Die Erkenntnis des Schadens und seines Ersatzes [1 ed.] 9783428454280, 9783428054282

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Die Erkenntnis des Schadens und seines Ersatzes [1 ed.]
 9783428454280, 9783428054282

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BURKHARD WILK

Die Erkenntnis des Schadens und seines Ersatzes

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 84

Die Erkenntnis des Schadens und seines Ersatzes

Von

Dr. Burkhard Wilk

DUNCKER&HUMBLOT/BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Wilk, Burkhard: Die Erkenntnis des Schadens und seines Ersatzes / von Burkhard Wilk. - Berlin: Duncker und Humblot, 1983. (Schriften zum bürgerlichen Recht; Bd. 84) ISBN 3-428-05428-8 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten & Hurnblot, Berlin 41 Gedruckt 1983 bei Buchdruckerei Bruno Luck, BerUn 65 Printed in Gerrnany

© 1983 Duncker

ISBN 3 428 054288

Meinen Eltern und meiner Frau

Inhaltsverzeichnis Einleitung ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Erstes KapiteL

tlberblick über die in der Rechtspredlung angewandten Methoden der Sdladensermittlung und ihre Grundlagen I. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

15

1. Konkrete Schadensberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

17

2. Abstrakte Schadensberechnung im Sinne des § 252 BGB ........

17

3. Die Vorteilsausgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

19

4. Die Drittschadensliquidation ....................................

20

II. Die Lehre vom objektiven Schaden ................................

21

1. Abstrakte Schadensberechnung .................................

21

2. Der Einfluß der objektiven Schadenslehre auf die Rechtsprechung 24 a) Merkantiler Minderwert .....................................

25

b) Entgangene Gebrauchsvorteile ..............................

25

c) Hypothetische Kausalität ....................................

26

d) Die zweite Schadensberechnungsmethode bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten ................................. 28 e) Sogenannte Gema-Rechtsprechung ..........................

29

III. Die Lehre vom normativen Schaden .......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

30

1. Schadensersatzanspruch des verletzten Arbeitnehmers trotz Lohn-

fortzahlung ....................................................

31

2. Behinderung der verletzten Ehefrau in der Haushaltsführung . ...

31

IV. Der "dualistische Schadensbegriff" .................................

32

8

Inhaltsverzeichnis 1. Ersatz der sogenannten Fangprämie ............................

33

2. Ersatz von Vorsorge- oder Vorhaltekosten eines Reservefahrzeuges ......................................................... 33

Zweites Kapitet

Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen der Rechtsprechung zur Schadenserkenntnis I. Die Verneinung der Realität und der Erfahrung durch die idealistische Philosophie .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

1. Vorbemerkung.................................................

35

2. Identität von Denken und Sein. . ... . .. . ...... .... ... .. . .. .. . .. ..

35

3. Die dialektische Methode ......................................

39

4. Die Erkenntnis apriori .........................................

42

5. Die phänomenologische Methode ................................

46

6. Zusammenfassung..............................................

50

11. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie als Produkt der Konstruktionsjurisprudenz ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

1. Vorbemerkung.................................................

50

2. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie als Ganzheitslehre ......

51

a) Das Vermögen als "Werteinheit" ............................

51

b) Der Schaden als Minderung des Vermögens als "Ganzem" .... aa) Die Verneinung einzelner realer Nachteile. .. . .. . .. . .. . . .. bb) Der Schaden als "rechnerische Differenz" ................ ce) Die Lehre Mommsens ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. dd) Die "reine Differenzhypothese" .......................... ee) Ganzheitsbetrachtung statt konkreter Schadensberechnung

54 54 58 59 63 64

c) Zusammenfassung ..........................................

68

3. Die Identität von Schaden und Vermögensschaden ..............

69

4. Der Interessebegriff als apriorische Konstruktion ................

72

5. Keine Übernahme des Interessebegriffs in das Bürgerliche Gesetzbuch .......................................................... 76 IH. Ablösung der Konstruktionsjurisprudenz durch die teleologischnormative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht . ... ... .. .... . ..

80

Inhaltsverzeichnis 1. Die Vorbereitung der normativen Schadenslehre durch die Lehre

9

vom objektiven Schaden ........................................

80

a) Vorbemerkung ..............................................

80

b) Der "Rechtsverfolgungszweck" als Ausgangspunkt der Lehre vom objektiven Schaden .................................... aal Der "Rechtsverfolgungszweck" als Idee .................. bb) Rechtsverfolgung statt Schadensersatz .. . .. . . . . . . . . . . . . . .. cc) Strafe statt Schadensersatz .............................. dd) Zusammenfassung ......................................

80 80 82 85 87

c) Der Schadensbegriff als "Zweckbegriff" ......................

87

d) Interessenschutz statt Schadenserkenntnis .................... aal Schutzwürdigkeit der beeinträchtigten Rechtsgüter ...... bb) Vermögenswerte Güter als geschützte Güter ............

92 92 96

e) Der "gegliederte Schadensbegriff" ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 102 f) "Objektivierung" des Schadensersatzes ...................... aal Absage an § 249 S. 1 BGB .............................. bb) Verneinung des individuellen Schadens und Schadensersatzes ................................................. cc) Der "normative Charakter" des objektiven Werts ........ dd) Zusammenfassung ......................................

107 107 110 116 119

2. Die Lehre vom normativen Schaden ............................ 119 a) Die Leerformel "normativer Schadensbegriff" ................ 119 b) Die "Normativität" des "dualistischen Schadensbegriffs" ...... 122 c) Die Ermittlung des normativen Schadens .................... 124 aal Die "wertende Betrachtungsweise" ...................... 124 bb) "Konkretisierung" des Schadensbegriffs .................. 126 d) "Wertungsgesichtspunkte" der normativen Schadenslehre .... aal Der "Ausgleichszweck" .................................. bb) Die Ergänzung des "Ausgleichszwecks" .................. cc) Die "Billigkeit" als maßgeblicher "Wertungsmaßstab"

128 128 129 134

e) Richterliche Schöpfung des "normativen Schadensbegriffs"

137

f) Zusammenfassung .......................................... 142

Drittes KapiteL

Eigene Auffassung zur Erkenntis des Schadens und seines Ersatzes auf der Grundlage einer empirisch-realistischen Erkenntnislehre 1. Vorbemerkung ....... . ............................................ 143

10

Inhaltsverzeichnis

I!. Empirisch-realistische Begriffsbildung ............................. 144 II!. Einzelnachteile statt Ganzheitsschaden ............................ 147 IV. Der Begriff des individuellen und realen Nachteils .. . . . . . . . . . . . . . . .. 150 V. Der Vermögensschaden als Schaden besonderer Art ................ 155 VI. Die Erkenntnis des Inhalts der Schadensersatzpfticht .............. 158 1. Der Inhalt der Schadensersatzpfiicht ............................ 158

2. Die Abhängigkeit des Inhalts der Schadensersatzpfiicht von dem eingetretenen Schaden .......................................... 161 3. Die Methode des Vergleichs .................................... 165 4. Die Individualität des Inhalts der Schadensersatzpfticht und seiner Erkenntnis ................................................. 168

Sdllußbemerkung ..................................................... 172 Literaturverzeichnis ................................................... 174 Register .............................................................. 186

Abkürzungsverzeichnis a.A. aaO Abs. AcP AK-BGB Allg. T. ALR

anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz Archiv für die civilistische Praxis Alternativkommentar zum BGB Allgemeiner Teil Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten von

a.M. Anm. AöR AP ArchBürgR Art. Aufl.

anderer Meinung Anmerkung Archiv für öffentliches Recht Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts, Arbeitsrechtliche Praxis Archiv für Bürgerliches Recht Artikel Auflage

BAG BayObLG BB Bearb. Bd. BGB BGH BVerfG bzw.

Bundesarbeitsgericht Bayrisches Oberstes Landgericht Betriebs-Berater Bearbeiter Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Bundesverfassungsgericht beziehungsweise

DAR DB ders. d.h. Diss.

Deutsches Autorecht Der Betrieb derselbe das heißt Dissertation

f., ff. Fn.

folgende Fußnote

Gema

Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und Vervielfältigungsrechte Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von J. A. Gruchot

GG Gruchot HGB

1794

HandelsgesetzbuCh

i. S.

im Sinne

JA JhJb

Juristische Arbeitsblätter Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts

12

Abkürzungsverzeichnis

JR JuS JZ

Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristenzeitung

Kap. Kfz. KGZ

Kapitel Kraftfahrzeug Kammergericht (Zivilsachen)

LG LM

Landgericht Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs

MDR MünchKomm m.w.N.

Monatsschrift für Deutsches Recht Münchner Kommentar mit weiteren Nachweisen

NJW Nr.

Neue Juristische Wochenschrift Nummer

OLG

Oberlandesgericht

RG Rn.

Reichsgericht Randnummer

S.

sog. StudK-BGB

Satz oder Seite siehe auch Sachenrecht Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Schuldrecht Süddeutsche Juristenzeitung sogenannt Studienkommentar zum BGB

u.a. usw.

unter anderem und so weiter

v.

Vorbem.

von oder vor Versicherungsrecht vergleiche Vorbemerkung

WM WS

W ertpapier-Mitteilungen Wintersemester

z.B. ZfRV zit. ZPO ZRP

zum Beispiel Zeitschrift für Rechtsvergleichung zitiert Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik

s. a.

SachR SAE SchR SJZ

VersR

vgl.

Einleitung In schadensersatzrechtlichen Arbeiten ist es üblich geworden, auf die "verworrene Lage"1, den "desolaten Zustand"2, die "Systemlosigkeit"3, die "Begriffsverzerrungen" und den "Kriterienwirrwarr" im Schadensersatzrecht hinzuweisen4 , die "Richtungslosigkeit und Unberechenbarkeit"5 einer "diffusen, innerlich unwahrhaftigen Rechtsprechung"iI zu beklagen oder vor gefährlichen Tendenzen zu warnen 7 • An anderer Stelle heißt es, daß "die Praxis sich von Fall zu Fall ,durchwurstelt' "8 und ebenso wie die Lehre keine "einheitliche Linie erkennen" läßt9 • Die Zusammenstellung der genannten Wendungen, die sich beliebig fortsetzen ließe, beschreibt zutreffend den bedenklichen Zustand, in dem sich das Schadensersatz recht befindet. Ausschlaggebend für diesen Zustand ist die Verwirrung, die bezüglich der Begriffe Schaden, Vermögensschaden und Schadensersatz herrscht. Methodisches Erkennen des Schadens, Vermögensschadens und des Inhalts der Schadensersatzpflicht ist danach schon dem Ansatz nach ausgeschlossen. Ohne Klärung der darauf bezogenen Begriffe gibt es keinen Ausweg aus der beklagten Krise des Schadensersatzrechts. Die Bedeutung dieser Begriffe kann - entgegen einer im Vordringen befindlichen Aufassung 1'o nicht hoch genug eingeschätzt werdenl l • Keuk, S. 14. Lieb, JZ 1971, 358; vgl. aber auch Staudinger / Medicus (Vorbem. zu §§ 249 - 254, Rn. 31), der nicht gerade von einem desolaten Zustand sprechen 1

2

will, obwohl sich das Schadensersatzrecht "in beträchtlicher Unruhe" befinde. 3 4 5

8

7 S

9

Ströter, S. 21. Hagen, Festschrift für Larenz, S. 877. Hans StoH, JZ 1975, 252. Hans StoH, Begriff, S. 36. Vgl. nur Hamman, Vorwort. Grunsky, JZ 1973, 427. AK-BGB-Rüßmann, vor §§ 249 - 253, Rn. 8. Vgl. auch SchHcher, Vor-

wort: "Vergeblich sucht man in diesem Irrgarten von Lehren und Begriffen, Prinzipien und Regeln, Grundsätzen und Ausnahmen nach einem roten Faden". 10 Hagen, Festschrift für Hauß, S. 100; Setb, AcP 173, 367; Schiemann, S. 1 f., 185; vgl. auch Staudinger / Medicus, Vorbem. zu §§ 249 - 254, Rn. 32;

Ströter, S. 21. 11

Wie hier Wott, Festschrift für Schiedermair, S. 546; Gottwatd, S. 40 f.

14

Einleitung

Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist der Versuch, die Gründe für die verworrene Lage des Schadensersatz rechts zu bestimmen. Im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen die auf idealistischen Auffassungen beruhenden erkenntnistheoretischen uIid methodischen Grundlagen der in der Rechtsprechung bei der Schadenserkenntnis vertretenen Schadenslehren. Die Gründe für die Verwirrung im Schadensersatzrecht sind im wesentlichen in diesen zugrundegelegten Lehren zu suchen. Im Anschluß an die grundsätzliche Auseinandersetzung mit den in der Rechtsprechung vertretenen Schadenslehren wird die eigene Auffassung zur Erkenntnis des Schadens und seines Ersatzes dargelegt. Sie beruht auf einer empirisch-realistischen Wissenschaftslehre. Die Erkenntnis des Schadens und seines Ersatzes wird damit auf eine neue erkenntnistheoretische Grundlage gestellt. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich im wesentlichen mit begrifflichen und methodischen Grundfragen. Schadensersatz rechtliche Sonderprobleme konnten nur beschränkt berücksichtigt werden.

Erstes Kapitel

Uherhlick üher die in der Rechtsprechung an gewandten Methoden der Schadensermittlung und ihre Grundlagen I. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie1 Die Rechtsprechung wendet bei der Ermittlung des zu ersetzenden Schadens grundsätzlich die Gesamtvermögensdifferenztheorie an. Danach soll "der Schaden, von dem in §§ 249 ff. BGB ausgegangen" werde, "in dem Unterschied zwischen der Vermögenslage des Betroffenen, wie sie sich infolge des schadensstiftenden Ereignisses gestaltet" habe, "und seiner Vermögenslage, wie sie ohne dieses Ereignis bestehen würde", liegen2 • Durch einen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorzunehmenden Vergleich3 "des wirklichen Vermögensstandes mit dem" "hypothetischen Vermögensstand" werde der Vermögensschaden erfaßt und seine geldmäßige Höhe bestimmt'. Diese "Differenzrechnung"5, nach der "die gesamte Vermögensentwicklung und nicht nur ein Ausschnitt aus dieser Entwicklung" zu berücksichtigen sei6 , ergebe danach nicht nur, "ob überhaupt ein Schaden entstanden" sei, sondern auch, "wie hoch sich derselbe belaufe"7. Grundlegend für die in Rechtsprechung und Lehre vertretene Gesamtvermögensdifferenztheorie ist der von Puchta und Mommsen formulierte Interessebegriff8. Nach Mommsen ist das "Interesse" "die Dif1 Die Gesamtvermögensdifferenztheorie wird auch Differenzhypothese, Differenztheorie, Differenzschadenstheorie oder Interessetheorie genannt (vgl. Weychardt, Schadensbegriff, S. 25). 2 BGH 40, 347; 27, 183 f. m. w. N.; Zusammenstellung der Rechtsprechung bei Weychardt, Schadensbegriff, S. 31 ff. m. w. N. 3 BGH 11, 26; 54, 49 m. w. N. 4 BGH 45, 218. 5 BGH 45, 218. 6 LG Hechingen NJW 1965, 1916 m. w. N.

Fischer, S. 21. Vgl. Wieling, S. 24 f.: Die "Formel" von der "Differenztheorie taucht um die Mitte des 19. Jahrhunderts nahezu gleichzeitig bei mehreren Autoren 1

8

auf. Zuerst erscheint diese Ansicht wohl bei Puchta, dann wird sie bei Sintenis und Arndts erwähnt. Friedrich Mommsen baute sie in seiner grundlegenden Monographie über das Interesse zu einer neuen Lehre aus". "Ob das Aufkommen der Differenztheorie durch die Lehre Hotmans beeinfiußt ist, bleibt ungewiß. Mommsen kannte die Formel Hotmans, die anderen erwähnen sie nicht".

16

1. Kap.: Methoden der Schadensermittlung und ihre Grundlagen

ferenz zwischen dem Betrage des Vermögens einer Person, wie derselbe in einem gegebenen Zeitpunkte" sei, "und dem Betrage, welchen dieses Vermögen ohne die Dazwischenkunft eines bestimmten beschädigenden Ereignisses in dem zur Frage stehenden Zeitpunkte haben würde. Die Zeit, nach welcher diese Differenz berechnet" werde, sei "die Zeit des Urtheils"u. Der Interessebegriff Mommsens und Puchtas soll nach überwiegender Auffassung als Schadensbegriff bzw. Vermögensschadensbegriff ins Bürgerliche Gesetzbuch übernommen worden und von der Rechtsprechung auch nach Erlaß des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Ermittlung von Vermögensschäden herangezogen worden sein10. Der Interessebegriff beruht, wie noch im einzelnen gezeigt werden soll, auf dem Konzept der in der Mitte des 19. Jahrhunderts von Puchta in Anlehnung an v. Savigny entwickeltenl1 Konstruktionsjurisprudenz 12 , die fälschlicherweise auch Begriffsjurisprudenz genannt wird 13 • Grundlegend für die Konstruktionsjurisprudenz als juristische Methodenlehre ist die von Puchta vertretene "Genealogie der Begriffe". Nach der Lehre Puchtas ist jeder Rechtsbegriff mit anderen Rechtsbegriffen durch gemeinsame Abstammung verwandt. "Als Produkt einer wissenschaftlichen Deduktion" lasse sich die Stellung des Begriffs in diesem System des Rechts genealogisch "auf- und abwärts" verfolgen l 4, wobei man "diese Leiter nicht als ein bloßes Schema von Definitionen betrachten" dürfe. "Jeder dieser Begriffe" sei vielmehr "ein lebendiges Wesen, nicht ein totes Werkzeug, das bloß das Empfangene weiter" befördere. "Jeder" sei "eine Individualität, unterschieden von der Individualität seines Erzeugers, wie sich auch bei seinem Erzeugten wieder das Anerzeugte mit einem neuen Element, welches man, um im Gleichnis zu bleiben, das mütterliche nennen" könne, "zu einer eigenen Lebenskraft" verbinde15. "Aufgabe der Wissenschaft" sei es, "die Rechtssätze in ihrem systematischen Zusammenhang, als einander bedingende und von einander abstammende, zu erkennen, um die Genealogie der einzelnen bis zu ihrem Princip hinauf zu verfolgen, und eben so von den Principien bis zu ihren äußersten Sprossen herabsteigen zu können"18. Mommsen, S. 3; Puchta, Pandekten, § 225. Vgl. Weychardt, Schadensbegriff, S. 30 ff. m. w. N. 11 Vgl. dazu Staudinger / Coing, Einleitung, Rn. 176 ff.; vgl. dazu auch Hammen, S. 50 f. 12 Nach HonseH (JuS 1973, 71) ist die "Differenztheorie" ein "typisches Gebilde der Begriffsjurisprudenz"; a. A. Hans StoU, Begriff, S. 15 f. 13 Wolf, Allg. T., § 17 B IV (683) m. w. N. 14 Puchta, Institutionen I, § 15, S. 37; § 33, S. 101; vgl. auch v. Stephanitz, 9

10

S.106. 15 16

Puchta, Institutionen I, § 33, S. 101. Puchta, Institutionen I, § 15, S. 37.

I. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie

17

Die Konstruktionsjurisprudenz weist viele Bezüge zur deutschen idealistischen Philosophie, insbesondere der Philosophie Kants17 auf. Das zeigt sich nicht nur darin, daß die "Konstruktion" der Begriffe im Sinn der Philosophie Kants der genealogischen Begriffsbildung Puchtas entspricht18• Hinzu kommt, daß das oberste "Rechtsprinzip" oder "Axiom" des "Systems" der Konstruktionsjurisprudenz, aus dem alles deduziert werden soll, im kantischen Freiheitsbegriff bestehtu. Damit beruht der Interessebegriff Puchtas und Mommsens, wie noch dargelegt wird, letztlich auf idealistischen Grundlagen. 1. Konkrete Sehadensberedmun«

Das Verfahren der Schadensermittlung nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie, mit dem nicht nur das Vorliegen eines Schadens, sondern auch dessen Höhe bestimmt werden soll, wird auch als "konkrete Schadensberechnung" bezeichnet20 ; "konkret" wird dabei mit individuell gleichgesetzt21 • Maßgebend sei bei dieser "Schadensberechnung" "die tatsächliche, sich aus der eingetretenen Verminderung des Vermögens (damnum emergens) und seiner ausbleibenden Vermehrung (lucrum cessans) zusammensetzenden Einbuße in der individuellen Situation des Geschädigten"22. Dieser "konkreten Berechnung des Schadens", nach deren Inhalt es wesentlich auf das Vermögen einer bestimmten Person und auf dessen tatsächliches Schicksal ankommen soll%3, entspricht die Bezeichnung des ermittelten Schadens als "subjektiver"lU oder "konkreter Schaden"26. 2. Abstrakte Sdladensberedmung im Sinne des § 252 BGB

Nach der Rechtsprechung soll es bei der Bemessung des entgangenen Gewinns im Rahmen des § 252 BGB neben der "konkreten Methode", 17 Zum Einfluß Kants auf die Konstruktionsjurisprudenz vgl. Kiefner, S. 24; Wolf, Grundlagenkritik, S. 65 f., 69. 18 Vgl. v. Stephanitz, S. 106 ff., s. a. 101 ff.; Bohnert, S. 155. lU Puchta, Institutionen I, § 2, S. 4; § 15, S. 36; Leinemann, S. 50; Bohnert,

S. 157 f.

20 Rabel, S. 449; Palandt / Heinrichs, Vorbem. v. § 249, Anm. 4; vgl. auch Hansen, Normativer Schadensbegriff, S. 22. !1 Hansen, Normativer Schadensbegriff, S. 22; Medicus, JuS 1979, 235. t2 Jauernig / Teichmann, vor §§ 249 - 253, VII 1; Hansen, Normativer Schadensbegrift, S. 22. U Rabel, S. 449; Bydlinski, S. 26: "Der Schaden der Düferenztheorie wird

konkret. und subjektiv bestimmt, also unter Berücksichtigung aller tatsächlich bestehenden besonderen Umstände im Vermögen gerade des in seinen Rechten oder geschützten Interessen Verletzten". 24

25

Fischer, S. 14; Neuwald, S. 12. RG 91, 33; Rabel, S. 473.

2 Wllk

1. Kap.: Methoden der Schadensermittlung und ihre Grundlagen

18

"bei der der Geschädigte nachweist, daß er durch die unerlaubte Handlung an der Durchführung bestimmter Geschäfte gehindert worden" "und daß ihm wegen Nichtdurchführbarkeit dieser Geschäfte Gewinn entgangen" sei26 , eine zusätzliche Möglichkeit der Schadensermittlung27 geben, die die Rechtsprechung "abstrakte Schadensberechnung" nennt28 . Diese "abstrakte Methode"29, die sich aus dem Wortlaut des § 252 BGB ergeben soll, wonach der entgangene Gewinn nicht nur nach den besonderen Umständen, sondern auch nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu ermitteln sei30, komme "in der Regel nur für Kaufleute in Betracht"31. Dabei sei "von dem regelmäßigen Verlauf im Handelsverkehr" auszugehen, "daß der Kaufmann gewisse Geschäfte im Rahmen seines Gewerbes" tätige "und daraus Gewinne" erziele32 . Die volle Gewißheit, daß der Gewinn gezogen worden wäre, sei nicht erforderlich33• Vielmehr sei "prima facie" der "typische Gewinn", d. h. der Gewinn, der typischerweiseM "nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge" zu erzielen gewesen wäre, bei der Schadensbestimmung zu unterstellen3.'5. Es soll sich mithin lediglich um eine im Rahmen des § 287 ZPO liegende Beweiserleichterung handeln, bei der der Gegenbeweis, daß der Gewinn aus irgendwelchen Gründen nicht gemacht worden wäre, zulässig sein S01l3O. Da mit Zulassung des Gegenbeweises auf die individuellen Verhältnisse des Geschädigten Rücksicht genommen wird37, bezeichnet man die abstrakte Berechnung des entgangenen Gewinns auch als "konkrete Berechnung"38. BGH 29, 399; MünchKomm-GTunsky, § 252, Rn. 11. BGH NJW 1980,1743; BGH 29,399. 28 BGH 29, 399; BGH NJW 1980, 1743; vgl. dazu auch Lange, Schadensersatz, § 6 X 5 (214 ff.; LaTenz, SchR I, § 29 III a (469 ff.); Schulte, S. 38 m.w.N. 20 BGH 29, 399. 30 WeychaTdt, Schadensbegriff, S. 87; MünchKomm-Grunsky, § 252, Rn. ll. 31 BGH NJW 1980, 1743; BGH 62, 105; a. A. MünchKomm-Grunsky, § 252, 28

Z7

Rn.13.

BGH 29, 399. BGH 29, 398; RG 68, 165. 34 MeTtens, S. 76 Fn. 76 und S. 220 ff. nennt diese Berechnung "abstrakttypisierende Schadensberechnung" ; ebenso Schulte, S. 41. 35 BGH 62,105 f.; Schulte, S. 38. 38 BGH 29, 397 f.; LaTenz, SchR I, § 29 III (469); a. A. Wolf, SchR I, § 4 G II f 3 ff (242 f.); StaudingeT I WerneT, § 252, Rn. 8 ff. Beim Handelskauf hat die Rechtsprechung allerdings von der Möglichkeit, die Vermutung zu entkräften, daß der Kaufmann durch einen Weiterverkauf den berechneten Gewinn hätte erzielen können, "nur spärlich Gebrauch" gemacht (KnobbeKeuk, VersR 1976, 404 m. w. N.; WeychaTdt, Schadensbegriff, S. 90 m. w. N.). So soll der Kaufmann den entgangenen Weiterverkaufsgewinn auch dann erhalten, wenn er die nicht gelieferte Ware für den Eigengebrauch eingekauft hat (RG 105, 294 f.; OLG Düsseldorf, BB 1953, 129). Kritisch dazu KnobbeKeuk, VersR 1976, 404. 37 WeychaTdt, Schadensbegriff, S. 87. Im Unterschied dazu vertritt vor allem die objektive Schadenslehre die Auffassung, daß "die abstrakte Scha3!

33

I. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie

19

3. Die Vorteilsausgleichung

Aus dem Begriff des Schadens als Gesamtvermögensdifferenz folgern die Vertreter der Gesamtvermögensdifferenztheorie die Geltung des "ungeschriebenen Rechtssatzes" der Vorteilsausgleichung3'. Die Vorteilsausgleichung als ein "dem Schadensersatzrecht innewohnendes und eigentümliches Prinzip"oMI habe zum Inhalt, daß ein Vorteil, der durch das schädigende Ereignis gleichzeitig bedingt werde, bei der Schadensberechnung als "schadensmindernder Faktor" anzurechnen sei41 • Der Wert des Vorteils sei als Rechnungsposten in die "Differenzrechnung" einzusetzen42 • In diesem Sinne führte auch schon Mommsen aus, daß "in der That" "die Differenz zwischen dem gegenwärtigen Vermögensbestande des Beschädigten und dem Betrage, welchen dieses Vermögen ohne Dazwischenkunft des beschädigenden Ereignisses gehabt hätte, nur in dem Schaden nach Abzug des lucrum" bestehe 43 • Als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Vorteilsausgleichung wurde in der älteren Rechtsprechung gefordert, daß Vorteile nur angerechnet werden können, wenn ihre Entstehung in adäquatem Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis steht44, Darüber hinaus ist in der "neueren Rechtsprechung" als "Einschränkung für die Vorteilsanrechnung" - "mindestens für bestimmte Anspruchsarten -" der "Gedanke entwickelt worden, daß nur solche Vorteile als anrechenbar in Betracht zu ziehen" seien, "die gerade mit dem geltend gemachten Nachteil in einem qualifizierten Zusammenhang" stehen; dieser Zusammenhang verbinde "beide, Vorteil und Nachteil", "gewissermaßen zu densberechnung des Verkäufers" typisierter Declrungsverkauf, die des Käufers typisierter Deckungskauf sei, mit der Folge, daß der objektive Wert (Marktwert) der nicht erbrachten Leistung, als Mindestschaden auf jeden Fall verlangt werden könne. Vgl. v. Caemmerer, S. 8 m. w. N.; Steindorff, AcP 158, 431 ff., 459 ff.; Weychardt, Schadensbegriff, S. 88 m. w. N. 38 BGH 44, 379; Weychardt, Schadensbegriff, S. 87. In der Literatur wird die Bezeichnung der Berechnung des entgangenen Gewinns als "abstrakte Schadensberechnung" als "unglücklich" empfunden (vgl. v. Caemmerer, S. 9 Fn. 22); Larenz, SehR, I § 29 III a (471) und Knobbe-Keuk, VersR 1976, 405 m. w. N. schlagen vor, den Ausdruck "abstrakte Schadensberechnung" den Fällen des pauschalierten Mindestschadensersatzes vorzubehalten. 39 RG 146, 278. 40 BGH 9, 190. 41 Jauernig / Teichmann, vor §§ 249 - 253, VI 1 m. w. N.; Thie~e, AcP 167, 194f. 4% Thie~e, AcP 167, 195 m. w. N.; Brox, SchR I, Rn. 344; Lange, JuS 1978, 649. 43 Mommsen, S. 192. 44 RG 133, 223; 146, 278; 130, 261; vgl. auch Lange, Schadensersatz, § 9 II (302) m. w. N. Nach BGH 8, 329 soll damit aber "noch nicht entschieden" sein, "ob eine Anrechnung zu erfolgen hat, sondern nur, daß eine Anrechnungsmöglichkeit nicht als inadäquat ausscheidet".

1. Kap.: Methoden der Schadensermittlung und ihre Grundlagen

20

einer Rechnungseinheit"4li. "Wenn beide" - Vorteil und Nachteil "einem einheitlichen Ursprung zugerechnet werden sollen", müsse zudem "ein gewisser zeitlicher Zusammenhang zwischen dem schädigenden und dem vorteilhaften Ereignis" gewahrt sein4e • Unter dem Eindruck der Lehre vom "normativen Schadensbegriff" berücksichtigt die Rechtsprechung des weiteren "Sinn und Zweck der Ersatzpflicht"47 und "Gesichtspunkte einer Wertung nach Risikosphären"; insbesondere dürfe "keine ungerechtfertigte Entlastung des Schädigers" eintretena. Die Rechtsprechung ist deshalb bemüht, "Fallgruppen zu bilden und ihrer jeweiligen Eigenart durch möglichst spezielle Wertungsmaßstäbe Rechnung zu tragen"49. 4. Die Drittsdladensliquidation

Neben den Fällen der (versagten) Vorteilsausgleichung ist in der Rechtsprechung als Ausnahme einer konsequent durchgeführten Schadensermittlung nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie die Lehre von der Drittschadensliquidation entwickelt worden. Danach soll "in Abweichung von dem Grundsatz, daß Schadensersatz nur beanspruchen" könne, wer einen "Schaden erlitten" habe, "unter bestimmten Umständen. einer Vertragspartei das Recht" zustehen, "den Schaden eines Dritten als eigenen Schaden geltend zu machen"so. Der nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie selbst nicht geschädigte Verletzte könne also ausnahmsweise Ersatz eines Schadens verlangen, den nicht er selbst, sondern an seiner Stelle ein Dritter erlitten habe, weil der Schaden, der normalerweise bei dem Verletzten eingetreten wäre, auf Grund einer besonderen Sachlage nicht bei ihm, sondern bei einem Dritten eingetreten sei51 • Dabei müsse allerdings beachtet werden, daß nur ein Schaden entstanden sei, weil "das Recht zur Liqudation des Drittschadens" "nicht zu einer Vermehrung der vom Verletzer zu befriedigenden Geschädigten und damit zu einer Erweiterung der nach Gesetz oder Vertrag begründeten Schadensersatzpflicht führen" dürfe. Das "Prinzip des Schadensersatzes" verlange lediglich Ersatz des dem BGH 77, 154 unter Bezugnahme auf BGH NJW 1979, 760. BGH 77,156 m. w. N. 47 BGH 10, 108; 30, 33. 48 BGH 77, 153 m. w. N. 4D BGH 77, 154. 50 BGH 40, 100 m. w. N. Die Drittschadensliquidation ist in der Rechtsprechung bisher in den Fällen der "mittelbaren Stellvertretung", bei sog. "obligatorischer Gefahrenentlastung" und bei "Obhutpflichten für Sachen eines Dritten" zugelassen worden; vgl. BGH 40, 100; OLG Hamm NJW 1970, 1793; Lange, Schadensersatz, § 8 III (281 ff.); LaTenz, SchR I, § 27 IV b (428 ff.); PeteTs, AcP 180, 329 ff. 51 LaTenz, SchR I, § 27 IV b (427); BGH 40, 106. 46

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H. Die Lehre vom objektiven Schaden

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Berechtigten tatsächlich entstandenen Schadens, nicht aber eine von dem Schädiger zu leistende "Sühne"52.

D. Die Lehre vom objektiven Schaden 1. Abstrakte Sdladensberedlnunc

Bedeutenden Einfluß auf die Rechtsprechung hat die Lehre vom objektiven Schadenli3 , die von Neuner in seiner Abhandlung "Interesse und Vermögensschaden" begründet wurde5". Nach Neuner ist es die "weitaus einfachste und wohl auch am Nächsten liegende überwindung der Schwierigkeiten", die nach seiner Auffassung der Interessebegriff mit sich bringe, "wenn man den Vermögensschaden anders definieren würde, nämlich als Verletzung eines vermögenswerten Interesses, das heißt eines Gutes, das gegen Geld erworben und veräußert" werde, "und dieses Interesse objektiv bewerte"55. Diese Definition des Vermögensschadens und die Berechnung des Schadens nach dem objektiven Wert des verletzten Rechts oder Rechtsgutes soll nach Neuner aber nur für den unmittelbaren Schaden, d. h. für den am unmittelbar geschützten Rechtsgut eingetretenen Schaden Geltung haben. Für alle folgenden Schäden, die sogenannten mittelbaren Schäden, sei ausschließlich die Differenztheorie maßgebend" (sog. gegliederter Schaden)57. Der objektive Wert des unmittelbar beeinträchtigten Gutes sei in jedem Fall als Mindestschaden zu ersetzen58 • . Die Bewertung des unmittelbar beeinträchtigten Rechts oder Rechtsgutes nach dem "objektiven Wert" wird von den Vertretern der objektiven Schadenslehre "abstrakte"59 oder "objektive Schadensberechnung"60 genannt. Der abstrakten Schadensberechnung, bei der es sich BGH 40, 106 f. Vgl. Hagen, Drittschadensliquidation, S. 46. 54 Neuner, AcP 133, 277 ff. Der Auffassung Neuners haben sich im Schrifttum - teilweise mit gewissen Einschränkungen,· Abweichungen oder anderen Begründungen - vor allem Wilburg, Jh.Jb 82, 125 ff.; Bydlinski, S. 24 ff.; Niederländer, JZ 1960, 620; Nörr, AcP 158, 7; Rabel, S. 450ff.; Neumann, JhJb 86, 277 ff.; Larenz, NJW 1950, 490 ff.; ders., VersR 1963, 1 ff.; Coing, SJZ 1950, 865 ff. angeschlossen. Steind01'/f, AcP 158, 431 ff., insbesondere S. 448 ff., der sich ebenfalls auf Neuner beruft, wird auch als Vertreter des normativen Schadens bezeichnet; vgl. Mertens, S. 76 ff.; Becker, S. 17 Fn. 56. 55 Neuner, AcP 133, 290. 58 Neuner, AcP 133,296,313. 51 Ausdruck von Larenz, VersR 1963, 1; Wilburg, JhJb 82, 128 spricht vom "Aufbau des Schadens auf zwei Elemente". 58 Neuner, AcP 133, 293, 295, 301 f.; Wilburg, Jh.Jb 82,128 ff. 50 Neuner, AcP 133, 302 nennt die "abstrakte Schadensberechnung" einen "Modus", den "objektiven Wert" festzustellen. eoBydlinski, S. 26 f. 52

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1. Kap.: Methoden der Schadensermittlung und ihre Grundlagen

um die Bestimmung der Schadensersatzleistung in Geld handelt, und die die Erkenntnis des Vorliegens eines Schadens voraussetzt6!1, liegt also die Auffassung von einem gegliederten Schaden zugrunde62 . Dem entspricht es, wenn mit dem Ausdruck abstrakte Schadensberechnung üblicherweise jene Fälle gekennzeichnet werden, in denen von einem Pauschalbetrag als Mindestposten bei der Schadensermittlung ausgegangen wird, und dieser Pauschalsatz auch dann geschuldet werden soll, wenn feststehe, daß die tatsächlich eingetretene Vermögensminderung des Betroffenen hinter diesem Betrag zurückgeblieben wäre6S • Damit wird nicht nur der Unterschied zur abstrakten Berechnung nach § 252 BGB deutlich; es zeigt sich zudem, daß es für diese abstrakte Schadensberechnung kennzeichnend ist, daß ein Vermögensschaden im Sinne der Gesamtvermögensdifferenztheorie nicht vorzuliegen braucht6'. Man nennt diese Berechnungsmethode deshalb im Anschluß an Mertens auch "abstrakt-normative Schadensberechnung"65, die von der "abstrakten" oder "abstrakt-typisierenden" Schadensberechnung im Sinne von § 252 BGB zu unterscheiden sei-. Ausgangspunkt der Lehre vom objektiven Schaden ist der rechtsverfolgende "Zweck" oder die "rechtsverfolgende Funktion" des Schadensersatzrechts61 , die auch mit einer "Sanktionsfunktion"68, "Bußfunktion"611, " Genugtuungsfunktion"7o, "Straffunktion"71 und einem "Präventionszweck"72 in Verbindung gebracht oder durch diese ersetzt wur81 Vgl. auch Rinne, S. 67.

81 Vgl. Steindorff, AeP 158, 451, 448, 459. Nach Lange (Schadensersatz, § 6 XI e [223]) wird dementsprechend in der Rechtslehre der Gegensatz von konkreter und abstrakter Schadensberechnung mit einer "Gliederung des Schadensbegrtlfs" in Verbindung gebracht. Schulte (S. 30 Fn. 72) stellt bei dieser Berechnungsmethode eine "gewisse Verwandtschaft" zur Lehre vom objektiven Schaden fest. 83 Schulte, S. 39 m. w. N. Mit der abstrakten Berechnung wird auch die "Schadensberechnung auf hypothetischer Grundlage" in Verbindung gebracht (vgl. Schulte, S. 40). 84 Knobbe-Keuk, VersR 1976, 401. Darauf, daß die "Objektivierung des Schadensersatzes" keinen bestimmten Schadensbegriff voraussetzt, weist Gottwald (S. 149 m. w. N.) hin. 85 Vgl. Mertens, S. 76 Fn. 76; Jauernig I Teichmann vor §§ 249 - 253, VII 1 b, e; zum uneinheitlichen Gebrauch der "abstrakten Schadensberechnung" vgl. auch Knobbe-Keuk, VersR 1976, 401; Schulte, S. 38 f.; Brinker, S. 186 f. 88 Vgl. Neuner, AeP 133, 302; Wilburg, JhJb 82, 144 f. 87 Neuner, AeP 133, 291 f., 305; Wilburg, JhJb 82, 126 ff., 130; Bydlinski, S. 29. Vgl. auch Mertens, S. 52, 55. 88 Neuner, AeP 133, 291, 304; Bydlinski, S. 29; Coing, SJZ 1950,872. 11 Coing, SJZ 1950, 871; Steindorff, AeP 158, 455. 70 Coing, SJZ 1950, 871. 71 Jürgen Schmidt, Schadensersatz, S. 7 m. w. N.; vgl. auch Rinne, S. 33; Schulte, S. 30 ff.; Niemeyer, S. 108: "Genugtuung und Privatstrafe sind identisch". 7! BAG NJW 1959, 909.

II. Die Lehre vom objektiven Schaden

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deo In jedem Fall soll es jedoch bei der Bestimmung des Schadensbegriffes und des Inhalts der Schadensersatzpflicht auf den "Zweck des Schadensersatzrechts" ankommen. Damit werden zugleich die methodischen Grundlagen dieser Lehre deutlich, die schlagwortartig folgendermaßen formuliert wurden: "Die Wertungsjurisprudenz hat Einzug ins Schadensrecht gehalten"73. Mit der Berufung auf den "Zweck", der als "Zentralbegriff" in seiner Bedeutung für die Wertungsjurisprudenz wie für jede teleologische Jurisprudenz kaum zu überschätzen sein solF4, erweist sich der Angriff Neuners gegen die Gesamtvermögensdifferenztheorie demnach vor allem als ein Angriff gegen die methodischen Grundlagen der Lehre Puchtas und Mommsens, gegen die Konstruktionsjurisprudenz. Die "Zwecke" werden auch als "Ideen"75, "gesetzgeberische Ideen"76, "Rechtsideen"77, "Leitideen"78, als "spezifische Ideen"79, als "Element des W ertsystems"80 oder als "Teil einer gerechten und zweckmäßigen Ordnung" bezeichnet81 • Zugleich werden sie entweder mit "Werten" oder "Wertungsprinzipien"82 vermischt83 oder zumindest auf diese zurückgeführt 84• Im Rahmen einer "teleologischen Betrachtungsweise" sollen die "Zwecke" "die Rechtserkenntnis"85, wie z. B. die Gesetzesauslegung88 oder die Begriffsbildung87 , beeinflussen. In diesem Sinne werden die "Zwecke" auch als "Grundlage aller Rechtsfindung" bezeichnet88• Ihrem methodischen Ansatz nach beruht die Wertungsjurisprudenz wie jede teleologische Jurisprudenz auf idealistischer Grundlage89 • Die 73 Deutsch, Haftungsrecht, S. 424; die "Wert jurisprudenz" ist nach Diederichsen (NJW 1966,698) die "Interessentheorie in ihrer reifsten Fonn". 74 Deutsch,.TZ 1971, 244. 75 Heinrich StoH, Festgabe für Heck, Rümelin, Schmidt, S. 67 Fn. 1: "Zweckidee". Vgl. zum "Zweck" auch LaTenz, Zurechnungslehre, S. 22 ff. 78 Schwinge, S. 58. 77 Henkel, Rechtsphilosophie, S. 427 ff. 78 DiedeTichsen, Festschrift für Klingmüller, S. 83; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 428. 79 Schwinge, S. 11, 23 unter Berufung auf RadbTuch; vgl. auch LaTenz, Me-

thodenlehre, S. 112. 80 81 82

83 84

85

88 87 88 89

Hüppi, S. 85, 81 f. m. w. N. StaudingeT / Coing, Einleitung, Rn. 148. Honsell, .TuS 1973, 75. Vgl. dazu Schwinge, S. 58. Hüppi, S. 81 m. w. N. EhleTs, S. 49 m. w. N. Vgl. nur LaTenz, Methodenlehre, S. 315 ff., 322 ff.

Schwinge, S. 11 ff. m. w. N.

Deutsch,.TZ 1971, 244. Vgl. Wolf, Allg. T., § 17 B IV (682 f.).

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1. Kap.: Methoden der Schadensermittlung und ihre Grundlagen

Ineinssetzung von "Zweck", "Wert" und "Idee" ist, wie im einzelnen noch zu zeigen sein wird, ein zentraler Bestandteil der deutschen idealistischen Philosophie. Der Begründer des Zweckgedankens in der Rechtswissenschaft, v. Jhering 90 , wurde von der deutschen idealistischen Philosophie, insbesondere derjenigen Hegels91 , beeinflußt. Die Wertungsjurisprudenz wurde durch die Wertphilosophie Schelers und N. Hartmanns geprägt82, auf die ihrerseits die idealistische phänomenologische Methode Husserls eingewirkt hat13• 2. Der EInfluß der objektiven Sdladenslehre auf eile Redltapremung

Die objektive Schadenslehre ist von der Rechtsprechung für eInIge "Fallgruppen" in "Abkehr von der Differenzhypothese" übernommen worden. Wegen der dabei vorgenommenen Wertungen, bei denen es letztlich auf "Sinn und Zweck des Schadensersatzrechts" ankommen soll", ist sie oftmals auch mit der normativen Schadenslehre in Verbindung gebracht worden". Bei den von der Rechtsprechung gebildeten "Fallgruppen" wird die Gesamtvermögensdifferenztheorie schon ihrem Ansatz nach nicht angewandt. Darin besteht ein grundlegender Unterschied zu den Fällen der (versagten) Vorteilsausgleichung und der Drittschadensliquidation, die die konsequente Anwendung der Gesamtvermögensdifferenztheorie voraussetzen. Die wichtigsten "Fallgruppen", die mit der Lehre vom objektiven Schaden in Verbindung gebracht werden, sind die Fälle des merkantilen Minderwerts, der entgangenen Gebrauchsvorteile, der hypothetischen Kausalität, der zweiten Schadensberechnungsmethode bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten und die sog. Gema-Fälle. 10 Larenz, Methodenlehre, S. 52. Nach Schwinge, S. 9, hat v. JheTing in seinem "Zweck im Recht" "immer wieder den funktional-teleologischen Charakter der Rechtsbegriffe hervorgehoben und als Ausgangspunkt jeder Gesetzesauslegung die ihm zugrunde liegenden Zwecke oder Interessenwertung bezeichnet". 11 Vgl. dazu Pleister, S. 260 ff., 295 ff., 329 ff., s. a. S. 13 f.; Jiirgen Schmidt, Schadensersatz, S. 49 Fn. 49. Nach Mertens (S. 23 Fn. 1) vollzieht die 1927 erschienene Schrift von Larenz, "Hegels Zurechnungslehre" die "grundsätzliche Abkehr von der traditionellen Schadenslehre". Vgl. dazu auch Honsell, Quotenteilung, S. 103. 12 Eneccerus / Nipperdey, § 33 IV (220); Ehlers, S. 50 f.; vgl. auch Bihler,

S.104.

Vgl. Podlech, AöR 95, 205. Vgl. Keuk, S. 12 m. w. N. V5 Nach Hans Stall, JZ 1978, 797 ist Neuner der eigentliche Begründer der Lehre vom sog. normativen Schaden; vgL Mertens, S. 50 ff.; Neuwald, S. 19; Becker, S. 18. Der BGH spricht in LM (Cb) Nr. 19 von einem "nicht einheitlich verwendeten und vielleicht auch nicht eindeutigen Ausdruck ,normativer Schaden' Vgl. auch Medicus, JuS 1979, 234 ff. 13

04

CI.

11. Die Lehre vom objektiven Schaden

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a) Merkantiler Minderwert Unter Berufung auf die Lehre vom objektiven Schaden" ist nach heute herrschender Rechtsprechung der "merkantile Minderwert eines Kraftfahrzeugs"l17 abstrakt zu berechnen98 • Der "merkantile Minderwert" sei die Minderung des Verkaufswertes, "die trotz völliger und ordnungsmäßiger Instandsetzung des Fahrzeugs allein deshalb" verbleibe, "weil bei einem großen Teil des Publikums, vor allem wegen des Verdachts verborgen gebliebener Schäden, eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb unfallbeschädigter Kraftfahrzeuge" bestehe". Mit der "Anerkennung des realen Schadens an einem konkreten Vermögensgut" ist nach der Rechtsprechung der merkantile Minderwert ohne Rücksicht darauf erstattungsfähig, ob der Eigentümer das Fahrzeug weiter benutzen oder ob er es veräußern wolle100 , und sich ein Minderwert bei einem Verkauf als Schaden manifestiere. Eine ziffernmäßige Minderung des Vermögens im Sinne einer das Gesamtvermögen erfassenden Differenzrechnung im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung brauche nicht vorzuliegen. Die Differenzhypothese sei vielmehr dann eingeschränkt, "wenn sich bei der Beeinträchtigung eines einzelnen Vermögensgutes das Maß der Wertminderung nach objektiven, im Verkehr anerkannten Maßstäben schätzen" lasse 161 • b) Entgangene Gebrauchsvorteile

Nach der Rechtsprechung ist für den vorübergehenden Verlust der Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftwagens auch dann Entschädigung in Geld zu leisten, wenn der Geschädigte sich für diese Zeit einen Ersatzwagen nicht beschafft habe 10l!. Auch hier gelte der Satz: "Lasse sich das Maß der Beeinträchtigung eines Vermögensgutes nach objektiven Maßstäben geldlich bewerten, so" sei "die Berechtigung einer Ersatzforderung nicht stets davon abhängig, daß eine das Gesamtvermögen erfassende Differenzrechnung eine ziffernmäßige Minderung dieses Vermögens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung" erge'8 Hagen, Festschrift für HauB, S. 89 f., bringt diese Rechtsprechung mit einem "normativen Schaden" in Verbindung. ur Die Problematik des Ersatzes des merkantilen Minderwertes ist nicht nur auf Kfz-Schäden beschränkt, sondern kann bei allen Gebrauchsgegenständen auftreten, die gegen Geld gehandelt werden. Vgl. dazu Neuwald, S.51 m.w.N. • 8 OLG München NJW 1956, 1032. D8 BGH 27, 182; OLG Köln NJW 1957, 1801;; Riedmaier, VersR 1977, 3. 100 BGH JZ 1967, 360; BGH 35, 396. 101 BGH JZ 1967, 360 f. 10! BGH 40,345; 65, 173; vgl. eingehend zur Rechtsprechung zum Nutzungsausfall bei Kraftfahrzeugen Schulte, S. 20 ff. m. w. N., S. 132 f.

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1. Kap.: Methoden der Schadensennittlung und ihre Grundlagen

be 103. Der entgangene Gebrauch eines beschädigten Kraftfahrzeugs sei demnach abstrakt zu berechnen 104. Unbeschadet einer "notwendigen Pauschalierung" verlangt die Rechtsprechung allerdings unter dem Gesichtspunkt der "Subjektsbeziehung des Schadens und seines Ausgleichs", daß nur bei einer "fühlbaren Nutzungsbeeinträchtigung" ein Ausgleich zu gewähren sei. Eine Ersatzforderung hänge also vom "Nutzungswillen und der hypothetischen Nutzungsmöglichkeit" des Geschädigten ab 105. Das Vorliegen eines Vermögensschadens begründet die Rechtsprechung in den Fällen entgangener Gebrauchsvorteile mit einer "wirtschaftlichen Wertung" bzw. einer "wirtschaftlichen Betrachtungsweise"106 unter besonderer Berücksichtigung der Verkehrsauffassung 107 . Sehe "man die Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs in übereinstimmung mit der Verkehrsauffassung als einen nach objektiven Maßstäben feststellbaren Vermögenswert und damit die Nutzungsvereitelung als einen in Geld meßbaren Schaden" an, so werde deutlich, "daß es sich nicht um die Zubilligung eines Schadensersatzes für ideelle (immaterielle) Beeinträchtigungen" handele 108. Hinzu komme, "daß die Benutzungsmöglichkeit des Wagens angesichts dessen, daß sie in aller Regel nur durch entsprechende Vermögensaufwendungen ,erkauft' werden" könne, tatsächlich ,kommerzialisiert' worden" sei, "so daß eine Beeinträchtigung dieser Benutzungsmöglichkeit auch eine Beeinträchtigung des - mit den gemachten Vermögensaufwendungen erstrebten - vermögenswerten Äquivalentes" darstelle109. c) Hypothetische Kausalität

Nach der Rechtsprechung ist das Problem der hypothetischen Kausalität "durch die Fragestellung gekennzeichnet, ob und inwieweit je103 BGH 45, 221 unter Bezugnahme auf Bydlinski, NeuneT, LaTenz ("Zur Notwendigkeit" eines "gegliederten Schadensbegriffs"). In neuerer Zeit faßt die Rechtsprechung den Entzug von Gebrauchsvorteilen als Fall des normativen Schadens auf. Vgl. BGH NJW 1969, 1478; s. a. BauT, Festschrift für Raiser, S. 129 ff.; Hagen, Festschrift für Hauß, S. 92; Schulte, S. 27. 104 BGH NJW 1970, 1121: " ,abstrakt' (richtiger: pauschaliert)"; Schulte, S. 38f. m.w.N. 105 BGH 45, 219. 108 BGH 40, 348 f. 107 BGH 74, 234 m. w. N. Nach BGH 66, 279 soll es sich um dogmatische Grundlagen handeln, die "noch nicht endgültig gesichert" seien, "so daß eine übertragung ihrer Ergebnisse auf andere Sachverhalte bedenklich" erscheine. Zur umfangreichen Kasuistik vgl. Jauernig / Teichmann, vor §§ 249 - 253, 111

4, 5.

108 BGH 45,217. 109 BGH 40, 350; vgl. auch den sog. Seereisefall (BGH NJW 1956, 1234), in dem der BGH erstmalig den Ausdruck "Kommerzialisierung" gebraucht hat. Zur Problematik der "entgangenen Urlaubsfreuden" BGH 63, 98 ff.; Schulte, S. 69 ff.

