Mittäter, Nebentäter, Beteiligte und die Verteilung des Schadens bei Mitverschulden des Geschädigten [1 ed.] 9783428429011, 9783428029013

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Mittäter, Nebentäter, Beteiligte und die Verteilung des Schadens bei Mitverschulden des Geschädigten [1 ed.]
 9783428429011, 9783428029013

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GÜNTER BRAMBRING

Mittäter, Nebentäter, Beteiligte und die Verteilung des Schadens bei Mitverschulden des Geschädigten

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 10

Mittäter., Nehentäter, Beteiligte und die Verteilung des Schadens bei Mitverschulden des Geschädigten

Von

Dr. Günter Brambring

DUNCKER &

HUMBLOT I

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten 1973 Duncker & Humblot, Berlln 41 Gedruckt 1973 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlln 65 Printed in Germany

C

ISBN 3 428 02901 1

Inhaltsverzeichnis

Erster Hauptteil

Formen der Mehrtäterschaft

Erstes Kapitel

Die Mittäter

17

1. Abschnitt: Einleitung und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

2. Abschnitt: Ansicht der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

A. Mittäterschaft als "gemeinschaftliche Verursachung" - RGZ 58, 357 ff. (sog. Knallerbsenfall) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 B. Die Lehre vom "bewußten und gewollten Zusammenwirken" in der Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 I. Als Abgrenzungskriterium zur Nebentäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . .

22

II. Mittäterschaft auch bei fahrlässigen Handlungen? . . . . . . . . . . . . . .

23

III. Unerheblichkeit des Verursachungsmaßes und der Satz: "Die Gemeinschaftlichkeit des Willens erzeugt die gemeinschaftliche Verursachung" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 IV. Die Unterscheidung von objektivem und subjektivem Tatbestand - RG Gruchot 67 Nr. 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 C. Fortentwicklung dieser Lehre in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes: der Verzicht auf den kausalen Tatbeitrag eines jeden Mittäters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

Inhaltsverzeichnis

6

3. Abschnitt: Ansicht des Schrifttums

Mittäterschaft: Frage der Gesamtkausalität oder der subjektiven Willensrichtung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 I. Die ältere Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

1. Traeger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

2. Oertmann

..................................................

30

3. Die Ansicht bei Planck - Flad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

li. Die Ansicht der heute herrschenden Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

III. Die Kritik Bydlinskis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

36

A. Analyse der Entwicklung in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

1. Phase: Mittäterschaft als Problem der Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . .

37

2. Phase: Mittäterschaft als Problem der Kausalität und der Willensrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3. Phase: Mittäterschaft als Problem der Willensrichtung und des Kausalitätsverdachtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 B. Kritik an der herrschenden Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 I. Die Definition des Mittäters im Zivilrecht entspricht nicht der des

Mittäters im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

li. Der Kausalitätsverdacht allein vermag die Haftung des Mittäters nicht zu rechtfertigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Widerlegung des Gedankens von der ,.Gewinnabwehrfunktion" des § 830 I S. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

2. Unvereinbarkeit mit dem Wortlaut

44

C. Eigener Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

I. § 830 I S. 1 ist keine haftungsbegründende Norm; sie set:d also

den Nachweis eines kausalen Tatbeitrages eines jeden der Mittäter voraus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

II. Methodische Trennung von objektivem und subjektivem Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . •6 III. Funktion des § 830 I S. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

IV. Mittäterschaft nur bei vorsätzlichem gemeinschaftlichen Handeln 49 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

Inhaltsverzeichnis

7

Zweites Kapitel

Die Nebentäter 1. Abschnitt: Begriff der Nebentäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abschnitt: Rechtfertigung der solidarischen Haftung allein aus den

53 53

Grundsätzen der Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

3. Abschnitt: Nebentäterschaft bei unterschiedlichen Schadensanteilen . .

55

4. Abschnitt: Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

Drittes Kapitel

Die BetelUgten

58

(A) bei alternativer Verursadlung

58

1. Abschnitt: Einleitung und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

A. Sieben Thesen zu den Voraussetzungen der Haftung als Beteiligter, abgeleitet aus dem Wortlaut des § 830 I 2 und seiner systematischen

Stellung im Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

B. Die Forderung der h. M. nach einer - zusätzlichen - einengenden Beschreibung des Kreises der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2. Abschnitt: Ansicht der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

A. Die Grundsatzentscheidung des Reichsgerichts im sog. Knallerbsemall (RGZ 58, 357 ff.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

I. Die Kausalitätssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Der zeitliche und räumliche Zusammenhang der Gefährdungshandlungen als Schlußfolgerung zu der in § 830 I 2 umschriebenen

Kausalitätssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

62

III. "Gemeinsamkeit des Tuns" als subjektives Merkmal der Beteiligung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

B. Die Behandlung der Frage, ob § 830 I 2 über den objektiven Zusammenhang von Zeit und Raum hinaus zusätzlich eine subjektive Verbindung der Beteiligten erfordert, in der Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

8

Inhaltsverzeichnis

C. Die schrittweise Aufgabe des Postulats nach dem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang in der Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . 67 3. Abschnitt: Ansicht des Schrifttums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

A. Die Lehre Traegers von der "verbotenen Handlung" als Gefährdungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 B. Die Lehre von der notwendigen subjektiven Verbundenheit der Beteiligten (Traeger, Oertmann, Drees, Larenz, Weimar, Lauenstein) . . . . 74 C. Die Lehre vom tatsächlichen einheitlichen, räumlich und zeitlich zusammenhängenden Vorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 D. Die Kritik an der herrschenden Meinung und die Lehre vom Verzicht auf den einheitlichen Vorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 I. Die Ansicht Bydlinskis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

II. Die Ansicht Gernhubers . . .. . .. . .. . .. . .. . . .. .. .. .. .. .. . . . . .. .. . . 78 III. Die Ansicht Deubners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

IV. Die Ansicht Bauers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . .

82

A. Deutung des in der Rechtsprechung festgestellten Wandels als An-

passung an die veränderten Lebenssachverhalte ungeklärter alternativer Verursachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 I. Die Unternehmenssituation (Raufhandel, Jagdunfall) als typischer Sachverhalt in der Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . 82 II. Der Verkehrsunfall als typischer Sachverhalt in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

B. Das Verständnis vom zeitlichen und örtlichen Zusammenhang . . . . . . . .

84

I. in der grundlegenden Entscheidung des RG aus dem Jahre 1904 . .

84

II. in der Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

C~

Verzicht auf eine sowohl subjektive als auch objektive Beschränkung des Kreises der Beteiligten .. .. .. . . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 87 I. Ablehnung der Lehre von der inneren Verbundenheit der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 II. Ablehnung der Lehre vom zeitlichen und örtlichen Zusammenhang 90 1. Die Bedeutungslosigkeit als Abgrenzungskriterium in der

Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

Inhaltsverzeichnis

9

2. Die unzutreffende -Berufung auf den Willen des Gesetzgebers 90 3. Die Ableitung aus dem Haftungsprinzip ......... . .. , . . . . . . . . a) Die verschiedenen Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eigener Versuch einer Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die umschriebene tatsächliche Situation als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) die Beweissituation .... : .. . , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Folgerungen für die Bestimmung des Kreises der Beteiligten .. .. .. .. .. . . .. .. .. .. .. .. .. .. . . . . . . .. .. .. (2) § 830 I 2 als Billigkeitsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unterscheidung nach den Ursachen, die zur Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes geführt haben . . . . . . . . bb) Die Interessenahwägung . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . .. . .. cc) Konkurrenz zwischen Verschulden und Zufall . . . . . . (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Der zeitliche ·und örtliche Zusammenhang als Indiz für die tatsächliche Unaufklärbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91 91 92 92 92 93 94 94 95 96 98 98

5. Abschnitt: Der Geltungsbereich des § 830 I 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

A. Anwendbarkeit auf Haftungstatbestände des 25. Titels des BGB . . . . . .

99

I. Haftungstatbestände, die den Nachweis des Verschuldens voraussetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 1. Rechtswidrigkeit .................. . , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Schuldfähigkeit und Verschuldensnachweis .......... .. . . .... 100 II. Haftungstatbestände vermuteter Schuld . . . .. ........ . .. .. . . .... 102 111. Gefährdungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 B. Anwendbarkeit auf Haftungstatbestände außerhalb des 25. Titels des BGB ..... .. .... ·. . , . . . ..... . .. .... . ... . .. . . . ............. .. .. .. . . .. 107 6. Abschnitt: Subsidiarität des § 830 I 2 . . .. . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . .. . . . 109

A. Ansicht des Bundesgerichtshofes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 B. Ansicht der Literatur . . . ... .. ..... . . . . ........ . .... . .. .... .. . . . . . . . 111 I. Gernhubers Lehre von der Subsidiarität .... . ............. ..... . 111

II. Gegenansicht von Deubner und Bauer ...... . . . .... . ........ ... . 111 C. Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 D. Zusammenfassung . . . . .... .. . . .. .. .. .. ... . .. .... ...... ....... . . .. .... 117

10

Inhaltsverzeichnis (B) bei kumulativer Verursarhung

118

1. Abschnitt: Einleitung und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Abschnitt: Entscheidungen, die die Anwendbarkeit des § 830 I 2 ver-

neinen .. . ................. ... ............... . ................ . ..... 119

3. Abschnitt: Entscheidungen, die die Anwendbarkeit des § 830 I 2 be-

jahen ................ . .. .. . . ................ .. ....... . ......... ... 122

4. Abschnitt: Zusammenfassung ..... . ....... . ...... . .. ... .. ...... . . .. 126

Zweiter Hauptteil

Schadensverteilung bei Mitverschulden des Geschädigten Vorbemerkung

129

Viertes Kapitel

Das Verteilungsverfahren bei Mittitersrhaft

131

Fünftes Kapitet

Das \'erteilungsverfabren bei Nebentätersmatt

133

1. Abschnitt: Einleitung und Fragestellung ..... .. .................. ... 133 2. Abschnitt: Ansicht der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

A. Das Prinzip der Einzelabwägung und Beschränkung des Ausgleichsanspruchs auf die höchste Einzelquote in der älteren Rechtsprechung 135 B. Die Kombination von Einzel- und Gesamtabwägung in der Grundsatzentscheidung des BGH vom 16. Juni 1959 (BGHZ 30, 203 ff.) . . . . . . 138 C. Spätere Entscheidungen, die von diesem Verteilungsverfahren abgewichen sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

Inhaltsverzeichnis

11

D. Die Durchbrechung der Lehre bei der sog. Haftungseinheit und beim Ausgleich des Nichtvermögensschadens . . ...................... . ... 143 E. Zusammenfassung .................. . ......... ... ........... .. . . .... 145 3. Abschnitt: Ansicht des Schrifttums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

A. Die Unterscheidung in "relative" und "absolute" Beteiligungsquote bei Dunz ........... . ........ . ...................................... . .. 146 B. Ansicht der heute herrschenden Meinung, die der Rechtsprechung des BGH folgt ........... .... ............... .. ............. . . . ...... 148 C. Stimmen, die das Verteilungsverfahren des BGH ablehnen ..... ..... 149 4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . 153

A. Die Kombination von Einzel- und Gesamtabwägung als Verteilungsverfahren in der Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

I. Vorbemerkung ........ . .. .... .. . .......... . ................ . .. . 153 II. Auseinandersetzung mit den entscheidenden Gründen, auf die der BGH im Urteil vom 16. Juni 1959 das von ihm vertretene Verteilungsverfahren gestützt hat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. Zur These, für Nebentäter fehle eine § 830 I S. 1 entsprechende Rechtsgrundlage, der Verantwortungssphäre des Verletzten eine gemeinsame Verantwortungssphäre der Schädiger gegenüberzustellen ......... . .. . . . .. . .... .. .. .. . . ........ . . .. . . .... 155 2. Zur These, im Falle der Schadenszufügung durch Nebentäter habe der mitschuldige Verletzte entsprechend dem eigenen Anteil an der Verantwortlichkeit für den Schaden das Insolvenzrisiko zu tragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 3. Zur These, ein befriedigendes Ergebnis der Schadensverteilung lasse sich nur durch einen Blick auf das gesamte Unfallgeschehen gewinnen (Gesamtabwägung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 4. Zur Berechnungsmethode bei der Solidar-(Gesamt-)abwägung 160 5. Zur These, berechtigte Interessen des Verletzten und die schnelle Abwicklung derartiger Haftpflichtfälle erforderten, am Prinzip der Einzelabwägung festzuhalten .................. . . 165 6. Zur These, allein die Kombination von Einzel- und Gesamtabwägung stelle sicher, daß kein Schädiger dem Geschädigten mehr als die ihrem Verhältnis zueinander angemessene Schadensquote zu tragen habe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

Inhaltsverzeichnis

12

B. Ablehnung der Einzelabwägung als untauglichem Ansatzpunkt für die Schadensverteilung .......................................... .... ... 170 C. Eigener Lösungsvorschlag: Das Verteilungsverfahren auf der Grundlage einer modifizierten Anwendung der Methode der Gesamtabwä~g ··················· ··················· · · · ····················· 173 I. Ableitung aus dem Prinzip der Gesamtschuld, § 840 und der An-

rechnung eigenen Mitverschuldens, § 254 . ....................... 173

II. Vorteile des vorgeschlagenen Verteilungsverfahrens ... . ... . .... 175 III.

über die Belastung mit dem Ausgleichs-(Insolvenz-) ns1ko ............... . ................... .. ............... ..... . 178

~n~cheidung

Sechstes Kapitel

Das Verteilungsverfahren bei Beteiligung

181

1. Abschnitt: Einleitung und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

2. Abschnitt: Die potentielle SelbstsChädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

A. Die Berücksichtigung potentieller Selbstschädigung im Rahmen einer Minderung des Ersatzanspruches gern. § 254 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 B. Potentielle Selbstschädigung als Ausschlußgrund des Ersatzanspruchs 183 C. Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 I. Ablehnung des Gedankens der Gesamtschuldnergemeinschaft . . . . 184 II. Ablehnung des Lösungsweges über § 254 (auch i. V. mit einer analogen Anwendung des § 830 I 2) . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . 185 111. Eigener Lösungsvorschlag: Potentielle Selbstschädigung schließt

den Ersatzanspruch überhaupt aus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

3. Abschnitt: Nachweisliche Mitverursachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

Inhaltsverzeichnis

13

Si ebtes Kapitel

Das Verteilungsverfahren beim Ausglehh immaterieller Seiläden

190

1. Abschnitt: Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . 192

Ergebnisse der Untersuebung

198

Literaturverzeichnis

203

Abkürzungsverzeichnis a.A.

andere Ansicht

AcP

Archiv für die Zivilistische Praxis

a.E.

am Ende

Alt.

Alternative

AT

Allgemeiner Teil

BB

Der Betriebsberater

BGBl

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHSt

Bundesgerichtshof, Entscheidungen in Strafsachen

BGHZ

Bundesgerichtshof, Entscheidungen in Zivilsachen

DAR

Deutsches Autorecht

Diss.

Dissertation

Gruchot

Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begr. von Gruchot

HansOLG

Hanseatisches Oberlandesgericht

HRR

Höchstrichterliche Rechtsprechung

JheringJ

Jherings Jahrbücher der Dogmatik des bürgerlichen Rechts

JBl

Juristische Blätter

JR

Juristische Rundschau

JUS

Juristische Schulung

JW

Juristische Wochenschrift

JZ

Juristen-Zeitung

KG

Kammergericht

LG

Landgericht

LM

Das Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, herausgegeben von Lindenmaier und Möhring

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

Mot

Motive zum BGB

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

OLG

Oberlandesgericht

Abkürzungsverzeichnis

15

OLGZ

Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen

Prot

Protokolle der Kommission für die II. Lesung des Entwurfs des BGB

Recht

Zeitschrift "Das Recht"

RG

Reichsgericht

RGSt

Reichsgericht-Rechtsprechung in Strafsachen

RGZ

Amtliche Sammlung der HG-Rechtsprechung in Zivilsachen

RPfleger

Der Deutsche Rechtspfleger

RheinSchiffPolVO

Rhein-Schiffahrts-Polizeiverordnung

SeuffA

Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten

VersR

Versicherungsrecht Juristische Rundschau für die Individualversicherung

VRS

Verkehrsrecht-Sammlung

WarnRspr

Warneyer, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts

ZHR

Zentralblatt für Handelsrecht

Erster Hauptteil

Formen der Mehrtäterschaft Erstes Kapitel

Die Mittäter 1. Abschnitt

Einleitung und Fragestellung § 830 I S. 1* lautet wörtlich:

"Haben mehrere durch eine gemeinschaftlich begangene unerlaubte Handlung einen Schaden verursacht, so ist jeder für den Schaden verantwortlich." In § 830 II bezeichnet das Gesetz diese Mehrheit von Schädigern als Mittäter. Es verwundert nicht, daß dieser Gesetzestatbestand seit dem Inkrafttreten des BGB immer erneut zu Meinungskontroversen geführt hat. Der Begriff "gemeinschaftlich begangene unerlaubte Handlung" ist schillernd und doch zugleich farblos, vermag er doch über die Art der Gemeinschaft der Täter und die Form der Begehung der Tat wenig auszusagen. Die Entstehungsgeschichte vermag keinerlei interessante Aufschlüsse zu geben1 • Rechtsprechung und Schrifttum glauben, heute den Schlüssel zu einer näheren Bestimmung der "gemeinschaftlich begangenen unerlaubten Handlung" gefunden zu haben, indem sie Mittäterschaft als "bewußtes und gewolltes Zusammenwirken mehrerer" erklären. Wie farblos, aber auch fragwürdig, sich diese Formel erweist, möge an folgenden Beispielen verdeutlicht werden: Das erste Beispiel ist einem Fall nachgebildet, dessen sich das ältere Schrifttum mit besonderer Liebe bedient hat2 • • §§ ohne Gesetzesangabe sind solche des BGB. 1 Vgl. TraegeT, S. 275, Fn. 1. 2 Planck - Flad § 830 Anm. 1; SpitzeT, S. 24. 2 Brambring

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1. Kap.: Die Mittäter

Die Bauarbeiter A und B tragen gemeinsam einen Balken über ein Baugerüst. Wie es der Zufall will, lassen A und B unabhängig voneinander - im Vertrauen darauf, der andere werde ihn schon festhalten- den Balken gleichzeitig fallen, der herunterstürzend einen an dem Gerüst vorbeigehenden Passanten verletzt. Da A und B fahrlässig handelten, haftet jeder dem Passanten auf Ersatz dessen Schadens aus § 823 I. Sie haften als Mittäter, wenn sie die Körperverletzung "gemeinschaftlich" begangen haben. Da der eingetretene Schaden sich als das Produkt der Gesamtwirkung zweier fahrlässiger Handlungen - nur das zufällig gleichzeitige Loslassen des Balkens ermöglichte die Verletzung des Passanten- darstellt, könnte man annehmen, "Gemeinschaftlichkeit" liege vor. Das hieße dem Begriff "gemeinschaftlich" einen rein objektiven Inhalt geben, so daß Mittäterschaft nur das tatsächliche Zusammenwirken und damit ein gemeinsames Bedingen des Schadens erfordern würde. Es besteht heute kein Streit mehr darüber, daß in diesem Beispielsfall nicht Mit- sondern Nebentäterschaft gegeben ist, weil es eben an einem "bewußten und gewollten Zusammenwirken" der beiden Bauarbeiter fehlt. Wie aber ist der Fall zu beurteilen, wenn A und B übereingekommen waren, gemeinsam den nicht mehr benötigten Balken vom Gerüst zu werfen, es beide aber versäumten sich zu vergewissern, ob auch niemand in Gefahr geraten könne? Man müßte meinen, die herrschende Lehre käme übereinstimmend zur Bejahung der Mittäterschaft, da A und B sicherlich bewußt und gewollt zusammengewirkt haben. Diese Ansicht erweist sich aber nur teilweise als richtig. Denn mit der Behauptung, nur vorsätzliches Handeln begründe die Haftung aus § 830 I S. 1, lehnt ein Teil des Schrifttums hier Mittäterschaft ab, während ein anderer sie annimmt3 • Das zweite Beispiel soll in eine viel entscheidendere Problematik im Fragenkomplex zu dieser Vorschrift einführen: A, B und C randalieren auf der Straße. Als D erscheint, um die Unruhestifter zu verjagen, fordert A seine Kameraden auf, D mit Steinen zu bewerfen. Alle drei heben daraufhin einen Stein auf. Als .C zum Wurf ausholt, stolpert er, fällt hin und verliert sein Wurfgeschoß. Die von A und B geworfenen Steine verletzenD, der von A, Bund C Schadenersatz verlangt4 • 3 Vgl. stellvertretend für die erste Ansicht Palandt- Thomas § 830 Anm. 1 und für die zweite Ansicht Lehmann in Enneccerus- Lehmann § 247 I 1, S. 993 und Bydlinski, Mittäterschaft AcP 158, 410, 430. 4 Das Beispiel ist der Entscheidung des RG in Gruchot 67, Nr. 13, 8.187 nachgebildet.

1. Abschnitt:

Einleitung und Fragestellung

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Uns soll nur die Haftung des C interessieren. Er hat sicherlich mit A und B "bewußt und gewollt zusammengewirkt". Haftet C aber wirklich, wenn sich im Prozeß herausstellen sollte, daß A und B auf die Mitwirkung des bei ihnen als Feigling angesehenen C gerne verzichtet hätten, auf C überhaupt nicht geachtet haben und in jedem Fall ihre Steine geworfen hätten? C hat nachweislich keine Ursache i. S. einer conditio sine qua non für die Verletzung des D gesetzt. Ist ihm trotzdem wegen des subjektiven Moments der inneren Verbindung zu A und B die Haftung für deren Verhalten aufzuerlegen? Wie wäre zu entscheiden, wenn D nicht nachzuweisen vermag, daß A und B durch die anfängliche Teilnahme des C am Wurf "bestimmt oder mitbestimmt"5 worden sind. Reicht die Kausalitätsvermutung aus, daß im Zweifel junge Burschen sich nur gemeinsam stark fühlen, und daher erst die Zustimmung des C A und B zum Wurf veranlaßte oder zumindest mitveranlaßte? Das letzte Beispiel - einer Entscheidung des BGH entnommen6 wird von ähnlichen Zweifelsfragen bestimmt.

-

Gegen Ende des 2. Weltkrieges geraten A, der als Soldat im Urlaub ist, und sein Schwiegervater B mit Frau C in eine heftige Auseinandersetzung, da Frau C das Hitlersystem heftig angreift und jeden noch kämpfenden Soldaten als Idioten bezeichnet. Am gleichen Tag erstattet A Anzeige gegen Frau C. C wird verhaftet und wegen Wehrkraftzersetzung zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Sie verlangt von A und B Ersatz ihres Schadens, den sie während der Haft erlitten hat. Die Klage wird gegen A aus § 826 BGB zugesprochen. B ist nachzuweisen, seinen Schwiegersohn "intellektuell, geistig bestimmend, durch Ermunterung bewußt unterstützt" 7 zu haben. Reichen diese Feststellungen aus, seine Haftung zu begründen, wenn sich etwa A unwiderlegbar darauf einläßt, Frau C habe seinen Zorn derart erregt, daß er auf das Zureden seines Schwiegervaters nicht mehr geachtet habe und von Anfang an entschlossen gewesen sei, Anzeige zu erstatten? Wie wäre es, wenn A erklärte, die Zustimmung des B habe ihn in seinem Entschluß bestärkt, andererseits hätte aber auch sein Abraten ihn nicht von seinem Entschluß, Frau C anzuzeigen, abhalten können? Wie wäre es schließlich, wenn sich A überhaupt nicht hierzu äußern würde?

6

Formulierung bei RG Gruchot 67, S.l89. BGHZ 17, 327 ff.

7

Ebd., S. 333.

5

2*

20

1. Kap.: Die Mittäter

Nach Ansicht des BGH brauchen diese Fragen überhaupt nicht gestellt zu werden, da bereits "der gemeinschaftliche Wille die gemeinschaftliche Verursachung" erzeuge7 • Kann aber wirklich - und darum gehtes-im Rahmen des § 830 I S. 1 auf den Nachweis der Kausalität verzichtet werden? Wäre das so- und die h. M. entscheidet in dieser Weise, ohne allerdings den Verzicht expressiv verbis auszusprechen -, müßte § 830 I S. 1 als selbständige Haftungsnorm neben die §§ 823 ff BGB gestellt werden, eine Schlußfolgerung, die nur vereinzelt im Schrifttum gezogen wird. Das hieße aber auch, neben § 830 I S. 2 einen weiteren Fall der Haftung aus nur möglicher Kausalität anzuerkennen, eine Konsequenz, die bisher nicht gezogen worden ist. Die Beispiele sollten versuchen, den Beweis zu erbringen, daß die "eleganten Formulierungen" 8 der h. M., die sich in dem Satz, Mittäterschaft erfordere "bewußtes und gewolltes Zusammenwirken" zusammenfassen lassen, einen Großteil der auftretenden Fragen nicht zu beantworten vermögen, weil sie sie nicht stellen, sondern begründete Antworten durch Behauptungen ersetzen. 2. Abschnitt

Ansicht der Rechtsprechung A. Mittäterschaft als "gemeinschaftliche Verursachung" - RGZ 58, 357 ff. (sog. Knallerbsenfall) Der Meinungsstreit, wann eine gemeinschaftlich begangene unerlaubte Handlung vorliegt, geht auf die immer wieder zitierte Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1904 zurück9• Dieser als "Knallerbsenfall" bekannt gewordenen Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem es um die Frage der Beteiligung im Sinne des § 830 I 2 ging. Bei der Abgrenzung zur "gemeinschaftlichen Verursachung" in Satz 1 hat das RG eher beiläufig aber dennoch mit aller Deutlichkeit den Rahmen der Mittäterschaft festzulegen versucht10 • Danach sind drei Fallgestaltungen zu unterscheiden: 1. "das bewußte und gewollte Zusammenwirken mehrerer" im Sinne eines Zusammenwirkens vorsätzlicher Handlungen. s Bydlinski, Mittäterschaft, AcP 158, 411. RG Urteil vom 30. Juni 1904 in RGZ 58, 357 ff. 10 Ebd., S . 359.

9

2. Abschnitt: Ansicht der Rechtsprechung

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2. "das bloß tatsächliche Zusammenwirken mehrerer (durch vorsätzliche Handlungen), sei es mit nachgewiesenem oder nicht nachgewiesenem Einzelerfolg der Tätigkeit des einzelnen". 3. "das Zusammenwirken mehrerer fahrlässiger Handlungen". In allen diesen Fällen liegt nach Ansicht des RG Mittäterschaft vor. "unter der Voraussetzung, daß der eingetretene Schaden sich als das Produkt der Gesamtwirkung der Handlungen der einzelnen darstellt" 10• Mit dem letzten Satz verdeutlicht das RG, welches das entscheidende Kriterium für die Haftung als Mittäter sein soll: weder der Grad des Verschuldens, noch eine innere Verbindung im Sinne einer Willensgemeinschaft der mehreren, sondern ausschließlich der Gesichtspunkt, daß sich der Schaden nur aus dem Zusammentreffen zweier Ursachenketten im Sinne einer Gesamtkausalität erklären lasse. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Entscheidung seien ihre Konsequenzen an 3 Beispielen erläutert.

1. Fallgestaltung A und B töten C, indem sie ihm im gegenseitigen Einvernehmen jeweils eine nur zusammen tödlich wirkende Menge Gift eingeben. Dieser Fall ist unproblematisch und auch nach heutiger Ansicht typisches Beispiel einer Mittäterschaft. 2. Fallgestaltung A hat eine Grube trotz polizeilichen Gebots nicht zugedeckt. B stößt C vorsätzlich in die Grube, wobei sich C verletzttt. Zwischen A und B fehlt jede Vereinbarung, nur der Schaden ist durch das Zusammentreffen zweier rechtswidrig vorsätzlicher Handlungen bedingt worden. 3. Fallgestaltung Im bereits erwähnten Bauarbeiterfall werfen A und B gemeinschaftlich einen Balken fahrlässig vom Gerüst auf die Straße und verletzen dadurch den Passanten C. Auch hier ist der Verletzungserfolg durch zwei sich gegenseitig bedingende Faktoren ermöglicht, mit der Besonderheit, daß A und B in "Gemeinschaft" fahrlässig gehandelt haben. Da in allen 3 Fallgestaltungen die Schädiger nach Ansicht des RG haften sollen, können die Voraussetzungen in folgender Weise zusammengefaßt werden. 1. § 830 I S. 1 setzt in objektiver Hinsicht eine tatsächliche Mitwirkung

mehrerer voraus, in dem Sinne, daß jeder eine notwendige Bedingung für die Schadensentstehung gesetzt hat.

tt

Beispiel von Planck - Flad § 830 Anm. 1.

1. Kap.:

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Die Mittäter

2. Der Schaden muß sich gerade als das Ergebnis der Gesamtwirkung der mehreren Handlungen erklären lassen. 3. Eine subjektive Verbindung der Schädiger in Form eines einverständlichen Handeins ist nicht erforderlich. Mittäter können auch fahrlässig Handelnde sein. Die Vorschrift erfährt damit ein rein objektives Verständnis. Entscheidend soll sein, daß der Schaden auf einer gemeinschaftlichen Verursachung12 beruht. Einer derart weiten Interpretation der "gemeinschaftlich begangenen unerlaubten Handlungen" ist das Reichsgericht allerdings in keiner späteren Entscheidung gefolgt. Gleichwohl ist das Urteil aber deshalb von Interesse, weil das RG und später der BGH es zum Anlaß nahmen, die Notwendigkeit einer auf Willensmomente abzustellenden Unterscheidung von Mit- und Nebentäterschaft zu verdeutlichen13 • Dabei ist aber in keiner einzigen Entscheidung der Angriff gegen die Ansicht des Reichsgerichts gerichtet worden, Mittäterschaft setze in objektiver Hinsicht die Mitwirkung mehrerer voraus, in dem Sinne, daß jeder Mittäter eine für den Schaden notwendige Bedingung gesetzt hat. B. Die Lehre vom "bewußten und gewollten Zusammenwirken" in der Rechtsprechung des Reichsgerichts I. Als Abgrenzungskriterium zur Nebentäterschaft

Bereits in der Entscheidung vom 20. 4. 190714 begnügt sich das RG nicht mit der Feststellung, der Schaden stelle sich als Produkt der Gesamtwirkung der Handlungen mehrerer dar - was zweifellos zu bejahen war - sondern fragt, ob die Schädiger "in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken" gehandelt haben. Rechtliches Bindeglied der verschiedenen Einzelhandlungen sei das Bewußtsein, mit anderen den schädigenden Erfolg herbeizuführen und dies zu wollen15 . Damit wurde erstmals in einer Entscheidung des RG ausgesprochen, daß § 830 I S.l nur eine Form der Mehr-Täterschaft erfaßt, daß es neben der Mittäterschaft die später so benannte Nebentäterschaft gibt und beide Formen der Mehrtäterschaft im subjektiven Bereich unterschieden werden müssen. Die Ansicht, die Grenzziehung könne nur mit 12 13 14 15

RGZ 58, 359.

Vgl. statt aller zuletzt BGH NJW 72, 40, 41. RG SeuffA 64, Nr. 217, S. 453. Ebd., S. 455.

2. Abschnitt: Ansicht der Rechtsprechung

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Hilfe subjektiver Anhaltspunkte vorgenommen werden, ist mit Ausnahme der Entscheidung des RG im 58. Band völlig unbestritten geblieben. Bei einem nur tatsächlichen Zusammenwirken mehrerer ohne bewußtes und gewolltes Zusammenwirken hat das RG in keiner späteren Entscheidung auch nur die Anwendbarkeit des § 830 I S. 1 in Erwägung gezogen16. II. Mittäterschaft auch bei fahrlässigen Handlungen?

Die nähere Festlegung, wie die subjektive Gemeinschaft der mehreren geartet sein müsse, bereitete der Rechtsprechung im Anfang gewisse Schwierigkeiten, die es erklären lassen, warum gerade diese Frage in den Entscheidungen immer mehr in den Vordergrund gerückt ist. Es ging dabei insbesondere um die Frage, ob das Zusammenwirken fahrlässiger Handlungen für die Mittäterschaft ausreicht, zum anderen um die Erklärung, warum der Schädiger, falls er nur einen geringen Teil des Erfolges unmittelbar verursacht hat, für den ganzen Schaden aufzukommen hat. Daß Formulierungen wie "bewußtes und gewolltes Zusammenwirken"17 oder "bewußtes gemeinsames Vorgehen und gewolltes Zusammenwirken"18 die auftauchenden Schwierigkeiten nicht zu beseitigen vermochten, wird dadurch bewiesen, daß das RG in einer Entscheidung bereits Fahrlässigkeit des Schädigers hat genügen lassen19, in einer Reihe von Entscheidungen diese Frage offengelassen hat20 , schließlich aber auch für Mittäterschaft Vorsatz verlangte21. UI. Unerheblichkeit des Verursachungsmaßes und der Satz: "Die Gemeinschaftlichkeit des Willens erzeugt die gemeinschaftliche Verursachung"

Von dieser Frage zu trennen sind die Bemühungen des RG zu erklären, warum es auf das ,,Maß, in dem der einzelne zum Gesamtschadenserfolg beigetragen hat" 22 , nicht ankomme. 16 Vgl. bereits die Entscheidungen RGZ 16, 144; 33, 348; 51, 258; RG Warn Rspr. 30 Nr. 108 und die Nachweise bei RGRK- Haager § 830 Anm. 2. 11 RG SeuffA 64, Nr. 217, S. 453, 455. 1s RG Warn Rspr. 29, Nr. 144, S. 265. 19 RG Warn Rspr. 15, Nr. 118, S. 165. 20 RG Warn Rspr.l4, Nr.287; 15, Nr.52 ; 17, Nr.17; RG SeuffA 64, Nr.217, s. 453. 21 RGZ 65, 157; 160, 125, 375. 22 RG Warn Rspr. 15, Nr. 52, S . 70.

1. Kap.: Die Mittäter

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Den Entscheidungen, die sich hiermit auseinanderzusetzen hatten23 , lag ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde. Verschiedene Personen hatten vom Eigentümer eines Grundstückes Inventarstücke gekauft, obwohl sie wußten, daß das Grundstück mit Hypotheken belastet war, und sie damit rechnen mußten, daß bei der drohenden Zwangsversteigerung die Gläubiger mit einem Teilbetrag ausfallen würden. Auf die Klage der Gläubiger hin beriefen sich die Käufer darauf, sie hätten nur gewisse Inventarstücke erworben, also auch nur für deren Wert Ersatz zu leisten. Dies sei - meint das RG - zwar im Grundsatz richtig, der einzelne Käufer werde aber dann für den weiteren Schaden verantwortlich, "wenn auch bezüglich der weiteren Schädigung ein Zusammenhang besteht, kraft dessen ein gemeinschaftliches Begehen im Sinne des § 830 I S. 1 oder II angenommen werden kann"22 • Sei dies der Fall, so komme es auf das Maß, in dem der einzelne zum Gesamtschadenserfolg beigetragen habe, nicht an; die gemeinschaftliche Begehung lasse jeden für alles haften, was gemeinschaftlich verursacht ist24. In diesem Zusammenhang ist vom Reichsgericht die Formulierung "die Gemeinschaft des Willens erzeugt die gemeinschaftliche Verursachung" erstmals benutzt wordenu.

Diese Aussage steht - und das zu betonen scheint angesichts der Rechtsprechung des BGH von besonderer Bedeutung - als Schlußfolgerung zu der vorangegangenen Überlegung, im Fall der Mittäterschaft sei es gleichgültig, wieviel der einzelne Mittäter zu dem schädlichen Erfolg beigetragen habe. Könne der Nachweis geführt werden, daß der einzelne irgendwie zur Ausführung der gemeinsam gewollten Tat mit tätig geworden sei (was nicht notwendig in körperlicher Weise hätte geschehen sein müssen), so hafte er für den ganzen Schaden. Daraus ergibt sich eindeutig, daß der Satz, die Gemeinschaft des Willens erzeuge die gemeinschaftliche Verursachung, nach Ansicht des Reichsgerichts nur für die Frage des Haftungsumfanges gelten sollte. IV. Die Unterscheidung von objektivem und subjektivem Tatbestand - RG GrudJ.ot 67 Nr. 13

Die soweit ersichtlich einzige veröffentlichte Entscheidung des Reichsgerichts, die sich nicht mit der allgemeinen Formel: Mittäterschaft RG Warn Rspr. 1929, Nr.l44; RG Gruchot 51, 990; 70, 619, 622. Vgl. auch RG Warn Rspr. 1917, Nr. 17, S. 26. ta RG Gruchot 51, Nr. 83, S. 994.

ll3

24

2. Abschnitt: Ansicht der Rechtsprechung

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liege bei bewußtem und gewolltem Zusammenwirken vor, zufrieden gibt, ist ein Urteil aus dem Jahre 1922~. Es handelt sich hier um den bereits erwähnten sog. SteinwurffalL · Das RG glaubt einerseits zwischen dem "inneren Tatbestand" und andererseits .,dem äußeren Tatbestand" unterscheiden zu müssen27 • Der "innere Tatbestand" erfordere, "daß jeder Täter nicht nur den Willen hat, die Tat zu verüben, sondern auch den Willen, durch seine Tätigkeit zugleich dieselbe Tat zu verwirklichen, auf die der Wille des Mittäters gerichtet ist" 28. Da sich die Burschen einig gewesen seien, auch alle den Erfolg mit herbeizuführen beabsichtigt und die Tat insoweit als eigene gewollt hätten, liege der innere Tatbestand der Mittäterschaft vor. Das reiche aber nicht aus, da darüber hinaus der äußere Tatbestand: "die Beteiligung an der Ausführung der Tat" erfüllt sein müsse27. Das schien dem RG fraglich, da das Untergericht nicht geprüft habe, ob derjenige, der den Stein tatsächlich geworfen hatte, von den anderen "zu dem Werfen dadurch bestimmt oder mitbestimmt wurde, daß die beiden anderen ebenfalls werfen wollten"r7. Die naheliegende Vermutung, daß "jeder der drei Burschen durch das Einverständnis der beiden anderen zu dem Entschluß zu werfen. bewogen und darin bestärkt wurde"27 , erachtet das Gericht für nicht ausreichend, mit anderen Worten, es verlangt vom klagenden Verletzten den Nachweis, daß "die geistige Beeinflussung" der Burschen, die selber nicht den fraglichen Stein geworfen haben, kausal geworden ist. C. Fortentwicklung dieser Lehre in der Rechtsprechung des BGH: der Verzicht auf den kausalen Tatbeitrag eines jeden Mittäters Die systematische Unterscheidung zwischen Haftungsgrund und -umfang, zwischen äußerem und innerem Tatbestand, findet sich in der Rechtsprechung des BGH29 und der Oberlandesgerichte30 nicht wieder. Man begnügt sich mit allenfalls sprachlichen Variationen des Satzes vom "bewußten und gewollten Zusammenwirken" oder verweist auf RG Gruchot 67, Nr. 13, S . 187 ff. Ebd., S. 189. 28 Ebd., S. 188. 29 BGHZ 8, 288; 30, 203; BGH LM § 830, Nr. 6; VersR 57, 304; VersR 67, 471, 473; MDR 71, 741. ao OLG Bamberg NJW 49, 225; OLG Koblenz AcP 150, 453; OLG Braunschweig MDR 51, 658; OLG Harnburg MDR 56, 676. 26

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1. Kap.: Die Mittäter

die Vergleichbarkeit mit dem strafrechtlichen Begriff der Mittäterschaft, der entsprechend anwendbar sei31 • Als bezeichnend für die neuere Rechtsprechung sind insbesondere drei Entscheidungen des BGH anzusehen, in denen es jeweils um einen Fall sog. psychischer Mittäterschaft ging. In der Entscheidung des BGH vom 14. 1. 195332 heißt es: "Es genügt eine durch Ermunterung oder auch durch bloße Anwesenheit bewußt unterstützende Tätigkeit, sofern nur die Gemeinschaftlichkeit des W ollens vorhanden ist33 ." Im sogenannten Denunziantenfall31 begründet der BGH die Verantwortlichkeit des Schwiegervaters wie folgt: "Bei der gemeinschaftlich begangenen unerlaubten Handlung im Sinne des § 830 I S. 1 kann schon der gemeinschaftliche Wille die gemeinschaftliche Verursachung erzeugen, so daß es gleichgültig ist, wieviel der einzelne Mittäter zu dem schädigenden Erfolg beigetragen hat. Nicht erforderlich ist insbesonders, daß jeder bei der Ausführung physisch mitwirkt; auch eine rein intellektuelle, bloß geistig bestimmende, durch Ermunterung bewußt unterstützende Tätigkeit kann ausreichen, um eine Mittäterschaft anzunehmen, wenn nur ein gemeinschaftliches Wollen vorhanden ist, der Erfolg also als Folge der Gesamttätigkeit erscheint36 ." Während es zunächst den Anschein hat, als sollten sich diese Sätze des BGH auf die Frage des Haftungsumfanges beziehen ("wieviel der einzelne beigetragen hat"), so stellen die folgenden Sätze klar, daß es hier um die Frage des Haftungsgrundes geht. Die Frage, ob der Schädiger überhaupt haftet, soll aus der Feststellung des "gemeinschaftlichen Wollens" beantwortet werden können. Ob diese geistige Ermunterung, die der Schwiegersohn erfahren hat, sich in irgendeiner Weise tatsächlich auf dessen Entschluß ausgewirkt hat, Anzeige zu erstatten, sieht der BGH nicht als entscheidungserheblich an. Um einen Fall psychischer Teilnahme an einer unerlaubten Handlung ging es auch in der Entscheidung des BGH vom 11. 5. 1971 36 • 31 Vgl. insbesondere BGHZ 8, 288, 292; BGH VersR 67, 471, 473; BGH NJW 72, 40, 41. 32 BGHZ 8, 288 ff. = NJW 53, 499. 33 BGHZ 8, 294. 34 s. vorstehend 1. Abschnitt. as BGHZ 17, 327, 333. 36 BGH NJW 1972, S. 40 ff.

2. Abschnitt: Ansicht der Rechtsprechung

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Zwei Gruppen von Jugendlichen hatten sich nach einem Streit wechselseitig mit Steinen beworfen. Einer der Steine traf den Kläger am Auge. Es ließ sich nicht ermitteln, ob der fast Bjährige Erstbeklagte, der lOjährige Zweitbeklagte oder dessen noch nicht ganz 6jähriger Bruder H den Stein geworfen hatte. Das Berufungsgericht hatte die Klage im vollen Umfang abgewiesen; der BGH der Klage gegen den Erstbeklagten - wegen des Mitverschuldens des Klägers jedoch nur zur Hälfte - stattgegeben. Das Urteil ist deshalb besonders interessant, weil der BGH eine Haftung des Erstbeklagten nacheinander aus § 830 I S. 2 als Beteiligtem, aus § 823 I als Alleintäter und aus § 830 I S. 1 als Mittäter prüft. Da der tatsächliche Unfallhergang unaufklärbar geblieben war, lag es nahe, § 830 I S. 2 als Haftungsnorm heranzuziehen. Das Berufungsgericht hatte die Haftung der Beklagten als Beteiligte abgelehnt, da auch das nicht verantwortliche Kind H (§ 828 I) Werfer des Steins gewesen sein konnte. § 830 I 2 setze aber voraus, daß der Schaden von den mehreren Beteiligten durch eine von jedem von ihnen begangene unerlaubte, also nicht nur rechtswidrige, sondern auch schuldhafte Handlung verursacht sein könne37• Der BGH hat die für § 830 I S . 2 erhebliche Streitfrage, ob jeder der Beteiligten auch schuldhaft gehandelt haben muß, offengelassen, da die Verantwortlichkeit des Erstbeklagten auch ohne Zuhilfenahme dieser Norm gegeben sei38• Der BGH fragt, ob die Beklagten nicht bereits unmittelbar aus § 823 I haften, selbst dann wenn der fragliche Stein nicht von ihnen, sondern von H geworfen worden wäre. Dies ist nach Ansicht des BGH der Fall, wenn in dem Augenblick, als der fragliche Stein von H geworfen wurde, die Beklagten ebenfalls auf den Kläger zielten und warfen. Sie hätten dann den Schaden selbst verursacht, da ihre Würfe "objektiv dazu dienen konnten, den Kläger ... bei seinen eigenen Würfen abzulenken, ihn in seiner Aufmerksamkeit, vor allem beim Ausweichen vor einem Stein, zu stören, ihn auch zu hindern, sich nach allen Seiten frei zu bewegen"38 • Der BGH hat es im Ergebnis offengelassen, ob der Kläger die Haftung der Beklagten unmittelbar aus § 823 I herleiten kann und ob er insoweit den Nachweis der Kausalität des Handeins der Beklagten erbracht hat. 37

Ebd., S. 40 a. E.

as Ebd., S. 41.

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1. Kap.: Die Mittäter

Auf den Nachweis der Kausalität glaubt der BGH verzichten zu können, da - zumindest der Erstbeklagte39 - als Mittäter für den Schaden einzustehen habe. Nach Ansicht des BGH sind die Beklagten zusammen mit H Mittäter, da sie "wissentlich und willentlich gemeinsam mit Steinen geworfen, also gemeinsame Sache gemacht haben" 40 • Ihr Vorsatz habe sich auch auf eine Verletzung des Klägers erstreckt. Selbst wenn die Augenverletzung von H verursacht worden wäre. würde es an ihrer Haftung aus § 830 I S. 1 i. V. m § 823 I nichts ändern: "Schon ihr gemeinschaftlicher Wille erzeugt die gemeinschaftliche Verursachung, so daß es gleichgültig ist, wieviel der einzelne Mittäter zu dem Schaden beigetragen hat. Weil jeder Mittäter den Willen hat, durch seine Handlung zugleich dieselbe Tat des anderen als eigene zu verwirklichen, haftet er gern. § 830 I S. 1 ohne Rücksicht darauf, ob nun er oder der andere den Schaden verursacht hat41 ." Die obige Entscheidung verdeutlicht mit besonderer Klarheit einen vorläufigen Schlußpunkt der Ansicht des BGH: Der Nachweis eines eigenen kausalen Tatbeitrages eines jeden der Mittäter ist für die Bejahung der Haftung nicht erforderlich. Der Erstbeklagte haftet als Mittäter, weil er am gemeinschaftlichen Werfen teilgenommen hat und den Willen hatte, entweder durch eine eigene Handlung oder die Tat eines anderen, Körper oder Gesundheit eines Dritten zu verletzen. Teilnahme am gefährdenden Tun, aus der die Möglichkeit eigenen kausalen Handeins erwächst, und Vorsatz sind demnach die Voraussetzungen der Mittäterschaft. Die Konsequenz dieser Meinung für das Verständnis beider Alternativen des § 830 I soll an dieser Stelle angedeutet werden. Nach Ansicht der Rechtsprechung reicht in beiden Fällen die Möglichkeit kausaler Verursachung aus. Haben die Teilnehmer mit Gesamtvorsatz gehandelt, so haften sie als Mittäter gern.§ 830 I S. 1, fehlt die innere Gemeinschaft eines "bewußten und gewollten Zusammenwirkens", bilden aber die mehreren selbständigen Gefährdungshandlungen einen sachlich, räumlich und zeitlich tatsächlich zusammenhängenden Vorgang, so haften sie als Beteiligte gern. § 830 I S. 2. 39 Ebd., S. 42: hinsichtlich des Zweitbeklagten hat der BGH die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, da offen geblieben war, ob auch er an dem gemeinschaftlichen Werfen teilgenommen hat. 40 Ebd., S. 41. 41 Ebd., S. 42.

3. Abschnitt: Ansicht des Schrifttums

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Zweifel an der Richtigkeit dieser Auffassung zu den Voraussetzungen der Mittäterschaft müssen sich bei der Gegenüberstellung von Mittäterschaft und Beteiligung bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes ergeben. Denn nur in § 830 I S. 2 verzichtet das Gesetz auf den Nachweis der Kausalität, während § 830 I S. 1 seinem Wortlaut nach voraussetzt, daß "mehrere durch eine (gemeinschaftlich begangene) unerlaubte Handlung einen Schaden verursacht haben." 3. Abschnitt

Ansicht des Schrifttums Mittäterschaft Frage der Gesamtkausalität oder der subjektiven Willensrichtung? 1. Die ältere Lehre

1. Traeger Allein aus den Grundsätzen der Kausalitätslehre glaubt Traeger die Haftung der Mittäter ableiten zu können42 • Nach seiner Ansicht ist derjenige Mittäter, der auch Täter ist. Täter sei jeder, der den ganzen Schaden verursacht habe. Täter sei aber nicht nur derjenige, der eine selbständig entscheidende Bedingung für den ganzen Schaden gesetzt habe (zwei Fabriken leiten in einen Fluß Abwässer, die jeweils einzeln bereits ausgereicht hätten, das folgende Fischsterben zu verursachen), sondern auch der schuldhaft Handelnde, dessen haftungsbegründender Tatbeitrag sich als komplementär entscheidende Bedingung eines adaequaten Erfolges darstelle. Komplementär entscheidende Bedingungen seien solche, die erst durch ihr Zusammenwirken den Erfolg überhaupt herbeiführen (die Abwässer vermögen erst insgesamt den Fischbestand zu vernichten). Da es im letzteren Fall auf den "unmittelbaren Wirkungsanteil" des einzelnen Schädigers nicht ankomme, sondern nur darauf, ob jeder Mittäter eine entscheidende Bedingung gesetzt habe, bieten Traeger die Sachverhalte arbeitsteiliger Mittäterschaft grundsätzlich keine Besonderheiten43. Nur im Falle des Gehilfen, der eine sog. "nicht entscheidende Bedingung" gesetzt hat (der Gehilfe steht Wache, ohne tätig werden zu müssen), muß Traeger sich mit einem Kunstgriff behelfen: bereits jede 42 Traeger, S. 278 ff. 43 Traeger, S. 279.

1. Kap.: Die Mittäter

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geringfügigste Veränderung des Erfolges reiche aus, um in einer Beihilfehandlung eine conditio sine qua non zu erblicken44 • Traeger läßt auch erkennen, womit er dieses Ergebnis rechtfertigen will: da es unmöglich sei, den von einem Gehilfen verursachten Anteil zu berechnen, sich insbesondere die psychische Auswirkung jeder näheren Feststellung entziehe, müsse bereits diese Erwägung zur Haftung des Gehilfen für den ganzen Erfolg führen45 • Damit hat sich aber Traeger in Wirklichkeit von dem Postulat, nur ein kausales Handeln führe zur Haftung als Mittäter, gelöst und sich bei Ungewißheit über die Kausalität und deren Unerweislichkeit bereits mit einer dahingehenden Vermutung begnügt. Bemerkenswert bleibt aber sein Versuch, die Mittäterschaft als eine Erscheinungsform der Täterschaft und damit aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Kausalitätslehre zu erklären. 2. Oertmann

Ebenfalls allein mit objektiven Kriterien glaubt Oertmann die Mittäterschaft bestimmen zu können46 • Ausgehend vom Wortlaut sieht Oertmann allein die objektive Tatsache des gemeinschaftlichen Handeins als Besonderheit der Mittäterschaft an. Habe jede der in Frage stehenden Personen eine Ursache für den eingetretenen Erfolg in Gemeinschaft mit anderen gesetzt, so hafte sie als Mittäter. Folgerichtig glaubt Oertmann auf eine wie immer auch geartete innere Verbindung der Schädiger verzichten zu können: eines gemeinschaftlichen Planes oder einer subjektiven Kausalität in dem Sinne, daß jeder gerade deshalb gehandelt habe, weil der andere gehandelt habe, bedürfe es nicht. Von der "unechten Solidarität" 47 unterscheide sich § 830 I S. 1 nur in dem Punkte, daß im ersteren Falle jeder denselben Erfolg für sich selbständig hergestellt habe (zwei Wilddiebe verletzen ohne Kenntnis voneinander jeder den Förster tödlich), während bei der Mittäterschaft Gemeinschaftlichkeit der Herbeiführung notwendig sei48 • Ob die Gemeinschaftlichkeit notwendig war in dem Sinne, daß erst das Zusammentreffen beider Handlungen den Schadenseintritt ermöglichte, oder ob bereits das Verhalten eines der Mittäter ausgereicht hätte, den Erfolg herbeizuführen, seien lediglich unmaßgebliche Varianten des gleichen Haftungstatbestandes. 44 45

46 47 48

Traeger, S. 280/281, FN 3. Traeger, S. 280. Oertmann § 830 Anm. 2 b .

= Nebentäterschaft.

Oertmann § 830 Anm. 2 b.

