsentationsflächen würde den Verlust des kontextspezifischen Ansatzes bedeuten. 3.2.2 Die Erschaffung von Bildwelten In der Debatte Imagination gegen Realismus-Positivismus plädiert Baudelaire für die Herrschaft der Imagination und schreibt: »Ein gutes Bild, das dem Traume, der es erzeugte, getreulich gleicht, muß entstanden sein wie eine Welt.«144 Baudelaires Definition der Fotografie als objektives und realitätsbestätigendes Medium scheint nicht vereinbar mit seiner Auffassung von einer subjektiven und einzigartigen Kunst. Die Geschichte der Fotografie hat jedoch schon früh gezeigt, dass die Zeugenschaft der Realität vorgetäuscht werden kann. Die fünfzehnjährige Elsie Wright und ihre sechs Jahre jüngere Cousine Frances Griffiths fotografierten sich 1917 gegenseitig, umgeben von kleinen feenhaften Gestalten. Für Sir Arthur Conan Doyle, der dem Spiritismus angetan war, und andere, die von der Beweiskraft des Mediums überzeugt waren, dokumentierten die Cottingley Fairy Photographs die Existenz von Feen. Dabei hatten die Mädchen nur Illustrationen aus einem Kinderbuch ausgeschnitten und auf Hutnadeln befestigt. Erst Jahrzehnte später wurde der Schwindel aufgeklärt.145 Die Entwicklung vom analogen zum digitalen Bild wird von Autoren wie William J. Mitchell durch die Bezeichnung ›post-fotografische Ära‹ als einschneidender Umbruch kenntlich gemacht.146 Im digitalen Zeitalter ist das illusionistische Potential des fotografischen Bildes gemeinhin bekannt. Dennoch bestimmt oft der Kontext, wie der Wahrheitsgehalt der Fotografie ausgelegt wird. Indessen dem journalistischen Foto wahrheitsvermittelnde Intentionen zugesprochen werden, besitzt die Modefotografie die Freiheit, Illusionen zu erschaffen. »Fashion photography is the dream department of photography,«147 beschreibt Tim Walker dieses spezielle Privileg des Modefotografen. Im neuen Jahrtausend macht kein Fotograf die Theatralik der Mode so deutlich zum Dreh- und Angelpunkt seiner Arbeiten wie Walker.148 Er erschafft Bildwelten, denen die Faszination für das Irreale innewohnt.

144 Baudelaire, 1990 [b]: 214. 145 S. Kat.Ausst. Fake? The Art of Deception, 1990: 87-88. 146 Mitchell, 1992. 147 Walker, 20012: 38. 148 Weiterführend s. Sack, 2010.

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Seine Märchenwelten sind der Realität entrückt und wirken dennoch vertraut. Mit ihnen bringt Walker die Magie zurück in die Fotografie und erinnert an Zeiten, in denen Geschichten von Feen, Humpty Dumpty und dem Wunderland noch nicht von dem Streben nach Objektivität und Wahrheit verdrängt worden sind. Obwohl Walkers Bilder das eigentlich Unmögliche zeigen, arbeitet er nicht mit den Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung, sondern erschafft Illusionen mittels aufwendiger Sets, Requisiten und Kostümen.149 Das Verfahren hochgradig konstruierter Bildinszenierungen hat zuvor schon LaChapelle zur Perfektion getrieben. Sowohl Walker als LaChapelle knüpfen an Traditionen des Theaters an, die im Gegensatz zur künstlichen Erschaffung digitaler Welten zu stehen scheinen. Beide Verfahrensweisen vereint die Verlagerung in den Bereich der Fantasie und sie lenken die Aufmerksamkeit auf die Vision des Fotografen, der als Erschaffer von Bildwelten auftritt. Willkommen im LaChapelle Land Für die französische Vogue fertigt LaChapelle 1995 eine Bildstrecke an, in der Models in dem architektonischen Nachbau einer Schlossanlage posieren.150 Die Fassade des Palastes und die Parkanlage mit Labyrinth erinnern an Schloss Versailles. Allerdings ist der Nachbau ein im Maßstab verhältnismäßig kleines Modell, in dem die realen Models wie Riesen auftreten. Nichts scheint hier den Anschein von Realität erwecken zu wollen. In dem architektonischen Modell platziert, lehnen sich die Models an das puppenhaushafte Gebäude oder umfassen die schmalen Türme mit den Händen. Während die Proportionsunterschiede der Außenaufnahmen vor allem Macht zum Ausdruck bringen, gleichen sich die architektonischen Verhältnisse im Inneren weitestgehend realen Gegebenheiten an. Trotzdem erscheinen die Szenen verfremdet. Die Personen wirken durch die Untersicht gestreckt, doch die dichte räumliche Anordnung lässt sie gedrungen aussehen. Der klaustrophobische Effekt des dichten Bildaufbaus wird in anderen Aufnahmen durch tonnengewölbte Decken und zusammengedrängte Gruppierungen von unterschiedlich großen Figuren verstärkt. Wenn man die Bildstrecke als Ganzes betrachtet, wird deutlich, dass die zwei Seiten des Kriegs, Sieg und Niederlage, die zentralen Themen sind. Die Figuren treten wie Schauspieler in einem Theaterstück oder Darsteller eines Tableau Vivants auf, deren überspitzte Gesten im Foto eingefroren wurden.151

149 Der letzten Seite des Bildbands ist der Hinweis zu entnehmen, dass keines der Bilder elektronisch manipuliert wurde. Walker, 2008: o.S. 150 Die Bilder aus ›Couture Story‹ sind auch online zu finden: http://www.lachapelle studio.com/series/collapse-in-a-garden. 151 Vgl. Paparoni, 2008: 61.

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LaChapelles Aufnahmen entstehen meist im Studio und werden vorab bis ins kleinste Detail geplant.152 Seine aufwendig konstruierten Welten sind Resultate seiner Imagination, die er mit dem Medium der Fotografie detailgenau festhält. Dieser schöpferische Gedanke der Bilderwelten kommt auch in den Titeln seiner Fotobände LaChapelle Land (1996) und Hotel LaChapelle (1999) zum Ausdruck. Anfang der 80er Jahre stellte LaChapelle seine fotografischen Arbeiten in New Yorker Galerien aus. Dort wurde Andy Warhol auf ihn aufmerksam und der junge Fotograf arbeitete daraufhin regelmäßig für Warhols Magazin Interview. In der Hauptsache widmete er sich Portraits von Prominenten, aber machte sich auch als Mode- und Werbefotograf einen Namen. Getrieben von der Idee, einen umfangreichen Bestand von Portraitaufnahmen anzulegen, ist LaChapelle über einen Zeitraum von zehn Jahren voller Schaffensdrang für diverse hochrangige Magazine und Auftraggeber tätig gewesen. Im Jahr 2005 beschließt er, sich von der Auftragsarbeit zurückzuziehen, zu seinen Anfängen zurückzukehren und Fotografien wieder gezielt für die Galerie- und Museumswand zu produzieren.153 Oftmals sind seine Arbeiten nicht in eindeutige Bereiche, wie Mode- oder Portraitaufnahme, festzulegen. »His pictures are not fully defined by the discourse of fashion but themselves create fashion, for everything in and about them is fashionable,«154 beschreibt Poschardt die Gemeinsamkeit von LaChapelles Arbeiten. Das plakativ Modische sowie die bekennende Faszination für Phänomene der Popkultur sind für jene, die in LaChapelle primär einen Modemacher erkennen, die entscheidenden Argumente, seine Arbeiten nicht im Bereich der Kunst anzusiedeln.155 Ebenso wenig wie auf bestimmte fotografische Einsatzgebiete lässt sich LaChapelle auf einen Stil festlegen. Obwohl er sich frei aus der Kunstgeschichte bedient und sich von Michelangelo über Bernini bis Bourdin und Warhol inspirieren lässt,156 sind seine Werke immer erkennbar und weisen ihn als Autor mit individueller Bildsprache aus. Mercurio schreibt, dass LaChapelles Fotos schreien und bringt anhand dieser knappen Formulierung wohl am treffendsten ihre Besonderheit auf den

152 Für den Großteil seiner Fotografien fertigt er Vorzeichnungen an. S. David LaChapelle in: LaChapelle/Shafrazi, 2009: 81. 153 Über seine Anfänge, die Portraitarbeit sowie die Abkehr von der Auftragsarbeit für Magazine seit 2005 s. LaChapelle/Mercurio, 2009: 63-68. 154 Poschardt, 2002: 269. 155 Nicholson etwa erkennt das Humorvolle in LaChapelles Arbeiten, spricht ihnen subversive Züge jedoch ab. Er fährt fort: »If you’re going to have a problem with David LaChapelle as a ›serious artist‹ it’s going to be here. So much of his work doesn’t look like art at all: it looks like commerce, or, worse still, fashion.« Nicholson, 2006: 82. 156 Vgl. hierzu die Bildzusammenstellung von kunsthistorischen Referenzen in Parlavecchio, 2009: 54-61.

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Punkt.157 Farbe ist für ihn ein Instrument des Ausdrucks und der Kommunikation.158 Alles scheint sich in seinen Fotografien im Überfluss zu manifestieren: die grelle Farbigkeit, die Exzentrik seiner Figuren und die überbordenden Bildräume. In ›Couture Consumption‹ (Sunday Times, 1999) platziert LaChapelle sein Model auf einer Anhäufung von alltäglichen Produkten der Konsumwelt und knüpft damit an Darstellungen der Welt der Waren an, die bezeichnend für die Pop-Art und besonders für Warhols Werke sind.159 Statt eine serielle Anordnung anzuwenden, bildet die Warenvielfalt bei LaChapelle ein Chaos der Masse und kehrt den Zustand des Überflusses hervor. Zugleich verschmelzen die grellen Farben zu einem harmonischen Hintergrund, vor dem das Model in seiner schwarz-weiß gehaltenen Couture-Garderobe hervortritt. Farbe und Schnitt erinnern an Talar und Halskrause liturgischer Gewänder und auch die Pose referiert an Darstellungsmodi von Heiligen oder Märtyrern. Die Verbindung von Weltlichem und Geistlichem wirft verschiedene Deutungsansätze auf: Ist die Sphäre des Geistlichen der Warenkultur zum Opfer gefallen oder predigt das Model in Gestalt einer Geistlichen den Konsum? Die verstreuten Flaggen der Vereinigten Staaten verorten den primären Schauplatz der Vermengung von Konsum und Religion nach Amerika. Die Überladenheit und die Elemente des Vertrauten gleichen in LaChapelles Arbeiten Hinweisen und regen den Betrachter zur Suche nach Bedeutungen an. »Contemplating the array of possible interpretations, you may well catch a glimpse of yourself. For it is not the case, strictly speaking, that one finds meaning in LaChapelle’s photographs. Meanings are made, not found. They are invented by the viewer.«160 Die ausgelösten Interpretationsprozesse, die Ratcliff im Sinne einer ›Geburt des Betrachters‹ beschreibt, basieren auf der Wiedergabe von vertrauten Erscheinungen der Oberflächenwelt und der Aufrechterhaltung einer gewissen Allgemeinheit. Die unbestimmte Bedeutung der Inhalte und die Bildgestaltung weisen LaChapelles Fotografien als individuelle Visionen des Künstlers aus. Absurd wirkende Inhalte verlagern das Gesehene häufig in Traumwelten, in denen die Grenzen zwischen Realität und Fantasie aufgehoben werden und der Traum zum Albtraum werden kann.161 Eine weitere in der Sunday Times veröffent-

157 Mercurio, 2008: 17. 158 S. David LaChapelle in: LaChapelle/Shafrazi, 2009: 81. Erst nach dem HIV-Tod seines Freundes und der erlösenden Nachricht, dass er selbst nicht mit der Krankheit infiziert wurde, wechselte LaChapelle ungefähr zu Ende der 80er Jahre von der monochromen zur farbigen Fotografie. David LaChapelle in: LaChapelle/Mercurio, 2009: 66. 159 Besprochene Fotografie ist auch online zu finden: http://www.lachapellestudio.com/ series/couture-consumption. 160 Ratcliff, 2008: 85. 161 Vgl. Crone, 2008: 40-41.

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lichte Modestrecke veranschaulicht LaChapelles Einsatz des Absurden zur Verfremdung der Realität. Zum Beispiel steht Devon Aoki in einem Innenraum mit leuchtend blauem Boden vor einer Wand, die mit Bildern behangen ist und Impressionen von Nord- und Südpol zeigen. Steif wie eine Puppe hält Aoki in der einen Hand einen angelrutenähnlichen Stab und in der anderen einen großen Fisch. Das zentrale Motiv der Fotografie und der Bilder-im-Bild verschränken sich. In einem anderen, rot gestrichenen Raum liegt eine Frau in einer Badewanne, den Körper mit Spaghetti bedeckt. Hinter der Badewanne steht Aoki und blickt den Betrachter ausdruckslos an, während sie mit übergroßem Besteck Spaghetti aus der Badewanne aufnimmt. Weniger befremdlich posiert Aoki in einer weiteren Aufnahme und präsentiert eine wuchtige Halskette in Hummer-Form. Die Referenz an Dalís HummerTelefon (1936) und das in Zusammenarbeit mit Schiaparelli entworfene HummerKleid (1937) machen die Einflüsse des Surrealismus evident. Poschardt zufolge ist die primäre Intention einer an der Kunst orientierten Modefotografie, ein hohes Maß an Künstlichkeit zu erreichen. Dafür bedient sie sich vermehrt des Absurden sowie surrealistischer Verfremdungsstrategien und steigert dadurch den künstlichen Charakter der Mode.162 Obwohl LaChapelle ›mit dem Traum und der Schönheit spielt‹, kann man Barthes’ Definition des romantischen Stils nicht ohne Weiteres auf seine Arbeiten übertragen. Denn die absurden und oftmals bedrohlich wirkenden Elemente arbeiten gegen den Eindruck einer romantischen Erhabenheit der Kunst, wie sie Barthes beschreibt. Ebenso wenig lassen LaChapelles von allem Naturalismus befreiten Welten die Kleidung realer erscheinen.163 Die Kleidung ist genauso wie der Träger fester Bestandteil dieser von dem Künstler erschaffenen Welt. LaChapelle beschreibt rückblickend, dass er zu Anfang mit seinen Bilder noch leuchtende Traumwelten erschaffen wollte, die eine Flucht vor der Realität bieten sollten.164 Allerdings arbeitet das Unheimliche der extremen Künstlichkeit in gleicher Weise wie die Theatralik gegen eine Identifikation des Betrachters mit den Figuren und Bildinhalten an und lädt, anstatt zur Flucht, vielmehr zur Reflexion ein. Im Kontext der Mode funktionieren seine Arbeiten so wirkungsvoll, da sie nicht verheimlichen, dass es in der Mode um die Inszenierung von Illusionen geht. Dadurch fordern sie den Betrachter dazu auf, sich mit dem Bild auseinanderzusetzen.165 LaChapelle weist seine Welten als seine persönlichen Fantasien aus, die dennoch allgemein vertraute Züge enthalten und Anknüpfungspunkte für den Betrachter schaffen.

162

Poschardt, 2002: 263-264 und 270.

163 Vgl. Barthes (a), 1985: 312-313. 164 David LaChapelle in: LaChapelle/Mercurio, 2009: 66. 165 Zur Betonung der Künstlichkeit als Intention vgl. David LaChapelle zit. in: Siemens, o.D.: 80.

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Das digitale Bild In The Pencil of Nature (1844-1846) schildert William Henry Fox Talbot die Entstehung seiner Fotografien als Prozess, in dem die Bilder nicht mittels traditionell künstlerischer Methoden, sondern auf einem neuen fortschrittlichen Wege erschaffen werden. In der Einleitung zu The Pencil of Nature heißt es: »The little work now presented to the Public is the first attempt to publish a series of plates or pictures wholly executed by the new art of Photogenic Drawing, without any aid whatever from the artist’s pencil. [...] They have been formed or depicted by optical and chemical means alone, and without the aid of any one acquainted with the art of drawing. [...] They are impressed by Nature’s hand.«166

Das fotografische Potential, Bilder zu erschaffen, betont er durch den direkten Vergleich mit der Zeichenkunst. Aber gleichzeitig ist die Fotografie für ihn in erster Linie ein technisches Instrument, das die Bilder der Realität wiedergibt. In welchem Maße die Fotografie die Realität wahrheitsgetreu wiedergibt, ist jedoch schon lange eine differenzierte Überlegung. Denn neben den persönlichen und selektiven Entscheidungen des Fotografen, die vorgeben in welcher Art und Weise der fotografische Gegenstand abgelichtet wird, bestimmt auch immer der Kontext, wie Motiv und Inhalt einer Fotografie wahrgenommen werden.167 Während im Zeitalter der analogen Fotografie besonders diese selektiven Prozesse den künstlerischen Umgang mit dem Medium auszeichnen, widerlegt das digitale Zeitalter und seine vielfältigen Möglichkeiten, Bilder zu bearbeiten und zu erschaffen, umso nachdrücklicher Emersons Einwand, die Fotografie sei keine Kunst und der Fotograf nicht der Schöpfer eines Bildes.168 Peter Lunenfeld übernimmt diesbezüglich die von Hollis Frampton verwendete Begrifflichkeit »der dubitativen Prozesse der Malerei«169 , die im Hinblick auf die digitale Fotografie aussagt, dass der Fotograf nicht mehr nur die diversen Möglich-

166 Fox Talbot, 2011: o.S. (Introductory Remarks). 167 Ein gern verwendetes Beispiel zur Verdeutlichung der Bedeutung des Kontextes ist Gisèle Freunds Schilderung der Verwendungen einer Fotografie Robert Doisneaus, die je nach Kontext und hinzugefügtem Text eine neue Lesweise herbeiführte. Freund, 1976: 193. 168 S. Emerson, (b) 1973: 18-187 (Book I), 55-60 (Book III) und insbesondere Book II. Vgl. Stiegler, 2006: 413. 169 Lunenfeld, 2002: 167. Vgl. Frampton zum Unterschied der Entstehungsprozesse von Malerei und Fotografie: »Paintings are traditionally built by a process we might call dubitative – in other words, the painter fiddles around with the picture till it looks right.« Frampton, 1983: 190.

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keiten der Selektion sowie Inszenierung durchläuft und dann auf den Auslöser drückt, sondern, dass er sich mit dem Bild beschäftigt und es so lange bearbeitet bis es in seinen Augen vollendet ist. Laut Lunenfeld hat dies zur Folge, dass die digitale Fotografie den Wahrheitsgehalt des Mediums in erheblichem Maße in Frage stellt und, anstatt wie ein Beweisstück, wie ein geschriebener Text behandelt werden muss. Damit einhergehend wird die konventionelle Kategorisierung in dokumentarisches Beweisfoto oder künstlerisches Kunstfoto aufgehoben. Denn mit »dem Eintritt in das digitale Zeitalter des Dubitativen, funktioniert diese Trennung nicht mehr, da alle digitalen Fotografien [...] nun künstlerischen Fotografien gleichen«.170 Die digitale Fotografie wirkt somit einer Deutung der Fotografie als Medium, das die Wirklichkeit analogisch als Bild reproduziert, entgegen. Durch den Verlust ihrer Beweiskraft wird das ›Es-ist-so-gewesen‹-Grundprinzip der Fotografie in Frage gestellt.171 Gleichzeitig wird die Behauptung entkräftet, der Fotografie mangele es an schöpferischen Qualitäten. Indem es seine imaginativen Fähigkeiten betont, bricht das digitale Bild im selben Zug mit traditionellen Vorstellungen zur Fotografie und knüpft an die Tradition der Malerei an. Mitchell weist diesbezüglich auch auf die Namen digitaler Bearbeitungsprogramme und -instrumente (zum Beispiel Paint) hin, die allzu offensichtlich Begrifflichkeiten der Malerei und Zeichenkunst entlehnen.172 Inez van Lamsweerde und Vinoodh Matadin haben bereits Ende der 1980er Jahre begonnen, mit Techniken der Bildbearbeitung zu experimentieren und mithilfe digitaler Werkzeuge Modefotografien zu erstellen, deren Klarheit die anscheinend perfekte Oberfläche erzeugt. Kennengelernt hat sich das Künstlerpaar Mitte der 80er Jahre nach seinem Abschluss eines Modedesignstudiums und während ihres Studiums des Fotodesigns in Amsterdam.173 Schlechte Wetterbedingungen wäh-

170 Lunenfeld, 2002: 167-171. Zu den Auswirkungen auf den Wahrheitsgehalt der digitalen Fotografie s.a. Mitchell, 1992: Kap. 3 und 9. 171 Claysson und Legrady weisen u.a. auf die Problematik hin. Claysson, 1996: 76-77 und Legrady, 1996: 91. Vgl. Barthes (b), 1985: 86-87. S.a. Barthes’ Beschreibung der Konnotationsverfahren (Fotomontage, Pose, Objekte), deren Modifikationen des Wirklichen eigentlich nicht der fotografischen Struktur zugeordnet werden. Barthes, 2013 [b]: 1618. 172 Mitchell, 1992: 6-7 und 87-89. 173 Van Lamsweerde ist als Fotografin und Matadin hauptsächlich als Stylist tätig. Im Zuge ihrer speziellen Arbeitsweise greift gelegentlich auch Matadin zur Kamera. Wobei sie fotografiert und währenddessen mit dem fotografischen Subjekt kommuniziert, zu einem späteren Zeitpunkt beginnt er, aus einer anderen Perspektive ebenfalls zu fotografieren. S. Siemens, 2008: o.S.

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rend eines Shootings haben den Anlass zur ersten intensiven Beschäftigung mit der manipulativen Nachbearbeitung durch Bildbearbeitungsprogramme geboten.174 Im April 1994 veröffentlichen die beiden eine Modestrecke in The Face, deren Fotos im Studio entstanden sind und die Hintergründe nachher am Computer hinzugefügt wurden. Die farblich gesättigten und hyper-real anmutenden Bilder erwecken die Aufmerksamkeit der amerikanischen Vogue. Woraufhin Lamsweerde und Matadin kurze Zeit darauf vom Hochglanzmagazin gebucht werden.175 Schnell erfährt die bis dahin ungewohnte Ästhetik Zuspruch in der Modefotografie und wird zu einem gängigen Bildtypus. Einige Fotografen, zu denen man Stéphane Sednaoui, Andrea Giacobbe, Phil Poynter, Matt Atlas & Marcus Pigott sowie Norbert Schoener zählen kann, erschaffen jedoch mittels der digitalen Möglichkeiten Bilder, die den Betrachter stets aufs Neue das Unmögliche zeigen und den Prozess der Bildgestaltung in den Fokus rücken.176 Nick Knights Bildexperimente In den letzten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ist Knight als einer der vielseitigsten Fotografen im Bereich der Mode hervorgetreten. Die stilistische Vielfalt seiner Arbeiten ist Resultat des stetigen Experimentierens mit den zur Verfügung stehenden technischen Mitteln. Vorangetrieben von der Idee, immer wieder unmöglich erscheinende Visionen zu realisieren, lassen sich Parallelen zwischen seinen künstlerischen Ansätzen und wissenschaftlichen Verfahrensweisen ziehen, mit denen er durch ein begonnenes Biologiestudium vertraut ist. So scheint für Knight nicht das erfolgreiche Endresultat die Priorität zu sein, sondern der experimentelle Prozess ist das unmittelbare Anliegen.177 Noch während des Studiums am Bournemouth and Poole College of Art and Design veröffentlicht Knight 1982 sein Fotobuch Skinheads, in dem er in Form von Schwarz-Weiß-Aufnahmen den Kleidungsstil, Alltag und die Gemeinschaft der subkulturellen Szene im Londoner East End dokumentiert. Woraufhin Terry Jones, Herausgeber von i-D, anlässlich des fünfjährigen Bestehens des Magazins eine Portrait-Serie bestehend aus hundert Arbeiten (Oktober-Ausgabe 1985) bei ihm in Auftrag gibt. Diese Veröffentlichung macht wiederum den Artdirector Marc Ascoli auf Knight aufmerksam, der ihn mit der Welt der Mode in Berührung bringt. 1986 ar-

174 Siemens, 2008: o.S. 175 Van Lamsweerde/Matadin in: Cotton, 2000: 134. In besagter erster Vogue-Strecke wird Sportbekleidung vor dem Hintergrund einer futuristischen Landschaft beworben. S. ›Futuristic Fit‹ in: Vogue (US), Mai 1995. 176 Für eine Auswahl von digital erstellten Bildern der genannten Fotografen s. Derrick/Poynter/Sanders, 2000. 177 Cotton, 2009 (b): 10 und 14.

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beiten Knight, Ascoli sowie der Grafikdesigner Peter Saville zum ersten Mal zusammen und sind für den Katalog zu Yohji Yamamotos Kollektion verantwortlich. Für diesen ersten Katalog gibt Knight die Kollektion in Schwarz-Weiß-Aufnahmen wieder und erzeugt durch einen starken Farbkontrast klare Linien, welche den Schnitt als bestechende Qualität von Yamamotos Entwürfen hervorheben. Für den zweiten Yamamoto-Katalog verwendet er hingegen Farbe und setzt auf ein neues Druckverfahren, das die Farben intensiv leuchten lässt.178 Knight hat sich eingehend mit den Möglichkeiten diverser analoger Druckverfahren auseinandergesetzt, um immer wieder ungewohnte Effekte zu erzielen. Zur Erstellung von Bildern für Louis Vuitton arbeitet er 1996 mit dem Drucker Brian Dowling zusammen und überzieht die Fotografien mit ineinandergleitenden Farben. Jedes einzelne Bild wird von Knight und Dowling ungefähr zwei Tage lang in der Dunkelkammer bearbeitet.179 In den Bildern ist der Körper des Models eine Farbfläche, dessen Konturen sich entweder stark von einem weißen Hintergrund absetzen oder in den ebenfalls farbig gehaltenen Hintergrund überzugehen scheinen. Zugunsten des Bildes wird die Kleidung zu einem sekundären Element und verfälscht oder ungenau wiedergegeben. In dieser Hinsicht zieht Cotton den Vergleich zu den Anfängen der Modedarstellung im Magazin als Kleidung mittels Illustrationen dargestellt wurde und somit im Wesen subjektiv und imaginativ war.180 Seit 1993 beschäftigt sich Knight auch mit digitalen Bildbearbeitungsprogrammen und widmet sich den imaginativen Qualitäten der Fotografie, die über die bloße Farbmanipulation und Bildverbesserung hinausgehen. Die digitale Bearbeitung ermöglicht ihm, Bilder zu erschaffen, die eine Welt zeigen, die es so nur in seiner Vorstellung und nicht in der Realität geben kann. In Knights Augen bedeutet die Entwicklung vom analogen zum digitalen Bild den Tod der Fotografie und der Definition als wahrheitsvermittelndes Medium. Erst durch die Ablösung von jener Funktionszuschreibung ist es der Fotografie möglich, sich in eine Form der Kunst zu verwandeln.181 Die Mode ist für Knight die ideale fotografische Praxis, da sie zu einem gewissen Grad immer vorausschauend auftritt. Während die Fotografie, so Knight, oft nicht innovativ agiert und infolge des Drangs, sich als Medium zu legitimieren, eine retrospektiv ausgerichtete Sichtweise vertritt.182 Knight beschreibt sich selbst zwar als Futurist, dennoch lässt sich in seinen Bildern meist etwas Vertrautes ausmachen. Diese Elemente des Vertrauten können auf vielfältige Weise in

178 Zu seinen Anfängen als Fotograf s. Satoko Nakahara in: Knight, 2009: 13-14, 27, 32, 41, 49 sowie zu seinen Katalogen für Yamamoto s. Kat.Ausst. Yohji Yamamoto, 2011. 179 Cotton, 2009 (b): 7. 180 Cotton, 2009 (b): 7. 181 Nick Knight in: Cotton, 2000: 17. 182 Nick Knight in: Knight/Smyth, 2009: 71.

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das visionäre Bild eingebunden sein, schaffen aber immer mögliche Verbindungspunkte zu allgemeinen Erfahrungswelten. 1997 kollaboriert Knight mit Alexander McQueen für eine Strecke im Magazin Visionaire. Teil dieser Serie ist ein Portrait von Devon Aoki (Abbildung 8), das Cotton als »one of the enduring, iconic images of the digital era«183 bezeichnet. Abbildung 8: Nick Knight: Devon Aoki in Alexander McQueen.

In: Visionaire, 1997 (Nr. 20).

Dem Betrachter frontal zugewandt zeigt das Brustbild eine sowohl menschliche als auch nicht-menschliche Seite des Models, vereint in einem Körper. Die Iris ihres linken Auges ist milchig blau und zeigt keine Pupille. Auf ihrer Stirn kreuzen sich eine in die Haut gestochene Sicherheitsnadel und eine offene Hautstelle, aus der rosafarbene Blüten hervortreten. Die Frisur betont die strenge Frontalität. Gekleidet ist Aoki in ein rosafarbenes schimmerndes Gewand mit Blütenstickereien, dessen hoher Kragen ihren Kopf einrahmt. Der monochrom gehaltene grau-blaue Hintergrund lässt ihre Haut unnatürlich blau schimmern und hebt gleichzeitig die Konturen klar hervor. Die Blumenstickereien und die seidige Oberfläche des Kleides erinnern an traditionelle asiatische Gewänder. Wohingegen der weite Kragen aktuelleren modischen Ursprungs erscheint. Die Augen verdeutlichen den Kontrast von natürlich und künstlich, während die Wunde auf ihrer Stirn den nicht-menschlichen

183 Cotton, 2009 (b): 13.

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Körper freilegt, der für den Fortschritt steht und neues Leben in Form von Natur produziert. Im Hinblick auf das synthetische Bild folgert Lev Manovich: Es »[...] repräsentiert einfach die Zukunft. Wenn, um es mit anderen Worten zu sagen, eine herkömmliche Fotografie immer auf ein vergangenes Ereignis verweist, dann verweist eine synthetische Fotografie auf ein künftiges Ereignis.«184 Dahingegen verweisen die Blumen, die aus Aokis Wunde wachsen und das Kleid zieren, auf die schöpferische Kraft der Natur und repräsentieren eine traditionelle Auffassung von Schönheit. Beinahe hyperreal blickt Aoki den Betrachter aus dem Bild an und veranschaulicht den typischen Effekt von Fotografien, die mithilfe von Computerprogrammen entstanden oder augenscheinlich bearbeitet worden sind. Sie erscheinen »in Wirklichkeit zu perfekt. Darüber hinaus sind sie paradoxerweise auch zu real.«185 Knights Fotografie vereint den scheinbaren Gegensatz von Tradition und Futurismus ebenso wie von Natürlichkeit und Künstlichkeit. Zentrales Motiv ist jedoch nicht Aokis futuristische Gestalt, sondern McQueens Kleid. Das Material erscheint durch die allzu perfekte Oberfläche der Fotografie beinahe tastbar und durch die Künstlichkeit des Körpers umso realer. Die Verknüpfung von Gegensätzen pointiert, dass die Vorausschau der Mode und das traditionell Schöne keinen Widerspruch begründen. Knight verdeckt sowohl im analogen als auch im digitalen Bild die Manipulation der Realität nicht. Dadurch wird, anstelle des Momentes der Betätigung des Auslösers, der Prozess der Bildherstellung in den Fokus gerückt. »There is something inherent in my work [...], which is a degree of accepting the moment the shutter goes off isn’t necessarily the defining moment that the picture is created. You have the time before that and the time after that, and it’s particularly the time after that where you can alter how that image is perceived,«186

fasst Knight die Methode und sein Verständnis der fotografischen Bildherstellung zusammen. Knights Versuche mit verschiedenen Druck- und Entwicklungsverfahren, digitalen Bildbearbeitungsprogrammen, 3D-Scannern (Sweet für: SHOWstudio, 10. November 2000), Applikationen zur Bildbearbeitung auf dem iPhone (Pussycat, Pussycat für: SHOWstudio, 20. April 2012) oder experimentellen Aktionen wie mit Farbpigmenten gefüllten Behältern, die in Richtung Kamera explodieren (in: Another Man, 2005), beruhen auf einem schöpferischen Vorgang der imaginativen Bildherstellung.

184 Manovich, 1996: 66. 185 Manovich, 1996: 65. 186 Nick Knight in: Kat.Ausst. Yohji Yamamoto, 2011: 182.

124 | MODEFOTOGRAFIE

3.2.3 Zum Modefilm auf SHOWstudio Nach ungefähr einem Jahr Vorbereitungszeit wird im November 2000 das von Knight und Peter Seville ins Leben gerufene Projekt SHOWstudio unter der gleichnamigen Webadresse lanciert.187 Dem Titel entsprechend ist die umfassende Grundidee von SHOWstudio das Vorführen von Vorgängen im Studio. Zu Anfang bringt dieser relativ offen gehaltene Leitgedanke eine Sammlung von multimedialen Projekten hervor, die oft nicht konkret, aber auf irgendeine Art und Weise mit Mode in Verbindung stehen. Dieser Bezug zur Mode lässt sich in erster Linie auf Knights Netzwerk in der Modewelt zurückführen. Zeitgenössische Fotografen werden eingeladen, die kommerziell unabhängige Plattform als Medium für ihre Ideen zu nutzen und besonders zu Anfang gehen die Beteiligten davon aus, dass der kreative Freiraum eine Tendenz zur rebellischen Haltung gegenüber der Mode fördern würde. Wider Erwarten ist die Plattform nur selten zur Gegenüberstellung von kommerziellen Auftragsarbeiten und kritischen Privatprojekten genutzt worden. 188 Vielmehr wird die Möglichkeit ergriffen, Ideen umzusetzen, deren Realisierung in einem kommerziellen Rahmen an den Richtlinien und Interessen der Auftraggeber scheitern würde.189 Schon während seiner kurzen Zeit als Bildredakteur bei i-D (ab April 1990), ist Knight als Förderer von jungen Fotografen hervorgetreten. In dieser Hinsicht ist SHOWstudio gewissermaßen die Fortsetzung seiner Förderung kreativen Potentials. Dabei wird die Plattform besonders von Knight immer wieder zur Erweiterung der technischen und medialen Methoden der Modepräsentation genutzt. Bewegte Modebilder Der Untertitel der SHOWstudio-Seite lautet: »The Home of Fashion Film«, wodurch auf den ersten Blick der Modefilm als Schwerpunkt kenntlich gemacht und zugleich eine gesonderte Position hinsichtlich der Etablierung des Modefilms als eigenständiges Genre beansprucht wird. Im Gegensatz zu SHOWstudio hat die Modeindustrie, trotz ihres auf Innovation und Modernität bedachten Images, die Möglichkeiten des digitalen Zeitalters nur zögerlich zur medialen Verbreitung genutzt. 2008 berichtet Penny Martin, damalige Chef-Redakteurin bei SHOWstudio, dass die etablierten Modehäuser immer noch nicht gänzlich vom Potential der neuen Medien überzeugt seien.190 Obwohl Seiten wie style.com mit ihrem Angebot an

187 Seville steuert gelegentlich noch Beiträge hinzu, doch mittlerweile wird das Studio von Knight geführt und finanziert. 188 Penny Martin in: Martin/Shinkle, 2008: 113-117. 189 Vgl. Cotton, 2009 (b): 18. 190 Penny Martin in: Martin/Shinkle, 2008: 115.

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aktuellen Lookbooks der gefragtesten Modehäuser, ihren Fotos von szenerelevanten Events sowie Videos von Modeschauen ein unmittelbares auf-Höhe-der-ZeitSein demonstrieren und Blogger eine immer einflussreichere Stellung in der Vermittlung des Modischen beziehen, bleibt das Printmedium das bevorzugte Vermittlungssystem und die Fotografie somit die dominante Repräsentationsform der Mode.191 Die Gründung von internationalen Modefilmfestivals hat zwar ein Bewusstsein für die Existenz des Modefilms geschaffen, kann jedoch, im Vergleich zur Zugänglichkeit des Internets, die öffentliche Wahrnehmung nur bedingt vorantreiben.192 Das bewegte Bild wird die Fotografie in naher Zukunft zwar nicht ersetzen, aber das Interesse von bekannten Modefotografen, unter anderem seien hier nur Max Vadekul, Camille Vivier und Tim Walker genannt, spricht dafür, dass das Phänomen Modefilm langfristig Einzug in die Modewelt gehalten hat. Mittlerweile haben sich auch etablierte Modehäuser wie Chanel, Dior oder Kenzo dem Modefilm als zusätzliche Option zur Präsentation der aktuellen Kollektionen zugewandt. Durch die Überschneidung von Mode und Film sind auch bekannte Regisseure bei den großen Modehäusern immer gefragter geworden. Ridley Scott (Thunder Perfect Mind für: Prada Perfums, 2005), Guy Ritchie (Un Rendez Vous für: Dior Homme, 2010), Harmony Korine (Snowballs für: Proenza Schouler, 2011) Roman Polanski (A Therapy für: Prada, 2012) sind Namen, die den Kurzfilmen eine kulturelle Aufwertung verleihen und sie unverkennbar von gewöhnlichen Werbespots abgrenzen. Zugleich verändert sich die Ansprache an das Publikum, da es sich in die Rolle des Zuschauers und nicht primär in die des Konsumenten versetzt fühlt. Die gestiegene Aufmerksamkeit der Modeindustrie für das Genre Modefilm geht zwangsläufig einher mit einer fortschreitenden Überführung in den Mainstream. Dadurch wird die bekannte Diskussion um den Kunstanspruch zum unausweichlichen Aspekt.193 Im Zuge der Etablierung des Modefilms als spezifisches Genre, zeichnet sich allmählich auch eine enger gefasste Definitionsgrundlage ab. Friedrich Weltzien beschreibt den Modefilm folgendermaßen:

191 Vgl. Uhlirova, 2013 (a): 118. Aussagekräftigt erscheint auch, dass style.com als etablierte und besucherstarke Onlinepräsenz 2012 den Schritt zur Veröffentlichung als Printmedium unternommen hat. 192 Diane Peret hat 2008 in Paris mit A Shaded View on Fashion Film (ASVOFF) das erste Modefilmfestival ins Leben gerufen. Es folgen Gründungen weiterer jährlich stattfindender Festivals in Modemetropolen wie New York und Berlin. S. www.ashadedview onfashionfilm.com. 193 Vgl. Uhlirova, 2013 (a): 120-122.

126 | MODEFOTOGRAFIE »Fashion film as a genre is characterized by a very short length of time, between one and five minutes long. Unlike a commercial spot, in fashion films there mostly is no spoken word, either by one of the protagonists or from an off-screen voice. Moreover, the atmosphere is emphasized in opposition to a narrative. The story just offers a frame or a carpet for creating a certain mood.«194

Dass diese Definition nicht durchweg anwendbar ist, hat David Lynchs 15minütiger Film Lady Blue Shanghai (2010) mit Marion Cottilard gezeigt, in dem anhand filmischer Erzählweisen die mysteriöse Geschichte um eine Tasche aus dem Hause Dior kreiert wird. Zu Weltziens Auslegung hinzugefügt werden sollte außerdem, dass Modefilme zum Erzeugen von Stimmungen oft Musik einsetzen, besonders insofern ohne Stimmen der Protagonisten gearbeitet wird. In Kombination mit einer kurzen Laufzeit und Nebensächlichkeit der linearen Erzählung können daher Ähnlichkeiten zum Musikvideo entstehen. Marketa Uhlirova merkt zu Recht an, dass das Verfahren Mode anhand des bewegten Bildes zu präsentieren, nicht gänzlich neu ist und zieht Vergleiche zwischen zeitgenössischen Modefilmen und der Faszination für Bewegung in frühen Filmvorführungen. Anhand des Serpentinentanzes veranschaulicht Uhlirova, in welcher Weise Aufnahmen von fließenden Bewegungen der Kleider die Fähigkeiten des neuen Mediums demonstrierten.195 Die kommerzielle Nutzung des bewegten Bildes durch die Mode lässt sich ebenfalls bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Etwa fertigte Georges Méliès zwischen 1898 und 1900 Filme für einen Korsetthersteller an, die er in Paris vor dem Théâtre Robert-Houdin auf die Straße projizieren ließ. Viele Methoden, die Jahrzehnte später neuartig erscheinen, haben ihre Wurzeln in früheren Versuchen, sich das Medium Film für die Zwecke der Mode anzueignen. Beispielsweise verzichten die Designer Rifat Ozbek, Jasper Conran und Anthony Price 1990 während der Londoner Fashion Week vollends auf live aufgeführte Modenschauen und präsentieren ihre Kollektionen stattdessen mittels Videovorführungen. Als Argument hierfür geben sie sowohl kreative wie finanzielle Überlegungen an. Was als radikaler Schritt anmuten mag, wurde allerdings schon 1915 von Poiret eingeführt. Um auf seinen internationalen Reisen Kosten zu sparen, beschloss Poiret, seinen Kundinnen filmische Aufzeichnungen von seinen Entwürfen zu zeigen, anstatt sie in persona vom Model vorführen zu lassen. Um die darauffolgende Jahrhundertwende haben Designer Film zunehmend als kreatives und nicht als primär dokumentierendes Medium wahrgenommen und ihn

194 Weltzien, 2013: 115. 195 Uhlirova, 2013 (a): 124-125. Zu Loïe Fullers Serpentinentanz und der Bedeutung von Licht und Bewegung s. weiterführend Cooper Albright, 2007: insbesondere 55-63 und 193-201.

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zum Teil des theatralischen Spektakels ihrer Laufstegshows gemacht.196 Obwohl die Erscheinung des Modefilms neuartig anmutet, lassen sich seine Wurzeln bis zum frühen Film zurückverfolgen. Dennoch gestaltet sich eine Konkretisierung des Begriffs problematisch und es zeichnet sich keine einheitliche Antwort ab. Die Nutzung von verschiedenen Plattformen sowie die Überschneidung mit Merkmalen des Werbespots, Musikvideos und Kurzfilms erschweren eine Definition, schaffen zugleich aber Raum für kreative Vielfalt. SHOWstudio: Vom stillen zum bewegten Bild? Ein verpasster Moment während eines Shootings verleitet Knight dazu, von da an jedes Shooting parallel auf Video aufzuzeichnen.197 Ohnehin erachtet Knight die Fotografie nicht als das ideale Medium zur Wiedergabe von Mode. Das bewegte Bild ist hingegen in der Lage, den Schnitt und Fall der Kleidung am lebendigen bewegten Körper darzustellen und berücksichtigt somit die Intentionen des Designers umfassender. Allerdings fehlt der in Knight gereiften Idee des Modefilms lange Zeit ein Medium zur Verbreitung − eine Ausstrahlung im Fernsehen oder Kino wäre kostspielig und zudem an die Einhaltung administrativer Schritte und Vorschriften gebunden gewesen.198 Dies verdeutlicht, dass Knight den Nachdruck auf den Faktor des kreativen Freiraums legt und er zwischen Modefilm und konventionell produziertem Werbefilm unterscheidet.199

196 Uhlirova, 2013 (b):140-142 und 145-147. 197 Nick Knight in: Knight/Smyths, 2009: 74 sowie der Clip Nick Knight: Thoughts on Fashion Film auf http://showstudio.com/about. 198 Nick Knight in: Knight/Smyths, 2009: 74. Beispiele wie Baz Luhrmanns Kurzfilm für Chanel No. 5 (2005), der speziell auf eine Vorführung im Kino ausgerichtet ist, verdeutlichen das finanzielle Risiko, das von Auftraggebern abgewogen werden muss. Bei Produktionskosten von rund £18 Millionen kann man davon ausgehen, dass die Umsetzung von experimentellen Ansätzen zu risikoreich ist. Zu den Filmkosten s. Uhlirova, 2013 (b): 150. 199 Vgl http://showstudio.com/about: »SHOWstudio has pioneered fashion film and is now recognised as the leading force behind this new medium.« Dies schließt den Blick in die Vergangenheit jedoch nicht aus. 2003 wurde das Programm zur Bourdin Ausstellung im V&A durch eine Präsentation auf SHOWstudio.com begleitet und elf bisher unveröffentlichte Filmwerke aus dem Archiv des Fotografen ins Netz gestellt (Compulsive Viewing: The Films of Guy Bourdin, 17. April 2003). Drei Jahre später wurden auch Erwin Blumenfelds Versuche mit dem Medium Film online abrufbar gemacht (Experiments in Advertising: The Films of Erwin Blumenfeld, 25. September 2006). Diese Beispiele gestehen ein, dass die Repräsentation der Mode mittels des bewegten Bildes sicherlich keine Errungenschaft des 21. Jahrhunderts ist, aber verdeutlichen zu-

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Erst die Einführung des Internets ermöglicht die Umsetzung des Vorhabens. Von Anfang an werden das inhaltliche Konzept von SHOWstudio und die Definition des Genres Modefilm relativ offen gehalten. Es lassen sich jedoch drei zentrale Formate ausmachen, die dem Internetbenutzer auf der Seite präsentiert werden: Realisierungen von kreativen Projekten, Einblicke in das Geschehen im Studio und verschiedenste Arten von Modefilmen. Die gemeinsame Basis der vielseitigen Ausrichtung bilden die Auseinandersetzung mit Themen der Mode und ihren ästhetischen Repräsentationsverfahren sowie die Verknüpfung von bewegtem Bild und neuen Medientechniken. Ein großer Teil der Modefilme, die auf SHOWstudio zu sehen sind, sind keine in sich geschlossenen Werke, sondern entstehen oft parallel zu einem Fotoshooting oder im Rahmen von thematisch ausgerichteten Projekten.200 Statt einer Ablösung der Fotografie durch den Film zeichnet sich ein Übergang hinzu einer Phase ab, in der beide Medien parallel bestehen. Besonders in der Anfangszeit lassen sich viele Beispiele finden, in denen für Printmedien erschaffene Fotografien zu einer filmischen Darbietung transformiert werden: Für One In Ten (17. November 2000) werden die Fotografien, die im darauffolgenden Monat in Dazed & Confused erscheinen, zu einem Kurzfilm zusammengeschnitten und mit Musik unterlegt. Die einzelnen Aufnahmen lassen sich in einer Galerieansicht wiederfinden. Über die rein visuelle Darstellung hinausgehend, werden weitere Informationsquellen hinzugefügt: Das Publikum erfährt Knights Motivationen für die Modestrecke, in der verführerische Portraits von Frauen gezeigt werden, die sich einer Brustamputation unterzogen haben. Zudem werden die persönlichen Geschichten der an Brustkrebs erkrankten Frauen geschildert. Obwohl Knight das bewegte Bild als prädestiniert erachtet, um Schnitt und Fall der Mode als fließende Bewegung wiederzugeben, zeichnen sich einige der auf

gleich, dass der Modefilm (in Form der experimentellen Auseinandersetzung mit dem bewegten Bild) erst durch das Web 2.0 einer breiten Öffentlichkeit zugänglich geworden ist. 200 Die

Filme

sind

über

das

Projektarchiv

der

Seite

abrufbar:

http://

showstudio.com/projects. Flash dokumentiert bspw. Knight bei einem Shooting für eine Strecke in der britischen Vogue (März 2003). Ohne on- oder off-Stimmen wandelt sich die Dokumentation zu einem Musikvideo, in dem die Bewegung des Models im Einklang mit der Musik ist und Knight sich mit seiner Kamera mittreiben zu lassen scheint. Das Zusammenspiel von Fotograf und fotografischem Subjekt erinnert an Antonionis Inszenierung eines intimen Shootings in Blow Up. Aber anstelle von Intimität und einem konventionellen Rollenverhältnis werden harte Filmschnitte und aggressive Musik eingesetzt, um das wild tanzende Model als aktiven Part der Beziehung in den Mittelpunkt zu rücken.

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SHOWstudio präsentierten Filme gerade durch eine vorherrschende Statik aus. 2001 werden für die Präsentation von Stücken der aktuellen Modekollektionen neun Models in ein Hotel gebeten, sie werden gestylt und direkt im Anschluss auf separate Hotelzimmer geschickt. In den Zimmern ist eine Webkamera aus Vogelperspektive auf die Betten gerichtet, wo die Models sich in ihren Designerroben zum Schlafen eingefunden haben. Während der Nacht können die Internetbesucher die schlafenden Schönen beobachten. Danach werden die Aufzeichnungen und die sich durch die Nacht hindurch wechselnden Positionen unter dem Titel Sleep (13. September 2001) zu Kurzfilmen zusammengefasst. Ungeachtet der geringwertigen Bildqualität der Kameras und trotz des Ausbleibens von fließenden Bewegungsabläufen (während der Live-Übertragung konnte die Webkamera nur alle 20 Sekunden das Bild aktualisieren)201, lassen sich die Schnitte der Kleider deutlich erkennen. In Form von zurechtgeschnittenen Kurzfilmen, werden die Bilder zu einer Sammlung unbewusst eingenommener Posen, die verschiedene Drapierungen entstehen lassen und ungewohnte Ansichten der Kleidungsstücke bieten. Parallelen zu Warhols gleichnamigem Film aus dem Jahr 1964 sind unverkennbar. Allerdings wird in Knights gekürzten Filmen zum Thema Schlaf der Mangel an Handlung abgeschwächt und die Bilder erfahren durch die Motive eine Ästhetisierung. Knights Hommage an Warhols Screentests der schönsten Frauen fällt unter eine Kategorie Filmbilder, die Martin als »moving stills« 202 bezeichnet. 203 More Beautiful Women (fortlaufend ab Juni 2002) ist als Sammlung von zweiminütigen Kurzfilmen angelegt, in denen jeweils ein Model vor die Kamera tritt, seinen Namen sagt und dort ohne weitere Anweisungen zu erhalten oder jegliche Form des kommunikativen Austausches verweilen soll.204 Innerhalb dieses kurzen Zeitraums steigert sich das Unbehagen der meisten Subjekte spürbar. Geräusche aus dem Off, wie zum Beispiel Schritte, eine zufallende Tür oder Gespräche, steigern diese Wirkung und betonen die Gegensätzlichkeit der zwei Bildbereiche. In dem Bereich vor der Kamera entwickelt sich durch die Unbeweglichkeit der Eindruck des sich Verlängerns der Zeit, in dem Bereich außerhalb des Sichtfeldes scheinen der Alltag und die Zeit hingegen ununterbrochen weiterzulaufen.

201 Penny Martin in: Beard/Martin, 2008: 184. 202 Penny Martin in: Martin/Shinkle, 2008: 123 und Penny Martin zit. in: Uhlirova, 2013 (a): 124. 203 Das Projekt wird explizit als Hommage an Warhols Thirteen Most Beautiful Women (1964) beschrieben. S. http://showstudio.com/project/more_beautiful_women. 204 Ohne den Austausch mit dem Fotografen sind die Models vor der Kamera sich selbst überlassen und werden zu Individuen, die auf unterschiedliche Weise auf diese ungewohnte Situation reagieren. Vgl. Knight/Rawstone, 2002.

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Die zwei exemplarisch ausgewählten Filmprojekte Sleep und More Beautiful Women legen dar, wie sich in den verschiedenen Ebenen zwischen dem stillen und dem bewegten Bild eine Zone von Berührungspunkten bildet, in der Knight immer wieder neue Bilderfahrungen sucht und erschafft. Sein Anliegen ist demnach nicht die Ablösung des stillen durch das bewegte Bild, sondern ein Stadium des Zusammenspiels, in dem sich die kreativen Möglichkeiten erweitern.205 Das Publikum ist anwesend Im Unterschied zu den erwähnten Modefilmen von Lynch, Ritchie und Polanski bauen die auf SHOWstudio präsentierten Filme meist nicht auf Konventionen und Erzählweisen des Kinos, sondern auf die Traditionen des stillen Bildes und der Modefotografie.206 Statt außerhalb des Studios ideale Schauplätze zu entdecken oder erschaffen, kehrt SHOWstudio wieder an den ursprünglichen Schauplatz der Modefotografie − das Studio − zurück. Mit dem Ziel, die Prozesse der Bildproduktion in den Mittelpunkt zu rücken, begibt sich der Modefilm oftmals in den Bereich der atmosphärischen Dokumentation. Dadurch wird die Mode als Kreation und das Modebild als Ergebnis eines schöpferischen Prozesses evident. Wohingegen das Modefoto im Magazin als eindeutige Aussage sowie fertiges Produkt auftritt. So äußert sich Knight über die übliche Rezeption von Kunst und den sowohl gedanklich als zeitlich erweiterten Ansatz, den er verfolgt: »We perceive art as a finished product. It is presented as a final clothed statement. But the creative process is a long one. When I am working the most exciting or painful parts of this process are the moments when I am struggeling to resolve things. As it stands the public are quite wrongly excluded from this.«207

Bloßgelegt werden die diversen Schritte ebenso wie die kollaborativen Eigenschaften der Produktion von Modefotografien umfangreich im Projekt Power of Witches (28. Mai 2004), das anlässlich eines Shootings der neuen Comme des GarçonsKollektion für Another Magazin entstanden ist. Von der Ausgangsbesprechung bis

205 Den innovativen Ansatz des Online-Konzepts betonend, vertritt Knight auf die Zukunft der Modefotografie angesprochen eine ambivalente Haltung. Vgl. »Wir sind in einer Übergangsphase, so ähnlich wie der des Übergangs von Malerei zur Fotografie.« Nick Knight in: Jones/Enninful, 2010: 39. Zwar schließt Knight mit dem Vergleich von Malerei und Fotografie ein paralleles Fortbestehen nicht aus, aber insbesondere im Hinblick auf eine Ablösung der Printmedien durch das Internet, folgert er: »Ich glaube, die Modefotografie ist eine aussterbende Art.« Ebd.: 40. 206 Khan, 2012: 238. 207 Nick Knight in: Bright, 2011: 140.

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zum Druck im Magazin (Herbst 2004) erhält der Besucher Einblicke in den dreimonatigen Entstehungsprozess der Modestrecke.208 In Form eines visuellen Tagebuchs, in dem auch Notizen von Besprechungen und Emailverkehr mit der Designerin Rei Kawakubo festgehalten worden sind, liefert Knight Eindrücke vom Entwickeln sowie Verwerfen von Ideen und von einem Verlauf, der auf den Höhepunkt der Umsetzung zuläuft. Das Shooting selbst wurde live übertragen und im Anschluss konnten die Zuschauer in einem Web Chat Fragen an den Fotografen, die Designerin, das Model, den Stylisten sowie an die Make-Up- und Hair-Stylisten richten. Als Interview zusammengefasst sind die Fragen im Archiv der Seite dauerhaft einsehbar. In einer weiteren Bildgalerie sind die verschiedenen Prozeduren der Nachbearbeitung der Fotografie festgehalten worden. Obwohl das Shooting nicht als der finale Schritt kenntlich gemacht wird, ist es doch der Höhepunkt des Projektes. Weil es nicht ins Online-Archiv aufgenommen worden ist, beansprucht es Einmaligkeit. Im Gegensatz zu den anderen Komponenten des Projekts, die für den Besucher dauerhaft abrufbar sind, wird es zum zeitlich bedingten Ereignis und nähert sich somit der Repräsentation von Zeit im Kino oder in Live-Fernsehausstrahlungen an. Nathalie Khan bemerkt, dass Knights bewegte Bilder von Studioprozessen die Frage aufwerfen: Was passiert, wenn das im Foto erstarrte Objekt wieder zum Leben erwacht?209 Wenngleich der Zuschauer in Power of Witches die Umformung vom abgebildeten Objekt zum lebendigen Subjekt verfolgen kann, durch die Einmaligkeit der Darbietung und ihr Fortbestehen in Form von unbewegten Bilder, ist nur das stille Bild, in dem die Verdinglichung bereits vollzogen wurde, von Bestand. Die Bildgalerien pointieren den dokumentierenden und kommunikativen Ansatz des Projektes. Ins Programm aufgenommen wurde das Verfahren der LiveÜbertragung und des anschließenden Web-Gesprächs mit dem Publikum bereits 2002. Ergänzt wird diese Methode der Verknüpfung von Produzenten, Akteuren und Publikum durch die Einführung einer Webcam, über die das alltägliche Geschehen im Büro verfolgt werden kann.210 Damit wird die Faszination für das Pri-

208 Die Bezeichnungen des Besuchers und Zuschauers überschneiden sich zwar, werden im Folgenden aber zur Unterscheidung zeitlicher Aspekte benutzt. Mit dem Begriff des Besuchers wird sich primär auf das Aufrufen von bereits abgeschlossenen Projekten bezogen. Wohingegen der Zuschauer nur zu bestimmten Zeiten, z.B. anlässlich von Live-Übertragungen, unmittelbar am Geschehen teilnimmt. 209 Khan verwendet hier Barthes’ Vergleich von in Fotografien dargestellten Personen als betäubte und aufgespießte Schmetterlinge. Im Gegensatz zum Film können die Personen im unbewegten Bild nicht aus dem Rahmen treten. Khan, 2012: 238-239 und Barthes, 1985 (b): 66. 210 S. Penny Martin in: Beard/Martin, 2008: 185 und 190.

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vate und Alltägliche bedient, die auch maßgebend für den Erfolg von Fernsehformaten wie Big Brother (Erstausstrahlung in den Niederlanden 1999) ist. Der Bildschirm wird zu einer Fläche, auf der sich Absichten der Unterhaltung und Überwachung verschränken. Doch da die Kamera stets nur einen ausgewählten Ausschnitt der Realität einfängt, bleibt dieser manipulierbar. Das passive Teilnehmen am Geschehen erweckt dennoch den Eindruck, über eine Form der visuellen Kontrolle zu verfügen. In Dress Me Up, Dress Me Down (28. Juni 2005) verschiebt sich der Standpunkt des Zuschauers von einem passiv voyeuristischen zu einem aktiven. Inspiriert durch pornografische Live-Video-Chatanbieter kreist das Projekt um Fragestellungen zur Kontrolle des Modelkörpers und zum voyeuristischen Blick des Betrachters.211 Über den Webchat haben die Zuschauer dem Model Liberty Ross ihre Outfit-Vorschläge für das live übertragene Shooting zukommen lassen. Für die Aufnahmen, die auf der Homepage zu sehen sind, posiert Ross auf einem Podest vor wechselnden Hintergrundprojektionen. Dies führt zu einer Umkehrung der hierarchischen Kontrolle bei der Produktion von Modefotografien.212 Der Fotograf, der traditionell als Hauptverantwortlicher wahrgenommen wird, und der Stylist werden in dieser Konstellation obsolet und das Model schlüpft in die klischeehafte Rolle der Modepuppe, um die Kontrolle über ihr Erscheinungsbild an den Zuschauer zu übergeben. Der Zuschauer hingegen wandelt sich vom passiven Bildkonsumenten zum aktiven Teil der Bildproduktion. Ross sieht hier Übereinstimmungen mit dem Akt des Verkleidens als Performance wie er von Cindy Sherman und Leigh Bowery angewandt wird.213 Ferner werden im Hinblick auf den zum Objekt transformierten Körper Performances von Yoko Ono und Marina Abramović ins Gedächtnis gerufen.214 Mit der Übertragung der Verantwortung für den eigenen Körper haben die beiden Künstlerinnen jedoch gänzlich andere Ziele verfolgt und sich der Möglichkeit der Verletzungen durch das

211 Begleitend haben diverse Autoren Texte zum Verhältnis von Modefotografie und Pornografie sowie Mode und Pornografie beigesteuert: http://showstudio.com/project/dress _me _up_dress_me_down. 212 Vgl. http://showstudio.com/project/dress_me_up_dress_me_down/nick_knight_q_a. 213 Liberty Ross im Interview: http://showstudio.com/project/dress_me_up_dress_me_ down/interview_liberty_ross. 214 Nachdem Ono in Cut Piece (erstmalig 1964) dem Publikum erlaubt hatte, ihre Kleidung mit Scheren zu zerschneiden, hat Abramović zehn Jahre später das Risiko der Kontrollübergabe in der sechsstündigen Performance Rhythm 0 (1974) zu einem Maximum getrieben und das Publikum mit Objekten wie einer Rose und Schere bis hin zur geladenen Pistole ausgestattet, die an ihrem Körper zum Einsatz gebracht werden sollten. Weiterführend s. Richards, 2010: 87-93.

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Publikum tatsächlich ausgesetzt. In der risikofreien Mode-Performance schafft das Internet die nötige Distanz, um Ross’ objekthaften Körper vor physischen Verletzungen durch das anonym bleibende Publikum zu schützen.215 Der verletzliche Aspekt des objekthaften Körpers wird durch den lustvollen Akt des An- und Entkleidens verdrängt und die Interaktion mittels der neuen Medien wird zum Dreh- und Angelpunkt. Im Zeitalter des Internets erachtet Knight den direkten Austausch mit dem Publikum als eine bedeutende Errungenschaft, die der Vermittlung von kreativen Ideen dient. Ähnlich wie Bourdin hat Knight des Öfteren Anfragen zu Publikationen oder Ausstellungen abgelehnt. Als Gründe hierfür gibt er die verzögerten Verbreitungswege sowie die eingeschränkte Ansprache des Publikums an, das in den meisten Fällen schon vorab mit den Arbeiten des Künstlers vertraut ist.216 Damit entspricht Knights Bild des Internets dem eines öffentlichen und zugänglichen Mediums, das durch zufällige Entscheidungsabläufe erkundet wird. Doch auch SHOWstudio richtet sich primär an ein spezifisches Publikum, das sowohl an den Endprodukten als den Hintergründen der Produktion von Modebildern interessiert ist. Was zunächst wie eine Entmystifizierung des Modefotos anmuten mag, ist vielmehr eine Erweiterung der Illusionen von Modebildern, durch die Partizipation, Interaktion und Unmittelbarkeit zu wesentlichen Elementen werden. Zugleich wird mit der Flüchtigkeit des Modefotos im Magazin gebrochen, da zumindest eine Selektion der Bilder für den Besucher dauerhaft abrufbar bleibt. Mit Khan argumentierend, bietet das Gedächtnis der digitalen Medien dem Zuschauer eine ›permanente Gegenwart‹, die suggeriert, dass Mode konstant erneuert wird und zugleich im Hier und Jetzt verankert ist.217 Durch Aktionen wie Taking Liberty’s (26. Juni 2004), in denen der Zuschauer aktiv teilnimmt und selbst zum fotografischen Objekt wird, wird er in das visuelle Gedächtnis von SHOWstudio aufgenommen und zum Teil dieser permanenten Gegenwart.

215 In einem Interview wird Ross z.B. gefragt, ob sie die Befürchtung habe, mit zwielichtigen Bemerkungen konfrontiert zu werden. Obwohl Ross keinem direkten Risiko ausgesetzt wird und jederzeit Vorschläge ablehnen kann, bestätigt die Frage das Unbehagen, das der zum Objekt gewandelte Körper auslösen kann. http://showstudio.com/ project/dress_me_up_dress_me_down/interview_liberty_ross. 216 Nick Knight in: Knight/Smyth, 2009: 71. 217 Khan verweist hier auf Manovichs Beschreibung einer »permanent presence«. Khan, 2012: 237-238. Manovich wiederum bezieht sich diesbezüglich auf Lunenfeld. Weiterführend s. Manovich, 2001: 63.

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3.3 I M S PANNUNGSBEREICH UND Z UKUNFT

VON

V ERGANGENHEIT

Im Katalog zur Ausstellung Chic Clicks beschreibt Olivier Zahm die Modefotografie als eine Repräsentationsform, die sich durch die Welt der Bilder nährt: »Das Modefoto ist die hybride Ikone der Gegenwart, ein Bild, das aus allen anderen denkbar möglichen Bildern besteht, ein amnetisches und übergreifendes Bild, ein Bild, das von der Plünderung sämtlicher anderer Repräsentationen lebt. [...] Es ist die Welt der Bilder, die mit seiner eigenen ästhetischen Synchronisation synchronisiert werden (die ewige Rückkehr des Neuen als Spezialeffekt).«218

Durch das Verfahren der Aneignung entstehen immer wieder Verflechtungen und Neuformationen, die Modefotografie als fotografisches Feld zersplittert erscheinen lassen.219 Tatsächlich lässt sich in den neunziger Jahren eine Vielfalt von fotografischen Stilen beobachten, die Parallelen zur Heterogenität modischer Stile als Resultat eines ausgeprägten modehistorischen Bewusstseins aufweisen.220 Dabei richtet die Modefotografie den Blick nicht nur nach außen auf andere Medien und Bereiche der Fotografie, sondern auch auf die eigene Geschichte. Bereits 1982 stellt Douglas Crimp die Allgegenwart von Verfahrensweisen der Aneignung, des Pastiche und Zitats in den Sphären der kulturellen Produktion fest: »[...] von den äußerst zynisch kalkulierten Produkten der Mode- und Unterhaltungsindustrie bis hin zu den kritischen Aktivitäten äußerst engagierter Künstler, von den am offenkundigsten rückwärtsgewandten Werken [...] bis hin zu am meisten fortschrittlich erscheinenden Werken.«221

Im Hinblick auf die kommerzielle Kalkulierbarkeit des Modefotos dienen die Verfahrensmodi des Imitierens und Zitierens oft primär ästhetischen Funktionen oder können schlichtweg als ›belustigende‹ Strategien eingesetzt werden. Einige wenige Fotografen erweitern anhand der Zuwendung zu bereits angewandten Bildformeln jedoch die Möglichkeiten, Mode darzustellen, und fügen kreative Lösungen und individuelle Sichtweisen hinzu. Eine Gegenüberstellung von beispielsweise Meisels ›The Good Life‹ und Tellers ›The Clients‹ verdeutlicht, wie im Zuge des Aufgreifens von Bildtraditionen auf gänzlich unterschiedliche Weise − auf der einen Seite

218 Zahm, 2002: T28. 219 Vgl. Zahm, 2002: T28-T29. 220 Vgl. Polhemus, 1994: 128-134. 221 Crimp, 2006: 251.

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die Überspitzung der Perfektion und auf der anderen Seite die Betonung des NichtPerfekten − Brüche in die allzu glatte Oberfläche des Modefotos und der Mode eingefügt werden. Besonderes Augenmerk wurde in diesem Kapitel auf retrospektive und innovative Tendenzen gelegt. Dadurch, dass die Modefotografie als Medium der Mode unweigerlich zwischen Vergangenheit und Zukunft oszilliert, suggeriert sie eine Leugnung der Gegenwart, wie sie zum Beispiel Douglas Coupland als Lebensgefühl einer beschleunigten Kultur beschreibt. Couplands Episodenroman Generation X. Tales for an Accelerated Culture (1991) hat eine Überführung des Begriffes Generation X in den allgemeinen Sprachgebrauch eingeleitet. Zusätzlich zur Erzählung wurde im Buch ein Glossar mit Neologismen der zeitgenössischen Gesellschaft aufgenommen. Neben »decade blending« als neutrale Form der Aneignung von Vergangenem lassen sich Begriffe finden, die eine argwöhnische Haltung zur unmittelbaren Gegenwart zum Ausdruck bringen, wie: »Now Denial: To tell oneself that the only time worth living in is the past and that the only time that may ever be interesting again is the future.«222 Auswirkung der beschleunigten Lebensweise, die im Untertitel des Buches angemerkt wird, scheint eine fehlende Verankerung in der Jetztzeit. Beschleunigung wird als Eigentümlichkeit der Mode durch den Wechsel der Kollektionen, die im kurzen Rhythmus erscheinenden Magazine und die Schnelllebigkeit im Internet (wo Einträge zwar im virtuellen Gedächtnis abgelegt werden, aber mit jedem neuen Eintrag an Aktualität verlieren) offenkundig. Innerhalb dieses stets fortschreitenden Flusses an Informationen verfügen Bilder mit Retroästhetik womöglich noch über das Potential, den Blick des Betrachters einzufangen. In vielen konventionellen Modepublikationen lassen sich noch heute die traditionellen Bildkategorien (Mode-, Starportrait-, Gesellschafts- und Event-Fotografie) finden, die Rasche im Magazin Les Modes als Schwerpunkte untersucht hat.223 Der fortschreitende Prozess der Mode verlangt jedoch stets aufs Neue nach Fotografien, die das Modische auch im gewohnten Rahmen des Modemagazins überzeugend repräsentieren. Eine nostalgische oder futuristische Wirkung kann ein beschleunigtes Lebensgefühl ohne Verankerung in der Gegenwart vermitteln und daher umso zeitgenössischer erscheinen.