H. Die Lehre vom objektiven Schaden

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mand, der einen haftungsbegründenden Tatbestand - z. B. eine positive Vertragsverletzung, unerlaubte Handlung - gesetzt hat (realer Haftungstatbestand), für den dadurch verursachten Schaden" hafte, "wenn ohne das Setzen eines solchen Tatbestands ein anderes Ereignis mit Sicherheit den Schaden - ganz oder teilweise - ebenfalls verursacht hätte (hypothetischer Sachverhalt} "110. Es handele sich dabei nicht um ein Kausalproblem111 , sondern ein Problem der Schadensberechnung 112 • Die Berücksichtigung solcher Umstände, die nach dem Eintritt eines Schadens denselben Erfolg herbeigeführt hätten, soll nach der Rechtsprechung nicht uneingeschränkt, sondern nur in beschränktem Umfang zulässig sein. Regelmäßig unerheblich seien derartige Umstände bei Ersatzansprüchen für die Zerstörung einer Sache, weil mit dem Eingriff sogleich ein Anspruch auf Schadensersatz entstanden sei und das Gesetz den späteren Ereignissen keine schuldtilgende Kraft beigelegt habe 11l'. Bei einer "effektiv herbeigeführten Sachbeschädigung" dürfe es "nicht dazu führen, daß der Geschädigte bloß deshalb keinen Ersatzanspruch" habe, "weil am Schadensobjekt der gleiche Schaden eingetreten wäre, und ein anderer hierfür haften würde, falls die Sache nicht bereits durch den realen Schädiger beschädigt worden wäre, oder ein Ereignis, das den gleichen Schaden verursacht hätte, durch das Ereignis, das den Schaden herbeigeführt" habe, "am Eintritt verhindert worden" sei. "Ein lediglich gedachter Geschehensablauf" gebe "keinen Schadensersatzanspruch. Ihn berücksichtigen hieße, den real Geschädigten leer ausgehen zu lassen". Das sei "untragbar"114. Im Unterschied dazu sollen allerdings bei der Ermittlung des durch Zerstörung einer Sache eingetretenen Schadens Umstände von Bedeutung sein, die bereits bei dem Eingriff vorlagen und binnen kurzem denselben Schaden verursacht hätten. Diese Auffassung wird damit begründet, daß "derartige Umstände den Wert der Sache bereits im Augenblick des Eingriffes gemindert" habenllö (sog. Anlageschäden). Diese Rechtsprechung ist mit der Gesamtvermögensdifferenztheorie, nach der der hypothetische Sachverhalt uneingeschränkte Berücksichtigung finden SOll118, nicht zu vereinbaren. Sie beruht der Sache nach BAG NJW 1959, 909. BGH NJW 1967, 552. tu BGH 29,215; Jauernig / Teichmann, vor §§ 249 - 253, VI 2 a. 113 BGH 29, 215. 114 BGH NJW 1967, 552 unter Berufung auf Larenz. IIS BGH 29, 215; vgl. auch AK-BGB-Rüßmann, vor §§ 249 - 253, Rn. 68; zu den Anlageschäden vgl. BGH 20, 280 f. 118 Besonders deutlich LG Hechingen NJW 1965, 1916; vgl. auch Lange, Schadensersatz, § 4, IV (114 f.); Lemhöfer, JuS 1966, 337. 110 U1

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1. Kap.: Methoden der Schadensermittlung und ihre Grundlagen

auf der Grundlage eines "gegliederten Schadensbegriffes" im Sinne der Lehre vom objektiven Schaden117 • Deutlich geht dies aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hervor, in der zur Begründung der Nichtbeachtung des hypothetischen Kausalverlaufs - unter Berufung auf Neuner und Wilburg - auf das "Prinzip der zivilrechtlichen Prävention (Schutzfunktion, Sanktionsfunktion)" hingewiesen wird118 • d) Die zweite Schadensberechnungsmethode bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten

Als "abstrakte Schadensberechnung"119 wird von der Rechtsprechung auch die zweite Schadensberechnungsmethode bei der Verletzung vOn Immaterialgüterrechten l20 bezeichnet. Diese Berechnungsmethode komme "bei Eingriffen in Ausschließlichkeitsrechte des Immaterialgüterrechts überall dort in Betracht, wo die 'Übertragung oder überlassung solcher Rechte zur Benutzung durch Dritte gegen Entgelt rechtlich möglich und verkehrsüblich" sei; sie scheide "aus, wo der Rechtseingrif1: üblicherweise auch gegen Entgelt nicht gestattet oder hingenommen" werde 121 . Diese Methode der Schadensberechnung ist von der Rechtsprechung nicht nur bei Eingriffen in Urheberrechte, Patentrechte, Gebrauchsmusterrechte und Geschmacksmusterrechte1l!1, sondern auch bei anderen "immateriellen vermögenswerten Ausschließlichkeitsrechten" wie bei Eingriffen in das Recht am eigenen Bilde123, bei Warenzeichenverletzungen1!' und bei der unbefugten Benutzung von Firmennamen anerkannt126 • Darüber hinaus wendet der Bundesgerichtshof diese Berechnungsmethode auch bei Verletzungen einer Wettbewerbsposition an, bei welcher dem Verletzten zwar "kein (ausschließliches) Immaterialgüterrecht zur Seite" stehe, "eine ähnliche Interessenlage wie beim Immaterialgüterrecht jedoch eintreten" könne1-. Auch in diesen Fällen bestehe "ein Bedürfnis nach einer objektiven Schadensberechnung"1l!1. 117 Vgl. vor allem auch den Hinweis des BGH NJW 1967, SS2 auf Larenz, der in diesem Zusammenhang einen "gegliederten Schadensbegriff" vertritt, und OLG Düsseldorf, MDR 1963, 47; AK-BGB-Rüßmann, vor §§ 249 - 253, Rn. 69; Lange, Schadensersatz, § 6 I (164); Hagen, Drittschadensliquidation, S. 46; Hagen, Festschrift für Hauß, S. 90, ordnet diese Rechtsprechung einem "normativen Schadensbegriff" zu. 118 BAGNJW 1959, 909. 118 Vgl. BayObLG NJW 1965, 975; vgl. auch Knobbe-Keuk, VersR 1976, 405; v. Caemmerer, S. 9; Steindor/f, AcP 158, 455 ff. no Zur ersten und dritten Berechnungsmethode vgl. BGH 44, 374. m BGH 44, 375. t!! BGH 57, 119; 44, 275; 60, 208. 123 BGH S7, 119; BGH 20, 353; vgl. aber auch BGH 26, 352 f. 1!4 BGH 44, 375 ff. 115 BGH 60, 206. 118 BGH 57, 119 f. 127 BGH 57, 121.

11. Die Lehre vom objektiven Schaden

29

Gemeinsam ist nach der Rechtsprechung all diesen Fällen, daß der Verletzte "als Mindestschaden die angemessene Lizenzgebühr nach einem Lizenzvertrag mit zulässigem Inhalt fordern" könne. Dabei sei "rein objektiv darauf abzustellen", "was bei vertraglicher Einräumung ein vernünftiger Lizenzgeber gefordert und ein vernünftiger Lizenznehmer gewährt hätte" 128. Darauf, ob der Verletzte die Lizenz überhaupt nicht oder jedenfalls nicht an den Ersatzpflichtigen vergeben hätte, soll es nicht ankommen l2V . Die zweite Schadensberechnungsmethode, bei der es sich nicht um eine bloße Beweiserleichterung im Sinne der Berechnung des entgangenen Gewinns nach § 252 S. 2 BGB handeln SOlP30, stimmt mit der abstrakten Schadensberechnung im Sinne der Lehre vom objektiven Schaden überein131 • Deutlich werden diese Zusammenhänge, wenn von der Rechtsprechung zur Begründung der Schadensberechnung nach der entgangenen Lizenz - unter Berufung auf Neuner und Steindorff auf das "Wesen dieser Immaterialgüterrechte mit ihrer besonderen Verletzlichkeit und dem sich daraus ergebenden besonderen Schutzbedürfnis des Verletzten" hingewiesen wird w . e) Sogenannte Gema-Rechtsprechung

Auf die zweite Berechnungsmethode bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten und somit auf eine abstrakte Schadensberechnung llll1 bezieht sich die Rechtsprechung, wenn sie bei Urheberrechtsverletzungen, die die Gema betreffen, einen Zuschlag von fast 100 % auf die Normalgebühr gewährt l34. "Die besonders bedrohten und leicht verletzbaren Musikaufführungsrechte" seien damit nicht "unrechtmäßigen Eingriffen" "schutzlos preisgegeben, weil ihre Verletzung" "das Risiko finanzieller Nachteile auslösen würde"l36. Die "pauschalen GebührenBGH 44, 380 m. w. N.; BGH 60, 210. BGH 44,379; 26, 352. 130 BGH 44,379. 131 BGH 57, 122; vgl. auch Schmidt-Salzer, JR 1969, 86 ff., insbesondere S. 88, und Steindorjf, AcP 158, 451 ff., die darauf hinweisen, daß damit eine dogmatische Grundlage für diese Berechnungsmethode gefunden worden sei, die oftmals nur als Gewohnheitsrecht bezeichnet wird (BGH 26, 352). Nach Hagen, Festschrift für Hauß, S. 91, handelt es sich um einen Anwendungsfall des "normativen Schadensbegriffs"; vgl. auch Schulte, S. 40. 131 BGH 57, 118 m. w. N.; an anderer Stelle meint der BGH (57, 119), daß diese Schadensberechnungsmethode "einem auf Grund der besonderen Interessenlage gegebenen praktischen Bedürfnis und der Billigkeitserwägung" entspreche, "daß niemand durch den unerlaubten Eingriff in solche Rechte bessergestellt werden soll, als er im Fall einer ordnungsgemäß nachgesuchten und erteilten Erlaubnis durch den Rechtsinhaber gestanden hätte". 133 KGZ, in: Erich Schulze, Rechtsprechung zum Urheberrecht (Entscheidungssammlung mit Anmerkungen), München, Nr. 5, 15; Nr. 7, 14 f. 134 BGH 59, 291. 133 BGH 59, 291. 118

12.

1. Kap.: Methoden der Schadensermittlung und ihre Grundlagen

30

verdoppelungen bei der Schadensberechnung zu berücksichtigen und auf diese Weise den Rechtsgüterverletzern in Rechnung zu stellen"136, rechtfertige sich daraus, daß die Klägerin, um Urheberrechtsverletzungen nachzugehen, eine umfangreiche überwachungsorganisation unterhalten müsse. Diese Kontrollkosten seien "aber billigerweise allein von den Rechtsverletzern zu tragen"l37 und bei der Berechnung der "angemessenen Lizenzgebühr" mit zu berücksichtigen. Dabei bedeute "angemessen" keinesfalls, daß die Höhe der vom Verletzer zu zahlenden Lizenzgebühr mit der Lizenzgebühr übereinstimmen müsse, die im Fall eines Vertragsabschlusses vereinbart worden wäre. Zu berücksichtigen seien "vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalles"138.

111. Die Lehre vom normativen Schaden Für bestimmte Fälle entwickelte der Bundesgerichtshof "in Abkehr von der reinen Differenzhypothese" einen "normativen Schadensbegriff" 139. "Normativ" bedeutet dabei "wertend" 140. Der Zielsetzung Selbs entsprechend, "den Schaden aus einer naturalistischen Betrachtungsweise zu befreien und ihn den Zwecken der Haftungsnormen besser dienstbar zu machen, d. h. ihn mehr und mehr normativ zu verstehen" 141, versucht die Rechtsprechung "vor allem, die bei einer Schadensberechnung nach der Differenzmethode bei der Beteiligung eines Dritten (Vorteilsanrechnung, Drittschadensliquidation) auftauchenden Schwierigkeiten zu lösen". Danach soll die Lehre vom "normativen Schaden" nur dann anwendbar sein, wenn es um die Frage geht, "ob Leistungen eines Dritten" "einem Schädiger zugute kommen können, weil sie dem Geschädigten als Vorteil anzurechnen seien, so daß sein Schaden im Sinne der Differenztheorie gleich Null sein könnte"l4.2. "Wertungen", die nach einer konsequenten Anwendung der Gesamtvermögensdifferenztheorie unter anderem zu den Fällen der versagten Vorteilsausgleichung geführt haben, hat man damit "in den Schadensbegriff hineingetragen"l43. BGH 59, 287. BGH 17, 383. Diese Rechtsprechung wird auch unter dem "Stichwort" "Vorhalte- oder Vorsorgekosten" behandelt; vgl. nur MünchKomm-Grunsky, vor § 249, Rn. 75. 138 BGH 59, 292; a. A. OLG Düsseldorf BB 1970, 983. 139 BGH 54, 49; vgl. dazu Medicus, JuS 1979, 234. Die "Formel" des "normativen Schadens" gebraucht der BGH zum ersten Mal in BGH 43, 381. Eine abschließende Stellungnahme des BGH zum normativen Schadensbegriff steht noch aus (BGH NJW 1978, 262; BGR 54, 50; vgl. dazu aber auch BGR 74,233: "gefestigten Rechtsprechung"). 140 Hagen, Festschrift für RauB, S. 84. 141 Selb, Schadensbegriff, S. 11. 142 BGH 54, 49. 138

137

143

Becker, S. 110.

III. Die Lehre vom normativen Schaden

31

1. Schadensersatzanspruch des verletzten Arbeitnehmers trotz Lohnfortzahlung

Auf einen "normativen Schadensbegriff" beruft sich die Rechtsprechung in den Fällen, in denen ein Arbeitnehmer infolge eines Schadensereignisses vorübergehend arbeitsunfähig ist und nur deshalb keinen Verdienstausfall erleidet, weil "der Verdienstentgang durch Leistungen Dritter - sei es aufgrund gesetzlicher Bestimmungen, Tarifvereinbarungen oder vertraglicher Regelungen - aufgefangen wird"1«. Obwohl sich ein Schaden "als Differenz zweier Vermögenslagen" "mangels einer wirtschaftlichen Einbuße des Verletzten nicht" ergebe, sei seine Annahme in diesen Fällen unabweislich146. Die Auffassung, die davon ausgehe, daß kein Schaden entstanden sei, verkenne, "daß erst bei einer wirtschaftlichen und rechtlichen Wertung der vor und nach dem Schadensfall bezogenen Leistungen die Schadensersatzpflicht entschieden und zugleich eine der Interessenlage entsprechende Lösung gefunden werden" könne. Dabei müsse auch das "Gesamtergebnis gesehen" werden146. Diese "bei der Begründung des normativen Schadens" angewandte Betrachtung dürfe auch nicht "bei der Ermittlung seiner Höhe sogleich wieder aufgegeben werden, um nun doch einer wenigstens fiktiven Differenzbildung Platz zu machen"147. 2. Behinderung der verletzten Ehefrau in der Haushaltsführung

Die Rechtsprechung wendet den "normativen Schadensbegriff" auch in den Fällen an, in denen eine Ehefrau, die durch unfallbedingte Verletzungen in ihrer Haushaltsführung gehindert ist. Der Ehefrau wird ein eigener Anspruch auf Ersatz des gesamten Schadens, der durch den Ausfall ihrer Arbeitsleistung für alle Familienmitglieder einschließlich der Ehefrau selbst hervorgerufen sei, gewährt1 48 • Auch "inhaltlich" gelte für den Anspruch der Ehefrau der "normative Schadensbegriff" , der sich inzwischen in "Abkehr von der reinen 144 BGH NJW 1976, 326; BGH 43, 381. Auf gleicher Linie liegt es, wenn nach der Rechtsprechung (BGH LM BGB § 249 [CB] Nr. 11; BGH 50, 306) ein verletzter Gesellschafter einer Personengesellschaft auch bei Fortzahlung einer gesellschaftsvertraglich vorgesehenen Tätigkeitsvergütung eine eigene Ersatzforderung des Ausfallschadens hat. Vgl. dazu im einzelnen Hagen, JuS 1969, 62 f.; Becker, S. 41 f., 50. Ebenfalls unter Berufung auf einen normativen Schadensbegriff hat das BAG JZ 1971, 380 f. einer Schadensersatzklage in einem Fall stattgegeben, in dem für einen gekündigten Filialleiter andere Angestellte eingesetzt werden mußten (vgl. dazu Lieb, JZ 1971,

361).

BGH 43, 381. BGH 21, 119, wo allerdings der Ausdruck "normativer Schadensbegriff" noch nicht gebraucht wurde. 147 BGH 43, 381. 148 BGH 50, 306 m. w. N.; vgl. dazu auch Hagen, JuS 1969, 61, 63. 145

14G

32

1.

Kap.: Methoden der Schadensennittlung und ihre Grundlagen

Differenzhypothese" auch anderweitig durchgesetzt habe. Dabei spiele es keine Rolle, ob der Wegfall der Arbeitskraft zu Vermögensaufwendungen führe, etwa durch Entlohnung einer Ersatzkraft, oder ob dies nicht der Fall gewesen sei, indem ein Ausgleich durch die unbezahlte Arbeit anderer Familienmitglieder oder überhaupt nicht stattfand. Lediglich zur Bemessung des Schadens könnten derartige mögliche Aufwendungen einen Anhaltspunkt geben149 . IV. Der "dualistische Schadensbegriff" In einer neueren Entscheidung des Bundesgerichtshofs wird es als "gefestigte Rechtsprechung" bezeichnet, daß "bei der Beurteilung der Frage, ob ein Schaden vorliegt, nicht allein auf die Differenzhypothese" abzustellen sei. "Vielmehr" sei "eine wertende Betrachtungsweise geboten, wobei die Wertmaßstäbe allen in Betracht kommenden Vorschriften zu entnehmen" seien 150• Der Bundesgerichtshof nimmt auch ohne "Vermögensdifferenz" einen Vermögensschaden an, wenn nach Anwendung der Differenzhypothese aus "zwingenden Sachgründen Ergebniskorrekturen" geboten seien1&1. Die Bestimmung des Vorliegens eines Schadens durch den Bundesgerichtshof bedeutet die Hinwendung zu einem "dualistischen Schadensbegriff" 162. Bei dem "dualistischen Schadensbegriff" handelt es sich um eine " Synthese ausDifferenzhypothese und norrnativemSchaden"16l. Der "normative Schadensbegriff" bzw. die "wertende (normative) Betrachtungsweise"lM wird danach nicht mehr nur zur Begründung für bestimmte Abweichungen von der Differenzhypothese ausnahmsweise herangezogen, sondern bezeichnet generell alle Abweichungen von der Differenzhypothese l55 . Der so verstandene "normative Schadensbegriff" läßt sich als "Kurzformel dafür verstehen", "daß aufgrund verschiedenartiger rechtlicher Wertungen ein Vermögensschaden auch dort bejaht werden" könne, "wo er bei natürlicher (insbesondere rein rechnerischer) Betrachtungsweise nicht zu entdecken" sePli4l. Er ist ein Sammelbecken für alle mit der Gesamtvermögensdifferenztheorie nicht zu 148 1$0 151 152

BGH 50, 305 f. BGH 74, 233 m. w. N.; Palandt / Heinrichs, Vorbem. v. § 249, Anm. 2 c. BGH NJW 1980, 776. So Palandt / Heinrichs, Vorbem. v. § 249, Anm. 2 c; vgl. auch Reinicke,

JA 1980, 728. 153 Reinicke, JA 1980, 728. 154 BGH NJW 1980, 776. 155 Vgl. Medicus, JuS 1979, 237 unter Hinweis auf Hagen und ESSeT / Eike Schmidt; Hansell, JuS 1973, 72. 158 Hagen, Festschrift für Hauß, S. 100, auf den sich BGH NJW 1980, 776

beruft.

IV. Der "dualistische Schadensbegriff"

33

vereinbarenden Fallgruppen. Darunter fallen nicht nur diejenigen Fallgruppen, die dem objektiven157 oder "normativen Schadensbegriff" im engeren Sinne zugeordnet wurden, sondern auch die Fälle der Drittschadensliquidation und der Vorteilsausgleichung, die in neuester Zeit zunehmend nach "wertenden Gesichtspunkten" beurteilt werden. Damit vollzog der Bundesgerichtshof in den Fällen der Vorteilsausgleichung "den Durchbruch von der (verdeckten) Adäquanz-Wertung zur offenen teleologischen Wertung", indem "eine Beurteilung nach dem Sinn und Zweck der Schadensersatzpflicht" vorgenommen wurdel~.

1. Ersatz der sogenannten Fangprimie

Als Beispiel für die Anwendung eines "dualistischen Schadensbegriffs" ist die Rechtsprechung zum Ersatz der sog. Fangprämie 1611 zu nennen1OO• Danach soll die für die Entdeckung des Diebstahls und die Ergreifung des Diebes vorsorglich vor dem Diebstahl zugesagte Prämie dem Grunde nach von dem Schadensersatzanspruch umfaßt und in angemessenem Umfang zu erstatten sein 161 • " Angemessen " sei angesichts der Durchschnittskriminalität in einem Lebensmittelmarkt derzeit eine "pauschalierte Prämie" bis zu 50,- DM. Ersatzfähig könne aber auch eine höhere Prämie seinl62 . Weder der "Präventivzweck" der Fangprämie, noch "ihr Standort im allgemeinen Vorsorge- und Kontrollsystem", noch der "Schutzbereich der Haftungsnorm"l63 stünden dem Ersatz der Fangprämie entgegen. 2. Ersatz von Vorsorge- oder Vorhaltekosten eines Reservefahrzeugs

Die Problematik des Ersatzes der Fangprämie wird ebenso wie die der sog. Gema-Fälle unter dem Stichwort "Ersatz von Vorhalte- bzw. Vorsorgekosten" diskutiert l64 . Daneben werden Vorsorgekosten auch in den Fällen von der Rechtsprechung als ersatzfähig anerkannt, in denen ein Verkehrs- oder Transportunternehmen unter schadensmin157 Vgl. oben 1. Kap. II 2; vgl. auch die Hinweise in BGH 74, 233. Eine umfangreiche Zusammenstellung der Rechtsprechung zum "normativen Schadensbegriff" bei Hagen, Festschrift für Hauß, S. 85 ff., dem die Rechtsprechung (BGH 74, 234) folgt. 158 Hagen, Festschrift für Hauß, S. 87; vgl. dazu BGH NJW 1979, 760; WM 1976,1332. In BGH 75, 230 ff. 110 Reinicke, JA 1980, 728 ff. 181 BGH 75, 235 f. 1U BGH 75,230. 103 BGH 75, 237 f. 114 Vgl. Lange, Schadensersatz, § 6 VIII, 3 (194 f.).

3 Wille

34

1. Kap.: Methoden der Schadensermittlung und ihre Grundlagen

dernden oder schadensvorbeugenden Gesichtspunkten eine Kapazitätsreserve unterhält, um unfallbedingte Ausfälle bei den ständig benötigten Fahrzeugen überbrücken zu können165 • Der Bundesgerichtshof begründet seine Rechtsprechung mit "den Grundsätzen von Treu und Glauben". Mit diesen "Grundsätzen" sei es nicht zu vereinbaren, wenn der Schädiger dem Geschädigten insoweit keinen Ausgleich zu gewähren brauche1oo • Die Bezugnahme auf den "Wertungsmaßstab" von "Treu und Glaube"l67 bei der Schadensermittlung zeigt, daß es sich auch bei dieser Fallgruppe der Sache nach um einen Anwendungsfnll des "dualistischen Schadensbegriffes" handelt 168 •

165 BGH 32, 280; BGH NJW 1966, 589; vgl. dazu BauT, Festschrift für Raiser, S. 132 f.; Beuthien, NJW 1966,1996 ff. let BGH 32,285. 167 Vgl. dazu Larenz, Methodenlehre, S. 276 f. 168 Niederländer (JZ 1960, 618, 620) bringt will "man den Kausalbegriff nicht auf den Kopf stellen" - die Rechtsprechung zum Ersatz der Vorhaltekosten mit der Lehre vom objektiven Schaden in Verbindung, während Gottwald (5. 165 m. w. N.) meint, daß "mangels echten Kausalitätsverhältnisses weder bei subjektiver noch bei objektiv-abstrakter Interessebewertung ein Schaden" vorliege. BaUT (Festschrift für Raiser, S. 132 f.) und Hagen (Festschrift für Hauß, S. 96 f.) ordnen diese Rechtsprechung der Lehre vom normativen Schaden zu.

Zweites Kapitel

Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen der Rechtsprechung zur Schadenserkenntnis I. Die Vemeinung der Realität und der Erfahrung durch die idealistische Pb,i.losophie 1. Vorbemerkung

Die in der Rechtsprechung vertretenen Schadenslehren und Methoden der Schadenserkenntnis beruhen auf unterschiedlichen juristischen Methodenlehren. Während der Gesamtvermögensdifferenztheorie wie angedeutet - die Konstruktionsjurisprudenz zugrundeliegt, ist die Lehre vom objektiven und normativen bzw. dualistischen Schaden in der teleologischen Jurisprudenz, insbesondere der Wertungsjurisprudenz, begründet. Beiden juristischen Methodenlehren und damit allen von der Rechtsprechung vertretenen Schadenslehren ist gemeinsam, daß sie auf die idealistische Philosophie als ihrer allgemeinen philosophischen und erkenntnistheoretischen Grundlage zurückzuführen sind. Die Mängel einer juristischen Methodenlehre und einer darauf gegründeten Schadenslehre sind deshalb oftmals schon in diesen allgemeinen erkenntnistheoretischen Lehren begründet. Versucht man eine grundlegende Kritik dieser von der Rechtsprechung vertretenen Schadenslehren und Erkenntnismethoden, ist vorab eine Auseinandersetzung mit den allgemeinen idealistischen Grundlagen erforderlich. Im folgenden sollen deshalb zunächst die Hauptthese der idealistischen Philosophie, die These von der Identität von Denken und Sein und die wichtigsten Erkenntnismethoden skizziert und analysiert werden. 2. Identität von Denken und Sein

Der Idealismus, der seit jeher mit der Ideenlehre Platons in Verbindung gebracht wird, hat zum Inhalt, daß alles Sein nur als Produkt der Vernunft begreiflich und der Gegenstand der philosophischen Erkenntnis das System der Vernunft seil. Der Idealismus besteht nach Kant "in der Behauptung, daß es keine andere als denkende Wesen gebe; die übrigen Dinge, die wir in der Anschauung wahrzunehmen glauben, 1

Windetband I Heimsoeth, S. 500.

36

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

wären nur Vorstellungen in denkenden Wesen, denen in der Tat kein außer dieser befindlicher Gegenstand" korrespondiere!. Idealismus ist somit die philosophische Lehre vom absoluten "Bewußtsein" (absolute Bewußtseinsphilosophie)3. Grundthese sowohl der subjektiven als auch der objektiven idealistischen Philosophie ist die These von der Identität von Denken und Sein. Ein Objekt soll es nach dieser Philosophie nur für ein Subjekt geben'. Ein Gegenstand "existiert" danach nur im Denken, es "existiert" nur Gedachtes6 , wobei das "Gedachte" als Inhalt des absoluten Bewußtseins, als "Idee" aufgefaßt wird6 • Im Mittelpunkt der idealistischen Auffassung steht dementsprechend das "Ich", das "Subjekt", die "Intelligenz", der "Geist"7, die "Vernunft", das "absolute Bewußtsein", der "Weltgeist". Außerhalb des Bewußtseins "existiert" nichtgS. Nach der idealistischen Philosophie als Lehre vom "absoluten Bewußtsein", nach der Denken und Sein identisch sein soll, wird die Existenz realer körperlicher Seiender verneint. Es wird nicht erkannt, daß es körperliche Seiende, also solche, die räumlich ausgedehnt sind und einen stofflichen Inhalt haben, und geistige Seiende, die einen begrifflichen Inhalt haben, gibt. Geistige Seiende können nur als Bestandteile von Gehirntätigkeiten existieren. Das bedeutet, daß auch sie notwendig körperliche Bestandteile enthalten. Die körperlichen Bestandteile sind dabei die für das Existieren geistiger Bestandteile notwendigen körperlichen Nerventätigkeiten'. Legt man diese auf der Erfahrung beruhenden Erkenntnisse zugrunde, so kann es weder eine Identität von Denken und Sein noch rein geistige Seiende geben. Wird dies dennoch behauptet, so wird nicht nur jedes erfahrbare reale körper~ liche Sein, sondern der Sache nach auch jedes erfahrbare geistige Sein des Menschen geleugnet. In der idealistischen Philosophie wird ein absolutes Bewußtsein und eine dementsprechende absolute Erkenntnis behauptet, nach welcher der zu erkennende Gegenstand im Bewußtsein selbst existieren und ! Kant, Prolegomena, § 13 Anmerkung II, der diese Auffassung kritisiert, sie aber der Sache nach seiner eigenen Philosophie zugrundelegt. Vgl. unten, 2. Kap. I 4. 3 Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 124. 4 Windelband I Heimsoeth, S. 500 f. fi Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 124; Aussperrung, S. 31. e Vgl. zur "Idee" im Sinne der idealistischen Philosophie Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 124; s. a. Allg. T., § 1 A II a (2 ff.). 7 KToneT, 1. Bd., S. 10. "Ich" bedeutet in diesem Zusammenhang das sich selbst setzende "allgemeine Ich" im Sinn der Philosophie Fichtes (vgl. dazu OTthbandt, S. 355 ff.). 8 Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 124. • Wolf, AcP 170, 206.

I. Die Verneinung der Realität und der Erfahrung

37

nur dort erkennbar sein soll. Dabei wird vorausgesetzt, daß die Gegenstände kein eigenes Sein (Existenz) haben und somit keine Gegenstände sind. Erkennen als begründet wahres Beurteilen eines Gegenstandes 10 setzt die Existenz dieses Gegenstandes voraus. Mit dieser Behauptung, der zu erkennende Gegenstand existiere im Bewußtsein selbst und sei nur dort erkennbar, wird der Inhalt der Erkenntnis aufgehoben und dem Begriff der Erkenntnis in adjecto ein Widerspruchl1 beigebracht. Nach idealistischer Auffassung gibt es kein Erkennen eines realen Gegenstandes, sondern der zu erkennende Gegenstand wird als in dem absoluten Bewußtsein befindlich und erkannt vorausgesetzt. Es wird eine absolut vorgegebene Einheit des absoluten Bewußtseins behauptet, welche "Idee" oder auch "Begriff", "Gedanke", "Form", "Prinzip", "Wert", "Zweck" u. ä. genannt wird. Aus dieser "Idee" soll alles entspringen, und zu ihr soll alles hinstreben; sie soll sich in allem "verwirklichen". Eine derartige real nicht existierende "Idee" kann nur "geglaubt", "geschaut" und "gefühlt" werden; sinnliCh wahrnehmbar oder wissenschaftlich erkennbar ist sie nicht. Die Folgerungen, Ableitungen und Schlüsse aus dieser "Idee", die keinen Anfang oder Ende, keinen Inhalt oder Grund hat, und die selbst unbewiesen und voraussetzungslos ist, sind folglich notwendig mit der Logik nicht zu vereinbaren (petitio principii) und wissenschaftlich angreifbaru . Grundlegend für alle idealistischen Systeme ist es, Erkennen und Erkenntnislehre unabhängig von der Erfahrung zu begründen. Nach dem subjektiven Idealismus Kants handelt es sich darum, "Grundprinzipien" exakter Wissenschaften "ohne Befragung der Erfahrung, nur durch Befragung des Subjekts" abzuleiten13 • Der Idealismus flieht vor der Empirie14• Das deckt sich mit der der idealistischen Philosophie zugrunde liegenden Lehre, daß es eine bewußtseinsunabhängige (reale) Außenwelt nicht gebe. Erkennen im Sinne der idealistischen Philosophie ist daher notwendig subjektiv, auch wenn das Gegenteil behauptet wird. Ein objektives, d. h. durch den zu erkennenden realen Gegenstand unmittelbar oder mittelbar wahrnehmungsbedingtes Erkennen15 ist damit dem Ansatz nach ausgeschlossen. Die idealistische Philosophie steht im grundsätzlichen Gegensatz zu einer konsequent durch10 Zum wissenschaftlichen Erkennen vgl. Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 25 ff.; vgl. unten, 3. Kap. 11. 11 Bannes, S. 17 m. w. N. I! Wolf, Aussperrung, S. 31 ff.; Marxistische Wissenschaft, S. 124 ff. lS Vgl. Aebi, 1. Teil, S. 5 unter Hinweis auf HeideggeT. u Aebi, 1. Teil, S. 64 m. w. N. 15 Vgl. dazu Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 26 ff.; vgl. auch unten, 3. Kap. 11.

38

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

geführten empirisch-realistischen Philosophie und Erkenntnislehre, nach der jeder Begriff, jedes Gesetz, jede gesetzesähnliche Regel sowie jedes Urteil vollständig auf Erfahrung gegründet ist1t• Die Behauptung der absoluten Identität von Denken und Sein, wonach Gegenstände und Verhältnisse nur in einem geistigen Inhalt existieren können17 , enthält einen Angriff auf die Gesetze des Denkens und damit auf die Logik 18 • In der Konsequenz dieser Behauptung hat Hegel die traditionelle Logik scharf kritisiert. Das allgemeinste Gesetz der Logik lautet, daß Merkmale, die einander inhaltlich ausschließen (widersprüchliche Merkmale), nicht demselben Gegenstand zukommen können 19 • Dieses Gesetz hat Hegel durch die dialektische Methode ersetzt20 , wonach Widersprüchliches denkbar sein S01l21. Mit der Verneinung der Logik durch die idealistische Philosophie ist damit ihre von ihren Vertretern behauptete Wissenschaftlichkeit22 dem Ansatz nach in Frage gestellt. Eine Philosophie oder Wissenschaft, die für sich den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und Wahrheit erhebt, ist an die Einhaltung der Gesetze der Logik, insbesondere des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch, gebunden. Nur dadurch ist die objektive Begründetheit und überprüfbarkeit ihrer Aussagen gewährleistet23 • Die idealistische Philosophie verneint ihre Wissenschaftlichkeit, wenn Metaphysik als die Lehre vom Absoluten (überweltlichen)!" Erkenntnistheorie und Logik ineinsgesetzt werden25 • Das kommt zum Ausdruck, wenn Kant der Frage nachgeht, wie "Metaphysik als Wissenschaft möglich" sei2t , wenn Hegel meint, "die Logik" falle "mit der Metaphysik zusammen"27, oder nach Husserl Erkenntnistheorie und Metaphysik miteinander verwoben28 sein sollen. Wissenschaftliches Er11 Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 35; ihm folgend Tripp, Der Einfluß des naturwissenschaftlichen, philosophischen und historischen Positivismus auf die deutsche Rechtslehre im 19. Jahrhundert, Diss. Marburg, erscheint demnächst. 17 Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 176 f.; vgl. auch Kraft, Husserl,

S.39. 18 Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 127. 19 Vgl. dazu Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 36. 20 Coing, Rechtsphilosophie, S. 45. 21 Vgl. unten, 2. Kap. I 3. 22 Vgl. z. B. Hegel, System I, § 25; Logik I, S. 43, 44. 23 In diesem Sinne auch Aristoteles, Metaphysik, 1007 a; Matz, S. 89. 24 Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 41 f. 25 Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 125; Bannes, S. 19 Fn. 19. 26 Kant, Kritik, S. 47; vgl. dazu Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 196

m.w.N.

27 Hegel, System I, § 24; vgl. dazu im einzelnen Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 184 ff. 28 Husserl, Husserliana II, S. 22.

I. Die Verneinung der Realität und der Erfahrung kennen, welches objektiv und allgemein ist, läßt sich danach nicht mehr vom notwendig subjektiv individuellen Glauben trennen. Das ist gleichbedeutend mit der Aufgabe wissenschaftlichen Erkennens. Zusammenfassend läßt sich festhalten: Die Existenz des absoluten "Bewußtseins", des absoluten "Ichs", eines "unfehlbaren Geistes", der "ein übernatürlich inspiriertes Wesen sein" muß, in dem Denken und Sein, Erkenntnis und Gegenstand zusammenfallen!9, ist eine Sache des persönlichen Glaubens30• Weder das absolute Bewußtsein noch die Identität von Denken und Sein entsprechen der menschlichen Erfahrung und dem menschlichen Erkennen. Die vom Idealismus in der These von der Identität von Denken und Sein "vollzogene Aufhebung der Selbständigkeit des Erfahrungswissens" muß notwendig "zur Aufhebung der Selbständigkeit des Wissens überhaupt, zum Glauben an die Selbstoffenbarung Gottes im Menschen"31 führen. 3. Die dialektische Methode

Für Hegel als konsequenten Vertreter der idealistischen Philosophie bedeutet Philosophie "das Ergründen des Vernünftigen", "eben damit das Erfassen des Gegenwärtigen und Wirklichen, nicht das Aufstellen eines Jenseitigen"32. Es gelte, "das was ist, zu begreifen", "denn das was ist, ist die Vernunft"33, die für Hegel synonym mit der Idee istM. Die Idee sei die objektiv seiende Vernunft, die sich im Weltprozeß entfalte und ihre Bestimmungen dialektisch setze. Die "Darstellung der Idee" nennt Hegel35 das "Ganze der Wissenschaft"lM. Der für Hegels Philosophie grundlegende, in der Phänomenologie des Geistes als Lehre vom "Werden der Wissenschaft überhaupt"37 entwickelte Satz lautet: "Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig"38. Die "absolute Kraft" und der höchste und einzige "Trieb" der Vernunft, sich selbst zu finden und zu erkennen, ist nach Hegel die dia28

Kraft, Husserl, S. 110.

ao Vgl. auch Aebi, Teil 1, S. 18.

31 Kraft, Husserl, S. 110, gegen die intuitionistische Philosophie Husserls, Schelers und Heideggers. 3! Hegel, Rechtsphilosophie, S. 32. 33 Hegel, Rechtsphilosophie, S. 35. 3' Hegel, Rechtsphilosophie, S. 33 f. 35 Eisler, Wörterbuch, unter Idee (694). 38 Hegel, System I, § 18. 37 Hegel, Phänomenologie, S. 30; zur Phänomenologie des Geistes vgl. auch Hegel, Logik I, S. 43 f.; Kroner, 2. Bd., S. 362 ff. 38 Hegel, Rechtsphilosophie, S. 33. Vgl. auch Hegel, Phänomenologie, S. 37: Erst wenn "das Seyn" "absolut vermittelt" "Eigenthum des Ichs" sei, beschließe "sich die Phänomenologie des Geistes".

40

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

lektische Methodell',die die "bewegende Seele des wissenschaftlichen Fortgehens"40 sein soll. Die Dialektik sei das "bewegende Prinzip des Begriffs"41, der sich infolge des in ihm enthaltenen "Widerspruchs" selbst aufhebt, um wieder zu sich selbst auf einer höheren Stufe zurückzukehrenü • Die "Methode" ist nach Hegel "der sich selbst wissende, sich als das Absolute, sowohl Subjektive als auch Objektive, zum Gegenstande habende Begriff"43. Sie sei "nur die Bewegung des Begriffs selbst"44, die "ebensosehr die Tätigkeit des Erkennens" sein soll". Die zentralen Sätze der HegeIschen Dialektik lauten: "Das Erkennen" "wälzt sich" "von Inhalt zu Inhalt fort. Vor's Erste bestimmt sich dieß Fortgehen dahin, daß es von einfachen Bestimmtheiten beginnt, und die folgenden immer reicher und konkreter werden. Denn das Resultat enthält seinen Anfang, und dessen Verlauf hat ihn um eine neue Bestimmtheit bereichert. Das Allgemeine macht die Grundlage aus: der Fortgang ist deswegen nicht als ein Fließen von einem Anderen zu einem Anderen zu nehmen. Der Begriff in der absoluten Methode erhält sich in seinem Andersseyn, das Allgemeine in seiner Besonderung, in dem Urtheile und der Realität; es erhebt auf jed~ Stufe weiterer Bestimmung die ganze Masse seines vorhergehenden Inhalts, und verliert durch sein dialektisches Fortgehen nicht nur nichts, noch läßt es etwas dahinten, sondern trägt alles Erworbene mit sich, und bereichert und verdichtet sich in sich"*. Nach der Dialektik vollzieht sich danach die Entfaltung der Vernunft wie des Denkens in drei Schritten: Der These tritt die Antithese, die die Negation der These sein soll, gegenüber. Aus dem Widerstreit dieser beiden Thesen entsteht die Synthese als die Negation der Negation, die die widerstreitenden Thesen vereinigt und deren Elemente in sich aufnimmt ("aufhebt")'7. Bei der dialektischen Methode handelt es sich um die Erkenntnis des Entgegengesetzten in seiner Einheitca, wobei man diese "dialektische 30 Hegel, Logik H, S. 330 f. Im Anschluß an Hegel ist die dialektische Methode vor allem vom Marxismus übernommen worden; so ist nach Engels die dialektische Denkmethode die höchste Form des Denkens; vgl. Aebi, 1. Teil, S. 87 m. w. N. Zur Kritik der "fundamentalen Lehrsätze des dialektischen Materialismus" vgl. eingehend Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 43 ff., 60 ff., 115 ff. 40 Hegel, System I, § 81. U Hegel, Rechtsphilosophie, § 31. 4t Eisler, Wörterbuch, unter Dialektik. 43 Hegel, Logik H, S. 330. U Hegel, Logik H, S. 330. 41 Hegel, System IH, § 577. 48 Hegel, Logik H, S. 349. 47 Coing, Rechtsphilosophie, S. 45; LaTenz in Binder, Busse, Larenz, S. 15; Aebi, 1. Teil, S. 33 ff. m. w. N. 48 Hegel, System I, § 82.

I. Die Verneinung der Realität und der Erfahrung

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Einheit" auch als den gedachten Widerspruch, als die Identität der Identität und Nichtidentität bezeichnen kann4'. Damit werden kontradiktorische Gegensätze, nach denen die Verneinung des einen notwendig die Bejahung des anderen ist, als miteinander vereinbar gesetzt. Diese "Einheit des Widersprüchlichen"60 läßt sich logisch ebensowenig halten wie die Anerkennung eines Dritten (Synthese), das außer den sich widersprechenden Gegensätze bestehen soll51 • Auf der Grundlage der von Hegel abgelehnten traditionellen Logik52, nach der das Gesetz vom ausgeschlossenen Widerspruch uneingeschränkt gilt, erweist sich die Dialektik, die eine "Hauptseite der Logik" sein soll63, als die Verneinung der Vernunft64• Die Dialektik ist nichts anderes als die "Kunst, ohne zu Denken, den Anschein zu erwecken, daß man besonders tief" dächte56 • Sie ist eine Methode der "Begriffsunterschiebungen"68, mit der man alles begründen und ablehnen, alles und jedes behaupten kann. Es bereitet dann z. B. auch keine Denkschwierigkeiten mehr, aus einer Bestimmung deren Gegenteil, aus Negativem einen positiven Inhalt hervorzubringen5? • Die Dialektik, die der Sache nach mit Hegels Logik, Erkenntnistheorie68 , Methode und Begriff identisch ist, ist nur auf der idealistischen Grundthese von der Identität von Denken und Sein möglich, wonach nur Gedachtes, d. h. nur die Idee als Gegenstand eines philosophischen Glaubens6' existiert. Die Logik und das Erkennen werden dabei ebenso verneint wie die Realität, die auch nicht als eine notwendige, aber nur vorläufige Gestalt des Wissens anerkannt wird80 • Nur auf dialektischer Grundlage ist es möglich, das Verhältnis von Erkenntnismethode und Gegenstand, wie dies unter Berufung auf Hegel geschieht, als ein wechselseitiges zu bestimmen. Der Gegenstand soll die Methode und die Methode den wissenschaftlichen Gegenstand bestimmenG1• Methode und Gegenstand sollen sich dabei nicht fest geLarenz in Binder, Busse, Larenz, S. 15. Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 179. 11 Aebi, 1. Teil, S. 34 unter Berufung auf Trendelenburg. 51 Vgl. oben, 2. Kap. I 2. 53 Hegel, System I, § n. 54 Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 181. 15 Kraft, Festschrift für Kelsen, S. 43. SI Aebi, 1. Teil, S. 35. 51 Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 181, mit weiterer Kritik an der Dialektik Hegels. 58 Nach Klaus I Buhr, Philosophisches Wörterbuch, unter Erkenntnistheorie, soll diese Identität auf "der idealistischen Identifizierung von Erkenntnisprozeß und Weltentwicklungsprozeß" beruhen. 60 Wolf, Aussperrung, S. 33 H. eo So aber Larenz, in Binder, Busse, Larenz, S. 12. GI Schindler, S. 3; vgl. auch Kindt-Kiefer, S. 45. CD

50

42

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

genüberstehen, sondern sich in einem "fruchtbaren Wechselverhältnis" gegenseitig bedingen und ergänzen, da beide zur Ganzheit gehörten62• Damit werden Bedingendes und Bedingtes als identisch gesetzt. Bedingungs- und Kausalzusammenhänge werden ignoriert. Die Behauptung, daß sich Methode und Gegenstand gegenseitig bedingen und ergänzen, führt notwendig zu Zirkelschlüssen und zeigt einmal mehr die Irrationalität des "dialektischen Denkens". 4. Die Erkenntnis apriori

Die deutsche idealistische Philosophie wurde durch Kants Transzendental-Philosophie begründet, die "eine Weltweisheit der reinen, bloß speculativen Vernunft" sein soll63. Transzendental nennt Kant "alle Erkenntnis", "die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen. sofern diese apriori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt"«. Transzendental-Philosophie sei wesentlich "Autonomie der reinen Vernunft, sich selbst synthetisch a priori (das Subject zu Object) zu machen dadurch verhütet" werde "daß die transc Principien nicht transcendent d. i. die Erscheinungen nicht Objecte an sich und außer unserem Denken werden"65. Zur Klärung des Anliegens der Transzendental-Philosophie wie die Erkenntnis apriori, d. h. eine schlechterdings von aller Erfahrung unabhängige Erkenntnis", notwendige Bedingungen jeder möglichen Erfahrung sei67, befürwortet Kant eine "Revolution der Denkart"88, die er mit der Tat des Kopernikus vergleicht (Kopernikanische Wende)". Diese soll in der Einsicht bestehen, "daß die Vernunft nur das" einsehe, "was sie selbst nach ihrem Entwurfe" hervorbringe7o. Kant gebraucht dafür auch die Formulierung: Wir können "von den Dingen nur das apriori erkennen, was wir selbst in sie legen"71. Zwar gibt es nach Kant "gar kein Zweifel" daran, "daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfange", aber sie entspringe "darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung"72. Diese Lehre begründet Kant mit der Auffassung, "es könnte wohl sein, daß selbst unsere Erfahrungserkenntnis 8! 63

8' 85 18

87 8S 89

70 71 72

Kindt-Kiefer, S. 57 unter Bezugnahme auf Heget Kant, Kritik, S. 51. Kant, Kritik, S. 49. Kant, Opus postumum, S. 115. Kant, Kritik, S. 34 f. Ritter I Eisler, Wörterbuch, Bd. 1, unter a priori/a posteriori. Kant, Kritik, S. 16. Kant, Kritik, S. 18. Kant, Kritik, S. 16. Kant, Kritik, S. 19. Kant, Kritik, S. 34.

I. Die Verneinung der Realität und der Erfahrung

43

ein Zusammengesetztes aus dem sei, was wir durch Eindrücke empfangen, und dem, was unser eigenes Erkenntnisvermögen, (durch sinnliche Eindrücke bloß veranlaßt), aus sich selbst" hergebe73 • Kant spricht von "zwei Stämme(n) der menschlichen Erkenntnis", "die vielleicht aus einer gemeinschaftlichen, aber uns unbekannten Wurzel entspringen, nämlich Sinnlichkeit und Verstand"74. "Sinnlichkeit" heiße "die Fähigkeit (Rezeptivität), Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen". Durch sie werden "uns Gegenstände gegeben", "sie allein" liefern "uns Anschauung"75. Der Verstand dagegen sei "das Vermögen, den Gegenstand sinnlicher Anschauung zu denken". Durch den Verstand, der uns Begriffe liefere76, sollen die Gegenstände "gedacht" werden77. Da "ohne Sinnlichkeit" "uns kein Gegenstand gegeben" "und ohne Verstand keiner gedacht" würde, machen "Anschauung und Begriffe" nach Kant "die Elemente aller unsrer Erkenntnis aus". "Nur daraus, daß sie sich vereinigen", könne "Erkenntnis entspringen"78. Der Aufteilung der menschlichen Erkenntnis in Sinnlichkeit (Anschauung) und Verstand (Begriff) entspricht es, wenn Kant die transzendentale Elementarlehre in die transzendentale Ästhetik als Wissen·· schaft von allen Prinzipien der Sinnlichkeit apriori und die transzendentale Logik78 als Wissenschaft von den Prinzipien des reinen Denkens Bo unterteilt. Als Prinzipien der Sinnlichkeit apriori nennt Kant die beiden "Formen der Anschauung" Raum und Zeit. In diesen beiden reinen Formen sinnlicher Anschauung als "Prinzipien der Erkenntnis apriori" werde der unbestimmte Gegenstand der empirischen Anschauung, d. h. die Erscheinung, geordnet und "in gewisse Form gestellet" . Die "reine Anschauung" könne "a priori auch ohne einen wirklichen Gegenstand der Sinne oder Empfindungen" im Gemüte stattfinden; sie liege "im Gemüte apriori bereit"Bl. 73 Kant, Kritik, S. 34; "Erfahrung selbst" ist nach Kant (Kritik, S. 18) "eine Erkenntnisart", "die Verstand erfordert, dessen Regel ich in mir, noch ehe mir Gegenstände gegeben werden, mithin apriori voraussetzen muß, welche in Begriffen apriori ausgedruckt wird, nach denen sich also alle Gegenstände der Erfahrung notwendig richten und mit ihnen übereinstimmen müssen". 74 Kant, Kritik, S. 51. An anderer Stelle meint Kant, Kritik, S. 79: "Unsre Erkenntnis" entspringe "aus zwei Grundquellen des Gemüts", der Rezeptivität der Eindrucke und der "Spontaneität der Begriffe". 75 Kant, Kritik, S. 55. 78 Kant, Kritik, S. 80. 77 Kant, Kritik, S. 55. 78 Kant, Kritik, S. 79 f. 79 Nach WindeZband / Heimsoeth (S. 502) liegt in der "transzendentalen Logik" die "Wurzel des Idealismus". BO VgL auch Hülst, S. 52 ff. 81 Kant, Kritik, S. 55 ff.

44

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

Nach Kant werden die Dinge durch Anschauung nicht so zu erkennen gegeben, "wie sie an sich" sind82 • "Die Dinge, die wir anschauen", sind für Kant "nicht das an sich selbst", "wofür wir sie anschauen, noch ihre Verhältnisse so an sich selbst beschaffen sind, als sie uns erscheinen; und daß, wenn wir unser Subjekt oder auch nur die subjektive Beschaffenheit der Sinne überhaupt aufheben, alle die Beschaffenheit, alle Verhältnisse der Objekte im Raum und Zeit, ja selbst Raum und Zeit verschwinden würden, und als Erscheinungen nicht an sich selbst, sondern nur in uns existieren können. Was es für eine Bewandtnis mit den Gegenständen an sich und abgesondert von aller dieser Rezeptivität unserer Sinnlichkeit haben möge, bleibt uns" nach Kant "gänzlich unbekannt"83. Ohne den "reinen Verstand", der in der transzendentalen Einheit der Apperzeption als die Quelle der Kategorien oder Stammbegriffe bestehen soll84, ist nach Kant Erkenntnis nicht möglich. Die "Kategorien" seien für sich selbst "bloße Gedankenformen" des reinen Verstandes, die dazu dienen, "aus gegebenen Anschauungen Erkenntnisse zu machen"85. Sie seien "ohne die data der Sinnlichkeit bloß subjektive Formen der Verstandeseinheit, aber ohne Gegenstand"88. Nach Kant können wir den Gegenstand erst dann erkennen, "wenn wir in dem Mannigfaltigen der Anschauung synthetische Einheit bewirkt haben"87. "Das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen unter Einheit der Apperzeption zu bringen", ist deshalb nach Kant auch der oberste Grundsatz menschlicher Erkenntnis88. Von der Identitätsphilosophie Hegels unterscheidet sich Kants transzendentaler oder formaler Idealismus dadurch, daß er ein unabhängig vom Bewußtsein existierendes, reales Seiendes "außer uns"8', das "Ding an sich" behauptet. Die Ausführungen Kants über das Ding an sich als das "Reale", das "an sich" aber nicht erkennbar sei90, sind jedoch widersprüchlich und seit jeher Gegenstand kritischer Auseinandersetzungen gewesen'1. In Wahrheit existiert das "Ding an sich", daß nach Kants Lehre Existenz nur im Bedingtsein durch die Formen der 81 88 IW

86 81 87

88 89

to

Kant, Prolegomena, § 9, S. 3l. Kant, Kritik, S. 70 f. Aebi, 2. Teil, S. 519. Kant, Kritik, S. 208. Kant, Kritik, S. 241. Kant, Kritik, S. 615. Kant, Kritik, S. 116; vgl. dazu Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 211. Kant, Prolegomena, § 13, S. 38 f.; vgl. auch § 13, S. 43. Kant, Prolegomena, § 9, S. 31; Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 200

m.w.N.

81 Vgl. die Kritik bei Fichte, Sämtliche Werke, 1. Bd., S. 481 ff.; Wolf, S. 200 m. w. N.; Aebi, 2. Teil, S. 244 ff., S. 257 ff., S. 269 ff.m. w. N.