3. Abschnitt: Ansicht des Schrifttums

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3. Die Ansicht bei PZanck- FZad Während Oertmann damit mit den vom RG in Band 58 S. 359 aufgestellten Grundsätzen übereinstimmt, nahm Flad49 diese Entscheidung zum Anlaß, in Abkehr von einer rein am Schadenserfolg orientierten Betrachtungsweise die Notwendigkeit einer subjektiven Gemeinschaft der Mittäter zu betonen. Ein tatsächliches Zusammenwirken mehrerer begründe eben für sich genommen noch keine Mittäterschaft, hinzu kommen müsse vielmehr ein "bewußtes und gewolltes Zusammenwirken" der Schädiger. Zur Begründung beruft sich Flad zum einen auf den Wortlaut, der nicht von einer gemeinschaftlichen Verursachung eines Schadens durch unerlaubte Handlungen mehrerer spreche, sondern Verursachung durch eine von mehreren gemeinschaftlich begangenen unerlaubten Handlung voraussetze. Entscheidendes Argument für eine subjektive Bestimmung der Mittäterschaft sei, daß § 830 I S. 1 nicht dem Grundsatz der Gesamtkausalität Rechnung trage, sondern - wie es Flad sehr deutlich herausstellt die Ausnahme von der Regel bedeute, daß jeder Schädiger nur für seinen Anteil an der Verursachung hafte. Während bei einem nur tatsächlichen Zusammenwirken der Anteil des einzelnen Schädigers an der gesamten Schadensverursachung zu messen und zu bestimmen sei und zur anteilsmäßigen Haftung des einzelnen Schädigers führe, könne sich der Mittäter, der bewußt und gewollt mit anderen zusammenwirke, auf seinen - eventuell meßbaren - Anteil gerade nicht berufen, hafte vielmehr auf Ersatz des gesamten Schadens, ohne daß dieser nach den Grundsätzen über den Kausalzusammenhang als durch seine Handlung verursacht anzusehen sei5°. Zur lllustration dient der viel zitierte Fall der Bauern, die ihr Vieh auf eine fremde Weide treiben51 • Jeder Bauer hafte für den entstandenen Schaden auf der Weide nur anteilsmäßig, nämlich auf den Bruchteil, den die Stückzahl seines Viehes im Verhältnis zur Gesamtzahl der weidenden Tiere ausmache. Haben die Bauern aber bewußt und gewollt zusammengewirkt, so hafte jeder in Höhe des gesamten Schadens. II. Die Ansidlt der heute herrsdlenden Meinung

Das Schrifttum ist geschlossen der Rechtsprechung gefolgt52 • Eine Ausnahme bildet lediglich Bydlinski, dessen Bedenken sich allerdings Flad in Planck - Flad § 830 Anm. 1 a. Ebd. 51 Vgl. bereits Crome Jherings J 35, 100, 109; Oertmann § 830 Anm. 5 ; Planck - Flad § 830 Anm. 1 a. 62 Vgl. statt aller: Palandt- Thomas § 830 Anm. 2. 49

5o

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1. Kap.: Die Mittäter

nur gegen die fehlende dogmatische Begründung richten; der im Ergebnis jedoch der Rechtsprechung 2JUStimmt113 • Der Satz, Mittäterschaft erfordere "bewußtes und gewolltes Zusammenwirken der mehreren" und der Hinweis, Mittäterschaft im Zivilrecht bedeute dasselbe wie im Strafrecht, so daß auf die strafrechtlichen Erläuterungswerke zu § 47 StGB verwiesen werden könne, findet sich nahezu bei jedem Kommentato:r-54 • Gleichwohl vermag die allgemeine Übereinstimmung nicht darüber hinwegzutäuschen, daß der Satz vom "bewußten und gewollten Zusammenwirken" keineswegs alle Zweifelsfragen ausgeräumt hat oder gar als "Stein des Weisen" für das Verständnis der Norm angesehen werden kann. Als zu Recht völlig unbestritten ist heute allerdings die grundsätzliche Überlegung, daß sich Mit- und Nebentäterschaft allein nach der subjektiven Willensrichtung der Täter unterscheiden lassen. Hingegen kann bereits die Frage, ob das Zusammenwirken der Mittäter nur vorsätzliches oder aber auch fahrlässiges Handeln umfaßt, im Schrifttum noch nicht als endgültig geklärt angesehen werden. Nach Ansicht von Floo reicht, da § 830 I S. 1 nur ganz allgemein eine unerlaubte Handlung voraussetze, der Vorwurf der Fahrlässigkeit aus16• Auf das Erfordernis des Bewußtseins und Willens, mit einem anderen zusammen einen konkreten Erfolg herbeizuführen, sei zu verzichten, soweit nur bei der Vornahme der Handlung (im Bauarbeiterfall: Herunterwerfen des Balkens) Wissen und Wollen sich auch auf die Tätigkeit als solche des anderen richte. Der Ansicht von Flad folgt Lehmann, der es genügen lassen will, wenn mehrere "irgendwie im bewußten Zusammenwirken an der unerlaubten Handlung teilnehmen"; das könne auch bei fahrlässigem Handeln möglich sein66. Neuerdings will auch Bydlinski offenbar die Beschränkung der Mittäterschaft auf vorsätzlich Handelnde aufgeben57 • Da er- wie noch darzustellen sein wird58 - die Solidarhaftung der Mittäter aus dem "besonders schweren Verschuldensvorwurf" herleitet119 , kann er es folges. unter nachfolgend III. Palandt- Thomas § 830 Anm. 2; Staudinger-Schäfer § 830 Rn. 2 und 4; RGRK- Haager § 830 Anm. 1. 55 Planck - Ftad § 830 Anm. 1 a. 56 Enneccerus- Lehmann § 247 I 1. 57 Bydtinski, Mittäterschaft, AcP 158, 410, 430. 58 s. unter nachfolgend 111. 59 Bydlinski, Mittäterschaft, AcP 158, 425. 53

54

3. Abschnitt: Ansicht des Schrifttums

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richtig nicht ausschließen, daß dieser Vorwurf im Einzelfall auch grob fahrlässig handelnden Personen zu machen ist60 • Dagegen lehnt die als herrschend zu bezeichnende Literaturmeinung die Anwendung des § 830 I S . 1 auf Fahrlässigkeitsdelikte ab. Für den fahrlässig verursachten Schaden habe jeder neben dem anderen einzustehen61. Nur ein "finales" Zusammenwirken könne Anknüpfungspunkt für die Gesamtzurechnung in § 830 I S. 1 sein. Deshalb sei Mittäter nur, wer vorsätzlich eine unerlaubte Handlung begangen habe62 • Zur Begründung wird weiter angeführt, daß der Wille, auch den Tatanteil eines anderen zu wollen, nur möglich bei vorsätzlichem Handeln sei83, oder: da Fahrlässigkeit ein Willensfehler des einzelnen sei, ein Mangel an Überlegung und daher rein verneinenden Inhalts, schließe ihr Wesen einen gemeinsamen bejahenden Entschluß aus84 • Während diese Streitfrage in der Literatur eine zum Teil ausführliche Würdigung erfährt, ist ein bei weitem grundsätzlicheres Problem unerwähnt geblieben. Es geht darum, ob der Satz der Rechtsprechung, der gemeinschaftliche Wille erzeuge die gemeinschaftliche Verursachung, eine Aussage zum Haftungsgrund oder zum Haftungsumfang beinhaltet. Das Schrifttum hat die Rechtsprechung offenbar im ersteren Sinne verstanden, ohne im Anschluß hieran die naheliegende Frage zu stellen, inwieweit sich dieser Satz mit dem Dogma, jeder hafte nur für nachweislich von ihm verursachte Schäden, vereinbaren läßt. Die Bemühungen, aus der subjektiven Verbindung der Mittäter bereits die Kausalitätsfrage zu beantworten, werden deutlich erkennbar bei Lehmann65 • Die Kausalität- so heißt es dort- beruhe darauf, daß jede einzelne Handlung mit der gesamten Tätigkeit der übrigen im Verhältnis gegenseitiger Bedingtheit steht, zum mindesten niemals klarzustellen sein wird, ob die unerlaubte Handlung auch ohne die Mitwirkung eines der Teilnehmer ebenso begangen sein würde. Mit anderen Worten: das bewußte und gewollte Zusammenwirken indiziert die Kausalität, mag diese nachweisbar sein oder auch nicht. 8o Ebd., S. 430. 61 Palandt- Thomas § 830 Anm. 2; RGRK- Raager § 830 Anm. 4; Staudinger- Schäfer § 830 Rn. 3; Erman- Drees § 830 Anm. 2 und 4 ; SoergelZeuner § 830 Rn. 2 und 4; Larenz Bd. II § 68 a, S. 456 Fn. 6. 62 Esser Bd. II § 112 I 1 a, S. 446/447. 83 Erman - Drees § 830 Anm. 2 und 4. 64 RGRK - Raager § 830 Anm. 2 a. ss Enneccerus - Lehmann § 247 I 1, S. 993, 994.

3 Brambring

1. Kap.:

34

Die Mittäter

Ähnliche Formulierungen finden sich bei anderen Kommentatoren: "der gemeinschaftliche Wille erzeugt die gemeinschaftliche Verursachung"88, "durch die Einheit des Willens erscheint der durch die Handlung der einzelnen verursachte Erfolg als das Ergebnis ihrer Gesamtwirksamkeit"", "bloße Anwesenheit reicht aus, sofern nur die Gemeinschaftlichkeit des Wollens vorhanden ist"87. Bereits die "bloße Anwesenheit" genüge als "Tatbeitrag", um solidarische Haftung zu begründenes. Das heißt aber doch nichts anderes, als daß auch das Schrifttum die bloße Möglichkeit, der Betreffende habe kausal den Schaden mitverursacht, für ausreichend erachtet; ja sogar noch weitergehend auf die Kausalitätsfrage überhaupt verzichten will, soweit nur Willensgemeinschaft der Täter herrscht. Konsequent wird daher teilweise der Schluß gezogen, bei Fällen, in denen der Nachweis kausaler Verursachung nicht gelinge, wirke § 830 I S. 1 haftungsbegründend69. m

Die Kritik Byclllnskls

Bydlinski hat in einer ausführlichen Darstellung die in Rechtsprechung und Schrifttum herrschende Ansicht einer dogmatischen Überprüfung unterzogenTo. Ausgangspunkt seiner Untersuchung ist die Frage, inwieweit die Ergebnisse dieser Meinung, die in dem Satz "der gemeinschaftliche Wille erzeuge die gemeinschaftliche Verursachung" ihre weitestgehende Interpretation des bewußten und gewollten Zusammenwirkens gefunden hat, sich mit der unbestritten im Zivilrecht gültigen Kausaltheorie vereinbaren lasse. Nach der Adaequanzlehre ist Mindestvoraussetzung für die Haftung aus einer unerlaubten Handlung, daß der Schädiger eine Bedingung für den Erfolg gesetzt hat, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfiele. Ist der fragliche Umstand keine conditio sine qua non, so entfällt die Zurechenbarkeit der Folgen. &6

67 68

RGRK - Haager § 830 Anm. 3. Soergel - Zeuner § 830 Rn. 4. Staudinger-Schäfer § 830 Rn. 4; Soergel- Zeuner § 830 Rn. 4; Erman-

Drees § 830 Anm. 2. 69 Gernhuber JZ 61, 148, 149, Fn. 5; Buxbaum, S. 3; Rumpf, S. 51. 10 Bydlinski, Mittäterschaft, AcP 158, 410 ff.

3. Abschnitt: Ansicht des Schrifttums

35

Nach Ansicht Bydlinskis muß die h. M. zu dogmatischen Schwierigkeiten kommen, wenn sie es unternehmen würde, ihre Ergebnisse zu § 830 I S.l mit diesem "Dogma" zu vereinbaren71• Unproblematisch sei sicherlich die Gruppe von Fällen, in denen Schädiger im bewußten und gewollten Zusammenwirken handeln, und auch die Kausalität jeder Einzelhandlung für den Gesamterfolg ohne weiteres sich bereits aus den objektiven Gegebenheiten nachweisen lasse. Rauben etwa A und B ihr Opfer nach gemeinsamem Plan in der Weise aus, daß A dem Überfallenen die Brieftasche herauszieht und B ihn festhält, so sei deren Haftung aus § 830 I S. 1 sicherlich völlig zweifelsfreF2 • Anders aber liege es bei den Sachverhalten, in denen jemand in keiner Weise physisch sich betätigt hat - insoweit also auch keinen ursächlichen Tatbeitrag geleistet hat - vielmehr sein "Tatbeitrag" in einer psychischen Beeinflussung der den Schaden verursachenden Person zu sehen sei. Haben etwa- so ein Beispiel von ihm73 - zwei Täteraufgrund gemeinsamen Planes ein Seil über einen Weg gespannt, um einen Dritten zu Fall zu bringen, was ihnen auch gelingt, so haben diese beiden Täter dem Verletzten sicherlich Ersatz zu leisten. Wie aber steht es mit weiteren Personen, die von dem Plan erfahren, sich ihm angeschlossen haben und hinter dem ersten ein zweites "Reserve"-Seil gespannt haben? Das Spannen des Seiles als physische Ursache hat gewiß außer Betracht zu bleiben, infrage steht nur eine psychische Beteiligung, die dann Bedingung der Schadensverursachung wäre, wenn die beiden ersten Täter ohne die Beteiligung der beiden anderen überhaupt nicht gehandelt hätten. Könne dieser Nachweis nicht geführt werden, so bestehe lediglich ein dahingehender Verdacht. Bydlinski glaubt nachweisen zu können, daß die h. M. ihr Dogma, jeder hafte nur für nachweislich von ihm verursachte Schäden, längst für die Mittäterschaft - stillschweigend - aufgegeben habe. Dies gelte insbesondere für die sogenannte psychische Mittäterschaft, bei der sich der Tatbeitrag in der Bestärkung des Täterentschlusses erschöpfe. Hier könne oft das festgestellte bewußte und gewollte Zusammenwirken allenfalls einen Kausalitätsverdacht gegen jeden Beteiligten begründen, den die herrschende Meinung offenbar genügen lassen wolle74 . Ebd., Ebd., 73 Ebd., 74 Ebd.,

11 72

S. 411. S. 412. S. 413. S. 413, 416.

36

1. Kap.: Die Mittäter

Im Ergebnis stimmt Bydlinski der h. M. weitgehend zu. Nach seiner Ansicht reicht die bloße Möglichkeit der Verursachung für die Bejahung der Haftung als Mittäter aus; sie sei sogar das entscheidende Haftungselement der Mittäterschaft. Insofern bestehe eine Parallele zur "Beteiligung" im Sinne von § 830 I S. 2. Beide Alternativen der Mehrtäterschaft erforderten lediglich mögliche Kausalität. Hier wie dort finde der Verzicht auf den Kausalitätsnachweis seine Rechtfertigung in weiteren besonderen Umständen. Bei der Beteiligung sei dies die größere Schadensnähe, bei der Mittäterschaft das besonders schwere Verschulden der mehrerenn. In Konsequenz seiner These vom Kausalitätsverdacht will aber Bydlinski - und insoweit glaubt er der h. M. widersprechen zu müssen jedem Beteiligten die Möglichkeit offenhalten nachzuweisen, daß seine Mitwirkung nicht ursächlich geworden ist. Gelinge ihm der Nachweis, so entfalle auch seine Haftung7e. Dieses goldene Tor in die Haftungsfreiheit erweist sich allerdings im Laufe der weiteren Überlegungen Bydlinskis als nur scheinbarer Erfolg für den Mittäter. Sollte ihm nämlich der Nachweis der Nichtursächlichkeit seines Verhaltens gelingen, so entgeht er damit noch nicht dem Vorwurf, er sei in der Lage gewesen, den Erfolg abzuwenden und habe dies rechtswidrig und schuldhaft versäumt; er hafte also zwar nicht aus positivem Tun gleichwohl aber aus Unterlassen77. Eine Pflicht zur Abwendung des Schadens ergebe sich in den meisten Fällen aus der Regel, daß derjenige, der eine Gefahr selbst mitgeschaffen hat {der Mittäter hat sich ja bereits an dem unerlaubten Zusammenwirken beteiligt), auch verpflichtet sei, den drohenden Schaden abzuwenden78. Damit bestätigt Bydlinski die Ergebnisse der h. M., versucht sie lediglich auch dogmatisch mit der Kausalitätslehre in Einklang zu bringen, indem er die Norm als Ausnahmevorschrift begreift. 4. Abschnitt

Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag A. Analyse der Entwicklung in der Rechtsprechung Auch wenn heute in Rechtsprechung und Schrifttum praktisch kein Meinungsstreit mehr darüber besteht, welches die Voraussetzungen Ebd., Ebd., 11 Ebd., 78 Ebd., 75

16

S. 423 ff., 428 ff., 430. S. 418 ff., 430. S. 422. S. 424/425.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

37

einer "gemeinschaftlich begangenen unerlaubten Handlung" sind, so vermag diese offensichtliche Übereinstimmung nicht darüber hinwegzutäuschen, daß die Lehre, die die Formel vom "bewußten und gewollten Zusammenwirken" geprägt und fortentwickelt hat, einer dogmatischen Überprüfung nicht standzuhalten vermag. Dies hat Bydlinski erkannt. Er hat nachgewiesen, daß sich die Rechtsprechung und der größte Teil des Schrifttums im Bereich der Mittäterschaft längst von der im Deliktsrecht gültigen Bedingungstheorie gelöst hat. Es muß auffallen, daß in keiner Entscheidung und an keiner Stelle im Schrifttum der Versuch unternommen wird, die eigene These, "der gemeinschaftliche Wille erzeuge die gemeinschaftliche Verursachung", anband der allgemeinen Kausalitätslehre zu überprüfen, seine Vereinbarkeit mit den allgemeinen Grundsätzen zu bejahen oder zu begründen, welche Gesichtspunkte es rechtfertigen, eine Ausnahme zu machen. Dieses Selbstverständnis erklärt sich aus der Entwicklung des Begriffs der Mittäterschaft in der Rechtsprechung und im Schrifttum, eine Entwicklung, die beginnend mit der Entscheidung des RG vom 30. 6. 190479 bis letztlich zum Urteil des BGH vom 11.5.197180 drei Phasen erkennen läßt. 1. Phase: Mittäterschaft als Problem der Kausalität

Im sogenannten Knallerbsenfall hat das RG die "gemeinschaftliche unerlaubte Handlung" ausschließlich als Problem der Gesamtkausalität gesehen: stellt sich der Schaden als das Produkt der Gesamtwirkung der Handlungen einzelner dar, so ist jeder einzelne Mittäter. Einzig und allein objektive Kriterien entscheiden darüber, ob jemand für den Schadenserfolg, der von einem anderen mitverursacht ist, als Mittäter einzustehen hat oder nicht81 • Ähnlich glaubte Traeger allein mit der Lehre von der adaequaten Bedingung als Voraussetzung jeder Schadenshaftung die Erscheinungsform der Mittäterschaft erklären zu können: hat jemand den ganzen Erfolg adaequat verursacht, so haftet er auch für den ganzen daraus entstehenden Schaden, gleichgültig, ob andere ebenfalls Bedingungen für den Erfolg gesetzt haben oder nicht82 • Dieser Ansicht scheint insoweit beizupflichten zu sein, als sie für die Haftung eines jeden Mittäters als Mindestvoraussetzung verlangt, daß RGZ 58, 357 ff. BGH NJW 72, 40 ff. s1 RGZ 58, 357 ff. Vgl. auch oben 2. Abschnitt unter A. 82 Traeger, S. 287 ff. Vgl. auch oben 3. Abschnitt unter I. 1.

79

80

1. Kap.: Die Mittäter

38

er eine Bedingung gesetzt hat, mit anderen Worten: jeder Mittäter muß Täter im Sinne der Adaequanzlehre sein. 2. Phase: Mittäterschaft als Problem der Kausalität und der Willensrichtung Andererseits vermochte diese Meinung es nicht, die notwendige Unterscheidung zwischen Mit- und Nebentäterschaft zu treffen. Die Notwendigkeit einer Abgrenzung steht erkennbar in den folgenden Entscheidungen im Vordergrund82• Es ist gesehen worden, daß sich die Mit- von der Nebentäterschaft nicht mit objektiven Kriterien, sondern nur mit subjektiven Kriterien vornehmen läßt. Bereits Oertmann hat gezeigt, daß der rein tatsächliche Zusammenhang zweier zum Erfolg führender Ursachenketten, selbst wenn sie in einer gegenseitigen Bedingtheit für den Schadenseintritt stehen, die Frage, ob eine gemeinschaftlich begangene unerlaubte Handlung vorliegt, nicht zu beantworten vermag. Hierüber muß zu Recht die subjektive Willensrichtung der Schädiger entscheiden83• Die Frage, wie diese Willensgemeinschaft geartet sei, bestimmte folglich die Auseinandersetzung in Rechtsprechung und Literatur. Dabei ist die vor allem in ihrer methodischen Klarheit vereinzelt gebliebene Entscheidung des RG aus dem Jahre 1922 von besonderem Interesse84• Das RG prüft hier die Mittäterschaft unter zwei Voraussetzungen, nämlich einmal, ob überhaupt der Tatbeitrag des einzelnen für den Erfolg ursächlich geworden ist und dies auch nachweisbar ist (äußerer Tatbestand), zum anderen, ob zwischen den mehreren Beteiligten ein bewußtes und gewolltes Zusammenwirken vorliegt (innerer Tatbestand). Vereinfacht ausgedrückt prüft das RG, ob der Schädiger Täter ist und ob er darüber hinaus auch Mittäter ist. Die Entscheidung steht im Einklang mit den anerkannten Grundsätzen der Kausallehre, auf denen aufbauend die Besonderheit der Haftung als Mittäter in der subjektiven Verbindung der Täter gesehen wird. Diese Trennung zwischen äußerem und innerem Tatbestand ist in den nachfolgenden Entscheidungen wieder aufgegeben worden mit der Folge, daß die Begründung der Gerichte und die Ausführungen des Schrifttums die Prüfung der Kausalitätsfrage völlig vermissen lassen. Diese Entwicklung ist offensichtlich unbewußt erfolgt, da sich nirgends eine Erklärung findet, weshalb auf die Feststellung des ursächlichen Tatbeitrages gerade bei der Haftung des Mittäters verzichtet werden könne. 82 83 84

Vgl. die in FN 19 ff. zitierten Entscheidungen.

Oertmann § 830 Anm. 2 b. RG Gruchot 67, Nr. 13, S. 187 ff.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

39

Die Gründe dieser unbewußt erfolgenden Verschiebung in ein mehr und mehr rein subjektives Verständnis des § 830 I S.l ist allerdings erkennbar. Zum einen ist es die Kritik an den Grundsätzen, die das RG im 58. Bd. aufgestellt hat85• Bis hin zum BGH im 30. Bd.81f haben die Gerichte diese frühe Entscheidung immer wieder zum Anlaß genommen, die Notwendigkeit einer subjektiven Verbindung der Mittäter zu betonen. Des weiteren bereiteten Fälle sogenannter psychischer Anstiftung erhebliche Schwierigkeiten. Bydlinski81 hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die vorgenommene Ableitung der Ursächlichkeit eines jeden Beteiligten aus dem bewußten und gewollten Zusammenwirken letztlich als Versuch der Gerichte erklärt werden kann, einen Ausweg aus einer für den Geschädigten äußerst schwierigen Beweissituation zu finden. Denn einem untätigen Teilnehmer wird die Ursächlichkeit etwa seiner Beeinflussung auf den tätigen Teilnehmer in der Regel nur sehr schwer nachzuweisen sein. Der entscheidende Grund ist aber wohl darin zu sehen, daß die Gerichte zu begründen hatten, warum ein Mittäter, der nachweislich nur einen Teil des Schadens unmittelbar verursacht hatte, oder gar an der Schadensverursachung unmittelbar nicht beteiligt war, sich etwa an einer Körperverletzung "nicht tätig beteiligt hatte", gleichwohl für den ganzen Schaden einzustehen hat88• Zur Begründung der Haftung auf das Ganze findet sich dann erstmals der Satz: "die Gemeinschaft des Willens erzeugte die gemeinschaftliche Verursachung"ss. Es muß aber noch einmal betont werden, daß das RG diese Aussage zum Haftungsumfang, nicht aber zum Haftungsgrund gemacht hat. Denn die obige Entscheidung fährt fort: allein die Beteiligung an der "Gegnerschaft" reiche nicht aus, erforderlich sei vielmehr eine "Mitwirkung", ein "Tätigkeitsakt", der nicht nur abstrakt möglich sein, sondern sich aus dem konkreten Sachverhalt ergeben müsse88. 3. Phase: Mittäterschaft als Problem der Willensrichtung und des Kausalitätsverdachtes Die Rechtsprechung des BGH ist schließlich noch einen Schritt weitergegangen. Bereits in der Entscheidung vom 25. 5. 195589 wird auf die 85

RGZ 58, 357 ff.

8&

BGHZ 30, 203, 206.

89

BGHZ 17, 327.

87 Bydlinski, Mittäterschaft, AcP 158, S. 413, 416. 88 RG Gruchot 51, Nr. 83, S. 990, 994.

1. Kap.: Die Mittäter

40

Feststellung, worin der kausal gewordene Tatbeitrag des angeblichen Mittäters liegt, warum "die durch Ermunterung bewußt unterstützende Tätigkeit" im konkreten Sachverhalt sich als Bedingung für den Entschluß des Denunzianten zur Anzeige darstellt, verzichtet und allein auf die festgestellte Willensgemeinschaft abgestellt90 • Noch deutlicher wird der Verzicht auf den Nachweis eines kausalen Tatbeitrages in dem Urteil des BGH vom 11. 5. 1971 91 • Das Gericht hatte es ausdrücklich offengelassen, ob der Beklagte eine Ursache für den Schaden gesetzt hatte, diese Frage für seine Haftung als Mittäter auch für unerheblich erachtet, also den aus der Teilnahme am Werfen ergebenden Kausalitätsverdacht und das bewußte und gewollte Zusammenwirken als Haftungsvoraussetzungen genügen lassen. Der Satz, "der gemeinschaftliche Wille erzeugt die gemeinschaftliche Verursachung" hat also nach Ansicht des BGH Gültigkeit bei der Prüfung des HaftungsgrundesB2. Die h. M. hat nicht auf dem Wege einer begründeten Abkehr von der allgemeinen Kausallehre zu ihrer Ansicht gefunden, vielmehr durch die einseitige Betonung des gemeinschaftlichen W ollens der Mittäter als entscheidendem Merkmal sowohl für eine Abgrenzung zur Nebentäterschaft als auch zur Begründung der Haftung für den gesamten Schaden die Aussagekraft einer festgestellten subjektiven Gemeinschaftlichkeit immer weiter gezogen, bis schließlich aus der Willensrichtung auch die Kausalitätsfrage beantwortet wurde. B. Kritik an der herrschenden Meinung I. Die Defini,ion des Mittäters im Zlvilredlt entspridlt nldlt der des Mittäters im Strafredlt

Es erscheint fragwürdig, in der Vorschrift des § 830 I S. 1 eine selbständige - auf den Kausalitätsnachweis verzichtende - Haftungsgrundlage zu sehen. Die hierfür vorgebrachten Begründungen vermögen nicht zu überzeugen. Nach Ansicht der h. M. entspricht der Begriff der Mittäterschaft dem des Strafrechts in§ 47 StGB (bzw. § 25 des 2. StRG)B3. In Wirklichkeit ist das nicht der Fall. Richtig ist, daß im Mittelpunkt der strafrechtlichen Erörterung ebenfalls die Frage steht, unter welchen BGHZ 17, 333. BGH NJW 72, 40 ff. 92 BGHZ 17, 327, 333. 93 Allgemeiner Teil des Strafgesetzbuches in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 4. Juli 1969, BGBl I, S. 717. 90 91

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

41

subjektiven Voraussetzungen eine Straftat "gemeinschaftlich ausgeführt" (§ 47 StGB) bzw. "gemeinschaftlich begangen" (§ 25 StGB) worden ist, und hierbei die Formel vom bewußten und gewollten Zusammenwirken gebräuchlich ist94 • Die Feststellung der Willensrichtung wird auch für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme als entscheidend angesehen. Da diese Frage nicht nur dogmatisch von Interesse, sondern auch von praktischer Bedeutung (Ermäßigung der Strafe, § 47 StGB) ist, ist es verständlich, daß die Kommentierung das Schwergewicht hierauf gelegt hat95• Im Strafrecht ist es aber völlig unbestritten, daß der Mittäter zunächst einmal Täter ist, er also auch als Mittäter sich nur strafbar gemacht hat, wenn er eine Bedingung für den tatbestandsmäßigen Erfolg gesetzt hat96• Demnach unterscheidet etwa Sehröder mit aller Deutlichkeit zwei Voraussetzungen der strafrechtlichen Mittäterschaft: zum einen den gemeinschaftlichen Entschluß und zum anderen den kausalen Beitrag97 • Eine ähnliche Formulierung findet sich im Kommentar von LacknerMaassen: Mittäterschaft setzt den gemeinschaftlichen Entschluß und einen objektiven Tatbeitrag, der für die Tatbestandsverwirklichung irgendwie mit ursächlich ist, voraus98• Damit steht die Literatur völlig in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung. So heißt es z. B. in einer Entscheidung des BGH im 14. Band wörtlich: "Mittäterschaft setzt ein zur Verwirklichung des Tatbestandes beitragendes Handeln voraus", das der Feststellung durch das Gericht bedarf99 • In einer anderen Entscheidung hat der BGH das Urteil der Vorinstanz aufgehoben, weil er die tatsächliche Feststellung vermißt, der als Mittäter verurteilte Beklagte habe irgendeine auf die unmittelbare Durchführung der Straftat gerichtete Tätigkeit entfaltet. Daß er die Tat seines Kumpans als eigene gewollt habe, reiche für sich allein zur Bejahung der Mittäterschaft nicht austOO. Für die Verurteilung als Mittäter genügt nicht die bloße Beteiligung an einer Verabredung, die nicht in irgendeiner Weise stärkend auf Vgl. RGSt 58, 279; Lackner- Maassen § 47 Anm. 2. Dies mag mit eine Erklärung dafür sein, daß die hM im Zivilrecht ihre Ansicht im Einklang mit der Strafrechtslehre glaubt. 96 Vgl. statt aller Maurach AT § 49 I A, S. 465 und die folgenden Nachweise. 97 Schönke- Sehröder § 47 Anm. 3. 98 Lackner- Maassen § 47 Anm. 2 b unter Berufung auf BGH 4 StR 138/67, Urteil vom 14. 7. 1967. 99 BGHSt 14, 123, 128; vgl. auch BGHSt 16, 12, 14. 1oo BGH 3 StR 501/52 zitiert bei Dallinger: Aus der Rechtsprechung des BGH in Strafsachen, MDR 52, 270, 271 (zu § 47). 94

95

L Kap.: Die Mittäter

42

den Täterwillen des anderen wirkt101, ebensowenig ein gemeinsames Planen ohne nachgewiesene Kausalität für die Tatbestandsverwirklichung102. Damit wird aber nur ein Grundsatz bestätigt, der im Strafrecht völlig unbestritten ist: hat der Täter keine Bedingung für den tatbestandsmäßigen Erfolg gesetzt, ist ihm der Erfolg auch nicht zuzurechnen1o3. Die Verweisung des Schrifttums auf die Ergebnisse der strafrechtlichen Rechtsprechung und Literatur ergeben demnach einen Widerspruch zur Zivilrechtslehre. Während im Strafrecht an der geltenden Kausalitätslehre in vollem Umfang auch bei der Mittäterschaft festgehalten wird - eine Tatsache, die sich augenfällig erhellt durch die gebräuchliche Unterscheidung zwischen einer objektiven Seite (dem kausalen Tatbeitrag) und einer subjektiven Seite der Mittäterschaft (dem gemeinschaftlichen Entschluß) -, verzichtet man im Zivilrecht nicht nur auf die gesonderte Überprüfung beider Voraussetzungen, sondern leitet sogar aus dem Vorliegen der "subjektiven Seite" der Mittäterschaft einen Kausalitätsverdacht ab, der die objektive Voraussetzung der Haftung erfüllt. Damit erweist sich, daß die angebliche Übereinstimmung mit dem strafrechtlichen Begriff der Mittäterschaft nicht besteht, diese nur wiederherzustellen wäre, wenn auch für die Mittäterschaft die Grundsätze der Bedingungstheorie wieder Geltung hätten. II. Der Kausalitätsverdacht allein vermag die Haftung des Mittäters nicht zu rechtfertigen

1. Widerlegung des Gedankens von der "Gewinnabwehrfunktion" des § 830 I S. 1 Die dogmatische Begründung, die Bydlinski für die herrschende Meinung gegeben hat, vermag nicht zu überzeugen. Wie ausgeführt104 , läßt sich nach seiner Ansicht die strenge Haftung der Mittäter aus § 830 I S. 1 ohne Nachweis kausalen Handeins damit rechtfertigen, daß gemeinschaftlich Handelnde ein besonders schwerer Schuldvorwurf treffe. Diese Begründung muß deshalb überraschen, weil er im gleichen Zusammenhang wörtlich ausführt: 1o1 1o2 103 104

RG JW 36, 8.1913; Schönke- Sehröder § 47 Anm. 6. Baumann AT § 36 I 3, S. 546. Maurach AT § 18 III, S. 206. Vgl. vorstehend 3. Abschnitt unter III.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

43

"Besondere Gefährlichkeit, daher wohl auch die durch den Zusammenschluß begründete, vermag doch an sich selbst bei schwerstem Verschulden ohne Kausalität keine Ersatzpflicht zu begründen105. " Dieser Satz ist sicherlich richtig, wie das Beispiel beweist. Haben A und B unabhängig voneinander auf C geschossen, hat nur A getroffen, so haftet A, nicht aber B. Etwas anderes soll nach der h. M. gelten, wenn B den A zur Tat ermuntert hat, und die Möglichkeit besteht, daß diese Ermunterung für das Schießen des A ursächlich geworden ist.

Bydlinski glaubt dieses Ergebnis mit der "Gewinnabwehrfunktion" des Schadensrechts erklären zu können106• Es mag dahinstehen, ob dieser Gedanke die Haftung des Beteiligten im Sinne § 830 I S. 2 zu begründen vermag107, die Parallele zu dem nur möglicherweise kausalen Mittäter läßt sich auf jeden Fall nicht ziehen. Die Haftung des möglicherweise kausalen Mittäters setzt immer voraus, daß ein weiterer Mittäter kausal gehandelt hat. Hiervon geht auch Bydlinski aus, wie sein Beispiel in diesem Zusammenhang beweistl08: Die Bergsteiger A und B haben absichtlich Steine auf C losgelassen; nur von A gelöste Steine haben getroffen. Da A und B aufgrund gemeinsamen Entschlusses gehandelt haben, richtet sich gegen B ein Kausalitätsverdacht, durch eine psychische Beeinflussung für den Schaden ebenfalls kausal geworden zu sein. Bei dieser Fallkonstellation bedarf es aber nicht des Gedankens der Gewinnabwehrfunktion des Schadensrechts um C nicht ohne Schadensausgleich zu lassen, da er einen Anspruch auf Schadensersatz gegen A hat. Bydlinski verkennt, daß bei allen Fällen psychischer Mittäterschaft - um diese Fälle geht es ja - nicht erst "die Summe der als ursprünglich in Betracht kommenden unerlaubten Handlung sichere conditio sine qua non für den Schaden" 109 ist, sondern eine sichere Bedingung für den Schaden feststeht (Mittäter A) und fraglich ist, ob neben ihm eine weitere Person ebenfalls kausaler Täter geworden ist. Bei der psychischen Mittäterschaft geht es nicht darum, dem Geschädigten überhaupt einen Anspruch zu geben, sondern darum, ob neben Bydlinski, Mittäterschaft, AcP 158, 421. Ebd., S. 426. 107 Vgl. nachstehend 3. Kap. 3. Abschnitt unter D I. tos Ebd., S. 426, Fn. 32. 109 Ebd., S. 427. 105 106

44

1. Kap.: Die Mittäter

einem als physischem Verursacher feststehenden Täter auch eine weitere Person wegen psychischer Teilnahme für den Schadensausgleich aufzukommen hat. Wenn dem Geschädigten aber bereits ein Anspruch zusteht, entfällt die Notwendigkeit, für "die Rechtsordnung, auch den bloß möglicherweise kausalen Täter mit der Verantwortung für den Schaden" zu belasten109 und damit auch die Grundlage für die Konstruktion der Haftung aus der Funktion der Gewinnabwehr des Schadensrechts.

2. Unvereinbarkeit mit dem Wortlaut Die Behauptung Bydlinskis, sowohl bei der Mittäterschaft im Sinne § 830 I S. 1 BGB als auch bei der Beteiligung im Sinne § 830 I S. 2 genüge die Möglichkeit der Kausalität für die Ersatzpflicht, läßt sich überdies mit dem Wortlaut des Gesetzes widerlegen. § 830 I S. 1 verlangt, daß mehrere einen Schaden "verursacht" haben. Voraussetzung der Haftung ist also der Nachweis ursächlichen Verhaltens, und zwar nicht der Gesamtheit der Mittäter, die es als solche nicht gibt, sondern jedes einzelnen Mittäters.

Auf den Nachweis der Ursächlichkeit verzichtet als Ausnahmenorm § 830 I S. 2. Dieser Anspruch geht davon aus, daß dem Geschädigten der Nachweis ursächlichen Verhaltens gegenüber jedem Beteiligten nicht gelungen ist. In Fällen psychischer Mittäterschaft hat der Geschädigte aber bereits den Beweis geführt, daß der oder die physisch handelnden Täter seinen Schaden verursacht haben. Ist ihm dieser Beweis nicht gelungen, so will wohl auch Bydlinski eine Haftung des Mittäters, dessen Tatbeitrag in einer möglicherweise kausalen psychischen Einwirkung auf den ebenfalls nur möglicherweise kausalen physisch handelnden Mittäter ablehnen. Hat A vorsätzlich einen Stein losgetreten und ist B für diese Handlung möglicherweise psychisch kausal, so haften sicherlich weder A und B, wenn durch Zufall sich ein weiterer Stein gelöst hat, der möglicherweise für die Verletzung des C kausal geworden ist109 • Das eigene Unbehagen an dem gewonnenen Ergebnis einer Haftung bei nur möglicher Kausalität wird bei Bydlinski deutlich, wenn er in Abweichung der gesetzlichen Regeln eine Schadensverteilung zwischen Schädigerund Geschädigtem nach dem Maße der "Verursachungswahrscheinlichkeit" als Billigkeitsentscheidung vorschlägt110 • uo Ebd., S. 427 - ein Gedanke, den Bydlinski in seiner Schrift "Probleme der Schadensverursachung" bei Konkurrenz zwischen Verschulden und Zufall wiederholt (S. 86 ff.), ohne aber konkretere Anhaltspunkte für die Bewertung der "Verursachungswahrscheinlichkeit" zu geben-.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

45

Wie allerdings der der "Verursachungswahrscheinlichkeit" entsprechende Schadensanteil des psychischen Mittäters berechnet werden soll, läßt Bydlinski offen. Für diese Fälle Berechnungsmodalitäten zu schaffen, muß aber auch von Anfang an als ein unmögliches Unterfangen angesehen werden. Es ist daher festzustellen, daß weder die Verweisung auf den strafrechtlichen Begriff der Mittäterschaft noch die von Bydlinski vorgebrachten Argumente den Schluß zu erhärten vermögen, § 830 I S. I verzichte auf den Nachweis der Kausalität und sei daher eine eigene Haftungsgrundlage. Der entscheidende Grund, warum die Rechtsprechung, der das Schrifttum gerade in Fällen psychischer Mittäterschaft willig gefolgt ist, auf die Kausalitätsprüfung verzichtet, liegt in Wirklichkeit wohl darin, daß es dem Geschädigten in der Regel schwer fallen wird, etwa die Kausalität einer durch Ermunterung unterstützenden Tätigkeit nachzuweisen. Um dem Geschädigten in seiner Beweisnotlage zu helfen, hat man geglaubt, auf den Kausalitätsnachweis verzichten zu müssen. Diese Schlußfolgerung vermag nicht zu überzeugen, ihr fehlt auch jede Berechtigung. Das Gesetz hat den Schwierigkeiten des Geschädigten, die Ursächlichkeit eines Verhaltens nachweisen zu müssen, nur für die von § 830 I S . 2 erfaßten Fallgestaltungen Rechnung getragen. Liegen die dort aufgestellten Voraussetzungen nicht vor, so muß es bei dem Grundsatz bleiben, daß niemand allein aus einem Kausalitätsverdacht selbst bei schwerstem Verschulden haftet. Das Ergebnis ist auch nicht unbillig. Anders als in den Fällen der Beteiligung, in denen die mißlungene Beweisführung zur völligen Versagung des Schadensausgleiches führen würde, ändert die Unmöglichkeit, dem psychischen Teilnehmer die Kausalität seines Verhaltens nachzuweisen, nichts daran, daß der physisch handelnde Teilnehmer haftet- und zwar als Alleintäter. Ist der Schaden möglicherweise auf die Verhaltensweisen mehrerer zurückzuführen, so kommt für diese eine Haftung als Beteiligte in Betracht, soweit die besonderen Voraussetzungen des § 830 I 2 vorliegen111. 111 Deshalb ist auch die Entscheidung des BGH vom 11. 5. 1971 (NJW 72, 40 ff.) abzulehnen. Hier lag - selbst nach Ansicht der Rechtsprechung - die typische Fallkonstellation des § 830 I, S. 2 vor. Schwer verständlich muß es bleiben, wenn der BGH die Möglichkeit einräumt, der Beklagte hafte nicht aus möglicher Kausalität, um ihn dann aus nachgewiesener Kausalität zu verurteilen.

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1. Kap.: Die Mittäter

C. Eigener Lösungsvorschlag I. § 830 I S. 1 ist keine haftungsbegründende Norm: sie setzt also den Namweis eines kausalen Tatbeitrages eines jeden der Mittäter voraus

Die Untersuchung hat erwiesen, daß weder dogmatische noch praktische Gründe die herrschende Lehre zu rechtfertigen vermögen, so daß auch kein sinnfälliger Anlaß besteht, für Mittäter andere Kausalitätsmaßstäbe anzulegen als für Alleintäter. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die Strafrechtslehre; es steht aber auch im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des RG. Die Haftung des Mittäters setzt also zunächst den Nachweis eines ursächlichen Tatbeitrages voraus. Ob der Tatbeitrag ursächlich geworden ist, läßt sich weder aus dem gemeinsamen Willensentschluß herleiten noch kann auf die Feststellung, selbst bei Kausalitätsverdacht, verzichtet werden. Die gewonnenen Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Die Haftung des Mittäters setzt den Nachweis eines eigenen

ursächlichen Tatbeitrages für den Schadenserfolg voraus.

2. Nur mögliche Kausalität (Kausalitätsverdacht) reicht nicht aus, selbst wenn die Mittäter bewußt und gewollt zusammengewirkt haben. 3. Der Satz, "der gemeinsame Wille erzeugt die gemeinsame Verursachung" ist, soweit es den Haftungsgrund betrifft, unanwendbar. 4. § 830 I S. 1 wirkt nicht haftungsbegründend, setzt vielmehr eine unerlaubte Handlung i. S. der §§ 823 ff. voraus.

n. Methodisme Trennung von objektivem und subjektivem Tatbestand

Das gewonnene Zwischenergebnis legt es nahe, ähnlich wie bereits das RG in der erwähnten Entscheidung112 und die Strafrechtslehre auch methodisch die "äußere Seite" oder "objektive Seite" der Mittäterschaft scharf von der "inneren" bzw. "subjektiven Seite" zu trennen. Die "objektive Seite" der Mittäterschaft erfordert demnach ein rechtswidriges und für den Erfolg ursächliches Handeln eines jeden Täters i. S. der Adaequanztheorie. Die "subjektive Seite" setzt zunächst voraus, daß der Mittäter schuldhaft gehandelt hat. Im subjektiven Bereich, also nach der Willensrichtung, ist weiterhin die Unterscheidung von Mit- und Nebentäterschaft sowie von Mittäterschaft und Anstiftung bzw. Beihilfe nach Abs. II vorzunehmen. 112

RG Gruchot 67, Nr. 13, S. 187 ff.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

47

Hier kann in Anlehnung an das Strafrecht zunächst ganz allgemein gesagt werden: will der Schädiger die unerlaubte Handlung als eigene, so ist er Täter, will er sie als fremde, so ist er Anstifter oder Gehilfe, will er sie als gemeinschaftliche, so ist er Mittäter. 111. Funktion des § 830 I S. 1

Hier aber bereits stellt sich die Frage, welcher Sinngehalt der Regelung des § 830 I S. 1 überhaupt noch zukommt, wenn die Bedeutung der Vorschrüt nicht darin zu sehen ist, daß sie bei möglicher Kausalität haftungsbegründend wirkt. (Die gleiche Frage könnte man übrigens mit gleicher Berechtigung zu § 47 StGB stellen.) Nach der Bedingungstheorie und dem Postulat der Gleichwertigkeit aller Bedingungen könnte man meinen, die solidarische Haftung der Mittäter ergebe sich bereits aus dem jeweils zugrundeliegenden Haftungstatbestand i. V. mit § 840 I. Das ist jedoch nur scheinbar richtig. Es ist unbestritten, daß Nebentäter, deren jeweiliger Schadensanteil feststellbar ist, auch nur in Höhe dieses Anteils haften113 • Damit wird etwas an sich Selbstverständliches wiederholt. Haben etwa A und B unabhängig voneinander auf C geschossen, hat A den C am Arm verletzt, B aber nur den Hut durchlöchert, so ist A für die Verletzung und B für den Schaden am Hut ersatzpflichtig. Anders wenn beide durch eine gemeinschaftlich begangene unerlaubte Handlung den Schaden verursacht haben. Hier kann sich B, da er eine Bedingung auch für die Verletzung gesetzt hat -indem er etwa aufgrunddes gemeinsamen Plans den C herbeigelockt hat- nicht darauf berufen, er habe nur für den durchschossenen Hut Ersatz zu leisten. Dieser Fall benötigt sicherlich nicht den § 830 I S.l, um die Haftung des B auf Ersatz des gesamten Schaden zu begründen. Anders jedoch in folgendem Fall: Haben mehrere Bauern ihr Vieh - unabhängig voneinander - auf die Weide eines Dritten getrieben, so hat jeder einzelne Bauer eine Bedingung für den einheitlichen Schaden des Dritten gesetzt, da der Schaden an der Weide zumindest nicht in diesem Umfang eingetreten wäre. Gleichwohl ist es unbestritten, daß bei derartigen Fällen der Nebentäterschaft der Gesamtschaden je nach Maß der Verursachung durch die Schädiger aufzuteilen ist. Jeder Bauer haftet nicht für den us BGH LM § 823 C, Nr. 4; Staudinger-Schäfer § 830 Rn. 44.

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1. Kap.: Die Mittäter

insgesamt dem Dritten entstandenen Schaden, sondern nur zu dem Anteil, der gerade von seinem Vieh verursacht worden ist114 • Etwas anderes gilt, falls die Bauern bewußt und gewollt zusanunengewirkt haben, also jeder Kenntnis davon hatte, daß auch die anderen ihr Vieh auf die fremde Weide trieben, und den daraus entstehenden Gesamtschaden wollte. Der ursächliche Tatbeitrag eines jeden Schädigers hat sich in keiner Weise verändert. Ohne die Regelung des § 830 I S. 1 müßte also auch in diesem Fall eine Teilung des Schadens erfolgen, so daß jeder Bauer anteilsmäßig haften würde. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 840, der gerade voraussetzt, daß jeder der mehreren Schädiger denselben gesamten Schaden verursacht hat, aber keine Anwendung findet, wenn mehrere je einen berechenbaren Teilschaden verursacht haben115 • Allein also der Umstand, daß alle Bauern bewußt und gewollt zusammengewirkt haben, vermag die Haftung jedes einzelnen auch für die schadensstiftenden Verursachungsbeiträge anderer zu begründen. Es konunt also bei der Mittäterschaft nicht auf die Art der Tätigkeit und das Maß der eigenen Schadensverursachung des einzelnen an. Entscheidend ist insoweit die Willenseinstellung des Täters. Weiß er, daß er nicht allein, sondern mit anderen zusammen handelt und will er deren Handlungen, gleichgültig, ob als eigene oder als fremde, so ergibt sich hieraus die Rechtfertigung, ihm die Berufung auf den unmittelbar von ihm verursachten Schadensanteil zu versagen und ihm trotz eines nur geringfügigen eigenen Kausalbeitrages die Haftung für den gesamten Schaden aufzuerlegen. Dies ist die Frage nach dem Haftungsumfang, zu der das RG mit Recht ausgeführt hat, "der gemeinschaftliche Willen erzeugt die gemeinschaftliche Verursachung" 116 • § 830 I S. 1 beinhaltet- und darin liegt die entscheidende aber auch einzige Besonderheit der Norm im System des Deliktsrechts - eine Ausnahme von der Regel, daß jeder Schädiger auch bei einer Verursachung des Gesamtschadens durch mehrere nur auf den Anteil am Schaden haftet, den er selbst adaequat 114 RG HRR 30, 2144; 31, 824; BGH LM § 823 C, Nr. 4; OLG Bamberg NJW 49, 225; KG JR 62, 423, 424; Staudinger-Schäfer § 830 Rn. 44. 115 RGZ 96, 224; BGHZ 30, 203, 207; OLG Bamberg NJW 49, 225; OLG Koblenz AcP 150, 453; HansOLG MDR 56, 676; Enneccerus- Lehmann § 274 Anm. 4; RGRK- Raager § 830 Anm. 6; Staudinger-Schäfer § 830 Rn. 44. Anschaulich sind hier auch die Fälle sog. kalten Abbrennens oder die des Ausplündern eines Warenlagers. Die Gerichte haben die Frage, ob derjenige, der nur einen Teil des Schadens verursacht hat, auf Ersatz des gesamten Schadens haftet, davon abhängig sein lassen, ob der Täter im Einvernehmen mit den anderen gehandelt hat (Vgl. RG Gruchot 51, 990; 70, 619, 622; RG Warn Rspr. 1929, Nr. 144). 116 RG Gruchot 51, Nr. 83, S. 990, 994.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

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verursacht hat. Der Mittäter kann sich auf diese Beschränkung im Haftungsumfang nicht berufen, da er selber eine conditio sine qua non für die Schadensentstehung gesetzt und den Gesamtschaden - auch soweit er teilweise von Dritten verursacht ist - in seinen Vorsatz aufgenommen hat. IV. MittätersmaU nur bei vorsätzlidlem gemeinsdlaftllchen Handeln

Die h. M. glaubt, mit der Formel vom "bewußten und gewollten Zusammenwirken" die Willensgemeinschaft zwischen Mittätern in ausreichender Weise bestimmt zu haben. Es muß daher verwundern, daß immer noch Streit besteht, ob nur bei vorsätzlichem oder auch bei fahrlässigem Verhalten, ja ob selbst beim Fehlen eines jeglichen Schuldvorwurfs, ein "Zusammenwirken" anzunehmen ist. Die Zweifel hat aber erst die ungenaue Formel entstehen lassen, da sie zweierlei Interpretation zuläßt. Zum einen könnte sie bedeuten, daß ein bewußtes und gewolltes Zusammenwirken lediglich bei Vornahme der schadenstiftenden Handlung (Bauarbeiterfall) vorliegen muß, zum anderen, daß Bewußtsein und Wille auch den Verletzungserfolg umfassen müssen. Wissen und Wollen sind die allgemeinen Begriffsmerkmale des Vorsatzes. Der Schuldvorwurf, vorsätzlich gehandelt zu haben, bezieht sich beim Alleintäter immer auf den Verletzungserfolg117 • Insoweit sind sich sowohl die Vertreter der Vorstellungstheorie118 als auch die der Willenstheorie119 einig. Einen auf die Vornahme der Handlung reduzierten Vorsatzbegriff kennt die Rechtsordnung nicht. Ist der Vorwurf, insoweit "vorsätzlich" gehandelt zu haben, für die Haftung des Alleintäters irrelevant, so kann für die Mittäter nichts anderes gelten. Jede Willensrichtung ist final, also auf den Erfolg ausgerichtet. Die subjektive Willensgemeinschaft der Mittäter setzt also voraus, daß jeder den Erfolg des gemeinsamen Handeins in seinen Willen aufgenommen hat. Fehlt der Wille, so kann von einer Gemeinschaftlichkeit des Wollens keine Rede sein. Vgl. statt aller Esser Bd. I § 37 II. ETman § 276 Anm. 3; EsseT § 37 II. "Vorsätzlich handelt auch, wer den Erfolg vorausgesehen, aber nicht in seinen Willen aufgenommen hat, trotzdem aber in ihn eigentlich billigend eingewilligt hat." 119 LaTenz Bd. I § 20, S. 206: "Vorsätzlich handelt, wer den Erfolg eines Handeins sich vorgestellt hat und ihn in Kenntnis der Pflichtwidrigkeit seiner Herbeiführung dennoch in seinen Willen aufgenommen hat, er also den Erfolg gebilligt hat wenigstens in dem Sinne, daß er ernsthaft mit der Möglichkeit seines Eintrittes rechnete und sich dadurch nicht von seinem Handeln hat abhalten lassen." 111

118

4 Brambring

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1. Kap.: Die Mittäter

Mittäterschaft setzt also vorsätzliches Handeln voraus; das Zusammentreffen fahrlässiger Handlungen genügt nicht12o, 121. Die Besonderheit der Mit- gegenüber der vorsätzlichen Alleintäterschaft im subjektiven Bereich liegt also einzig darin, daß die vorgestellte und gewollte Erfolgswirkung nicht Folge ausschließlich eigenen, sondern gemeinschaftlichen Handeins sein soll. Die übliche Formel vom "bewußten und gewollten Zusammenwirken" läßt sich wie folgt präzisieren: Mittäter ist, wer vorsätzlich gemeinschaftlich handelt, d. h. wer den Erfolg voraussieht und ihn als Folge des gemeinschaftlichen Handeins zumindest billigt. V. Zusammenfassung

Mittäterschaft setzt demnach zweierlei voraus: 1. Einen kausalen Tatbeitrag, der zumindest für einen Teil des Schadens conditio sine qua non ist (objektive Seite) und

2. Vorsatz, der nicht nur die eigene Erfolgsverursachung erfaßt, sondern auch die eines ebenfalls vorsätzlich handelnden Mittäters (subjektive Seite)112 • Die hier vorgenommene systematische Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Seite der Mittäterschaft hat nicht nur den Vorteil methodischer Klarheit und dogmatischer Einordnung in das Recht der unerlaubten Handlungen, sie ermöglicht darüber hinaus die Bezugnahme auf die strafrechtliche Rechtsprechung und Lehre und erleichtert die Prüfung des Tatbestandes in der Praxis. Das Gericht hat zunächst zu prüfen, ob die objektive bzw. äußere Seite der Mittäterschaft vorliegt, d. h. es hat zu fragen, ob der Mittäter Täter einer unerlaubten Handlung ist. Hat der Schädiger eine ursächliche Bedingung für den Schadenserfolg gesetzt, so kommt es 12o Im Ergebnis übereinstimmend die heute hM, vgl. BGHZ 30, 203; Palandt - Thomas § 830 Anm. 2 a. 121 Für die Mittäterschaft i. S. des § 47 StGB war dies lange Zeit eine Streitfrage. Zu Recht lehnt heute die ganze hM die fahrlässige Mittäterschaft ab, da die Begehung von Fahrlässigkeitstaten Nichtwissen, zumindest aber Nichtwollen der Tatbestandserfüllung negativ voraussetzt, und somit fahrlässige Mittäterschaft schlechthin ausgeschlossen ist, vgl. BGH VRS 18, 416; Baumann § 36 I 3, S. 542; Maurach AT § 49 I A 2, S. 548; Schänke- Sehröder § 47 Rn.19; Dreher § 47 Anm. 2. 122 Eine sehr ähnliche Definition der strafrechtlichen Mittäterschaft gibt Maurach, AT § 49 I 2, S. 448 -: "Mittäterschaft ist das gewollte, bewußte arbeitsteilige Zusammenwirken mehrerer Täter zur Erreichung des gleichen tatbestandsmäßigen Erfolgs."