222 Coupland, 1991: 47 und 109. 223 S. Rasche, 2007: 80-95. Während die Subkategorie der Rennplatz-Fotografie durch eine Vielfalt von möglichen Außenaufnahmen ersetzt worden ist, sind die anderen drei Arten in ihren Grundzügen erhalten geblieben. Allerdings sind die Grenzen zwischen den verschiedenen Kategorien, besonders dem Mode- und Star-Portrait, fließend geworden.

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Die Vergangenheit dient als Inspiration für Bildlösungen, die in der Regel nicht das bloße Imitieren des bereits Bestehenden beabsichtigen, sondern vielmehr eine zeitgenössische Perspektive auf visuelle Konventionen wiedergeben oder Medien- und Genregrenzen aufheben wollen. Meisels ›The Good Life‹ veranschaulicht, wie durch Imitation in übersteigerter Form die Verfremdung der Realität als Methode der kommerziellen Werbefotografie offenkundig wird. Er nutzt die Vergangenheit als ästhetischen Rahmen, bezieht aber deutlich eine in der Gegenwart verankerte Stellung. Ähnlich operiert auch Luchford, indem er Filmgeschichte als kollektive Erfahrung behandelt und zur vielschichtigen Ansprache eines Rezipientenkreises einsetzt. Die Auseinandersetzung mit anderen Medienformen geht über die Orientierung an der Malerei hinaus. Vielmehr bringt sie eine Besinnung auf die Position der Modefotografie innerhalb einer Welt der Bilder zum Ausdruck. Das Anknüpfen an Traditionen des Geschichtenerzählens sowie der Inszenierung im Theater und Film rückt ebenso wie der Einsatz digitaler Bildbearbeitungsprogramme das imaginative Potential der Fotografie in den Fokus. Indem mittels der Fotografie Welten geschaffen werden, die in der Realität nicht existieren, geht der Modefotograf als Autor hervor, in dessen Visionen die Mode eingebettet wird. Dies hat den Effekt, dass der Betrachter weniger augenscheinlich als Konsument angesprochen wird. »Das Kino evoziert vor allem Fiktion, das Foto ist hauptsächlich auf Dokumentation ausgerichtet,«224resümiert Christian Metz den rezeptiven Funktionsunterschied von Kino und Fotografie. Dadurch, dass die Modefotografie sich von dem Anspruch entfernt, vordergründig Dokumente der Mode zu liefern, kann sie immer mehr in den Bereich der Fiktion gleiten und den Betrachter nicht nur informieren, sondern unterhalten.

224 Metz, 2003: 216.

IV. Körperinszenierungen: Posen, Räume und Illusionen I’ll be your mirror. Reflect what you are, in case you don’t know.1 LOU REED, 1966

4.1 I NSZENIERUNGEN

VON I LLUSION UND

R EALITÄT

Den fortwährenden Versuch der Annäherung an ein Ideal beschreibt Baudelaire in Lob der Schminke als Stimulanz der Mode. Der Frau spricht er in diesem Prozess eine besondere Rolle zu, da es ihr Recht und ihre Pflicht ist, »magisch und übernatürlich« erscheinen zu wollen: »Sie soll erstaunlich sein und voller Reiz: ein Götzenbild, muß sie mit Gold sich schmücken, um angebetet zu werden.«2 Die künstliche Verschönerung durch Schminke gilt aus dieser Perspektive als Überwindung des Natürlichen, das, so Baudelaire, nur Abscheuliches hervorbringt. 3 Dass der (weibliche) Körper der Mode ausgeliefert ist, hat auch Veblen 1899 festgestellt.4 Der in Massenproduktion hergestellte Körper der Schaufensterpuppe, kann als Verkörperung des Wunsches nach übernatürlicher Perfektion gesehen werden. Erweckt der künstliche Körper doch die Illusion eines einheitlich geformten makellosen Körpers.

1

1966 von Lou Reed verfasst, erschien der Song I’ll Be Your Mirror auf dem Album The Velvet Underground & Nico (1967).

2

Baudelaire, 1990 [a]: 314.

3

Baudelaire, 1990 [a]: 313.

4

Veblen zufolge dient nicht nur die Kleidung, sondern auch der Körper der Repräsentation des Standes. Beispiel hierfür ist die Formung des Körpers durch das Korsett, das die Frau nicht nur verschönern, sondern auch körperlich einschränken soll, um sie am Verrichten von Arbeit zu hindern. Veblen, 1994: 106.

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An leblosen Schaufensterpuppen präsentiert, haftet Kleidungsstücken oft allzu eindringlich der Eindruck des unbelebten beinahe unheimlichen Objekts an.5 Denn die Mode wirkt erst durch den lebendigen Körper belebt. In der Modefotografie kann die Belebung durch den Körper genutzt werden, um überzeugender den Schnitt der Kleidung in Bewegung wiederzugeben oder Dynamik und Lebendigkeit der Mode zu repräsentieren. Gleichwohl ist auch der unbelebte Körper der Schaufensterpuppe ein wiederkehrendes Motiv in Modefotografien. Elizabeth Wilson zufolge bewegt sich die Mode immer zwischen dem Künstlichen und Natürlichen.6 Den Gedanken weiterführend, ist der Körper in der Mode von der Ambivalenz zwischen dem Natürlichen und Künstlichen gezeichnet. Thema dieses Kapitels sind diverse Überlegungen, die der Aspekt der Körperlichkeit aufwirft. Der Leitgedanke der Inszenierung von Illusion und Realität bildet die Grundlage für weitere Fragestellungen: Welche Tendenzen zum natürlichen oder künstlichen Körper lassen sich in zeitgenössischen Vorstellungen von einem Ideal erkennen? Wie werden anhand von Posen, Räumen und fotografischen Stilen modische Ideale im Bild erschaffen und durch das Bild vermittelt? Dient der Körper als abstrahierte Projektionsfläche oder, anders formuliert: Welche Rolle spielt die Individualität des zum Bild umgeformten fotografischen Subjekts? Der Begriff der Identität ist von einer Unschärfe durchdrungen und wird in seiner Auslegung oft durch Kontext oder Art des Diskurses geprägt. Hier wird der Begriff im weitesten Sinne als Ausdruck und Wahrnehmung von sowohl individuellen als auch verbindenden Merkmalen, die zur Unterscheidung und Zuordnung beitragen, benutzt. Im weiteren Verlauf soll der Begriff im Hinblick auf die Bezeichnung Lifestyle und die Idee der Konstruktion des Selbst untersucht und, anhand von im Magazin i-D abgedruckten Fotoserien, in einem konkreten Zusammenhang verankert werden. Nach der Analyse von Darbietungen im öffentlichen Raum wird sich im letzten Teil dann Bildlösungen zugewandt, durch die dem fotografischen Subjekt mittels einer Verlagerung in das Private Individualität verliehen wird. Damit einhergehend wird der Fokus auf die Bedeutung des Alltäglichen gerichtet und die Entwicklung einer als authentisch empfundenen Bildsprache näher untersucht.

5

Freud führt das unheimliche Gefühl, das Puppen auslösen können, auf den Kinderwunsch oder -glauben an eine plötzliche Belebung zurück. Freud, 2012: 32-33. Wilson beschreibt ein ähnliches Unbehagen beim Anblick von Kleidung, die vom Körper losgelöst ist. Aufgrund ihres Daseins als lebloses Objekt und durch ihre Funktion der Erweiterung des lebendigen Körpers ist Kleidung von einer Ambivalenz gezeichnet. Wilson, 2003: 1-2.

6

Wilson, 2003: 95.

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4.1.1 Im Reich der Puppen Im britischen Observer Magazine ist im Februar 2000 eine Fotostrecke von Michael Baumgarten zu sehen, in der viktorianische Puppen und Models, die leblos und steif wie Puppen auftreten, gegenüberstellt werden. Mit bleicher Haut, aufgerissenen Augen und verschobenen Perücken starren die lebenden Puppen den Betrachter mit leerem Blick an. Im begleitenden Text legt Gaby Wood eine mögliche Aussage der Fotografien dar: »What these wonderful, unsettling photographs seem to say is: if you want your women to look like dolls, this is what that reality would be like − a mad, decaying decadence, full of about-to-snap jointed limbs, dangling paranormal dances and balding Jills-in-the-box, ready to spring into horrible, inhuman laughter.«7

In Form einer Anklage, deren Adressat nicht explizit formuliert wird, wird ein düsteres Bild gezeichnet, in dem Frauen durch das Streben nach dem perfekten Äußeren auf einen Zustand des Wahnsinns und der Selbstentfremdung zusteuern.8 Der Ursprung des Models, womit heute das lebendige Mode präsentierende Wesen gemeint ist, lässt sich bis nach Paris in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und zu den Anfängen der Haute Couture Mode zurückverfolgen. Vor dem Model wurden Mannequins, hölzerne oder geflochtene Modepuppen, eingesetzt. Als die Modevorführung am lebenden Körper zur Praxis in den Pariser Haute Couture Kaufhäusern wurde, wurde der Begriff des Mannequins für die lebendige Vorführerin übernommen. Wohingegen die Bezeichnung des Modells (modèle) sich auf die Kleidung bezog. Die aufsehenerregende Vermengung von lebendigen und unbelebten Mannequins in Pariser Schaufenstern des 19. Jahrhunderts spricht dafür, dass zwischen beiden nicht sonderlich differenziert wurde. Erst im 20. Jahrhundert hat sich der differenzierende Gebrauch der Begrifflichkeiten etabliert. Wonach, dem heutigen Verständnis entsprechend, mit Mannequin die Puppe und mit dem Model der lebende Körper gemeint ist.9 Dennoch haftet dem Körper des lebenden Models stets seine Warenfunktion an − zu sehen auch in Tim Walkers Modestrecke ›Couture Delivery‹ (Vogue (IT), 1999), die das Model Stella Tennant mit Plastikfolie bedeckt oder in eine Verpackungsform gepresst als industriell angefertigte Ware in einer Lagerhalle und zur Auslieferung in einen LKW verfrachtet zeigt.10 Der künstliche Körper in Form der Puppe oder des Models taucht in der Modefotografie re-

7

Wood, 2000: G38.

8

Vgl. Evans, 2003: 166.

9

Evans, 1999: 104 und 106 und Evans, 2003: 186.

10 S. Evans, 2003: 183.

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gelmäßig als Motiv auf und kann sowohl als bildnerisches Mittel der Ästhetik sowie als Ausdruck eines kritischen Standpunktes gegenüber der Instrumentalisierung des Körpers in der Mode aufgefasst werden. Zu Glamour und Künstlichkeit der Newton-Frau 1966 stellte Yves Saint Laurent erstmals seinen Herrenanzug für Frauen vor, der begeistert von Frauen aufgenommen wurde, die sowohl chic als auch stark und unabhängig auftreten wollten.11 Neun Jahre später hat Newton den Anzug aus der aktuellen Kollektion für die französische Vogue (September 1975) fotografiert.12 Es ist Nacht und das Model steht mit Zigarette in der Hand in einer verlassenen Gasse. Ihre schlanke Silhouette, die streng nach hinten gekämmten Haare und der Anzug verleihen ihrem Auftreten androgyne Züge. Trotz der fragil anmutenden körperlichen Erscheinung und des in Gedanken verlorenen Blicks strahlt sie eine Erhabenheit und Präsenz aus, die den Bildraum auszufüllen erscheint. Das Arrangement weist Parallelen zu einer Fotografie Cecil Beatons auf, die dreißig Jahre zuvor in der britischen Vogue (Dezember 1945) abgebildet wurde.13 In einem heruntergekommen Hinterhof posiert das Model in burschikoser Kleidung, der Körperhaltung von Newtons Model nicht unähnlich. Doch während Beaton nach den Erfahrungen des zweiten Weltkriegs mit der beworbenen Eleganz in Modefotografien brechen wollte,14 strahlen Newtons Frauen immer Eleganz aus, ganz gleich in welcher Umgebung oder Situation sie sich befinden mögen. In dem soeben besprochenen Beispiel nutzt Newton die Lichtquellen im Hintergrund, um ihren Körper in Szene zu setzten.15 Statt ihre Weiblichkeit durch den Anzug zu überdecken, wird sie durch das Zusammenspiel von Atmosphäre und Pose hervorgekehrt. Die Pose, die Barthes als stereotype Haltung den Konnotationsverfahren der Fotografie zuordnet,16 wird hier als Ausdruck von Weiblichkeit und Selbstsicherheit gelesen. In Anlehnung an Judith Butlers Unterscheidung zwischen dem biologischen Geschlecht und Geschlechtsidentität als kulturelle Konstruktion kann man behaupten, dass Weiblichkeit bei Newton keine natürliche Gegebenheit ist.17

11 Arnold, 2001: 104. 12 Abgebildet u.a. in: Harrison, 1991: 188. 13 Abgebildet in: Harrison, 1991: 226. 14 Harrison, 1991: 14. 15 Des Weiteren deuten die Lichter an, dass das Model Teil des Pariser Nachtlebens ist, dessen Treiben für den Betrachter im Geheimen bleibt. Der Vergleich zu Brassaïs Fotografien vom nächtlichen Paris, die er in Paris de Nuit (1933) veröffentlichte, liegt nahe. S. Kismaric/Respini, 2004: 15 und Newton, 2003: 37-38. 16 Barthes, 2013 [b]: 17. 17 Vgl. Butler, 1991: 22.

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Vielmehr ist Weiblichkeit das Resultat der Inszenierung eines perfekten Körpers, der Pose und Kleidung (bei der Newton-Frau oft nur die obligatorischen hochhackigen Schuhe). Wenn Wintour die Newton-Frau als atemberaubendes und unmittelbar wiedererkennbares Wesen beschreibt, ist dies zutreffend.18 Sein Typus Frau tritt stets distanziert und kühl auf, die Posen sind statisch und wirken wie eingefroren. Oft steht die intensive körperliche Präsenz im Kontrast zu einem teilnahmslosen Blick. Jene Starre und Überlegenheit ausstrahlende Haltung führen zu einer Stilisierung des Moments und sind zum Kennzeichen der Glamourfotografie Newtons geworden.19 John Berger zufolge dient Glamour in erster Linie dazu, Neid zu erzeugen. So nutzt die Werbung diese emotionale Reaktion, um dem potentiellen Konsumenten ein mögliches Bild seiner selbst zu vermitteln, das im Stande ist, den Neid der Mitmenschen zu erwecken. Hieraus ableitend erklärt Berger auch den abwesend wirkenden Blick, der charakteristisch für Glamourfotografien ist: Da der Zustand des Beneidetwerdens ein exklusiver ist, der nur von einer Partei erfahren werden kann, werden die fotografischen Subjekte stets interessiert beobachtet, erwidern das Interesse aber nicht.20 In Anbetracht von Newtons Arbeiten ist die geschilderte Gelegenheit zur Vorstellung eines möglichen Ideal-Ichs allerdings problematisch, denn die Künstlichkeit der Inszenierung blockiert diesen Vorgang erheblich und am Ende bleibt nichts »mehr glaubwürdig außer der Kleidung«.21 »Alles was schön ist, ist falsch,«22 soll Newton einmal gesagt haben und damit setzt er Baudelaires Absage von der Idee einer natürlichen Schönheit fort. Diese Präferenz für das Artifizielle mag auch ein Grund dafür sein, dass Newton gerade im Bereich der Modefotografie seine Vorstellungen über Jahrzehnte hinweg so überzeugend umgesetzt hat.23 Doch obwohl seine Fotografien die aktuelle Mode oft detailgenau einfangen, ist nie die Mode das Hauptmotiv. Es ist immer der weibliche Körper, an dem der Blick des Betrachters haften bleibt. Barthes erkennt im idealen Körper des Models eine funktionelle Ambivalenz: »Einerseits hat sein Körper den Wert einer abstrakten Institution [der Mode; Anm. der Autorin]; andererseits ist dieser Körper ein individueller. [...] im Grunde erfüllt er gar keine ästhetische Funktion; es geht gar nicht darum, einen ›schönen‹, nach kanonischen Regeln wohlge-

18 Anna Wintour in: Newton, 2005: 141. 19 Vgl. Poschardt, 2002: 25-26. Zu den Ursprüngen der Glamourfotografie in der Hollywood Studiofotografie s.a. Gundle, 2008: 190 und 261. 20 Berger, 2008: 125-127. 21 Barthes, 1985 (a): 312. 22 Helmut Newton zit. nach: Lagerfeld, 1982: 11. 23 Vgl. Lagerfeld, 1982: 11.

142 | MODEFOTOGRAFIE formten Körper zu präsentieren; vielmehr muß sich dieser Körper nach den Vorgaben einer gewissen formalen Allgemeinheit richten [...]. Der Körper des Covergirls ist also kein individueller Körper, sondern eine reine Form, die kein Attribut trägt [...], und durch eine Art Tautologie verweist er auf die Kleidung selbst.«24

Die Newton-Frau verweist durch den Wiedererkennungswert jedoch immer auf den Fotografen als Erschaffer des zum Bild gewordenen Körpers. Die ausgeleuchteten Körper erscheinen makellos, sind immer ästhetisch, nie individuell, austauschbar wie »geklonte Körper«25 oder Schaufensterpuppen, aber immer als Newton-Körper identifizierbar. Elisabeth Bronfen vertritt die Ansicht, dass sich der Körper durch seine makellose Schönheit im Glamourfoto zur bloßen Ware wandelt, da die reale Persönlichkeit des Models vollständig überdeckt wird.26 Entsprechend schildert die Künstlerin Vanessa Beecroft ihre persönliche Erfahrung einer Portraitsitzung mit dem Fotografen: »He completely Helmut Newtonized me, so I wasn’t myself anymore.«27 Als Inkarnation des zur Ware gewordenen Körpers taucht die Schaufensterpuppe in sporadischen Abständen immer wieder in Newtons Fotografien auf, entweder alleine oder in Kombination mit dem lebendigen Model. Manchmal nutzt er die Puppe aus praktischen Gründen, um zum Beispiel lebensbedrohliche Situationen zu kreieren: eine Frau, die sich dermaßen weit über eine Balkonbrüstung hinauslehnt, dass das Gewicht eines realen Models den Körper nicht mehr hätte halten könnte (Vogue (FR), März 1978) oder ein Kopfstand in schwindelerregender Höhe über Bahngleisen (Vogue (US), Januar 1997). Darüber hinaus nutzt er den leblosen Körper als effektvolles Mittel, um Verwirrung beim Betrachter auszulösen, da dieser nicht mehr zuordnen kann, was echt und was falsch ist. Aus einer Faszination für die Idee des Doppelgängers heraus, lässt Newton Ende der 60er Jahre für eine Fotostrecke (Vogue (UK), März 1968), das Ebenbild des Models Willy van Rooy anfertigen.28 Während das unbelebte Model in der starren Pose der Schaufensterpuppe verharrt, nimmt van Rooy ihrer künstlichen Kopie gegenüber eine deutlich dominierende Haltung ein. Einander zugewandt präsentieren beide dem Betrachter ihr Profil und heben dadurch ihre Existenz als Doppelgängerinnen hervor. Gemäß Sigmund Freuds Deutung des Motivs, ist die Vorstellung von einem Doppelgänger mit dem Wunsch nach der Abwehr des Todes ver-

24 Barthes, 1985(b): 264-265. 25 Bovenschen, 1994: 93. Oftmals wird in dem Zusammenhang auch der Begriff des Automaten verwendet. S. Brookes. 1992: 19. 26 Bronfen, 2004: 32. 27 Vanessa Beecroft zit. in: Kazanjian, 2001: 406. 28 Newton, 1998: 124 und Newton, 2003: 222. Abgebildet in: Newton, 1998: 126-127.

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bunden. Folglich ist der Gedanke nur bei Kindern und Primitiven durch eine uneingeschränkte Form der Selbstliebe annehmbar und wird mit dem Überschreiten dieser Entwicklungsstufe »zum unheimlichen Vorboten des Todes.«29 In Freuds Lesart ist die Quelle des unheimlichen Gefühls immer das längst Vertraute, das einen Moment der Wiederholung des Gleichartigen hervorruft.30 Seit jeher zum festen motivischen Bestand der surrealistischen Bewegung gehörend, ist die Faszination für die Schaufensterpuppe gekoppelt an ihre Weiblichkeit und die Verflechtung von sexuellem Begehren und dem Gefühl des Unheimlichen.31 In Newtons Fotostrecke bringen die Berührung des Gesichtes sowie die körperliche Nähe eine Vertrautheit mit dem Körper der Doppelgängerin zum Ausdruck. Statt Beunruhigung scheint die artifizielle Imitation bei der lebendigen Vorlage jedoch vor allem Faszination und ein Bedürfnis nach Dominanz hervorzurufen. Die Verlockung bezwingt die Wirkung des Unheimlichen. Denn Ängstlichkeit und Scheu vor der Gefahr gehören, im Gegensatz zur Begierde, nicht zum emotionalen Repertoire der Newton-Frau. In einer späteren Aufnahme für Paris Match (10. Juli 1997) verzichtet Newton auf den Einsatz der Puppe und transformiert Eva Herzigova zu einer zu Plastik gewordenen Version ihrer selbst.32 In einem Badeanzug hält sie sich an einer Bootstreppe fest. Ihr Körper ist steif, die Taille so extrem eingeschnürt, dass die Proportionen nach dem Vorbild der berühmten Barbiepuppe unmenschlich verformt werden, die Badekappe verdeckt ihre natürlichen Haare und hebt dafür ihr stark geschminktes Gesicht hervor. Zusätzlich betont wird die Künstlichkeit durch die kühle Farbigkeit und den Kontrast zu der lebendigen Bewegung des Meeres im Hintergrund. Frontal dem Betrachter zugewandt, starren ihre leblosen Augen ohne Fixpunkt an der Kamera vorbei. Vollkommene Schönheit wird hier zur unmenschlichen Künstlichkeit und verwandelt das bekannte Supermodel in ein beinahe nicht mehr identifizierbares Wesen.

29 Freud, 2012: 35. 30 Freud, 2012: 9 und 38. Freud bezieht sich in diesem Zusammenhang auf Ernst Jentschs Analyse der unheimlichen Wirkung in E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann. Allerdings sieht Freud nicht die Puppe Olimpia und den Zweifel an der Beseelung der lebendigen Person beziehungsweise den Glaube an die Beseelung des leblosen Objektes als die zentralen unheimlichen Momente der Geschichte, sondern die Angst vor dem Augenverlust durch den Sandmann, die Freud auf die Kastrationsangst zurückführt. Ebd.: 20-33. Weiterführend s. Jentsch, 1906: 197-198 und 203-204. 31 Zur Bedeutung des Mannequins innerhalb der surrealistischen Bewegung sowie insbesondere in der Exposition Internationale de Surréalisme (1938) s. weiterführend Filipovic, 1999: 200-218. 32 Abgebildet in: Newton, 1998: 538.

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Die Erschaffung eines unerreichbaren weiblichen Ideals in Mode- und Werbefotografien ist an sich zwiespältig. Denn zum einen führt Newton dem Betrachter bildlich ein erstrebenswertes Ideal vor Augen, das sich allerdings durch die Künstlichkeit unmittelbar als unerreichbare Fantasie zu erkennen gibt. Sein Bild der glamourösen und perfekten Frau ist zugleich Wunschbild und ästhetische Kritik an einer Gesellschaft, in der »der menschliche Körper ebenso wie der Begriff der Schönheit zur Ware wird.«33 Jenes Zusammenspiel von bildlicher Realität und Unmöglichkeit in der Realität blockiert letztlich die Aneignung des Bildkörpers, die zunächst durch die überbordende körperliche Präsenz suggeriert wird. Zwar fordern die Frauen den Betrachter ohne jegliche Scham zum Schauen auf, strahlen dabei jedoch eine Direktheit und kühle Überlegenheit aus, die verdeutlicht, dass sie nicht verfügbar sind. Newtons Faszination für die Puppe führt Michael Stoeber auf jenen Spannungszustand zwischen dem Zur-Verfügung-Stehen und des Sich-Entziehens zurück.34 Hinsichtlich der Vorliebe für den manipulierbaren und artifiziellen Körper der Puppe liegt die Suche nach Parallelen zu Hans Bellmers Werk nicht fern.35 Der entscheidende Unterschied zeigt sich jedoch im Umgang mit dem Körper. Während der gesamte Körper unter Newton eine Idealisierung erfährt, ›vergreift‹ sich Bellmer am Körper und erzeugt durch seine Konstruktionen des fragmentierten Körpers Beunruhigung. Demnach vollzieht sich der Akt der Gewalt auf gänzlich unterschiedlichen Ebenen. Unter dem Gesichtspunkt des direkten Einwirkens auf den Körper lassen sich daher deutlich mehr Übereinstimmungen zwischen Bellmers Puppenfotografien und einzelnen Arbeiten Bourdins ausmachen, in denen dem makellosen Körper des Models physische Gewalt widerfährt.36 Bei Newton ist das gewaltvolle Element hingegen subtil wahrnehmbar und bezieht sich auf den Prozess der Transformation des individuellen Subjekts zum absolut schönen Objekt der Fotografie. Kenntlich gemacht wird die Umwandlung durch die Künstlichkeit, die nicht verschleiert, sondern betont wird. Newton macht somit deutlich, dass die Vorstellung von einem Ideal der Schönheit nur in Form des

33 Ahrens, 1998: 15. 34 Stoeber, 1998: 137. 35 Antrieb für diesen Vergleich lieferte unter anderem eine gemeinsame Gruppenausstellung von Bellmer, Newton und seiner Frau June (Künstlername: Alice Springs), in der G. Ray Hawkins Gallery, Los Angeles im Dezember 1981. Vgl. Kranzfelder, 1993: 109 und 143. Aufgelistet wird die Ausstellung in: Newton, 1982: 80. 36 Vgl. Kismaric/Respini, 2004: 16. Gewiss lassen sich bei Newton auch Hinweise auf Inhalte wie Vergewaltigung oder Sadismus finden. Zwar werden durch diese Inhalte physische Verletzungen des weiblichen Körpers suggeriert, der Bereich der Andeutung wird jedoch in der Regel nicht überschritten.

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Bildes, aber nicht in der Realität zu finden ist. Dass dieses Ideal ebenso wie die Fotografie reproduzierbar ist, wird besonders in Newtons Aufnahmen von Spiegeln vor Augen geführt (zum Beispiel in: Observer, April 1969), in denen der Körper durch die Reflexion und die zusätzliche Aneinanderreihung im Lay-Out des Magazins multipliziert wird. Im Mittelpunkt von Lacans Theorie des Spiegelstadiums steht die Diskrepanz der fragmentarischen Körper- und der einheitlichen Spiegelerfahrung als bedeutendes Ereignis der Entwicklung im frühen Kindesalter. Da das Ich der Spiegelerfahrung auf einem Bild basiert, liegt der Identifikation des Subjekts mit dem Selbstbild im Spiegel eine Entfremdung zugrunde.37 Ebenso wie der Spiegel verwandelt die Fotografie das Subjekt zu einem Bild.38 Indem Newton beide Bildflächen zusammenbringt − im hier aufgeführten Beispiel tritt das Model selbst mit Kamera vor die Kamera und scheint ihr Spiegelbild zu fotografieren − steigert er die Bildhaftigkeit des Körpers. Dabei weist die Kamera, zugleich Motiv und Instrument der Bildherstellung, auf die massenhafte Reproduktion des fotografischen Körpers hin. Eine Erklärung für die Tatsache, dass die Modefotografie allzu oft als banal abgetan wird, sieht Rosetta Brookes in der Tendenz, meist das Typische statt dem Einzigartigen im Modefoto zu sehen. Newton nutzt gezielt stereotype Frauen (die große kühle Blonde, die in Lack und Leder gekleidete Domina, die wollüstige Luxusfrau etc.), hebt durch das Befremdliche ihrer Erscheinung die bildhafte Beschaffenheit hervor und entblößt jene stereotypen Zuschreibungen als irreal.39 Mittels der unbelebten Puppe als Motiv werden die Schritte vom lebendigen Subjekt zum bildhaften Objekt und vom Individuum zum Stereotyp ausgeklammert und dadurch wird umso unverkennbarer auf die Konstruierbarkeit und Reproduzierbarkeit des Körpers in der Fotografie hingewiesen. Glamour und die Ästhetik der Oberfläche Ursprünglich entstammt das Wort Glamour dem Keltischen. Als abgewandelte Form des englischen Begriffes »grammar« steht es im Zusammenhang mit Wissen und Gelehrtheit. Gleichzeitig lässt es sich auf das Wort »gramarye« zurückführen, das Magie und Zauber bedeutet. Gebraucht wurde der Begriff Glamour zunächst zur Beschreibung eines Schimmers, der den Betrachter täuscht, womit eine Falschheit des Sichtbaren und oberflächliche Verschleierung des Eigentlichen angedeutet

37 Lacan, 2008: 1-8, hier besonders 2-3. 38 Vgl. auch Barthes’ Schilderungen seiner Erfahrung des Fotografiert-Werdens, in der das Einnehmen der Pose einen zentralen Moment der Umwandlung markiert: »Ich nehme eine ›posierende‹ Haltung ein, schaffe mir auf der Stelle einen anderen Körper, verwandle mich bereits im voraus zum Bild.« Barthes, 1985 (b): 19. 39 Vgl. Brookes, 1992: 17 und 19-20.

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wurde. In einer ähnlichen Auslegung war mit Glamour der Glanz einer Oberfläche gemeint.40 In den 30er Jahren haben die Medien die Stars Hollywoods zu Ikonen des Glamours gemacht. Seit jener goldenen Ära der Hollywoodstudios wird der Begriff daher vorwiegend in Verbindung mit Ruhm und Schönheit gebracht und Stars werden als die Verkörperung eines glamourösen Lebens angesehen. Stephen Gundle zufolge kommt die Beschreibung als verlockendes Bild, dessen Funktion in unmittelbarer Verbindung zur Konsumkultur steht, dem Phänomen Glamour am nächsten. Dementsprechend lässt sich Glamour als die perfekte Repräsentation eines Subjekts oder Objekts, die das Publikum verführen soll, verstehen. Bei der Erweckung von Fantasien und Wünschen spielt der Akt des physischen Zur-Schau-Stellens eine zentrale Rolle. Wilson spricht neben der Frau auch dem Dandy eine wesentliche Stellung in der Geschichte des Glamours zu. So nutzte Brummel das äußere Erscheinungsbild gezielt zur Kultivierung des Individuellen sowie zur Abgrenzung von einem Kollektiv und den Konventionen des Gewöhnlichen.41 Obwohl Gundle dem männlichen Körper nicht abspricht, dass er als Projektionsfläche dienen kann, ist es meist die Frau, deren Körper die Warenassoziation anhaftet und vorzugsweise als Instrument der Konsumkultur eingesetzt wird.42 Erst durch die Medien ist Glamour zur Massenware und zum Bestandteil des Alltags

40 Wilson, 2013: 65. 41 Wilson, 2013: 67-68. Vgl. Gundles Ausführung zu Brummel: Gundle, 2008: 60-62. 42 Gundle, 2008: 5 und 12. Traditionell haftet vor allem dem weiblichen Körper seine Warenkonnotation an, doch in den 80er Jahren zeichnet sich ein Umbruch ab. Herb Ritts und Bruce Weber haben das klassische Ideal des männlichen Körpers als Motiv präsent gemacht. Nachdem Männer in der Modefotografie lange Zeit nur als Nebendarsteller aufgetreten sind und ihre Darstellung an heterosexuelle Konventionen von stereotyper Männlichkeit gebunden gewesen ist, haben Webers und Ritts eine Neuerung des erstarrten Bild des Mannes eingeleitet. In den 90er Jahren geben Fotografen wie Meisel den Mann ebenso dürr und sich lasziv räkelnd (z.B. in: L’Uomo Vogue, Mai/Juni 1995) wie das weibliche Model wieder. Im Zuge des Aufkommens der Medienkonstruktion des ›New Man‹ ist der männliche Konsument als Zielgruppe immer deutlicher in den Fokus von Mode und Werbung gerückt. In Großbritannien widmet sich z.B. das 1986 ins Leben gerufene Magazin Arena gezielt und erfolgreich einer männlichen Leserschaft und veranschaulicht zugleich die Tendenz zur simultanen Ansprache eines hetero- und homosexuellen Publikums. Seit 1994 erscheint zusätzlich zwei Mal jährlich Arena Homme Plus auf dem Markt. S.a. Jobling, 1999: 50-53. Zum Aufkommen des ›New Man‹ und dem Verfahren der ›doppelten Codierung‹, mit der in weniger geschlechtsspezifisch ausgerichteten Magazinen sowohl Männer und Frauen angesprochen werden, s. Jobling, 1999: 51, 145-151 und 178.

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geworden.43 Erheblich zu dieser Entwicklung beigetragen hat die Fotografie. Formuliert wird dies auch von Marshall McLuhan, der beschreibt, wie durch die Fotografie das multiplizierbare menschliche Bild zur massenproduzierten Ware geworden ist. Im Zuge dieser Entwicklung sind Filmstars in Form von Fotografien zu käuflichen Träumen geworden und die Distanz zu vormals unerreichbaren Fantasien scheint sich aufgelöst zu haben.44 Die Verbreitung des glamourösen Bildes durch die Fotografie macht Glamour zum einen immer präsenter und bedroht zum anderen sein Fortbestehen als einzigartige Erscheinung. Denn das Alltägliche und Vertraute wird allgemeinhin nicht als die Verkörperung des Glamourösen empfunden.45 Wilson kommt im Rahmen ihrer Untersuchung des Phänomens zur Erkenntnis, dass sich der Begriff immer auf ein Individuum und dessen Erscheinung bezieht und dass Perfektion und Unnahbarkeit als Kennzeichen des Glamours durch das Äußere und eine passende Mise-en-Scène konstruierbar sind.46 Besonders im Hinblick auf Newtons Glamourfotografie erscheint jedoch der Begriff des Individuums als Merkmal problematisch. Denn Newtons Frauen erscheinen als Typen zwar einzigartig, jedoch nicht als Individuen. Die bildliche Repräsentation von Glamour ist daher nicht zwangsläufig mit Glamour als Attribut eines bestimmten Individuums gleichzusetzen. Immer häufiger wird gerade der Verlust von Einzigartigkeit zum Thema glamouröser Modefotografien. Groteske Schönheit bei David LaChapelle »Mein Werk ist deshalb so ehrlich, weil es sich nicht als die Wahrheit ausgibt,«47 fasst LaChapelle das übergreifende Merkmal seiner Arbeiten in Worte. Das Schlagwort Wahrheit mag im Zusammenhang mit seinen aus der Realität entrückten Bildern zunächst paradox anmuten. Denn LaChapelle setzt auf eine Ästhetik mit der die konsumorientierte Gesellschaft durch die Medien allzu vertraut ist. Für gewöhnlich werden Konsum und Wahrheit als widerstrebende Bereiche verstanden, doch indem LaChapelle die visuellen Mittel der Medien nutzt und sie zu rauschhaften Extremen steigert, entblößt er ihre Illusionen als Lügen. Eine Verfahrensweise hierzu ist der Dualismus von schön und hässlich, der aufzeigt, dass sich äußerste

43 Gundle, 2008: 13 und Wilson, 2013: 70. 44 McLuhan, 1994: 189. 45 Vgl. Gundle, 2008: 14. Wilson erachtet den Zusammenfall der Begriffe Glamour und Celebrity daher als besonders unangebracht. Das Celebrity-Prinzip baut auf eine gewisse Nähe zum Publikum, während Glamour auf Distanz und Unnahbarkeit beruht. Wilson, 2013: 71. 46 Wilson, 2013: 76. 47 David LaChapelle zit. in: Siemens, o.D.: 80.

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und unmenschliche Schönheit in Hässlichkeit verkehrt.48 Ob es sich um Models oder bekannte Stars handelt, seine fotografischen Subjekte bestätigen stets ihr konstruiertes Wesen, indem sie als reine Oberfläche auftreten, von einer zugrunde liegenden Persönlichkeit ebenso entfremdet wie von einer Realität außerhalb der Scheinwerfer und Kameras.49 Irrsinn und Wahn scheinen dabei oftmals latent oder auch allzu deutlich anwesend zu sein. Abbildung 9: David LaChapelle: Model in John Galliano (Milk Maidens Series).

In: Stern, 1996.

1996 erscheint eine Modestrecke, in der die Models glamourös zurechtgemacht die aktuellen Couture-Stücke vorführen, dabei aber einen verstörten oder geistig abwesenden Eindruck erwecken. Eine der Aufnahmen (Abbildung 9) zeigt eine blonde Schönheit mit wild gelocktem Haar in einem mit grellen Mosaiksteinen gefliesten Interieur. Sie muss sich zu beiden Seiten an der Wand abstützen und blickt den Betrachter dabei ernst an. Zu den Füßen liegt ihr Ebenbild, eine nackte Puppe. Der perfekt geformte Körper der Puppe ist mit roten Kussmündern übersät, Mund und Augen sind weit geöffnet, die Arme und das rechte Bein vor Verzückung in die

48 Crone, 2009: 31-32 und 41. 49 Crone nennt Entfremdung sowie ein Ausschalten der Persönlichkeit als Merkmale von LaChapelles Portraits. Vgl. Crone, 2008: 31-32 und 41.

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Höhe gerissen. Die Gesten geben den Zustand der Ausschweifung wieder, der so typisch für LaChapelles Figuren ist, aber beim lebendigen Model nicht mehr vorzufinden ist. Im Gegensatz zu Newtons Konfrontation van Rooys mit ihrem künstlichen Double ist diese Begegnung nicht von Faszination, sondern von Schrecken gezeichnet und der ernüchternde Anblick ihrer Existenz als Objekt lässt Freuds These der Wahrnehmung des Doppelgängers als »unheimlichen Vorboten des Todes« 50 anklingen. »People who’ve taken self-invention to a new level and who are stretching the limits of what we can look like,«51 sind es, die LaChapelle besonders interessieren. Dementsprechend gehören unter anderem die Schauspielerin Pamela Anderson und das transsexuelle Model Amanda Lepore zu den regelmäßig auftauchenden Figuren in seinen Szenarien. Beide repräsentieren ein Bild der Weiblichkeit, das augenscheinlich künstlich gestaltet und auf Übersteigerung ausgelegt ist. Vergleichbar mit Warhols Faszination für Dragqueens wie Candy Darling, wirft auch LaChapelles Vorliebe für die Transsexuelle Lepore Fragestellungen hinsichtlich geschlechterspezifischer Konstruktionen in der Gesellschaft auf. Wilson macht im Kreise von Warhols Factory die Entfaltung einer neuen Auslegung von Glamour aus, in der Glamour zum Instrument einer Gegenkultur geworden ist, das die von der Gesellschaft Ausgestoßenen in Stars verwandelt. 52 In ähnlicher Weise rücken auch LaChapelles Arbeiten Lepores Bedürfnis, ihr Äußeres zu gestalten, und den Prozess der Selbstinszenierung in den Mittelpunkt.53 In Any Way You Slice It a Woman (1997)54 scheint das Artifizielle ihren Körper vollständig eingenommen zu haben − von den künstlichen Fingernägeln über die glänzende Oberfläche ihrer Haut, den weiblich geformten Geschlechtsmerkmalen bis hin zu der affektierten Pose, welche die gesamte Gestalt in Szene setzt. Alle Anzeichen des von der Natur geformten Körpers scheinen ausgelöscht zu sein. Die übersteigert und grotesk anmutende Präsenz Lepores ist Indiz dafür, dass der Körper, wie Jean Baudrillard festgestellt hat,

50 Freud, 2012: 35. 51 LaChapelle, 1999: 162. 52 Wilson, 2013: 73-74. 53 LaChapelle weist mit den Portraits My Own Marilyn (2002) und My Own Liz (2007) explizit auf eine ähnliche Faszination für die Phänomene Glamour und Celebrity hin, die auch das Schaffen seines Förderers Warhol auszeichnet. Mit Lepores Bildnis hat er absurd anmutende Imitationen von Warhols berühmten Siebdrucken Marilyn Monroes und Elizabeth Taylors erstellt. 54 Werk

ist

online

abrufbar:

http://www.lachapellestudio.com/series/amanda-lepore-

addicted-to-diamonds (Nr. 2 in der Bildgalerie).

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»in seiner Identität, in seinem Geschlecht und in seiner Haltung zum Material der Mode geworden«55 ist. Die Schönheitsoperation als Methode zum Entwerfen des eigenen Körpers wird in jenen Arbeiten zu einem zentralen Thema. In Modernity and Self-Identity stellt Anthony Giddens dar, wie sich dem modernen Individuum in der Regel multiple Möglichkeiten darbieten, das eigene Leben selbst zu gestalten. Dadurch wird es konstant damit konfrontiert, Entscheidungen zu treffen und private Risiken einzugehen. Folglich befindet sich der Mensch in einer kontinuierlichen Krise, in der das eigene Leben und das Selbst zu einem Projekt der Reflexion werden. Da sich Selbstreflexivität auch auf das eigene Erscheinungsbild bezieht, nimmt die Gestaltung des Körpers eine zentrale Bedeutung in diesem Projekt ein.56 Der Drang, ein Gefühl von Kontrolle über das eigene Leben zu erhalten, wird auf den Körper projiziert, der zunehmend als Erscheinung wahrgenommen wird, die veränderbar ist.57 In extremer Form hat die Performance-Künstlerin Orlan seit Anfang der 90er Jahre die Selbstgestaltung durch plastische Chirurgie zu ihrem Ausdrucksmittel gemacht und auf diesem Weg den eigenen Körper zum Objekt sowie die moderne Medizin zum Instrument ihrer Kunst erklärt. Orlan sieht die Modifikation des Körpers als Schritt zur weiblichen Wiederaneignung von Macht und Kontrolle über das eigene Bild. 58 Rainer F. Crone erkennt in LaChapelles grotesken Darstellungen von Schönheitsidealen weniger einen emanzipatorischen Ansatz, sondern vielmehr eine Kritik an modernen Konzepten von äußerer Schönheit sowie der Zufluchtnahme in plastischer Chirurgie.59 Vergleicht man LaChapelles Einsatz von fotografischen Subjekten, die aus konventionellen Vorstellungen von Schönheit ausbrechen, mit seinen Darstellungen von Models und Stars, die von der Allgemeinheit als schön rezipiert werden, liegt die Gemeinsamkeit in der verzerrten oder überspitzten Wiedergabe. Dennoch wirkt es, als beanspruche insbesondere die erste Kategorie von Figuren eine gewisse Selbstbestimmtheit über den Körper und als repräsentiere jene Gruppe eine abweichende Position zu den Konventionen der Mode. Ebenso wie bei Newton ist Weib-

55 Baudrillard, 1982: 138. 56 Giddens, 1991: 80 und 99-102. 57 Ähnlich wie Giddens beschreibt Featherstone die Wartung des inneren und Verbesserung des äußeren Körpers als Projekt und weist der Fotografie dabei eine zentrale Funktion zu. Denn Bilder treiben den konstanten Vergleich mit dem aktuellen Zustand und einem idealeren Äußeren, das durch mehr Anstrengung erreicht werden könnte, an. Featherstone, 2001: 178. 58 »Plastic surgery is an area which can empower women to take control of their own images.« Orlan in: Armstrong/Orlan, o.D.: 88. 59 Crone, 2008: 53.

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lichkeit in LaChapelles Arbeiten immer eine Konstruktion, die auf stereotypen Vorstellungen von Weiblichkeit basiert. Die absolute Schönheit wird von ihm jedoch nicht nur als Illusion gekennzeichnet, sondern droht sich auch immer ins Gegenteil zu verkehren. Dem Versuch der Annäherung an ein Ideal, das letztendlich doch unerreichbar bleibt, wohnt bei LaChapelle immer ein Hauch von Tragik inne. 4.1.2 Die Tradition der Straße 1929 veröffentlicht August Sander unter dem Titel Antlitz der Zeit eine Zusammenstellung von Portraitaufnahmen. Die Publikation ist Teil seines groß angelegten Projekts Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts, das dem Bestreben folgt, eine »Typologie der deutschen Gesellschaft« 60 darzustellen. Als Repräsentanten verschiedener sozialer Typen hat Sander seine fotografischen Subjekte in angemessenen Umgebungen (sowohl in Innen- als Außenräumen) Posen einnehmen lassen. Neben den Bildunterschriften und beruflichen Attributen trägt Kleidung einen wesentlichen Teil zur Zugehörigkeitszuschreibung bei. Die Straße der Stadt ist ein wiederkehrendes Motiv, das als Kulisse im Kontrast zum Lebensraum des Landes steht und ebenso zur typologisierenden Inszenierung der Portraitierten beiträgt.61 Als bedeutendes Bildelement steht die Straße auch in der Street-Photography zentral, doch das Sich-Treibenlassen durch den Alltag der Straßen auf der Suche nach dem ›entscheidenden Moment‹ oder dem repräsentativ Typischen einer Gesellschaft oder Zeit stellt einen anderen fotografischen Ansatz dar.62 Obwohl das Dokumentieren von spezifischen Moden oder Alltagskleidung gewöhnlich nicht zu den Hauptanliegen von Vertretern wie beispielsweise Garry Winogrand gehört hat, überlagern sich in ihren Straßenszenen immer wieder die Darstellung der Stadt als Lebensraum und das Einfangen von Alltagssituationen und Kleidung. Die Straße erschafft als öffentlicher Raum eine Atmosphäre der Spontaneität und Flüchtigkeit und vermittelt, im Vergleich zu Studioaufnahmen oder augenscheinlich inszenierten Fotografien wie denen Sanders, eine gewisse Authentizität. Von der Straße auf die Seiten des Magazins Anfang der 80er Jahre zeichnet sich im Magazin i-D eine Vermengung der beiden fotografischen Positionen − der dokumentarischen Portraitfotografie und der flüchtig anmutenden Street-Photography − zur Wiedergabe von Mode ab. Ins Leben gerufen wird das Londoner Magazin 1980 von Terry Jones, dem ehemaligen Artdirec-

60 Ulrich Keller in: Sander, 1980: 34. 61 Keller betont das Moment der Inszenierung, das in den Portraits gegeben ist. Vgl. Ulrich Keller in: Sander, 1980: 11. 62 S. weiterführend Meyerowitz/Westerbeck, 1994.

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tor der britischen Vogue, mit dem Vorsatz, das weltweit erste ›fashion fanzine‹ zu gründen. Erschienen sind die ersten Punk Fanzines Mitte der 70er Jahre und bestachen bewusst durch eine amateurhafte do it yourself-Ästhetik, um sich von den kommerziell etablierten Magazinen zu unterscheiden.63 Jones übernimmt das experimentelle Erscheinungsbild der Fanzines mit der Intention, den alternativen und innovativen Ansatz des Magazins in den Fokus zu rücken.64 »i-D is a Fashion/Style Magazine, Style isn’t what but how you wear clothes. Fashion is the way you walk, talk, dance and prance. Through i-D ideas travel fast and free of the mainstream − so join us on the run,« heißt es auf der Rückseite der ersten Ausgabe (August, 1980). Demzufolge definiert sich das Magazin nicht als reines Mode-, sondern als ›Stilmagazin‹ und legt den Fokus auf Unangepasstheit und Aktualität. Mit den subkulturellen Verweisen auf Ästhetiken der Punkbewegung greift Jones inhaltliche und gestalterische Ideen auf, die zuvor schon in Isabelle Anscombes Buchpublikation Not Another Punk Book (1978), an der er als Artdirector beteiligt gewesen ist, zum Einsatz gekommen sind. Ursprünglich als Fotostrecke für Vogue geplant, engagierte Jones den Fotografen Steve Johnston und ließ ihn die Mode der Punks auf der King’s Road dokumentieren. Mit den Aufnahmen in Another Punk Book hat Johnston das für i-D typische Format der ›straight-up‹-Fotografie (frontale Ganzkörperportraits vor neutralem Hintergrund)65 introduziert, das auch in der ersten Ausgabe des Magazins zum Einsatz kommt. Johnstons Fotostrecke mit dem Titel ›WiLD!‹ setzt sich aus 23 SchwarzWeiß-Aufnahmen zusammen, in denen in Ganzkörperansicht gewöhnliche Menschen zu sehen sind. Einzeln oder teilweise in Gruppen sind die Portraitierten vor hellen Wänden positioniert worden. Eröffnet wird die Strecke mit Colin, dessen Name dem seitlich angebrachten Textfeld mit senkrechter Schrift zu entnehmen ist (Abbildung 10). Darüber hinaus erfährt man, dass Colin seine Hose selbstgemacht, wo und für welchen Preis er seine Schuhe und den Cardigan gekauft hat und welche Musik er gerne hört. Die hier angewandte Methode der Vox Pops, die Befragung von Passanten, wurde in den 60er Jahren schon in Nova angewendet.66 Ebenso ist der Einsatz von nicht-professionellen Models keine neue Entwicklung, sondern kann auf den Ursprung der Modefotografie im Portrait und die Anfänge der Mode-

63 Zur Vielfalt und Entwicklung von Fanzines s. weiterführend Triggs, 2010. 64 Vgl. Jones Schilderungen, die auf eine konstante Gegenüberstellung von dem in i-D verfolgten Konzept und der Arbeitsweise für das Hochglanzmagazin abzielen. Jones, 1997: 28, 34, 42 und 120. Jones nennt als Inspiration u.a. Sanders Menschen des 20. Jahrhunderts. Jones/Enninful, 2010: 22. 65 Jones, 1997: 167. 66 Zum

Gebrauch

des

journalistischen

Vox-Pop-Verfahrens

O’Neill/Rocamora, 2008: 188 und 192-195.

in

Modestrecken

s.

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fotografie zurückgeführt werden, in denen die Mode von den Damen der höheren Gesellschaft vorgeführt wurde. 67 Abbildung 10: Steve Johnston: ›WiLD! Straight Up‹.

In: i-D, August 1980.

In ›WiLD!‹ präsentieren gewöhnliche Menschen ihre persönliche Kleidung, mit dem Effekt, dass Mode als alltägliches Element des Zusammenlebens dargeboten wird. Mode wird dabei von den Portraitierten sowohl genutzt als auch aktiv mitgestaltet. Statt Designerkleidung werden Massenware oder selbst angefertigte Kleidungsstücke getragen. Im Gegensatz zu traditionellen Modemagazinen beabsichtigt die Modestrecke nicht, zum Kauf eines bestimmten Kleidungsstücks anzuregen. Mode will in i-D nicht diktieren, sondern vielmehr inspirieren. Dadurch distanziert sich i-D zum einen von der elitären Haltung der Modemagazine und widerspricht zum anderen Simmels Auslegung der Verlaufsstruktur des Modezyklus als Kreislauf der verantwortungslosen Nachahmung, in dem die unteren Klassen lediglich imitieren und nicht aktiv teilnehmen.68

67 In den 60ern setzte z.B. auch Deborah Turbeville als Redakteurin bei Harper’s Bazaar Persönlichkeiten des realen Lebens für Modestrecken ein. S. Harrison, 1991: 182. 68 Simmel, 1986: 179-207.

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Anhand des Eröffnungsfotos von Colin soll der Schauplatz noch einmal genauer betrachtet werden: Platziert vor einer hellen Wand ist der Portraitierte in voller Größe zu sehen. Der Einsatz eines weißen Hintergrunds zur Isolation des Subjektes ist eine Methode, die beispielsweise Richard Avedon häufig in seinen Studiofotografien eingesetzt hat. Anhand dieser Bildlösung wird die volle Aufmerksamkeit auf die Person gelenkt, während der Rest der Welt aus dem Bild eliminiert zu sein scheint.69 Die Portraitierten stehen jedoch nicht vor einem neutralen Hintergrund, sondern auf der Straße vor Außenwänden. Das natürliche Tageslicht und Bildelemente wie die Übergangslinie von der Wand zum Straßenpflaster oder die Abnutzungsspuren der Fassade lassen darauf schließen, dass sie an einem öffentlichen Ort fotografiert wurden. Während der Fokus auf die Erscheinung der Fotografierten gelegt wird, verstärken die Zeichen des Alltäglichen die Glaubwürdigkeit des Gesehenen. Durch die Frontalität, den direkten Blickkontakt und das Fehlen von Farbe wird der Eindruck von Objektivität hervorgerufen. Die Inszenierung scheint sich auf die Positionierung vor einem relativ unauffällig wirkenden Hintergrund zu beschränken. Das Fehlen von sonstigen Anzeichen einer Inszenierung lässt darauf schließen, dass das Foto Resultat einer zufälligen Begegnung zwischen Johnston und dem Passanten ist. Während die meisten Portraitierten namentlich vermerkt sind, bleibt das Mädchen auf dem zweiten Foto der Reihe anonym, nur eine Beschreibung der Frisur wurde hinzugefügt (Abbildung 10). Dies vermittelt den Eindruck einer gewissen Flüchtigkeit und auf einer zeitlichen Ebene wird im Kontext des Magazins Aktualität vermittelt. Die Straße als Schauplatz und der Eindruck von Spontaneität verleihen sowohl den Fotografien als auch den Texten Authentizität.70 In ihrer Gesamtheit gleicht die Fotostrecke einer Bestandsaufnahme zeitgenössischer Moden, insbesondere der Kleidermode, aber auch von Musikrichtungen wie Punk, Disco oder Heavy Metal. Zur Darstellung von Mode und Identität in der Großstadt ›WiLD!‹ zeigt diverse Modestile und Geschmäcke nicht hierarchisiert nebeneinander und statt die Hochwertigkeit der Kleidung zu betonen, wird in den Kommentaren häufig auf den günstigen Preis hingewiesen. Die Demonstration des finanziellen Status mittels Kleidung wird somit mangelnder Kreativität und beinahe einem Regelbruch gleichgesetzt. Eine Einordnung in deutliche Klassenkategorien scheint beim Betrachten der Fotos daher nicht möglich. Mode wird hier in erster Linie als Instrument zur Darstellung persönlichen Geschmacks verstanden. Dementsprechend erkennt Antje Krause-Wahl in dem heterogenen Nebeneinander des Maga-

69 Vgl. Harrison, 1991: 30. 70 Vgl. Polhemus’ Beschreibungen der Straße als Metapher für Authentizität. Polhemus, 1994: 6-7.

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zin-Layouts das Auflehnen gegen eine homogene Kultur.71 Beinahe um diese These bestätigen zu wollen, ist dem Foto von Patricia ihre Aussage zur eigenen Lebenseinstellung hinzugefügt worden: »Generally though I have no prejudice and I have no time for people who have.«72 Beim Betrachten der Einzelbilder werden Details wie die Kleidungsstücke, deren Kombination und die Haltung vor der Kamera als persönlicher Stil eines Individuums ausgelegt und die Frage aufgeworfen, ob der Betrachter anhand des äußeren Erscheinungsbilds Informationen über die Persönlichkeit erhält. Erweitert wird das Bild, das der Betrachter von der abgebildeten Person vermittelt bekommt, auch durch die Nennung der Lieblingsmusik. Dieses Detail geht über die bloße visuelle Erscheinung hinaus und verdeutlicht das Bestreben, durch das Äußere mehr über eine Person zu erfahren. Text und Fotografie bringen dabei verschiedene Ebenen der Identitätswahrnehmung zusammen. Indem Patricia sich zum Beispiel als vorurteilsfreie Person darstellt, erhält der Leser Anhaltspunkte zu ihrer Eigenwahrnehmung. Die in den Fotografien festgehaltenen äußerlichen Merkmale der Portraitierten lassen dem Betrachter hingegen Raum für persönliche und soziale Zuschreibungen.73 Giddens legt das Erscheinungsbild einer Person als jegliche Elemente umfassend aus, die im Zusammenhang mit der Oberfläche des Körpers stehen. Wobei anhand des Erscheinungsbilds und besonders der Kleidung hauptsächlich soziale und weniger persönliche Zuschreibungen getroffen werden. Häufig erfährt das Erscheinungsbild jedoch Anpassungen an bestimmte Gelegenheiten und Umgebungen.74 In ›WiLD!‹ wird die Straße zu einem Schauplatz, der als öffentlicher Raum eine gewisse Neutralität ausstrahlt und dabei soziale Merkmale in den Hintergrund treten lässt, um die Aufmerksamkeit auf die Darstellung von Indizien des Persönlichen zu lenken. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat Simmel die Großstadt als »Nährboden der Moderne«75 charakterisiert und die Probleme, die das moderne Leben mit sich bringt, untersucht. Er resümiert, dass die Konfrontation des Individuums mit der Gesellschaft den Wunsch verstärkt, die eigene Persönlichkeit zum

71 Krause-Wahl, 2010: 300. 72 Patricia in: i-D, August 1980: 5. 73 In Stigma (1963) unterscheidet Erving Goffman zwischen drei verschiedenen Formen der Identitätswahrnehmung: »Personal Identity« bezieht sich auf die als einzigartig und persönlich wahrgenommenen Charakteristiken eines Individuums. Während mit »Social Identity« die Zuschreibung von bestimmten Attributen zu sozialen Zugehörigkeiten gemeint ist. Die »Ego« oder »Felt Identity« steht hingegen im Zusammenhang mit der Eigenwarnehmung und beschreibt die subjektive Einschätzung der eigenen Person. Goffman, 1990: 12-13, 73-75 und 129-130. 74 Giddens, 1991: 99-100. 75 Simmel, 1986: 202.

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Ausdruck zu bringen, um in der Masse bemerkt zu werden. Dieses Begehren führt, so Simmel, zu den »spezifisch großstädtischen Extravaganzen des Apartseins«.76 Über Peter erfährt der Leser durch das Textfeld zum Beispiel, dass er aufgrund seines Biker Looks in Pubs manchmal nicht bedient wird. Des Weiteren demonstriert er sein Bestreben, als Individuum wahrgenommen zu werden. Ob die Reaktionen, die sein Erscheinungsbild hervorrufen, negativ oder positiv ausfallen, ist dabei nebensächlich: »I think it’s wonderful. I love it!! Anybody can walk into a pub and get served, that’s no big deal.«77 Die Präsentation einer persönlichen modischen Identität, wie sie von i-D angestrebt wird, reflektiert die urbane Sehnsucht des Individuums, wahrgenommen zu werden, die schon Simmel beschrieben hat.78 Statt der neuesten Mode, die in den Hochglanzmagazinen zu sehen ist, will i-D persönlichen Stil zeigen. Wie Simmel bereits erkannt hat, ist der passende Schauplatz hierfür die Stadt, denn sie bietet dem Individuum die Möglichkeit, mit dem eigenen Erscheinungsbild zu experimentieren. Die Anonymität der Großstadt gewährt einerseits Freiheit und den Schutz der Masse, während dem Individuum zum anderen droht, in der Masse unterzugehen. Die augenscheinlichste Methode, um aus der Masse hervorzustechen und auf die eigene Individualität aufmerksam zu machen, ist Kleidung. Trotz des neutralen Hintergrunds geht der Betrachter der Fotostrecke, aufgrund der Pluralität von Stilen und Modetrends, intuitiv davon aus, dass es sich hier um Großstadtimpressionen handeln muss. Die Straße der Großstadt wird in ›WiLD!‹ als die Bühne modischer Persönlichkeiten wiedergegeben. Betrachtet man die Gesichter der Portraitierten, fällt auf, dass die meisten keine Emotionen offenbaren und ihren Gesichtern keine Gefühlsregungen abzulesen sind. Dies verstärkt den Eindruck der Objektivität und die Aufmerksamkeit wird auf das Erscheinungsbild gelenkt. Die Kleidung und die schriftlichen Kommentare sind demnach die primären Informationsquellen, die den Betrachter dazu anregen, sich ein Bild von den dargestellten Persönlichkeiten zu machen. In Die Sprache der Mode differenziert Barthes zwischen drei Strukturen von Kleidung: der real hergestellten, der durch Sprache beschriebenen sowie der durch die Fotografie abgebildeten Kleidung. Während sich die beiden letzten Strukturen durch die Darstellung und Vermittlung von Bedeutungen auszeichnen und einem festen Zeichensystem angehören, ist die real hergestellte und getragene Kleidung zum Zwecke der Kommunikation individuell einsetzbar und aktualisierbar.79 In den Magazin-Aufnahmen fallen die drei genannten Strukturen zusammen, denn real getragene Kleidung wird durch die Fotografie abgebildet und mit Worten beschrieben. Demnach stehen die

76 Simmel, 2006: 37. 77 Peter in: i-D, August 1980: 7. 78 Simmel, 2006: 37-44. 79 Barthes, 1985 (a): 13-17 und 27-28.

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reale Kleidung und ihre kommunikative Qualität zentral und bedienen sich der beiden anderen Strukturen. Die Möglichkeit, zwischen alternativen Kleidungsstilen wählen zu können, geht einher mit dem Prozess, Entscheidungen zu treffen und die Wahrnehmung seiner Person gezielt zu beeinflussen. Diese bewussten oder weniger bewussten Entscheidungen können demnach als Botschaften aufgefasst werden und machen Kleidung zu einem Element des alltäglichen Lebens, das als Kommunikationsform verstanden werden kann. 80 Die These, dass die individuelle Persönlichkeit durch Kleidung visuell konstruierbar ist, hat Identität als einen Schlüsselbegriff des Modediskurses etabliert. Entscheidungen, wie beispielsweise die Kleiderwahl, die im Alltag immer wieder getroffen werden, gehören zur Kreation eines gewissen Lifestyles, der etwas darüber aussagen kann, welche Person das Individuum sein und wie es wahrgenommen werden will. Im Hinblick auf die Pluralität von Wahlmöglichkeiten verdichtet sich auch der Begriff Lifestyle, der von Giddens folgendermaßen ausgelegt wird: »Lifestyle [...] implies choice within a plurality of possible options, and is ›adopted‹ rather than ›handed down‹. Lifestyles are routinised practices, the routines incorporated into habits of dress, eating, modes of acting and favoured milieux for encountering others; but the routines followed are reflexively open to change in the light of the mobile nature of self-identity. Each of the small decisions a person makes every day − what to wear, what to eat, how to conduct himself at work, whom to meet with later in the evening − contributes to such routines. All such choices [...] are decisions not only about how to act but who to be.«81

Die in i-D verwendeten Textbeiträge zerlegen das Äußere der Fotografierten in einzelne Elemente, wodurch der konstruierte Charakter der Gesamterscheinung oder genauer gesagt der persönlichen modischen Identität unterstrichen wird. In dem Versuch, Einzigartigkeit auszudrücken, werden die Portraitierten oftmals jedoch zu Stereotypen: Rebecca, die gerne Discomusik hört, fährt auf Roll-

80 Zur Kommunikationstheorie s. weiterführend Barnard, 2002. Auf den Faktor, dass Kleidungscodes in erheblichem Maße vom Kontext abhängig sind, hat bereits Davis hingewiesen. Die Eindeutigkeit der Lesbarkeit von Kleidung anzweifelnd, hat Campbell das Sprachmodell mit dem Turm von Babel verglichen. Weiterführend s. Davis, 1992: 8 und Campbell, 2007: 159-160. 81 Giddens, 1991: 81. Diesbezüglich merkt Giddens an, dass die Diskussion um multiple Wahlmöglichkeiten nicht implizieren soll, dass diese jedem in gleichem Maße zustehen. Ebenfalls erwähnt werden sollte, dass die Entscheidungen von mehreren Faktoren beeinflusst werden können und je nach Umgebung des Individuums vielfältig und segmentiert ausfallen können. Giddens, 1991: 82-83.

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schuhen durch die Stadt, der Biker Peter eckt in der Öffentlichkeit gerne an und das namenlose Punkmädchen schaut ein wenig grimmig in die Kamera. Der stereotype Charakter der Modeportraits verweist weniger auf den Ausdruck einer individuellen Persönlichkeit als vielmehr auf den einer Gruppenidentität. Die diversen Streetstyles, die Polhemus in seiner Arbeit behandelt und kategorisiert, drücken die Zugehörigkeit zu stammesähnlichen Gruppenstrukturen aus. In einer Zeit, in der traditionelle Gruppeneinteilungen nach Klasse, Herkunft oder Religion an Bedeutung verlieren und dem Individuum verschiedene Möglichkeiten offen stehen, sein Leben und sein Äußeres zu gestalten, können Jugendkulturen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit schaffen.82 i-D referiert an die äußeren Zeichen dieser Jugendkulturen, weckt hierdurch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und erschafft den Eindruck, am realen Leben teilzuhaben. Angekündigt wird das Thema Stilvielfalt, das sich sowohl in der Kleidermode als in den Musikvorlieben fortsetzt, durch die einleitende Gegenüberstellung von Colin und dem anonymen Punkmädchen. Am Beispiel von Peter werden jedoch offensichtliche Brüche in die Beziehung von Kleidungs- und Musikgeschmack eingefügt. Entgegen der stereotypen Vorstellung von einem Biker hört er verschiedene Musikrichtungen, unter anderem auch Reggae. Mit dem Hinweis, dass sein Musikgeschmack eben nicht den Erwartungen des Betrachters entspreche, geht er gegen eine Kategorisierung an und kehrt bewusst seine Individualität hervor. ›WiLD!‹ bewegt sich durch die Darstellung von Individuen, deren äußere Erscheinung die stereotypen Merkmale einer bestimmten Gruppe aufweist, zwischen dem Einzigartigen und dem Typischen. Mehr als zehn Jahre später greift Jason Evans (in den 90er Jahren auch unter dem Pseudonym Travis als Fotograf tätig) explizit das Thema stereotype Zuschreibungen auf und behandelt es in Bezug auf Klasse und ethnische Herkunft. Für die Fotostrecke ›Strictly‹ (i-D, Juli 1991) positioniert er zehn junge schwarze Männer einzeln auf Bürgersteigen vor Hausfassaden, die auf eine suburbane Umgebung schließen lassen (Abbildung 11). Die von dem Stylisten Simon Foxton zusammengestellten Outfits zeigen verschiedene Einflüsse – von der mit Orden gezierten Uniform, dem wilden Mustermix exzentrischer europäischer Herrenanzüge bis hin zum edlen und doch robusten Auftreten des britischen Landherren. Aufgrund der Verweise auf traditionelle Darstellungsmodi von »Englishness« legt Martin die Reihe als Kritik an der konventionellen britischen Modefotografie der 50er und 60er Jahre aus.83

82 Polhemus, 1994: 13-16. 83 Martin, 2002: 186.

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Abbildung 11: Jason Evans (Travis): ›Strictly‹.

In: i-D, Juli 1991.