I. Die Verneinung der Realität und der Erfahrung

45

anschaulichen verstandesmäßigen Erkenntnis haben solll2, nicht real, d. h. unabhängig vom Bewußtsein93 • Das "Ding an sich" ist für Kant nur "ein Gedankending" ; es ist "nicht ein besonderes außer meiner Vorstellung existierendes Objekt", sondern "bloß eine Idee", "nur im Subjekt selbst"M. Das "Ding an sich" wurde in der Konsequenz di~ser Ansicht von Fichte, der nach eigener Aussage kein anderes System als das Kantische hatll5, als ein "blosser Gedanke" ohne Realität weggelassen". Da das "Ding an sich" nichts anderes ist als ein Gegenstand eines "mystischen Gefühls"87 oder eine Fiktion98 , ist in der Philosophie Kants die Realität, die Erfahrung und die auf sinnlicher Wahrnehmung begründete Erkenntnis trotz gegenteiliger Äußerungen der Sache nach ohne Bedeutung99• Außer der transzendentalen Apperzeption als des "reine(n) ursprüngliche(n), unwandelbare(n) Bewußtsein(s)"l00 existiert nach Kant nichts. In der transzendentalen Apperzeption ist somit bei Kant ebenso wie im "Ich" Fichtes die Identität von Denken und Sein - und zwar nicht nur der Form nachl~l- vorausgesetzt102 • Nur auf der Voraussetzung der Identität von Denken und Sein war es Kant möglich, die "Kopernikanische Wende" der Philosophie einzuleiten, wonach wir "von den Dingen nur das apriori erkennen", was wir selbst in sie legen103 • Nach Kant richtet sich somit der zu erkennende Gegenstand nach der Erkenntnis bzw. Erkenntnismethode und nicht, wie es auf der Grundlage einer empirischen Philosophie allein möglich ist, die Erkenntnis und Erkenntnismethode nach dem Gegenstand. Bei der Erkenntnis apriori wird der Gegenstand von der Methode impliziert bzw. "produziert"l04. Diese erkenntnismethodische Auffassung von der Bedingtheit des Gegenstands durch die Methode wurde im Anschluß an Kants transzendentale Methode auch von den Neokantianern, EisleT, Kant-Lexikon, unter Idealismus, S. 252. Vgl. dazu Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 200 f. '4 Kant: zit. nach EisleT, Wörterbuch, unter Ding an sich. D5 Fichte, Sämtliche Werke, 1. Bd., S. 420. '8 Fichte, Sämtliche Werke, 1. Bd., S. 483 ff.; vgl. auch Aebi, 1. Teil, S. 13 f.

D!

D3

m.w.N.

'7 Windelband / Heimsoeth, S. 501. '8 Austeda, Wörterbuch, unter "Ding an sich". 8t Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 201 ff. 100 Kant: zit. nach EisleT, Kant-Lexikon, unter

Apperzeption, transzendentale, S. 35. 101 So aber Kindt-KiefeT, S. 53. 10! Vgl. Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 125; Windelband / Heimsoeth, S.502. 103 Vgl. dazu auch Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 206 f. 104 Aebi, 1. Teil, S. 2; Kindt-KiefeT, S. 53.

46

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

insbesondere von dem führenden Vertreter der Marburger Schule105, Cohen, vertreten. Nach Cohen erzeugt bzw. konstituiert die Methode den Gegenstand 106 • 5. Die phänomenologische Methode

Russer! hat mit seiner Phänomenologie den Versuch unternommen, Kant in intuitiver Richtung fortzubilden 107 • Im Unterschied zur Psychologie als einer Erfahrungswissenschaft soll die Phänomenologie keine Tatsachenwissenschaft, sondern eine Wesenswissenschaft108 sein, die Russer! auch "a priorische" oder "eidetische Wissenschaft" nenntl09 • Mit Phänomenologie bezeichnet Russer! aber nicht nur eine Wissenschaft, sondern "zugleich und vor allem eine Methode und Denkhaltung, die spezifisch philosophische Denkhaltung, die spezifisch philosophische Methode" 110. Grundlegend für die phänomenologische Methode ist nach Russer! die phänomenologische Reduktion 111 ("Einklammerung")112, die das "Eingangstor" zu den "Wesensanschauungen"113 bilde. Diese "Wesenserschauung" soll "statt der Erfahrung" "der letztbegründende Akt" der Wesenserkenntnis sein114 • Die phänomenologische Reduktion, die den Rückgang auf das Bewußtsein ermöglichen S01l115, besagt: "alles Transzendente (mir nicht immanent Gegebene) ist mit dem Index der Nullität zu versehen, d. h. seine Existenz, seine Geltung ist nicht als solche anzusetzen, sondern höchstens als Geltungsphänomen" 116. Russer! unterscheidet dabei eine "eidetische Reduktion", "die vom psychologischen Phänomen zum reinen ,Wesen', bzw. im urteilenden Denken von der tatsächlichen (,empirischen') Allgemeinheit zur ,Wesens'allgemeinheit" überführe, und die "transzendentale Reduktion", die "die psychologischen Phänomene von dem, was ihnen Realität und damit Ein105 Zum "schöpferischen Charakter des Denkens" in der badischen Schule vgl. Hessen, S. 48. 106 Cohen, Logik der reinen Erkenntnis, S. 12 f., 56, 58 f.; vgl. auch S. 49 f. 107 Kraft, Husserl, S. 25 Fn. 15; Biemet, Einleitung in Husserliana II, S. VIII. 108 Husserl, Husserliana III, Einleitung, S. 6. loe Husserl, Husserliana III, Einleitung, S. 8. 110 Husserl, Husserliana II, S. 23; vgl. auch Bochenski, S. 23. 111 Bochenski (S. 23) meint, die "Reduktion" sei ein "wesentlicher Zug der phänomenologischen Methode". 112 Brugger, Wörterbuch, unter Phänomenologie; Husserl, Husserliana III, S.73. 113 Kraft, Husserl, S. 26. 114 Husserl, Husserliana III, S. 21. 115 Biemel, Einleitung in Husserliana II, S. VIII. 116 Husserl, Husserliana II, S. 6.

I. Die Verneinung der Realität und der Erfahrung

47

ordnung in die reale ,Welt' und eine reale Welt überhaupt" verleihe, "reinigen" SOll117. Die "Wesensschauung (Ideation)"1l8 kann nach Russerl nur auf dem Weg der phänomenologischen Reduktion, d. h. dem "Ausschluß aller transzendenten Setzungen"11V erreicht werden. Sie bedeutet "Schau auf die reduzierten Phänomene"loo und ziele auf die intuitive Erfassung des Wesens l21 . Die "Wesenserschauung" sei als die "Voraussetzung für die Möglichkeit der Erkenntnis"l22 "ein originär gebender Akt"123. "Das unmittelbare ,Sehen', nicht bloß das sinnliche erfahrende Sehen, sondern das Sehen überhaupt als originär gebendes Bewußtsein welcher Art immer" sei "die letzte Rechtsquelle aller vernünftigen Behauptung. Rechtgebende Funktion" habe "sie nur, weil und soweit sie originär gebende" seP!4. Es sei "das Prinzip aller Prinzipien", "daß jede originär gebende Anschauung eine Rechtsquelle der Erkenntnis sei, daß alles, was sich uns in der ,Intuition' originär, (sozusagen in seiner leibhaftigen Wirklichkeit)" darbiete, "einfach hinzunehmen sei, als was es sich" gebe, "aber auch nur in den Schranken, in denen es sich da" gebe l25 . Bei der Phänomenologie Russerls l2t handelt es sich um eine idealistische Philosophie, nach der die auf der Erfahrung beruhende und in der Erfahrung begründete Erkenntnis geleugnet wird l27 . An die Stelle objektiven, d. h. gegenstands bedingten Erkennens tritt eine subjektive, nicht beweisbare, auf Intuition beruhende Wesensschau. "Wunderglau117 Husserl, Husserliana III, S. 6. Die transzendentale Reduktion nennt Husserl, Husserliana III, S. 73, auch phänomenologische Reduktion; vgl. dazu Bannes, S. 72 ff.: "Aber die zweite" sei "offenbar die Grundlage der ersten,

da sie uns eben ,das reine Bewußtsein' ,zugänglich'" mache; vgl. aber auch

Bochenski, S. 23, der nur auf die eidetische Reduktion abstellt und die phäno-

menologische Reduktion unberücksichtigt lassen will, da sie nicht als Methode von allgemeiner Bedeutung betrachtet werden könne. Zum zweifelhaften Verhältnis von eidetischer und phänomenologischer Reduktion vgl. Ritter I Claesges, Wörterbuch, Bd. 5, unter Methode, phänomenologische. 118 Husserl, Husserliana III, S. 13. 118 Husserl, Hussediana II, S. 5; zum Begriffspaar Immanenz und Transzendenz vgl. Husserl, aaO. 120 Bannes, S. 71; vgl. auch Husserl, Husserliana III, S. 6: "Nicht eine Wesenslehre realer, sondern transzendental reduzierter Phänomene, soll unsere Phänomenologie sein". 121 Ritter I Neumann, Wörterbuch, Bd. 4, unter Idee (Sp. 132) m. w. N. 122 Husserl, Logische Untersuchungen I, S. 10l. 1!3 Husserl, Husserliana 111, S. 52. 1f4 Husserl, Husserliana III, S. 44. 125 Husserl, Husserliana 111, S. 52. 1!6 Zur Kritik der Philosophie Husserls vgl. Bannes, insbesondere S. 16, 17, 40, 41, 44, 78 ff. 127 Orthbandt, S. 40: "apriorische Denklehre".

48

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

be" ist "die intuitionistische Endkonsequenz" 128. Daran kann es auch nichts ändern, wenn Husserl betont, daß er die "natürliche Welt" nicht negieren oder bezweifeln, sondern nur "einklammern" wolle1l!9 oder in Anlehnung an Kant behauptet: "Alle Erkenntnis ,fängt mit der Erfahrung an', aber sie ,entspringt' darum nicht schon aus der Erfahrung"13Q. Indem die phänomenologische Methode verlangt, daß die reale Existenz eines Gegenstandes "eingeklammert" oder "ausgeschaltet" wird, kommt es auf die reale Existenz des Gegenstandes nicht an. Es ist völlig gleichgültig, ob dieser überhaupt existiert131 . Die Phänomenologie führt, wie jeder erk~nntnistheoretische Idealismus notwendig zu einem "Subjektivismus"lS!2 zur Annahme der "Subjektivität der Wahrheit", woraus nur Verwirrung, Irrtum l33 und Widersprüchliches folgen kann. Die Phänomenologie Husserls· war methodisch richtungsweisend für die Wertphilosophie Schelers und N. Hartmanns l34 . Nach der Wertphilosophie Schelers und N. Hartmanns sind Werte ideale "Wesenheiten", die ihrer Seinsweise nach platonischen Ideen vergleichbar seien. "Werte" sollen "weder von den Dingen (resp. realen Verhältnissen) her. noch aus dem Subjekt" stammen. Sie seien auch "nicht ,formale', gehaltlose Gebilde, sondern Inhalte, ,Materien', Strukturen, die ein spezifisches Quale an Dingen, Verhältnissen oder Personen ausmachen". Werte seien auch nicht nur "erdacht", "sondern dem Denken nicht einmal direkt faßbar; direkt faßbar vielmehr, wie die ,Ideen' Platons, nur einer inneren ,Schau'. Das Platonische Motiv des ,Schauens' gerade" passe "gut auf das, was die materiale Ethik ,Wertfühlen' " nenne, "auf das, was sich in Akten der Stellungnahme, Billigung, Gesinnung" dokumentiere. "Das Wertfühlen des Menschen" sei "die Ankündigung des Seins der Werte im Subjekt, und zwar gerade ihrer eigentümlichen, ideenhaften Seinsweise. Die Apriorität des Wissens um sie" sei "keine intellektuale, reflexive, sondern eine emotionale, intuitive"l3S. Die Werte sollen "im Verhältnis zueinander eine ,Rangordnung' besitKraft, Husserl, S. 110. Husserl, Husserliana III, S. 67. Kritisch auch Bannes, S. 81. 180 Husserl, Logische Untersuchungen I, S. 75. 131 Bochenski, S. 32. Klaus / BahT, Philosophisches Wörterbuch, unter Phänomenologie: "Am Ende steht keine Objektivität, sondern Pseudoobjektivi128

118

tät".

Aebi, 1. Teil, S. 19 m. w. N. Bannes, S. 80. 134 Bochenski, S. 22, der auch auf den Einfluß der phänomenologischen Methode auf die Existenzphilosophen wie Heidegger und Sartre hinweist. 135 HaTtmann, Ethik, S. 121. Nach Scheler, Formalismus, S. 39, sind "Werte" "klare fühlbare Phänomene"; Podlech, AöR 95,205, nennt die "wertnehmen132

133

den Akte, oft als Wertfühlen bezeichnet", eine "Teilklasse der von Husserl beschriebenen Intentionen".

I. Die Verneinung der Realität und der Erfahrung

49

zen, vermöge deren ein Wert ,höher' als der andere" sei, "resp. ,niedriger' ce. Diese "dem gesamten Wertreiche eigentümliche Ordnung" liege "wie die Unterscheidung von ,positiven' und ,negativen' Werten im Wesen der Werte selbst"llJl8. Da "dieses Höhersein" "eine im Wesen der betreffenden Werte selbst gelegene Relation" sei, sei "die, Rangordnung der Werte selbst etwas absolut Invariables"l37. "Welcher Wert der höhere" sei, "das" sei "immer neu zu erfassen durch den Akt des Vorziehens und Nachsetzens. Es" gebe "hierfür eine intuitive ,Vorzugsevidenz', die durch keinerlei logische Deduktion zu ersetzen" seP38. Das zur Phänomenologie Gesagte gilt entsprechend für die Wertphilosophie Schelers und N. Hartmanns, nach der die Werte und ihre Rangordnung in "irrationalen, d. h. an die Gesetze der Logik nicht gebundenen", "emotionalen" und apriorischen Akten erfaßt werden sollen l3'. Gegen die dabei notwendig auftretenden Widersprüche140 kann nicht vorgebracht werden, der Satz vom Widerspruch sei in der Philosophie ein "falscher Maßstab", da die Welt selbst auch nicht widerspruchslos seP4l. Mit der Behauptung, auch die Welt sei nicht widerspruchslos, wird verkannt, daß die Welt, die aus allen Seienden besteht, nicht widersprüchlich sein kann. Ein Widerspruch kann nur in oder zwischen Begriffen bestehen, die sich auf die einzelnen Seienden beziehen. Widersprüchlichkeit ist Unvereinbarkeit begrifflicher Inhalte. Unvereinbar sind Merkmale oder Begriffe, die einander inhaltlich ausschließen. Die Welt als die Gesamtheit aller Gegenstände möglicher Erfahrung ist dagegen kein einheitlicher geistiger Inhaltlc . Der Gegenauffassung liegt notwendig die idealistische These von der Identität von Denken und Sein und die Annahme eines idealen "Weltbewußtseins" zugrunde. Wenn in der Konsequenz dieser idealistischen Auffassung die Logik, insbesondere das Gesetz vom ausgeschlossenen Widerspruch nicht beachtet wird, dann ist alles behauptbar; wissenschaftliche Erkenntnis ist danach unmöglich.

188 137 138

138 140

ScheleT, Formalismus, S. 104. ScheleT, Formalismus, S. 106. Scheler, Formalismus, S. 107. Podlech, AöR 95,203. Vgl. auch die Kritik bei Welzel, S. 221 f. Nach M. Schlick (Allgemeine Erkenntnislehre, S. 77) ist "intuitive Er-

kenntnis" eine "contradictio in adiecto". Zu den Widersprüchen der idealistischen materialen Wertlehre vgl. auch Matz, S. 85 ff., m. w. N.: "Der Widerspruch in der Seinsweise der Werte", und Bihler, S. 105 ff. 141 Hartmann, Kant-Studien XXXIII 1928, S. XV. U2 Vgl. dazu im einzelnen Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 62 ff.; s. a.

S.53.

4 Wilk

50

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen 6. Zusammenfassung

Zusammenfassend läßt sich festhalten: Grundthese der idealistischen Philosophie ist die Identität von Denken und Sein. Alle genannten Vertreter der idealistischen Philosophie verneinen reale, d. h. bewußtseinsunabhängige Gegenstände. Damit verneinen sie auch objektives Erkennen. Statt dessen behaupten sie subjektive Intuition, apriorische Erkenntnis oder eine Erkenntnis des Entgegengesetzten in seiner Einheit (Dialektik). ll. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie als Produkt der Konstruktionsjurisprudenz 1. Vorbemerkung

Nach einer verbreiteten Auffassung soll die Gesamtvermögensdifferenztheorie bzw. der Interessebegriff Mommsens und Puchtas dem Schadensersatzrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs zugrundeliegen. Die Auffassung, die Gesetzesverfasser hätten den Interessebegriff Mommsens und Puchtas ins Bürgerliche Gesetzbuch übernommen, wird schon seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezweifelt. Darüber hinaus hat die Gesamtvermögensdifferenztheorie selbst scharfe sachliche und methodische Angriffe erfahren. Die dabei gerügten Mängel haben schließlich zur Objektivierung und Normativierung im Schadensersatzrecht geführt 1 • Trotz aller Einwände gegen diese Theorie ist sie bis heute nicht endgültig aufgegeben worden. Es zeichnet sich sogar die gegenteilige Tendenz ab, die, um die Konsequenzen der Normativierung und Objektivierung einzuschränken, wieder zunehmend die Anwendung dieser Theorie zur Ermittlung des Schadens befürwortet. In diesem Sinne ist auch der Versuch zu verstehen, die Gesamtvermögensdifferenztheorie im Rahmen eines dualistischen Schadensbegriffs grundsätzlich anzuwenden. Mit den nachstehenden Ausführungen wird weitere Kritik an den sachlichen und methodischen Grundlagen der Gesamtvermögensdifferenztheorie geübt. Dabei soll vor allem dargelegt werden, daß die Unzulänglichkeiten dieser Theorie auf der idealistischen Konstruktionsjurisprudenz beruhen. Ferner soll gezeigt werden, daß die Nichtanwendung der Gesamtvermögensdifferenztheorie keinesfalls dem Bürgerlichen Gesetzbuch widerspricht oder gar zur Gewährung von Schadensersatz ohne Vermögensschaden führt.

1

Hagen,

Drittschadensliquidation, S. 151.

11. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie

51

2. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie als Ganzheitslehre

a) Das Vermögen als" Werteinheit" Nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie soll der Schaden in einer durch einen schädigenden Umstand bedingten ziffernmäßigen Minderung des Vermögens bestehen, die durch eine das Gesamtvermögen erfassende Differenzrechnung bzw. aufgrund einer "umfassenden Gesamtschau"! ermittelt werden soll. Den Schaden als Gesamtvermögensminderungl' zu bestimmen, beruht dabei auf der Auffassung, daß es sich beim Vermögen um eine Ganzheit" bzw. um eine Einheit handele, die auf eine "Wertsumme", "Werteinheit" oder "Geldeswert" zurückzuführen sei5 • Diesem "Vermögen als Werteinheit" entspreche "das Interesse im Schadensersatzrecht"6. Grundlegend für die Gesamtvermögensdifferenztheorie ist die Annahme, daß das Vermögen ein in einer Werteinheit bestehendes "Ganzes" sei. Das Vermögen soll danach, wie schon v. Savigny ausführte, eine "Einheit", ein "Totalwert" oder die "Totalität aller" "Verhältnisse" sein, "insofern sie sich auf eine bestimmte Person als deren Träger beziehen". Bei "der allgemeinen Betrachtung des individuellen Vermögens" kann dabei nach v. Savigny "von der Beschaffenheit der einzelnen Rechte, woraus es gerade besteht", abstrahiert werden. Aufgrund dieser Abstraktion verwandele sich das Vermögen "in eine reine Quantität von gleichartigem Gehalt", wobei "diese rein quantitative Behandlung des Vermögens" "durch den Begriff des Werthes" "vermittelt" werde, welcher selbst "äußerlich" "durch das Geld" "dargestellt" werde7 • Gegenstände, "für welche, die Verwandlung in Geldsummen völlig undenkbar" seien, die also keinen Geldwert haben, eigneten sich demnach nicht als Vermögensrechte8 . Nach der Auffassung vom Vermögen als Ganzem bzw. Werteinheit, die der traditionellen Gesamtvermögensdifferenztheorie zugrundeliegt, LG Hechingen NJW 1965, 1916; Zeuner, AcP 163, 385. Fischer, S. 32: "Vermögensschaden" bedeute "Wertminderung des Vermögens". Vgl. auch v. Savigny: "Schaden ist jede unfreiwillige Vermögensminderung" (zit. nach Hammen, S. 197 Fn. 69). , Mommsen, S. 191 f.; vgl. auch Puchta, Pandekten, § 34. 5 Fischer, S. 23; s. a. S. 21. 8 Fischer, S. 21. 7 v. Savigny, System I, S. 375 ff., 383. Vgl. auch Fischer (S. 11 ff. m. w. N.), der den Vermögensbegriff der Nationalökonomie zugrundelegt. "Wir können" nach Fischer (S. 12) das "Veirmögen in diesem Sinne definieren als die Gesamtheit der in der Verfügungsgewalt eines leitenden Rechtssubjekts stehenden wirtschaftlich wertvollen Güter". Vgl. dazu auch Mertens, S. 24 f. m. w. N. und Schiek, S. 37 ff. Geldwert und Wert sind nach v. Savigny (System I, S. 376) für den juristischen Sprachgebrauch gleichbedeutende Ausdrücke. Vgl. auch Fischer, S. 17. 8 v. Savigny, System I, S. 377 f. 2

S

4*

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2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

soll es auf die "Vielfalt der gegenständlichen Substrate des Vermögens" nicht ankommen'. Die These vom Vermögen als Ganzem ist der Hauptgrund für die Fehlerhaftigkeit der Gesamtvermögensdifferenztheorie. Die Vertreter dieser Auffassung verkennen, daß das Vermögen keine "überindividuelle Einheit" ist, sondern notwendig aus mehreren einzelnen vermögensrechtlichen und wirtschaftlichen Gegenständen, wie Forderungsrechten, Eigentumsrechten, Marktanteilen und Erwerbschancen zusammengesetzt istl°. Das Vermögen einer Person besteht aus mehreren wirtschaftlichen und vermögensrechtlichen Gegenständen und ist nicht ein einziger selbständiger Gegenstand und somit auch kein einheitliches Ganzesl1 • Eine Vielheit, die eine Einheit ist, ist logisch nicht denkbar und damit auch sachlich unzutreffend12 • Daran kann auch die sprachliche Bezeichnung "ein" Vermögen nichts ändern; diese Bezeichnung ist lediglich eine Sammelbezeichnung für mehrere einzelne Vermögensverhältnisse. Die Gegenstände des Vermögens sind eine Gesamtheit13, die sachlich von einer Ganzheit zu unterscheiden ist. Der Begriff Gesamtheit enthält im Unterschied zur Ganzheit nicht das Merkmal Einheit oder "Ganzheit". Eine Gesamtheit ist aus einzelnen Gegenständen zusammengesetzt, deren Selbständigkeit nach der Erfahrung nicht bestritten werden kann. Die These vom "Vermögen als Ganzem" beruht auf einer, auf Platon zurückgehenden idealistischen Ganzheitslehre. Danach soll das Vermögen "zwar aus Theilen (Bestandtheilen) bestehen, trotzdem aber "etwas Anderes" als die "Summe seiner Theile" sein14• Die Vertreter dieser Auffassung übersehen, daß sich das Vermögen notwendig aus mehreren Stücken zusammensetzt und deshalb in seiner Gesamtheit nicht mehr als die Summe seiner Teile sein kann1S • Aus dieser Erkenntnis folgt für die methodische Ermittlung des Vermögens, daß dieses nicht im Wege einer "Gesamtschau" bestimmt werden kann. Die Ermittlung des Vermögens setzt die Ermittlung der einzelnen Vermögensgegenstände, deren jeweilige Werte und die Zusammenfassung dieser Werte voraus1G • Wird dennoch ein "Vermögensganzes", welches

Mertens, S. 45 f. Wolf, SehR I, § 2 D II a 9 bb (99 ff.). 11 Vgl. Wolf, Festschrift für v. Hippel, S. 673; vgl. auch SchR II, § 11 A III a

t

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(4).

Vgl. Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 52 ff. Vgl. im einzelnen Wolf, SehR I § 2 D II a 9 bb (99); Festschrift für v. Hippel, S. 674. I, Windscheid, Pandekten I, § 42 (96 Fn. 2). 15 Wolf, MarXistische Wissenschaft, S. 52 ff. 11 Wolf, SchR I, § 4 G II f 2 ff (221); Keuk, S. 22, 24 f. Nach Meyer, Das Wesen, S. 77, kann man "sich nicht der Einsicht verschließen, daß die Erkenntnis des Ganzen die Erkenntnis und Bestimmung der Teile zur Voraussetzung" habe. 11

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H. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie

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mehr als die Summe der Teile sein soll, oder eine "Gesamtschau" des Vermögens behauptet, kann es sich bei diesem "Ganzen" nur um eine absolute, überindividuelle "Idee"17 und bei der "Gesamtschau" nur um eine subjektive, ideale intuitive "Schau" dieser "Idee" des Vermögens handeln. Dem entspricht es, wenn ausgeführt wird, die "Methode" der "Schau von Ganzheiten" setze einen mit "der Fähigkeit der Intuition begabte(n) Denker" voraus, der "auf die Schau von Gestalten" eingestellt sei, und "das innere Auge zur Wachsamkeit erzogen" habeis. Reale einzelne Gegenstände und eine durch einzelne reale Gegenstände bedingte Erkenntnis werden damit verneint, auch wenn die Existenz einzelner Gegenstände teilweise widersprüchlich behauptet wird. Die Werte der zum Vermögen gehörenden Gegenstände können in Geld als dem allgemeinen Wertmesser beziffert werdeni'. Die zu einem Vermögen gehörenden Gegenstände können in ihrer Gesamtheit einen höheren Wert haben, als ihn die Summe aller Gegenstände in ihrer Einzelheit haben würde20. Das hat nichts mit der auf der idealistischen Ganzheitsphilosophie beruhenden These, daß "alle Teile einer Erscheinung und ihre Ganzheit" "nicht dasselbe" seien:!!, zu tun. Der höhere Wert des in Geld bezifferten Vermögens resultiert dabei nicht aus der Bestimmung einer irrealen "Ganzheit", sondern aus der individuellen Schätzung der einzelnen individuellen Gegenstände und der besonderen Zusammensetzung der einzelnen Gegenstände im Verhältnis zueinander. Die besondere Zusammensetzung ist ein zusätzlicher Schätzungsfaktor. Die These vom Vermögen als Ganzheit, nach der das Vermögen nur aus in einer in Geld ausgedrückten Werteinheit bestehen kann, führt notwendig dazu, daß nur "geldwerte" oder "in einem Geldwert ausdrückbare"2! "Güter" zu den Vermögensgütern gerechnet werden. Dementsprechend werden auch bei der Erkenntnis des Vermögensschadens nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie nur die in Geld ausdrückbaren Vermögensgüter in die rechnerische Differenzbildung einbezogen23 • Die Vertreter dieser Auffassung übersehen, daß die Kriterien des Geldwertes und die "Ausdrückbarkeit in Geld" zur Bestimmung des Vermögensgegenstandes und mithin des Vermögensschadens unVgl. Merlens, S. 128. Weygand, AcP 158, 175; das gilt nach Weygand auch, wenn man den "Begriff der Ganzheit" aus "den apriorischen Grundbegriffen" gewinnen will. 18 Vgl. dazu Wolf, SehR I, § 4 G H b 1 aa (182). 10 Vgl. Wolf, SchR H, § 11 A IH a (4). U Weygand, AcP 158, 171 m. w. N. !! Vgl. Larenz, Allg. T., § 17, I 2 (273). 13 Fischer, S. 16, 20 f. 17

18

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

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geeignet sind. Für das Merkmal Geldwert, das nichts anderes als Marktwert (Sachwert) bedeuten kann, folgt dies einmal daraus, daß es Vermögensgegenstände gibt, die nicht übertragbar und damit keinen Marktwert oder Geldwert zu haben brauchen. Das gilt z. B. für den Nießbrauch, bei dem es unbestritten ist, daß es sich um einen Vermögensgegenstand handelt24 • Weiterhin wird übersehen, daß es Sachen gibt, die völlig wertlos sind, also keinen Geldwert haben, bei denen es sich aber ebenfalls unzweifelhaft um Vermögensgegenstände25 handelt. Von dem Merkmal Geldwert ist das zur Bestimmung des Vermögensgegenstandes im Schrifttum herangezogene Merkmal der "Berechenbarkeit", "Abschätzbarkeit" oder "Meßbarkeit" in Geld26 zu unterscheiden. Bei diesem Merkmal handelt es sich ebenfalls nicht um ein Merkmal des Begriffs Vermögen und damit auch nicht des Begriffl!l Vermögensschaden. Der Wert eines jeden Gutes läßt sich im Verhältnis zu anderen Gütern in Zahlen ausdrücken. Auch Personenschäden, wie z. B. Schmerzen, lassen sich durch den "allgemeinen Wertmesser" Geld beziffern. Werden diese Zusammenhänge, die auch in § 253 BGB vorausgesetzt sind, nicht beachtet, sind Vermögens- und Nichtvermögensschäden nicht mehr auseinanderzuhalten27 • b) Der Schaden als Minderung des Vermögens als "Ganzem" aa} Die Verneinung einzelner realer Nachteile Nach der Auffassung der Vertreter der Gesamtvermögensdifferenztheorie soll der Interessebegriff durch "die Berücksichtigung der Einwirkung der Schadenshandlung auf die gesamte Vermögenslage des Verletzten"28 bzw. auf das durch einen Einheitswert dargestellte "Vermögen im Ganzen"29 seinen besonderen Inhalt bekommen31l • Der Vermögensschaden ist danach weder ein in einem einzelnen Gegenstand eintretender Schaden noch eine Zusammenfassung derartiger einzelner Schäden zu einem Gesamtschaden31 • Der Schaden soll vielmehr als Dif24 Im einzelnen vgl. Wott, SchR I, § 2 D II a 9 bb fff. (103 f.); § 4 GIlb 1 aa (182). Kritisch zum Geldwertkriterium auch Zeuner, AcP 163, 386 m. w. N.; Enneccerus I Nipperdey, § 78 II (453 f.); Recker, S. 134 ff. m. w. N. 25 Enneccerus I Nipperdey, § 78 II (454); Larenz, Allg. T., § 17 I 2 (273), der

allerdings meint, daß es sich dabei um einen Grenzfall handele. Vgl. dazu

Wott, SchR I, § 2 D II a 9 bb fff. (104). 26 Vgl. dazu Wott, SchR I, § 2 D II a 9 bb fff. (103 f.) m. w. N. 27 Im einzelnen Wott, SchR I, § 4 GIlb 1 aa (182); s. a. § 2 D II a 9 bb fff. (103 f.).

Fischer, S. 25. Mommsen, S. 191 f. 30 Mertens, S. 45: "Prinzip der Beziehung des Schadens auf das Vermögen als Einheit". 31 Vgl. auch Keuk, S. 14 f., 18 f. 28

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H. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie

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ferenz zweier Vermögenswerte in einer Vermögensminderung bestehen, die sämtliche einzelnen Folgen des schädigenden Ereignisses unmittelbar ganzheitlich umfaßt3 2 • Die Vermögensminderung soll in einer einheitlichen Wertdifferenz ausgedrückt werden. Ein Vermögensschaden ist nach dieser Ansicht" Vermögensminderung" und nicht" Vermögensänderung"33. Nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie kann deshalb aus der Wertminderung des einzelnen Vermögensgegenstandes nicht auf das Vorhandensein eines Vermögensschadens geschlossen werden, weil nach dieser Theorie alle das Vermögen erhöhenden als auch alle das Vermögen mindernden Einwirkungen bei dem (Gesamt)Vermögensausgleich zu berücksichtigen sindM • Die Verfehltheit der Gesamtvermögensdifferenztheorie ergibt sich aus der Zugrundelegung des Vermögens als Werteinheit. Ebenso wie bei der Lehre vom Vermögen als Ganzheit von den einzelnen Vermögensgegenständen abstrahiert werden soll, soll nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie von den einzelnen Vermögensnachteilen abstrahiert werden. Deshalb ist die Erkenntnis des Schadens als "abstrakte Schadensberechnung" bezeichnet worden35 • Die Ganzheit des Vermögens kann es aus sachlichen und logischen Gründen nicht geben. Darum gibt es auch eine einheitliche Wertminderung des Vermögens ohne Berücksichtigung der einzelnen Vermögenseinbußen (Nachteile) nicht. Die Ermittlung des Gesamtvermögensschadens setzt vielmehr wie bei der Ermittlung des Gesamtvermögens notwendig die Erkenntnis der Einzelnachteile voraus36 • Eine "Gesamtschau" einer ganzheitlichen Vermögenseinbuße ist methodisch ausgeschlossen. Zu Recht ist in diesem Zusammenhang festgestellt worden, daß die "Formulierung eines Gesamtvermögensschadens, der nicht als das Ergebnis der Addition der einzelnen Schäden begriffen wird", "ohne jeden Sinn" sei und "bislang nur den Nährboden für mannigfache willkürliche Distinktionen und kasuistische Korrekturen" abgegeben habe3 7 • Hinzu kommt, daß Vgl. Neuwald, S. 7 f. m. w. N.; Walsmann, S. 15. Fischer, S. 26, 220. Zur entsprechenden Problematik im Bereicherungsrecht lehrte v. Savigny, "die Erweiterung eines Vermögens durch Verminderung eines andern Vermögens" (System V, S. 525) bestehe darin, "daß der Totalwerth des einen Vermögens vermindert, des anderen vermehrt wird" (System IV, S. 23 f.). Vgl. dazu Rammen, S. 192, 195 f. 34 Neuwald, S. 16. 35 Fischer, S. 22; Mauczka, S. 30 f.; man nennt die Interesseberechnung allerdings auch "konkrete Schadensberechnung" (vgl. oben, 1. Kap. I 1 und unten, 2. Kap. II 2 b ee). 3G Vgl. auch Wolf, SchR I, § 4 G II f 2 ff (221 f.); Keuk (S. 25) meint, daß die Ermittlung des Schadens "schwerlich anders möglich" sei, "als durch die Bezugnahme auf die durch das Schadensereignis betroffenen ,gegenständlichen Substrate' des Vermögens". 3!

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37

Keuk, S. 24.

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2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

sich eine Ermittlung und Aufschlüsselung der Einzelnachteile weder bei der prozessualen Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs38 noch in Versicherungsfällen vermeiden läßt'!'. Obwohl die Gesamtvermögensdifferenztheorie der Sache nach von einzelnen Nachteilen ausgehen muß, bestehen doch grundsätzliche Unterschiede zu einer Schadenslehre, für die der Schaden aus einer Gesamtheit einzelner Nachteile besteht. Der Grund dafür ist in der idealen "Einheit" des Vermögens zu suchen. Es darf nämlich nicht unberücksichtigt bleiben, daß nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie das schädigende Ereignis sowohl das Vermögen als Ganzes als auch die einheitliche Werteinbuße dieses idealen Vermögens bedingen soll. Das bedeutet, daß nicht nur die Einbuße notwendig in einer Einheit bestehen muß, sondern daß diese Einheit auch als ein Gegenstand der Bedingtheit durch das Ereignis aufgefaßt wird. Damit werden nicht nur die realen einzelnen Gegenstände des Vermögens und die realen einzelnen Nachteile verneint, sondern auch die realen individuellen Bedingungszusammenhänge zwischen dem individuellen Umstand und den dadurch bedingten Nachteilen40 • Darin liegt der eigentliche Unterschied zu den sog. Einzelschadenslehren. Die Auffassung, das schädigende Ereignis bedinge das Vermögen als "überindividuellen Einheitswert" und damit die einheitliche Wertminderung des Vermögens, führt zu der Konsequenz, daß die Veränderung des Vermögens nicht nur die durch das schädigende Ereignis bedingten Nachteile, sondern auch die dadurch bedingten Vorteile umfassen, mithin also nicht nur auf nachteilige Einwirkungen beschränkt sein S01l41. Auf dieser Voraussetzung beruhen auch die in der Rechtsprechung und Schrifttum so problematischen Fälle der Vorteilsausgleichung und Drittschadensliquidation, die aus dem Begriff des Interesses folgen sollen42 • Der Inhalt dieser Lehre wird verunklart, wenn von manchen Vertretern der Gesamtvermögensdifferenztheorie eingeräumt wird, daß die vom "Schaden nicht berührten Vermögensmassen" "bei der Schadensberechnung" natürlich außer acht blieben. Die Richtigkeit dieser These lasse sich "auch rein mathematisch beweisen""3. Mit dieser Auf38

Oertmann, Vorteilsausgleichung, S. 8 f.; Keuk, S. 32; Gottwald, S. 47

m.w.N.

Keuk, S. 31; Möller, S. 9 ff.; Gottwald, S. 47. Vgl. Wolf, SehR I, § 4 G II f 2 ff (221); M. L. Müller, S. 92. 41 Keuk, S. 35f.; Oertmann, Vorteilsausgleichung, S. 10. CI Vgl. Oertmann, Vorteilsausgleichung, S. 60. U Fischer, S. 26: "Setzt sich das Vennögen des Verletzten aus den Werten a - f zusammen und ist nur der Wertgegenstand d beschädigt, so wird man bei der Aufstellung der Differenzgleichung die unveränderten Werte a - c, e, f auf beiden Seiten der Gleichung streichen können". Vgl. auch Keuk, S. 17. 31

40

11. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie

57

fassung wird die Gesamtvermögensdifferenztheorie der Sache nach in der Weise verstanden, daß das Vermögen in einer Gesamtheit und nicht in einer Ganzheit besteht. Dies unterstellt, würde sich in der Tat die Einbeziehung des Gesamtvermögens bei der Beeinträchtigung eines einzelnen Gegenstandes in die Differenzrechnung als überflüssig und sinnlos erweisen, weil der durch das schädigende Ereignis nicht betroffene Teil des Gesamtvermögens auf beiden Seiten der Gleichung gestrichen werden könnte, ohne daß die Rechnung sich änderte". Das entspricht jedoch nicht dem Inhalt der Gesamtvermögensdifferenztheorie45 • Nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie ist Gegenstand der durch das schädigende Ereignis bedingten Einwirkung notwendig das Vermögen als Einheit. Allein diese ideale Ganzheit des Vermögens ist der Gegenstand der Differenzrechnung. Es kommt bei der Ganzheitsbetrachtung nicht darauf an, ob nur ein Vermögensgegenstand oder mehrere beeinträchtigt wurden, da bei der zugrundegelegten Ganzheit von diesen Gegenständen bzw. Nachteilen ideal "abstrahiert" wurde. Das wird deutlich, wenn bei konsequenter Anwendung der Gesamtvermögensdifferenztheorie in den Fällen der Vorteils ausgleichung oder Drittschadensliquidation alle durch das schädigende Ereignis bedingten Einwirkungen auf das Vermögen berücksichtigt werden sollen. Die Ganzheit des Vermögens ist nur eine "Idee", nur ein "Gedanke", der der Schadensberechnung zugrunde liegt. Die Anwendung der Gesamtvermögensdifferenztheorie erfordert in jedem Fall eine ideale "Gesamtschau". Eine individuelle Erkenntnis individueller realer Nachteile und eine Zusammenfassung dieser Nachteile erfolgt nicht". Das zeigt sich an den erzielten Ergebnissen der Vorteilsausgleichung und Drittschadensliquidation. Bei der Gesamtvermögensdifferenztheorie handelt es sich um ein Produkt der idealistischen Ganzheitsphilosophie. Die Einbuße des Vermögens wird nicht als Zusammenfassung einzelner, individuell erkannter Nachteile, sondern als einheitliche Wertminderung oder einer damit identischen Wertdifferenz zweier Vermögenswerte aufgefaßt. Der Schaden, der als "Werteinheit" etwas anderes sein soll als die Summe der realen in einzelnen realen Gegenständen eintretenden Nachteile47 , ist eine Idee. Das Ideenhafte der einheitlichen Wertdifferenz wird dabei besonders deutlich von Fischer hervorgehoben, nach dem das Interesse gegenüber dem Einzelschaden das "entwickeltere und vollendetere" oder "geläutertere" sein soll48. ce Wolf, Festschrift für Schiedermair, S. 565; ders., SchR I, § 4 G 11 f 2 ff (221); Honsell, JuS 1973, 71; Walsmann, S. 11. 45 Vgl. auch Mertens, S. 45. 41 Vgl. auch Fischer, S. 25; Neuwald, S. 16. 47 Fischer, S. 23, 25. 48 Fischer, S. 24 f.

58

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

bb) Der Schaden als "rechnerische Differenz" In Schrifttum und Rechtsprechung wird dem Interessebegriff Mommsens entsprechend der Schaden als Differenz zwischen dem gegenwärtigen Vermögensbetrag und demjenigen, wie er ohne das Schadensereignis bestehen würde, aufgefaßt. Der Schaden als Differenz zweier Totalwerte besteht danach in einer "rechnerischen Größe"49. Aus dieser Auffassung folgt für die Erkenntnis des Vorliegens eines Schadens durch Anwendung des Interessebegriffs, daß es sachlich und methodisch unumgänglich ist, diese Differenz zweier Totalwerte als rechnerisches Ergebnis zu erkennen5o • Bei der Erkenntnis des Vorliegens eines Schadens ist der rechnerische Betrag des Gesamtvermögens festzustellen und diese Summe von dem Betrag des hypothetischen Vermögens, wie es sich ohne das Schadens ereignis darstellen würde, in einem gegebenen Zeitpunkt abzuziehen51 • Die Annahme, daß der Schaden und nicht nur seine ziffernmäßige Höhe in einer "rechnerischen Differenz " 52, einem Gesamtvermögenssald053 oder einer "Rechengröße"54 bestehen soll, der Begriff des Schadens somit ein "rechnerischer Begriff" sein soll55, läßt sich nicht halten. Will man den Bezug eines Begriffes auf erfahrbare reale Gegenstände nicht verneinen, kann die Definition des Interesses als "rechnerische Differenz" einem z. B. in einem körperlichen Gegenstand eingetretenen Schaden nicht entsprechen. "Rechnerische Begriffe", d. h. Zahl begriffe, können sich begrifflich nur auf Mengenverhältnisse beziehen58• Entsprechendes gilt für das methodische Erkennen eines Schadens, der im Unterschied zur Berechnung seiner Höhe nicht "ganz mathematisch einfach ausgerechnet" werden kann57 . Rechnen (Subtrahieren) kann als besondere Methode der Mathematik nur den Besonderheiten der Mengenverhältnisse entsprechen. Für die Erkenntnis des Vorliegens eines Schadens kommt Rechnen nur als Hilfsmethode in Verbindung mit der Anwendung des Begriffs Schaden in Fällen besonderer Art in Frage. Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, dem "rechnerischen Schaden" liege ein "realer Schaden" zugrunde. "Die natürliche Erschei48 Oertmann, Vorteilsausgleichung, S. 10; HonseH, JuS 1973, 70; Keuk, S.14f. 50 Vgl. zur entsprechenden Problematik im Bereicherungsrecht Joachim Wotf, S. 8 fi. 51 HomeH, JuS 1973, 69. 52 Oertmann, Vorteilsausgleichung, S. 6; BGH 54, 49; Hans StoH, Begriff, S.17. 53 Neuwald, S. 8. 54 Keuk, S. 20 H. 55 Oertmann, Vorteilsausgleichung, S. 6. 58 Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 139. 57 So aber Hartmann, AcP 73,360; Fischer, S. 21: "Rechnungsoperation".

11. Die Gesamtvennögensdifferenztheorie

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nung des Schadens, der Verlust oder die Veränderung des einzelnen Vermögensbestandteiles" sei "vielmehr der Grund, aus dem sich erst der diesbezügliche rechnerische Schaden" herleite58 • Dabei wird verkannt, daß der Gesamtvermögensdifferenztheorie die idealistische Auffassung vom Vermögen als einer "überindividuellen Einheit" zugrunde liegt59 • In dieser Einheit soll die Einbuße eintreten. Die Einheit läßt sich ebenso wie die einheitliche Minderung dieser Ganzheit nur durch einen ursprünglich einheitlichen Wert darstellenoo . Von einzelnen in einzelnen Gegenständen eintretenden realen Nachteilen wird nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie "abstrahiert". Der "rechnerische Schaden" im Sinn der Gesamtvermögensdifferenztheorie ist das rechnerische Ergebnis des einwirkenden Ereignisses, wobei wegen der Bedingtheit des Vermögens als Ganzheit "alle dem Vermögen abträglichen wie zuträglichen Einwirkungen ins Auge" gefaßt werden müssen, um zu dem rechnerisch notwendig einheitlichen Endergebnis zu gelangen61 • Diesem "rechnerischen Schaden" liegt also kein einzelner oder mehrere einzelne Nachteile, die einzeln in Geld bewertet und addiert werden6l!, sondern eine ganzheitliche Vermögensminderung zugrunde. Der "rechnerische Schaden" der Gesamtvermögensdifferenztheorie der notwendig in einer rechnerischen Werteinheit besteht, hat mit realen Einzelschäden nichts zu tun. ce) Die Lehre Mommsens Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, Mommsen habe "das Interesse durchaus gegenständlich als die Summe aller realen Nachteile und Einbußen" verstanden, "die Glieder der durch das Schadensereignis ausgelösten Kausalkette" seien. Deswegen unterscheide Mommsen auch zwischen der Feststellung des gegenständlichen Interesses und der Schätzung des Interesses in Geld. Zu einer abstrakten Rechenoperation habe Mommsen die Ermittlung des Interesses nicht denaturiert63 • Diese Interpretation entspricht nicht der Lehre Mommsens. Mommsen definiert das Interesse ebenso wie seine Anhänger als Differen2'~ zwischen dem wirklichen Betrage eines Vermögens und demjenigen Betrage desselben, wie er ohne die Dazwischenkunft des beschädigen58 Vgl. Keuk, S. 22; Hans StolI, Begriff, S. 16 f.; Staudinger / Werner, Vorbem. vor §§ 249 - 255, Rn. 16. 59 Mertens (S. 68) meint zutreffend, "die These von der Strukturgleichheit des konkreten und rechnerischen Schadens" lasse sich "allenfalls für den Fall aufstellen, daß man beide Schadensfonnen auf den Einzelgegenstand bezieht". 80 So auch Larenz, SehR I, § 2711 b 2 (399); Mertens, S. 45 f. 81 Oertmann, Vorteilsausgleichung, S. 10. 82 Vgl. aber Keuk, S. 23 f. 83 Hans StolI, Begriff, S. 16 f.; Keuk, S. 17 ff.

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

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den Ereignisses gewesen wäreM • Zum Verständnis dieses Interessebegriffs ist es erforderlich, darauf hinzuweisen, daß Mommsen im Unterschied zu den in Schrifttum und Rechtsprechung vertretenen Auffassungen mit dem Interessebegriff nicht den Schaden" oder Vermögensschaden~, sondern den möglichen Inhalt bzw. Gegenstand der Schadensersatzpflicht bezeichnet67 . Nach seiner Lehre wird "der Umfang des Interesse" "durch den Causalnexus zwischen dem eingetretenen Schaden und der zum Ersatz verpflichteten Thatsache" bedingt. "Damit von einem Interesse die Rede sein" könne, müsse "ein Schaden eingetreten sein". Habe "die Thatsache, um welche es sich handele", "gar keine oder wenigstens keine nachtheiligen Folgen für das Vermögen des Klägers gehabt, so" könne "auf dieselbe ein Anspruch auf Erstattung des Interesse nicht gegründet werden, weil es an einem Objekt für diesen Anspruch" fehle68 • Mommsen hat also anders als seine Nachfolger die Ausdrücke Interesse und Schaden unterschieden und im Hinblick auf den Umfang des Interesses eine Bedingtheit der Schadensersatzpflicht durch den durch die Tatsache bedingten Schaden behauptet. Den Begriff Schaden hat Mommsen jedoch nicht definiert; alles konzentriert sich bei ihm auf den Begriff des Interesses68 • Obwohl Mommsen den Begriff des Schadens nicht bestimmt hat, geht aus seinen Ausführungen zum Interessebegriff hervor, daß er den Schaden der Sache nach als ganzheitliche Vermögensminderung versteht. Nach seiner Auffassung kann die "nachtheilige Einwirkung des Ereignisses", auf das nach dem Interessebegriff zu vergleichende Vermögen darin bestehen, "daß das zur Zeit des Eintretens des Ereignisses vorhandene Vermögen, sei es durch gänzliche oder theilweise Entziehung einzelner damals existirender Theile desselben, oder durch Verminderung ihres Werthes, oder endlich durch Belastung des Vermögens mit einer Schuld verringert" sei, - "oder darin, daß eine Erweiterung des Vermögens gehindert" sei, welche ohne die Dazwischenkunft des Ereignisses eingetreten wäre"70. Gegenstand aller nachteiligen Einwirkungen ist danach dem Inhalt des Interessebegriffs entsprechend das Vermögen als Ganzes. Die von Mommsen genannten Nachteile bestehen der Sache nach in der Minderung des Vermögens als Mommsen, S. 11. Leonhard, § 58, S. 137; v. CaemmeTeT, S. 5; vgl. auch Keuk, S. 12 m. w. N.; BGH 40, 347; BGH 27, 183 f. ee Schiek, S. 28 m. w. N.; Staudinger / WemeT, Vorbem. vor §§ 249 - 255, Rn. 9; Honsetl, JuS 1973, 69; WeychaTdt, Schadensbegriff, S. 33 m. w. N.; NÖTr, AcP 158, 5; BGH 45, 218. . e7 Mommsen, S. 3, 5 f.; s. a. Neuwald, S. 8 Fn. 6 m. w. N. IS Mommsen, S. 117 f . .. Walsmann, S. 21. 70 Mommsen, S. 11; vgl. auch S. 134. U

85

II. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie

61

Ganzem. Mommsen hat zwar je nach einzelnen nachteiligen Einwirkungen auf das Vermögen als Ganzes zwischen den Arten einer Vermögensminderung unterschieden. Beide Arten von Nachteilen sind für Mommsen jedoch nur "Richtungen" der Einwirkung des beschädigenden Ereignisses auf ein und dasselbe Vermögen. Lediglich ihr "Einfluß" auf das Vermögen ist ein verschiedener71 • Die Nachteile damnum emergens und lucrum cessans sind nichts anderes als teilidentische Minderungen einer einheitlichen Vermögensminderung im Ganzen, und damit selbst Minderungen des Vermögens als Ganzem. Sie sind gleichsam ideale Einheiten in einer größeren Einheit. Diese größere Einheit besteht in einer ganzheitlichen "Gesamtvermögensminderung". Dem entspricht es, wenn nach Mommsen durch Zusammenfassung des damnum emergens und des lucrum cessans der "mögliche Umfang des Interesses" bezeichnet werden soll72, der vom Umfang im einzelnen Fall zu unterscheiden sei. Ob das Interesse im einzelnen Fall damnum emergens und lucrum cessans umfasse, hänge davon ab, "ob das beschädigende Ereignis nur nach der einen bezeichneten Richtung hin, oder nach beiden Richtungen auf das von demselben betroffene Vermögen eingewirkt" habe73 • Für Mommsen besteht der Nachteil, ebenso wie das Interesse, in einer ganzheitlichen Vermögenseinbuße. Mommsen hat dabei die einzelne nachteilige Folge für das Vermögen nicht als einzelne reale in einem einzelnen realen Gegenstand eintretende Einbuße aufgefaßt. Ebensowenig verstand er unter Interesse die Summe aller realen Nachteile und Einbußen. Wenn dies dennoch behauptet wird, wird verkannt, daß für Mommsen Gegenstand der nachteiligen Einwirkung das Vermögen als ideales Ganzes war. Die einzelnen nachteiligen Einwirkungen hatten nur "Einfluß" auf den Umfang der Minderung des Vermögens als Ganzem (Gesamtvermögensminderung). Mommsen hat das Interesse nicht als Summe aller individuell bedingten einzelnen realen Nachteile aufgefaßt. Das ergibt sich auch aus seinen Ausführungen zur Vorteilsausgleichung. Nach seiner Lehre ist es nämlich "das Natürliche und eigentlich ganz von selbst sich Verstehende", "daß Beides" (Vorteil und Nachteil) "zusammengerechnet" werde, was daraus folge, daß die "Einwirkung der verpflichtenden Thatsache auf das Vermögen im Ganzen" zu betrachten sei. "Denn in der That" bestehe "die Differenz zwischen dem gegenwärtigen Vermögensbestande des Beschädigten und dem Betrage, welchen dieses Vermögen ohne die Dazwischenkunft des beschädigenden Ereignisses ge72

Mommsen, S. 11 f. Keuk, S. 16 f., bezeichnet die Zusammenfassung von damnum emergens

73

Mommsen, S. 11 f.

71

und lucrum cessans als Gesamtschaden.