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

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auf das Maß des unmittelbar verursachten Schadens nicht an. Der Schädiger haftet, und es bleibt unerheblich, ob sein Tatbeitrag physischer oder psychischer Natur war und ob er unmittelbar an der Tatausführung beteiligt war123• Der Nachweis des ursächlichen Zusammenhanges muß der Schädiger erbringen, er ist insoweit beweispflichtig. Im Denunziantenfall124 hätte der BGH prüfen müssen, ob die Ermunterung, die der Anzeigenerstatter durch seinen Schwiegervater erfahren hatte, in irgendeiner Weise für sein weiteres Vorgehen ursächlich geworden war. Dieser Nachweis durfte nicht durch die Feststellung des gemeinschaftlichen Willens ersetzt werden, noch durfte sich das Gericht mit der Möglichkeit der Kausalität begnügen. Nur wenn nachzuweisen gewesen wäre, daß etwa die Beklagten den Plan, die Klägerin anzuzeigen, gemeinsam entwickelt hatten, der Schwiegervater seinen noch nicht entschlossenen Schwiegersohn zur Erstattung der Anzeige bewogen oder ihm Ratschläge für sein weiteres Vorgehen gegeben hatte, wäre der objektive Tatbestand der Mittäterschaft zu bejahen gewesen. Der BGH durfte sich nicht mit der Feststellung begnügen, es habe ein "gemeinschaftliches Wollen" vorgelegen125• Denn eine durch "Ermunterung bewußt unterstützende Tätigkeit" kann kausal, braucht es aber nicht zu sein und ist es dann nicht, wenn etwa der unmittelbar handelnde Täter bereits fest zur Tat entschlossen ist. Der objektive Tatbestand ist selbstverständlich auch zu verneinen, wenn der Mittäter rechtmäßig gehandelt hat12&. Zusätzliche objektive Voraussetzungen erfordert § 830 I S. 1 nicht, da der Tatbestand einer unerlaubten Handlung erfüllt ist. Auf die Gleichzeitigkeit des Handeins oder die Einheit des Tatortes kommt es demgemäß ebensowenig an, wie darauf, ob die Ausführungshandlung, die den Schaden unmittelbar herbeigeführt hat, gemeinsam begangen wurde. Ob die vom Mittäter gesetzte Bedingung bei Verwirklichung oder nur bei der Vorbereitung der unerlaubten Handlung ursächlich geworden ist, ist unmaßgeblich127 • Auf der subjektiven Seite stellt sich zunächst die Frage, ob der Schädiger schuldhaft gehandelt hat. Liegen objektive und subjektive Voraussetzungen insoweit vor, so steht zunächst fest, daß der Schädiger haftet. Erst bei der weiteren Frage, ob er für den gesamten 12s 124 125 126 121

4*

BGHZ 17, 327, 333. Ebd., S. 327 ff. Ebd., S. 333. RGZ 73, 289; BGH VersR 53, 146, 147; Staudinger-Schäfer § 830 Anm. 7. RGRK - Haager § 830 Anm. 3.

1. Kap.: Die Mittäter

52

verursachten Schaden ersatzpflichtig ist und insoweit gemäߧ 840 BGB solidarisch haftet, ist auf den Vorsatz abzustellen. Handelte der Täter vorsätzlich und umfaßte sein Vorsatz auch die Tatbeiträge eines weiteren vorsätzlich handelnden Schädigers, so ist er Mittäter bzw. Anstifter oder Gehilfe. Aus diesen Überlegungen ergeben sich folgende kleidete -weitere Aussagen:

in Thesen ge-

1. Eine ausdrückliche Verabredung der Mittäter ist nicht erforderlich, da es ausreicht, wenn der in Frage stehende Schädiger Kenntnis davon hat, daß ein anderer eine unerlaubte Handlung begehen will oder bereits begeht (im letzteren Fall liegt sukzessive Mittäterschaft vor)1 28 • Allerdings muß die Kenntnis wechselseitig sein; es reicht nicht aus, wenn nur ein Schädiger weiß, daß er nicht alleine handeltl29• Ein gemeinsamer Entschluß ist ebenfalls nicht notwendig, da einerseits zu dem bereits entschlossenen Täter ein weiterer als Mittäter hinzutreten kann (A lädt die Tatwaffe neu), und zum anderen auch die Nichtkenntnis der Person des Dritten jeweils nicht das Bewußtsein eines jeden auszuschließen vermag, daß neben ihm andere mitwirken, soweit nur diese vom gleichen Bewußtsein erfüllt sind, und jeder sich die Tätigkeit des anderen zurechnen lassen will130. 2. Nicht angerechnet werden kann, was nicht mitgewollt war (Mittäter-Exzess), wobei im Einzelfall immer zu prüfen ist, ob nicht bedingter Vorsatz vorliegt (dolus eventualis)131 . 3. Mittäter kann nicht sein, wer nur aufgrund Gefährdungshaftung ersatzpflichtig ist132• 4. An die strafrechtliche Beurteilung ist das Zivilgericht nicht gebunden133.

OLG Koblenz AcP 150, 455. Zumindest mißverständlich: Staudinger- SchäfeT § 830 Rn. 4. 130 RGSt 58, 279; BGH St 6, 249. 1:11 RG Warn Rspr. 29, Nr. 144; Staudinger- SchäfeT § 830 Anm. 3; mißverständlich RGRK- HaageT § 830 Anm. 3. 132 Offengelassen in BGHZ 30, 203, 206. 133 BGHZ 8, 293. 12s 129

Zweites Kapitel

Die Nebentäter 1. Abschnitt

Begriff der Nebentäterschaft In § 830 ist die Haftungsfrage für die Fälle nicht geregelt, in denen eine Mehrheit von Schädigern den gleichen Schaden zurechenbar verursacht hat, ohne daß die besonderen Voraussetzungen des § 830 I S.l oder § 830 I S. 2 vorliegen. Aus dem Wortlaut des § 840 läßt sich allerdings entnehmen, daß der Gesetzgeber neben der Mittäterschaft und der Beteiligung eine weitere Form der Mehrtäterschaft kannte, denn nur so läßt sich die weite Fassung der Vorschrift: "mehrere nebeneinander" erklären. In Rechtsprechung und Literatur ist daher eine weitere Variante der Mehrtäterschaft, die sog. Nebentäterschaft, entwickelt worden, über deren tatsächliche Voraussetzungen weitgehend Übereinstimmung besteht. Nebentäterschaft läßt sich zunächst einmal negativ definieren: Nebentäter kann nur sein, wer weder Mittäter noch Beteiligter ist. Zwischen ihnen besteht also keine Verknüpfung nach Maßgabe der beiden Alternativen in § 830 P. Aus der fehlenden besonderen gesetzlichen Regelung der Haftung als Nebentäter läßt sich ein weiteres ableiten: der Nebentäter muß Täter sein, d. h. er muß schuldhaft rechtswidrig einen Haftungstatbestand verwirklicht haben. Der Umfang seiner Ausgleichspflicht läßt sich nur aus den Grundsätzen der adaequaten Kausalität bestimmen2• Im Gegensatz zum Mittäter genügt es nicht, daß der Nebentäter lediglich für einen Teil des Schadens eine conditio sine qua non gesetzt hat. Da bei Nebentätern nicht der Gesamtvorsatz die fehlende haftungsausfüllende Kausalität zu ersetzen vermag, haften sie für den gesamten Schaden auch nur soweit sie ihn bedingt haben:r. Staudinger - Schäfer § 830 Rn. 41. BGHZ 30, 203, 206; Esser Bd. li § 112 I 1 a; Ennan- Drees § 830 Anm. 4. s RGRK - Haager § 830 Anm. 6. 1

2

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2. Kap.: Die Nebentäter

Da der Nebentäter nicht Alleintäter ist, liegt die entscheidende Besonderheit dieser Form der Mehrtäterschaft darin, daß mehrere "auf Grund unabhängig voneinander gesetzter Ursachen für den gleichen Schaden" haften, und zwar gemäß § 840 I als Gesamtschuldner4 • Nebentäter ist demnach, wer zurechenbar5 neben einem oder mehreren anderen selbständig eine Ursache gesetzt hat, die den ganzen Schaden adaequat verursacht hat6 • Nebentäterschaft ist das lediglich tatsächliche Zusammentreffen mehrerer vorsätzlicher oder fahrlässiger Schadenshandlungen7 • Obgleich dieses Verständnis der Nebentäterschaft unbestritten ist8 , sind teilweise kritische Stimmen aufgetaucht, vor allem aber haben sich Abgrenzungsprobleme gezeigt, die eine kurze Stellungnahme erforderlich machen. 2. Abschnitt

Rechtfertigung der solidarischen Haftung allein aus den Grundsätzen der Kausalität Keuck hat die Frage aufgeworfen, welche Rechtfertigung es für die solidarische Verantwortlichkeit eines jeden Nebentäters für den gesamten Schaden gebe, obgleich der Schaden nur aus dem Zusammentreffen mit der unerlaubten Handlung eines weiteren Schädigers erklärbar seie. Keuck lehnt es ab, mit der h. M. diese Haftung allein aus den allgemeinen Grundsätzen über die adaequate Kausalität herzuleiten. Die Bedingungsformel sei allein vom Handeln des Alleintäters her gedacht, sie lasse nicht erkennen, daß der Erfolg niemals allein durch diese Handlung hat verursacht werden können1°. Aus einer Gegenüberstellung mit § 830 I S . l, der beweise, daß allein die Kausalität der Handlung eines jeden Mittäters dem Gesetzgeber nicht als ausreichende Rechtfertigung für die Statuierung der vollen 4 BGH LM § 840, Nr. 7 a = MDR 64, 35. s Nebentäter kann auch sein, wer aus einem Gefährdungstatbestand haftet; vgl. statt aller BGH LM § 840, Nr. 5. s Staudinger- SchäfeT § 840 Rn. 42. 1 EsseT § 112 I 1 a. s BGHZ 17, 214, 221 und Schrifttum, neben den oben zitierten : PalandtThomas § 840 Anm. 2 m. w. N. aus der Rechtsprechung; Enneccerus- Lehmann § 247, 2, S. 994; Soergel- ZeuneT § 840 Rn. 6, 7; RGRK- HaageT § 840 Anm. 6. 9 Keuck AcP 168, 175 ff., 183 ff. 1o Ebd., S. 183/184.

3. Abschnitt: Unterschiedliche Schadensanteile

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Verantwortlichkeit eines jeden erschienen sei, müsse sich unzweifelhaft ergeben, daß jeder Nebentäter lediglich für den seinem Verantwortungsbeitrag entsprechenden Teil des Schadens verantwortlich sei. Erst durch die Anordnung gesamtschuldnerischer Haftung der Nebentäter in § 840 würde überhaupt die Haftung eines jeden auf Ersatz des gesamten Schadens begründet11 • Die Verklammerung der Verantwortungsbeiträge erfolge im Interesse des Geschädigten, der von der Bestimmung der einzelnen Verantwortungsbeiträge der Schädiger freigestellt werden solle12 • Diese Verklammerung sei aber nur vorübergehend. Durch die nachfolgende Ausgleichung unter den Schädigern würde die natürliche Verteilung des Schaden wiederhergestellt. Der Ansicht von Keuck kann nicht gefolgt

w~rrhm.

Wäre ihre Überlegung richtig, so wäre § 830 I S. 1 überflüssig. Da die solidarische Haftung eines jeden Mittäters auf Ersatz des gesamten Schadens ebenfalls nur auf einer "vorübergehenden", den Interessen des Geschädigten dienenden Verklammerung der Verantwortungsbeiträge beruht- auch unter Mittätern führt gern. §§ 840, 426 I 1, 254 der Innenausgleich zur "natürlichen Verteilung" entsprechend den einzelnen Verantwortungsbeiträgen -, hätte sich der Gesetzgeber mit der Regelung in § 840 begnügen, also auf eine besondere Statuierung der Mittäterhaftung verzichten können. In Wirklichkeit enthält § 830 I S . 1 - entgegen der Ansicht von Keuck - eine Ausnahmeregelung im Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität. Infolge Gesamtvorsatzes haftet der Mittäter auf Ersatz des gesamten Schadens. Eine Bedingung für den Gesamtschaden braucht er nicht gesetzt zu haben13• Da Nebentäter nicht gesamtvorsätzlich handeln, kann ihre Haftung allein aus den Grundsätzen der adaequaten Kausalität abgeleitet werden. § 840 ordnet lediglich für den bestehenden Haftungsumfang die gesamtschuldnerische Verantwortlichkeit an, er kann eine solche jedoch nicht begründen14 • 3. Abschnitt

Nebentäterschaft bei unterschiedlichen Schadensanteilen Um ein Scheinproblem der Abgrenzung handelt es sich bei der gelegentlich anzutreffenden Formulierung, § 840 sei unanwendbar, 11 12

13 14

Ebd., S. 187. Ebd., S. 205. Vgl. vorstehend 1. Kap., 4. Abschnitt unter C III. So auch BGHZ 30, 203, 207; Staudinger-Schäfer § 840 Rn. 12.

2. Kap.: Die Nebentäter

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wenn von mehreren Nebentätern jeder nur einen Teilschaden verursacht hat, und der Schadensanteil sich bestimmen läßt15 • Haftet der Nebentäter nur soweit er als Täter haftet, so ist er jeweils nur für den Schaden verantwortlich, den er verursacht hat. Ist etwa ein Warenlager von mehreren Personen ausgeplündert worden, so hat jeder der Diebe - falls sie nicht als Mittäter handelten - nur die Ware zu ersetzen, die er entwendet hat. Ob sich der Schadensanteil bestimmen läßt oder nicht, vermag hieran nichts zu ändern18• Der begrifflichen Klarheit willen sollte man in diesen Fällen nicht von Nebentätern sprechen. Jeder Schädiger, der einen Teil des Schadens verursacht hat, ist Alleintäter und sollte auch so bezeichnet werden. Ebenfalls nicht um ein eigentliches Haftungsproblem der Nebentäterschaft handelt es sich bei der von Schäfer erörterten Fallgestaltung, daß der Schaden "auf Ursachen zurückzuführen ist, die durch verschiedene, sachlich und zeitlich voneinander völlig unabhängig handelnde Personen gesetzt sind" 17• Typisches Beispiel ist die in zeitlichem Abstand aufeinanderfolgende mehrfache Schädigung einer Person durch verschiedene Täter. Der BGH18 hat zu Recht ausgeführt, daß hier der Zweitschädiger, soweit der auf unterschiedlichen Ursachen beruhende Gesamtschaden in der Weise "zerlegbar" ist, daß etwa ein bestimmter Teil des geltend gemachten Erwerbsschadens infolge einer auf den Erstschädiger zurückzuführenden Körperschädigung des Betroffenen ohnehin eingetreten wäre, für diesen Schaden nicht einzustehen hat. Habe er aber den gesamten Körperschaden adaequat verursacht und das könne der Fall sein, obgleich bei dem Betroffenen bereits wegen der Erstschädigung eine Schadensdisposition vorhanden war, so hafte er als Nebentäter gesamtschuldnerisch. In der Entscheidungsbegründung des BGH wird deutlich, daß es sich bei der Frage um ein Problem der Kausalität handelt, nicht aber der Täterschaftsform. Die adaequate Verursachung des gleichen Schadens durch mehrere ist Voraussetzung der Nebentäterschaft. Liegt die Identität der Schadensverursachung nicht vor, sollte man den Begriff der Nebentäterschaft vermeiden und zutreffend von Alleintäterschaft sprechen. Staudinger - Schäfer § 840 Rn. 44; ähnlich Erman - Drees § 830 Anm. 4. OLG Bamberg NJW 49, 225; OLG Koblenz AcP 150, 453, 454; OLG Harnburg MDR 56, 676; OLG Neustadt VersR 58, 251. 17 Staudinger-Schäfer § 830 Rn. 44. 18 BGH LM § 840, Nr. 7 a = MDR 64, 357. 15 18

4. Abschnitt: Zusammenfassung

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4. Abschnitt

Zusammenfassung Nebentäter ist, wer zurechenbar neben einem oder mehreren anderen selbständig eine Ursache gesetzt hat, die den ganzen (gleichen) Schaden adaequat verursacht hat. Nebentäter haften dem Geschädigten gem. § 840 als Gesamtschuldner. Die solidarische Schadenshaftung rechtfertigt sich aus der eigenen Verwirklichung eines gesetzlichen Haftungstatbestandes als Täter. Als Folge der gesamtschuldnerischen Haftung kann der Geschädigte jeden Nebentäter auf vollen Schadensersatz in Anspruch nehmen, § 421. Die Ausgleichung, und damit die natürliche Verteilung des Schadens entsprechend den einzelnen Verantwortungsbeiträgen, findet im Innenausgleich nach den allgemeinen Grundsätzen statt. (Ausnahme: §§ 840 II und III). Gem. § 426 I 2 ist jeder Nebentäter mit dem Ausgleichs-(Insolvenz-) risiko belastet.

Drittes Kapitel

Die Beteiligten (A) bei alternativer Verorsachung Im Rahmen des § 830 I 2 unterscheidet man zwei Fallgruppen: ungeklärte Verursachung bei alternativer und bei kummulativer Kausalität1. Unter alternativer Kausalität faßt man die Schadensfälle, in denen mehrere Beteiligte den Schaden - und zwar jeder den gesamten verursacht haben könnte, sich aber nicht ermitteln läßt, wer von ihnen der tatsächliche Verursacher ist. Von kummulativer Verursachung spricht man, wenn feststeht, daß jeder der Beteiligten einen Teil des Erfolges verursacht hat, aber unaufklärbar bleibt, wie hoch der Anteil eines jeden an dem endgültigen gesamten Schaden ist. Die Darstellung folgt dieser Unterscheidung. Unter (A) wird die "alternative Kausalität" und unter (B) die "kumulative" behandelt. 1. Abschnitt

Einleitung und Fragestellung A. Sieben Thesen zu den Voraussetzungen der Haftung als Beteiligter, abgeleitet aus dem Wortlaut des § 830 I 2 und seiner systematischen Stellung im Deliktsrecht § 830 I S. 2 bestimmt, daß jeder für den Schaden verantwortlich ist, wenn sich nicht ermitteln läßt, wer von mehreren Beteiligten den Schaden verursacht hat. Aus dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang der Vorschrift im Gesetz lassen sich über die Voraussetzungen der Haftung des Beteiligten zunächst folgende in Thesen gekleidete Aussagen machen: t Bydtinski, Haftung, JBl 59, 1 ff. und Probleme z. B. S. 79; Buxbaum, S . 2; Staudinger - Schäfer § 830 Rn. 20.

1. Abschnitt: Einleitung und Fragestellung

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1. § 830 I S. 2 verzichtet auf den Nachweis der Kausalität ("sich nicht ermitteln läßt, wer verursacht hat"), begnügt sich also mit der Möglichkeit der Verursachung. Die Vorschrift regelt mithin den Fall, daß bei einer Mehrheit von Personen jeder von ihnen eine Handlung begangen hat, die den eingetretenen Erfolg verursachen konnte, daß eine der Handlungen den Schaden tatsächlich verursacht hat, der wirkliche Urheber des Schadens aber nicht ermittelt werden kann.

Da das Haftungsrecht auf dem Verursachungsgrundsatz aufbaut, bedeutet diese Durchbrechung zunächst einmal die hervorstechende Besonderheit der Vorschrift. Der Verzicht auf die- nachgewieseneUrsächlichkeit bedeutet aber auch ein weiteres: im Gegensatz zu S. 1 des § 830 I wirkt S. 2 haftungsbegründend. 2. Aus dem argurnenturn e contrario folgt, daß jedem möglichen Schädiger der Nachweis offensteht, sein Handeln sei nicht ursächlich geworden. Denn die mißglückte Ermittlung des tatsächlichen Verursachers schließt negativ ein, daß keiner der Handelnden als Nichtverursacher feststeht. Insoweit beinhaltet § 830 I S. 2 also keine unwiderlegbare Fiktion sondern eine widerlegbare gesetzliche Vermutung. 3. Da § 830 zwischen Mittätern, Anstiftern und Gehilfen einerseits und Beteiligten andererseits unterscheidet, kommt es auf den gemeinsamen Vorsatz, der die erstere Tätermehrheit kennzeichnet, bei der Beteiligung nicht an. 4. Der Alleintäter haftet niemals bei vermuteter Kausalität. Da § 830 I S. 2 hiervon eine Ausnahme macht, muß sich die Rechtfertigung aus dem besonderen Umstand ergeben, daß mehrere an der Schadensverursachung beteiligt waren. 5. Niemand hat für sein rechtmäßiges Verhalten bei nachgewiesener Kausalität einzustehen. Daher kann auch ein Beteiligter nur haften, wenn er rechtswidrig gehandelt hat. 6. Da § 830 I S. 2 eigener Haftungsgrund ist, sagt er zumindest nicht zwingend etwas darüber aus, ob die Handlung eines jeden Beteiligten notwendig schuldhaft sein muß. Allenfalls aus der Stellung im Gesetz läßt sich folgern, daß soweit Verschulden im Recht der unerlaubten Handlung verlangt wird, auch der Beteiligte schuldhaft gehandelt haben muß, soweit aber das Gesetz hierauf verzichtet - etwa bei der Haftung des Tierhalters für sog. Luxustiere, § 833 S. 1 - auch der Beteiligte nicht schuldhaft gehandelt zu haben braucht. 7. Der Begriff der "Beteiligung" ist unergiebig. Ihm ist in jedem Fall nichts Näheres darüber zu entnehmen, welche und ob überhaupt

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3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

objektive oder subjektive Umstände hinzutreten müssen, um die Anwendung der Vorschrift bejahen zu können. Eine philologische Interpretation kann allenfalls ergeben, daß die Handlung eines jeden als Teil des gesamten zum Schaden führenden Vorganges angesehen werden muß. Wortlaut und Stellung der Norm im Gesetz erlauben daher folgende Interpretation der Vorschrift: Haben mehrere rechtswidrig ohne gemeinsamen Vorsatz gehandelt, und besteht die Möglichkeit, daß die Handlung eines jeden für sich genommen den Schaden herbeigeführt hat, läßt sich aber nicht ermitteln, wer tatsächlich von diesen mehreren der Verursacher ist, so haftet jeder auf den ganzen Schaden. Sinngemäß entspricht diese Interpretation auch dem Verständnis der Vorschrift, das sich aus seiner Entstehungsgeschichte ergibt2 •

B. Die Forderung der h. M. nach einer - zusätzlichen einengenden Beschreibung des Kreises der Beteiligten Mit diesen Begriffsmerkmalen hat sich aber weder die Rechtsprechung noch die herrschende Ansicht im Schrifttum zufriedengegeben. Es ist heute weitgehend anerkannt, daß der Kreis der Beteiligten "einengend umschrieben" werden müsse3 , da nur so der "Gefahr einer uferlosen Ausweitung" 4 begegnet werden könne. Ausgangspunkt für diese Forderung nach einer einschränkenden Interpretation ist die Frage nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift, die allgemein darin gesehen wird, "eine Beweisschwierigkeit für den Geschädigten zu überwinden", die sich aus der Ungewißheit der Person der Schadensverursachung ergibt5 • Unter eben dieser Prämisse ist es aber zu einer Vielfalt der Meinungen gekommen, welche besonderen zusätzlichen Voraussetzungen hinsichtlich der Person der Beteiligten und des Schadensereignisses hinzutreten müssen, um die Haftung zu begründen. Das Spektrum der Ansichten sei durch die mehrfache Abwandlung eines Lehrbuchbeispiels veranschaulicht6 • Falll} Ein Fußgänger ist von einer aus mehreren Kraftfahrzeugen gebildeten Autokolonne einer Hochzeitsgesellschaft überfahren wor2 Vgl. hierzu die ausführliche Untersuchung von Buxbaum, S. 4 ff. m.w. N. s Vgl. statt aller hier Staudinger-Schäfer § 830 Rn. 30. 4 BGH NJW 71, 506, 508. s Bereits Mot II, 738; Prot II, 606; RGZ 121, 402 ff.; BGHZ 25, 271, 273; Staudinger - Schäfer § 830 Rn. 20 m. w. N. 6 Beispiel von Schäfer in Staudinger § 830 Rn. 32.

2. Abschnitt: Ansicht der Rechtsprechung

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den, ohne daß feststellbar ist, welcher Fahrer tatsächlich den Unfall herbeigeführt hat. Bei dieser Fallgestaltung bejahen alle Ansichten die solidarische Haftung der Autofahrer dieser Kolonne gern. §§ 830 I S. 2, 840. Fall 2) Anders soll es sein, wenn es sich bei der Autokolonne nicht um Teilnehmer einer Hochzeitsgesellschaft handelt, sondern um eine zufällig entstandene Kolonne. Es wird vertreten, in dieser Fallgestaltung fehle als notwendiges Erfordernis der Verantwortlichkeit der Autofahrer ihr "Miteinander-Handeln und Voneinander-Wissen". Fall3) Mehrere Autofahrer passieren während einer Nacht in Zeitabständen von mehreren Stunden die Unfallstelle. Es läßt sich nicht mehr ermitteln, welcher der Autofahrer den Fußgänger überfahren hat. Nach der Lehre vom "örtlichen und zeitlichen Zusammenhang" als ungeschriebenem Tatbestandsmerkmal des § 830 I 2 ist an sich die Haftung der Autofahrer abzulehnen. Gleichwohl hat der BGH auch für diesen Fall die Anwendbarkeit der Norm bejaht. Damit stellt sich die Frage, welche Fallgestaltungen nach dieser Ansicht überhaupt noch ausgeschlossen bleiben sollen. Es ist schwer einzusehen, inwieweit dem Fußgänger bei doch offenbar gleicher Beweisnot, den wahren Schädiger ausfindbar zu machen, zwar gegen die Autofahrer der Hochzeitsgesellschaft, nicht jedoch gegen die zufällig hintereinander die Unfallstelle passierenden Autofahrer ein Anspruch zustehen soll. Ebensowenig ist einzusehen, welche Bedeutung dem "zeitlichen Zusammenhang" überhaupt noch zukommt, wenn dieser selbst gewahrt ist, wenn die einzelnen Gefährdungshandlungen mehrere Stunden auseinanderliegen. 2. Abschnitt

Ansicht der Rechtsprechung A. Die Grundsatzentscheidung des Reichsgerichts im sog. Knallerbsenfall (RGZ 58, 337 ff.) Von Beginn an sah die Rechtsprechung die entscheidende Fragestellung des § 830 I S. 2 darin, ob sich der Begriff des Beteiligten in der· Benennung der möglichen Schadensverursacher erschöpft oder ob ihm darüber hinaus, sei es aus dem Zusammenhang des Gesetzes oder einer Schlußfolgerung aus dem umschriebenen Tatbestand ein zusätzlicher Bedeutungsinhalt zukommt.

3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

62

L Die Kausalitätssituation

Im sog. Knallerbsenfall hat das RG erstmals hierzu Stellung genommen7. Aus der EntstehungsgeschichtP. lP.itete das RG vorweg ab, daß S. 2 des § 830 I im Gegensatz zu S. 1 nicht voraussetzt, daß der Erfolg durch das Zusammenwirken mehrerer an der Handlung Beteiligter herbeigeführt wird8 • Nach der "Fassung und der Entstehung" erfordere§ 830 I S. 2, daß "mehrere eine unerlaubte Handlung begangen haben, die den eingetretenen Schaden verursachen konnte, daß eine dieser Handlungen, also die unerlaubte Handlung eines dieser mehreren, den Schaden auch wirklich verursacht hat, die Handlung eines jeden der mehreren den Schaden hätte verursachen können, der wirkliche Urheber der schadenstiftenden Handlung aber nicht ermittelt werden kann" 9 • Dieser Satz, der das heute als "alternative Kausalität" bezeichnete Problem definiert, ist praktisch unbestritten geblieben10 • U. Der zeitlidle und räumlidle Zusammenhang der Gefährdungshandlungen als Sdllußfolgerung zu der in § 830 I S. 2 umsdlriebenen Kausalitätssituation

Wegweisend wurde aber die Schlußfolgerung, die das Gericht aus der abstrakten Beschreibung der Kausalitätssituation für die konkreten Umstände eines Lebenssachverhaltes zog: "Das Zusammentreffen dieser Voraussetzungen führt notwendig auf einen Vorgang, der zeitlich und räumlich die mehreren (Handlungen) in eine freilich von der Gemeinschaftlichkeit des Zusammenwirkens des Satzes 1 ganz verschiedene Gemeinsamkeit des Tuns zusammenfaßt, in dessen Bereich der rechtswidrige Erfolg fällt und eine gemeinsame Grundlage des Verschuldens in der von jedem bewirkten Gefährdung findet11 ." An dieser Ansicht fällt zweierlei auf. Zunächst versteht das RG das Erfordernis des "zeitlichen und räumlichen Zusammenhanges" nicht als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, sondern als logisches Ergebnis des vom Gesetzeswortlaut umschriebenen Sachverhaltes. Das RG will also nicht mehr sagen, als daß die besondere Situation, in der der Geschädigte nicht nachzuweisen vermag, wer der mehreren Beteiligten tatsächlich seinen Schaden verursacht hat, nur vorstellbar ist, wenn die Handlungen der mehreren örtlich und zeitlich zusammenhängen. Diese Schlußfolgerung scheint auf den ersten Blick überzeugend, da nur die 7 RGZ 58, 357 ff. s Ebd., S. 360. 9 Ebd., S. 361.

to

Vgl. zuletzt BGH NJW 71, 506, 507 unter ausdrücklicher Berufung auf

RGZ aao. u RGZ 58, S. 361.

2. Abschnitt: Ansicht der Rechtsprechung

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Koinzidenz von Zeit und Raum eine derartige Beweisnotlage des Geschädigten erklären zu lassen scheint.

m. ,.Gemeinsamkeit des Tuns" als subjektives Merkmal der Beteiligung? Zu Verständnisschwierigkeiten führte das vom RG scheinbar als zusätzliche Voraussetzung verstandene Merkmal der "Gemeinsamkeit des Tuns" 12• Buxbaum glaubt dieser Formulierung entnehmen zu können, das RG habe hiermit eine Gemeinschaftlichkeit des Zwecks, der Abrede gefordert13. Diese Interpretation ist zu weitgehend und vom Wortlaut der Entscheidung nicht gedeckt. Es ist zuzugeben, daß in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt eine derartige Gemeinschaftlichkeit vorlag: eine Kegelgesellschaft hatte während einer von ihr veranstalteten Abendunterhaltung in einer Wirtschaft Knallerbsen geworfen, durch die die Klägerin verletzt wurde. Ein gemeinsames Unternehmen der beteiligten Personen lag sicherlich vor. Es muß daher auffallen, daß das RG mit keinem Satz diesen Umstand einer gemeinsamen Veranstaltung hervorhebt und sich stattdessen mit dem farblosen Begriff der "Gemeinsamkeit des Tuns" begnügt.

Gegen die Interpretation von Buxbaum, die damit unterstellt, das RG habe an einen Abredezusammenhang der Beteiligten beim gemeinsamen Vorgehen gedacht, spricht entscheidend folgende weitere Überlegung. Die "Gemeinschaftlichkeit des Zusammenwirkens" im Sinne des Satzes 1 von § 830 I hat das RG - wie oben festgestellt 14 nicht i. S. einer subjektiven Verbindung der Mittäter verstanden, sondern als objektive Gemeinschaftlichkeit der Verursachung15. Erst in späteren Entscheidungen ist das Erfordernis einer Willensgemeinschaft der Mittäter aufgestellt worden. Es müßte daher verwundern, wenn das RG in der gleichen Entscheidung für die Beteiligung auf subjektive Merkmale hätte abstellen wollen. Richtiger scheint es zu sein, die bewußte Gegenüberstellung von Gemeinschaftlichkeit des Zusammenwirkens und Gemeinsamkeit des Tuns so aufzufassen, daß das RG die Verschiedenartigkeit der Rechtsgrundlage aufzeigen wollte. Rechtsgrundlage einer Verantwortlichkeit gern. § 830 I S. 1 ist danach, daß jeder Mittäter tatsächlich an der Entstehung des Schadens mitgewirkt hat, während in§ 830 I S. 2 es die von "jedem bewirkte Gefährdung" als 12 RGZ 58, S. 361. 13 Buxbaum, S. 7. 14 Vgl. vorstehend 1. Kap. 2. Abschnitt unter A. 16 RGZ 58, S. 359.

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3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

Grundlage eines Schuldvorwurfs und die Zuordnung des rechtswidrigen Erfolges in den Bereich des Tuns der Beteiligten ist. Das RG hat mit diesem Satz nicht ein zusätzliches subjektives Erfordernis der Beteiligung aufgestellt, sondern allein zu erklären versucht, welche Gesichtspunkte (Gefährdung als Schuldvorwurf plus Zuordnung des Erfolges in den Bereich der Beteiligten) trotz fehlenden Nachweises der Verursachung die Haftung zu stützen vermögen. B. Die Behandlung der Frage, ob § 830 I S. 2 über den objektiven Zusammenhang von Zeit und Raum hinaus zusätzlich eine subjektive Verbindung der Beteiligten erfordert, in der Rechtsprechung des Reichsgerichts In nachfolgenden Entscheidungen ergab sich für das RG kein Anlaß, die Frage nach dem Vorhandensein eines Abredezusammenhanges i. S. einer subjektiven Gemeinschaftlichkeit des Handeins zu stellen. Diese Unternehmenssituation lag jeweils vor, sei es, daß die möglichen Schädiger Teilnehmer einer Jagdgesellschaft waren, sei es, daß sie sich an einer gemeinsamen Rauferei beteiligt hatten16• Es fällt allerdings auf, daß in keiner der angeführten Entscheidungen gerade die Besonderheit einer vorangegangenen Abrede oder des gemeinsam verfolgten Zweckes als entscheidungserheblich angesehen wurde. Unter Verzicht auf einen rechtlichen Zusammenhang im Sinne des gemeint ist hiermit der gemeinsame Vorsatz, der Mittäterschaft kennzeichnet - verlangt das RG vielmehr: "Beteiligt muß der Einzelne nur an dem tatsächlich einheitlichen, örtlich und zeitlich zusammenhängenden Vorgange sein, der sich aus den mehreren selbständigen Handlungen zusammensetzt17." § 830 I S. 1 -

Hin und wieder wird zusätzlich die "Gleichartigkeit der Handlungen" verlangt18• Von einem- wie auch immer gearteten- Zweckzusammenhang ist in keiner der Entscheidungen eindeutig die Rede. Die Entscheidung vom 11. 1. 190919 gibt einen Hinweis, das RG wolle den tatsächlichen Zusammenhang nur dann annehmen, wenn mehrere einzelne Handlungen nicht nur zufällig zeitlich zusammenfallen, son18 RG JW 09, S. 687; RG Warn Rspr. 1908, Nr. 633; RG Recht 1911, Nr. 1551; RGZ 98, 58, 60. 17 RG JW 09, 687 = RG Warn Rspr. 1909, Nr. 557. 18 RG Warn Rspr.l913, Nr. 632; RGZ 98, 224, 226. 1s RG JW 09, 136.

2. Abschnitt: Ansicht der Rechtsprechung

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dern darüber hinaus festgestellt ist, "woran die Kinder beteiligt waren, d. h. was eigentlich zwischen den einzelnen Kindern damals vor sich gegangen ist". Erstmals in der Entscheidung vom 12. Juli 1919 hat das RG ausdrücklich die Feststellung des rein äußeren Zusammenhanges nicht genügen lassen20• Die Klägerin hatte mit dem Beklagten geschlechtlich verkehrt. Beide Parteien waren anschließend an einer Geschlechtskrankheit erkrankt. Jeder behauptete, vom anderen angesteckt worden zu sein. Ohne Wissen des Beklagten hatte die Klägerin noch mit anderen Männern Verkehr gehabt. Das RG verlangt als Haftungsvoraussetzung neben der Einheitlichkeit des Vorganges die Gemeinschaftlichkeit der Gefährdung, die im vorliegenden Sachverhalt fehle, da "eine Beziehung zwischen den mehreren Männern und ein Wissen dieser voneinander" nicht bestehe21 • Im Gegensatz zu dieser Entscheidung hatte das RG in einem früheren Urteil vom 11. Juli 1912 "die gegenseitige Kenntnis vom Tun des anderen" noch für unmaßgeblich erachtet22• Das Erfordernis einer subjektiven Gemeinschaftlichkeit ist auch in keiner weiteren Entscheidung wiederholt worden, so daß obiges Urteil keinesfalls als Wendepunkt der Rechtsprechung angesehen werden kann. Im Urteil vom 9. Juni 1913, dem ein ähnlicher Sachverhalt zugrundelag, hat das RG auch wieder ausschließlich auf die "tatsächliche Einheit des Vorganges" abgestelltr3 • Es kann daher nicht gesagt werden, das RG habe neben einem objektiv zusammenhängenden Geschehensablauf zusätzlich eine subjektive Gemeinschaftlichkeit im Sinne eines Abredezusammenhanges oder einer gegenseitigen Kenntnis der Beteiligten unter- bzw. voneinander verlangt24• Dies ist ausdrücklich nur in einer einzigen Entscheidung erfolgt25, während eine weitere ebenfalls ausdrücklich darauf verzichtet26, die übrigen Entscheidungen aber durch das Fehlen einer derartigen Prüfung und Betonung des äußeren Zusammenhanges von Zeit und Raum erkennen lassen, daß letzteres allein ausreichendes Bestimmungs- und Abgrenzungsmerkmal sein solle. RGZ 96, 224. Ebd., S. 226. 22 RG Warn 12, Nr. 387. zs RG Warn Rspr. 1913 Nr. 363. 24 a. A. Buxbaum, S. 7. l!5 RGZ 96, 224, 226. 28 RG Warn Rspr. 1912, Nr. 387. 2o

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5 Brambring

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3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

In den folgenden Entscheidungen steht auch die Frage nach der Beschaffenheit des objektiven Zusammenhanges und ob er überhaupt erforderlich sei, im Mittelpunkt. Hierbei beruft sich das RG meist auf den immer mehr zur stereotypen Formel verkürzten Satz, "die Beteiligung erfordert einen tatsächlich einheitlichen, örtlich und zeitlich zusammenhängenden Vorgang"27, mit dem es den Kreis der Beteiligten bereits hinreichend abgegrenzt zu haben glaubt. Es fällt allerdings auf, daß im Gegensatz zum Urteil des RG im 58. Bd., das diesen Satz als logische Folge des vom Gesetz umschriebenen Sachverhaltes erachtete, die tatsächlich zeitliche und örtliche Einheit als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal verstanden wird. logische Folge des vom Gesetz umschriebenen Sachverhaltes erachtete, die tatsächlich zeitliche und örtliche Einheit als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmalverstanden wird. Eine bemerkenswerte Ausnahme der bereits als gefestigt erscheinenden Rechtsprechung des RG bildet das Urteil in RGZ 148, 154 ff. Es heißt dort: "Der Tatbestand (des § 830 I S. 2) ist gegeben, wenn jede einzelne der von mehreren begangenen Handlungen im allgemeinen nach den Regeln des ursächlichen Zusammenhanges den schädlichen Erfolg herbeigeführt hat, aber nicht ermittelt werden kann, wer von den Handelnden der wirkliche Urheber ist28 ." Die zum Schaden führenden Vorgänge hatten sich lediglich in derselben Stadt und in derselben Nacht abgespielt. Das RG sah gleichwohl keinen Anlaß, die Grundsätze der Entscheidung aus dem 58. Band, auf die es sich beruft, in irgendeiner Weise zu modifizieren, mißt also auch der doch nicht unzweifelhaft gegebenen Gleichzeitigkeit und örtlichen Einheit nicht die Bedeutung bei, als daß es diese besonders in Frage stellt. Nachzutragen bleibt, daß das RG als tragenden Rechtsgrund der Haftung für jeden der Beteiligten in Fortführung von RGZ 58, 357 ff. zwei Gesichtspunkte für maßgeblich erachtet: zum einen die schuldhaft bewirkte Gefährdung eines jeden, zum anderen die Beweisnotlage, die aus der Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes als Folge des zeitlichen und örtlichen Zusammenhanges der mehreren Gefährdungshandlungen resultiert29 •

27 28 29

RG JW 09, 136 und 687; JW 37, 462; RGZ 96, 224. RGZ 148, 154, 166. RG JW 09, S. 687; RG Warn Rspr.12, Nr. 387.

2. Abschnitt: Ansicht der Rechtsprechung

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C. Die schrittweise Aufgabe des Postulats nach dem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang in der Rechtsprechung des BGH Der BGH hat in seinen ersten Entscheidungen unter Berufung auf die Rechtsprechung des RG an dem Erfordernis des zeitlichen und örtlichen Zusammenhanges der mehreren selbständigen Handlungen festgehalten und mehrfach betont, daß ein rechtlicher Zusammenhang im Sinne einer inneren Gemeinschaft nicht zu fordern sei, sondern allein die objektive gemeinsame Gefährdung, also der rein tatsächliche Zusammenhang der Handlungen, die Haftung auslöse3°. Gleichwohl ist beginnend mit der Entscheidung vom 14. 3. 1957 ein gewisser Wandel erkennbar31 • Der BGH nimmt einen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang bereits an, wenn die Einzelhandlungen so stark ineinandergreifen, daß sie als ein einheitlicher, nicht zerlegbarer Vorgang zu werten sind32• Der BGH stellt nicht mehr darauf ab, ob die Beteiligten gleichzeitig und am gleichen Ort gehandelt haben, sondern einzig und allein, ob im Zeitpunkt des Schadenseintrittes die beiden möglichen Ursachen derart zusammenfallen, daß sie als Vorgang nicht mehr "zerlegt" werden können. Einen deutlicheren Umschwung in der Rechtsprechung brachte das Urteil vom 15. 11. 196oas. Der Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Der Kläger war nachts von einem Kfz erfaßt und auf die Fahrbahn geschleudert worden, wo er liegen blieb. Hier wurde er später vom Beklagten überfahren und verletzt. Ob er außerdem von anderen Fahrzeugen überfahren worden ist, steht nicht fest. Der Beklagte, der in der Vorinstanz zum Schadensersatz gern. § 830 I S. 2 verurteilt worden war, machte in der Revision geltend, es fehle für die Anwendbarkeit der Vorschrift an der Gleichzeitigkeit der mehreren Gefährdungshandlungen. Nur bei gleichzeitiger Gefährdung ergebe sich die objektive Ungewißheit, wessen Handlung den Schadenserfolg herbeigeführt habe, während bei zeitlicher Aufeinanderfolge die später Handelnden gar nicht mehr gefährdet hätten, da der Schaden bereits durch die frühere Handlung verursacht gewesen sei3 4• so BGH VersR 56, 627, 629; BGH LM § 830, Nr. 4; BGH NJW 1960, 862, 863; BGHZ 25, 271, 274; 33, 286; BGH VersR 67, 999. 31 BGHZ 25, 271 ff. s2 Ebd., S. 274. 33 BGHZ 33, 286 = NJW 61, 263 = JZ 61, 173. 34 Ebd., S. 287.

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3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

Der BGH hat die Revision zurückgewiesen. Er bestätigt zunächst die bisherige Rechtsprechung, daß Beteiligung eine Gemeinschaftlichkeit der Gefährdung in dem subjektiven Sinne des Miteinander-Handeins und Voneinander-Wissens nicht voraussetze35. Darüber hinaus gibt er auch das Postulat nach dem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang auf. Nicht Gleichzeitigkeit oder die unmittelbare Aufeinanderfolge der Gefährdungshandlungen seien entscheidend, sondern die Ungewißheit des Kausalverlaufs. Diese Ungewißheit bestehe zwar typischerweise bei Sachverhalten, in denen die Gefährdungshandlungen gleichzeitig oder unmittelbar nacheinander vorgenommen wurden, sie könne aber ebensogut vorliegen bei einem größeren zeitlichen Zwischenraum36 • Gleichwohl löst sich der BGH von der schon klassischen Formel des zeitlichen und örtlichen Zusammenhanges nicht ganz, modifiziert sie allerdings wie folgt: "Voraussetzung ist zwar, daß die mehreren, sei es auch zeitlich aufeinanderfolgenden Gefährdungshandlungen sachlich, räumlich und zeitlich untereinander und mit der alternativ verursachten Schädigung einen tatsächlich zusammenhängenden einheitlichen Vorgang bilden, so daß die einzelne Gefährdungshandlung als dessen Teil erscheint; denn nur dann kann von einer ,Beteiligung' des einzelnen Gefährdungstäters an dem Schadensereignis gesprochen werden. Wann dies der Fall ist, bestimmt sich nach der praktischen Anschauung des täglichen Lebens, für die die Gleichartigkeit der Gefährdung von besonderer Bedeutung ist, und kann stets nur auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalles beurteilt werden36 ." Die Bedeutung dieses Satzes liegt in der Ablehnung, abstrakte Anhaltspunkte etwa über die Zeitspanne oder die Entfernung der Schadensorte festzulegen. Wann die jeweilige Gefährdung als "Teil" eines einheitlichen Vorganges anzusehen sei, soll der Entscheidung im Einzelfall überlassen bleiben, wobei die "Gleichartigkeit der Gefährdung" als besonders bedeutungsvoll anzusehen sei. Dies scheint darauf hinzudeuten, der BGH wolle von dem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang als tatbestandlieber Voraussetzung abrücken und ihm lediglich- neben der Gleichartigkeit der Gefährdungdie Bedeutung eines typischen Indizes für die in § 830 I S. 2 gedachte Lebenssituation zukommen lassen. Dieser Eindruck täuscht, da es in der Entscheidung wenig später heißt: "Vorausgesetzt wird ein tatsächlich einheitlicher, örtlich und zeitlich zusammenhängender Vorgang37." ss Ebd., S. 289, 291. ss Ebd., S. 291. 37 Ebd., S. 292.

2. Abschnitt: Ansicht der Rechtsprechung

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Die Bejahung des zeitlichen Zusammenhanges in der obigen Entscheidung läßt sich nicht ohne weiteres nachvollziehen, denn immerhin lag zwischen den in Frage stehenden gefährdenden Verhaltensweisen eine Zeitspanne von mehreren Stunden. Dies hat auch der BGH offenbar erkannt. Wenn er gleichwohl abschließend in den Entscheidungsgründen die Forderung nach dem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang wiederholt, so kann dieser Aussage nur noch die Bedeutung eines Bekenntnisses zur Ansicht der bisherigen Rechtsprechung beigemessen werden, von der sich der BGH - zumindest soweit es den zeitlichen Zusammenhang betrifft - längst gelöst und durch ein anderes Kriterium- "Gleichartigkeit der Gefährdung"- ersetzt hat. Inwieweit die Gleichartigkeit der Gefährdung taugliches Abgrenzungsmerkmal sein kann, bleibt zumindest unklar. Der BGH sah die Gleichartigkeit wohl als gegeben an, weil von allen Autofahrern die gleiche Gefahr für die Gesundheit und Unversehrtheit des Geschädigten ausging. Die folgenden Entscheidungen haben keine weitere Entwicklung gezeigt38 bis zur Entscheidung des BGH vom 15. 12. 197039 • Ihr lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Eheleute S fuhren gemeinsam mit der Halterin, Frau H in deren PKW. Frau H verschuldete einen Unfall, bei dem Frau S erheblich verletzt wurde. Ob auch der Ehemann S Verletzungen erlitt, war im Rechtsstreit streitig. Die Eheleute S wurden an der Unfallstelle von einem Krankenwagen abgeholt. Auf der Fahrt zum Krankenhaus stieß der Krankenwagen mit einem Tanklastwagen zusammen und zwar 15 Minuten nach dem 1. Unfall und 2,5 km von der ersten Unfallstelle entfernt. Den 2. Unfall verschuldete der Fahrer des Tanklastwagens. Frau S wurde erneut verletzt. Es war nicht mehr aufzuklären, welche Verletzungen sie beim ersten und welche sie beim zweiten Unfall erlitten hat. Der EhemannS hatte nach diesem Unfall mehrere Verletzungen. Die Angriffe der Revision, der notwendige Zusammenhang fehle, da der Vorgang aus zwei Teilen bestehe, die sowohl zeitlich wie vor allem örtlich und nach Art des Geschehens voneinander getrennt seien, hält der BGH für nicht durchgreifend. Der BGH hält auch bei dieser Fallkonstellation, in der erstmals von einem einheitlichen Erfolgsort nicht mehr die Rede sein kann, § 830 I S. 2 für anwendbar. In der Begründung wiederholt und bestätigt er as BGH VersR 67, 99; OLG Düsseldorf BB 65, 1083. 39 BGHZ 55, 86 ff. = NJW 71, 506.

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3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

zunäcllst den Grundsatz der bisherigen Rechtsprechung, daß der Geschädigte sich auf diese Vorschrift "nicht nur stützen kann, wenn die mehreren Täter gleichzeitig, sondern auch dann, wenn sie unabhängig voneinander in zeitlicher Aufeinanderfolge, aber noch im Rahmen eines tatsächlich zusammenhängenden einheitlichen Vorgangs gehandelt haben"40. Ein tatsächlich zusammenhängender Vorgang liege vor, wenn er "sachlich, zeitlich und räumlich die mehreren Handlungen sowohl untereinander wie mit der alternativ verursachten Schädigung" zusammenfasse, so daß jeder als "Beteiligter" anzusehen sei41 .

Am Erfordernis des örtlichen und zeitlichen Zusammenhanges glaubt der BGH festhalten zu müssen, da andernfalls der Anwendungsbereich des § 830 I S . 2 "uferlos ausgeweitet" würde und zur einseitigen Interessenwahrung des Geschädigten führe. Gerechtfertigt sei daher die Anwendung dieser als Ausnahmevorschrift des Haftpflicht- und Beweisrechts anzusehenden Vorschrift nur, wenn die mehreren "miteinander zu einer Art Haftungsgemeinschaft aufgrundgemeinsamer Gefährdung verbunden sind" 41. Nach diesen grundsätzlichen Ausführungen stellt sich zwangsläufig die Frage, wie der BGH eine Begründung finden konnte, eine Haftungsgemeinschaft bestehe auch zwischen den beiden Schädigern in der vorliegenden Sache. Zwar war der Zeitablauf zwischen den beiden Unfällen nur gering, jedoch bestand die Besonderheit, daß anders als in den vorangegangenen Entscheidungen diesmal weder eine Einheit der Tat- noch der Erfolgsorte vorlag. Von einer Gleichartigkeit des Schadensherganges konnte ebenfalls nicht die Rede sein, da sicherlich ein Unterschied besteht, ob gesunde Fahrzeuginsassen bei einem Zusammenstoß verletzt werden oder bereits Verletzte, die ins Krankenhaus abtransportiert werden, in einen Unfall verwickelt werden. Schließlich muß gefragt werden, warum gerade diese beiden Schädiger gerade eine "Haftungsgemeinschaft" bilden und in welchen Fällen bei gleicher Unaufklärbarkeit der Verursachung dies nicht der Fall sein soll. Die Ausführungen des BGH zu diesem Aspekt vermögen nicht zu überzeugen, in denen es heißt, es bestehe ein "ausreichender zeitlicher und örtlicher Zusammenhang", da der zweite Unfall sich "bereits" ereignete, als der Krankenwagen 2,5 km von der 1. Unfallstelle weit gefahren war. Die Unfallereignisse seien auch gleichartig, da es sich jeweils um Verletzungen aus einem Verkehrsunfall handelt42 • 40 BGH NJW 71, 507. 41 Ebd., S. 508. 42

Ebd., S. 509.

2. Abschnitt: Ansicht der Rechtsprechung

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Der BGH gibt sich auch mit diesen Feststellungen nicht zufrieden, sondern stützt seine Entscheidung im Ergebnis auf zwei Gedanken, die bis dahin in der Diskussion um § 830 I S . 2 nicht bekannt waren. Er führt aus: "Daß die Unfälle sich nicht gleichzeitig, sondern nacheinander ereignet haben, ist nicht von wesentlicher Bedeutung; die Länge der zwischen den Gefährdungshandlungen der Mehreren verstrichenen Zeit kann allerdings für die Frage Bedeutung haben, ob es gerade das zeitliche Zusammentreffen der beiden Handlungen war, das die Unaufklärbarkeit der Schadensverursachung mit sich brachte. Wesentlich ist deshalb, ob es wegen dieses Zusammentreffens dem Kläger nicht gelingt, die

Ursächlichkeit der Handlungen dieser Mehreren für seinen Schaden bzw. deren Anteil an ihm aufzuklären43 , und ob - umgekehrt ge-

sehen - es einem dieser Mehreren gelingen kann, den gegen ihn sprechenden "Kausalitätsverdacht" auszuräumen44 • Und kurz darauf: "den Eheleuten war es praktisch unmöglich, festzustellen, oder feststellen zu lassen, welche Verletzungen sie schon bei dem ersten Unfall davongetragen hatten. Daß sie das nicht noch vor ihrem Abtransport taten, wohl auch nicht konnten, lag auch im Interesse der Beklagten, die auf schnelle Überführung in ein Krankenhaus mehr Wert legen mußte, als auf Feststellung der von ihr verursachten Verletzungen. Die dadurch den Verletzten entstandene Beweisschwierigkeit durfte daher das Berufungsgericht in Anwendung des Satzes 2 des § 830 Abs. 1 BGB den Verletzten, hier der Klägerin, abnehmen. Der Billigkeitsgedanke, der gerade auch dieser Beweisregel zugrunde liegt, drängt dahin, das Risiko, den Anteil der Beklagten und des Tankwagenfahrers an den Verletzungen nicht mehr aufklären zu können, nicht die Eheleute, hier also die Klägerin, sondern die Beklagte tragen zu lassen." Aus diesen Sätzen ergibt sich, daß der BGH in gleicher Weise die Vorschrift des § 830 I S. 2 für anwendbar gehalten hätte, wenn der Unfall nicht 15 Minuten sondern 1 Stunde später sich ereignet hätte, wenn die Unfallorte nicht 2,5, sondern 40 km weit auseinandergelegen hätten. Denn ändert man den Sachverhalt in der Weise, so bleiben die Beweisschwierigkeiten für die Geschädigten die gleichen, und der Billigkeitsgedanke würde ebenfalls "dahin drängen", das Risiko der Unaufklärbarkeit die möglichen Schädiger tragen zu lassen. In Wirklichkeit hat sich der BGH wohl in dieser Entscheidung- allerdings steht diesem Schluß seine anderslautende Absicht gegenüber 43 44

Hervorhebung vom Verfasser. BGH NJW 71, 509.