Evans greift jedoch nicht lediglich Vorstellungen von »Englishness« auf, sondern zieht explizit den Dandy als Inspirationsfigur heran, um auf stereotype Zuordnungen von ethnisch geprägtem Habitus in der multikulturellen Gesellschaft Großbritanniens hinzuweisen. Im Gegensatz zur Frau zeichnet sich die männliche Figur des Dandys nicht bloß durch eine Oberfläche aus, sondern das Äußere spiegelt seine innere Überlegenheit wider. Sein Bedürfnis nach äußerlicher Vollkommenheit ist Mittel der Distinktion und richtet sich gegen die Trivialität.84 Baudelaires Charakterisierung des Dandys weist Parallelen zur Beschreibung Brummels, dem englischen Stammvater des Dandytums, auf, der auch in der Einleitung zu Evans Modestrecke explizit erwähnt wird.85 Als Voraussetzung für die Muße und den eleganten Lebensstil des Dandys hat Barbey d’Aurevilly die finanzielle Sorglosigkeit Brummels dargelegt. Mit seinem eleganten und blasierten Auftreten vermochte dieser, den künftigen König George IV. für sich zu begeistern, um durch seine Unverschämtheiten bei ihm später doch in Ungnade zu fallen.86 Hermann Fürst von Pückler-

84 Baudelaire, 1990 [a]: 306-310. 85 Einleitend ist der Fotostrecke ein Ratschlag Brummels zum angebrachten Auftreten hinzugefügt worden: »No perfumes...but very fine linen, plenty of it and country washing. If John Bull turns round to look after you, you are not well dressed; but either too stiff, too tight or too fashionable.« In: i-D, Juli 1991: 34. 86 Barbey d’Aurevilly, 1985: 29-39.

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Muskaus Schilderungen veranschaulichen wie Brummels verfeinerter Kleidungsstil die Grundlage für den Kult um seine Person geboten hat: Er »[...] ist einer der berühmtesten und seiner Zeit mächtigsten Dandys, die London je gekannt. Brummel beherrschte einst durch den Schnitt seines Rockes eine ganze Generation, und lederne Beinkleider kamen außer Gebrauch, weil ein jeder verzweifelte, sie in der Vollkommenheit der seinigen nachahmen zu können. Als er aber aus wichtigen Gründen endlich Großbritannien den Rücken kehrte, hinterließ er seinem Vaterland noch, als letztes Geschenk, das unsterbliche Geheimnis der mit Stärke gesteiften Halsbinden.«87

Im Vergleich zum weiblichen Streben nach einem Ideal ist der Dandyismus weniger der Mode zu verantworten, als dass er Ausdruck eines Strebens nach unnachahmlicher Vervollkommnung ist.88 Evans nutzt das Dandytum als Strategie für ein Aufbrechen von klischeehaft zugeschriebenen Identitätskonstruktionen.89 So erläutert der Fotograf die Intentionen der Fotostrecke: »The syntax of the clothes was completly upside down, and then, worn by black people, it was a new vision of Britain. We were trying to break stereotypes.«90 Die Verlagerung in ein suburbanes Umfeld gehört ebenso wie das dandyhafte Auftreten und der repräsentative Portraittypus zur Umkehrung jener Erwartungshaltungen an Darstellungen von ›Schwarz- und Weiß-Sein‹. In der Tradition des Flaneurs − Wenn die Straße zum Mainstream wird Spätestens seit Baudelaires Schriften ist die Beziehung von Straße und Mode zur Tradition geworden. Mit seinen Beschreibungen hat er die Darstellung der Mode als großstädtisches Phänomen geprägt. Als Flaneur zieht Baudelaire Ende des 19. Jahrhunderts durch die Straßen von Paris, lässt sich von der Masse treiben, geht in ihr unter und beobachtet sie. Was er dort entdeckt, ist die eigentümliche und vergängliche Schönheit seiner eigenen Zeit.91 In ähnlicher Weise zieht ein Jahrhundert später der Fotograf Johnston mit der Kamera ausgestattet durch London und begibt sich auf die Suche nach einem zeitgenössischen Ausdruck von Mode und Schönheit. Was er entdeckt und für das Magazin fotografisch festhält, ist ein vielfältiges Verständnis von sowohl Mode als äußerlicher Schönheit. In ihrer Gesamtheit prä-

87 Fürst von Pückler-Muskau, 1985: 19. 88 Vgl. »Aber ein Dandy kann niemals ein gewöhnlicher Mensch sein.« Baudelaire, 1990 [a]: 308. 89 Zur Geschichte des Black Dandytums s. weiterführend Miller, 2009. 90 Jason Evans zit. in: Williams, 1998: 113. 91 S. Baudelaire, 1990 [a]: 301 und 320.

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sentiert die Fotostrecke ›WiLD!‹ zugleich einen Querschnitt durch aktuelle Modestile und einen Überblick zum Typischen bestimmter Modegruppierungen. Die einzelnen Portraits repräsentieren hingegen die Suche des Fotografen nach Individualität. Simmel beschreibt das Leben in der Großstadt als konstante Flut von sowohl äußeren als auch inneren Eindrücken und Benjamin empfindet die visuelle Aktivität als vorherrschend. 92 Die Vielfalt der fotografierten Modestile verdeutlicht die Flüchtigkeit der Mode, die ihr traditionell als Wesenszug nachgesagt wird, sowie die konstante Wahrnehmungsflut in der Großstadt. Gleichzeitig wird deutlich, welche Rolle die Wahrnehmung durch Andere im täglichen Leben spielt. Im öffentlichen Leben ist man nicht geschützt vor den Blicken des Flaneurs, der aus dem Schutz der Masse heraus beobachtet. Während seiner Streifzüge nimmt der Blick des Fotografen auch scheinbar unauffällige Einzelheiten der Kleidung eines Individuums wahr, die in der Masse und Bewegung der Großstadt unterzugehen drohen. Isoliert vor der Straßenmauer stechen diese Details in den Fotografien deutlich hervor und der Betrachter kann nachvollziehen, was den Fotografen zu seiner Wahl bewegt hat. Benjamin vergleicht den Flaneur mit dem Detektiv und sieht den Ursprung des literarischen Genres der Detektivgeschichte in der »Verwischung der Spuren des Einzelnen in der Großstadtmenge.«93 Die Großstadt, die Geschichte des Detektivgenres und des Mediums Fotografie stehen für Benjamin in deutlichem Zusammenhang, da erst die Fotografie ermöglichte »zum ersten Mal, für die Dauer und eindeutig Spuren von einem Menschen festzuhalten.«94 In der Masse wird der Fotograf mit einer Vielzahl von Eindrücken konfrontiert und trifft scheinbar subjektiv die Entscheidung, welchen Passanten er im Bild festhalten wird. Der Selektionsprozess bestimmt, wer letztendlich im Magazin zu sehen sein wird. Konnte der Fotograf von Mode zuvor für den Durchbruch oder den Misserfolg eines Models verantwortlich sein, kann er nun auch dem gewöhnlichen Straßenpassanten zu einem Moment des Ruhmes verhelfen. Mit dem sogenannten straight-up-Format, wie es in der ersten Ausgabe und auch in den folgenden verwendet wird, hat sich i-D ein charakteristisches Kennzeichen zugelegt und sich von den Glamourbildern der Hochglanzmagazine abgesetzt.95 Nachlesen kann man die Definition des Konzepts in der Ausgabe vom August 2003, in der ebenfalls der Anspruch erhoben wird, das Format entwickelt zu haben: »Straight-up: n. Documentary style of photography that uses head-to-toe street portraits to capture people in both real an imaginary situations and to ask

92 Simmel, 2006: 8-10 und Benjamin, 1974 [a]: 35-36. 93 Benjamin, 1974 [a]: 42. 94 Benjamin, 1974 [a]: 46. 95 Vgl. Martin, 2002: 183.

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them a series of questions defining their lives, loves and beliefs. Invented in 1980 by i-D.«96 Dem Zitat ist zu entnehmen, dass sich auch Abweichungen vom ursprünglichen Stil entfaltet haben. Vorgenommen wurden die ersten Anpassungen bereits in frühen Ausgaben nachdem der Fotograf Frank Horvat auf die ästhetischen Parallelen zu polizeilichen Fahndungsfotografien hingewiesen und Jones den Ratschlag erteilt hatte, den Fokus nicht primär auf die bloße äußere Erscheinung der Subjekte zu legen.97 Des Weiteren verrät die Definition des Formats, dass die ursprüngliche Darstellung von realistischen Situationen mittlerweile durch fiktivere Bildlösungen ergänzt worden ist. Die Straße ist nicht mehr alleiniger Schauplatz, stattdessen wird für die Portraitaufnahmen häufig ins Studio zurückgekehrt. Alistair O’Neill und Agnés Rocamora stellen fest, dass der weiße Hintergrund mittlerweile zur Repräsentation der Straße ausreicht. Shinkle vertritt eine ähnliche Ansicht, indem sie die Linie zwischen dem Boden und der Wand als Detail mit Bedeutung beschreibt. Ausgehend von den Straßenportraits in i-D ist diese Linie zu einem Zeichen für die Authentizität der Straße geworden.98 Die Hochglanzmagazine, von denen sich i-D ursprünglich unterscheiden wollte, haben die authentische Ästhetik der ersten Fotostrecken des Magazins übernommen. Schlägt man heutzutage kommerzielle Mode- und Frauenmagazine auf, sind Straßenportraits von nicht-professionellen Models, die in dem Kontext der Mode vorgestellt werden, zur Gewohnheit geworden.99 Mit den Möglichkeiten des Web 2.0 sind auch die Aspekte der Mobilität und Aktualität in der Modeberichterstattung bedeutender geworden: Dementsprechend ist das Phänomen des Modeblogs die Vermittlungsfläche, die den aktuellsten Trends scheinbar am nächsten ist und unmittelbar über sie berichtet. Street-Style-Blogs zeigen, was auf den Straßen der Modemetropolen momentan getragen wird und auch mit welcher Haltung es in der Öffentlichkeit präsentiert wird. Zu den wohl bekanntesten gehören der seit 2005 von Scott Schuman geführte Blog The Sartorialist sowie Facehunter, der im darauf folgenden Jahr von Yvan Rodic ins Leben gerufen wurde.100 Als Schauplatz dient

96

In: i-D, August 2003: 66.

97

Jones, 1997: 122 und Martin, 2002: 183-184.

98

Vgl. O’Neill/Rocamora, 2008: 196-197 und Shinkle, 2008: 215 und 217.

99

Dazwischen lassen sich durchaus auch Stars und professionelle Models finden, die jedoch vorzugsweise in ihren privaten Outfits abgelichtet werden. Insbesondere Berühmtheiten sind sich in der Regel darüber bewusst, in der Öffentlichkeit beobachtet und fotografiert zu werden. Dennoch erwecken gerade die typischen Paparazzi-Fotos, die den Star unterwegs auf der Straße zeigen, den Eindruck, einen privaten und somit authentischen Look einzufangen.

100 http://www.thesartorialist.com/ und http://www.facehunter.org/.

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hauptsächlich die Straße, die im Gegensatz zur besprochenen Fotostrecke eine vielfältigere Kulisse bietet. Die Heterogenität der Stadtansichten unterstreicht das kreative Potential der Großstadt und die Mobilität des Fotografen, der nicht nur in seinem unmittelbaren urbanen Wohnraum in ständiger Bewegung zu sein scheint, sondern in den Großstädten der Welt unterwegs ist. In Ganzkörperansichten werden die Outfits festgehalten, während die Portraitierten meist für die Kamera posieren oder in einer alltäglichen Situation fotografiert werden. Durch die Variationen wird der Eindruck intensiviert, dass man zu jeder Zeit und an jedem Ort der Großstadt auf einen der bloggenden Fotografen treffen könnte. Der Anschein des Flanierens wird hierdurch noch deutlicher forciert. Gleichzeitig ist es dem Betrachter − dem Internetbenutzer − nun möglich, durch die diversen Modeblogs und Aufenthaltsorte der Fotografen zu flanieren.101 Ähnlich wie in ›WiLD!‹ veranschaulichen die Fotografien das Streben der Großstädter, durch einen individuellen Stil auf sich aufmerksam zu machen. Während in den 80er Jahren die reine Tatsache des Entdecktwerdens bereits eine gewisse Form von Stil bestätigte, kann in vielen Blogs das Äußere der Fotografierten auch kommentiert werden. Anstelle der Dokumentation diverser auffälliger Looks und Moderichtungen, rücken der Selektionsprozess und die Bewertung durch Andere in den Fokus. O’Neill und Rocamora stellen zu Recht fest, dass in der Regel ein bestimmter Typus von weiblicher Schönheit präsentiert wird, der den Idealvorstellungen jung, hübsch und dünn entspricht. Im Zuge dessen wird die Heterogenität der Stadt auf ein modisches Ideal reduziert.102 Doch gerade im Fall von Schumans Blog ist zu erwähnen, dass sein Interesse − dem Titel des Blogs The Sartorialist entsprechend − nicht nur der Frauen-, sondern ausdrücklich auch der Herrenmode gilt. Der elegante und gerne auch dandyhafte Auftritt oft älterer Männer zieht immer wieder Schumans Aufmerksamkeit auf sich.103 Inwieweit Modeblogs als autonome Instanzen zu bezeichnen sind und ob man daraus ableitend von einer Demokratisierung der Modewelt sprechen kann, gehören zu den Fragen, denen Monica Titton nachgeht. Dabei stellt sie unter anderem fest, dass die Street-StyleRubrik in i-D damals andere Ziele verfolgte als die heutigen Modeblogs. Mit der Darstellung von Alltagskleidung der verschiedenen Subkulturen und der Verwendung eines authentisch wirkenden Formats brach das Magazin mit den Konventionen und der elitären Haltung der traditionellen Modemagazine. Die Blogger hingegen nutzen zwar die Ästhetik der Straße und inszenieren sich als »romantische Fla-

101 Seit Mitte der 90er Jahre wird des Begriff des Flanierens auch im Zusammenhang mit dem Medium Internet verwendet. Weiterführend s. Doedens, 2010. 102 O’Neill/Rocamora, 2008: 193. 103 Vgl. Kessemeier, 2010: 110 und 115-116.

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neure«,104 aber verschleiern zum einen die Arbeit, die hinter ihren Blogs steckt, und zum anderen, dass oftmals eben nicht anonyme Menschen in alltäglicher Kleidung zu sehen sind, sondern Personen aus der Modewelt. Daher liegt es auch nahe, dass Modemagazine wie Vogue oder GQ die Beliebtheit der professionellen Blogger nutzen, indem sie über ihre Arbeit berichten oder sie für Modestrecken buchen.105 Obwohl die Straße in der Geschichte der Modefotografie schon vor ›WiLD!‹ als Bildmotiv und Schauplatz aufgegriffen wurde, ist das straight-up-Format im Rahmen von i-D zu einer Bildlösung geworden, die Inhalte repräsentiert, die zum Markenzeichen des Magazins geworden sind. Ursprünglich als Alternative zum Mainstream entstanden, hat sich die Masse die Ästhetik der Straßenportraits angeeignet und den eigenen Intentionen angepasst. Das Nebeneinander diverser modischer Gruppierungen als Indikator einer Heterogenität der Stadt, geht bei der Aneignung durch kommerzielle Präsentationsflächen weitestgehend verloren. Wie am Beispiel von Street-Style-Blogs deutlich wird, bleibt jedoch das Bestreben bestehen, die Individualität durch einen persönlichen Modestil auszudrücken und aus der Masse der Großstadt hervorzustechen. Letztendlich demonstriert das Erscheinen des Portraits auf einer der bekannten Internetseiten die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die das Interesse an Mode verbindet. 4.1.3 Wenn alles von Belang ist »Die Kamera ist mein Werkzeug. Mit ihrer Hilfe mache ich alles um mich herum sinnvoll,«106 hat sich André Kertéz über die Funktion der Fotografie in seinem Leben geäußert. Zwei Kernpunkte der persönlichen Nutzungsweise des Mediums lassen sich aus diesem Zitat ablesen: Zum einen wird eine beinahe obsessive Beziehung zur Fotografie angedeutet, da die reale Welt erst durch die Verwandlung zum Bild Sinn erhält. Ferner impliziert die Orientierung an eine vorgefundene Realität die Bildwürdigkeit des Alltäglichen. An den Grundgedanken der Wertigkeit und visuellen Schönheit des Banalen anknüpfend, ist die Überschrift dieses Kapitels in Anlehnung an Tillmans Publikation If One Thing Matters, Everything Matters sowie die gleichnamige Ausstellung (Tate Britain Museum, 2003) zu verstehen. Tillmans fotografische Vorgehensweisen orientieren sich an verschiedenen Ebenen der Wahrnehmung, Bildrezeption und -herstellung. Wobei im Hinblick auf die Bedeutung und die visuelle Qualität des Allgegenwärtigen hier besonders die Wahrnehmung aus der Perspektive des Foto-

104 Titton, 2010: 93. 105 Titton, 2010: 90-98. 106 André Kertéz zit. in: Sontag, 2008: 192.

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grafen von Interesse ist.107 Im Gegensatz zu dem eingangs formulierten Zitat von Kertéz verfolgt Tillmans einen entgegengesetzten Ansatz und probiert sich dem Objekt erst verstehend anzunähern, um es dann fotografieren zu können.108 Beispiel hierfür ist die seit 1991 fortlaufende Serie Faltenwurf, in der sich Tillmans Aufmerksamkeit auf die Stofflichkeit und Visualität von Kleidungsstücken richtet. Kleidung erachtet er als wesentlichen Bestandteil der visuellen Welt − nicht im Sinne der Mode, sondern als Oberflächenerscheinung des Körpers. Durch die fotografische Annäherung an diese Objekte des Alltags kehrt Tillmans ihre skulpturale Beschaffenheit sowie abstrakten Strukturen hervor,109 sei es die Spiegelung eines alten Baums in einer gefüllten Kaffeetasse (Chaos Cup, 1997) oder eine anscheinend beiläufig über einen Heizungskörper drapierte Hose (Trousers on Radiator, 1999). In anderen Fotografien von Tillmans, die sich durch eine Schnappschussästhetik auszeichnen, rückt, statt der Selektion des bildwürdigen Objekts, das Erkennen der bildwürdigen Situation in den Mittelpunkt. Der Schnappschusscharakter und alleine schon die hohe Anzahl von produzierten Fotografien, die auch in Ausstellungen durch die Hängung unterschiedlicher Formate und Anbringungsweisen (unter

107 Die Ebene der Bildrezeption bezieht sich besonders auf Tillmans Ausübung von Kontrolle über die Präsentation seiner Bilder in Ausstellungen und Buchveröffentlichungen. Wobei seine spezielle Methode der Hängung und des Layouts sowohl genre- als formatsbedingt keiner hierarchischen Anordnung zu folgen scheint. Vgl. Wolfgang Tillmans in: Horlock/Tillmans, 2003: 303. Der von Tillmans designte Katalog zur besagten Ausstellung weist im Gegensatz zu seiner üblichen kuratorischen Methode einen chronologischen Aufbau auf und die Fotografien haben beinahe durchgängig dieselbe Größe. Hierdurch wird die umfassende Zusammenstellung von jeder einzelnen jemals veröffentlichten Arbeit sowie einigen unveröffentlichten Werken (1978-2003) als großes Ganzes präsentiert. Vgl. Mary Horlock in Horlock/Tillmans, 2003: 306. Der Aspekt der Bildherstellung tritt besonders bei Werken zutage, die Resultat der experimentellen Auseinandersetzung mit dem fotografischen Bildträger sind. 108 »I never live through the camera. Once I’ve understood something, I can photograph it.« Wolfgang Tillmans in: Horlock/Tillmans, 2003: 305. 109 Vgl. Wolfgang Tillman in: BP Artist Talk: Wolfgang Tillmans, 3. Oktober 2007. Onlinequelle:

http://www.tate.org.uk/context-comment/video/bp-artist-talk-wolfgang-till

mans. Unter dem Aspekt der verstehenden Annäherung ist man geneigt, sich die Entstehung einzelner Bilder Tillmans als Prozess der Selektion vorzustellen. Minor White hat die Arbeitsweise des ›kreativen Fotografen‹ als Suche nach dem bedeutungsvollen Objekt und als Versuch, die Gestalt eines Gegenstandes mit rein visuellen Mitteln auszudrücken, beschrieben. Die Kreativität des Fotografen beruht dabei auf den Fähigkeiten der Wahrnehmung sowie der Selektion. White, 2006: 48-51.

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anderem Klebestreifen und Klammern) betont wird, »läßt das Einzelbild hinter einem übergeordneten Konzept zurücktreten.«110 Dieser Nachdruck auf ein umfassendes Konzept in Kombination mit seinen Aufnahmen aus dem unmittelbar privaten Umfeld ebenso wie aus der urbanen Club- und Jugendszene, von denen in den 90er Jahren viele in i-D erschienen sind, hat ihm die Bezeichnung des Dokumentars eines spezifischen Lebensgefühls, das gegen Ende des 20. Jahrhunderts wahrnehmbar wurde, eingebracht.111 Gemeinsam haben Tillmans genreübergreifenden Erkundungen der sichtbaren Welt und der Möglichkeiten des Mediums Fotografie eine Affinität zu den Dingen und Situationen der Wirklichkeit, mögen sie auf den ersten Blick noch so banal anmuten. Generalisierend ist diese Strömung der Modefotografie, die sich Bildformeln der Reportage-, Dokumentar- und Amateurfotografie angeeignet hat, eine Hinwendung zum Alltäglichen aufweist und mit Namen wie Wolfgang Tillmans, Jürgen Teller und Corinne Day in Verbindung gebracht wird, mit dem Begriff des Realismus belegt worden. Trotz der vielfältigen Verfahrensweisen, mit denen sich der Wirklichkeit angenähert und eine realistische Bildsprache aufgegriffen wird, ist die verallgemeinernde Bezeichnung sinnvoll. Denn hierdurch wird die Verankerung in eine Bildtradition angedeutet und die Abgrenzung zu jenen fotografischen Positionen, die sich ganz offensichtlich der Imagination und Illusion zuwenden, deutlich hervorgekehrt. Zur Einzigartigkeit des Momentes und des Alltäglichen Als Erneuerer der Modefotografie ist in den 30er Jahren der aus Ungarn stammende Martin Munkácsi hervorgetreten. Nach seiner Emigration von Deutschland in die USA begann er unter anderem für Modemagazine zu arbeiten. Zuvor hauptsächlich als Fotoreporter, häufig auch bei Sportereignissen, tätig, überführte Munkácsi die Spontaneität und Dynamik von Reportagen in die Modefotografie. Zwar wurde die Verlagerung vom Studio ins Freie schon von Steichen und anderen Fotografen vollzogen, doch erst Munkácsi brach mit der typischen Starrheit von Modepräsentationen und ließ seine Models die Kleidung in Bewegung versetzen, indem er sie zum Beispiel am Strand entlang laufen ließ.112 Die Art und Weise wie er durch Bildformeln diverser fotografischer Genres der Darstellung von Mode Lebendigkeit verliehen hat, ist für die Modefotografie wegweisend gewesen. Je mehr der Faktor

110 Pfab, 2003: 25. 111 Vgl.: »Die Photographie ist bei ihm zum Beleg der Vorstellung eines bestimmten Lebensgefühls der Jahrtausendwende geworden, das in Großstädten des Westens existiert und deren Werte und Lebensstil er teilt.« Pfab, 2003: 25. 112 Die Strandszenen setzte er in einem seiner ersten Aufträge für Harper’s Bazaar ein. S. Hall-Duncan, 1979: 68-72.

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der Inszenierung dabei aus der Wahrnehmung des Betrachters verdrängt wird, umso ausgeprägter wird die Aufmerksamkeit auf den fotografierten Augenblick gelenkt. In Der entscheidende Moment (1952) schreibt Henri Cartier-Bresson über die Bedeutung des Momentes beim Fotografieren aus dem Leben: »Von allen erdenklichen Ausdrucksmitteln fixiert allein die Fotografie einen bestimmten Moment. [...] Für uns Fotografen ist alles was verschwunden ist, ein für allemal verschwunden: daher unsere Angst, daher auf der anderen Seite auch das dem Wesen nach Originale unserer Leistung.«113 Im Gegensatz zu Cartier-Bressons Schilderungen der Suche nach dem entscheidenden Moment, ist der verpasste Moment für den Modefotografen oftmals wiederholbar. Denn Grundlage der Modefotografie ist traditionell die Inszenierung, wenngleich ihr Grad auch divergieren und von den Gegebenheiten (Schauplatz, Beleuchtung, Kleiderauswahl etc.) abhängig sein kann. Zu Tellers ersten publizierten Modestrecken gehört eine 1998 in Rumänien entstandene Serie von Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die weniger an Modeaufnahmen denken lässt, als dass die einzelnen Fotografien Portraitaufnahmen und dokumentarischen Schnappschüssen gleichen. Auf der Suche nach fotografischen Subjekten ist Teller mit der Stylistin Venetia Scott durch das Land gereist und hat die Mode durch die reale Bevölkerung vorführen lassen. Obwohl The Face ebenso wie Arena Interesse an der Reihe äußern, lehnen sie den Druck ab und die Bilder werden letztendlich in i-D (August, 1990) gezeigt.114 Im Gegensatz zu exotischen Aufnahmeorten, die üblicherweise als Schauplätze dienen, regt die ländliche Kulisse Rumäniens weniger die Fantasie des Betrachters an, als dass sie vielmehr die Lebensumstände der Menschen festzuhalten scheint, denen Teller auf seiner Reise entgegenkommt. So ist es auch nicht die Kleidung, die nach Betrachten der Fotostrecke im Gedächtnis nachhallt, sondern zum Beispiel die Tatsache, dass ein junges Mädchen wie eine Erwachsene mit Zigarette in der Hand für die Kamera posiert. Betont wird der Eindruck der unmittelbaren Zeugenschaft durch den Verzicht auf Farbe und die Aufhebung der Barrieren zwischen Fotograf und Model. Tellers favorisierter Kameratyp, eine 35-mm-Kleinbildkamera, erlaubt ihm, sich seinem fotografischen Subjekt zu nähern, ohne dass der Effekt der Bedrängung entsteht und der Akt des Fotografierens nicht als formelle Handlung empfunden wird: »Using a 35mm camera, it feels like I have caught something out of life. [...] It gives a certain rhythm and the other person has a sensation that this is not that precious or so important. The interesting point is where things start and end. What is reportage photography, portrait photography or fashion photography? [...] Photography carries both real and fictional elements

113 Cartier-Bresson, 2006: 80. 114 Venetia Scott in: Cotton, 2000: 126.

168 | MODEFOTOGRAFIE and I enjoy the slippage between the traditional genres of photography that this combination allows.«115

Durch eine Umkehrung des ›Theaters der Mode‹, in dem die Mode das primäre Motiv ist um das künstlich eine Welt erschaffen wird, erreicht Teller den gleichen Effekt, den Barthes als grundlegende Funktion der Modefotografie erachtet: die Steigerung der Glaubwürdigkeit der Mode.116 Folglich erscheint die Kleidung in dieser als real wahrgenommenen Welt gerade durch ihre untergeordnete Rolle umso glaubhafter. Bazon Brock unterscheidet zwischen zwei »wesentlichen Formen der fotografischen Realitätsbewältigung«: die inszenierende und die objektivierende Fotografie. Zur Unterscheidung der beiden Formen lässt sich zusammenfassen: Die inszenierende Fotografie setzt das Medium an sich bilderzeugend ein und bevorzugt das Einzelbild. Wohingegen die zweite Methode auf eine Objektivierung der vorgefundene Realität zur Fotografie setzt und oft als Sequenz angelegt ist.117 Im Gegensatz zu Kampagnenfotografien, die in der Regel vor allem als Einzelbilder funktionieren müssen, würde sich der serielle Aufbau von Modestrecken demnach zur Einbettung von Arbeiten anbieten, die einen Zugang zur vorgefundenen Realität wiedergeben. Teller vermengt allerdings gezielt Kategorien wie objektivierende und inszenierende Fotografie und setzt für gestellte Modeaufnahme die Ästhetik des Schnappschusses ein.118 Als fotografisches Verfahren und gestalterische Bildmethode kann der Schnappschuss sowohl eine erzählerische als emotional gefärbte Wirkung vorantreiben.119 Je prägnanter dabei die Grenzen von professioneller und amateurhafter Fotografie durch Kennzeichen wie verwackelte und ungünstig gewählte Bildausschnitte, Blitzlicht oder Verschwommenheit überschritten werden, umso authentischer wirkt das Dargestellte. »Je weniger frisiert, je weniger kunstfertig fabriziert,

115 Jürgen Teller in: Cotton, 2000: 123. S.a. Isabelle Hupperts Bericht über ihre Erfahrungen während eines Fotoshootings mit Teller. Demnach gehört es zu Tellers Verfahrensweise, konstant den Auslöser zu betätigen, um auch unkontrollierte Momente einzufangen. Isabelle Huppert in: Huppert/Teller, 2006: o.S. 116 Vgl. Barthes, 1985 (a): 312-313. 117 Brock, 2006: 236-238. 118 Teller betont nachdrücklich, dass in seinen Arbeiten immer ein gewisses Maß an Fiktion und Inszenierung mitspiele und dass ihn die rein sachliche Dokumentation nicht interessiere. Vgl. Jürgen Teller in: Matt/Teller, 2004: 88 sowie in: Huppert/Teller, 2006: o.S. 119 »For me, the snapshot is one of the highest forms of capturing life. It’s just the best thing. It can express everything from love to just capturing a moment.« Jürgen Teller in: Eskildsen/Pohlmann/Teller, 2003: o.S.

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je naiver ein Foto ist, desto eher wird es für glaubwürdig gehalten«,120 stellt Sontag fest. Bei genauerem Hinsehen lässt sich allerdings in jedem noch so spontan wirkenden Foto Tellers eine kontrollierte Komposition entdecken.121 Zieht man zum Vergleich Tillmans Arbeiten heran, lässt sich feststellen, dass Tellers Fotografien deutlicher eine Verwischung der Spuren ihrer Inszenierung beabsichtigen. Bei Tillmans hingegen kehrt sich die anfängliche Vertrautheit der Wirklichkeit oft ins Künstliche um und legt die Inszenierung der Szene offen dar.122 Eine Aufnahme Tillmans von seinen Freunden Alex und Lutz, die in einer Strecke in i-D (November 1992) veröffentlicht wurde, veranschaulicht die sich umkehrende Wirkungsweise:123 Nackt, lediglich mit einem grünen Parka und einem roten Lackmantel bekleidet, sitzen die beiden auf den Ästen eines Baumes. Der Schauplatz und die zwanglose Haltung mit der die körperliche Nacktheit dargeboten wird, verleihen der Szene eine derart natürliche Atmosphäre, dass erst nach einem Moment des Zögerns die bewusst Erkenntnis der Absurdität des Dargestellten eintritt. Faszination und Authentizität des Privaten In den 90er Jahren verlagert sich der Aufnahmeort auffallend häufig zurück ins Innere, wenngleich auch nicht in den neutralen Raum des Studios, sondern in private Lebensräume. Beispielhaft für diese Entwicklung ist eine Aufnahme Tellers für The Face (Mai, 1996), in der Kate Moss anscheinend soeben der heimischen Dusche entstiegen ist (Abbildung 12). Ungeschminkt und mit nassen Haaren steht Moss im Badezimmer, das der Betrachter intuitiv als ihr eigenes deutet. Mit einem Tiegel in der Hand steht sie vor dem Badezimmerspiegel, der zur Seite aufgeschoben ist und den Blick auf diverse Kosmetikutensilien freigibt. Die Auffüllung des Bildraumes durch belanglose Details zielt auf einen vergleichbaren Effekt ab, wie die detaillierte literarische Schilderung einer Umgebung, die Barthes unter dem Begriff des Wirklichkeitseffektes analysiert hat. Eben weil die fotografierten Einzelheiten bedeutungslos sind, denotieren sie »was stattgefunden hat« und »das konkret Wirkliche wird zur hinreichenden Begründung«.124 Nichts weist in Tellers Fotografie darauf hin, dass der Moment gestellt sein könnte. Gesteigert wird dieser Eindruck durch die bildliche Präsenz des Fotografen, der sich im Türrahmen anlehnt und dessen Umrisse im Spiegel zu erkennen sind. Moss richtet ihren Blick direkt auf ihn und die Fotografie wird als Resultat einer vertrauten Beziehung gelesen.

120 Sontag, 2008: 54. 121 Vgl. De Ruyter, 2006: 41. 122 Vgl. Pfab, 2003: 25. 123 S. Wofgang Tillmans: ›Like Brother Like Sister‹, in i-D, November 1992: 83. 124 Barthes, 2012: 164-172, hier explizit 170.

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Abbildung 12: Jürgen Teller: ›This Girl’s Life‹.

In: The Face, Mai 1996.

Das Model strahlt zwar eine natürliche Schönheit aus, repräsentiert aber nicht die Verkörperung eines perfekten Ideals. Ebenso trivial und privat wie die Umgebung ist die dargestellte Handlung. Dies ermöglicht eine Wahrnehmung des Models als reale Person und nicht als unerreichbare Idealvorstellung.125 Ulrich Pohlmann beschreibt diesen Effekt in Tellers Inszenierungen von Schönheitsidealen treffend: »Es ist diese Normalität, die uns fasziniert und zugleich mit den Kategorien jener übermächtigen Traumbilder von Supermodels versöhnt, durch sie scheint uns das Unnahbare wieder nah, das Unerreichte wieder erreichbar.«126 Bereits in den 60er Jahren hat sich eine Tendenz zu natürlich wirkenden Frauentypen abgezeichnet, deren Schönheit durch eine radikale Reduzierung von Schminke unterstrichen werden

125 Das Foto wurde mit einer handschriftlichen Aufschrift versehen, die ein Zitat des begleitenden Interviews mit Moss aufgreift: »Heroin? What can I say? I’m not using it. I never have been. I never will.« Durch den Verweis auf den Drogenkonsum, der ihr nachgesagt wird, wird zugleich an eine Realität außerhalb der Fotografie angeknüpft und das Idealbild vom makellosen Model mit Rissen versehen. 126 Pohlmann, 2004: 8.

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sollte.127 Aus einem Artikel über Frank Horvat, der 1960 in Photography zu lesen war, geht hervor, dass die Abkehr von einem allzu künstlich wirkenden Schönheitsideal durchaus positiv rezipiert wurde: »He is very meticulous about the choice of a model, because he looks for humanity, without the artificiality which seems to be a feature in the work of many other fashion photographers. The girl must have personality, because people are interested in her as they are in the dress she is wearing. Make-up is important, and it should be used with the utmost discretion. [...] this likeing for reality is a tendency among leading fashion photographers today [...]. You [adressiert an: Frank Horvat, Jeanloup Sieff, Bert Stern, Jerry Schatzberg und Fouli Elia; Anm. der Autorin] are helping people to see women as something real − not as mere dolls.«128

Um der perfekten und somit austauschbaren Oberfläche des Körpers Brüche zuzufügen, hebt Teller auch blaue Flecken, Spuren des Alters oder andere physische Makel hervor.129 »Ich will zeigen, dass in dieser Verwundbarkeit und Zerbrechlichkeit Schönheit liegt,«130 beschreibt Teller sein Anliegen. Schönheit ist für ihn demnach keine feststehende Kategorie, sondern eine subjektive Erfahrung. In ähnlicher Weise macht Sean Ellis die Verwundbarkeit und Unvollkommenheit des Körpers als Zeichen der Individualität zum zentralen Motiv seiner Reihe ›Tissue. A Portfolio of Scars‹ (Dazed & Confused, Mai 1997) und stellt den ästhetisch ausgeleuchteten schwarz-weißen Portraitaufnahmen Textangaben zur Seite, in denen der Leser über Name, Alter und Beruf der Fotografierten sowie die abgebildete Kleidung und Ursache der Narben informiert wird. In Moss’ Fotografie verbindet Teller hingegen die natürliche ›Reinheit‹ ihres Körpers mit einer amateurhaften Ästhetik und dem Rückzug in eine private Umgebung, um einen Gegenentwurf zur Künstlichkeit zu erschaffen. Er setzt auf die Inszenierung einer alltäglichen und intimen Szene und vermittelt den Eindruck, das Foto gewähre dem Betrachter Einblicke in das Leben der Dargestellten. Die Faszination für den Bereich des Privaten in Modefotografien der 90er Jahre beschreibt

127 Harrison, 1991: 106. 128 O.N.: Frank Horvat. Fashion Photography with a Leica, in: Photography, Mai 1960. Hier zit. nach Harrison, 1991: 106. 129 Vgl. Brookes Auslegung von Newtons Frauendarstellungen mit Bronfens Darlegung der Glamourfotografie und Tellers Verfahren der Umkehrung: »Denn makellos sein heißt auch, keine ausgeprägten Merkmale zu haben, keine Individualität zur Schau zu stellen, die die Umwandlung realer Körperlichkeit in ein Bild stören würde.« Bronfen, 2004: hier 32. Vgl. Brookes, 1992: 17 sowie 19-20. 130 Jürgen Teller in: Teller/Wakefield, 1996: 164.

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Smedley mit den Worten Barthes als die »Öffentlichkeit des Privaten«.131 In Die helle Kammer legt Barthes die Beziehung von Fotografie und Privatsphäre dar: »Das Zeitalter der PHOTOGRAPHIE entspricht genau dem Einbruch des Privaten in den öffentlichen Raum oder vielmehr der Bildung eines neuen privaten Wertes: der Öffentlichkeit des Privaten: das Private wird als solches öffentlich konsumiert.«132 Im Gegensatz zu Newton, dessen stereotype Frauen sich bei genauerem Hinsehen als künstlich und falsch erweisen, forciert Teller eine typische Alltäglichkeit, um die Einzigartigkeit des Subjektes sowie dessen authentische Schönheit hervorzuheben. Zur Öffentlichkeit des Privaten im Kontext Aufgrund der Abkehr von einer das Gesamtbild bestimmenden Künstlichkeit − eine Ästhetik, die durch die Tradition des Glamours vertraut erscheint − wirkt diese Art von privat anmutenden Bildern unkonventionell. In welchem Maß die Rezeption des Ungewohnten durchaus kontextgebunden sein kann, haben die Reaktionen auf Corinne Days Arbeit für die britische Vogue (Juni 1993) gezeigt. Für die LingerieStrecke ›Under Exposure‹ fotografierte Day ihre damalige Freundin Moss in der Wohnung des Models (Abbildung 13). Auch in diesen Aufnahmen verrichtet Moss keine ereignisreichen Tätigkeiten oder nimmt die allzu üblichen Modelposen ein: Sie öffnet die Schubladen ihrer Kommode, starrt in gebückter Haltung aus dem Fenster, sitzt gedankenverloren auf einem Heizkörper oder wickelt sich in eine Decke − dabei immer ein Gefühl der Langeweile ausstrahlend. Was in einem Hochglanzmagazin wie Vogue allerdings noch unkonventioneller als die Ereignislosigkeit und die Stimmung erscheinen mag, ist die ärmliche Umgebung.133 Die Wohnung ist nur notdürftig möbliert, vor dem Fenster hängen Bügel mit trocknender Wäsche und die Dekoration besteht aus einer billigen bunten Lichterkette. Smedley beschreibt diese Komponenten als Zeichen der Einsamkeit, Armut und Entfremdung von der Außenwelt. Zudem können die Langeweile, die informellen Posen ebenso wie die verstreut daliegende Lou Reed Kassette in diesem trostlosen Rahmen als mögliche Hinweise auf Drogenmissbrauch gelesen werden. Der dünne Körper des Models kann als weiteres Anzeichen der Armut oder sogar des Drogenmissbrauchs ausgelegt werden. Statt ihren Körper als alternatives Ideal zum perfekt geformten Kunstkörper der Glamourfotografie zu begreifen, wird die Strecke im Kontext der Vogue als Erzählung des Misserfolges gedeutet − zu unüber-

131 Smedley, 2000: 154. 132 Barthes, 1985 (b): 109. 133 Muir sieht die Umgebung als Abweichung von den exotischen Orten, die sonst bevorzugt als Hintergrund eingesetzt werden. Muir, 1997: o.S. (Onlinearchiv).

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brückbar erscheint die Kluft zwischen dem Dargestellten und den unerreichbaren, aber dennoch erstrebenswerten Idealen und Zielen, die das Magazin sonst vertritt.134 Abbildung 13: Corinne Day: ›Under Exposure‹.

In: Vogue (UK), Juni 1993.

Schon hinsichtlich ihrer amateurhaften Erscheinung definiert Robin Muir, Bildredakteurin bei Vogue, die Fotostrecke als ›Anti-Glamour‹ und führt aus: »Whatever they were, they weren’t fashion photographs. They were raw and natural, completely without ›style‹, in the sense that there was nothing artificial in their conception as there always seemed to be in every other fashion story. [...] They seemed effortless, like snapshots that, on a good day perhaps, you and I could take.«135

Day hat die Intention der Fotostrecke als humorvolle Alternative zu den gängigen Modebildern beschrieben, ist jedoch nicht davon ausgegangen, dass ihre Herangehensweise eine derart öffentliche Kontroverse erzeugen würde.136

134 Vgl. Smedley, 2000: 150-152. 135 Muir, 1997: o.S. (Onlinearchiv). 136 Die bedrückende Stimmung führt Day auf einen vorangegangen Streit zwischen Moss und ihrem damaligen Freund zurück. Dadurch weist sie zum einen den Vorwurf der gezielten Visualisierung einer pessimistischen Atmosphäre ab. Des Weiteren fügt sie den

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Marion Hume legt in einem Zeitungsartikel in The Independent Moss’ dünnen Körper weniger als Anspielung auf Drogenmissbrauch aus, sondern unterstellt den Bildern vielmehr eine Aufforderung zum sexuellen Kindesmissbrauch. Obwohl das Model zu diesem Zeitpunkt bereits 19 Jahre alt ist, vergleicht Hume sie mit Nachbars Tochter, die sich vor der Kamera lolitahaft gibt und damit den Voyeurismus des Publikums bedient.137 Ihre Auslegung demonstriert, wie der Einsatz einer realistischen Bildsprache in Kombination mit dem unkonventionell anmutenden Modekörper als bedrohlich empfunden wird und eine Erklärungssuche sowohl außerhalb des Kontextes der Mode als auch auf einer fiktiven Ebene vorangetrieben hat. Auch Hilton Als hat drei Jahre nach Erscheinen der Vogue-Ausgabe Parallelen zur Wirklichkeit gezogen, findet allerdings Lob für Days Visualisierung von Moss Wandlung vom jungen Mädchen zum Topmodel mit Warenwert: »Besides being intensly moving − Day had managed to catch on film Moss’s transition from young chum to commodity (− the photographs are a first testimony to the fashion industry’s now pervasive flirtation with death.) The naked, bruised look in Moss’s eyes was an apt expression of the brutality that Day was beginning to experience in the fashion world.«138

Day, die vor ihrer Karriere als Fotografin selbst als Model tätig war, hat die Verwandlung ihrer Freundin zum professionellen Model als einschneidendes persönliches Erlebnis geschildert, durch das Moss in ihren Augen auch an äußerer Schönheit verloren hat.139 Aufgrund der intimen Authentizität, die durch diese realistisch und oftmals beinahe amateurhaft wirkenden Bildlösungen erzielt wird, liegt der Vergleiche zur Tradition

Bildern mit diesen Details zum Entstehungshintergrund eine persönliche Prägung hinzu. S. Corinne Day in: Cotton, 2000: 85. Die Kontroverse wird auch besprochen in: Jobling, 1999: 112-120. 137 Hume, 1993: o.S. (Onlinearchiv). 138 Hilton Als: Buying the Fantasy, in: New Yorker, 10. Juni 1996. Hier zit. nach: Williams, 1998: 114 139 »Half-way through the shot, I realised that it wasn’t fun for her any more, and that she was no longer my best friend but had become a ›model‹. She hadn’t realised how beautiful she was, and when she did, I found I didn’t think her beautiful any more.« Corinne Day zit. in: Muir, 1997: o.S. (Onlinearchiv). Als Folge der Empörung um die Bilder wurde Day die nächsten Jahre nicht mehr von Vogue gebucht und Moss’ Agentur untersagte ihr weiterhin mit der Fotografin zu arbeiten. S. Corinne Day in: Cotton, 2000: 85.

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des privaten Fotoalbums nahe.140 Besonders ab den 80er Jahren fällt auf, dass Fotografen immer öfters auf die Ästhetik des Amateurfotos bauen. Larry Sultan, Richard Billingham, Philip-Lorca diCorcia, Larry Clark und Nan Goldin gehören zu denen, die ihre Kamera auf die unmittelbare Umgebung, Freunde und die eigene Familie gerichtet haben und deren Arbeiten autobiographische Züge vorweisen. Sultan hat an seinem Projekt Pictures of Home (1992) zehn Jahre bis zur Fertigstellung gearbeitet. Aufnahmen von seiner Familie, die er selbst produziert hat, werden in dem Buch mit vorgefundenem Material, Schnappschüssen und Auszügen aus Heimvideos kombiniert.141 In Ray’s a Laugh (1996) sind Billinghams Fotografien seines alkoholkranken Vaters Ray, seiner fettleibigen Mutter Liz, des jüngeren Bruders Jason sowie der Haustiere abgedruckt und A Storybook Life (2003) bildet eine Sammlung von Fotografien, die drei Jahrzehnte aus DiCorcias Leben umspannt. Gnadenlos offen hat Clark sein von Drogensucht bestimmtes Dasein sowie das Leben und Sterben seiner Freunde aus dem Heimatort Tulsa (1971) fotografisch aufgezeichnet und im gleichnamigen Buch öffentlich gemacht.142 Ebenso hat Goldin ihre unmittelbare Umgebung in The Ballad of Sexual Dependency aus der Perspektive einer Dazugehörigen festgehalten. Eingefangen hat Goldin sowohl die glücklichen, als auch die gewöhnlichen und traurigen Momente des Lebens. In teilweise schonungslos intimer Weise zeigt sie Szenen aus dem Leben ihrer »Familie von Freunden«143 − wie sie sich im Alltag begegnen, heiraten, an AIDS erkranken, sterben, sich lieben und streiten. 1979 wird die Sammlung zum ersten Mal in Form einer Slideshow gezeigt und während den 80er Jahren fortlaufend durch neue Aufnahmen ergänzt. Ihrem 1986 publizierten ›visuellem Tagebuch‹144 hat Day eine

140 Kismaric und Respini stellen fest, dass sowohl der Schnappschuss als auch die Ästhetik des Familienalbums die Modefotografie in den 90er Jahren inspiriert haben und entweder in gestellter oder ungestellter Form zum Einsatz kommen. Vgl. Kismaric/Respini, 2004: 26. 141 Kat.Ausst. Larry Sultan: Pictures from Home, 1992. 142 Abgesehen von einigen erläuternden Bildunterschriften hat Clark nur ein kurzes Vorwort verfasst, durch das er vorab schon die Position des Zugehörigen bezieht. »I was born in Tulsa Oklahoma in 1943. When I was sixteen I started shooting amphetamine. I shot with my friends everyday for three years and then left town but I’ve gone back through the years. Once the needle goes in it never comes out. L.C.« Clark, 1971: o.S. 143 Goldin, 1987: 6. 144 »Die Ballade von der sexuellen Abhängigkeit ist das Tagebuch, das ich andere lesen lasse. [...] Mein visuelles Tagebuch ist öffentlich. [...] Dies ist meine Familie, meine Geschichte. [...] Das Tagebuch ist für mich die Form, in der ich mein Leben bewältige.

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Einleitung hinzugefügt, in der sie von den Beziehungen zu ihren Freunden, von einschneidenden Erlebnissen wie dem Selbstmord ihrer Schwester sowie der Kamera als Instrument zum Festhalten von Erinnerungen erzählt.145 Fotografen wie Goldin und Clark haben die Bildform des intimen Schnappschusses eingesetzt, um sowohl den Alltag als auch die dunklen Seiten des Zusammenlebens wiederzugeben − Inhalte, die in privaten Familienbildern traditionell ausgeblendet oder als nicht bildwürdig erachtet werden.146 Beiden Fotografen wird vom Kunstmarkt erst ab den frühen 90er Jahren gestiegene Aufmerksamkeit entgegengebracht.147 Von da an sind ihre Werke von der breiten Öffentlichkeit ebenso wie von zeitgenössischen Fotografen wahrgenommen worden. Auch Day erachtet ihre ersten Auseinandersetzungen mit Goldins und Clarks Fotografien als prägend für die eigene Arbeitsweise.148 Besonders Goldin ist für die Modefotografie nicht nur inspirierend gewesen, sondern hat sporadisch mitgewirkt und unter anderem Aufträge von Helmut Lang und dem Modehaus Matsuda angenommen. Dabei verzichtet sie auf professionelle Models, fotografiert stattdessen ihre Freunde in gewohnt unglamourösem Umfeld und verwischt die Grenzen zwischen der Inszenierung von Fiktion und Dokumentation privater Ereignisse. In der Moderubrik der New Yorker Zeitung Village Voice veröffentlicht sie 1985 eine Strecke mit dem Titel ›Masculine/Feminine‹ und nimmt die Fotografie ihrer schwangeren Freundin Rebecca daraufhin auch in Ballade of Sexual Dependency auf.149 Trotz dieser kontextuellen Vermengungen der Kategorien kommerziell und privat werden bei der Rezeption von Mode- und Kunstfotografien oft unterschiedliche Bewertungskriterien herangezogen. Modefotografie wird von der Öffentlichkeit generell kritischer beobachtet und unter dem Kriterium der moralischen Verantwortung begutachtet. Die Abkehr vom perfekten Körperbild der 80er Jahre hat in Ver-

Es erlaubt mir meinem Drang nachzugeben und jedes Detail festzuhalten. Es gibt mir die Möglichkeit, mich zu erinnern.« Goldin, 1987: 6. 145 Goldin, 1987: 6-9. 146 Vgl. Cotton, 2009: 138. 147 Cotton, 2009: 138 und 144. 148 Corinne Day in: Cotton, 2000: 85. In der Literatur wird gelegentlich auch die gesamte Boston School, zu der Goldin gezählt werden kann, als direkte Inspirationsquelle für die Modefotografie der neunziger Jahre genannt. Vgl. »Sie standen Pate für die radikale Naturalisierung der Modefotografie in den 90er Jahren.« Stahel, 2002: 20. Die Zusammenfügung der verschiedenen Fotografen unter dem Gruppennamen der Boston School wird hier vermieden, da dies ohne ausführliche Erläuterung zu den einzelnen Positionen problematisch ist. 149 S. Goldin, 1987: 40. Die Fotostrecke aus der New Yorker Zeitung wird ausführlich besprochen und wiedergegeben in: Kismaric/Respini, 2004: 27-28 und 86-93.

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bindung mit der Aneignung einer realistischen Bildsprache die Etablierung der Bezeichnung heroin chic herbeigeführt, die unter dem Label des Trends zum moralisch zu bewertendem Ideal geworden ist.150 So beschuldigt US-Präsident Bill Clinton 1997 in einer Rede die Modeindustrie der Glorifizierung des Todes und erklärt, dass die Kommerzialisierung eines destruktiven Ideals nichts mit Schönheit oder Kunst gemein habe.151 Obwohl Clinton die Arbeiten Dan [sic] Goldins erwähnt, bleibt die Kunstfotografie von seiner Kritik ansonsten ausgeschlossen. Cotton sieht jenes Heranziehen von unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben in der Authentizität der Lebensgeschichte des Künstlers begründet, was bedeutet, dass Kunstfotografie von allzu harter Kritik verschont bleibt. Denn die Äußerung von Kritik würde einer Beurteilung des Künstlerlebens gleichkommen.152 Inwieweit die Rezeption von Modefotografien von der jeweiligen Präsentationsfläche abhängt, wird auch am Beispiel von Day deutlich. Bereits drei Jahre vor dem Skandal um ihre Vogue-Strecke wurden in The Face (August, 1990) Aufnahmen der damals erst 15-jährigen Kate Moss abgedruckt. In unbeschwerter Stimmung hat Day die junge Moss ungeschminkt, mit dünnem Körperbau und teilweise oben ohne am Strand abgelichtet. Trotz der Nacktheit und Jugendlichkeit haben die Fotografien, die wie Schnappschüsse von einem privaten Ausflug erscheinen, die Öffentlichkeit nicht in Empörung versetzt − und sicherlich nicht im gleichen Maße wie die drei Jahre später erscheinenden Fotos in Vogue. Ebenso wenig haben die Bilder ›England’s Dreaming‹ (August, 1993) den Leser von The Face derart schockieren können. Obwohl Model Rosemary, Days Freundin, teilweise befremdliche und unvorteilhafte Posen einnimmt und die Wohnung der Fotografin, einschließlich umgekippter Dosen und gefüllter Aschenbecher auf verdrecktem Teppichboden, als Kulisse für die Modestrecke dient.153 Während Day die Grenzen dessen, was mittels eines realistischen Stils im Hochglanzmagazin abgebildet werden kann, herausgefordert hat, hat sie sich stets geweigert, ihre Modearbeiten im Ausstellungsraum zu zeigen. Womöglich ist sich Day bewusst gewesen, dass die Fotografien außerhalb des Magazins und vor allem im Kunstraum ihre radikale Wirkung verlieren könnten, so Cottons These.154 Stattdessen veröffentlicht Day im Jahr 2000 eine Zusammenstellung ihrer privaten Arbeiten unter dem Titel Diary und gewährt Einblicke aus beinahe zehn Jahren ihres

150 Weiterführend zur Entwicklung des heroin chics s. Arnold, 2001: 48-55. 151 Clinton zit. in: Wren, 1997: A22. 152 Cotton, 2009: 145. Smedley weist ebenfalls darauf hin, dass der Kunstfotografie und der realistischen Modefotografie verschiedene Funktionen zugesprochen werden. Smedley, 2000: 152. 153 Vgl. Jobling, 1999: 113, 115-116 und Smedley, 2000: 148-152. 154 Cotton, 2009: 147.

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Lebens: Aufnahmen von ihren Freunden, die sie unter anderem beim Drogenkonsum oder Geschlechtsverkehr zeigen, von ihrer Familie und sich selbst in schicksalsschweren Situationen wie der Diagnose eines Gehirntumors.

4.2 W ER

WILLST

DU

MORGEN SEIN ?

Seit Einzug der digitalen Fotografie ist die Tendenz zum imaginativen Modefoto immer prägnanter und die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Fotografie weitgehend hinfällig geworden. Je offensichtlicher sich das Bild von der Ästhetik der analogen Fotografie entfernt, umso weniger erhebt es Anspruch auf Authentizität und repräsentiert die Zukunft.155 Gerade weil es sich deutlich auf einer fiktiven Ebene bewegt, wird der Bezug zur Wirklichkeit hinter dem augenscheinlichen Futurismus verschleiert. Von der digitalen Bilderschaffung bis hin zur Konstruktion virtueller Welten und der Entwicklung medizinischer Innovationen wirkt sich der Fortschritt prägend auf den Alltag, das Verständnis von Körperlichkeit und Menschlichkeit sowie die Wahrnehmung von gesellschaftlichen Zuständen aus. Die Geschichte des Science-Fiction-Genres ist ebenso eng mit der Entwicklung von Technik und Wissenschaft verbunden, wie die Definition der Mode mit dem Zeitalter der Industrialisierung.156 Inwieweit die Gesellschaft zur gemeinsamen Schnittstelle wird, zeigt sich auch in der signifikanten Funktion, die Mode in Science-Fiction-Werken immer wieder einnimmt. Das Genre Science-Fiction wird gemeinhin mit der Schöpfung von Geschichten über unbekannte Orte oder Wesen und mit den Themen Zukunft, Fortschritt und Wissenschaft in Verbindung gebracht. Aufgrund seiner Diversität entzieht sich das Genre jedoch einer feststehenden Definition.157 Seit Ende der 70er Jahre erfreut sich der Science-Fiction-Film einer beachtlichen Popularität. Filme wie Alien (Ridley Scott, 1978), Blade Runner (Ridley Scott, 1982) oder The Terminator (James Cameron, 1984) haben sich mitunter prägend auf kollektive Vorstellungen von der Zukunft und vom Anders- und

155 Vgl. Manovich, 1996: 66. 156 Zu Mode und Industrialisierung s. Wilson, 2003: 30-40. 157 Die Übernahme des Begriffs in den allgemeinen Sprachgebrauch wird Hugo Gernsback zugeschrieben, der ihn zur inhaltlichen Beschreibung des ersten Science-FictionHeftchens Amazing Stories (1926 gegründet) verwendete. Als Ursprung werden jedoch meist frühere literarische Quellen in Betracht gezogen. Mary Shelleys Frankenstein (1818) weist als düstere Fiktion um die Bereiche Wissenschaft, Menschlichkeit und Andersartigkeit Anknüpfungspunkte zu wiederkehrenden Themen des Genres auf und wird neben den Erzählungen von Jules Verne und H.G. Wells als Vorläufer genannt. S. Bould/Vint, 2011: 1-2 und 10-16.

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Fremdartigen ausgewirkt. Die vielfältige Tradition des Science-Fiction-Genres bietet auch abseits der Medien Literatur, Film und Fernsehen Inspiration für die imaginative Visualisierung von fremden Zeiten, Welten und Geschöpfen. Zwar richtet sich die Sicht der Mode in der Regel auf die unmittelbar bevorstehende Zukunft, um genau zu sein auf die nächste Saison, dennoch kann das Modefoto ähnlich wie der Film nachhaltig zur kollektiven Imagination der Zukunft beitragen. Dabei implizieren futuristisch anmutende Modefotos oftmals einen Zustand der individuellen Freiheit, der dem Konsumenten vermitteln soll, dass er immer wieder aufs Neue entscheiden kann: Wer will ich morgen sein? Die stetige Aktualisierung des technologisierten Zusammenlebens wirft Fragen auf, die um die Wahrnehmung einer zeitlichen sowie räumlichen Verankerung des Körpers und der Einzigartigkeit des Individuums kreisen. Ausgehend von jenen Fragestellungen wird der Zukunft mit Optimismus und/oder Pessimismus, Euphorie und/oder Schrecken entgegengeblickt. Welche Wahrnehmung der unmittelbaren Gegenwart lässt sich dem Bild entnehmen? Wie werden die Auswirkungen des Fortschritts dargestellt? Auf welche Weise werden Ängste und Zweifel bildlich wiedergegeben? − Dies sind mitunter Aspekte, denen sich im Folgenden gewidmet wird. Sich wandelnde Erfahrungen von Zeitlichkeit und Körperlichkeit als Resultat des technologischen Fortschritts sind zentrale Themen des nächsten Unterkapitels, in dem sich das Augenmerk auf die Beschaffenheit der High-Tech-Gesellschaft richtet. Im Anschluss wird der Frage nach dem Original im synthetischen Bild nachgegangen. Dabei sind besonders Produzierbarkeit und Reproduzierbarkeit des Körpers sowie dessen Funktion im Rahmen des Modebilds von Interesse. Zuletzt rückt Andersheit als Gegenbild zur Vereinheitlichung in den Fokus der Untersuchung. 4.2.1 Die Zukunft ist jetzt Im Februar 1989 erscheint die aktuelle Ausgabe des LIFE Magazins unter dem Titel The Future and You und enthält eine dreißigseitige Vorschau auf das Jahr 2000 und danach. Eine dieser Vorhersagen zeigt den menschlichen Körper als schattenhaften Umriss auf dem insgesamt 26 Teile des Körpers positioniert wurden, die im Jahr 2000 durch künstliche Komponenten ersetzt werden können. »If we think of the human body as a kind of machine, doctors of the future will be like mechanics, simply replacing those parts that can’t be fixed,« erklärt der dazugehörige Artikel und prognostiziert ferner, dass die künstlichen Ersatzteile zuverlässiger als ihre natürlichen Vorlagen funktionieren werden.158 In der Liste der zukünftigen Innovationen der Medizin werden auch Körperteile aufgeführt, die bereits in den 90er Jahren

158 LIFE Magazine, Februar 1989: 56.

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eingesetzt werden.159 Die Medizin hat die Erwartungen an ihren Fortschritt somit überholt. Während manche Zukunftsprognosen rückblickend oft unvorstellbar anmuten, werden andere unerwartet schnell zur Realität. Die Beschleunigung in stets neue Zeitalter kann sowohl faszinierend als auch beängstigend wirken. In einer Zeit, in der technische und medizinische Entwicklungen immer schneller voranschreiten, scheint das Bewusstsein, in der Gegenwart verankert zu sein, immer mehr dem Fortschrittsgedanken zu weichen. Zu diesem Gefühl der schwindenden zeitlichen Stabilität kommt im Zeitalter des Cyberspace der Bedeutungswandel weiterer Orientierungseinheiten wie Räumlichkeit und Körperlichkeit hinzu. Schrecken und Euphorie der Technologie Immer wieder ist der technologische Fortschritt Grundidee und Ausgangspunkt des Schreckens in Science-Fiction-Geschichten. Frankenstein ist als Vorläufer des Genres ein literarisches Musterbeispiele für die Verknüpfung der Kategorien Mensch und Wissenschaft und den daraus resultierenden Schauereffekten. In Mary Shelleys Erzählung stehen der wissenschaftliche Fortschritt und die damit einhergehende Verantwortung zentral. Victor Frankensteins Versuch, auf künstlichem Weg Leben zu erschaffen, und die Folgen seines Experiments wirken aus heutiger Perspektive wie eine Warnung, dass »der Traum vom Menschen aus Menschenhand, in die Wirklichkeit übersetzt, traumatische Züge zu entwickeln scheint: Mit der Faszination genialer Forschung verbindet sich nämlich die Furcht vor ihrer Unkontrollierbarkeit.«160 In ›Simplex Concordia‹ (The Face, Juli 1996) versieht Andrea Giacobbe die Fotostrecke, in der ein männliches und ein weibliches Model auftreten, mit Hinweisen auf eine künstliche oder andersartige Herkunft der Figuren: Zum Beispiel hebt Giacobbe die von der Natur gegebene Anlage des Stillens als Differenzierung des Weiblichen und Männlichen auf, indem er die Köpfe über den unbekleideten Oberkörpern des Paares austauscht und die hybridisierten Körper jeweils einen Säugling im Arm halten lässt (Abbildung 14). In anderen Fotos der Strecke wird auf diese Fragmentierung der Körper verzichtet, doch stattdessen stehen die Körper des Paares in Flammen oder bluten. Währenddessen starren sie weiterhin ungerührt Richtung Kamera, ohne jeglichen Ausdruck des Schmerzes. Eine weitere Szene zeigt die weibliche Figur in einer Badewanne, die mit einer grell leuchtenden grünen Flüssigkeit gefüllt ist. Jobling erkennt in diesen Störungen der Normalität Referenzen an die Definition des Cyborgs als Mischwesen von Mensch und Maschine.161

159 S. Balsamo, 1996: 1 und 6-9. 160 Drux, 1999: 46. 161 Jobling, 2002: 14-15.

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Abbildung 14: : Andrea Giacobbe: ›Simplex Concordia‹.

In: The Face, Juli 1996.

Obwohl in der Fotostrecke genauere Erläuterungen ausbleiben, affirmiert die Vermengung von vertrauten und befremdlichen Elementen eine Deutung in diese Richtung. Ein zerbrochenes Glas mit milchiger Flüssigkeit, das Blut an ihren Füßen, die Blume im Vordergrund des Eröffnungsbilds oder die Andeutung des Stillens wirken innerhalb des futuristischen Szenarios ebenso vertraut wie die am Boden verstreuten Kabel oder der Blick aus den Fenstern auf die grüne Bepflanzung und die abgeblätterte Fassade eines Gebäudes. Dadurch wird das Gesehene in eine Zeit verlagert, die nicht allzu weit von der eigenen Gegenwart entfernt zu sein scheint. Diese Lesart unterstützend, lässt sich auch der Untertitel der Strecke ›End of the millenium paranoia seeks spiritual salvation. All reasonable offers considered‹ als Verweis auf die Angst vor dem bevorstehenden Jahrtausendwechsel auslegen. 162 Im feministisch ausgerichteten Diskurs zum gegenwärtig bereits hochtechnologischen Zusammenleben hat sich das hybride Wesen des Cyborgs (Cybernetic Organism) als Repräsentant der Aufhebung der Grenzen von Mensch und Maschine etabliert. Insbesondere durch Donna Haraways 1991 verfasstes A Cyborg Manifesto ist der Cyborg zur Leitfigur für sich verändernde Konzepte von Körper und Identität geworden. Für Haraway eröffnet er den Weg in eine »post-gendered« Welt, in der althergebrachte Machtstrukturen, die durch Geschlecht und Rasse bedingt wer-

162 Vgl. Jobling, 2002: 5-7 und 11-15.

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den, überwunden werden können. In ihrer streckenweise utopisch anmutenden Schilderung sagt sie voraus, dass wir zu Ende des 20. Jahrhunderts alle Cyborgs sein werden.163 Allerdings ist der Cyborg in Haraways Sichtweise kein futuristisches Geschöpf, sondern repräsentiert den technologischen Alltag.164 Eva Shapiro fasst die Beschaffenheit des technologischen Zeitalters in ähnlicher Weise zusammen: »A cyborg world is one where technologies have become so intertwined with modern life that humans have become a hybrid of machine and organism. As such, we are fragmented individuals composed and recomposed of multiple, contradictory, fluid and fractured selves.«165 Die Technologien der Cyber-Ära bieten verschiedene Möglichkeiten zur Flucht vor dem realen Körper und lassen Vorstellungen von einer dem Körper eingeschriebenen Identität mehr denn je fragil erscheinen. Der abstrakte Raum des Internets bietet dem Nutzer zum Beispiel die Möglichkeit, sich selbst zu erfinden und eine fiktive Identität zu konstruieren. Festlegungen auf Geschlecht und Rasse können hier im Sinne Haraways aufgehoben werden. Konträr zur persönlichen Konstruktion und Präsentation des Selbst im virtuellen Raum (exemplarisch seien hier virtuelle Welten wie Second Life oder im allgemeinen das Chatforum als Sphäre der Kommunikation und Selbstdarstellung genannt) artikuliert die visuelle Körpergestaltung im Kontext der Mode keine individuelle Erschaffung des Körpers, sondern trägt in direkter Weise zur kollektiven Formung der Wahrnehmung von Körperlichkeit bei. Gerade in der Mode- sowie Werbefotografie wird die digitale Bildbearbeitung schon lange und meist nicht augenscheinlich zur Anpassung des fotografischen Subjekts an ein gesellschaftliches Idealbild eingesetzt. Ähnlich wie der virtuelle ist auch der fotografierte Körper mittels Digitaltechnik konstruierbar und auswechselbar geworden. So wird zum Beispiel Nadja Auermann, die in Realität dem nordisch hellen Typ entspricht, bei Seb Janiak zur dunkelhäutigen Schönheit (Amica, 1997). Der Verlust einer unveränderlichen physischen Identität kann sowohl gesellschaftliche Unsicherheiten auslösen als auch den persönlichen Wunsch nach Befreiung von inhärenten Merkmalen erfüllen. Modefotografien der 90er Jahre stellen den Menschen unter anderem in ver-

163 Haraway, 1991: 149-150 und 181. Haraway fasst die traditionsbrechende Qualität des Cyborgs und die hierdurch implizierte Bedeutung für den Feminismus im abschließenden Satz des Manifestes zusammen: »I would rather be a cyborg than a goddess.« Zu Ursprung und Definition des Begriffs Cyborg s.a. Du Preez, 2009: 125-126. 164 Es ist in der Tat auffallend, dass die bedeutenden Beiträge zu diesem Forschungsbereich in der Regel von Autorinnen stammen. So äußert sich auch Jennifer Gonzáles zum Gegenwartsbezug von Cyborg-Darstellungen: »Visual representations of cyborgs are thus not only utopian or dystopian prophesies, but are rather reflections of a contemporary state of being.« Gonzáles, 2000: 58. 165 Shapiro, 2010: 93.