62

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

habt hätte, nur in dem Schaden nach Abzug des lucrum"74. Ausschließlich die Minderung des Vermögens als Ganzheit ist danach entscheidend. Die einheitliche Vermögensminderung setzt sich dabei nicht nur aus nachteiligen Folgen zusammen. Nach Mommsen soll der Umfang des Schadens den Umfang des Interesses in der Weise bedingen, daß die Minderung des Vermögens als Ganzem der Bestimmung des Interesses als Wertdifferenz (Interesseberechnung) zugrunde zu legen ist. Um eine Bedingtheit des Inhalts der Schadensersatzpflicht durch reale einzelne gegenständliche Nachteile handelt es sich dabei nicht. Ebensowenig handelt es sich um eine ausschließliche Bedingtheit der Wertdifferenz (Interesse) durch die nachteiligen Einwirkungen auf das Vermögen. Das ergibt sich aus dem zur Vorteilsausgleichung Gesagten. Danach ist Inhalt und Umfang des Interesses nicht ausschließlich durch eine Vermögensminderung bedingt, die sich nur auf nachteilige Folgen der zum ersatzverpflichtenden Tatsache bezieht. Gesamtvermögensminderung wie Interesse werden auch durch Vorteile mitbestimmt. Nach Mommsen ist die Gesamtvermögensminderung etwas Anderes als die Summe der einzelnen nachteiligen Folgen. Entsprechend besteht nur eine Abhängigkeit des Interesses von einer idealen Minderung des Vermögens als Ganzem. Sowohl einzelne reale Nachteile als auch nachteilige Folgen für das Vermögen sind für die ideale Gesamtvermögensminderung und das Interesse der Sache nach ohne Bedeutung. Daher beruht Mommsens Lehre vom Interesse auf einer verfehlten idealistischen Ganzheitslehre. Der von Mommsen im Anschluß an Puchta vor dem Hintergrund der idealistischen Konstruktionsjurisprudenz entwickelte Interessebegriff unterscheidet sich grundlegend von der realistischen römisch-rechtlichen Lehre vom id quod interest, auf die sich Mommsen zur Stützung seiner Lehre unzutreffenderweise berufen hat7li . Nach der Lehre vom id quod interest, womit von den Römern der Inhalt der Schadensersatzpflicht umschrieben wurde76, wurde der als Ersatz geschuldete Ausgleich des Gesamtschadens und seine Höhe nicht durch Subtraktion eines realen Vermögensbetrages von einem gedachten Vermögensbetrag, sondern durch Addition mehrerer einzelner Ersatzbeträge ermittelt77 • Nach dem Interessebegriff Mommsens sind zwei einheitlich bedingte Vermögensbeträge miteinander zu vergleichen. Der Begriff bezeichnet insoweit eine "rechnerische Differenz", die den Inhalt der Schadensersatzpflicht in Geld betrifft. Dabei setzt die Erkenntnis des Interesses im Mommsen, S. 192; Oertmann, Vorteilsausgleichung, S. 59 f. Medicus, id quod interest, S. 303; vgl. Hagen, Drittschadensliquidation, S. 153; Becker, S. 82. 78 Vgl. hierzu Medicus, id quod interest, S. 1, 5. 77 Medicus, id quod interest, S. 303. 74

75

11. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie

63

Einzelfall die Schätzung der Gegenstände, um die durch Verbindung von Nachteilen und Vorteilen das Vermögen im Ganzen gemindert ist, voraus7S• Daraus, daß insoweit einzelne Gegenstände in Geld geschätzt werden, läßt sich aber nicht der Schluß ziehen, daß das Interesse als Gesamtvermögensschaden nach Mommsen aus einer Summe einzelner in einzelnen Gegenständen eintretender Nachteile besteht. Es handelt sich vielmehr um eine Bestätigung dafür, daß die Erkenntnis des Vermögens und einer Vermögensminderung ohne vorherige Erkenntnis der einzelnen Gegenstände methodisch ausgeschlossen ist7 9 • Mommsen bezeichnet mit dem Interessebegriff den Inhalt der Schadensersatzpflicht. Darüber hinaus bezieht Mommsen den Begriff Interesse auch auf das damnum emergens und lucrum cessans, deren Zusammenfassung er den möglichen Umfang des Interesses nennt. Mommsen gebraucht den Ausdruck Interesse in der Bedeutung von Minderung des Vermögens als Ganzheit und Inhalt des als Schadensersatz geschuldeten Ausgleichs. Damit deutet Mommsen die Identität des Inhalts der Schadensersatzpflicht und der Minderung des Vermögens als Ganzem an, die seinem Interessebegriff der Sache nach zugrunde liegt. Diese Identität ergibt sich unmittelbar aus der Identität des Wertes des Interesses als Wertdifferenz zweier Vermögenswerte und des Wertes, der die Wertminderung ausdrückt, die das wirkliche Vermögen als Werteinheit durch das schädigende Ereignis erfahren mußte. Der durch das schädigende Ereignis bedingte geminderte Vermögenswert insgesamt und die Wertdifferenz im Sinne des Interessebegriffs sind identisch. Der Interessebegriff Mommsens bezeichnet damit auch die Minderung des Vermögens als Ganzheit. Damit wird nach dem Inhalt der Definition Mommsens die Einbuße und das, was als Schadensersatz für diese Einbuße geschuldet wird, fehlerhaft ineinsgesetzt8o• Diese auf einer idealistischen Lehre vom Vermögen als Werteinheit (Ganzheit) beruhende Identifikation hat für das Schadensersatzrecht unabsehbare Folgen gehabt. dd) Die "reine Differenzhypothese" Im Schrifttum wird im Unterschied zu der "rechnerischen Schadensermittlung" die "reine Differenzhypothese" vertreten. Die Vertreter der "reinen Differenzhypothese" verstehen darunter "die in § 249 S. 1 wenigstens angedeutete Schadensermittlung durch den Vergleich zweier Güterlagen, nämlich der hypothetischen, wie sie jetzt ohne das Schadensereignis bestünde, und der wirklichen"sl. 78 7D

80 81

Vgl. Mommsen, S. 14. Vgl. auch Fischer, S. 20, 24. Vgl. auch Reinecke, S. 56, 73. Medicus, JuS 1979, 235 m. w. N.; Zeuner, AcP 163, 382.

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2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

Dieser Auffassung ist, soweit sie sich gegen die "rechnerische" Schadensermittlung durch Subtraktion zweier ganzheitlicher Vermögenswerte bei der Erkenntnis des Schadens wendet, zuzustimmen. Es stellt sich jedoch die Frage, worin die bezeichneten Güterlagen, mithin der Unterschied zur "rechnerischen Differenzhypothese", bestehen sollen. Da sich die Güterlagen nicht auf eine durch das Ereignis bedingte Minderung des Vermögens als Ganzheit und somit als Werteinheit beziehen sollen, könnte man annehmen, daß sich die Güterlagen nach der "reinen Differenzhypothese" ausschließlich auf einzelne und individuell bedingte reale Nachteile in einzelnen Gegenständen beziehen sollen. Dagegen spricht jedoch, daß gar nicht erwogen wird, ob sich durch die Anwendung der "reinen Differenzhypothese" etwas an den erzielten Ergebnissen zur "rechnerischen Differenzhypothese" ändern könne. So scheint man nach wie vor von der Möglichkeit der Anrechnung von Vorteilen und der damit verbundenen Problematik der Vorteilsausgleichung und Drittschadensliquidation auszugehen. Der Sache nach wird also lediglich statt von Vermögen als Werteinheit von Güterlage gesprochen, wobei die Güterlage selbst als bedingte Einheit aufgefaßt wird. Daß auf die Bewertung dieser idealen Vermögenseinheit verzichtet wird, kann daran nichts ändern. Der Schaden liegt auch nach dieser Auffassung der Sache nach in einer ganzheitlichen idealen Vermögensminderung, die nur durch einen Wert dargestellt werden kann. Auf real in einzelnen Gegenständen eingetretene Nachteile wird ebensowenig abgestellt, wie es bei der Anwendung des Interessebegriffs Mommsens der Fall ist. ee) Ganzheitliche Betrachtung statt konkreter Schadensberechnung Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung soll der Ermittlung des Interesses die konkrete Schadensberechnung entsprechen. Zu ihrer Durchführung müsse man "den Wert des ganzen Vermögens des Gläubigers berechnen, so wie es zufolge der schädigenden Tatsache geworden" sei "und so wie es zufolge der schädigenden Tatsache geworden wäre". In der Regel genüge es, das "Schicksal eines Ausschnitts aus dem Vermögen zu verfolgen". Wesentlich komme es aber auf das Vermögen der bestimmten Person und dessen tatsächliches Schicksal an8l • Die konkrete oder individuelle83 Schadensberechnung soll der Ermittlung des Interesses entsprechen. Damit betrifft die konkrete Schadensberechnung der Sache nach sowohl die Erkenntnis des Vorliegens 82 Rabel, S. 449; s. a. Hansen, Normativer Schadensbegriff, S. 22; EsseT I Schmidt, § 32 ur (162). 83 Vgl. dazu Hansen, Normativer Schadensbegriff, S. 22; Hans Stall, JuS

1968,510.

H. Die Gesamtvennögensdüferenztheorie

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eines Gesamtvermögensschadens und seiner Höhe als auch die Bestimmung des als Schadensersatz geschuldeten Ausgleichs, d. h. die Ermittlung des Inhalts der Schadensersatzpflicht. Dies folgt aus der verfehlten Identifikation aller dieser Gegenstände durch die Gesamtvermögensdifferenztheorie. Die konkrete Schadensberechnung bezieht sich danach nicht auf einen individuell bestimmten Gegenstand. Sie ist damit nicht durch einen individuellen Gegenstand bedingt. Die konkrete Schadensberechnung bezieht sich vielmehr auf mehrere in ihrer Gesamtheit als identisch aufgefaßte Gegenstände. Dadurch wird schon dem methodischen Ansatz nach eine individuelle Schadenserkenntnis ausgeschlossen. Der Auffassung, es handele sich bei der konkreten Schadensberechnung um eine individuelle Schadensberechnung, kann auch aus anderen Gründen nicht zugestimmt werden. Die "Konkretheit" oder "Individualität" der konkreten Schadensberechnung soll darin bestehen, daß die individuelle Entwicklung und Gestaltung der Vermögensverhältnisse des Geschädigten berücksichtigt werden84 • Eine konkrete Schadensberechnung besteht nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie nur hinsichtlich der Berücksichtigung der Gesamtvermögensentwicklung, in die auch Folgeschäden86 und schadensmindernde Umstände einbezogen werden. Die behauptete Individualität resultiert der Sache nach aus der verfehlten Auffassung vom Vermögen als Ganzem. Mit der Zugrundelegung des Vermögens als Ganzem bei der Schadensberechnung ist eine individuelle Schadenserkenntnis ausgeschlossen. Die Berechnung des tatsächlichen Verlusts des Vermögens als Werteinheit beinhaltet, daß es auf die einzelnen in individuellen Gegenständen eintretenden individuellen Nachteile der Person nicht ankommt, d. h. von diesen "abstrahiert" wird. Ebenso wird von einzelnen individuellen Bedingungszusammenhängen "abstrahiert". Die Konsequenz der Zugrundelegung des vermeintlich "individuellen Vermögens" als Ganzheit ist es gerade, daß auf individuelle Verhältnisse keine Rücksicht genommen wird. Um eine individuelle, auf einen individuellen Nachteil für eine Person bezogene Schadensberechnung handelt es sich bei dieser Schadensberechnung nicht. Aus diesem Grunde wurde die Ermittlung des Schadens nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie früher zutreffend als "abstrakte Schadensberechnung" be8' Vgl. Hamman, S. 11; Hans StaU, JuS 1968, 510; Staudinger / Medicus, § 252, Rn. 23; Hansen, Nonnativer Schadensbegriff, S. 22. 85 Vgl. dazu Hagen, Drittschadensliquidation, S. 164 Fn. 78 m. w. N. Nach Windscheid (Pandekten H, § 258 [35]) muß "auch für denjenigen Nachtheil"

"Ersatz gegeben werden, welcher erst durch andere Tathsachen vennittelt worden" sei. "Darin" bestehe "ja gerade das Wesen des Interesses, daß auf die besonderen Verhältnisse, welche sich bei dem Gläubiger vorfinden, Rücksicht genommen" werde. 5 Wllk

66

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

zeichnet86 • Daran ändert auch nichts, daß das Vermögen als Ganzes einer individuellen Person zustehen und insoweit ein "individuelles Vermögen" sein S01187 • Die individuellen Verhältnisse einer Person zu den individuellen einzelnen Gegenständen, von denen nach der Auffassung vom Vermögen als Einheit "abstrahiert" werden soll, sind für die Schadenserkenntnis nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie bedeutungslos. Eine konkrete Schadensberechnung folgt auch nicht daraus, daß nach der Auffassung der Vertreter der Gesamtvermögensdifferenztheorie mit dem Interesse stets der subjektive Wert des beeinträchtigten Gegenstandes ersetzt wird88• Bei dem Ersatz des subjektiven Werts (besonderer Wert, pretium singulare) eines beeinträchtigten Gegenstandes handelt es sich der Sache nach um den Ersatz des Wertverlustes, der im Verlust eines Gegenstandes als Teil des ganzen Vermögens besteht. Es handelt sich bei dem zu ersetzenden subjektiven Wert um den Wert, den die Sache für den "Complex des Vermögens"89 oder als "Stück einer größeren Einheit im Vermögen des Verletzten" haben SOllllO. Dieser Wert besteht in der Differenz des durch das schädigende Ereignis bedingten tatsächlichen Vermögenswerts und dem Vermögenswert, wie er ohne Dazwischenkunft des schädigenden Ereignisses bestehen würdeu1 • Die einzelnen, zum Vermögen gehörenden Gegenstände sind dabei nach ihrem Geldwert zu schätzen und zu summierenu2 • Der subjektive Wert, der ebenfalls Interesse genannt wird93 und sich in. der Wertdifferenz niederschlägt94 , drückt damit lediglich die Entwertung der übrigen Gegenstände desselben Gesamtvermögens anderer Sachen aus us ; er bezieht sich mithin auf den ganzheitlichen Wertverlust aller zu Vgl. Oertmann, Vorteilsausgleichung, S. 6 f.; Mauczka, S. 30. v. Savigny, System I, S. 375; vgl. auch S. 378: "In dem Begriff des individuellen Vermögens" sei "die Einheit, die wir ihm zuschreiben, gegründet in der Person des Inhabers". Vgl. auch Fischer, S. 14. 88

87

Enneccerus I Nipperdey, § 14 I 2 (58 f.). Mommsen, S. 16 Fn. 1. 90 Hans Stoll, Begriff, S. 16; Mommsen, S. 213 ff.; Keuk, S. 198; StaHjohann, S. 32. 91 Vgl. Mommsen, S. 216 f.; Enneccerus I Lehmann, § 14 I (58 f.). u.! Fischer, S. 20 f.; Mommsen, S. 216. Vgl. auch M. L. Müller, S. 91 f. Die Auffassung Neuwalds (S. 11), daß die Berechnung des Werts einzelner Ver88

89

mögensgüter nicht nur nach ihrem Tauschwert, sondern nach den subjektiven Verhältnissen des Geschädigten erfolgen soll, ist ungenau. Nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie werden die einzelnen in die Differenzrechnung eingestellten Vermögensbestandteile nach dem Geldwert geschätzt. 93 Vgl. auch Larenz, SehR I, § 29 I b (444 f.); Enneccerus I Nipperdey, § 134

II 2 (854); Brinker, S. 183; NeuwaZd, S. 10 f. 94 Hans Stoll, Begriff, S. 16. 95 Enneccerus I Lehmann, § 14 I 2 (58 f.); Keuk, S. 198; Larenz, SchR I, § 29 I b (445).

II. Die Gesamtvermögensdüferenztheorie

67

dem Vermögen als Einheit gehörenden nach dem Marktwert bemessenen Güter. Folgendes seit Mommsen im Schrifttum häufig angeführtes Beispiel soll dies verdeutlichen: Wird ein Pferd eines Vierergespanns getötet, bestehe der subjektive Wert nicht nur in dem Sachwert des getöteten Pferdes, sondern beinhalte auch die Wertminderung der übrigen, zum Vierergespann als größerer Einheit gehörenden Pferdeoo • Es zeigt sich also, daß sich der subjektive Wert eines Gegenstandes als Teil eines Vermögens aus einer ganzheitlichen Betrachtung ("Gesamtschau") der zu vergleichenden Vermögensbeträge ergibt. Der subjektive Wert des beeinträchtigten Gegenstands als Teil des bestimmten Vermögens resultiert als Wertdifferenz aus dem Vergleich zweier ganzheitlicher Vermögenswerte. Die einzelnen Vermögensbeträge, aus denen sich das Vermögen als Ganzes zusammensetzen soll, werden nach dem Geldwert geschätzt und summiert. Mit Geldwert kann nur der Marktwert gemeint sein. Daraus folgt, daß mit dem Ersatz des subjektiven Wertes kein an den individuellen Verhältnissen des Geschädigten anknüpfender Schadensersatz geleistet wird. Zwar kann ein Gegenstand im Zusammenhang mit anderen Gegenständen einen höheren Wert haben. Das ergibt sich aus der besonderen Zusammensetzung der einzelnen Gegenstände eines Vermögens im Verhältnis zueinander, wobei die einzelnen Verhältnisse einen besonderen Schätzungsfaktor bilden. Nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie wird jedoch ausschließlich auf den Wert des Gegenstandes im ganzen Vermögen der Person abgestellt. Der höhere Wert resultiert danach aus einer Ganzheitsbetrachtung ("Gesamtschau"). Ferner resultiert der höhere Wert nicht aus dem Verhältnis des beeinträchtigten Gegenstandes zur individuellen Person. Auf die individuellen Verhältnisse des betreffenden Menschen in bezug auf einen einzelnen Gegenstand kommt es nach dieser Lehre nicht an. Entscheidend für die Bestimmung des subjektiven Werts ist allein die Minderung des ganzen Vermögens einer Person. Bei dieser Wertbestimmung bleiben die individuellen Zwecke, welche der betreffende Mensch mit dem Gegenstand verfolgt hat, außer Betracht. Auf den Gebrauchs- und Verbrauchswert eines Gegenstands für den Geschädigten, bei dem es sich keinesfalls um einen Affektionswert handelt97, kommt es nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie nicht an. Es handelt sich bei der Ermittlung des subjektiven Wertes eines Gegenstandes in Beziehung zum Vermögen als Ganzem somit um eine verdeckte Objektivierung oder Pauschalierung98 • Soweit in der Rechtsprechung im Unterschied dazu bei der BeMommsen, S. 214, 216; M. L. MüHer, S. 92; Schiemann, S. 168. Vgl. dazu Wolf, SehR I, § 4 G 11 3 aa (227 f.); M. L. MüHer, S. 94 ff.; vgl. unten, 3. Kap. VI 4. 98 A. A. Neuwald, S. 11 f. 98

U1



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2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

wertung eines nachteilig betroffenen Gegenstandes nicht der Marktwert, sondern der Gebrauchswert zugrunde gelegt wird99 , beruht dies nicht auf einer konsequenten Anwendung der Gesamtvermögensdifferenztheorie. Die Anwendung der Gesamtvermögensdifferenztheorie knüpft an eine objektive Wertbemessung an. Es handelt sich mithin nicht um eine individuelle Schadensermittlung, auch wenn diese konkret genannt wird und von subjektivem Wert gesprochen wird1oo • Nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie werden alle zum Vermögen gehörenden Gegenstände nach dem Sachwert bewertet. Diese Bewertung darf jedoch nicht mit der noch zu erörternden Bemessung des Schadens nach dem objektiven Wert im Sinne der objektiven Schadenslehre verwechselt werden. Von dieser unterscheidet sich die Gesamtvermögensdifferenztheorie schon bei der Erkenntnis des Vorliegens eines Schadens. Nach der objektiven Schadenslehre besteht der Vermögensschaden in der Verletzung eines vermögenswerten Gutes. Auf die weitere, durch den schädigenden Umstand bedingte Vermögensentwicklung kommt es nicht an. Der objektive Wert soll als "ersatzfähiges Minimum"lol oder als "objektiver Schadenskern"l02 zu ersetzen sein. Im Gegensatz dazu kann das Interesse im Sinne der Gesamtvermögensdifferenztheorie durchaus unter dem Sachwert liegen, weil sich die Marktwerte der übrigen zum Vermögen als Ganzem gehörenden Gegenstände durch den Verlust eines Gegenstandes nicht nur verringern, sondern auch erhöht haben können103 • c) Zusammenfassung

Die Gesamtvermögensdifferenztheorie beruht auf einer verfehlten idealistischen Ganzheitslehre. Der Schaden und der damit identifizierte Inhalt der Schadensersatzpflicht werden als ideal bedingte Differenz des Vermögens als einer idealen Ganzheit aufgefaßt. Von einzelnen realen erfahrbaren Gegenständen und Nachteilen wird in einer "Gesamtschau" gedanklich abstrahiert. Dabei macht es keinen Unterschied, ob das zu vergleichende Vermögen in einer Werteinheit dargestellt oder gg Vgl. BGH NJW 1982, 1518; OLG Celle DAR 1964, 191 f.; vgl. auch Hagen, Drittschadensliquidation., S. 168 m. w. N. 100 Bei der ganzheitlichen Wertminderung im Sinne der Gesamtvermögensdifferenztheorie handelt es sich mithin nicht um einen konkreten (RG 91, 33; Rabel, S. 473; Bydlinski, S. 26) oder subjektiven (Fischer, S. 14; Hamman, S. 11) Schaden. Vgl. dazu auch Hagen, Drittschadensliquidation, S. 164 ff. 101 Bydlinski, S. 27 Fn. 55. 10! Lange, Schadensersatz, § 6 I (164). 103 Im Widerspruch dazu steht es allerdings, wenn nach Mommsen (S. 17) das "Interesse über den Sachwerth" hinausgehen müsse, da "der Sachwerth denjenigen Werth" repräsentiere, "welchen die Sache für Jeden" habe, und deshalb "die Sache zum Mindesten diesen Werth immer auch für den Gläubiger haben" müsse. Vgl. dazu auch Neuwald, S. 13.

H. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie

69

als Güterlage bezeichnet wird. Einzelne erfahrbare reale Gegenstände und Nachteile werden nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie der Sache nach verneint. Die konkrete Schadensberechnung ist keine individuelle Ermittlung des Schadens oder des als Schadensersatz geschuldeten Ausgleichs. Der Ersatz des subjektiven Wertes des verletzten Gegenstandes als Teil einer größeren Einheit erweist sich als verdeckte Objektivierung. Die behauptete konkrete Schadensberechnung beruht damit auf einer als verfehlt erkannten ganzheitlichen Betrachtung des Vermögens als Werteinheit. Der Sache nach handelt es sich bei der konkreten Schadensberechnung um eine abstrakte Schadensberechnung, bei dem ermittelten Schaden um einen abstrakten Schaden. 3. Die Identität von Schaden und Vermögensschaden

Mit der übernahme des auf das Vermögen als Ganzes bezogenen Interessebegriffs Mommsens als Schadensbegriff wurde nicht nur der Inhalt der Schadensersatzpflicht mit dem Schaden, sondern auch Schaden und Vermögensschaden identifiziert. Auf diese Identifikation hat schon Mommsen hingewiesen, wenn er ausführt, "aus dem Begriff des Interesses folge, daß der Schaden ein Vermögensschaden sein" müsse. "Ein Nachtheil, welcher das Vermögen nicht" berühre, könne "nicht berücksichtigt werden"l04. Die Identifikation von Schaden und Vermögensschaden läßt sich nicht halten. Dabei wird verkannt, daß der Vermögensschadensbegriff als Artbegriff des Schadensbegriffs weder im Schadensbegriff als Gattungsbegriff enthalten noch mit diesem identisch ist. Der Begriff des Vermögensschadens beinhaltet vielmehr ein zusätzliches Merkmal, durch welches er sich vom Begriff des Nichtvermögensschadens, zu dem er in kontradiktorischem Verhältnis steht, unterscheidettOll; der Vermögensschaden ist ein Schaden besonderer Art. Wird das Gegenteil behauptet, beruht dies auf einer sachlich und methodisch verfehlten idealistischen Deduktion, wobei im Wege dieser Deduktion das Besondere aus dem Allgemeinen folgen soll. Nicht das Allgemeine (der Gattungsbegriff) ist danach im Besonderen (dem Artbegriff), sondern das Besondere im Allgemeinen enthalten108• Das logische Verhältnis von Gattungs- und Artbegriff wird mit dieser, auch von der idealistischen Konstruktionsjurisprudenz vertretenen Deduktion107 auf den Kopf gestellt. 104 Mommsen, S. 122; vgl. auch Staudinger I Werner, Vorbem. vor §§ 249255, Rn. 9: "Vermögensschaden ist in der Tat identisch mit dem Interesse". 105 Vgl. auch Oertmann, Vorteilsausgleichung, S. 6. 101 Vgl. Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 231, gegen Kant. 107 Vgl. dazu Larenz, Methodenlehre, S. 21 ff.; vgl. aber auch Bohnert, S.155.

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2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

Hinzu kommt, daß die Identifikation von Schaden und Vermögensschaden gegen die in §§ 249 ff. BGB enthaltene begriffliche Systematik, der die hier vertretene entspricht, verstoßen würde. Dies ergibt sich zum einen daraus, daß sich die in § 249 S. 1 BGB geregelte Sachherstellung (Naturalrestitution) sowohl auf Vermögensschäden als auch auf Nichtvermögensschäden bezieht, zum anderen aus der Existenz des § 253 BGB, nach dem in bestimmten Fällen auch Nichtvermögensschäden in Geld zu ersetzen sind. Mit der Ineinssetzung des Interessebegriffs mit dem Schadensbegriff werden aber nicht nur diese begrifflichen Verhältnisse von Gattung und Art verneint108 , sondern darüber hinaus die Existenz von Nichtvermögensschäden geleugnet, da deren Erkenntnis durch Anwendung des Interessebegriffs völlig ausgeschlossen ist. Im Schrifttum wird unter Berücksichtigung der Systematik des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Auffassung vertreten, daß der Interessebegriff nicht mit dem Schadensbegriff, sondern mit dem Vermögensschadensbegriff identisch sei. Der Schadensbegriff wird als Vernichtung oder Minderung eines Rechtsguts einschließlich der Möglichkeit, erlaubten Gewinn zu erzielen, definiert109 • Dieser Versuch, den Interessebegriff als "Unterbegriff" des genannten Schadensbegriffs aufzufassen llO , ist widersprüchlich und beruht der Sache nach ebenfalls auf einer Identifizierung beider Begriffe. Die Widersprüchlichkeit folgt dabei daraus, daß es nach dem Inhalt des Schadensbegriffs auf die Einbuße in einzelnen Gegenständen ankommen soll, während sich der Interessebegriff ausschließlich auf die Minderung des Vermögens als Einheit bezieht. Da diese sich widersprechenden Merkmale nicht Merkmale ein und desselben Begriffs sein können, können die Merkmale des behaupteten Schadens begriffs nicht als Gattungsmerkmale in einem ganzheitlichen Vermögensschadensbegriff enthalten seinll1 • Es handelt sich bei dem Interessebegriff bzw. Vermögensschadensbegriff damit in keinem Fall um den Artbegriff des genannten Schadensbegriffs. Bei Zugrundelegung des Interessebegriffs hat dieser behauptete Schadens begriff keinerlei Bedeutung für die Erkenntnis des Schadens, weder des Vermögens- noch des Nichtvermögensschadens. Zu einer Ineinssetzung von Vermögensschaden und Schaden und der damit verbundenen Verneinung von Nichtvermögensschäden führt auch die Auffassung, daß der in § 249 BGB geregelte Inhalt und Umfang des Schadensersatzanspruchs nach dem Interessebegriff zu bestimmen seil l!. 108 109

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s. a. Schiek, S. 28 ff. Staudinger / Werner, Vorbem. vor §§ 249 - 255, Rn. 9. Fischer, S. 3. Ähnlich Schiek, S. 28 ff. Weychardt, Schadensbegriff, S. 19 m. w. N.

H. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie

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Da sich § 249 BGB ausschließlich auf den Inhalt des Schadensersatzes bezieht, wird der Interessebegriff, wie dies Mommsen getan hat, damit sozusagen als "Schadensersatzbegriff"113 zur Bestimmung des Inhalts des Schadensersatz anspruchs herangezogen. Bestimmt man den Inhalt bzw. die Höhe des Schadensersatzanspruches durch Vergleich zweier Vermögensbeträge im Sinne des Interessebegriffs, bedeutet dies - der Ansicht Mommsens entsprechend -, daß der Schaden ein Vermögensschaden sein muß, weil "nur ein Vermögensschaden bei der Berechnung des Interesses in Betracht" komme. Diese Auffassung, die die "Ausschließung eines jeden Schadens", welcher nicht ein Vermögensschaden" sei, zum Inhalt hat 114, hat darüber hinaus zur Behauptung geführt, daß der "Ausgleich" eines Nichtvermögensschadens kein Schadensersatz, sondern "einen ganz anderen Charakter, nämlich den Charakter einer Strafe"116 oder, wie der Bundesgerichtshof meint, einer "Genugtuungsfunktion" habell~. Dabei wird verkannt, daß sowohl Vermögensschäden als auch Nichtvermögensschäden Schäden besonderer Art sind, beiden das gleiche Gattungsmerkmal zukommt, sie mithin nicht wesensverschieden sind und für beide Arten von Schäden nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch Schadensersatz zu leisten ist. Zu welchen verwirrenden Konsequenzen diese begrifflichen Ineinssetzungen führen, läßt sich an einem Beispiel aus der Rechtsprechung belegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs soll die Minderung der Erwerbsfähigkeit noch nicht "allein einen Schadensersatzanspruch" begründen. Es müsse "vielmehr eine tatsächliche Einbuße an Erwerb hinzukommen". "Für die Annahme eines Schadens im zivilrechtlichen Sinne" müsse "sich bei konkreter Berechnung ein Schaden" ergeben117. Der Bundesgerichtshof macht damit das Vorliegen eines Schadens in der Person eines Menschen von einer "tatsächlichen Einbuße an Erwerb" bzw. einer "konkreten Berechnung" abhängig. Der Sache nach soll das Vorliegen eines Schadens nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie (Interessebegriff) bestimmt werden. Da sich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit als Nichtvermögensschaden118 nicht in einer Gesamtvermögensdifferenz niederschlägt, gelangt der Bundesgerichtshof notwendig zu der Konsequenz, daß kein Schaden vorliege. Der Sache nach werden die Merkmale des Begriffs Vermögensschaden 118 114

So BayObLG NJW 1965, 975. Mommsen, S. 133 m. w. N.

Mommsen, S. 5, 125. BGH 18, 154 f.; a. A. BGH 7, 224 f.; vgl. dazu Wolf, SehR I, § 4 G d 2 dd ccc (195). 117 BGH 7, 48; BGH VersR 1977, 282 m. w. N.; ebenso Palandt / Thomas, § 843, Anm. 2. 118 Wolf, SehR I, § 4 G H f 3 ee (239); Palandtl Heinrichs, Vorbem. vor § 249, Anrn. 2 b ff m. w. N. 115

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2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

für die Erkenntnis jeden Schadens angewendet. Ein Schaden liegt nach dieser Auffassung nur vor, wenn ein Vermögensschaden vorliegt, was nichts anderes bedeutet, als daß es Nichtvermögensschäden nicht geben kann. Daraus folgt, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit fehlerhaft mit dem Erwerbsausfallschaden vermengt wird. Schadensersatz wegen eines Schadens in der Erwerbsfähigkeit, der als Nichtvermögensschaden nach § 843 Abs. 1 BGB zu ersetzen ist119 , wäre danach entgegen dem Gesetz ausgeschlossen. Die Anwendung des Interessebegriffs als Schadensbegriff ist somit nicht nur begrifflich unmöglich, sondern führt auch zu Konsequenzen, die mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht zu vereinbaren sind. 4. Der Interessebegriff als apriorisdle Konstruktion

Nach dem von Mommsen formulierten Begriff des Interesses besteht das Interesse in der Differenz "zwischen dem Betrage des Vermögens einer Person in einem gegebenen Zeitpunkt und dem Betrage, den es ohne Dazwischenkunft eines bestimmten schädigenden Ereignisses haben würde" 120. Der von Puchta und Mommsen formulierte Interessebegriff bezieht sich seinem Inhalt nach nicht auf einzelne, in einzelnen realen Gegenständen eintretende reale Nachteile, sondern auf eine einem idealen einheitlichen Vermögenswert entsprechende ideale "rech..; nerische Wertdifferenz". Der Interessebegriff bezieht sich auf eine "Idee" und nicht auf reale Gegenstände und Nachteile1!1. Es handelt sich beim Interessebegriff nicht um einen durch den realen Gegenstand Schaden bedingten (objektiven) Begriff, sondern um eine apriorische Konstruktion im Sinne Kants. Der Interessebegriff ist nicht in der Erfahrung begründet und somit nicht unmittelbar oder mittelbar wahrnehmungsbedingt, sondern seinem Inhalt nach unabhängig von aller Erfahrung "konstruiert", d. h. subjektiv (ichhaft) festgelegt l 2l!. Der aus dem Vermögensbegriff deduzierte Interessebegriff1%3 entspricht damit auch der von Puchta vertretenen, auf die Philosophie Kants zurückgehenden Konstruktionsjurisprudenz, wonach der Begriff ein "Erzeugtes" 111 Vgl. Wolf, SchR I, § 4 G H f 3 ee (239 f.). no Mommsen, S. 3. m Dem entspricht es, wenn von Windscheid (Pandekten H, § 258 [32]) deJ'

"Begrüf des Nachtheils", "welcher in der Vermögenslage des Gläubigers in Folge einer gewissen Thatsache eingetreten ist", "als ein höherer Begriff dem Begriff des Schadens gegenübergestellt" wird, und wenn Windscheid zugibt, "daß damit den Ausdrücken eine juristische Ausprägung gegeben wird, welche sie im Leben nicht haben". 112 Vgl. auch HonseH, JuS 1973, 70 ff.; kritisch zur Konstruktion der Begriffe vgl. Wolf, Festschrift für Gerhard Müller, S. 867; Allg. T., § 17 B IV (682 f.); Marxistische Wissenschaft, S. 226. 123 So Deutsch, Haftungsrecht, S. 434, der diese Deduktion nicht nur bei Mommsen und H. A. Fischer, sondern auch bei Mertens erkennt.

H. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie

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sein SOll124. Nach Puchta, der den Interessebegriff als erster formulierte, wird danach der Inhalt eines Begriffs als "erzeugt" aufgefaßt121. Die Begriffe sind nach Puchta nicht in der Erfahrung begründet. Das kommt auch darin zum Ausdruck, daß Puchtas "Genealogie der Begriffe" nicht bedeutet, vom Anschaulich-Konkreten zum Gedacht-Abstrakten aufzusteigen, sondern "das Recht" "anzuschauen"126. Nach dieser Lehre wird damit, wie in der Philosophie Kants, eine auf der Erfahrung begründete Erkenntnis realer Gegenstände schon dem Ansatz nach geleugnet. Das ist nur auf der idealistischen Grundthese von der Identität von Denken und Sein möglich12'"1. Daß es sich beim Interessebegriff um eine idealistische Konstruktion handelt, zeigt sich auch daran, daß es nach dem Inhalt des Begriffs auf eine zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehende Differenz ankommen soll. Der dabei in Frage stehende Zeitpunkt sei die "Zeit des Urtheils"1J8 bzw. der letzte Termin der mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz 129. Dieser Termin soll dem "Wesen des Interesses wahrhaft" entsprechen 130. Der Zeitpunkt der Differenzfestsetzung wird damit nicht nur als prozeßrechtlicher Zeitpunkt aufgefaßt, wofür er ausschließlich beachtlich sein könnte131 , sondern als sachliches Merkmal zur Bestimmung des Vorliegens des Schadens bzw. des Gegenstands der Schadensersatzpfticht herangezogen. Mit anderen Worten heißt das, ob ein Schaden entstanden ist, soll ausschließlich davon abhängen, ob im Zeitpunkt der Differenzfeststellung eine Vermögensminderung existiert. Besteht diese nicht, weil etwa eine Einbuße des Vermögens als Ganzes infolge eines eingetretenen Vorteils, durch Zeitablauf oder eines sonstigen Umstands im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht mehr vorliegt, soll nach der Lehre vom Interessebegriff ein Vermögensschaden nicht eingetreten sein. Schlägt sich z. B. der Verlust von Gebrauchsvorteilen nicht im Zeitpunkt der Erkenntnis der ganzheitlichen Vermögensminderung nieder, so soll ein Vermögensschaden Institutionen, § 33, S. 101. Vgl. dazu auch Tripp, Der Einfluß des naturwissenschaftlichen, philosophischen und historischen Positivismus auf die deutsche Rechtslehre im 19. Jahrhundert, Diss. Marburg, erscheint demnächst. lZt1 Vgl. dazu Bohnert, S. 154 ff. m. w. N. Für Puchta ist das, was im Recht angeschaut werde, dasselbe, was anschaue, der Volksgeist als Subjekt und Objekt zugleich. Diese Darlegung der Begriffe heißt seit Kant Konstruktion (Bohnert, aaO). 117 Vgl. auch Tripp, Der Einfluß des naturwissenschaftlichen, philosophischen und historischen Positivismus auf die deutsche Rechtslehre im 19. Jahrhundert, Diss. Marburg, erscheint demnächst. 128 Mommsen, S. 3, 198 ff., vgl. aber auch S. 3 f. 128 BGH 10, 10; 11, 26 m. w. N.; Hermann, S. 112 m. w. N. m Puchta, U5

180 131

Mommsen, S. 3. Vgl. Wolf, SehR I, § 4 G H e 2 ee (208).

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2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

nicht bestehen, auch wenn er vor dem Vergleichszeitpunkt bestanden haben würde l32 . Der mit dem Interesse identifizierte Schaden wird danach als eine "sich allmählich entwickelnde Größe"l33 aufgefaßt, womit einmal mehr dargelegt wird, daß sich der Begriff des Interesses nicht auf einen realen Gegenstand, sondern auf eine sich dynamisch ändernde "Idee" bezieht. Die Zufälligkeit des dabei gewählten Zeitpunktsl34 gibt zudem Aufschlüsse über die Willkürlichkeit dieser "apriorischen Begriffskonstruktion" des Interessebegriffs. Nicht anders als mit der Absage an einen realen Schaden und einen sich auf diesen beziehenden Begriff ist auch die Behauptung der Lehre vom Interessebegriff zu erklären, daß sich im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Schadensbegriff ändere l36, wenn der Schaden bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen sei, das heißt, neue Folgen des Schadensereignisses auftreten. Für diesen Zeitraum soll nach Mommsen der Schaden nicht mehr in der Minderung des Vermögens als Ganzem liegen, sondern in "dem Verlust (oder der Nichterlangung) eines Vermögensrechts bestehen" 136. Dabei wird verkannt, daß es zweierlei Schadensbegriffe mit verschiedenem Inhalt logisch nicht geben kann. Der von Mommsen aufgestellte Interessebegriff entspricht dem "wissenschaftlichen Begriff" Kants. Sowohl der Interessebegriff Mommsens als auch der "wissenschaftliche Begriff" Kants ist "eine Methode und keine starre Einheit durch Verbindung gemeinsamer Merkmale der Ähnlichkeit wie in der traditionellen Logik" 137. Durch die Anwendung des Interessebegriffs oder der "Differenzmethode" wird nicht das Vorliegen eines real eingetretenen Schadens erkannt. Die Existenz des Schadens wird vielmehr erst durch die Anwendung des Interessebegriffs im jeweiligen Fall konstituiert, was der nicht gegenstandsbedingten "Erkenntnis" des Begriffs selbst entspricht. Nach zutreffender realistisch-empirischer Auffassung ist die Erkenntnis bzw. Erkenntnismethode ausschließlich durch den existierenden Gegenstand bedingt, die Erkenntnis bzw. die Erkenntnismethode vermag den Gegenstand also nicht zu ändern l38 . Im Gegensatz zu dieser Auffassung wird das mit dem Schaden identifizierte Interesse1311 als einheitliche Vermögensdif132 Askenasy, Gruchot 70, 382; Weychardt, Schadensbegriff, S. 140; Tolk, S.24m.w.N. 188 Coing, SJZ 1950, 868; Knappe, S. 90. 184 So auch Keuk, S. 29 f.; Zeuner, AcP 157, 445 f.; Hermann, S. 112. 185 Vgl. dazu auch Keuk, S. 30; Mertens, S. 47 ff. m. w. N. 138 Mommsen, S. 201. 187 So zum wissenschaftlichen Begriff Kants, Ratke, S. 28. 138 Vgl. oben, 2. Kap. I 2, 4. 139 Vgl. oben, 2. Kap. II 2 b ce.

II. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie

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ferenz durch Anwendung des einer "Rechenformel" entsprechenden Begriffs des Interesses gleichsam hervorgebracht. Ohne diese "rechnerische Gedankenoperation"l~ hat der Schaden keine Existenz 141 . Der Schaden existiert also nur dann, wenn sich eine durch Vergleich festzustellende Differenz ergibt, wobei sich diese Differenz bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung von Tag zu Tag ändern 142 oder durch Zeitablauf wieder völlig verschwinden können143 soll. Die mit der Anwendung des Begriffs als identisch behauptete Methode des Vergleichs dient somit nicht der Erkenntnis eines gegenständlichen realen Schadens, sondern ist Bedingung seines Existierens. Damit entspricht die Erkenntnis des Interesses der idealistischen apriorischen Erkenntnis Kants, nach der der Gegenstand durch das Erkennen bzw. durch die Erkenntnismethode konstituiert wird. Die Existenz eines realen "an sich" existierenden Schadens wird damit ebenso verneint1« wie die Existenz des "Dings an sich selbst"145. Durch Anwendung des konstruierten Interessebegriffs sollen der Sache nach sowohl das Vorliegen eines Schadens, eines Vermögensschadens, eines Gesamtvermögensschadens als auch der Inhalt der Schadensersatzpflicht und der "subjektive Wert" eines beschädigten Gegenstandes sowie die ziffernmäßige Höhe des Schadens und des als Schadensersatz geschuldeten Ausgleichs erkannt werden. In diesem Sinne hat man den Interessebegriff in Schrifttum und Rechtsprechung auch als Schadensbegriff, Vermögensschadensbegriff und als Schadensersatzbegriff aufgefaßt, das Interesse als subjektiven Wert oder Inhalt der Schadensersatzpflicht bezeichnet und die Anwendung des Interessebegriffs als "abstrakte" und "konkrete Schadensberechnung" beschrieben. Gebräuchliche Ausdrücke für den Interessebegriff sind auch die Wendungen "Interessetheorie" , "Gesamtvermögensdifferenztheorie", "Differenzhypothese" , "Differenzmethode" , "Differenztheorie" . Der von Puchta und Mommsen konstruierte ideale Interessebegriff, dem die Lehre vom Vermögen als Ganzheit zugrundeliegt und der mit einem unmittelbar oder mittelbar wahrnehmungsbedingten Begriff nicht verwechselt werden darf, hat somit nicht nur zu vielfachen sachlich verfehlten Identifikationen, sondern auch zu terminologischen Mißverständnissen geführt, die im Schadensersatzrecht einige Verwirrung verursachten. 140 141 142

143 144 145

Oertmann, Vorteilsausgleichung, S. 10; Neuwald, S. 7. Vgl. Oertmann, Vorteilsausgleichung, S. 8; Walsmann, S. 29. Vgl. Mommsen, S. 198 ff.; Keuk, S. 29. Vgl. z. B. Askenasy, Gruchot 70, 382. Vgl. dazu auch Oertmann, Vorteilsausgleichung, S. 9. Vgl. oben, 2. Kap. I 4.

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2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

5. Keine Vbemabme des Interessebegriffl Mommsens in das Bürgerliche Gesetzbuch

Abschließend soll die Frage geklärt werden, ob dem Bürgerlichen Gesetzbuch der Interessebegriff Mommsens zugrunde liegt, weil dies im Schrifttum als maßgebliches Argument für die Beibehaltung dieser Theorie gebraucht wird. Dabei wird sogar behauptet, § 249 BGB schreibe die Feststellung des Schadens mit Hilfe der Differenzformel vorI4~. Auch die Rechtsprechung hat nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs den Interessebegriff bzw. die Gesamtvermögensdifferenztheorie bei der Erkenntnis, ob ein Schaden vorliegt und wie hoch dieser ist, zugrundegelegt147 . Dabei wurde nicht beachtet, daß § 249 BGB nur den Inhalt des Schadensersatz anspruchs regelt148 und über die Frage, ob ein Schaden vorliegt, nichts aussagt l41l . Vergleicht man den Wortlaut des § 249 BGB, nach welchem der Zustand herzustellen ist, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre, mit der Gesamtvermögensdifferenztheorie, nach der zwei Vermögensbeträge zu vergleichen sind, so wird deutlich, daß in § 249 BGB von einem Vergleich zweier "Totalwerte" oder "Vermögenslagen" nicht die Rede ist1 50 • Gemeinsam mit der Gesamtvermögensdifferenztheorie ist dem Wortlaut des § 249 BGB lediglich, daß in dieser Regelung die Methode des Vergleichs zur Ermittlung des Inhalts der Schadensersatzpflicht vorausgesetzt ist. Aus der in § 249 S. 1 BGB geregelten Sachherstellung (Naturalrestitution) folgt auch, daß der "rechnerische Schaden" im Sinne der Gesamtvermögensdifferenztheorie mit § 249 S. 1 BGB nicht zu vereinbaren ist16l • Nach § 249 S. 1 BGB soll keine "Wertdifferenz" ausgeglichen, sondern ein realer Zustand hergestellt werden, der demjenigen entspricht, der bei Nichteintritt des den Schaden begründenden tatbestandsmäßigen Ereignisses bestehen würde. Gegen die übernahme des Interessebegriffs spricht schließlich, daß nach dieser Lehre der Schaden mit dem Vermögensschaden identisch sein soll und diese Lehre zur Ermittlung von Nichtvermögensschäden gänzlich ungeeignet ist152 • Ein so verstandener Interessebegriff wider148 Vgl. Honsell, JuS 1973, 70 m. w. N.; Mertens, S. 17; v. Caemmerer, S. 5 f., 14; Keuk, S. 19. 141 Vgl. dazu Weychardt, Schadensbegriff, S. 30 ff. mit umfangreicher

Rechtsprechungsübersicht. U8 Motive II, S. 17. 148 Vgl. auch Reinecke, S. 57 ff. 150 Wie hier auch Honsell, JuS 1973, 70. 151 Oertmann, Vorteilsausgleichung, S. 6. 11; Zeuner, AcP 163, 382; Neuwald, S. 15. 161 Oertmann, Vorteilsausgleichung, S. 7 f.

II. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie

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spricht der begrifflichen Systematik der §§ 249 ff. BGB. Daß in diesen Regelungen zwischen den Begriffen Schaden, Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden unterschieden wird, ergibt sich nicht nur aus § 249 S. 1 BGB, wonach im Wege der Sachherstellung neben Vermögensschäden auch Nichtvermögensschäden, also Schäden aller Art, zu ersetzen sind, sondern auch aus der Existenz des § 253 BGB, wonach Geldersatz von Nichtvermögensschäden ausnahmsweise zugelassen wird. Da sich die übernahme des Interessebegriffs Mommsens als Schadensbegriff ins Bürgerliche Gesetzbuch aus dem Wortlaut und der Systematik der §§ 249 ff. BGB nicht begründen läßt, hat man die übernahme dieser Lehre ins Bürgerliche Gesetzbuch vor allem mit einer historischen Auslegung zu begründen versucht l53 • Ungeachtet des Umstands, daß die historische Auslegung nur hilfsweise Anwendung finden kann l54 , läßt sich aus den Materialien für diese Auffassung nichts herleiten. Dem Bürgerlichen Gesetzbuch liegt, wie sich aus den Protokollen ergibt, die Auffassung vom realen Schaden zugrunde l56 , die sich mit der Lehre vom Interesse nicht vereinbaren läßt. Hinzu kommt, daß die Gesetzesverfasser auf die Definition des Schadensbegriffs ausdrücklich verzichtet, insbesondere nicht den Interessebegriff Mommsens als Schadensbegriff übernommen haben. In den Motiven wird dargelegt, daß "die Entscheidung der Frage, ob und inwiefern bei Schadensersatzansprüchen der Vortheil, welcher dem Beschädigten durch den schadenbringenden Umstand zugefallen" sei, "von der Ersatzsumme in Abrechnung zu bringen" sei, "der Rechtswissenschaft und Praxis überlassen werden" müsse. "Ihre Lösung" hänge "wesentlich mit der Feststellung des Schadensbegriffs zusammen, welche ohnedies nicht für alle Fälle und nach allen möglichen, auch sonst zweifelhaften Seiten hin durch das Gesetz erfolgen" könne l66 • Der Interessebegriff Mommsens, nach dem die Vorteilsausgleichung "eine ganz von selbst sich" verstehende Konsequenz sein SOll157, ist demnach nicht als Schadensbegriff übernommen worden. Das folgt zusätzlich daraus, daß die Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch keinerlei Anhaltspunkte über den Zeitpunkt des Vergleichs enthalten, der nach dem Interessebegriff Mommsens sachliches Merkmal ist l58 • Vgl. dazu Weychardt, Schadensbegriff, S. 25 ff., 29 ff. Rinne, S. 39. ISS Protokolle I, 296: "Verstehe man unter Schaden jeden wirthschaftlichen Nachtheil und unter Ersatz die Ausgleichung dies Nachtheils"; a. M. Jauernig I Teichmann, vor §§ 249 - 253, II 2. 1&1 Motive II, S. 18 f. 157 Mommsen, S. 192. 158 Vgl. auch Hermann, S. 113 m. w. N. 153 154

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2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

Die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches haben den Interessebegriff Mommsens weder als Schadensbegriff noch als Vermögensschadensbegriff ins Bürgerliche Gesetzbuch übernommen l59 • Eine übernahme des Interessebegriffs Mommsens als Vermögensschadensbegriff würde zudem voraussetzen, daß dem Bürgerlichen Gesetzbuch die Auffassung vom Vermögen als Ganzem bzw. als "Totalwert" zugrunde liegt, weil dies den eigentlichen Inhalt des Interessebegriffs ausmacht111O• Die Auffassung vom Vermögen als einer überindividuellen Ganzheit liegt dem Bürgerlichen Gesetzbuch nach einhelliger Auffassung jedoch nicht zugrunde l61 , obwohl einige Formulierungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (vgl. z. B. § 1922 BGB) und in den Materialien HI2 dafür zu sprechen scheinen. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch handelt es sich bei dem Ausdruck Vermögen vielmehr um eine zusammenfassende Bezeichnung der Gesamtheit aller einzelnen Vermögensgegenstände. Das geht insbesondere aus § 1085 S. 1 BGB hervor l63 • Mit der Abkehr von der idealistischen These vom Vermögen als Ganzheit haben die Gesetzesverfasser auch den auf der idealistischen Ganzheitsphilosophie beruhenden Interessebegriff nicht übernommen. An diesen Zusammenhängen kann auch der häufige Gebrauch des Ausdrucks Interesse in den Motiven nichts ändern. Aus dem Gebrauch dieses Ausdrucks wird immer wieder auf die übernahme des Interessebegriffs Mommsens als Schadensbegriff ins Bürgerliche Gesetzbuch geschlossenl64 • Mit dem Ausdruck Interesse wird lediglich der Inhalt der Schadensersatzpflicht bezeichnet. Dieser Sprachgebrauch stimmt zwar mit dem Interessebegriff Mommsens, der sich ebenfalls auf nur den Inhalt der Schadensersatzpflicht bezieht, überein. Daraus kann aber nicht die übernahme des Interessebegriffs Mommsens in das Bürgerliche Gesetzbuch gefolgert werden. Der Grund dafür liegt in der Abkehr der Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuchs von der ganzheitlichen Betrachtungsweise des Vermögens. Gegenstand des mit Interesse bezeichneten Inhalts der Schadensersatzpflicht ist nach den Motiven ausschließlich der Ausgleich der durch das schädigende Ereignis bedingten einzelnen Nachteile, sei es positiver Schaden oder entgangener Gewinn l65 , und nicht die auf das Vermögen als Ganzes bezogene 158 So aber anscheinend Staudinger / Werner, Vorbem. vor §§ 249 - 255, Rn. 9. 180 Mertens, S. 44. 161 Enneccerus / Nipperdey, § 131 IV (845); Larenz, Allg. T., § 17 I 3 (275), der allerdings meint, daß es sich nicht um "eine logische Notwendigkeit" handele, "da sich ein Rechtsgegenstand dritter Ordnung" "sehr wohl denken ließe". Vgl. dazu oben, 2. Kap. II 2 a. tel Vgl. Motive V, S. 525. 163 Larenz, Allg. T., § 17 I 3 (275); Schiek, S. 37 m. w. N. 164 Vgl. Weychardt, Schadensbegriff, S. 30. 185 Vgl. Motive II, S. 17, 23.

H. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie

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einheitliche Wertdifferenz, wie dies der Auffassung Mommsens zugrunde liegt. Das bedeutet der Sache nach, daß das Bürgerliche Gesetzbuch den dem Interessebegriff Mommsens zugrunde liegenden Schadensbegriff als ganzheitliche Vermögensminderung nicht übernommen hat. Nach den Motiven ist Ersatz des außerordentlichen Wertes eines Gegenstandes geschuldet. Der außerordentliche Wert soll der Wert sein, den "der zu ersetzende Gegenstand für den Gläubiger nach den besonderen Verhältnissen hatte166 • Aus dieser Formulierung kann nicht auf die übernahme des Interessebegriffs Mommsens geschlossen werden l67 • Die Ausführungen in den Motiven betreffen den Ersatz eines Gegenstandes nach dem außerordentlichen Wert und nicht die Erkenntnis des Vorliegens des Interesses als Schaden. Das darf nicht, wie dies in der Gesamtvermögensdifferenztheorie getan wird, vermengt werden. Rückschlüsse auf die übernahme des Interesses als Schadensbegriff lassen sich daraus nicht ziehen. Aber auch die Bestimmung des außerordentlichen Werts durch die Gesetzesverfasser stimmt nicht mit derjenigen Mommsens überein. Mommsen hat den besonderen Wert als denjenigen Wert bestimmt, den der Gegenstand in Beziehung auf das Vermögen des Geschädigten als Einheit hat. Im Unterschied dazu bestimmen die Gesetzesverfasser diesen Wert nicht nach dem Vermögen, sondern nach den individuellen Verhältnissen des Gläubigers. Zusammenfassend läßt sich feststellen: Wie die wörtliche und systematische ergibt auch eine historische Auslegung, daß der Interessebegriff Mommsens nicht als Schadens-, Vermögensschadens- oder Schadensersatzbegriff ins Bürgerliche Gesetzbuch übernommen wurde l68 • Der Grund dafür liegt in der Abkehr der Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuchs von der Auffassung des Vermögens als Ganzheit. Damit entfällt die noch einzig verbleibende Begründung für die Beibehaltung der Gesamtvermögensdifferenztheorie.