72

3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

vom Dogma, § 830 I S. 2 verlange einen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang, gelöst. In der Entscheidung werden der Zeitdifferenz und der Entfernung der Unfallorte voneinander nur noch eine untergeordnete Bedeutung zugewiesen. Entscheidend soll sein, ob der Geschädigte überhaupt nach dem 1. Unfallereignis feststellen bzw. feststellen lassen konnte, welche Verletzungen er erlitten hatte. Reichte hierfür die Zeit nicht aus, oder war die Feststellung aus anderweitigen Umständen nicht möglich (etwa Fehlen eines Arztes an der Unfallstelle, Bewußtlosigkeit des Verletzten, Nichterkennen einer inneren Verletzung), so entspricht es dem Gebot der Billigkeit, nicht den Geschädigten, sondern die Mehrheit potentieller Schädiger haften zu lassen. Damit untersucht der BGH den Sachverhalt nicht primär unter dem Gesichtspunkt, ob ein Zusammentreffen von Zeit und Ort oder Gleichartigkeit der Gefährdung das Unfallereignis kennzeichnet, sondern unter dem Obersatz, ob die Feststellung der Verursachung wegen der besonderen tatsächlichen Gegebenheiten nach objektiven Gesichtspunkten möglich oder unmöglich war. War dem Geschädigten diese Feststellung nicht möglich, so können ihm die Folgen für die Beweisführung nicht angelastet werden45 • In dem Fragenkreis spielt der Sinn und Zweck der Vorschrift immer wieder eine erhebliche Rolle. Die neuere Rechtsprechung beantwortet die Frage in der Weise, in erster Linie sei es Zweck des § 830 I S. 2, die Beweisschwierigkeit des Geschädigten hinsichtlich der Verursachung des Schadenserfolges zu überwinden"; § 830 I S. 2 ziele also darauf ab, die Beweisnot des Verletzten zu beheben. Die innere Rechtfertigung für diese Beweiserleichterung ergebe sich daraus, daß die Beweisschwierigkeit des Geschädigten gerade erst "durch das rechtswidrige und schuldhafte Handeln eines jeden der beteiligten Täter geschaffen worden sei"'7 • In seiner zunächst 1etzten Entscheidung hat darüber hinaus der BGH anklingen lassen, daß die Frage der Haftung bei ungeklärter Verursachung letztlich auch von dem Gebot der Billigkeit mitbestimmt wird48• 4& Auf den zeitlichen und örtlichen Zusammenhang verzichtet OLG Stuttgart NJW 59, 2308 völlig: der zweite Unfall ereignete sich 1 1/t Jahre (!) später an einem anderen Ort. 46 BGHZ 33, 290; BGH NJW 71, 506, 507. 47 Ebd., S. 290, 291. 48 BGH NJW 71, 506, 509.

3. Abschnitt: Ansicht des Schrifttums

73

3. Abschnitt

Ansicht des Schrifttums Als wenig aufschlußreich erweist sich die ältere Literatur, da sie sich weitgehend dem als Grundsatzentscheidung anerkannten Urteil des Reichsgerichts im 58. Band angeschlossen und nur vereinzelt die Haftungsfrage dogmatisch untersucht hat. Als bemerkenswert muß sicherlich die Übereinstimmung in der älteren Lehre angesehen werden, § 830 I S. 2 sei seinem Wortlaut nach zu weit gefaßt und erfordere vom Sinn und Zweck her eine einschränkende Interpretation. Unter eben dieser Prämisse finden sich im Schrifttum drei wiederum voneinander abweichende Ansichten zu der Frage, welche zusätzlichen Voraussetzungen entweder in der Person des Beteiligten oder in seinem Verhalten hinzukommen müssen, um die Haftung auszulösen.

A. Die Lehre Traegers von der "verbotenen Handlung" als Gefährdungshandlung Traeger legte § 830 I 2 in der Weise restriktiv aus, daß seine Anwendung auf die Beteiligung mehrerer an einer unerlaubten Handlung im Sinne einer vom Gesetz oder etwa einer polizeilichen Verordnung verbotenen Handlung beschränkt sei. Erst der individuelle Vorwurf, schuldhaft gegen ein Gebot verstoßen oder ein Verbot mißachtet zu haben, vermöge die Haftung ohne Kausalität der konkreten Schadensverursachung zu rechtfertigen49 • Zu Recht ist vom Schrifttum hiergegen eingewandt worden, eine Einschränkung der Vorschrift auf Handlungen, die bereits für sich genommen als solche den Tatbestand einer unerlaubten i. S. einer verbotenen Handlung erfüllen, sei weder mit dem Wortlaut noch der ratio der Vorschrift vereinbar5°. Denn gerade in der typischen Fallgestaltung eines bei einer Treibjagd sich ereignenden Unfalles verhalten sich die einzelnen Jäger, soweit es die Jagd betrifft, rechtmäßi~ 1 .

Richtig sei es daher, allein darauf abzustellen, ob das Verhalten gefährlich ist, ob es also bereits die Verwirklichung der späteren konkreten Gefahr als nicht auszuschl1eßende Möglichkeit in sich trägt5!. Die Lehre Traegers hat sich zu Recht nicht durchzusetzen vermocht; sie wird heute nicht mehr vertreten. Traeger, S. 286/287. so Gernhuber JZ 61, 148, 149; Esser Bd. li § 112 I 1 b; Larenz § 74 I b; Enneccerus- Lehmann § 247 I 3. st Enneccerus- Lehmann § 247 I 3; Larenz § 74 I b. s2 Staudinger-Schäfer § 830 Rn. 37. 49

3. Kap.:

74

Die Beteiligten (alternative Verursachung)

B. Die Lehre von der notwendigen subjektiven Verbundenheit der Beteiligten (Traeger, Oertmann, Drees, Larenz, Weimar, Lauenstein) Neben der besonderen objektiven Klassifizierung der Gefährdungshandlung als einem verbotenen Tun hat Traeger zusätzlich auch eine subjektive Verbindung zwischen den Beteiligten verlangt53• In seinem Beispielsfall - der mit dem Sachverhalt der BGH-Entscheidung im 33. Band114 nahezu übereinstimmt - einer schuldhaften Gefährdung durch zwei zu schnell fahrende Autofahrer bei ungeklärter tatsächlicher Verursachung des Schadens lehnt Traeger die Anwendbarkeit des § 830 I 2 ab, "da eine Beteiligung nicht stattgefunden hat, beide vielmehr unabhängig voneinander gefahren sind" 55. Unter Berufung auf Traeger hat Oertmann gerade im Zusammenschluß der Beteiligten zu einem gefährdenden Tun letztlich die Rechtfertigung der Haftung eines jeden Beteiligten gesehen56• Sinn und Zweck der Vorschrift entspreche es, diejenigen, die sich zu einem gefährdenden Verhalten zusammengeschlossen haben, für die Folgen der Beweisnotlage aufkommen zu lassen, in die sie durch ihren die Entdeckung des Täters erschwerenden Zusammenschluß den Geschädigten gebracht haben. Es hieße Oertmann aber mißverstehen, er habe die Schaffung der Beweisnotlage als primären Haftungsgrund erachtet57 • Oertmann folgt insoweit der Ansicht Traegers, er verlangt also eine "auf das gefährdende und rechtswidrige Verhalten gerichtete Verbindung" der Beteiligten. Die Beweisnotlage ist Folge dieses Zusammenschlusses und in ihrer Besonderheit zusätzliche Bedingung für die Anwendbarkeit des § 830 I 2. Beteiligung im obigen Sinne und eine Beweisnotlage, die gerade durch die Mehrheit der möglichen Schadensverursacher hervorgerufen ist, müssen also zusammentreffen. Erst beide zusammen vermögen nach dieser Ansicht die Haftung zu rechtfertigen. Ganz auf dem Boden dieser Lehre stehen auch Drees58 und Haager59 • Aus dem unverzichtbaren Erfordernis schuldhaften Verhaltens leiten sie ab, daß jeder von dem gemeinsamen gefährlichen Tun wissen müsse. Erst die Kenntnis von einem ebenfalls zunächst nur abstrakt gefährdenden Verhalten dritter Personen vermöge zur "Beteiligung" zu fühTraeger, S. 288 ff. BGHZ 33, 286 ff. ss Traeger, S. 289. 56 Oertmann § 830 Anm. 3 c. 57 So aber Bauer, S. 4. 58 Drees im Kommentar von Erman § 830 Anm. 5 b. 59 RGRK - Haager § 830 Anm. 8. 53 54

3. Abschnitt: Ansicht des Schrifttums

75

ren. Nach dieser Ansicht läßt sich die Unterscheidung zwischen Mittäterschaft und Beteiligung nur nach der Vorstellung der Schädiger bzw. potentiellen Schädiger treffen. Wollten sie bewußt mit anderen zusammenwirken, so sind sie Mittäter, hatten sie nur Kenntnis voneinander, so sind sie Beteiligte. Auch Larenz glaubte (bis zur 9. Auflage) um "überhaupt noch eine vernünftige Grenze zu ziehen" an dem "Erfordernis eines MiteinanderHandeins und Voneinander-Wissens" festhalten zu müssen; will also die Vorschrift auf Unternehmensdelikte (Treibjagd, Rauferei usw.) beschränkt sehen60 . Nur eine solche - objektiv durch die Verfolgung eines gemeinschaftlichen Zieles (Treibjagd) und subjektiv durch die Kenntnis voneinander - gekennzeichnete Gemeinschaft erlaube es, "von einer solidarischen Verantwortung" zu sprechen.

Weimar verlangt neben Einheit von Raum und Zeit und hinreichendem Tatverdacht eine "Handlungsgemeinschaft, die durch ein schuldhaft gleichartiges Handeln begründet werde"61 • Diese Handlungsgemeinschaft setze zwar keine gemeinsame Verabredung voraus, jedoch ein "Mitmachen". Das Mitmachen müsse schuldhaft erfolgen. Es sei schuldhaft, wenn der einzelne zumindest in Folge von Fahrlässigkeit nicht erkannt habe, daß das Verhalten der anderen gefahrvoll sei. Habe er sich trotzdem hieran beteiligt, so rechne § 830 I 2 den eingetretenen Erfolg, den nur einer der Handelnden verursacht hat, objektiv und subjektiv den anderen zu. Im Ergebnis verzichtet also auch Weimar nicht auf die Kenntnis der Beteiligten voneinander. Er bringt allerdings eine neue Variante der Begründung, warum auf diese Kenntnis nicht zu verzichten sei. Weimar sieht § 830 I 2 als Vorschrift, die eine Haftung aus der Zurechnung fremden Verschuldeos ausspricht. Nicht die eigene möglich kausalgefährdende Handlung ist demnach Haftungsgrund, sondern das Gesamtverhalten, dem sich jeder einzelne angeschlossen hat, obwohl er dessen Gefährlichkeit erkennen konnte. Ähnlich argumentiert Lauenstein, der verlangt aus § 830 I 2 könne nur derjenige haften, der "sich bewußt in eine besondere Gefährdungssituation begeben hat, in der er zusammen mit anderen steht, und er von diesen anderen weiß" aber gleichwohl - und darin liegt der Verschuldensvorwurf - nicht Abstand nimmt62 • &o Larenz 9. Aufl., Bd. li, 5. 458 ; in der 10. Aufl. hat sich Larenz - allerdings nicht ohne Bedenken- der Ansicht der Rechtsprecllung angeschlossen,

§ 74 I b. &t

62

Weimar MDR 60, 463, 464. Lauenstein NJW 61, 1661, 1662.

3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

76

Eine Begründung, warum gerade das Wissen voneinander (wobei noch zu fragen wäre, worauf sich dieses konkret beziehen müßte) die Frage der Haftung entscheidet, vermögen die Vertreter dieser Meinung auch für die selbst gewählten Beispiele nicht zu geben. Gernhuber hat zu Recht darauf hingewiesen, daß unausgesprochen dieser Ansicht der Gedanke zugrundeliegt, die Beteiligung könne nicht beziehungslos als Sonderregelung im Deliktsrecht, sondern müsse im Zusammenhang mit § 830 I 1 gesehen werden63 • Da Mittäterschaft bewußtes und gewolltes Zusammenwirken voraussetzt, glaubt man für die Beteiligung an der Mindestanforderung eines Wissens um das gefährliche Verhalten der anderen als Minus der vorsätzlichen gemeinsamen Unrechtsverwirklichung festhalten zu müssen. Den Vertretern dieser Ansicht ist zuzugeben, daß- will man einen irgendwie gearteten Zusammenhang von Mittäterschaft und Beteiligung aus der gesetzgeberischen Konzeption ableiten, eine Vermutung, die immerhin der Wortlaut nahelegt - es nicht abwegig ist, § 830 I 2 als Zurechnungsnorm anzusehen, die jedem potentiellen Schädiger die "solidarische Verantwortung" auferlegt, weil ihm auch das Verhalten der anderen Beteiligten angerechnet wird. Grundlage der Zurechnung ist danach nicht das "Wollen" der Tat als gemeinschaftliche (§ 830 I 1) sondern das "Wissen" von dem gefährdenden Tun anderer(§ 830 I 2). C. Die Lehre vom tatsächlich einheitlichen, räumlich und zeitlich zusammenhängenden Vorgang Die als herrschend zu bezeichnende Ansicht der Literatur ist der Rechtsprechung gefolgt84 • Auch die Stimmen, die weitergehend eine subjektive Verbindung zwischen den Beteiligten fordern, haben nicht in Frage gestellt, "daß die mehreren selbständigen Gefährdungshandlungen sachlich, räumlich und zeitlich untereinander und mit der alternativ verursachten Schädigung einen tatsächlich zusammenhängenden einheitlichen Vorgang bilden müssen" und "die einzelne Gefährdungshandlung als Teil dieses Vorganges erscheinen muß, in dessen Bereich der Schadenserfolg fällt"65. Schäfer im Kommentar von Staudinger begründet die Notwendigkeit einer einengenden Auslegung des Begriffes der Beteiligung mit zwei 63

Gernhuber JZ 61, 152.

Staudinger-Schäfer § 830 Anm. 30 ff.; Palandt- Thomas § 830 Anm. 3 c; Larenz Bd. II § 74 I b; Soergel- Zeuner § 830 Rn. 10 - mit Bedenken -. 65 So wörtlich: Staudinger-Schäfer § 830 Anm. 31; als Vertreter der hier sog. subjektiven Ansicht: Erman- Drees § 830 Anm. 5 a; RGRK- Haager §830 Anm.9. 64

3. Abschnitt: Ansicht des Schrifttums

77

Gesichtspunkten. Diese sei notwendig zum einen, um der Gefahr einer Ausuferung des § 830 I 2 entgegenzutreten66 , gebiete sich andererseits aber auch aus dem Zusammenhang mit § 830 I 1. Der Berührungspunkt zwischen der "gemeinschaftlichen Begehung" und der "Beteiligung" liege allerdings nicht im subjektiven Bereich, sondern im verwandten Haftungsgedanken: während die Gemeinschaft in 8.1 die "subjektive Nähe" der Täter verlange, erfordere die Beteiligung eine besondere "objektive Nähe", um die Haftung des nur potentiellen Schädigers zu rechtfertigen. Ausgangspunkt einer kritischen Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung und der noch als herrschend zu bezeichnenden Schrifttumsmeinung ist das Unbehagen an den wenig konkreten Abgrenzungskriterien, die in der Formel vom tatsächlich einheitlichen, örtlich und zeitlich zusammenhängenden Vorgang ihre konkreteste Umschreibung gefunden haben. Dieses Unbehagen kommt deutlich bei Zeuner im Kommentar von Soergel-Siebert zum Ausdruck67• Zeuner wirft der herrschenden Meinung vor, überzeugende zusätzliche Abgrenzungskriterien hierdurch nicht gewonnen zu haben. Es sei wenig stichhaltig, die Haftung mehrerer Männer, die als mögliche Verursacher der Geschlechtskrankheit einer Frau in Betracht kommen, davon abhängig zu machen, ob sie der Frau in derselben Nacht und im selben Raum beigewohnt haben. D. Die Kritik an der h. M. und die Lehre vom Verzicht auf den einheitlichen Vorgang I. Die Ansicht BydliDskls

Der denkkritische Anstoß zu einer Überprüfung der bis dahin als gefestigten und fast schon unangreifbar angesehenen Meinung der Rechtsprechung gab im Jahre 1959 Bydlinski in seinem Aufsatz "Haftung bei alternativer Kausalität" 68. Der Verfasser wirft der h. M. vor, eine "künstliche Beschränkung" der Norm zu praktizieren, die sich weder aus der Entstehungsgeschichte noch aus dem Wortlaut rechtfertigen lasse. § 830 I 2 betrachte die Handlungen der einzelnen gerade als selbständige Größe ("seine Handlung") und im Gegensatz zu § 830 I 1 nicht als Bestandteil einer Gesamthandlung. Es bestehe kein Anlaß, den Kreis der Beteiligten durch das Erfordernis der - zufälligen! - räumlichen und zeitlichen 66 67 68

So auch BGH NJW 71, S. 508. Soergel - Zeuner § 830 Rn. 10. JBl 1959, S. 1 ff.

3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

78

Nähe einzuschränken, einem Erfordernis, dessen juristische Bedeutung wegen der reinen Zufälligkeit nicht einzusehen sei69 . Die Haftung aus alternativer Kausalität erkläre sich aus der Schaffung einer unerlaubten Gefahr durch jeden der Beteiligten und die dadurch gegebene Möglichkeit der Schadensverursachung. Haftungsgrund sei also die Gefährlichkeit in Verbindung mit dem Verschulden, die eine Verantwortlichkeit auch ohne nachgewiesener Ursächlichkeit zu tragen vermögen70 • Bydlinski wirft die weitergehende Frage auf - die in einer späteren Arbeit von ihm eine ausführlichere Darstellung gefunden hat - 71 , ob nicht selbst bei Konkurrenz zwischen schuldhaften menschlichen Gefährdungshandlungen und Zufall eine Haftung- zumindest zu einem Teil - bejaht werden könnte. Er glaubt mit dem Gedanken der "Gewinnabwehrfunktion des Schadensrechts" auch eine derart weitgehende Verantwortlichkeit des potentiellen Schädigers rechtfertigen zu können72. D. Die Ansicht Gernhubers

Die Entscheidung des BGH vom 15.11.196073 nahm Gernhuber zum Anlaß zu einer umfassenden Auseinandersetzung mit dem Fragenkreis des§ 830 I 271 • Er wirft der Rechtsprechung vor, "bis heute noch keinen Zugang zum Grundgedanken des § 830 I 2 gefunden zu haben"11i. Das Erfordernis eines tatsächlich einheitlichen, örtlich und zeitlich zusammenhängenden Vorganges sei in Wahrheit nichts anderes "als die Frucht eines unklaren Denkens"76 . Gernhuber macht der Rechtsprechung zum Vorwurf, den Ausnahmecharakter der Vorschrift als "Einbruch in den Grundsatz der Haftung nur für nachweislich verursachte Schäden" aufzufassen und daher durch restriktive Auslegung und ein enges Verständnis des Kreises der Beteiligten zu versuchen, die Gültigkeit ihres fast zum Dogma erhobenen Grundsatzes einer Haftung nur für nachgewiesene Kausalität indirekt zu bestätigen77 . Das Mißtrauen gegenüber dem Ausnahmefall habe dazu Ebd., S. 12. Ebd., S. 13. 71 Bydlinski, Probleme der Schadensverursachung, S. 65 ff., 71, 78 ff. 12 JBl 1959, 8.13 und ders. "Mittäterschaft im Schadensrecht", AcP 158, s. 410 ff., 425 ff. 73 BGHZ 33, 286 ff. 74 Gernhuber JZ 61, 148 ff. 75 Ebd., S. 148. 76 Ebd., S. 142. 77 Ebd., S. 148, 152. 69

10

3. Abschnitt: Ansicht des Schrifttums

79

geführt, dem Gesetz über seinen klaren Wortlaut hinaus zusätzliche Einschränkungen hinzuzufügen, die dem Grundgedanken der Vorschrift entgegenstünden. § 830 I 2 sei sicherlich nicht als reine Beweislastregel zu verstehen78 • Eine derartige Charakterisierung würde nicht die Frage beantworten können, warum gerade die auftretenden Beweisschwierigkeiten des Geschädigten bei der Fallgestaltung des § 830 I 2 eine Umkehr der Beweislast notwendig erscheinen ließen. Auch die möglicherweise kausale Schuldhaft gefährdende Handlung für sich genommen ist nach Ansicht von Gernhuber nicht geeignet, die Haftung zu tragen. Nicht jeder Schaden, der als Ende zumindest zweier Geschehnisabläufe gedacht werden könne, erfülle den Tatbestand des § 830 I 2. Sei ein Unfall auf Schnee- oder Eisglätte zurückzuführen, habe der Beklagte aber nur für die Eisglätte einzustehen, so versage § 830 I 2, obwohl eine Handlung im obigen Sinne vorliege79 • Gernhuber wendet sich auch gegen den Versuch Bydlinskis, mit dem Gedanken der "Gewinnabwehr" die Vorschrift des § 830 I 2 zu erklären80. Denn bei Konkurrenz von Verschulden und Zufall stehe dem möglicherweise gerechtfertigten Vorteil des Geschädigten immer der möglicherweise nicht gerechtfertigte Nachteil zu Lasten des Schädigers gegenüber (nämlich bei einer auf Zufall beruhender Schadensverursachung). Sein eigenes Verständnis der Norm beruht weniger auf einer dogmatischen Neubesinnung als auf einer rechtshistorischen Sicht: § 830 I 2 sei "eine zeitbedingte Antwort des 19. Jahrhunderts auf eine jederzeit neu gestellte Frage"81 • "Hinter ihm stehe das auf sich selbst gestellte Individuum, das den Schrei nach Ersatz aller erlittenen Schäden noch nicht kennt, sondern Schäden zu ertragen weiß, freilich auch in der Selbstbehauptung sonst anerkannte Grundsätze des Schadensersatzrechtes nicht mehr gelten läßt, wenn der Schaden nur aus dem Verantwortungshereich anderer erklärt werden kann82." Da Gernhuber § 830 I 2 nicht als zeitlos gültigen Gedanken akzeptiert, hätte man erwartet, von ihm eine zeitbedingte Antwort auf die Fragen zu erhalten. Der Hinweis auf eine Reform des geltenden Rechts vermag nicht zu überzeugen, da Gernhuber auch von ihm eine "wohl abgewogene Antwort" erwartet, die aber sicherlich aus der Kritik an den 78

79

8o 81

82

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. 150. S. 150, 151. S. 151. S. 151. S . 151.

80

3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

Erkenntnissen des jetzigen Rechts und aus einer zeitbedingten dogmatischen Erklärung der Vorschrift, die man bei Gernhuber vergebens sucht83, gefunden werden muß. Gernhuber erbringt überdies nicht den Beweis, warum § 830 I 2 als Relikt einer vergangenen Zeit heute nicht mehr in der Lage sein soll, die schwierige Entscheidung zwischen den Interessen des Geschädigten und der nur möglich kausal handelnden Schädiger zu treffen.

m. Die Ansicht Deubners Auch Deubner hat in einer Rezension der genannten BGH-Entscheidung84 sich eindeutig gegen das zusätzliche Erfordernis eines irgendwie gearteten einheitlichen Vorgangs gewandt815 • Beteiligung setze ein "Teilhaben" voraus. Das hieße aber nicht unbedingt Teilhabe an einem örtlich und zeitlich einheitlichen Vorgang, sondern könne auch, da das Gesetz schweige, ein "durch eine mögliche Urheberschaft bedingtes Teilhaben an der Auseinandersetzung über die wirkliche Verursachung" bedeuten86 . Überzeugende Gründe für eine eingeschränkte Auslegung des Beteiligtenbegriffs vermag Deubner nicht zu erkennen. Er sieht mit dem BGH die Zweckbestimmung des § 830 I 2 in der "Beseitigung von bestimmten den Geschädigten besonders unbillig treffenden Beweisnotständen"87. Diese Zweckbestimmung würde vereitelt, wenn man die allerdings typische Ursache- tatsächlich einheitlicher Vorgang- zur unbedingten Voraussetzung der Norm machen würde, und damit atypische Geschehensabläufe a priori ausscheiden ließe. Die in § 830 I 2 durch den Gesetzgeber getroffene Interessenregelung sei für die Rechtsanwendung verbindlich. Daher müsse sich eine Kritik diese Vorschrift nicht durch den Gesetzgeber für unverbindlich erklärt sei. Die Entscheidung, den Geschädigten wegen der Unmöglichkeit des Kausalitätsnachweises nicht leer ausgehen zu lassen, sei aber richtig, da die Beteiligten schuldhaft gehandelt haben. Gerade der volle Verschuldensnachweis rechtfertige die Haftung bei Kausalitätsvermutung88. Die Ansicht Deubners hat den Vorzug, klar und eindeutig die Zweckbestimmung der Norm bei der Auslegung ihres Anwendungs83

Diesen Vorwurf macht auch Bydlinski Gernhuber, Probleme, S. 79/80,

Fn.184. 84 BGHZ 33, 266 ff. 85 Deubner JUS 1962, 383 ff. 86 Ebd., S. 385. 87 Ebd., S. 386. 88 Ebd., S. 387.

3. Abschnitt: Ansicht des Schrifttums

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bereiches in den Vordergrund der Diskussion gerückt zu haben; sie weist den Nachteil auf, mit dem Hinweis auf das Verschulden jedes Beteiligten nur eine pauschale Antwort auf die Frage gegeben zu haben, warum die Beweiserleichterung gerade dem Geschädigten im Falle des § 830 I 2 zukommen soll. IV. Die Ansieht Bauers

Bauer hat zunächst als zeitlich letzte sich mit dieser Problematik befaßt89. Sie knüpft an die Ausführungen Deubners an, dem sie insoweit zustimmt, daß der Zweck der Vorschrift für sich genommen es nicht rechtfertige, den zeitlichen und örtlichen Zusammenhang als einschränkendes Haftungsmerkmal anzuerkennen90• Nur das der Vorschrift zugrundeliegende Haftungsprinzip könne daher etwas über die Berechtigung der Einfügung dieser ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale sagen. Als methodisch neu ist Bauers Versuch anzusehen, in Abkehr von den bislang beschrittenen Wegen, das Haftungsprinzip aus einem einzigen Gesichtspunkt abzuleiten, gerade aus dem Zusammentreffen mehrerer Aspekte die Haftung zu erklären91 .

Nicht das potentiell kausale, rechtswidrig schuldhafte Verhalten für sich allein, auch nicht die Tatsache, daß der Verletzte durch ein haftungsbegründendes Ereignis geschädigt worden ist, rechtfertige die Haftung, sondern die besondere Beweisnotlage des Geschädigten, die bei Ungewißheit der Verursachung doch mit Gewißheit feststellen läßt, "daß der erlittene Schaden nach der Gerechtigkeitsentscheidung der Haftungsordnung auszugleichen, von Dritten zu ersetzen ist und daß jede als Urheber in Betracht kommende Person durch rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten die Gefahr gerade dieser Schädigung herbeigeführt hat" 91 . Der zeitliche und örtliche Zusammenhang sei allenfalls typisch für einen unaufklärbaren Sachverhalt; einschränkende Haftungsvoraussetzung könne er nicht sein91, 12.

89 Bauer JZ 71, 4 ff. 9o

Ebd., S. 6.

92

Die Lehre vom zeitlichen und örtlichen Zusammenhang lehnen ebenfalls

91 Ebd., S. 6.

Buxbaum, S. 118 ff., 125 und Esser Bd. II § 112 I 1 b ab. 6 Brambring

82

3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

E. Zusammenfassung Im Schrifttum lassen sich heute 3 Ansichten erkennen. Eine erste Ansicht beschränkt § 830 I 2, in dem Bemühen, den Anwendungsbereich möglichst eng zu halten, auf Fälle, in denen zwischen den Schädigern zusätzlich zu einem tatsächlich einheitlichen Vorgang, an dem sie beteiligt sind, auch eine subjektive Verbindung zumindest in Form des Voneinander-Wissens besteht. Eine der Rechtsprechung folgende Meinung lehnt dieses subjektive Tatbestandsmerkmal ab, verlangt dafür aber als objektives Erfordernis einen tatsächlich einheitlichen, räumlich und zeitlich zusammenhängenden Vorgang. Eine dritte, im Vordringen befindliche Ansicht will auf jede Einschränkung, sei es subjektiver oder objektiver Art, verzichten und glaubt, allein aus der Zweckbestimmung oder dem Grundgedanken bzw. aus einer Verknüpfung beider Gesichtspunkte die Antwort auf die in § 830 I 2 auftretenden Fragen finden zu können. 4. Abschnitt

Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag A. Deutung des in der Rechtsprechung festgestellten Wandels als Anpassung an die veränderten Lebenssachverhalte ungeklärter alternativer Verursachung I. Die Untemehmenssltuatlon (Raufhandel, .Jagdunfall) als typischer Sachverhalt in der Rechtsprechung des Reichsgerichts

In der Rechtsprechung zu § 830 I 2 ist von der ersten grundlegenden Entscheidung des RG vom 30. Juni 1904 (Knallerbsenfall) bis zu den neuestenUrteilen des BGH aus dem Jahre 1970 ein deutlicher Wandel erkennbar. Der "tatsächlich örtlich und zeitlich einheitliche Vorgang" als unbedingtes Erfordernis der Haftung bei alternativer Kausalität hat seine Bedeutung immer mehr verloren. Der BGH läßt einen sehr weiten Zusammenhang von Zeit und Ort genügen, er hat das Merkmal der Gleichartigkeit der Gefährdungshandlungen in die Prüfung der Vorschrift eingefügt und zuletzt erkennen lassen, daß auch Billigkeitserwägungen bei der Abgrenzung des Haftungsbereiches eine Rolle spielen. Dieser Wandel läßt sich nicht als Folge einer dogmatischen Überprüfung der bereits als "klassisch" zu bezeichnenden Lehrsätze des Reichsgerichtes erklären. Dagegen spricht eindeutig, daß der BGH in

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

83

nahezu allen Entscheidungen, die veröffentlicht wurden, sich auf die bisherige Rechtsprechung, insbesondere auf die Grundsätze im Urteil des Reichsgerichts vom 30. Juni 1904, beruft und sie ausdrücklich bestätigt93 • Ist gleichwohl festzustellen, daß der Anwendungsbereich der Haftung aus alternativer Kausalität erweitert worden ist- eine Entwicklung, die gerade erst begonnen und sicherlich noch nicht als abgeschlossen bezeichnet werden kann, - so müssen hierfür andere Gründe gefunden werden. Es fällt auf, daß den frühen Entscheidungen des Reichsgerichts Sachverhalte zugrundelagen, die dadurch gekennzeichnet waren, daß die möglichen Schadensverursacher sich zu einem gemeinsamen Unternehmen zusammengeschlossen hatten; der Unfall hatte sich anläßlich einer Jagd ereignet oder war Folge eines Raufhandels. Es ist verständlich, daß das Reichsgericht diese Fallgestaltung zum Ausgangspunkt seiner Rechtsprechung zu § 830 I 2 machte, zumal auch der Gesetzgeber, wie die Entstehungsgeschichte beweist, derartige Unfallereignisse insbesondere gemeint hatte94 • Auch bei späteren Entscheidungen, in denen diese Unternehmenssituation nicht vorlag, war der Unfallablauf doch so, daß Einheit von Zeit und Ort unbedenklich zu bejahen waren. II. Der Verkehrsunfall als typisdler Sadlverhalt in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes

Erst Lebenstatbestände, in denen diese zeitliche und örtliche Einheit möglicher Schadensursachen nicht mehr vorlag, waren Anlaß für die Rechtsprechung, den Anwendungsbereich des § 830 I 2 zu erweitern. Es handelte sich hierbei um Unfälle im Straßenverkehr. Es ist bisher zuwenig beachtet wor den, daß die neueren Urteile des BGH, die die Diskussion über § 830 I 2, die bereits abgeschlossen zu sein schien, auch in der Literatur wieder in Gang brachten, von einer typischen Konstellation gekennzeichnet werden: jemand wird im Straßenverkehr verletzt ohne nachweisen zu können, welcher Verkehrsteilnehmer den Unfall tatsächlich verursacht hat. Damit ist der Fragenkreis zu § 830 I 2 um eine ebenso wie die Jagdunfälle oder der Raufhandel typische Fallgruppe erweitert worden. Derartige Geschehensabläufe konnten früher in die Erörterung nicht einbezogen werden, da sie erst durch die heutige Verkehrsdichte auf den Straßen denkbar geworden sind. 93

Vgl. zuletzt BGH NJW 71, 506.

Protokolle der zweiten Kommission zum ersten Entwurf, Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB, II, S. 412 und S. 1096. 94

84

3. Kap.:

Die Beteiligten (alternative Verursachung)

Der Wandel in der Rechtsprechung wurde durch die Konfrontation mit neuartigen Lebenssachverhalten alternativer Verursachung bedingt. Die Gerichte haben erkannt, daß sich diese Fälle nicht mehr mit der auf andere Sachverhalte zugeschnittenen Formel des einheitlichen Vorganges lösen lassen. Anstatt aber die Lehrsätze, deren Richtigkeit zumindest zweifelhaft, deren praktische Untauglichkeit sich erwies, anhand dieser neuen Fallgruppe neu zu überdenken und sie gegebenenfalls den neuen Erkenntnissen anzupassen, hat sich die Rechtsprechung begnügt, im Wege einer fragwürdigen Interpretation den Satz vom örtlichen und zeitlichen Zusammenhang zu modifizieren, seine Richtigkeit jedoch im Ergebnis nicht in Zweifel gestellt. Eine neue Fallgruppe-Unfälle im Straßenverkehr- zwingt aber, die bisherige Lehre auch dogmatisch neu zu überdenken.

B. Das Verständnis vom zeitlimen und örtlichen Zusammenhang L in der grundlegenden Entacileldung des RG aus dem Jahre 1904

Das Reichsgericht hat das zusätzliche Erfordernis eines einheitlichen, zeitlich und örtlich zusammenhängenden Vorganges aufgestellt. Es hieße das RG aber mißverstehen, wenn man meint, es habe weitergehend die Haftung der Beteiligten davon abhängig sein lassen, daß zwischen ihnen ein Zweckzusammenhang etwa in der Form einer Verabredung zu einem gemeinsamen Tun (Jagd, Rauferei) besteht, wie Buxbaum annimmt95• Richtig an ihrer Ansicht ist, daß in den frühen Entscheidungen und auch im Urteil vom 30. Juni 1904 eine Verabredung zu einer gemeinsamen Unternehmung vorangegangen war, unrichtig bleibt aber ihre Folgerung, das RG habe § 830 I 2 für unanwendbar gehalten, wenn das Zusammentreffen der mehreren Handlungen auf Zufall beruht. Das RG hat lediglich in einer einzigen Entscheidung ausdrücklich über den tatsächlichen Zusammenhang im objektiven Sinne hinaus eine Verabredung der Beteiligten als Haftungsvoraussetzung gefordert, in sämtlichen anderen Entscheidungen hierauf ausdrücklich oder stillschweigend verzichtet96. Der Umstand, daß sich das RG zunächst ausschließlich mit diesen Sachverhalten zu befassen hatte, war rein zufällig. Es ist kein weiteres Urteil bekannt, in dem die Gerichte eben wegenFehlenseiner subjektiven Verbindung der Beteiligten die Anwendbarkeit der Vorschrift 95 96

Buxbaum, S. 7.

Vgl. vorstehend 3. Kap. 2. Abschnitt unter A III.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

85

abgelehnt hätten. Deshalb auch konnte das RG bei dem ersten Fall einer Beteiligung ohne Zweckzusammenhang der Handlungen § 830 I 2 anwenden, ohne sich mit seiner bisherigen Rechtsprechung auseinandersetzen zu müssen97 • Die Rechtsprechung des RG ist also allein dadurch gekennzeichnet, daß sie in die Vorschrift das Erfordernis des tatsächlich einheitlichen, zeitlich und örtlich zusammenhängenden Vorganges eingefügt hat, und zwar erstmals durch die Entscheidung vom 30. Juni 1904.

Bauer meint, daß der Satz von der zeitlichen und örtlichen Einheit hier keine begründete Folgerung, sondern schlicht eine Unterstellung des RGs war, die der konkrete Sachverhalt in seiner speziellen Faktizität nahegelegt habe98 . Diese Feststellung ist insoweit richtig, als das RG sicherlich nicht die Voraussetzung des einheitlichen Vorganges als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in die Norm einfügen wollte. Bauer kann allerdings nicht darin gefolgt werden, das RG habe mit einer Unterstellung gearbeitet. Das RG hat aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift heraus versucht, die Vorstellung des Gesetzgebers von der tatsächlichen Situation, wie sie § 830 I 2 zugrundeliegt, nachzuvollziehen. Die Situation wird zutreffend beschrieben. Aus ihr glaubte das RG den einzigen tatsächlich richtigen Schluß ziehen zu müssen, die Situation einer Unaufklärbarkeit der Schadensverursachung sei eben nur vorstellbar bei Einheit von Zeit und Raum. Das ist aber kein für alle Zeiten als verbindlich erachteter rechtlicher Schluß, sondern eine von der Vorstellungsweit des RG bestimmte Schlußfolgerung einer tatsächlichen Bedingung für die Unaufklärbarkeit der Schadensverursachung. Hat das Reichsgericht im Jahre 1904 die Ermittlung des wirklichen Schadensverursachers in der besonderen Situation des § 830 I 2 nur dann für ausgeschlossen gehalten, wenn die Schädiger in zeitlicher und räumlicher Nähe zueinander gehandelt haben, so schließt das keineswegs aus, daß heute die gleiche Situation vorstellbar ist ohne diese Nähe. Damit ändert sich nicht die rechtliche Wertung, sondern das Vorstellungsbild des tatsächlich Möglichen. Vielleicht kann man den Satz Gernhubers, § 830 I 2 sei die "zeitbedingte Antwort des 19. Jahrhunderts", in der Weise modifizieren, daß der Schluß zeitlicher und örtlicher Zusammenhang sei notwendige Folge der die Anwendung des § 830 I 2 voraussetzenden Unaufklärbarkeit der Verursachung, eine zeitbedingte Antwort des Reichsgerichts ist. 97

98

Vgl. vorstehend 3. Kap. 2. Abschnitt unter B . Bauer JZ 71, 4, 6.

86

3. Kap.:

Die Beteiligten (alternative Verursachung) ß. in der Rechtsprechung des BGH

Der BGH hat- wie dargestellt - die Begriffsdeutung der Beteiligung zur Formel erstarren lassen und sie als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in den § 830 I 2 eingefügt99 • Er konnte dies zunächst auch tun, da keine Entscheidung bekannt ist, in der eine Haftung am Fehlen dieser Voraussetzung hätte scheitern müssen. Erst die Fallgruppe: Unfälle im Straßenverkehr stellte die Rechtsprechung vor neue Probleme. Auf der einen Seite erschien es grob unbillig, dem Geschädigten einen Schadensausgleich zu verwehren, auf der anderen Seite fehlte es offenbar an der Einheit von Zeit und Raum zwischen den den Schaden möglicherweise verursachenden Ereignissen. War es zunächst noch möglich, die Voraussetzungen des zeitlichen Zusammenhanges durch eine weite Interpretation zu bejahen, so mußte die Methode der extensiven Begriffsauslegung dort versagen, wo offenbar der örtliche Zusammenhang gesprengt war, da die Unfallorte mehrere Kilometer auseinanderlagenloo. Es muß daher der Eindruck entstehen, daß die Formel vom einheitlichen Vorgang in dem Augenblick, wo sie auf eine ernsthafte Probe gestellt wurde, versagt hat, auch versagen mußte, da der heutige Straßenverkehr die Begriffe von Zeit und Ort relativiert hat. Diese Schlußfolgerung, die zu einem Verzicht auf die alte RG-Formel hätte führen müssen, glaubt der BGH aus Gründen der Rechtssicherheit nicht ziehen zu können101 • Wenn er gleichwohl zusätzliche Kriterien, wie die Frage nach der Zweckbestimmung und allgemeine Billigkeitserwägungen in die Erörterung über § 830 I 2 einfügt, so beweist dies deutlich, wie wenig zutreffend diese Formel heute noch sein kann und auch nach Ansicht des BGH ist. Als Fazit dieser Überlegung steht der Satz, daß die Schlußfolgerung des Reichsgerichts für die damalige Zeit vielleicht ihre Berechtigung gehabt haben mag, heute aber nicht mehr gültig sein kann und aus der Intention des RG auch gar nicht unbedingt für alle Zeit gültig bleiben sollte. Der heutige Straßenverkehr, der Begriffe wie Zeit und Raum immer stärker zusammenschmelzen läßt, verlangt eine zeitbedingte Antwort, die sich von der Vorstellungswelt des RG lösen muß. Damit richtet sich die Kritik nicht in erster Linie gegen das RG, sondern gegen die Rechtsprechung des BGH, der das Merkmal des einheitlichen Vorganges als zeitloses ungeschriebenes und unveränderbares Erfordernis der Haftung auffaßt. 99 Vgl. vorstehend 3. Kap. 2. Abschnitt unter C. 1oo BGH NJW 71, 506 ff. 1o1 Ebd., S. 508.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

87

C. Verzicht auf eine sowohl subjektive als auch objektive Beschränkung des Kreises der Beteiligten I. Ablehnung der Lehre von der inneren Verbundenheit der Beteiligten

Der Verzicht auf den einheitlichen Vorgang, der von einzelnen Stimmen in der Literatur gefordert wird, sieht sich dem vor allem von dem BGH heraufbeschworenen Vorwurf ausgesetzt, diese Ansicht führe "zu einer uferlosen Ausweitung des vom Gesetz bewußt begrenzten Anwendungsbereich des § 830 I 2 und trage den Interessen des Geschädigten einseitig Rechnung" 102, Diesem Vorwurf hat man in der Literatur zu begegnen versucht, indem man nicht auf den objektiven Zusammenhang der Gefährdungshandlungen, sondern auf das innere Band zwischen den Beteiligten als entscheidendes Kriterium der Abgrenzung abgestellt hat. Die Vertreter dieser Ansicht berufen sich allerdings zu Unrecht insoweit auf die arg strapazierte Entscheidung des RG vom 30. Juni 1904. Es ist nachgewiesen, daß das RG die "von der Gemeinschaftlichkeit des Tuns (in Satz 1) ganz verschiedene Gemeinsamkeit des Tuns (in Satz 2) nicht in dem Sinne verstanden hat, die Beteiligten müßten zumindest voneinander Kenntnis gehabt haben. Da das RG bereits die "Gemeinschaftlichkeit" nicht i. S. einer subjektiven Verbindung (gemeinsamer Vorsatz) zwischen den Mittätern verstand, sondern als objektives Teilhaben am schuldhaft verursachten Erfolg, muß die Ansicht entschieden zurückgewiesen werden, die "Gemeinsamkeit" sei vom RG i. S. einer inneren Verbindung der Beteiligten verstanden worden103 • Der BGH hat aus der Entstehungsgeschichte und der Zweckbestimmung der Norm den Nachweis geführt, § 830 I 2 erfordere nicht die Gemeinschaftlichkeit der Gefährdung in dem subjektiven Sinne des Miteinander-Handeins und Voneinander-Wissens. Er beruft sich auf § 714 des I. Entwurfes, der gerade vorausgesetzt habe, daß "von den mehreren nicht gemeinsam gehandelt wurde" und führt im übrigen aus: "Unerheblich ist für ... das geschützte Beweisinteresse des Verletzten, ob die mehreren rechtswidrig und schuldhaft handelnden Gefährdungsteilnehmer durch ein inneres Band miteinander verknüpft sind oder nicht. Denn eine solche subjektive Verbundenheit berührt weder auf Seiten der Handelnden die Rechtswidrigkeit, die Schuld 102

Ebd., S . 508.

1os Vgl. vorstehend 3. Kap. 2. Abschnitt unter A III.

3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

88

oder die Gefährdung, noch ist sie für den Verletzten im mindesten von Belang. Denn er ist nur durch das nach außen wirkende Verhalten eines einzelnen geschädigt worden, und sein Beweisnotstand wird nicht dadurch gemildert, daß die mehreren Gefährdungstäter ein jeder für sich handelten und nichts voneinander wußten104." Beide Argumente vermögen an sich zu überzeugen, erweisen sich aber als wenig stichhaltig, wenn man auch im übrigen dem BGH zu folgen bereit ist. Denn weder Entstehungsgeschichte noch Zweckbestimmung sagen etwas darüber aus, ob§ 830 I 2 einen einheitlichen Vorgang voraussetzt, den die Rechtsprechung aber gleichwohl in die Vorschrift eingefügt hat. Der Begriff des zeitlichen und örtlichen Zusammenhanges taucht weder im I. Entwurf, in den Motiven noch in den Protokollen auf. Es ist auch nicht einzusehen, warum einerseits das "innere Band" für das geschützte Beweisinteresse unerheblich, der "äußere Zusammenhang" aber erheblich sein soll. Man kann die Probe aufs Exempel machen und in dem zitierten Gedankengang die Worte "inneres Band" durch "einheitlicher Vorgang" ersetzen. Die Ausführung des BGH würde nichts an ihrer Richtigkeit einbüßen. Denn auch der einheitliche Vorgang oder sein Fehlen berühren weder "Rechtswidrigkeit, Schuld oder die Gefährdung" noch ist einzusehen, inwieweit dieser gerade für den Verletzten von Belang sein soll. Sicherlich wird sein Beweisnotstand nicht dadurch gemildert, daß die Gefährdungstäter nicht in örtlichem und zeitlichem Zusammenhang gehandelt haben. Der Verletzte kann entweder den Nachweis der Ursächlichkeit erbringen oder er kann es nicht. Das ist eine Tatfrage, und die Unerweislichkeit beruht allenfalls typisch auf einem derartigen zufälligen Zusammentreffen.

Bauer hat im Anschluß an Überlegungen von Gernhuber überzeugend nachgewiesen, daß es auf das Miteinander-Handeln oder Voneinander-Wissen nicht ankommen kann1os. Rechtfertigt gerade die bewußte Beteiligung an einem gefährlichen Tun die Mitverantwortung aller Teilnehmer, so hieße das, § 830 I 2 einen eigenen neuen Deliktscharakter als Gefährdungstatbestand beizumessen. Der Beteiligte würde haften, weil er Kenntnis von dem gefährdenden Verhalten der anderen hat und gleichwohl sich hieran beteiligt. Wäre dies der entscheidende Haftungsgesichtspunkt, so müßte folgerichtig jedem der als Verursacher in Betracht kommenden Gefährdungsteilnehmer die Möglichkeit abgeschnitten sein, den Nachweis zu führen, 104 105

BGHZ 33, 286, 289. Bauer JZ 71, 4, 5.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

89

nicht ursächlich für den Schaden geworden zu sein, da es für seine Haftung nicht mehr von Belang wäre. Dieses Ergebnis ist sicherlich nicht richtig und wird auch von niemandem vertreten106 • Das aber beweist wiederum, daß jeder Beteiligte nicht für das ihm aufgrund seiner Kenntnis zurechenbare Verhalten Dritter haftet, sondern allein für das eigene, möglich kausale rechtswidrig schuldhafte Verhalten einzustehen hat107 • Unausgesprochen steht hinter der Ansicht, Beteiligung setze eine innere Verbundenheit der Täter voraus, das Bemühen, für den vom Gesetzestext vorgegebenen Zusammenhang zwischen Beteiligung und Mittäterschaft eine Erklärung zu geben. Dieser Zusammenhang besteht sicherlich, jedoch nicht im Hinblick auf gemeinsame Haftungsvoraussetzungen, sondern ausschließlich im Hinblick auf die gemeinsame Haftungsfolge (§ 830 I 2: "Das gleiche gilt", nämlich: "jeder ist für den Schaden verantwortlich"). § 830 Absatz I faßt also lediglich gesetzestechnisch Fälle solidarischer Haftung zusammen. Deutlich wird dies noch in der Fassung des II. Entwurfes. § 753 lautet: "Das gleiche gilt, wenn mehrere nicht gemeinschaftlich gehandelt haben und sich nicht ermitteln läßt, wessen Handlung den Schaden verursacht hat." Wie Buxbaum zutreffend feststellt, beruht die endgültige Fassung des § 830 I 2, in der die negative Voraussetzung des gemeinschaftlichen Handeins fehlt, nicht auf einer späteren sachlichen Änderung, sondern lediglich auf einer sprachlichen Neuformulierung108 • Sprechen bereits Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Zweckbestimmung und Haftungsprinzip gegen das Erfordernis einer irgendwie gearteten inneren Verbundenheit als den Tatbestand des§ 830 I 2 einschränkendes Merkmal, so erweisen die unterschiedlichen Ergebnisse, die die Vertreter dieser Ansicht in Kauf nehmen müssen, ganz offensichtlich, wie wenig überzeugend ihre Ansicht bleiben muß. Die Unterscheidung, ob der auf die Fahrbahn geschleuderte Fußgänger von einer Wagenkolonne überfahren worden ist, die von einer Hochzeitsgesellschaft gebildet wird, oder ob eine zufällige Kolonne ihn überrollt hat, ist sicherlich rechtlich für den Anspruch des Geschädigten völlig unerheblich. Die Vertreter dieser Meinung, die im letzteren Fall dem Geschädigten den Schadensausgleich versagen wollen, da zwischen den Autofahrern eine innere Verbundenheit fehlt, nehmen eine Konsequenz in Kauf, die schon beinahe absurd wirkt109 • 1oe Es ist völlig unbestritten, daß es sich bei § 830 I 2 um eine - widerlegbare - gesetzliche Vermutung handelt, vgl. statt aller RGZ 121, 400; BGH VersR 1956, 627, 629; Staudinger-Schäfer § 830 Rn. 36.

Bauer, S . 5. 1os Buxbaum, S. 5.

101

to9

Vgl. auch Staudinger-Schäfer § 830 Rn. 32.

90

3. Kap.:

Die Beteiligten (alternative Verursachung)

Die Versuche, den Anwendungsbereich des § 830 I 2 durch das Einführen eines subjektiven Merkmals zu begrenzen, sind, weil dogmatisch verfehlt und in ihren praktischen Ergebnissen unbefriedigend, abzulehnen. Insoweit ist der Rechtsprechung beizupflichten. II. Ablehnung der Lehre vom zeitlichen und örtlichen Zusammenhang

Es stellt sich daher erneut die Frage, ob für die solidarische Haftung der Beteiligten ein einheitlicher Vorgang zu fordern ist, um der angeblichen Gefahr "einer uferlosen Ausweitung des vom Gesetz bewußt begrenzten Anwendungsbereich des § 830 I 2" zu begegnen.

1. Die Bedeutungslosigkeit als Abgrenzungskriterium in der Praxis Die Behauptung des BGH, das Gesetz habe "bewußt" den Anwendungsbereich begrenzt, ist ebenso eine bisher nicht belegte oder bewiesene These wie die heraufbeschworene Gefahr der uferlosen Ausweitung.

Buxbaum hat in ihrer Arbeit aus dem Jahre 1965 zu Recht darauf hingewiesen, daß in über 60 Jahren Rechtsprechung zu § 830 I 2 noch kein Fall vorgekommen ist, in dem jemand trotz nachgewiesenem eigenem Verschulden plus der Möglichkeit der eigenen Verursachung nicht gehaftet hat110 • Diese Feststellung ist bis heute gültig geblieben. Die neueren Entscheidungen zu Unfällen im Straßenverkehr haben sogar erwiesen, daß in der Praxis ein Bedürfnis besteht, diese Vorschrift über den bisherigen Rahmen hinaus anzuwenden. Wenn selbst die Beteiligung an reinen Gefährdungsdelikten außerhalb des Deliktsrechts- gemeint ist die Haftung des Fahrzeughalters aus § 7 StVGzur Verantwortlichkeit aus § 830 I 2 führt, die Rechtsprechung also selbst bereit ist, auf den bisher als Essential aufgefaßten Verschuldeosvorwurf zu verzichten, so liegt hierin sicherlich eine viel weitergehende Ausweitung der Norm als in dem Verzicht auf den zeitlichen und räumlichen Zusammenhang.

2. Die unzutreffende Berufung auf den Willen des Gesetzgebers Die Berufung auf den Gesetzgeber, der den Anwendungsbereich in dieser Weise "bewußt" begrenzt habe, kann nicht belegt werden. In der Entstehungsgeschichte findet sich kein Hinweis - sieht man von 110

Buxbaum, S. 119.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

91

dem zur Illustration gewählten Beispiel des Raufhandels ab -, § 830 I 2 setze einen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang voraus111 • Andererseits hat der Gesetzgeber durch die Fassung des § 830 I 2 ausreichend klar und bestimmt genug die Kriterien aufgestellt, bei deren Vorliegen solidarisch gehaftet wird, so daß auch ohne den Zusammenhang von Ort und Zeit einer uferlosen Ausweitung Schranken gesetzt sind. 3. Die Ableitung aus dem Haftungsprinzip

Als in Wirklichkeit entscheidendes Argument für seine Ansicht sieht der BGH auch einen anderen Gedanken. Er glaubt der Gefahr begegnen zu müssen, daß "den Interessen des Geschädigten in einseitiger Weise Rechnung getragen wird" 112 • § 830 I 2 bevorzugt ganz ohne Zweifel den Geschädigten, da er ihm den Nachweis der Kausalität erspart. Ob diese Bevorzugung allerdings, wie die Rechtsprechung und die h. M. annehmen, nur dann gerechtfertigt ist, wenn die Beteiligten an einem, insgesamt gesehen einheitlichen, den Schaden auslösenden Vorgang beteiligt waren, ist eine andere Frage. Eine Antwort wird man nur finden können, wenn man Rechtsgrundlage und Haftungsprinzip der Vorschrift aufdeckt, also Sinn und Zweck des in § 830 I 2 ausgesprochenen Verzichts auf den Kausalitätsnachweis zu erklären vermag.

Ziel und Zweck der Vorschrift sind immer unbestritten geblieben: es geht in § 830 I 2 darum, die Beweisnot des Geschädigten zu beheben113. Nun sind Fälle der Beweisnot eines Geschädigten nichts Besonderes. Allzu häufig scheitert ein an sich dem Geschädigten zustehender Schadensausgleich daran, daß der Geschädigte dem Schädiger die Ursächlichkeit seines Verhaltens nicht nachzuweisen vermag. Es muß sich daher die Frage stellen, warum gerade in Fällen des § 830 I 2 der Gesetzgeber den Geschädigten wegen seiner Beweisschwierigkeiten für besonders schutzwürdig hält, warum das Gesetz gerade hier die Interessen des nicht nachweislich kausal handelnden Schädigers hinter denen des Geschädigten zurücktreten läßt. a) Die verschiedenen Ansichten In der Lehre finden sich vielfältige Erklärungen, die insgesamt dadurch gekennzeichnet sind, daß sie einen Gesichtspunkt als den das § 830 I 2 tragende Haftungsprinzip ansehen. 111 Vgl. Nachweise bei Buxbaum, S. 4, 5. 112 BGH NJW 71, 508. 113 Vgl. bereits Mot II, 738; Prot II, 606 und statt aller RGZ 124, 402 ff.; BGHZ 25, 273 ff.

92

3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

1. Die Lehre, erst das Voneinander-Wissen und Miteinander-Handeln, also die bewußt gemeinsame Gefährdung, rechtfertige die Durchbrechung des Verursachungsprinzipes im Deliktsrecht, vermag - wie bereits ausgeführt- nicht zu überzeugen.