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flüssigter (Andrea Giacobbe: Brooklyn 1996 in: Cube, 1998), vernetzter (Stéphane Sednaoui für: Plein Sud, 1996), sich auflösender (Mike Thomas: ›The Difference is Clear‹ in: Dazed & Confused, Oktober 1998) oder verzerrter (Stéphane Sednaoui: Mary Anne in: Jalouse, 1999) Form dar. Die Grenzen zwischen Körper und Außenwelt sowie Form und Inhalt werden aufgelöst.166 Dabei scheint eine soziale Identität, wie sie zum Beispiel Barneys Portraitierten so fest anhaftet und sich in Gestik und Geschmack ausdrückt, ebenso an Gültigkeit und Bedeutung zu verlieren wie geschlechterspezifische Rollenmuster, die Meisel beispielsweise in traditionelle Familienkonstruktionen einbettet (Abbildung 4). Überwindung der Körperlichkeit Im Hinblick auf den Körper in der Cyber-Ära verzeichnet Amanda du Preez zwei Haupttrends: Der eine zielt auf eine Verbesserung des Körper ab, während der andere die Überwindung anstrebt, um in ein Stadium der Transformation zum CyberBewusstsein zu gelangen.167 Künstler wie Orlan und Stelarc haben mittels chirurgischer Eingriffe am eigenen Leib die Modifizierbarkeit und technologische Konstruierbarkeit des Körpers zum zentralen Gedanken ihres künstlerischen Schaffens erklärt. Die Loslösung des Bewusstseins vom physischen Körper steht konträr zur Fixierung auf den Körper, der in Zeiten modernster medizinischer Forschung immer kontrollierbarer und formbarer geworden ist und dennoch stets neuen Bedrohungen, wie zum Beispiel dem HI-Virus oder BSE verseuchter Nahrung, ausgeliefert ist. »Nowhere to hide from our bodies ourselves, we have no other choice but to comply and live cleanly; docile creatures practice safe sex or self destruct«168, beschreibt Anne Balsamo die Konsequenzen hinzukommender Risiken. Phil Poynter zeigt in ›I Didn’t Recognize You With Your Clothes On‹ (Dazed & Confused, November 1998) nur bekleidete Hüllen, deren unsichtbare Körper in diversen Settings sexuelle Aktivitäten verrichten. Das Verschwinden des Körpers verwandelt die Bilder in ›hygienische‹ Wiedergaben des sexuellen Treibens und erzeugt eine humorvolle Wirkung, da sowohl der Akt des Geschlechtsverkehrs als der des Ankleidens an den fleischlichen Körper gebunden ist. Durch die alltäglichen Schauplätze – unter anderem ein Zugabteil, eine Lichtung im Grünen sowie öffentliche Toiletten − wird das Geschehen nicht als Vorausschau auf zukünftige Entwicklungen, sondern als Kommentar auf die Gegenwart ausgelegt. Während der Körper als Fläche, auf der sich eine individuelle Erkennbarkeit abzeichnet, in Poynters Modestrecke bedeutungslos wird, tritt Kleidung als Mittel der Differenzierung

166 Poschardt stellt der Auflösung die Betonung auf schärfere Körperkonturen gegenüber, wie sie in Nick Knights Arbeiten häufig zu sehen sind. Poschardt, 2002: 214. 167 Du Preez, 2009: xv. 168 Balsamo, 1996: 6.

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ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Praktizierte Sexualität wird auf paradoxe Weise zugleich als allgegenwärtig und natürlich sowie körperlos und künstlich steril dargestellt. In Form der ironischen Umkehrung weist der Titel auf das Verhältnis von Kleidung, Sexualität und Identität hin. Die Absage an den fleischlichen Körper impliziert eine Gleichheit, die lediglich durch die Schmückung der Hülle gebrochen wird. Im Monat zuvor ist in Dazed & Confused das Gegenstück zu Poynters Fotostrecke erschienen. Models, deren Körper an den von Textilien bedeckten Stellen transparent sind, posieren auf der Straße vor dem Hintergrund einer Baustelle. Schnitt und Form der Kleidungsstücke sind nur durch die verzerrte Durchsicht zu erahnen. Gemustert werden die Posierenden von einem Passanten, dessen Erscheinung allzu gewöhnlich anmutet. Der Kontrast weist auf den Unterschied von individuell genutzter Kleidung und stetig wechselnder Mode hin. Mike Thomas’ ›The Difference Is Clear‹ (Oktober 1998) umkreist die Themen Mode und Flüchtigkeit und nutzt die Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung zur Erzeugung von unerwarteten Effekten. Poynters Arbeit bewegt sich über diese Ebene des effektvollen Bildes hinaus, indem er Elemente des Sexuellen integriert und die gesellschaftliche Angst vor einer ›Verunreinigung‹ des Körpers durch sexuell übertragbare Krankheiten als Deutungsansatz aufgreift. Das Bedürfnis nach äußerlicher Vervollkommnung sowie Instandhaltung des Körpers auf der einen Seite und die Sehnsucht nach Überwindung von Körperlichkeit auf der anderen Seite, lassen ein ambivalentes Körperbewusstsein erahnen. 4.2.2 Die Frage nach dem Original Zu Beginn der 80er Jahre greift Ridley Scott die Idee des fotografischen Dokuments in seinem Film Blade Runner auf. Die Geschichte um den Replikanten jagenden Rick Deckard spielt in Los Angeles im Jahr 2019 und zeichnet eine düstere Vision der Zukunft.169 Mit diesem Ansatz fällt der Film unter das Subgenre Cyberpunk, ein Begriff, der sich im Zuge der Rezeption des 1984 erschienen Romans Neuromancer von William Gibson etabliert hat. Die Definition ist bezeichnend für Erzählungen, in denen die Zukunft als Dystopie dargestellt wird und die Stadt zu einem düsteren Schauplatz von Gewalt und Skrupellosigkeit geworden ist. Der technologische Fortschritt übt zwar eine gewisse Faszination aus, erweckt jedoch (in der Regel zu Recht) in erster Linie Misstrauen.170 Zentraler Inhalt von Blade Runner ist der Einsatz von Androiden oder Replikanten, wie sie im Film genannt

169 Der Film basiert in groben Zügen auf der Literaturvorlage Do Androids Dream of Electric Sheep? (1968) von Philip K. Dick. 170 Zum Subgenre Cyberpunk s. Bould, 2005: 217-231.

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werden, durch den Menschen. Als künstlich erschaffene Lebensform ist ihre Lebensspanne begrenzt und um sie unter Kontrolle zu halten, sind ihnen Erinnerungen eingepflanzt worden, durch die sie sich ihrer Existenz als Replikanten nicht bewusst sind. Der Vergleich von Mensch und Replikant und dessen Handeln und Fühlen stellt die Frage zur Diskussion: Wie wird Identität durch Erinnerung geformt und wodurch zeichnet sich Menschlichkeit aus?171 Anhand visueller Anhaltspunkte versuchen die Protagonisten, die Wahrhaftigkeit ihrer persönlichen Erinnerungen zu bestätigen und Fotografien dienen ihnen dabei als Instrumente, um sich der eigenen menschlichen Herkunft zu versichern. Die althergebrachte Auffassung von der Fotografie als Dokument knüpft an Theorien zum Medium an, die von der Spur eines Referenten ausgehen. Benjamins Beschreibung der Fotografie als Möglichkeit, »für die Dauer und eindeutig Spuren von einem Menschen festzuhalten«172, basiert, ähnlich wie Barthes’ fotografisches Prinzip des ›Es-ist-so-gewesens‹, auf der Voraussetzung des Vorhandenseins eines realen Originals.173 Allerdings haben die Innovationen der digitalen Bildherstellung die Zeugenschaft der Fotografie als zweifelhaft enthüllt. Der Übergang von analoger zu digitaler Fotografie eröffnet einen Körperdiskurs, dessen Überlegungen sich auch in Scotts Film entdecken lassen und die um die Schlagworte Einzigartigkeit, Künstlichkeit und Identität kreisen. Der künstliche Idealkörper In van Lamsweerdes & Matadins Joanna (1995) wird der Betrachter mit dem Anblick von zwei makellosen, perfekt geformten, groß gewachsenen Blondinen konfrontiert − die eine, das Ebenbild der anderen. Erhaben posieren sie in hautengen Kleidern aus dem Hause Hervé Léger, für die das Bild wirbt.174 Vor den flächig anmutenden Mustern der Architektur und dem pastellfarbenen Hintergrund erheben sich ihre Körper zu Fleisch gewordene Illusionen.175 Die Gleichheit ihrer Schönheit wirkt in der surrealen Umgebung umso verstörender. Tatsächlich handelt es sich um das gleiche Model, das am Computer idealisiert und verdoppelt worden

171 Blade Runner ist von der Wissenschaft ausführlich besprochen worden. Deborah Knight und George McKnight beschäftigen sich z.B. in ihrem Aufsatz im Hinblick auf die Kernfrage, die Bedeutung von Menschlichkeit. Weiterführend s. Knight/McKnight, 2008: 21-37. 172 Benjamin, 1974 [a], 46. 173 Barthes, 1985 (b): 86-87. 174 Abgebildet in: Nickerson/Wakefield, 1996: 85. 175 De Perthuis beschreibt die künstliche Umgebung als trompe l’oeil-Setting. Vgl. De Perthuis, 2008: 171.

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ist. »You could never find this girl once, much less twice,«176 so van Lamsweerde über die Absurdität dieser Bildrealität, die bestätigt, dass es die absolute Schönheit nur als perfekte Fotografie gibt.177 Baudrillard schildert in seiner Beschreibung einer erotischen Fotografie von Zwillingsschwestern einen ähnlichen Effekt der Wahrnehmung, wie er durch das verdoppelte Model erzeugt wird. Konsequenz des Nebeneinanders des Gleichen ist aus Baudrillard Perspektive eine Auslöschung der Sinnlichkeit des Körpers. Die Gleichheit macht die Schönheit unglaubwürdig und das Auge des Betrachters wird in ein Hin-und-Her-Wandern zwischen dem Gleichen verstrickt. Diese unendliche Brechung der Aufmerksamkeit macht den Reiz der Verdopplung aus, die zugleich den Tod des Originals und die Wandlung zur reinen Repräsentation bedeutet.178 Aufgewachsen mit den Bildern von Newton und Bourdin, erachtet van Lamsweerde die Körperkonstruktionen der beiden Künstler als prägend für ihre eigene Vorstellung vom idealen Frauenkörper.179 Wenn Karl Lagerfeld zur Beschreibung von Newtons Vorliebe für die blasse und üppig gebaute Frau den Begriff »Nordfleisch« verwendet, weist dies Parallelen zu Collier Schorrs Typisierung von van Lamsweerdes bevorzugtem Model als arische Erscheinung auf.180 Des Weiteren ordnet Schorr diese Fixierung auf ›fleischfarbene‹ Haut der Tradition des Schönheitsbildes des westeuropäischen Künstlermodells zu.181 Die Vertrautheit mit diesem Schönheitsbild führt zu einer Simplifizierung auf einen bestimmten Typ. Doch die evidente Künstlichkeit, die sowohl Newtons als van Lamsweerdes & Matadins Darstellungen des Körpers anhaftet, verleiht den Models eine verstörende Fremdartigkeit. Durch die perfekte Oberfläche des Gesamtbildes wird dieser Eindruck in den Arbeiten des Künstlerduos noch gesteigert. Die beiden Körper der Joanna sind sowohl Produkte ihrer Erschaffer als auch der zeitgenössischen Technik und repräsentieren dadurch ein Ideal, das zum einen als Bild umso aneigbarer und dafür in der Realität umso unerreichbarer erscheint. Van Lamsweerdes & Matadins Bildnis der doppelten Joanna ist exemplarisch für die künstliche Steigerung von Schönheit im digitalen Bild. Karen De Perthuis folgert hieraus, dass das synthetische Ideal von Modebildern letztendlich das Ende des von Baudelaire geschilderten unendlichen Strebens der Annäherung an ein Ideal markieren könnte.182 Zwar ist die Wiedergabe eines Ideals in Form des Bildes um-

176 Inez van Lamsweerde zit. in: Brubach, 1997: SM24. 177 Vgl. Bolz, 1996: 21. 178 Baudrillard, 1982: 111 und 115. 179 Inez van Lamsweerde in: Cotton, 2000: 134. 180 Lagerfeld, 1982: 8 und Schorr, 1996: 214. 181 Schorr, 1996: 214. 182 Vgl. De Perthuis, 2008: 170-171 und Baudelaire, 1990 [a]: 301.

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setzbar geworden, dennoch unterliegen Vorstellungen von Schönheit dem Wandel der Mode und sind demnach von Unbeständigkeit gezeichnet. Doch je weiter sich der reale Körper durch kosmetische und medizinische Eingriffe der Erfüllung des Traumes von einer makellosen Hülle anzunähern scheint, umso unerreichbarer scheinen die perfekten Ideale zu werden, mit denen der Betrachter von Modebildern konfrontiert wird. Das Zeitalter des Klons: Manhattan 1996, 1998 Giacobbe veröffentlicht 1998 in Cube eine Fotografie, die ebenso beängstigend wie vertraut erscheint (Abbildung 15). Zwei sich gleichende weibliche Figuren knien auf dem Boden eines Innenraums, den Rücken einander zugewandt. Die eine ist beinahe vollständig entkleidet, wohingegen die andere im dunklen Anzug umso bekleideter erscheint und die Formen ihres Körpers nur durch ihr nacktes Ebenbild zu erahnen sind. Abbildung 15: Andrea Giacobbe: Manhattan 1996.

In: Cube, 1998.

An den kahlen Köpfen durch einen breiten Schlauch miteinander verbunden, wenden sie sich mit ihren Oberkörpern voneinander ab. Die gewebeartige Aderstruktur der Verbindung wird durch einen leuchtenden Lichtball von innen erhellt.Die bizarre Szene spielt sich in einem gewöhnlichen Wohnraum ab. Das Grün der Zimmerpflanze und der Wand sowie die organisch anmutende Verknüpfung versetzen das Geschehen nicht in eine hoch-technologisierte Umgebung, sondern lassen es beinahe natürlich wirken. In Anlehnung an Haraways Thesen könnte man das Bild als

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Repräsentation des Zustandes des modernen Menschen auslegen. Bestärkt wird dieser Eindruck durch das vor der Unbekleideten platzierte Telefongerät, das auf die komplexe Beziehung von technologischer Kommunikation und Körperlichkeit hinweist. Der Titel der Fotografie, Manhattan 1996, imitiert die dokumentarische Tradition des Orts- und Zeitverweises und versetzt das Gesehene hierdurch in die Vergangenheit. 1996 war das Jahr, in dem die Geschichte des geklonten Schafes Dolly in den Medien diskutiert wurde und die Frage aufwarf, inwieweit die Fortschritte der Genforschung die Einzigartigkeit des Menschen bedrohen. Baudrillards Unterscheidung in drei Ordnungen von Simulakren veranschaulicht den einschneidenden kulturellen Bruch, der mit einer sich wandelnden Begrifflichkeit des Originals einhergeht. Laut Baudrillard folgt der ersten Ordnung der Imitation im industriellen Zeitalter die zweite Ordnung der Produktion. Der Roboter löst den Automaten ab, der, statt auf größtmögliche Ähnlichkeit zum Menschen, auf Arbeit und Produktion ausgerichtet ist. Die in Serie produzierten Objekte sowie die produzierenden Menschen sind nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Le Gouès Fotografie Robot Emma S (Glamour (FR), 1991) veranschaulicht diesen Effekt: Die Bewegungen eines in metallischer Montur gekleideten Frauenkörpers wurden als Bildserie festgehalten und anschließend zu einem Einzelbild kombiniert. Durch die Reihung wird der Körper multipliziert und verliert an Einzigartigkeit. Baudrillard zufolge wird die Produktion von der dritten Ordnung, der Simulation, abgelöst, wodurch die Gesellschaft in das Zeitalter des Codes eintritt, das sich mitunter in der DNAForschung offenbart. Anstelle von Gleichheit sind distinktive Abweichungen und die Zugehörigkeit zu einem Modell als Referenz-Signifikanten entscheidend.183 Giacobbes Bild lässt nicht nur Zweifel an der Einzigartigkeit des Individuums aufkommen, sondern auch an der Existenz eines Originals. Indem die Zuordnung der Körper zu Original oder Kopie von unterschiedlichen Lesarten vorangetrieben wird, wird Unterscheidbarkeit durch Gleichheit verdrängt. Als Mittel der Unterscheidung verdeutlicht die getragene Kleidung das ambivalente Bedürfnisse nach sowohl Differenzierung und Zugehörigkeit, das der Mode innewohnt.184 Jake und Dinos Chapman legen in ihrer Serie deformierter und zusammengewachsener Schaufensterpuppen den Nachdruck auf die Schrecken des Gleichen und weisen darüber hinaus auf die Parallelen von Mode und Klonforschung hin. Abgesehen von den gleichen Markenturnschuhen ist die miteinander verwachsene Gruppe von Kinderfiguren in Zygotic acceleration, Biogenetic de-sublimated libidinal model (enlarged x 1000) (1995) nackt.185 Auch in der Serie Tragic Anatomies (1996) sind

183 Baudrillard, 1982: 79-93. 184 Vgl. Simmel, 1986: 180-181. 185 Loring Wallace, 2008: 164-165.

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die Puppen unbekleidet und mit den stets gleichen Markenturnschuhen ausgestattet. Lediglich die verschiedenen Arten von Körperanomalien fügen Abweichungen hinzu, aber funktionieren zugleich als verbindende Komponente, durch die eine Zugehörigkeit zu einer Gruppe von tragischen anatomischen Fehlbildungen erkenntlich wird. Giacobbes Gegenüberstellung von nacktem und bekleidetem Körper ist in ähnlicher Weise sowohl Merkmal der Abweichung als auch der Zugehörigkeit. Statt möglichst individuell wirkender Kleidungsstücke wird ein schwarzer Anzug eingesetzt und dadurch auf die Uniformität der Mode verwiesen. Giacobbes Fotografie für Cube umkreist diverse Fragestellungen, den Zustand des fortschrittlichen Menschen und die Stabilität seiner menschlichen Identität betreffend. Letztendlich erkennt sie doch in erster Linie an, dass die Frage nach einem Original im digital erstellten oder manipulierten Bild nicht mehr relevant ist. Die Botschaften von Modefotografien sind komplex und mehrdeutig geworden. Oftmals ist den Bildern nicht eindeutig zu entnehmen, welche Wirkung beabsichtigt wird. Denn der Schrecken liegt nicht unbedingt in dem Dargestellten selbst, sondern seiner Auslegbarkeit, in der ein Zweifel am Fortschritt und seinen Auswirkungen auf Mensch und Menschlichkeit bestehen bleibt. Eine ähnliche Stimmung wird 1992 in der Ausstellung Post Human eingefangen, die sich thematisch den Auswirkungen von neuen technologischen Möglichkeiten auf Individuum und Gesellschaft sowie der Position des Künstlers innerhalb dieser Prozesse widmet. Inwieweit die stetigen Neuerungen und Weiterentwicklungen argwöhnisch verfolgt werden, hat der Kurator Jeffrey Deitch zum Ausdruck gebracht: »There is a sense that we are advancing but not progressing.«186 4.2.3 Faszination des Anderen Es ist auffallend, dass das modische Ideal konventionell auf Gleichheit ausgerichtet ist. Eine reale Vielfalt von Hautfarben, Geschlechtskonstruktionen, Altersklassen und Körperformen wird in der Mode meist auf eine formelhafte Erscheinung von Schönheit reduziert. Jason Evans’ Portraits dunkelhäutiger Dandys (Abbildung 11) zielen ebenso auf ein Bewusstwerden von stereotypen Wahrnehmungsmustern ab, wie Nick Knight sie zum Beispiel durch den Einsatz von Models, die von den Standardmaßen abweichen (Sophie Dahl für Alexander McQueen, in: i-D, März 1997) oder die gewohnte Altersgrenze überschreiten (Original Wearers, Red TabKampagne für Levi Strauss, 1996), zu überwinden beabsichtigt. Andersheit bezieht sich in der Mode hauptsächlich auf die Darstellung des Ungewohnten, das allerdings zügig eine Wandlung zum Gewohnten erfährt. Des Öfteren ist zu beobachten, wie im Zuge des Versuches, das ethnische Repertoire der Modefotografie zu erwei-

186 Jeffrey Deitch in: Kat.Ausst. Post Human, 1992: 39.

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tern, das Ungewöhnliche als etwas Fremdartiges dargestellt wird. In diesen Fällen wird Andersheit (womit hier der ungewohnte Anblick eines Models gemeint ist, das nicht dem vereinheitlichten westlichen Typus entspricht, der von der Modeindustrie noch stets bevorzugt wird) mit Ideen von Fremdartigkeit verknüpft. In Steven Spielbergs Film E.T. The Extra-Terrestrial (1982) steht die kindlich unschuldige Neugierde für das Fremde im Fokus. Im Vergleich zu anderen bekannten Filmen des Genres mutet Spielbergs Verkörperung des Unbekannten jedoch beinahe naiv an. Ähnlich unbekümmert wirkt auch das kleine außerirdische Wesen einer Peter Lindbergh Fotografie aus dem Jahr 1990 (Vogue (IT), MärzAusgabe), das im Raumanzug neben Helena Christensen durch eine wüstenhafte Landschaft läuft. Im Gegensatz zu Lindberghs harmloser Darstellungen des Außerirdischen ist das Fremde, das in seiner äußeren Erscheinung dem Menschen durchaus gleichen oder ähneln kann, häufig Projektionsfläche für die kollektive Angst vor Andersartigkeit. Durch die Verfremdung des menschlichen Körpers werden Antagonismen wie Menschlichkeit und Nicht-Menschlichkeit, Vertrautheit und Fremdartigkeit oder Natürlichkeit und Künstlichkeit aufgehoben und die Repräsentation des Fremden wirkt umso faszinierender. Transformation des Ungewohnten Devon Aokis Portrait (Abbildung 8) in Visionaire (1997) ist beispielhaft für die Zusammenführung von Tradition und Zukunft sowie Natur und Künstlichkeit, durch die Aoki zu einem undefinierbaren Wesen wird. Ebenfalls für Alexander McQueen fertigt Knight 1997 ein Aktbild von Debra Shaw (Abbildung 16) an, das der Designer als Einladungskarte für seine Laufstegshow It’a a Jungle Out There (Herbst/Winter 1997/1998) versendet.187 Im Moment der Aufnahme befindet sich Shaw inmitten einer rhythmischen beinahe tanzenden Bewegung. Die Untersicht und leichte Krümmung verstärken die Dynamik und erzielen transformierte Körperproportionen. Oberhalb der Brust und aus der Seite der Rippen entwachsen dem Körper geschwungene Formen, die an Tierkrallen oder -hörner denken lassen. Das Heu zu ihren Füßen und die ungebändigte Frisur rufen ähnliche animalische Assoziationen hervor. Die glänzende Oberfläche von Haut und Hörnern wirkt kühl und metallisch. Im Gegensatz zu den Brüsten ist der Unterleib bedeckt und erscheint geschlechtsneutral. Shaws Körper hat eine bildliche Transformation zum Mischwesen unterlaufen, das weibliche und androgyne, menschliche und animalische, natürliche und künstliche sowie primitive und futuristische Kennzeichen vereinigt und durch die befremdliche Wirkung den Blick fesselt. McQueens Vorliebe für die Kombination von scheinbaren Widersprüchen zeigt sich in seinen Entwürfen und Laufstegshows (oftmals historische Motive und

187 S. De Perthuis, 2008: 173.

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moderne Schnitte, Schönheit und Verfall, Romantik und Gewalt) und lässt sich auch in Knights Darstellung des Körpers entdecken. Die Inszenierung der Frau als fremdartiges Wesen, das durch seine Andersheit bedrohlich wirkt, gibt das Frauenbild wieder, das der Designer zu erschaffen beabsichtigt: »Everything I’ve done [since then] was for the purpose of making women look stronger, not naïve. I want to empower women. I want people to be afraid of the women I dress.«188 Abbildung 16: Nick Knight: Debra Shaw für Alexander McQueen, 1997.

Die Geschlechtslosigkeit Shaws verweigert Andeutungen einer sexuellen Verfügbarkeit und verweist zugleich auf den konstruierten Ursprung der Kreatur, der den Körper selbst in den Bereich des Modischen überführt und die Wiedergabe von Kleidungsstücken redundant macht.189 Der fiktive Charakter der Darstellung verleiht dem Bild eine visionäre Wirkung und erhebt den Körper zum Repräsentanten

188 Mit dieser Aussage wehrte sich McQueen gegen die Anschuldigung, er habe in seiner Highland Rape-Show (Herbst/Winter 1995/1996) Gewalt an Frauen verherrlicht. Der Hinweis »since then« bezieht sich auf einen familiären Vorfall, bei dem er als Junge beobachteten musste, wie seine ältere Schwester von ihrem Mann misshandelt wurde. Alexander McQueen zit. in Fox, 2012: 39. Vgl. auch Evans, 2003: 148-149. 189 S. De Perthuis, 2008: 174. Vgl. auch: »Heute ist der Körper selber […] zum Material der Mode geworden − die Kleidung ist dabei nur noch Spezialfall.« Baudrillard, 1982: 138.

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der Mode, der durch seine fremdartige Gestalt das Bedürfnis des Sich-Abhebens von der Masse anspricht. Das Fremdartige ist somit weniger als Ausdruck des individuellen Anderen zu begreifen, sondern vielmehr als übergreifendes modisches Konzept. Das vertraute Fremde McQueen hat im Anschluss an eine traditionelle Herrenschneiderausbildung in der Londoner Savile Row 1992 erfolgreich sein Modedesignstudium beendet und daraufhin mehrere aufmerksamkeitserregende Schauen ausgerichtet. Charakteristisch für seine Kollektionen sowie die dazugehörigen Laufstegshows ist eine unverwechselbare Theatralik. Auf dem Laufsteg wird nicht nur ersichtlich, dass die saisonalen Kollektionen konzeptuell auf ein bestimmtes Thema ausgerichtet sind, sondern es zeigt sich auch sein ausgeprägter Hang zum Geschichtenerzählen.190 Dabei ist es nicht sein Anliegen, kommerzielle Schönheit und Perfektion in Szene zu setzen. Er bricht stattdessen mit den Erwartungen, die der Zuschauer einer Modenschau üblicherweise mitbringt und bekräftigt: »I don’t want to do a cocktail party, I’d rather people left my shows vomiting.«191 Knights Fotografien für McQueen veranschaulichen zugleich, wie sich das Fremdartige zur Konstruktion des modischen Körpers eignet und sich die Modepräsentation auf dem Laufsteg und im Bild ergänzen. Für die Show Joan schickt der Designer 1998 Models mit roten Kontaktlinsen, die ihnen eine dämonische Ausstrahlung verleihen, über den Laufsteg.192 Er lässt die Show in einem spektakulären Finale enden, bei dem das Model von einem Feuerring eingeschlossen wird. Dem Namen der Kollektion sowie dem Ende durch den symbolischen Scheiterhaufen sind eindeutige Bezüge zum Martyrium von Jeanne D’Arc zu entnehmen. Mit der historischen Leitthematik brechend, tragen einige der Models zusätzlich zu den roten Augen futuristisch anmutende Flechtkränze auf kahlen Häuptern. Knights Fotografie (The Face, April 1998) zur Kollektion zeigt Shirley Mallman unbekleidet auf einem Nagelbrett liegend (Abbildung 17). Obwohl die Spitzen sich in ihre Haut bohren, verursachen sie keine Spuren der Verletzung. Im Gegensatz zum vernetzten, verflüssigten oder aufgelösten Körper weisen die Konturen bei Knight eine Klarheit auf, die den Körper zum einen in eine glatte Oberfläche verwandelt und ihn zum anderen deutlich von seiner Umgebung abgrenzt. Genau wie Shaws Unter-

190 Gainsbury beschreibt McQueen explizit als Geschichtenerzähler: »He was a storyteller and the stories he wanted to tell weren’t about a girl walking up and down a white runway.« Sam Gainsbury zit. in: Fox, 2012: 98. Weiterführend s. Evans, 2003. 191 Alexander McQueen zit. in: Khan, 2000: 118. 192 Kristin Knox und Chloe Fox beschreiben die Models als »satanic serpents«. Knox, 2010: 24 und Fox, 2012: 53.

K ÖRPERINSZENIERUNGEN : P OSEN , R ÄUME UND I LLUSIONEN | 193

leib ist auch Mallmans puppenhaft geschlechtsneutral und gibt den Körper als Kreatur der Technologie und Mode zu erkennen. Abbildung 17: Nick Knight: Shirley Mallman für Alexander McQueen.

In: The Face, April 1998.

Trotz der dargestellten Gewalt stößt die Szene nicht ab, sondern wirkt durch die Ästhetik des digitalen Bildes und der perfekten Oberfläche anziehend. McLuhan beschreibt 1951 die Auswirkungen von Werbung auf die Wahrnehmung des Körpers als »a sort of love-machine capable merely of specific thrills [...] which reduces sex experience to a problem of mechanics and hygiene.«193 Des Weiteren geht er auf die Parallelen von Sensation und Sadismus ein und erkennt verschiedene Auswege zur Befriedigung ungestillter Bedürfnisse. Denn wird der sexuelle Akt als mechanisierter Vorgang empfunden, gehen, so McLuhan, manche dazu über, ihre Befriedigung in körperlicher Gewalt, Folter, Selbstmord oder Mord zu suchen.194 Die Folter des Wesens sowie die Darstellung des nicht vorhandenen Geschlechts wirken unnatürlich und steril, Wunden oder austretendes Blut sind nicht erkennbar. In Powers of Horror. An Essay on Abjection stellt Julia Kristeva den Zusammenhang zwischen Körperflüssigkeiten und der fragilen Unterscheidung von Objekt und Subjekt sowie zwischen dem Selbst und dem Anderen dar. Ausscheidungen des eigenen Körpers signalisieren einen Einbruch des Realen in das alltägliche Leben und sind traumatischen Erfahrungen gleichzusetzen. Zur Wahrung der Grenzen und der Differenzierung zum Abjekten, dem Verworfenem, setzt Ekel als Bewältigungsstrategie ein.195 Der Verzicht auf ekelerregende Elemente in der Fotografie erzeugt ei-

193 McLuhan, 2001 : 99. 194 McLuhan, 2001: 100. 195 Kristeva, 1982: besonders 1-13 und 69-79.

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nen ambivalenten Effekt: Einerseits bleibt der Schock des Inhalts aus und andererseits kann der Betrachter das fremdartige Wesen nicht eindeutig dem Subjekt- oder Objekthaften zuordnen. Die unmenschliche Erscheinung des unverwundeten Körpers und die spezifische Ästhetik des digitalen Bildes ermöglichen dem Betrachter einen Blick, der trotz der dargestellten Gewalt nicht erschüttert wird. Dennoch bleibt ein Gefühl der Verunsicherung, das von der Intensität der roten Augen und deren verlaufenden Konturen ausgeht. Die Assoziation zu menschlichem Blut regt die Überlegung an, inwieweit dieses Geschöpf auch abgesehen von seiner Hülle dem Menschen ähnelt. Im Hinblick auf das Genre des Science-Fiction-Films hat die Darstellung von Menschlichkeit und ihrer Bedrohung im Laufe der Zeit eine konzeptuelle Wandlung erfahren. In jüngeren Filmen wird eine deutlich komplexere Auffassung von Menschlichkeit wiedergegeben als es im Rahmen des gängigen ›it-versus-us‹Entwurfs möglich ist. 196 Dementsprechend erkennt Vivian Sobchack in zeitgenössischen Darstellungen des fremdartigen Anderen, dem Alien, die Verkörperung unseres entfremdeten Selbst. Dabei wird das Alien oft menschlicher als der Mensch oder ebenso anders wie der Mensch wahrgenommen. Sobchack unterscheidet zwischen zwei narrativen Konstruktionsweisen, deren Gemeinsamkeit darin liegt, dass Merkmale der Verschiedenheit und Andersheit bestehen bleiben. Wobei dies in der konservativen Konstruktion zu Gunsten der Homogenität geschieht − der Mensch als Referenzgattung bleibt zwar erhalten, aber im Vergleich zum Alien wirkt er ebenfalls anders. Die zweite Variante zielt hingegen auf Heterogenität ab und Andersheit wird zum verbindenden Element, durch das Unterschiede irrelevant und Gleichheit zelebriert wird. Sobchack zufolge ist diese Konstruktion einer universellen Fremdartigkeit als Anzeichen der Verherrlichung kultureller Entfremdung zu begreifen.197 Legt man Knights Szene als Darstellung der Bestrafung für Andersheit aus, lassen sich Anknüpfungspunkte zum Spannungszustand ausmachen, in den das Individuum durch die Mode versetzt wird. So gibt die Mode auf der einen Seite doch immer wieder vor, wie der Einzelne sich dem Kollektiv äußerlichen anpassen soll, und hebt auf der anderen Seite das Sich-Abgrenzen und modische Hervorstechen aus der Masse als erstrebenswerte Qualitäten hervor. Zuschreibungen, was als das

196 Sontag widmet sich dem Genre 1965 in ihrem Aufsatz The Imagination of Disaster und erkennt eine Reflektion weltweiter Ängste. In ihrer Schilderung zum filmischen ›itversus-us‹-Entwurf, beschreibt sie die Gefahr von einer unpersönlichen Bedrohung ausgehend, deren Ziel nicht nur das Töten, sondern die Entmenschlichung der Menschheit ist. Dies wird durch die Auslöschung der individuellen Persönlichkeit erreicht. Sontag, 2009: 220-224. 197 Sobchack, 2000: 137-142.

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Gleiche und das Andere empfunden wird, sind stets wandelbar, da sie der Wahrnehmung der eigenen Position und Situation unterliegen und im Umkehrschluss grundlegend für den Prozess der Definition des Selbst sind.198 Damit einhergehend ist auch die Wahrnehmung, in welchem Maß das Andere fremd erscheint, nicht beständig.199 In Anbetracht des konstanten technologischen Fortschritts werden die Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Raum, Zeit und Körper stets bewusster wahrgenommen und das Phänomen der Entfremdung wird somit zu einem vertrauten Zustand. Dieser Prozess des Bewusstwerdens kommt im digitalen Bild durch die Vermengung von Vertrautem und Fremdem zum Ausdruck. Zugleich stellt die Hinwendung zum Fremdartigen den Versuch dar, Gleichheit mittels Andersheit zu durchbrechen. Dies führt zu dem Resultat, dass Andersheit selbst zur Mode erklärt wird.

4.3 Ü BER

DAS

(R E -)K ONSTRUIEREN

VON I DENTITÄT

Mit Bolz argumentierend ist es nachvollziehbar, »daß angesichts fortschreitender Simulationstechnologien die Sehnsucht nach Authentizität immer größer wird.«200 Demnach ist die Entwicklung innovativer fotografischer Technologien, Bolz zufolge, nicht als Gefährdung der traditionellen Fotografie zu verstehen, sondern vielmehr als Chance zur Neupositionierung, in der sie sich als Gegenpol zur Simulation und zum Konstruktivismus der Cybersphäre inszenieren kann.201 Folglich hat sich auch die Aufteilung von Teil IV dieses Buches an der Aufspaltung in analoge und digitale Methoden orientiert: Während im ersten Teil hauptsächlich Fotografien besprochen wurden, die auf analoger Bilderzeugung basieren, richtete sich im zweiten das Augenmerk auf offenkundig digital erzeugte Bilder. Dass diese Kategorisierung sich ebenfalls auf eine Unterscheidung von zeitlichen Ebenen auswirkt, geht bereits aus Manovichs Erkenntnis hervor: Wenn »eine herkömmliche Fotografie immer auf

198 Die Zuweisung des Anderen zur Bestimmung des Selbst ist insbesondere in den Gender Studies und der Bewegung der Post Colonial Studies ein zentraler Leitgedanke. Weiterführend s. Hall: »This is not an external function, operative only against those whom it disposes or disarticulates. It is also pertinant for the dominated subjects […] who came to experience themselves as ›the inferiors‹, les autres.« Hall, 1996: 57. 199 Zur Vieldeutigkeit des Fremden, der Unterscheidung zwischen fremd und anders sowie dem Bezug zum Selbst s. weiterführend Waldenfels, 2006: 71-78. 200 Bolz, 1996: 39. 201 Bolz, 1996: 39.

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ein vergangenes Ereignis verweist, dann verweist eine synthetische Fotografie auf ein künftiges Ereignis.«202 Verbindendes Element beider Fotografietypen ist das Motiv des Körpers, der in der analogen und in der digital erzeugten Modefotografie Instrument der Inszenierung ist − sowohl zur Erzeugung von authentischen als auch von fiktiven Illusionen. Dass die technische Grundlage der Bildherstellung dabei nicht unbedingt ausschlaggebend für den beabsichtigten Effekt ist, haben die Beispiele Newton und LaChapelle gezeigt. Die Glamourfotografie stellt durch ihren Fokus auf die reine Oberfläche den Körper aus der Realität entrückt dar und verleiht ihm etwas Zeitloses. Newtons makellose Frauenkörper repräsentieren dabei ein Schönheitsideal, das nur in bildhafter Form, aber nicht in der Realität existieren kann und verweigern dadurch eine kontemplative Betrachtersituation, in der Vorstellungen von einem möglichen Ideal-Ich vorangetrieben werden. Das Ausschalten von Individualität zugunsten von Gleichheit verweist auf die Konstruierbarkeit und Reproduzierbarkeit des Körpers in und durch die Fotografie. Van Lamsweerde & Matadin schließen an die Tradition des Glamours an und steigern den Effekt der Konstruierbarkeit und Gleichheit des Körpers mit den Mitteln des synthetischen Bildes. Ähnlich wie Newton und das Künstlerduo legt auch LaChapelle die Illusion des Modefotos offen dar. Dabei rückt er den fotografierten Körper jedoch weniger als Produkt des Künstlers in den Mittelpunkt, als dass er die zeitgenössische Auffassung von Schönheit als Folge der Präsenz von Mode- und Medienbildern begreiflich macht. Das Streben nach der Verwirklichung von Idealvorstellungen ist in LaChapelles Arbeiten immer von einem Dualismus gezeichnet, durch den sich das Schöne jederzeit zum Hässlichen wandeln kann. Umso näher die reale Annäherung an ein Ideal durch fortgeschrittene Verfahren der Gestaltung des Körpers zu rücken scheint, umso ausgeprägter scheint das Risiko der Verkehrung zu werden. Die Gestaltung des Körpers ist als bedeutender Aspekt im Projekt der Reflexion über das Selbst203 gezeichnet von einer Zerrissenheit und bewegt sich zwischen dem Wunsch nach Individualität und der Prägung durch Medien und Gesellschaft, deren Vorstellungen von Schönheit in erster Linie auf Vereinheitlichung ausgerichtet sind. Vorangetrieben wird diese Ambivalenz, für die der Körper als Projektionsfläche dient, durch die Annäherung der Bereiche Mode und Technologie. Denn je erreichbarer ein Ideal durch fortschrittliche Methoden zur Verbesserung des Körpers wird, umso unerreichbarer scheint das synthetische Ideal in Modefotografien zu werden. Indem der Körper immer ausgeprägter zum künstlich erzeugbaren Objekt der Mode wird, wird er (unabhängig von der Kleidung) in ein modisches Konzept eingegliedert, das nicht Einzigartigkeit, sondern Gleichheit anstrebt. Die Hinwen-

202 Manovich, 1996: 66. 203 Giddens, 1991: 80 und 99-102.

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dung zum Fremdartigen mag als Ansatz verstanden werden, der Gleichheit und Verdrängung von Unterscheidbarkeit ein Konzept der Andersheit entgegenzusetzen. Doch auch diese Bildlösungen unterliegen der Einverleibung der Mode und können als Transformationen des Gefühls der Entfremdung (gemeint ist eine umfassende Zersplitterung) zur Mode ausgelegt werden. Theodor Adorno und Max Horkheimer legen in ihrer kritischen Schrift Dialektik der Aufklärung (Erstausgabe 1944) die Beherrschung der Natur als Grundlage von Kultur und Zivilisation aus. Damit einhergehen Prozesse der Vereinheitlichung und Entfremdung des Menschen, die sich auf alle Bereiche des Lebens erstrecken. Im Rahmen einer Analyse der Kulturindustrie werden jene Mechanismen und Auswirkungen der Herrschaft von Adorno und Horkheimer, insbesondere im Hinblick auf die Sphäre der Freizeit, untersucht. Um als Vergnügen erfahren zu werden, ist das Amüsement auf Unangestrengtheit ausgerichtet – der Zuschauer soll keine eigenen Gedanken entwickeln, Reaktionen werden ihm vorgegeben. Das Teilnehmen am Vergnügen gleicht einem Zustand der Ohnmacht, durch den der Konsument sein bloßes Einverstandensein kundtut. In der zwanghaft rationalisierten Gesellschaft herrscht, Adorno und Horkheimer zufolge, nur noch die Illusion der Individualität, der Mensch als Individuum ist ersetzbar und »das reine Nichts«204 geworden.205 Die Erzeugung einer realistischen Bildsprache, durch die Aneignung von Ästhetiken der Dokumentar- und Amateurfotografie sowie durch eine Affinität zum Alltäglichen, veranschaulicht das Anliegen, dem fotografischen Subjekt der Modefotografie Individualität zu verleihen. Sowohl die Platzierung des Subjekts im öffentlichen Raum als auch die Verlagerung in den privaten Raum können das Dargestellte mit Glaubhaftigkeit aufladen. Insbesondere die Überführung ins Private unterstreicht den Effekt der Authentizität, da tendenziell zwischen dem Performen von Identität in Alltagssituationen und dem authentischen Sein im Privaten unterschieden wird.206 Die Straße dient in i-D als öffentliche und neutrale Kulisse, in der die Darstellung der Individuen zwischen dem Einzigartigen und dem Typischen gleitet. In den Fokus rücken Lifestyle-Fragen, durch die das Subjekt Einfluss auf die Wahrnehmung seiner selbst nimmt. Wohingegen die Möglichkeiten, zwischen diversen Optionen der Lebensgestaltung bewusst zu wählen, im privaten Raum an Bedeutsamkeit verlieren, da die authentische persönliche Identität in den Vordergrund zu rücken scheint. Verstärkt wird diese Wirkung durch die Inszenierung eines natürlich anmutenden Körpers, der mitunter auch mit Indizien des Individuellen

204 Adorno/Horkheimer, 2013: 154. 205 Adorno/Horkheimer, 2013: 9-49 (Kap. Begriff der Aufklärung) und 128-176 (Kap. Kulturindustrie, Aufklärung als Massenbetrug). 206 Weiterführend s. Lawler, 2014: 116-137.

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versehen wird. Nicht nur die Fotografie spricht somit gezielt die von Bolz verzeichnete Sehnsucht nach Authentizität an, sondern auch der Körper als Motiv. Allerdings sollte die Hinwendung zu ›realistischeren‹ Körperinszenierungen nicht als konsequenter Gegenentwurf zur Tradition des Glamours verstanden werden. Es lassen sich durchaus auch Fotografien finden, in denen beispielsweise die typisch direkten und auffordernden Posen mit Elementen kombiniert werden, die von der Bildtradition des Glamours abweichen. Dieser Typus kann, so Poschardt, »sowohl in als auch entgegen der Tradition des Glamours« verstanden werden und erzeugt durch die Kombination von »Unreinem und Reinem« Spannung.207 Umso mehr die Inszenierung durch die Illusion der Realität verdeckt wird, umso weniger offensichtlich geht der Körper als Objekt der Mode hervor und wird als einzigartiger Körper gedeutet. Die Unvollkommenheit des Realen ist Grundlage der Identifikation des Betrachters mit dem Bild. Allerdings treten im Zuge der Überführung in den Mainstream immer offensichtlicher die konstruierten Eigentümlichkeiten der dargestellten Individualität hervor und der natürliche Körper wird als Modekörper wahrgenommen. Im Vergleich zu Modefotos, die mit Realismus aufgeladen werden, distanziert sich der Typus des offenkundig digitalen Modebilds meist von dem Anspruch, die Wirklichkeit zu repräsentieren. Denn die Ästhetik des digitalen Bilds erzeugt Bildwelten, die, wie Manovich festgestellt hat, beinahe realer als die Realität anmuten.208 Entfremdung als Schlüsselbegriff der Kritik an der Waren- und Konsumgesellschaft, wie sie auch Adorno und Horkheimer formuliert haben, kann an dieser Stelle Erkenntnisse zur Modefotografie und ihrem Verhältnis zu Bild und Realität liefern. In Guy Debords Beschreibung der Konsumgesellschaft nimmt das Individuum ebenfalls die Rolle des passiven Zuschauers ein, der sich in einer schlafähnlichen Situation befindet, die durch das Spektakel − die Gesamtheit der Prozesse der modernen auf Produktion ausgerichteten Gesellschaft − bewacht wird. Debord nutzt den Begriff der Entfremdung gesellschaftskritisch, denn je mehr die Gesellschaft zu Zuschauern wird, umso weniger lebt das Individuum tatsächlich und entfremdet sich immer mehr von der eigenen Existenz und den eigenen Bedürfnissen.209 1967 leitet er sein thesenhaft aufgebautes Werk Die Gesellschaft des Spektakels mit folgenden Worten ein: »Das ganze Leben der Gesellschaften, in welchen moderne Produktionsbedingungen herrschen, erscheint als eine ungeheure Sammlung von Spektakeln. Alles was unmittelbar erlebt

207 Poschardt, 2002: 29-30. 208 Manovich, 1996: 65. 209 Debord, 2013: s. dazu ausdrücklich 21 und 26-27.

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wurde, ist in eine Vorstellung gewichen. [...] Die teilweise betrachtete Realität entfaltet sich in ihrer eigenen allgemeinen Einheit als abgesonderte Pseudowelt, Gegenstand der bloßen Kontemplation.«210

Die durch Bilder vermittelte Pseudowelt Debords bietet Anknüpfungspunkte zu Baudrillards Auslegung der gegenwärtigen Phase der Simulation, in der die Realität ihrer Repräsentation weicht und durch die Hyperrealität ersetzt wird. Im Zuge der exakten Verdopplung des Realen, verflüchtigt sich das Reale von Medium zu Medium immer mehr und erfährt in seiner Zerstörung eine Erhöhung, indem es selbst zum Realen wird.211 Den Unterschied zur Relation von Welt und Repräsentation, wie sie in Debords Pseudowelt herrscht, deutet Baudrillard durch die Verwendung des Begriffs Spektakel an: »Es gibt keine Bühne, keinen Abstand, keinen ›Blick‹ mehr: dies ist das Ende des Spektakels.«212 In seiner frühen Schrift The Consumer Society (französische Erstauflage 1970) hatte Baudrillard Entfremdung als grundlegende Struktur der Marktgesellschaft und als nicht zu überwindbares Kennzeichen einer radikalen Waren- und Konsumwelt definiert. Dabei erkannte er in der Dualität und Entfremdung des Spektakels, wie sie Debord und die Situationisten beschrieben haben, aber noch die Möglichkeit des Aufwachens gegeben.213 In seiner späteren Auslegung scheint sich die Realität allerdings vollends verflüchtigt zu haben und der Hyperrealität gewichen zu sein. In den meisten digitalen Modebildern lässt sich eine Vermengung von fremdartigen und vertrauten Details erkennen. Dadurch wird ein Abstand zwischen Bild und Betrachter aufrechterhalten und somit eine gewisse Dualität zu der abgebildeten Scheinwelt erzeugt. Diese Distanz zum Bild ermöglicht der Mode, ein Bedürfnis nach Andersheit zu erwecken, lässt dabei unter Umständen aber auch eine bewusste Wahrnehmung jener Wirkprozesse zu. Im Verhältnis der Mode zum Bild und zur Welt zeigt sich schließlich auch ihre Ambivalenz. So können Modefotos durchaus kritische Sichtweisen auf die zeitgenössische Gesellschaft und ihre Prägung durch die Mode entnommen werden, simultan werden diese jedoch in die Sphäre des Modischen überführt. Je deutlicher Fotografien diesen Prozess bloßlegen, desto nachdrücklicher wird der Betrachter in eine distanzierte Perspektive versetzt.

210 Debord, 2013: 13. 211 Baudrillard, 1982: 113-114. 212 Baudrillard, 1982: 113. 213 Baudrillard, 1982: 193. Er beschließt sein Werk mit einer Voraussage, die noch eine bestehende Möglichkeit zur Kritik impliziert: »We shall await the violent irruptions and sudden disintegrations which will come, just as unforeseeably and as certainly as May 1968.« Baudrillard, 1982: 196.

V. Zwischen Begehren und Angst: Mode, Sex und Tod It’s the only real outlaw left – that’s why it’s hip. [...] It’s extreme behaviour that’s in on the joke. 1 JOHN WATERS ÜBER PORNOGRAFIE, 1999 Death is more perfect than life.2 LARRY CLARK, 1971

5.1 Z U R EIZEN , A NREIZEN

UND

T RIEBEN

»[...] that was all good clean fun,« beschreibt Ernestine Carter die inhaltlichen und stilistischen Experimente einiger Modefotografen in den 60er Jahren. In diesen Versuchen macht sie zwar keine moralische Bedrohung aus, bemerkt allerdings, ähnlich wie Hilton Kramer zwei Jahre zuvor, einen Umbruch in Form der Grenzüberschreitung zur Pornografie. 3 Die Anfänge dieser einschneidenden Erweiterung datiert sie allerdings nicht erst auf Mitte der 70er Jahre, sondern auf Ende der 60er Jahre: »Worse was to follow. [...] the mood of decadence which began towards the end of the sixties. [...] Pornography, having taken over films, the theatre and literature, took over fashion photography, too. Its most sinister aspect is that the photographers are often inventive, imaginative and sometimes beautiful – but it’s porn just the same. And it has little to do with fashion photography.«4

1

John Waters zit. in: Hamilton, 199: 430 1/6.

2

Clark, 1971: o.S.

3

Carter, 1977: 146. Vgl. Kramer, 1975: SE28.

4

Carter, 1977: 146.

202 | MODEFOTOGRAFIE

Aufgrund der engen Beziehung von Körper und Kleidung gehört der weibliche Körper seit jeher zum festen motivischen Repertoire von Modefotografien, doch erst der Einzug von Nacktheit hat zu erkennen gegeben, in welchem Maß Sex Appeal und die Integration explizit sexueller Inhalte der Mode dienlich sind. Dementsprechend konstatiert Jocelyn Kargère, 1980 Artdirector der französischen Vogue: »Der Trend nach sexuell orientierten Modefotografien ist eine natürliche Entwicklung und ein Spiegelbild der primären Ziele und Antriebe der Mode; Kleider sind nun einmal im Wesentlichen dazu da, sexuell zu reizen.«5 Der Begriff Porno Chic, der sich im Zuge einer Entwicklung zu stets offenkundiger ins Auge fallenden sexuell aufgeladenen Modefotografien etabliert hat, wirft diverse Fragen auf, die im Folgenden behandelt werden: Welche inhaltlichen Erweiterungen gehen mit dieser Entwicklung einher und wie erfolgt die ästhetische Annäherungen an das pornografische Bild? Wie verhalten sich Reiz und Provokation sowie Erotik und Pornografie zueinander? Inwieweit sind Prozesse der Auflösung von Genrehierarchien bedeutend? Welche Wirkung beabsichtigt diese Art von Modefotografien und in welchem Kontext erfüllt sie eine kommerzielle Funktion? Zunächst wird auf den Ursprung des Porno Chics und die Überführung in den Bereich der Mode durch Helmut Newton eingegangen. Im Anschluss daran richtet sich der Fokus auf die Frage, wie Darstellungen aus dem Bereich des Sexuellen das angestrebte Image bestimmter Printmedien unterstützen können und welches Publikum angesprochen wird. Am Beispiel des Fotografen Terry Richardson wird nachfolgend genauer betrachtet, wie die Tradition des Porno Chics fortgeführt wird und welche Strategien der Aktualisierung zum Einsatz kommen. Den Seitenblick auch auf provokative Ansätze von Steven Meisel und Larry Clark gerichtet, soll präzisiert werden, welche Botschaften und Ideale dieser Bildtypus maßgeblich vermitteln will. Abschließend wird sich der Beziehung von Kunst, Pornografie und Fotografie zugewandt, um weitere Rückschlüsse zur Grenzauflösung und Wechselwirkung von Kunst und Mode zu ziehen. 5.1.1 Mode und Sex? Sehr chic! Die 70er sind das Jahrzehnt, in dem der Pornofilm mainstreamtauglich und der Begriff Porno Chic ins Vokabular der Populärkultur aufgenommen wird. 1972 läuft der Hardcore-Film Deep Throat (Gerard Damiano) in den amerikanischen Kinos an.6 Ralph Blumenthal berichtet in der New York Times in dem Artikel Porno Chic

5

Jocelyn Kargère zit. in: Devlin, 1980: 143.

6

Die Unterscheidung bezieht sich in der Regel auf den Grad der sexuellen Darstellung. Im Gegensatz zu Hardcore-Filmen wird in der Softcore-Variante von einer expliziten Darstellung bestimmter Sexualpraktiken abgesehen und der Akt wird simuliert.

Z WISCHEN B EGEHREN UND A NGST : M ODE , S EX UND T OD | 203

über die hohen Zuschauerzahlen und die gespaltenen Reaktionen. Obwohl der Film seinem Genre entsprechend nur in Erwachsenenkinos zu sehen ist, wird der Film zum must-see und zieht Zuschauer und Zuschauerinnen aus verschiedenen Branchen und Gesellschaftsschichten an.7 »Once it broke in the society columne, it was O.K. to go,«8 erklärt ein Filmkritiker von Variety. Das öffentliche Interesse verweist nicht nur auf zeitgenössische gesellschaftliche Veränderungen, sondern auch auf das kommerzielle Potential pornografischer Inhalte. Angesichts des Filmerfolgs ist die Empörung über Newtons ›The Story of Ohhh‹ und Turbevilles ›Bath-house‹ (beide in: Vogue (US), Mai 1975), drei Jahre nach dem Kinostart von Deep Throat, schwer nachvollziehbar. Newton erinnert sich an die Veröffentlichung der berüchtigten Ausgabe: »When American Vogue hit the news-stands in the summer of 1975 with ›The Story of O[hhh]‹, all hell broke loose. The readers were deeply shocked by what they saw and I was accused in the press of showing bestiality and advocating sexual relationships between two women and one man.«9

Die unterschiedliche Rezeption des Kinofilms und der beiden Fotostrecken im Magazin lässt sich auf die signifikante Verschiedenheit von räumlichen beziehungsweise kontextuellen Grenzüberschreitungen zurückführen. Deep Throat hat verdeutlicht, dass es gesellschaftlich durchaus als chic gelten kann, sich aus einem sozial akzeptablen Umfeld heraus zu bewegen, dies bedeutet im Rückschluss allerdings nicht, dass auch eine Veränderung von etablierten Strukturen gut geheißen wird. Denn die Einbindung von neuen Inhalten in vertraute Kontexte kann als unerbetenes Eindringen empfunden werden. Unter diesem Blickwinkel ließe sich das Entsetzen der treuen Vogue-Leserschaft erklären, die von den ungewohnten Inhalten in dem Maße erschüttert waren, dass sie ihre Abonnements kündigten.10 Skandal in Vogue: Neue Seiten der Frau in der Mode Mit dem Titel ›The Story of Ohhh‹ knüpft Newton an unkonventionelle Bezugsquellen an und treibt das Gedankenspiel des Lesers voran. So kann der Titel als Anspielung auf den skandalösen Erotikroman The Story of O (1954) von Pauline Réage gedeutet werden, in dem eine Pariser Modefotografin namens O ihre maso-

7

Blumenthal, 1972: 28-30. Weiterführend s.a. McNair, 2013: 40-42.

8

Addisson Verril zit. in: Blumenthal, 1972: 30.

9

Newton, 1998: 311.

10 Zu den Reaktionen der Leserschaft äußert sich die damalige Vogue-Chefredakteurin Grace Mirabella in: Angeletti/Olivia, 2006: 234.

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chistische Unterwerfung schildert.11 Obwohl der Fotograf den Roman als Inspirationsquelle für seine Werke im Allgemeinen angibt, lassen sich speziell in dieser Modestrecke nur bedingt Parallelen zur weiblichen Unterwerfungsthematik der Geschichte ausmachen.12 Besonders eine Aufnahme von Lisa Taylor, in der sie auf einem Sofa Platz genommen hat und einen Mann mit freiem Oberkörper betrachtet, bricht mit der Zuordnung stereotyper Geschlechterrollen.13 Mit gespreizten Beinen und mit der Hand in den Haaren spielend, verharrt sie in einer Pose, die den bewussten Genuss des Betrachtens auszudrücken vermag. Dadurch verkörpert sie ein Gegenbild zu der in der Welt der Mode lebenden Frau, wie sie Barthes in Die Sprache der Mode beschreibt. Denn Barthes analysiert die Frau als ein Wesen, das keine bezeichnenden Gefühlsregungen äußert und schon gar keine privaten Probleme, Liebe oder gar sexuelle Emotionen kennt.14 Der Betrachter der Fotografie erhält nur eine Ansicht der Rückseite des Mannes und des Schattens, den seine Figur an die Wand wirft. Aus der Betrachterperspektive wird die männliche Figur hierdurch nicht als Subjekt, sondern als Objekt von Taylors Begierde wahrgenommen. Diese Rollenverteilung der Betrachterin und des Betrachteten lässt eine Umkehrung der von Berger dargelegten konventionellen Geschlechterhandlungen in Kunstwerken, »men act and women appear«, erkennen.15 Demnach zeichnet sich die männliche Präsenz traditionell durch den Eindruck der potentiellen Machtausübung auf Andere aus. Wohingegen die weibliche Erscheinung auf die Wahrnehmung durch den männlichen Beobachter ausgerichtet ist. Diese Fokussierung auf den Beobachter führt zur Spaltung der Eigenwahrnehmung von Innen und Außen.16 Zusätzlich zur offensichtlichen Umkehrung jener konventionellen Rollenverteilungen kann der Schatten als Hinweis auf eine männliche Wahrnehmungsspaltung ausgelegt werden. Aufgrund der Aufhebung von geschlechtertypischen Machtstrukturen erkennen Autoren wie Diana Edkins und Martin Harrison in der Aufnahme Eindrücke der Frauenbewegung reflektiert.17

11 Vgl. Steele, 1991: 92. 12 Newton, 2003: 224. Newtons Präferenz für Models in Lack- und Lederkleidung oder andere Accessoires, die typisch für die S/M-Szene sind, lässt zwar Gemeinsamkeiten zu Réages Roman erkennen, aber für besagte Vogue-Modestrecke wurden keine dieser Elemente verwendet. 13 S. Vogue (US), Mai 1975: 102-115 (besprochene Fotografie: 104). 14 Vgl. Barthes, 1985 (a): 267. Barthes untersucht zwar in erster Linie die geschriebene Mode, bezieht sich dabei jedoch allgemein auf die Frau in der Mode. 15 Berger, 2008: 41. 16 Berger, 2008: 40-41. 17 Edkins, 1990: 30 und Harrison, 1991: 270.

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Obwohl in Turbevilles ›Bath-house‹-Strecke keine sexuellen Handlungen zu sehen sind, wurde auch die Fotografin mit Vorwürfen, sie habe anstößige Inhalte dargestellt, konfrontiert. »People started talking about Ausschwitz and lesbians and drugs [...] and all I was doing was trying to design five figures in space. Sometimes the best things you do, the most controversial, are done in complete innocence,« rechtfertigt sich Turbeville.18 In den Räumen eines Badehauses sind fünf weibliche Figuren, bekleidet in Badeanzügen, angeordnet und jede der Frauen ist mit sich selbst beschäftigt, zwischen ihnen herrscht keine Interaktion: Eine sitzt gedankenverloren auf dem gefliesten Boden, während eine andere Gymnastikübungen vollzieht und drei andere Frauen unterschiedliche Posen einnehmen und dabei in die Kamera blicken. Durch die theatralische Geste des Models im Hintergrund, die raumeinnehmende Bewegung im Mittelgrund sowie die entspannte Pose im Vordergrund entsteht eine befremdliche Atmosphäre, die durch die Statik des engen Bildausschnitts intensiviert wird. Die anderen Aufnahmen der Serie weisen einen ähnlich statischen Bildaufbau und ein Arrangement von unnatürlich anmutenden Posen auf.19 Kramer findet in seinem Artikel zwar Lob für die Bildkomposition, weist durch den Vergleich zum Theaterstück Marat/Sade allerdings auf eine Auflösung der Grenzen von Modefotografie und Pornografie hin.20 Die Handlung des 1964 uraufgeführten Stücks von Peter Weiss spielt in der psychiatrischen Anstalt Charenton, in die 1803 die historische Person Marquis de Sade im Zuge des Skandals um seine pornografischen Schriften eingewiesen wurde. Die kahlen Räume in der Modestrecke können zwar Assoziationen an psychiatrische Einrichtungen hervorrufen, letztlich sind aber nur Frauen in einem Badehaus zu sehen.21 Der verstörende Eindruck ist maßgeblich nicht auf den Schauplatz zurückzuführen, sondern entsteht durch die konstruierte Atmosphäre des Gesamtbilds. Liberman, der damalige Bildredakteur der amerikanischen Vogue, führt das Unverständnis für Turbevilles Arbeit auf die bedrückende Stimmung und das Gefühl der

18 Deborah Tubeville zit. in: Gross, 1981: 335. 19 S. Vogue (US), Mai 1975: 124-133 (besprochene Fotografie: 126-127). 20 »[...] its Marat/Sade imagery leaves one wondering if we have not moved beyond the boundaries of fashion photography.« Kramer, 1975: SE28. Originaltitel des genannten Theaterstücks: Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade. 21 In der besprochenen Aufnahme kann die Pose des auf dem Boden sitzenden Models als Andeutung einer Masturbationsszene ausgelegt werden. Vgl. Angeletti/Olivia, 2006: 237. Die entspannte Pose zielt jedoch vielmehr auf die Darstellung eines abwesenden Zustands ab, als dass sie sexuell erscheint. Dass von einigen zeitgenössischen Lesern eine masturbierende Handlung erkannt wurde, verdeutlicht, inwieweit diese ungewohnte Darstellung von Frauen Verunsicherungen auslöste.

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Entfremdung zurück, das durch den dargestellten Zustand des Insichgekehrtseins entsteht.22 Edkins erkennt in ähnlicher Weise eine Neuerung auf emotionaler Ebene, äußert allerdings explizit einen Bezug zur Frauenbewegung. Zu Grunde liegt dem Aufsehen um die Bilder, dass Turbeville »die inneren Triebe einer Frauenwelt aufdeckte. Innerhalb dieses imaginären Raumes, der mit wunderschönen und sehnsüchtigen Wesen bevölkert ist – bleiben diese Frauen absolut allein oder auf sich selbst gestellt.«23 Zehn Jahre nach dem Skandal um Turbevilles Bilder scheint Goldins Aufgreifen des Badehaus-Schauplatzes für ihre Modestrecke ›Masculine/Feminine‹ (Village Voice, 1985) eine Deutung des von Männern befreiten Raums, der Frauen ein ungezwungenes Auftreten ermöglicht, zu bestärken.24 Goldin unterscheidet zwischen maskuliner Unterwäsche und femininen Dessous und lässt die Frauen in diesem männerfreien Raum ihre beiden Seiten, die feminine und die maskuline, zum Ausdruck bringen. Sowohl Newton als auch Turbeville haben in ihren Strecken für die besagte Vogue-Ausgabe Seiten der Frau gezeigt, die konventionell in die Sphäre des Privaten gehören und, Barthes zufolge, in der Mode verborgen bleiben.25 Entsprechend ordnet Edkins die Arbeiten Turbevilles und Newtons einer neuen Ära der Modefotografie zu, in der es Frauen gestattet ist, ihre bislang verborgenen Emotionen öffentlich auszuleben.26

22 Alexander Liberman zit. in: Harrison, 1991: 250. Harrison bezieht sich auf ein Interview mit Liberman in: American Photographer, 1980. 23 Edkins, 1990: 30. 24 Abgebildet in: Kismaric/Respini, 2004: 86-93. 25 Barthes, 1985 (a): 267. 26 Edkins geht in diesem Zusammenhang auch auf Bourdin ein, der in ähnlicher Weise mit diesen modefotografischen Konventionen gebrochen hat. Edkins, 1990: 29. Ebenso angemerkt werden sollte Chris von Wangenheim. Obwohl er ebenfalls die Frau mit sexuellen Trieben in den Fokus gerückt hat, wird seinem Werk meist weniger Beachtung geschenkt. Aufgrund seines frühzeitigen Todes im Alter von 39 Jahren ist sein Œuvre weniger umfangreich als das von Newton und Bourdin.

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Zwischen Pornografie, Erotik und Glamour: Betrachtungen zur Inszenierung weiblicher Sexualität bei Newton Die von Hilton und Carter abgelesene Tendenz zum Pornografischen bezieht sich nicht unbedingt auf die Darstellung sexueller Inhalte, sondern steht im Zusammenhang mit einer Überführung des Privaten ins Öffentliche. Definitionen von Pornografie werden in der Forschung generell als nicht allgemeingültig erachtet, da die gesellschaftliche Akzeptanz von sexuellen Bedürfnissen und Verboten einem fortwährenden Wandel unterliegt.27 Lynn Hunt verfolgt den frühsten modernen Gebrauch des Begriffs Pornografie bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts zurück, hebt allerdings hervor: »Obszönität gab es schon so lange wie die Unterscheidung zwischen privat und öffentlich.«28 Obwohl Pornografie und Obszönität nicht gleichzusetzen sind, können sie als Bewertungskriterien, für das was als moralisch verwerflich gilt und daher nicht in die Öffentlichkeit gehört, ineinander übergehen. Im Gegensatz zu beiden Termini haften der Erotik weniger negative Konnotationen an und sie wird gemeinhin als erhabener und minder anstößiger Ausdruck von Sexualität aufgefasst.29 Ähnlich übergreifend und nicht konkret definierbar ist der von Pornografie abgeleitete Begriff Porno Chic. Brian McNair unterteilt das Phänomen in zwei Phasen. Wobei sich die erste auf die Rezeption von Deep Throat bezieht und die zweite alle kulturellen Erscheinungsformen umfasst, die durch pornografisches Material inspiriert werden oder es nachahmen: »These are works of homage to, or celebration of the pornographic, which by their existence demonstrate the chic-ness and cultural fascination with pornography [...]. Often they work with the language of pastiche, parody and humour, a strategy seen most commonly in advertising.«30

27 Vgl. bspw. Gorsen, 1990: 46. Hunt erachtet die Zensur als aussagekräftigen Anhaltspunkt für eine zeitgenössische Definition. Hunt, 1994: 9. 28 Hunt, 1994: 11. Die Ursprünge des Wortes Pornografie in der antiken griechischen Literatur weisen auf eine lange Geschichte der Thematisierung praktizierter Sexualität hin. Abgeleitet wird Pornografie aus dem Wort Pornographein, das Männer benannte, die über berühmte Prostituierte schrieben (Porno = Prostituierte und Graphos = Schrift oder Beschreibung). 1850 verwendete der Archäologe C.O. Müller den Begriff Pornografie für seine Beschreibung von Fundstücken aus Pompeji und benutzte das Wort somit im modernen Sinn. S. Clarke, 2003: hier 11-12. 29 Vgl. McNair, 1996: 41. Der Versuch einer Definition des ebenfalls vagen Begriffs Erotik ist Liessmanns Aufsatz zu entnehmen. Liessmann, 2002: 9-12. 30 McNair, 2013: 43.