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Motive H, S. 21. So aber Knappe,

S. 82. Ebenso auch HonseH, JuS 1973, 70; Rinne, S. 39.

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

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III. Ablösung der Konstruktionsjurisprudenz durch die teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 1. Die Vorbereitung der normativen Sdladenslehre durdl die Lebre vom objektiven Sdladen a) Vorbemerkung

Einen methodischen Angriff gegen die Gesamtvermögensdifferenztheorie hat Neuner mit seiner Lehre vom objektiven Schaden unternommen1• Das Ergebnis seiner Untersuchung hat Neuner folgendermaßen formuliert: "Die weitaus einfachste und wohl am nächsten liegende überwindung der Schwierigkeit wäre, wenn man den Vermögensschaden anders definieren würde, nämlich als Verletzung eines vermögenswerten Interesses, d. h. eines Gutes, das im Verkehr gegen Geld erworben und veräußert" werde, "und dieses Interesse objektiv" bewertete2 • Der objektive Wert des verletzten Interesses soll nach der Lehre N euners stets als Mindestschaden zu ersetzen seins. Die Lehre Neuners, mit der ein "Umbau des Schadensersatzrechts'" vorgenommen wurde, war in mancher Hinsicht bahnbrechendö • Hervorzuheben ist dabei die Berufung auf den "Rechtsverfolgungszweck", die Berechnung des Schadens nach dem objektiven Wert und die Gliederung des Schadens. Die objektive Schadenslehre beeinflußte damit nicht nur zur Lösung verschiedenartiger Probleme die Rechtsprechung, sondern führte in konsequenter Weiterentwicklung auch zur Lehre vom normativen Schaden, mit der sie wegen ihres gleichen methodischen normativ teleologischen Ansatzes auch ineinsgesetzt wird6 • Im Rahmen der teleologischen Betrachtungsweise kam es im Schadensersatzrecht zu einer zunehmend wertbezogenen Betrachtungsweise schadensersatzrechtlicher Probleme7 • b) Der "Rechtsverfolgungszweck" als Ausgangspunkt der Lehre vom objektiven Schaden aa) Der "Rechtsverfolgungszweck" als Idee Grundlegend für die Lehre vom objektiven Schaden ist die Auffassung, daß das Schadensersatzrecht eine "rechtsverfolgende und schlecht-

Neuner, AcP 133, 277 f. Neuner, AcP 133, 290. 3 Neuner, AcP 133, 295, 293, 301 f.; vgl. auch Wilburg, JhJb 82, 128 ff. 4 Reinhardt, Drittschaden, S. 39. 5 Hagen, Drittschadensliquidation, S. 45. S Vgl. oben, 1. Kap. II und Hagen, Drittschadensliquidation, S. 46. 7 Heck (Begriffsbildung, S. 8) sagt 1932: "Gegenwärtig ist die teleologische Methode durchgedrungen". Vgl. auch EMers, S. 49. 1

2

II!. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Sch.adensersatzrecht 81

hin rechtsgutschützende, nicht bloß das Vermögen des in seinen Rechten Verletzten bewahrende Aufgabe" habe8 • Die rechtsverfolgende Aufgabe "wird auch als Rechtsverfolgungszweck"lI, als "rechtsverfolgende Funktion"IO und in neuerer Zeit als "Rechtsfortsetzungsgedanke"l1 bezeichnet. Der Schadensersatz anspruch soll nach der Lehre vom objektiven Schaden einen "rechtsverfolgenden Charakter" haben12 und zur Sanktion eines Rechts oder rechtlich geschützten Interesses dienen l8 • Bei dem behaupteten "Rechtsverfolgungszweck" handelt es sich nicht um einen in einem Handlungsentschluß enthaltenen Handlungszweckl4 • Ebensowenig handelt es sich um den Inhalt des Begriffs Schadensersatz, wonach der Schadensersatz Ausgleich eines Schadens eines anderen bedeutetl6 • Mit dem "Rechtsverfolgungszweck" wird vielmehr eine Aufgabe, Idee, Rechtsidee, Leitidee oder spezifische Idee einer universalen Rechtsidee 111 ausgedrückt, die durch die jeweilige Norm erreicht werden soll. Der "Rechtsverfolgungszweck" ist damit wie jeder "objektive Zweck", der nach seinem "Begriff" "elastisch und vieldeutig"17 oder "ein höchst relativer" sein SOllI8, eine Idee im Sinne der idealistischen Philosophie lD • Die Existenz derartiger Zwecke kann, wie schon der Begründer der Lehre vom "Zweck im Recht", v. Jhering, selbst zutreffend feststellte, nur geglaubt werden20 • Der "Rechtsverfolgungszweck" ist das Ergebnis einer idealen Zweckschöpfung oder eines intuitiven Schauens und Fühlens21 . Er wird nicht wie ein realer Gegenstand, der unabhängig von einer sich darauf beziehenden Bewußtheit existiert, erkannt. Um Anerkennung zu finden, muß der "Rechtsverfolgungszweck" vielmehr wie jeder "objektive Zweck" "vom übereinstimmenden Rechtsgefühl getragen werden"2I!. Das behauptete "Rechtsgefühl" als "Erkenntnisquelle" ist dabei nur ein 8 Bydlinski, S. 44; Neuner, AcP 133, 305; vgl. auch Schiemann, S. 206. , Mertens, S. 98. 10 Neuner, AcP 133,305. 11 Schiemann, S. 206; Larenz, SehR I, § 27 I (394); Koziol, ZfRV 1969, 28:

"das zerstörte Recht in einem Schadensersatzanspruch fortwirke". 12 Wilburg, JhJb 82, 130; Neuner, AcP 133, 292. 13 Neuner, AcP 133, 291. 14 Vgl. dazu Wolf, Allg. T., § 4 AI! b 4 bb (207); Aussperrung, S. 21; Bickel, SAE 1981, 130. 15 Wolf, SchR I, § 4 G I! d 1 (187). 18 Vgl. oben, 1. Kap. I! 1. 11 Engisch, Einführung, S. 80. 18 v. Jhering, Zweck, S. 290; vgl. kritisch dazu auch Toseh, S. 215 f. Vgl. Wolf, Aussperrung, S. 35. 20 v. Jhering, Zweck, Vorrede XII. U Knappe, S. 110, zur "Sanktionsfunktion"; s. a. Hüppi, S. 85. 11 Vgl. Deutsch, JZ 1971, 244.

I'

8 WUk

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2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

anderer Ausdruck für das " Wertgefühl" im Sinne der idealistischen materialen Wertlehre23. Glauben, Schauen und Intuition werden dabei an die Stelle von Erkennen gesetzt. Eine objektiv begründete Definition des "Rechtsverfolgungszwecks" gibt es nicht. Die "Schöpfung" des "Rechtsverfolgungszwecks" geschieht notwendig subjektiv. Ein objektiv nachvollziehbares, wissenschaftlich anerkanntes Kriterium für seine Bestimmung kann es nicht gebenu. Die Versuche der objektiven Schadenslehre, den "Rechtsverfolgungszweck" und einen entsprechenden "Charakter" der Schadensersatzpflicht zu begründen, mußten notwendig scheitern, wie sich an den folgenden Ausführungen zeigt. bb) Rechtsverfolgung statt Schadensersatz Zur Begründung des "Rechtsverfolgungszwecks" und damit des "rechtsverfolgenden Charakters" des Schadensersatzanspruchs wird von Neuner auf die Eigenart der eigentlichen rechtsverfolgenden Ansprüche hingewiesen. Darunter versteht Neuner diejenigen Ansprüche, die unmittelbar aus dem Recht erwachsen und es selbst unmittelbar schützen, wie z. B. den Erfüllungsanspruch, die dinglichen Ansprüche auf Herausgabe, Beseitigung einer Störung und Unterlassung künftiger Störungen25 • Ebenso wie bei diesen eigentlichen rechtsverfolgenden Ansprüchen müsse auch für den deliktischen Schadensersatzanspruch gelten, daß der Störer sich nicht darauf berufen dürfe, der Gläubiger habe kein Vermögensinteresse (im Sinne der Differenztheorie berechnet) "an der Wahrung seines Rechts", da ansonsten kein ausreichender Schutz der Rechte gewährleistet sei26• Diese Argumentation hält einer Nachprüfung nicht stand. Der Inhalt des Schadensersatzanspruches besteht darin, daß der Geschädigte Ersatz des ihm entstandenen Schadens von einem Anderen verlangen kann. Der Inhalt des Schadensersatzanspruches bezieht sich danach ausschließlich auf den Ersatz eines eingetretenen Schadens. Das entspricht auch der Auffassung der Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuchs27 • Einen "rechtsverfolgenden Charakter" hat der Schadensersatzanspruch nicht. Das zeigt sich auch daran, daß die Entstehung eines Schadenser!3

Hubmann, AcP 153, 322 f. m. w. N.

Vgl. Wo~f, Aussperrung, S. 20 ff.; Eike Schmidt, Normzweck, S. 139: "Ungeklärt bleibt nach wie vor, wie der fragliche Normzweck tatsächlich ermittelt werden kann". Die Konsequenz, das "Normzweckdenken" abzulehnen, zieht Eike Schmidt allerdings nicht. Zur "Beliebigkeit des Normzweckarguments" vgl. auch Köndgen, AcP 177, 29. 25 Neuner, AcP 133, 291 Fn. 51; Roth, AcP 180, 263 f. !8 Neuner, AcP 133, 306. 17 Motive H, S. 17 f.; Diederichsen, Festschrift für Klingmüller, S. 78; Hagen, Drittschadensliquidation, S. 47; Hohlach, S. 385. 24

111. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 83 satzanspruches einen Schaden, aber nicht notwendig die rechtswidrige Beeinträchtigung eines Rechts voraussetzt (z. B. § 904 S. 2 BGB). Die von Neuner genannten eigentlichen Rechtsverfolgungsansprüche haben dagegen nicht das Vorliegen eines Schadens, sondern die Beeinträchtigung eines Rechts zur Voraussetzung28 • Ebenfalls nicht gelingen kann der in der Argumentation Neuners zum Ausdruck kommende Versuch, die eigentlichen rechtsverfolgenden Ansprüche und die Schadensersatzansprüche zusammenfassend zu bezeichnen. Das folgt schon daraus, daß Schadensersatzansprüche nicht den Inhalt haben, das Recht unmittelbar zu schützen oder der "Verwirklichung" absoluter und relativer Rechte zu dienen 21l • Die sich widersprechenden Inhalte der eigentlichen rechtsverfolgenden Ansprüche und des Schadensersatzanspruchs lassen sich logisch nicht unter einen derartigen "Oberbegriff"3'O zusammenfassensI. Bei der behaupteten Zusammenfassung handelt es sich um eine ideenhafte Verallgemeinerung, die mit der Systematik des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht zu vereinbaren ist. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch sind die Schadensersatzansprüche und die sog. eigentlichen rechtsverfolgenden Ansprüche einzelne haftungsrechtliche Verhältnisse. Haftungsrechtliche Verhältnisse sind relativ rechtliche Verhältnisse, die den Inhalt haben, daß ein Beteiligter gegenüber dem anderen die nachteiligen Folgen einer Störung zu tragen hat, die bei dem anderen eingetreten sind32 • Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch ist danach der Gattungsbegriff zum Begriff Schadensersatzanspruch und zum Begriff des sog. eigentlichen rechtsverfolgenden Anspruchs der Begriff Haftung und nicht der Begriff rechtsverfolgender Anspruch (Rechtsverfolgung). Nach Neuner kann "sich der Schuldner", soweit "der Gläubiger Naturalrestitution" fordere, "nicht auf den Mangel des Vermögensinteresses des Gläubigers (im Sinn der Differenztheorie) berufen"33. Dieses zur Begründung des "rechtsverfolgenden Zwecks" des Schadensersatzes herangezogene Argument kann nicht überzeugen. Der Nachweis, daß die "Anordnung der Naturalrestitution" die "Wurzel des Rechtsverfolgungsgedankens" seiM, wird weder von Neuner noch von anderen Befürwortern des "Rechtsverfolgungszwecks" erbracht35 • Der Hinweis 28 Schutte, S. 28 f.; vgl. auch MeTtens, S. 53. n Roth, AcP 180, 265. 30 Keuk, S. 47; BaUT, Festschrift für Raiser, S. 130: "SUlTogat dieses Rechts". 31 Vgl. auch Wolf, Allg. T., § 15 All c (601 f.). 32 Wolf, SehR I, § 3 A (107 f.); Allg. T., § 15 (600). 33 NeuneT, AcP 133, 306. 34 Schiemann, S. 205 f.; vgl. auch Degenkolb, AcP 76,76. M Ebenso MeTtens, S. 54; Hagen, Drittschadensliquidation, S. 47.

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2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

auf eine "innersystematische Spannung im gesetzgeberischen Konzept"38, die durch die Anwendung der Gesamtvermögensdifferenztheorie auftreten soll, kann allenfalls eine Begründung für die Nichtanwendung der Gesamtvermögensdifferenztheorie sein. Der "Rechtsverfolgungsgedanke" wird damit jedoch nicht positiv begründet37 • Die Folgerung des Rechtsverfolgungsgedankens aus der im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelten Naturalrestitution erweist sich darüber hinaus als nicht stichhaltig. Der Ausgleich im Wege der Naturalrestitution betrifft den Ersatz von Nachteilen sowohl in rechtlichen als auch in wirtschaftlichen Gegenständen. Der von den Vertretern der objektiven Schadenslehre behauptete "rechtsverfolgende Charakter" des Schadensersatzanspruchs kann sich seinem behaupteten Inhalt nach dagegen nur auf Nachteile in bezug auf rechtliche Verhältnisse und Rechtsgegenstände beziehen. Der Ersatz von wirtschaftlichen Nachteilen wird von einem "rechtsverfolgenden Charakter" des Schadensersatzanspruchs nicht erfaßt. Das entspricht nicht der Regelung des § 249 S. 1 BGB. Von einem in § 249 S. 1 BGB "gesetzlich verankerten" "Rechtsverfolgungs"- oder "Rechtsfortsetzungsgedanken"38 kann also nicht die Rede sein. Mit der in § 249 S. 1 BGB geregelten Naturalrestitution ist auch die Auffassung Neuners nicht zu vereinbaren, der "rechtsverfolgende Charakter" des Schadensersatzanspruchs beziehe sich nur auf den Ersatz des unmittelbaren Schadens38 • Schadensersatz durch Naturalrestitution betrifft den Ersatz aller Schäden, also auch den der mittelbaren SchädenMl• Der "Rechtsverfolgungszweck" und der "rechtsverfolgende Charakter" des Schadensersatzanspruchs sind mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch inhaltlich nicht in Einklang zu bringen. Manche Vertreter der objektiven Schadenslehre haben deshalb versucht, den "Rechtsverfolgungszweck" des Schadensersatzanspruches durch rechtsvergleichende Hinweise zu begründen41 • Dabei wird verkannt, daß rechtsvergleichende Hinweise an dem Inhalt der im Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmten Schadensersatzpflicht nichts ändern können4l!. Ausländische Regelungen und Grundsätze können allenfalls rechtspolitischen Charakter haben". 31

37

Schiemann, S. 208; Neuner, AcP 133, 306. Das gilt auch für die von Schiemann (S. 206 f.) gemachten historischen

Erwägungen zur Stützung der These, daß die Naturalrestitution die "Wurzel des Rechtsverfolgungsgedankens" sei.

Schiemann, S.207. Vgl. Neuner, AcP 133, 296. 40 Menens, S. 54. 41 Neuner, AcP 133, 288, 291 f., 303; Steindorff, AcP 158, 434 ff., 448. 41 So auch Mertens, S. 53; Hagen, Drittschadensliquidation, S. 47; Hermann, S. 104. 43 Vgl. dazu WitteT, S. 63; BGH 50, 51. 38

3D

IH. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 85 Der "Rechtsverfolgungszweck" beruht der Sache nach auf einer wissenschaftlich nicht begründbaren subjektiven Zwecksetzung. Anstatt den im Gesetz (§§ 249 ff. BGB) bestimmten Inhalt der Schadensersatzpflicht wissenschaftlich zu ermitteln, wird ein "Rechtsverfolgungszweck" behauptet, um damit ein für wünschenswert gehaltenes Ergebnis zu stützen. Das ergibt sich auch aus den Ausführungen Neuners. Die "rechtsverfolgende Natur" des Schadensersatzanspruchs soll nach Neuner auch daraus folgen, daß ansonsten der "Schutz" der Rechte nicht ausreichend gewährleistet sei. Nach Neuner muß deshalb der Deliktsanspruch eingreifen44 • Damit argumentiert Neuner, um die Unzulänglichkeiten der Gesamtvermögensdifferenztheorie zu umgehen, vom wünschenswert gehaltenen Ergebnis her. Um eine wissenschaftliche Begründung handelt es sich dabei nicht. ce) Strafe statt Schadensersatz Der "Rechtsverfolgungszweck" wird im Schrifttum auch als "Strafzweck", "Sanktionszweck", "Präventionszweck", " Genugtuungsfunktion", "Bußgedanke" bezeichnet'5. Zwischen diesen Ausdrücken wird weder terminologisch unterschieden", noch eine begriffliche Klärung herbeigeführt47 • Die Ineinssetzung dieser "Zwecke" mit dem "Rechtsverfolgungszweck" beruht der Sache nach auf der Auffassung, daß der "Rechtsverfolgungszweck" Rechtsgüter " schützen " und "garantieren" soll48. Dieser "Zweck" des Schadensersatzes soll mit anderen Worten den Geltungsanspruch des verletzten Rechts dokumentieren49 , womit er im Hinblick auf den bezweckten "Rechtsgüterschutz" auch den "pönalen Zwekken" gleicht60 • Der "Rechtsverfolgungszweck" dient danach dem " Schutz" jedes Rechts und stellt somit eine ideenhafte Verallgemeinerung dar. Sein idealer "Schutz" ist nicht nur auf das Schadensersatzrecht oder das Zivilrecht beschränkt, sondern kann auch auf das Strafrecht und damit das öffentliche Recht bezogen werden. Die Anwendung des ideenhaften allgemeinen "Rechtsverfolgungszwecks" im Schadensersatzrecht, wonach der "Akzent" auf "der Wahrung der Rechtsordnung" selbst liegen so1l5t, führt also nicht nur zur Vermengung von Strafrecht und Schadensersatzrecht, sondern auch zur Auflösung des kontradiktoriU

Neuner, AcP 133, 303.

Vgl. 1. Kap. H 1. " Vgl. dazu Mertens, S. 94 m. w. N. 47 Vgl. auch Neuwald, S. 19. 48 Deutsch, Haftungsrecht, S. 72 und Gutachten, S. 48, 58; vgl. auch SchuUe, S. 28; Larenz, SchR I, § 27 I (394). 48 Vgl. Schulte, S. 28. 50 Vgl. zum "Schutz des Rechtsguts" im Strafrecht Schwinge, S. 22 f., 59 f. 45

51

Mertens, S. 94.

86

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

schen Unterschieds zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht. Damit werden die grundsätzlichen Bedenken gegen den ideenhaften "Rechtsverfolgungszweck" bestätigt. Strafe und Schadensersatz sind nicht identisch62 • Strafe ist das Eintreten eines rechtlichen Nachteils für einen Menschen aufgrund eines schuldhaften unrechtmäßigen Verhaltens63 • Eine Strafe hat nicht den Inhalt, den Schaden eines anderen auszugleichen. Der Schadensersatzanspruch hat umgekehrt nicht den Inhalt einer Strafe. Davon gingen auch die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches aus. In den Motiven ist ausdrücklich bestimmt, daß "die Hereinziehung moralisierender oder strafrechtlicher Gesichtspunkte" "bei der Bestimmung der civilrechtlichen Folgen unerlaubten, widerrechtlichen Verhaltens durchaus ferngehalten werden" müsse 54 • Ein "poenaler Charakter" der Schadensersatzpflicht ist zudem mit der Verfassung (Art. 103 Abs. 2 und Abs. 3, GG)65, mit der Höchstpersönlichkeit der Strafe66 , mit den Verfahrensgarantien der Strafprozeßordnung, insbesondere der Beweislastregelung57 , nicht zu vereinbaren. Er würde darüber hinaus ein Rückschritt gegenüber der in Jahrhunderten mühsam erarbeiteten Trennung von Schadensersatz und Strafe bedeuten58, die im 19. Jahrhundert als eine der bedeutendsten rechtswissenschaftlichen Leistungen gewürdigt wurde 59 • Mit dem "Strafzweck" der Schadensersatzpflicht wird der Sache nach behauptet, daß die Schadensersatzverpflichtung sowohl der Sanktion der Rechtsverletzung als auch der Sanktion des schuldhaften Verhaltens des Schädigers dienen sollGO. Dieser behauptete Inhalt der Schadensersatzpflicht soll sich damit im Unterschied zum "rechtsverfolgenden Charakter" des Schadensersatzanspruchs nicht nur auf eine Rechtsverletzung, sondern auch auf das schuldhafte Verhalten des Schädigers beziehen. Dabei wird übersehen, daß Inhalt und Umfang der Schadensersatzpflicht nach § 249 BGB vom eingetretenen Schaden abhängen61 • Auf die Person des Schädigers und dessen unerlaubte Handlung bezieht sich der Inhalt der Pflicht nicht62 • Dementsprechend setzt das EntVgl. dazu eingehend Binding, S. 270 ff., 284 ff. Wotf, SchR 11, § 18 G III a (405). 54 Motive 11, S. 17 f.; vgl. auch Becker, S. 96. 55 Vgl. Mertens, S. 96 m. w. N.; Niemeyer, S. 116 m. w. N.; Wottschläger, NJW 1976, 16: "Gewiß gilt Art. 103 Ir GG für eine privatrechtliche Sanktion nicht unmittelbar"; er ist aber auch "bei privaten Maßnahmen zu beachten". 58 Mertens, S. 96; Binding, S. 285. 57 Niemeyer, S. 116 ff. 58 Lange, Schadensersatz, S. 8. 59 Grossfeld, S. 12 ff. m. w. N. 80 Vgl. Witburg, Elemente, S. 250 ff. 61 Vgl. Motive Ir, S. 17 f. 51

53

IH. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 87

stehen eines Schadensersatzanspruchs im Unterschied zur Strafe nicht notwendig schuldhaftes Verhalten voraus, was durch die Existenz von Schadensersatzansprüchen aus Gefährdungshaftung belegt wird. dd) Zusammenfassung Bei dem "Rechtsverfolgungszweck" handelt es sich um eine Idee im Sinne der idealistischen Philosophie. Dieser "Zweck" ist mit einer auf der Erfahrung gegründeten Erkenntnis nicht zu vereinbaren. Die Annahme eines "Rechtsverfolgungszwecks" des Schadensersatzes läßt sich aber auch auf der Grundlage einer teleologischen Rechtslehre nicht begründen. Er ist weder mit dem Schadensersatzrecht noch mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch in Einklang zu bringen. Wird der "Rechtsverfolgungszweck" als "Strafzweck" aufgefaßt, verstößt er darüber hinaus gegen die Verfassung (Art. 103 Abs. 2 und Abs. 3 GG). c) Der Schadensbegriff als "Zweckbegriff"

Die Lehre vom objektiven Schaden beruht auf einer teleologischen Rechtsauffassung. Merkmal der teleologischen Rechtsauffassung ist die "Besinnung auf den Normzweck"63. Durch den Normzweck soll der Inhalt des Begriffs einer Norm geprägt oder "teleologisch umgeformt" werden64• Bei dem "teleologisch umgeformten" Begriff soll es sich um einen "Zweckbegriff" handeln66 • Nach der Lehre vom objektiven Schaden soll der "Zweck" des Schadensersatzes in der Verfolgung eines verletzten Rechts bestehen". Der "Rechtsverfolgungszweck" soll aus dem Recht erwachsen und dieses unmittelbar schützen. Dieser "Zweck" des Schadensersatzes wird von der Lehre vom objektiven Schaden der Sache nach bei der teleologischen Bildung des Schadensbegriffs herangezogen. Die teleologische Bildung oder "Umformung" des Schadensbegriffs durch den "Rechtsverfolgungszweck" führt zur Identität der Begriffe Schaden und Rechtsverletzun~7. Diese Identität entspricht auch der Definition des Schadensbegriffs durch Neuner. Nach Neuner besteht der Schaden in "der Verletzung eines Rechts oder geschützten Interesses". Davon ist nach Neuner der Vermögensschaden zu unterscheiden, der in der VerletI!

G3

t4

S.9.

Vgl. auch Keuk, S. 48 f.; Larenz, SehR I, § 27 I (392 ff.). Esser, Methodik, S. 28. Vgl. Rad bruch, S. 220; Schwinge, S. 11; Mertens, S. 111 m. w. N.; Schulin,

85 Vgl. dazu Heinrich StoU, Festgabe für Heck, Rümelin, Schmidt, S. 81 m. w. N.; Heck, Begriffsbildung, S. 60; MilUer-Erzbach, JhJb 61, 373. 88 Zum "Rechtsverfolgungszweck" als "Primärzweck" bei Neuner und Witburg vgl. Hagen, Drittschadensliquidation, S. 47 f. 87 s. a. Lange, Schadensersatz, S. 8; § 1 H 2 (21).

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

88

zung eines vermögenswerten Rechts oder geschützten Interesses liegen soll~.

Nach dem von Neuner teleologisch gebildeten Begriff des sog. "objektiven Schadens" sind Schaden und Rechtsverletzung identischt9 • Diese behauptete Identität von Rechtsverletzung und Schaden würde voraussetzen, daß ein Schaden ausschließlich in der Verletzung rechtlicher Verhältnisse oder von Rechtsgegenständen bestehen könnte und die Verletzung eines wirtschaftlichen Gutes kein Schaden wäre. Das trifft jedoch nicht zu und wird selbst von den Anhängern dieser Lehre nicht behauptet. Eine Identifikation von Rechtsverletzung und Schaden ist zudem mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht zu vereinbaren. So wird z. B. im Tatbestand des § 823 BGB zwischen dem Vorliegen eines Schadens und dem Vorliegen einer Rechtsverletzung unterschieden70 . Der Begriff des "objektiven Schadens" ist ein zweckbedingter Begriff oder "Zweckbegriff"71. Die objektive Schadenslehre hat den Schadensbegriff nicht durch apriorische Konstruktion und Deduktion im Sinn der auf Kant zurückgehenden Konstruktionsjurisprudenz konstruiert, sondern durch die Einbeziehung eines "Rechtsverfolgungszwecks" teleologisch geprägt oder "umgeformt"72. übereinstimmung zwischen der teleologischen Bildung des "objektiven Schadensbegriffs" und der apriorischen Konstruktion des Interessebegriffs besteht jedoch hinsichtlich der Subjektivität der Begriffsbildung. Der Schadensbegriff wird nach der Lehre vom objektiven Schaden durch einen subjektiv gesetzten "Rechtsverfolgungszweck" bestimmt. Dieser "Zweck" bezieht sich nicht auf einen realen Schaden. Ein realer Schaden, der ein realer Zustand ist, hat keinen "Rechtsverfolgungszweck" . Dieser ideale, wissenschaftlich nicht begründbare "Rechtsverfolgungszweck" wird bei der teleologischen Begriffsbildung notwendig seitens des "Erkennenden" in den Schadensbegriff hineinkonstruiert. Dabei wird über den Inhalt des "objektiven Schadensbegriffs" , nach welchem Schaden und Rechtsverletzung dasselbe sein sollen, durch Setzen des "Rechtsverfolgungszwecks" im voraus entschieden73 . Ein sachlicher Unterschied zur sog. Konstruktions- oder Inversionsmethode der KonstruktionsjurispruNeuner, AcP 133, 314. eo Vgl. auch WHburg, JhJb 82, 126; Bydtinski, S. 26; Steindorff, AcP 158, 453 ff. 70 Vgl. auch Lange, Schadensersatz, § 1 II 2 (21); Rinne, S. 50 f. 71 Vgl. auch Hans StoU, Begriff, S. 9; Deutsch, Haftungsrecht, S. 435. 7! Vgl. Radbruch, S. 220. 73 Vgl. Wolf, Aussperrung, S. 21; Preuß, S. 116: "Jeder Autor legt nach Belieben gewisse Zwecke und Interessen in den Begriff" "hinein, um sie dann triumphierend als wissenschaftliche Resultate wieder aus dem präparierten Begriff herauszuholen". 88

111. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht

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denz, nach der die juristischen Begriffe in bezug auf das gewünschte Ergebnis hin konstruiert wurden74 und die aus diesem Grund von der Interessenjurisprudenz bekämpft wurde75 , besteht insoweit nicht. Der Schadensbegriff nach der objektiven Schadenslehre ist eine Zweckkonstruktion. Seine Erkenntnis ist nicht auf der Erfahrung eines realen, d. h. bewußtseinsunabhängigen Schadens gegründet. Damit wird der Sache nach der gegenstandsbedingte (objektive) Bezug des Begriffs auf einen realen Schaden geleugnet76 • Bei der teleologischen Begriffsbildung soll vom "Zweck" auf den Inhalt des Schadensbegriffs geschlossen werden. Der dabei vollzogene Schluß vom "Zweck" des Schadensersatzanspruchs auf den begrifflichen Inhalt des Tatbestandsmerkmals Schaden entspricht einem fehlerhaften Schluß von der Rechtswirkung auf den Tatbestand. v. Jhering hat diesen Schluß folgendermaßen ausgedrückt: Die "Ursache" wird "durch den Zweck" "gestaltet"77. Damit wird das einseitige Verhältnis von Bedingung und Bedingtem, Grund und Folge, Ursache und Wirkung, Haftungsgrund und Haftungsfolge ins Gegenteil verkehrt78 • Denkmöglich ist eine derartige Verdrehung von Ursache und Wirkung nur auf der Grundlage einer idealistischen Identitätsphilosophie, nach der es keine realen, bewußtseinsunabhängigen Abläufe gibt, alles nur im "Geist" oder der "Idee" e~istieren S01l711 und Ursache und Wirkung Eins sind80• Die teleologische Begriffsbildung setzt voraus, daß der zur Begriffsbildung herangezogene "Zweck" zuvor aus dem Inhalt der Norm erschlossen wird. Nach Neuner soll dementsprechend der "Rechtsverfolgungszweck", der das Recht schützen soll, aus dem Recht erwachsen. Die bei der Begriffsbildung angewandte teleologische Methode besteht danach nicht nur in einem Schluß vom "Zweck" auf den Inhalt der Norm, sondern auch in einem Schluß vom Inhalt der Norm auf den "Zweck"81. Dabei handelt es sich um einen Zirkelschluß82. In ihrem "Kreisdenken" entspricht die teleologische Methode damit der "dialek7f StaudingeT / Coing, Einleitung, Rn. 180; Heck, Schuldrecht, Anhang § 2 2 (474). 75 Vgl. z. B. Heck, Rechtsgewinnung, S. 18; Schuldrecht, Anhang § 2 (473 ff.); Heinrich StoH, Festgabe für Heck, Rümelin, Schmidt, S. 69. 7. a. A. LaTenz, VersR 1963, 5. 77 'V. Jhering, Zweck, Vorrede, XII; vgl. auch Hüppi, S. 74 m. w. N. 78 Vgl. Wolf, Festschrift für Schiedermair, S. 570; Tosch, S. 214 f. 78 Vgl. LaTenz, AcP 129, 70 f.; vgl. dazu auch Wolf, Festschrift für Schiedermair, S. 570. 80 Larenz, AcP 129, 71; "Einheit von Ursache und Wirkung". 81 Vgl. dazu KeHer, S. 131 f.; Henckel, S. 41. 8! Vgl. auch Henckel, S. 41.

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

90

tischen Methode"83. Die teleologische Begriffsbildung treffen insoweit die an anderer Stelle gemachten Einwände gegen die Dialektik gleichermaßen84• Der Sache nach ist auch die teleologische Begriffsbildung lediglich ein Glaubensbekenntnig85. Die Gesetze der klassischen Logik werden notwendig aufgehoben. Mit der Absage an die klassische Logik stimmt es überein, wenn die Vertreter der teleologischen Rechtsauffassung behaupten, die "Logik der Rechtswissenschaft" müsse "Teleologik" und "Ideologik" seinSG • Die "teleologische Umformung" des Schadensbegriffs beruht auf der Lehre, daß ein "naturalistischer Begriff"87 keine "ein für allemal gegebene Größe"88 sei. Der "naturalistische Begriff" soll vielmehr, wenn ihn die Rechtswissenschaft übernehme, in einer "Begriffsarbeit zweiten Grades" "umgeformt", d. h. geändert werden können81l • Der mit dem "Begriffswort nach unverändert gebliebene Rechtsbegriff" könne einen " anderen, weiteren oder engeren Inhalt" erhalten90• Die Lehre von der teleologischen Begriffsbildung behauptet damit, daß der Inhalt eines Begriffs änderbar sei (sog. Relativität der Rechtsbegriffe)91. Diese Lehre läßt sich mit dem unveränderlichen, gegenständlichen Bezug eines Begriffs auf reale, ihrem Wesen nach unveränderliche Gegenstände nicht vereinbaren. Das gilt auch für den realen Schaden und den Schadensbegriff. Der Schadensbegriff ist ebensowenig wie der reale Schaden, auf den er sich bezieht, änderbar. Der Schadensbegriff hat nicht zu verschiedenen Zeiten einen verschiedenen Inhalt92 • Die Zerstörung eines einem Menschen gehörenden Gegenstands ist in dem einen Zeitpunkt ebenso ein Schaden wie in einem anderen Zeitpunkt. Der inhaltlich bestimmte, nicht änderbare Begriff des Schadens ist von dem gesetzlich geregelten Entstehen einer Schadensersatzpflicht zu unterscheiden. Das Eintreten einer Schadensersatzpflicht hängt davon ab, ob im einzelnen Fall der Entstehungstatbestand einer Schadensersatzpflicht vorliegt93 • Damit ist das Eintreten einer Schadenser8a Nach Heget, Logik II, S. 351, stellt sich "die Wissenschaft" "als einen in sich geschlungenen Kreis dar". Zur Auffassung Hegels, daß die Philosophie "Kreisform" habe, vgl. auch Aebi, 1. Teil, S. 39 m. w. N. 84 Vgl. oben, 2. Kap. 13. 85 Vgl. dazu Schwinge, S. 11 Fn. 28 m. w. N. 8B Binder, Rechtsphilosophie, S. 890; vgl. auch Schwinge, S. 11. 87 Vgl. Radbruch, S. 220.

Müller-Erzbach, JhJb 61, 373. Radbruch, S. 219 f. 00 Sax, Festschrift für Nottarp, S. 135. 91 Heck, BegrÜfsbildung, S. 60; Sax, Festschrift für Nottarp, S. 135; MüllerErzbach, JhJb 61, 343 ff. 02 Vgl. dazu auch Wotf, Festschrift für Schiedermair, S. 564. 93 Wolf, Festschrift für Schiedermair, S. 550; SehR I, § 4 G II c (184 f.). 88

80

III. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schaaensersatzrecht 91 satzpflicht durch den Gesetzgeber änderbar. Der begriffliche Inhalt des Schadensbegriffs ändert sich dadurch nicht, auch wenn das Vorliegen eines Schadens notwendiges Tatbestandsmerkmal des Entstehungstatbestandes einer Schadensersatzpflicht ist. Der Schadensbegriff ist weder durch die "Rechtsnorm beeinflußt"94, noch "ein rechtlich geformtes Tatbestandsmerkmal"95, noch änderbar oder "wandelbar"9G. Der Schadensbegriff ist nicht deshalb ein anderer, weil er in einem besonderen "Regelungszusammenhang" steht". Mit der Behauptung eines "normrelevanten"98, "rechtlich relevanten"1I9, "rechtlich ersatzfähigen"100 oder "erstattungsfähigen Schadens"101 im Unterschied zu einem "natürlichen" Schaden 102 wird die Begründetheit der Ersatzpflicht mit dem Inhalt des Schadensbegriffs vermengtl03 • Zudem wird nach dieser Auffassung das Vorliegen eines Schadens danach beurteilt, ob der Schaden zu ersetzen ist, wofür das Vorliegen eines Schadens jedoch Bedingung ist. Das Bedingende wird danach durch das Bedingte bestimmt104. Dem kann sowohl in sachlicher als auch methodischer Hinsicht nicht zugestimmt werden. Zwischen teleologischer und juristischer Begriffsbildung soll nach den Vertretern der teleologischen Rechtsauffassung kein Unterschied bestehen106. Mit der Annahme, es handele sich bei dem Schadensbegriff um einen Zweckbegriff, ist damit notwendig die Auffassung verbunden, der Schadensbegriff sei ein Rechtsbegriff108. Danach müßte ein Schaden notwendig in einem rechtlichen Verhältnis eintretenH'7 , wie es auch nach der Lehre vom objektiven Schaden unter Zugrundelegung des "Rechtsverfolgungszwecks" behauptet wird. Da ein Schaden entgegen dieser Auffassung nicht notwendigerweise in einem rechtlichen, sondern auch in einem wirtschaftlichen Verhältnis - z. B. einer Erwerbschance - eintreten kann, ist der Schadensbegriff in Wahrheit t4 Lange, Schadensersatz, § 1 IV 1 (27). os Fikentscher, § 49 III 2 c (249). 98 Lange, Schadensersatz, § 1 IV 1 (27). 97 Larenz, SehR I, § 27 II a (396 Fn. 12); Lange, Schadensersatz, § 1 IV 1

(27).

Fikentscher, § 50 I 2 (259). Honselt, JuS 1973, 72. 100 Larenz, SchR I, § 27 II (395 ff.); Honselt, JuS 1973, 72. 101 BGH 43, 382. 102 Vgl. dazu Wolf, Festschrift für Schiedermair, S. 551, 554 f. 103 Wolf, SehR I, § 4 G II a 2 hh (179 f.); vgl. dazu auch Mertens, S. 13. 104 Wolf, Festschrift für Schiedermair, S. 550. 105 Schwinge, S. 11 m. w. N. 108 Vgl. dazu nur Esser / Schmidt, § 31 I 1 (128 f.) m. w. N. 107 Wolf, Festschrift für Schiedermair, S. 549 ff. 98

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2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

kein Rechtsbegriff U)8. Dies wird von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestätigt, nach der der Schaden kein reiner Rechtsbegriff, sondern auch ein wirtschaftlicher Begriff sein solpOIl. Der Bundesgerichtshof hätte, da der Schaden danach sowohl in rechtlichen als auch in wirtschaftlichen Gegenständen eintreten kann, die Konsequenz ziehen müssen, daß es sich beim Schadensbegriff um keinen Begriff einer dieser Spezialwissenschaften handelt und somit nur ein ontologischer Begriff sein kann. Teleologische Begriffsbildung, die nur bei Rechtsbegriffen möglich sein soll, wäre danach nicht möglich. Wenn der Bundesgerichtshof statt dessen ausführt, daß der Schadensbegriff rechtlichen und wirtschaftlichen Wertungen unterliege llO, zeigt sich, daß es auf die Frage, ob es sich um einen Rechtsbegriff handelt, für die teleologische Begriffsbildung der Sache nach gar nicht ankommt. Die Lehre von der teleologischen Begriffsbildung, die der objektiven Schadenslehre zugrunde liegt, beruht auf einer Absage an die realen Verhältnisse, die Erfahrung und die Logik. Es ist deshalb den Ausführungen von Preuß nichts hinzuzufügen, wenn er meint, daß die. "Hineinziehung des Zweckmoments in die juristische Begriffskonstruktion" zu einer "Selbstauflösung" der Jurisprudenz und zu einer Auslieferung an die "Willkür" des Autors führe 111 • Diese an die zweckforschende und wertende Rechtsfindung gerichtete Kritik, daß sie zu alogischen und subjektiv bedingten Ergebnissen führen müsse112, ist bisher von den Vertretern der teleologischen Rechtsauffassung nicht widerlegt worden. Wenn im Schadensersatzrecht heutzutage von einern "desolaten Zustand" gesprochen wird113, so beruht das in erster Linie auf der Behauptung, der Schaden sei ein "Zweckbegriff". d) Interessenschutz statt Schadenserkenntnis

aal Schutzwürdigkeit der beeinträchtigten Rechtsgüter In Anlehnung an Neuner nimmt Steindorff bei der Ermittlung des Vorliegens eines Schadens eine Differenzierung nach der Schutzwürdigkeit der verletzten Rechtsposition114 oder, anders ausgedrückt, eine "vorn Inhalt der verletzten Rechte und Normen abhängige Wertung" 108 So auch Wolf, Festschrift für Schiedermair, S. 549 ff.; SehR I, § 4 G 11 a 2 hh (179 f.) mit weiterer Kritik. 108 BGH 40,347. 110 BGH 21,119; vgl. auch Hagen, Festschrift für HauB, S. 10l. 111 Preuß, S. 166f.; vgl. dazu aber auch Schwinge, S. 13. 112 Vgl. dazu Heinrich Stoll, Festgabe für Heck, Rümelin, Schmidt, S. 70 Fn.l. 113 Lieb, JZ 1971, 358. 114 Steindorff, AcP 158, 458; s. a. S. 453, 455.

IH. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 93 vor116• Nach Steindorff soll nur dort die abstrakte Schadensberechnung zugelassen sein, "wo zum Schutz leicht verletzbarer Rechte eine scharfe Sanktion erforderlich" sei. Danach sollen nicht alle vermögenswerten Güter bzw. Positionen, die durch Normen objektiven Rechts geschützt sind, sondern durch Positionen, die durch absolute subjektive Rechte geschützt seien, abstrakt berechnet werden. Wenn man vom Gedanken der Rechtsverfolgung ausgehe, so zeige die Verletzung subjektiver Rechte die besondere Schutzwürdigkeit einer Position an, die z. B. bei Immaterialgüterrechten im Unterschied zu Sachenrechten gegeben sei, da in erstere leichter eingegriffen werden könne l16 • Steindorff bestimmt den Schaden, der abstrakt berechnet werden soll, der Sache nach als Verletzung "besonders schutzwürdiger Positionen" oder Interessen. Dieser Auffassung hat sich vor allem die Rechtsprechung zum Schadensersatz wegen Verletzung von Immaterialgüterrechten angeschlossen117 • Steindorffs Auffassung unterscheidet sich von der Lehre Neuners dadurch, daß er nicht die Verletzung aller Rechte oder geschützten Interessen als Schaden auffaßt. Gegenstand des Schadens sollen nur "besonders schutzwürdige Positionen" sein. Nach Steindorff erfordert die Erkenntnis des Vorliegens eines Schadens dementsprechend eine Wertung. Dabei soll vor allem der "Rechtsverfolgungsgedanke" die Berechtigung und Schutzwürdigkeit der Interessen und Positionen aufdecken118 • "Werten" oder "Bewerten" wird als "Akt der Stellungnahme" bestimmt, durch welchen "der zu bewertende Gegenstand" "als erstrebenswert oder nicht erstrebenswert, billigenswert und nicht billigenswert, einem anderen vorzuziehen oder hinter ihm zurückzusetzen beurteilt" wird119 • Eine Wertung besteht danach der Sache nach in einer Interessenabwägung l20 • Objektive Merkmale oder nachvollziehbare Kriterien werden für eine Wertung oder Methode der Interessenabwägung nicht angegeben und der Sache nach oftmals auch gar nicht behauptet121~ So heißt es z. B. im schadensersatzrechtlichen Schrifttum, "bei jeder Fallkonstellation" müsse "eine rational nicht nachvollziehSteindortf, JZ 1967, 362 m. w. N. Steindortf, AcP 158, 455, 458; vgl. auch MeTtens, S. 76 ff. 117 Vgl. oben, 1. Kap. H 2 d. 118 Vgl. zur "Schutzwürdigkeit von Interessen" Hubmann, AcP 155, 96 ff.; Heinrich StoU (Festgabe für Heck, Rümelin, Schmidt, S. 70) spricht von einer 1lS

118

"teleologischen Subsumtion". 118 LaTenz, Methodenlehre, S. 275. 120 Vgl. Hubmann, AcP 155, 65 ff.; Westerhoff, S. 13; s. a. S. 47: "Abwägen ... ist ein selbständiger Akt des Richters", der "nicht durch bereits bestehende Regeln, Begriffe, Prinzipien, Grundsätze, Tatbestände oder ähnliches festgelegt ist". Zur Kritik einer Güter- und Interessenabwägung vgl. Wolf, SehR H, § 20 B I c6 cc (548 ff.). tU Vgl. z. B. Larenz, Methodenlehre, S. 393.

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2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

bare Wertung der Interessen vorgenommen werden"I22. Damit wird deutlich auf das subjektive Wählen des Ergebnisses hingewiesen, das erstrebenswert oder billigenswert, d. h. wünschenswert ist. Die Interessen- oder Güterabwägung unterscheidet sich im Hinblick auf die Subjektivität des Erkennens nicht von dem "Fühlen" und "Schauen" der Werte im Sinne der klassischen Wertphilosophie Schelers und N. Hartmanns 123 • Der Unterschied der von der Wertungsjurisprudenz durchgeführten Wertung zur klassischen Wertphilosophie besteht lediglich darin, daß die klassische Wertphilosophie versucht hat, eine Rangordnung der Werte aufzustellen l24 , was angesichts der Unmöglichkeit einer derartigen Wertordnung zutreffend abgelehnt wird126 • Eine "feste Rangordnung aller Güter und Rechtswerte, aus der sich das Ergebnis wie aus einer Tabelle ablesen ließe", soll es nicht geben1l!6. Die Konsequenz, daß damit bei einer Wertung das einzig mögliche nachvollziehbare Kriterium oder Merkmal entfällt und damit eine Wertung zu einer begründeten Erkenntnis nicht taugt, wurde allerdings nicht gezogen. Damit ist mittels einer W'ertung alles behauptbar. Die sich daraus ergebenden Gefahren für die Erkenntnis des Schadens und seines Ersatzes sind offensichtlich. Die grundsätzlichen Bedenken gegen eine Wertung oder wertende Methode werden durch die Ausführungen Steindorffs zur Schadenserkenntnis bestätigt. Steindorff legt nicht begründet dar, warum nur in der Verletzung "besonders schutzwürdiger Positionen" ein abstrakt zu berechnender Schaden bestehen soll. Es handelt sich dabei um eine subjektive Wertung. Soweit sich Steindorff bei dieser Wertung auf den als verfehlt erkannten "Rechtsverfolgungszweck" beruft, scheitert die Wertung daran, daß dieser "Zweck" seinem behaupteten Inhalt nach alle Rechte und Rechtsgüter schützen soll. Wenn Steindorff dessen ungeachtet mit dem "Rechtsverfolgungszweck" die Beschränkung des Schutzes auf "besonders schutzwürdige Positionen" begründen will, zeigt sich nicht nur die Unbrauchbarkeit des "Rechtsverfolgungszwecks" als Bewertungsfaktor, sondern auch die Subjektivität einer Wertung. Der Schutz des "Rechtsverfolgungszwecks" kann beliebig erweitert und eingeschränkt werden. Nach Steindorff sollen nur "leicht verletzbare Rechte" besonders schutzwürdige Positionen sein. Nur in der Verletzung dieser "besonMünchKomm-GTunsky, vor § 249, Rn. 104 zur Vorteilsausgleichung. Vgl. oben, 2. Kap. I 5. 124 Vgl. oben, 2. Kap. I 5. 125 Vgl. dazu auch LaTenz, Methodenlehre, S. 131 f., 393; Wott, Aussperrung, S. 29 ff.; EhteTs, S. 50 f. 128 LaTenz, Methodenlehre, S. 393. a. M. BVerfG 7, 205; 34, 280: "objektive Wertordnung"; vgl. dazu Wott, Aussperrung, S. 28 ff. 122

123

III. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 95 ders schutzwürdigen Positionen" soll ein abstrakt zu berechnender Schaden liegen. Worin die leicht verletzbaren Rechte im Unterschied zu anderen Rechten bestehen sollen, gibt Steindorff nicht an127. Ein objektives Merkmal ergibt sich auch nicht aus dem "Rechtsverfolgungszweck" , der die besondere Schutzwürdigkeit der Interessen aufdecken soll. Das Merkmal "besonders schutzwürdige Position" zur Bestimmung des Schadens ist folglich unbestimmt. Es handelt sich der Sache nach um ein normatives Merkmal, das beliebig ausgefüllt werden kann. Die gleichen Einwände, die sich gegen die Auffassung Steindorffs richten, bestehen der Sache nach auch schon gegen die Lehre Neuners. Nach dessen teleologisch gebildeten Begriff des Schadens kommt es ebensowenig wie bei Steindorff darauf an, ob irgendein Interesse oder Gut im weitesten Sinne l28 eingebüßt wurde, sondern es muß sich um die Verletzung eines Rechts oder anderen geschützten Interesses handeln. Mit anderen Worten heißt das, daß es sich nach Neuner um die Verletzung von Gütern und Interessen handeln muß, die durch die Rechtsordnung unter Rechtsschutz oder Normenschutz gestellt wurden 1211 . Legt man diese Auffassung vom Interessenschutz l30 durch die Rechtsordnung der Schadenslehre Neuners zugrunde, so kann das für die Erkenntnis des Vorliegens eines Schadens nur bedeuten, daß bei der Bestimmung des Schadensmerkmals geschütztes Interesse eine Wertung vorgenommen werden muß1Sl. Dabei wird subjektiv darüber entschieden, welches Interesse oder Gut schutzbedürftig ist oder nicht, was im Ergebnis beliebig festgelegt werden kann. Das zeigt sich z. B. am Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs l32 . Darüber hinaus führt der behauptete Normenschutz der Sache nach zur Leugnung der Existenz subjektiver Rechte 13l1 und zur Identität von Recht und Rechtsgegenstand l34 . 127 128

Vgl. auch MeTtens, S. 77 Fn. 78. Vgl. dazu auch Heck, Begriffsbildung, S. 37.

130

Vgl. Schwinge, S. 22. Nach Heck, Schuldrecht, Anhang § 2 (473), könnte man anstatt von

133

BucheT, S. 6.