2. Sicherlich reicht auch das für § 830 I 2 erforderliche rechtswidrig schuldhaft gefährdende Verhalten für sich genommen nicht aus zu erklären, warum die Beteiligten haften. Wäre das richtig, es wäre kein Grund ersichtlich, weshalb ein derartiges Verhalten nur zur Haftung führt, wenn mehrere, nicht aber wenn nur ein einzelner es verwirklicht hat. 3. Auch die Überlegung, daß der Ausgleich des entstandenen Schadens von der Rechtsordnung an sich vorgesehen ist, wäre nur die tatsächliche Verursachung aufklärbar, vermag § 830 I 2 nicht zu erklären. Wird, um ein Beispiel von Bauer aufzugreifen, ein Buch in einer Bibliothek gestohlen, in der sich zur fraglichen Zeit 3 Personen aufgehalten haben, so müßte dem Geschädigten an sich der Schaden nach dem Gerechtigkeitsempfinden ausgeglichen werden. Gleichwohl ist er darauf angewiesen, den Beweis zu führen, wer von den 3 Personen tatsächlich das Buch gestohlen hat114 • Aus einem Gesichtspunkt allein läßt sich also eine zutreffende Aussage über das Haftungsprinzip der Norm nicht gewinnen. Bauer hat daher im Ergebnis den richtigen Weg beschritten, indem sie diese an sich nicht falschen Aspekte miteinander verknüpft hat und gerade in der Verknüpfung die Antwort zu finden sucht, warum in Fällen des § 830 I 2 die Durchbrechung des Verursachungsprinzipes gerechtfertigt ist. Wenig überzeugend - und auch nicht notwendig - ist allerdings Bauers Ansatzpunkt, aus den Unzulänglichkeiten der verschiedenen Ansichten im Wege ihrer Addition das Haftungsprinzip zu erklären. b) Eigener Versuch einer Erklärung (1) Die umschriebene tatsächliche Situation als Ausgangspunkt Ausgangspunkt jeder Überlegung muß die vom Gesetz umschriebene tatsächliche Situation sein. Ihre Analyse läßt Rückschlüsse auf das Prinzip der Haftung zu. aa) Die Beweissituation Die tatsächliche Situation des § 830 I 2 wird seit der ersten Entscheidung des RG unverändert wie folgt umschrieben: 114

Bauer JZ 71, 4, 6.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

93

-

mehrere haben das verletzte Rechtsgut durch ihr rechtswidriges und schuldhaftes Handeln gefährdet,

-

die Handlung eines dieser mehreren hat den Schaden tatsächlich verursacht,

-

die Handlung eines jeden der mehreren hätte den Schaden (ebenfalls) verursachen können,

-

der wirkliche Urheber der schadenstiftenden Handlung kann nicht ermittelt werden.

Aus der geschilderten tatsächlichen Situation ergibt sich für den Geltungsbereich des § 830 I 2 bereits folgendes: Der Anwendung des § 830 I 2 hat in jedem Fall die Untersuchung des zum Schaden führenden tatsächlichen Herganges voranzugehen. Hierbei sind 3 Beweisergebnisse möglich. Kann der Geschädigte den Nachweis führen, daß der Schaden von einer bestimmten Person tatsächlich verursacht ist, so haftet diese aus dem jeweiligen besonderen Deliktstatbestand, ohne daß es auf § 830 I 2 noch ankommt. Kann andererseits einer der möglichen Schädiger den Beweis erbringen, selber nicht ursächlich gehandelt zu haben, so ist ebenfalls für § 830 I 2 kein Raum mehr115 • Erst wenn die Beweisführung des Geschädigten und auch die des potentiellen Schädigers mißlungen ist, die Beweisnotlage also eingetreten ist, ist der Weg zu § 830 I 2 frei, d. h. als Ergebnis der Beweisaufnahme muß feststehen, daß die tatsächliche Verursachung des Schadens nicht aufzuklären ist und dies gerade darauf beruht, daß mehrere Personen als Schadensverursacher in Betracht kommen. bb) Folgerungen für die Bestimmung des Kreises der Beteiligten In einem weiteren Schritt ist nun der Kreis der Personen, die bei diesem Ermittlungsergebnis als Beteiligte haften, zu bestimmen. Erste Voraussetzung ist der Nachweis, daß der wirkliche Schadensurheber diesem Personenkreis angehört. Überdies muß jedem der Beteiligten nachzuweisen sein, daß - seine Handlung generell geeignet war, eben diesen Schaden herbeizuführen, sie also abstrakt gefährdend war, - sein Verhalten rechtswidrig war, da niemand auch bei nachgewiesener Kausalität für rechtmäßiges Verhalten einzustehen hat, u~ Es sei denn, der Schadenshergang bliebe unaufklärbar, weil zwei oder mehr Personen als Schadensverursacher weiterhin in Betracht kommen.

94

-

3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

sein rechtswidrig gefährdendes Handeln bei nachgewiesener Verursachung schuldhaft wäre.

Diese Ausagen sind keine Thesen, sondern Schlußfolgerungen aus der vom Gesetz umschriebenen Beweissituation und einer notwendigen Einordnung der Norm in das System des Deliktsrechts, in das der Gesetzgeber sie gestellt hat. Beteiligung setzt demnach voraus, daß erstens der wahre Schadensverursacher sich unter den mehreren mit Sicherheit befindet, die jeder für sich das verletzte Rechtsgut gefährdet haben, und zweitens feststeht, daß jeder der mehreren - unterstellt der Kausalitätsnachweis wäre gegen ihn erbracht- rechtswidrig schuldhaft eine unerlaubte Handlung begangen hätte. Es ist daher müßig, das Haftungsprinzip allein aus einem einzigen Gesichtspunkt abzuleiten. Weder die auf der Unaufklärbarkeit der Verursachung beruhende Beweisnotlage des Geschädigten noch das eigene potentiell kausale rechtswidrig schuldhafte Verhalten jedes Beteiligten sind für sich genommen Rechtsgrund solidarischer Haftung, da sie jeweils nur eine Voraussetzung (von mehreren) für die in§ 830 I 2 umschriebene tatsächliche Situation sind. Die Ableitung des Haftungsprinzipes aus der vom Gesetz umschriebenen tatsächlichen Situation führt dazu, daß die Anwendung des § 830 I 2 durch das Zusammentreffen zweier verschiedener Voraussetzungen bedingt wird. Von diesem Ausgangspunkt allein läßt sich auch nur der Zugang zu den Rechtsgedanken der Norm gewinnen. (2) § 830 I 2 als Billigkeitsentscheidung Haben mehrere rechtswidrig schuldhaft das geschützte Rechtsgut eines Dritten gefährdet, so scheitert die Haftung eines jeden aus dem besonderen Deliktstatbestand daran, daß dem Verletzten der Nachweis mißlungen ist, wessen Handlung ursächlich geworden ist. Die Haftung scheitert also einzig und allein an den tatsächlichen Umständen des Schadensherganges, die eine Ermittlung des wahren Täters unmöglich gemacht haben. Diese Situation verlangt die Entscheidung, wem die Unaufklärbarkeit zugerechnet wird. Dies kann im Ergebnis immer nur eine die Interessen beider Seiten abwägende Billigkeitsentscheidung sein. aa) Unterscheidung nach den Ursachen, die zur Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes geführt haben Um diese Billigkeitsentscheidung treffen zu können, ist zunächst zu fragen, wie es zu der Unaufklärbarkeit des Unfallereignisses gekommen ist. Hier sind folgende Fallgestaltungen möglich:

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

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1. Die möglichen Schädiger haben sich zu dem gefährdenden Verhalten bewußt zusammengeschlossen (Jagdgesellschaft). Da die Umstände, die eine Aufklärung des Unfallherganges unmöglich machen, auf dem Zusammenschluß der mehreren beruht, erscheint es "billig", sie in diesem Fall auch das Risiko der Unaufklärbarkeit tragen zu lassen. 2. Hat andererseits es der Geschädigte versäumt, den Unfallhergang aufzuklären, war es ihm aber möglich und zumutbar, den wahren Schadensurheber festzustellen oder feststellen zu lassen, so ist es unbillig, die möglichen Schädiger für dieses Versäumnis einstehen zu lassen. Hätte der Geschädigte nach einem 1. Unfall die erlittenen Verletzungen von einem Arzt feststellen lassen können, hat er dies aber vorwerfbar nicht getan, und wird er nun in einen 2. Unfall verwickelt, so ist ihm die Unmöglichkeit des Nachweises, welcher Schädiger welchen Schaden verursacht hat, zuzurechnen116.

3. Zwischen diesen beiden Fallgestaltungen liegen die - an sich typischen - problematischen Fälle: weder der Geschädigte noch die Schädiger haben die Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes - im weitesten Sinne - zu vertreten. bb) Die Interessenahwägung Bei der Beantwortung der Frage, wer hier das Risiko der Unaufklärbarkeit des Unfallherganges zu tragen hat, sind folgende Gesichtspunkte zu beachten: Steht mit Gewißheit fest, daß dem Geschädigten an sich ein Ausgleich des erlittenen Schadens zusteht, ist also die Möglichkeit auszuschließen, daß er den eigenen Schaden selbst verursacht hat, so ist es zumindest "unbillig", ihn seinen Schaden selber tragen zu lassen. Steht andererseits ebenfalls mit Gewißheit fest, daß allein die potentiell kausalen Schädiger rechtswidrig und schuldhaft das verletzte Rechtsgut gefährdet haben, der Zufall als Schadensverursacher also ausscheidet, so ist ihnen zumindest diese Gefährdung zuzurechnen. Bei einer Abwägung stehen sich also einerseits die Interessen des Geschädigten, der die Unaufklärbarkeit der Schadensverursachung nicht verhindern konnte und dessen Schadensausgleich billig erscheint, und die Interessen der möglichen Schädiger gegenüber, die die Rechtssphäre des Geschädigten schuldhaft verletzt haben. Das Ergebnis dieser Abwägung dürfte nicht mehr zweifelhaft sein: die potentiellen Schädiger sind ersatzpflichtig. 116

509.

Andeutungsweise findet sich diese Überlegung bei BGH NJW 71, 506,

96

3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

Das Gesetz entspricht also insoweit einem Gebot der Billigkeit, wenn es in § 830 I 2 unter Zurücksetzung der Interessen der Schädiger dem Geschädigten einen Ersatzanspruch zubilligt. Die gesetzliche Regelung wird damit im Ergebnis von einer Billigkeitserwägung getragen. In die Überlegung ist zwangsläufig ein Gedanke eingeflossen, der in der Rechtsprechung und Literatur bisher zu wenig Beachtung gefunden hat. Es ist zwar versucht worden, aus der verschuldeten Beweisvereitelung durch die Schädiger ein Argument für deren Haftung zu gewinnen117, aber niemals der entgegengesetzte Fall der verschuldeten Beweisvereitelung durch den Geschädigten beachtet worden. Daß dieser Fall denkbar ist, sei an einem Beispiel erläutert. Der Geschädigte verspürt nach einem Unfall erhebliche Schmerzen, sucht aber keinen Arzt auf, um sich untersuchen zu lassen. Kurz darauf wird er in einen 2. Unfall verwickelt. Der behandelnde Arzt kann nicht feststellen, ob die diagnostizierte innere Verletzung bereits vom 1. Unfall herrührt, oder ob sie Folge des 2. Unfalles ist. Würde man in diesem Fall dem Geschädigten einen Anspruch gegen beide Schädiger aus § 830 I 2 zubilligen, so würde das mit dem Rechtsgedanken der Vorschrift nicht zu vereinbaren sein. Nicht jede Unaufklärbarkeit der tatsächlichen Schadensverursachung rechtfertigt die Risikoverlagerung auf die möglichen Schädiger. Diese Verlagerung des Risikos ist nur dann gerechtfertigt, wenn gerade und ausschließlich das wenn auch zufällige Zusammentreffen mehrerer Handlungen die Unaufklärbarkeit bedingt hat. In diesem Sinne könnte auch der BGH zu verstehen sein, wenn er ausführt: "Wesentlich ist deshalb, ob es wegen (des zeitlichen) Zusammentreffens dem Kläger nicht gelingt, die Ursächlichkeit der Handlung dieser mehreren für seinen Schaden ... aufzuklären118." cc) Konkurrenz zwischen Verschulden und Zufall Im Ergebnis ist damit bereits auch die Frage beantwortet, ob bei "Konkurrenz zwischen Haftungsgrund und Zufall" 119 eine analoge Anwendung des § 830 I 2 in Betracht kommt.

Bydlinski hat vorgeschlagen, in diesen Fällen den potentiellen Schädiger mit einem Schadensteil zu belasten, der seiner Verursachungswahrscheinlichkeit entspricht. Diese weitgehende Forderung bedeutet nichts anderes, als den im Deliktsrecht unbestrittenen Grund111 11s 119

Oertmann § 830 Anm. 3 c .

BGH NJW 71, 506, 509. Bydtinski, Probleme, S. 81, 82.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

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satz, daß niemand allein schon bei möglicher Schadensverursachung haftet, aufzugeben; § 830 I 2 also nicht als Ausnahmevorschrift, sondern als beispielhafte Erwähnung eines allgemeineren Haftungsprinzipes zu verstehen120 • Gegen diese Lösung Bydlinskis bestehen bereits Bedenken wegen der damit verbundenen Rechtsunsicherheit, die eine wahre Flut von Prozessen gegen mögliche Schadensverursacher mit sich bringen würde. Denn an welchem Maßstab soll der Grad der Verursachungswahrscheinlichkeit gemessen werden? Läßt sich nicht ermitteln, ob ein Brand auf die fahrlässig weggeworfene Zigarette oder einen zufälligen Kurzschluß zurückzuführen ist121 , so wird man über die W ahrscheinlichkeit, ob Ursache des Schadens das schuldhafte menschliche Handeln oder ob es der Zufall ist, ewig streiten und geteilter Ansicht sein können. Die von Bydlinski gezogene Parallele zu § 254 vermag nicht zu überzeugen12-2. Bei der Abwägung im Rahmen dieser Vorschrift handelt es sich um einen wertenden Vergleich nachgewiesener tatsächlicher Verursachungsbeiträge, nicht jedoch - wie hier - abstrakter Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten. Gegen seine Ansicht spricht entscheidend, daß § 830 I 2 als auch im Gesetz kenntlich gemachte Ausnahmevorschrift den Grundsatz: Haftung nur bei nachgewiesener Kausalität der Einzelhandlung nicht ersatzlos aufhebt, sondern lediglich modifiziert, denn auf die nachgewiesene (!) Kausalität der Gesamtverursachung des Schadens durch die Mehrheit der Beteiligten verzichtet das Gesetz in § 830 I 2 nicht. In allen Fällen alternativer Kausalität stehen die Schadensverursacher fest, nämlich: "die Beteiligten". Unklar geblieben ist lediglich, wer von ihnen der tatsächliche Verursacher ist. Demnach ist der Satz, § 830 I 2 verzichte auf den Nachweis der Kausalität in dieser Weise nicht richtig. § 830 I 2 verzichtet nicht auf den Nachweis, daß der Schaden adaequat durch ein menschliches Verhalten verursacht worden ist, sondern einzig und allein auf die Feststellung, ob das Verhalten des einen oder des anderen ursächlich geworden ist. Bei Konkurrenz von menschlichem Verhalten und Zufall scheidet eine analoge Anwendung des § 830 I 2 demnach aus123 • uo So auch Bauer JZ 71, 4, 6. 121 122

123

Beispiel bei Bydlinski, Probleme, S. 89. Bydlinski ebd., S. 90. Gegen Bydlinski audl Bauer JZ 71, 4, 6.

7 Brambring

3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

98

(3) Zusammenfassung Der Rechtsgedanke des § 830 I 2 stellt sich demnach wie folgt dar: Die gesetzliche Regelung entspricht einem Gebot der Billigkeit. Dieses fordert, die Interessen des möglicherweise kausalen, mit Sicherheit rechtswidrig schuldhaft gefährdenden Schädigers hinter den Interessen des Geschädigten zurücktreten zu lassen, wenn dieser in eine Beweisnotlage geraten ist, die gerade und ausschließlich darauf beruht, daß er nicht nachzuweisen vermag, wer von mehreren potentiellen Schädigern seinen Schaden tatsächlich verursacht hat. (4) Der zeitliche und örtliche Zusammenhang als Indiz für die tatsächliche Unaufklärbarkeit Von dieser Überlegung ausgehend sind die Einheit von Raum und Zeit wie auch die Gleichartigkeit der Gefährdung keine tatbestandliehen Voraussetzungen, sondern allenfalls typische Begleitumstände des Tatbestandes. In der Regel wird der Sachverhalt unaufklärbar sein, wenn die zum Schaden führenden Ereignisse sich am gleichen Ort gleichzeitig oder in kurzer zeitlicher Abfolge abspielen, und die Gefährdung gleichartig ist (Schußverletzung, Verletzung als Folge eines Straßenunfalls). Regelmäßig wird dem Geschädigten auch kein Vorwurf zu machen sein, seinerseits die mögliche Feststellung des tatsächlichen Schadensverursachers versäumt zu haben, wenn ein einheitlicher Vorgang die Ereignisse zusammenfaßt. Dies sind Erfahrungssätze, denen allenfalls die Bedeutung eines typischen Indizes zukommen kann. Ob der Sachverhalt aufklärbar ist oder nicht, ist eine im Beweisverfahren zu klärende tatsächliche Frage, die immer wieder neu gestellt werden muß und jedesmal eine neue Antwort verlangt. Die Entscheidung des BGH vom 15. 12. 70 hat mit aller Deutlichkeit erwiesen, daß es diese "atypische Fallgestaltungen" gibt, in denen aber "der Billigkeitsgedanke dahin drängt, das Risiko (die Verursachung des Schadens nicht mehr aufklären zu können) nicht (den Geschädigten), sondern die (möglichen Schädiger) tragen zu lassen" 124 • Erkennt man diese an dem Gedanken der Billigkeit ausgerichtete Überlegung an, so ist es nur konsequent, sich endgültig von der zur Belastung gewordenen Forderung nach einem einheitlichen Vorgang als Voraussetzung des § 830 I 2 zu trennen.

t24

BGH NJW 71, 506, 509.

5. Abschnitt: Geltungsbereich des § 830 I 2

99

5. Abschnitt

Der Geltungsbereich des § 830 I 2 In der bisherigen Darstellung ist versucht worden, den Kreis der Beteiligten, die dem Geschädigten solidarisch gern. § 830 I 2, 840 I haften, neu zu bestimmen. Es ist nachgewiesen worden, daß sich das Verständnis der "Beteiligung" in der Rechtsprechung einer Wandlung unterzogen hat, auch unterziehen mußte, da die Bestimmung des Gesetzes mit einer bis dahin unbekannten Fallgruppe - gemeint sind die Unfälle im Straßenverkehr- konfrontiert wurde. Die Unzulänglichkeit der bisherigen Auffassung vom Beteiligten wurde in den Entscheidungen zu diesen Sachverhalten alternativer Verursachung deutlich und zwang auch zu einem dogmatischen Überdenken der Formel vom zeitlich und örtlich zusammenhängenden Vorgang, der sich als rechtlich nicht mehr haltbare Einschränkung des Kreises der Beteiligten erwies. Das gleiche Erscheinungsbild einer Ausweitung der Vorschrift in der Anwendung findet sich auch bei der Frage nach dem Geltungsbereich, nach der rechtlichen Qualifikation der "gefährdenden Handlung". Die Rechtsprechung hatte in den letzten Jahren mehrfach zu entscheiden, ob - der Nachweis der Kausalität unterstellt - nur eine schuldhaft unerlaubte Handlung im Sinne des 25. Titels des BGB die Haftung auszulösen vermag, oder ob § 830 I 2 - zumindest analog - auch bei Gefährdungsdelikten innerhalb und auch außerhalb des Deliktsrechts anwendbar ist. Von besonderer aktueller und praktischer Bedeutung ist dabei die Frage, ob auch der schuldlose Kfz-Halter, der bei nachgewiesener Kausalität aus § 7 StVG für den Schaden einzustehen hat, bei ungeklärter Verursachung der Haftung aus § 830 I 2 unterworfen ist.

A. Anwendbarkeit auf Haftungstatbestände des 25. Titels des BGB I. Haftungstatbestände, die den Nadlweis des Versclluldens voraussetzen

1. Rechtswidrigkeit Als Grundsatz gilt, daß § 830 I 2 ausschließlich auf den Nachweis der Kausalität zwischen Handlung und Verletzung verzichtet, also auf das gedachte letzte Glied der haftungsbegründenden Kausalität, im übrigen aber eine unerlaubte Handlung voraussetzt, d. h. § 830 I 2 verzichtet nicht auf den Nachweis, daß jeder Beteiligte - Kausalität seines Handeins unterstellt - eine unerlaubte Handlung i. S. der 7*

100

3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

§§ 823 ff. begangen hat. Das bedeutet zunächst, daß jeder der Beteiligten rechtswidrig gehandelt haben muß. Ist erwiesen, daß die Gefährdungshandlung eines Beteiligten gerechtfertigt war - bekannt geworden ist der Fall des Jagdaufsehers, der neben anderen Personen auf den Wilderer angelegt und ihm möglicherweise die Verletzung beigebracht hat125 - , so scheidet er aus dem Kreis der Haftenden aus. Das ist unbestritten126 aber auch selbstverständlich, da auch bei nachgewiesener Verursachung niemand für sein rechtmäßiges Handeln einzustehen hat. Fraglich kann allenfalls sein, ob beim Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes in der Person eines Beteiligten auch die übrigen rechtswidrig handelnden - Beteiligten freiwerden. Die Frage ist zu bejahen. Wie ausgeführt, setzt der die Norm tragende Billigkeitsgedanke voraus, daß dem Geschädigten mit Sicherheit ein Ausgleich seines Schadens zusteht. Mit dieser Überlegung unvereinbar ist die Inanspruchnahme eines potentiellen Schädigers, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, daß eine gerechtfertigte Handlung den Schaden verursacht hat. Zu Recht hat sich daher der BGH in der Entscheidung vom 17. 12. 1952 dafür entschieden, es sei mit dem Recht der unerlaubten Handlung unvereinbar, ,.daß jemand möglicherweise für die rechtmäßige Tat eines anderen einzustehen hat" 127. In der Literatur ist die Richtigkeit dieser Ansicht niemals in Frage gestellt wordenus.

2. Schuldfähigkeit und Verschuldensnachweis Aktuelle Bedeutung hat nach dem Urteil des BGH vom 11. 5. 1971'29 die Frage gewonnen, ob die Haftung aus § 830 I 2 Schuldfähigkeit i. S. der §§ 827, 828 voraussetzt. Der BGH glaubte - zu Unrecht130 - die Frage dahinstehen lassen zu können. Die Ansichten in der Literatur sind kontrovers. 125 BGH VersR 53, 146. 126 Vgl. statt aller BGH LM, Nr. 2 zu § 830; VersR 53, 146; StaudingerSchäfeT § 830 Rn. 26. 121 VersR 53, 146, 147; bestätigt von BGH NJW 72, 40, 41. 12s Staudinger- SchäfeT § 830 Rn. 26; Palandt ~ Thomas § 830 Anm. 3 c, d; Soergel ~ ZeuneT § 830 Rn. 10; EsseT li § 112 I 1 b, S. 447; LaTenz li § 74 I 1 b, 8.508.

129 BGH NJW 72, 40. 1ao Vgl. vorstehend 1. Kap. 2. Abschnitt unter C.

5. Abschnitt: Geltungsbereich des § 830 I 2

101

Nach einer ersten Ansicht131 scheidet, hat einer der Beteiligten nicht schuldhaft gehandelt, nur dessen Inanspruchnahme aus, nicht aber die der übrigen Beteiligten; die Haftung des Deliktsunfähigen beschränkt sich auf einen Billigkeitsausgleich gern. § 829 BGB132• Demgegenüber will vor allem Bauer133 den Ersatzanspruch völlig ausschließen und nur dann eine allerdings auf den Billigkeitsausgleich beschränkte Haftung bejahen, wenn auch von dem Schuldlosen gern. § 829 billiger Ausgleich verlangt werden kann. Der ersten Ansicht ist zu folgen. Die Ansicht von Bauer überzeugt nicht. Ihre Begründung, die Haftung sei auszuschließen, bzw. auf den Billigkeitsausgleich gern. § 829 zu beschränken, da die Ersatzberechtigung des Verletzten nicht gewiß sei, steht in Widerspruch zu ihrer eigenen These: "Die Haftung (aus § 830 I 2) stützt sich (ausschließlich) auf das eigene rechtswidrig schuldhafte, die sozialadaequate Gefahr begründende und deshalb als Schadensursache in Betracht kommende Verhalten in Verbindung mit der feststehenden Berechtigung des Geschädigten, Schadensausgleich zu erlangen13'." Eben diese Voraussetzungen sind aber gegeben. Denn die ausgeschlossene oder beschränkte Möglichkeit einer Inanspruchnahme des nicht schuldfähigen Beteiligten ändert weder etwas an der schuldhaft rechtswidrigen Gefährdungshandlung der übrigen Beteiligten noch an der feststehenden Ersatzberechtigung des Geschädigten. Denn ist die Möglichkeit auszuschließen, daß das Schadensereignis weder auf gerechtfertigtem Verhalten noch auf Zufall und auch nicht auf eigener Verursachung durch den Geschädigten beruht, stammt es also allein aus dem Verantwortungsbereich Dritter, so steht die Berechtigung, Ersatz für den erlittenen Schaden fordern zu können, fest. Von wem der Geschädigte Ersatz verlangen kann, ist eine andere Frage. Ist einer der Beteiligten schuldunfähig, so kann von ihm allenfalls ein billiger Ausgleich gern. § 829 verlangt werden, das ändert aber nichts daran, daß die schuldfähigen übrigen Beteiligten bei eigenem Verschulden in Anspruch genommen werden können. 131 Larenz II § 74 I, S. 508; Staudinger-Schäfer § 830 Rn. 28; PalandtThomas § 830 Anm. 3 c; wohl auch Esser II § 112 I 1 b, S. 447, da er als Vor-

aussetzung die Feststellung genügen lassen will, "daß der Schaden allein aus dem Verantwortungsbereich Dritter stammt". 132 Die Anwendbarkeit der §§ 827-829 im Rahmen des § 830 I 2 ist nicht mehr bestritten, vgl. RGZ 74, 143 ff. ; Buxbaum, S. 28; Staudinger-Schäfer § 830 Rn. 28. 133 Bauer, S. 7 und Fn. 52; ähnlich Buxbaum, S. 22. t34

Bauer , S . 4, 7.

102

3. Kap.:

Die Beteiligten (alternative Verursachung)

Macht man die Haftung, wie es Bauer vorschlägt, davon abhängig, daß in der Person jedes einzelnen auch die subjektiven Voraussetzungen der Verantwortlichkeit gegeben sind, so hieße das nichts anderes, als dem auch von Bauer13G abgeschworenen Versuch, § 830 I 2 als Haftung aus Mitverantwortlichkeit, also aus Zurechnung fremden Verhaltens, zu erklären, auf einer anderen Ebene neue Berechtigung zu geben. Jeder Beteiligte haftet aber wegen seiner Eigenverantwortlichkeit. Dies schließt die Möglichkeit aus, ihn wegen fehlender Verantwortlichkeit eines oder mehrerer anderer Beteiligter von der Haftung freizustellen. Zu Recht hat Larenz eine differenzierende Betrachtungsweise für das Fehlen der Rechtswidrigkeit und das Fehlen des Verschuldens gefordert136. Nach seiner Ansicht, der zuzustimmen ist, verlangt § 830 I 2 lediglich, daß der Beteiligte - Kausalität unterstellt - objektiv eine unerlaubte Handlung begangen hat. Ist also einer der Beteiligten schuldunfähig, so führt dieses Fehlen einer subjektiven Voraussetzung nur zum Ausschluß seiner Haftung bzw. zu einem Billigkeitsausgleich; die Möglichkeit einer Inanspruchnahme der übrigen Beteiligten wird hiervon nicht berührt. Es ist unbestritten geblieben, daß jedem der Beteiligten ein schuldhaftes Verhalten nachzuweisen ist, soweit der Haftungstatbestand diesen Nachweis voraussetzt187. D. Haftungstatbestände vermuteter Schuld

Nicht ganz so eindeutig war zunächst die Stellungnahme der Rechtsprechung zu der Frage, ob auf den Nachweis des Verschuldens verzichtet werden kann, wenn der gesetzliche Haftungstatbestand auf ihn verzichtet und die unwiderlegte Vermutung genügen läßt. Das Reichsgericht hat in seiner grundlegenden Entscheidung im 58. Band dies unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte verneint138. In einer späteren Entscheidung des Reichsgerichts heißt es noch sehr bestimmt: "Die strenge Haftung läßt sich nur rechtfertigen durch den deliktischen Charakter der Handlung, der ein rechtswidriges und schuldhaftes Handeln voraussetzt139." 135 Bauer, S. 5. 136 Larenz Bd. II § 74 I 1 b. 137 RG 96, 224; BGH VersR 61, 85; OLG Stuttgart NJW 68, 2202; OLG Harnburg MDR 68, 321; Staudinger-Schäfer § 830 Rn. 28; Buxbaum, S. 20 ff. 138 RGZ 58, 360. 139 RGZ 102, 316.

5. Abschnitt: Geltungsbereich des § 830 I 2

103

Der BGH hat sich bereits in seiner Entscheidung vom 13. 7. 1956 von dieser Ansicht gelöst140 • Der Schaden war durch herabstürzende Mauerteile zweier Grundstücke verursacht worden; der Schadenshergang blieb unaufklärbar. Der BGH bejahte die Haftung der beiden Grundstückseigentümer aus §§ 836, 838 i. V. mit § 830 I 2 mit dem Hinweis, sie hätten den ihnen gern. § 836 I S. 2 offenstehenden Entlastungsbeweis nicht geführt. Die Literatur ist der Rechtsprechung insoweit gefolgt141 • Der herrschenden Meinung ist zuzustimmen. Die - widerlegbare - Vermutung des Verschuldeus ist eine vom Gesetz getroffene Beweiserleichterung im Interesse des Geschädigten. Sie beruht ihrerseits wiederum auf einer wertenden Interessenabwägung, die mit der in § 830 I 2 nichts zu tun hat. Erstere stellt eine Vermutung des Verschuldens, letztere eine Vermutung der Kausalität auf. Wenn einerseits etwa §§ 833 S. 2 oder §§ 836, 838 BGB dem Geschädigten den Vorteil einräumt, auch ohne Nachweis eines Verschuldens Ersatz seines Schadens zu erlangen, und andererseits sich aus § 830 I 2 für den Geschädigten der Vorteil ergibt, die Kausalität eines Verhaltens nicht nachweisen zu müssen, so haben beide Regelungen zwar die Bevorzugung des Geschädigten im Auge, diese liegt aber jeweils auf einem verschiedenen Teilbereich der haftungsbegründenden Tatsachen. Es ist richtig, daß § 830 I 2 grundsätzlich von einer nachweislich schuldhaften Gefährdung ausgeht. Dies kann aber - da § 830 I 2 nur die Kausalitätsfrage regelt - nicht gleichzeitig die Anwendbarkeit weiterer das Verschulden betreffender Sonderregelungen ausschließen. Die Haftung bei gesetzlich vermutetem Verschulden setzt nicht denknotwendig eine nachweislich kausale Tathandlung voraus. Die Beweislastumkehr ist gerechtfertigt, weil in der Regel der Geschädigte keinen Zugang zu der Sphäre des Verantwortlichen hat und darum in der Regel überhaupt nicht in der Lage ist, dem Schädiger ein schuldhaftes Verhalten nachzuwetsen142•

= VersR 56, 627, 629. Soergel- Zeuner § 830 Rn. 14; Staudinger-Schäfer § 830 Rn. 39; PalandtThomas § 830 Anm. 2; Erman- Drees § 830 Anm. 5 c; Buxbaum, S. 27, 28; Bauer, S . 9; a. A. Weimar MDR 60, 464. 142 Esser II § 110 unter Berufung auf Prot II, 595, 598; Staudinger-Schäfer § 836 Rn. 5. uo BGH NJW 56, 1598

141

104

3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung) DI. Gefährdungstatbestände

Die Beschränkung des Anwendungsbereiches des § 830 I 2 auf Tatbestände - zumindest gesetzlich vermuteten - Verschuldens hat der BGH in der Entscheidung vom 23.9.1969 aufgegeben143 • In dem Rechtsstreit ging es um Schadensersatz für eine schwere Körperverletzung, die der Verletzte bei einem zweifachen Unfall erlitten hatte. Zunächst war es zu einem von dem Fahrer eines Motorrollers verschuldeten Zusammenstoß gekommen. Nach dem Unfall blieb der Verletzte bewußtlos auf der Straße liegen und wurde von einem LKW überrollt. Es ließ sich nicht mehr feststellen, ob die Verletzungen durch den ersten oder erst durch den zweiten Unfall verursacht worden waren. Der BGH hat auf die Klage des Verletzten den Halter des LKW gern. § 7 StVG i. V. mit § 830 I 2 zum Schadensersatz verurteilt. Mit diesem Urteil wurde zum ersten Male die Anwendbarkeit der Haftung aus alternativer Kausalität auf einen Gefährdungstatbestand bejaht1 44 • Die Begründung des BGH, § 830 I 2 "müsse anwendbar sein" 145, ist wenig überzeugend. Es war zu erwarten gewesen, daß der Senat seine Entscheidung, der sicherlich in der Praxis eine sehr weitgehende Bedeutung zukommt, eingehender begründet, zumal er noch im Urteil vom 15. 11.1960 ausdrücklich ein schuldhaftesHandeln als unbedingtes Erfordernis der Inanspruchnahme verlangt hatte146• Allein mit dem Argument, der im Straßenverkehr Verletzte sei unabhängig von der Qualität des Haftungstatbestandes in seiner Beweisnot schutzwürdig, gewinnt die Entscheidung keine besondere Überzeugungskraft. Eine sorgfältigere Behandlung hat die Frage im Urteil des BGH vom 15. 12. 1970 gefundenm. Zwei Reitervereine hatten jeweils zwei Pferdegespanne mit Kutschen und Fahrern zu Werbefahrten vermietet. Als die vier Gespanne nebeneinander auf einem Platz in Orte X anhielten, wurden die Pferde durch Kinder scheu gemacht. Drei der Gespanne rasten den Platz hinunter und beschädigten mehrere Kraftfahrzeuge. Es ließ sich nicht mehr klären, welches Gespann das Fahrzeug des klagenden Halters angefahren hatte. BGH NJW 69, 2136 = BGH LM, Nr. 12 zu § 830 = VersR 69, 1023. Zu der weitergehenden Bedeutung dieser Entscheidung vgl. nachstehenden 6. Abschnitt. t43

144

145 14&

141

NJW 1969, S. 2138.

BGHZ 33, 286. BGHZ 55, 96 ff.

=

NJW 71, 509 ff.

5. Abschnitt: Geltungsbereich des § 830 I 2

105

Da das Gericht die Pferde als sog. Luxustiere i. S. des § 833 S. 1 ansah, den Reitervereinen also die Entlastungsmöglichkeit des § 833 Satz 2 verwehrt war, war zu entscheiden, ob § 830 I 2 auch auf einen Gefährdungstatbestand anwendbar ist. Der BGH hat diese Frage bejaht. Er räumt unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte ein148, daß der Bestimmung "im Ausgangspunkt ein schuldhaftes Verhalten der mehreren Beteiligten zugrundegelegen haben mag" 149 • Er fährt dann wie folgt fort: "Es besteht kein wesentlicher Unterschied, ob die Vermutung den ursächlichen Zusammenhang des Schadens mit einem schuldhaften Verhalten eines einzelnen oder mit einem Zustand betrifft, der den einzelnen im Bereich des Schadensersatzrechts als haftungsbegründend zugerechnet wird" 15o. Neben der Vergleichbarkeit der tatsächlichen Lage und des Beweisnotstandes des Geschädigten stellt der BGH schließlich auf eine Billigkeitswertung ab: "Auch in Fällen der Tierhalterhaftung ist es gerechter, alle haften zu lassen, die sich an der gemeinsamen Gefährdung in einer ihrer Haftung begründenden Weise beteiligt haben, als den Geschädigten leer ausgehen zu lassen" und "den Halter eines sog. Luxustieres trifft die Anwendung des § 830 I 2 nicht ungebührlich hart151 ." Bereits vor dieser Entscheidung des BGH vertrat die vorherrschende Meinung im Schrifttum die Ansicht, § 830 I 2 sei auf alle Haftungstatbestände des 25. Titels anwendbar152. Der Entscheidung des BGH ist im Ergebnis und in der Begründung zuzustimmen. Zu Recht hat sich der BGH auf Sinn und Zweck der Norm Behebung der Beweisnot des Geschädigten - und auf den im Haftungsprinzip enthaltenen Billigkeitsgedanken berufen und hieraus gefolgert, § 830 I 2 erfordere nicht unbedingt ein schuldhaft gefährdendes Verhalten. Der Vorwurf, schuldhaft gehandelt zu haben, ist keine unverzichtbare Haftungsvoraussetzung. us Mot II, 738, Prot II, 606. 149 BGH NJW 71, S. 510. 1so Ebd., S. 510. 151 Ebd., S.510. 152 Oertmann § 830 3 c (a. E.); Staudinger-Schäfer § 830 Rn. 39; SoergetZeuner § 830 Rn.13; Palandt- Thomas § 830 Anm. 3 c; Erman- Drees § 830 5 c; Deubner JUS 62, 384 Fn. 6; Gernhuber JZ 61, 150, 152; Buxbaum, S. 271; Wussow Rn. 337, 343; Bauer, S. 9 ff.; a. A. Weimar MDR 1960, 464.

106

3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

Die gegenteilige Ansicht Bydlinskis, der annimmt, von den Haftungstatbeständen der Gefährdungshaftung "bliebe zu wenig übrig, wenn man auf die feststehende Kausalität verzichten wolle", ist abzulehnen153 • Bydlinski verkennt m. E., daß bei dem Zusammentreffen des § 830 I 2 mit einem Haftungstatbestand aus Gefährdung zwei Ausnahmeregelungen eingreifen, die - weil sie sich nicht überschneiden - sich auch nicht gegenseitig ausschließen. Der Gefährdungstatbestand verzichtet auf den Nachweis des Verschuldens, der Tatbestand des§ 830 I 2 auf den Nachweis der Kausalität. Jede Norm beinhaltet für sich die Durchbrechung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes, allerdings jeweils im Hinblick auf eine verschiedene Haftungsvoraussetzung. Von hierher bestehen dann aber auch keine durchgreifenden Bedenken, an sich beide Ausnahmevorschriften auch in einer Verbindung miteinander anzuwenden. Bauer hat vor der Veröffentlichung der Entscheidung des BGH vom 15. 12. 1970 dargestellt, daß trotz der Verschiedenheit der Tatbestände der Verschuldens- und Gefährdungshaftung eine" wertungsmäßig bedeutsame Vergleichbarkeit beider Fallgruppen" im Hinblick auf das Moment der Gefährdung besteht154 •

Diese Vergleichbarkeit sieht sie in dem Umstand, daß die Gefährdung, die etwa das Halten eines Tieres für die Rechtsgüter Dritter bedeutet, von der gleichen haftungsrechtlichen Relevanz sei, wie die Gefährdung durch ein verbotenes vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten. Erachte aber das Gesetz die Ausgleichsverantwortung des Gefährdungstäters der des schuldhaft Handelnden gleich, so könne auch die Artverschiedenheit der Gefährdungen nicht dazu führen, die eine Fallgruppe der Haftung aus alternativer Kausalität zu unterstellen, die andere aber nichtt5s. Diese Überlegung ist richtig: § 830 I 2 ist als Ausnahmevorschrift besonderer Qualität nicht unanwendbar, wenn die Vorschrift mit einer anderen Vorschrift ebenfalls besonderer, aber rechtlich andersartiger Ausnahmequalität zusammentrifft. Entscheidend ist aber, daß das die Regelung der Norm tragende Haftungsprinzip - Behebung der Beweisnotlage, die der Geschädigte nicht zu verantworten hat und die aus dem Gebot der Billigkeit folgende 153 Bydlinski, Probleme, S. 90, 91 (auch für Haftungstatbestände vermuteten Verschuldens). 154 Bauer .JZ 71, 4, 10. 155 Ebd., S. 10.

5. Abschnitt: Geltungsbereich des § 830 I 2

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Interessenahwägung - nicht essentiell eine schuldhafte Gefährdung bedingt, vielmehr allein verlangt, daß die Gefährdung dem möglichen Schadensverursacher zuzurechnen ist. Einer Anwendung des § 830 I 2 auf Gefährdungstatbestände des 25. Titels stehen nach allem keine durchgreifenden Bedenken entgegen.

B. Anwendbarkeit auf Haftungstatbestände außerhalb des 25. Titels des BGB In der bereits erwähnten Entscheidung vom 23. 9. 1969 hat der BGH - allerdings ohne eine überzeugende Begründung zu geben - erstmals § 830 I 2 analog auf einen Haftungstatbestand außerhalb des eigentlichen Rechts der unerlaubten Handlungen Anwendung finden lassen und den Halter eines Kraftfahrzeuges bei ungeklärter Verursachung gern. § 7 StVG, § 830 I 2 zum Schadenersatz verurteilt156 • Die Entscheidung läßt eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts vermissen. Das Reichsgericht hatte in zwei Entscheidungen die Anwendbarkeit der Vorschrift "über den Kreis der unerlaubten Handlungen hinaus" ausdrücklich verneint und diese Ansicht auf die These gestützt, die strenge Haftung eines jeden Beteiligten lasse sich nur durch den deliktischen Charakter der Gefährdungshandlung rechtfertigen, der aber ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten voraussetze157 • In dem - ebenfalls bereits zitierten - Urteil vom 15. 12. 1970 hat der gleiche Senat seine frühere Entscheidung bestätigt, im übrigen aber für die entsprechende Anwendung des § 830 I 2 über den Kreis der unerlaubten Handlungen hinaus "Zurückhaltung" gefordert und nur für solche Tatbestände zulässig erachtet, "die - wie die Gefährdungshaftung des Kraftfahrzeughalters - dem Risikobereich der unerlaubten Handlungen im Straßenverkehr vergleichbar sind" 158 • Die herrschende Ansicht in der Literatur lehnt - der Rechtsprechung des Reichsgerichts folgend - eine entsprechende Anwendung des § 830 I 2 auf Haftungstatbestände außerhalb des 25. Titels ab159. Da im Zeitpunkt der Kommentierung die Urteile des BGH aus den Jahren 1969/70 noch nicht ergangen waren, steht eine AuseinanderBGH NJW 69, 2136. RGZ 67, 260; 102, 316, 319. 158 BGH NJW 71, 509, 510. 159 Soergel- Zeuner § 830 Rn.14; Erman- Drees § 830 Anm. 5 c; Oertmann § 830 3 c (a. E.); RGRK- Haager § 830 Anm.ll; Gernhuber JZ 1961, 150, 152; Buxbaum, S. 27 ff.; Wussow Rn. 337, 343. 156

1s1

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3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

setzung der Literatur mit dem Umschwung in der Rechtsprechung allerdings noch aus.

Deubner lehnt in konsequenter Fortführung seiner Forderung, die Haftung setze gegenüber dem in Anspruch genommenen Beteiligten den Nachweis seines Verschuldeus voraus, die entsprechende Anwendung der Vorschrift auf Gefährdungstatbestände, insbesondere auf die Halterhaftung, ab. Allerdings werde der schuldhaft handelnde (weitere) Beteiligte nicht von der Haftung freigestellt, wenn nicht geklärt werden könne, ob er oder der Halter den Unfall verursacht habe. Die Haftung sei jedoch hier auf die nach§ 7 StVG zu ersetzenden Schäden beschränkt, da nur "in diesem Umfang die entstehenden Schäden ausschließlich dem Verantwortungsbereich anderer zuzurechnen sind"t&o. Nach einer anderen Meinung, der sich auch Bauer in einer eingehenden Auseinandersetzung mit der Frage trotz einiger Bedenken angeschlossen hat, ist § 830 I 2 entsprechend anwendbar, da der Grundgedanke auf einem allgemeinen Prinzip beruhe, das eine entsprechende Anwendung auch außerhalb der im BGB geregelten Haftungstatbestände zulasse161 • Der Rechtsprechung des BGH ist zu folgen . Erkennt man die Zulässigkeit der Anwendung des § 830 I 2 auf die Gefährdungstatbestände des 25. Titels des BGH an, so ist kein einleuchtender Grund ersichtlich, warum die Norm nicht einer weitergehenden Analogie auf andere Haftungstatbestände - auch solche aus Gefährdung - zugänglich sein soll. Aber nicht die besondere Gefährlichkeit der Sache (an die sich die Verantwortlichkeit knüpft), die Bydlinski1 62 als ausreichend starken Haftungsgrund neben dem Verschulden anerkennt, rechtfertigt die Analogie, sondern die bereits früher getroffene Feststellung, daß in § 830 I 2 ein allgemeines Billigkeitsprinzip zum Ausdruck gekommen ist, das sowohl unabhängig vom Verschulden als auch vom Vorliegen der besonderen Haftungstatbestände der §§ 823 ff. ist. Für die wichtigste Fallgruppe der Unfälle im Straßenverkehr besteht auch nachweislich ein praktisches Bedürfnis für eine derartige Analogie. Es ist selbstverständlich und bedarf keiner weiteren Erörterungen, daß der Umfang des Ersatzanspruchs sich in diesen Fällen nach der Regelung des jeweiligen Haftungstatbestandes bestimmt. Haftet z. B. JUS 1962, S. 383, 384 Fn. 6. Palandt- Thomas § 830 Anm. 3 b; Staudinger-Schäfer § 830 Anm. 30; Bauer JZ 71, 4, 9 ff. 162 Bydlinski, Probleme, S. 92. l&o

1&1

6. Abschnitt: Subsidiarität des § 830 I 2

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einer der Beteiligten gern. § 7 StVG, so richtet sich der Haftungsumfang auch der nachweislich schuldhaft handelnden weiteren Beteiligten ebenfalls nach dieser Vorschrift; dem Geschädigten bleibt also etwa der Anspruch auf Schmerzensgeld versagt. Das ist unbestritten163, folgt aber auch aus dem Grundsatz der Haftung aus alternativer Kausalität, der besagt, daß der Geschädigte nicht mehr erhalten darf, als ihm unter Berücksichtigung der unaufgeklärten Urheberschaft jedes einzelnen mit Gewißheit als Schadensausgleich zusteht164 • 6. Abschnitt

Subsidiarität des § 830 I 2 A. Ansicht des Bundesgerichtshofes Die Tendenz der Rechtsprechung, den Anwendungsbereich des § 830 I 2 zugunsten des im Straßenverkehr Geschädigten auszuweiten, hat sich am auffälligsten in zwei neueren Entscheidungen des BGH gezeigt. Der dem Urteil vom 23. 9. 69 zugrundeliegende Sachverhalt wies die Besonderheit auf, daß der Verletzte zunächst nachweislich von dem schuldhaft handelnden Motorrollerfahrer K angefahren worden war und nach diesem Zusammenstoß bewußtlos auf der Straße liegen blieb, wo er kurz darauf von einem LKW erfaßt und mitgeschleift wurde165 • Die Verantwortlichkeit des Motorrollerfahrers für den gesamten Schaden stand mithin fest, da ihm sowohl nach der Adaequanzlehre als auch nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm die möglicherweise erst bei dem zweiten Unfall vom Fahrer des LKWs verursachte Verletzungen anzurechnen sind166• Neben der Haftung des Motorrollerfahrers aus nachgewiesener Verursachung gern. § 823 I hat der BGH die Schadensverantwortlichkeit des Halters und Fahrers des LKWs aus § 830 I 2 (i. V. mit § 7 bzw. § 18 StVG) ohne nähere Begründung bejaht. Das Ergebnis muß bereits auf den ersten Blick befremden. Entspricht es dem anerkannten Zweck der Norm, dem Geschädigten überhaupt einen Schadensausgleich zu gewähren, wenn ihm der Nachweis der Vgl. statt aller zuletzt BGH NJW 69, 2136. Bauer, S. 10 mit Beispielen zur Berechnung. 185 BGH NJW 69, 2136 ff. = VersR 69, 1023 = BGH LM § 830, Nr. 12. 1se Köndgen weist in seiner Rezension der Entscheidung mit Recht darauf hin, daß der Theorienstreit hier auf sich beruhen kann, NJW 70, 2281, Fn. 3 m.w.N. 183

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3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

Verursachung und damit die Inanspruchnahme eines Schädigers aus einem Haftungstatbestand mißglückt ist, so muß die Bejahung einer Haftung des ja nur potentiellen Schädigers neben dem nachweislich ursächlichen Schädiger auf Verwunderung stoßen167. Nachdem das Urteil in der Literatur zum Teil auf heftige Kritik gestoßen ist168, hat der BGH in seiner bisher letzten Entscheidung sich mit der Frage der Subsidiarität der Haftung aus § 830 I 2 erneut auseinandergesetzt169. Die Sachverhaltskonstellation war folgende: Der Erstschädiger hatte den 1. Unfall schuldhaft verursacht. Beim Abtransport der Verletzten ins Krankenhaus kam es zu einem 2. Unfall, den der Zweitschädiger schuldhaft herbeigeführt hatte. Welche Verletzungen die Geschädigte beim 1. Unfall und welche sie beim 2. Unfall erlitten hatte, blieb unaufklärbar. Der BGH geht davon aus, der Erstschädiger hafte zwar "rechtlich" aus dem Gesichtspunkt der adaequaten Verursachung für den gesamten Schaden. Dies ändere aber nichts daran, daß auch der Zweitschädiger für die gesamten Unfallfolgen aus § 830 I 2 einzustehen habe17D. Zur Begründung führt der BGH aus: Auch wenn der Geschädigte einen Anspruch auf Ersatz seines Schadens gegen einen Schädiger habe, könne für ihn "ein erhebliches Interesse bestehen . .. daneben den anderen (nämlich den möglichen Schadensverursacher) in Anspruch nehmen zu können". Das komme insbesondere in Betracht, "wenn Erst-Täter und Zweit-Täter erwiesenermaßen den Geschädigten verletzt haben ..., der Erst-Täter aber seiner Person nach nicht mehr festgestellt werden könne oder vermögenslos ist"111. Es sei mit dem Sinn des § 830 I 2 nicht zu vereinbaren, wenn der zweite Schädiger sich darauf berufen könne, der Schaden sei möglicherweise bereits durch den ersten Schädiger "im Rechtssinne" verursacht und von ihm zu vertreten. Der im Bereich der Zurechnung unter dem Gesichtspunkt des Ursachenzusammenhangs entwickelte Rechtssatz, daß ein Schädiger (hier: der erste Schädiger) nicht nur für den von ihm unmittelbar verursachten Schaden haftet, sondern auch für die von einem Dritten 167 Gleichlautende Entscheidungen in den Urteilen des BGH, BGHZ 33, 266; VersR 67, 999. 1es Köndgen NJW 70, 2281; Esser Bd. II § 112 1 b; bereits früher im Anschluß an BGHZ 33, 286: Gernhuber JZ 61, 148; Deubner JUS 62, 382, 385. 169 Urteil vom 15. 12. 1970 in BGHZ 55, 86 ff. = NJW 71, 506. 11o BGHZ 55, S. 90. 171 Ebd., S. 90.

6. Abschnitt: Subsidiarität des § 830 I 2

111

(hier: dem zweiten Schädiger) verursachten Schäden, sofern sie als Folgeschäden anzusehen sind, soll die Rechtsstellung des Geschädigten verbessern. Lege man diesen Satz von der Haftung sowohl für die unmittelbar wie für die mittelbar verursachten Schäden auch bei Auslegung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB zugrunde, so gelange man bei den in Rede stehenden Fällen zu unangemessenen und dem Willen des Gesetzgebers widersprechenden Ergebnissen. Die Vorschrift ordne die Haftung mehrerer Beteiligter für den Fall der unwiderlegt bleibenden Möglichkeit an, daß sie alle im natürlichen Sinne als Verursacher des Schadens in Betracht kommen172• B. Ansicht der Literatur I. Gernhubers Lehre von der Subsidiarität

Demgegenüber hat Gernhuber die Ansicht vertreten, die Haftung aus § 830 I 2 sei subsidiär, "wo bereits eine Ersatzpflicht aus nachgewiesener Kausalität bestehe" 173• Es stelle einen Mißbrauch der Norm dar, deren Zweck darin zu sehen sei, dem Geschädigten überhaupt einen Ersatzanspruch zu geben, sie auch dann heranzuziehen, wenn es gilt, einem Kläger zu helfen, der auf Schwierigkeiten bei dem Versuch stößt, einen aus nachgewiesener Kausalität Verpflichteten ausfindig zu machen oder ihn nicht belangen mag, weil dessen Vermögensverhältnisse keinen vollen Erfolg garantieren174 •

Esser, der sich der Ansicht von Gernhuber angeschlossen hat, wirft der Rechtsprechung vor, "den Anwendungsbereich der Norm unzulässig zu erweitern" 17s. Nach Ansicht von Köndgen liegt das "Grundmodell" des § 830 I 2 nur da vor, wo die Gefährdungsbeiträge der Beteiligten annähernd aequivalent sind. Diese Aequivalenz fehle zwischen der erwiesenen und nur möglich kausalen Handlung, so daß die Rechtsprechung "schlechthin Inkommensurables" gleichstelle176 • ß. Gegenansidlt von Deubner und Bauer

Der Ansicht der Rechtsprechung haben sich mit ausführlicher Stellungnahme Deubner177 und Bauer178 angeschlossen. 172 173

Ebd., S . 91.

GeTnhuber JZ 61, 148.

m Ebd., S . 148. 175 EsseT Bd. Il, § 112 I 1 b.

Köndgen NJW 70, 2281. m DeubneT JUS 62, 382. ns Bauer JZ 71, 4, 8, vgl. auch Palandt- Thomas § 830 Anm. 3 b.

176

112

3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

Deubner greift die These Gernhubers von der Subsidiarität des

§ 830 I 2 mit dem Argument an, die Nichterwähnung der Schadensersatzpflicht aus § 830 I 2 in § 840 li, III besage im Ergebnis, daß die "Beteiligten" nicht gegenüber dem unmittelbar aus § 823 Verantwortlichen

priviligiert seien, so daß ihre Haftung auch nicht zurücktreten dürfe. Auch aus dem Zweck - Beseitigung des Beweisnotstandes des Geschädigten -ließe sich ein Ausschluß der Haftung nicht rechtfertigen179• Bedenklich erscheint es Bauer, den Verletzten leer ausgehen zu lassen, "obwohl doch feststeht, daß der Ersttäter nicht der Alleinurheber des Schadens ist" 180• Bauer will eine Inanspruchnahme des potentiellen Schädigers jedoch nur für den Fall bejahen, daß der Anspruch gegen den nachweislichen Schädiger "tatsächlich undurchsetzbar" ist181 • Das bedeutet aber im Ergebnis, daß auch Bauer die Haftung des potentiellen Schädigers an sich als subsidiär ansieht, da dessen Inanspruchnahme nur dann in Betracht kommen soll, wenn der Geschädigte von dem nachweislich kausalen Schädiger aus tatsächlichen Gründen keinen Ersatz erlangen kann. C. Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag Die Ansicht des BGH vermag sowohl in ihrem Ergebnis als auch in der nunmehr erfolgten Begründung im Urteil vom 15.12. 197018ll nicht zu überzeugen. Tragender Grund der vorgenannten Entscheidungen ist sicherlich eine Billigkeitswertung, die der BGH auf die - seiner Ansicht nach anerkennenswerten - Interessen des im Straßenverkehr Verletzten stützt, nämlich auch dann einen Ausgleich eines Schadens zu erhalten, wenn er den tatsächlichen Schadensurheber nicht feststellen kann oder dessen Inanspruchnahme wegen Vermögenslosigkeit aussichtslos ist. Daß aber ein Geschädigter die ihm zustehenden Ansprüche nicht durchzusetzen vermag, weil er die Person des Schädigers nicht mehr feststellen kann oder weil dieser vermögenslos ist, muß doch wohl als zwar betrübliches aber nach geltendem Recht nicht ausgeschlossenes Risiko eines jeden Schadensereignisses angesehen werden. Man hätte daher erwarten dürfen, daß der BGH die Gründe anführt, weshalb der Geschädigte von diesem Risiko ·gerade bei derartigen Fällen befreit 179

t8o 181 182

Deubner, S. 385. Bauer, S. 8. Bauer, S. 8. BGHZ 55, 86 ff.