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Trotz der Übernahme in den Bereich der Populärkultur bleibt das Merkmal des Verbotenen haften und verleiht den Arbeiten paradoxerweise ihre ›chic-ness‹. Im Zuge der Aneignung bleibt, McNair zufolge, die Möglichkeit zur Kritik an der Pornografie durchaus weiter bestehen.31 Newton hat sich selbst prominent in die Geschichte der Überführung des Pornografischen in den Mainstream platziert und beansprucht, den Terminus Porno Chic mit dem Bildband White Women (1976) geprägt zu haben.32 Durch die Übernahme geläufiger Stilmittel des Hardcore-Genres hat er seinen Fotografien eine wiedererkennbare Ästhetik verliehen, die sie von intim anmutenden Erotikfotografien abhebt. Während die Bilder der Kategorie Softcore typischerweise eine weiche naturalistische Beleuchtung nutzen, um den Betrachter in eine voyeuristische Situation zu versetzen, sind sich Newtons Models in der Regel ihres Beobachters bewusst. Statt die direkte Anwesenheit des Fotografen zu verschleiern, wird sie durch diverse Techniken betont.33 Oftmals herrscht Blickkontakt zwischen Kamera und Model, wodurch signalisiert wird, dass sich die Frauen in Newtons Fotografien gewollt entblößt zeigen oder entkleiden lassen. Die Inszenierung exhibitionistischer Handlungen im öffentlichen Raum steigert diesen Eindruck: Wenn das Model auf einer Gondel in Venedig freudestrahlend ihre nackten Brüste vor Touristen entblößt (Amica, 1986) oder Eva Herzigova in Kleidung, die von S/M-Mode inspiriert ist, auf eine Leiter steigt und sich einer Meute von Paparazzi präsentiert (Paris Match, 23. Mai 1996), reiht sich der Betrachter in die beobachtende Masse ein und verliert seine gesonderte Stellung. Das oftmals grelle Blitzlicht gibt sich bei Newton gelegentlich auch in den Pupillen oder auf den dunklen Sonnenbrillen der Models zu erkennen (Versace, 1986) und erinnert an Paparazzi- oder Polizeiaufnahmen – oder eben an das typischerweise extrem ausgeleuchtete pornografische Bild.34 Die Bestätigung der Anwesenheit des Beobachters hebt hervor, dass fotografischer Voyeurismus auf vor der Kamera ausgelebten Exhibitionismus trifft. Selbst die Inszenierungen verbotener und heimlicher Situationen versichern eine Billigung des Be-

31 McNair, 2013: 36-37. 32 »The book made a big furor because it was the first of its kind. The term ›porno chic‹ was coined in connection with it.« Newton, 2003: 204. 33 Es sollte angemerkt werden, dass es an dieser Stelle primär um die fotografischtechnischen Unterschiede zwischen Erotik und Pornografie geht und in diesem Zusammenhang Softcore mit Erotik gleichgesetzt wird. Zur modefotografischen Aneignung von Hardcore-Techniken s. Steele, 1991: 92. 34 Zu Beginn der 70er Jahre experimentierte Newton u.a. mit dem Ringblitz und kreierte bizarre Effekte. S. Newton, 1998: 222 und Newton, 2003: 230-231.

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obachters, da die »Angeblitzten nie erschrecken« und »sie nicht darauf reagieren, sondern ungestört weiter machen, was sie tun wollen.«35 Charakteristisch für das Betrachten von Newtons Arbeiten ist ein Prozess, in dem auf den ersten Blick eine sexuelle Spannung dominiert, diese jedoch durch diverse Effekte (die kühle Distanziertheit zum Geschehen, der direkte Blickkontakt, eine gewisse Form der Künstlichkeit oder auch scherzhafte Anklänge) aufgehoben wird. Weibliche Sexualität wird zwar demonstrativ und fordernd dargestellt, aber erscheint für den Betrachter selbst nicht erlebbar und wird somit in den Bereich der Fantasie verlagert.36 Im Kontext des traditionellen Hochglanzmagazins richten sich die Fotografien vorwiegend an Frauen. Wobei die Loslösung aus der Realität den weiblichen Blick ermöglicht und Raum für den Versuch einer Identifikation schafft. Obwohl Newton Ästhetiken der Pornografie nutzt, bleiben seine Bilder im Erotischen verankert, denn sie wollen zwar reizen, aber eine Befriedigung wird letztlich verwehrt. Genau diese Wirkung entspricht Liesmanns Unterscheidung von Pornografie und Erotik: »Während Pornografie Sujets liefert, die einzig der Erregung und Steigerung der Lust dienen, also reizen sollen, [...] oszilliert das Erotische zwischen dem kunstvoll inszenierten Reiz und einem Aufschub der Lust, der sich hin und wieder sogar bis zu einer reflexiven Entsinnlichung steigern kann.«37

1979 integriert Newton den erotischen Film als Bild-im-Bild in eine Strecke für die Dezemberausgabe der französischen Vogue und veranschaulicht sowohl durch die Bildabfolge als auch den Aufbau das Gefühl der finalen Verwehrung. Eingeleitet wird die Strecke durch eine Aufnahme, in der ein Mann einer Frau die Knöpfe im Dekolletébereich öffnet. Dabei wird das Paar gefilmt und von weiteren Zuschauern und Zuschauerinnen beobachtet. Es folgt der Anblick einer Frau, die sich selbst von einer Kette befreit – dabei schlägt die symbolbehaftete Befreiung der Frau allzu of-

35 Stahel, 2008: 316. 36 Edkins zufolge erschafft die Andeutung des ausbleibenden sexuellen Akts eine beunruhigende Stimmung. Edkins, 1990: 30. Newton wendet verschiedene Methoden an, um eine Distanz zwischen dem Gesehenen und Betrachter zu schaffen und dabei entsteht häufig eine angespannte Atmosphäre. Allerdings kann die Beunruhigung durch Humor auch in eine Form von Entspannung umgewandelt werden. 37 Liessmann, 2002: 9-12. Stoeber beschreibt Newtons Frauen als ungeeignet zur »Stimulierung erotischer Bemächtigungsphantasien«. Womit er zwar den gleichen Effekt beschreibt, den vagen Begriff der Erotik jedoch anders gebraucht. Die hier angewandte Unterscheidung schließt hingegen an Liessmanns Auslegung von Pornografie und Erotik an. Vgl. Stoeber, 1998: 133.

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fensichtlich eine Brücke zwischen weiblicher Emanzipation und dem Recht auf exhibitionistische sowie voyeuristische Triebe. Die nächsten zwei Szenen zeigen im Vordergrund ein Paar und wieder wird die Entkleidung der Frau durch den Mann angedeutet. Diesmal richten sich die neugierigen Blicke der Anderen jedoch nicht auf das Paar, sondern auf die Filmleinwand, die einen nackten Frauenkörper zeigt. Durch das Bild-im-Bild versetzt Newton das Ziel der vollständigen Entkleidung und des zu vollziehenden Akts in den Bildhintergrund und distanziert es somit visuell vom Betrachter. Die dunklen Räume des eleganten Wohnzimmers oder Privatclubs rücken das Geschehen in den Bereich des Verbotenen, in den der Betrachter einen Einblick erhält, an dessen Geschehen er aber nicht teilhaben kann. O’Brien beschreibt Modefotografie als ›Pornografie für den Connaisseur‹ und weist hierdurch zwar auf Parallelen hin, legt im Anschluss jedoch den entscheidenden Unterschied aus: Während Pornografie natürliche Lüste darstellt und anspricht, gibt sich die Modefotografie absichtlich lüstern und will dabei mehr als das alltägliche Leben versprechen.38 Chris von Wangenheims Äußerungen über seine Arbeit als Modefotograf bringen in ähnlicher Weise die Bedeutung der Visualisierung von unerreichbaren Illusionen zum Ausdruck. Dabei merkt er auch explizit die kommerzielle Strategie hinter der Verbindung von Mode und Sex an: »Fashion photography is a way to sell clothes. The way to sell clothes, or anything else connected with it, is through seduction. [...] For me, a good fashion photograph makes a promise it can never keep.«39 Newtons perfekt geformte und gestylte Frauen erfahren kein Übel in Form von finanzieller Not oder Liebeskummer. Sie führen in der Regel ein glamouröses Leben, wohnen exklusiv, sind viel auf Reisen, besitzen teuren Schmuck und Designerkleidung. Zu diesem Leben im Überfluss gehört auch ein Mehr an Sex.40 Bezeichnenderweise legt Berger den abwesenden und desinteressierten Blick der Fotografierten als strategisches Mittel zur Erzeugung von Neid im Betrachter aus.41 Die kühle Gelassenheit und Überlegenheit, die von Newtons Frauen auszugehen scheint, lässt sich oftmals auf diese innere Abwesenheit zurückführen, die gleichzeitig im Kontrast zu der überladenen körperlichen Präsenz steht. Gundle beschreibt Glamour als modernes Phänomen, dessen Entwicklung im Bürgertum des 19. Jahrhunderts begründet liegt. Dabei zieht er Parallelen zwischen

38 O’Brien, 1991: 62. 39 Chris von Wangenheim in: Di Grappa , 1980: 151. 40 Vgl. Gundles Beschreibung von Glamour: »Glamour is often about excess, It is always more than average: more showy, more visible, more beautiful, more sexy, more rich.« Gundle, 2008: 15. 41 Berger, 2008: 125-127.

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Glamour und dem Akt der körperlichen Zurschaustellung. So wurden Sehnsüchte, die im bürgerlichen Alltag nicht angebracht waren, in die Welt des Konsums und Entertainments umgeleitet. Im Hinblick auf den Aspekt der öffentlichen Präsentation der eigenen Person traten die Theaterschauspielerin und die Kurtisane als zentrale Figuren in Erscheinung. Die Londoner und Pariser Kurtisanen des 19. Jahrhunderts prägten schon früh die signifikante Rolle, die Sex in der Verkörperung von Glamour spielen sollte. In der goldenen Ära Hollywoods wurden die weiblichen Stars, die zwischen Mitte der 1920er und den 1960er Jahren aus der Traumfabrik hervorgingen, schließlich zum Inbegriff von Glamour und Ruhm. Hollywoods Studiofotografen sahen den Erfolg der Schauspielerinnen oftmals an ihre sexuelle Ausstrahlung gekoppelt. Dementsprechend verstand der Fotograf George Hurrell Glamour gleichbedeutend mit »sexy pictures« und Regisseur Josef von Sternberg führte den Gedanken weiter aus: »The power of glamor in a photograph ... consists of the evocation of sexual surrender.«42 Einige Fotografen lichteten Starletts nach dem offiziellen Shooting häufig auch noch unbekleidet ab, behielten die Aktaufnahmen in ihrem Privatbesitz oder verkauften sie heimlich. Ab den 50er Jahren baute der Hollywood Glamour mit Stars wie Marilyn Monroe offensichtlicher auf die Präsentation sexuell aufgeladener Weiblichkeit und der Begriff Glamourfotografie wurde auch synonym für explizit erotische Aktfotografien verwendet.43 Newton setzt in vielerlei Hinsicht auf die Tradition des Glamours. Seine Nutzung des Settings und des Models für sowohl Auftragsarbeiten als auch eigene Projekte erinnert an die Praktiken der Hollywoodfotografen. Die Bewunderung der Stars durch ein Publikum ist ebenso Bedingung für ihren Glamour, wie die bewusst ausgelebte exhibitionistische Neigung von Newtons Frauen essentiell für ihre glamouröse Erscheinung ist. Der Glamour entrückt die Frauen aus dem Alltag und verleiht ihnen eine Ausstrahlung des Exzesses, zu dem auch Erotik in ihrer überspitzen Form gehört. Persönliche Fantasien im kommerziellen Kontext In seiner Autobiografie erzählt Newton von seinen jungen Jahren in Berlin und den behüteten sowie wohlhabenden Verhältnissen, in denen er aufwuchs. Des Weiteren bestätigt er gezielt das Image, das ihm anhaftet, und stellt sich als Frauenheld mit unzähligen amourösen Erlebnissen dar. Als jüdischer Deutscher (1920 in Berlin als Helmut Neustädter geboren) musste er sich 1938 zunächst in Berlin verstecken, bis ihm die Flucht aus Deutschland gelang.

42 George Hurell und Josef von Sternberg zit. in: Vieira, 1997: 161-162. S.a. Gundle, 2008: 190. 43 Gundle, 2008: 261.

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In seinen Erinnerungen an die Zeit im Exil tritt Sex immer wieder als Gegengewicht zu den Schrecken des Krieges auf.44 In ähnlicher Weise hat auch die Kamera eine Schutzfunktion in seinem Leben eingenommen, die er als Barriere zur Wirklichkeit und als Mittel der Realitätsbewältigung einsetzt.45 Dies ist insofern interessant, da Newtons fotografische Arbeiten durch ein hohes Maß an Kontrolle und detaillierter Inszenierung gekennzeichnet sind.46 Die Arbeit als Fotograf ermöglicht ihm, die Welt vor der Linse zu kontrollieren und glamouröse Fantasien für die Kamera zu konstruieren. In seinen Bildern verschleiert Newton die Verlagerung in den Bereich der Imagination ebensowenig, wie er durch sein Selbstverständnis als ›emanzipierter Modefotograf‹ ihren kommerziellen Zweck leugnet.47 Als männlicher Auftragsfotograf hat er gerade durch diese Art der Kombination von Persona und Werk Angriffsfläche für öffentliche Kritik geboten. Die antagonistisch ausfallende Rezeption von Newtons Werk spaltet sich insbesondere im Hinblick auf die Frage nach der Kritikfähigkeit von sogenannten Porno Chic-Bildern: Sind die erotischen Inhalte, der exhibitionistisch veranlagte Frauentypus und die stilistischen Anleihen aus der Pornografie ausschließlich als Ausdruck des privaten Begehrens auszulegen oder geben Newtons Fotografien darüber hinaus einen Kommentar auf Gesellschaft und stereotype Geschlechtervorstellungen ab? Während einige Autoren sowie Autorinnen in seinen Arbeiten durchaus die Reflexion gesellschaftlicher Zustände erkennen, sehen andere in der Übernahme von pornografischen Ästhetiken in erster Linie einen Angriff auf feministische Anliegen.48 Newton hat anhand der Verlagerung seiner privaten Fantasien von Frauen

44 In Kap. 1-3 schildert Newton seine frühen sexuellen Erfahrungen bis zu seiner Zeit als Gigolo in Singapur. Die erotischen Erinnerungen stehen zwar zentral, aber der Krieg als unmittelbare Bedrohung ist ständig präsent. Der Krieg erscheint in ambivalenter Weise sowohl als Bedrohung und ungewisses Abenteuer. Konkret stellt Newton Krieg und Sex auch als Oppositionen dar: »I was a fucker, not a fighter.« Newton, 2003: 97. 45 In Kriegszeiten war die Kamera vor allem eine Möglichkeit, um Geld zu verdienen. Als seine spätere Frau June 1982 schwer erkrankte, konnte er ihren geschwächten Anblick durch die Kamera besser ertragen: »The camera was a wall between me and the pain of others that I couldn’t bear.« Newton, 2003: 209. Stoeber verzeichnet ebenfalls die Antagonismen Wirklichkeit/Inszenierung und Hilflosigkeit/Kontrolle, die er als mögliche Resultate von Newtons Erfahrungen mit Nazi-Deutschland auslegt. Vgl. Stoeber, 1998: 134. 46 Vgl. »I just have to have all the details absolutely right. I go mad if a hair is out of place.« Helmut Newton in: Booth, 1983: 195: S.a. Newton, 2003: 219. 47 Newton betont dieses Selbstverständnis, indem er sich z.B. »a gun for hire« nennt. S. Newton, 2005. 48 Exemplarisch seien hier Edkins und Harrison genannt. Vgl. Edkins, 1990: 29-30 und Harrison, 1991: 270. In Deutschland wird die Gegenposition prominent durch Alice

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mit sexuellen Trieben in den öffentlichen Raum und durch die Einbettung in kommerzielle Kontexte sensible Thematiken angesprochen und sicherlich bewusst auf eine kontroverse Rezeption der Werke abgezielt. In einer Zeit, in der traditionelle Geschlechterrollen einen Umbruch erfahren haben und sich die Rolle der Frau innerhalb der Gesellschaft wahrnehmbar gewandelt hat, ist Newton als Modefotograf und Künstler in Erscheinung getreten. Im Laufe seiner Karriere hat er sich primär der Darstellung eines bestimmten Typus von Frau gewidmet, der sowohl im Hinblick auf gesellschaftliche Entwicklungen sowie die künstlerische Imagination zu begreifen ist. Die Faszination für den weiblichen Körper und seine darstellbare Sexualität ist auch im Werk Ellen von Unwerths immanent. Ihr wiedererkennbarer Stil, der Anklänge der Glamour- und Reportagefotografie vermengt, hat schnell Anerkennung erhalten. Ebenso wie die explizite Darstellung und Konstruktion von weiblicher Sexualität wird immer wieder die Zurschaustellung des eigentlich Privaten als Anhaltspunkt aufgegriffen. Henri Cartier-Bresson hat auf Cecil Beatons Anfrage, ihn fotografieren zu dürfen, mit folgendem persönlichen Grundsatz geantwortet: »There are three categories of people who should never be photographed – prostitutes, private detectives and photographers.«49 Der Körper von Prostituierten ist ihre Ware und fällt somit in den Bereich des Heimlichen und Nicht-Darstellbaren. Gleichzeitig kann der Figur der Prostituierten der nostalgische Glamour der Kurtisane anhaften.50 Für eine ihrer frühen Aufträge hat von Unwerth das Model im Stile einer Prostituierten eingekleidet und es an einer Straßenecke positioniert. Durch den arrangierten Verstoß gegen Cartier-Bressons Regel hat sie die Aufmerksamkeit der Designerin Katharine Hamnett erweckt, die von Unwerth daraufhin für ihre Kampagnen engagiert.51 Darüber hinaus ist sie auch bekannt für die Guess-Werbekampagnen (1989), in denen sie Claudia Schiffer in die Rolle einer zeitgenössischen schmollmündigen Bridget Bardot hat schlüpfen lassen, oder ihre Bilder einer vollbusigen Eva Herzigova für Wonderbra (1994).

Schwarzer vertreten, die in Newton einen Pornografen ausmacht, dessen Arbeiten zwar das gewandelte Frauenbild wiedergeben, dieses jedoch den verunsicherten männlichen Bedürfnissen angepasst haben. S. Schwarzer, 1993: o.S. (Onlinearchiv). 49 Henri Cartier-Bresson zit. in: Beaton, 2003: 297. 50 Vgl. Gundle, 2008: 78-108. 51 Smith, 1996: 17.

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Gleichwie Newton zeigt von Unwerth eine Welt ohne Männer oder eine, in der sie höchstens eine Nebenrolle spielen dürfen.52 Darauf angesprochen, dass manche die überbordende Sexualität ihrer weiblichen Subjekte verwundert, äußert sich die Fotografin folgendermaßen: »I do get criticism, but not as much as, say, Helmut Newton, because people excuse me on the grounds that I am a woman. But anyway, I don’t find Helmut’s work sexist, I think it’s fantastic.«53 Von Unwerths Frauen präsentieren gerne ihren Körper, scheinen sich ihrer sexuellen Anziehungskraft bewusst zu sein, vermögen zugleich aber auch eine gewisse Leichtigkeit auszustrahlen. Ein hohes Maß an erzählerischer Fantasie und Dekadenz sind oft Struktur und Rahmen ihrer Inszenierungen. Zwar zeichnen sich auch von Unwerths Frauen durch die Bezeugung ihrer Triebe aus, aber die Freude am Verkleiden oder extravaganten Sich-Zurechtmachen ist ebenfalls ein wiederkehrendes Thema. Oft wird die zum Kostüm transformierte Kleidung eingesetzt, um den Glamour vergangener Zeiten aufleben zu lassen und der Darbietungscharakter verleiht der Erotik eine gewisse Unbekümmertheit.54 Wohingegen bei Newton Dekadenz sowohl in materieller als auch sexueller Hinsicht weniger als Ereignis in Erscheinung tritt, sondern vielmehr als Zustand, der an Reichtum und Macht gebunden ist. Von Unwerth sieht in Newtons Frauentyp Schönheit und Stärke aufeinandertreffen. Die dadurch entstehende Anziehungskraft wird zudem durch den oftmals gegebenen verstörenden Effekt intensiviert.55 Eben jene beunruhigende Wirkung bleibt in den Bildern der Fotografin zugunsten des Erzählerischen und der Spontaneität aus.56 Durch den Fokus auf die Mode eignet sich von Unwerths Stil besonders für die Seiten der Hochglanzmagazine. Andererseits lassen sich die Bilder durch die berichterstattende Ästhetik und die Tendenz zum Bruch mit der perfekten Oberfläche ebenso in Magazinen wie The Face oder i-D finden. Ihre Visualisierung der Frau, die mit Trieben ausgestattet ist, mutet vielfältiger und, daraus resultierend, sicherlich moderner an als es Newtons Frauenbild vermag.

52 Der Vergleich bezieht sich auf Newtons Bildband World Without Men (1984). In der Reihe Stern Portfolio wurde die Ausgabe zu von Unwerth unter dem Titel Ellen’s Girls (2002) herausgegeben. Newton, 1984 und von Unwerth, 2002. 53 Ellen von Unwerth zit. in: Smith, 1996: 18. 54 Vgl. Wood, 1996: 66. 55 Ellen von Unwerth zit. in: Wood, 1996: 66. 56 Vgl. Smith, 1996: 18.

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5.1.2 Porno Chic-Bilder im Magazin Die Beziehung von Fotograf und Redakteur kann für die Umsetzung von Ideen, den Produktionsprozess und die Bilder, die der Betrachter letztendlich im Magazin zu sehen bekommt, ausschlaggebend sein. Das Maß an kreativer Freiheit, das Newton von der französischen Vogue und insbesondere von Francine Crescent zugesprochen wurde, ist in der Auftragsfotografie jedoch eher die Ausnahme als die Regel. Dementsprechend ist Newtons Schilderungen zu entnehmen, dass er sowohl sein kreatives Gelingen als auch sein Scheitern auf die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen der Magazine zurückführt.57 In den USA sah sich Liberman als Bildredakteur der Vogue zunächst in der Verantwortung, seine italienische Kollegin vor Newtons erotisch aufgeladenen Bildern zu warnen. Später vollzog sich jedoch ein Sinneswandel und Liberman engagierte den berühmt-berüchtigten Fotografen, um für das Magazin Bilder im Stile seiner französischen Arbeiten zu produzieren. In dieser Zeit wurden für den amerikanischen Markt gewagte Bilder publiziert, deren Druck Liberman auch gegen die Einwände des Verlags und seiner Kollegen durchsetzte.58 Mit der Darstellung sexueller Inhalte oder unbedeckter Geschlechtsteile ging der Verlag das Risiko sinkender Verkaufszahlen ein. Liberman beschreibt die Zensur vonseiten der Vertreiber folgendermaßen: »Our writers can discuss any amount of female multiple orgasms and similar subjects in their articles without being censored. But the supermarket managers check the photos. One nipple and the magazine is off the shelf.«59 Was provokante Bilder anbelangt, musste der Auftraggeber somit zwischen künstlerischer Kreativität und wirtschaftlichen Resultaten abwägen. Inwieweit sich ökonomische Rahmenbedingungen auf das Fortbestehen eines Magazins auswirken können, hat die Geschichte des britischen Magazins Nova (1965-1975) gezeigt: Anfang der 70er Jahre führte die neue Ausrichtung des Verlags IPC zu Konflikten. Die Anziehungskraft für Medienpartner wurde zum primären Ziel erklärt und dies bedeutete, dass kreative Wagnisse ein zu hohes finanzielles Risiko darstellten und das Magazin sein individuelles Image innerhalb der Printlandschaft einbüßte. Dennoch gelang den Redakteuren gelegentlich die Umsetzung gewagter Darstellungen (zum Beispiel Peccinottis Aufnahmen weiblichen

57 »An intelligent photographer will value his fashion editor.« Newton, 1998: 209. Neben Crescent zählt er noch weitere Redakteure wie Caroline Baker (Nova) oder Anna della Russo (in den 90er Jahren bei der italienischen Vogue) auf, die zu seinem Erfolg beigetragen haben. So konstatiert er auch, dass er in den 60er Jahren unter Diana Vreeland die schlechtesten Ergebnisse ablieferte. Ebd. und Newton, 2003: 185-187. 58 Newton, 2003: 171-172 und 191-193. 59 Alexander Liberman zit. in: Newton, 1998: 513.

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Schamhaares). Letztendlich besiegelte jedoch der Anstieg der Papierpreise ab 1974 das Ende des Magazins. Infolge des Wechsels zu einem kleineren Format wurden die Seiten weniger interessant für Werbekunden.60 Blättert man heute durch die bekannten Hochglanzmagazine, wird schnell deutlich, in welchem Zusammenhang Werbepartner und finanzieller Erfolg stehen. In Anbetracht der weitläufigen Zirkulation und der hohen Werbekosten ist zum Beispiel nachzuvollziehen, weshalb die amerikanische Vogue ihren Fotografen verhältnismäßig begrenzte künstlerische Autonomie zuspricht. In den 70er Jahren führte dies zu einer Verlagerung kreativer Qualität nach Frankreich, da die europäische Auflage weniger abhängig vom öffentlichen Geschmack war als ihr ehrwürdiges amerikanisches Schwesterblatt.61 Obwohl Vogue sich eher an die Klasse als Masse richtet, bleiben Werbekunden und Marktgrößen wesentliche Faktoren, die sich auf die Produktionsweise der in den einzelnen Ländern erscheinenden Magazine auswirken.62 Wintour (seit 1988 Chefredakteurin der amerikanischen Vogue) hat sowohl in Großbritannien als auch in den USA Erfahrungen mit der Herausgabe von Printmedien gesammelt und legt auf einer Konferenz 1997 regionale Unterschiede der journalistischen Arbeit dar: Demnach hat Wintour in Großbritannien einen kollaborativen Ansatz erfahren, bei dem sich die Moderedakteure in beinahe alle Pro-

60 David Gibbs in: Gibbs, 1993: 79 und 161. Besagte Aufnahme Peccinottis erschien 1971 in der Oktober-Ausgabe. Dank der begleitenden Erklärung, es handele sich um Achselhaar, konnten die Fotografien gedruckt werden. Allerdings ist eindeutig Schamhaar zu sehen. Ebd.: 126-127. Das Magazin wurde 2000 wiederbelebt, aber nach einem Jahr wieder vom Markt genommen. 61 Vgl. Hall-Duncan, 1979: 184 und Harrison, 1991: 233. 62 In Konkurrenz zum Fernsehen setzten viele Magazine in den 50er und 60er Jahren auf erhöhte Auflagen. Ende der 60er Jahre wurde diese Strategie größtenteils aufgehoben und stattdessen eine Spezialisierung verfolgt. Durch eine niedrige Auflage konnten die Produktions- und Vertriebskosten gesenkt werden. Eine Fokussierung auf eine ausgesuchte Leserschaft konnte auch hohe Werbekosten rechtfertigen. McCracken erläutert dies am Beispiel der US-Vogue, die 1983 trotz relativ geringer Auflage von ungefähr einer Million pro Ausgabe und einem Anzeigenpreis von ca. $20.000 mehr Werbeseiten als jedes andere Frauenmagazin hatte. McCracken, 1993: 84 und zur Entwicklung der Spezialisierungsstrategie s. 38-40, 83-84 und 197. Ein aktueller Vergleich belegt, dass diese Strategie weiterhin erfolgreich umgesetzt wird. 2013 belief sich die Auflagenanzahl auf ca. 1.315.304/mon. Ausgabe und eine vierfarbige Seitenanzeige im Heft kostet ungefähr $ 173.075. S. Mediadaten: http://www.condenast. com/brands/vogue/media-kit.

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duktionsabläufe einbringen. Wohingegen die höhere Auflage in den USA weniger experimentelle Freiräume zur Zusammenarbeit gestattet.63 Wintours Entscheidung, Newtons Fotografie einer entblößten Brust in Vogue zu veröffentlichen, erwähnt der Fotograf anerkennend.64 Andere Fotografen haben im Hinblick auf die strengen Bestimmungen des Hochglanzmagazins negativere Erfahrungen gemacht. So verdeutlicht ein Bericht Tellers das zensorische Potential der digitalen Innovationen. Als der Fotograf eine seiner Arbeiten bereits abgedruckt im Magazin sah, dachte er zunächst, sein Assistent habe die falschen Aufnahmen herausgeschickt. Der vermeintliche Irrtum wurde jedoch aufgeklärt und es stellte sich heraus, dass ohne Einverständnis des Fotografen retuschiert und die ursprünglich nackte Brust mittels digitaler Überarbeitung verdeckt wurde.65 Schilderungen wie diese demonstrieren, in welch geringem Maß kommerzielle Auftragsfotografen Einfluss auf die Nutzung ihrer Arbeiten nehmen können. Die digitale Fotografie bietet jedoch sowohl für das Printmedium als auch den Fotografen Vor- und Nachteile. Alexandra Schulman, Redakteurin der britischen Vogue, beklagt sich indes, dass der Redaktion teilweise nur noch zwei bis drei Bilder vorgelegt werden. Wohingegen bis in die späten 80er Jahre eine hohe Anzahl an Kontaktabzügen und Negativen zur Verfügung gestellt wurde und hierdurch mehr auf die Gestaltung des Magazins eingewirkt werden konnte.66 Harrison prognostiziert zu Beginn der 90er Jahre die kreative Entwicklung der Hochglanzmagazine folgendermaßen: »It is reasonable to predict that the established glossies will persist in restricting, rather than encouraging, the more adventurous fashion photography.«67 Dies trifft zwar nicht ausnahmslos zu, doch gerade was die Einbindung von sexuell provokanten Darstellungen anbelangt, ist festzustellen, dass traditionelle Hochglanzmagazine tendenziell zurückhaltend vorgehen.68 Besonders im Vergleich zu jüngeren Publikationen

63 Obwohl Wintour nicht auf die Möglichkeiten der fotografischen Gestaltung eingeht, lassen ihre Ausführungen darauf schließen, dass auch in diesem Bereich bestimmte Richtlinien entscheidend sind und sich auf das Arbeitsverhältnisse von Bildredakteur und Fotograf auswirken. Der Vortrag wurde im Rahmen der Tagung Women in Journalism gehalten und abgedruckt in: Wintour, 1997: 6-7. 64 »Anna did have the courage to show one bare nipple […].« Newton, 1998: 513. Die Aufnahme illustriert einen Artikel, in dem über die Entblößung der Frau durch die aktuellen Modekollektionen berichtet wird. Mooney, 1997: 284-287. 65 Jürgen Teller zit. in: Smith, 1995: 35. 66 Shulman, 2002: 6. 67 Harrison, 1991: 292. 68 Die Zusammenarbeit zwischen den internationalen Vogue-Ausgaben und den gefragten Fotografen der Branche spricht im Grunde gegen die Allgemeingültigkeit dieser These. Die Präsentation von Genitalien oder sexuellen Handlungen ist jedoch ein kalkulierbares

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wird deutlich, wie sich eine alternative Ausrichtung auf den Inhalt im Magazin auswirken kann. Sex und ein moderner Lifestyle Alternative Magazine, die ab den 80er Jahren vermehrt gegründet worden sind, haben Fotografen sowohl einen Einstieg in die Auftragsfotografie als auch experimentellen Freiraum geboten. Da diese Plattformen in ihren Anfängen noch keine Reputation zu wahren und hohe Investitionen zu verantworten hatten, gab es folglich auch weniger Risiken abzuwägen. Die Anfänge moderner Lifestyle-Magazine in Großbritannien lassen sich kurz vor die Entdeckung der Immunschwächekrankheit AIDS datieren, von der auch die Mode-, Kunst- und Musikszene erschüttert wurde. Als ein prominentes Beispiel sei hier Performancekünstler und Modedesigner Leigh Bowery genannt, der in den 80er Jahren als schrille Kunstfigur der Londoner Nachtclubszene hervorstach und 1994 an AIDS verstarb. Als Persönlichkeit der Kunst- und Clubszene tauchte Bowery regelmäßig auf den Seiten von Blitz und Dazed & Confused auf. Die Krankheit AIDS wird in der hundertsten Jubiläumsausgabe von i-D, The Positive Issue (Januar 1992), umfassend als Thema behandelt. Hierfür ist das charakteristische Konzept aufgegriffen worden und den Portraits von gewöhnlichen Menschen werden Textfelder anbei gestellt, denen Aussagen zum persönlichen Umgang mit der Krankheit zu entnehmen sind − in welcher Weise die Fotografierten von der Krankheit betroffen sind, ob sie AIDS als Bedrohung wahrnehmen oder ob sie geschützten Sex praktizieren. Darunter sind in kleinerer Schriftgröße Details zur getragenen Kleidung zu finden. Durch das vertraute Format und die Darstellung von unterschiedlichen Menschen und Meinungen wird die Krankheit als allgegenwärtiges Risiko kenntlich gemacht. Vor dem Hintergrund der AIDS-Thematik erscheinen Bilder wie Newtons, die offensichtlich im Bereich der Fantasie verankert sind, sowohl sicher als auch weit entfernt von aktuellen Sorgen. Gerade dieses Merkmal mag mitunter ein Grund dafür sein, dass er bis zu seinem Tod insbesondere für Hochglanzmagazine erfolgreich gearbeitet hat. Zugleich werfen seine Fotografien die Frage auf, inwieweit die Darstellung von Sex frei von Gewissen und Verantwortung zeitgemäß erscheint. In den 90er Jahren macht sich im Rahmen des Lifestyle-Magazins die Tendenz zu einer glaubhafteren Darstellung von Sexualität bemerkbar. 1995 erscheint in Dazed & Confused die Fotostrecke ›Rian & Cori‹ von Phil Poynter, die durch die Aufnahme eines kargen, von warmem Tageslicht durchfluteten Raums eröffnet wird. In der einen Ecke ist eine Matratze mit zerwühlter Bettwäsche und in der an-

Wagnis, das abhängig vom Grad der Eindeutigkeit und auch im Hinblick auf moralische Empfindungen des Erscheinungslandes in der Regel abgeschätzt wird.

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deren sind zerstreute Schuhpaare auf dem Boden zu sehen. Aus dem Vordergrund erstrecken sich zwei nackte Beinpaare, die auf der Matratze ruhen. Abgesehen von den Beinen befinden sich die Körper außerhalb des Bildraums. Abbildung 18: Phil Poynter: ›Rian & Cori‹.

In: Dazed & Confused, 1995 (Nr. 11).

Erst nach dem Umblättern zeigen sich Rian und Cori dem Leser in diversen eindeutigen Stellungen (Abbildung 18). Eine Doppelseite mit aneinandergereihten Filmstreifen zeigt weitere Aufnahmen des Paares beim Liebesspiel, die Details bleiben hier allerdings nur zu erahnen.69 Am Ende der Strecke sitzen beide bekleidet auf dem Bett und blicken in die Kamera. Die letzte Aufnahme zeigt das aufgeräumte leere Zimmer. Sowohl durch die Modeangaben, die persönliche Danksagung an die Mitarbeiter des Hotels als auch durch die Filmabzüge wird die Inszenierung des Ganzen nicht verschleiert. Doch die Verflechtung des Privaten mit dem Alltäglichen lässt die Fiktion in den Hintergrund treten. Der Leser wird Teil dieses geplanten Zusammentreffens und nimmt die Position des von den Protagonisten bewusst

69 Bei genauerem Hinsehen lässt sich erkennen, dass sie während der Kuss-Szene ein messerähnliches Objekt in den Händen hält. Diese unerwartete Komponente der Gewalt kann als Referenz an Clarks Fotobuch Tulsa ausgelegt werden, in dem ebenfalls ein Filmstreifen-Layout verwendet wird. S. Clark, 1971.

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wahrgenommenen Beobachters ein. Es wird der Eindruck vermittelt, dass sich diese Szenen auch im heimischen Schlafzimmer hätten abspielen können. Angedeutet wird dies auch durch das finale Bild des leeren Raums, dem durch seine Bewohner kurzzeitig Leben eingehaucht wurde. Sex wird hier nicht als außergewöhnlich glamouröses Ereignis dargeboten, sondern vielmehr als bildwürdiges Element des alltäglichen Lebens. Aus dieser Perspektive betrachtet lassen sich Parallelen zum Phänomen der Amateurpornografie ausmachen. Seit den späten 70er Jahren hat die Sofortbildkamera der breiten Masse die Dokumentation ihrer sexuellen Aktivitäten ermöglicht. Die Technologie hat die Voraussetzung für die Herstellung privater pornografischer Aufnahmen geschaffen, indem sie den Weg über die Dunkelkammer und somit die Weitergabe der Bilder an Außenstehende hinfällig gemacht hat.70 Mit der Einführung von Videokameras und VHS-Rekordern ist auch die filmische Aufzeichnung für den häuslichen Gebrauch realisierbar geworden. In den 90er Jahren gelangen die Heimvideos von Prominenten in die Medien und machen den Trend des Amateurpornos öffentlich. Dabei bewegen sich diese selbstgedrehten Filme zwischen dem Heimischen und dem Pornografischen und erwecken durch ihre Amateurästhetik eine gewisse Vertrautheit.71 Ähnlich vertraut wirken auch die Aufnahmen von Rian und Cori. Das warme Tageslicht steht im Kontrast zu Newtons hell erleuchtendem Blitz und statt Schick und Glamour wird Alltäglichkeit dargestellt. Die Einzigartigkeit bezieht sich nicht auf die zur Schau gestellte Sexualität, sondern auf die Gelegenheit, als Beobachter teilzuhaben. Diese Bedeutsamkeit wird auch durch die Respektsbekundung »Love and Respect to Rian & Cori«72 in der abschließenden Danksagung betont. Statt durch eine Überschreitung von moralischen Grenzen zu provozieren, wird Offenheit beworben. Dennoch wird die Fotostrecke vom Modehaus Calvin Klein als zu sexuell aufgeladen erachtet, woraufhin Werbeanzeigen im Magazin zurückgezogen werden. 73 Im selben Jahr verwendet Pepe Jeans den FilmstreifenEntwurf von Poynters Modestrecke allerdings für Anzeigen in The Face. Dies veranschaulicht, wie Anzeigenkunden Wagnisse unterschiedlich einschätzen und gezielt nutzen. Obwohl die Szenen in Poynters Modestrecke eindeutig sind, verhin-

70 S.a. Lynch, 2012: 97 und McNair, 1996: 116. 71 Die Filme der Eiskunstläuferin Tonya Harding sowie von Pamela Anderson und Tommy Lee sind unter folgenden Titeln auf dem Markt erschienen: Tonya and Jeff’s Wedding Night (1994) und Pam and Tommy Lee: Hardcore and Uncensored (1997). Hillyer, 2004: 52-58. Im Hinblick auf die weitere mediale Entwicklung sei hier auch erwähnt, dass insbesondere das Web 2.0 zur Verbreitung pornografischen Materials beigetragen hat. S. hierzu McNair, 1996: 116-117. 72 In: Dazed & Confused, 1995 (Nr. 11): 101. 73 Phil Poynter zit. in: Pryor, 2011: 114.

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dern die verdeckenden Posen und ein Rest an Kleidung, dass die Darstellung ins Pornografische gleitet. Die Bilder verdeutlichen, dass der offene Umgang mit Sexualität zu einem zeitgenössischen Lifestyle gehören. Die letzte Fotografie des Paares − Rian und Cori sitzen bekleidet auf dem Bett und posieren frontal der Kamera zugewandt, während ihre noch nicht vollständig zugeknöpfte Bluse an die vorhergegangene Handlung erinnert − vereint die Komponenten Sex und Mode. Bilder wie diese wirken im Vergleich zu einigen Kunst-Projekten, die im Magazin vorgestellt werden, unverfänglich. Das Family Fuckface-Poster der Chapman Brüder (Nr. 16, 1995) zeigt zum Beispiel in erzählerischer Abfolge die Aufnahmen einer anatomisch veränderten Kinderfigur mit Genitalien im Gesicht, die verschiedene Gewalttaten und Analverkehr an einer anderen Figur ausführt. Sam TaylorWoods Soliloquy III (1998) ist nach dem kunsthistorischen Vorbild des Altarstücks aufgebaut und besteht aus einem großformatigen Einzelbild mit einem Predella ähnlichen Unterstück. Letzteres gibt die Panoramaansicht eines Lofts wieder, in dem mehrere nackte Personen diversen Aktivitäten nachgehen. Dabei ist unter anderem ein Paar in Missionarsstellung sowie ein weiteres beim Oralverkehr zu beobachten.74 Die Entscheidung zur Veröffentlichung dieser Art von Bildern bedeutet für das Magazin ein finanzielles Risiko. Der ganzseitige Druck von Days Bloody Knickers (September 1997), eine Aufnahme von mit Menstruationsblut verschmierter Unterwäsche, führt beispielsweise zu Auseinandersetzungen mit Anzeigekunden und einige Händler entfernen die Ausgabe aus ihren Regalen.75 Aber Unvoreingenommenheit und damit einhergehend eine gewisse Unangepasstheit gehören zum alternativen Konzept des Magazins und repräsentieren zugleich eine Verknüpfung von Jugendlichkeit und zeitgemäßer Distinktion. Alles Purple: Von Prosa bis Mode und Sex 1992 gründen Olivier Zahm, vormals Kunstkritiker unter anderem für Artforum, und Galeriekuratorin Elein Fleiss Purple Prose als Kunstmagazin, das frei von Einschränkungen durch die Interessen der Werbekunden und Ausstellungsinstitutionen herausgegeben werden soll. Mit der Intention, die Barrieren von Kunst und Leben abzubauen, knüpfen die Herausgeber an einen in der Kunstwelt bereits etablierten Ansatz an. 76 Dieser schafft den Boden für die Ansprache eines kunstinteressierten

74 S. Furniss/Hack, 2011: 238-239. 75 Da Risiken in den meisten Fällen bewusst eingegangen wurden, kann dies als spezifische Haltung der Verantwortlichen ausgelegt werden. Vgl. Furniss/Hack, 2011: 186-187 und Pryor, 2011: 220. 76 Vgl. Olivier Zahm zu den Motivationen der Magazingründung: »In our magazin we wanted to ressurect the old utopian ideals that narrow the gap between art and life.« Zahm, 2008: 11.

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Leserkreises und eröffnet zugleich Perspektiven für abweichende Sujets. Der Bezug zum Leben liefert darüber hinaus Impulse für die realistische Ästhetik, die charakteristisch für den fotografischen Stil im Magazin werden soll, und die spätere Aufspaltung in diverse thematisch unterteilte Subpublikationen. Im Oktober 1992 ist die erste Ausgabe im Buchladen des Musée d’Art Moderne in Paris erhältlich. Ebendort findet zwei Jahre später auch die von Zahm und Fleiss kuratierte Gruppenausstellung L’Hiver de l’Amour statt, an der hauptsächlich Künstler teilnehmen, deren Arbeiten zuvor bereits im Magazin vertreten gewesen sind. 77 Das Konzept der Künstlerförderung gleicht dem Kunstengagement von Dazed & Confused. Die französische Publikation will sich jedoch von der Kunstszene und der dynamischen Magazinkultur in Großbritannien abgrenzen und konzentriert sich im Aufbau eines kooperativen Netzwerks auf die Metropolen Paris, New York und Tokyo.78 Die einzelnen Ausgaben von Purple Prose erscheinen jeweils unter einem bestimmten Titel und die Inhalte setzen sich hauptsächlich aus französischen sowie englischen Textbeiträgen und teilweise aus rein visuellen Arbeiten zusammen. Zu Beginn fließt Mode zwar nur beiläufig ein, wird jedoch schon bald als ein thematischer Schwerpunkt erachtet. Dies belegt auch das Cover der vierten Ausgabe (Herbst 1993) auf dem ein Kleid des Designerduos Viktor & Rolf abgebildet wird. Um die Beziehung von fotografierter Mode und Sexualität innerhalb des weitgefassten Magazinkonzepts nachvollziehen zu können, muss zunächst auf die thematische Ausrichtung der diversen Ableger von Purple Prose eingegangen werden. 1995 geben Zahm und Fleiss zusätzlich Purple Fiction und Purple Fashion heraus. Während Fiction (Ausgabe 1) mehr als hundert Seiten umfasst, ist Fashion (Ausgabe 1) auf lediglich 32 Seiten begrenzt. Allerdings ist Fashion die erste vollständig in Farbe gehaltene Veröffentlichung. In erster Linie auf ein visuelles Konzept ausgerichtet, setzt die Neuerscheinung mit Namen, wie beispielsweise Wolfgang Tillmans, Anders Edström und Mark Borthwick, auf Fotografen, die schon an der Gestaltung von Prose mitgewirkt haben. Anfang 1997 kommt die zweite FashionEdition, nun mit umfangreicher Seitenanzahl, auf den Markt und die Reihe wird bis

77 Die Ausstellung wurde Ende des Jahres unter englischsprachigem Titel im MoMA PS1 gezeigt. Eine Auflistung der mehr als sechzig vertretenen Künstler, zu denen auch van Lamsweerde und Tillmans gehörten, findet sich unter: http:// www.moma.org/learn /resources/archives/ps1_exhibitions/exhibitions_1994. 78 Vgl. »We were also circumspect of London and ›English Art‹«. Fleiss, 2008: 14. Das Bsp. Matt Collishaw, der zu den YBAs gezählt werden kann und des Öfteren im Magazin sowie in erwähnter Gruppenausstellung vertreten war, demonstriert, dass nicht eine grundlegende Distanzierung von der britischen Kunstszene, sondern vielmehr eine individuelle Positionierung beabsichtigt wurde.

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Ende 1998 fortgeführt. Schon ab der dritten Ausgabe zeichnet sich ab, dass vor allem der Modegehalt Werbekunden anzieht und maßgeblich zur Finanzierung anderer Projekte beitragen kann.79 Im Winter erscheint die vierte und vorerst letzte Ausgabe des spezifisch auf Mode fokussierten Submagazins und Fiction sowie Prose werden ebenfalls eingestellt. Von diesem Zeitpunkt an werden die verschiedenen thematischen Gebiete unter dem Obertitel Purple zu umfangreichen Bänden zusammengefügt. Erst ab 2004 wird Purple Fashion als eigenständige Publikation neu aufgelegt und erscheint seitdem halbjährlich.80 Die einzige separate Veröffentlichung, die von 1998 bis 2001 weiterhin parallel zu Purple erscheint, ist Purple Sexe − eine Weiterentwicklung des Purple Prose (Ausgabe 5) Titels Post Sexe (Winter 1994) und der gleichnamigen Rubrik in der ersten Purple-Ausgabe (Sommer 1998).81 Von Beginn an hat die Darstellung von Sexualität einen hohen Stellenwert eingenommen. Ebenso zeichnet sich Mode als wesentliches thematisches Element aus, das in diversen Formen aufgegriffen wird (Interviews mit Designern, Artikel, Bildstrecken oder Mode als Gegenstand der Kunst, wie zum Beispiel in Vanessa Beecrofts choreografierten Performances (Purple Prose Ausgabe 6, Sommer 1994) etc.). Die Brücke zur Kunst schlagend, richtet sich der Fokus in der Regel auf experimentelle Designer wie Martin Margiela oder Rei Kawakubo. Das Cover der ersten Prose-Ausgabe greift Konventionen von Mode- und Frauenmagazinen auf, wendet sie jedoch konträr an. Statt des typischen dem Leser

79 Vgl. Blair, 2008: 78. 80 Die Neuauflage erschien als Ausgabe Nr.1 und miteingebunden war Purple Journal Numéro Zero, das im gleichen Jahr als eigenständige Publikationsreihe fortgeführt wurde. Während Fleiss für das Journal verantwortlich ist, betreut Zahm weiterhin die hochwertig produzierte Modereihe, deren Preis, trotz vergleichsweise geringer Leserzahlen, im hohen Bereich liegt. Des Weiteren erscheinen anlässlich von Purple Fashion regelmäßig auch Künstlereditionen, u.a. von Terry Richardson (Herbst/Winter 2004/2005), Richard Prince (2005) und Jürgen Teller (2006). 81 Anhand eines Preisvergleichs der Ende 1998 ungefähr zeitgleich erscheinenden Publikationen Purple (Ausg. 2), Purple Fashion (Ausg. 4) und Purple Sexe (Ausg. 1) lässt sich auf den ersten Blick der Schluss ziehen, dass die Herausgeber den Publikationen eine ähnliche Relevanz einräumten oder zumindest, dass die jeweiligen thematischen Ausrichtungen dem Markt als gleichbedeutend präsentiert wurden. Während Purple Sexe (Herbst/Winter 1998) nur 66 Seiten hatte und 40F/$10 kostete, hatte Purple Fashion (Herbst/Winter 1998) 122 Seiten und kostete 55F/12$. Die inhaltlich vielfältigere und insgesamt umfangreichere Winter-Ausgabe 1998 von Purple (448 Seiten) war für 75F/$14 erhältlich.

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von der Titelseite entgegenlächelnden Gesichts wird die Rückansicht einer Figur abgebildet. Krause-Wahl legt diese Umkehrung eines bewährten Gestaltungsprinzips als Kommunikationsstrategie aus, durch die ein informierter, an Kunst und Mode interessierter Leserkreis angesprochen werden soll.82 Ähnlich gegen die Erwartung des Betrachters arbeitend, ist auch das Titelblatt zur 5. Ausgabe mit dem Titel Post Sexe (Abbildung 19) konzipiert. Abbildung 19: Wolfgang Tillmans: Cover (Lutz und Alex).

Für: Purple Prose, Herbst/Winter 1994 (Nr. 5).

Tillmans Fotografie zeigt ein Paar inmitten eines Feldes. Der frontal zur Kamera positionierte Körper der Frau ist lediglich mit einer Strickjacke bekleidet. Ihre gespreizten Beine geben für die gebeugte männliche Figur und den Betrachter die Sicht auf ihr Geschlecht frei. Die Hände des Mannes ziehen die Haut an den Innenseiten ihrer Schenkel auseinander und seine Blicke scheinen ihre Weiblichkeit zu erforschen. In vielfacher Hinsicht bildet das Titelbild einen Gegenentwurf zum wiedererkennbaren Gestaltungsmodus traditioneller Hochglanzmagazine. Ähnlich

82 Krause-Wahl, 2010: 301. Gerade unter Berücksichtigung der stets deutlicher hervortretenden Ausrichtung auf Mode ist Krause-Wahls Deutung rückblickend sicherlich zutreffend. Es sollte jedoch angemerkt werden, dass die Fokussierung auf ein primär modeinteressiertes Publikum bei der ersten Ausgabe tatsächlich noch vorwegnehmend erscheint, insbesondere in Anbetracht der Verkaufsauslage in einem Museum.

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wie im zuvor besprochenem Beispiel sind die Figuren nicht identifizierbar.83 Ihr Kopf wird vom Bildrand abgeschnitten, während sein Kopf sich von der Kamera abwendet und sich seinem Untersuchungsgegenstand zuwendet. Die Strickjacke ist zwar freizügig geöffnet, aber ihre Brüste werden verdeckt. Innerhalb der Grenzen moralischer Konventionen zu reizen, ist eine hergebrachte Verfahrensweise von Printmedien, um die Aufmerksamkeit des Konsumenten zu erlangen. Tillmans Fotografie geht jedoch gegen diese strategische Verlockung des Konsumenten an und konfrontiert ihn im unteren Bildteil mit dem, was stets angedeutet, aber nie gezeigt wird: die organische Weiblichkeit. Durch die Direktheit wird Aufmerksamkeit erweckt, aber die Darstellung verliert zugleich ihre sexuelle Anziehungskraft. Geschlechtlichkeit wird als Gegebenheit und nicht als aufwendige Konstruktion präsentiert. Auch die Kulisse verortet die Darstellung in den Bereich des Natürlichen und steht im Gegensatz zur neutralen und artifiziell anmutenden Studiokulisse, die gewöhnlich als Hintergrund für die Bilder der Titelseiten eingesetzt wird. Zahm beschreibt die oppositionelle ästhetische Intention des Magazins folgendermaßen: »We had to invent a different way of expressing a true and radical opposition that was [...] esthetic but not pretentious, sexual but not pornographic.«84 Diese Unterscheidung zwischen dem Sexuellen und dem Pornografischen spaltet den Betrachterkreis in potentielle Konsumenten und jene, die in dieser Art von Bildern lediglich Provokation erkennen. Durch die Schaufensterfunktion gibt das Titelblatt vor, was der Leser im Innenteil erwarten kann, positioniert es als Genre innerhalb der vielfältigen Magazinlandschaft und beeinflusst somit maßgeblich die Kaufentscheidung. Purple Prose hingegen erschwert dem Betrachter, dem das Magazin noch nicht bekannt ist, eine Zuordnung. Selbst die in gelber Schrift gedruckte Auflistung von Autoren und Fotografen, die an der Ausgabe mitgewirkt haben, ist nur aussagekräftig, insofern dem Betrachter die Namen bereits bekannt sind. Weitere Ausführungen zum Inhalt in Form von kurzen Schlagzeilen, wie sie für Modeoder Kunstzeitschriften typisch sind, wurden nicht hinzugefügt. Das Layout sowie die fotografierte Geschlechtlichkeit sollen Purple Prose als alternative Zeitschrift kenntlich machen. Angewendet wird diese Visualisierung von Sexualität auf dem Cover von Purple Prose erst wieder für die zwölfte Ausgabe (Frühling/Sommer 1997). Statt auf Nacktheit zu bauen, deutet Marcelo Krasilcic’ Titelbild explizit eine Masturbationsszene an. Auch hier bleibt die Aktivität in Alltäglichkeit eingebettet. In dem Vorgarten einer gewöhnlichen Häusersiedlung greift sich das Model zwischen ihre Beine und wirft den Kopf lustvoll in den Nacken. Neben ihr erstreckt

83 Die Coveraufnahme wurde zuvor schon im Rahmen der Strecke ›Like Brother Like Sister‹ in i-D (November 1992) abgebildet und zeigt Tillmans Freunde sowie wiederkehrende fotografische Subjekte Lutz und Alex. 84 Zahm, 2008: 10.

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sich ein Baumstamm in die Höhe und ruft unmissverständlich die Assoziation eines männlichen Gliedes hervor. Sobald visualisierte Sexualität auf das Cover des Magazins gelangt, bewegt sich die Darstellung auf einer eingängigen Ebene. Allerdings wird diese Art von aufmerksamkeitserregenden Motiven nur selten angewendet. Die sporadische Verwendung zeichnet Sexualität als Teil eines großen Ganzen aus und gehört zum Konzept einer vielfältigen Erlebniswelt, in der die Grenzen zwischen Kunst und Leben ineinander übergehen. Durch die Lancierung einer alltäglichen Ästhetik gliedert sich Sexualität ebenso wie Mode in diesen Bereich der Verschmelzung ein und die kommerzielle Funktion beider Inhalte wird verwischt. Obwohl Tillmans Darstellung von Weiblichkeit auf eine andere Wirkung abzielt als sie für die Cover der Hochglanzmagazine charakteristisch ist, soll die Abkehr von Konventionen vor allem bemerkt werden und das Image des Magazins repräsentieren. Es ist auch auffallend, dass für die ersten fünf Ausgaben von Purple Sexe vergleichsweise unverfängliche Titelbilder gewählt werden, die im Kontrast zu den provokanten Inhalten stehen und dafür sorgen, dass sich die Subpublikation nicht eindeutig einem Genre zuschreiben lässt.85 1998 erscheinen Fiction, Fashion und Sexe in gebündelter Fassung unter dem Titel Purple. Die Inhaltsangaben führen die drei Bereiche zwar als separate Titel auf, diese verlieren durch die Bündelung jedoch ihre Eigenständigkeit und werden zu Rubriken des Magazins. Im Modeteil ist eine Strecke von Tillmans zu finden, in der die aktuelle Kollektion Martin Margielas von seiner Freundin Alex getragen wird. Ein Bild zeigt Alex auf einer Couch sitzend, umgeben von Indizien des Heimischen: die Fotografie eines Jungen an der Wand, die Nivea-Dose neben ihr, eine Tüte Haribo und eine zerknitterte Decke. Lachend hält sie eine Zeitschrift in die Höhe, die der Betrachter aufgrund der typischen Portraitansicht und des Titelschriftzugs auf dem Cover augenblicklich als Frauen- oder Modemagazin wahrnimmt. Auf ihrem Schoß liegt eine weitere Zeitschrift, deren aufgeschlagene Seiten in bildlicher Abfolge die Rasur eines männlichen Gliedes im Detail abbilden. Die Person am unteren linken Bildrand wird zwar nur partiell dargestellt, aber der Ausschnitt scheint ebenfalls eine amüsierte Mimik einzufangen. Während das Cover der Frauenzeitschrift auf die propagierten weiblichen Schönheitsideale im Inneren

85 Darüber hinaus wenden sich die verschiedenen Subpublikationen auch inhaltlich von einer Fokussierung auf ein Publikum mit einer eindeutigen sexuellen Orientierung ab und verweisen stattdessen auf eine Diversität, die komplexer ist als die in konventionellen Hochglanzmagazinen meist vorherrschende heterosexuelle Identität. Erwähnt seien hier Tillmans intime Fotografien von seinen Freunden, in denen die Beziehungen zwischen den Subjekten und nicht Zuordnungen wie hetero- oder homosexuell im Vordergrund stehen.

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lediglich schließen lässt, sorgt die Direktheit, mit der das männliche Verschönerungsritual wiedergegeben wird, für Belustigung. Obwohl die Bilder in ihrer Eindeutigkeit kontrastieren, umkreisen beide Magazintypen das Thema Geschlechtlichkeit. Die anschließende Fotografie in Tillmans Modestrecke zeigt Alex auf einem Polstersessel sitzend und in die Kamera blickend. An der Wand hinter ihr hängt ein Blumenstilleben. Portraitfotografie und Stillebenmalerei treffen als traditionsreiche Genres aufeinander und werden der zuvor besprochenen Fotografie und ihren Motiven der Trivialkultur gegenübergestellt. Die Gegenüberstellung spiegelt das Nebeneinander von hohen und niederen Kulturphänomen wieder, das auch kennzeichnend für das Magazinkonzept ist. In einem übergreifenden Kontext werden Arbeiten von Künstlern wie Maurizio Cattelan und Zoe Leonard, fotografische Darstellungen von Modeschöpfungen und fotografierte Sexualität präsentiert. Der letzte Abschnitt im Magazin trägt den Titel Sexe und hebt sich durch eine qualitativ geringwertig anmutende Produktion von den anderen Rubriken ab. Die kurzen Bildreihen von diversen Fotografen und Fotografinnen sind in Grünnuancen gehalten und rufen eine Atmosphäre des Anrüchigen hervor. Motiv der Fotostrecken ist der weibliche Körper, dessen Entblößung in sexuell aufgeladener Weise dargeboten wird. Richardsons Beitrag zeigt eine junge Asiatin in Schuluniform. Auf einer Matratze kniend, hebt sie ihren Rock in die Höhe und präsentiert ihre Genitalien. Weitere Szenen zeigen sie scheinbar geistesabwesend daliegen. Der Rock ist nach oben gerutscht und entblößt ihr Geschlecht, wodurch ihre körperliche Anwesenheit auf eine sexuelle Verfügbarkeit reduziert wird. Auch die KleenexBox, der kleine Mülleimer und weitere Utensilien auf dem Boden lassen keinen Zweifel an den Aktivitäten für die dieser Raum und ihr Körper bestimmt sind. Im Gegensatz zu der Trostlosigkeit des Raumes und ihrem verstörenden Zustand steht eine Portraitaufnahme ihres lachenden Gesichts, das ihre Jugend bekundet und den Betrachter an Hoffnungen auf ein anderes Leben erinnert. Statt mit dezenter Erotik wird der Leser mit ernüchternden Bildern von Sexualität konfrontiert und erhält Einblicke in eine Welt, die möglicherweise außerhalb des eigenen Erfahrungsspektrums liegt, deren Klischeehaftigkeit die Bilder aber in der Realität verwurzelt. Die Stereotypie der asiatischen Schulmädchenverkleidung scheint bestätigen zu wollen, dass die Bilder auf so manchen Betrachter einen ambivalenten oder tatsächlich erregenden Effekt haben, wodurch die verstörende Wirkung verstärkt wird. Doch wie gliedert sich diese Art von Fotografien in das Magazin ein und wirkt neben Mode- und Schönheitsthemen nicht störend? Durch die Möglichkeit vielfältiger und ambivalent gefärbter Betrachtungserfahrungen wird ihnen eine gewisse Undefinierbarkeit verliehen, die sie in den Zwischenraum der Überschneidung von Kunst und Leben verortet. Das übergreifende Magazinkonzept, in dem sich kulturelle Hierarchien − Prosa, bildende Kunst, Fotografie, Mode und das pornografische Bild − überschneiden, steht für eine Abkehr von etablierten Mustern und un-

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terstreicht hierdurch den Neuheitswert. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die Wahrnehmung der im Magazin dargestellten Mode und verleiht ihr den Anreiz des Neuen und Gewagten. Ab Ende der 90er Jahre wird das Phänomen des inhaltlichen Nebeneinanders von Sex, Mode und Kunst durch weitere neue Publikationen bemerkbar. Man denke dabei an Bettina Rheims Veröffentlichung ihres Morceaux Choisis-Projektes (2001) in sogenanntem Chic-Porn-Magazin.86 Des Weiteren sei hier auch das 1998 von Andrew Richardson gegründete Richardson Magazine zu erwähnen. Als Stylist hat Richardson zuvor unter anderem mit Meisel eng zusammengearbeitet und dem Fotografen auch bei der Produktion von Madonnas Buch Sex (1992) assistiert.87 In Richardsons umfangreichem Sexmagazin verschmelzen Pornografie, Fotografie und Kunst miteinander und die hochwertige Erscheinung erinnert mehr an Hochglanzmagazine oder Coffee Table Books als an billige Sexblättchen. Die Zusammenstellung der ersten Ausgabe umfasst beispielsweise ein Interview mit Pornostar Jenna Jameson für das Luchford die dazugehörigen Portraitaufnahmen geliefert hat sowie Beiträge von Richard Prince, Harmony Korine und Terry Richardson. Bela Borsodis ›Lost and Found‹-Sammlung besteht aus vorgefundenen Schwarz-WeißAufnahmen beziehungsweise Film Stills, die Gruppensex, Zoophilie und das typische Finale in Hardcore-Filmen, den Cumshot, zeigen.88 Zwar ist das Magazin nicht unbedingt auf den Mainstream ausgerichtet, aber es demonstriert den Versuch, Pornografie aus der Nische des Obszönen herauszurücken. Denn die hochwertige Ge-

86 Die zwei Akteurinnen in Rheims Serie räkeln sich auf einem weißen Teppich und führen sexuelle Handlungen vor. Vor dem klischeehaften Flauschteppich hebt sich die nackte Haut als bloße Fleischlichkeit ab. Wodurch die Erotik ins Pornografische zu gleiten droht. Dies mag ein Grund für Rheims Unzufriedenheit mit der ursprünglichen Präsentationsform sein. Im Anschluss hat sie die Fotografien ausstellen sowie als limitierten Druck im Buchformat veröffentlichen lassen und betont: »They are dirty, but they are not pornography.« Die Überführung in weitere Kontexte veranschaulicht, inwieweit die Rahmenbedingungen gerade bei sexuell aufgeladenen Inhalten relevant sind. Bettina Rheims in: Tarrant, 2001: 12. 87 Sowohl der Bildband als auch Madonnas CD Erotica (1992) sind beispielhaft für die Überführung des Pornografischen in den Mainstream und markieren einen Umbruch innerhalb der Musik- und Medienbranche. Vgl. Joseph Kahn, Regisseur von Musikvideos: »Madonna started it all, with the Erotica CD and the Sex Book, by becoming a porn star. She made herself into one, and kids picked up on that. There’s a huge market of teenagers who grew up without the taboos. You’re living in a post-Madonna world.« Zit. in: Hamilton, 1999: 430 1. 88 S. http://www.richardsonmag.com/ und Andrew Richardson im Interview http://www. dazeddigital.com/artsandculture/article/7881/1/richardson-magazine.

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staltung soll vielmehr dazu anregen, die Publikation sichtbar aufzubewahren. Magazine wie Richardson oder im Ansatz auch Purple zielen auf eine Herauslösung von Bildern des Sexuellen aus üblichen Rezeptionskategorien ab und veranschaulichen, dass die Initiative zur kulturellen Aufwertung merklich von der Mode- und Kunstwelt ausgeht. 5.1.3 Porno Chic neu definiert Terry Richardson gehört zu den gefragtesten und zugleich kontrovers diskutiertesten Modefotografen. Seine sexuell aufgeladenen Bilder in Schnappschussästhetik sind in Magazinen wie i-D und Vogue zu finden und haben das Image von Modehäusern wie Sisley (Benetton Group) und Gucci öffentlichkeitswirksam repräsentiert. Als Sohn des berühmten Modefotografen Bob Richardson ist er dennoch nicht in der Welt des Glamours und der Mode aufgewachsen, sondern in ärmlichen Umständen. Seine Jugend in Hollywood war gezeichnet von zerrütteten Familienverhältnissen, Alkohol und Drogen. Zunächst verdiente er Geld als Studioassistent und gelangte auf diesem Weg an Aufträge. Kurze Zeit später zog er mit seinem Vater nach New York und die beiden arbeiteten zusammen, bis sich der individuell fotografische Stil des Sohnes abzuzeichnen begann und sich ihre professionellen Wege trennten. Inspiriert durch Clarks Teenage Lust (1983) und Goldins The Other Side (1993) richtete er in dieser Zeit seine Kamera auf die Schattenseiten des Großstadtlebens.89 In seinen Schilderungen über jene Anfangszeit knüpft er gezielt an Künstler der jüngsten amerikanischen Fotogeschichte an, deren Bilder sowohl für ihre oft erschütternden und provokanten Inhalte als auch für ihre emotionale Authentizität bekannt sind. Bereits seit Ende der 90er Jahre werden Richardsons persönliche Werke zunehmend ausgestellt und in Buch- oder Katalogform publiziert. 1999 erscheint die Publikation Son of Bob, deren Titel vermuten lässt, dass es sich um eine Zusammenstellung von privaten Bildern handelt. Stattdessen werden persönliche Bilder und Auftragsarbeiten, von denen viele unter anderem schon in Purple zu sehen gewesen sind, vermengt und sind nicht mehr zu unterscheiden. Zentrales Anliegen der Bildauswahl scheint das Hervorrufen eines Schockeffekts zu sein. Es überwiegen Bilder, die Symbole und Motive des amerikanischen Lebens aufgreifen oder die

89 Zu seiner Biografie s. Hanson, 2008: o.S. Einige der Bilder aus seiner Jugend in Hollywood wurden 2006 im Bildband FTW (Abk. für: Fuck The World) abgedruckt. Ähnlich wie Clark in Tulsa (1971) und Goldin in The Ballad of Sexual Dependancy (1986) bezieht Richardson hier einen autobiografischen Standpunkt und richtet die Kamera auf sein unmittelbares Umfeld, das durch Freundschaft und ein geteilte Interesse an Partys, Alkohol, Punk-Musik und Kleidung verbunden ist. S. Richardson, 2006.