128

"Interessenjurisprudenz" auch von "wertender Jurisprudenz" reden, "denn die Interessen sind eben Güterbegehrungen, sie richten sich auf Werte. Der Interessenschutz ist Zubilligung von Werten. Aber der Kern der neueren Methode, ihre richtige Integration, wird m. E. doch durch die Bezeichnung Interessenjurisprudenz wiedergegeben". 131 Vgl. Wolf, SchR II G (604); Hubmann, AcP 155, 96 ff. m Vgl. dazu eingehend Wolf, SchR H, § 20 B I c 3 ff. (523 ff.); Festschrift für v. Hippei, S. 665 ff. Zur Verfehltheit dieser Identifikation mit treffender Begründung Wolf, SchR II, § 20 G (600 ff.); ähnlich BucheT, S. 113 ff., 116 ff., 157. lU

96

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

Im Unterschied zu Steindorff bezieht sich nach Neuner das geschützte Interesse als Schadensmerkmal nicht nur auf Güter, die zum "Zwecke der Güterzuteilung zu .subjektiven Rechten ausgestattet" sind l36 oder nur auf "besonders schutzwürdige Positionen", sondern auch auf die geschützten Güter, für die im Fall ihrer Verletzung Sanktionen aufgestellt werden, d. h. also auf alle geschützten Güter l36 • Von den geschützten Gütern im weitesten Sinne umfaßt werden demnach auch die unter "Schutz" gestellten vermögenswerten Güter. In der Verletzung von vermögenswerten Gütern soll nach Neuner der Vermögensschaden bestehen. Neuner differenziert damit je nach Art der geschützten Güter zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschaden. Es handelt sich insoweit um eine Unterscheidung, die abgesehen von ihren teleologischen Grundlagen mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch übereinstimmt. Es darf allerdings nicht übersehen werden, daß sich Neuner, indem er alle Güter, die gegen Geld erworben und veräußert zu werden pflegen, als geschützte Güter behandelt, damit in Widerspruch zu seiner These vom "rechtsverfolgenden Zweck" des Schadensersatzanspruchs setzt. Bei Zugrundelegung des "Rechtsverfolgungszwecks" kann der Schaden nur in der Verletzung von Rechten bestehenl37 • Es zeigt sich dabei einmal mehr, daß durch den "Rechtsverfolgungszweck" sich widersprechende und nicht miteinander zu vereinbarende Inhalte "geschützt" werden sollen, der "Schutzbereich" also unbegrenzt ist. bb) Vermögenswerte Güter als geschützte Güter Die Auffassungen, was unter einem "vermögenswerten Gut" zu verstehen ist, in dessen Verletzung ein Vermögensschaden bestehen soll, gehen bei den Vertretern der objektiven Schadenslehre auseinander. Einerseits wird die Auffassung vertreten, daß vermögenswerte Güter alle geldwerten oder in Geld meßbaren Güter seien138• Andererseits versteht Neuner unter vermögenswerten Gütern "alle Güter, die im Verkehr gegen Geld erworben oder zu veräußert werden" pflegen13'. Andere wiederum stellen bei der Bestimmung des Vorliegens eines Vermögensschadens darauf ab, ob das Gut im Verkehr einen "objektiven Wert" habe 140• Maßgeblich sei dabei eine "objektive Wertung"14l, Vgl. Schiek, S. 30 m. w. N.; Heck, Schuldrecht, § 145, 3 a (439). Vgl. Schiek, S. 30 m. w. N. 137 So auCh Keuk, S. 47. 138 Larenz, SchR I, § 29 I c (447); Nörr, AcP 158, 6; BGH 45,217 f.; vgl. auch Detlefsen, S. 25 m. w. N. 13U Neuner, AcP 133, 306. 140 Neumann, JhJb 86, 284; vgl. auch Neuner, AcP 133, 307. Nach Hans StaU (Begriff, S. 19 ff.) gehören "subjektiv wirtschaftliche Werte", die "nur individuell nach den jeweiligen Verhältnissen des Berechtigten arbiträr geschätzt werden" können und deshalb ..nicht objektiv meßbar sind", zu den Nichtvermögensschäden. 141 Neumann, JhJb 86, 279. 135 IS8

IlI. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht

97

wobei der "wirtschaftliche Maßstab" richtunggebend sein sol}14.2. Nach der Rechtsprechung hängt die Frage, "ob ein vermögenswertes Gut beeinträchtigt" sei, "wesentlich von der Wertung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten ab; den ausschlaggebenden Maßstab dafür" bilde "die herrschende Verkehrsauffassung. Soweit ein Lebensgut ,kommerzialisiert' " sei, "d. h. ,erkauft' werden" könne, stelle "seine teilweise oder gänzliche Einbuße einen materiellen Schaden dar"143. Gemeinsam ist diesen Auffassungen lediglich, daß es bei der Erkenntnis des Vorliegens eines Vermögensschadens nicht auf die Gesamtvermögensdifferenztheorie ankommen soll. Nicht der Wertverlust des Vermögens als Ganzem im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, sondern der Wertverlust eines einzelnen Gutes soll maßgebend sein144 . Eine überzeugende Definition dessen, was ein vermögenswertes Gut sein soll, wird mit den angegebenen Wendungen nicht gegeben. Soweit nach dieser Lehre auf das Kriterium des Geldwertes oder auf die Meßbarkeit in Geld abgestellt werden soll, scheitert das schon an den zur Gesamtvermögensdifferenztheorie dargelegten Gründen145. Daran kann auch nichts ändern, daß Nichtvermögensschäden im Unterschied zu den Vermögensschäden gemäß § 253 BGB nicht in Geld zu ersetzen sind. Daraus kann nicht geschlossen werden, daß der Geldwert oder die Meßbarkeit in Geld Merkmal des Vermögensschadens ist1". Wenn das dennoch behauptet wird, wird übersehen, daß nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in Ausnahmefällen auch Geldersatz von Nichtvermögensschäden möglich ist. Zudem würde die Art des Schadensersatzes zum Merkmal des Begriffs Vermögensschaden gemacht, dessen Vorliegen tatbestandsmäßige Bedingung für das Vorliegen eines Ersatzanspruchs ist1 47 • Von dem Geldwertkriterium zu unterscheiden ist die Auffassung Neuners, daß es bei der Bestimmung des vermögenswerten Gutes darauf ankomme, ob ein Gut gegen Geld erworben oder veräußert zu werden pflegt. Diese Definition wird von der Rechtsprechung und Lehre der Beurteilung der Frage, ob es sich bei manchen Lebensgütern, insbesondere bei Genuß- und Gebrauchsmöglichkeiten148, um vermögenswerte Güter handelt, schlagwortartig unter dem Ausdruck "Kommerzialisierung" zusammengefaßt1 49 • Diese Definition Neuners ist zwar lU 143

144 1C5

141 147 148 tU

Neumann, JhJb 86, 284. BGH 74, 234 m. w. N. Vgl. Neumann, Jh.Jb 86, 284. Vgl. oben, 2. Kap. Il 2 a. Landwehrmann, S. 20; Larenz, SchR I, § 29 (442). Wolf, SehR I, § 4 G Il d 2 ce aaa (189). Vgl. Küppers, S. 94. Zur ..Kommerzialisierungsthese" vgl. Lange, Schadensersatz, § 2 I (37);

7 Wllk

98

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

kein notwendiger Bestandteil der objektiven Schadenslehre, hat jedoch im Zusammenhang mit dieser Lehre eine besondere Bedeutung bekommen. Während sich ein Verlust von Gebrauchs- und Genußmöglichkeiten im Rahmen der Gesamtvermögensdifferenztheorie in der ermittelten Differenz nicht niederschlägt oder niederzuschlagen braucht, da nur tatsächliche Vermögensverluste im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ausgewiesen werden l50, ist nach der objektiven Schadenslehre der objektive Wert des beeinträchtigten vermögenswerten Gutes unabhängig von individuellen Gebrauchsmöglichkeiten zu ersetzen161 • Nach dem "Kommerzialisierungsgedanken" soll es bei der Bestimmung eines vermögenswerten Gutes darauf ankommen, ob ein Gut "typischerweise"l52 oder "in aller Regel nur durch entsprechende Vermögensaufwendungen ,erkauft' werden" könne l53 . Dabei zeigt sich die Untauglichkeit dieser Definition schon daran, daß letzten Endes alle Nichtvermögensgegenstände "erkauft" werden können und somit in Vermögensgegenstände "transformierbar" wären l64 . Die Anwendung des "Kommerzialisierungsgedankens" muß also notwendig zu einer Vermengung von Vermögens- und Nichtvermögensschäden führen 150 • Das hat zur Folge gehabt, daß dieses Merkmal zur Bestimmung des Vermögensschadens entweder nicht angewendet oder durch das KriteKiippers, S. 18 ff., 94 ff., 134 ff.; To~k, S. 25 ff., 46 ff., 94 ff.; Schulte, S. 48 ff. Von dem sog. "Kommerzialisierungsgedanken", der in der Rechtsprechung vorherrscht (vgl. dazu To~k, S. 15; Kiippers, VersR 1976, 605), ist der "Frustrierungsgedanke" zu unterscheiden. Dieser besagt, daß "freiwillig gemachte Aufwendungen, die durch ein schädigendes Ereignis nachträglich entwertet werden, wie ein Vermögensschaden zu behandeln" seien (To~k, S. 16). - Die Verfehltheit dieser Lehre zeigt sich schon daran, daß Aufwendungen, die nicht in einem tatbestandsmäßigen Umstand begründet sind, als Vermögensschaden fingiert werden, indem sie "wie ein Vermögensschaden zu behandeln" sind. Zudem wäre die Beschädigung dinglicher Gegenstände, z. B. Sachen, für die keine Aufwendungen gemacht werden, z. B. weil sie geschenkt wurden, kein Vermögensschaden. Das läßt sich ebenfalls nicht halten. (So auch Wiese, S. 28; Ströfer, S. 58 ff.). Zur weiteren Kritik am "Frustrierungsgedanken" vgl. auch To~k, S. 104 ff.; Kiippers, VersR 1976, 604 ff.: "Zauberformel Frustrationslehre". 150 s. a. Detlefsen, S. 19; Nörr, AcP 158, 7; Larenz, Festschrift für Nipperdey, S. 499; vgl. aber auch Kiippers, S. 23. 151 Neuner, AcP 133, 309; vgl. dazu auch Larenz, Festschrift für Nipperdey, S.492f. 152 BGH 63, 397. 153 BGH 40, 349 f.; Sch.u~te, S. 49; Brinker, S. 216. 15' Lange, Schadensersatz, § 6 III (167 f.); BGH 66, 279 f.: "Nicht allgemein tragfähig ist auch der Kommerzialisierungsgedanke". Es "lassen sich heute Genußmöglichkeiten so weitgehend mit Geld erkaufen (z. B. auch Freizeit), so daß sich daraus eine sachgemäße Einschränkung" nicht ergäbe. Kritisch auch Diederichsen, Festschrift für Klingmüller, S. 73. 155 Schulte, S. 50; Diederichsen, Festschrift für Klingmüller, S. 74.

111. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht

99

rium der "Verkehrsauffassung" restriktiv eingeschränkt wird 11iO .Andere wiederum behandeln den "Kommerzialisierungsgedanken", anhand dessen eine sichere Beurteilung des Vermögensschadens nicht möglich ist157 , lediglich als "Wertungsindiz"158 dafür, daß es sich nach der Verkehrsauffassung um einen Vermögensschaden handele 159. Entscheidendes Merkmal sowohl für die Lehre vom objektiven Schaden als auch für die sog. Kommerzialisierungsrechtsprechung bei der Bestimmung des vermögenswerten Gutes und damit des Vermögensschadens ist die Verkehrsauffassung, die ein Wertungskriterium einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist1OO. Die Abgrenzung zwischen Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden hängt danach davon ab, ob ein Gut als wirtschaftlicher Wert im "Bewußtsein und Verständnis der Bevölkerung"161 anerkannt ist oder ob die Beeinträchtigung "von einem Großteil der Meinung als entschädigungspflichtig empfunden" werde1&!. Dabei bedinge die als "Kommerzialisierung" bezeichnete "Änderung der Wertvorstellungen" 163, daß die Bestimmung des Vermögenswertes nicht zu allen Zeiten die gleiche sein könne 164. Die Erkenntnis des Vermögensschadens, die nur durch Anwendung der Merkmale des Begriffes Vermögensschaden erfolgen kann 1G6 , wird damiii durch eine ständig änderbare "objektive Wertung" ersetzt166 • Die Anerkennung des Gutes im allgemeinen Verständnis ist bei dieser "objektiven Wertung" beliebig behauptbar und wird durch die Rechtsprechung auch beliebig behauptet. Dies zeigt sich vor allem an der Argumentation der Rechtsprechung zum Entgang von Gebrauchsvorteilen. Dabei wird ausgeführt, daß sich die Rechtsprechung zum Kraftfahrzeug-Unfall nicht verallgemeinern lassen könne. Es bedürfe "vielmehr, will

158

SchuUe, S. 52 m. w. N. Schulte, S. 50. So Schiemann, S. 277; Hagen, Festschrift für Rauß, S. 93: ..Wertungs-

181

Schulte, S. 5I.

158 157

gesichtspunkt der Kommerzialisierung". 158 Tolk, S. 26. In welchem Verhältnis Verkehrsanschauung und Kommerzialisierungsgedanke stehen, ist im Schrifttum unklar. Tolk, S. 15, faßt die Merkmale .. im Verkehr gegen Geld erworben" und ..Verkehrsauffassung" unter den ..Kommerzialisierungsgedanken" zusammen. Schulte, S. 50, 52 m. w. N. meint, daß die Verkehrsauffassung als .. restriktives Element", als .. Mittel zur Begrenzung" des Kommerzialisierungsgedankens, worunter er .. die Verkehrsfähigkeit im Sinne der Üblichkeit entgeltmäßigen Erlangens des Genusses" versteht, gebraucht wird. 180 Vgl. auch BGR 74, 234. 182 Jauernig / Teichmann, vor §§ 249 - 253, III I. 183 Jauernig/ Teichmann, vor §§ 249 - 253, III 1184 Vgl. schon Kahler, ArchBürgR 12, 22; MünchKomm-Grunsky, vor § 249, Rn. 12; Lange, Schadensersatz, § 6 111 (168). 185 So auch Schacht, NJW 1981, 135I. 110 Neumann, JhJb 86, 279. 7·

100

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

man die in § 253 BGB getroffene Regelung für diesen Bereich nicht völlig aushöhlen, stets einer Abwägung im Einzelfall, ob nach der Verkehrsauffassung die Benutzbarkeit einer Sache als selbständiger Vermögenswert neben ihrem Substanzwert angesehen" werde "und damit ihre Beeinträchtigung einen Vermögensschaden" darstelle 167 • Bei der Berufung auf die Verkehrsauffassung geht es der Rechtsprechung jedoch keinesfalls darum, die Verkehrsauffassung empirisch nachzuweisen. Es handelt sich der Sache nach um einen Versuch, die Billigkeitsrechtsprechung im Einzelfall durch eine scheinbare dogmatische Lösung zu verdecken l68 • Die Leerformel Verkehrsauffassung1611 ist eine wertende, d. h. wissenschaftlich nicht begründbare Betrachtungsweise im Einzelfall. Sie öffnet damit "Tür und Tor" "zur verdeckten Willkür" 170. Die Rechtsprechung "billigt" unter Berufung auf die "Verkehrsauffassung" Schadensersatz für entgangene Gebrauchsvorteile bei Kraftfahrzeugen zu171 , während sie andererseits Schadensersatz für den Nutzungsentgang eines Pelzmantelsl72 oder eines Wohnhauses l711 versagt. Eine überzeugende Begründung für diese Unterscheidung gibt die Rechtsprechung nicht. Soweit die Rechtsprechung bei der Verneinung des Schadensersatz anspruchs für den Entzug eines Pelzmantels darauf hinweist, daß bei derartigen Luxusgegenständen "anerkannte Maßstäbe zur geldmäßigen Bemessung nicht zur Verfügung" ständen 17., handelt es sich um eine Scheinbegründung, da es Maßstäbe für die Schätzung derartiger Gegenstände gibt17S • Daß das "Mieten von Pelzmänteln" "ungebräuchlich" sei, wie der Bundesgerichtshof meint1711 , kann daran nichts ändern. Der wahre Grund für die Verneinung eines Ersatzanspruches liegt vielmehr darin, daß nach der subjektiven Auffassung des Gerichts der Entzug eines Pelzmantels im Unterschied zum Kraftfahrzeug von einem Großteil der Bevölkerung nicht als entschädigungspflichtig "empfunden" wird, weil es sich bei einem Pelzmantel 187

188

lU 170

BGH 63, 397.

Tolk, S. 95; vgl. auch S. 26; Schiemann, S. 62 f.; Schulte, S. 52 f. So auch Schiemann. S. 63. Tolk, S. 26; Kohler (ArchBürgR 12, 23) erwidert denen, die "entgegen-

rufen, daß eine solche Unterscheidung zu unbestimmt sei und der scharfen Konturen entbehre", "daß diese Art der Scheidung wohl" genüge, "auf daß der gesunde Sinn die richtige Lösung finde". Mehr brauche "die Theorie des Rechts nicht erstreben". Worin der "gesunde Sinn" bestehen soll, sagt Kohler allerdings nicht. 171 BGH 63, 396 m. w. N.; vgl. oben, 1. Kap. II 2 b. l7! BGH 63, 396 ff. 173 BGH 66, 277 ff.; vgl. aber auch BGH NJW 1967, 1804. m BGH 63, 397. 175 Köndgen, AcP 177, 5 m. w. N.; vgl. auch BaUT, Festschrift für Raiser, S.126. 178 BGH 63, 398.

III. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 101 um einen Luxusgegenstand handelt, den die Mehrheit der Bevölkerung nicht besitzt. Die Erkenntnis des Vermögensschadens hängt danach nicht mehr von dem Gegenstand Vermögensschaden ab, der zu erkennen ist, sondern von einer behaupteten "Meinung der Bevölkerung", die das Gericht in Wahrheit gar nicht ermitteJt177. Die gleichen Bedenken, die gegen die Berufung auf das Kriterium der Verkehrsauffassung bei der Ermittlung des Vermögensschadens bestehen, erheben sich auch gegen das Kriterium der wirtschaftlichen Betrachtungsweise178. Dies zeigt sich schon daran, daß die Verkehrsauffassung maßgebliches Merkmal dieser "Betrachtungsweise" sein soll. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise, bei der es auf wirtschaftliche Zusammenhänge der Sache nach nicht ankommt, ist deshalb nichts anderes als eine Leerformep79, mit der Wertungsfragen abkürzend entschieden werden sollenl80 • Bei der Bestimmung des vermögenswerten Gutes durch die objektive Schadenslehre und der dieser folgenden Rechtsprechung handelt es sich der Sache nach um eine inhaltlich unbestimmte Wertung 181. Die Bestimmung des vermögenswerten Gutes erfolgt nach der Schutzwürdigkeit bzw. dem Schutzbedürfnis des Gutes l82 • Das vermögenswerte Gut wird als geschütztes Gut behandeJt183. Der Vermögenswert oder objektive Wert hat nicht die ökonomische Bedeutung Geldwert, sondern hat einen normativen (wertenden) Charakter. Ob ein rechtlich geschütztes Interesse oder Gut vorliegt, wird der Sache nach anhand eines "Rechtsverfolgungs"-, "Sanktions"-, "Genugtuungs"- oder "Präventionszwecks" bestimmtt84 • Es handelt sich dabei um "Zwecke", die sich auf die Rechtsverletzung und damit im Sinn der objektiven Schadenslehre auf den Schaden beziehen. Diese "Zwecke" werden auch zur Bestimmung des Vermögensschadens herangezogen. Die begriffliche Unterscheidung von Schaden und Vermögensschaden wird mit der Annahme, daß sowohl der Schaden als auch der Vermögensschaden der Sache nach in der Verletzung eines teleologisch-normativ zu bestimmenden geschützten Interesses bestehen sollen, aufgehoben. 111

Schulte, S. 53.

178 Rittner, S. 56 m. w. N.: "richterlichen Subjektivismus". 17t Hattenhauer, Zivilurteil, S. 101; Rittner, S. 24. 180 Rittner, S. 25. 181 Vgl. z. B. aber auch Nörr, AcP 158, 5 ff. 18! s. a. Hagen, Festschrift für Hauß, S. 98. 18S Vgl. dazu Pecher, AcP 171, 51 f. 184 DiedeTichsen (Festschrift für Klingmüller, S. 81) nennt als "Wurzeln der Kommerzialisierungsentscheidungen" den "Sanktions"- und "Präventionsgedanken". Vgl. auch Pecher, AcP 171, 46 f., 58 f., 62 f. Schon v. JheTing (Gutachten, S. 59) hat diese Zwecke zur Begründung der Geldentschädigung für die Schädigung von "nicht-ökonomischen Interessen" herangezogen. Vgl. auch Kohler, ArchBürgR 12, 10.

102

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

Welche Unsicherheit aufkommen muß, wenn der Vermögensschaden nicht ausschließlich nach den Merkmalen des Begriffs Vermögensschaden bestimmt wird, sondern nach einer unbestimmten Schutzwürdigkeit, zeigt sich nicht nur am Beispiel der sog. Kommerzialisierungsrechtsprechung. Auch bei der Frage, ob es sich bei der Arbeitskraft um ein geschütztes Rechtsgut bzw. vermögenswertes Gut handele, herrscht Verwirrung185 • Wird in der Rechtsprechung einerseits festgestellt, daß die Beeinträchtigung der Arbeitskraft "für sich allein betrachtet kein Vermögensschaden" seP86, wird andererseits der Vermögenswert der Arbeitskraft bejaht1ß7 . Nachvollziehbar ist das nicht l88 . e) Der "gegliederte Schadensbegriff"

Nach der Lehre vom objektiven Schaden soll die Definition des Schadens als Verletzung eines Rechts oder geschützten Interesses nicht für den mittelbaren, sondern nur für den unmittelbaren Schaden Anwendung finden (sog. "gegliederter Schadensbegriff")l89. Den unmittelbaren Schaden definiert Neuner als "Verletzung des Rechts oder des geschützten Interesses selbst". Mittelbar seien dagegen alle "weiteren ungünstigen Folgen für den Verletzten"190. Für diesen mittelbaren Schaden sei der Schadensbegriff im Sinne der Gesamtvermögensdifferenztheorie, d. h. der Interessebegriff maßgebend 191 . Dieser "Gliederung" entsprechend soll der objektive Wert des verletzten Rechts oder geschützten Interesses als fester unveränderlicher Kern ("objektiver Schadenskern"192) den Mindestschadensersatz bilden, während der Ersatz des mittelbaren Schadens nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie zu bestimmen seP93. Dabei ist es nach Neuner unerheblich, "daß unter Umständen der weitere Schaden seinerseits in der Verletzung von konkreten Rechten oder Rechtsgütern" bestehe, "die selbst einen objektiven Wert" haben. Dieser sei nicht ohne weiteres zu ersetzen, da hier "nicht ein Recht als solches zu wahren" sei, "sondern nur ein Schaden zu ersetzen" sei, "der mittelbar auf eine Rechtsverletzung" zurückgehe 194. 185 Baur, Festschrift für Raiser, S. 127 f.; Lieb, JZ 1971, 362; vgl. auch AKBGB-Rüßmann, vor §§ 249 - 253, Rn. 11. 188 BGH 69, 36; 54, 50; Palandt I Heinrichs, Vorbem. v. § 249, Anm. 2 b ff. 187 BAG JZ 1971, 381. 188 Kritisch auch Baur, Festschrift für Raiser, S. 128, der die Rechtsprechung für nicht recht verständlich hält; Lieb, JZ 1971, 360 ff. 18V Larenz, VersR 1963, 1; vgl. auch Medicus, Unmittelbarer und mittelbarer Schaden, S. 11, 22 ff., 42. 190 Neuner, AcP 133, 314. 191 Vgl. Larenz, VersR 1963, 6. lV2 Lange, Schadensersatz, § 6 I (164); Rinne, S. 9. 193 Neuner, AcP 133, 302. 194 Neuner, AcP 133, 296.

III. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht

103

Die Auffassung Neuners bedeutet nicht, daß der Schaden als eine Gesamtheit in einzelne Nachteile (sog. Einzelschäden) "gegliedert" wird, wobei die einzelnen Nachteile als Verletzung eines Rechts oder geschützten Interesses definiert werden. Sie bedeutet auch nicht, daß ein aus einzelnen Nachteilen bestehender Gesamtschaden in unmittelbare und mittelbare Nachteile unterteilt und eine dieser Aufteilung entsprechende Abstufung der Ersatzpflicht vorgenommen wird, wie dies z. B. im Preußischen Allgemeinen Landrecht der Fall war190 • Neuner behauptet vielmehr zwei völlig voneinander verschiedene Schadensbegriffe und Inhalte eines Schadensersatzanspruches. Der unmittelbare Schaden wird als Rechtsverletzung, der mittelbare als Gesamtvermögensdifferenz definiert. Der "objektive Wert" des verletzten Rechts soll als Mindestschaden zu ersetzen sein, während der geschuldete Ersatz des mittelbaren Schadens nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie bestimmt werden soll. Nach Neuner gibt es damit zwei Schadensbegriffe, wobei sich der eine nur auf den unmittelbaren, der andere nur auf den mittelbaren Schaden beziehen soll. Das ist logisch ebensowenig möglich wie die Behauptung, der Schadensbegriff hätte zwei sich widersprechende Inhalte ("gegliederter Schadensbegriff"). Der Schadensbegriff kann als Einheit von Merkmalen entweder den einen oder den anderen Inhalt haben. Entsprechendes gilt für den Begriff Schadensersatz. Widersprüchlich ist es zudem, wenn Neuner den mittelbaren Schaden und seinen Ersatz nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie Mommsens bestimmt, die er zutreffend als verfehlt abgelehnt hat1" . Eine mit dem "gegliederten Schadensbegriff" bezeichnete Gliederung des Schadens in unmittelbaren und mittelbaren Schaden und eine entsprechende Behandlung der Ersatzpflicht ist mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht zu vereinbaren. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch bezieht sich die Ersatzpflicht auf alle infolge des zum Ersatz verpflichtenden Umstandes eingetretenen Schäden bzw. Nachteile und ist nicht auf unmittelbare oder mittelbare Nachteile beschränkt 197 • Dies geht eindeutig aus den Materialien hervor, in denen die unterschiedliche Behandlung von unmittelbarem und mittelbarem Schaden ausdrücklich verworfen wurde 198 • Gegenteiliges kann auch nicht dem "Grundsatz" der Sachherstellung (Naturalrestitution) entnommen werden, der von den Vertretern der objektiven Schadenslehre auch zur Begründung des 195 Vgl. dazu eingehend Medicus, Unmittelbarer und mittelbarer Schaden, S.7m.w.N. 1U8 Vgl. auch Keuk, S. 44; Becker, S. 113; Rinne, S. 44. 187 Staudinger / Werner, Vorbem. vor §§ 249 - 255, Rn. 12 f.; Lange, Schadensersatz, § 2 III (41 f.). Zum Schadensersatz wegen Nichterfüllung vgl. Wolf, SchR II, § 11 C III d 3 ff (39 ff.); Brox, SehR II, Rn. 90 f. m. w. N. 198 Motive II, S. 18.

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2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

Rechtsverfolgungsgedankens herangezogen wird 199 • Die Sachherstellung bezieht sich auf alle eingetretenen einzelnen Schäden und somit auch auf mittelbare2G°. Der wahre Grund für die von der objektiven Schadenslehre vertretene "Gliederung des Schadensbegriffs" liegt in dem von dieser Lehre behaupteten "Rechtsverfolgungszweck" , der sowohl den Inhalt des Zweckbegriffs Schaden als auch den des Begriffs Schadensersatz prägen soll. Darüber hinaus soll der "Rechtsverfolgungszweck" die Anwendung des Begriffs Schaden und Schadensersatz auf die unmittelbaren Schäden beschränken, da der "Rechtsverfolgungszweck" im Bereich der mittelbaren Schäden seine tragende Kraft verliere2G 1 • Für mittelbare Schäden soll deshalb die Gesamtvermögensdifferenztheorie zur Erkenntnis des Vorliegens eines Schadens und des Inhalts der Schadensersatzpfticht angewendet werden. Die "Gliederung des Schadensbegriffs" und des zu leistenden Schadensersatzes erweist sich damit als das teleologische Produkt einer Gliederung der "Zwecke" oder "Ideen" des Schadensersatzrechts in "Rechtsverfolgungszweck" und " Ausgleichszweck" . Die Auffassung von der "Gliederung des Schadensbegriffs" ist damit durchaus der Auffassung v. Jherings vergleichbar, der in seinem Bemühen, dem "idealen Interesse der Rechtsverletzung gerecht zu werden", einerseits eine "moralische Genugtuung für die frivole Rechtsverletzung", andererseits Ersatz des Geldinteresses forderte2Oll. Warum allerdings nach Neuner der "Rechtsverfolgungsgedanke" im Bereich des mittelbaren Schadens seine Kraft verlieren soll, warum sein "Schutz" nur die unmittelbar betroffenen Rechtsgüter betreffen soll, wird von der Lehre vom objektiven Schaden ebensowenig begründet wie die Existenz dieser Ideen selbst. Man muß deshalb den Schluß ziehen, daß neben dem "Schutzzweck" auch die "Schutznähe"208 behauptet wird, um damit die als "billig" empfundenen Ergebnisse im Rahmen der teleologischen Methodenlehre begründen zu können204• Nicht geklärt ist in der Lehre vom objektiven Schaden auch die Frage, worin der unmittelbare Schaden im Unterschied zum mittelbaren Schaden bestehen soll. Während Neuner den unmittelbaren Schaden als "Verletzung des Rechts oder geschützten Interesses selbst", den mittelbaren als alle weiteren ungünstigen Folgen auffaßt, trifft Larenz, dessen Ausführungen für den gegliederten Schaden von großer Be~ Larenz, VersR 1963, 6; Hans Stoll, Begriff, S. 9. Mertens, S. 54. 201 Vgl. Mertens, S. 59. 202 v. Jhering, Kampf, S. 86, 89; vgl. auch Hegel, Rechtsphilosophie, §§ 98, 99; Jürgen Schmidt, Schadensersatz, S. 49, 72. 203 Vgl. Mertens, S. 65. 204 Vgl. auch Lange, Schadensersatz, § 2 II (44). 19D

200

III. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 105

deutung sind, eine andere Unterscheidung. Nach Larenz soll dann ein unmittelbarer Schaden vorliegen, wenn ein bestimmtes Gut verletzt sei. Unmittelbarer Schaden sei dann die tatsächliche Beeinträchtigung dieses Gutes. Der darüber hinausgehende Schaden, der nur das Ver~ mögen als Ganzes betreffe, sei ein mittelbarer Schaden206 • Bei dieser Abgrenzung ist nach Larenz zu beachten, daß es sich um einen unmittelbaren Schaden, d. h. um einen Schaden, der "dieses Rechtsgut selbst" betreffe, auch dann handele, "wenn sich der Schaden in der beschädigten Sache" weiterfresse. "Daß der Ersatzanspruch wegen des unmittelbaren Schadens" "bereits im Augenblick der schädigenden Handlung erworben" werde "und in seinem Umfang übersehbar" sei, soll nicht entscheidend sein-. Diese Bestimmung des mittelbaren und unmittelbaren Schadens durch Larenz weicht von der Definition des unmittelbaren Schadens durch Neuner in einigen Punkten ab. Hervorzuheben ist dabei, daß Larenz den unmittelbaren Schaden nicht auf das im Haftungstatbestand unmittelbar geschützte Rechtsgut beschränkt, wie dies nach Neuner der Fall sein sollW7. Nach Larenz sollen zum unmittelbaren Schaden vielmehr auch alle weiteren, durch das ersatzverpflichtende Ereignis eingetretenen Beeinträchtigungen an Rechtsgütern, die nicht das Vermögen im ganzen betreffen, zählen208 • Auch soll sich ein Schaden in der beschädigten Sache "weiterfressen" können. Warum der unmittelbare Schaden alle beeinträchtigten Rechtsgüter umfassen soll und nicht nur das unmittelbar geschützte, begründet Larenz nicht. Offen bleibt ebenfalls, worin das "Weiterfressen" und der Unterschied zwischen dem bestimmten Rechtsgut und einem allgemeinen Vermögensschaden bestehen soll. Aus dem Dargelegten wird deutlich, daß es sich bei der von, Larenz vertretenen Abgrenzung von unmittelbarem und mittelbarem Schaden der Sache nach um eine Ableitung aus dem Normzweck209 handelt. Die Bestimmung des unmittelbaren Schadens erfolgt durch eine Wertung nach dem gewünschten Ergebnis. Nur auf diese Weise ist es auch möglich, den Aufwand wegen einer Erhöhung der Bedürfnisse des Verletzten ohne nähere Begründung einmal zum mittelbaren Schaden210 , ein anderes Mal zum unmittelbaren Schaden zu rechnen211 • Die von Larenz vertretene "Gliederung" stimmt mit der Auffassung Neuners darin überein, daß Neuner bei der Bestimmung des unmittel205

101 107 108

IOD !lO !l1

LaTenz, VersR 1963, 5; SchR I, § 27 II b 3 (400). LaTenz, VersR 1963,6. Vgl. auch Keuk, S. 91. LaTenz, VersR 1963, 5. Vgl. auch Lange, Schadensersatz, § 2 III (44). LaTenz, NJW 1950, 492. LaTenz, VersR 1963, 7; kritisch auch Keuk, S. 91.

106

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

baren Schadens ebenfalls eine Ableitung aus dem Normzweck vornimmt. Neuner hat sowohl den Inhalt des Schadensbegriffs als auch den Inhalt des unmittelbaren Schadensbegriffs, die für ihn identisch sind212 , nach dem "Rechtsverfolgungszweck" wertend bestimmt213 . Für Neuner soll der "Rechtsverfolgungszweck" nur dieses Rechtsgut selbst schützen, da der "Rechtsverfolgungszweck" für die weiteren Verletzungen seine Schutzwirkung verliere. Die Unmittelbarkeit des Schadens wird also nach der Unmittelbarkeit des "Schutzes" bestimmt214. Es handelt sich um eine beliebige Bestimmung des unmittelbaren Schadens nach dem "Schutzbereich" oder "Zweckbereich"216. Neuner kann dabei die Beschränkung des "Schutzes" auf das unmittelbar geschützte Rechtsgut genau so wenig begründen wie Larenz die von ihm behauptete Ausweitung des "Schutzes" auf mehrere beeinträchtigte Rechtsgüter. Daß die Abgrenzung von unmittelbarem und mittelbarem Schaden in der Praxis nur zu "gefährlichen Untersuchungen" führen kann, stellten schon die Gesetzesverfasser zum Bürgerlichen Gesetzbuch fest21'. Das trifft auch für die mit der "Gliederung des Schadensbegriffs" im Sinne der objektiven Schadenslehre nicht identischenl!17, aber sachlich und methodisch vergleichbaren Unterteilung in Mangel- und Mangelfolgeschaden im Kauf- und Werkvertragsrecht ZU218. Im Kaufrecht soll der Mangelschaden, der auch unmittelbarer oder Nichterfüllungsschaden genannt wird, den Schaden umfassen, "der unmittelbar durch die mangelhafte Lieferung verursacht" sei. Dazu sollen "etwa die fehlende oder eingeschränkte Gebrauchstauglichkeit der Kaufsache, die zur Beseitigung der Mängel erforderlichen Aufwendungen (Reparaturkosten), der bleibende Minderwert, Nutzungsausfall und Gewinnentgang" gehören. Zum Mangelfolgeschaden soll grundsätzlich der Schaden gerechnet werden, "der dem Käufer an seinen übrigen Rechtsgütern außerhalb der Kaufsache - etwa an Gesundheit, Leben, Eigentum, aber auch an seinem sonstigen Vermögen - entstanden" seil/19 . Eine eindeutige definitorische Abgrenzung von unmittelbarem und mittelbarem Schaden ist 212 Vgl. Neuner, AcP 133, 314. 213 a. A. Rinne (S. 10 f.), nach dem sich die Unterscheidung bei Neuner allein auf den Kausalverlauf beziehen soll. 214 Vgl. auch Bydlinski, S. 37 f. 215 Bydlinski, S. 45 f.: "Es wird danach gefragt, welche Schadensfolgen die verletzte Norm verhindern wollte". 211 Motive II, S. 18; vgl. auch Rudolt Schmidt, AcP 152, 122. 217 Larenz, SchR I, § 27 II 3 (400). 218 Vgl. dazu im einzelnen Peters, NJW 1978, 664 ff. 21U BGH 77, 218: "Was im einzelnen zum Mangelfolgeschaden und zum Mangelschaden zu rechnen ist, mag in den Grenzbereichen oft zweifelhaft sein"; Köhler, JuS 1982, 14.

IH. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 107

auch hier nicht erkennbar2 20 • Die dadurch bedingte Verwirrung bei der Abgrenzung von Mangel- und Mangelfolgeschaden zeigt sich z. B. an der Einordnung des Gewinnentgangs zum Mangelschaden. Ebenso unklar ist, warum für das Werkvertragsrecht eine andere Abgrenzung vorgenommen werden soll als für das Kaufrecht221 • Der Sache nach wird bei der Bestimmung des unmittelbaren Schadens auch hier auf einen beliebig austauschbaren "Normzweck" bzw. "Schutzzweck" abgestellt, aus dem alles teleologisch zu folgen scheint. Als Ergebnis läßt sich festhalten, daß die von der objektiven Scha~ denslehre vorgenommene "Gliederung des Schadensbegriffs" in zwei Schadensbegriffe logisch nicht möglich ist. Die Gliederung des Schadens ist auch mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht zu vereinbaren. Zudem ist es bisher nicht gelungen und kann nicht gelingen, ein überzeugendes Unterscheidungsmerkmal zwischen unmittelbarem und mittelbarem Schaden zu bestimmen. Die von der objektiven Schadenslehre vorgenommenen Unterscheidungen beruhen der Sache nach auf einer Ableitung aus einem beliebig behauptbaren "Normzweck".

f)

"Objektivierung" des Schadensersatzes

aal Absage an § 249 S. 1 BGB Nach der Lehre vom objektiven Schaden ist der mit der Verletzung eines Rechts oder Rechtsguts identifizierte Schaden bei der "Verletzung einer obligatorischen Verpflichtung nach dem Wert der unterbliebenen Leistung", bei "Verletzung eines absoluten Rechts oder geschützten Guts oder Interesse nach dem Wert des entzogenen Gutes" zu bemessen222 • Mit Wert ist dabei der objektive Wert gemeint. Dieser objektive Wert, der die Stelle des verletzten Rechtsguts einnehme, weil er für das Schadensersatzrecht "das verletzte Rechtsgut als solches" darstelle223 , bilde als Minimum des Schadensersatzes eine feste Grundlage für den Ersatzanspruch224 • Aus diesen Ausführungen geht hervor, daß der Inhalt und Umfang des Schadensersatzes nicht nach § 249 S. 1 BGB bestimmt wird, wonach der Zustand herzustellen ist, der bestehen würde, wenn das zum Ersatz verpflichtende Ereignis nicht eingetreten wäre. Dem entspricht !ZO Köhler, JuS 1982, 14 m. w. N.; vgl. dazu auch die Kritik von Wolf, SehR H, § 11 C HI d 4 ff (39 ff.); Brox, SehR H, Rn. 90 f. 221 Vgl. dazu Köhler, JuS 1982, 14 Fn. 11 m. w. N.; Peters, NJW 1978, 665 ff.; vgl. auch die Kritik von Wolf, SehR II, § 14 C VIII c 3 (168 f.), der vor allem auf die Unsicherheit bei der Abgrenzung zwischen den Schadens arten in der Rechtsprechung des BGH hinweist. 222 Neuner, AcP 133, 313. 223 Wilburg, Elemente, S. 250; JhJb 82, 130. 2!' Bydlinski, S. 30; Wilburg, JhJb 82, 126 ff.

108

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

es, wenn die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unter Berufung auf die objektive Schadenslehre ausführt, daß der Geschädigte, wenn "sich das Maß der Beeinträchtigung" "eines einzelnen Vermögensgutes" "nach objektiven, im Verkehr anerkannten Maßstäben geldlich bewerten" lasse, "diesen objektiven Wert als seinen realen und unmittelbaren Schaden in jedem Fall und ohne die aus § 249 BGB hergeleitete Differenzrechnung als Mindestschaden verlangen" könne22 5• Es handelt sich dabei um eine Absage an den nach § 249 S. 1 BGB zu bestimmenden Inhalt der Schadensersatzpflicht. Diese Absage bedeutet nicht nur eine Abkehr von der in § 249 BGB nicht enthaltenen Gesamtvermögensdifferenztheorie Mommsens2l!6. Die Vertreter einer objektiven Schadenslehre setzen sich über den in § 249 S. 1 BGB geregelten Inhalt der Schadensersatzpflicht hinweg. Zugleich wird damit auf die zur Bestimmung des als Schadensersatz geschuldeten Ausgleichs nach § 249 S. 1 BGB unerläßliche Methode des Vergleichs verzichtet227 • Von den Vertretern der objektiven Schadenslehre wird der Inhalt der Schadensersatzpfticht ausschließlich nach dem objektiven Wert der Rechts- oder Rechtsgutverletzung erkannt. Auf den Zustand, der bei Nichteintritt des Schadens bestehen würde, soll es nicht ankommen. Damit wird, soweit der objektive Wert dem Verkehrswert gleichgesetzt wird, die dem Bürgerlichen Gesetzbuch zugrundeliegende Unterscheidung von Schadensersatz- und Wertersatzpflicht aufgegeben228 • Die Ermittlung des als Schadensersatz geschuldeten Ausgleichs unter Zugrundelegung des objektiven Werts widerspricht damit nicht nur § 249 S. 1 BGB, sondern auch der Systematik des Bürgerlichen Gesetzbuches. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat zwischen Schadensersatzpflicht und Wertersatzpflicht, d. h. einer Pflicht mit dem Inhalt, den Verlust eines Gegenstandes oder eine in einem Gegenstand eingetretene Minderung durch Ersatz des Verkehrswertes des Gegenstandes oder der Minderung des Gegenstandes auszugleichen229, unterschieden. An diesen Zusammenhängen ändern auch die in §§ 249 ff. BGB geregelten Geldersatzansprüche nichts, die unzutreffend ebenfalls als Wertersatz bezeichnet werden230 • Soweit Schadensersatz in Geld zu leisten ist, handelt es sich nicht um eine Wertersatzpfticht, da der Geldersatz durch den Schaden BGH 54, 49 f. m. w. N. Vgl. dazu oben, 2. Kap. 11 5. m Die Methode des Vergleichs wird weder von Neuner, Wilburg oder Steindorff bei der Erkenntnis des Inhalts der Schadensersatzpflicht herangezogen; a. A. Bydlinski, S. 30. Zur Kritik vgl. auch Wolf, SchR I, § 4 G 11 f 3 gg (222 f.). 228 Vgl. dazu auch Staudinger I Werner, Vorbem. vor §§ 249 - 255, Rn. 86. 229 Vgl. dazu Wolf, SehR I, § 4 HIla (275). !30 Vgl. Neuner, AcP 133, 312 Fn. 110: "Der Schadensersatzanspruch" sei "ein Wertanspruch"; vgl. auch Nörr, AcP 158, 7. !!5

221

III. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 109 einer individuellen Person bedingt ist und nicht zum Inhalt hat, lediglich den Wert eines beeinträchtigten Gegenstands zu ersetzen. Die Bemessung des mit der Rechts- oder Rechtsgutverletzung ineinsgesetzten Schadens nach dem objektiven Wert, die "Objektivierung" des Schadensersatzes, folgt nach Auffassung der Lehre vom objektiven Schaden aus der "rechtsverfolgenden Funktion" oder "Sanktionsfunktion" des Schadensersatzansprucheg231. Nach Steindorff ist die "Durchsetzung des verletzten Rechts und nicht das Bedürfnis nach Reparatur des Schadens" entscheidend für die Befugnis zur abstrakten Schadensberechnung232• Der Inhalt der Schadensersatzpfiicht, der darin besteht, den Schaden eines anderen auszugleichen, wird damit zugunsten der ideenhaften Verfolgung oder Sanktion einer idealen Rechtsverletzung233 aufgegeben oder zumindest an die zweite Stelle gerückt1l34• Der "Objektivierung" im Sinne der objektiven Schadenslehre liegt ein "gegliederter Schadensbegriff" zugrunde. Damit unterscheidet sich diese "Objektivierung" grundsätzlich von der Gesamtvermögensdifferenztheorie. Daran ändert auch nichts, daß nach Mommsen stets der Sachwert des beschädigten Gegenstands als Schadensersatz zu leisten ist. Daß der Sachwert die untere Grenze des Inhalts des Schadensersatzanspruchs ausmachen soll, folgt nach Mommsen nicht aus einer Gliederung des Schadens in unmittelbaren und mittelbaren Schaden, sondern daraus, daß der Sachwert bei der Bestimmung des Gesamtvermögensbetrags ein Vermögenswert wie jeder andere ist. Abgesehen davon unterscheidet sich die Lehre vom objektiven Schaden von der Gesamtvermögensdifferenztheorie bei der Ermittlung des Vorliegens eines Schadens. Dies betrifft z. B. die Fälle der Vorteilsausgleichung, der hypothetischen Kausalität, der entgangenen Gebrauchsvorteile oder des merkantilen Minderwerts. Je nach Anwendung des einen oder des anderen Schadensbegriffs folgen unterschiedliche Ergebnisse. Wenn dennoch behauptet wird, die Lehre Neuners und die Lehre Mommsens unterschieden sich nicht in ihren erzielten Ergebnissen1l35, so ist das ungenau. Die behauptete Gleichheit im Ergebnis ist nur dann gegeben, wenn nach der Anwendung der Gesamtvermögensdifferenztheorie ein Schaden vorliegt und an der Lehre Mommsens festgehalten wird, daß tu Bydtinski, S.- 29; Weychardt, Schadensbegriff, S. 131; Löwe, NJW 1964, 702; Gottwatd, S. 147: "Rechtfertigung" erhalte "der objektive Ersatz erst

durch die Verbindung zum Rechtsverfolgungsgedanken". 2S! SteindoT/f, AcP 158, 454. !3S Die Bemessung des Schadens nach dem objektiven Wert ist der Sache nach - wie v. Jhering (Gutachten, S. 54) meint - die "Festsetzung einer Satisfaktionssumme" dafür, daß "das ideale Interesse der frivolen Rechtsverletzung" "ausgeglichen werden" sollte. !84 Zur Gliederung des Schadensersatzes vgl. oben, 2. Kap. III 1 e. t85

Mertens, S. 80.

110

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

stets der Sachwert des beschädigten Gegenstands als Mindestersatz zu leisten sei~. bb) Verneinung des individuellen Schadens und Schadensersatzes Nach Auffassung der Lehre vom objektiven Schaden ist der Schaden, genauer: der Inhalt des Schadensersatzanspruchs, nach dem objektiven Wert des beeinträchtigten Rechts oder Rechtsguts zu berechnen (sog. abstrakte Schadensberechnung)237. Dabei soll der objektive Wert auch dann als Mindestschaden zu ersetzen sein, wenn der tatsächliche Verlust des Geschädigten hinter diesem Betrag zurückgeblieben wäreZB". Auf die Individualität des Vermögensinhabers, seines Vermögeng2311 und auf den tatsächlichen Verlust im Vermögen als Ganzem soll es bei der Erkenntnis des Inhalts der Ersatzpflicht nicht ankommen2MI• Die Zugrundelegung des objektiven Wertes als Mindestschadensersatz bedeutet aber nicht nur eine Abkehr von der vermeintlichen "individuellen Schadensberechnung" im Sinne der Gesamtvermögensdifferenztheorie. Ausgeschlossen wird vielmehr jeder an eine individuelle Person gebundene individuelle Schadensersat~l. Das beeinträchtigte Rechtsgut soll im Hinblick auf eine "abstrakt vorgestellte Durchschnittsperson" bemessen werden242 • Maßgeblich soll also die durchschnittliche, normale und übliche Wertschätzung sein, die ein Rechtsgut unter den Menschen im allgemeinen genieße, während auf die besonderen Verhältnisse des individuell Geschädigten keinerlei Rücksicht genommen werden soll243. Der Verneinung der Individualität des Schadensersatzes entspricht die Verneinung der Individualität des Schadens durch die Lehre vom objektiven Schaden. Gegenstand eines Schadens ist nach dieser Lehre der durch die Norm, d. h. durch die "Rechtsordnung" "geschützte" Gegenstand244 • Nur die Verletzung eines derartig geschützten Rechtsguts soll ein Schaden sein. Auf das individuelle Verhältnis zwischen Person und Gegenstand, auf die sog. "Subjektbeziehung", soll es für das Vorliegen eines Schadens nicht ankommen. Der Gegenstand wird nach der Lehre vom objektiven Schaden durch seinen "Schutz" aus seinem tatVgl. oben, 2. Kap. II 2 b ee Fn. 103. Bydlinski, S. 26; vgl. auch Gottwald, S. 147 ff. Zur Mehrdeutigkeit des Ausdrucks "abstrakte Schadensberechnung" vgl. Brinker, S. 186 f. 238 Neuner, AcP 133, 302; Knobbe-Keuk, VersR 1976, 401, 405; Rabel, S. 451; !3S

237

Schulte, S. 39. 239 Vgl. Mertens, S. 7l. 140 Vgl. Hans Stoll, JuS 1968, 510. !U Reinhardt, Drittschaden, S. 39. 242 Stalljohann, S. 3I. 243 Bydlinski, S. 26. 244 Wilburg, JhJb 82, 126, 130 f.

II!. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 111

sächlichen und personalen Zusammenhang herausgenommen245 . In die gleiche Richtung zielt es, wenn der Vermögensschaden als "objektive Wertminderung"246 bezeichnet wird. Das bedeutet der Sache nach nichts anderes, als daß das Gut von der Allgemeinheit als Schaden angesehen werden müsse247 • Die Leugnung der Individualität des Schadens und Schadensersatzes verdeutlichen folgende Beispiele aus der Rechtsprechung. Mit dem Ersatz des objektiven Wertes eines beschädigten Kraftfahrzeugs wird u. a. ein merkantiler Minderwert als Entschädigung gewährt, obwohl der Betroffene weder Händler ist noch vor der Beschädigung Verkaufsabsichten gehabt hat248 • Ebenso sollen entgangene Nutzungsmöglichkeiten nach dem objektiven Wert abstrakt berechnet werden, auch wenn der Geschädigte die beschädigte Sache nicht nutzen wollte oder nicht hätte nutzen können249 . In Widerspruch zur zuletzt genannten Auffassung lehnt die Rechtsprechung allerdings in neuerer Zeit unter Berufung auf die "Fühlbarkeit" oder "Subjektsbezogenheit" des Schadens eine Entschädigung für die Vereitlung einer bloß abstrakten Nutzungsmöglichkeit ab. Voraussetzung sei vielmehr, daß der Verletzte seinen Wagen auch während der Reparatur hätte nutzen wollen und können250. Eine Begründung für diese auch mit der Gesamtvermögensdifferenztheorie nicht in Einklang zu bringende Auffassung wird nicht gegeben. Eine "Objektivierung" des Schadensersatzes, die "von individuellen Sonderheiten" absehe und sich an die im Verkehr geltenden Wertmaßstäbe halte, ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auch in den Fällen der Abrechnung auf Totalschadensbasis von Kraftfahrzeugen unerläßlich. Da es darauf ankomme, einen Zustand herzustellen, der demjenigen wirtschaftlich entspreche, der ohne das schädigende Ereignis bestanden hätte, sei der Betrag bei der Bemessung des Sachschadens zugrunde zu legen, welchen der Ersatzberechtigte aufwenden müsse, um einen ähnlichen, bereits gebrauchten Wagen zu erwerben 251 • Diejenige Geldsumme, die der Geschädigte "beim Kauf eines gleichartigen und gleichwertigen Fahrzeugs - an einen seriösen Händler - zu zahlen" habe, nennt die Rechtsprechung Wiederbeschaffungswert252 • MaßRinne, S. 59 f. Neumann, JhJb 86, 284; s. a. Bydlinski, S. 26. 247 Vgl. oben, 2. Kap. II! 1 d bb. 248 Vgl. oben, 1. Kap. I! 2 a. 248 Vgl. oben, 1. Kap. I! 2 b. 250 BGH 45, 219; BGH JZ 1971, 379; vgl. dazu auch Grunsky, Vermögensschaden, S. 42 ff. 251 BGH NJW 1966, 1455 m. w. N. Dieser "Objektivierung" liegt nicht not245

248

wendig ein "gegliederter Schadensbegriff" zugrunde. 252 OLG Stuttgart, VersR 1976, 766; OLG Stuttgart, NJW 1967, 253; Kötz, Festschrift für Hauß, S. 193 m. w. N.

112

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

gebend bei der Bemessung des Schadens nach dem Wiederbeschaffungswert, der unter Zugrundelegung des Zeitwerts und einem 15 - 20 Dfoigen Zuschlag ermittelt werden soll253, sei nicht, "wie gerade" der Geschädigte "den Wert seines alten und den Wert eines Ersatzfahrzeugs" ansetze, "sondern ob eine Schätzung unter objektiven Wertmaßstäben zur Feststellung einer wirtschaftlichen Gleichwertigkeit" führe2ö4 • Die Bestimmung des Inhalts der Schadensersatzpflicht nach dem objektiven Wert führt wie jede "Objektivierung", "Typisierung" oder "Pauschalierung"256 zur Eliminierung aller individuellen Umstände. Damit wird das geltende zivilrechtliche Schadensersatzrecht gesprengt268 • Nach § 249 S. 1 BGB ist der Zustand herzustellen, der ohne das ZUllli Ersatz verpflichtende Ereignis bestehen würde. Mit dem Ausdruck Zustand ist ein individueller Zustand gemeint. Das entspricht nicht nur dem Wesen eines individuellen Schadeng267, sondern ergibt sich auch eindeutig aus den Motiven zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Dort heißt es, daß nicht bloß der gemeine Verkehrswert, sondern derjenige Wert maßgebend sei, "welchen der zu ersetzende Gegenstand für den Gläubiger nach den besonderen Verhältnissen hatte" (außerordentlicher Wert)258. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch soll der Inhalt der Schadensersatzpflicht nach dem individuellen Wert und nicht nach dem objektiven Wert ermittelt werden. Dabei ist allerdings zu beachten, daß mit dem individuellen Wert einer Sache nicht der sog. Affektionswert gemeint ist, der nur in der subjektiven Meinung des Geschädigten existiert, sondern der individuelle Gebrauchs- oder Verbrauchswert einer Sache, der nach objektiven Merkmalen zu erkennen ist. Nach der Rechtsprechung soll in den Fällen der Abrechnung auf Totalschadensbasis der Ersatz des Wiederbeschaffungswerts "den Anforderungen des § 249 BGB gerecht" werden211ll • Dem kann nicht zugestimmt werden. Bei dem Wiederbeschaffungswert einer Sache handelt es sich nicht um einen individuellen Wert, den sog. Gebrauchswert, sondern um einen objektiven Wert260 • Der Wiederbeschaffungs153 Kötz, Festschrift für Hauß, S. 195 m. w. N. Zu den schwankenden Prozentsätzen vgl. Giesen, NJW 1979, 2068 m. w. N. 26t BGH NJW 1966, 1455. 255 Vgl. WeychaTdt, Schadensbegriff, S. 131: "Die Objektivierung des Schadensersatzes läßt" "weitgehend eine Pauschalierung der zu leistenden Beträge zu". 258 Löwe, NJW 1964, 70l. 257 Vgl. Wolf, Festschrift für Schiedermair, S. 574; vgl. unten, 3. Kap. IV. 218

Motive II, S. 2l.

BGH NJW 1966, 1455. 280 OLG Stuttgart, VersR 1976, 766: "objektiv zu ermittelnde beschaffungswert" . 250

Wieder-

III. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 113

wert setzt sich aus dem Zeitwert und einem Wiederbeschaffungszuschlag von 15 - 20 0J0 des Zeitwerts zusammen2'61. Der Zeitwert, der dem Widerbeschaffungswert als "objektiver Anhaltspunkt" zugrunde zu legen sein soll, ist der Händlerpreis2'62. Weder beim Zeitwert noch bei dem pauschalen Zuschlag zum Wiederbeschaffungswert handelt es sich mithin um individuelle Faktoren. Ein geschäftlicher, beruflicher oder ein persönlicher Bedarf des Geschädigten wird schon dem Ansatz nach nicht berücksichtigt. Die Bewertung des geschuldeten Schadensersatzes nach dem Wiederbeschaffungswert ist daher nicht dazu geeignet, den individuell Geschädigten in die individuelle Lage zu versetzen~, wie er ohne das schädigende Ereignis gestanden hätte. Die von der Rechtsprechung genannte "wirtschaftliche Gleichwertigkeit" bedeutet nicht individuelle Gleichwertigkeit, sondern drückt den objektiven Wert des beschädigten Wagens aus. Allein dieser objektive Wert soll Gegenstand des Ersatzes sein. Mit § 249 BGB ist diese "Objektivierung" nicht zu vereinbaren. Mit Ersatz des objektiven Werts des zu ersetzenden Gegenstandes wird nicht der eingetretene individuelle Schaden ersetzt. Dem Geschädigten wird entweder ein Teil des ihm zustehenden Schadensersatzes vorenthalten oder mehr zuerkannt, als ihm zusteht. Eine Benachteiligung bedeutet diese "Objektivierung" in den Fällen der Abrechnung auf Totalschadensbasis, wenn der Gebrauchswert eines Kraftfahrzeugs höher ist als der objektive Wert2~. Zu einer Begünstigung des Ersatzberechtigten führt die " Objektivierung", wenn der im Handel anerkannte merkantile Minderwert selbst dann ersetzt wird, wenn der Geschädigte den Wagen weiterbenutzt und ausfährt, ohne daß sich Unfallfolgen zeigen26ö• Das von der Rechtsprechung und Lehre immer wieder hervorgehobene "Bereicherungsverbot" als Grundgedanke unseres Schadensersatzrechts200 wird durch eine "generalisierende Berechnungsmethode" nicht nur eingeschränkt2'61, sondern aufgehoben. Ebensowenig handelt es sich bei der "Objektivierung" des Schadensersatzes um einen "gerechten Schadensausgleich"268. Im Schrifttum wird der Versuch unternommen, die "Wendung vom subjektiven zum objektiven Schadensbegriff" mit "der allgemeinen 181 Giesen, NJW 1979, 2068 m. w. N.