6. Abschnitt: Subsidiarität des§ 830 I 2

113

sein soll. Diese Begründung läßt die Entscheidung vom 15. 12. 1970 aber gerade vermissen. Aus § 830 I 2 ist dieses Ergebnis auch nicht zu gewinnen. Nach Sinn und Zweck hilft die Vorschrüt dem Geschädigten über die Beweisschwierigkeiten hinweg, die dadurch hervorgerufen sind, daß er nicht nachzuweisen vermag, welche gefährdende Handlung der mehreren potentiellen Schädiger tatsächlich seinen Schaden verursacht hat, so daß er, würde seine Beweisnot nicht behoben, seine an sich ihm zustehenden Ersatzansprüche nicht mit Erfolg geltend machen könnte. Um diese Schwierigkeiten geht es aber in den vorliegenden Entscheidungen, wie der BGH auch klar und eindeutig eingesteht183, überhaupt nicht.

Es geht nicht um Beweisschwierigkeiten beim Nachweis der Kausalität, sondern bei der Ermittlung des aktuellen Schädigers und - soweit dieser ermittelt, aber vermögenslos ist - überhaupt nicht um irgendeine Beweisnot. Die Durchsetzung der Ansprüche scheitert nicht am Verursachungsnachweis, sondern an anderen, in der Person des verantwortlichen Schädigers liegenden Umständen. Damit weist der BGH § 830 I 2 einen Sinngehalt zu, der weder der Intention des Gesetzgebers entspricht noch vom Wortlaut der Norm gedeckt ist. Die Vorschrift ist in das Gesetz eingefügt worden, um einem Geschädigten bei Unaufklärbarkeit des Unfallereignisses überhaupt einen Schadensausgleich zu ermöglichen, nicht aber um ihm einen - neben dem bereits verpflichteten - zusätzlichen Schuldner zu geben. Der Wortlaut setzt voraus, daß nicht zu ermitteln ist, wer von

mehTeTen den Schaden verursacht hat, setzt also ganz unzweifelhaft

voraus, daß mindestens zwei (nur) potentiell kausale Beteiligte als Schadensverursacher in Betracht kommen. Vorliegende Sachverhalte hingegen sind durch das Nebeneinander von aktueller und alternativer Kausalität gekennzeichnet. Es ist Köndgen zuzustimmn, daß eine Anwendung der Norm auf diese Fallgestaltung das "Grundmodell des § 830 I 2 sprengt" 184 • Das vom BGH angeführte Argument, mit dem er die Unbilligkeit einer Haftung belegen will, ist wenig stichhaltig. Er meint, der potentielle zweite Schädiger dürfe sich nicht darauf berufen, daß der "Schaden möglicherweise bereits durch den ersten 1aa Ebd., S . 90. 184 Köndgen NJW 70, 2281. 8 Brambring

114

3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

Schädiger verursacht und zu vertreten sei, und geltend machen, daß der Schädiger diese Möglichkeit ausräumen müsse" 185 • Der BGH übersieht, daß dem Zweitschädiger dieses Vorgehen nicht hilft. Der potentielle Schädiger trägt die Beweislast, daß er den Schaden tatsächlich nicht verursacht hat. Er muß also nachweisen, daß nicht nur möglicherweise sondern mit Gewißheit der Erstschädiger für die gesamten Unfallfolgen eine adaequate Bedingung gesetzt hat. Mißlingt ihm dieser Beweis, vermag er lediglich darzutun, auch der Erstschädiger komme möglicherweise als Schadensverursacher in Betracht, so liegt gerade die Situation des § 830 I 2 vor: er haftet neben diesem als Beteiligter. Um diese Fälle geht es aber gar nicht. Die Frage nach der Subsidarität kann und wird nur dann gestellt, wenn der potentielle Schädiger nachgewiesen hat - oder dies unstreitig ist - , daß ein Dritter tatsächlich den gesamten Schaden, und er nur neben diesem einen Anteil hieran möglicherweise verursacht hat. Nicht gefolgt werden kann auch der dogmatischen Überlegung des BGH. Der BGH geht davon aus, daß, bei Fällen alternativer Kausalität, es nicht auf die "rechtliche", sondern auf eine Kausalität "im natürlichen Sinne" ankommt188. Vorab sei auf das gewiß befremdliche Ergebnis hingewiesen, zu dem diese Kausalitätslehre führt. Der Erstschädiger haftet sowohl wegen nachgewiesener "rechtlicher" Verursachung aus dem besonderen Haftungstatbestand alleine als auch neben dem Zweitschädiger wegen möglicher "natürlicher" Verursachung aus§ 830 I 2. Auf die schier unlösbaren Schwierigkeiten, die beim Innenausgleich der Schädiger zwangsläufig auftreten müssen, hat Köndgen eindringlich hingewiesen187. Welchen Inhalt der BGH in Abgrenzung zur "rechtlichen" dem neuen Begriff der "natürlichen" Kausalität beimißt, wird nicht völlig klar. Im Ergebnis sollen auf jeden Fall der "mittelbar verursachte Schaden", "die von einem Dritten verursachten Folgeschäden" nicht im Sinne des § 830 I 2 kausal sein188. Der Kreis der "natürlich" verursachten Schäden ist also enger als der der "rechtlich" verursachten. Für§ 830 I 2 soll es darauf ankommen, ob die unmittelbaren Schädigungshandlungen den Schaden herbeigeführt 186 186 187 188

BGHZ 55, 90/91. Ebd., S. 91. Köndgen NJW 70, 2281, 2282. BGHZ 55, 90.

6. Abschnitt: Subsidiarität des § 830 I 2

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haben können. Ist dies der Fall, so bleibt die an sich bestehende rechtliche Zuordnung insoweit außer Betracht. Die - allerdings bisher unbekannte - Unterscheidung zwischen rechtlicher und natürlicher Kausalität mag an sich richtig sein. Der Schluß, den der BGH hieraus zieht, ist aber keineswegs zwingend. Stellt § 830 I 2 tatsächlich auf eine enger zu fassende natürliche Verursachung ab, so bleibt doch die Frage unbeantwortet, ob die Haftung nicht gleichwohl gegenüber der nachweislich rechtlich kausalen Verursachung zurücktritt, oder anders ausgedrückt, ob der nur potentielle "natürlich" kausale Schädiger nicht frei ist, wenn ein Dritter als nachweislich "rechtlich" kausaler Schädiger bereits haftet. Diese Frage hat der BGH bei einer einseitigen Fixierung auf die Interessen des Geschädigten außer acht gelassen. Dies verwundert um so mehr, als er in der gleichen Entscheidung vor der Gefahr warnt, "den Interessen des Geschädigten in einseitiger Weise Rechnung zu tragen" 189• § 830 I 2 setzt voraus, daß die Schadensverursachung nicht aufgeklärt werden konnte. Grundsätzlich ist aber, sobald der in Anspruch genommene potentielle Schädiger nachweist, daß ein Dritter den Schaden tatsächlich verursacht hat, das Schadensereignis aufgeklärt, und die Haftung des dann auch nicht mehr potentiellen Schädigers ausgeschlossen. Von diesem Grundsatz macht der BGH eine Ausnahme, falls trotz des Nachweises der Schadensverursachung eines Dritten die Tatsache bestehen bleibt, "daß die übrigen Beteiligten - alternativ - den Schaden durch ihre Handlungen verursacht haben" 19o.

Den letzteren Fasll veranschaulicht der BGH durch folgendes Beispiel: Der erste Beteiligte haftet nach den Grundsätzen der adaequaten Kausalität aufgrund pflichtwidriger Unterlassung, während mehrere andere den Schaden tatsächlich, wenn auch zu ungeklärten Anteilen durch ihre Handlungen herbeigeführt haben191 • Das Beispiel ist irreführend. Da alle Personen an der Schadenverursachung tatsächlich mitgewirkt haben, ist der Schadenshergang eben nicht unaufklärbar geblieben, so daß auf § 830 I 2 nicht zurückgegriffen zu werden braucht. Die beteiligten Personen haften als Nebentäter, da jeder unabhängig voneinander für den Schaden eine Bedingung gesetzt hat. Schwierigkeiten tauchen lediglich bei der Frage des Haftungsumfanges auf. Sicherlich haftet der erste Beteiligte auf den gesamten Schaden. Eine Frage im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität ist es, ob hinsichtlich der 189 190 191

8*

Ebd., S. 94. Ebd., S. 91. Ebd., S. 91/92.

116

3. Kap.: Die Beteiligten (alternative Verursachung)

weiteren Beteiligten, deren Schadensanteil unaufklärbar ist, § 830 I 2 eingreift oder ob diese jeweils nur auf einen vom Gericht gern. § 287 ZPO zu schätzenden Anteil am Schaden- und auch nur insoweit als Gesamtschuldner gern. § 840 dem Erstschädiger haften. Das vom BGH gewählte Beispiel geht an der eigentlichen Problematik, vor die das Gericht bei der vorliegenden Entscheidung gestellt war, vorbei. Es ging nicht darum, ob zwei potentielle Schädiger, die den Schaden zu ungeklärten Anteilen verursacht haben, aus § 830 I 2 als Beteiligte haften. Die Fragestellung lautete vielmehr, ob bei alternativer Schadensverursachung der potentielle Schädiger neben dem aktuellen Schädiger für den Schaden verantwortlich ist, also nicht einmal mit Gewißheit feststeht, ob er tatsächlich eine Ursache für die Verletzungen gesetzt hat, auf jeden Fall aber die Möglichkeit auszuschließen ist, daß er den gesamten Schaden herbeigeführt hat. Nicht ein Fall kumulativer Verursachung, sondern alternativer Verursachung stand zur Entscheidung an. Beim Zusammentreffen aktueller und potentieller Verursachung bleibt § 830 I 2 auch in analoger Anwendung ausgeschlossen. Die Durchbrechung des Kausalitätsprinzips in § 830 I 2 rechtfertigt sich, wie bereits dargestellt, aus dem Gedanken, daß es gerechter erscheint, auch die nur möglichen Schadensverursacher haften als den Geschädigten leer ausgehen zu lassen, falls eine Beweisnotlage eingetreten ist, die gerade darin besteht, daß der Geschädigte nicht nachzuweisen vermag, welche Gefährdungshandlung der potentiellen Schädiger seinen Schaden tatsächlich verursacht hat. Diese Beweisnotlage besteht in den genannten Fällen eben nicht. Der Schadensausgleich scheitert nicht an der Unmöglichkeit festzustellen, wer von mehreren den Schaden verursacht hat. Der Geschädigte wird nur deshalb keinen Ausgleich erhalten, weil er den bestehenden Anspruch nicht durchzusetzen vermag, da der Schädiger nicht festgestellt werden konnte, oder gar nicht durchsetzen will, weil er sich von einer Inanspruchnahme wegen Vermögenslosigkeit des Schädigers nichts verspricht oder gar diesen schonen will. All dies sind Umstände, die von der in § 830 I 2 gemeinten Beweisnotlage völlig verschieden sind. Es entspricht- und insoweit ist Bauer beizupflichten- dem Zweck des § 830 I 2, dem Geschädigten in den Fällen zu helfen, .,in denen er gar nichts erhalten würde, wenn er gezwungen wäre, seinen Schaden im Rahmen der Haftungsgrundsätze geltend zu machen" 192• Da der Geschädigte in diesen Fällen seinen Anspruch jedoch .,im Rahmen der Haftungsgrundsätze" geltend machen kann, würde eine Inanspruch192

Bauer JZ 71, 4, 8.

6. Abschnitt: Subsidiarität des § 830 I 2

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nahme des potentiellen Schädigers eindeutig diesem Zweck widersprechen. Das Resultat der Rechtsprechung- Haftung des Zweitschädigers in voller Höhe- ist unbefriedigend. Denn der Zweitschädiger hat weder tatsächlich noch möglicherweise den gesamten Schaden verursacht, da im Zeitpunkt seines Handeins zumindest ein Teil des Schadens bereits eingetreten war. Ihm auch die Verantwortung für diesen nachweislich nicht von ihm verursachten Schadensanteil anzulasten, widerspricht der Billigkeit und ist von der Vorschrift des § 830 I 2 nicht gedeckt. Die Verweisung Deubners auf eine fehlende Regelung der subsidiären Haftung aus § 830 I 2 in den Bestimmungen der Absätze II und III des § 840 besagt nichts. Gesamtschuldnerische Haftung setzt voraus, daß mehrere nebeneinander für den Schaden verantwortlich sind. Entfällt aber bereits die Verantwortlichkeit des potentiellen Schädigers neben dem aktuellen Schädiger, weil die Voraussetzungen der Haftung als Beteiligter nicht vorliegen, so kommt auch keine gesamtschuldnerische Haftung in Betracht, die eine den Absätzen II und III des § 840 entsprechende Bestimmung erforderlich sein lassen würde.

D. Zusammenfassung Im Ergebnis sind Fälle der Konkurrenz von aktueller und potentieller Kausalität wie folgt zu lösen: 1. Der nachweislich kausale Schädiger haftet immer nur aus der je-

weiligen besonderen Haftungsnorm und nicht daneben auch aus § 830 I 2.

2. Hat der Zweitschädiger nachweislich einen Teil des Schadens verursacht (Verschlimmerung einer Verletzung, Vergrößerung des Sachschadens), so bleibt ebenfalls § 830 I 2 unanwendbar. Er haftet vielmehr als Nebentäter nur in Höhe dieses Schadensanteiles, der gegebenenfalls vom Gericht gern. § 287 ZPO zu schätzen ist. 3. Besteht lediglich die Möglichkeit, daß der Zweitschädiger im "natürlichen" Sinne für einen Teil oder den gesamten Schaden ebenfalls kausal geworden ist, so tritt seine Haftung hinter der des aktuellen Schädigers zurück. Seine Haftung ist nicht im eigentlichen Sinne subsidiär, sondern bereits tatbestandsmäßig ausgeschlossen. 4. Für die Haftung aus alternativer Kausalität gern. § 830 I 2 ist es irrelevant, ob irgendeiner der tatsächlichen oder möglichen Schädiger vermögenslos ist oder seiner Person nach nicht mehr festgestellt werden kann, wie auch im allgemeinen Haftrecht diesen Umständen keinerlei Bedeutung zukommt.

(B) Bei kumulativer Verursachung 1. Abschnitt

Einleitung und Fragestellung Von kumulativer Verursachung eines Schadens spricht man, wenn ein jeder der nicht als Mittäter handelnden Personen einen TP.il rles Schadens nachweislich verursacht hat, sich aber nicht ermitteln läßt, wie hoch sein Anteil am Gesamtschaden ist193• Als typisches Beispiel kumulativer Kausalität kann der vom Landgericht Essen entschiedene Fall einer Kettenkollision angesehen werden194 • Der beklagte Autofahrer war bei einem plötzlichen Abbremsen des Klägers auf dessen Wagen aufgefahren. Der nachfolgende Autofahrer C fuhr nun seinerseits auf das Fahrzeug des Beklagten auf und schob es erneut gegen den Pkw des Klägers. Zu welchem Anteil der Beklagte und der Autofahrer C den Schaden am klägerischen Fahrzeug verursacht hatten, mußte naturgemäß im einzelnen unaufklärbar bleiben. Drei Entscheidungsmöglichkeiten stehen theoretisch offen: die beiden Schädiger haften als Beteiligte auf Ersatz des gesamten Schadens gern. § 830 I 2, sie haften als Nebentäter anteilmäßig oder haften, da der Kläger seine Ansprüche gegen jeden einzelnen nicht spezifizieren kann, überhaupt nicht. Den Fällen sog. kumulativer Verursachung kommt damit im Rahmen einer Abgrenzung der verschiedenen Formen der Mehrtäterschaft eine besondere Bedeutung zu, da hier die Grenzlinie zwischen einer auf einen Anteil beschränkten Haftung als Nebentäter und der Haftung auf das Ganze als Beteiligter zu ziehen ist. Der Anwendung des § 830 I 2 steht das Bedenken entgegen, daß an sich die Vorschrift voraussetzt, daß jede Handlung bereits für sich genommen geeignet ist, den gesamten Schaden zu verursachen. Diese Voraussetzung liegt aber im angeführten Beispielsfall gerade nicht vor, da zumindest eine Konstellation der Verursachung auszuscheiden hat: der Autofahrer C hat nicht den Gesamtschaden verursacht. Denn es steht fest, daß vor dem Auffahren der klägerische Pkw bereits beschädigt war. Für die Gleichsetzung von kumulativer und alternativer Verursachung spricht die Entstehungsgeschichte. Satz 2 von§ 714 des I. Entwurfs lautete: 193 t94

Staudinger-Schäfer § 830 Rn. 3 b; Buxbaum, S. 30. LG Essen VersR 63, 100.

2. Abschnitt: Anwendbarkeit des § 830 I 2 verneint

119

"Das Gleiche (nämlich gesamtschuldnerische Haftung) gilt, wenn im Fall eines von Mehreren verschuldeten Schadens von den Mehreren nicht gemeinsam gehandelt, der Antheil des Einzelnen an dem Schaden aber nicht zu ermitteln ist195 ." Aufgrund der endgültigen Fassung des § 830 I 2 hat es den Anschein, Fälle anteiliger Verursachung seien aus dem Geltungsbereich der Vorschrift wieder herausgenommen worden. Buxbaum hat jedoch nachgewiesen, daß mit der Neuformulierung eine Erweiterung der Norm, keinesfalls aber eine sachliche Abänderung gegenüber dem Vorentwurf bezweckt worden ist196• Das legt es nahe, die Vorschrift auch bei kumulativer Verursachung des Schadens - zumindest analog - Anwendung finden zu lassen, allerdings mit der wichtigen Einschränkung, daß zu der feststehenden anteiligen Verursachung des Schadens die Möglichkeit hinzutreten muß, daß jede dieser Handlungen auch den ganzen Schaden verursacht haben kann. Nur mit dieser inhaltlichen Beschränkung läßt sich eine Parallele zur Regelung bei alternatver Kausalität ziehen. 2. Abschnitt

Entscheidungen, die die Anwendbarkeit des § 830 I 2 verneinen Das Reichsgericht hat in keiner Entscheidung zu dieser Frage Stellung nehmen müssen. In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte aus dem Zeitraum von 1947-1955 finden sich mehrere Entscheidungen, die eine entsprechende Anwendung des § 830 I 2 bei anteiliger Verursachung prüfen. Die den Urteilen zugrundeliegenden Sachverhalte sind nahezu gleichartig. Mehrere Personen, darunter jeweils der Beklagte, hatten ohne Absprache untereinander Warenlager ausgeplündert. In einer ersten Gruppe von Entscheidungen stand fest, welche einzelnen Stücke der Beklagte entwendet hatte197• Die Gerichte gaben der Klage auf Ersatz des nachgewiesenen Teilschadens statt, wiesen aber den weitergehenden Anspruch des Klägers auf Ersatz des gesamten Schadens ab. Das OLG Koblenz führt zur Begründung aus, "Beteiligung i. S. von § 830 I 2 liegt nur vor, wenn eine von mehreren an und für sich selbständigen Handlungen den ganzen 195 196

Mugdan, S. CXXV. Buxbaum, S. 5.

197 OLG Koblenz AcP 150, 453; OLG Braunschweig JR 51, 658; OLG Harnburg MDR 56, 676.

120

3. Kap.: Die Beteiligten (kumulative Verursachung)

Erfolg herbeigeführt hat, und die Handlung jeder einzelnen Person den ganzen Schaden herbeizuführen geeignet war" 198• Der Täter, der einen meßbaren Anteil am Schaden verursacht hat, soll daher nur dann für den ganzen Schaden aufzukommen haben, wenn bereits seine Handlung - unabhängig von dem, was andere Personen getan haben- an sich geeignet war, den Gesamtschaden zu verursachen. Unter Berufung auf obige Entscheidung hat das OLG Braunschweig einen weiteren Gesichtpunkt herangezogen. Da § 830 I 2 eine Sondervorschrift sei, die sich durch ihren deliktischen Charakter - also ein schuldhaftes Handeln erfordernd - rechtfertige, könne sie auch nur angewendet werden, "wenn sich das Verschulden des Beteiligten auf den Gesamterfolg erstreckt" 199 • Eine direkte Anwendung des § 830 I 2 lehnte das OLG Harnburg mit der Begründung ab, die Wegnahme eines Teils der gestohlenen Ware sei nicht geeignet gewesen, den Gesamtschaden herbeizuführen. Eine Analogie verbiete sich, weil der Vorsatz nicht den Gesamterfolg umfaßt habeJOO. Den Entscheidungen ist im Ergebnis zuzustimmen. Die Begründung vermag allerdings nicht zu überzeugen. In allen Fällen ging es darum, ob der Beklagte über den von ihm nachweislich verursachten Schaden hinaus für den weiteren - nachweislich - nicht von ihm, sondern von nicht ermittelten Dritten verursachten Schaden einzustehen hat. Damit fehlt bereits die Grundvoraussetzung für die Anwendbarkeit der Vorschrift: die Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes. Der Schadenshergang war in den vorliegenden Fällen voll aufgeklärt, lediglich die weiteren Schadensverursacher konnten nicht ausfindig gemacht werden. § 830 I 2 enthebt aber nicht den Geschädigten der Ermittlung tatsächlicher aktueller Schadensverursacher, sondern nur des Kausalitätsnachweises gegenüber ermittelten potentiellen Schädigem. Ob die Handlung des einzelnen geeignet war, den gesamten Schaden herbeizuführen, konnte hier dahingestellt bleiben. Die Gerichte hatten lediglich zu prüfen gehabt, ob der Beklagte eine adaequate Bedingung für die nachfolgenden Diebstähle gesetzt hat. Nur in diesem Fall hätte er gern. § 823 - gegebenenfalls i. V. mit § 830 I S. 1 - auf Ersatz des gesamten Schadens gehaftet. Das läßt sich durch eine Abwandlung leicht erweisen. Hätten die übrigen Diebe ermittelt werden können, so hätte das Gericht sicherlich § 830 I 2 nicht in Erwägung gezogen. Die BeweisOLG Koblenz AcP 150, 453. OLG Braunschweig JR 51, 658. 2oo OLG Harnburg MDR 56, 676. 198 199

2. Abschnitt: Anwendbarkeit des § 830 I 2 verneint

121

Schwierigkeiten, um derentwillen die Vorschrift eine Vermutung der Kausalität gegen jeden Beteiligten aufstellt liegen aber gerade darin, daß der Geschädigte den ermittelten potentiellen Schädigern einzeln gerade. ihre Ursächlichkeit nicht nachzuweisen vermag. Für eine Anwendung des § 830 I 2 - auch analog - war mithin kein Raum. Etwas anders gelagert war der Sachverhalt der Entscheidung des OLG Bamberg, der die Besonderheit aufwies, daß die Klägerin nicht anzugeben vermochte, welche Stücke in welcher Menge der Beklagte, der ebenfalls neben anderen an der Ausplünderung eines Warenlagers beteiligt war, entwendet hatte201 • Das Gericht hat die Klage abgewiesen. § 830 I 2 sah es als nicht erfüllt an, da feststehe, daß der Beklagte sich nur einen Teil angeeignet habe und damit die für die Anwendung der Vorschrift unerläßliche Voraussetzung der möglichen Alleinverursachung des Gesamterfolges entfalle. Der Entscheidung ist beizupflichten. Im Grunde liegt die gleiche Situation vor wie in den oben zitierten Urteilen: Das Schadensereignis war i. S. des§ 830 I 2 nicht unaufklärbar. Der Beklagte konnte nicht auf Ersatz des gesamten Schadens in Anspruch genommen werden, weil positiv feststand, daß er ihn - auch nicht möglicherweise - verursacht hat. Auch hier kann man die Probe machen, indem man in einer Abwandlung des Sachverhaltes davon ausgeht, die weiteren Täter wären ermittelt worden. Die Klage gegen jeden der Täter müßte erfolglos bleiben, wenn es deni Kläger nicht gelingt, die Höhe des Schadensanteiles eines jeden Schädigers nachzuweisen. Die von Kuth in einer Anmerkung zum Urteil vorgebrachten Bedenken gehen feh1202 • Die von ihm vorgestellte tatsächliche Situation lag offenbar nicht vor. Hätte der Beklagte, was Kuth unterstellt, den gesamten zum Schaden führenden Vorgang erkennen können und durch sein eigenes Handeln den Entschluß der anderen Diebe gefördert, so kommt seine Haftung als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe in Betracht, aber nicht als Beteiligter. Einen Weg, wie dem Geschädigten bei ungeklärter Teilverursachung im Einzelfall geholfen werden kann, hat das OLG Neustadt gewiesen203 • Mehrere Obstbaumbesitzer hatten ihre Bäume in der Zeit der Blüte mit einem giftigen Schädlingsbekämpfungsmittel gespritzt. Hierdurch wurde in den Bienenvölkern mehrerer Imker ein erheblicher Schaden angerichtet. Das OLG hat auf die Klage der Imker die Haftung der 2o1 2o2 2oa

OLG Kuth OLG

Bamberg NJW 49, 225. NJW 49, 225. Neustadt VersR 58, 251.

122

3. Kap.: Die Beteiligten (kumulative Verursachung)

Obstbaumbesitzer aus § 830 I 2 zutreffend mit der Überlegung verneint, jeder habe nur einen Teil des Schadens verursacht. Zu einer billigen Entscheidung fand das Gericht über § 287 ZPO. Es schätzte die Verursachungsbeiträge der Obstbaumbesitzer und berechnete auf diese Weise ihren Anteil an der Schadenstragung nach Köpfen204 • Mit dieser Rechtsprechung war ein Weg vorgezeichnet, wie die Fälle anteiliger Nebentäterschaft von denen einer ungeklärten anteiligen Beteiligung i. S. des § 830 I 2 zu unterscheiden sind. Maßgeblich ist zunächst, ob die Verursachung des gesamten Schadens unaufklärbar geblieben ist. Kann der Hergang soweit ermittelt werden, daß die Möglichkeit einer Verursachung des Gesamterfolges durch den Schädiger ausscheidet, so bleibt § 830 I 2 unanwendbar. Nur wenn zu der nachgewiesenen Teilverursachung die Möglichkeit der Gesamtverursachung hinzukommt, haftet der Schädiger auf vollen Ersatz. In den ersten Fällen kann er nur in Höhe des von ihm tatsächlich verursachten Anteils zur Verantwortung gezogen werden. Steht der Anteil nicht fest, so ist er gern. § 287 ZPO zu schätzen. Ist eine Schätzung nicht möglich - kann dem Dieb nicht nachgewiesen werden, welche Stücke er gestohlen hat - so ist der Ersatzanspruch ausgeschlossen. 3. Abschnitt

Entscheidungen, die die Anwendbarkeit des §830 I 2 bejahen Das Landgericht Essen hingegen hat erstmals im oben geschilderten Fall der Kettenkollision auch bei ungeklärter Teilverursachung § 830 I 2 Anwendung finden lassen205. Zu welchem exakten Anteil der Beklagte und C den Schaden am klägerliehen Pkw herbeigeführt hatten, ließ sich nicht aufklären. Immerhin waren aber nach Ansicht des LG nur drei Geschehensabläufe vorstellbar: 1. Möglichkeit: Bereits das Auffahren des Beklagten hat den gesamten

Schaden verursacht.

2. Möglichkeit: Der Beklagte und C haben gleich großen Anteil an der Schadenszufügung. 3. Möglichkeit: C hat den größeren Anteil, da er mit größerer Wucht aufgefahren ist.

204

2os

OLG Neustadt aaO, S. 252. LG Essen VersR 63, 100.

3. Abschnitt: Anwendbarkeit des § 830 I 2 bejaht

123

Wäre das LG Essen der vorangegangenen Rechtsprechung gefolgt, so hätte es - wie etwa das OLG Bamberg - die Frage stellen müssen, ob "der Gesamterfolg von jeder der als möglichen Täter in Betracht kommenden Personen allein herbeigeführt" worden sein konnte2°6 • Die Beantwortung dieser Frage hätte wie folgt ausgesehen: Es lag im Bereich des Möglichen, daß der Beklagte allein den ganzen Erfolg verursacht hat (1. Möglichkeit). Er ist "Beteiligter" i. S. des Gesetzes, wenn die gleiche Möglichkeit auch im Hinblick auf den Autofahrer C besteht, da Beteiligung notwendig eine Mehrheit potentieller Schädiger voraussetzt. Da jedoch feststand, daß im Zeitpunkt des Auffahrens von C der Beklagte bereits zumindest einen, wenn auch im Vergleich zu C geringeren Teil des Schadens herbeigeführt hatte, schied diese Möglichkeit aus. Der Sachverhalt war also insoweit aufklärbar, als zumindest feststand, daß C nicht den gesamten Schaden verursacht hat. Das LG Essen hat § 830 I 2 gleichwohl angewandt. Es begründet dies mit dem Zweck der Norm, der hier eingreife. Der Zweck - Beweiserleichterung - treffe auch dann zu, wenn bei mehreren Schädigern der Anteil des einzelnen nicht zu ermitteln sei207 • Dieser Satz in dieser Form ist sicherlich nicht richtig, wie das folgende Beispiel beweist. Haben A, B und C unabhängig voneinander in zeitlicher Aufeinanderfolge Waren aus einem Lager gestohlen, so ist ebenfalls der Anteil des einzelnen Schädigers nicht zu ermitteln, ohne daß wohl auch das LG Essen hier die Haftung eines jeden Diebes auf den ganzen Schaden aus § 830 I 2 bejaht hätte. Das Gericht hat sich wohl von dem Gedanken leiten lassen, daß eine Freistellung des Beklagten von der Haftung im groben Maße unbillig erscheinen müsse. Was hätte aber dagegen gesprochen, den Beklagten hinsichtlich des von ihm nachweislich verursachten "geringeren" Schadensanteiles als Alleintäter aus § 823, hinsichtlich des verbleibenden Restes aus § 830 I 2, als Gesamtschuldner neben C haften zu lassen? Sicherlich ist es nicht einfach, gern. § 287 ZPO die Quote festzulegen, in deren Höhe der Beklagte allein haftet. Da das Gericht aber immerhin feststellen konnte, daß C mit größerer Wucht aufgefahren war und daraus den Schluß zog, daß von einem "geringeren" Verursachungsbeitrag zu reden sei, ist nicht einzusehen, weshalb es diese Schätzung nicht hätte vornehmen können. Eine derartige Aufteilung des Schadens hätte nicht nur den Vorteil, mit der Regelung des § 830 I 2 im Einklang zu stehen, sie ist auch im 206

201

OLG Bamberg NJW 49, 225. LG Essen aaO, S. 100.

124

3. Kap.: Die Beteiligten (kumulative Verursachung)

Ergebnis gerechter, da bei einer Bejahung der Gesamthaftung beider Schädiger bewußt in Kauf genommen wird, daß der Zweitschädiger für einen Anteil am Schaden haftet, den er mit Sicherheit nicht verursacht hat. Eine vergleichbare Sachlage weist die Entscheidung des OLG Stuttgart vom 23. 7. 1959 au:f!08 • Der Kläger war durch einen Unfall erheblich verletzt worden. 8 Monate später wurde er von dem Beklagten mit einem Lkw angefahren und erlitt erneut Verletzungen. Es ließ sich nicht feststellen, ob der Kläger ohne den zweiten Unfall in gleicher Weise wieder erkrankt und die Ausheilung der durch den ersten Unfall verursachten Schäden nicht gelungen wäre; der zweite Unfall hatte auf jeden Fall zu einer Verschlimmerung geführt. Das OLG hat der Klage aus § 830 I 2 stattgegeben. Prüft man auch hier den Kreis der vorstellbaren Verursachungsabläufe, so ergibt sich folgendes: Der Erstschädiger ist nachweislich für einen Teil des erneuten Schadens als Verursacher anzusehen, da der Geschädigte seit dem 1. Unfall besonders schadensanfällig war. Den ganzen Schaden hat er aber ebenso nachweisbar nicht verursacht, da infolge des 2. Unfalls eine. Verschlimmerung eingetreten ist. Der Zweitschädiger hat nachweislich einen Teil (Verschlimmerung), möglicherweise aber auch den ganzen Erfolg verursacht, da es denkbar war, daß die Folgen des 1. Unfalls ohne die spätere Verletzung ausgeheilt wären. Anstatt eine Schadensteilung vorzunehmen, hat das OLG dem Erstschädiger eine sicherlich unbillige Gesamthaftung auferlegt. Eine Teilung des Schadens hätte hier auch keine besonderen Schwierigkeiten bereitet, da nach einem Sachverständigengutachten der Schaden zu 1/4 auf den zweiten, zu 3/4 auf den ersten Unfall zurückzuführen war209 • Zu einer modifizierten Anwendung des § 830 I 2 ist der BGH im Urteii vom 15. 11. 1960 gekommen21o. Es stand fest, daß der beklagte Autofahrer den auf der Fahrbahn liegenden Kläger überfahren und verletzt hatte. Nicht auszuschließen war, daß der Kläger von nachfolgenden Fahrzeugen ebenfalls überfahren worden ist, und seine jetzige Verletzung- Zertrümmerung des rechten Beines- Folge der späteren Ereignisse war. 2os OLG Stuttgart NJW 59, 2308.

209 So auch Wussow in einer Anmerkung zum obigen Urteil in NJW 59, 2308; Buxbaum, S. 36. 21o BGHZ 33, 286 ff

3. Abschnitt: Anwendbarkeit des § 830 I 2 bejaht

125

Der BGH hat zwei Geschehensabläufe als im Bereich des Möglichen angesehen. 1. Möglichkeit: nicht die nachfolgenden Autofahrer, sondern allein der

Beklagte hat dem Kläger die jetzige Verletzung beigebracht.

Hier haftet der Beklagte als Alleintäter gern. § 823 auf Ersatz des entstandenen Schadens. 2. Möglichkeit: der Beklagte hat zwar den Kläger verletzt, jedoch ist die Zertrümmerung des Beines Folge der späteren Ereignisse. Unaufklärbar bleibt bei dieser Alternative der Anteil an der Schadenszufügung. Obgleich hier ein Fall anteiliger Schadensverursachung vorliegt, weist die Entscheidung einen wesentlichen tatsächlichen Unterschied auf: die Gefährdungshandlung des Beklagten war abstrakt geeignet, Ursache der jetzigen Verletzung zu sein. Da auch die nachfolgenden Autofahrer potentielle Schädiger i. S. von § 830 I 2 waren, hat der BGH zu Recht die Verantwortlichkeit des Beklagten aus diesem Haftungstatbestand bejaht. Die Fälle anteiliger Schadensverursachung haben durch die obige Entscheidung des BGH einen neuen und richtigen Bedeutungsinhalt gewonnen. Für die Haftung aus § 830 I 2 kommt es überhaupt nicht darauf an, ob einem der potentiellen Schädiger nachgewiesen werden kann, daß er tatsächlich einen Teil des Schadens verursacht hat, da die Vorschrüt die Haftung allein aus der abstrakten Gefährdung des fremden Rechtsgutes herleitet. Allein entscheidend ist, ob jeder der Beteiligten den ganzen Schaden oder den konkreten jetzigen Schadenserfolg verursacht haben kann. War die Gefährdungshandlung abstrakt geeignet, diesen Schaden herbeizuführen, so ist sie alleinige Basis der Verantwortlichkeit des Beteiligten. Die Entscheidung zeigt andererseits, welche Bedeutung dem Umstand zukam, daß der Beklagte nachweislich den Kläger überfahren und verletzt hatte. Wäre dem Geschädi~en diese Beweisführung mißglückt, hätte er nur nachzuweisen vermocht, daß der Beklagte zur fraglichen Zeit die Unfallstelle passiert hatte, so wäre eine Inanspruchnahme des Beklagten nur in Betracht gekommen, wenn der Verletzte einen zusätzlichen Beweis erbracht hätte. Nur wenn ihm der Nachweis geglückt wäre, daß ausschließlich eine bestimmte Gruppe von Autofahrern

126

3. Kap.: Die Beteiligten (kumulative Verursachung)

- unter ihnen der Beklagte - Schadensverursacher sein konnte, hätte er Schadensausgleich verlangen können. Da aber feststand, daß der Beklagte dem Kläger eine Verletzung beigebracht hatte, konnte der BGH - wie geschehen211 - alternativ entscheiden. Entweder hatten die angeblich nachfolgenden Autofahrer den Kläger nicht überfahren, so haftet der Beklagte bereits als Alleintäter aus § 823; im gegenteiligen Fall bleibt die Möglichkeit der alleinigen Schadensverursachung durch den Beklagten bestehen, da bereits seine - zumindest gefährdende - Handlung geeignet war, die spätere Verletzung herbeizuführen, so daß er als Beteiligter verantwortlich ist. Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. 4. Abschnitt Zusammenfassung Die Feststellung, daß der Schädiger einen Teil des Schadens mit Gewißheit verursacht hat, ist im Rahmen des § 830 I 2 unerheblich; sie gewinnt nur Bedeutung insoweit, als sie den Weg für eine alterative Verurteilung freimacht. Ent5cheidend ist, ob die Handlung geeignet ist, über die Teilverursachung hinaus auch den gesamten Schaden zu verursachen. Buxbaum nimmt an, in diesen Fällen bestehe eine Vermutung, daß der einzelne Beitrag eine conditio sin qua non für den Gesamterfolg war. Andererseits will aber auch sie den Anspruch aus § 830 I 2 dem Geschädigten versagen, wenn die Handlung ungeeignet war, den Gesamtschaden.serfolg herbeizuführen212 •

Hier zeigt sich ein Widerspruch. Im Kollisionsfall war das Auffahren des 2. Autofahrers nachweislich nicht geeignet, den gesamten Schaden zu verursachen, da das klägerische Fahrzeug bereits einen Teil des Schadens verursacht hatte. Es ist aber nicht richtig, daß eine Vermutung gegen den 2. Autofahrer besteht, er habe eine Bedingung für den Gesamterfolg gesetzt. Die Vermutung kann immer nur so weit reichen, wie sie nicht durch tatsächliche Feststellungen widerlegt ist. Da im obigen Fall feststand, daß der zweite Autofahrer mit Sicherheit den "geringeren" Teil des Schadens nicht verursacht hat, kann eine Vermutung nur in Hinsicht auf den "größeren" Anteil überhaupt bestehen. 211 212

BGHZ 33, 293. Buxbaum, S . 37.

4. Abschnitt: Zusammenfassung

127

Richtig ist es, den vom OLG Neustandt aufgezeigten Weg auch hier konsequent einzuhalten. In erster Linie ist von der Möglichkeit, nach § 287 ZPO im Wege der freien richterlichen Beweiswürdigung die Schadensanteile zu schätzen, Gebrauch zu machen. In Fällen qualitativer Schadensveränderung ist diese Möglichkeit keinesfalls ausgeschlossen. Deutlich zeigt dies die Entscheidung des OLG Stuttgartm. Für die Auffahrunfälle bietet sich folgende Lösung an: Hat der zunächst auffahrende Autofahrer möglicherweise den gesamten Schaden verursacht, haben die späteren Ereignisse also nicht mit Sicherheit eine quantitative oder qualitative Veränderung des Schadens mehr bewirkt, so ist er, sofern er nicht als Alleintäter nach§ 823 haftet, zum mindesten gern. § 830 I 2 hinsichtlich des gesamten Schadens ersatzpflichtig. Die Verurteilung kann alternativ erfolgen. Der oder die später aufgefahrenen Autofahrer haften in Höhe der Quote, deren Verursachung nachweislich nicht von dem ersten Autofahrer verursacht ist, neben diesem gesamtschuldnerisch als Beteiligte, §§ 830 I 2, 840 I. Bei der Ermittlung der Schadensanteile ist von der Möglichkeit des § 287 ZPO Gebrauch zu machen. Damit erweist sich im Ergebnis die Unterscheidung zwischen kumulativer und alternativer Kausalität im Rahmen des § 830 I 2 als unrichtig. Die Vorschrift kennt nur die alternative Verursachung, die dadurch gekennzeichnet ist, daß jeder Beteiligte möglicherweise den gesamten Schaden verursacht hat. Hat einer der Beteiligten nachweislich nicht den gesamten Schaden, sondern nur möglicherweise einen Anteil verursacht, greift § 830 I 2 nicht Platz. Erst nach Abzug des einem Schädiger nachgewiesenen Schadensteiles, für den dieser allein einzustehen hat, kann die Frage neu gestellt werden, ob für den so errechneten "Gesamtrestschaden", dessen Verursachung nicht zu ermitteln ist, die mehreren als Beteiligte haften. Man mag gegen diesen Lösungsweg einwenden, er erscheine wenig praxisnah, sobald Unfälle im Straßenverkehr zur Entscheidung anstehen. Es ist richtig, daß die Quotelung des Schadens oft nicht leicht sein wird. Dies ändert nichts daran, daß der Haftung aus § 830 I 2 eine Schadensermittlung und gegebenenfalls eine Schadensquotelung grundsätzlich voranzugehen hat. Eine gesamtschuldnerische Inanspruchnahme

21s

OLG Stuttgart NJW 59, 2308.

128

3. Kap.: Die Beteiligten (kumulative Verursachung)

möglicher Schadensverursacher ist aus dem den § 830 I 2 tragenden Billigkeitsgedanken nur dann gerechtfertigt, wenn eine Ermittlung der Schadensanteile nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten, also auch der des § 287 ZPO, gescheitert ist.

Zweiter Hauptteil

Schadensverteilung bei Mitverschulden des Geschädigten Vorbemerkung Trifft den Geschädigten oei der Entstehung oder Entwicklung des Schadens ein "Mitverschulden", so ist die Ersatzpflicht des Schädigers gemäß § 254 beschränkt. Sie ist ausgeschlossen in Höhe des Anteiles, den der Geschädigte in zurechenbarer Weise zum Schaden beigetragen hat. Die zu§ 254 im Streit der Meinungen stehenden Fragen, insbesondere über Art und Bedeutung der Mitverursachung und die Abwägung der einzelnen Faktoren und deren Stellenwert sind nicht Gegenstand der folgenden Ausführungen. Diese allgemeine Problematik, die in Rechtsprechung und Schrifttum eine eingehende Erörterung gefunden hat1, stellt sich zwar in gleicher Weise, wenn dem mitschuldigen Geschädigten nicht ein einziger, sondern mehrere Schädiger gegenüberstehen, weist aber in dieser Hinsicht keine dogmatischen oder praktischen Besonderheiten auf. Anders verhält es sich bei der Frage nach dem Verteilungsverfahren, einer Problematik, die erst auftritt, wenn bei der vorzunehmenden Abwägung auf der Schädigerseite nicht eine einzige Person, sondern eine Mehrheit von Verantwortlichen steht. Die Frage ist vom Gesetz nicht beantwortet; § 254 ist auf eine ZweiPersonen-Beziehung zugeschnitten ("der eine und der andere Teil"). Gleichwohl ist es völlig unbestritten, daß der Rechtsgedanke der Vorschrift auch bei einer Schädigermehrheit, die gesamtschuldnerisch zum Schadensausgleich verpflichtet ist, Anwendung findet. Diese entsprechende Anwendung wirft aber die methodische Frage auf, in welcher Weise der entstandene Schaden zwischen den Verantwortlichen zu verteilen ist. 1 Vgl, hierzu insbesondere Venzmer, Mitverursachung und Mitverschulden im Schadensersatzrecht; Dunz, Abwägungskriterien bei der Schadensausgleichung in NJW 1964, 2133; Ktauser, Abwägungsgrundsätze der Schadensverteilung bei Mitverschulden und Mitverursachung in NJW 1962, 369; Schtierff, Abwägungskriterien bei der Schadernsausgleichung nach § 254 in NJW 1965, 676 und die Kommentierung zu § 254 mit Nachweisen der Rechtsprechung.

9 Brambring

130

Vorbemerkung

Hierbei bieten sich zwei Alternativlösungen an. Entweder ist bei der Abwägung der Verantwortungssphäre des Geschädigten eine gemeinsame Verantwortungssphäre der Schädigermehrheit gegenüberzustellen oder gerade nur der Verursachungsanteil und das Verschuldensmaß des einzelnen Schädigers dieser Mehrheit. Die erste Form der Schadensverteilung beruht also auf einer Gesamtabwägung des Schadensereignisses, die zweite auf einer Einzelabwägung. Es wird im folgenden zu untersuchen sein, ob es ein für alle Formen der Mehrtäterschaft gültiges Verteilungsverfahren gibt und auf welchem Abwägungsprinzip es in diesem Fall beruht, oder ob die Verschiedenartigkeit von Mittäterschaft, Nebentäterschaft und Beteiligung eine differenzierende Betrachtungsweise notwendig macht. In den nächsten drei Kapiteln wird zunächst die Schadensverteilung bei Vermögensschäden behandelt; im nachfolgenden Kapitel untersucht, ob für Nichtvermögensschäden eine andere Betrachtung geboten ist.

Viertes Kapitel

Das Verteilungsverfahren bei Mittäterschaft Nach völlig unbestrittener Ansicht ist bei einer Schadenszufügung durch Mittäter und Mitverschulden des Geschädigten eine Gesamtabwägung vorzunehmen, d. h. die Verursachungs- und Verschuldungsbeiträge der Mittäter sind bei der Abwägung im Rahmen des § 254 additiv zu erfassen und dieser Gesamt-Verantwortungsbeitrag dem des Geschädigten gegenüberzustellen. Auf eben dieser Grundlage ist der Schaden zu verteilen1 • Dieser Ansicht ist zuzustimmen. Jeder der Mittäter haftet gemäß § 830 I S. 1 auf vollen Schadensausgleich. Nicht nur die eigenen Verursachungsbeiträge und das eigene Verschulden hat er sich zuzurechnen, sondern auch die schuldhaften Tatbeiträge der übrigen Mittäter, da sie von seinem eigenen Vorsatz mitumfaßt sind.

An einem Beispiel erläutert, ist demnach bei der Schadensverteilung wie folgt vorzugehen: Haben A und B als Mittäter X einen Schaden zugefügt, an dem X ein Mitverschulden trifft - etwa, weil er A und B zu ihrem schädigenden Verhalten herausgefordert hat-, so sind zunächst die für das Maß der Verursachung und des Verschuldens erheblichen Umstände aller beteiligten Personen aufzuklären und festzustellen. Fällt die Beteiligung aller am Unfallgeschehen gleich stark ins Gewicht, so ist aus der Gegenüberstellung der gemeinsame Verantwortungssphäre von A und B (113 + 1/3 = 2/3) mit der des Geschädigten (1/3) die Quote zu bilden, in deren Höhe der Geschädigte sich einen Abzug seines Ersatzanspruches gefallen lassen muß. Gern. §§ 830 I S. 1, 840, 254 kann demnach X sowohl von Aals auch von B als Gesamtschuldner 2/3 seines Schadens ersetzt verlangen. 1 BGHZ 30, 203, 206; OLG Saarbrücken OLGZ 70, 11; Palandt- Heinrichs § 254 Anm. 4 c aa und - Thomas § 840 Anm. 2 c; Staudinger-Schäfer § 840 Rn. 34; Reinicke MDR 59, 1000, 1002; Reinelt, Schadensverantwortlichkeit, S.32.

9*

132

4. Kap.: Verteilungsverfahren bei Mittäterschaft

Der Ausgleich zwischen A und B erfolgt gern. § 426 I 1 im Innenverhältnis. Jeder Mittäter ist mit dem Ausgleichs- (Insolvenz-) risiko belastet, § 426 I 2.

Fünftes Kapitel

Das Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft 1. Abschnitt

Einleitung und Fragestellung Am heftigsten umstritten im Bereich der Mehrtäterschaft überhaupt ist zur Zeit die Frage, in welcher Weise der Schaden zwischen Nebentätern und dem Geschädigten zu verteilen ist, wenn der Geschädigte den Schaden zurechenbar mitverursacht hat. Die in der Literatur im Anschluß an die Grundsatzentscheidung des BGH1 ausgetragene Auseinandersetzung betrifft nicht das ebenfalls umstrittene Verständnis des § 254 BGB. Diese allgemeinere Problematik tangiert allenfalls den Meinungsstreit, vermag ihn aber nicht zu lösen. Es ist daher auch bisher zu Recht nie der Versuch unternommen worden, aus den teilweise kontroversen Ansichten über das Verständnis des "Mitverschuldens" Anhaltspunkte oder gar richtungsweisende Erkenntnisse für die anstehenden Fragen zu gewinnen. Es geht - das sei noch einmal betont- nicht um eine dogmatische Erklärung des § 254, auch nicht darum, welche Maßstäbe anzulegen sind, um den Schaden zwischen Schädiger und Geschädigten zu verteilen. Die besondere Fragestellung bei der Nebentäterschaft lautet, welcher methodische Weg einzuschlagen ist, um den Schaden zwischen einer Mehrheit von Schädigern und dem Geschädigten zu verteilen. Zur Veranschaulichung der Schwierigkeit des Fragenkomplexes diene der Sachverhalt der bereits erwähnten Entscheidung des BGH vom 16. Juni 1959 als Beispiel2 • Der Kläger, der auf einem Motorrad fuhr, mußte wegen des Beklagten E, der mit seinem Pkw aus einer Tankstelle in die Straße einbog, auf die linke Straßenseite ausweichen. Als er den Wagen des E eben überholt hatte und wieder nach rechts biegen wollte, stieß er mit dem entgegenkommenden Pkw des Beklagten B zusammen. Der Kläger stürzte und erlitt erhebliche Verletzungen. t

2

BGHZ 30, 203 ff. Ebd., S. 203.

134

5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft

Da jeder der beiden Beklagten eine "von ihm zu verantwortende adaequate Ursache für die Entstehung des Schadens gesetzt und einen gesetzlichen Haftungstatbestand verwirklicht hat (§§ 823 BGB, 7, 18 StVG)"3 , sind A und B also Nebentäter und gern. § 840 I gesamtschuldnerisch dem Kläger zum Schadensersatz verpflichtet. Es ist für das Verständnis der Schadensverteilung im Mitverschuldensfall unerläßlich, die Haftungsprinzipien der Nebentäterschaft zunächst ohne die Berücksichtigung zurechenbarer Mitverursachung durch den Verletzten deutlich zu machen. Es ist oben gezeigt worden, daß ein Schädiger als Nebentäter aufErsatz des gesamten Schadens haftet, sobald er eine von ihm zu verantwortende Bedingung für den Gesamtschadenserfolg gesetzt hat. Der Schädiger kann sich gegenüber dem Verletzten nicht darauf berufen, die von ihm gesetzte Schadensursache sei im Vergleich zum Verursachungsbeitrag des Zweit-Schädigers geringfügig, falle kaum ins Gewicht, so daß er ihm auch nur in Höhe dieses in der Qualität geringfügigen Ursachenbeitrages hafte. Eine derartige anteilige Schadenshaftung kennt das Deliktsrecht nicht. Ausgehend vom Grundsatz der Gleichwertigkeit aller Bedingungen ordnet das Gesetz eine Haftung auf das Ganze an und verweist bei einer Mehrheit von Schädigern den in Anspruch Genommenen auf den Innenausgleich, §§ 840 I, 426. Erst hier erfolgt die anteilsmäßige Aufteilung des Schadens nach Köpfen. Es ist wichtig, diese Grundsätze der Haftung als Nebentäter im Auge zu behalten, wenn es darum geht, die eigene zurechenbare Mitverursachung des Geschädigten beim Schadensausgleich in Rechnung zu stellen. Im vorliegenden Fall stand nach der Feststellung des Berufungsgerichtes das Mitverschulden des Klägers gegenüber dem Verschulden der beiden Beklagten jeweils im Verhältnis 4 : 1. Aus diesen Einzelquoten bildete der BGH eine Gesamtquote - und zwar im Wege einer Rechenoperation -, die den Gesamtverantwortungsanteil der Schädiger (1/3) ins Verhältnis setzte zu dem Anteil, in dessen Höhe der Geschädigte eigenverantwortlich war (2/3) 4 • Die Entscheidung läßt im Ergebnis erhebliche Zweifel an ihrer Richtigkeit offen. Ist es wirklich möglich, die Verantwortlichkeit mehrerer Personen an einem einheitlichen Schadensereignis in der Weise zu ermitteln, daß man das Ereignis zunächst in eine Mehrzahl von jeweils Zwei-Personen-Beziehungen aufschlüsselt, hierbei eine Abwägung gemäß § 254 vornimmt, um aus diesen tatsächlichen Feststellungen und 3 Ebd., S. 205. ' Ebd., S. 213.

2. Abschnitt: Ansicht der Rechtsprechung

135

Quoten über eine mathematische Formel die Frage zu beantworten, wie hoch die absolute Beteiligung aller am Gesamtgeschehen ist? Dazu ein Beispiel: Fünf Personen haben jeweils eine Bedingung für den Schaden einer 6. Person gesetzt. Im Verhältnis zu vier der Schädiger trifft den Geschädigten eine großes Maß von Verschulden, dagegen gegenüber dem 5. nur ein geringes Mitverschulden. Sagen diese Quoten wirklich etwas darüber aus, zu welchem Anteil der Geschädigte und die Schädiger tatsächlich das Schadensereignis mitverursacht haben? Ist es nicht denkbar, daßtrotzdieser tatsächlichen Feststellungen die Wertung der Verantwortlichkeit für das Schadensereignis insgesamt in einem Fall ergeben kann, daß den Geschädigten ein hohes, im anderen ein geringeres Maß an Mitverschulden trifft? 2. Abschnitt

Ansicht der Rechtsprechung A. Das Prinzip der Einzelabwägung und Beschränkung des Ausgleichsanspruchs auf die höchste Einzelquote in der älteren Rechtsprechung Es gibt eine einzige bekannt gewordene Entscheidung des Reichsgerichtes, die zu der Frage der Schadensverteilung zwischen einer Mehrheit von Schädigern und mitschuldigem Geschädigten Stellung genommen hat5 • Der Entscheidung, deren Leitsatz lediglich veröffentlicht ist, kommt Grundsatzcharakter zu, da bis hin zum Urteil des BGH im 30. Band die Rechtsprechung der dort vorgezeichneten Methodik zur Ermittlung der Schadensanteile gefolgt ist. Ausgangspunkt der Schadensverteilung war für das RG die Einzelabwägung zwischen einem jeden derSchädigerund dem Geschädigten. Führt diese Abwägung infolge eines unterschiedlich hohen Verschuldensmaßes zu verschiedenen Quoten, so haftet jeder Schädiger nur in Höhe der für ihn ermittelten Quote dem Geschädigten. Eine gesamtschuldnerische Haftung besteht nur in Höhe der geringsten Quote, also soweit sich die Verpflichtungen der Schädiger decken. Der BGH hat im 12. Band unter ausdrücklicher Bezugnahme auf obige Entscheidung diese Rechtsprechung bestätigt'.