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den sexualisierten Körper in den Fokus rücken. Richardson veranschaulicht nicht die Erfüllung des amerikanischen Traums, sondern widmet sich der sozialen Unterschicht: der Mann, der vor dem lodernden Feuer des üppig belegten Barbecue Grills steht und beim Fleisch-Wenden eine Mütze des Klu-Klux-Klans trägt; übergewichtige Amerikaner, die gruppenweise an der Kamera vorbeilaufen; der Army-Soldat, der einem kleinen Jungen väterlich den Aufbau seines Maschinengewehrs demonstriert; eine nackte, hübsche Frau, die den Inhalt ihres Mundes in ein Spülbecken spuckt, während ihr eine Flüssigkeit (wahrscheinlich Sperma) am Oberkörper herunterläuft – ein Großteil seiner fotografischen Subjekte repräsentiert einen Teil der amerikanischen Bevölkerung, der ein Leben abseits vom Glamour der Mode- und Medienwelt führt. Das soziale Umfeld der Fotografierten erscheint dem Außenstehenden fremd und kann stellenweise auch abwertende Bezeichnungen wie white trash90 in Gedanken rufen.91 Dabei nutzt Richardson sowohl den bekleideten als den entblößten Körper, um einen klassen- oder gruppenspezifischen Habitus einzufangen und den Betrachter durch die Eindeutigkeit des Gesehenen zu schockieren. Aufgrund der Kombination von Nacktheit und Eindeutigkeit polarisieren Richardsons Arbeiten das Publikum.92 Anstoß zur öffentlichen Empörung bieten insbesondere Bilder, in denen sich der Fotograf beim sexuellen Verkehr mit diver-

90 Der Begriff white trash bezieht sich in diesem Zusammenhang nicht auf die ethnische Herkunft der Fotografierten, sondern vielmehr auf ihre gesellschaftliche Position und eine generalisierende Wahrnehmung des Betrachters. Da Richardson seine Herkunft selbst als sozial schwach beschreibt und gerade zu Anfang seine eigene Umgebung fotografisch festgehalten hat, bieten die Bilder gewissermaßen einen Querschnitt dieser amerikanischen Bevölkerungsschicht. 91 Der Bildband steht im starken Kontrast zum Buch Terrywood, (2012) in dem sich Richardson Hollywood als mythenhafter Traumstadt des Glamours, Kitschs und der Maßlosigkeit widmet. Enthalten sind u.a. Fotografien von Prominenten auf dem roten Teppich, der zuvor in Los Angeles stattgefundenen gleichnamigen Ausstellungseröffnung. 92 Insbesondere seine Ausstellung Terry World, die 2004 in der New Yorker Galerie Deitch Projects stattfand, wurde kontrovers diskutiert. Gezeigt wurden Fotografien aus den zeitgleich veröffentlichten Bildbänden Terryworld und Kibosh. Terryworld ist im Taschen Verlag erschienen und umfasst Bilder, die zwar provokant, aber im Vergleich zum zweiten Bildband harmlos anmuten. Kibosh ist indessen als limitierte hochpreisige Edition vom italienischen Verlag Damiani publiziert worden. Der Grad der sexuellen Eindeutigkeit bestimmt demnach die Zugänglichkeit und verleiht den Bildern eine gewisse Exklusivität. S. Richardson, 2008. (Der italienische Fotoband wurde im Rahmen dieser Untersuchung nicht im Original eingesehen. Weiterführend s. Richardson, Terry: Kibosh, Bologna 2004.)

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sen Models hat ablichten lassen.93 Innerhalb der Mode- und Kunstindustrie sind allerdings relativ wenig negativ ausfallende Stellungnahmen zu seinen Werken laut geworden. Rankin, Gründer des Magazins Dazed & Confused für das Richardson schon des Öfteren gearbeitet hat, gehört zu den Ausnahmen: »Some of his work I like, he’s got a great sense of humour, but Kibosh is shocking. It shocked me. It’s like home porn – we’ve all done those photos. He’s working with models that I know, and he’s having sex with some of his models. It’s quite misogynistic, actually, but in a very free-love kind of way. It’s fantasy as well, but a different kind of fantasy. To be on that precipice of porn and to be able to piss into it is cool. But to fall in, it was like he was abusing his integrity.«94

In Anbetracht der Vorwürfe, Richardson missbrauche seine Position als Fotograf, kann man die Bilder als Ergebnis des ungleichen Machtverhältnisses zwischen Fotograf und Model auslegen, auf das Teller in seinem Projekt Go-Sees (1999) hinweist. Die aktive Anwesenheit des Fotografen im Bild versteht Zahm jedoch als Methode zur Auflösung von typischen Machtstrukturen sowie zur Erschaffung eines Realitätsbezuges und einer emotionalen Ebene, die gegen die Kommerzialisierung fotografierter Sexualität und die Illusionen des Pornobildes arbeitet. So reagiert er auf die Frage, ob Richardsons Fotografien ins Pornografische gleiten, folgendermaßen: »Pornographie ist die Art, wie Sex kommerzialisiert wird von einer repressiven Maschine in einem isolierten Bildghetto (im Internet, in Zeitschriften, Filmen usw.) [...] Terry arbeitet tatsächlich gegen die Pornographie, weil er Sehnsucht, Verführung und spielerische Sexualität wieder einführt – im wahren Leben, in Echtzeit, im Studio. Er fotografiert Sex als wahre Wechselwirkung zwischen ihm und dem Model. Er spielt nicht das Szenario sexueller pornografischer Kontrolle und Entfremdung. Er ist Teil des Spiels. [...] Er lehnt die stereotype Funktion des Pornobildes ab. Indem er sich selbst ins Bild einbringt, unterdrückt er die Illusion der Herrschaft und fügt den Rahmen zusammen. [...] Sie [die Pornografie; Anm. der Auto-

93 Zur Äußerung von Kritik wird heute verstärkt das Web 2.0 genutzt, wodurch sich die Rezension auf einer Ebene der öffentlichen Meinungsäußerung bewegt. Bisheriger Höhepunkt des Skandals sind die Vorwürfe, Richardsons Arbeitsweise beruhe in erster Linie auf der Einschüchterung von jungen noch unbekannten Models. Aufgrund der seit 2010 immer wieder auftauchenden anklagenden Berichte, sind auch seine Auftraggeber aus der Modewelt zunehmend zur Zielscheibe öffentlicher Kritik geworden. S. Davies, 2010: o.S. (Online). 94 Rankin in: Rankin/Shinkle, 2008: 94.

232 | MODEFOTOGRAFIE rin] ist ein reines Konstrukt, eine Illusion. Terrys Bilder sind das Gegenteil davon. Sie dekonstruieren diese falsche Beschönigung.«95

Die Zuschreibung zur Pornografie liegt aufgrund der expliziten Darstellungen und der Fokussierung auf sowohl gegebene als ausgelebte Geschlechtlichkeit jedoch häufig nahe.96 Zahms Erläuterungen bieten neben den Aspekten der stereotypen Machtstruktur und des Realitätsgehalts weitere Anhaltspunkte zur Untersuchung. Von Interesse ist auch die Frage nach der kommerziellen Einsatzfähigkeit dieser Arbeiten und welche Funktion Humor erfüllt. Obwohl zwischen Richardsons persönlichen Projekten und Auftragsarbeiten zu unterscheiden ist, lassen sich beide nicht isoliert voneinander behandeln. Denn die Arbeitsbereiche gehen ineinander über und formen die Künstlerpersona Terry Richardson, die sich Auftraggeber für die Imageformung ihrer Marke zu eigen machen. Aufgrund der öffentlichen Präsenz sind insbesondere seine kommerziellen Auftragsarbeiten nachhaltig im Gedächtnis geblieben und liefern den Boden für seinen Ruf als Provokateur, der ihm auch in der Kunstwelt zugute kommt. Neue Bilder – Neue Werte Zu Richardsons ersten bedeutenden Aufträgen gehören die Werbekampagnen für die britische Designerin Katharine Hamnett, für die zuvor von Unwerth verantwortlich gewesen ist.97 Die frühen Umsetzungen für Katharine Hamnett Denim zeigen schwarz-weiß gehaltene Aufnahmen, die entweder einzelne Figuren oder Pärchen in konventioneller Mann-Frau-Anordnung darstellen. Größtenteils als Kniestücke angelegt, geben die Bilder die Schnitte der Kleidung nicht vollständig wieder. Zwei der Aufnahmen zeigen jeweils ein weibliches und ein männliches Model vor einem neutralen weißen Hintergrund. Sie hält ihr Oberteil auf der Höhe ihrer Brüste fest

95 Olivier Zahm in: McInnes/Zahm, 2004: o.S. 96 Inwieweit Richardson durch seine Anwesenheit im Bild tatsächlich bezweckt, Machtstrukturen in Frage zu stellen, ist zweifelhaft. So zeigt eine undatierte Fotografie, in der begleitenden Künstleredition zu Purple Fashion (Herbst/Winter 2004), Richardson beim Gruppensex mit weiblichem und männlichem Partner. Während sie zwischen Beiden kniet und an Richardson Oralverkehr vollzieht, vergnügt sich die zweite männliche Figur von hinten mit ihr. Alle drei Blicke richten sich gegen Kamera und versichern hierdurch ihr Einverständnis. Ihren Stolz demonstrierend klatschen die männlichen Beteiligten sich gegenseitig über ihrem Kopf mit den Händen ab und demonstrieren durch diese Gestik eine klare Verteilung der Machtpositionen. 97 Richardsons Kampagnen für Hamnett lassen sich u.a. in The Face (bspw. September 1995), i-D (bspw. März und April 1996) und Dazed & Confused (bspw. No. 14, 15 und 16) finden.

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und gibt die Sicht somit teilweise frei, ohne sich vollständig zu entblößen. Der Kopf ist geneigt, der Mund leicht geöffnet und die Augen scheinbar geschlossen. Das Versprechen bevorstehender Nacktheit, der Zustand der Unwissenheit sowie ihre lässig anmutende Attitüde intensivieren die sexuelle Spannung des Momentes. Indessen betont das männliche Pendant seine Männlichkeit, indem er sich mit einer Hand an den Schritt greift. Der Kopf ist nach oben geneigt, der Blick richtet sich auffordernd zur Kamera und bringt eine selbstbewusste Haltung und eine gewisse Gleichgültigkeit zum Ausdruck. Die Buchstabenkette um den Hals weist ihn namentlich als David aus und gibt zu verstehen, dass sein Auftreten ebenso wie seine Kleidung ihn ausmachen. Vor dem neutralen Hintergrund rückt die Persönlichkeit, genauer gesagt die Posen und die Kleidung als Mittel der Identitätskonstruktion, in den Mittelpunkt und gibt dem Betrachter zu verstehen, dass er sich durch den Kauf der Marke die Charakteristiken sexy und selbstbewusst aneignen kann. Robert Sullivan geht 1995 in dem Vogue-Artikel Denim and Desire der Frage nach, weshalb gerade Jeansmarken auffallend häufig auf sexuell aufgeladene Werbung setzen. Erklärung hierfür ist, ihm zufolge, die nicht sehr vielfältige Verwendung des Materials und die hieraus resultierende Notwendigkeit, auf dem Markt hervorzustechen. So fasst Neil Kraft, der mitunter an der Konzeption von Calvin Kleins Kampagnen beteiligt gewesen ist, zusammen: »You’re selling something that is essentially the same as what other people are selling. You’re selling something with very subtle differences.«98 Von Unwerth hat als Richardsons Vorgängerin in ihren Arbeiten für Katharine Hamnett und auch für Guess Jeans eine ähnliche Strategie eingesetzt und durch die begehrliche Inszenierung der Mode Aufmerksamkeit für die zu bewerbenden Marken erzielt. In den anderen Kampagnenbildern rückt Richardson Begehren als Element der Handlung in den Fokus und verleiht den Aufnahmen anhand von wechselnden Schauplätzen dokumentarische Anklänge. In einer Serie begleitet der Betrachter ein Pärchen und beobachtet sie in diversen Stellungen an verschiedenen öffentlichen Orten: wie sie sich mit herausgestreckten Zungen küssen, im Auto liegen während er an ihre Brüste greift, sie ihm an einer Strandpromenade zwischen die Beine greift, sie sich an eine Mauer gelehnt küssen, sie vor ihm kniet und seine Hose öffnet. Trotz der Nähe zum Geschehen schenken sie dem Betrachter keine weitere Beachtung und weisen ihm somit die Position des gestatteten Voyeurs zu. Ähnlich wie es in Newtons Bildern oft der Fall ist, trifft exhibitionistisches Handeln im öffentlichen Raum auf fotografischen Voyeurismus. Das Fehlen von weiteren im Bild festgehaltenen Zeugen sowie die Nähe erzeugen jedoch eine Intimität, die den Beobachter in eine gesonderte Stellung versetzt. Da Mann und Frau als ebenbürtige fotografische Subjekte und gleichermaßen sexuell fordernd auftreten, unterscheidet

98 Neil Kraft zit. in: Sullivan, 1995: 166 und 168.

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sich die Rollenverteilung ebenfalls von Newtons Bild der dominierenden Frau. Statt zu einem Leben in Überfluss und Luxus gehört Sex in diesen Bildern zum Alltag. Es wird der Eindruck vermittelt, der Betrachter könne an jeder gewöhnlichen Straßenecke ein ähnlicher Anblick erwarten. In anderen Aufträgen für Katharine Hamnett Denim nutzt Richardson ebenfalls die Konstellation des heterosexuellen Pärchens, aber sorgt mittels variierender Schauplätze und Positionen für Abwechslung. Eine Innenaufnahme zeigt ein weibliches Model ausgestreckt und auf dem Rücken liegend auf einer Couch. Ihr schwarzes Kleid ist nach oben gerutscht und legt den weißen Slip frei, der beinahe pfeilförmig zwischen den weißen Druckbuchstaben der Markenaufschrift hervorsticht. Die weiße Unterwäsche steht als Symbol der Reinheit im Kontrast zu ihrer ausbleibenden Scham. Bestärkt wird die Tendenz zum Exhibitionismus durch die Schuhpaare der anonymen Beobachter im Hintergrund. Eine weitere Aufnahme zeigt sie auf dem Schoß eines männlichen Models sitzend. Innig sind die Gesichter einander zugewandt, während ihre Hände mit seinen Lippen spielen. Den Oberkörper vom Betrachter wegdrehend, spreizt sie die ihm zugewandten Beine und präsentiert ihren weißen Slip. Auch dieses Pärchen schenkt der Kamera keine Beachtung. Einerseits abgewandt und andererseits darbietend, lädt die Pose zum Miterleben, aber nicht zum Selbsterleben ein. Bei genauerem Hinsehen lässt sich ein aus dem Slip herausragendes Schamhaar ausmachen – ein bedeutendes Detail, das als Negation modefotografischer Konventionen gedeutet werden kann und zugleich einen Bruch in die Konstruktion einer voyeuristischen Fantasievorstellung einfügt.99 Das Klischee der Zeigefreude trifft, in Form eines Schamhaars, auf das Konkrete als Indiz für die Realität des Gesehenen. Ihre unbekümmerte Haltung vermittelt ebenso wie das sich scheinbar durch Nachlässigkeit ins Bild eingeschlichene Schamhaar den Eindruck jugendlicher Unbekümmertheit. In Richardsons anschließender Kampagne für die Hauptlinie Katharine Hamnett wird das Motiv des Pärchens durch das wiederkehrende Thema Geschlechteridentität abgelöst. Zu sehen sind ein weibliches Model mit kurzen blonden Haaren, das einen androgynen Hosenanzug trägt und in typisch männlicher Pose vor einem Urinal der Herrentoilette steht, sowie zwei männliche Anzugträger, die mit Transvestiten tanzend und feiernd im Nachtleben unterwegs sind und durch diese ungewöhnliche Konstellation mit der konventionellen heterosexuellen

99 Obwohl Nova schon 1971 Schamhaar abgebildet hat, ist dies gerade im Kontext von Mode und Werbung ein Wagnis geblieben. Richardson versichert zwar, das Detail nicht geplant zu haben, sieht es jedoch als glücklichen Zufall. Die Beschreibung als ein Element des Zufalls spricht gegen die provokative Intention vonseiten des Fotografen, soll allerdings auch den Eindruck von Authentizität verstärken. S. Terry Richardson zit. in: Holson, 2012: o.S. (Online).

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Geschlechterpaarung brechen. Es klingen Impulse von Goldins Fotobuch The Other Side an, das Einblicke in die theatralische Welt der Drag Queens, Transvestiten und Transsexuellen geliefert hat. Zwar ist performative Geschlechteridentität auch bei Newton ein zentrales Thema, zielt (besonders in Form der androgyn gekleideten Frau) jedoch meist auf die Erotik lesbischer Fantasievorstellungen ab. Richardsons Männerduo und die feiernden Transvestiten sollen hingegen Lebenslust, frei von gesellschaftlichen Zuschreibungen, bewerben. Die Frauen in Richardsons Kampagnen für Katharine Hamnett – gegebene oder performative Weiblichkeit ist hierbei nicht ausschlaggebend – sind ähnlich wie Newtons Frauen aktiv und zeichnen sich durch Triebe aus. Dabei treten sie den Männern, denen Richardson durchaus motivische Bedeutung zuspricht, jedoch nicht unbedingt dominierend entgegen. Sowohl Newton als Richardson nutzen fotografische Techniken, die den Betrachter in eine voyeuristische Position versetzen und die Anwesenheit des Fotografen bezeugen. Am auffallendsten unterscheiden sich die Stile der beiden Fotografen jedoch im Hinblick auf die Gesamtwirkung und ausgelöste Betrachtungsweise. Richardsons dokumentarische Ästhetik arbeitet, vor allem in Kombination mit der oft reduzierten Distanz zum Gesehenen, gegen die Verlagerung in den Bereich der Fantasie an. Denn er setzt weniger auf eine reizvolle Erotik, als dass er durch ein Repertoire an Gesten (zum Beispiel der Griff an den Schritt) oder Details (das hervorblitzende Schamhaar) die Aufmerksamkeit auf die körperliche Geschlechtlichkeit lenkt. Diesen eindeutigen, aber recht simplen Konstruktionen werden oft humorvolle Komponenten beigefügt. Für Hochglanzmagazine werden ähnliche Bildlösungen angewendet. So arrangiert Richardson Moss’ Körper in einer Außenaufnahme vor dem Hintergrund der aufgehenden Sonne, deren warmer orangefarbener Lichtkörper unterhalb des Schritts durch die leicht gespreizten Beine scheint (Harpers Bazaar, Juni 1997). Den strengeren Vorgaben des Hochglanzmagazins entsprechend, kommt die Darstellung ohne explizit sexuelle Handlungen oder unbekleidete Körper aus und vermag es dennoch innerhalb des ästhetisierten Rahmens, Geschlechtlichkeit in den Mittelpunkt zu rücken. Den Gegensatz zu diesen glamourisierten Beispielen bilden Werke, in denen das Körperliche durch die Darstellung von Flüssigkeiten pointiert wird: die Mutter, die mit Baby auf dem Schoß posiert und dabei Milch aus ihrer freigelegten Brust Richtung Kamera spritzt (i-D, August 1996), ebenso wie das Model, das sich im Kuhstall für Sisley (2002) Milch aus dem Euter eines Tieres ins Gesicht spritzt und den pornografischen Höhepunkt des Cumshots imitiert. Richardsons Bildlösungen weisen eine Bandbreite auf, die von der Andeutung durch formale Gestaltungsmittel bis hin zum »Flirt mit der Pornografie«100 reicht.

100 Lütgens, 2002: T23.

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Bilder der Jugend Lipovetsky ist der Ansicht, dass Newtons vornehme Erotik überholt wirkt und führt dieses Empfinden auf eine Verlagerung von Werten in der Mode zurück. Im Zuge dieser Wandlung ist Jugendlichkeit an die Stelle von Klasse als höchste Qualität getreten und Marken zielen durch den Einsatz von Sex auf ein junges zeitgemäßes Image ab.101 Richardsons Bildästhetik scheint dies zu bestätigen, indem sie einen glaubhaften Rahmen für sexuell aufgeladene Szenen erschafft, die Spontaneität und Ungezwungenheit vermitteln sollen. Des Weiteren stellt Lipovetsky fest, dass sexuelle Inhalte erst übernommen werden, nachdem der Tabubruch gesellschaftlich anerkannt ist.102 Es ist zwar zutreffend, dass sich der Tabubruch in der Modefotografie meist nur auf einer Ebene der Andeutungen abspielt, dennoch sei Lipovetskys Kreislauf einer risikolosen Erweiterung sexueller Motivik in Frage gestellt. Ab wann löst die Darstellung oder Andeutung eines Tabus keine Entrüstung mehr aus? Oft sobald nach einer Phase der Entrüstung die Gewöhnung an das zuvor NichtDarstellbare einsetzt. Daraus schlussfolgernd ergibt sich die Überlegung, ob insbesondere die allgegenwärtige Modefotografie erheblich zur Gewöhnung an tabuisierte Themen beiträgt. Turbevilles Frauengruppe erweckte 1975 lediglich durch die ungewöhnliche Atmosphäre im männerfreien Raum Deutungen lesbischer Inhalte, doch das damalige Entsetzen ist heutzutage nur noch schwer nachvollziehbar. Ab Mitte der 70er Jahre haben Fotografen und Fotografinnen verstärkt den Weg für explizite Darstellungen in Modebildern geebnet und zugleich zur Adaption ins Regelwerk beigetragen. Newtons Anordnung von zwei Frauen ist heute zum Beispiel kein ungewöhnlicher Anblick mehr und ist des Öfteren in Richardsons ebenso wie in von Unwerths Arbeiten (zum Beispiel in: i-D, November 1995) als Paarung anzutreffen. Angesichts des Gewöhnungseffekts muss die Modefotografie allerdings auch Erneuerungen vornehmen, um weiterhin modern aufzutreten. Insbesondere die Verbindung von Jugend und Sex birgt die Gefahr, das Tabu jugendlicher Sexualität zu weit auszureizen. Avedon lässt 1980 die damals fünfzehnjährige Brooke Shields in einem Werbeclip den zweideutigen Spruch »You know what comes between me and my Calvins? Nothing« aufsagen. Woraufhin die Ausstrahlung von einigen Sendern boykottiert wird.103 Damit hat Avedon den Auftakt für die Verbindung von Sex und Jugendlichkeit geboten, die für Calvin Kleins Kampagnen kennzeichnend geworden und als aufsehenerregende Werbestrategie im kollektiven Gedächtnis haften geblieben ist.

101 Lipovetsky, 2002: T10. S.a. Lipovetsky, 1994: 100-102. 102 Lipovetsky, 2002: T10. 103 Daly, 1995: 142.

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Ungefähr zeitgleich zu Richardsons erster Kampagne für Katharine Hamnett werden im Fernsehen Werbeclips für CK Jeans ausgestrahlt, die zu Verdächtigungen der Kinderpornografie und kurze Zeit später zur Untersuchungen des Modehauses durch das FBI führen.104 In einem leeren Raum mit brauner Holzbekleidung, lilafarbenem Teppich und einer Leiter als Requisite hat Meisel männliche und weibliche Models, die durch ihr verschämtes oder kokettierendes Verhalten sowie in einigen Fällen durch einen kindhaften Körperbau leicht als Teenager durchgehen könnten, in einer Castingsituation agieren lassen. Einzeln vor die Kamera getreten, stellt ihnen eine männliche Stimme aus dem off Fragen (zum Beispiel: »Have you ever made love in a film?«), gibt ihnen Anweisungen (»You think you could rip that shirt off?«) oder Komplimente (»You have a lovely body«). Die Mise-en-Scène sowie die schlechte Qualität des Filmmaterials verleihen dem Ganzen den Charme eines Auswahlverfahrens für eine 70er Jahre Pornoproduktion.105 Ohne die anzüglichen Kommentare der off-Stimme, bauen die unbewegten Bilder der Kampagne dafür auf eindeutigere Posen und ein Mehr an spärlich bekleideten Körpern. Eine Fotografie zeigt ein weibliches Model auf dem lilafarbenen Teppich vor besagter Holztafelwand liegen.106 Direkt in die Kamera schauend, spielt sie lasziv mit einer Haarsträhne vor ihrem geöffneten Mund. Die Beine sind geöffnet und zeigen, was sie unter ihrem kurzen Jeansrock trägt: weiße Unterwäsche, deren Helligkeit die Aufmerksamkeit des Betrachters einfordert. Im Gegensatz zu Richardsons Paaren, die dem Fotografen keine Aufmerksamkeit schenken, agieren Meisels Darsteller für die Kamera und scheinen den Betrachter zum Selbsterleben einladen zu wollen. Angesichts der angestrebten Provokation verwundert es, dass Calvin Klein im gleichen Jahr Werbeanzeigen in Dazed & Confused zurückgezogen hat, um nicht in der gleichen Ausgabe wie Poynters ›Rian & Cori‹ (Abbildung 18) zu erscheinen.107 Es ist anzunehmen, dass dem Modehaus nach dem Aufsehen um Meisels Anzeigen in Amerika ein möglicher Skandal in Großbritannien vorerst zu gewagt erschien. Insbesondere da bereits zwei Jahre zuvor, nach Veröffentlichung von Days ›Under Exposure‹-Aufnahmen (Vogue (UK), Juni 1993) der jungen, dünnen und verletzlich anmutenden Moss (Abbildung 13), in den britischen Medien die Schlagworte Pä-

104 Arnold, 2001: 53. 105 Vgl. Daly, 1995: 142. Eine Zusammenstellung der Werbeclips lässt sich unter dem folgenden URL-Link finden: https://www.youtube.com/watch?v=vZVk21Pco-c. 106 Abgebildet u.a. in: The Face, Dezember 1995: 143. 107 Als Reaktion auf den Rückzug der Anzeigen konzipierte Poynter die Strecke ›I Didn’t Recognize You With Your Clothes On‹ (Dazed & Confused, November 1998), in der mittels digitaler Bildbearbeitung die Körper aus den explizit sexuellen Szenen entfernt wurden. S. Phil Poynter zit. in: Pryor, 2011: 114.

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dophilie und Ausbeutung gefallen sind.108 Ferner hat der Fall auch gezeigt, dass sich eine Differenzierung zwischen abgebildeter Jugend und inszenierter Jugendlichkeit nicht unbedingt auf das moralische Empfinden auswirkt, wie Humes Artikel über Days Fotostrecke verdeutlicht: »The pictures invite the reader to stare at the croch and the breasts of a child. It does not matter that the child in the pictures is in fact a woman. [...] What matters is that she looks 13 and that she looks back at the camera with the passivity of a victim.«109 Meisels und Poynters Arbeiten unterscheiden sich bei genauerem Hinsehen schon hinsichtlich ihrer Intentionen. Denn während Poynter provokative Bilder nutzt, um einen offenen Umgang mit alltäglicher Sexualität zu bewerben, zielen Meisels Bilder primär auf Provokation ab und wollen durch den angedeuteten Tabubruch reizen. Dieser wird durch die weiße Unterwäsche und die Assoziation mit Reinheit vorangetrieben, im Betrachter werden gezielt Befürchtungen um das Thema Pädophilie erweckt. Umso verstörender wird dieser Effekt, wenn die Verlockung von den Fotografierten selbst und nicht von der Gestalt hinter der Kamera auszugehen scheint. Im Gegensatz zu reifen Frauen in verführerischer Aufmachung, wie sie so oft in Newtons Arbeiten auftauchen, zeichnen Meisels Akteure das Bild einer Generation, die trotz ihrer Jugend nicht unschuldig ist. Die entsetzten Reaktionen auf dieses Bild lassen sich auf eine Anschauung von Jugend als unveränderlichen Zustand zurückführen, die durch das Bewusstsein erschüttert wird, dass Gesellschaft und Jugend durch Medien geformt werden. In ähnlicher Weise wie Turbevilles und Newtons Vogue-Bilder 1975 eine moderne Wahrnehmung der Frau kundgegeben und somit traditionelle Rollenvorstellungen als instabil ausgewiesen haben, beruht die Verunsicherung auch hier in erster Linie auf dem Eindruck einer gesellschaftlichen Veränderung. Als Reaktion auf die Anschuldigungen der Kinderpornografie sowie die Proteste religiöser Organisationen und der konservativen American Family Association, ist eine ganzseitige Erklärung Calvin Kleins in der New York Times geschaltet worden, in der die Botschaft der Werbekampagne als Missverständnis dargestellt und die eigentliche Intention, ein ›demokratisches‹ Verständnis von Glamour zu vermitteln, dargelegt wird.110 Für einige moralische Bedrohung und für andere kreative Vermarktungsmethode mit Kultpotential haben die Kampagnen, trotz ihres vorzeitigen Rückzugs vonseiten des Modehauses, ihre eigentliche Zielgruppe erreicht.111 So legt Calvin Klein später in einem Interview in The Face seine Wer-

108 Weiterführend s. Jobling, 1999: 112-113. 109 Hume, 1993: 22. 110 »[...] the idea that glamour is an inner quality that can be found in regular people in the most ordinary setting.« Tran, 1995: 001. 111 Vgl. Daly, 1995: 142-143.

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bestrategie aus: »In the end the kids buy the jeans, we’re not selling them to 50year-olds [...]. And kids love the idea that it’s something bad, that their parents don’t want them to wear this.«112 Im selben Jahr, in dem Meisels Werbekampagne für Aufsehen sorgt, wird Clarks Debütfilm Kids (1995) beim Sundance Film Festival vorgeführt (nichtfertiggestellte Fassung) und feiert kurz darauf im Rahmen der Filmfestspiele in Cannes Premiere.113 Clarks Darstellung des zeitgenössischen Teenagerdaseins, das durch Sex, Gewalt und Drogen bestimmt wird,114 hat besonders durch seinen rohen dokumentarisch anmutenden Stil in Kombination mit der Verwendung von jungen nicht-professionellen Schauspielern zu gespaltenen Zuschauerreaktionen geführt. Grenzt Clarks Einsatz von möglichst jung wirkenden Akteuren und die Darstellung jugendlicher Sexualität an Pädophilie oder soll der Film als Warnung vor ungeschütztem Geschlechtsverkehr verstanden werden − dies sind die zentralen Fragen, die der Film aufgeworfen hat.115 »One thing, however was clear: Kids was not to be judged on how good or bad it was, artistically, but on how true it was,«116 fasst ein Journalist das ausschlaggebende Bewertungskriterium zusammen und weist auf die Problematik der Unterscheidung von Fiktion und Realität hin.

112 Calvin Klein zit. in: Daly, 1995: 145. 113 Der Film löste bereits nach seiner Vorführung während des US-Filmfestivals moralische Debatten aus. Obwohl sich viele der internationalen Anlauftermine verzögerten, wurde das öffentliche Bewusstsein für die Thematik durch die Besprechung in den Medien schon im Vorfeld geweckt. 114 In zwei aufeinander zulaufenden Handlungssträngen schildert der Film den Tagesablauf von Telly und seinem Freund Casper sowie parallel dazu Jennies Erlebnisse. Jennie, die bisher nur einmal in ihrem Leben Geschlechtsverkehr hatte, muss erfahren, dass sie von Telly mit dem HI-Virus infiziert wurde und begibt sich auf die Suche nach ihm. Währenddessen geht Telly seiner Lieblingsbeschäftigung nach und überredet in kürzester Zeit weitere Jungfrauen zum Sex mit ihm. Auf einer Party erreichen Jennie und Telly schließlich beide ihr Ziel: Sie hat ihn endlich gefunden und kommt dennoch nicht dazu, ihm mitzuteilen, dass er das Virus in sich trägt. Er entjungfert im Schlafzimmer bereits sein nächstes Opfer. Jennie fällt von Drogen berauscht in einen Zustand der Bewusstlosigkeit, umgeben von schlafenden ineinander verschlungenen Körpern. Der hereinbrechende Tag beginnt und der Film endet mit der Vergewaltigung Jennies wehrlosen Körpers durch Casper. 115 Zu den vorwiegend schockierten Reaktionen auf der Pressekonferenz in Cannes s. Ronson, 1995: T 004. Taubin hingegen betitelt den Film in seiner Fassung für das Sundance Film Festival als Meisterwerk. Taubin, 1995: 008. 116 Ronson, 1995: T 004.

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Schon in Clarks fotografischem Werk Teenage Lust (1983) ist jugendliche Sexualität zentraler Gegenstand seiner Beobachtungen und paart sich immer wieder mit dem Aspekt der Gewalt. Auch in späteren Projekten sind die zwei Komponenten übergreifende Erscheinungen. In Tulsa und Teenage Lust hat Clark vorwiegend einen autobiografisch-dokumentarischen Standpunkt bezogen, in The Perfect Childhood (1993) vermengt er hingegen Fotografien, die seiner persönlichen Realität entstammen, mit inszenierten Aufnahmen und Bildern aus den Medien. Zusammengesetzt ergeben diese Fragmente einen Ausschnitt dessen, was Jugend bedeuten und wie sie durch die Medien konstruiert werden kann. Der Übergang hin zur fiktiven Erzählung − wie es auf Kids zutrifft − bedeutet, dass ein Bild von Jugend konstruiert wird, dessen Zuschreibung eines Wahrheitsgehaltes in erster Linie von einem subjektiven Empfinden ausgeht. Interessant ist in diesem Zusammenhang Henry Giroux’ Analyse des Films. Er kritisiert Clarks Repräsentation von Jugend in Kids hinsichtlich der Loslösung aus einem übergreifenden gesellschaftlichen Kontext und zieht zur Veranschaulichung Parallelen zur Werbung: »The teenagers in Kids are portrayed as if they live in a historical, political and cultural vacuum. Lacking any depth, memories, or histories, Clark’s teenagers are drawn in personal and stylized terms.«117 Giroux fährt fort und zieht als Beispiel Calvin Kleins Werbekampagnen heran: »Not unlike the Calvin Klein jeans advertising campaign, Clark’s narrative about youth plays on dominant fears about the loss of moral authority while reinforcing images of demonization and sexual license through which adults can blame youth for existing social problems, and be titillated at the same time.«118

Seine Analyse schließt er mit einem Appell an die Kulturindustrie ab, in dem er dazu auffordert, moralische Verantwortung zu übernehmen und die Auswirkungen der Darstellung von Sexualität in den Medien auf Jugendliche abzuwägen.119 Obwohl der Autor gegen eine moralische Verurteilung der Jugend Stellung bezieht, zeichnet sich in seinen Ausführungen eine Spaltung von Alt und Jung ab, weil er die filmische Repräsentation der zeitgenössischen Jugendgeneration nur aus der Perspektive des Außenstehenden bewerten kann.120 Diese entzweiende Wirkung beschreibt John

117 Giroux, 2002: 181. 118 Giroux, 2002: 181. 119 Giroux, 2002: 189. 120 Den Vorwurf, dass seine Darstellung der zeitgenössischen Jugend aus Perspektive eines Außenstehenden geschildert wird, umgeht Clark, da er sich zuvor in das Umfeld integriert hat. Unterstützt wird der authentische Charakter der Geschichte durch den Autor des Drehbuchs, den damals 19-jährigen Harmony Korine, aus dessen Umfeld auch der

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Pultz auch als Merkmal Clarks fotografischer Arbeiten: »Larry Clark’s photographs [...] exploit the potential of nudity to shock the old and unify the young.«121 In ähnlicher Weise setzt auch Richardson den sexualisierten Körper ein und spaltet den Kreis der Betrachter in diejenigen, die den durch Fokussierung auf Geschlechtlichkeit hervorgerufenen Humor verstehen und ebenjene, die keinen Sinn dafür haben. Das Verstehen der Botschaft wird mit einer zeitgemäßen Informiertheit gleichsetzt, die wiederum als eine Form der Jugendlichkeit ausgelegt wird. Clarks Film schürt ebenso wie Meisels Kampagne Ängste vor pädophilen Fantasien und einer sexualisierten Jugend. Richardson hingegen stellt Jugend nicht bildlich dar, sondern setzt Sex zur Vermittlung des Wertes Jugendlichkeit ein. Wodurch zum einen Anschuldigungen der Pädophilie umgegangen werden und Jugendlichkeit zum anderen als eine vom Alter unabhängige Qualität präsentiert wird. Zu viel für Sisley Abschließend wird auf den Katalog zu Richardsons Einzelausstellung too much (2002 in Florenz und 2003 in Berlin) eingegangen, die von Sisley gefördert wurde.122 Im dazugehörigen Katalog werden insgesamt achtzig Werke (bislang unveröffentlichte und bereits bekannte) präsentiert, die zwischen den Jahren 1997 bis 2002 von dem Modehaus in Auftrag gegeben wurden. Erläuternde Angaben zu den einzelnen Arbeiten sind nicht vorhanden und es lässt sich somit nur erahnen, ob sie im Rahmen der Werbekampagnen zuvor schon veröffentlicht wurden. Als subjektiver Indikator dient dem Betrachter der Grad an Nacktheit und Eindeutigkeit. Indem Sisley keine Differenzierung zwischen beiden Bildkategorien vornimmt, stellt sich das Modehaus nicht als Auftraggeber, sondern vielmehr als Verbündeter vor. Angetrieben wird dieser Eindruck auch durch das Cover, das Richardson und Sisley als gemeinsam rebellierend gegen die Autorität der Mode und den Markennamen vorstellt. Der ausgewählte Ausschnitt zeigt in Nahansicht gespreizte Oberschenkel, durchsichtige Unterwäsche, kleine rote Hautunreinheiten, schwarze Schamhaare und eine männliche Hand, die an die weibliche Scham greift. Verdeckt wird das weibliche Geschlechtsorgan durch einen aufgedruckten rosafar-

Großteil der mitwirkenden Jugendlichen stammt. Vgl. Larry Clark in: Jobey, 1996: T016. 121 Pultz, 1995: 124. 122 Obwohl viele der Bilder aus Kampagnen für Sisley stammen, die erst im neuen Jahrtausend konzipiert worden sind, wird der Katalog dennoch in die Auswahl aufgenommen: Zum einen, da Richardsons langjährige Arbeit für Sisley entscheidend zu seinem Image des rebellischen Modefotografen beigetragen hat, zum anderen, da eine Zusammenstellung von nicht-freigegebenen Bildern in dieser umfangreichen Form tatsächlich selten zu finden ist. S. Kat.Ausst. too much, 2002.

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benen Stern, in dem geschrieben steht: »FUCK YOU SISLEY«. Einleitend findet sich ein Text von Nikko Amandonico, Artdirector der Marke, in dem zum einen auf Stil und Arbeitsweise des Fotografen eingegangen und zum anderen die Marke als Förderer erwähnt wird.123 Trotz der Kontextverschiebung geht die ursprüngliche Funktion der Mode- und Werbefotografien nicht verloren, sondern bleibt präsent. Dadurch erreicht Sisley auch über die Plattform der Werbefläche hinaus ein Publikum und erweitert seine Zielgruppe. Richardson schätzt die kreative Freiheit, die ihm das Modeunternehmen zugesprochen hat: »Lange Zeit war Sisley ein toller Job, weil die mich einfach ich sein ließen: ich konnte tun und lassen, was zum Teufel ich auch wollte. Alles ging um Sexbilder. Ich war immer in der Lage, auf diesem schmalen Grat zu wandern, ohne runterzufallen: Mode zu machen und auch meine unanständigen Bilder.«124

Im Inneren des Katalogs erschließt sich, was Richardson unter unanständigen Bildern verstehen mag − die Themen reichen von Gruppensex, Anal- und Oralverkehr, bis hin zur Andeutung von Zoophilie. In diversen Stellungen und Szenarien wird sowohl der weibliche als der männliche Körper in seiner sexualisierten Form gezeigt. Auf ein Ausblenden von körperlichen Makeln wird verzichtet. Körperbeharrung, Hautunreinheiten, sichtbare Poren, Schweiß, Nahaufnahmen von Zungen und Geschlechtsteilen betonen die Fleischlichkeit der Körper, durch die das Dargestellte tatsächlich erlebbar erscheint. Dabei bewegt sich das Körperliche zwischen dem Lustvollen und Vulgären. Ein Mund, der sich über einen anderen beugt und langsam Spucke in ihn fließen lässt, oder Richardson, der Geschlechtsverkehr mit einem Schaf simuliert − diese Art Bilder entzweit die, die darin einen humorvollen Bruch mit konventioneller Modefotografie verstehen und jene, für die diese Missachtung gesellschaftlicher Verhaltensregeln die Grenzen des Darstellbaren überschreitet. Laura Kipnis widmet sich in dem Kapitel Disgust and Desire: Hustler Magazine der Darstellung des sexualisierten Körpers im besagten Magazin als Projektionsfläche sozialer Machtverhältnisse.125 Im Gegensatz zu den zwei konkurrierenden Männermagazinen Penthouse und Playboy hat Hustler von Beginn an (1974 von Larry Flynt gegründet) gezielt die Arbeiterklasse angesprochen und diverse Formen

123 Vgl. Amandonico, 2002: o.S. 124 Terry Richardson zit. in: Hanson, 2008: o.S. 125 »Within the pages of Hustler, sex has always been a political, not a private, matter. The Hustler body is a battleground of opposing social and cultural forces [...].« Kipnis, 2003: 128.

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von elitärer, politischer oder individueller Machtbeanspruchung öffentlich angeprangert. Wozu Hustler gezielt gesellschaftliche Tabus und Konventionen von Männermagazinen gebrochen hat: von der Darstellung des männlichen Penis bis hin zu Fotografien von Übergewichtigen, Schwangeren, Frauen reiferen Alters, Transsexuellen, Hermaphroditen, Menschen mit körperlicher Behinderung und Homosexualität.126 Obwohl es sich hier um ein zunächst gänzlich anderes Publikationsgenre handelt, lassen sich dennoch Parallelen zu Strategien der Mode ausmachen, insbesondere zur Methode der Distinktion durch Geschmack. »Terry’s work pushes the boundaries of acceptable good taste with humor«,127 schreibt Amandonico im Vorwort des Katalogs und weist auf Richardsons Verfahren hin, die Regeln des guten Geschmacks herauszufordern. Ferner betont er die vermittelnde Funktion, die Humor dabei einnimmt. Richardsons Fokus auf den geschlechtlichen Körper, der von dem makellosen Körper der Glamourfotografie abweicht und sich in explizite Darstellung von Sexualpraktiken begibt, lässt sich mit Flynts Einsatz des Körpers zur gezielten Provokation der Elite vergleichen. Auch Richardsons frontal ausgerichtete Akte lassen an das typische Arrangement von minderwertigen Sexmagazinen denken.128 Barthes zufolge fällt das pornografische Foto in die Kategorie des einförmigen Fotos, in dem das punctum, das ihn fesselnde Detail, abwesend ist: »Wie ein Schaufenster, in dem, angestrahlt, nur ein einziges Schmuckstück gezeigt wird, geht sie [die pornografische Fotografie; Anm. der Autorin] vollkommen in der Zurschaustellung einer einzigen Sache auf: des Geschlechts: nie ein zweites, unpassendes Motiv, das halb verdecken, verzögern oder ablenken würde.«129

Trotz der direkten Zurschaustellung integrieren Richardsons Fotografien Details, die in der Lage sind, einen Bruch zu kreieren, die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich zu ziehen und zum punctum zu werden. Durchsichtiger Stoff über der ansonsten anatomisch zu untersuchenden weiblichen Scham, eine Tätowierung im Leistenbereich, eine über den Körper drapierte Schlange, Schweißperlen oder eine angebissene Frucht − obwohl das Geschlecht im Mittelpunkt steht, ist es nie alleiniges Motiv. Genau wie der Hustler-Körper bestehen diese Körper nicht nur aus bloßer Oberfläche, sondern haben ein Innenleben, das in Form von Flüssigkeit nach

126 Kipnis, 2003: 130-131. 127 Amandonico, 2002: o.S. 128 Vgl. »[…] spielen Richardsons Aktfotos mit der Schmuddelebene von zweitklassigen Sexblättern.« Lütgens, 2002: T23. Bspw. die Aufnahme von nacktem Model in einem grünen Wald, in: Kat.Ausst. too much, 2002: o.S. 129 Barthes, 1985 (b): 51.

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Außen durchbrechen kann. Im Gegensatz zu Flynts ›peinlichen Körpern‹,130 geben sie ihren Gelüsten bewusst nach und behalten die Kontrolle über ihre Handlungen. Wohingegen im Männermagazin der Kontrollverlust der Körperfunktionen zur Erzeugung von Ekel eingesetzt wird und das Vermögen, eben dieses Gefühl in Humor umschlagen zu lassen, die untere von der höheren Klasse absetzen soll.131 Auf ähnliche und doch versöhnlichere Weise beabsichtigt Richardson, sich von Newtons wiedererkennbarer Ästhetik der Oberfläche abzusetzen, die deutlicher auf eine Repräsentation von Luxus und Überfluss ausgerichtet ist. Die Verlagerung des Privaten ins Öffentliche wird bei Richardson durch die Art der Inszenierung des Körpers im räumlichen Rahmen betont. Vor dem Hintergrund der Natur erscheint der nackte Körper einerseits zwanglos und natürlich, andererseits verleiht ihm die bilddominierende sexuelle Anspannung eine gekünstelte Wirkung. Trotz der Amateurästhetik und dem Einblenden von Makeln bleibt der Eindruck der Inszenierung haften. Indem Richardson ebenfalls vor die Kamera tritt und zum Teil des Bildes wird, verschieben sich die festgeschriebenen Positionen von dargebotenem Exhibitionismus und fotografischem Voyeurismus, zugleich stellt er sich dem Betrachter als Autor der Szenarien vor und demonstriert hierdurch eine überlegene Stellung. Denn während das Gesehene für den Betrachter Fantasie bleibt, scheint Richardson seine Fantasien allzu greifbar in die Realität umzusetzen und diesen Prozess mithilfe der Kamera festzuhalten. Im Rahmen der Ausstellung Chic Clicks wurden bereits 2002 einige der bislang unveröffentlichten Sisley-Arbeiten präsentiert. Im dazugehörigen Katalog legt Annelie Lütgens aus, was Richardson in ihren Augen auszudrücken beabsichtigt: »Ich bin nicht nur ein sexbessesener Voyeur, das sind wir Modefotografen ja schließlich alle. Ich stehe aber auch zu meinem schlechten Geschmack und zu meinem Exhibitionismus.«132 Des Weiteren legt Lütgens aus, dass die Herausforderung für radikale Modefotografen − zu denen sie auch Richardson zählt − darin liegt, einen Weg zu finden, gegen das Produkt zu arbeiten.133 Dabei scheint jedoch in den Hintergrund zu geraten, wie ein Angehen-gegen-das-Produkt nicht nur Motivation des Fotografen, sondern auch Strategie des Produktes darstellen kann. Richardsons Selbstinszenierung wird genauso wie der Eindruck des schlechten Geschmacks und der versöhnende Humor als Distinktionsmittel eingesetzt. Die Auflehnung richtet sich nicht gegen das Produkt, sondern gegen das Althergebrachte. Beim näheren

130 Kipnis, 2003: 132. 131 »The power of grossness is very simply its opposition to high culture and official culture, which feels the continual need to protect itself against the debasement of the low (the lower classes, low culture, the lower body…).« Kipnis, 2003: 137. 132 Lütgens, 2002: T23. 133 Lütgens, 2002: T23.

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Betrachten wird deutlich, dass der Anreiz der Unangepasstheit und des Neuen für und nicht gegen das modische Produkt arbeitet. 5.1.4 Anmerkungen zu Pornografie, Kunst und Fotografie Die Medien Fotografie und Film haben Pornografie für die Massen visuell konsumierbar gemacht. Erste pornografische Daguerreotypien wurden bereits in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts angefertigt und obwohl sich die ersten Produktionen sogenannter Stag-Filme, die Vorläufer der heutigen Pornofilme, nicht eindeutig zurückverfolgen lassen, sind erotische Darstellungen in bewegten Bildern der 1890er Jahre belegbar.134 Der technische Fortschritt, von der Erfindung der Fotografie bis hin zum Web 2.0, wurde stets zügig zur Dokumentation sexueller Handlungen und Verbreitung jener Bilder eingesetzt. Während sich die Verbreitung pornografischen Materials zu vielen Zeiten auf begrenzte (meist männliche) Rezipientenkreise bezog,135 haben unter anderem die Innovationen des VHS-Rekorders und des Internets zur uneingeschränkten Verfügbarkeit beigetragen. Die stets dominanter werdende Ausrichtung auf einen bloßen visuellen Konsum und die zunehmende Flut pornografischen Materials sind mitunter Faktoren, durch die Pornografie in die Nische der niederen Kulturformen gerutscht ist.136

134 In den Archiven des Instituts for Sex Research der Universität von Indiana lassen sich Daguerreotypien finden, die belegen, dass das Verfahren nach seiner Einführung schnell auch für pornografische Zwecke genutzt wurde. S. Didanro/Rabkin, 1976: 41. Stag-Filme wurden in der Regel illegal produziert und zeichneten sich durch eine amateurhafte Ästhetik aus. Bestimmt waren sie für den Privatgebrauch oder Vorführungen in tolerierbaren Umgebungen, wie dem Bordell. Der Beginn von PornofilmProduktionen für legale öffentliche Vorführungen (in den USA seit 1970 offiziell erlaubt), markierte das Ende des Genres. Didanro/Rabkin, 1976: hier besonders 41-43. 135 Die Sammlung erotischer und pornografischer Fundstücke im Geheimen Kabinett des Archäologischen Nationalmuseums Neapel verdeutlicht den sozialen Bedeutungswandel des Genres Pornografie. Ursprünglich waren die Bilder sowohl für das weibliche und männliche Auge bestimmt. Weiterführend s. Clarke, 2003. Auf literarischem Gebiet wird Pietro Arentino als eine zentrale Figur der pornografischen Tradition erachtet. Seine Sonetti lussuriosi (1525) wurden mit einer Reihe von Gravuren, Aretinos Stellungen genannt, veröffentlicht. Weitergereicht wurde das anzügliche Werk innerhalb der männlichen Elite. Weiterführend s. Hunt, 1994: 21-22 und McNair, 1996: 42-43. 136 Sontag unterscheidet 1967 in ihrem Aufsatz The Pornographic Imagination zwischen drei verschiedenen Perspektiven auf pornografische Literatur: einer soziologischen, die Pornografie als krankheitsähnliches Symptom gesellschaftlicher Zustände und Veränderungen erfasst; einer psychologischen, die Pornografie als weitgehend uninteressan-

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Zur künstlerischen (Un-)Freiheit des Obszönen am Beispiel Richard Mapplethorpes Als weltweit erstes Land hat Dänemark 1967 pornografische Schriften und zwei Jahre später Bildmaterial legitimiert.137 Im selben Jahr ist Poul Gerhards chronologisch aufgebaute Monographie Pornography in Art erschienen, die einen Überblick über pornografische Motive in Kunstwerken der griechischen Antike bis hin zu zeitgenössischen skandinavischen Künstlern gibt. Im Vorwort kritisiert der Autor das Ausblenden des Begriffs Pornografie im Kunstkontext und ein Ersetzen durch den Platzhalter Erotik. Resultat dieser Verfahrensweise ist, dass sexuelle Darstellungen entweder dem Bereich der Pornografie, der verwerflichen Nische, oder der Erotik, der geschätzten künstlerischen Ausdrucksform, zugeordnet werden. Neben der kulturellen Stigmatisierung haben diese Kategorisierungen schon häufig zu rechtlichen Problemen der Auslegung geführt.138 Trotz der weitgehenden Wertschätzung künstlerischer Freiheit bleibt die Zensur eine Maßnahme zur Unterdrückung unerwünschter Inhalte. Ein viel diskutiertes Beispiel, das die Folgen der Verknüpfung von Kunst, Politik und Moral illustriert, ist Senator Jesse Helms’ 1989 im US-Kongress eingereichter Antrag zur Auflagenänderung bei der Vergabe von Geldern des nationalen Stiftungsfonds für die Künste (National Endowment for the Arts, abgekürzt NEA). In diesem wird gefordert, dass ›obszöne Kunst‹ nicht weiter gefördert wird. Konkretisierend wird ausgeführt, welche Motive, laut Helms, unter diese Kategorie fallen: »Materials [...] that depict or describe, in a patently offensive way, sexual or excretory activities or organs including but not limited to obscene depictions of sado-masochism, homo-eroticism, the sexual exploitation of children or individuals engaged in sexual intercourse.«139 Neben Andres Serranos Werk Immersion (Piss Christ) (1987) lieferten Robert Mapplethorpes Fotografien aus der homosexuellen, sadomasochistischen Subkultur Ansporn für die Kritik zum Gebrauch von NEA-Geldern.140 Von politischen Geg-

ten Ausdruck sexueller Entwicklungsstadien betrachtet; drittens die Möglichkeit, einige spezielle Arbeiten des Genres als Kunstwerke zu erachten. Aufgrund der Quantität pornografischer Literatur wird dazu tendiert, das Genre als trivial abzutun. Sontag, 2001: 83-86. 137 Graugaard, 2004: Abs. 1.B (Online). 138 Gerhard, 1969: X. 139 Auszug aus Helms’ Antrag, der am 26. Juli 1989 erstmals eingereicht und zweimal abgelehnt wurde. Im Oktober 1989 wurde als Kompromiss eine weniger strikte Auflage angenommen. Tolchin, 1989: 27. 140 Auslöser für die Kontroverse um staatliche Kunstförderung war Serranos umstrittenes Werk − eine großformatige Cibachrome-Fotografie eines Plastikkruzifixes, eingetaucht

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nern und konservativen religiösen Vereinigungen unter Druck gesetzt, wurde im Juni 1989 die geplante Retrospektive The Perfect Moment des im März an AIDS verstorbenen Künstlers in der Corcoran Gallery, Washington abgesagt.141 Im darauffolgenden Monat wurde Senator Helms’ Antrag eingereicht, der sich auch auf einen Teilbereich von Mapplethorpes Œuvre bezog und somit beabsichtigte, diesen als obszön und nicht bildwürdig zu kennzeichnen. Mapplethorpe ist an dieser Stelle nicht nur erwähnenswert, da zu seinem vielfältigen Repertoire unter anderem Modefotografien gehörten, sondern auch aufgrund seiner Dokumentation eines der breiten Öffentlichkeit unbekannten Lebensstils. 142 Die Fotografie ermöglichte Mapplethorpe, Homosexualität zu dokumentieren und als sexuelle Identität sowie Motiv innerhalb von Gesellschaft und Kunst zu legitimieren. Seine Bilder der homosexuellen New Yorker S/M-Szene, die er in den 70er Jahren begann aufzunehmen, schockierten nicht nur ein konservatives Publikum. Mapplethorpes Bilder haben eine Antwort auf das soziale Ausblenden von unkonventionellen sexuellen

in ein mit Urin des Künstlers gefülltes Plexiglasbehältnis. Zwei Jahre zuvor hatte die Forschung bestätigt, dass das AIDS-Virus durch Blut und Samen übertragbar ist und man kann in Serranos Verwendung von Körperflüssigkeiten (neben Urin auch Blut, Sperma oder Milch) eine Projektion von Ängsten um und vor dem Körper in Zeiten von AIDS erkennen. Direkte Bezüge zur AIDS-Thematik werden in zeitgenössischen Quellen allerdings erst im Hinblick auf die Arbeit Untitled (Ejaculate in Trajectory) (1989) gezogen und auch erst in diesem Zusammenhang durch den Künstler selbst bestätigt. Erzürnte Stimmen kamen zwei Jahre nach der ersten öffentlichen Präsentation von Immersion in einer New Yorker Galerie auf, nachdem das Werk die Aufmerksamkeit der einflussreichen American Family Association auf sich gezogen hatte. Die Tatsache, dass Serrano 1988 zu den zehn auserwählten Künstlern gehörte, denen ein staatliches Stipendium im Wert von $15.000 zugestanden wurde sowie die Aufnahme des Werkes in die dazugehörige Wanderausstellung Awards in the Visual Arts 7, bot den Gegnern seiner Kunst weiteren Anlass zur Empörung. Vgl. Pultz: »His photographs are icons of the age of AIDS.« Pultz, 1995: 159. Hobbs, 1995: 27-28 und 31-33. 141 Die Ausstellung wurde von der NEA mit $10.000 gefördert und konnte 1988 im Whitney Museum of American Art, New York umgesetzt werden. Die Direktorin des Corcan entschloss sich letztendlich den anschließenden Termin der Wanderausstellung abzusagen, um ihre Institution nicht weiter in moralische Debatten zu verwickeln. S. Danto, 1996: 4 und 15-17. Eine Chronologie der Kontroverse wurde als Anhang in seine Biografie mitaufgenommen, s. Morrisroe, 1995: 371-375. 142 Danto schildert seine Erfahrung als Ausstellungsbesucher, der die Fotografien nur aus Sicht eines Außenstehenden betrachten kann. Danto, 1996: 5-12.

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Identitäten und Praktiken geliefert.143 Ab den 90er Jahren haben diese Identitäten auch im Bereich der Mode zunehmend Beachtung erhalten. LaChapelles sich küssende Matrosen (Diesel, 1995), Knights Aufnahme eines muskulösen in Leder gekleideten dunkelhäutigen Männerkörpers (The Face, Februar 1986) oder die unvoreingenommene Berichterstattung zur Londoner Fetischszene in i-D (August 1989), sind nur einige Beispiele für die Überführung tabuisierter Motive und Themen in die Öffentlichkeit. Ausdrücklich bekundet wird Mapplethorpes nachhaltiger Eindruck auf die Modewelt durch Helmut Langs Appropriation seiner Fotografien für die eigene Werbekampagne (1997).144 Hilton Als sieht Mapplethorpes Bedeutung für die Modefotografie nicht unbedingt an sein künstlerisches Œuvre gebunden, sondern vielmehr in seinem Selbstverständnis als erfolgsorientierter Künstler begründet. Bezeichnend für Mapplethorpes Schaffen ist eine Spaltung − zum einen Blumenbilder und Portraits von der ihn fördernden New Yorker Elite und zum anderen seine gewagten Fotografien −, die sein Image geprägt und dem Schock den Anreiz des Modischen verliehen hat.145 In dieser Hinsicht lassen sich Parallelen zum Typus des unangepassten Modefotografen und zur Verflechtung von Kunst und Kommerz ziehen. Grenzauflösungen: Kunst und Pornografie Mapplethorpes Arbeiten gleiten zwischen den Bewertungskategorien niederer Darstellungsformen und hoher Kunst. Seine homoerotischen Fotografien ebenso wie seine Aufnahmen aus der S/M-Subkultur beabsichtigen nicht, eine mögliche pornografische Funktion, gemeint ist eine sexuell erregende Wirkung, zu verschleiern und wollen zugleich als Kunst anerkannt werden.146 Die formale Komposition und der kontrollierte Einsatz von Licht verhindern, dass die Fotografien in den Bereich

143 »There can be no question that gay issues are central in the critical assesment of Mapplethorpe’s achievement.« Danto, 1996: 3. S.a. Jaeggi, 2008: 122-125. 144 Der Designer hat sich allerdings nicht der sexuell expliziten Bilder, sondern Arbeiten aus anderen Werkgruppen bedient. 145 Als, 1996: 100. Zur funktionalen und kontextuellen Zweiteilung seines Werkes s. Jaeggi, 2008: 122. Es wird angemerkt, dass der Begriff Schock in diesem Zusammenhang sowie an anderen Stellen dieser Arbeit im umgangssprachlichen Sinne, als unmittelbare Reaktion auf ein unerwartetes und Erschütterung hervorrufendes Erlebnis, benutzt wird. 146 Die Umsetzung seines Bestrebens bewegt sich auch auf einer persönlichen Ebene. Dies führt zur engen Verknüpfung von Leben und Kunst in Mapplethorpes Œuvre. Vgl. »He wanted to bring pornography into the realm of art, so he felt he needed not only to understand pornographic conventions, but also to continue to explore his own sexuality.« Morrisroe, 1995: 128.

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der bloßen Pornografie rutschen.147 Entsprechend zieht Barthes als Gegenbeispiel zum einförmigen pornografischen Bild Mapplethorpes Großaufnahmen von Genitalien heran und beschreibt, wie die Materialität des Stoffes seinen Blick einfordert, die Einförmigkeit stört und die Fotografien ins Erotische überführt.148 Warhols Hinwendung zum Trivialen und seine Aneignung von Motiven der Populärkultur haben ihn zu einer zentralen Figur der Überschreitung konventioneller kultureller Rangordnungen gemacht. Mapplethorpe sieht gerade in dieser Transformierung des Niederen zum Kunstvollen die künstlerische Leistung Warhols begründet: »I don’t think I would have done what I’ve done if Warhol had not appeared as an influence at some time. [...] I’m not talking so much about the product as the statement − I mean the fact that Warhol says ›anything can be art‹, and then I can make pornography art.« 149 Schon Warhol hatte sich eine pornografische Bildsprache angeeignet und hierdurch bestehende Genrehierarchien entkräftet. Sein Film Blow Job wurde 1964 zum ersten Mal öffentlich in Ruth Kligmans Kunstgalerie in New York vorgeführt.150 Obwohl der Titel eine eindeutige sexuelle Handlung verspricht, findet diese (wahrscheinlich) nur off-screen statt. Denn der Betrachter erhält nur Sicht auf das Gesicht eines jungen Mannes, dessen Gestik auf den eigentlichen Akt unterhalb des Bildrandes hinweist. Das Erlebnis, Sex zu beobachten, geht hier einher mit dem ambivalenten Gefühl von Faszination und Langeweile, das auch in Warhols anderen handlungsfokussierten stummen Filmen entsteht. Es geht ihm dabei weniger um die Aufrechterhaltung von moralischen Grenzen als vielmehr um den Effekt. Denn was Warhol in Blow Job der Fantasie des Betrachters überlässt, wird in Filmen wie Couch (1964) oder Blue Movie (Originaltitel: Fuck, 1968) zum konkret dargestellten Inhalt.151 So hat er sich zur Motivation des Drehs von Blue Movie folgendermaßen geäußert: »I’d always wanted to do a movie that was pure fucking, nothing else, the way Eat had been just eating and Sleep had been just sleeping. So in October 1968 I shot a movie of Viva having sex with Louis Waldon. I called it just Fuck.«152

147 Innerhalb der NEA-Debatten ist besonders die Arbeit Jim and Tom, Sausalito (1977), die darstellt, wie ein Mann in S/M-Montur gekleidet einem anderen in den Mund uriniert, zum zentralen Fallbeispiel geworden. Danto demonstriert in seiner Analyse der dreiteiligen Serie die Relation von Inhalt und Form sowie die hieraus bestehende Möglichkeit der Transformierung des Pornografischen. Danto, 1996: 83-95. 148 Barthes, 1985 (b): 51. 149 Robert Mapplethorpe in: Kardon/Mapplethorpe, 1990: 28. 150 Hackett/Warhol, 1980: 79. 151 Weiterführend s. Gidal, 2008 und Kat.Ausst. Andy Warhol. Motion Pictures, 2004. 152 Hackett/Warhol, 1980: 294.

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Jeff Koons treibt in seiner Made in Heaven-Serie (1990-1991) ebenfalls eine Hinwendung zum pornografischen Bild an. Großformatig zeigt sich der Künstler mit seiner damaligen Ehefrau, dem Pornostar Cicciolina (Ilona Staller), in diversen Stellung beim Geschlechtsverkehr. Mit der detaillierten Darstellung von Geschlechtsorganen, verschiedenen Formen der Penetration sowie cumshots greift Koons Konventionen des Hardcore-Films auf. Inspiriert von italienischen Männermagazinen platziert er seine Selbstportraits mit Partnerin vor fantasievollen Hintergründen. Im Gegensatz zu Warhols Filmen, die von Alltäglichkeit durchdrungen sind, ist Koons Pornobild ein ästhetisiertes, das eine überspitzte Erhöhung forciert.153 Letztendlich beruht die schockierende Wirkung von Made in Heaven nicht gänzlich auf der pornografischen Detailliertheit, sondern auf Koons Selbstinszenierung, in der sich die Grenzen von Leben, Kunst und Medien auflösen.154 In feministischen Ansätzen ist der Einsatz des eigenen Körpers hingegen häufig ein Mittel zur Entkräftung des männlichen Blicks auf den sexualisierten weiblichen Körper. In den 60er Jahren dreht Carolee Schneemann Fuses (1965) und kritisiert eine traditionelle Rollenverteilung, bei der dem Mann die kreative Autorität innewohnt und die Frau als Partnerin oder Muse agiert. Ausgehend von diesem Standpunkt widmet sich Schneemann dem Akt als körperlicher Ausdruck einer gleichberechtigten Beziehung und zeigt sich mit ihrem langjährigen Partner beim Sex: »I really wanted to see what ›the fuck‹ is and locate that in terms of a lived sense of equity.«155 Annie Sprinkle geht einen Schritt weiter und nimmt sich Sex als Form des weiblichen Genusses an, der nicht innerhalb einer emotionalen Beziehung ausgelebt wird. Ihre vielseitige Karriere (Masseuse, Prostituierte, Live-SexPerformerin, Pornodarstellerin und -regisseurin, Autorin für Sexmagazine und Performance-Künstlerin) fußt auf der Vereinigung von zwei Entsprechungen: Sex als Ware und Sex als Kunst. Ähnlich wie bei Koons überschneiden sich die beiden Anschauungsweisen, doch konträr zu seiner Tendenz der Mystifizierung arbeiten Sprinkles Performances wie A Public Cervix (ab 1984 im Rahmen des Projektes

153 Jeff Koons in: Vischer, 2012: 28-29. Vgl. Koons Intentionen, die mit Sexualität verbundenen Gefühle von Scham und Schuld überwinden zu wollen und seine Beschreibung der Serie als Selbstportraits von Adam und Eva, die nicht aus dem Paradies vertrieben werden. Ebd.: 31. 154 Vgl. Rothkopf, 2009: 42 und 44. 155 Die Arbeit ist eine Reaktion auf Stan Brakhages Film Window Water Baby Moving (1959), in dem er die Geburt seines Kindes dokumentiert hat. Carolee Schneemann in: Hang/Schneemann, 2002: 23.