In Kötz, Festschrift für Hauß, S. 195 m. w. N.; OLG Stuttgart, NJW 1967, 253. 113 Dazu und zur weiteren Kritik vgl. Wolf, SchR I, § 4 G II f 3 bbb (229 ff.). zu Vgl. Wolf, SehR I, § 4 G II f 3 bbb (230). 188 BGH NJW 1966, 1455. !8& Lange, Schadensersatz, S. 6; BGH 30, 31; vgl. auch Wolf, SehR I, § 4 G II f 2 11 (227). 287 So Gottwald, S. 134. Ha Hamen, Normativer Schadensbegriff, S. 28 f., räumt das selbst ein. 8 Wilk

114

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

Entwicklung des Schuld rechts von der subjektiv-individuellen Konzeption des BGB-Gesetzgebers zu einem objektiv-transpersonalen Ansatz" zu erklären200 • Nach dieser Auffassung soll die "auf der Grundlage einer liberal und individualistisch konzipierten Rechtsordnung entwachsene Interessetheorie" den "modernen Tendenzen" "nicht mehr voll gerecht" werden270 • Diese Begründung erweist sich schon ihrem Ansatz nach als verfehlt. Es wird dabei nicht beachtet, daß die vermeintliche Individualität des Interessebegriffs bzw. der Interessetheorie nicht etwa auf der damaligen Gesellschafts- oder Wirtschaftsordnung, sondern ausschließlich auf der ganzheitlichen Auffassung vom Vermögen beruht. Grundlegend für die vermeintliche Individualität des Interessebegriffs war nicht eine liberale oder individualistische Rechtsordnung, sondern eine verfehlte idealistische Auffassung vom "Ganzen". Die Behauptung, die objektive Schadenslehre beruhe auf einem "objektiv-transpersonalen Ansatz", macht deutlich, daß die objektive Schadensauffassung ebenso wie die Gesamtvermögensdifferenztheorie auf einer mit der Erfahrung nicht zu vereinbarenden ganzheitlichen idealistischen Philosophie beruht, nach der das "Ganze das Wahre" sein SOll271. Während sich die ganzheitliche Struktur der Gesamtvermögensdifferenztheorie aus der ihr zugrunde liegenden Auffassung vom Vermögen als Ganzem ergibt, folgt sie nach der objektiven Schadenslehre aus dem "objektiv-transpersonalen Ansatz". Der "transpersonale Ansatz" der objektiven Schadenslehre soll sich darin ausdrücken, daß bei der Schadensregulierung "Dritt- und Allgemeininteressen" zu berücksichtigen seien272 • Die "Prinzipien der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, in der sich der Einzelne" betätige, sollen mehr und mehr berücksichtigt werden1!73. Unter Gesellschaft wird dabei ein überindividuelles "Ganzes" ("Gesellschaftsganzes") verstanden. Die Verneinung eines individuellen auf eine individuelle Person bezogenen Schadens und zu leistenden Schadensersatzes wird mit einer vorrangigen Beachtung von "Prinzipien" einer überindividuellen "Gesellschaft" begründet. Auf der gleichen Linie liegt es, wenn Selb die Ersetzung des "Individualschadens" durch einen "Sozialschaden" oder die Ablösung des Schadensersatzes durch einen "Sozialausgleich mit der folgerichtigen Tendenz der Pauschalierung" befürwortet, da ansonsten der Verletzte Weychardt, DB 1966, 611 m. w. N.; Weychardt, Schadensbegriff, S. 68. Weychardt, Schadensbegriff, S. 68. m Heget, Phänomenologie, Vorrede, S. 24; vgl. dazu Wotf, Marxistische Wissenschaft, S. 95. Zur Ganzheitsphilosophie Hegels vgl. auch Aebi, Teil 1, ZSP

270

S.18. 272 273

Weychardt, Schadensbegriff, S. 68. Vgl. Simitis, S. 557 mit Hinweis auf Heget

!II. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 115

"nicht als Glied der Gesellschaft erfaßt" werde 274. In letzter Konsequenz können die genannten Auffassungen nur zur Annahme eines Schadens der Gesellschaft und eines "Ausgleichs" an die Gesellschaft führen275 • Das verstößt sowohl gegen den erfahrbaren Schaden eines individuellen Menschen als auch gegen das Gesetz (§ 249 BGB). Zugleich führen diese Auffassungen zur gedanklichen Auflösung der einzelnen wissenschaftlich erfahrbaren individuellen Person, die lediglich als unselbständiges "Glied" einer überindividuellen Gesellschaft aufgefaßt wirdl!76. Das ist mit Art. 1 und 2 GG, in denen die Eigenständigkeit und Individualität der Persönlichkeit anerkannt istl!77, nicht zu vereinbaren278 • Im Schrifttum begründen einige Autoren die "Objektivierung" oder "Pauschalierung" mit der Praktikabilität des objektiven Schadensbegriffs für die "moderne Gesellschaft"27II. Diese Begründung kann ebenfalls nicht überzeugen. Soweit das Argument der Praktikabilität gegen die oftmals mit einer individuellen Schadensberechnung in Eins gesetzten Gesamtvermögensdifferenztheorie angeführt wird, ist dem zwar darin zuzustimmen, daß es sich bei der Bestimmung des Schadensersatzes nach dieser Theorie nicht nur um ein methodisch und sachlich verfehltes, sondern auch um ein unpraktikables Verfahren handelt. Dagegen ist die Ermittlung des zu ersetzenden Gegenstandes nach dem objektiven Wert um nichts praktikabler als die Bestimmung nach dem individuellen Wert. Sowohl die Bestimmung des individuellen Werts wie auch des objektiven Werts bedarf einer Schätzung nach § 287 ZPO, soweit die Höhe des Ersatzbetrages nicht anderweitig feststehtl!8O. Bedenklich ist auch, dem Geschädigten einen Teil des ihm zustehenden Schadensersatzes vorzuenthalten, nur weil man den vermeintlichen Mehraufwand an Zeit und Mühe bei der Bestimmung des Schadensersatzes vermeiden will. 274 Setb, Schadensbegriff, S. 49 f.; Hansen, Normativer Schadensbegriff, S. 27 f. Zur Kritik der Auffassung Selbs vgl. auch Mertens, S. 83 ff. 216 Vgl. dazu Jürgen Schmidt, Schadensersatz, S. 46 ff. mit Hinweisen auf Heget und v. Jhering: "Achtet man auf die Integrität der Rechtsordnung, so ist durch die Tat diese Integrität verletzt worden, indem die konkrete rechtsgutschützende Norm gebrochen worden ist. Der Rechtsordnung (oder wenn man so will: der Gesellschaft, die die Rechtsordnung trägt) muß ein Ausgleich für die Integritätseinbuße gewährt werden, weil das normativ geschützte Rechtsgut als normativ geschütztes Gut verletzt worden ist. Sanktionsinhalt ist also ein Ausgleich an die Rechtsordnung für diese Verletzung." Vgl. auch BydHnski, S. 36; Rinne, S. 34. 276 Vgl. dazu und zur weiteren Kritik des "Gesellschaftsganzen" Wolf, Aussperrung, S. 188 m. w. N.; Toseh, S. 216. 277 Vgl. Schmidt-Bteibtreu / Klein, Art. 1, Rn. 1 f. 278 Vgl. auch Mertens, S. 84 f. 279 Weychardt, Schadensbegriff, S. 131; Hansen, Normativer Schadensbe-

griff, S. 26 f. 280 Wolf, SehR I, § 4 G 11 f 2 ii (226); BGH 45,220.

8"

116

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen ce) Der "normative Charakter" des objektiven Werts

"Zentralbegriff" der Lehre vom objektiven Schaden ist der objektive Wert, worunter die durchschnittliche normale übliche Wertschätzung, die ein Rechtsgut im allgemeinen genieße, verstanden wird281 • Der objektive Wert sei ein zivilrechtlicher28.2 oder ein vom Recht geprägter Wert, der vom national-ökonomischen oder subjektiven Wert abzugrenzen sei283• Der Begriff des objektiven Wertes habe einen "normativen Charakter", was besage, daß der Wert "danach berechnet werden soll, welcher Aufwand für das betreffende Gut den Umständen nach angemessen" sei "oder was vernünftigerweise dafür angelegt werden" könne. Nur wenn ein Marktpreis bestehe, falle der objektive Wert mit diesem zusammen284• Der objektive Wert soll ein zivilrechtlicher oder ein vom Recht geprägter Wert sein. Das bedeutet, daß der objektive Wert im Sinne der objektiven Schadenslehre nicht mit dem Marktwert als wirtschaftlichem Wert identisch ist. Der Marktwert ist der Preis, zu dem ein wirtschaftliches Gut auf dem Markt abgesetzt werden kann286 • Zu seiner Ermittlung sind ausschließlich wirtschaftliche Methoden anzuwenden286 • Die oftmals vorgenommene sprachliche Identifizierung von Marktwert, gemeinem Wert, Sachwert, Verkehrswert als wirtschaftlicher Werte mit dem objektiven Wert trifft für den objektiven Wert im Sinne der objektiven Schadenslehre, der ein zivilrechtlicher oder vom Recht geprägter Wert sein soll, nicht zu. Wenn diese Ausdrücke dennoch synonym gebraucht werden, kann nur Verwirrung entstehen. Der Sache nach handelt es sich bei dem objektiven Wert im Sinne der objektiven Schadenslehre um einen Wert mit "normativem Charakter". Diesen objektiven Wert sollte man deshalb - entsprechend dem Ausdruck "abstrakt-normativer Berechnung" statt "abstrakter Schadensberechnung" - als "objektiv-normativen Wert" bezeichnen. Der "objektiv-normative Wert" richtet sich nach der von der objektiven Schadenslehre behaupteten Schutzwürdigkeit der betroffenen Rechtsgüter oder Interessen, denen ein bestimmter "Wertgehalt" oder "Achtungsanspruch"ll87 für die Allgemeinheit innewohnen soll. Der "objektiv-normative Wert" entspricht folglich dem "Achtungsanspruch", 281 !S! 18S

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185 181

187

Bydlinski, S. 26 f. Bydlinski, S. 26. Neuner, AcP 133, 306 f. Neuner, AcP 133, 307. Wolf, SehR I, § 4 D II a (149). Wolf, SchR I, § 4 G II f 3 aa (227). Vgl. dazu Hubmann, AcP 155, 100.

II!. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 117 der dem verletzten Recht oder Rechtsgut innewohnen soll. Ersatz des "objektiv-normativen Werts" bedeutet danach Ersatz eines idealen, von der Rechtsgemeinschaft oder Allgemeinheit anerkannten "Wert~ gehalts" des verletzten Rechts. Legt man diese Deutung des objektiven Werts als "objektiv-normativen Wert" zugrunde, folgt daraus, daß es sich bei diesem Wert mit "normativem Charakter" um einen inhaltlich nicht bestimmten Wert handelt. Daran ändert nichts, wenn nach Neuner der objektive Wert danach berechnet werden soll, "welcher Aufwand für das betreffende Gut den Umständen nach angemessen" sei "oder was vernÜDftigerweise dafür angelegt werden" könne. Geeignete Kriterien und Merkmale, nach denen der objektive Wert bestimmt werden könnte, werden damit nicht angegeben288 • Mit "angemessen" kann in diesem Zusammenhang nichts anderes als "die Anpassung des Rechts an die Lebensinteressen"289, mit "vernünftigerweise" nichts anderes als "gerechter- oder billigerweise"290 gemeint sein. Der "objektive Wert" kann danach - seinem "normativen Charakter" entsprechend - nur von Fall zu Fall normativ ermittelt werden. Dies wird mit der Behauptung eines objektiven Wertes oder objektiver Maßstäbe verschleiert21l1 • Der "objektiv-normative Wert" soll nach der objektiven Schadenslehre das verletzte Rechtsgut als solches darstellen21ll!. Der "objektivnormative Wert" läßt sich hinsichtlich seines "normativen Charakters" mit dem objektiven Wert der Wertphilosophie Schelers und N. Hartmanns, die die Wertungsjurisprudenz, insbesondere die der dreißiger Jahre beeinflußt hat, vergleichenl!93. Nach der Wertphilosophie soll der ideale objektive Wert, der dem Gut innewohnen soll, durch ein "intuitives Schauen" oder "Fühlen" im Sinne der phänomenologischen Methode Husserls ermittelt werden. Ebenso handelt es sich bei der Bestimmung des "objektiv-normativen Werts" nach der objektiven Schadenslehre um eine subjektive, vom jeweils "Schauenden" oder "Fühlenden" abhängige "Wertschau"l!94. Wird dessen ungeachtet die Bestimmung des "objektiv-normativen Wertes" durch die Vertreter der ob188 Lange, Schadensersatz, § 6 I (163) stellt dazu fest, daß "man sich im allgemeinen über die Kriterien, nach denen der gemeine Wert bestimmt" werde, nicht "allzuviel Gedanken" mache. Vgl. auch MeTtens, S. 76. Schon NeuneT, AcP 133, 307, hat darauf hingewiesen, daß die Ermittlung des objektiven Wertes schwierig sei. !BI Heck, Schuldrecht, § 2 (&); vgl. dazu kritisch auch Tosch, S. 183. 110 Vgl. Henkel, Rech.tsphilosophie, S. 419. 111 Vgl. auch Hansen, Normativer Sch.adensbegriff, S. 64 f. 181 WilbuTg, Elemente, S. 250. 18. Wotf, Festschrift für Schiedermair, S. &71. Vgl. aber auch Rinne, S. 54. 114 Vgl. oben, 2. Kap. I 5.

118

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

jektiven Schadenslehre als "Schätzung" bezeichnet296 , so kann es sich nur um eine "Schätzung ins Blaue hinein" handeln, die mit dem nach § 287 ZPO durchzuführenden Schätzungsverfahren nichts zu tun hat296 • Soweit gesagt wird, daß, sollte ein Marktwert bestehen, dieser mit dem objektiven Wert zusammenfalle, so liegt darin keinesfalls eine Widerlegung der hier vorgenommenen Analyse. Die Zugrundelegung des Marktwertes muß in dem Sinn aufgefaßt werden, daß damit eine Wertschätzung der Allgemeinheit zum Ausdruck kommen soll. Der Marktwert wird dementsprechend von der der objektiven Schadenslehre folgenden Rechtsprechung nur dann zugrundegelegt, wenn damit der Schutzwürdigkeit des verletzten geschützten Gutes Genüge getan werden kann und nicht immer schon dann, wenn ein Marktpreis fÜll das verletzte Gut ermittelt werden könnte. Dies wird deutlich in den Fällen, in denen ohne weiteres ein Marktpreis festzustellen gewesen wäre und trotzdem auf die Zugrundelegung des Marktpreises verzichtet wurde und statt dessen der Schaden normativ bemessen wurde. Nach einem "objektiv-normativen Wert" bestimmt z. B. die Rechtsprechung zum Nutzungsausfall bei Entzug der Gebrauchsvorteile eines Kraftfahrzeugs den geschuldeten Schadensersatz. Obwohl durchaus ein Marktwert dieser entgangenen Gebrauchsvorteile festzustellen gewesen wäre, soll nach der Rechtsprechung ein Betrag, der die gebrauchsunabhängigen Gemeinkosten maßvoll übersteigt und der etwa 25 - 35 ulo der Mietkosten eines gleichartigen Ersatzfahrzeugs ausmacht, im Regelfall eine ausreichende Entschädigung bieten297 • Dieser Rechtsprechung, die allgemein als unverständlich bezeichnet wird 298, liegt eine unkontrollierbare normative Bestimmung des objektiven Wertes zugrunde2". Entsprechendes gilt für die sog. Gema-Rechtsprechung. Dort wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß "bei der Frage, welche Lizenzgebühr angemessen" sei, "sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen" seien, "wobei die Höhe der vom Verletzer zu zahlenden Lizenzgebühr nicht mit der Lizenzgebühr übereinzustimmen" brauche, "die im Fall eines Vertragsschlusses vereinbart worden wäre"lIGo. Als "angemessene" Lizenzgebühr billigt die Rechtsprechung dem Geschädigten den doppelten Betrag einer Lizenzgebühr zu, wobei "BilligkeitserBydUnski, S. 27. Vgl. auch Mertens, S. 76. 297 BGH 56, 214; Schulte, S. 22 f. m. w. N. 198 Vgl. Schulte, S. 51, der diesen Betrag nicht als den im Verkehr gefestigten "Maßstab" für den Wert des Entgangenen erkennen kann. 199 So auch Eike Schmidt, Normzweck, S. 153. 300 BGH 59, 292. 195

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III. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 119 wägungen"301 und der "rechtsverfolgende Zweck" des Schadensersatzrechtg302 als maßgebliche Bewertungsfaktoren herangezogen werden. dd) Zusammenfassung Von der objektiven Schadenslehre wird eine "Objektivierung" des Schadensersatzes vertreten. Bei dieser "Objektivierung" handelt es sich um eine "Normativierung". Der objektive Wert ist in Wahrheit nicht der Marktwert, sondern ein "objektiv-normativer Wert". Nach der objektiven Schadenslehre hängt der Inhalt der Schadensersatzpflicht ebenso wie das Vorliegen eines Schadens von einer Wertung nach dem "Rechtsverfolgungszweck" ab. Mit § 249 S. 1 BGB, wonach ein individueller realer Schaden auszugleichen ist, ist die "Objektivierung" oder "Normativierung" des Schadensersatzes nicht zu vereinbaren. 2. Die Lebre vom normativen Schaden

a) Die Leerformel "normativer Schadensbegriff" In Rechtsprechung und Lehre wird die Beurteilung der Frage, ob ein Schaden vorliegt, zunehmend nach einem "normativen Schadensbegriff" bestimmt!. Das Bestreben der Auffassung vom normativen Schaden ist, den Schaden aus seiner "naturalistischen Betrachtungsweise zu befreien und ihn den Zwecken der Haftungsnormen besser dienstbar zu machen, d. h. ihn mehr und mehr normativ zu verstehen":!. Die Lehre vom normativen Schaden beruht ebenso wie die Lehre vom objektiven Schaden auf einer teleologisch-normativen Rechtsauffassung. Der Schaden wird als "Zweckbegriff" aufgefaßt. Die gegen die idealistische Auffassung vom "Zweckbegriff" vorgebrachten Einwände treffen damit auch die Lehre vom "normativen Schadensbegriff"3. Ein Unterschied zwischen der Lehre vom objektiven Schaden und normativen Schaden besteht in bezug auf den Inhalt des Schadensbegriffs. Neuner hat den Begriff Schaden unter Heranziehung eines "rechtsverfolgenden Zwecks" als Rechtsverletzung definiert und damit BGH 59, 293. v. Falkenhausen (S. 125) meint, die "wahre Intention" der Rechtsprechung sei "die Schaffung einer besonderen Art von Prävention für ein ansonsten schwierig zu schützendes Recht". Nach v. JheTing (Gutachten, S. 53) soll eine "Rechtsverletzung" "so reichlich zu bemessen" sein, "daß nicht bloß dem verletzten Rechtsgefühl des Klägers vollends Genüge" geschehe, "sondern das statuierte Exempel auch auf Andere für die Zukunft einen heilsam abschreckenden Einfluß" ausübe. t Vgl. oben, 1. Kap. III und IV. I Selb, Schadensbegriff, S. 11. a Vgl. oben, 2. Kap. III 1 c. 301

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2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

einen teleologisch geprägten Inhalt des Schadensbegriffs behauptet. Die Lehre vom normativen Schaden gibt dagegen einen Inhalt des "normativen Schadensbegriffs" nicht an'. Die Vertreter der normativen Schadenslehre weisen lediglich darauf hin, daß es sich beim "normativen Schadensbegriff" um einen Rechtsbegriff handele, der zusätzliche Wertungen in sich aufnehmen könne. Der "normative Schadensbegriff" orientiere sich am "Regelungszweck". Seine Bedeutung sei von spezifisch rechtlichen Gesichtspunkten her zu bestimmen und zu ermittelnlI. Die einzige Aussage, die über den "normativen Schadensbegriff" und seinen Inhalt getroffen wird, lautet damit, daß der "normative Schadensbegriff" ein Rechtsbegriff sei. Wie jeder Rechtsbegriff oder normative Begriff soll auch der "normative Schadensbegriff" von einer "ursprünglichen Seinsbezogenheit völlig" gelöst und "nach der Sollensrichtung" der "Rechtsnorm" bestimmt werden, "in die der Rechtsbegriff eingestellt" sei'. Mit "normativer Schadensbegriff" ist danach nur ausgesagt, daß es sich um einen normativen Begriff handelt. Normativer Begriff und "normativer Schadensbegriff" als ein normativer Begriff besonderer Art, also Gattungs- und Artbegriff, werden als identisch behauptet. Ebenso wie der normative Begriff, der der Sache nach ideenhaft allgemein und inhaltslos ist, hat auch der "normative Schadensbegriff" keinen InhalF. Der "normative Schadensbegriff" muß nach Auffassung seiner Vertreter wie jeder normative Begriff erst "konkretisiert" werden8 • In diesem Sinn ist auch Selb, der einer der "Hauptinitiatoren" des "normativen Schadensbegriffs" istlI, zu verstehen, wenn er darlegt: "Wenn ich sage, der Schadensbegriff ist ein normativer Begriff, habe ich damit im Grunde noch nichts gesagt"10. Der "normative Schadensbegriff" hat keinen begrifflichen Inhaltl l • Einen Begriff ohne Inhalt, d. h. ohne Merkmale, kann es logisch ebensowenig geben wie einen Begriff, dessen Gegenstand wertender Betrachtung, also von Fall zu Fall änderbar sein SOllI2. Das Fazit kann nur lauten: Der "normative Schadensbegriff" ist kein Begriff. Er ist in , Keuk, S. 42: "Ein konkreter Inhalt des Begriffs ist bislang nicht bekannt geworden"; Lieb, JZ 1971, 359. 5 LaTenz, SchR I, § 27 II a (396 f.); Hagen, Festschrift für RauB, S. 100; Lange, Schadensersatz, § 1 IV 1 (27). • Vgl. Sax, Festschrift für Nottarp, S. 135; MeTtens, S. 113. 7 Vgl. auch MeTtens, S. 89. B Vgl. MeTtens, S. 112 und unten, 2. Kap. III 2 c bb. • Vgl. Schiemann, S. 175; KoHhosseT, AcP 166, 288. 10 Selb, Karlsruher Forum 1964, S. 39; s. a. LaTenz, SehR I, § 27 II (397). 11 s. a. MeTtens, S. 89; Lieb, JZ 1971, 359 f. 11 Wolf, Festschrift für Schiedermair, S. 548 f.; Schulte, S. 34; Ströfer, S. 54; Rother, JZ 1971, 660, meint: "Mit der logischen Standfestigkeit dieser Lehre war es seit jeher nicht zum besten bestellt".

IH. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 121

Wahrheit ein "Leerwort", eine "Leerformel" 13, "leere Begriffshülle"14 oder "Zauberformel"15, in die man "Wertungen beliebig kompilieren" kann l6 • Nach der normativen Schadenslehre wird das begriffliche Denken aufgegeben. Dies wird der Sache nach bestätigt, wenn der "normative Schadensbegriff" nur noch als "Arbeitstitel" für ein differenziertes Denkverfahren bezeichnet wird, "durch welches mit Hilfe rechtlicher Wertungen eine Antwort auf die Frage gesucht" werde, "ob dem tatbestandsmäßig Verletzten ein Anspruch zugebilligt werden" dürfei? Der "normative Schadensbegriff" kann durch Wertungen beliebig ausgefüllt werden l8 • Die Frage, ob ein Schaden vorliegt, kann danach ohne Rücksicht auf den realen Schaden subjektiv frei bestimmt werden l9 • Ein Nachteil, der nur dann vorliegen soll, wenn er "zweckrational als Schaden" geltelro , ist eine Fiktion. Die realen Bezüge und die Gegenstandsbedingtheit des Erkennens werden damit aufgehoben21 . Nach der Lehre vom normativen Schaden wird nicht nur der Schadensbegriff, sondern auch der Ausgleich eines Schadens "normativ" verstanden!!. Dabei handelt es sich um die notwendige Folge der "Normativierung" des Schadensbegriffs. Ohne Kenntnis dessen, was ein Schaden ist, also des Schadensbegriffs, ist auch die Bestimmung des als Schadensersatz geschuldeten Ausgleichs nicht möglich. Der in § 249 S. 1 BGB bestimmte Inhalt der Schadensersatzpflicht wird nach der normativen Schadenslehre ebenso wie der Schadensbegriff als eine wertausfüllungsbedürftige "Formel" behandelt. Der inhaltlich bestimm13 Wolf, Festschrift für Schiedermair, S. 549; Hagen, JuS 1969, 64; Keuk, S. 42; Schulte, S. 35 m. w. N.; Mertens, S. 89; Eike Schmidt, Grundlagen, S. 554: "Schlagwortartige Prädikatisierung"; vgl. aber auch Maier, S. 43 f.,

49f. 14

Mertens, S. 89.

AK-BGB-Rüßmann, vor §§ 249 - 253, Rn. 7. Mertens, S. 89. 17 Hagen, Festschrift für Hauß, S. 100: "Der Begriff des Vermögensschadens" ist "auf der Strecke geblieben". s. a. HonseU, JuS 1973, 74. 18 Keuk, S. 42. I, Bickel, DB 1970, 129; Eike Schmidt, Grundlagen, S. 562 f. Vgl. auch Paulus, AcP 155, 286 m. w. N.: "Eine Jurisprudenz" "würde die Verläßlichkeit 15

11

ihres Verfahrens preisgeben, wenn sie sich die Möglichkeit einer begrifflichen Schlußfolgerung auf dem Schleichweg der Denaturierung ihrer Begriffe verschaffen dürfte". "Die in bezug auf bekannte und genau bestimmbare Fehler der Begriffsbildung und -verwendung entschieden zu billigende Abwendung von Stil und Geist der sogenannten Begriffsjurisprudenz darf nicht soweit führen, daß den Rechtsbegriffen die ihnen zukommende Bedeutung überhaupt abgesprochen" wird. 10 Deutsch, Haftungsrecht, S. 424; vgl. auch Rinne, S. 53. 11 Vgl. auch Kollhosser, AcP 166, 282: ..... mit der Ablehnung dieses realen Anknüpfungspunktes scheinen die Grundlagen des Schadensersatzrechts insgesamt verlassen". !! Selb, Karlsruher Forum 1964, S. 19.

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2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

te, in § 249 S. 1 BOB geregelte Inhalt der Ersatzpflicht wird durch eine "Leerformel" oder "Generalklausel"23 ersetzt. Zugleich wird die im Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmte Bedingtheit des Inhalts der Schadensersatzpflicht durch den realen Schaden24 aufgehoben. In Rechtsprechung und Lehre wird der "normative Schadensbegriff" nicht nur zur Erkenntnis des Vorliegens eines Schadens, sondern auch zur Ermittlung des Vermögensschadens 25 und des Schadensersatzes2e herangezogen. Darüber hinaus soll der "normative Schadensbegriff" von der wertenden Bestimmung der Schadenshöhe bzw. "normativen Schadensberechnung"27, nach der das "Alles-oder-Nichts-Prinzip" durch einen "angemessenen Ausgleich" zu ersetzen sei28 , "nicht mehr klar" getrennt werden können29 • Dies ergebe sich daraus, daß "dieselben Wertungskriterien", die bei der Frage, ob ein Schaden vorliege, auch bei der Bestimmung der Schadenshöhe herangezogen werden müßten30 • Mit der Annahme eines "normativen Schadensbegriffs" , in den Wertungen eingehen sollen31 , wird somit nicht nur die verfehlte Identität von Schaden, Vermögensschaden und geschuldetem Schadensersatz, sondern auch die Identität des Schadens mit seiner Höhe behauptet. Der "normative Schadensbegriff" entspricht darin dem apriorischen Interessebegriff Mommsens, der sich seinem behaupteten Inhalt nach ebenfalls auf mehrere verschiedene Gegenstände bezieht. Wenn Hagen vor allem in Hinblick auf den Interessebegriff meint, kein Begriff könne - "es sei denn er erstarrte zu einer Leerformel - alle schadensrechtlich gebotenen Wertungen in sich aufnehmen "32, so trifft das den "normativen Schadensbegriff" in gleichem Maße wie den Interessebegriff.

b) Die "Normativität" des "dualistischen Schadensbegriffs" Nach der neueren Rechtsprechung soll die Frage, ob ein zu ersetzender Vermögensschaden vorliege, im Ansatz33 aber nicht alleinM nach So Weychardt, Schadensbegriff, S. 20. Motive H, S. 18. 25 Hagen, Festschrift für Hauß, S. 100. 28 HonseH, JuS 1973, 72; Deutsch, Haftungsrecht, S. 420 f. 27 Hansen, Normativer Schadensbegriff, S. 64. 28 Hansen, Normativer Schadensbegriff, S. 6S. Die wertende Bestimmung der Schadenshöhe entspricht der Zugrundelegung des objektiven Wertes als "normativen Wert" bei der Bewertung des Vermögensschadens. Vgl. oben, 2. Kap. IH 1 fee. 2D Hansen, Normativer Schadensbegriff, S. 67. 30 Hansen, Normativer Schadensbegriff, S. 64, 67. 31 Larenz, SehR I, § 27 11 (397); s. a. Hohloch, S. 398. 32 Hagen, Festschrift für Hauß, S. 100; s. a. S. 84. 33 BGH NJW 1980, 776; BGH 71, 240 ("Ausgangspunkt"). 34 BGH 74, 233; vgl. auch Palandt / Heinrichs, Vorbem. v. § 249, Anm. 2 e. 23

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IU. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 123 der Differenzhypothese beurteilt werden. Soweit "aus zwingenden Sachgründen Ergebniskorrekturen" geboten seien, sei ein "Vermögensschaden auch ohne Vermögensdifferenz" anzunehmen35 • Die Diffetenzhypothese erfahre insoweit eine "wertende Korrektur"S'6. Der vom Bundesgerichtshof der Sache nach vertretene "dualistische Schadensbegriff" wird nicht als ein Nebeneinander von Differenzhypothese und "normativen Schadensbegriff" , sondern als eine "Synthese"lI'7 oder "gegenseitige Durchdringung"38 der beiden Begriffe verstanden. Es wird eine "gegenseitige Durchdringung" oder "Synthese" zweier Begriffe, woraus ein Begriff folgen soll, behauptet. Diese Begriffsbildung entspricht der Dialektik Hegelg39. Hegel hätte die "gegenseitige Durchdringung" der Begriffe wohl folgendermaßen umschrieben: These und Antithese (Differenzhypothese und normativer Begriff) vereinigen sich in der "Synthese". Einen Schadensbegriff, der sich aus zwei sich widersprechenden Begriffen zusammensetzt, kann es logisch nicht geben. Die Behauptung eines "dualistischen Schadensbegriffs" ist nur auf der Grundlage einer idealistischen Philosophie Hegels und damit der Verneinung eines realen, erfahrbaren Schadens möglich. Sachlich besteht zwischen dem "dualistischen Schadensbegriff" und dem "normativen Schadensbegriff" kein Unterschied. Der "dualistische Schadensbegriff" soll eine "Synthese" aus Differenzhypothese und "normativem Schadensbegriff" sein. Damit besteht zwischen beiden kein inhaltlicher Unterschied. Auch der "dualistische Schadensbegriff" hat einen unbestimmten, normativen Inhalt. Zum anderen bleibt unklar, in welchen Fällen die Differenzhypothese angewendet und in welchen Fällen eine "Ergebniskorrektur" vorgenommen werden soll4G. Der Sache nach handelt es sich bei dem "dualistischen Schadensbegriff" um einen rein wertausfüllungsbedürftigen Schadensbegriff. Auf die Anwendung der als naturalistisch'1 , natürlich-faktisch42 , natürlich43 oder 35 BGH NJW 1980, 776 m. w. N.; BGH NJW 1978, 264; Setb, Karlsruher Forum 1964, S. 19: "Ausgangspunkt" "bleibt die Differenztheorie"; Mertens, S. 87; Reinicke, JA 1980, 728. 3e Hagen, Festschrift für Hauß, S. 99; Reinicke, JA 1980, 778; Patandt / Heinrichs, Vorbem. v. § 249, Anm. 2 c. 37 Reinicke, JA 1980, 728. 38 Deutsch, Haftungsrecht, S. 424. Nach Deutsch (S. 418) ist das "Leitmotiv des Schadensrechts" "die Dialektik vom faktischem und normativen Schadensbegriff" (sog. faktisch-normativer Schadensbegriff). Deutsch (S. 424) meint deshalb, man sollte angesichts dessen "nicht von einem dualistischen Schadensbegriff sprechen". Nach Schiemann (S. 175) erscheint das "Gegeneinander der Begriffe" "nur fruchtlos". 3e Vgl. oben, 2. Kap. I 3. 40 Vgl. auch Brinker, S. 198, 213 f. 41 Sdb, Sch.adensbegriff, S. 11. 42 Deutsch, Haftungsrecht, S. 421.

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2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

rechnerisch" bezeichneten Differenzhypothese kommt es in Wahrheit nicht an. Eine inhaltliche Bestimmtheit des "dualistischen Schadensbegriffs", die durch die Anwendung der Differenzhypothese behauptet wird, besteht nicht. Der "dualistische Schadensbegriff" ist eine Leerformel, in die jeder hineinlegen kann, was ihm beliebt. Sogar die Anhänger der Gesamtvermögensdifferenztheorie können in einem "dualistischen Schadensbegriff" "im Ansatz" ihre Ansicht bestätigt finden 46 • c) Die Ermittlung des normativen Schadens

aal Die" wertende Betrachtungsweise" Nach der Lehre vom normativen bzw. dualistischen Schaden ist bei der Frage, ob ein Schaden vorliegt, eine "wertende Betrachtungsweise" geboten46 • Dabei seien die "Wertmaßstäbe" dem "Sinn und Zweck aller in Betracht kommenden Rechtsnormen zu entnehmen"47. Das entspreche einer konsequenten Anwendung der teleologischen Methode48 • In diesen Ausführungen ist enthalten, daß die Erkenntnis des Vorliegens eines Schadens nicht durch Anwendung des Begriffs Schaden als einer "festen Größe", sondern durch eine "wertende Betrachtungsweise" erfolgen soll. Daß gegen eine wertende "Betrachtungsweise" oder "Wertung" grundsätzliche Einwände bestehen, wurde schon an anderer Stelle dargelegt. Eine Wertung kann insbesondere nur subjektiv erfolgen, d. h. es kann zwischen mehreren Möglichkeiten beliebig gewählt werden411 • Die genannte "wertende Betrachtungsweise" zur Ermittlung des Vorliegens eines Schadens scheitert zudem an folgenden weiteren Gründen. Nach der "wertenden Betrachtungsweise" sollen bei Anwendung der teleologischen Methode rechtliche Wertungen für oder gegen den ersatzfähigen Vermögensnachteil "aus dem Sinn und Zweck aller in Betracht kommenden Rechtsnormen", die einen solchen Rückschluß ermöglichen, entnommen werden llO • Es wird dabei auf alle in Betracht kommenden "Zwecke" zurückgegriffen. Ein bestimmter "Zweck", auf den in allen Fällen zurückgegriffen werden könnte, wird nicht ange43 Weitnauer / Emde, AP Nr. 5 zu § 60 HGB; Tonner, JuS 1982, 412; vgl. auch Mertens, S. 21. U Larenz, SehR I, § 27 I! b (399). 45 Vgl. Lange, Schadensersatz, § 1 IV 1 (27 f.). " BGH 74, 233. 47 BGH NJW 1980, 667; BGH 74,233; Hagen, Festschrift für HauB, S. 99 ff. 48 Hagen, Festschrift für HauB, S. 101. 4U Wolf, SehR II, § 20 BI e 6 ce (548); vgl. oben, 2. Kap. II! 1 daa. 50 Hagen, Festschrift für RauB, S. 101.

II!. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 125 gebens1 . Daraus folgt, daß die Wertungen in jedem einzelnen Fall von neuem erfolgen müssen. Dies gilt um so mehr, wenn man berücksichtigt, daß bei einer konsequenten Anwendung der teleologischen Methode die Wertungen letztlich "noch vom Fall her" d. h. "den dabei aktuell in Frage stehenden Schutzbedürfnissen und Interessen" entnommen werden sollenli2 • Ein einheitliches Kriterium dafür, wie die individuellen Interessen des Geschädigten und Schädigers im jeweiligen Fall gegeneinander abgewogen bzw. bewertet werden sollen, wird dabei ebenfalls nicht angegeben. Mit der Behauptung einer "wertenden Betrachtungsweise" bei der Bestimmung des Schadens ist damit im Grunde noch nichts gesagt53 • Die "wertende Betrachtungsweise" ist ebenso wie der "normative Schadensbegriff" inhaltlich unbestimmt. Damit entfällt zugleich der Versuch, den "normativen Schadensbegriff" als einen "Arbeitstitel für das differenzierte Denkverfahren" zu bestimmen. Aus einem inhaltlich unbestimmten "Denkverfahren" kann für den "normativen Schadensbegriff" inhaltlich nichts folgen54 • Bei der "wertenden Betrachtungsweise" soll auf alle in Betracht kommenden "Zwecke" zurückgegriffen werden. Alle in Betracht kommenden "Zwecke" können nur in einer "Gesamtschau" ermittelt werden". Damit wird der ganzheitliche idealistische Charakter dieser Methode deutlich. Die "wertende Betrachtungsweise" unterscheidet sich somit in ihrem sachlichen und methodischen Ansatz nicht von der ganzheitlichen idealistischen Gesamtvermögensdifferenztheorie, nach der eine "Gesamtschau" des Vermögens als Ganzheit vorzunehmen sein soll. Geändert hat sich lediglich der Gegenstand der sachlich und methodisch undurchführbaren ganzheitlichen "Gesamtschau". An die Stelle des Vermögens als "Ganzes" sind "alle in Betracht kommenden Zwecke" getreten. Im Wege einer "wertenden Betrachtungsweise" sollen "Rückschlüsse" aus dem "Sinn und Zweck aller Rechtsnormen" auf den Erkenntnisgegenstand, den Schaden, gezogen werden. Schaden und damit der Inhalt der Schadensersatzpflicht werden der teleologischen Methode entsprechend von einem beliebig gesetzten "Zweck", d. h. vom Ergebnis her, bestimmt. Die Schadenserkenntnis wird damit von Faktoren abhängig gemacht, die sich nicht auf den realen Schaden beziehen. Um ein gegenstandsbedingtes Erkennen handelt es sich bei der "wertenden Betrachtungsweise" also nicht. Zugleich liegt darin ein logisch unzulässiger Schluß vom Sollen auf Sein: "Wenn der Geschädigte nach Mei61

Ir 53 U

&5

Vgl. auch Lieb, JZ 1971, 360. Esse.r, Methodik, S. 28. Vgl. oben., 2. Kap. III 2 a. Vgl. auch Ströfer, S. 54. Vgl. auch BGH 30, 33, "Gesamtschau über die Interessenslage".

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

126

nung des Gerichts etwas vom Schädiger erhalten soll, muß bei ihm auch ein Schaden vorhanden sein"56. Gegen die hier vorgetragene Kritik am "normativen Schadensbegriff" kann auch nicht eingewendet werden, "daß es sich um eine unzulässige Verkürzung der denkgesetzlich möglichen Perspektiven (,natürliche' oder wertende Betrachtungsweise)" handele57 • Dabei wird verkannt, daß sich die mit der Logik gemeinte "natürliche Betrachtungsweise"58 und die "wertende Betrachtungsweise", womit die teleologische Betrachtungsweise gemeint ist, notwendig ausschließen. So gilt nach der Logik das Gesetz vom ausgeschlossenen Widerspruch uneingeschränkt. Eine "Betrachtungsweise", die z. B. Zirkelschlüsse für möglich hält, ist auf dieser Grundlage nicht denkbar. In Wahrheit ist die Aussage, daß eine die Gesetze der Logik beachtende "Betrachtungsweise" und eine diese Gesetze nicht beachtende "Betrachtungsweise" nebeneinander bestehen können, nur auf der zuletzt genannten "wertenden Betrachtungsweise" möglich. Die Logik und die logischen Gesetze werden dabei schon vom Ansatz her verneint; die Anerkennung derselben ist somit irreführend und inkonsequent. bb) "Konkretisierung" des Schadensbegriffs Die "wertende Betrachtungsweise" betrifft sowohl die Ermittlung des Vorliegens eines Schadens als auch die Bestimmung des Inhalts des "normativen Schadensbegriffs" selbst. Erst wenn das Vorliegen des Schadens infolge der vorweggenommenen Wertung ermittelt wurde, bekommt der "normative Schadensbegriff", in den rechtliche Wertungen eingehen sollen59, seinen Inhalt. "Methodisch gesehen" gelangt man nach der normativen Schadenslehre "in wertender Betrachtung zu dem Ergebnis, daß sinnvollerweise ein Vermögensschaden angenommen werden müsse, und definiert erst danach, was infolge dessen hier als Schaden anzusehen" seioo. Das Verfahren der Ermittlung des Schadens und des Schadensbegriffs ist nach der Lehre vom normativen Schaden ein und dasselbe. Die Billigung des Schadensbegriffs wird als "das Endergebnis"61 einer wertenden (dynamischen) Betrachtungsweise aufgefaßt. Als "Endergebnis" der "Denkmethode" sind Schadensbegriff und der erkannte Schaden identisch. 51 Rother, JZ 1971, 660; Hattenhauer, Zivilurteil, S. 94. Zum Schluß vom Sollen aufs Sein vgl. auch Schilcher, S. 66. 57 So Hagen, Festschrift für Hauß, S. 101 Fn. 75, gegen Hattenhauer und

Rother. 58 59 80

Vgl. dazu Hagen, Festschrift für Hauß, S. 100. Larenz, SchR I, § 27 11 a (397) m. w. N. Hagen, Festschrift für Hauß, S. 99, unter Bezugnahme auf BGH 69, 56 f. zitierte Äußerung von Hagen ist nicht etwa ablehnend, sondern zustim-

Die mend. 81 Vgl. dazu Larenz, SchR I, § 27 11 a (396 Fn. 12).

II!. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 127 Der "normative Schadensbegriff", der ein "Arbeitstitel für das differenzierte Denkverfahren" zur wertenden Ermittlung des Schadens sein sol162 , ist das "Ergebnis" einer "Denkmethode". Der Sache nach ist der "normative Schadensbegriff" aber auch mit der "Denkmethode" identisch. Er ist als das ",Produkt seines Begreifens' ein wandlungsfähiges und dynamisches Gebilde"G3. Der "normative Schadensbegriff", der am Anfang noch inhaltsleer ist, entwickelt ("konkretisiert") sich in einem "Prozeß der Interpretation"~4 und erhält so im Wege des "Denkverfahrens", d. h. in der Ermittlung des Vorliegens des Schadens, seinen Inhalt. Als "Endergebnis" ist der "normative Schadensbegriff" mit dem erkannten Schaden eins, d. h. "konkret". Die Auffassung von der "Konkretisierung" des Schadensbegriffs beruht auf verfehlter idealistischer Grundlage. Die beschriebene "Konkretisierung" des "normativen Schadensbegriffs" entspricht der Lehre Hegels vom "konkretenBegriff"65. Im "konkreten Begriff" sollen "Wirklichkeit" und "Vernunft" zusammenfallen66 • Der "normative Schadensbegriff" ist in Wahrheit ein sich im "Geist" oder der "Idee" dialektisch~7 (hermeneutisch) "verwirklichender" Begriff68. Einen realen (bewußtseinsunabhängigen) Schaden gibt es nach dieser wertenden bzw. "wirklichkeitsgemäßen Betrachtung"~ ebensowenig wie reale Gegenstände, in denen der Schaden eintritt. Der Schaden existiert nur in der "Idee" oder im "Begriff". Mit einer auf der Erfahrung gegründeten realen Erkenntnislehre, wonach es reale, unabhängig vom Bewußtsein existierende Gegenstände gibt, ist diese Schadenslehre nicht zu vereinbaren. Logisch und sachlich unmöglich sind auch die bei der "Konkretisierung" des Schadensbegriffs vorgenommenen Identifikationen. So werden Schaden, Schadensbegriff, die Erkenntnis des Schadens, die Erkenntnis des Schadensbegriffs, die Methode der Erkenntnis des Schadens und die Methode der Erkenntnis des Schadensbegriffs als identisch aufHagen, Festschrift für Hauß, S. 100. Vgl. Mertens, S. 112 m. w. N. 84 Larenz, SehR I, § 27 I! a (396 Fn. 12) unter Bezugnahme auf Mertens; Becker, S. 96. 85 Vgl. dazu Larenz, Methodenlehre, S. 439 ff., der auf die Gemeinsamkei81 83

ten zwischen dem "funktionsbestimmten Begriff" und dem "konkreten Begriff" Hegels hinweist. 88 Zum "konkreten Begriff" Hegels vgl. Wolf, Marxistische Wissenschaft, S.189 . • 7 Vgl. Mertens, S. 112. 88 Vgl. dazu Wolf, Festschrift für Schiedermair, S. 562 ff. Zur "Verwirklichung der Idee" bei Hegel vgl. oben, 2. Kap. I 3; vgl. auch Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 191. 81 Vgl. BGH 7, 48.

128

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

gefaßt. Hinzu kommen die an anderer Stelle kritisierten Identifikationen von Schaden mit Vermögensschaden und geschuldetem Schadensersatz sowie mit der Höhe des Schadens bzw. Schadensersatzes. Diese Identifikationen entsprechen weder der Erfahrung noch lassen sie sich mit gegenstandsbedingtem begrifflichem Denken vereinbaren. Daß alles mit allem identisch ist, läßt sich nur auf einer vorausgesetzten verfehlten idealistischen Identitätsphilosophie behaupten. d) "Wertungsgesichtspunkte" der normativen Schadenslehre

aal Der "Ausgleichszweck"70 Als "tragendes Prinzip" des Schadensersatz rechts wird der "Ausgleichszweck" oder das "Ausgleichsprinzip" bezeichnet71 • Er sei der in § 249 BGB "angelegte"72 und vom Gesetzgeber verfolgte "Zweck"7l1. Nach dem "Ausgleichszweck" soll dem Geschädigten der Nachteil, den er infolge eines Vorgangs erlitten habe und für den ein anderer verantwortlich sei, nach Möglichkeit wieder auszugleichen oder wieder gut zu machen sein74 . Bei dem "Ausgleichszweck" handelt es sich ebenso wie bei anderen "Zwecken" um eine "spezifische Idee", die im Rahmen einer teleologischen Methode zur Ermittlung des "Sinngehalts" des "normativen", insbesondere des "dualistischen Schadensbegriffs" herangezogen werden soll. Die Ideenhaftigkeit zeigt sich dabei unter anderem daran, daß der "Ausgleichszweck" ebensowenig wie der Begriff eine feste Größe sein soll. Insoweit soll der "Ausgleichszweck" auch "normativen Randkorrekturen" zugänglich sein7ö. Mit dem begrifflichen Inhalt des Begriffs Schadensersatzpflicht, wonach der Schädiger die Pflicht hat, den Schaden eines anderen auszugleichen7G , darf der "Ausgleichszweck" nicht verwechselt werden, auch wenn dies bei manchen Autoren mißverständlich anklingt 77 • Daß sich der begriffliche Inhalt der Schadensersatzpflicht und der behauptete Inhalt des "Ausgleichszwecks" ähneln, entspricht lediglich dem Wesen einer subjektiv-teleologischen Auslegung. Diese orientiert sich im "Willen des Gesetzgebers" und an den 70 Die Ausdrücke "Zweck", "Gedanke", "Funktion", "Prinzip" werden synonym gebraucht; vgl. nur Schiemann, S. 185. 71 Schiemann, S. 185; Diederichsen, Festschrift für Klingmüller, S. 78, 82; Mertens, S. 95 ff. m. w. N. 7! Lange, Schadensersatz, S. 6; Diederichsen, Festschrift für Klingmüller, S. 78; Larenz, SehR I, § 27 I (394); Becker, S. 95 m. w. N. 73 Becker, S. 95. 74 LaTenz, SchRI, § 27 I (394); Lange, Schadensersatz, S. 6. 76 Vgl. unten, 2. Kap. III 2 d bb. 78 Wolf, SehR I, § 4 G II d 1 (187). 77 Vgl. Z. B. Mertens, S. 93; Schutte, S. 28 f.

IIr. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 129 von den Verfassern des Bürgerlichen Gesetzbuchs gegebenen Definitionen oder Hinweisen. Der behauptete "Ausgleichszweck" soll zum Inhalt haben, den Nachteil wieder auszugleichen oder wieder gut zu machen. Das stimmt zwar mit dem Inhalt des Begriffs Schadensersatz überein, beschreibt aber nicht den wahren Inhalt und die wahre Anwendung des "Ausgleichszwecks" . Der "Ausgleichszweck" bezieht sich der Sache nach auf den Ausgleich einer Minderung des Vermögens als Ganzheit im Sinn der Gesamtvermögensdifferenztheorie'lS, die § 249 BGB zugrundeliegen soll. Unter Schadensersatz wird nicht Schadensausgleich, sondern "Vermögensausgleich" verstanden19 • Dabei wird übersehen, daß Schadensersatz sich seinem Inhalt nach auf den Ausgleich eines Schadens und nicht auf den Ausgleich eines Vermögensschadens bezieht, geschweige denn auf eine damit fehlerhaft gleichgesetzte Minderung des Vermögens als Ganzheit beschränkt ist. Der behauptete "Ausgleichszweck" läßt sich folglich schon wegen seines Bezugs auf den verfehlten ganzheitlichen Vermögensschaden nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie nicht halten. Er hat infolgedessen auch im Rahmen der teleologischen Schadensauffassung zu vielen "Korrekturen" Anlaß gegeben. Welchen Nutzen der "Ausgleichszweck" seinem behaupteten Inhalt nach für die Erkenntnis des Vorliegens eines Schadens oder die "Konkretisierung" des Schadensbegriffs haben soll, bleibt unklar. Bedeutet der "Ausgleichszweck" Ausgleich eines Schadens, so ist darin enthalten, daß das, was auszugleichen ist, nämlich der Schaden, schon erkannt ist. Ist jedoch das Vorliegen des Schadens oder der Begriff des Schadens erkannt, ist die Berufung auf den "Ausgleichszweck" zur "Konkretisierung" des Schadensbegriffs nicht nur überftüssigllO, sondern logisch auch nicht durchführbar. Die gegenteilige Auffassung hätte zum Inhalt, daß der Schaden durch einen "Ausgleichszweck" erkannt werden soll, wobei der "Ausgleichszweck" seinerseits die Erkenntnis des Schadens voraussetztS1 . bb) Die Ergänzung des "Ausgleichszwecks" Die Berufung auf einen "Ausgleichszweck" setzt notwendig die Kenntnis dessen, was ein Schaden ist, voraus. Der "Ausgleichszweck" ist zur Begründung des Inhalts des Schadensbegriffs und der Erkenntnis des Vorliegens eines Schadens selbst bei Zugrundelegung einer AK-BGB-Rüßmann, vor §§ 249 - 253, Rn. 4. 7. Weychardt, Schadensbegriff, S. 28; Degenkotb, AcP 76, 76: "Vermögensschutz"; Neuwatd, S. 11 f. m. w. N. 80 Vgl. auch Becker, S. 96; Schiemann, S. 185 f.: "Die Inhaltsleere des Aus78

gleichsprinzips" . 81 Vgl. auch Schiemann, S. 186: "Gefahr eines Zirkelschlusses".