Ii

8

RG DR 40, 453 (Leitsatz). BGHZ 12, 213 ff., 220 = VersR 1954, 189, 190

=JZ 54, 505, 507.

NJW 1954, 875, 876

136

5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft

Der Entscheidung des BGH vom 18. 1. 19577 , die einen gewissen Abschluß einer sich abzeichnenden Festlegung der Rechtsprechung für die Frage der Schadensverteilung darstellte, lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Motorradfahrer R befuhr bei schlechtem Wetter eine Bundesstraße. Im Abstand von 40 m folgte ihm ein von dem Kraftfahrer H gelenkter Lkw. Auf der Straße befanden sich mehrere Kühe des Beklagten, die aus einer an der Straße liegenden Koppel ausgebrochen waren. R, der zu schnell fuhr, bremste scharf und stürzte auf die Straße. H versuchte eine Notbremsung, sein Lkw geriet ins Schleudern, erfaßte R und verletzte ihn tödlich. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes waren für den Tod des R der Beklagte, der Fahrer H und dessen Vater als Halter des Lkws verantwortlich; R treffe jedoch ein mitwirkendes Verschulden an dem tödlichen Unfall, das sich die Hinterbliebenen nach §§ 846, 254 entgegenhalten lassen müßten. Das Berufungsgericht hatte den Schaden zwischen dem Beklagten und dem Verunglückten wie folgt geteilt: Bei der Abwägung der Schadensanteile habe sich der Beklagte auch das Verhalten des H und die von dessen Vater zu vertretende Betriebsgefahr anrechnen zu lassen. Zwischen allen Schädigern bestehe ein Gesamtschuldverhältnis, da jeder von ihnen den Unfalltod des R verursacht habe. Das Berufungsgericht nahm damit im Ergebnis eine Schadensabwägung vor, wie sie zwischen Mittätern und Verletztem angewandt wird. Der BGH stimmt zunächst mit dem Berufungsgericht darin überein, daß eine Gesamtschuldnerschaft zwischen den Schädigem bestehe. Hieraus folge aber nicht, daß der Umfang der Ersatzpflicht gegenüber dem Ersatzberechtigten notwendig von gleicher Höhe sei. Ein Gesamtschuldverhältnis könne nur bestehen, soweit sich die einzelnen Verpflichtungen decken, diese könnten aber infolge der unterschiedlichen Wertung des Mitverschuldeos des Verletzten gegenüber jedem einzelnen Schädiger verschieden hoch sein. Es müsse daher bei einer Mehrheit von Schädigem immer zunächst geprüft werden, "wie sich das mitwirkende Verschulden des Verletzten zu der Unfallverursachung jeder einzelnen der für den Unfall verantwortlichen Person verhält" 8 • Damit folgt der BGH im Ergebnis der früheren Rechtsprechung. Ausgangspunkt jeder Schadensverteilung ist eine Einzelabwägung je-

weils zwischen dem einzelnen Schädiger und dem mitschuldigen Verletzten. Sind die einzelnen Quoten ermittelt, so hat sich die Feststellung 7 BGH LM, Nr. 5 zu§ 840 = VersR 1957, 167 s BGH VersR 1957, S. 168.

=

VRS 12, 163.

2. Abschnitt: Ansicht der Rechtsprechung

137

anzuschließen, inwieweit sich die Quoten der Schädiger decken. Nur in Höhe der geringsten Quote besteht dann eine gesamtschuldnerische Haftung unter den Schädigern. Nach Ansicht des RG und des BGH im 12. Band kann- bei gleicher Quote der Schadensverursachung - jeder weitere Schädiger dem Ersatzberechtigten den Einwand entgegenhalten, durch die Leistung des zuerst in Anspruch genommenen Schädigers sei auch seine Verpflichtung gern. § 422 I S. 1 BGB erfüllt. Decken sich die Quoten nicht, so haftet der weitere Schädiger nur in Höhe des überschießenden Differenzbetrages seiner Quote zu der geringeren Quote, in deren Höhe der Geschädigte bereits Ausgleich erhalten hat. In dem vom RG entschiedenen Fall bedeutete das im Ergebnis, dem Geschädigten sind bei einer Mitverschuldungsquote von 114 gegenüber Schädiger A und 1/5 gegenüber Schädiger B, A und B in Höhe von 3/4 bzw. 4/5 verantwortlich; als Gesamtschuldner haften sie jedoch nur in Höhe von 3/4. Hat also der Geschädigte von A 3/4 seines Schadens ersetzt erhalten, so kann er von B nur noch den Mehrbetrag verlangen, der sich aus der Differenz von 4/5 zu 3/4 ergibt. Dieses Ergebnis der Schadensverteilung erscheint auf den ersten Blick folgerichtig, es steht im Einklang mit der These, die Schadensverteilung habe über eine Einzelabwägung zu erfolgen und trägt dem Satz Rechnung, daß ein Gesamtschuldverhältnis eine entsprechende Verbindlichkeit jedes einzelnen voraussetzt. Dunz hat jedoch mit einem überzeugenden Beispiel nachgewiesen, daß diese Schadensverteilung zu höchst unbilligen Ergebnissen führt9 • Haben zehn Personen durch gleichwertiges Verschulden einer elften einen Schaden verursacht, so kann der Geschädigte von jedem der zehn Schädiger vollen Schadensausgleich verlangen, während der Innenausgleich der Schädiger - Solvenz aller unterstellt - dazu führt, daß jeder ein Zehntel des Schadens zu tragen hat. Ist nun einer der zehn gleichermaßen Verantwortlichen der Geschädigte, so führen die Einzelabwägungen jeweils zu einer hälftigen Schadenstragung. Da nur insoweit nach Ansicht der Rechtsprechung ein Gesamtschuldverhältnis besteht, kann der Schädiger nur einmal die Hälfte seines Schadens verlangen; alle weiteren Schädiger werden ihm gegenüber frei. Im Innenausgleich hat jeder der Schädiger dann nur 1/9 der Ersatzleistung, also 1/18 des Schadens zu tragen. Daß dieses Ergebnis unbillig ist, beweist eine Gesamtschau des Schadensereignisses, nach der jeder der Beteiligten 1/10 des Schadens hätte tragen müssen.

9

Dunz JZ 55, 727.

138

5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft

Als Ansatzpunkt für eine gerechtere Verteilung des Schadens boten sich demnach zwei Lösungswege an. Die erste Möglichkeit lag darin, die Einzelabwägung aufzugeben, da diese - konsequent zu Ende geführt- zu unbilligen Ergebnissen führte. Es konnte aber auch der Versuch unternommen werden, die Ergebnisse der Einzelabwägung durch eine korrigierte Anwendung des Prinzips der Gesamtschuld zu einer auch dem Gebot der Billigkeit entsprechenden Schadensverteilung zu führen. Für den letzteren Weg hat sich der BGH in seiner grundlegenden Entscheidung im 30. Band entschieden. B. Die Kombination von Einzel- und Gesamtabwägung in der Grundsatzentscheidung des BGH vom 16. Juni 1959 (BGHZ 30, 203 ff.) Dem Urteil des BGH vom 16. Juni 195910 lag der bereits geschilderte Sachverhalt zugrunde11 • Auf die Klage des Klägers gegen beide Beklagte hatte das Berufungsgericht bei der Einzelabwägung jeweils eine Mitverschuldungsquote von 4/5 bejaht. Es hatte die Beklagten als Gesamtschuldner zu 2/5 des Gesamtschadens verurteilt, also ihre Haftungsquoten von je 1/5 addiert12. Der BGH bestätigte die Einzelquoten, setzte jedoch die Gesamthaftungsquote der Beklagten neu fest. In seiner Begründung hat der BGH einen auch methodisch neuen Weg der Schadensverteilung gewiesen. Wegen ihrer besonderen Bedeutung sollen die Entscheidungsgründe im folgenden kurz skizziert werden: 1. Ausgangspunkt jeder Schadensverteilung ist die getrennte Abwägung der Mitverantwortung des Geschädigten gegenüber jedem einzelnen Beklagten, d. h. § 254 ist zunächst auf das Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger 1 und dann erneut zum Schädiger 2 anzuwenden13.

Der BGH hält also in Übereinstimmung mit der früheren Rechtsprechung an der Einzelabwägung fest, "weil dem Kläger gegen jeden Beklagten ein selbständiger Schadensersatzanspruch zusteht" 14• 10 BGHZ 30, 203 = NJW 1959, 1772 u Vgl. vorstehend 1. Abschnitt. 12 BGHZ 30, 204. 13 Ebd., S. 205. 14 Ebd., S. 205.

=

JZ 1961, 601

= VersR

1959, 203.

2. Abschnitt:

Ansicht der Rechtsprechung

139

Aus dem Umstand, daß der Kläger eine Mehrheit von Schädigern in Anspruch genommen habe, ergebe sich kein Grund, "seiner Verantwortungssphäre eine gemeinsame Verantwortungssphäre der beiden Beklagten gegenüberzustellen" 15. Eine Mitverantwortung auch für den Beitrag des oder der Mitschädiger und damit eine Zurechnung deren schuldhafter Mitverursachung sei nur gerechtfertigt, wenn sie als Mittäter gern. § 830 I S. 1 haften würden; eine Anrechnung unter Nebentätern verbiete sich1&. 2. Soweit sich die Verpflichtungen der Beklagten decken, entsteht ein Gesamtschuldverhältnis gern.§ 840 I in Höhe dieser Quote17. Zur Begründung führt der BGH an, im Gegensatz zu § 830 I 1 fehle es bei der Nebentäterschaft an einer Rechtsgrundlage dafür, "bei der Abwägung einen einheitlichen, von beiden Beklagten gemeinsam zu vertretenden Verantwortungsbeitrag anzunehmen und ihn der Verantwortungssphäre des Klägers gegenüberzustellen" 17. Addiere man- wie das Berufungsgericht - die Schadensquoten, so "überschritte man die Grenzen, die das Haftungsrecht bei der Anrechnung fremden Verschuldeos zieht". Überdies sei diese Lösung unbillig, da sie "jeden Beklagten das Ausgleichs- (Insolvenz-) risiko für die übrigen Nebentäter tragen läßt, dagegen den in gleicher Weise oder gar überwiegend schuldigen Kläger von diesem Risiko völlig freistellt"17. 3. Eine Beschränkung der Haftung der Beklagten insgesamt auf die Quote, für die sie als Gesamtschuldner einzustehen haben, kann nicht befriedigen, weil sie dem Geschädigten weniger gewährt, als ihm bei einer Gesamtschau des Unfallgeschehens zukommen müßte18.

Zum Nachweis führt der BGH das bekannte Beispiel von Dunz an. Den Fehler der bisherigen Rechtsprechung sieht der BGH darin, daß die Regeln der Gesamtschuld in diesen Fällen "voreilig und schematisch" angewandt worden seien18. Zwar gelte auch für Nebentäter § 840 I. Im Gegensatz zu den unproblematischen Fällen, in denen die Nebentäter voll haften, müsse aber bei der Ersatzverpflichtung im Mitverschuldensfall die Besonderheit Berücksichtigung finden, daß durch die Leistung eines Schuldners das volle Gläubigerinteresse eben noch nicht befriedigt werde. Die Schadensquote von 1/5 des Schädigers E sei weder wirtschaftlich noch rechtlich mit der im Verhältnis des Klägers zum Beklagten B ermittelten Quote von 1/5 identisch. 15 18 17 18

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. 205/206. S. 206. S. 207. S . 208.

140

5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft

Aus dieser Überlegung zieht der BGH den Schluß, daß die durch Einzelabwägung gewonnenen Ergebnisse einer Anpassung bedürfen, die durch einen "Blick auf das gesamte Unfallgeschehen" zu geschehen habe18 • Der BGH erwägt ein Verteilungsverfahren - nach Quoten -, wie es das Seerecht in § 736 HGB vorsieht, lehnt dies aber bereits mit dem Argument ab, es fehle hierfür die Rechtsgrundlage19 • Aufschlußreich sind bei dieser Erörterung einer Quotenhaftung die allgemeinen Rechtsgedanken, die der BGH für die Schadensahwägung zwischen Nebentätern und mitschuldigem Verletzten aufstellt. Nach seiner Ansicht müssen dem Geschädigten die Sicherung und Vorteile erhalten bleiben, die die Gesamtschuld ihm bieten. Das Mitverschulden dürfe also nicht dazu führen, daß der Geschädigte über den Abzug seines Schadensanteils hinaus schlechter gestellt wird. Eine Quotenhaftung würde sich auch allein wegen der erschwerten Abwicklung dieser Haftpflichtfälle verbieten!0 • 4. Einzelabwägung und eine aus der Gesamtschau gewonnene Solidarabwägung (Gesamtabwägung) sind miteinander zu verknüpfen. Das hat auf die Weise zu erfolgen, daß unter Beibehaltung der bereits ermittelten Proportionen aus den Einzelabwägungen rechnerisch eine Gesamtproportion ermittelt wird, die Eigenverantwortlichkeit des Geschädigten und Gesamtverantwortlichkeit der Nebentäter bezeichnet!1 •

Im vorliegenden Rechtsstreit waren diese Proportionen jeweils 4: 1, so daß aus der Gesamtabwägung sich ein Verhältnis 4: 1 : 1 (Kläger: Beklagter E: Beklagter B) ergab. Demnach konnte der Kläger von jedem Beklagten 1/5 seines Schadens ersetzt verlangen, von beiden zusammen jedoch nicht mehr als 2/6, da ihn ein Gesamt-Mitverschuldungsanteil von 4/6 treffe!!. Der BGH berechnet also im Ergebnis aus der Verbindung der Einzelproportionen durch eine mathematische Formel die Verantwortungsteile der beteiligten Personen abschließend. Die Vorzüge seiner Lösung sollen insbesondere darin zu sehen sein, daß jeder Nebentäter entsprechend seiner Verantwortung anteilig hafte, dem Geschädigten die Vorteile der Gesamtschuld insoweit zugute kommen, als sich die Schuldbeträge decken, aber auch jeder Geschädigte nicht über den Betrag hinaus in Anspruch genommen werden könne,

19 2o

21 22

Ebd., S. 209.

Ebd., S. 210.

Ebd., S . 211 . Ebd., S. 211-213.

2. Abschnitt: Ansicht der Rechtsprechung

141

der im Verhältnis zum Geschädigten als angemessen angesehen worden sei23 • C. Spätere Entscheidungen, die von diesem Verteilungsverfahren abgewichen sind Die Entscheidung des BGH, die ohne Zweifel die wenig zufriedenstellenden Ergebnisse der früheren Rechtsprechung vermieden hat, ließ erwarten, daß hier ein Verteilungsverfahren gefunden war, das die Schwierigkeiten endgültig beseitigte. Spätere Urteile haben jedoch gezeigt, daß mit dem Urteil vom 16. Juni 1959 noch keineswegs ein Schlußstrich unter diesen Fragenkomplex gezogen werden kann. Bezeichnend hierfür ist das Urteil des BGH vom 14. Juli 196424 • A und B hatten als Nebentäter dem Kläger, den ein Mitverschulden traf, einen Schaden zugefügt. A wurde im Prozeß rechtskräftig zu einem Fünftel des Schadens verurteilt. Bei der Schadensahwägung im Verhältnis des Klägers zu B (Einzelabwägung) sah der BGH eine hälftige Schadenstragung als angemessen an. Er bestätigt die Auffassung des Berufungsgerichtes, daß die Quote des A mit 20 °/o zu gering angesetzt war und in Wirklichkit dessen Unfallbeitrag doppelt so hoch wie der des Klägers anzusetzen sei. Demnach hätte aufgrund der Gesamtschau der Schaden zwischen dem Kläger, A und B im Verhältnis 1:2:1 aufgeteilt werden müssen, der Beklagte B zu 50 Ofo verurteilt, der Anspruch des Klägers aber auf insgesamt 75 Ofo seines Schadens begrenzt werden müssen. Da A lediglich in Höhe der rechtskräftig festgestellten Quote von 20 Ofo Ersatz geleistet hatte, wäre B zur hälftigen Schadenstragung zu verurteilen gewesen. Der BGH glaubte jedoch aus der Rechtskraftwirkung des gegen A ergangenen Urteils eine andere Schadensverteilung vornehmen zu müssen. Die Quotelung 4: 1 im Verhältnis des Klägers zu A sei Grundlage der Gesamtabwägung. Da der Anteil des B aber ebenso groß wie der des Klägers sei, ergebe sich die Proportion 4 : 4 : 1. Der Kläger habe also 4/9 seines Schadens selber zu tragen und könne von den Schädigern insgesamt nur 5/9 ersetzt verlangen. Die Ersatzpflicht des B in Höhe vgn 50 Ofo ist also begrenzt durch die Gesamtquote von 55,55 Ofo (Gesamtabwägung). Da der Kläger von A bereits 20 Ofo erhalten habe, könne er von B weitere 35,55 Ofo verlangen. Für den Innenausgleich folgt hieraus eine Schadensverteilung zwischen A und B im Verhältnis 1 :4. 23 24

Ebd., S. 212. BGH NJW 1964, 2011 = LM, Nr. 8 zu § 840 BGB = VersR 64, 1053.

142

5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft

Da A bereits in Höhe von 20 Ofo Ersatz geleistet hat, ihn eine Ersatzpflicht aber nur in Höhe von 1/5 der Quote von 55,55 Ofo = 11,11 Ofo trifft, hat er einen Ausgleichsanspruch gegen B in Höhe von 8,09 Ofo des Gesamtschadens. Im Ergebnis kommt daher der BGH zu einer Schadensverteilung wie folgt: A = 11,11 Ofo 1/9 B = 44,44%

4/9

Kläger = 44,44 Ofo = 4/9 Dieses Ergebnis steht im krassen Widerspruch zu der an und für sich richtig erachteten Verteilung, nach der A = 50 Ofo = 2/4 B = 25 Ofo = 1/4 Kläger = 25 Ofo = 1/4 des Schadens zu tragen hat. Aus zwei Gründen glaubte der BGH den Schaden- wie geschehenverteilen zu müssen: zum einen wegen der Rechtskraft des Urteils gegen A, zum anderen aus der Überlegung, die Gesamtschau sei eine "reine Rechenoperation"25. Dem BGH ist zuzustimmen, daß die Haftung des A über die rechtskräftig festgestellte Quote von 20 Ofo hinaus nicht mehr im jetzigen Verfahren erhöht, und andererseits der Kläger den Verlust von Ersatzansprüchen, diP. er sich - da er das Urteil hat rechtskräftig werden lassen - selbst zuzuschreiben hat, nicht auf den Zweitschädiger abwälzen kann. Hieraus konnte der BGH aber nur den Schluß ziehen, daß der Kläger nicht mehr erhalten durfte, als sich aus der Addition der feststehenden Quote des A (= 20 Ofo) und der durch die Gesamtabwägung ermittelten Quote des B (= 25 Ofo) ergab, also 45 Ofo. Der Fehlbetrag von 30 Ofo mußte als Folge der unrichtigen Festsetzung der Quote des A, gegen die der Kläger nicht angegangen war, auch zu seinen Lasten gehen. Die Begründung der Schadensverteilung aus der Rechtskraftwirkung des 1. Urteils ist also keineswegs zwingend. Verfehlt ist auch das Urteil des OLG Köln vom 10.2.196628 • Den Kläger traf sowohl im Verhältnis zum Erstbeklagten, gegen den er bereits ein Urteil erwirkt hatte, als auch zum nunmehr in Anspruch genommenen Beamten ein hälftiges Mitverschulden. Nach den Grundsätzen des BGH hätte das OLG eine Gesamtabwägung vornehmen müssen, die bei gleich großer Verantwortlichkeit 25 !6

BGH NJW 1964, S. 2011. OLG Köln NJW 1966, 887.

2. Abschnitt: Ansicht der Rechtsprechung

143

aller beteiligter Personen zu einer Schadensverteilung im Verhältnis 1 : 1 : 1 geführt hätte. Der Ersatzanspruch des Klägers bezifferte sich also insgesamt auf 2/3 seines Schadens. Da er bereits die Hälfte seines Schadens ersetzt erhalten hatte, hätte der Beklagte zu einem Betrag von einem Sechstel (Differenz von 2/3 und 1/2) des Schadens verurteilt werden müssen. Das OLG hat jedoch die Klage abgewiesen. Es hat eine Solidarabwägung überhaupt nicht durchgeführt, sich vielmehr mit der Begründung begnügt, der Beklagte hafte nicht, da - von der besonderen Regelung des § 839 I 2 abgesehen - er und der weitere Schädiger Gesamtschuldner seien, und der Kläger bereits in Höhe der gesamtschuldnerischen Verantwortlichkeit befriedigt worden sei.

D. Die Durchbrechung der Lehre bei der sog. Haftungseinheit und beim Ausgleich des Nichtvermögensschadens Zu einem nicht vorausgesehenen Prüfstein für das von dem BGH entwickelte Verteilungsverfahren sind zwei besondere Fallgestaltungen geworden. Die erste wird dadurch gekennzeichnet, daß sich das Verhalten der Nebentäter in einem einzigen unfallbedingten Ursachenbeitrag ausgewirkt hat. Die Schwierigkeiten der zweiten Fallgruppe sind dadurch bedingt, daß es nicht um den Ersatz von Vermögensschäden, sondern um die Zahlung von Schmerzensgeld geht. In beiden Fällen sah sich der BGH gezwungen, die in BGHZ 30, 203 entwickelten Grundsätze zu modifizieren, teilweise sie sogar aufzugeben. Die Problematik sei an einem Beispiel dargestellt, das dem Sachverhalt der Entscheidung des BGH vom 29. 9. 1970 nachgebildet istn. Zur Nachtzeit fuhr der Kläger mit seinem PKW auf einen auf der Bundesstraße abgestellten unbeleuchteten Lastwagenanhänger auf und erlitt schwere Verletzungen. Der Anhänger gehörte zu einem Lastzug, der von dem Fahrer K für seinen Arbeitgeber L gefahren wurde. Wegen eines Schadens hatte K den auf der Bundesstraße abgestellten LKW am Tage dem Unternehmer U zur Reparatur gegeben. Nach Beendigung der Arbeiten bat U den Tankwart T, den Wagen von der Straße herunterzufahren. T sagte zu, den LKW wegzufahren, unterließ es aber. Der Kläger hat im Rechtsstreit den Fahrer K, dessen Arbeitgeber und Halter des LKW L, den Reparaturunternehmer U und den Tank27

BGH NJW 1971, 33

=

JR 1971, 70

=

JZ 71, 62.

144

5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft

wart T auf Ersatz seines Vermögensschadens und Zahlung eines Schmerzensgeldes in Anspruch genommen. Das Gericht hat die Haftung aller Beteiligten bejaht. Im Rahmen der Einzelabwägungen ist es zu dem Ergebnis gelangt, daß den Kläger eine hälftige Mitverursachung gegenüber jedem einzelnen Schädiger trifft. Da der Geschädigte gegen mehrere Schädiger gleichzeitig vorgegangen war, hätte das Gericht im Anschluß an die Einzelabwägungen zur Ermittlung der Schadensquoten eine Gesamtabwägung vornehmen müssen. Diese hätte bei gleicher Quote aller am Unfall beteiligter fünf Personen zu der Proportion 1 : 1 : 1 : 1 : 1 geführt, so daß jeder Schädiger auf 50 °/o des gesamten Schadens haftete, der Kläger aber insgesamt 4/5 seines Schadens beanspruchen konnte. Der BGH hat in zweifacher Hinsicht eine Gesamtabwägung für den vorliegenden Fall abgelehnt. Zunächst glaubte der BGH bei der Ermittlung der Schadensquoten, soweit es den Ersatz des Vermögensschadens betraf, zu einer anderen Beurteilung kommen zu müssen, weil sich die Ursachenbeiträge der verschiedenen Schädiger "nur in einem (demselben) unfallbedingten Umstand" ausgewirkt haben, "nämlich darin, daß der unbeleuchtete und ungesicherte Anhänger auf der Bundesstraße stehen blieb" 28• Es bestehe insoweit eine Parallele zu den Fällen der "Haftungseinheit", wie sie zwischen Kraftfahrzeughalter und -fahrer, Schuldner und Erfüllungsgehilfen, Geschäftsherrn und Verrichtungsgehilfen i. S. des§ 831 angenommen werde29 • Ob auch die Mehrheit der Schädiger im vorliegenden Falle eine solche "Haftungseinheit" bilde, könne dahinstehen. Entscheidend gegen eine Gesamtabwägung spreche, "daß die Verhaltensweisen sämtlicher Schädiger zu einem und demselben unfallursächlichen Umstand geführt haben .. ., ehe der Verursachungsbeitrag des Geschädigten hinzutrat". Die Notwendigkeit einer "Korrektur" des vom Geschädigten zu tragenden Schadensanteiles entfalle, da dieser bereits in der Einzelabwägung an dem tatsächlichen gesamten fremdverursachten Beitrag gemessen worden sei. Zu einer weiteren Einschränkung seiner Grundsätze sah sich der BGH genötigt, soweit es um den Ausgleich des Nichtvermögensschadens ging. Angenommen das Gericht sieht ein Schmerzensgeld von 25 000,- DM als angemessen an, so führt die von der Rechtsprechung praktizierte 2s 29

BGH NJW 1971, 34. Ebd., S. 34 m. w. N.

2. Abschnitt: Ansicht der Rechtsprechung

145

Schadensverteilung auf der Grundlage der Kombination von Einzelund Gesamtabwägung zu folgenden Ergebnissen: jeder der vier Schädiger haftet bei gleich hohem Mitverschulden des Verletzten auf die Hälfte, also in Höhe von 12 500,- DM, insgesamt kann der Verletzte jedoch nicht mehr als 4/5 seines Schadens, also 20 000,- DM verlangen. Gegen dieses Verfahren hat der BGH in obiger Entscheidung erhebliche Bedenken beim Ausgleich immaterieller Schäden angemeldet3o. Zur Begründung führt er an, im Gegensatz zu den Vermögensschäden, deren Höhe objektiv feststellbar und für sämtliche Schädiger sowie den Geschädigten einheitlich sei, sei der immaterielle Schaden "angemessen" zu entschädigen (§ 847). Welcher Betrag angemessen sei, könne aber nicht absolut, sondern nur für jeden Schädiger einzeln entschieden werden. Die Beträge könnten also unterschiedlich sein, so daß es beim Nichtvermögensschaden, "soweit es um die Höhe des Ersatzes geht, für die ,Gesamtschau' an einem allen gegenüber einheitlichen ersatzpflichtigen Schadensumfang, der die notwendige rechnerische Durchführung bildet, fehlt"3 1 • E. Zusammenfassung Die Ansicht der Rechtsprechung läßt sich wie folgt zusammenfassen: 1. Ausgangspunkt jeder Schadensverteilung zwischen Nebentätern und mitschuldigem Geschädigten ist eine gesonderte (Einzel-)Abwägung gern. § 254 der Mitverantwortung des Geschädigten gegenüber jedem einzelnen Schädiger.

2. In Höhe der ermittelten Quote haftet der Nebentäter. 3. Nimmt der Geschädigte gleichzeitig mehrere Schädiger in Anspruch oder geht er nach der Inanspruchnahme eines Schädigers nunmehr gegen einen weiteren vor, so ist durch eine aus der Gesamtschau gewonnene Solidar-(Gesamt-)abwägung der Betrag zu ermitteln, den der Geschädigte insgesamt, also von der Mehrheit der Nebentäter, ersetzt verlangen kann. 4. Eine derartige Gesamtabwägung scheidet aus - es verbleibt also bei den Quoten der Einzelabwägung - beim Ersatz des Nichtvermögensschadens und für den Fall, daß sich die Ursachenbeiträge der Schädiger in ein und demselben unfallbedingten Umstand auswirken, der sodann erst mit dem dem Geschädigten zurechenbaren Ursachenverlauf zusammentrifft und mit ihm vereint zum Schadenseintritt führt. 30

31

Ebd., S. 34/35; bereits früher: OLG Stuttgart JZ 1961, 55. BGH NJW 1971, 35.

10 Brambring

146

5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft

3. Abschnitt

Ansicht des Schrifttums A. Die Unterscheidung in "relative" und "absolute" Beteiligungsquote bei Dunz Es ist das Verdienst von Dunz, durch seinen Aufsatz aus dem Jahre 1955 "Berücksichtigung des eigenen MitverscllUldens gegenüber mehreren Haftpflichtigen" die dann folgende kritische Auseinandersetzung mit Methode und Ergebnis der Schadensverteilung der früheren Rechtsprechung in Gang gesetzt zu haben32 • Zur lllustration, wie unbefriedigend die Ergebnisse des angewandten Verteilungsverfahrens bleiben müssen, bediente sich Dunz des bereits erwähnten Beispiels der neun Schädiger, die durch völlig gleichwertige Unachtsamkeit einer zehnten Person, die eine im Verleich gleich hohe Mitverantwortung trifft, einen Schaden zufügenss. Dieses Beispiel wies nicht nur nach, wiR unhaltbar die Ergebnisse der Rechtsprechung waren, es zeigte auch, welcher Gesichtspunkt es war, der den Schlüssel zu einer Korrektur des Verteilungsverfahrens bildete. In seinem Beispiel ging Dunz nämlich nicht von der Einzelabwägung inter partes aus, verglich also nicht die von den einzelnen Schädigern gesetzten Ursachenbeiträge jeweils mit dem vom Geschädigten zu verantwortenden, sondern analysierte das Unfallgeschehen aus einer Gesamtschau. Die Gesamtabwägung erwies, daß die "Unachtsamkeit aller gleichwertig" war33• Diese Gesamtabwägung war ausgerichtet an den tatsächlichen Umständen des Schadensereignisses. Der BGH hat zwar das Beispiel von Dunz in seiner Entscheidung vom 16. Juni 1959 übernommen34 , aber die dort angestellte tatsächliche Wertung aller Ursachenbeiträge gemessen an der Gesamtursächlichkeit nicht nachvollzogen. "Der Blick auf das gesamte Unfallgeschehen" 35 , den der BGH in der bisherigen Rechtsprechung vermißt, ist von ihm niemals anders verstanden worden denn als "reine Rechenoperation" 36 , als mathematische Gleichung, deren Axiome die Quoten der Einzelabwägung bilden. Es bleibt aber festzuhalten, daß Dunz seinem Beispiel eine tatsächliche Wertung zugrunde gelegt hat.

32

Dunz JZ 55, 727.

ss Ebd., S. 727. 34

35 36

BGHZ 30, 203, 207.

Ebd., S . 208.

BGH NJW 1964, 2011.

3. Abschnitt: Ansicht des Schrifttums

147

In seinen weiteren Ausführungen macht Dunz deutlich, daß er sich keineswegs von der Einzelabwägung als erstem Schritt des Verteilungsverfahrens lösen will. Die Einzelabwägung ist seiner Ansicht nach schon deshalb notwendig, da es im Gegensatz zur Mittäterschaft (§ 830 I 1) bei den Nebentätern an der Rechtsgrundlage fehle, "den einen Schädiger - über das Institut der Gesamtschuld hinaus - für die vom anderen gesetzten Schadensursachen haftbar zu machen" 37. Ein Gesamtschuldverhältnis könne daher nur entstehen, soweit eine Verbindlichkeit des einzelnen schon besteht. Diese Verbindlichkeit müsse aber erst durch eine Abwägung des eigenen Verursachungsbeitrages mit dem mitwirkenden Verschulden des Geschädigten für jeden Schädiger festgestellt werden. Neu an der Ansicht von Dunz ist jedoch, daß er der so ermittelten Quote nur eine eingeschränkte Bedeutung beimißt. Da der Bruchteil des Gesamtschadens, für den der Schädiger aufgrund der gesonderten Abwägung nicht aufzukommen habe, "unter bewußter Ignorierung der Quotenhöhe sonstiger Beteiligter ermittelt werde", sei dieser kein absoluter, sondern lediglich ein relativer, der über die Gesamtverteilung des Schadens noch nichts Endgültiges auszusagen vermöge38• Selbst wenn die gegenüber zwei verschiedenen Schädigern berechneten Mitverschuldensquoten gleich hoch seien, so bedeute das nicht, daß sie begrifflich identisch seien. Der Irrtum der bisherigen Auffassung liege in der Unterstellung, "daß sich die infolge zweiseitiger Abwägung beschränkten Haftungsquoten der Schädiger vorzugsweise auf den gleichen Bruchteil des Schadens bezögen und sich daher, soweit sie betragsmäßig übereinstimmen, im Sinne des § 421 deckten" 39 • Der Lösungsvorschlag von Dunz bedeutet eine modifizierte Anwendung der Regeln der Gesamtschuld, ein Vorschlag, den der BGH später in etwas anderer Form nachvollzogen hat. Überzeugend ist die Überlegung von Dunz, es sei zwischen einer relativen und einer absoluten Mitverschuldensquote zu unterscheiden. Erstere ist die Quote, die sich bei der zweiseitigen Abwägung zwischen Geschädigtem und jedem einzelnen Schädiger ergibt und naturgemäß von verschiedener Höhe sein könne; letztere die Quote aus der Gesamtabwägung, bei der also - wie in den Fällen der Mittäterschaft - das Mitverschulden des Geschädigten in Beziehung gesetzt wird zu den summierten Verursachungsbeiträgen aller Schädiger. Das von Dunz vorgeschlagene eigene Verteilungsverfahren kann unbeachtet bleiben, 37

38 39

10*

Dunz JZ, S. 729.

Ebd., S. 729. Dunz JZ 1957, 371.

148

5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft

da Dunz nach einer Entgegnung von Engelhardt40 selbst hiervon Abstand genommen hat41 • Anzumerken bleibt, daß Dunz in einer späteren Stellungnahme der Verteilungsmethode des BGH ausdrücklich zugestimmt hat42 • B. Ansicht der heute herrschenden Meinung, die der Rechtsprechung des BGH folgt Von der Literatur ist das Urteil des BGH aus dem Jahre 195943 mit großer Mehrheit begrüßt worden. In einer Anmerkung hat Hauß dem vom BGH angewandten Verteilungsverfahren ohne weiteren Vorbehalt zugestimmt". Er beschäftigt sich eingangs mit der Frage, ob nicht vielleicht doch die Methode der Einzelabwägung im Ansatzpunkt unrichtig sei. Er ist ihr unter dem Aspekt nachgegangen, ob nicht die "gewisse gesamtschuldnerische Verbundenheit", in der der mitschuldige Geschädigte mit den anderen Schädigern stehe, eine Quotenhaftung nach dem Vorbild des§ 736 HGB angemessener sein lasse. An der Separatabwägung glaubt er jedoch schon aus Gründen praktischer Art festhalten zu müssen. Haftpflichtfälle würden wesentlich erschwert und verzögert, wenn im Verfahren die Ursachenbeiträge sämtlicher möglicher Schädiger erst ermittelt werden müßten. Reinicke hat dem BGH bestätigt, eine "sehr einfache und klare Lösung" gefunden zu haben, "die den gerechten Ausgleich herbeiführt"46. Die Lehrbuch- und Kommentarliteratur ist dem BGH geschlossen gefolgt. Esser4s, Larenz41, Drees4s, Zeuner'9 , Thomas6° und Schäfer51 haben ohne eigene Stellungnahme Ergebnisse und Begründung der Rechtsprechung übernommen. 40

41 42

Engelhardt JZ 1957, 369. Dunz JZ 1957, 371. Dunz JZ 1959, 592.

BGHZ 30, 203. Hauß, Anmerkung zu LM Nr. 6 zu § 840 BGB. 46 Reinicke MDR 1959, 1000, 1001. 46 Esser Bd. II § 122 I. 47 Larenz Bd. II § 68 II, S. 459 und dort FN 2. 48 Im Kommentar von Erman zu § 840 Anm. 3. 49 Im Kommentar von Soergel zu § 840 Rn. 6. so Im Kommentar von Palandt zu § 840 Anm. 2 d; dort auch Heinrich Anm. 4 c bb zu § 254. 51 Im Kommentar von Staudinger zu § 840 Rn. 36 ff.; vgl. auch Fikentscher § 108 Anm. 4; Schapp, Rpfleger 1966, 167, 169 ff. 43

44

3. Abschnitt: Ansicht des Schrifttums

149

C. Stimmen, die das Verteilungsverfahren des BGH ablehnen Der als absolut herrschend zu bezeichnenden Meinung stehen einzelne kritische Stimmen gegenüber. Engelhardt"52 , Koch&3 , vor allem Keuck54 und zuletzt ReineWill lehnen die Rechtsprechung ab und haben eigene abweichende Lösungsvorschläge entwickelt.

Engelhardts Überlegungen basieren auf der Ansicht, der mitschuldige Geschädigte sei selber als Glied der Gesamtschuldnergemeinschaft anzusehen, ihm stehe daher lediglich ein Ausgleichsanspruch gern. § 426 gegen die Schädiger zu56 • Den Vorteil seiner Lösung sieht Engelhardt darin, daß das Insolvenzrisiko nicht einseitig zu Lasten der Schädigermehrheit gehe, sondern von dem Geschädigten in gleicher Weise zu tragen sei. Der Ansicht kann bereits im Ansatz nicht gefolgt werden. Es geht nicht an, den Geschädigten, der selber eine Ursache für seinen Schaden gesetzt hat, auf den schuldrechtlichen Ausgleichsanspruch zu verweisen. Sein Anspruch ist deliktischer Natur und die Berücksichtigung des eigenen Mitverschuldens in § 254 geregelt. Die Konstruktion eines Anspruchs aus § 426 muß bereits deshalb unrichtig bleiben, weil ein Gesamtschuldverhältnis i. S. des § 840 I als Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs - eine Mehrheit rechtswidriger Schädigungshandlungen voraussetzt. Wie zuletzt das OLG Karlsruhe im Urteil vom 16. 4. 1971 zu Recht betont hat, ist die Selbstschädigung niemals rechtswidrig57 • Dann kann aber auch der mitschuldige Geschädigte nicht Gesamtschuldner sein. Eingehend hat sich Koch in seinem Beitrag "Probleme der Schadensabwägung zwischen Nebentätern und einem mitschuldigen Verletzten" mit der Rechtsprechung auseinandergesetztos. Er richtet seine Angriffe in erster Linie gegen das "Dogma" der h. M., bei der Schadensverteilung sei von einer gesonderten Schadensahwägung (Einzelabwägung) zwischen Verletztem und jedem einzelnen 52

Engelhardt NJW 1959, 2059.

sa Koch NJW 1967, 181 ff. 54

Keuck AcP 168, 175 ff. Reinelt JZ 1971, 177 ff.

und "Schadensverantwortlichkeit mehrerer gegenüber einem mitschuldigen Verletzten", Dissertation Regensburg, 1969, s. 31 ff. 56 Engelhardt NJW 1959, 2059. 57 OLG Karlsruhe NJW 1971, 1944, 1945 unter Hinweis auf BGH LM, Nr. 2 zu § 830 BI. 2. Es handelte sich hier um einen Fall potentieller Selbstschädigung, vgl. dazu nachfolgend 6. Kap. 2. Abschnitt. 58 Koch NJW 1967, 181 ff. 55

150

5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft

Schädiger auszugehen. In dem vom BGH entschiedenen Fall eines Verkehrsunfalles59 sei es undenkbar, die Verursachungsbeiträge des Verletzten und des einen der Autofahrer gegeneinander abzuwägen, ohne gleichzeitig auch das Verhalten des zweiten verantwortlichen Autofahrers zu berücksichtigen. Da ohne dessen Tatbeitrag sich der Unfall nicht ereignet hätte, führe die Einzelabwägung zu einer vom Sachverhalt losgelösten willkürlichen Bewertung der Verursachungsbeteiligung. Es sei ausgeschlossen, Tatbeiträge auf ihre Ursächlichkeit für das Schadensereignis hin zu bewerten, wenn erst das Hinzutreten der von einem Dritten gesetzten Bedingung das Unfallereignis und auch den Schaden ermöglicht habe. Außerdem führe das Außerachtlassen des Verhaltens weiterer Nebentäter bei der Separatabwägung dazu, dem Verletzten eine zu hohe Verursachungsquote zuzumessen. Eine abgewogene Schadensverteilung sei also über die Verteilungsmethode der Rechtsprechung nicht zu gewinnen60. Der eigene Lösungsvorschlag geht dahin, von vornherein die Gesamtverursachung aller Nebentäter zu erfassen, und diese fremden Verursachungsbeiträge additiv der Mitverursachung des Verletzten gegenüberzustellen. Diese Konstruktion stützt Koch mit folgenden Überlegungen. Der Satz des BGH, die Addition der Verursachungsbeiträge aller Nebentäter verbiete sich, weil sie Zurechnung fremden Verschuldens bedeute, für die es aber im Gegensatz zur Mittäterschaft (§ 830 I S. 1) bei der Nebentäterschaft an einer Rechtsgrundlage fehle, sei unrichtig. Die solidarische Haftung aller Nebentäter bedeute in Wirklichkeit eine "Zurechnung fremder Verursachungbeiträge, die durch die Formel der Adaequanz verbunden sind, nicht um eine Zurechnung fremden Verschuldens" 61 • Allein die Verknüpfung der Ursachenbeiträge über die Formel der Adaequanz erlaube es auch der Rechtsprechung, bei der Einzelabwägung den Gesamtschaden unter zwei von mehreren Verantwortliche aufzuteilen. Denn leugne man diese Verbindung der Nebentäter, so könnten sie überhaupt nicht haftbar gemacht werden, weil jeder Täter allein den Schaden nicht verursacht habe61 • Das Ergebnis - gesamtschuldnerische Haftung aller Nebentäter auf den Schadensanteil, der sich nach Abzug der Mitverschuldensquote ergibt - sei auch nicht unbillig. Für den Fall, daß der am Schadenseintritt nicht mitschuldige Verletzte gerade den Nebentäter in Anspruch 59

BGHZ 30, 203 ff.

eo Koch NJW 1967, 183. 61

Ebd., S. 183.

3. Abschnitt: Ansicht des Schrifttums

151

nimmt, der im Vergleich zu den übrigen Schädigern die geringste Ursache gesetzt hat und den der geringste Verschuldeosvorwurf trifft, habe die Rechtsprechung niemals dessen gesamtschuldnerische Haftung auf den gesamten Schaden als unbillig empfunden. Dann sei es aber auch nicht einzusehen, warum der mitschuldige Verletzte nicht jeden der Nebentäter gesamtschuldnerisch in Höhe des um seinen eigenen Mitverschuldensanteil geminderten Betrages in Anspruch soll nehmen können62. Einen methodisch und dogmatisch anderen Weg hat Keuck beschritten63. Ausgangspunkt ist ihr Verständnis der Solidarhaftung der Nebentäter64 . Keuck meint, die Solidarhaftung bestehe nicht, weil jeder Nebentäter für den gesamten Schaden verantwortlich sei, sondern weil sie ihm "um des Verletzten willen auferlegt werde", indem die Verantwortungsbeiträge aller Nebentäter vorübergehend, d. h. bis zur natürlichen (anteilsmäßigen) Verteilung im Innenverhältnis zur Statuierung einer Gesamtverbindlichkeit verklammert werden66• Von dieser grundsätzlichen Überlegung ausgehend richtet Keuck ihre Kritik gegen die Rechtsprechung, die ihrer Ansicht nach insbesondere durch die Urteile des OLG Köln vom 10.2.196666 und des BGH vom 14. 7. 196467 gezeigt habe, daß die Einzelabwägung als Grundlage der Schadensverteilung ungeeignet sei68 . Die Kombination von Einzel- und Gesamtabwägung sei bereits deshalb abzulehnen, da sie dem Geschädigten nicht die Vorteile biete, die mit der Anordnung solidarischer Haftung der Nebentäter auf den gesamten Schaden für ihn begründet seien. Das Verteilungsverfahren der Rechtsprechung führe dazu, daß der Geschädigte zur Befriedigung seines Gläubigerinteresses sich an mehrere Schuldner halten müsse, ein Ergebnis, das gerade das Prinzip solidarischer Haftung in sein Gegenteil verkehre69 . Auszugehen sei daher von einer Gesamtschau des Unfallgeschehens. Dabei sei der Mitverursachungsanteil des Verletzten den zusammengezogenen Beiträgen aller Schädiger gegenüberzustellen. Gegen jeden Nebentäter stehe dem Verletzten ein Anspruch auf Ersatz des Schadens zu, der sich nach Abzug allein des eigenen Tatbeitrages ergebe. Das 62 Ebd., S. 184. 63 Keuck AcP 168, 175 ff. 64 Vgl. vorstehend 2. Kap. 2. Abschnitt. 85

Keuck AcP 168, 203.

OLG Köln NJW 1966, 887. BGH NJW 1964, 2011. 68 Keuck AcP 168, 200. 69 Ebd., S. 202. 68 &7

152

5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft

bedeute keine Anrechnung fremden Verschuldens; jeder Schädiger bleibe entsprechend seinem Tatbeitrag verantwortlich. Nur aufgrund der - vorübergehenden - Statuierung seiner solidarischen Haftung werde im Interesse des Geschädigten die Haftung des einzelnen über seine Quote hinaus begründet70• Nur auf diese Weise könne vor allem das Insolvenzrisiko, das der Geschädigte mitzutragen habe, sachgerecht verteilt werden. Keuck weist an einem Beispiel dem BGH nach, daß sein Verteilungsverfahren nicht in allen Fällen zu der von ihm erstrebten gleichmäßigen Auferlegung des Risikos der Zahlungsunfähigkeit eines Schädigers führt71 • Die gerechte Verteilung des Insolvenzrisikos könne nur erreicht werden durch eine Gesamtabwägung. Da jeder am Schadensfall Beteiligte einschließlich des Geschädigten nach dem Ergebnis der Gesamtabwägung einen bestimmten Teil des Schadens zu tragen hat und damit jeder Glied der gesamtschuldnerischen Gemeinschaft sei, könne und müsse bei Ausfall eines Schädigers der Ersatzanspruch um den Teil gemindert werden, der dem Anteil des Verletzten im Verhältnis zu den verbleibenden zahlungsfähigen Schädigern entspricht72•

Reinelt hat bereits in seiner rechtsvergleichenden Dissertation die Rechtsprechung des BGH kritisiert73 . In einer erneuten Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung im Anschluß an die Entscheidung des BGH vom 29. 9. 197074 greift er seine früheren Überlegungen wieder auf76• Nach seiner Ansicht folgt die gesamtschuldnerische Haftung der Nebentäter aus der Tatsache, daß jeder eine adaequate Bedingung gesetzt habe; einer besonderen Haftungsgrundlage, wie sie der BGH fordere, bedürfe es demnach überhaupt nicht76 • Die Solidarhaftung sei auch interessegerecht, da sie allein das Insolvenzrisiko auf die Schädiger verschiebe. Die Ansicht, der Geschädigte sei "Glied der Schädigergemeinschaft" und müsse daher das Risiko der Zahlungsunfähigkeit mittragen, sei dem Haftpflichrecht fremd77• Mit einer allerdings kontroversen Begründung aus der Verteilung des Insolvenzrisikos kommt Reinelt wie Keuck zum Prinzip der GesamtEbd., S. 203. Ebd., S. 201/202. 7! Ebd., S. 203/204. 73 Reinelt, Schadensverantwortlichkeit mehrerer gegenüber einem mitschuldigen Verletzten, Dissertation, Regensburg 1969, 31 ff., 38 ff. 70

71

74 75

76 11

BGH NJW 1971, 33. Reinelt JZ 71, 177 ff. Ebd., S. 179. Reinelt, Dissertation, S. 41.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

153

abwägung, bei der auch nach seiner Ansicht die Verursachungsbeiträge der Nebentäter additiv zu erfassen sind. 4. Abschnitt

Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag A. Die Kombination von Einzel- und Gesamtabwägung als Verteilungsverfahren in der Rechtsprechung des BGH L Vorbemerkung

Auf die Frage, wie bei der Verteilung des Schadens zwischen Nebentätern und mitschuldigem Verletzten zu verfahren ist, gibt es theoretisch drei mögliche Antworten. Der erste denkbare Lösungsversuch liegt in einer separaten Abwägung der Verursachungsbeiträge und des Verschuldensmaßes zwischen jedem einzelnen Schädiger und dem Geschädigten (Einzelabwägung). Dieses Verfahren, dessen sich die frühere Rechtsprechung bediente78 , ist zu Recht später vom BGH im Anschluß an die Ausführungen von Dunz79 aufgegeben worden, da es zu unhaltbaren Ergebnissen führte 80 • Der zweite Weg führt ebenfalls über die Einzelabwägung, bleibt aber nicht bei den hierbei erzielten Ergebnissen stehen, sondern "verknüpft die Einzelabwägung mit einer aus der Gesamtschau gewonnenen Solidarabwägung"81 , setzt also die Gesamtabwägung als Korrektiv der zuvor gewonnenen Anteile des einzelnen an der Schadenstragung ein (Kombination von Einzel- und Gesamtabwägung). Dieses Verteilungsverfahren wird von der absolut herrschenden Meinung angewandt. Als dritter Lösungsvorschlag kommt eine Gesamtabwägung aller den Schadensfall bedingenden Beiträge in Betracht. Da das Deliktsrecht im Gegensatz zum Seerecht(§ 736 HGB) eine Quotenhaftung nicht kennt, müßte eine Abwägung auf die Weise erfolgen, daß der Verantwortungssphäre des mitschuldigen Verletzten die Gesamt-Verantwortungssphäre aller Nebentäter gegenüberzustellen ist. Ob bei der Abwägung die Verantwortungsbeiträge aller Nebentäter, wie dies

78

79 80 81

Vgl. Nachweise vorstehend 2. Abschnitt unter A.

Dunz JZ 55, 727. BGHZ 30, 203, 207. Ebd., S. 211.

5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft

154

bei Mittätern geschieht, prinzipiell kumulativ zu erfassen sind, wäre eine weitere Frage. Die herrschende Meinung glaubt vor allem aus dogmatischen Gründen und Erwägungen praktischer Natur auf die Einzelabwägung nicht verzichten zu können. Ob diese Ansicht richtig ist, soll zunächst dahinstehen. Die Frage wird aber dann neu zu stellen sein, wenn eine Auseinandersetzung mit dem Schadensverteilungsverfahren der h. M. erweist, daß die auch durch eine Gesamtabwägung korrigierte Einzelabwägung methodisch angreifbar ist und zwangsläufig zu Ergebnissen führt, denen nicht gefolgt werden kann. Dabei sollen zunächst die Schwierigkeiten der h. M., vor die sie sich gestellt sieht, wenn Nebentäter eine sog. Haftungseinheit bilden, oder sich ihre Beiträge in einem einzigen ursächlichen Umstand auswirken oder auch wenn es um den Ausgleich immateriellen Schadens geht, unberücksichtigt bleiben. Die Feststellung allein, daß diese keineswegs atypischen Erscheinungen die Rechtsprechung zur teilweisen Aufgabe ihrer Grundsätze gezwungen hat, darf allerdings bereits als Indiz dafür angesehen werden, daß dieses Verfahren wohl doch nicht die "sehr einfache und klare Lösung" bietet, als das es nach der Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1959 begrüßt worden ist82 • II. Auseinandersetzung mit den entscheidenden Grilnden, auf die der BGB im Urteil vom 16. Juni 1959 das von ihm vertretene Verteilungsverfahren gestützt hat

Die wesentlichen rechtlichen Überlegungen des BGH in seinem Urteil vom 16. Juni 1959 lassen sich wie folgt - thesenhaft verkürzt wiedergeben:

1. These:

Eine Kumulierung der Verantwortungssphären mehrerer Schädiger läßt sich nur rechtfertigen, wenn die Voraussetzungen des § 830 I S. 1 vorliegen, also nur bei Mittäterschaft. Für Nebentäter fehlt eine entsprechende Rechtsgrundlage83.

2. These:

Bei der Schadenszufügung durch Nebentäter hat der mitschuldige Geschädigte entsprechend seinem Anteil an der Verantwortlichkeit für den Schaden das Ausgleichs-(Insolvenz-)risiko zu tragen84 •

82

83 84

Reinicke MDR 1959, 1000, 1001. BGHZ 30, 203, 206. Ebd., S. 207.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

155

3. These:

Ein befriedigendes Ergebnis der Schadensverteilung läßt sich nur durch einen Blick auf das gesamte Unfallgeschehen gewinnen (Gesamtschau)S5.

4. These:

Bei der aus der Gesamtschau gewonnenen Solidarabwägung (Gesamtabwägung) werden aus den Quoten der Einzelabwägung in einem Rechenvorgang die Quoten ermittelt, für die der Verletzte und die Nebentäter insgesamt verantwortlich sindse.

5. These:

Prozeßökonomie und die berechtigten Interessen des Verletzten verlangen, daß grundsätzlich in derartigen Haftpflichtprozessen der Schaden allein auf der Basis der Einzelabwägung verteilt wird. Hiervon ist abzuweichen und zusätzlich eine Gesamtabwägung anzustellen, sobald der Geschädigte gegen mehrere Schädiger gleichzeitig vorgeht, oder wenn sich nach der Inanspruchnahme eines Schädigers die Frage stellt, was die übrigen Schädiger noch aufzubringen haben87•

6. These:

Allein die Kombination von Einzel- und Gesamtabwägung stellt sicher, daß keiner der Schädiger dem Geschädigten mehr als die ihrem Verhältnis zueinander angemessene Schadensquote zu tragen hat88•

Im folgenden soll der Nachweis erbracht werden, daß keine einzige dieser Thesen unangreifbar ist, sei es, weil ihre Aussage nicht zu überzeugen vermag, sei es, weil das auf ihnen aufgebaute Verteilungsverfahren in seinen Ergebnissen ihre Richtigkeit widerlegt oder auch, weil sich mit diesem Verfahren die gesteckten Ziele nicht verwirklichen lassen.