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Post Porn Modernist) oder ihre Porno-Filme gegen stereotype Rollenverteilungen und ein Fetischisieren des weiblichen Körpers.156 Viele Performance-Künstler und -Künstlerinnen setzen ihren Körper als Projektionsfläche und Instrument ein, um Bedeutungen in Frage zu stellen, die dem Körper in Gesellschaft, Kunst und Medien zugeschrieben werden. Daher werden ihre künstlerischen Positionen besonders häufig von Instanzen der moralischen Bewertung oder Zensur angegriffen. 157 Darüber hinaus rückt der Einsatz des eigenen Körpers das Dargestellte auf die Ebene des Privaten und lässt eine physische und psychische Verletzlichkeit anklingen. Unter diesem Blickwinkel lassen sich auch die Respektsbekundungen für Rian und Cori in Poynters Dazed & ConfusedFotostrecke (Abbildung 18) nachvollziehen. In den 90er Jahren lässt sich ein weiterer Ansatz der Annäherung an die Pornografie beobachten, bei dem ein dokumentarisches Interesse an der Pornoindustrie zentral steht und vorgefundene Eindrücke dieser Welt in die eigene fotografische Bildsprache überführt werden. Jeff Burton, dessen Fotografien auch in Fashion Photography of the Nineties zu finden sind, fängt in Untitled (1999) Körper in pornografischen Settings ein. Die auf ihre Fleischlichkeit reduzierten Körper treten in diesen Aufnahmen oft nur als Fragmente auf, isoliert von einem Geschehen außerhalb des Bildes. Dabei scheinen sie sich immer an der Schwelle von Realität und konstruierter Porno-Illusion zu befinden. Larry Sultan widmet sein Interesse ebenfalls den Geschehnissen vor und hinter den Kameras von Pornoproduktionen. Für das 1999 begonnene Projekt The Valleys (2004) kehrt er an den Ort seiner Kindheit und Jugend zurück – San Fernando Valley, Kalifornien. Die vorstädtischen Häuser vermitteln ein Gefühl von Heimat und Vertrautheit. Der Unwissende kann nicht ahnen, dass es im Valley Gang und Gebe ist, sein eigenes Heim für Pornofilmproduktionen zu vermieten. Sultan ist während dieser Produktionen zugegen und dokumentiert die Wandlung des Häuslichen zur faszinierend fremden und zugleich gewöhnlich anmutenden Welt sowie die Geschehnisse am Set: die Momente zwischen Realität und Fiktion. Da Sultan zugleich Wiederkehrender und Außenstehender ist, vollzieht sich die Annäherung an diese Welt mit einem ambivalenten und dennoch urteilsfreien Blick. Statt provozieren zu wollen oder ein moralisches Urteil abzuge-

156 Bei der genannten Performance ludt sie den Zuschauer dazu ein, mit einer Taschenlampe auf ein vaginal eingeführtes Teleskop zu leuchten und ihre Gebärmutter zu inspizieren S. Bell, 1994: 147-152. Williams legt anhand von Sprinkles Pornofilm Deep inside Annie Sprinkle (1981) die Abwandlung von genretypischen Genussmustern dar. Williams, 1997: 367-371. 157 Williams sieht hierin eine wesentliche Ursache des Bestrebens, strikt zwischen Kunst und Pornografie zu unterscheiden. Williams, 1997: 361.

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ben, strahlen die Bilder Ernüchterung und Melancholie aus.158 Im gleichen Jahr, in dem Sultan mit der Arbeit an dem Projekt begonnen hat, setzt er die Kulisse einer inszenierten Pornoproduktion für eine Modestrecke in Vogue Hommes International Mode (Frühling/Sommer 1999) ein. In den Fotografien werden die Pornodarsteller zum Teil der Kulisse und das umherstehende Produktionsteam zu den Darstellern der Mode, die in den Modeverweisen beschrieben wird. Zunächst mag der Schritt, den Grundgedanken seiner dokumentarisch angelegten Serie auf die Modefotografie zu übertragen, befremdlich anmuten, aber die Pornografie baut ebenso wie die Mode auf die Erschaffung von Illusionen, die den Betrachter erregen oder anregen sollen. Indem Sultan eine Pornoproduktion zur Geschichte seiner Modestrecke macht, deutet er auf die Parallelen zwischen Pornografie und Modefotografie hin. Bezeichnend für die besprochenen Beispiele ist die verbindende Frage nach dem bildwürdigen Motiv. Die verschiedenen Positionen changieren zwischen der Darstellung von Sex als alltägliches, persönliches, glamouröses, gelebtes oder konsumiertes Ereignis. Sobald die Darstellung des Privaten in einem öffentlichen Kontext (Kino, Kunstraum, Modemagazin etc.) präsentiert wird, haftet ihr mehr oder weniger deutlich eine gewisse Warenkonnotation an. Provokation wird in der Kunst oftmals als Mittel zur Forcierung von gesellschaftlichen Fragestellungen eingesetzt, ferner kann sie aber auch öffentliche Aufmerksamkeit für den Künstler schaffen, ihn als Persona in den Medien etablieren und sich auf den Marktwert seiner Werke auswirken. Insofern gleichen sich Strategien der Kunst- und Modeszene durchaus und der provokative Einsatz von Sex kann zweckmäßig sein. Treffen Darstellungsformen der Kunst und Alltagskultur aufeinander, ergeben sich zwangsläufig Fragen nach dem kulturellen Wert. Sobald sich Mode und Pornografie überschneiden, führt dies in der Regel zur erneuten Frage nach dem künstlerischen Wert der Modefotografie. In einem Zeitungsartikel wird 1999 der New Yorker Galerist Paul Morris, zu dessen Kunden unter anderem der Designer Tom Ford und Modefotograf Mario Testino gehören, zu einer Ausstellung von Ken Probst befragt, in der ebenfalls Aufnahmen vom Set von Pornoproduktion gezeigt wurden. Verkauft wurden Probsts Aufnahmen, laut Morris, vor allem an Artdirektoren und andere Fotografen. Dies verleitet ihn zu der Prognose, dass genau diese Fotografien bald im Inneren von Magazinen zu sehen sein werden.159 Seine Aussage wirft die Frage nach dem

158 Vgl. Giessmann, 2010: 11. Sultan wechselt im Vorwort des Fotobands durchgehend zwischen Schilderungen über Geschehnisse am Set und persönlichen Kindheitserinnerungen. Sultan, 2004: 7-10. 159 Paul Morris zit. in: Hamilton, 1999: 430 1.

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Kreislauf der Übernahme von pornografischen Bildlösungen auf. Ahmt die Mode tatsächlich die Kunst nach oder bahnt sie schlechtweg den Weg für eine Übernahme in die Massenkultur? Angesichts der Präsenz von Fotografen, die sowohl in der Mode- als in der Kunstwelt tätig sind, und der Entfaltung von alternativen Magazinen, in denen Mode neben anderen Themen präsentiert wird, lässt sich zwar eine unentwegte Überschneidung beider Sphären feststellen, aber es lässt sich keine einheitliche Antwort auf die Frage nach den Wirkungsrichtungen finden.

5.2 M ODEFOTOGRAFIEN −

FREI VON ALLEM

Ü BEL ?

Sobald offenkundige Anknüpfungspunkte zu kollektiven Erfahrungen wahrnehmbar werden, scheinen die Einwirkungsrichtungen zu verschmelzen und die Modefotografie tritt gleichzeitig als Medium, das die gesellschaftliche Wirklichkeitswahrnehmung gezielt beeinflusst, sowie als Spiegel der modernen Konsumgesellschaft auf. Aufgrund ihrer kommerziellen Funktion liegt es nahe, dass sich die Modefotografie gewissen Regeln unterwerfen und bestimmte Themen ausblenden muss, um gesellschaftliche Bedürfnisse und Wünsche anzusprechen und zu erwecken. Es stellt sich die Frage, ob und wie dies mit der Möglichkeit zur Integration negativer Aspekte des zeitgenössischen Zusammenlebens und gesellschaftsspezifischer Ängste vereinbar ist. Barthes zufolge muss sich die Mode Konventionen des Modesystems anpassen, denen die Inszenierung von Fiktion und Illusion zu Grunde liegen. Da die »Mode kein Übel kennt, in welcher Intensität auch immer«160, strebt auch die Fotografie der Mode nach der Inszenierung einer scheinbar perfekten Welt, befreit von jeglicher Form des ästhetisch oder moralisch Abstoßenden. Obwohl Barthes’ Beobachtung, dass die Mode deutlich auf ein Erfassen von gesellschaftlichen Wertvorstellungen und Tabuthemen ausgerichtet ist, zutrifft, bleibt fraglich, inwieweit das Bild einer perfekten Welt als unerschütterliches und allgemeingültiges Ideal ausgelegt werden kann.161 Lee Millers Fotografien aus dem Konzentrationslager Buchenwald wurden 1945 zum Beispiel in der amerikanischen Vogue (Juni-Ausgabe) abgedruckt und an diese Bilder des Schreckens knüpfte die Berichterstattung zur Sommermode übergangslos an.162 Nach dem Ende des zwei-

160 Barthes, 1985 (a): 267. 161 Barthes’ recht einseitiges Untersuchungsergebnis mag zum Teil Resultat des begrenzten Korpus sein, hauptsächlich Ausgaben von Elle und Jardin des Modes aus den Jahren 1958 und 1959. Barthes, 1985 (a): 20. 162 Millers Fotografie von ausgehungerten und zu einem Berg aufgehäuften Leichen hat sich stellvertretend für die unzähligen Gräueltaten des zweiten Weltkriegs im kollektiven historischen Gedächtnis verankert. Im Magazin wurden den Fotografien Erläu-

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ten Weltkriegs ist der Bruch mit Barthes’ These der Ausblendung allen Übels und das Einschleichen von negativen Themen zu einer sporadisch auftauchenden Erscheinung geworden: Clifford Coffin fotografiert sein Model in den Ruinen eines vom Krieg zerstörten Hauses (Vogue (UK), Juni 1947); Richard Avedon stellt die dramatische Dreiecksbeziehung zwischen Elizabeth Taylor, Richard Burton und Eddie Fisher, inklusive missglücktem Selbstmordversuch, nach (Harper´s Bazaar, September 1961); Bob Richardson zeigt weinende Models am Strand (Vogue (FR), April 1967) und inszeniert Anfang der 70er Jahre Angelica Hustons Suizid (Nova, Januar 1972) – um nur einige Beispiele anzuführen. Gerade in Zeiten von Krieg, Krankheit und gesellschaftlichen Umbrüchen scheint es dem durchweg optimistischen Weltmodell der Mode an Aktualität und Authentizität zu mangeln. Der Modeindustrie bleibt entweder die Fortsetzung der Negation dieser Inhalte oder eine Konfrontation des Lesers mittels zwei konträrer Ansätze: die allzu offensichtliche und übersteigerte Ausblendung allen Übels oder die Wiedergabe des eigentlich Untersagten. Doch wie kann der Betrachter mit Themen wie Gewalt, Tod, Krankheit und Krieg konfrontiert und dabei gleichzeitig zum Konsum angeregt werden? In diesem Kapitel wird sich zunächst dem Zusammenhang von Tod und Begehren gewidmet und ausgehend von Bourdins visueller Verschränkung der beiden Themen hinterfragt, ob das Aufgreifen des Todesmotivs als Einbruch der Realität zu verstehen ist. Im Folgenden wird ausführlicher auf die möglichen Intentionen und Effekte eingegangen. In diesem Zusammenhang wird auch die traditionelle Beziehung von Frau, Mode und Tod näher betrachtet und Bezüge zu Vorstellungen von Weiblichkeit und Tod des ausgehenden 19. Jahrhunderts geschaffen. Zum Schluss wird sich diversen Bildlösungen zugewandt, die Krieg, Krankheit und Katastrophen im Rahmen des Modefotos darstellen. Besonderer Nachdruck wird hierbei, anhand von Beispielen aus Oliviero Toscanis Kampagnen für das Unternehmen Benetton, auf die Verschränkung von Realität und Werbung gelegt. 5.2.1 Mode und Tabu: Tod als Tabu? Im Zuge der Kommerzialisierung des sogenannten heroin chics wurden die dünnen und kindlich androgyn wirkenden Körper in Meisels Werbekampagnen für CK Jeans als Resultat von Anorexia und Drogenmissbrauch gelesen und bezogen durch diese Deutung ihre schockierende Wirkung. 163 Die heutige kulturelle Vertrautheit mit dieser Art von Bildern spricht für Sontags These der schnellen Abstumpfung

terungen der Fotografin beigefügt und Miller äußert ihre Hoffnung, dass die Bilder trotz Schreckensgehalt gedruckt werden. Woraufhin Vogue knapp antwortet: »Here they are.« In: Vogue (US), Juni 1945: 103-107. 163 Vgl. Arnold, 2001: 53.

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gegenüber häufig wiederkehrenden Bildern.164 Dennoch darf im Hinblick auf den Schockeffekt nicht unterschätzt werden, welche Wirkung von dem Trend ausging und dass dieser gezielt eingesetzt wurde, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf bestimmte Modehäuser und Designer zu lenken. Zwei Jahre nach dem Skandal um Meisels Kampagne erlangt die Debatte um die zeitgenössische Modefotografie in einer Rede des US-Präsidenten Bill Clinton eine politische Dimension. In der Stellungnahme äußert er sich kritisch über den Trend und beschuldigt die Modeindustrie, die Gesellschaft durch die Beschönigung von Drogenabhängigkeit zu gefährden: »The glorification of heroin is not creative, it’s destructive. [...] And glorifying death is not good for any society.«165 Clintons Äußerungen vorausgegangen ist der tragische Tod des Modefotografen Davide Sorrenti, der im Mai 1997 im Alter von zwanzig Jahren an einer Überdosis verstorben ist. Sein Tod hat die Anschuldigungen, Drogen seien eine weit verbreitete Gewohnheit in der Modeindustrie, gewissermaßen öffentlich bestätigt.166 Das persönliche Schicksal Sorrentis dient als Anlass für Clintons Rede und zur Darstellung der Modefotografie als Gefährdung für die Gesellschaft. Die Kunstfotografie und ihre Dokumente der (mit)erlebten Sucht, Krankheit und des Todes, wie sie im Œuvre von Clark und Goldin zu finden sind, bleiben in seiner Kritik allerdings weitestgehend unberücksichtigt. Indessen wirkt die kommerzielle Funktion von Modefotografien, ungeachtet der Ästhetik und des Entstehungshintergrundes, gegen den Eindruck der Authentizität an und macht sie angreifbar für die Vorwürfe einer gesellschaftlichen Gefährdung.167 In seiner Schrift Totem und Tabu (1913) behandelt Freud die Tabuverbote primitiver Völker und zieht Parallelen zu Zwangserkrankungen moderner Gesellschaften. Tabus sind demzufolge unbegründete aber beharrliche Verbote, deren Ursprünge oftmals nicht eindeutig nachzuvollziehen sind. Ebenfalls charakteristisch für das Phänomen ist die Überzeugung, dass eine Nichteinhaltung im unmittelbaren Umfeld zu Schaden führen wird.168 Beschränkungen, die durch die Aufrechterhaltung von Tabus entstehen, dienen somit dem Schutz der Gemeinschaft. Indem Clinton die Modefotografie als Bedrohung der Gesellschaft beschreibt, definiert er bestimmte Inhalte (Krankheit, Sucht oder Tod) als Tabus und ermahnt eine Einhaltung von Regeln, die sich mit den Konventionen in Barthes’ These der Ausblendung allen Übels decken.

164 Sontag, 2008: 26. 165 Bill Clinton zit. in: Wren, 1997: A22. 166 S. Spindler, 1997: A1 und B7. 167 Cotton, 2009: 145. 168 Freud, 2007: besonders 74-76.

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Elsa Freitas versteht das Tabu in ihrer Analyse der Werbung hingegen nicht als übergreifendes Phänomen, das auf den gesamten Bereich der Werbung gleichermaßen zutrifft, sondern unterscheidet zwischen zwei Produktformen und den Strategien, die zur Vermarktung eingesetzt werden. Folglich gelten bestimmte Produkte oft als Tabu-Produkte, wenn sie im Zusammenhang mit Verhaltensweisen des menschlichen Körpers stehen, die in der Öffentlichkeit ungerne angesprochen werden. Zugunsten der Erweckung positiver Gefühle wird bei ihrer Vermarktung meist von der eigentlichen Funktion abgelenkt. Nicht-tabuisierte Produkte spielen hingegen gerne mit dem Tabu und beabsichtigen durch die Erzeugung von verbotenen Gefühlen, Interesse zu wecken.169 Da die Kleidermode unter die zweite Produktkategorie fällt, liegt es nahe, dass die Modefotografie ebenfalls auf Methoden zurückgreift, die in erster Linie Aufmerksamkeit erregen. Bedeutend für eine Anwendung der Strategie ist jedoch vorab zu erkennen, welche Themen in der zeitgenössischen Gesellschaft ein Gefühl von Grenzüberschreitung und Gefahr auslösen. Guy Bourdins modische Tatorte Bourdin hat als einer der ersten und konsequent wie kein anderer den Tod in den Fokus des Modefotos gerückt und veranschaulicht, dass Tod und Begehren eng miteinander verbunden sind. Seine erste Arbeit ›Chapeaux Choc‹ für die französische Vogue (Februar 1955) zeigt die Models im Pariser Großmarkt vor den Auslagen der Metzgereien. An den Pfoten aufgehängte Kaninchen, abgetrennte Kuhköpfe und andere leblose Tierkörper bilden als Dekor die geometrische Struktur der Bilder, in die sich die Formen der Haute-Couture-Hüte eingliedern. Resultat dieser ungewöhnlichen Zusammenführung von Mode und Tod sind einige empörte Leserbriefe und Kündigungen. Zugleich markiert dies aber auch den Beginn einer langjährigen Auftraggeberschaft, in der Bourdin unter Francine Crescent (von 1957 bis 1987 bei der französischen Vogue) vollständige künstlerische Freiheit zugesprochen wird. Crescent stellt auch die Verbindung zum Schuhdesigner Roland Jourdan her, der zweiten bedeutenden Schlüsselfigur in Bourdins Karriere. 170 In seinen Kampagnenbildern für Charles Jourdan tauchen Tod und Gewalt regelmäßig als faszinierende und erschreckende Phänomene auf. Die Arbeiten für die Frühlingskollektion 1975 veranschaulichen den narrativen Bildaufbau und die komplexe Bedeutungshaftigkeit, die kennzeichnend für Bourdins Inszenierungen des Todes sind. In der bereits ausführlich besprochenen Fotografie des anscheinend leblosen Frauenkörpers (Abbildung 7) wird, anhand des Zuschnittes und der Staffelung verschiedener Bildebenen, eine Spannung erzeugt, die sich durch die beobachtende und dennoch unwissende Position des Betrachters zu einem Gefühl des Un-

169 Freitas, 2008: 47. 170 Gingeras, 2006: o.S.

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heimlichen steigert. Ihr mysteriöser Tod gibt das Unvermögen wieder, den Zustand des Todes zu definieren. Obwohl der Tod allgegenwärtig ist, entzieht er sich der unmittelbaren Erfahrung und fällt, Elisabeth Bronfen zufolge, zwischen die Kategorien des Davor und Danach sowie des Körpers und der Leiche.171 Indem Bourdin nur eine düstere Vorahnung aufkeimen lässt, dem Betrachter eine endgültige Bestätigung jedoch verwehrt, versetzt er ihn in diesen Schwellenbereich der Unwissenheit. In einer anderen Aufnahme aus demselben Jahr (Charles Jourdan, Frühling 1975) ist der Körper bereits aus dem Bild entfernt worden und nur noch Zeichen, die an ein Verbrechen oder tragischen Unfall erinnern, sind erhalten geblieben:172 ein Auto mit offenstehender Tür und Einschusslöchern, Blut auf dem Bürgersteig, verstreute rosa Damenschuhe und die Kreideumrisse eines Körpers in Frauenkleidung. Die Schockwirkung geht vor allem von der Abwesenheit des Körpers und der repräsentierenden Zeichnung aus. Lediglich die Schuhe vergegenwärtigen die einstige Lebendigkeit eines Individuums. Der auf der Oberfläche des Wagens reflektierte Blitz versetzt den Betrachter in die Position des Voyeurs, parodiert Methoden der Polizeifotografie und ruft Weegees (Arthur Felligs) Aufnahmen von Tatorten und Unfällen ins Gedächtnis.173 In der Theorie der Fotografie steht das Medium in enger Beziehung zum Tod. Am wohl eindringlichsten befasst sich Barthes’ poetische Abhandlung Die helle Kammer mit der Relation von Zeit und Tod in der Fotografie. Im Verlauf seiner Überlegungen zum Wesen der Fotografie wird der Tod seiner Mutter zunehmend zum Dreh- und Angelpunkt. Die Todesthematik erstreckt sich über das ganze Buch und steht einerseits für das traumatische Erlebnis des Autors und andererseits für einen der Fotografie innewohnenden Wesenszug.174 Barthes vertritt die Sichtweise, dass das Betrachten ebenso wie der Akt des Fotografierens immer eine Konfrontation mit der menschlichen Sterblichkeit bedeutet. 175 In vergleichbarer Weise schreibt Sontag dem Medium das Merkmal der Aggressivität zu und vergleicht die fotografische Umwandlung vom Subjekt zum Objekt mit einem Mord: »Menschen fotografieren heißt ihnen Gewalt antun [...]; es verwandelt Menschen in Objekte,

171 Bronfen, 1992: 54. 172 Abgebildet in: Gingeras, 2006: o.S. (Abb. 33). 173 Vgl. Evans, 2003: 193. 174 Die Unterteilung des Buches in zwei Teile verdeutlicht die zwei Ebenen der Betrachtung. 175 S. insbesondere Barthes, 1985 (b): 19, 21 und 89. Zum Aspekt des Produzierens von Fotografien vgl. auch Sontag, 2008: 21 und 72. »Fotografieren heißt die Sterblichkeit inventarisieren.« Ebd.: 72.

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die man symbolisch besitzen kann. Wie die Kamera eine Sublimierung des Gewehrs ist, so ist das Abfotografieren eines anderen ein sublimierter Mord.«176 Die Umwandlung als Prozess des Fotografierens, gemeint ist die Wandlung des lebendigen zum abgestorbenen Körper, hat sich in Bourdins Aufnahme bereits vor dem Betätigen des Auslösers vollzogen. Der Moment des Todes ist bereits verstrichen und geblieben ist ein geräumter Tatort, der auf den Schuldaspekt des Produzierens und Betrachtens von Fotografien hinweist.177 Bourdins Konstruktion eines Tatorts regt die voyeuristische Lust am Schauen und Entdecken von Spuren an. Angesichts der bizarren Elemente wie dem posierenden Körperumriss, kann dieser Lust ohne Schuld nachgegangen werden. Brookes widerspricht der These, dass Bourdins Aneignung tragischer Themen (Unfälle, Mord, Selbstmord etc.) als Durchbruch der realen Welt zu begreifen ist. Sie wendet ein, dass nicht die Realität, sondern die gängige Darstellung von Gewalt und Tod im Fernsehen und Film eine Aufnahme in die Modefotografie ermöglicht hat, da der Betrachter diesen Bildern mit einer gewissen Distanz gegenübertritt.178 Gegen Ende der 60er Jahre haben Arthur Penn mit Bonnie and Clyde (1967) und Sam Peckinpah mit The Wild Bunch (1969) und Straw Dogs (1971) ein bisher ungewohntes Maß an Gewalt auf die Kinoleinwand gebracht und neue Standards für ihre filmische Darstellung gesetzt.179 Stephen Faber führt die Faszination für Gewalt im Film 1976 zurück auf das Ausbleiben realer Erfahrungen mit Gefahren: »One of the functions of popular art has always been to give people some notion of experience denied them in reality – a taste of romance, glamour, adventure, danger. But perhaps as everyday life becomes more smoothly homogenized, people need splashier, more grotesque vicarious thrills. Today, most people have their only contact with danger second-hand – at

176 Sontag, 2008: 20. Vgl. »Jedem [Herv. der Autorin] Zücken der Kamera wohnt Aggressivität inne.« Ebd.: 13. 177 Die Frage nach historischer und gesellschaftlicher Verantwortung des Mediums ist bei Benjamin eine zentrale Betrachtungsweise. Dabei benutzt er ebenfalls die Metapher des Tatorts. Benjamin, 1977 [a]: 21 und Benjamin, 1977 [b]: 64. Der Gedanke der voyeuristischen Schuld ist in Sontags Schriften ein essentieller Gedanke. S. weiterführend Sontag, 2003. 178 Brookes, 2007: 522. 179 Speziell zu Peckinpahs Stil s. weiterführend Prince, 2000 (a) und zur Gewalt im Film Prince, 2000 (b).

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professional hockey and football games, at high-powered rock concerts, or at the movies. Violance as spectacle is integral to modern life.«180

Sobchack hat zwei Jahre zuvor in ihrem Aufsatz The Violent Dance: A Personal Memoir of Death in the Movies ihre Wahrnehmung als Kinozuschauerin beschrieben und die filmische Ästhetisierung von Gewalt und Tod vor dem Hintergrund von sich wandelnden kollektiven Ängste in den 60er Jahren betrachtet. Ähnlich wie Faber sieht sie in dieser Art von Bildern einen Ausgleich für die ausbleibende unmittelbare Erfahrung mit dem gewaltvollen Tod. Gleichzeitig haben sich die Ängste vor dieser Art des Todes in der Gesellschaft umso stärker manifestiert. Der Vietnamkrieg, in den Medien übertragene Mordanschläge auf Personen des öffentlichen Lebens, soziale Unruhen und andere einschneidende Ereignisse haben sich in das kollektive Bewusstsein gebrannt und den sinnlosen Tod als allgegenwärtige Gefahr dargelegt.181 Die neue filmische Repräsentation von Gewalt in ihrer detaillierten und dennoch stilisierten Form erlaubt eine Erforschung des Gegenstands dieser Ängste und erzeugt hierdurch kurzweilig ein Gefühl von Ordnung und Sicherheit:182 »The films today which stylize death and blood [...] reflect our fear for our lives, our fear that no matter how uninvolved we may be, we are all potential victims of accidents, that our deaths will horribly have no meaning at all. Yet the very presence of random and motiveless violence on the screen elevates it, creates some kind of order and meaning from; accidents becomes Fate.«183

In ähnlicher Weise ermöglichen Bourdins Bilder eine Auseinandersetzung mit Tod und Gewalt. Ob der Betrachter mit dem Schauplatz des geräumten Tatorts oder mit leblosen Frauenkörpern, die einen mysteriösen oder augenscheinlich gewaltvollen Tod gestorben sind, konfrontiert wird, die Ästhetisierung fordert dazu auf, mit dem Blick auf den Darstellungen zu verweilen. Innerhalb der Palette gesättigter Farben taucht immer wieder glänzendes Rot als Gestaltungselement auf, das auf Lippen,

180 Der Auszug stammt aus Fabers New York Magazine-Artikel (29. November 1976) The Bloody Movies: Why Film Violence Sells. Stephan Faber zit. in: Hall-Duncan, 1979: 201. 181 Sobchack, 2000: 112-113. 182 Es wird angemerkt, dass Angst an dieser Stelle und im weiteren Verlauf nach der Definition Freuds verstanden wird. Demnach bezeichnet Angst »einen gewissen Zustand wie Erwartung der Gefahr und Vorbereitung auf dieselbe, mag sie auch eine unbekannte sein.« Freud, 2013: 15. 183 Sobchack, 2000: 118.

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Nägeln und Kleidungsstücken intensiv hervorsticht oder in Form von stilisiertem Blut aus Mündern oder Stromanschlüssen über die Bildfläche fließt.184 Im Gegensatz zu den meisten Arbeiten Bourdins, in denen der Körper zentrales Motiv ist, wird die Erkenntnis einer höheren Bedeutung des Todes in der besprochenen Tatortansicht erschwert. Die Abwesenheit des Körpers verhindert das Ermitteln einer direkten Projektionsfläche der Todesangst und weist zugleich jeden als potentielles Opfer aus. Die zurückgebliebenen Damenschuhe dienen dem Betrachter als Anhaltspunkt für die Botschaft des Bildes, die im Wesentlichen mit der Aussage zeitgenössischer Gewaltfilme übereinzustimmen scheint: »If we are to die for no apparent purpose, they seem to say, at least we will die with style, with recognition.«185 Was in Bourdins Tatort zurückbleibt, ist nicht der vergängliche Körper, sondern Spuren eines modischen Lebens. 5.2.2 Der schöne Tod »The death of a beautiful woman is, unquestionably, the most poetic topic in the world«,186 schreibt Edgar Allan Poe 1846 und fasst mit der Aussage die traditionelle Beziehung von Tod und Weiblichkeit in den Künsten zusammen. Bronfen gebraucht Poes Zitat im Hinblick auf die Transformation des weiblichen Körpers zum Objekt der Kunst − eine Umwandlung, die den Tod bedarf. Dabei kann das Motiv der weiblichen Leiche zwei verschiedene Ansätze der künstlerischen Annäherung erfahren: Entweder der weibliche Körper ist durch den Tod bereits zum Kunstwerk geworden und wird als solches behandelt oder die schöne Frau muss getötet werden, um Kunst produzieren zu können.187 Bourdin steht mit seiner Verknüpfung von Frau und Tod in dieser künstlerischen Tradition. Besonders deutlich wird dies anhand eines seiner unveröffentlichten Werke, das einen leblos am Boden liegenden Frauenkörper zeigt, der von einer maritimen Malerei erschlagen worden ist. Das Gemälde fungiert in Form des Bild-im-Bilds zugleich als Motiv sowie als Instrument, das den Tod herbeigeführt und den weiblichen Körper zum bildwürdigen Gegenstand erhoben hat. In der Verletzlichkeit offenbart sich letztendlich auch der entscheidende Unterschied zu Newtons Frauentypus.188 Bourdins zur Übersteige-

184 Vgl. Gingeras, 2006: o.S. 185 Sobchack, 2000: 118. 186 Edgar Allan Poe zit. in: Bronfen, 1992: 59. Das Zitat stammt aus Poes Essay The Philosophy of Composition, das im April 1846 in Graham’s American Monthly Magazine of Literature and Art abgedruckt wurde. Der Gesamttext ist auch zu finden unter: http://www.eapoe.org/works/essays/philcomp.htm. 187 Bronfen, 1992: 59 und 71-73. 188 Vgl. Hall-Duncan, 1977: 207.

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rung tendierender Ansatz wirft oft Fragen auf, die um die Relation von Mode, Tod, Kunst und Fotografie kreisen. Dabei bewegt er sich an der Grenze von Verschönerung und Zerstörung des Weiblichen. Izima Kaoru baut ebenfalls in konsequenter Weise auf die Beziehung von Frau, Tod und Mode und macht sie zum Ausgangspunkt seines fortlaufenden Projekts, das seit 1993 den Titel Landscapes with a Corpse trägt.189 Anfang der 90er Jahre hat Kaoru begonnen, schöne Frauen, vorwiegend bekannte japanische Schauspielerinnen, an den Schauplätzen ihrer inszenierten Tode abzulichten. Merkmale diverser Genres werden kombiniert und erwecken zugleich Spannung und den Eindruck einer gewissen Vertrautheit. Die einzelnen Serien bestehen aus meist drei bis fünf variierenden Ansichten und Ausschnitten eines Tatorts, an dem der Betrachter oft Spuren eines gewaltsamen oder mysteriösen Todes vorfindet. Zu den Bildangaben gehören: der Name des Models sowie des Modelabels, dessen Kleidung das Opfer trägt. Die Ästhetik der einzelnen Fotografien weist Grundzüge der Landschaftsfotografie auf. Wobei nicht ausschließlich die Natur als Schauplatz dient, sondern oftmals auch urbane Szenerien zu Fundorten der Leichen werden. Das konstruierte Wesen und die serielle Anordnung, in der sich den leblosen Körpern meist schrittweise aus unterschiedlichen Perspektiven genähert wird, lässt hingegen an Film Stills denken. 190 Durch das Hinzufügen der Informationen zur getragenen Kleidung werden die Bilder, unabhängig von dem Kontext, in dem sie erscheinen, als Fotografien von Mode kenntlich gemacht. Das Konzept der langfristig geführten Serie verankert die Bilder zugleich im Rahmen des Kunstprojekts.191 Die detaillierten Inszenierungen verleihen den einzelnen Aufnahmen, gemäß Barthes’ Theater der Mode, einen Bühnencharakter und die Künstlichkeit hebt den Schockeffekt letztlich auf. 192 Die Fotografie scheint die Schönheit der Verstorbenen sowie des Todes für die Ewigkeit eingefangen zu haben. Kaoru erinnert an die Vergänglichkeit des Lebens und daran, dass auch die Schönheit und die Mode (losge-

189 Der gleichnamige Bildband beginnt 1993 mit der dreiteiligen Serie Kyoko wears Sybilla und schließt an das Projekt Serial Actress Murders an. Kaoru, 2008 und s.a. Meinhardt, 2000: 21. 190 Vgl. Weiermair, 2008: 174-175. 191 Kaoro hat mehrere Modezeitschriften mitbegründet und ab 1994 seine eigene Zeitschrift Zyappu herausgegeben. Vgl. »Die Spannung zu den Gattungen, Zitattechniken, Konventionen und Moden der Modephotographie ist ein wichtiges Moment auch seiner gesamten sonstigen Arbeit, die der Modephotographie in ihren Distributions- und Publikationstechniken so verschwistert bleibt, dass eine Unterscheidung [...] bei ihm keinen Sinn macht.« Meinhardt, 2000: 21. 192 Vgl. Barthes, 1985: 311.

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löst von der Fotografie) vergänglich sind. 193 Roy Exley sieht in Kaorus Ästhetisierung des Todes eine neue Bedeutung des Begriffs Modeopfer und eine Möglichkeit zur Reflexion. Exley zufolge sind glückliche Tode zu sehen, die eine Befriedigung irdischer Verlangen darstellen und zugleich auf deren Vergänglichkeit hinweisen.194 Hinsichtlich des Schuldaspekts lassen sich zwei deutliche Ausprägungen erkennen: auf der einen Seite die voyeuristische Schuld des Fotografen beziehungsweise des Betrachters, wie sie Sontag als Grundzug der Fotografie beschreibt, und auf der anderen Seite die Schuld des Opfers, die aus dem Genuss des Konsums resultiert.195 Der Unterschied zum traditionellen Darstellungsmodell lässt sich in der Abkehr von einer entschiedenen Passivität der schönen Frau als Leiche ausmachen. Denn die Frauen sterben nicht, um für den Künstler zum Kunstwerk zu werden, sondern zur Verkörperung der eigenen Todesvision. Die individuellen Todesbilder basieren auf den Fantasien der ›Verstorbenen‹ und sind bis ins kleinste Detail durchdachte Wunschtode.196 In Anlehnung an Michel Foucaults Schilderungen der modernen Todeswahrnehmung im 19. Jahrhundert beschreibt Bronfen die Erfahrung mit dem Tod im Zusammenhang mit Prozessen der Eigenwahrnehmung und dem Wunsch nach Individualität. In diesem Todeskonzept zeichnet sich die Einzigartigkeit der Verstorbenen nicht nur durch die Erinnerung der Überlebenden an sie aus, sondern wird auch durch die Todesart bestimmt.197 Die Möglichkeit, die Art des eigenen Todes selbst wählen und ihn aus- und überleben zu können, ist Anreiz von Kaorus Todesinszenierung. Als signifikantes Bildelement drückt die Mode den Wunsch aus, sich zu Lebzeiten ebenso wie im Moment des Todes individuell zu präsentieren. Die Frau und der Tod Ihre Flüchtigkeit hat der Mode das Sinnbild des Todes eingebracht. Simmel beschreibt diesbezüglich eine in der Mode verwurzelte Ambivalenz von Ewigkeit und Tod. Einerseits kann die Mode jede Form von Inhalt annehmen, ist alles ergreifend

193 In diesem Sinne beschreibt Weiermaier die Arbeiten von Kaoru als »zeitgenössische Memento mori«. Weiermaier, 2008: 174. 194 Exley, 2008: 176-180. 195 Vgl. Sontag, 2008: 17-20 und Exley, 2008: 176-180. 196 Die Models geben nicht nur die Art und Weise ihres Ablebens vor, sondern wählen auch die Kleidung für diesen Moment. S. Exley, 2008: 177. 197 Bronfen, 1992: 77. Vgl. »Nun hingegen konstituiert er [der Tod; Anm. der Autorin] die Einzigartigkeit; in ihm kommt das Individuum zu sich selbst [...]; in dem [...] sichtbaren Herannahen des Todes wird das gemeine Leben endlich Individualität [...]. Der Tod hat seinen alten tragischen Himmel verlassen und ist zum lyrischen Kern des Menschen geworden.« Foucault, 1993: 185.

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und in ihrer abstrakten Begriffsform unsterblich. Andererseits sind die einzelnen Kleidermoden vergänglich und müssen als das bereits Vergangene der Gegenwart weichen.198 Diese fortwährende Transformation vom Objekt der Begierde − für das man der Redewendung entsprechend sterben würde − zur überholten Mode, kann, so Chris Townsend, sowohl Freude als Unbehagen auslösen.199 Das Gleichnis von Mode und Tod ist ebenso althergebracht wie die Zuschreibung der Mode zur weiblichen Interessenssphäre. In den Pariser Passagen beschreibt Benjamin die Frau als Akteurin der Mode, deren Körper durch die Vereinnahmung und Verdinglichung der Mode abstirbt : »Denn nie war Mode anderes als die Parodie der bunten Leiche, die Provokation des Todes durch das Weib, und zwischen lauten, memorierten Jauchzern bittere geflüsterte Zwiesprache mit der Verwesung. Darum wechselt sie so geschwinde: kitzelt den Tod und ist schon wieder eine andere, neue, wenn er sich nach ihr umsieht, um sie zu schlagen.«200

Die Frau wird zugleich als Opfer und Verbündete der Mode identifiziert. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat Veblen der Frauenmode hinsichtlich der Zurschaustellung von demonstrativer Verschwendung eine bedeutende Rolle zugesprochen und auch in Vischers Auslegung ist es vor allem die Frau, die dem Zyklus von Tod und Auferstehung immer wieder aufs Neue verfällt.201 Zwar wird die modische Frau oft belächelt, jedoch lässt sich hinsichtlich der Todesassoziation eine männliche Verunsicherung ablesen und Weiblichkeit wird als Bedrohung wahrgenommen. Dabei scheint die Grenze zwischen Verschönerung für den Mann und gefährlicher Verlockung des Mannes fließend zu sein. Evans erkennt Parallelen zwischen dem Bild der Femme Fatale zur Zeit des Fin de Siècle und der Frau in Modefotografien des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Dabei legt sie die wiederkehrenden Typen der Lesbe und Vampirin als Ausdruck der Furcht vor weiblicher Sexualität in ihrer nicht-reproduzierenden Form aus und deutet die Darstellung des Todes schöner Frauen als Verfahrensweise zur Kontrolle dieser Ängste. 202 Die Frau mit lesbischen Neigungen gehört seit Newtons und

198 Simmel, 1986: 189-205. 199 Townsend, 2002: 21. 200 Benjamin, 1982 [b]: 1054-1055 (fo, I). 201 Vischer schreibt hauptsächlich über die Modeirrtümer ›des Weibes‹, s. Vischer, 1986. Sowohl die männliche als auch die weibliche Kleidermode dienen, Veblen zufolge, der Demonstration der Verschwendung. Dennoch sind die Kleidung der Frau sowie ihr körperlicher Zustand bedeutsamer, da ihre Gesamterscheinung stellvertretend den Wohlstand des Mannes repräsentiert. Veblen, 1994: 105-106. 202 Evans, 2003: 124-136.

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Bourdins von Frauen bevölkerten Bildwelten zum festen motivischen Repertoire der Modefotografie und in den 90er Jahren tritt auch die Vampirin immer wieder in Erscheinung. In Paolo Roversis ›Black White Red‹ (i-D, Mai 1998) tritt sie als kränkliche Blutsaugerin auf, in Martina Hoogland Ivanoffs ›Neverland‹ (Dazed & Confused, August 1996) als verstörte Gestalt und in Terry Richardsons ›Lesbos Vampyros‹ (The Face, Juli 1997) als dekadente und lesbische Verkörperung des Nachtwesens. Während in den ersten beiden Beispielen die Frauen bedrohlich und infektiös sowie gestört und verstörend erscheinen, stellt Richardson sie zugleich verführerisch und unterkühlt dar. Sowohl die Lesbe als auch die Vampirin werden von Bram Dijkstra in seinem Buch zu Vorstellungen von Weiblichkeit zur Zeit des Fin de Siècle besprochen: Die Lesbe verkörpert einen ambivalenten Frauentyp, der den männlichen Betrachter zur voyeuristischen Beteiligung einlädt, aber zugleich das bevorzugte passive Frauenbild und folglich die Beziehung zwischen den Geschlechtern sowie den Fortbestand der Gesellschaft gefährdet. Die Vampirin bricht in ähnlicher Weise aus der auferlegten Rolle der Mutter aus und ist noch weitaus gefährlicher als die Lesbe, da sie dem Mann nach seinen Besitztümern und dem Leben trachtet.203 In ihrer Abkehr vom Idealbild einer von der Öffentlichkeit ins Häusliche verbannten, schwächlichen, dem Mann ergebenen und sich aufopfernden Frau sind die Lesbe und die Vampirin zu Personifikationen des Übels geworden. So schreibt Mary Ann Doane in ihrer Arbeit zur Femme Fatale im Film: »The femme fatale is situated as evil and is frequently punished or killed. [...] it would be a mistake to see her as some kind of heroine of modernity. She is not the subject of feminism but a symptom of male fears about feminism.«204 Die Faszination des Künstlers für die zerbrechliche oder verrückte Frau steht für das Anpreisen einer bestimmten Vorstellung von Weiblichkeit, deren Gegenentwurf die Femme Fatale ist.205 Beide Konzepte lassen sich in Modefotografien der 1990er Jahre wiederentdecken.206 Indes die Femme Fatale nicht durchweg die Konsequenz des Todes erfahren muss, ist es das unabwendbare Schicksal der schönen Sterblichen. Luis Sanchis greift 1997 eine der bekanntesten Geschichten über weiblichen Wahnsinn, Selbstopferung und Tod auf – der Selbstmord der Ophelia aus Shakespears Hamlet.207 In ›The Lake. Too much of water hast thou, poor Ophelia‹ (The Face, April 1997) treibt das Model in verschiedenen Positionen leblos im Wasser oder windet

203 Dijkstra, 1986: 153, 157 und 351. 204 Doane, 1991: 2-3. 205 Dijkstra, 1986: 3-63. Die Faszination für die kranke und sterbende Frau wird auch ausführlich von Bronfen besprochen. Bronfen, 1992. 206 Vgl. Evans, 2003: 127. 207 Weiterführend s. Dijkstra, 1986: 42-43.

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sich leidend (Abbildung 20). Die Dunkelheit und das Wasser sind (abgesehen vom bläulich schimmernden Körper, der in Mode gehüllt ist) die alleinigen Bildelemente und scheinen Ophelia an sich zu reißen und verschlucken zu wollen. Abbildung 20: Luis Sanchis: ›The Lake. Too much of water hast thou, poor Ophelia‹.

In: The Face, April 1997.

Auf einen erzählerischen Bildaufbau oder das Hinzufügen ikonographischer Details, die seit Sir John Everett Millais Darstellung der Ophelia (1851) zur Bildtradition gehören, wurde verzichtet. Luchford nimmt 1997 in seine Kampagne für Prada eine Einzelaufnahme der ruhig im Wasser treibenden Amber Valletta auf, die ebenfalls von einer Ausschmückung durch signifikante Einzelheiten absieht, aber schon aufgrund der Pose als Referenz an Millais Gemälde ausgelegt wird. Die reduzierte Bildlösung bildet in Sanchis Reihe den Hintergrund für die Kleidermode und hebt indessen die zwei bedeutenden Aspekte der tragischen Figur Ophelia hervor: der Tod, der dem Betrachter durch die leblos geöffneten Augen entgegenblickt, sowie der Wahnsinn, der durch den sich in den Wellen des Wassers krümmenden Körper angedeutet wird.208

208 Der unbändige Körper als Anzeichen des Wahnsinns lässt sich auch in Mario Sorrentis von Francis Bacon inspirierten Serie ›Deep Thoughts‹ (W, Januar 1996) sowie seinen unveröffentlichten Aufnahmen von Rachel (1995) und Shannon Plumb (1996) finden.

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Mario Sorrentis Modestrecke ›Swoon‹ (The Face, April 1999), die durch den Untertitel ›Drunk, disorderly...dead? Or perhaps all three‹ eingeleitet wird, baut stattdessen auf die Beziehung von Tod und Schlaf. In sechs Ansichten sieht man verschiedene Models im Bett, im Freien oder auf dem Boden von Innenräumen liegen (Abbildung 21). Es ist Nacht und während einzelne Aufnahmen eindeutig den Tod darstellen, lassen andere offen, ob es sich um den Todesschlaf, einen Zustand der Ohnmacht oder des Schlafes handelt. Abbildung 21: Mario Sorrenti: ›Swoon. Drunk, disorderly...dead? Or perhaps all three ‹.

In: The Face, April 1999.

Hinweise auf die Ursachen oder Zeichen eines gewaltsamen Todes lassen sich nicht ausmachen und auch die Verbindung zwischen den einzelnen Aufnahmen und Räumen bleibt unklar. Stehen die Aufnahmen in erzählerischer Beziehung zueinander oder lässt sich die Zusammenstellung eines verbindenden Motivs als Allgegenwärtigkeit des Todes auslegen? Es scheint, als hätten sich Hypnos und Thanatos als Kinder der Nacht eingefunden und über die Frauen gelegt. Die Entsprechung von Schlaf und Tod verweist ebenfalls auf gängige Darstellungsmodi um 1900 und auf

In Bezug auf das Schönheitsbild des heroin chics können diese physischen Kontrollverluste auch als aktives Ausbrechen aus dem passiv und fragil wirkenden Idealkörper ausgelegt werden.

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die toterscheinende Schlafende als Möglichkeit, die weibliche Sterblichkeit bildlich umzusetzen und dabei den Vorwurf der Morbidität zu umgehen.209 Durch ihre Passivität werden die Frauen in Sorrentis Fotografien zum objekthaften Motiv und ihre Körper bleiben in erster Linie Träger des eigentlichen Bildobjekts − der Mode. Die Fotografien greifen das traditionsreiche Motiv der schönen leblosen Frau auf, um die Mode in ein Kunstwerk einzubetten. Das Aufgreifen der Todesthematik ist in den 1990er Jahren in der Regel nicht als gezielter Tabubruch zu verstehen, sondern vielmehr als Auseinandersetzung mit kunsthistorischen Traditionen und als selbstreflexiver Blick auf Facetten der Modefotografie. Der Tod ist prägendes Wesensmerkmal der Mode sowie der Fotografie und seine Repräsentation in Form des Todes schöner Frauen baut unverkennbar auf eine Ästhetik, die den Blick des Betrachters einfängt, aber nicht in dem Maße zu erschüttern beabsichtigt, dass er ihn abwendet. Die Wiedergabe der weiblichen Schönheit ist dabei maßgebliches Anliegen, wie Poe bereits 1846 festgestellt hat und Horrorfilmregisseur Dario Argento mehr als ein Jahrhundert später konkret zum Ausdruck bringt: »I like women, especially beautiful ones. If they have a good face and figure, I would much prefer to watch them being murdered than an ugly girl or a man.«210 5.2.3 Krieg, Krankheit und andere Katastrophen 1997 erstellt Teller für den Herbst/Winter-Katalog der Modekette Jigsaw Menswear eine Bildserie bestehend aus zwanzig Fotografien, die sowohl tragisch als auch beklemmend wirken. Männer fallen von Treppen herab, liegen mit den Gesichtern regungslos auf dem Boden oder stürzen sich von Hochhäusern hinab. In einer dunklen leeren Fabrikhalle geht das zu bewerbende Produkt, ein an einem Kleiderbügel hängender Herrenanzug, in Flammen auf. Die Zusammenstellung im Katalog lässt keinen logischen Handlungsstrang erkennen und Beweggründe oder Ursachen für die Selbstmorde, Unfälle oder Morde sind nicht auszumachen. Figuren, die zuvor einen ungeklärten Tod gestorben sind, kehren in der Sequenz des Katalogs wieder lebendig zurück und die Aufnahme des vom Gebäude herunterstürzenden Mannes wird in den Geschäften der Kette als Videoloop vorgeführt.211 Laut Sontag zeichnet sich die moderne Gesellschaft dadurch aus, dass »eine ihrer Hauptaktivitäten das Produzieren und Konsumieren von Bildern ist.«212 Der Mensch wird demzufolge von einer ständigen Bilderflut überschwemmt, die letztendlich zur Abstumpfung

209 Dijkstra, 1986: 60-63. 210 Dario Argento zit. in: Clover, 2000: 150. 211 Evans, 2003: 194. Kampagnenbilder abgebildet in: Evans, 2003: 196-197. 212 Sontag, 2008: 146.

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führt. Sontag vergleicht die Schockwirkung von Gewaltfotos mit dem Effekt von pornografischen Fotografien, da in beiden Fällen das Tabu-Empfinden durch wiederholte Konfrontation schnell nachlässt.213 Infolge des erneuten Mitansehens der Szene als Videoloop wird der Schock zunächst gesteigert und schließlich, durch die stetige Wiederholung, aufgehoben. Der Betrachter wird dem Drang ausgesetzt, in das Geschehen einzugreifen. Letztlich wird ihm jedoch die Position des Voyeurs zugewiesen und er muss das Geschehen wiederholt durchleben. Ein Gefühl der Machtlosigkeit entsteht und das rätselhafte Handeln der Protagonisten erscheint destruktiv. Reuel Golden beschreibt die Arbeit daher als »probably the ultimate antifashion picture« − einen trostlosen urbanen Alptraum, in dem die Kleidung nebensächlich ist.214 Das Millennium markiert einen konkreten Endpunkt und die Gesellschaft sowie die Modeindustrie blicken auf eine Zukunft, die ungewiss erscheint. Tellers bedrückende Bilder scheinen die Angst vor dem Unbekannten und den Schwermut der Gegenwart einfangen zu wollen, die in jedem Zeitalter anklingen. »Es hat keine Epoche gegeben, die sich nicht im exzentrischen Sinne ›modern‹ fühlte und unmittelbar vor einem Abgrund zu stehen glaubte. Das verzweifelt helle Bewusstsein, inmitten einer entscheidenden Krise zu stehen, ist in der Menschheit chronisch,« zeigt Benjamin auf.215 Besonders Tellers Gebrauch professioneller Stuntmen spricht zwar dafür, dass das primäre Bestreben die Inszenierung einer Illusion ist, aber es zeichnet sich eine Umkehrung von Barthes’ Definition der Modefotografie ab.216 Intention ist nicht die Darstellung einer perfekten Welt, sondern die Kehrseite der Fiktion − Schreckensszenarien, die aufgrund der Kombination von filmischer Ästhetik und nicht-linearer Erzählstruktur wie Alpträume anmuten. Tellers Beispiel veranschaulicht, wie die Illusion in der Modefotografie zum Schrecken werden kann. Eine schöne Katastrophe Pierre Winther greift eine tragische Erfahrung des modernen Alltags auf und gibt sie mit den imaginären Mitteln der Modefotografie wieder. Aus der Vogelperspektive zeigt er in einer Fotografie für Diesel (1994) einen Unfallschauplatz, nachdem vier Autos frontal ineinander gefahren sind (Abbildung 22). Der Zusammenprall bildet die Bildmitte, wodurch die Autos ein Kreuz bilden, das die Aufsicht in vier

213 Sontag, 2008: 23. 214 Golden, 1998: 20. 215 Benjamin, 1982 [a]: 677 [S I a, 4]. Ash und Wilson beginnen die Einleitung zu dem von ihnen herausgegebene Sammelband zur Mode mit dem Satz: »We live in times of crisis.« Ash/Wilson, 1992: xi. 216 S. Evans, 2003: 194.

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Flächen unterteilt, in denen sich verschiedene Handlungen zutragen. Im linken Feld liegt ein Opfer am Boden und wird zu beiden Seiten von Asiaten flankiert, die für ein Erinnerungsfoto mit der Verstorbenen posieren. Daneben haben sich weitere Schaulustige, mit Kameras ausgestattet, eingefunden. Das mittlere Feld zeigt einen Mann neben einem Opfer kniend, auf einem Klemmbrett trägt er Notizen in ein Formular ein. Zwischen den zwei Verstorbenen liegt ein Aktenkoffer auf dem in großen weißen Lettern SUE THEM zu lesen ist. Rechts hat sich eine Gruppe Schaulustiger mit Klappstühlen und Popcorn zusammengefunden, während zu ihren Füßen drei weitere leblose Körper liegen. Abbildung 22: Pierre Winther: Succesful Living-Kampagne für Diesel (Nr. 31), 1994.

Das Szenarium ruft Cecil Beatons Wunschvorstellung von Modebildern ins Gedächtnis: »I want to make photographs of very elegant women taking grit out of their eyes, or blowing their noses, or taking the lipstick off their teeth. Behaving like human beings in other words ... It would be gorgeous instead of illustrating a woman in a sports suit in a studio, to take the same woman in the same suit in a motor accident, with gore all over everything and bits of the car here and there. But naturally this would be forbidden.«217

217 Das Originalzitat stammt aus dem Artikel I Am Gorged with Glamour Photography, in: Popular Photography, April 1938. Cecil Beaton hier zit. nach: Hall-Duncan, 1979: 202.

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Beatons 1938 noch unmöglich anmutende Vision scheint mittlerweile möglich geworden zu sein. Models, die menschlich auftreten, sind in Modefotografien ebenso vorzufinden wie Autounfälle und ähnliche Katastrophen.218 Aber wo entdeckt man in Winthers Autounfall das Blut, den Schmutz und die Menschlichkeit? Der Autounfall wird in ästhetisierter und überspitzer Form aufgeführt. Jegliche Hinweise auf Verletzungen des Körpers in Form von Wunden oder hervortretenden Flüssigkeiten fehlen. Die Künstlichkeit der Posen, der unverhohlene Voyeurismus der Überlebenden, die gesättigte Farbigkeit und natürlich das Markenlogo weisen die Fotografie auf den ersten Blick als parodierende Inszenierung aus. Die Offensichtlichkeit gestattet dem Betrachter, es den Voyeuren im Bild gleichzutun und das Ereignis genau zu untersuchen. Voyeurismus wird als Phänomen einer abgestumpften Gesellschaft dargestellt, in der die Grenzen von Realität und Illusion verwischen und das Grauen zum Spektakel wird. Das Auto als Sinnbild der modernen Gesellschaft kann Zerstörung sowie das Streben nach Fortschritt, Freiheit und demonstrativem Konsum darstellen. Für J.G. Ballard ist es der zentrale Gegenstand des 20. Jahrhunderts, da es den zeitgenössischen Hang zu Schnelligkeit und Gewalt offenbart. Im Auto ist der potentielle Tod ein ständiger Begleiter.219 Die sexuelle Anziehungskraft des gewaltvollen Todes hat Ballard 1973 im Roman Crash in Gestalt des Autounfalls zum Inhalt gemacht und der Faszination an Gewalt und Sex eine zentrale Rolle im technologischen Zusammenleben zugesprochen. 220 Jean-Luc Godard inszeniert das Auto in Week End (1967) ebenfalls als bedeutungsgeladenes Motiv. Der Film begleitet das Ehepaar Corinne und Roland auf dem Weg von Paris nach Oinville. Ihre Reise ist gepflastert von Autounfällen, Wracks und Toten, denen das Paar keine Beachtung schenkt. In einer achtminütigen Kamerafahrt entlang eines Staus sieht man Reisende zwischen Wracks und Verkehrsopfern picknicken oder Schach spielen und Abstumpfung wird als gesellschaftlicher Zustand kenntlich gemacht.221

218 Smedley nutzt Beatons Zitat als Ausgangspunkt für seinen Aufsatz zum Realismus der 90er Jahre und führt als Beispiel Winthers Fotografie an. Smedley, 2000: 143. 219 Ballard, 1996: 262. 220 Drei Jahre zuvor hatte Ballard anlässlich seiner Ausstellung Atrocity drei Autowracks vom Schrottplatz in den Galerieraum überführt und damit, ähnlich wie Warhol bereits Anfang der 60er Jahre, die Realität des tödlichen Autounfalls zum Gegenstand der Kunst gemacht. In der Death and America-Serie hatte Warhol Bilder einer durch Zeitungen vermittelten Realität aufgegriffen, diese vergrößert, vervielfacht und durch grelle Farben verfremdet. Weiterführend zu Ballards Ausstellung, dem Roman Crash sowie David Cronenbergs gleichnamiger Verfilmung (1996) s. Vidal, 2013: 139-158. 221 Godard nutzt das Auto zur Kritik an der Beschaffenheit der modernen Konsumgesellschaft, in der Gewalt, Entfremdung und Gleichgültigkeit vorherrschen. Gegenüberge-

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In Winthers Modeaufnahme handelt es sich zwar um schöne Tode, die gesehen werden wollen, aber die Überlebenden demonstrieren eine ähnliche Abgestumpftheit wie Godards Protagonisten. Statt das Geschehen auszublenden, wird es zur Sensation und zum Ereignis, aus dem Nutzen gezogen werden kann. Winthers Aufnahme ist von Grund auf eine Illusion, die Verhaltensweisen, auf Katastrophen zu reagieren, in übersteigerter Form darstellt.222 Voyeurismus wird mit Passivität und fehlendem Lebensdrang gleichgesetzt. Dem gegenübergestellt werden die modischen Unfallopfer, die sich durch ihren modischen und individuell wirkenden Kleidungsstil von den Beobachtern unterscheiden und deren Todesart ein dynamisches und aufregendes Leben repräsentiert. Entsprechend dem Successful LivingMotto der Marke ist selbst der Tod Ausdruck eines aufsehenerregenden Lebens. Um einen ähnlichen Lebensstil führen zu können, muss der Betrachter allerdings nicht das gleiche Schicksal wie die Unfallopfer erleiden, sondern kann sich ihre Kleidung aneignen. Das Unerwünschte hält Einzug Auf die jüngste Vergangenheit zurückblickend, haben sich diverse Ängste im gesellschaftlichen Bewusstsein manifestiert. Zu Beginn des Jahrzehnts präsentieren die Medien den zweiten Golfkrieg als allgegenwärtige Bedrohung von Außen und auch der Schock über das Aufkommen von AIDS ist nicht überwunden. Giddens merkt an, dass es zwar immer Gefahren wie Krieg und Krankheit gegeben hat, aber der Umgang mit diesen Risiken hat sich verändert. In diesem Zusammenhang verwendet er den von Ulrich Beck geprägten Begriff der Risikogesellschaft.223 Demzufolge zeichnet sich die Risikogesellschaft durch »eine neuartige, globale, weltweite Gefährdungszugewiesenheit, der gegenüber individuelle Entscheidungsmöglichkeiten [...] kaum bestehen« aus.224 Beck vertritt die Ansicht, dass der moderne Mensch immer stärker von gemeinschaftlichen globalen Risiken betroffen ist und auf diese kaum Einfluss nehmen kann. Hierdurch entwickeln sich Zustände des Schocks und im Hinblick auf die Zukunft eine pessimistische Grundhaltung.225 Giddens übernimmt Becks Begriff und stellt dar, wie in der modernen Gesellschaft mit Risiken verfahren wird. Dabei skizziert er, welche Folgen diese Entwicklungen für das Individuum haben. Ein charakteristisches Element dieses zeitgenössischen Zustands

stellt werden Corinnes Gleichgültigkeit gegenüber den Verkehrsopfern und das Entsetzen, als ihre Hermès-Tasche in den Flammen eines brennenden Autos zurückbleibt. Vgl. Vidal, 2013: 122-127. 222 Vgl. Evans, 2003: 195. 223 Giddens, 1991: 28. 224 Beck, 1986: 54. 225 Beck, 1986: 28 und 54.

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ist das Bedürfnis nach Kontrolle, das sich sowohl auf persönlicher Ebene (zum Beispiel durch Störungen des Essverhaltens) als auch im öffentlichen Raum (mitunter durch verstärkte Überwachungsmaßnahmen) äußern kann.226 In der Modefotografie wird die Kontrolle des Öffentlichen beispielsweise anhand der Imitation der Perspektive von Überwachungskameras thematisch aufgegriffen, unter anderem angewendet von Knight in ›Off the Grid‹ (Vogue (US), August 1995) und Rankin in ›Surveillance‹ (Dazed & Confused, April 1996). In beiden Arbeiten löst das Kameraauge das Individuum als verdächtigte Figur aus der Realität heraus und transformiert es zum observierten Bildobjekt. Der Verlust des Privaten und die Verdrängung des Menschlichen gehen miteinander einher und werden zu Merkmalen des modernen Zusammenlebens. Zweifelsohne die hitzigsten Diskussionen um die Zurschaustellung menschlicher Schicksale haben die Kampagnen Toscanis für das Modeunternehmen Benetton entfacht. Darf die Mode soziale Ungerechtigkeit und menschliches Leiden ansprechen oder macht sie sich damit der Kommerzialisierung dieser Tragödien schuldig? Dieser Problemstellung hat sich Toscani jede Saison von 1984 bis 2000 aufs Neue gewidmet und dabei in bisher ungewohntem Maße mit den Prinzipien der Aufrechterhaltung der Grenzen von privat und öffentlich sowie der Ausblendung von Übel gebrochen. Anfangs proklamierten die fröhlichen und farbigen Werbeflächen gemäß dem Slogan United Colors of Benetton noch »Einheit in der Vielfalt«227 und zelebrierten zugleich multikulturelle Diversität und farbige Vielfalt der Kleidungsmarke.228 Im weiteren Verlauf der Zusammenarbeit von Toscani und Luciano Benetton, Firmenpräsident und Mitbegründer des 1965 ins Leben gerufenen Unternehmens, ist das Motiv Kleidung der Darstellung allumfassenderer Inhalte gewichen.229 So wohlgemeint die Botschaften vieler seiner Arbeiten anmuten mögen, sind sie dennoch immer von polemischem Charakter: ein hellhäutiges Baby, das von einer Dunkelhäutigen gestillt wird (1989); die Nahaufnahme einer weißen und schwarzen Hand, durch Handschellen verbunden (1989); ein schwarzes und ein weißes Baby sitzen sich fröhlich auf ihren Nachttöpfen gegenüber (1990) − die Auslegung wird von der

226 Giddens, 1991: 149-151. 227 Pagnucco Salvemini, 2002: 126. 228 Vgl. Pagnucco Salvemini, 2002: 28-29. 229 Pagnucco Salvemini führt die Abwendung von der Produktdarstellung auf die Situation des Unternehmens zurück, das zum damaligen Zeitpunkt schon bekannt und mit Geschäften weltweit vertreten war. Pagnucco Salvemini, 2002: 16-17.

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Sichtweise des Rezipienten bestimmt und Toscanis Bilder lassen ihm »immer mindestens zwei gegensätzliche Möglichkeiten der Interpretation.«230 Zu Anfang der 90er beginnt sich auch eine Konzentration auf wesentliche Daseinsbereiche abzuzeichnen und Sexualität, Geburt, Liebe und Tod werden zu den zentralen wiederkehrenden Inhalten.231 Im Januar 1991 präsentiert Benetton zeitgleich zum Ausbruch des Golfkriegs die Ansicht eines französischen Soldatenfriedhofs auf dem sich die weißen Kreuze zu Ehren der Gefallenen (abgesehen von einem hervorstechenden Davidstern) gleichförmig aneinanderreihen. Toscani beschreibt dies als einen »[...] Weg, an die Sinnlosigkeit des Krieges zu erinnern, eine Friedenbotschaft: Alle Kriege enden auf Friedhöfen.«232 Statt den individuellen Heldentod zu glorifizieren, wird der massenhafte Verlust von Individuen als Konsequenz des Krieges bezeugt. Drei Jahre später greift Toscani den weißen Hintergrund als neutrale Fläche auf und arrangiert davor blutverschmierte und von einem Einschussloch gezeichnete Soldatenkleidung. Die ausgebreiteten Kleidungsstücke verdeutlichen die Abwesenheit des Körpers. Übrig geblieben sind nur Kleidungstücke und Spuren der Gewalt, die für ein Da-Gewesen-Sein und Dahinschwinden des einstigen Trägers sprechen. Weltweit ist die Schaltung der Anzeige von vielen Zeitungen abgelehnt worden. Auch in diesem Fall spaltet Toscani die öffentliche Meinung und dem Vorwurf, er instrumentalisiere den Krieg, setzt er das Argument des Publikmachens entgegen.233 In seinem Buch Die Werbung ist ein lächelndes Ass, das zugleich eine Anklage an die Werbeindustrie und Rechtfertigung der eigenen Anliegen darstellt, erläutert der Fotograf die Hintergründe zu der Kampagne. Demnach sei er zunächst brieflich von einer Frau aus Sarajevo aufgefordert worden, anhand seines Mediums − der Werbung − den Bosnienkrieg in der Öffentlichkeit präsent zu machen. Da es nicht sein Ziel gewesen sei zu schockieren, sondern zu bewegen, habe er nicht das Bild eines Verstorbenen verwenden wollen und wendete sich mit der Bitte um Kleidung eines Opfers an das Rote Kreuz. Als er daraufhin die blutigen Kleidungsstücke des jungen Bosniers erhält, ist ein Brief des Vaters beigelegt. Am oberen Bildrand der Kampagnenaufnahme verläuft ein Auszug aus jenem Brief, der sich in der Übersetzung folgendermaßen liest: »Ich, Gojko Gagro, Vater von Marinko Gagro, geboren 1963 in Blatnica, Gemeinde von Citluk, wünsche, daß der Name meines toten Sohnes Marinko und alles, was von ihm geblieben ist, für den Frieden und gegen den Krieg verwendet wird.«234 Die Aussage des Vaters verdeutlicht, dass

230 Pagnucco Salvemini, 2002: 113. 231 Vgl. Pagnucco Salvemini, 2002: 47. 232 Toscani, 1997: 51. 233 Zum Schuldvorwurf s.a. Könches, 2001: 40-44. 234 Toscani, 1996: 86-95, Zitat hier 89.