1. Zur These, für Nebentäter fehle eine§ 830 I S.Z entsprechende Rechtsgrundlage, der Verantwortungssphäre des Verletzten eine gemeinsame Verantwortungssphäre der Schädiger gegenüberzustellen Zuzustimmen ist dem BGH, daß § 830 I S. 1 eine Rechtsgrundlage dafür bietet, die Tatbeiträge der Mittäter bei der Verteilung des Schadens additiv dem Mitverursachungsanteil des Geschädigten gegenüberzustellen. 85 86 87

88

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

S. 208. S. 211. S. 210, 212. S. 212.

156

5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft

Das argurnenturn e contrario, aus dem Fehlen einer dem § 830 I S. 1 entsprechenden Regelung für die Nebentäterschaft verbiete sich eine Kumulierung der sie treffenden Schadensquoten, ist jedoch nicht zwingend. Dieser Gegenschluß vermag auch im Ergebnis nicht zu überzeugen. Es ist früher ausgeführt worden, daß sich die Notwendigkeit einer besonderen gesetzlichen Regelung für die Haftung von Mittätern aus der Überlegung ergibt, daß andernfalls bei gegenständlich feststellbaren Anteilen eines jeden Mittäters am Gesamtschaden auch die Haftung eines jeden einzelnen auf seinen Anteil beschränkt wäre. § 830 I S . 1 ist also in der Weise zu erklären, daß die Norm den Grundsatz der Haftung nur für den Erfolg, für den der Täter eine conditio sine qua non gesetzt hat, durchbricht und wegen und infolge des Gesamtvorsatzes jedem der Mittäter die Haftung auf das Ganze auferlegtes. Inhalt der Norm ist also - und darin liegt die Parallele zu § 830 I S. 2 - die Lösung eines Kausalitätsproblems. Während § 830 I S. 2 den Grundsatz einer Haftung nur für adaequat verursachte Schäden im Bereich der haftungsbegründenden Kausalität durchbricht, enthält § 830 I S. 1 eine Ausnahme im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität. Das Verständnis der Haftung von Mittätern und Beteiligten erleichtert den Zugang zu der Frage, welcher Art die solidarische Haftung von Nebentätern ist. Hierbei geht es sicherlich nicht um ein Kausalitätsproblem. Nebentäterschaft liegt vor, wenn jeder Schädiger eine Bedingung für den Gesamterfolg gesetzt hat. Ist der Schaden von einer Mehrheit von Schädigern ohne Gesamtvorsatz verursacht worden - haben etwa mehrere Diebe ein Warenlager ausgeplündert -, hat aber jeder der Schädiger nur einen Teil des Schadens verursacht, so haften sie eben nicht als Nebentäter, sondern als Alleintäter in Höhe ihres Anteils90 • Voraussetzung jeder Nebentäterschaft ist, daß jeder von ihnen "eine von ihm zu verantwortende adaequate Ursache für die Entstehung des Schadens gesetzt hat"111 • Von dieser Überlegung geht auch der BGH aus, der gleichwohl glaubt, eine Gesamtverantwortlichkeit der Nebentäter ablehnen zu müssen. Hierin kann ihm nicht gefolgt werden. Hat jeder der Nebentäter "einen gesetzlichen Haftungstatbestand verwirklicht" 92 , so ist er zunächst einmal TäteT, d. h. er haftet auf vollen su 9o

91

92

Vgl. vorstehend 1. Kap. 4. Abschnitt unter C II!. Vgl. hierzu zuletzt OLG Düsseldorf, MDR 1972, S. 327.

BGHZ 30, 203, 205.

Ebd., S. 205.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

157

Schadensersatz. Die Besonderheit, daß ein weiterer (Neben-)Täter für den gleichen Schaden einzustehen hat, vermag hieran nichts zu ändern. Aus § 840 folgt lediglich, daß sie gesamtschuldnerisch haften, also im Innenverhältnis einander zum Ausgleich verpflichtet und berechtigt sind, § 426 I. Die Bejahung einer Haftung der Nebentäter auf das Ganze hat also im Gegensatz zu § 830 I S. 1 und S. 2 kein Kausalitätsproblem zu überwinden. Aus diesem Grund konnte der Gesetzgeber auch von einer gesetzlichen Regelung der Nebentäterschaft absehen. Einer besonderen Rechtsgrundlage für die Haftung der Nebentäter bedarf es nicht. Jeder Nebentäter haftet dem Geschädigten auf vollen Schadensausgleich, weil er Täter ist. Daran vermag die Besonderheit, daß er nicht allein, sondern ein oder mehrere andere ebenfalls für das Schadensereignis verantwortlich sind, nichts zu ändern. Die Verantwortlichkeit eines jeden Nebentäters ist die Konsequenz der Lehre von der Gleichwertigkeit aller Bedingungen und bedeutet deshalb auch nicht eine "Anrechnung fremden Verschuldens"93 • Hätte der BGH Recht mit seiner Ansicht, so kann mit der gleichen Berechtigung gefragt werden, weshalb gegenüber einem schuldlosen Verletzten "ein einheitlicher (von allen Schädigern) gemeinsam zu vertretender Verantwortungsbeitrag" 93 anzunehmen ist. Nimmt der Geschädigte etwa aus der großen Zahl der Nebentäter, die alle eine Ursache für seinen Schaden gesetzt haben, gerade den Schädiger in Anspruch, dessen Tatbeitrag bei einer natürlichen Betrachtungsweise von geringstem Gewicht war, so bedeutet dessen Haftung auf das Ganze doch ebenfalls nach der Terminologie des BGH nichts anderes, als daß ihm "fremdes Verschulden angerechnet" wird. Gleichwohl ist niemals daran gezweüelt worden, daß jeder Nebentäter über den eigenen Ursachenbeitrag hinaus auch für fremde Verursachung und fremdes Verschulden einzustehen hat. Die Haftung des Nebentäters - gleichgültig, ob ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt hat oder nicht - folgt bereits daraus, daß er schuldhaft oder zurechenbar eine adaequat kausale Bedingung für den Schaden gesetzt, einen Haftungstatbestand verwirklicht hat. Das allein ist ausreichende Rechtsgrundlage der Haftung, so daß es einer besonderen gesetzlichen Regelung, die für Mittäter und Beteiligte notwendig war, nicht bedurft hat94 • Der einzige Unterschied in der Rechtsfolge zwischen dem Alleinund dem Nebentäter liegt darin, daß letzterer gern. § 840 gesamtEbd., S. 207. Im Ergebnis mit ähnlicher Begründung auch Reinett, Dissertation, S. 40 und Koch NJW 1967, 181, 183. 93

94

158

5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft

schuldnerisch haftet, also die Mehrheit der Verantwortlichen im Innenverhältnis zur anteilsmäßigen Schadenstragung verpflichtet und berechtigt sind. An diesen Grundsätzen vermag ein Mitverschulden des Geschädigten nichts zu ändern. § 254 ist insoweit lediglich zu entnehmen, daß der Ausgleichsanspruch des mitschuldigen Verletzten um den eigenen Anteil zu mindern ist.

2. Zur These, im Falle der Schadenszufügung durch Nebentäter habe der mitschuldige Verletzte entsprechend dem eigenen Anteil an der Verantwortlichkeit für den Schaden das Insolvenzrisiko zu tragen Gegen eine Gesamtabwägung95 zwischen Nebentätern und Geschädigtem spricht nach Ansicht des BGH das Argument der Billigkeit, das es verbiete, den mitschuldigen Geschädigten von dem Ausgleichs-(Insolvenz-)Risiko völlig freizustellen. Ob dieses Argument zutreffend ist, mag zunächst dahinstehen96. Maßgeblich ist vorrangig, ob das vom BGH entwickelte Verteilungsverfahren überhaupt in der Lage ist, diese Forderung, nämlich dem Geschädigten das Risiko der Zahlungsunfähigkeit eines Nebentäters entsprechend seinem eigenen Anteil an der Verursachung aufzuerlegen, zu verwirklichen. Keuck hat nachgewiesen, daß dieses Ergebnis nur gewährleistet ist, wenn dem mitschuldigen Verletzten zwei Schädiger gegenüberstehen, nicht jedoch wenn drei oder mehr Nebentäter vorhanden sind97 . Keuck bildet das Beispiel, in dem neben dem Verletzten die Täter A, B, C und D in gleicher Weise verantwortlich sind. Geht X zunächst gegen A vor, so erhält er in Anwendung der Grundsätze des BGH von ihm 50 Ofo seines Schadens ersetzt (Einzelabwägung). In einem zweiten Prozeß erhält er von B weitere 30 Ofo, da ihm insgesamt von A und B ein Schadensausgleich von 4/5 zusteht (Gesamtabwägung). Sind nun C und D insolvent, so kann zwar A vonBin Höhe von 10 Ofo des Gesamtschadens Ausgleich verlangen, beide haben jedoch allein die Folgen der Zahlungsunfähigkeit von C und D zu tragen, der mitschuldige X ist "freigestellt"98 • &s Unter "Gesamtabwägung" versteht der BGH hier eine "Addierung der die Beteiligten treffenden Schadensquoten", BGHZ 30, 203, 207. 96 Vgl. hierzu nachstehend C III. 97 Keuck AcP 168, 175, 201/202. 98 Ebd., S. 202.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

159

Damit ist unabhängig von der Frage, ob der Geschädigte überhaupt das Ausgleichsrisiko mitzutragen hat, erwiesen, daß das Verteilungsverfahren des BGH nur für einen Teil der Fallgestaltungen überhaupt in der Lage ist, das für richtig erachtete Ergebnis zu erzielen.

3. Zur These, ein befriedigendes Ergebnis der Schadensverteilung lasse sich nur durch einen Blick auf das gesamte Unfallgeschehen gewinnen (Gesamtabwägung) Zur Überwindung der auf der Basis von Einzelabwägungen basierenden unbefriedigend bleibenden Schadensverteilung hat der BGH "den Blick auf das gesamte Unfallgeschehen" gefordert, mit dessen Hilfe die Unbilligkeiten der bisherigen Rechtsprechung zu vermeiden seien99 • Zur Veranschaulichung diente ihm das Beispiel von Dunz: neun Personen fügen einer mitschuldigen zehnten einen Schaden zu; alle trifft gleichwertiges Verschulden. Diese Fallgestaltung zeige augenfällig, wie unbillig es bliebe, wenn dem Geschädigten als Schadensausgleich nur eine Quote von 50 °/o (Einzelabwägung) zugesprochen würde, obgleich ihm aus einer auf der Gesamtschau des Schadensereignisses beruhenden Abwägung 9/10 seines Schadens zu ersetzen seien. Diese Überlegung und die Abkehr von der Praxis der bisherigen Rechtsprechung sind sicherlich richtig. Den von Dunz vorgeschlagenen Weg der Korrektur der Schadensquotelung durch einen Blick auf das gesamte Unfallgeschehen hat aber der BGH- trotz gegenteiliger Behauptung- nur scheinbar beschritten. Die Aussage im obigen Beispiel, alle zehn Personen treffe ein gleichwertiges Verschulden, beruht auf einer auf den tatsächlichen Umständen des Unfallherganges ausgerichteten Gesamtwertung. Aus der Gesamtwürdigung aller kausaler Ursachenbeiträge, ihrer Bedeutung für den Schadenseintritt und des Maßes des jeweiligen Verschuldens, ist der Schluß gezogen worden, daß sie untereinander für das Schadensereignis als gleichwertige Komponenten anzusehen sind. Bereits der Sprachgebrauch: "Blick auf das gesamte Unfallgeschehen" ließ erwarten, daß losgelöst von den Ergebnissen der Einzelabwägung ein neuer Ansatzpunkt gesucht werden sollte, um den Schaden in billiger Weise verteilen zu können. In Wirklichkeit hat sich jedoch der BGH bereits in dieser ersten und in allen nachfolgenden Entscheidungen niemals von den Ergebnissen der Einzelabwägung gelöst; in Wirklichkeit war von Beginn an "der Blick auf das gesamte Unfallgeschehen" nichts anderes als eine "reine Rechenoperation", eine 99

BGHZ 30, 203, 208.

160

5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft

mathematische Gleichung, die aus den Quoten der Einzelabwägungen gebildet wurde100 • Es erscheint aber fragwürdig, ob die vom BGH gebildete Formel in der Lage ist, eine tatsächliche Abwägung aller Tatbeiträge in ihrem Verhältnis zueinander zu ersetzen. Es ist keineswegs erwiesen, daß die aus dieser Rechenoperation gewonnenen Haftungsquoten wirklich den Quoten entsprechen, die sich ergeben würden, wenn man die Verhaltensweisen tatsächlich in eine Gesamtrelation setzt. Es muß bezweifelt werden, ob die im Verhältnis zu einem Schädiger etwa ermittelte Mitverschuldensquote etwas darüber auszusagen vermag, in welchem Maße der Geschädigte für seinen Schaden insgesamt gesehen verantwortlich ist. Da es sich bei der Bestimmung der Höhe der Anteile um Wertungsfragen handelt, ist es naturgemäß nicht möglich, den Beweis zu führen, daß die vom BGH errechneten Quoten am Gesamtschaden nicht unbedingt mit den Quoten übereinstimmen, die sich bei einer tatsächlich durchgeführten Gesamtschau ergeben würden. Nachweisbar bleibt jedoch, daß die Forderung nach einem "Blick auf das Gesamtunfallgeschehen" zu keiner Zeit zu einer Wertung der tatsächlichen Verursachungsanteile in einer Gesamtrelation geführt hat, diese vielmehr stets durch eine mathematische Formel ersetzt wurde.

4. Zur Berechnungsmethode bei der Solidar-(Gesamt-)abwägung Die Methode der Gesamtabwägung sei an dem vom BGH gewählten Beispiel verdeutlicht101 : Die Einzelabwägungen zwischen dem Geschädigten A und den als Nebentätern handelnden B und C haben jeweils zu einer hälftigen Verantwortlichkeit geführt. Für die Schadensverteilung lassen sich demnach folgende Einzelproportionen bilden: A:B=l:l A:C=l:l

Bei der anschließenden Gesamtabwägung muß nach Ansicht des BGH einerseits die Relation A : B und die Relation A : C, andererseits auch die Relation B: C erhalten bleiben. Diese Überlegung führt zu der Gesamtproportion: A:B:C=l:l:l

mit der Folge, daß A von B und C gemeinsam 2/5 seines Schadens ersetzt verlangen kann. 1oo BGH NJW 1964, 2011. 101 BGHZ 30, 203, 211.

4.

Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

161

An dieser mathematischen Gleichung fällt zunächst auf, daß der BGH insgesamt drei Verhältnisse zur Grundlage der Gesamtabwägung macht. Während die Relation A : B und A : C Ergebnis der Einzelabwägungen ist, hat sich das Verhältnis der Schädiger, hier B: C, aus den Relationen ergeben. Der BGH macht demnach bereits eine Aussage darüber, wie der Schaden im Innenverhältnis zu verteilen ist. Dieser Feststellung kommt zwar keine Rechtskraftwirkung für das Ausgleichsverfahren zu, es ist aber doch nicht zu verkennen, daß hiermit de facto die interne Schadensverteilung nach Quoten vorweggenommen worden ist.

Die Richtigkeit der so gebildeten Proportion, nämlich B: C = 1 : 1, ist höchst zweifelhaft. Gern. § 426 I sind Gesamtschuldner grundsätzlich zu gleichen Anteilen verpflichtet, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist. Als anderweitige Bestimmung gilt - völlig unbestritten § 254 entsprechend. Das bedeutet, der Schaden, für den die Gesamtschuldner einzustehen haben, ist im Innenverhältnis aufgrund einer besonderen Abwägung ihrer Verursachungsanteile und ihres Verschuldensmaßes unter ihnen zu verteilen. Die in § 254 geforderte Abwägung hat dabei tatsächliche Feststellungen zu treffen, anband derer ein Schlüssel für die Quotelung zu finden ist. Eine derartige Abwägung läßt die Rechtsprechung des BGH jedoch völlig vermissen. Aus der im konkreten Beispiel gegebenen zufälligen Identität ihrer Haftungsquoten gegenüber dem Geschädigten glaubt der BGH den Schluß ziehen zu können, ihre Verhaltensweisen seien auch in Relation zueinander gleichwertig. Diese Schlußfolgerung paßt nicht in das System des Deliktsrechts, das die Schadensverteilung der Mehrtäter in ein gesondert vorzunehmendes Verfahren verwiesen hat. Sie vermag auch im Ergebnis deshalb nicht zu überzeugen, da sie der erforderlichen tatsächlichen Abwägung entbehrt. Auf entscheidende Bedenken stößt die Rechenoperation in einem anderen Punkte. Bei der Bildung der Gesamtproportion verfährt der BGH in der Weise, daß er bei Gleichheit der Verhältniszahlen (in anderen Fällen sind diese vorab gleichnamig zu machen), die bei den Einzelabwägungen jeweils den Mitverschuldensanteil des Geschädigten gegenüber einem Schädiger beziffern, eben diese Verhältniszahl unverändert, und zwar ein einziges Mal in die Gesamtproportion einsetzt. Das sei an einem Zahlenbeispiel erläutert. Das Ergebnis der Einzelabwägungen zwischen dem Geschädigten X und den Schädigern A, B und C sehe wie folgt aus: X:A=1:2 11 Brambring

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5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft X:B=1:3 X:C=1:4

Daraus ergibt sich nach den Regeln des BGH zwingend folgende Gesamtproportion: X:A:B:C=1:2:3:4

Es fällt auf, daß der in den drei Einzelabwägungen mit "1" bezifferte Mitverschuldensanteil von X bei der Gesamtabwägung nur einmal in Rechnung gestellt wird, hingegen die Verursachungsbeiträge von A, B und C additiv erfaßt sind: die Schädiger haben 9/10 des Schadens zu ersetzen, der Geschädigte 1/10 selbst zu tragen. Das kann aber nur richtig sein, wenn der mit "1" bezifferte Anteil des Geschädigten, der aus den mehreren Einzelabwägungen übernommen wird, dort bereits jeweils den gesamten (absoluten) Mitverschuldensanteil des Geschädigten bezeichnet hat. Sollte hingegen in den Einzelabwägungen jeweils eine andere schuldhafte Verhaltensweise des Geschädigten berücksichtigt worden sein, also hinter der Ziffer "1" ein unterschiedlicher Inhalt stehen, so hätten bei der Gesamtabwägung nicht nur die unterschiedlichen Verursachungsbeiträge der Schädiger, sondern auch die des Geschädigten addiert werden müssen. Die Rechenoperation des BGH kann also nur dann richtig sein, wenn der Mitverschuldensanteil bereits in der Einzelabwägung nicht nur relativ - d. h. gegenüber dem jeweiligen Schädiger -, sondern bereits absolut, d. h. ausgerichtet am Gesamtunfallgeschehen - ermittelt wird. Wie aber die schuldhafte Verhaltensweise des Geschädigten in einer Zweierbeziehung (Einzelabwägung) bereits absolut bestimmt werden soll, muß - man denke nur an das unterschiedliche Maß des Verschuldens-ein ewiges Rätsel ohne Lösung bleiben. In Wirklichkeit ist von der Rechtsprechung dieser Versuch nie unternommen worden; ausschlaggebend ist stets der relative Mitverschuldensanteil gewesen. Das zeigt deutlich die Entscheidung des BGH vom 29. 6. 1959, in der die Klägerin, Eignerio des MS "E" u . a. von den Schiffsführern des Motorschleppers "H" und des Schleppkahnes "B" Ersatz ihres bei einer Schiffskollision entstandenen Schadens begehrte102• Bei der Einzelabwägung hat das Gericht folgendes Verhalten des mitschuldigen Schiffsführers von "E" für beachtlich angesehen. Es heißt wörtlich: "Maßgebend für die Schuldverteilung (zwischen den Schiffsführern von "E" und "B") ist, daß der Schiffs1o2

BGH LM, Nr. 3 zur Rheinschiff PolVo.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

163

führer von ,E' ... dem Verbot der Kursänderung zuwidergehandelt und damit durch seine falsche Fahrweise die Kollisionsgefahr in erster Linie geschaffen hat ... " "Maßgebend (für die Schuldverteilung zwischen den Schiffsführern von "E" und "H") ist, daß auch hier schwerwiegend (dem Schiffsführer von "E") zur Last zu legen ist, daß er den Schleppkahn nicht wahrgenommen und vor allem seinen Kurs geändert hat ..." Die Einzelabwägungen führten zu einer Verteilung des Schadens zwischen Geschädigtem und den Schädigern im Verhältnis 4:2 bzw. 4: 1, aus denen das Gericht bei der Gesamtabwägung das Verhältnis 4 : 2 : 1 bildete. Die Gesamtabwägung vermag nicht zu überzeugen. Da sie ausschließlich auf einer mathematischen Gleichung beruht, läßt sie unberücksichtigt, daß der mit "4" bezifferte Mitverschuldensanteil des Schiffsführers von "E" in der ersten Einzelabwägung einen anderen schuldhaften Verursachungsbeitrag erfaßt als in der zweiten. Hätte das Gericht eine von den Proportionen der Einzelabwägung losgelöste Gesamtschau des Unfallgeschehens tatsächlich vorgenommen, so hätte es zwei "schwerwiegende" Umstände zu Lasten des Geschädigten berücksichtigen müssen: zum einen, daß er durch seine falsche Fahrweise die Kollisionsgefahr in erster Linie geschaffen hat, zum anderen, daß er den Schleppkahn "H" nicht rechtzeitig wahrgenommen hat. Das Mitverschulden des Schiffsführers "E" ist also durch den Wert "4" in der Gesamtproportion nur dann in der rechten Weise wiedergegeben, wenn eben diese Zahl in den Einzelabwägungen bereits den gleichen Verantwortungsbeitrag beinhaltet hat. Der Wert "4" hat jedoch als Quote des Mitverschuldeos in den Einzelabwägungen einen verschiedenen Inhalt, da das nicht rechtzeitige Wahrnehmen von "H" nicht gegenüber dem Schiffsführer von "B", sondern erst im Verhältnis zu dem Schiffsführer von "H" Beachtung gefunden hat (und auch hier erst finden konnte). Abstrakt gesagt heißt das: der Wert "4" in der ersten Einzelabwägung umschreibt eine vom Wert "4" in der zweiten Einzelabwägung verschiedene Mitverursachung. Das Problem soll an dem Beispiel von Dunz weiter veranschaulicht werden. Der Fall, daß neun Personen einer zehnten Person einen Schaden zufügen und ihre Verursachungsbeiträge gleich hoch sind, ist keineswegs eindeutig. Zunächst ist es vorstellbar, daß die 10. Person einen einzigen Ursachenbeitrag geleistet hat und jeder der weiteren neun Schädiger ebenfalls einen, der diesem gleichwertig ist. 11*

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5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft

Es hätte aber auch so sein können, daß der zehnte insgesamt für neun verschiedene Tatbeiträge seinerseits verantwortlich ist, von denen sich jeweils einer gegenüber dem Ursachenbeitrag eines Schädigers ausgewirkt hat. Da bei der Einzelabwägung nur das gerade dem einzelnen Schädiger gegenüber ursächlich gewordene schuldhafte Verhalten des Geschädigten in die Waagschale geworfen wird, ist also auch hier die Aussage, ihre Verursachungsbeiträge seien gleich hoch, zutreffend. Aber nur in der ersten Alternative ist es richtig, nach dem Verhältnis der Einzelabwägungen (jeweils 1 : 1) den Anteil des Geschädigten bei der Gesamtabwägung mit "1" einzusetzen, der Geschädigte also insgesamt in Höhe von 9/10 seines Schadens Ausgleich verlangen kann. In der zweiten Alternative ergibt die Gesamtwürdigunf!, daß da.c; Mitverschulden des Geschädigten . im Verhältnis zur gesamten Verantwortungssphäre der Schädiger gleich hoch ist, demnach der Geschädigte insgesamt nur die Hälfte seines Schadens ersetzt verlangen kann. Die Rechenoperation des BGH, und dies ist der schwerwiegendste Vorwurf, der ihr zu machen ist, trägt dieser Alternativmöglichkeit eines jeden Schadensereignisses bei Mitverschulden des Verletzten keine Rechnung. Der Fehler liegt darin, daß der BGH die relative Mitverschuldensquote der absoluten ohne weiteres gleichsetzt. Das Verteilungsverfahren der h. M. führt über eine willkürliche Zersplitterung des einheitlichen Schadensereignisses in Zwei-PersonenBeziehungen dazu, daß bei der Einzelabwägung nur der Verursachungsbeitrag des Verletzten Beachtung findet, der sich gerade als mitursächlich für den Tatbeitrag des jeweiligen Schädigers erwiesen hat, und weiter zu einer nur relativen Abwägung des Mitverschuldens auf seiten des Geschädigten. Die Folge sind Verhältnisse und Quoten, die in Wirklichkeit noch nichts über den tatsächlichen Anteil des Geschädigten an der Schadensverursachung im Vergleich zu dem der Schädigermehrheit auszusagen vermag. Wird diese Quote gleichwohl "automatisch" für die Gesamtabwägung übernommen, so entscheidet über die Gesamtverteilung des Schadens letztlich der Zufall. Ursache dieses wenig befriedigenden Ergebnisses ist der Verzicht auf eine tatsächlich durchgeführte Gesamtschau des Unfallgeschehens. Die Feststellung, daß die Rechtsprechung hierauf verzichten zu können glaubt, ist deshalb besonders verwunderlich, weil das Problem - nahezu spiegelbildlich - bei der Bildung der Gesamtproportion für die Schädigermehrheit seit einiger Zeit große Beachtung

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

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gefunden hat. Angesprochen ist die sogenannte Haftungseinheit, die mehrere Nebentäter in besonderen Fällen bilden sollen1o3. Es ist erkannt worden, daß das Verteilungsverfahren in Form der Kombination von Einzel- und Gesamtabwägung nicht auf jede Schadensverursachung durch mehrere unabhängig voneinander handelnde Täter Anwendung finden kann. Die bei der Gesarntabwägung vorgenommene Addition der Verursachungsbeiträge der Schädiger kann nur dann richtig sein, wenn diese Beiträge zu t)erschiedenen unfallbedingenden Umständen führen. Eine Zusammenfassung verbietet sich aber, wie der BGH in seiner Entscheidung vorn 29. 9. 1970 zu Recht ausführt, sobald "sich die Ursachenbeiträge der verschiedenen Schädiger nur in einem (demselben) unfallbedingten Umstand auswirken, der sodann erst mit dem dem Geschädigten zuzurechnenden Ursachenverlauf zusammentrifft und mit ihm zum Schadenseintritt führt" 104 • Bei diesen Fallgestaltungen kann die Verursachung mehrerer Schädiger völlig zu Recht auch nur ein einziges Mal bei der Schadensabwägung berücksichtigt werden105 • Dem von der Rechtsprechung angewandten Verteilungsverfahren ist der Vorwurf zu machen, daß es nur bei einem Teil der denkbaren Fallgestaltungen zu richtigen Ergebnissen führt. Es sind dies die Schadensereignisse, in denen der mitschuldige Geschädigte nur einen (denselben) Ursachenbeitrag geleistet hat, die Schädiger jedoch mehrere, jeder einen anderen. Die jeweilige Alternative der Schadensverursachung vermag die Rechtsprechung mit dem von ihr angewandten Verteilungsverfahren nicht zu lösen. 5. Zur These, berechtigte Interessen des Verletzten und die schnelle Abwicklung derartiger Haftpflichtprozesse erforderten, am Prinzip der Einzelabwägung festzuhalten

Für seine Lösung hat sich der BGH auf den Vorteil der Prozeßökonomie berufen. Die Einzelabwägung mache es unnötig, in einfach 103 Vgl. zur "Haftungseinheit": BGHZ 6, 3, 27; BGH LM, Nr~ 25 a zu § 426 BGB; BGHZ 54, 283 = NJW 1971, 33; Anm. Hauß zu BGHZ 30, 202 in LM, Nr. 6 zu § 840 BGB; Dunz JZ 1959, 592, 593; ders. in NJW 1966, 1810 und NJW 1968, 679; Venzmer, S. 218; Gelhaar DAR 1954, 265, 274; Dubischar NJW 1967, 610, zuletzt OLG Saarbrücken, OLGZ 1970, 9. 11. 104 BGH NJW 1971, S. 33, 34. 1os Mit überzeugender Begründung: Dunz NJW 1968, S. 679 gegen Dubischar NJW 1967, 610.

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5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft

gelagerten Schadensfällen die Gesamtheit der Ursachen- und Schuldbeiträge (der nicht am Verfahren beteiligten Schädiger) zu ermitteln, eine komplizierte tatsächliche Prüfung, die bei der Gesamtabwägung unumgänglich sei. Auch dieses Argument hält einer genaueren Überprüfung nicht stand. Es ist dem BGH zuzugeben, daß im Verfahren gegen den ersten der Nebentäter dem Gericht umfangreiche Ermittlungen erspart bleiben, die unerläßlich sind, um etwa nach einer Schiffskollision die Quoten der Eigner, in deren Höhe sie haften, gern. § 736 HGB zu bestimmen. Dieser Vorteil für den Verletzten: alsbald eine Entscheidung in den Händen zu haben, und für das Prozeßgericht: diese Schadensfälle schnell abwickeln zu können, erweist sich bei näherem Hinsehen eher als sein Gegenteil. In Wirklichkeit bleiben weder den Gerichten die vom BGH beschworenen umfangreichen Erörterungen und Prüfungen, ob und welche andere an dem Rechtsstreit nicht beteiligte Personen für den Schaden haftbar sein können, erspart, noch dem Verletzten die entsprechende Beweisführung. Eine Gesamtabwägung - darum geht es ja - ist zunächst einmal immer dann anzustellen, wenn der Geschädigte mindestens zwei Schädiger gleichzeitig in Anspruch nimmt. Aber selbst, wenn er zunächst nur von einem der Nebentäter Ersatz verlangt - diesen Fall hat der BGH im Auge - und sich das Gericht mit einer Einzelabwägung hier begnügen kann, ist damit keineswegs gesagt, daß für dieses Schadensereignis eine Gesamtabwägung überflüssig geworden ist. Das Gegenteil ist der Fall. Eine Gesamtabwägung ist - so der BGH - immer dann vorzunehmen, "wenn sich nach der Inanspruchnahme eines Schädigers die Frage stellt, was die übrigen Schädiger noch aufzubringen haben" 108 • Wäre die Inanspruchnahme eines weiteren Schädigers als Ausnahmefall anzusehen, der nur - und davon geht wohl der BGH aus - bei ganz besonderen Fallgestaltungen eintreten kann, so würde die Absicht des BGH, Schadensersatzprozesse zu beschleunigen und zu vereinfachen, zum Erfolg führen. Diese Inanspruchnahme ist jedoch eher als Regelfall zu bezeichnen. Es ist nämlich kein Unfallereignis auch nur theoretisch vorstellbar, nach dem der Geschädigte nicht gezwungen ist- will er den ihm zustehenden Ausgleich seines Schadens erhalten - , nach der Inanspruchnahme eines Schädigers gegen einen weiteren Schädiger vorzugehen. Den Fall, daß der Geschädigte bereits im ersten Prozeß toe BGHZ 30, 203, 212.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

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den ihm zustehenden Schadensersatz in voller Höhe zugesprochen bekommt, gibt es nicht. Dazu ein drastisches Beispiel: Im ersten Prozeß wird der Schaden zwischen Geschädigtem und Schädiger im Verhältnis 1 : 4 aufgeteilt; der Geschädigte erhält also Ausgleich in Höhe von 4/5 seines Schadens zugesprochen. Im Verfahren gegen den zweiten Schädiger ermittelt das Gericht, daß den Geschädigten diesem gegenüber ein 4mal so hohes Mitverschulden trifft. Bei der nunmehr vorzunehmenden Gesamtabwägung ergibt sich aus den Einzelproportionen: 1:4 (= 4: 16) 4:1

das Gesamtverhältnis 4: 16: 1. Der Geschädigte kann also insgesamt von beiden Schädigern 17/21 der Schadenssumme ersetzt verlangen. Da er vom ersten Schädiger bereits 4/5 erhalten hat, ist ihm der Zweitschädiger noch in Höhe eines verbleibenden Restes - es sind genau 1/105 -zum Ausgleich verpflichtet. Dieses extreme, nur theoretisch vorstellbare Beispiel beweist, daß der Geschädigte in jedem Fall auf die Inanspruchnahme mindestens eines weiteren Schädigers angewiesen ist, will er vollen Ausgleich seines Schadens erhalten. Da im zweiten Verfahren aber eine Gesamtabwägung, d. h. eine Ermittlung der Verursachungsbeiträge aller am Unfall beteiligter Personen, nach Ansicht des BGH notwendig wird, besteht ein Vorteil prozeßwirtschaftlicher Natur nur scheinbar. Das Verfahren der h. M. bei der Verteilung des Schadens beseitigt nicht die Schwierigkeiten tatrichterlicher Untersuchungen, es schiebt diese lediglich auf. Der Nachteil dieses Verfahrens liegt auf der Hand. Anstatt eines einzigen Prozesses, den etwa der Verletzte gegen Mittäter, oder jeder Gläubiger, dem mehrere als Gesamtschuldner rechtsgeschäftlich verpflichtet sind, führen muß, um den ihm zustehenden Ausgleich seines Schadens zu erhalten, ist der von Nebentätern Geschädigte gezwungen, zwei Prozesse zu führen. Damit nicht genug sind Schadensereignisse ohne weiteres auch in der Praxis vorstellbar, nach denen der Verletzte sich vor die Alternative gestellt sieht, entweder drei Prozesse zu führen oder auf einen Teil seines Ausgleichsanspruchs zu verzichten107. to7 Diese Schwierigkeiten kann der Geschädigte selbstverständlich vermeiden, wenn er gegen alle Schädiger gleichzeitig vorgeht. Verläßt er sich jedoch auf die ihm vom BGH versprochenen Erleichterungen in der Prozeßführung und geht deshalb nur gegen einen Schädiger vor, so sieht er sich vor die geschilderte Situation gestellt.

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5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft

Auch dazu ein Beispiel: Für den Schaden sind die Nebentäter A, B, C und D und der Geschädigte X verantwortlich. Der Schaden- er betrage 1000,- DMist zwischen Geschädigtem und Schädigern jeweils im Verhältnis 4 : 1 aufzuteilen (Einzelabwägung). Nimmt der Geschädigte nun . zunächst A in Anspruch, so erhält er von ihm 1/5 seines Schadens = 200,- DM ersetzt. Im zweiten Prozeß gegen Schädiger B, der ja ebenfalls bis zur Höhe von 1/5 haftet, hat die Rechtsprechung die Gesamtquote durch eine Solidarabwägung zu ermitteln. Dabei ist von den Quoten der Separatabwägungen: X:A=4:1 X:B=4:1 X:C=4:1 X:D=4:1

auszugehen. Demnach sieht die Gesamtproportion wie folgt aus: X:A:B:C:D=4:1:1:1:1

X steht also insgesamt hälftiger Ausgleich seines Schadens zu. Da er von A erst 200,- DM erhalten hat, ihm also weitere 300,- DM noch zu ersetzen sind, wird B zur Zahlung von 200,- DM verurteilt (Haftungshöchstbetrag aus der Einzelabwägung, der nicht überschritten werden darf). X ist also darauf angewiesen, einen dritten Prozeß gegen C oder D zu führen, um auch den noch offenen Restbetrag von 100,- DM zu bekommen. Berücksichtigt man nun zusätzlich, welche Schwierigkeiten atJftauchen, sobald das Gericht im dritten Prozeß zu einer vom Gericht des ersten Prozesses abweichenden Würdigung der für § 254 maßgeblichen Umstände gelangt, das Urteil des ersten Verfahrens etwa bereits rechtskräftig ist, so wird man an den Vorzug der Prozeßökonomie nicht mehr recht glauben können1oe. Will man mit der berechtigten Forderung nach einer schnelleren Abwicklung von Schadensersatzprozessen ernst machen, so gilt es, ein Verteilungsverfahren zu entwickeln, das sicherstellt, daß der Geschädigte in einem einzigen Verfahren den ihm zustehenden Schadensbetrag in voller Höhe zugesprochen bekommt. Sind für dieses Verfahren umfangreichere Ermittlungen notwendig, so muß dieser Nachteil hingenommen werden, insbesondere dann, wenn diese Schwierigkeiten 108 Auf die "Mißhelligkeiten" aus der mangelnden Rechtskrafterstreckung weist zu Recht Dunz, NJW 1968, S. 679 hin.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

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sich nicht umgehen, sondern nur auf einen späteren Zeitpunkt verschieben lassen,

6. Zur These, aUein die Kombination von Einzelund Gesamtabwägung steUe sicher, daß kein Schädiger dem Geschädigten mehr als die ihrem Verhältnis zueinander angemessene Schadensquote zu tragen habe Einen weiteren Vorzug der Kombination von Einzel- und Gesamtabwägungen glaubt der BGH darin zu sehen, "daß kein Schädiger dem Geschädigten mehr als die ihrem Verhältnis zueinander angemessene Schadensquote zu zahlen hat" 109. Das ist insoweit sicherlich richtig, als die Schadensquote jedes Schädigers aus der Einzelabwägung ermittelt wird, bei der sich lediglich dieser Schädigerund der Geschädigte gegenüberstehen. Ob es sich bei der in dem "Verhältnis zueinander" ermittelten Quote aber um eine "angemessene" handelt, muß bezweifelt werden. Offenbar ist dieser Satz gegen die Quotenermittlung aufgrund der Gesamtabwägung gerichtet, der der BGH zum Vorwurf macht, sie würde bei der Nebentäterschaft "die Grenzen, die das Haftungsrecht bei der Anrechnung fremden Verschuldens zieht, überschreiten. Es gehe nicht an, "bei der Abwägung einen einheitlichen (von allen Nebentätern) gemeinsam zu vertretenden Verantwortungsbeitrag anzunehmen" 110 • Diese Grundsätze vermag das Verteilungsverfahren des BGH allerdings selbst nur höchst unzureichend zu verwirklichen. Das sei aufgezeigt.

einmal mehr -

an dem bekannten Beispiel von Dunz

Obwohl aus einer Gesamtschau des Schadensereignisses jeden der neun Schädiger nur 1/10 Anteil am Schaden trifft, haftet jeder dem Geschädigten in Höhe von 50 Ofo. In Höhe von 80 Ofo seiner Ersatzverpflichtung hat er also nicht für eigene zurechenbare Verursachung, sondern für fremde Verhaltensweisen einzustehen und ist bei einer Inanspruchnahme auch dem Insolvenzrisiko ausgesetzt. Der Vorteil des Schädigers im Vergleich zu einer Gesamtabwägung, bei der die Verantwortungsbeiträge aller Nebentäter zusammengeiaßt werden, ist also nur gradueller Natur. Auch die Einzelabwägung vermag es nicht zu vermeiden, daß "fremdes Verschulden angerechnet" wird. BGHZ 30, 203, 212. uo Ebd., S. 207.

109

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5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft lU. Zusammenfassung

Die aufgezeigten Bedenken, die gegen das Verteilungsverfahren des BGH bestehen, liegen sowohl auf dogmatischer als auch auf methodischer Ebene. Die vom BGH als Korrektur der Einzelabwägung verstandene Verknüpfung mit einer Gesamtschau, die in Wirklichkeit nichts anderes ist als eine ,.reine Rechenoperation", führt teilweise zu unrichtigen, teilweise zu unbilligen Ergebnissen. Indem das Verteilungsverfahren des BGH es für den Geschädigten zwingend notwendig macht, mindestens zwei Schädiger - gleichzeitig oder nacheinander - in Anspruch zu nehmen, um den ihm insgesamt zustehenden Schadensausgleich zu erhalten, hat die Rechtsprechung zusätzliche Schwierigkeiten prozeßwirtschaftlicher Natur geschaffen, die nicht zu der erstrebten Vereinfachung, sondern im Gegenteil zu einer Komplizierung auch einfach gelagerter Schadensersatzprozesse führt und dem Geschädigten die Durchsetzung seiner Ansprüche erschwert. Da die Kombination von Einzel- und Gesamtabwägung zu schematisch angewandt wird, schließt sie Fehlerquellen bereits von vornherein ein (gemeint sind hier die Fälle der sog. Haftungseinheit).

B. Ablehnung der Einzelabwägung als untauglichem Ansatzpunkt für die Schadensverteilung Der vom BGH beschrittene Weg, die als unhaltbar erkannten Ergebnisse der Einzelabwägung durch eine Solidarabwägung zu korrigieren, überzeugt aus den dargelegten Gründen nicht. Daher stellt sich die Frage, ob überhaupt an der Einzelabwägung als methodischem Ausgangspunkt für das Verfahren der Schadensverteilung länger festgehalten werden kann. Diese Fragestellung ist um so mehr berechtigt, da die Rechtsprechung selbst den nur bedingten Wert dieser Abwägung erkannt und ausgesprochen hat1 11 • Gleichwohl hat die h. M. stets ohne nähere Begründung an der getrennten Abwägung der Verantwortungssphären festgehalten. Zur Rechtfertigung findet sich in der Entscheidung des BGH vom 16. 6. 1959 der Satz, sie sei deshalb erforderlich, weil dem Geschädigten gegen jeden Schädiger "ein selbständiger Schadensersatzanspruch zustehe" 111l. Hinweise, wie im einzelnen diese Abwägung der Verursachungsbeiträge zweier am Schadensereignis beteiligter Personen vorzunehmen ist, gibt die Entscheidung nicht, da der BGH keinen Anlaß sah. von den Quoten, die das Berufungsgericht ermittelt hatte, abzuweichen. tu Angesprochen ist das Urteil des BGH in NJW 71, 33 ff. (Haftungseinheit und Ausgleich des immateriellen Schadens). 112 BGHZ 30, 203, 205.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

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Als aufschlußreich erweist sich insoweit das Urteil des BGH vom 29. 6. 1959113. In der Entscheidung wird deutlich, daß bei der Einzelabwägung das zurechenbare ursächliche Verhalten des in Anspruch genommenen Schädigers unter Außerachtlassen aller weiterer, von Dritten verursachter Tatbeiträge mit dem Verantwortungsbeitrag des Geschädigten in Relation gesetzt wird, der sich gerade seinem Verursachungsbeitrag gegenüber als mitursächlich erwiesen hat. Die auf diese Weise ermittelte Mitverschuldungsquote ist bereits früher als "relative" bezeichnet worden, im Gegensatz zur "absoluten", die Ergebnis der Gesamtabwägung ist.

Koch hat anhand mehrerer Beispiele nachgewiesen, zu welch in der Tat eigentümlichen und lebensfremden Überlegungen diese Aufsplitterung des einheitlichen Schadensereignisses führt und führen muß, da an ihm eben nicht zwei, sondern mehrere Personen beteiligt waren114 • Ein Beispiellautet wie folgt: Soldaten haben während eines Manövers ein Telefonkabel vor einem Weideaustrieb am Boden entlang gezogen, anstatt es pflichtgemäß einzugraben. Neben dem Weideaustrieb ist das Kabel mit Hilfe von armdicken, behelfsmäßigen Masten über eine Straße weitergeführt worden. Als der Bauer die Kühe austreibt, stolpert eine Kuh über das Kabel und zieht die behelfsmäßigen Maste um. Das Kabel hängt nun über der Straße. Der Bauer läuft winkend auf die Straße, um einen herannahenden Motorradfahrer zu warnen. Der Fahrer achtet - fahrlässig - nicht auf das Winken, fährt gegen den Draht, den er in Fahrtrichtung mit sich reißt und der den Bauern trifft, zu Boden wirft und verletztlls. Angenommen der ebenfalls verletzte Motorradfahrer verlangt in einem Rechtsstreit von dem für die Soldaten ersatzpflichtigen Staat Schadensersatz. Nach der Lehre des BGH hat sich der Tatrichter ausschließlich mit der Frage zu beschäftigen, inwieweit die Soldaten und inwieweit der Motorradfahrer für dessen Schaden verantwortlich geworden sind. Wie aber soll er hierauf eine Antwort finden, da erst das Verhalten des Bauern die akute Unfallgefahr geschaffen hat? Weder allein das nichtordnungsgemäße Verlegen des Kabels noch die Unachtsamkeit des Motorradfahrers können den Unfall erklären. Die Verursachungsbeiträge beider Personen stehen völlig beziehungslos nebeneinander; sie finden erst zu einer zum Schaden führenden Kausalkette zusammen, wenn als logisches Zwischenglied das Verhalten des Bauern einbezogen wird. Von einem Verschulden des Motorradfahrers läßt sich auch nur sprechen, wenn man das Warnzeichen des Bauern berücksichtigt, das er fahrlässig nicht beachtet hat. 113 114

11s

BGH LM, Nr. 3 zu RheinschiffahrtspolizeiVO. Koch NJW 1967, 181 ff. Ebd., S. 182.

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5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft

Die Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge gern. § 254 läßt sich demnach überhaupt erst vornehmen, wenn man das Verhalten des Bauern bei der Abwägung mit einbezieht. Es ist Koch zuzustimmen, daß alle Abwägungen in Zweierbeziehungen zu einer vom Sachverhalt losgelösten Konstruktion führen 115• Es ist unbestreitbar, daß jede Einzelabwägung es mit sich bringt, eine zusammenhängende Ursachenkette unnatürlich zu zerlegen, eben weil erst die Verbindung aller Glieder dieser Kette das Schadensereignis hat vorstellbar werden lassen. Die Methode der Einzelabwägung spiegelt die Illusion vor, als könne der Schaden einzig und allein als von zwei Personen verursacht erklärt werden. Sie verschließt sich der Besonderheit einer Schadensverursachurig durch mehrere Personen. Hat jeder der Schädiger eine nicht hinwegzudenkende Bedingung i. S. der Adaequanzlehre für den Schaden gesetzt, so muß jeder Versuch bereits im Ansatz scheitern, einen Teil dieser Bedingungen wegzudenken und aus einem verbleibenden Rest zweier Verhaltensweisen ein Schadensereignis erklären zu wollen und zur Basis der Schadensverteilung zu machen. Im Ergebnis bleibt festzustellen, daß die Einzelabwägung denknotwendig zu einer willkürlichen Aufsplitterung eines Lebenssachverhaltes führt. Ist ein Schaden mir auf die Weise zu erklären, daß eine Mehrheit adaequat kausaler Tatbeiträge verschiedener Personen ihn bedingt hat, so geht es nicht an, diese Besonderheit der Schadensverursachung beiseite zu schieben und so zu tun, als wäre sie auch aus einer Zwei-Personen-Beziehung zu erklären116 . Der Satz des BGH, gegen jeden Nebentäter bestehe ein selbständiger Anspruch, ist richtig, vermag aber nicht das Gegenteil zu beweisen. Auch gegenüber jedem Mittäter steht dem Geschädigten ein selbständiger Anspruch zu, ohne daß jemals bezweifelt worden wäre, daß hier eine Gesamtabwägung vorzunehmen ist.

116 Im Ergebnis auch Keuck (AcP 168, 175, 204) und Reinett (Dissertation, S. 42), die jedoch aus anderen Gründen die Einzelabwägung ablehnen. Beide - allerdings mit kontroversen Ergebnissen - glauben die gesonderte Abwägung aufgeben zu müssen, da sie zu einer unbefriedigenden Verschiebung des Insolvenzrisikos führe. Dieser Frage wird noch nachzugehen sein.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

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C. Eigener Lösungsvorschlag: Das Verteilungsverfahren auf der Grundlage einer modifizierten Anwendung der Methode der Gesamtabwägung L Ableitung aus dem Prinzip der Gesamismulcl, § 840 und der Anredmung eigenen Mitversmuldens, § 254

Da für die Frage, wie der Schaden zwischen Nebentätern und einem mitschuldigen Geschädigten zu verteilen ist, das Gesetz keine ausdrückliche Regelung getroffen hat, ist der Versuch einer Lösung zunächst an den gesetzlich geregelten "benachbarten" Haftungsregeln auszurichten. Zum einen sind die Grundsätze zu beachten, die für die Haftung der Nebentäter ohne Mitverschulden des Geschädigten gelten, zum anderen die Bestimmung des § 254, der die Antwort auf die Frage enthält, wie der Schaden zwischen mitschuldigem Geschädigten und einem Schädiger ("dem einen und dem anderen Teile") zu verteilen ist. Wie oben ausgeführt, haftet jeder Nebentäter dem Geschädigten über den eigenen - tatsächlichen - Anteil an der Schadensverursachung hinaus für den insgesamt verursachten Schaden in voller Höhe. Diese Haftung bedurfte keiner besonderen Rechtsgrundlage, da jeder Nebentäter als Täter bereits aus dem jeweiligen Haftungstatbestand verpflichtet ist. Da das Gesetz in § 840 für jede Form der Mehrtäterschaft - also auch für die Nebentäterschaft- die gesamtschuldnerische Haftung anordnet, sind Nebentäter im Außenverhältnis, also gegenüber dein Geschädigten, nicht anders rechtlich zu behandeln als Mittäter oder Beteiligte. Demnach ist gern. § 421 der Geschädigte berechtigt, von jedem Nebentäter Ersatz seines gesamten Schadens zu fordern. Die Verteilung des Schadens erfolgt unter den Gesamtschuldnern erst im Innenverhältnis, wobei deren Anteile gern. § 254 durch eine Wertung zu bestimmen sind. Folge der gesamtschuldnerischen Haftung ist es schließlich, daß das Ausgleichs-'-(Insolvenz-)risiko zu Lasten der Schädiger geht, § 426 I S. 2. § 840 besagt also, daß die Nebentäter - wie Mittäter und Beteiligte infolge der Statuierung der gesamtschuldnerischen Haftung im Interesse des Geschädigten zu einer "Schadenstragungsgemeinschaft" verbunden sind117• Demgegenüber bestimmt§ 254, daß die Frage der Ersatzverpflichtung überhaupt oder aber deren Höhe von der Abwägung der Verursachungsbeiträge und des beiderseitigen Verschuldens abhängt. Obwohl§ 254 die Berücksichtigung des Mitverschuldens gegenüber einem einzigen Schä111

Staudinger - Schäfer § 840 Rn. 45.

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5. Kap.: Verteilungsverfahren bei Nebentäterschaft

diger regelt, ist ihm der allgemeine Gedanke zu entnehmen, dem Geschädigten müsse ein Ausgleich insoweit versagt bleiben, als er ihn durch eigenes zurechenbares Verhalten herbeigeführt hat118 • Beide Prinzipien sind miteinander in Einklang zu bringen; nur sie können Grundlage für das Verteilungsverfahren sein. Aus den vorangegangenen Überlegungen läßt sich ein Verteilungsverfahren ableiten, das auf den folgenden gedanklichen Schritten beruht: - Jeder Nebentäter haftet als Gesamtschuldner dem Geschädigten auf Ersatz des gesamten Schadens, es sei denn, dem Geschädigten ist ein eigenes mitursächliches Verhalten am Schadensereignis zuzurechnen. -

§ 254 ist direkt nicht anwendbar. Die Vorschrift geht von einer

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Bei der entsprechenden Anwendung muß die wesentliche Forderung der Vorschrift: tatsächliche Wertung aller erheblicher Umstände des Schadensereignisses erfüllt werden.

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Dies kann nur auf die Weise geschehen, daß der Anteil des Geschädigten, der geltend zu machen ihm gern. § 254 versagt ist, ermittelt wil'd, indem das zurechenbare Verhalten des Geschädigten in seiner Gesamtheit dem zurechenbaren Verhalten der Schädigermehrheit in seiner Gesamtheit gegenübergestellt und zur Grundlage der Abwägung gemacht wird. Der Gesamt-Mitverschuldensanteil des Geschädigten ist also durch eine Gesamtabwägung zu ermitteln. Die hierbei vorzunehmende tatsächliche Wertung der Verursachungsbeiträge hat alle Besonderheiten des Kausalverlaufs zu beachten . .,Ermittlung einer Gesamtquote" bedeutet keineswegs, daß schematisch etwa die Verursachungsbeiträge aller Nebentäter additiv (wie bei Mittätern) zu erfassen sind. Ob die Tatbeiträge der Nebentäter kumulativ oder nur ein einziges Mal bei der Abwägung in Rechnung zu setzen sind, ist nicht eine Frage des Verteilungsverfahrens, sondern eine selbständig neue Frage des Kausalverlaufs.

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Zwei-Personen-Beziehung aus. Da die Norm Ausfluß des Prinzips von Treu und Glauben ist und den allgemeinen Rechtsgedanken enthält, niemand dürfe den Anteil des Schadens, der ihm zuzurechnen ist, ersetzt verlangen, kann die Vorschrift auf die Fälle einer Mehrheit von Schädigern entsprechend angewandt werden.

Nach Ermittlung der Mitverschuldensquote steht zunächst einmal fest, zu welchem Anteil der Geschädigte Ersatz seines Schadens nicht verlangen kann, und zwar von niemandem. us Erman - Sirp § 254 Anm. 1.

4. Abschnitt: Stellungnahme und eigener Lösungsvorschlag

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Da Nebentäter nicht auf ihren eigenen tatsächlichen Anteil an der Schadensverursachung beschränkt haften, sondern auf vollen Schadensausgleich (wie Mittäter), bedeutet die Ermittlung der Mitverschuldensquote, daß sie insoweit frei, im übrigen aber - hinsichtlich des offenstehenden Restbetrages - gesamtschuldnerisch jeder zum vollen Schadensausgleich verpflichtet sind.

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Gesamtschuldnerische Haftung für diesen Betrag bedeutet: Der Geschädigte kann jeden Nebentäter in ungeteilter Höhe in Anspruch nehmen; durch Erfüllung eines Täters werden die übrigen frei; der in Anspruch genommene Schädiger ist mit dem Insolvenzrisiko gern. § 426 I S. 2 belastet.

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Der Ausgleich unter den Nebentätern erfolgt allein in ihrem Innenverhältnis gern.§ 426. Hierbei ist eine neue tatsächliche Wertung der Verantwortlichkeit aller gern.§ 254 vorzunehmen. IL Vorteile des vorgesdllagenen Verteilungsverfahrens

Das vorgeschlagene Verteilungsverfahren hat den Vorteil methodischer Klarheit und Einheitlichkeit, es ist praktikabel und führt zu gerechten Ergebnissen. Allein eine Gesamtabwägung vermag, und insoweit konnte die Ansicht der h. M. nicht überzeugen, das Prinzip des § 254 mit seiner vorgeschriebenen Wertung in Einklang zu bringen mit den Haftungsgrundsätzen der Nebentäterschaft. Es vermeidet, eine tatsächliche Wertung (aus der Einzelabwägung), deren zumindest bedingte Untauglichkeit die Rechtsprechung erkannt hat, durch eine zweifelhafte mathematische Formel zu korrigieren, mit der Folge, daß die erforderliche tatsächliche Wertung des Gesamt-Mitverschuldensanteils im Ergebnis durch eine schematische Rechenoperation ermittelt wird. Die vorgeschlagene Lösung basiert auf dem anerkannten Grundsatz, daß Nebentäter für den von ihnen zu verantwortenden Schaden in voller Höhe gesamtschuldnerisch haften, und vermeidet eine QuasiQuotenhaftung, wie sie die Rechtsprechung praktiziert. Damit bleibt auch die in § 840 angeordnete Gleichbehandlung aller l