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der Tod immer Auswirkungen auf das Leben der Hinterbliebenen hat und erfüllt darüber hinaus für den Fotografen den Zweck der Rechtfertigung, indem er die Ermächtigung des Vaters belegt. Giddens zeigt auf, dass die Verbannung von Unerwünschtem ein grundlegendes Merkmal der kontrollierten Öffentlichkeit ist.235 Das Verbot von Fotografien gefallener Soldaten sowie von ihren Särgen, das 1991 während des Golfkrieges beschlossen wird und den Tod amerikanischer Soldaten zum nationalen Tabuthema erklärt, demonstriert welche Rolle Bilder in der Verbannung unerwünschter Themen zugunsten einer kontrollierten Öffentlichkeit spielen.236 Durch die Medien ist die Öffentlichkeit zwar mit den schrecklichen Seiten des Krieges vertraut, doch das Bildverbot rückt die Geschehnisse in die Entfernung, wodurch der Eindruck vermittelt wird, die eigene Gesellschaft sei nicht unmittelbar betroffen. Toscani baut auf diese meinungsbildende Macht des Visuellen und nutzt sie, um das Unerwünschte im Alltag präsent zu machen. Zur Last gelegt werden ihm dabei nicht die Bilder, sondern ihre Funktion, die durch das grüne Markenlogo immer gegenwärtig ist. Wiederkehr des Verdrängten Giddens bezeichnet die Entwicklung der Verbannung von Unerwünschtem als ›Privatisierung des Leidens‹, ein Prozess, in dem Verrückte in Anstalten weggeschlossen und Kranke sowie Sterbende hinter Krankenhausmauern versteckt werden.237 Die Schattenseiten des menschlichen Lebens gehören demnach nicht in den öffentlichen, sondern in den privaten Raum. Der Verdrängung von realen Erfahrungen mit Krankheit und Tod steht jedoch die konstante öffentliche Darbietung in den Medien gegenüber.238 Sean Ellis stellt in ›The Clinic‹ (The Face, März 1997) das Innere einer Klinik als Schattenwelt dar, die von monströsen Gestalten bewohnt wird. ›Welcome. We’ll tear your soul apart‹239 lautet der Untertitel, der den Leser zum Erleben von Ellis alptraumhafter Vision einlädt. Evans sieht in dieser Art von verstörenden Bildern die Mode sowohl als Auslöser als auch als Symptom. Denn der Verfall, den die Mode durch ihren Glamour zunächst zu maskieren vermag, kehrt als das Unter-

235 Giddens, 1991: 27. 236 2009 wurde das kontroverse Verbot aufgehoben und die Entscheidung über die Veröffentlichung der Fotografien, den Familien der Gefallenen zugesprochen. Weiterführend s. Bumiller, 2009: A13. 237 Giddens, 1991: 159-164. 238 Giddens, 1991: 27. Zur allgegenwärtigen Konfrontation mit Schockbildern in den Medien s. Sontag, 2008: 23-24 und weiterführend Sontag, 2003. 239 In: The Face, März 1997: 98.

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drückte in seiner ursprünglichen Form zurück.240 In Anbetracht der Privatisierung des Leidens bietet sich die Klinik, ein von der Außenwelt abgegrenzter Raum, zur Konstruktion unheimlicher Szenarien an und Ellis knüpft an eine Idee des Schwellenbereichs zwischen Außen und Innen sowie Realität und Alptraum an, die auch in einigen Horrorfilmen bezeichnend für die Kulisse der Klinik ist.241 Das Verdrängte kehrt hier in Gestalt des Unheimlichen zurück. Freud zufolge ist das Unheimliche »wirklich nichts Neues oder Fremdes, sondern dem Seelenleben von alters her Vertrautes, das ihm durch den Prozess der Verdrängung entfremdet worden ist.« Daher erscheint vielen Menschen unheimlich »[...] was mit dem Tod, mit Leichen und mit der Wiederkehr der Toten, mit Geistern und Gespenstern zusammenhängt.«242 Ein Aufgreifen verdrängter Themen für Modefotografien mag unerwartet und in manchen Fällen sogar unpassend erscheinen, ist jedoch gerade durch die Einbettung in die Fiktion möglich. So führt Freud das Märchen als Sonderfall auf. Denn es zeigt auf, »[...] dass im Reich der Fiktion vieles nicht unheimlich ist, was unheimlich wirken müsste, wenn es sich im Leben ereignete.«243 Zur Verschränkung von Realität und Werbung Als Toscani 1992 dazu übergeht, sich Presseaufnahmen anderer Fotografen für die Werbezwecke der Marke Benetton anzueignen, löst er die kommerziellen Endprodukte radikal aus dem sicheren Reich der Fiktion heraus und führt dem Betrachter die Schattenseiten der Gegenwart vor Augen. Eine Sizilianerin, die auf offener Straße den zugedeckten Leichnam ihres ermordeten Mafioso-Sohns beweint; Umweltkatastrophen; ein Schiff, das unter der Masse an Flüchtlingen zusammenbricht; ein brennendes Auto; der fragmentarische Ausschnitt eines schwarzen Soldaten mit umgehängter Waffe und einem menschlichen Oberschenkelknochen in den Händen − Toscani hat die Dokumente dieser Schreckensereignisse in die Werbung überführt und ihnen, unübersehbar auf großformatigen Plakatwänden, einen neuen Rahmen geboten. Damit forciert er eine kulturelle Verlagerung von alltäglichen Schreckensbildern, wie sie Warhol Anfang der 60er Jahre durch die Einbettung in den Kunstraum vorangetrieben hat. Toscani präsentiert die Bilder noch öffentlichkeitswirksamer, indem er die kommerziellen Flächen der Werbung nutzt.244

240 Evans, 2003: 227. 241 Z.B. Hellbound: Hellraiser II (R: Tony Randel, 1988). 242 Freud, 2012: 46. 243 Freud, 2012: 61. 244 Das Großformat ist für Toscani ein bedeutender Faktor, der zugleich die Qualität der Fotografien und die Macht der Werbung betont. »Indem ich diese Motive an die Hauswände brachte, wollte ich diesen modernen Ikonen ihre ganze Kraft wiedergeben, die

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Zu den wohl umstrittensten Arbeiten dieser Kampagnenreihe gehört Toscanis Verwendung einer Fotografie des an AIDS erkrankten David Kirby.245 1990 hatte Therese Frare den Kranken auf seinem Sterbebett umgeben von seiner Familie fotografiert. Frares Dokument dieses intimen Moments ist zunächst im LIFE Magazin zu sehen gewesen und im Anschluss mit dem World Press Photo Award ausgezeichnet worden. Daraufhin hat Toscani die Schwarz-Weiß-Fotografie übernommen, sie mit Farbe versehen und das Benetton-Logo hinzugefügt. Durch die Farbigkeit erhält die Fotografie eine malerische Ästhetik und nähert sich gleichzeitig dem Werbebild an, das traditionell im Gegensatz zur seriösen, schwarz-weiß gehaltenen Dokumentarfotografie steht. Der ausgemergelte Körper Kirbys erinnert an die leblose Jesusfigur in Darstellungen der Pietà.246 Verstärkt wird die Assoziation zum religiösen Kunstwerk durch das an der Wand angebrachte Bild der willkommen heißenden Hände sowie die Spiegelung des Motivs durch die, in die Fotografie hereinragenden, tröstenden Hände.247 Im Mittelpunkt stehen Schmerz und Leid des Sterbenden sowie der Trauernden. Die Überschneidung von christlicher Ikonographie, Reportage- und Werbefotografie sowie die Erfahrung des Betrachters, als Unbeteiligter an diesem eigentlich privaten Moment teilzuhaben, lässt das Bild unangebracht wirken.248 Die Gewissheit, dass die Szene der Realität entspringt und die Erkenntnis, dass es sich um eine Werbekampagne handelt, lösen den eigentlichen Schock aus. Die Medien und auch die von der Krankheit unmittelbar Betroffenen haben gespalten auf die Zurschaustellung von Kirbys Tod im Kontext der Werbung reagiert. In Großbritannien lehnt Elle die Einbindung der Fotografie ab und die Ausgabe erscheint mit zwei leeren weißen Seiten. In Großbritannien und Frankreich rufen die Werbeinstitutionen und zuständige Kommissionen die Printmedien dazu auf, die Schaltung der Kampagne zu verweigern. Im gleichen Jahr wird Benetton mit dem European Art Directors Award für die Kampagne des Vorjahres ausge-

Werbefläche in eine riesige Ausstellung von Nachrichtenfotos verwandeln.« Toscani, 1997: 55. Zum weiteren Vergleich mit Warhol s. Pagnucco Salvemini, 2002: 88-89. 245 Thérèse Frare (Fotografie)/Oliviero Toscani (Konzept) für Benetton, Frühling/Sommer 1992. Abgebildet in: Pagnucco Salvemini, 2002: 91. 246 Toscani betitelt die Fotografie als moderne Pietà. Toscani, 1997: 57-58. 247 Knöches vermutet, dass es sich um den Arm eines Pfarrers handelt, der dem Sterbenden die letzten Sakramente spendet. Könches, 2001: 45. Aus der Originalfotostrecke in LIFE geht jedoch hervor, dass es sich dabei um einen Freund handelt. Zu den Hintergründen der Fotostrecke s. http://life.time.com/history/world-aids-day-the-1990-photothat-changed-the-face-of-the-epidemic/#2. 248 Vgl. Pagnucco Salvemini, die diesen Bildtypus »das unangebrachte Bild« nennt. Pagnucco Salvemini, 2002: 89.

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zeichnet. Das meinungsentfachende Potential des Totenbettmotivs hat zu einem Skandal geführt, der Fotografie und Marke, losgelöst vom Produkt, in die öffentliche Wahrnehmung gerückt hat.249 »Ich ließ es [das Bild; Anm. der Autorin] in der ganzen Welt plakatieren, um gegen die Ausgrenzung von Aidskranken zu kämpfen. [...] um zu zeigen, daß ein Kranker im Kreise seiner Familie sterben kann, in den Armen seiner Eltern und Verwandten, ohne sie anzustecken, bis zum letzten Atemzug begleitet und nicht armselig wie ein Köter,«250

legt Toscani seinen Beweggrund aus und spricht die sozialen Nebenwirkungen der Erkrankung an. Sontag beschreibt 1989 in Aids and Its Metaphors nicht das körperliche Leiden, sondern die soziale Isolation und menschliche Degradierung als die weitaus beängstigenderen Folgen einer Infizierung mit dem Virus. Im Gegensatz zu Krankheiten, die zu einem sanften Tod führen, produziert AIDS als harte Todesform Schrecken, da sich der fortschreitende Zerfall sichtbar auf dem Körper und im Gesicht der Erkrankten abzeichnet.251 In Toscanis Werbeplakat wird der Todeskampf Kirbys durch die Anwesenheit seiner offensichtlich wohlgenährten Familie noch offensichtlicher. Besonders die von konservativer Seite verbreitete Auslegung der Krankheit als Bestrafung für einen von der Norm abweichenden Lebensstil hat zur Stigmatisierung und Ausgrenzung der Betroffenen geführt. 252 Gegen diese Spaltung in nicht-gefährdete Bevölkerungsgruppen und Risikogruppen ist Benetton mit seinen Vermarktungsstrategien schon vor der skandalträchtigen Sterbeszene angegangen. Im Vorjahr ist ein Kampagnenfoto erschienen, das bunte Kondome auf weißem Hintergrund zeigt und auf diesem Weg geschützten Geschlechtsverkehr ins Bewusstsein rufen will. Zusätzlich sind in den Geschäften gratis Kondompackungen verteilt worden. Diese Werbemaßnahme mit aufklärerischem Ansatz hat in den USA zur Bezichtigung der Pornografie geführt.253 Die Empörung einiger Moralisten lässt sich sicherlich auch auf die unvoreingenommene und direkte Ansprache des Ladenbesuchers zurückführen, mit dem das Unternehmen die Krankheit als allgegenwärtige und nicht diskriminierende Bedrohung charakterisiert hat. William F. Buckley unterbreitet 1986 in der New York Times den Vorschlag, AIDS-Kranke entweder am Oberarm (Drogensüchtige) oder Gesäß (Homosexuelle)

249 S. Toscani, 1997: 57-59 und 69, Pagnucco Salvemini, 2002: 92f und Hack/Kalman/ Toscani, 1995: 89-91. 250 Toscani, 1997: 58. 251 Sontag, 2002: 124-127. 252 Sontag, 2002: 110-112. 253 Pagnucco Salvemini, 2002: 49-50.

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zu tätowieren, um das Risiko der Verbreitung einzuschränken.254 Sein Aufruf verdeutlicht die allgemeine Furcht vor dem Virus und die daraus resultierende Transformation der Opfer der Krankheit zu potentiellen Tätern. Buckleys Bestreben, die Infizierten identifizieren zu können und sie als das Unerwünschte kenntlich zu machen, ruft unmittelbar Gedanken an das Dritte Reich hervor, wirkt jedoch im Hinblick auf die Ansteckungshysterie vielmehr wie eine Wiederholung der viktorianischen Forderung, Syphilis-Kranke zu brandmarken.255 Da beide Krankheiten als Resultat sexueller Entgleisungen gedeutet wurden und Auslöser für kollektive Angstzustände um Moral und Keuschheit waren, liegt der Vergleich nahe. Elaine Showalter beschreibt beide als symbolische Krankheiten, die als apokalyptische Vorzeichen gelesen wurden.256 Ähnlich wie ihr historisches Pendant, ist die Wahrnehmung der AIDS-Erkrankung auf zwei Ebenen verlaufen: zum einen die Realität der Krankheit und zum anderen Anschauungsweisen der Krankheit, die von der kulturellen Furcht vor der Krankheit geprägt sind.257 Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Krankheiten zeigt sich in der öffentlichen Diskussion. Im 19. Jahrhundert wurde hauptsächlich die Frau als Gefahrenquelle und der (heterosexuelle) Mann als Opfer gesehen. Als Geschlechtskrankheit haftete Syphilis das Wesen des Geheimnisses an und ihr wurde der Raum des Privaten zugesprochen. Die AIDS-Krise hat hingegen den homosexuellen Mann in den Mittelpunkt der Schuldzuschreibung gerückt. Doch trotz der sozialen Ausgrenzung, welche die Betroffenen besonders unmittelbar nach Ausbruch der Krise zu erleiden hatten, hat AIDS im Laufe der Zeit eine Stimme erhalten und sich als Krankheit im kollektiven Bewusstsein verankert.258 Toscani greift Buckleys Idee der Kenntlichmachung 1993 auf und zeigt in Großaufnahme ein nacktes Gesäß, den Ansatz eines behaarten Schambereichs, eine Armbeuge sowie eine männliche Brust. Über den ›risikobehafteten‹ Körperstellen prangt in schwarzen Druckbuchschaben die Aufschrift H.I.V. POSITIVE. Die fragmentarische Körperdarstellung erlaubt lediglich eine Identifikation der Krankheit, nicht jedoch der Individuen und steht hierdurch im Kontrast zu der emotionsgeladenen Sterbeaufnahme Kirbys. Auch in diesem Beispiel wird die Deutung der Bildbotschaft dem Publikum überlassen und ist durch die beinahe klinisch anmutende Nüchternheit umso stärker in zwei entgegengesetzte Richtungen interpretierbar. Als Reaktion auf die Kampagne kauft der an AIDS erkrankte Olivier Besnard-

254 Buckley, 1986: A 27. 255 S. Showalter, 1992: 191. 256 Showalter, 1992: hier 190 und ausführlich zum Vergleich beider Krankheiten 188-208. 257 Vgl. Smiths Ausführungen zur Syphilis. Smith, 2004: hier 95 und weiterführend 95117. 258 S. Showalter, 1992: 191-192.

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Rousseau eine Seite in der französischen Tageszeitung Libération und bindet eine Fotografie seines von der Krankheit gezeichneten Gesichts ein, auf dem der Schriftzug der Werbekampagne zu lesen ist. Zusätzlich fügt er unterhalb des Portraits hinzu: »Während des Todeskampfes geht der Verkauf weiter. Zu Ehren von Luciano Benetton. Im Auftrag von Olivier Besnard-Rousseau, einem Aidskranken im Endstadium.«259 Mit diesem Schritt stellt Besnard-Rousseau sein persönliches Schicksal einem visualisierten Konzept der Krankheit, das dem kommerziellen Zweck dient, entgegen. Die durch Kirbys Familie erteilte Erlaubnis, Frares Fotografie im Rahmen der Werbung zu präsentieren, wird von einer ähnlichen Motivation einer Personalisierung der Krankheit angetrieben.260 Für seine Familie erfüllt die Veröffentlichung die Funktion eines persönlichen Memento mori und darüber hinaus einen umfassenden Sinn, da der Krankheit und dem damit verbundenen Leiden ein Gesicht gegeben wird. Toscani hat verschiedene Bildlösungen eingesetzt, um die AIDS-Thematik in die Öffentlichkeit zu überführen und daher kann man ihm ein soziales Engagement sicherlich nicht absprechen. Das verbindende Element zwischen den einzelnen Arbeiten ist jedoch der kommerzielle Rahmen, der wie ein fahler Beigeschmack haften bleibt und stets aufs Neue zum Kern der Polemiken geworden ist. Abgesehen von dem Benetton-Logo stehen die Inhalte in keinem konkreten Zusammenhang zur Marke und arbeiten dennoch für sie. Falk nennt dies den Benetton-ToscaniEffekt, eine Vorgehensweise, möglichst aufmerksamkeitswirksam Diskussionen zu entfachen und hierdurch den Wiedererkennungswert der Marke zu stärken. Probleme der realen Welt werden aufgegriffen, um gemäß des Werbemottos United Colors of Benetton geteilte Ängste anzusprechen. Trotz der Schockwirkung, die durch die Transformation zum Werbebild ausgelöst wird, bleibt eine Distanz zwischen Betrachter und abgebildeten Schreckensszenarien erhalten. Die Vertrautheit mit dieser Art von Medienbildern aus den Nachrichten sowie das überwältigende Großformat (im Falle der öffentlichen Anbringung als Werbeplakat) sorgen dafür, dass

259 Pagnucco Salvemini, 2002: 115. 260 Kirbys Mutter begründet die Entscheidung zur Veröffentlichung damit, den realen Schrecken von AIDS publik zu machen und Spuren von Kirbys Dasein zu setzen. »We never had any reservations about allowing Benetton to use Therese’s photograph in that ad, […] What I objected to was everybody who put their two cents in about how outrageous they thought it was, when nobody knew anything about us, or about David. We just felt it was time that people saw the truth about AIDS, and if Benetton could help in that effort, fine. That ad was the last chance for people to see David — a marker, to show that he was once here, among us.« Kirbys Mutter in einem Interview mit LIFE.com, s. http://life.time.com/history/world-aids-day-the-1990-photo-that-changedthe-face-of-the-epidemic/#1.

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der Betrachter in der Position des nicht unmittelbar betroffenen Zuschauers verweilt. Dieser Standpunkt gestattet, neben dem Schrecken auch emotionale Reaktionen wie Mitgefühl zu erwecken.261 In bis dahin ungewohntem Maße hat Toscani mit dem gesellschaftlichen Prinzip der Verbannung von Unerwünschtem gebrochen, gezielt die öffentliche Diskussion forciert und hierdurch Aufmerksamkeit geschaffen – sowohl für das soziale Anliegen als auch für die Marke. Was vom Schock übrig bleibt: Nick Knights ›Access-able‹-Portraits Nick Knights Projekt ›Access-able‹ veranschaulicht, wie die Darstellung persönlicher Schicksale eingesetzt werden kann, um positive Gefühle zu vermitteln. 1998 laden der Fotograf, Alexander McQueen als Gast-Artdirector und die Stylistin Katy England Menschen mit körperlicher Behinderung zum Casting ein, um die Auserwählten für die September-Ausgabe von Dazed & Confused zu portraitieren. Auf dem Cover (Abbildung 23) wird Aimee Mullins, Athletin und Gewinnerin der Paralympics, abgebildet, der als Einjährige unterhalb der Knie beide Beine amputiert wurden. Abbildung 23: Nick Knight: ›Access-able‹ (Aimee Mullins).

Cover für Dazed & Confused, September 1998.

261 Falk, 1997: 76-78.

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Dem Betrachter dreht sie in dreiviertel Pose den Rücken zu. Sie blickt durch die Lücke, den ihr erhobener Arm formt, direkt in die Kamera. Der Lichteinfall hebt die Silhouette ihres unbedeckten Oberkörpers hervor und taucht die linke Gesichtshälfte in einen mysteriös anmutenden Schatten. Der ungewohnte Anblick der metallischen Laufprothesen wirkt futuristisch und die gebogenen Metallstreifen leiten den Blick entlang ihres Körpers nach oben. Durch die ausbalancierte und doch dynamische Körpersilhouette scheint es, als könne sie jeden Moment losrennen. Diese Harmonie von Ruhe und Dynamik vermittelt den Eindruck von Stärke. Abbildung 24: Nick Knight: ›Access-able‹ (Aimee Mullins).

In: Dazed & Confused, September 1998.

In der Aufnahme im Magazininneren trägt Mullins (Abbildung 24) ihre fleischfarbenen, zierlich geformten Prothesen, die in Kombination mit dem steifen Reifrock von McQueen, der unnatürlich starren Pose sowie dem abwesenden Blick ein Gesamtbild der Künstlichkeit erzeugen. Sie tritt als schöne viktorianische Puppe auf262 − das Pendant zur Verkörperung der dynamischen und modernen Athletin auf dem Cover. Knight zeigt zwei Seiten einer Frau, die sich trotz Behinderung in keine feste Kategorie einordnen lässt. Er stellt Mullins zugleich als passive und zerbrechliche Schönheit sowie als starke und feminine Sportlerin dar. Es wird die Botschaft

262 Frankel, 1998: TT 014.

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vermittelt, dass körperlich Behinderte keinem Stereotyp entsprechen und Körper, die von der gesellschaftlichen Norm abweichen, schön sind. Für die Modestrecken im Magazin sind neben Mullins sieben weitere Personen im Studio abgelichtet worden. Im Gegensatz zu der gängigen Präsentationweise von Behinderten für zum Beispiel karikative Aufrufe zielt die Strecke nicht auf ein Hervorrufen von Mitleid, sondern den Eindruck von Stärke und Schönheit ab.263 Kate Rhodes legt die komplexe Wirkung der ›Access-able‹-Portraits als Ambivalenz zwischen Abstoßung und Anziehung aus. Während der erkundende Blick auf körperliche Behinderungen im realen Leben als unangebracht empfunden wird, ist er in Form des Modefotos möglich.264 Die Andersheit der Portraitierten wird zunächst als unerwartet empfunden, doch durch die Verknüpfung mit dem Motiv der Mode fühlt sich der Leser zum detaillierten Betrachten eingeladen. »The fundamental problem is that people with disabilities are invisible. [...] And we’re most of all invisible in fashion and advertising. To be given the opportunity to turn the page on that was something I couldn’t refuse. You’ve got to declare yourself, disabled and beautiful,«265 lautet Mat Frasers Erläuterung seiner Beweggründe für die Teilnahme an dem Projekt, die im Anhang der Fotostrecke zu finden ist. Mit dem Vorsatz, gegen die gesellschaftliche Ausblendung von Behinderten im Alltag und in der Mode anzugehen, fordert er den Betrachter dazu auf, ihn als Individuum mit Behinderung wahrzunehmen.266 Ein wesentliches Element der ›Access-able‹-Portraits ist das experimentelle Modedesign − sei es der von Philip Treacy entworfene Schmetterlingshut, der sich wie eine Maske über die Augen der sehbehinderten Sue Bramley legt, McQueens hölzerner Rock, dessen geschwungene Form zur stofflichen Verlängerung des ohne Unterkörper geborenen David Tooles wird oder Hussein Chalayans farbige Lichtformen, die den nackten armlosen Körper der Künstlerin Alison Lapper zur zeitgenössischen Büste illuminieren. Subjekt und Mode treten in gleichem Maße als bildwürdige Motive auf. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Modestrecke gänzlich zu den zuvor besprochenen Kampagnen von Toscani. Während das Produkt in den Benetton-Werbekampagnen meist abwesend ist, werden die Mode und Freude am Schönen in der Fotostrecke als Komponenten des Lebens wiedergege-

263 Vgl. Frankel, 1998: TT 014. 264 Rhodes, 2008: 208. 265 Mat Fraser in: Dazed & Confused, September 1998 (Nr. 46): 83. 266 Auf die Problematik des ausbleibenden Angebots von Mode (im Gegensatz zu funktionaler Bekleidung) für Konsumenten mit Behinderung hat in Großbritannien die Initiative Awear aufmerksam gemacht. Unter diesem Blickwinkel hat die Modestrecke ebenso wie McQueens Einsatz von Mullins als Model für seine Laufstegshow (London Fashion Week, 1998) großen Zuspruch gefunden. S. Barron, 1998: T 005.

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ben. Das Gefühl, das dem der Betrachter vermittelt wird, ist dementsprechend ein vollkommen anderes. Denn der zunächst befremdlich anmutende Bildinhalt enthält eine positive Aussage, die nicht im Widerspruch zur Darstellung von Mode steht. Toscanis Einsatz des Unerwarteten forciert hingegen gezielt den Schock, der letztendlich nicht in angenehme Gefühle transformiert wird. 1998 greift auch der Italiener Behinderung als Thema einer Werbekampagne auf und lichtet Jugendliche mit Down-Syndrom in den farbenfrohen Kleidungsstücken von Benetton ab. Die fröhlichen Farben sowie die Jugend und das freundliche Lächeln der Fotografierten verleihen den Bildern etwas Liebliches, das sie in ihrer Wirkung in den Bereich gängiger Spendenkampagnen rückt.267 Dieser entgegengesetzte Ansatz bestärkt die These, dass Toscanis primär auf den Schock ausgerichteten Kampagnen nicht mit der Darstellung von Mode vereinbar sind und dass die kommerziellen Anliegen – Aufmerksamkeit für die Marke schaffen und die Öffentlichkeit zum Kauf der Kleidung animieren – in der Regel auf zwei verschiedenen Ebenen verlaufen, deren Ziele in der Werbekampagne nicht unbedingt gleichförmig zum Ausdruck kommen. Knights Fotostrecke zielt hingegen nicht auf den Schock ab, sondern auf ein Wachrütteln, an das eine Auseinandersetzung mit Fragen zur Wahrnehmung von Schönheit anschließen kann.

5.3 M ÖGE

DER

K REIS

GESCHLOSSEN BLEIBEN

Ab Mitte der 70er Jahre tritt der sexuelle Aspekt, der dem Gegenstand Kleidung inhärent ist, in der Modefotografie stets deutlicher in den Vordergrund.268 In Newtons Frauenbild korrelieren immer wieder das Schmücken durch Kleidung und die artifizielle Konstruktion von Weiblichkeit. Neben dem Anreiz des Weiblichen ist die Zurschaustellung des Körpers ein wesentliches Element seiner Fotografien. Unterstrichen wird dies durch die Aneignung von Stilmitteln des Hardcore-Pornogenres. Wie aufgezeigt wurde, ist dabei jedoch immer zwischen Ästhetik und Wirkung zu unterscheiden. Denn das Sexuelle, das zu dem Versprechen von einem glamourösen Leben hinzugehört, bleibt bei Newton immer im Bereich des Anreizes verankert und zum Objekt des Begehrens wird letztlich die Mode. Diese Dynamik des Begeh-

267 S. Pagnucco Salvemini, 2002: 129. 268 Der Psychoanalytiker John Carl Flügel fasst in Psychologie der Kleidung (1930) die Beweggründe zum Tragen von Kleidung zusammen: »Nahezu alle, die über dieses Thema geschrieben haben, stimmen darin überein, daß die Kleidung drei Hauptzwecken dient − Schmuck, Scham und Schutz.« Er fährt fort: »Dieser grundlegende Gegensatz der beiden Motive Schmücken und Scham [...] hat zur Folge, daß unsere Haltung gegenüber der Kleidung von vornherein ›ambivalent‹ ist.« Flügel, 1986: 209.

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rens steht im Einklang mit dem Kreislauf der Mode. Dadurch, dass immer wieder das Unerreichbare vor Augen geführt wird, wird, um es mit Uwe Rosenfelds Ausführungen zum Mangel an Sein in hochkapitalistischen Gesellschaften zu beschreiben, »[...] ein Begehren strukturiert, das beständig darauf abzielt, sich zu vervollständigen und zu vereinheitlichen; ein Begehren, das abzielt auf das ›HabenWollen‹ um ›Sein‹ zu können.«269 Ebenso, wie dem Betrachter eine letztendliche Befriedung verwehrt wird, schiebt die wechselnde Kleidermode immer wieder einen anhaltenden Zustand der vollkommenen Erfüllung auf. Sich wandelnde Sichtweisen auf Qualitäten der Mode haben Newtons Illusion des Unerreichbaren in Frage gestellt. Die Ablösung von Klasse durch das Merkmal der Jugendlichkeit erfordert neue Bildlösungen zum Vorantreiben eines zeitgenössischen Begehrens. Ähnlich wie Newton baut Richardson auf eine Verlagerung des Privaten ins Öffentliche. Dabei lenkt er die Aufmerksamkeit jedoch immer wieder auf körperliche Geschlechtlichkeit in ihrer natürlichen Beschaffenheit (Schweiß, Haare, Samen, Milch etc.) und arbeitet gezielt gegen die Verlagerung in den Bereich der Fantasie an. Häufig bewegt sich dieses Wechselspiel von Provokation und Humor an der Grenze des guten Geschmacks und verdeutlich folglich das meinungsbildende Potential, das Darstellungen des Sexuellen innewohnt. Da ein jeder von Sexualität persönlich betroffen ist, sprechen die Bilder einen weiten Kreis an und spalten diesen zugleich. Der Exkurs in die Kunst hat gezeigt, dass im Zuge eines Aufgreifens sexuell expliziter Inhalte in der Regel Konventionen von Gesellschaft, Kultur und Kunst in Zweifel gezogen werden. Sexuelle Identitäten, die von der Norm abweichen und tendenziell von der breiten Öffentlichkeit negiert werden, haben in der Kunst und in der Mode Raum erhalten, um ihren Platz in der Gesellschaft einzufordern − sei es die Frau mit sexuellen Trieben, der homosexuelle Mann, der Transvestit oder die Mitglieder subkultureller Bewegungen wie der S/M-Szene. In der Mode haben vor allem alternative Magazine, wie Dazed & Confused oder Purple, eine Plattform für sowohl provokante Inhalte als auch unkonventionelle Lebensstile geboten. Das experimentelle Konzept sowie der Austausch mit der Kunstwelt haben eine aufgeschlossene Haltung zum Charakteristikum jener Publikationen gemacht. Für den Leser bedeutet dies die Verheißung auf ein Image des zeitgenössischen Kultiviertund Informiertseins. Trotz ihrer traditionsreichen Geschichte hat die Pornografie eine Zuschreibung der gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit und Einordnung in niedere Kulturränge erfahren. Das Interesse für das Pornografische vonseiten der Kunst und der Modefotografie bringt die Frage nach dem bildwürdigen Motiv zum Ausdruck. Es ist auffallend, dass sich die Tendenz zum sexuell aufgeladenen Modefoto wirklich wahr-

269 Rosenfeld, 1984: 113.

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nehmbar erst ab Mitte der 70er Jahre ihren Weg gebahnt hat und mit einer evidenten Grenzüberschreitung von Kunst und Kommerz zusammenfällt.270 Die zunehmenden Überschneidungen von Kunst und Mode erschweren eine deutliche Rekonstruktion von Kreisläufen der Aneignung. Oft gehen die Impulse zur Übernahme von pornografischen Bildlösungen von der Kunstwelt aus, in deren Sphären in der Regel auch ein größeres Maß an Provokation gestattet ist.271 Doch hinsichtlich der Überführung in den Mainstream ist die Mode die treibende Kraft. Das Verhältnis von Begehren und Tod ist in der Modefotografie fest verankert. Da die Mode, ähnlich wie die Fotografie, den Drang des Sich-Aneignens anspricht und die vollkommene Stillung jener Bedürfnisse zugleich als Unmöglichkeit aufzeigt, bewegt sich die Rezeption von Fotografien der Mode oft zwischen Faszination und Frustration. Wie kein anderer zuvor hat Bourdin dabei das Spannungsverhältnis von Sex und Tod zum Bild gemacht. Die sich deutlich abzeichnende Integration des Übels ist jedoch nicht, wie oft formuliert wird, mit einem Einbruch von Realität gleichzusetzen, sondern ermöglicht dem Betrachter, dank der Einbettung in die Fiktion und einer Ästhetisierung des Schreckens, eine gefahrenlose Konfrontation mit geteilten Ängsten. Kaorus inszenierte Wunschtode verbildlichen den komplexen Dualismus von Lebens- und Todestrieb. So schreibt Freud in seiner Schrift Jenseits des Lustprinzips zu den sich gegenüberstehenden Trieben folgendes: »Die eine Triebgruppe [Todestriebe; Anm. der Autorin] stürmt nach vorwärts, um das Endziel des Lebens möglichst bald zu erreichen, die andere [Lebenstriebe, die sich aus Sexualund Selbsterhaltungstrieb zusammensetzen; Anm. der Autorin] schnellt an einer gewissen Stelle dieses Weges zurück, um ihn von einem bestimmten Punkt an nochmals zu machen und so die Dauer des Weges zu verlängern.«272

Kaorus schönen Toden liegt die Widersprüchlichkeit beider Prinzipien zugrunde. Zwischen der Erfahrung, den eigenen bildlichen Tod zu überleben, und der Gewissheit, dass der reale Tod noch aussteht, fügt sich die Mode als stets wiederholendes Element in die Fotografie ein. Die Faszination für die Sterblichkeit des Subjekts findet ihren Ausdruck im traditionsreichen Motiv der schönen Toten. Es mag zunächst verwundern, dass sich gerade die Mode der Todesthematik angenommen

270 Kramer erkennt ebenfalls, dass die Aufnahme von neuen Bildthemen mit der Grenzverwischung von Kunst und Kommerz einhergeht. Vgl. Kramer, 1975: SE28. 271 Das Beispiel des Skandals um Mapplethorpes Ausstellung hat gezeigt, dass die Kunst nicht frei von öffentlicher Beurteilung ist. Aber Forderungen nach kontrollierenden Maßnahmen werden in der Regel verstärkt außerhalb der Kunstwelt laut. 272 Freud, 2013: 49.

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hat, wird ihr doch im Allgemeinen eine verdrängende und tröstende Funktion zugeschrieben,273 aber das bildliche Festhalten der Mode mittels der Fotografie ist im Grunde schon eine Verflechtung der Todesmetapher, die beide gemeinsam haben. Ästhetik und Illusion haben einen versöhnlichen Effekt und schaffen die Voraussetzung für die Darstellung des kollektiv geteilten Todesschicksals. Die Furcht vor der Krankheit AIDS hat Sex und Tod als wesentliche Bestandteile des Zusammenlebens ins Bewusstsein gerufen. AIDS hat die öffentliche Ausblendung von Themen um Sexualität und Aufklärung erheblich zu Fall gebracht und entlarvt die Vorstellung von Sex ohne Konsequenzen, wie sie Newtons und Richardsons Fotografien vermitteln, als nicht unbedingt zeitgemäß. Teilweise übernimmt die Modeindustrie eine aufklärerische Verantwortung, zum Beispiel, wenn Toscani geschützten Geschlechtsverkehr bewirbt oder i-D verschiedene Menschen zur Thematik befragt und auf diese Weise das AIDS-Risiko als Element des Alltags wiedergibt. Andererseits erscheint der Trend des heroin chics vor dem Hintergrund der Ansteckungshysterie umso paradoxer. Auf ambivalente Weise werden Ängste angesprochen, idealisiert und eine zwischen Lebensüberdruss und Leichtlebigkeit schwankende Stimmung erschaffen. Parallelen zwischen der Zeit des Fin de Siècle und dem ausgehenden 20. Jahrhundert klingen an. »Fin de siècle art of the late nineteenth century expressed the extremes of decadence [...]. It was pessimistic and yet glorified its negativity; it was cynical and ironic,«274 lautet Ash und Wilsons Beschreibung der Kunst um die Zeit der vorherigen Jahrhundertwende, die sich auch auf die Modefotografie der 1990er Jahre übertragen ließe. Der Zynismus gegenüber der eigenen Zeit und Gesellschaft kommt besonders durch die Methode der Überschneidung von Realität und Werbung zum Ausdruck. Auf diesem Weg hat Toscani zugleich mit der sicheren Einbettung in den Bereich der Fiktion gebrochen und den Schrecken sowie das Unerwünschte aus der Verbannung in den Bereich des Privaten herausgelöst. Seine Bilder zielen auf eine unmittelbare Reaktion des Publikums und die kontroverse Rezeption der Kampagnen ab, wodurch das Unternehmen in die öffentliche Wahrnehmung gelangt ist. Toscani regt den Betrachter dazu an, seine Meinung kund zu tun − eine Aktivität, deren Stellenwert in der Gesellschaft stetig ansteigt, wie die Nutzung von sozialen Medien heutzutage eindringlich demonstriert. Ähnlich wie Winthers Autounfall ausdrücken will, dass es besser ist, gelebt zu haben als in der Position des Voyeurs zu verharren, gilt es in der Mode als vorteilhafter, einen bestimmten Ruf zu haben als in Vergessenheit zu geraten. Gewiss haben besonders Inhalte, die Erfahrungen und

273 Vgl. bspw. Riehl-Heyse, 1996: o.S. (Onlinearchiv). »Die Modebranche ist die institutionalisierte Verdrängung [...]. Trost ist eine ganz wichtige Funktion [...], vermutlich wird sie immer wichtiger.« 274 Ash/Wilson, 1992: xvi.

Z WISCHEN B EGEHREN UND A NGST : M ODE , S EX UND T OD | 287

Ängste um Leben und Tod in den Fokus rücken, das Potential, Aufsehen zu erregen oder zu bewegen. Sex und Tod gehören zu den wesentlichen Bestandteilen des Daseins und sind in Form von Belebung und Endlichkeit bezeichnende Merkmale des Modezyklus. Indem Sex und Tod als Motive immer präsenter werden und näher zusammenrücken, tritt das triebhafte und zyklische der Mode stets deutlicher in den Vordergrund und die Verwehrung einer endgültigen Befriedigung wird zu einem zentralen Anreiz.

VI. Mode als Fotografie

La Photographie de la mode n’existe pas.1 JEANLOUP SIEFF, 1967

Bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stellt Benjamin die Frage: »Stirbt die Mode vielleicht daran, daß sie das Tempo nicht mehr mitmachen kann − auf gewissen Gebieten zumindest? Während es andererseits Gebiete gibt, auf denen sie dem Tempo folgen, ja es vorschreiben kann?«2 Je weiter sich die Modefotografie von der ihr zugeschriebenen Primärfunktion − der Wiedergabe des modischen Produkts − löst, umso offensichtlicher wird der Fokus auf die bildliche Repräsentation der Mode und die Ästhetik der Fotografie gelegt. Der Artdirector der britischen Vogue vermerkt 1965 folgende Randnotiz neben einer Aufnahme Newtons: »Terrible dress − good photo − what to do?«3 Seine Frage, die an die Chefredakteurin Beatrix Miller gerichtet ist, verdeutlicht den funktionalen Spannungszustand des Modefotos: auf der einen Seite die Anforderungen der Mode als Priorität anzuerkennen und auf der anderen Seite die Möglichkeiten des fotografischen Mediums auszuschöpfen. Die Entscheidung für die ganzseitige Veröffentlichung im Hochglanzmagazin zeigt auf,4 welche Rolle die Printmedien hinsichtlich der Schwerpunktsetzung beider Intentionen einnehmen und wie sie zur Wahrnehmung der Modefotografie als kreatives Einsatzgebiet der Fotografie beitragen. »Die Modefotografie ist unerwarteter geworden, modischer als die Mode selbst«,5 folgert Lipovetsky angesichts der Tendenz zum sensationellen Bild in der zeitgenössischen Modefotografie. In der Tat ist das fotografische Bild stets augen-

1

Titel eines Vortrags, den Sieff 1967 im Rahmen des Europhot Symposiums in Garmisch gehalten hat. S. Harrison, 1991: 112.

2

Benjamin, 1982 [c]: 1028-1029.

3

Zit. nach: Harrison, 1991: 22.

4

Vgl. Harrison, 1991: 22.

5

Lipovetsky, 2002: T11.

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scheinlicher zum Repräsentanten der Mode und ihrer Originalität und Dynamik geworden. Die Fotografie ermöglicht, Interesse für eine Mode zu wecken, die selbst nichts Neues mehr zu versprechen vermag und dadurch den Anreiz des Modischen eingebüßt hat, oder sie erfüllt eine ergänzende Funktion und transformiert ein spezifisches Lebensgefühl oder das experimentelle Image eines Designers zum Bild. Beide Ansätze verdeutlichen, dass das Verständnis von Mode immer evidenter durch die Fotografie vermittelt wird. Dementsprechend hat Sontag 1978 mit der Feststellung »more and more, fashion is photography«6 die Beschaffenheit der Modefotografie zusammengefasst und eine fortschreitende Entwicklung der Mode als Fotografie angedeutet. Diesbezüglich zeichnet sich auch die Ambivalenz des Modefotos ab: Einerseits repräsentiert es die Mode und treibt andererseits die Einbettung in den Rahmen der Kunst voran, durch den sowohl mit der Kontext- als auch mit der Zeitgebundenheit des Modefotos gebrochen wird. Der Eindruck des innovativen oder gar provokativen Fotos liegt jedoch im Kontext der Mode begründet, der sich auf die Lesart und Rezeption auswirkt. Der Schlüsselbegriff Lifestyle hat das zeitgenössische Verständnis von Mode geprägt und damit verknüpft sind modische Pluralität und Diversität als Kennzeichen des urbanen Lebensraums hervorgetreten. Analog zu diesen Entwicklungen sind auch im Bereich der Modefotografie die Inhalte, Gestaltungsweisen und Vermittlungswege vielfältiger geworden. Die Ansprache des Betrachters und potentiellen Konsumenten richtet sich nicht mehr unbedingt an eine Allgemeinheit, sondern gezielt an ausgewählte Kreise. Modefotos distanzieren sich von einer allgemeinen Lesbarkeit der zu vermittelnden Botschaften und forcieren dadurch eine Positionierung innerhalb der modischen Palette. Folglich ergeben sich komplexe und mehrdeutige Auslegungen, die sich nicht jedem auf die gleiche Weise erschließen und abhängig von den angewandten Wissensarten sind.7 Statt auf Homogenität ausgelegt, erscheint Modefotografie als zersplitterter Zweig der Fotografie, der »nicht mehr auf einem allgemeinen Konsens«8 beruht. Am Beispiel von Meisels Zitierweisen und Luchfords intermedialer Aneignung filmischer Konventionen wurde aufgezeigt, wie eine Ansprache auf zugleich ästhetischer und vielschichtiger Ebene besonders für Aufträge von konventionellen Modemagazinen und etablierten Modehäusern angewendet werden kann. Beide Fotografen bauen in ihren Arbeiten Hinweise ein, deren Erkennungspotential auf einem kollektiven visuellen Gedächtnis basiert. Dadurch können mitunter auch weniger augenscheinliche Inhalte vermittelt oder kritische Fragestellungen aufgeworfen werden. Doch selbst wenn die Referenzen vom Betrachter nicht als solche definiert

6

Sontag, 1978: 508.

7

Vgl. Barthes, 2013 [a]: 28-29.

8

Lipovetsky, 2002: T8.

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werden, hat die Ästhetik der Bilder einen anziehenden Effekt. Mit Barthes lässt sich im Hinblick auf diese Strategie resümieren, dass es wirkt, als ob sich das Werbebild »[...] mehreren Menschen zur Lektüre anböte, und diese Menschen können durchaus in einem einzigen Individuum koexistieren.«9 Das Beziehen eines offenkundig kritischen Standpunkts ermöglicht als fotografische Verfahrensweise hingegen die gezielte Ansprache eines Rezipientenkreises, der sich mit eben diesen meinungsbildenden Ansätzen identifiziert. Die ambivalente Haltung von Auftragsfotografen zur Mode ist in der Geschichte der Modefotografie kein Novum, aber die Trennung von kommerziellen und künstlerischen Arbeiten ist lange Zeit eine signifikante Verfahrensweise gewesen. William Klein zum Beispiel, der lange Zeit vorwiegend als Modefotograf tätig gewesen ist, zeichnet in seinem ersten Spielfilm Qui Etes-Vous Polly Magoo? (1966) mit satirischen Mitteln ein absurdes Bild der Modewelt. Der Film hat mit seinem kritischen Ansatz gleichzeitig Kleins Aussteig aus der Modebranche markiert.10 Mittlerweile sind nicht nur die Grenzen von künstlerischen und kommerziellen Tätigkeitsbereichen durchlässiger geworden, sondern Selbstreflexivität und Rebellion gegen die Mode kommen immer häufiger für die Mode zum Einsatz. Die Thematiken Körperlichkeit, Sex und Tod bergen besonderes Potential zum Anknüpfen an individuelle und gesellschaftliche Erfahrungen und evozieren sowie treiben Ängste und Verlangen voran. Hinsichtlich ihrer Rezeption bauen Modefotos immer ausgeprägter auf Strategien der Differenzierung und Verbundenheit und wecken Bedürfnisse nach Einzigartigkeit und Zusammengehörigkeit. Geteilte Erfahrungen und Befürchtungen werden angesprochen und im Alltag präsent gemacht. Die Deutung der Intentionen der Mode ist dabei von der Sichtweise des Rezipienten abhängig und unterteilt den Betrachterkreis in die, die vor allem die kommerzielle Absicht hinter dem Schockgehalt wahrnehmen, sowie jene, die primär den Anreiz des Gewagten und der Unangepasstheit erkennen. Im Zuge dessen erschafft die Mode neue gesellschaftliche Werte, die vorgeben, welche Eigenschaften und Attitüden als zeitgemäß und somit erstrebenswert erachtet werden. Die Fotografie konstruiert mittels diverser ästhetischer Methoden Entwürfe des Körpers und eines modischen Ideals. Als Motiv ist der Körper verbindendes Element der Aspekte Körperlichkeit, Sex und Tod, die essentielle Erfahrungsbereiche des menschlichen Daseins darstellen und zudem den Fokus auf relevante Wesenszüge lenken, die sowohl der Mode als auch dem Medium Fotografie zugesprochen werden. Indem die Modefotografie gezielt die Möglichkeit einer Bloßlegung ihrer Wahrnehmungsprozesse einräumt, wird die Darbietung gesellschaftlicher Bedürfnisse und Ängste auf paradoxe Weise zugleich als instrumentalisierter Vorgang

9

Barthes, 2013 [a]: 41.

10 S. Harrison, 1991: 104.

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evident und als Ausdruck eines gewissen Zeitgeistes idealisiert. Dementsprechend ist das Vermögen, unterschwellige und oft ambivalente Grundstimmungen wie Leichtlebigkeit, Zynismus, Schwermut, Ohnmacht und den Drang zur Neuerung mittels der Fotografie wiederzugeben, bezeichnend für die Modefotografie am Ende des 20. Jahrhunderts. Modefotografie damals und heute Lange Zeit war die Beziehung von Kleidermode und Fotografie durch deutlich erkennbare Rollenzuweisungen gezeichnet und das Medium Fotografie wurde primär zur Dokumentation und bildlichen Verbreitung der Mode eingesetzt. Dennoch gelang es einigen hervorstechenden Fotografen innerhalb dieser Begrenzungen durch einen fest zugeschriebenen Funktionsaspekt, individuelle Bildlösungen zu entwickeln und nachhaltig auf die Modefotografie, insbesondere auf ihre Praxis, Rezeption und Geschichtsschreibung, einzuwirken. Die behandelten Beispiele aus der jüngeren Geschichte der Modefotografie erfüllen, im Hinblick auf ihre Gestaltungsweisen und Bildinhalte, nicht unbedingt den Anspruch des Neuen (im Sinne des zuvor noch nie Dagewesenen). Sowohl die Anwendung von künstlerischen Gestaltungsweisen, die ästhetische Grenzauflösung zu anderen Medien und Genres, die Referenz als Strategie als auch der Bruch mit den Konventionen sind gängige Methoden in der Modefotografie: Die in den 20er und 30er Jahren aufkommende Faszination für den Surrealismus hat zum Beispiel das Traumhafte und Imaginative als wiederkehrende Elemente in der Modefotografie etabliert. In den 30ern hat Munkácsi dem fotografischen Zweig durch seine Reportage- und Schnappschussästhetik neue Impulse verliehen und ihn dauerhaft beeinflusst. Die ab Mitte der 40er Jahre angefertigten Modeaufnahmen von Diane und Allan Arbus’ bewegen sich hingegen an der traditionellen Schnittstelle von Modefotografie und Modeportrait.11 Bob Richardson greift 1967 in der Modestrecke ›Beached: A Seaside Scenario‹ (Vogue (FR), April-Ausgabe) den Strand als Schauplatz für Szenen des Scheiterns zwischenmenschlicher Beziehungen auf, um eine ähnlich melancholische Stimmung wie in Antonionis Film L’Avventura (1960) zu erzeugen, und macht mit den einleitenden Worten »[...] with apologies to Signore Antonioni«12 das Medium Film als Inspirationsquelle kenntlich. Immer wieder richtet sich der Blick der Modefotografie auf die Kunst, das bewegte Bild, die fotografische Tradition sowie die eigene Geschichte und liefert Anregungen zur Entwicklung von Bildlösungen, durch die Mode vermittelt werden kann. Dabei können Modefotografien vorausblickend und visionär anmuten, sie können aber auch gezielt die Sehnsucht nach dem Bewährten oder Vertrauten ansprechen.

11 Vgl. Harrison, 1991: 174-180. 12 Zit. nach: Harrison, 1991: 188.

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Das verbindende Element dieser Beispiele aus der früheren sowie jüngeren Geschichte der Modefotografie ist das Potential, die durch den Originalkontext vorherbestimmte Vergänglichkeit zu überdauern. Sie lassen Ansätze erkennen, die mehr als die Darstellung der aktuellen Kleidermode beabsichtigen. Entscheidendes Kriterium für ein Hervorstechen aus der Bilderflut stets neu produzierter und verbreiteter Modefotografien ist nicht das abgebildete Kleidungsstück, sondern die Wahrnehmung einer kennzeichnenden fotografischen Position als Ausdruck der individuellen Herangehensweise an die Schöpfung des Modefotos oder einer Suche nach kreativen Lösungen, um Mode mittels der Fotografie wiederzugeben. Ab den 90er Jahren wird die Modefotografie im Rahmen der Kunst und als Gegenstand des Fotografiediskurses stets präsenter. Dies ist mitunter Resultat der Bemühungen vonseiten der Fotografen und Magazine, die Grenzen der Modefotografie zu den Sphären der Kunst, anderen Formen der Fotografie und der umfangreichen Bilderwelt porös erscheinen zu lassen. Martin Paar veröffentlicht beispielsweise 2005 das erste Mal sein Fashion Magazine by Martin Parr, für das er auch alle Modeaufnahmen und Anzeigenbilder produziert. In den folgenden Ausgaben bietet er jeweils einem Fotografen − der in der Regel ebenfalls nicht aus dem Bereich der Mode oder Werbung stammt − die Möglichkeit, speziell für das Magazin Fotografien zu konzipieren. Als Mitglied der angesehenen Agentur Magnum, die traditionell den Grundsätzen des Fotojournalismus verhaftet ist, destabilisiert Parr durch seine Veröffentlichung die Grenzen zwischen kommerziell und humanistisch orientierter Fotografie. Ähnlich wie zuvor schon Sherman und andere Kunstfotografen reizt Parr die Negation der Konventionen der Mode: »I love playing the game of fashion photography without knowing what the rules are.«13 Besonders in den 70er Jahren hat sich bereits von innen heraus eine Entwicklung zum Bruch mit den Regeln der Modefotografie abgezeichnet. Als erneute Phase des Auslotens und Überschreitens von Grenzen haben sich die 90er Jahre hervorgetan. Mittlerweile sind ästhetische sowie kontextuelle Entgrenzungen ebenso wie die Strategie der öffentlichen Provokation jedoch weitestgehend zu gängigen Methoden und kalkulierbaren Risiken geworden. Cotton hat für die Herbst-Ausgabe 2014 der Zeitschrift Aperture, die vollständig dem Zweig der Modefotografie gewidmet ist, ein Essay zum aktuellen Zustand der fotografischen Praxis verfasst. Ihre Bewertung fällt zwiespältig aus: Die Geschichte der Modefotografie überblickend, spricht auch Cotton dem Jahrzehnt der 90er eine relevante Stellung zu, da es eine Welle an hervorstechenden Fotografen hervorgebracht hat, die als Gegenströmung zur konventionellen Modefotografie wahrgenommen worden sind. Im neuen Jahrtausend zeichnet sich hingegen eine Tendenz zur risikofreien Veröffentlichung ab. Hauptgrund hierfür liegt in der fort-

13 Martin Parr zit. in: Dainsbridge, 2008: 26.

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schreitend unpräziseren Differenzierbarkeit von Modestrecken und Werbekampagnen. Diese Entwicklung hin zur Mischform des advertorials bedeutet, dass die Kreativabteilungen der Magazine immer weniger Einfluss auf die Konzipierung der Modestrecke nehmen können und der Kunde maßgeblich auf das Endresultat einwirkt. Zu Gunsten der Abwägung von Wagnissen setzen viele der Kunden auf inzwischen etablierte Fotografen, die sich durch ihre radikalen Ansätze in den 90er Jahren einen Namen gemacht haben. Indessen, so stellt Cotton fest, bietet das Internet als Plattform neuen Raum zur Umsetzung kreativer Ideen und die Nische des alternativen Mode- und Lifestyle-Magazins wächst stetig weiter.14 Sowohl i-D als auch Dazed & Confused haben sich erfolgreich auf dem Markt halten können − wobei dies ohne gewisse Anpassungen an die Wünsche der Kunden wahrscheinlich nicht über so einen langen Zeitraum möglich gewesen wäre. Im Gegenzug profitieren Werbekunden vom innovativen Image, das sich beide Magazine durch die Förderung von noch unbekannten Fotografen und jungen Talenten aus den Bereichen Mode, Kunst und Populärkultur im letzten Jahrhundert zugelegt haben. Während beide Magazine im monatlichen Rhythmus aufgelegt werden, erscheinen viele der neueren Veröffentlichungen nur zweimal jährlich und beanspruchen hierdurch eine Form von Seltenheitswert. Ergänzt werden die etablierten Publikationen ebenso wie die neueren Beispiele − unter anderem AnOther Magazine (seit 2001), das zur Verlagsgruppe Dazed Group gehört, Purple Fashion (seit 2004) oder LOVE (seit 2009), dessen Gründerin, die Stylistin Katie Grand, eng mit der Geschichte von sowohl The Face als auch Dazed & Confused verbunden ist − durch eine Präsenz im Internet. Die ergänzenden Wirkungsweisen der zwei Ebenen des Print- und Onlinemediums bringen unterschiedliche Eigenschaften der Modevermittlung zum Ausdruck: Während das Magazin durch seine Materialität und Seltenheit eine Wertigkeit vermittelt, werden die regelmäßigen Beiträge im Internet mit Aktualität assoziiert. Zugleich wird durch die neuen medialen Vermittlungsplattformen und deren Dynamik eine Flüchtigkeit impliziert, die zu einer veränderten Wahrnehmung von Informationen führt. Der Verstreuungseffekt mag mitunter ein Grund dafür sein, dass die aktuelle Modefotografie weniger als Strömung erfasst wird. Dahingegen wird die Modefotografie der 90er Jahre trotz ihrer Heterogenität als fotografische Periode wahrgenommen, in der individuelle fotografische Standpunkte zusammenkamen und durch das geteilte Interesse am Überschreiten von Grenzen und die Infragestellung von Konventionen den Eindruck einer Verbundenheit erzeugt wurde. Faktoren wie die Rezession in Großbritannien, die gesellschaftlichen Unsicherheiten im Hinblick auf die bevorstehende Jahrtausendwende, ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Geschichte von Kleidung als Element subkultureller Bewegungen sowie die

14 Cotton, 2014: 46-51.

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Auslegung der Drogenkultur als Phänomen der Populärkultur schufen im ausgehenden 20. Jahrhundert ein Klima, in dem Eigeninitiative, Risikofreude sowie die Förderung von jungen Talenten und der Ausbau eines kooperativen Netzwerkes von Kreativen bezeichnende Tendenzen der Modefotografie waren. Obwohl die gegenwärtige Modefotografie ebenfalls eine Vielfalt fotografischer Positionen vorweist – genannt seien hier nur derart stilistisch unterschiedliche Fotografen wie Tim Walker, Viviane Sassen, Collier Schorr oder Anne de Vries − scheint vergleichsweise wenig gemeinsamer Boden vorhanden zu sein, durch den die kreative Diversität als Ausdruck eines radikalen Umbruchs ausgewiesen wird. Die zunehmende Vernetzung von medialen Vermittlungswegen schafft zum einen Plattformen für kreative Erzeugnisse, die aufgrund ihrer experimentellen Ansätze oder medialen Beschaffenheit im Druck keinen Raum zur Präsentation finden würden. Des Weiteren bekunden Online-Seiten durch das Einfügen von Fotografien der aktuellen Modeschauen, neuesten Designerkollektionen, internationalen Ausstellungseröffnungen oder Party- und Kultur-Events eine Nähe am Zeitgeschehen, die den Eindruck eines allgegenwärtigen Up-to-date-seins erweckt und folglich mit Dynamik und Jugendlichkeit assoziiert wird. Zugleich knüpft dieses Konzept an die Tradition des Mode- und Gesellschaftsmagazins an und es wird eine elitäre Position bezogen, da der Besucher der Seite über Geschehnisse informiert wird, zu denen er im realen Leben meist keinen Zugang erhält.15 Beide Verfahren affirmieren die Stellung des zu repräsentierenden Printmediums als Vermittler eines modischen Lifestyles. Insofern ist die von Knight prognostizierte Ablösung des Printmediums durch das neuere Medium nicht eingetreten und stattdessen eine Phase der komplementierenden Beziehung zu beobachten.16 Angesichts der zunehmenden Verbreitung von Fotografien der aktuellen Mode und Kleidungsstile über das Internet, ist die Vorgehensweise der Magazine, ihre Stellung durch ausgewählte Arbeiten angesehener Fotografen zu legitimieren, naheliegend.17 Durch den Einsatz bereits etablierter Fotografen verleihen Magazine der Differenzierung von Profi- und Amateurfotografie Nachdruck und nutzen die Be-

15 Die Online-Auftritte von Dazed & Confused und Purple Fashion veranschaulichen bspw. die Vermengung beider Konzepte. Die vom Verlagshaus Condé Nast betriebene Seite style.com ist hingegen deutlich auf die konventionelle Berichterstattung ausgelegt. Vgl. http://www.dazeddigital.com, http://purple.fr/diary/ und http://www. style.com. 16 Nick Knight in: i-D Covers, 2010: 40. 17 Neben der Möglichkeit, eigenständig einen Blog ins Leben zu rufen, eröffnet das Internet dem modeinteressierten Publikum auf Portalen wie lookbook.nu die Option, die eigenen Fotografien hochzuladen und das persönliche Outfit durch die Onlinegemeinschaft kommentieren zu lassen.

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kanntheit zur eigenen Image-Formung. 18 Unter den Chefredakteurinnen Franca Sozzani (seit 1988) und Carine Roitfeld (2001 bis 2011) haben die Ausgaben der italienischen und der französischen Vogue ihre Reputation als richtungsweisende Modemagazine wieder festigen können. Maßgeblich dazu beigetragen haben Meisels regelmäßige Beiträge für die italienische Publikation, in denen er bisweilen auch gesellschaftlich kontroverse Gesprächsthemen aufgreift, sowie Roitfelds Präferenz für sexuell aufgeladene Modestrecken, die sie unter anderem bei Fotografen wie Richardson in Auftrag gegeben hat. Der Einsatz dieser namenhaften Fotografen zielt auf die Erweckung öffentlicher Aufmerksamkeit ab und eine mögliche Provokation ist in erster Linie ein kalkulierter Effekt. Der Begriff des Wagnisses bezieht sich in der Modefotografie heutzutage weniger auf inhaltliche Entscheidungen, als dass er sich auf innovative Ansätze im Bereich der Bildgestaltung bezieht. Die Alternativen, Fotografien zu gestalten und erschaffen, sind vielfältiger geworden und somit hat sich auch das kreative Vermögen der Modefotografie vergrößert. Da die Rezeptionsprozesse von Modefotos erheblich durch das gesellschaftliche Klima geprägt sind, in dem sie produziert sowie verbreitet werden und auf dessen Wahrnehmung sie gezielt einwirken, muss zwischen ästhetischen Gestaltungsweisen und Strategien der Vermittlung von Bedeutung und Wahrnehmung unterschieden werden. Die Modefotografie hat zu Ende des 20. Jahrhunderts vermehrt Werke hervorgebracht, in denen beide Ebenen ineinander übergreifen und Deutungs- sowie Wahrnehmungsprozesse dynamisiert werden. Durch das Einbeziehen von unterschiedlichen visuellen Verfahren und Konventionen sowie das Ausloten und Überschreiten von Grenzbereichen (unter anderem der Realität und Fiktion oder des Privaten und Öffentlichen) ist der Weg für eine Variationsbreite an zur Verfügung stehenden Bildstrategien geebnet worden, die mittlerweile zum Repertoire der Modefotografie gehören und dem Betrachter dadurch nicht mehr in gleicher Weise mit Bedeutung aufgeladen erscheinen.

18 Mit der Strategie, namenhafte Blogger für Aufträge zu engagieren, wird ein ähnliches Ziel verfolgt. Denn diese sind längst professionell in der Modebranche tätig, aber sprechen darüber hinaus ein breites Publikum an, das sich auf modeorientierten Plattformen im Internet bewegt.

Literatur

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Abbildungsverzeichnis

Die Abbildungen sind Wiedergaben von Reproduktionen aus den im Abbildungsverzeichnis genannten Publikationen. Insofern keine zusätzliche Quelle angegeben wird, bezieht sich der Nachweis auf das genannte Magazin, in dem die Fotografie veröffentlicht wurde. Für die Magazine gilt: Dazed & Confused/Dazed/Waddell Ltd, Dutch/Art View Publishing, i-D/Vice Media, Purple/Purple Institute, The Face/Wagadon Ltd., Vogue/Condé Nast Publications Inc. sowie Visionaire/Visionaire Publishing. Entgegen der Wiedergabe im vorliegenden Buch sind folgende Abbildungen im Original Farbaufnahmen: 3, 8-9, 11-15, 18 sowie 20-24. Die Rechte liegen bei den Fotografen und Fotografinnen, den Verlagen und sonstigen Rechteinhabern. Die Rechteinhaber sind nach bestem Wissen und Gewissen ermittelt worden. Abbildung 1: Mikael Jansson: ›Homosapiens Modernus‹, in: Dutch, 1998 (Nr. 18): 120-121. Abbildung 2: Terry Richardson: ›Private View‹, in: i-D, Januar 1996: 44-45. Abbildung 3: Elaine Constantine: ›Sarf Coastin’‹, in: The Face, Dezember 1997: 86-87. Abbildung 4: Steven Meisel: ›The Good Life‹, in: Vogue (IT), Oktober 1997. Quelle: Kismaric, Susan/Respini, Eva: Fashioning Fiction in Photography since 1900, Kat.Ausst. The Museum of Modern Art, New York 2004, New York 2004: 107. Abbildung 5: Jean-Baptiste Mondino: ›Head Hunters. Back to the Future No Future‹, in: The Face, August 1993: 83. Abbildung 6: Paolo Roversi: Guinevere van Seenus für Yohji Yamamoto, 1997. Quelle: Kat.Ausst. Archeology of Elegance. 1980-2000. 20 Years of Fashion Photography, Stéphane Baumet/Marion de Beaupré/Ulf Poschard (Hgg.), Deichtorhallen Hamburg o.D., London 2002: Abbildung 79. Abbildung 7: Guy Bourdin für Charles Jourdan, Frühling 1975. Quelle: Gingeras, Alison M.: Guy Bourdin, London/New York 2006: o.S.

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Abbildung 8: Nick Knight: Devon Aoki in Alexander McQueen, in: Visionaire, 1997 (Nr. 20). Quelle: Knight, Nick: Nick Knight. Photographien 1994-2009, München 2009: Abbildung 74. Abbildung 9: David LaChapelle: Model in John Galliano (Milk Maidens Series), in: Stern, 1996. Quelle: http://davidlachapelle.com/series/milk-maidens/ (9. November 2016). Abbildung 10: Steve Johnston: ›WiLD! Straight Up‹, in: i-D, August 1980: 3. Abbildung 11: Jason Evans (Travis): ›Strictly‹, in: i-D, Juli 1991: 34-35. Abbildung 12: Jürgen Teller: ›This Girl’s Life‹, in: The Face, Mai 1996: 71. Abbildung 13: Corinne Day: ›Under Exposure‹, in: Vogue (UK), Juni 1993: 146147. Abbildung 14: Andrea Giacobbe: ›Simplex Concordia‹, in: The Face, Juli 1996: 9697. Abbildung 15: Andrea Giacobbe: Manhattan 1996, in: Cube, 1998. Quelle: Kat.Ausst. Archeology of Elegance. 1980-2000. 20 Years of Fashion Photography, Stéphane Baumet/Marion de Beaupré/Ulf Poschard (Hgg.), Deichtorhallen Hamburg o.D., London 2002: Abbildung 145. Abbildung 16: Nick Knight: Debra Shaw für Alexander McQueen, 1997. Quelle: Knight, Nick: Nick Knight. Photographien 1994-2009, München 2009: Abbildung 65. Abbildung 17: Nick Knight: Shirley Mallman für Alexander McQueen, in: The Face, April 1998: 82-84 (dreiseitig aufklappbar). Abbildung 18: Phil Poynter: ›Rian & Cori‹, in: Dazed & Confused, 1995 (Nr. 11): 96. Abbildung 19: Wolfgang Tillmans: Cover (Lutz und Alex) für Purple Prose, Herbst/Winter 1994 (Nr. 5). Quelle: http://purple.fr/archives/purple-prose-5 (2. Februar 2014). Abbildung 20: Luis Sanchis: ›The Lake. Too much of water hast thou, poor Ophelia‹, in: The Face, April 1997: 150-151. Abbildung 21: Mario Sorrenti: ›Swoon. Drunk, disorderly...dead? Or perhaps all three‹, in: The Face, April 1999: 104-105. Abbildung 22: Pierre Winther: Succesful Living-Kampagne für Diesel (Nr. 31), 1994. Quelle: Evans, Caroline: Fashion at the Edge. Modernity and Deathliness, London/New Haven 22003: 198. Abbildung 23 und 24: Nick Knight: ›Access-able‹ (Aimee Mullins), in: Dazed & Confused, September 1998: Cover und 70.

Dank

Beim Schreiben einer Dissertation ist man immer auf sich selbst gestellt − dennoch haben viele Menschen auf unterschiedliche Art und Weise an ihrem Entstehungsprozess teilgenommen. Mein Dank gilt an erster Stelle Prof. Dr. Hubert Locher, der mich im Laufe der Betreuung dieser Arbeit mit hilfreicher Kritik unterstützt hat, mir zahlreiche Denkanstöße sowie wertvolle Anregungen gegeben hat und dabei stets ein offenes Ohr hatte. Für die Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Prof. Dr. Jens Ruchatz. Darüberhinaus danke ich allen, die mich durch diesen Lebensabschnitt begleitet haben. Zu besonderem Dank bin ich meinem Mann Oliver verpflichtet, der mir in der ganzen Zeit mit Geduld zur Seite gestanden hat und dessen Ermunterungen zum Durchhalten mir durch so manchen schweren Tag am Schreibtisch geholfen haben. Ferner danke ich auch meinen Schwiegereltern, Elizabeth und Christian, für die moralische Unterstützung und meinen Freunden für die Zeiten der Zerstreuung.

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Thomas Hecken, Moritz Baßler, Robin Curtis, Heinz Drügh, Nadja Geer, Mascha Jacobs, Nicolas Pethes, Katja Sabisch (Hg.) POP Kultur & Kritik (Jg. 5, 2/2016) September 2016, 176 S., kart., zahlr. Abb., 16,80 € (DE), ISBN 978-3-8376-3566-9 E-Book: 16,80 € (DE), ISBN 978-3-8394-3566-3

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