9 Wllk

130

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

teleologischen Begriffsbildung nicht geeignet. Mit dem "Ausgleichszweck" kann weder ein besonderer Schadensbegriff noch ein abweichendes Ergebnis zum Interessebegriff begründet werden. Konsequenterweise haben sich die Vertreter der objektiven Schadenslehre zur Begründung ihrer Auffassung nicht vorrangig auf den "Ausgleichszweck" berufen. Im Unterschied zur objektiven Schadenslehre wird von den Vertretern eines "dualistischen (normativen) Schadensbegriffs" der "nach der gesetzesimmanenten Teleologie vorrangige Ausgleichszweck" beibehalten. Der "Vermögensausgleichszweck" soll durch "normative Randberichtigungen" "innerhalb des Ausgleichszwecks" korrigiert82 oder durch andere Zwecke ergänzt werden83 • Damit versuchen die Vertreter der dualistischen (normativen) Schadenslehre die abweichenden Ergebnisse, die durch die Anwendung des "Vermögensausgleichszwecks" und damit der Gesamtvermögensdifferenztheorie erzielt werden, zu begründen. An Prinzipien und Zwecken zur Ergänzung oder Korrektur des "Ausgleichszwecks" scheint es dabei nicht zu fehlen 84 • So wird unter anderem auf den "Rechtsverfolgungs"-, "Rechtsfortsetzungs"-, "Präventions"- und "Sanktionszweck" sowie auf den "Kommerzialisierungsgedanken" hingewiesenB6 • Daneben sollen auch Zwecke der anspruchsbegründenden Haftungsnormen ("spezielle teleologische Bezüge") berücksichtigt werden8e• Die "schadensrechtliche Beurteilungsbasis" werde damit "vom allgemeinen Schadensrecht auf das allgemeine und besondere Schuldrecht, aber auch auf sonstige Spezialgebiete (Gefährdungshaftung u. ä.) und letztlich - einem Puzzlespiel vergleichbar auf sämtliche überhaupt in Betracht kommende Vorschriften" ausgedehnt87. Die behauptete Beibehaltung des "Ausgleichszwecks" als "Primärzweck"88 und seine Ergänzung oder Korrektur durch "Sekundärzwekke"B1I oder "Teilaspekte"90 läßt sich nicht halten. Die Rechtsprechung zum normativen und dualistischen Schaden, die der Rechtsprechung Hagen,. Drittschadensliquidation, S. 48. Schiemann, S. 189; vgl. auch BGR NJW 1980, 776; Diederichsen, Festschrift für Klingmüller, S. 78. 84 Schiemann, S. 189. 85 Schiemann, S. 189 m. w. N.; Lange, Schadensersatz, S. 6 ff.; Hagen, Drittschadensliquidation, S. 47 f. 81 Hagen, Festschrift für RauB, S. 99; vgl. auch Deutsch, Raftungsrecht, 82

83

S. 420: "Der Schadensbegriff rekurriert also auf Normzweck und Haftungsfunktion". 87 Hagen, Festschrift für RauB, S. 100. 88 Vgl. Mertens, S. 95 ff. 89 Vgl. Mertens, S. 109; Hagen, Drittschadensliquidation, S. 48. 00 Hagen, Drittschadensliquidation, S. 47 f.

III. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 131

zum objektiven Schaden weitgehend inhaltlich entspricht, ist nur auf der Grundlage eines "Rechtsverfolgungs"-, "Rechtsfortsetzungs"-, "Sanktions"- und "Präventionszwecks" sowie eines "Kommerzialisierungsgedankens" oder anderer mit dem "Ausgleichszweck" nicht zu vereinbarender Zwecke (teleologisch) begründ bar. Die Rechtsprechung zum normativen Schaden zeichnet es aus, daß sie den Schaden nicht nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie, also nicht nach einem "Vermögensausgleichszweck", bestimmt. Daß man den "Ausgleichszweck" als Ausgangspunkt bei der Schadensermittlung beibehält, ändert daran nichts, weil es auf den "Ausgleichszweck" der Sache nach nicht ankommt. Maßgeblich sind allein die genannten anderen Zwecke91 , die mit dem "Ausgleichszweck" nicht zu vereinbaren sind. Das zeigt sich an den erzielten Ergebnissen. Die behauptete "gesetzesimmanente Teleologie" wird damit aufgehoben. Die Lehre vom dualistischen (normativen) Schaden behauptet eine Ergänzung oder Korrektur des "Ausgleichszwecks" durch einen "Rechtsverfolgungszweck" , "Sanktionszweck" usw. Soweit diese "Zwecke" dem "Ausgleichszweck" widersprechen, wird dem Begriff Schadensersatz und dem Begriff Schaden, die durch diese Zwecke "konkretisiert" werden sollen, ein sich widersprechender Inhalt unterlegt92. Der Begriff des Schadensersatzes hätte danach den Inhalt: Ausgleich eines Schadens und Nichtausgleich eines Schadens. Auf die Kurzformel der idealistischen Identitätsphilosophie Hegels gebracht heißt das: A gleich A gleich NonA. Diese mit der Logik nicht zu vereinbarende Einheit des Entgegengesetzten kann nur zur Auflösung der Einheit der Begriffe Schaden und Schadensersatz führen. Einwände bestehen auch gegen die Auffassung, daß es möglich sei, den in § 249 BGB "angelegten" "Ausgleichszweck" durch einen oder mehrere andere Zwecke des Haftungsrechts9:1 und einzelner anspruchsbegründender Normen zu ergänzen bzw. zu korrigieren. Dabei wird von der normativ-teleologischen Schadensauffassung vorausgesetzt, daß "Prinzipien" "in einem Zusammenspiel wechselseitiger Ergänzung und Beschränkung" stehen94 oder, wie es an anderer Stelle heißt, der "Zweck" einer Regelung vom Funktionszusammenhang des Rechtsgebietes mitbestimmt sei, wobei der Funktionszusammenhang seinerseits Einfluß auf den Zweck der Regelung nehme96 • Erst durch diese "wechselseitige Bedingtheit" und "Ergänzung" werde nämlich der "eigent81

Dt

Vgl. auch DiedeTichsen, Festschrift für Klingmüller, S. 78 f.

Zur Dialektik des Begriffs des Zwecks vgl. LaTenz, Zurechnungslehre,

S. 42 f. m. w. N.

Vgl. Deutsch, JZ 1971,244 ff.; s. a. EsseT / Schmidt, § 30 II (114). Canaris, S. 55; LaTenz, Methodenlehre, S. 46. 85 Deutsch, JZ 1971, 244 (sog. "funktional-teleologische Auslegung"); vgl. dazu auch BeckeT, S. 101 f. m. w. N.; Henckel, S. 41. 83

D4

9'

132

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

liche Sinngehalt" der "Prinzipien"", "Zwecke" und "Funktionen" und damit auch der "Norm"117 und des "Rechtsbegriffs" entfaltet98 • Mit der Behauptung einer "wechselseitigen Bedingtheit" wird bei dieser Auffassung vorausgesetzt, daß das Bedingende zugleich das Bedingte ist und umgekehrt. Das ist weder sachlich noch logisch möglich". Logisch ebenfalls nicht denkmöglich ist, wenn behauptet wird, daß der "Zweck" durch den "Funktionszusammenhang" erschlossen werde, seinerseits aber auch auf diesen Einfluß nehmen soll. Es handelt sich dabei um einen Zirkelschluß. Dieser besteht darin, daß der Inhalt des "Zwecks" aus dem "Funktionszusammenhang" erschlossen werden soll, wobei der "Funktionszusammenhang" aber schon seinerseits das Ergebnis einer Auslegung nach dem "Zweck" sepoo. Diese logischen Einwände gegen die genannte Auffassung lassen sich auch nicht durch einen Hinweis "auf die Sondererscheinung des hermeneutischen Zirkels, d. h. der wechselseitigen Erhellung des Sinnes zwischen dem Ganzen und seinen Bestandteilen" entkräften101 • Damit wird vielmehr zugestanden, daß der "hermeneutische Zirkel" nichts anderes als "ein dialektischer Prozeß wechselseitiger Sinnerhellung" ist102, womit der Bezug zur dialektischen Methode Hegels ein weiteres Mal deutlich wird U13 • Der "hermeneutische Zirkel"lo4 "ist ebenso wie die dialektische Methode Hegels nur auf der Grundlage einer idealistischen Identitätsphilosophie möglich, nach der alle bewußtseinsunabhängigen, d. h. realen Gegenstände und die Erfahrung verneint werden. Daß damit auch die Leugnung der klassischen Logik einhergeht, wurde bereits dargelegt. Diese Verneinung der Logik wird auch von den Vertretern einer normativ-teleologischen Rechtsauffassung ausdrücklich hervorgehoben. Nach dieser Ansicht sollten der "wechselseitigen Bedingtheit" von "Zweck, Funktion und Auslegung" "die Regeln der deduktiven Logik" "nicht im Wege stehen"l06. " Canaris, S. 55. Deutsch, JZ 1971, 244. DB Becker, S. 98 f. DD Wolf, Festschrift für Schiedermair, S. 563. 100 Vgl. dazu Deutsch, JZ 1971, 244; Becker, S. 100. Entsprechendes gilt, wenn Deutsch, aaO, meint, "der Zweck einer Norm" werde "aus ihrer FunkD7

tion erschlossen, die Norm dem so gewonnenen Zweck folgend ausgelegt und die Funktion der Norm weitgehend von der Auslegung bestimmt". Vgl. auch Esser, Vorverständnis, S. 132, unter Berufung auf Radbruch: "Die Auslegung ist das Ergebnis ihres Ergebnisses". 101 Vgl. aber Deutsch, JZ 1971, 244; Canaris, S. 90. 10! Canaris, S. 90. lOS Vgl. dazu auch Larenz, Methodenlehre, S. 441. 104 Vgl. dazu die Kritik von Wolf, Festschrift für Schiedermair, S. 563. 10& Deutsch, JZ 1971, 244; s. a. Hagen, Festschrift für Hauß, S. 100: "von einer stringenten Ableitung mit begrifflich-logischem Zwang kann (und soll wohl auch) dabei keine Rede sein".

III. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 133 Bei der behaupteten Ergänzung des "Ausgleichszwecks" durch andere "Zwecke" bzw. "Prinzipien" stellt sich darüber hinaus die Frage, welchen der "Zwecke", die den "Ausgleichszweck" ergänzen bzw. korrigieren sollen, der Vorrang einzuräumen sei. Während Neuner und seine Anhänger sich in Abkehr vom "Ausgleichszweck" auf den "Rechtsverfolgungszweck" als maßgeblichen Zweck festlegten, was zur Identität von Schaden und Rechtsverletzung führte, wird in der Lehre vom normativen bzw. dualistischen Schaden diese Frage offengelassen. Das kann nur bedeuten, daß die Bestimmung der Vorrangigkeit des "Zwecks" oder des "Prinzips" nur durch eine "zusätzliche Wertung", d. h. Abwägung auf der jeweiligen "Konkretisierungsstufe" beantwortet werden kann lO6 . Es soll nämlich weder eine "feste Rangordnung" der "Zwecke", "Prinzipien" oder "Rechtswerte" geben, noch soll dem Gesetz zu entnehmen sein, wo "die Grenze" liege, "von der ab das eine Prinzip die Führung an das andere" abgebe lO7. Mit diesem abermaligen Hinweis auf eine "zusätzliche Wertung", d. h. auf eine subjektive und intuitive Abwägung im einzelnen Fall erweist sich die Ergänzung des "Ausgleichszwecks" als wissenschaftlich nicht nachprüfbar und begründbar. Die Ergänzung oder Korrektur des "Ausgleichszwecks" kann beliebig behauptet werden. Die Ergänzung oder Korrektur des "Ausgleichszwecks" durch "allgemeine Rechtsgedanken"l08, "Zwecke des Haftungsrechts" und "Zwecke anspruchsbegründender Normen" hat mit der konsequenten Anwendung der teleologischen Methode und der damit verbundenen "wechselseitigen Erhellungen" notwendig zur Aufhebung der Systematik des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der darin enthaltenen Begriffe geführtiOD. Unter anderem wird mit diesem Verfahren das Schadensersatzrecht mit dem Haftungsrecht, das allgemeine Schuldrecht mit dem besonderen und sogar die einzelnen unterschiedlichen Haftungsvorschriften miteinander vermengt. Zugleich entfällt damit auch der nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch bestehende systematische Zusammenhang, daß die Regelungen des Schadensersatzrechts (§§ 249 ff. BGB) für alle Haftungsvorschriften und die darin enthaltenen Begriffe gleichermaßen gelten llO • Das Bestreben Selbs, den Schadensbegriff "den Zwecken der Haftungsnormen besser dienstbar zu machen"l1l, bedeutet mit anderen Worten, daß unter Aufgabe der einheitlichen Begriffe Schaden und Schadensersatz für jede Haftungsvorschrift gesondert festgestellt wird, 108 101 108

10' 110 111

Vgl. LaTenz, Methodenlehre, S. 462. LaTenz, Methodenlehre, S. 460. Hagen, Festschrift für HauB, S. 99. Das wird von Hagen, Festschrift für HauB, S. 100, selbst zugegeben. Vgl. nur Planck I SibeT, § 249, 1; Esser I Schmidt, § 30 I 1 (112). Selb, Schadensbegriff, S. 11.

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2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

was unter einem Schaden zu verstehen ist 112 . Auf dieser "Konkretisierungsstufe" würde es also so viele Schadens begriffe geben, wie es Haftungsnormen gibt 113. Die Zerstörung eines Kraftfahrzeuges kann danach bei Anwendung der einen "Haftungsnorm" ein Schaden, bei Anwendung einer anderen kein Schaden sein 114 • Das ist nur teleologischnormativ zu erklären. Logisch nachvollziehbar ist das nicht 11O • ce) Die "Billigkeit" als maßgeblicher "Wertungsmaßstab"

Rechtsprechung und Lehre zum normativen Schaden weisen bei der Schadensermittlung nicht nur auf die genannten "Zwecke", "Funktionen" oder "Prinzipien" hin, sondern berufen sich auch auf die "Billigkeit"lHl. So liest man u. a., es entspreche der "Billigkeit"1l7, es sträube "sich das Rechtsgefühl"118, es könne "doch nicht angehen"lla, es sei "nicht einzusehen"120, es sei "in hohem Maße unbillig"121. Auf der gleichen Linie liegt es, wenn nach Auffassung der Rechtsprechung "Ergebniskorrekturen" durchzuführen seien, soweit diese "aus zwingenden Sachgründen" geboten sein sollen122. Folgende "Billigkeitserwägungen"l!!3 sind u. a. erkennnbar. Der "Schädiger" dürfe "nicht unbillig begünstigt werden"1U. Der "Reiche" soll nicht besser stehen als der "finanziell Schwächere" 126. Das Großunternehmen soll nicht besser stehen als das Kleinunternehmen1l!6. Der Unvorsichtige soll nicht besser stehen als der "Vorsichtigere" 121. Die Kosten, die von einem "Bösen" verursacht wurden, sollen nicht durch den "Braven" getragen werden 128. Kritisch dazu auch Schulte, S. 35; Schacht, NJW 1981, 1351 m. w. N. Vgl. dazu Sdb, AcP 173, 369. 114 Sieh dazu Schacht, NJW 1981, 135l. 115 So auch Schacht, NJW 1981, 135l. l1e Als "Billigkeitsentscheidungen" werden insbesondere die Fälle der (versagten) Vorteilsausgleichung bezeichnet, die "zur ,Normativierung' des Schadensrechts" geführt haben (vgl. Schiemann, S. 183). Zu "Schadensersatz und Billigkeit" vgl. Medicus, VersR 1981, 593 ff. m. w. N.; Ströfer, S. 88 ff. 117 BGH 10, 109. 118 Bötticher, AcP 158, 406. 119 Bötticher, AcP 158, 406; vgl. dazu auch Esser, Vorverständnis, S. 128. 120 BGH 35,399. 121 BAG NJW 1968, 222. IZ2 BGH NJW 1980, 776; vgl. auch Mennicken, S. 82 Fn. 26: "Die Billigkeit ist Korrekturprinzip". 123 BGH 59, 293. 124 BGH 30, 33; 10, 108; vgl. dazu auch Schulte, S. 31 m. w. N.; Schiemann, 112

118

S. 183 m. w. N. 125 BGH 66, 281; vgl. dazu Medicus, VersR 1981, 594, 600 m. w. N. 128 Vgl. dazu im einzelnen Medicus, VersR 1981, 600 m. w. N. 127 Vgl. BGH 66, 28l. 128 Vgl. BGH 59, 292 f.; Schiemann, S. 114; Medicus, VersR 1981, 595.

111. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 135 Die Bestimmung des Schadens und seines Ersatzes nach der normativen Schadenslehre ist eine "Zubilligung" oder "Gewährung" von Schadensersatz nach "Billigkeitserwägungen", die von Fall zu Fall änderbar sind l29 • Dabei beziehen sich die genannten "Billigkeitserwägungen", wie "Reich oder Arm", Großunternehmer oder Kleinunternehmer usw. ausschließlich auf die Interessen l30 oder das Verhalten des Schädigers und des Geschädigten. Auf einen realen Schaden und seinen Ersatz beziehen sie sich nicht. "Billigkeitserwägungen" sind deshalb zur Erkenntnis, ob ein eingetretener realer Zustand, z. B. die Beeinträchtigung eines Kraftfahrzeugs, ein Schaden ist, wenig geeignet. Die Bestimmung des Schadensersatzes nach "Billigkeitserwägungen" ist zudem mit der in § 249 BGB vorausgesetzten Abhängigkeit des geschuldeten Ausgleichs vom eingetretenen Schaden nicht zu vereinbaren. Die "Zubilligung" von Schadensersatz verstößt damit gegen § 249 BGB. "Billigkeit" ist im Gegensatz zu wissenschaftlichem Erkennen, das objektiv und allgemein ist, notwendig subjektiv und individuelll31 • "Billigkeit" ist unbestimmt und hängt vom Rechtsgefühl des individuellen Menschen ab 13l2 • Die Bestimmung des Schadens und seines Ersatzes erfolgt unter Befragung des "Rechtsgefühls" durch den jeweils "Erkennenden" notwendig subjektiv. Um eine gegenstandsbedingte (objektive) Erkenntnis handelt es sich bei der Berücksichtigung von "Billigkeitserwägungen" nicht. Es ist deshalb auch kein Zufall, daß nicht begründet dargelegt wird, wann eine "Billigkeitserwägung" oder eine "Ergebniskorrektur" geboten sein soll und warum das behauptete "billige" Ergebnis im jeweiligen Fall so und nicht anders sein solp3I'I. Mit der Berufung auf das "Gefühl für Billigkeit" wird bei der Erkenntnis des Schadens und seines Ersatzes eine weitere "Leerformel" eingeführt l314 • Diese ist weder mit den "Kategorien dogmatischer Auseinandersetzung" zu erfassen l36 noch dient sie der Lösung irgendeines Problems l316 • Es wird damit lediglich dem jeweiligen "Erkennenden" die Möglichkeit eröffnet, unter Einsatz seines Rechtsgefühls die Erkenntnis des Schadens und seines Ersatzes durch unkontrollierbare und 130

Ebenso Lieb, JZ 1971, 358 f. Beispiele für den Einfluß wirtschaftlicher Interessen bei

133

Vor den Gefahren einer Billigkeitsrechtsprechung warnen u. a. auch

129

sen, S. 60, 96; Hamman, S. 40. 131 Vgl. auch Wolf / Hammen, SAE 1982, 302. 132 So auch Windscheid, Pandekten I, § 24 (66).

'V.

Falkenhau-

Medicus, VersR 1981, 603; Ströfer, S. 89; Hansen, MDR 1978, 363 Fn. 36 m. w. N.; Hamman, Vorwort; Schiek, S. 174 f. 184 Vgl. auch Hamman, Vorwort. laG Vgl. Schiemann, S. 114, in bezug auf die sog. Gema-Rechtsprechung; vgl. auch Lieb, JZ 1971, 358 f. 138 Walsmann, S.76.

136

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

ideologisch bedingtel37 "Billigkeitserwägungen" subjektiv zu beeinflussen l38 • Nach der Rechtsprechung und Lehre vom normativen Schaden wird bei der Schadenserkenntnis letztlich auf die "abstrakte Zweckidee"1118 "Billigkeit" abgestellt140• Damit wird deutlich, daß "alle von der Rechtsprechung herangezogenen juristischen Konstruktionen nur Tünche waren und sind"141. Es kommt weder auf den "Ausgleichszweck" noch auf einen sonstigen "Zweck" an. Ebensowenig werden alle in Betracht kommenden Zwecke in einer ganzheitlichen Betrachtungsweise berücksichtigt. Maßgeblich ist allein das Rechtsgefühl. Dabei ist allerdings zu beachten, daß auch die Bestimmung des Schadens und Schadensersatzes nach dem "Rechtsverfolgungs-", "Sanktions-", "Präventions-" und anderer "Zwecke" auf dem Rechtsgefühl beruhen. Diese "Zwecke" des Schadensersatzes, die selbst das Ergebnis von Billigkeitsüberlegungen sind l42 , werden zur Begründung des gewünschten Ergebnisses herangezogen. Die Bestimmung des Schadens und seines Ersatzes nach dem "Rechtsverfolgungs-", "Sanktions-", "Präventionszweck" oder einem anderen "Zweck" ist der Sache nach ebenfalls eine Bestimmung nach "Billigkeit"143. Der Versuch unter Berufung auf die wohlklingende, aber nichtssagende Wendung "Billigkeit", einen Schaden zu erkennen, muß zur Aufgabe der Rechtssicherheit führeni", die als tragendes Prinzip anerkannt ist146. Die Rechtssicherheit ist in der gleichmäßigen Anwendung der allgemeinen Gesetze und der darin enthaltenen Begriffe begründet. Mit der Nichtanwendung der Gesetze und Begriffe ist eine Vorhersehbarkeit der jeweiligen Einzelfallentscheidung nicht mehr gegebenl4t • 137 Vgl. dazu Diederichsen, Festschrift für Klingmüller, S. 78. 138 Kritisch dazu auch Larenz, Methodenlehre, S. 336; Reinhardt, Methoden, S. 15: "Obschon die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit jene Gefahren irrationaler Rechtsfindung genügsam bestätigt haben, ist der Einfluß dieser Lehre auch in der heutigen Praxis der Gerichte noch spürbar". 18D Heinrich Stoll, Festgabe für Heck, Rümelin, Schmidt, S. 67 Fn. 1. 140 Vgl. BGH 66, 281. 141 Baur, Festschrift für Raiser, S. 129; Ströfer, S. 89. 142 Vgl. z. B. Neuner, AcP 133, 290, 300. 143 Vgl. auch Medicus, VersR 1981, 593: " ... die Grenzen zwischen Billigkeits- und anderen Argumenten fließend sind". 144 Vgl. zur Rechtssicherheit im Schadensersatzrecht auch Schilcher, S. 102, 249.

145 Vgl. Lange I Köhler, Allg. T., § 2 I 1 (11); Johannsen, Festschrift für Hauß, S. 166; Mennicken S,. 78; vgl. auch Hattenhauer, ZRP 1978, 85. 148 Vgl. Hagen, Festschrift für Hauß, S. 101, der dies selbst einräumt. Andererseits meint Hagen (aaO, S. 102), daß ein "Rückfall in einen begrifflichen Rigorismus" "einen zu hohen Preis für Rechtssicherheit und. Rechtsklarheit bedeuten" würde. Diese Kritik Hagens am "begrifflichen Rigorismus", womit die Anwendung des Interessebegriffs gemeint ist, ist nicht recht

IH. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrech.t 137 Die Billigkeitsrechtsprechung im Einzelfall, die vom "Billigkeitsgefühl" des jeweiligen Rechtsanwenders abhängt und damit jederzeit änderbar ist, führt zu unberechenbaren Entscheidungen durch die Gerichte. Das hat zur Konsequenz, daß eine auf Billigkeitserwägungen gegründete Rechtsprechung nicht nur zu einem uferlosen Prozeßrisiko für den Geschädigten führt, sondern zusätzlich eine ungeheure Prozeßfiut bedingt. An der Preisgabe der Rechtssicherheit, die mit einer Billigkeitsrechtsprechung im Einzelfall im grundsätzlichen Gegensatz steht147, kann auch die Bildung von Fallgruppen nichts ändern l48. Dies wird von den Vertretern einer Fallgruppenbildung der Sache nach selbst zugegeben, wenn ausgeführt wird, daß die Bildung von Fallgruppen erst nach einer Einzelfallentscheidung erfolgen könne149 • Es folgt auch daraus, daß die gebildete Fallgruppe selbst Gegenstand einer wertenden Betrachtungsweise sein soll. Die Fallgruppen können danach ebenfalls wie die Gesetze eingeschränkt und begrenzt werden oder ganz unbeachtet bleiben, soweit dies infolge immer neu vorzunehmender Wertungen geboten sei150• Auch nach erfolgter Fallgruppenbildung soll es also stets auf eine Abwägung im Einzelfall ankommen. Die durch Fallgruppenbildung angestrebte Rechtssicherheit ist also unerreichbar. e) Richterliche Schöpfung des "normativen Schadensbegriffs" Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, daß "das Schadensrecht heute weitgehend Richterrecht" sei151 • Beim "normativen Schadensbegriff" handele es sich um eine "Fortbildung des Schadensbegriffs"l62 oder "Rechtsfortbildung"163. In diesem Sinne hat auch der Bundesgerichtshof von einem "in der Rechtsprechung entwickelten normativen Schadensbegriff" gesprochen, der sich "inzwischen in Abkehr von der reinen Differenzhypothese durchgesetzt" habe1M. Die in dieser Auffassung vorausgesetzte und auch durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich eingeräumte Möglichkeit einer auf verständlich. Selbst wenn man mit Hagen der Auffassung ist, daß die Lehre vom "konstruierten" Interessebegriff unbrauchbar ist; man kann dieser Lehre nicht vorwerfen, daß sie - ganz im Gegensatz zur Lehre vom normativen Schaden - zur Rechtsunsicherheit geführt hätte. 147 148

Mennicken, S. 82 Fn. 26. So aber z. B. Hagen, Festschrüt für Hauß, S. 101; HonseH, JuS 1973,

74f.; BGH 77,154. 148 So Hagen, Festsch.rüt für Hauß, S. 101. 150 Zu dieser Problematik vgl. Keuk, S. 12 Fn. 12 m. w. N. Kritisch dazu Wolf, Festschrift für Sch.iedermair, S. 560. 151 Medicus, in StudK-BGB, vor § 249, Anm.2; vgl. auch Schiemann, S.1. 162 Palandt I Heinrichs, Vorbem. v. § 249, Anm. 2. 153 Vgl. Hagen, JuS 1969, 64. m BGH 50, 306; vgl. auch Eike Schmidt, Normzweck, S. 144.

138

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

richterlicher Rechtsschöpfung beruhenden Rechtsfortbildung ist in den letzten Jahren Gegenstand zunehmender kritischer Auseinandersetzung gewesen l55 • Zutreffend ist dabei vor allem immer wieder darauf hingewiesen worden, daß die richterliche Rechtsfortbildung mit Art. 20 Abs. 3 GG, wonach die Gerichte an Gesetz und Recht gebunden sind, nicht zu vereinbaren ist lM • Daß die Rechtsprechung nach Art. 20 Abs. 3 GG nicht nur an das Gesetz, sondern auch an das Recht gebunden ist, ändert daran nichts. Lehre und Rechtsprechung ist es bisher im Rahmen der Rechtsfortbildung nicht gelungen, zu definieren, was mit Recht im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG gemeint sein soll. Zudem ist die Gebundenheit der Rechtsprechung an das Gesetz nicht etwa durch die Gebundenheit an das Recht eingeschränkt, wie des öfteren behauptet wird l57 • Die Gebundenheit an das Recht als allgemeine Gebundenheit kann, soweit Gesetze bestehen, vielmehr nur mit derjenigen an das Gesetz zusammenfallen. Die in Art. 20 Abs. 3 GG genannte Gebundenheit an das Recht greift demnach nur in den Fällen, in denen eine gesetzliche Regelung nicht vorliegt, was z. B. bei rechtsgeschäftlichen Verhältnissen der Fall ist l58 • Einer auf richterlicher Rechtsschöpfung beruhenden Rechtsfortbildung kann auch aus folgendem weiteren Grund nicht zugestimmt werden. Erkennen setzt voraus, daß das, was zu erkennen ist, existiert und nicht erst durch den Erkenntnisprozeß hervorgebracht wird l5'. Dieser erkenntnistheoretische Grundsatz ist für eine empirisch-realistische Erkenntnislehre, wonach die Existenz unabhängig vom Bewußtsein existierender Seiender nicht bestritten wird, grundlegend. Erkennen eines Gegenstandes als "Schöpfungsakt" bzw. als einen "schöpferischen Erkenntnisprozeß" aufzufassen, bei dem der zu erkennende Gegenstand "erstmalig in das Bewußtsein gehoben und dadurch zur Existenz gebracht" werden sollHlo, ist mit der Existenz realer Gegenstände und der Erfahrung nicht zu vereinbaren. Denkbar ist eine "schöpferische Erkenntnis" nur auf der Grundlage einer vorausgesetzten idealistischen Philosophie, nach der es auf reale Verhältnisse und Zustände sowie auf die Erfahrung nicht ankommtl6l • Das wird bestätigt, 155 Vgl. vor allem Wo~f, Festschrift für Schiedermair, S. 558 ff.; Al1g. T., § 17 B 111 (676ff.); Aussperrung, S. 101 ff., 255 ff.; Bicke~, alma mater philippina, 7 ff.; kritisch zur "Rechtsfortbildung" äußern sich auch: Kissel, NJW 1982, 1777 ff.; Hattenhauer, ZRP 1978, 83 ff.; Meilicke, S. 84 ff., 9lf., 94ff. 158 Wo~f, Festschrift für Schiedermair, S. 559; vgl. auch Kissel, NJW 1982, 1780f. 157 Vgl. dazu Wolf, Aussperrung, S. 99 m. w. N. 158 Wolf, Aussperrung, S. 10l. 15. Wolf, Allg. T., § 17 BIll (676f.). 180 Larenz, Methodenlehre, S. 392 m. w. N. 181 Vgl. oben, 2. Kap. I 2.

II!. Teleologisch-normative Reehtsauffassung im Schadensersatzrecht 139 wenn zur Begründung dieser These auf den produktiven Charakter eines juristischen Verstehensprozesses (juristische Hermeneutik), der nichts anderes als eine Spielart der Dialektik Hegels ist, hingewiesen wird 1G2 • Die gegen die richterliche Rechtsfortbildung im allgemeinen vorgebrachten kritischen Einwände richten sich nicht gegen eine analoge Anwendung eines staatlichen Gesetzes, die mit einer richterlichen Rechtsschöpfung oder Rechtsfortbildung vermengt wird l63 . Die analoge Anwendung eines Gesetzes bedeutet die Anwendung eines Gesetzes, das aus einer oder mehreren gesetzlichen Regelungen abgeleitet worden istlM • Im Wege eines so verstandenen Analogieverfahrens wird nicht Recht geschöpft, sondern gegebene Erkenntnisse bzw. Urteile in besonderer Weise miteinander verknüpft, so daß eine neue Erkenntnis daraus folgt. Die Auslegung eines Gesetzes in sprachlicher, systematischer und historischer Hinsicht ist keine richterliche Rechtsschöpfung. Dagegen führt die Anwendung einer teleologischen, insbesondere einer objektiv teleologischen Gesetzesauslegung notwendig zur Vermengung von richterlicher Rechtsschöpfung und Auslegung l65 . Die objektiv-teleologische Auslegung ermöglicht erst die Rechtsschöpfung und fällt mit dieser im Richterspruch zusammenlOG. Mit Anwendung der objektiv-teleologischen Methode werden dem Gesetzesanwender Handlungsspielräume eingeräumt, die mit einer Auslegung eines bestehenden Gesetzes nichts mehr zu tun haben l67 . Das Gesetz und die darin enthaltenen Begriffe werden durch "Zwecke" und "Funktionen" verändert, die mit dem Gesetz nicht im Einklang stehen. Das führt notwendig zu einer "gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung" 168. Rechtsschöpfung und richterliche Rechtsfortbildung beruhen somit auf der Behauptung wünschenswerter, subjektiv gesetzter "objektiver Zwecke". Entsprechend vollzog sich auch die richterliche Rechtsfortbildung im Schadensersatzrecht. Ausgangspunkt war auch hier folgende überlegung: "Das Normverständnis hat sich gewandelt, wir setzten neue 1112 Larenz, Methodenlehre, S. 392 m. w. N.; vgl. auch S. 181 ff., insbesondere S. 189: "Auslegung und Anwendung der Normen als dialektischer Prozeß". 183 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 366 ff. IU Wolf, SehR I, § 2 C VII (75 f.). 1&5 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 350: "Gesetzesauslegung und richterliche Rechtsfortbildung dürfen nicht als wesensverschieden angesehen werden, sondern nur als voneinander verschiedene Stufen desselben gedanklichen Verfahrens". Vgl. auch Esser, Methodik, S. 28. lee Vgl. dazu Mennicken, S. 27, 53, 79. le1 Vgl. auch Eike Schmidt, Normzweck:, S. 143; Wolf, Allg. T., § 9 IV (448 ff.); Bickel, SAE 1981, 130; Hattenhauer, Zivilurteil, S. 88 f. 188 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 351.

140

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

Zwecke"161. An die Stelle des dem Begriff Schadensersatz entlehnten "Ausgleichszwecks" wurden "Zwecke" wie "Prävention", "Rechtsverfolgung", "Buße", "Strafe", "Sanktion", "Billigkeit" u. ä. gesetzt, die dem Schadensersatzrecht nicht zugrundeliegen. Daran ändert sich auch nichts, wenn die genannten "Zwecke" zur "Konkretisierung" des "Ausgleichszwecks" herangezogen werden, weil der "Ausgleichszweck" zur "Konkretisierung" des "Schadensbegriffs" untauglich ist und es deshalb letztlich auf den "Zweck" ankommt, der den "Ausgleichszweck" "konkretisiert". Die Rechtsprechung hat mit der Ersetzung des "Ausgleichszwecks" durch einen "Rechtsverfolgungs-", "Sanktions-", "Präventionszweck" usw. nicht einmal den "Anschein gesetzeskonformer Arbeit" gewahrt170 • Die Rechtsprechung hat vielmehr an die Stelle des Gesetzes (§ 249 BGB) im Rahmen einer objektiv-teleologischen Auslegung ihre eigenen rechtspolitisch erwünschten Zwecke gesetzt, mit denen sie den Schaden im Einzelfall ermittelt. Die §§ 249 ff. BGB werden nicht mehr angewendet. Mit einer Gebundenheit der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) ist das nicht zu vereinbaren. Die Zugrundelegung des "Straf-", "Sanktions-" oder "Präventionszwecks" bedeutet, das "geltende Schadensersatzrecht mit dem Erfolg fortzubilden, daß unter dem Etikett des Schadensersatzes eine Privatstrafe" eingeführt wird. Das ist mit der Verfassung nicht zu vereinbaren (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG)171. Die Rechtsprechung hat bei ihrer Wahl der Wertungsmaßstäbe oder Zwecke und damit ihrer Rechtsschöpfungen im Schadensersatzrecht insoweit noch nicht einmal versucht, sich an die vom Bundesverfassungsgericht gestellten Anforderungen für die richterliche Rechtsfortbildung zu halten172. Nach dem Bundesverfassungsgericht dürfen lediglich "Grundgedanken der von der Verfassung geprägten Rechtsordnungen mit systemimmanenten Mitteln" weiterentwickelt werden173. Bedenken gegen den im Wege richterlicher Rechtsfortbildung "entwickelten" "normativen Schadensbegriff" ergeben sich auch aus deI1 "Konkretisierungsbedürftigkeit" des "normativen Schadensbegriffs" im Einzelfall. Erst durch den Spruch des Gerichts soll der inhaltslose Eike Schmidt, Normzweck, S. 144. Eike Schmidt, Normzweck, S. 144, 153 f. Nach Medicus (StudK-BGB, vor § 249, Anm. 2) haben sich in der Literatur und Rechtsprechung "viele ergänzende Regeln herausgebildet, die im Gesetzestext keinerlei Anhalt fin1.. 170

den".

171 Im einzelnen dazu Wollschläger, NJW 1976, 16, der zutreffend von einer "Kühnheit richterlicher Rechtsschöpfung" spricht. 172 Vgl. auch Schacht, NJW 1981, 1351, und Hagen, JuS 1969, 64; siehe aber auch Hagen, Festschrift für Hauß, S. 102. 173 BVerfG 34, 292.

UI. Teleologisch-normative Rechtsauffassung im Schadensersatzrecht 141 "Arbeitstitel" "normativer Schadensbegriff" "konkretisiert" werden17'. Daraus folgt für die richterliche Rechtsfortbildung des "normativen Schadensbegriffs", daß dieser durch jedes Urteil fortgebildet wird, da jedes Urteil rechtsschöpferisch ist. Richterliche Fortbildung des "normativen Schadensbegriffs" ist somit keine Fortbildung in dem Sinn, daß an die Stelle eines Schadensbegriffs ein anderer Schadensbegriff treten soll, mit dem dann alle Fälle zu beurteilen sind. Bei der richterlichen Fortbildung des "normativen Schadensbegriffs" handelt es sich nicht um das Ergebnis einer Fortbildung, sondern vielmehr um die Einführung eines Schadensbegriffs, mit dem von Fall zu Fall unter Berücksichtigung subjektiv gesetzter Wertungsmaßstäbe, insbesondere Billigkeitserwägungen, ein Schaden behauptet werden kann. Die richterliche Rechtsfortbildung des "normativen Schadensbegriffs" besteht somit in einer Legitimation für eine nicht an Gesetz und Recht gebundene normative Schadensschöpfung des Richters im einzelnen Fall. Art. 20 Abs. 3 GG wäre damit gegenstandslos. Eine Bindung an etwas, das noch nicht feststeht, sondern von dem "Gebundenen" im jeweiligen Fall erst bestimmt wird, kann es nicht geben. Mit der Zulassung einer Schöpfung des "Schadensbegriffs" im Einzelfall durch die Rechtsprechung begibt man sich in eine Abhängigkeit zur Rechtsprechung, die gerade durch Art. 20 Abs. 3 GG verhindert werden soll. In der Rechtsprechung wird versucht, die Einzelfallentscheidungen durch "Fallgruppenbildung" zu verallgemeinern176 • Durch die "Fallgruppen" soll § 249 BGB und seine Anwendung ersetzt werden178 • Damit wird den gerichtlichen Urteilen der Sache nach gesetzesähnliche Bedeutung beigemessen. Das ist mit der im Grundgesetz bestimmten Gewaltenteilung nicht zu vereinbaren177 • Auf die Gesetzgebungsarbeiten zum Bürgerlichen Gesetzbuch kann sich die Rechtsprechung 178 bei einer Fortbildung des Schadensbegriffs zu einem "normativen Schadensbegriff" nicht berufen. Die Gesetzesverfasser haben zwar die Lösung mancher Einzelprobleme, wie z. B. der Vorteilsausgleichung, der Rechtswissenschaft und Praxis überlassen. Deren Lösung ist nach Auffassung der Gesetzesverfasser von der Feststellung des Schadensbegriffs abhängig, dessen festen Inhalt die Gesetzesverfasser nicht durch Gesetz abschließend regeln wollten17'. Daraus kann aber nicht die Befugnis entnommen werden, den Scham Zur "Konkretisierung" vgl. Kaufmann / HassemeT, S. 69; LaTenz, Methodenlehre, S. 459. 175 BGH 77, 154; vgl. auch oben, 2. Kap. III 2 d ce. 178 Vgl. HonseH, JuS 1973, 75. 177 Wolf, Festschrift für Schiedermair, S. 560. 178 BGH 7l, 240. m Motive II, S. 18 f.

142

2. Kap.: Kritik der sachlichen und methodischen Grundlagen

densbegriff als "Arbeitstitel" für eine wertende Betrachtungsweise im Einzelfall aufzufassen, in den von Fall zu Fall rechtspolitisch wünschenswerte Wertungen durch die Rechtsprechung eingehen können l80 • Die in den Motiven enthaltene Aussage beruht lediglich auf der Erkenntnis der Gesetzesverfasser, daß der Begriff des Schadens zur damaligen Zeit in seinen Merkmalen noch nicht endgültig erkannt war und daß der Schadensbegriff deshalb nicht im Gesetz abschließend bestimmt werden sollte. Eine Legitimation für die Rechtsprechung, den Schaden im Einzelfall wertend zu bestimmen, kann den Materialien nicht entnommen werden. Das hätte auch dem Bestreben der Gesetzesverfasser des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die Richtertätigkeit einzuschränken und kontrollierbar zu rnachen 181, widersprochen.

f)

Zusammenfassung

Der "normative" oder "dualistische Schadensbegriff" ist eine Leerformel, die beliebig ausgefüllt werden kann. Ob ein Schaden vorliegt, wird durch eine Wertung im Einzelfall ermittelt. Bei dieser Wertung kommt es der Sache nach entscheidend auf "Billigkeitsgesichtspunkte" ("Ergebniskorrektur") an. Nach der Lehre vom normativen Schaden hängt damit die Frage, ob ein Schaden vorliegt, vom Rechtsgefühl des "Erkennenden" ab. Die Realität des Schadens und die Objektivität seiner Erkenntnis werden abgelehnt. Entsprechendes gilt für den Vermögensschaden und den Inhalt der Schadensersatzpflicht. Nach der Lehre vom normativen Schaden bekommt der Richter die Möglichkeit eingeräumt, über das Vorliegen eines "normativen" Schadens und über den "normativen" Inhalt der Ersatzpflicht von Fall zu Fall frei zu entscheiden. An einen inhaltlich bestimmten Begriffsinhalt und an den Inhalt des § 249 BGB ist der Richter danach nicht gebunden. Mit der Gebundenheit des Richters an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG ist die Lehre vom normativen Schaden nicht zu vereinbaren.

Vgl. auch Schiemann, S. 182. Vgl. dazu Schiemann, S. 279 m. w. N.; Diederichsen, Festschrift für Klingmüller, S. 68. 180

181

Drittes Kapitel

Eigene Auffassung zur Erkenntnis des Schadens und seines Ersatzes auf der Grundlage einer empirisch-realistischen Erkenntnistheorie I. Vorbemerkung

Die von der Rechtsprechung angewandten Schadensbegriffe und Methoden der Schadenserkenntnis und -berechnung haben sich bei näherer Untersuchung als wenig brauchbar erwiesen. Vor allem die verfehlten sachlichen und methodischen idealistischen Grundlagen der von der Rechtsprechung zugrundegelegten Schadenslehren haben zu vielfachen Identifikationen nicht identischer Begriffe und zu einem subjektiven "Schauen", "Fühlen" und "Werten" des Schadens und seines Ersatzes geführt. Der oftmals beklagte "Wirrwarr des schadensersatzrechts", die Nichtanwendung der§§ 249 ff. BGB und eine damit zusammenhängende Rechtsunsicherheit waren die Folge. Grundlage der hier vertretenen eigenen Auffassung bildet die von Ernst Wolf vertretene Lehre vom realen Schaden. Diese Schadenslehre beruht auf einer empirisch-realistischen Erkenntnislehre, die ebenfalls von Ernst Wolf begründet wurde. Bei Zugrundelegung dieses erkenntnistheoretischen Ansatzes für das Schadensersatzrecht ist gewährleistet, daß bei der Erkenntnis des Vorliegens eines Schadens und des dadurch bedingten Inhalts der Schadensersatzpflicht keine subjektiven und damit unkontrollierbaren Erwägungen an Bedeutung gewinnen können. An die Stelle subjektiven Schauens, Fühlens und Wertens tritt gegenstandsbedingtes begriffliches und methodisches Erkennen. Allein auf dieser Grundlage, die mit den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs übereinstimmt, ist eine gesetzmäßige Anwendung der §§ 249 ff. BGB möglich. Bevor eine Klärung der schadensersatzrechtlichen Probleme erfolgt, sollen die eigenen methodischen und erkenntnistheoretischen Grundlagen dargelegt werden 1• Dazu sind allgemeine Ausführungen zur empirisch-realistischen Erkenntnislehre, insbesondere zur Begriffsbildung, voranzustellen. 1 Schiemann (S. 176) hält Wolf vor, "die Bedingung für eine ,Empirie' des Schadens" nicht zu behandeln.

144

3. Kap.: Eigene Auffassung 11. Empirisch-realistische Begrüfsbildung2

Nach empirisch-realistischer Auffassung ist jeder Begriff, jedes Urteil, jedes Gesetz und jede gesetzesähnliche Regel vollständig auf Erfahrung gegründetll. Dies setzt voraus, daß es Seiende gibt, die unabhängig von einer sich darauf beziehenden Bewußtheit oder Denktätigkeit, d. h. real, existieren und einige von diesen realen Seienden, nämlich die körperlichen, sinnlich wahrgenommen werden können". Auf sinnlicher Wahrnehmung beruht unmittelbar oder mittelbar die Begriffsbildung. Diese sinnliche Wahrnehmung, die im Unterschied zur Sinnestäuschung bei methodischer überprüfung weitgehend zuverlässig ist, bedingt, daß im Gehirnzentrum eines Menschen Empfindungen entstehen. Eine Empfindung ist der nervliche Inhalt einer sinnlichen Wahrnehmung, der dem mit dieser wahrgenommenen körperlichen Seienden inhaltlich entspricht. Diese Empfindung ist von den Merkmalen eines Begriffes und dem Begriff selbst zu unterscheiden. Ein Begriff ist eine mit einem Wort oder sonstigen Zeichen bezeichnete Einheit von Merkmalen, die sich auf einen oder mehrere Seiende oder Momente an ihnen beziehen. Von der Empfindung, die im Unterschied zum Begriff bildhaft ist, wird bei der Erkenntnis der Begriffe abstrahiert5 • Abstraktion bedeutet, die sinnlichen Eindrücke in ihrer Verknüpftheit, d. h. Konkretheit, wegzulassent. Sie besteht demnach darin, einen Teilinhalt des Bündels der in der sinnlichen Wahrnehmung enthaltenen Empfindung zu isolieren und ihm (dem Teilinhalt) eine Bezeichnung zu geben. Damit entsteht zugleich im Gehirn des Menschen ein den die sinnliche Wahrnehmung bewirkenden Seienden entsprechender Bezug. Dieser Bezug stellt die Seienden im Inhalt des Gehirnzentrums unkörperlich dar, ist mit diesen Seienden, die seine Gegenstände sind, aber nicht identisch. Der entstandene Bezug kann gemerkt, durch Zerlegung in die in ihm enthaltenen Merkmale inhaltlich bestimmt werden, er kann erinnert, mit anderen Bezügen verglichen und verknüpft ! Vgl. zur empirisch-realistischen Philosophie von Ernst Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 25ff.; Allg. T., § 1 VI (20ff.); Der freie Raum, S. 25 ff. a Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 35 ff. , Wolf, Der freie Raum, S. 26; Marxistische Wissenschaft, S. 94; vgl. auch Bickel, Auslegung, S. 12; Tripp, Der Einfluß des naturwissenschaftlichen, philosophischen und historischen Positivismus auf die deutsche Rechtslehre im 19. Jahrhundert, piss. Marburg, erscheint demnächst. fi Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 26. Den dort gebrauchten Ausdruck ErscheinUng hat Wolf in seiner Vorlesung Ontologie inzwischen durch Empfindung ersetzt. e Wolf, unveröffentlichte Vorlesung Ontologie, (WS 1977/78). Davon sind die Abbildtheorien zu unterscheiden (vgl. dazu Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 93 ff.).

H. Empirisch-realistische Begriffsbildung

145

werden, er kann aber auch auf andere Seiende angewandt werden, die die gleiche Wahrnehmung bewirken. Der Bezug macht das Wesen des Wahrnehmungsbegriffes aus7 • Für den Begriff folgt daraus, daß dieser notwendig abstrakt, d. h. nur aus wenigen, gleichartigen, in einfacher Weise miteinander verknüpften Teilinhalten zusammengesetzt ist. Zum anderen folgt daraus die Objektivität des Begriffes, d. h. seine ausschließliche Bedingtheit durch den Gegenstand bzw. durch die Arten der Gegenstände. Durch die Objektivität (Gegenstandsbedingtheit) ist gewährleistet, daß die auf diese Weise erkannten Begriffe und Merkmale für alle Menschen die gleichen sind und nicht durch Menschen ichhaft (subjektiv) änderbar sind8 • Dies ist zudem grundlegend dafür, daß es eine Verständigung zwischen Menschen und eine objektive Erkenntnis geben kann'. Von den unmittelbaren wahrnehmungsbedingten Begriffen sind die mittelbar wahrnehmungsbedingten Begriffe, die sog. Reduktionsbegriffe, zu unterscheiden. Diese werden durch Zerlegung mehrerer Wahrnehmungsbegriffe in ihre gemeinsamen Merkmale (Analyse) und logisches Schließen auf ein darin enthaltenes gleiches Merkmal erkannt. Der allgemeine Begriff, der aus den in den Wahrnehmungsbegriffen enthaltenen und herausgelösten gleichen Merkmalen zu einer neuen Einheit abgeleitet wird, ist der Artbegriff. Der Gattungsbegriff entsteht durch weitere Reduktion. Ermöglicht wird das Reduktionsverfahren dadurch, daß sich die Merkmale eines Wahrnehmungsbegriffs, bedingt durch ihre Abstraktheit, inhaltlich auf eine unbestimmbare Menge von Seienden in verschiedenen Begriffen beziehen können. Durch das Reduktionsverfahren können nicht nur immer allgemeinere Begriffe bis zum allgemeinsten Begriff Seiendes (Sein) erkannt werden, sondern es entspricht auch der Erkenntnis, daß alle Begriffe inhaltlich miteinander zusammenhängen1o. Aufgrund dieses inhaltlichen Zusammenhangs aller Begriffe, die nach dem Grad ihrer Allgemeinheit gestuft sind, ist es auch möglich, Begriffe durch Angeben der Gattungs- und Artmerkmale bzw. Individualmerkmale in einem Urteil zu definieren. Ohne derartige Definitionen ist wissenschaftliche Arbeit nicht denkbarl l . Das Gesamtsystem aller inhaltlich miteinander zusammenhängenden Begriffe mit dem Begriff Seiendes als allgemeinsten Begriff an der Spitze kann Begriffspyramide genannt werden12 • Diese BegriffspyraWolf, Marxistische Wissenschaft, S. 28 f. Wolf, Marxistische Wissenschaft, S. 27 f. g Wolf. Marxistische Wissenschaft. S. 26. 10 Wolf. Marxistische Wissenschaft. S. 29 f. 11 Wolf. Marxistische Wissenschaft. S. 31 f. I! Wolf. Marxistische Wissenschaft, S. 31. 7

8

10 Wilk

146

3. Kap.: Eigene Auffassung

mide darf nicht mit den naturrechtlichen Systemen oder gar mit der sog. "Genealogie der Begriffe" im Sinne Puchtas verwechselt werden. Puchta hat die Begriffe ausschließlich aus dem kantischen Freiheitsbegriff deduziert, womit die Begriffe keinerlei Bezug zur sinnlichen Wahrnehmung aufweisen, sondern der Sache nach lediglich apriorische Konstruktionen im Sinne Kants sind. Dagegen beruhen nach der hier vertretenen empirisch-realistischen Auffassung nicht nur die Wahrnehmungsbegriffe, sondern auch die Reduktionsbegriffe auf sinnlicher Wahrnehmung, was sich aus ihrer Bedingtheit durch die Wahrneh.. mungsbegriffe ergibt. Hinzu kommt, daß durch das Reduktionsverfahren bei der Begriffsbildung gewährleistet ist, daß das Allgemeine (der Gattungsbegriff) im Besonderen (dem Artbegriff) enthalten ist. Nach der idealistischen Konstruktionsjurisprudenz ist statt dessen das Besondere im Allgemeinen enthalten, woraus notwendig die (Teil)Identifikation dieser Begriffe folgt. Ebenso wie die Begriffe beruhen auch Urteile als Verknüpfungen von Begriffen zu einer Seinsbehauptung auf der Erfahrung l3 • Entspricht das Urteil, das ein Mensch in bezug auf einen Gegenstand denkt, diesem Gegenstand, so handelt es sich um ein wahres Urteil. Wahr kann das Urteil danach nur sein, wenn der Gegenstand als das beurteilt wird, was er ist, und so beurteilt wird, wie er ist. Die Wahrheit eines Urteils ist demnach ausschließlich durch den Gegenstand bedingt, auf den er sich bezieht, und hängt ebenfalls wie der Begriff nicht von subjektiv gesetzten Zwecken, Interessen, Ideologien usw. ab l4 • Erkennen ist begründet wahres Beurteilen eines Gegenstandesl6 • Das Verfahren, gegebene Kenntnisse gemäß den allgemeinen Bedingungen des Erkennens von Gegenständen einer bestimmten Art zur Erlangung einer Erkenntnis über einen Gegenstand so miteinander zu verknüpfen, daß die gesuchte Erkenntnis daraus folgt, ist eine Erkenntnismethode. Entsprechend der Gegenstandsbedingtheit des Begriffs, des Urteils und damit des Erkennens hängt auch die Erkenntnismethode ausschließlich von der Art des zu erkennenden Gegenstandes ablt. Das ist die methodische Grundthese einer empirischrealistischen Erkenntnislehre17, die damit im Gegensatz zur idealistischen apriorischen und dialektischen Methode stehtl8 . 13 1&

15

18

Wotf, Marxistische Wissenschaft, S. 26, s. a. S. 32. Wotf, Marxistische Wissenschaft, S. 32 f. Wotf, Marxistische Wissenschaft, S. 26. Wotf, Marxistische Wissenschaft, S. 34; vgl. auch Allg. T., § 9 A II e

(430 f.). 17 Vgl. dazu auch Baumgarten, S. 9 ff. 18 Vgl. oben, 2. Kap. I 3 und 4.

III. Einzelnachteile statt Ganzheitsschaden

m.

14'1

EinzelnachteiIe statt Ganzheitsscb.aden

Ausgangspunkt für manche "willkürliche Distinktionen"1' im Schadensersatzrecht ist die konsequente Anwendung des Interessebegriffs, wonach der Schaden in einer abstrakten einheitlichen Wertdifferenz zweier einheitlicher Vermögenswerte als Ganzheiten bestehen soll. Die Realität einzelner Nachteile wird damit der Sache nach verneint, da nur die Minderung des Vermögens als Ganzem maßgeblich sein soll. Vor allem diese mit der Anwendung des verfehlten Interessebegriffs verbundene Verneinung realer Nachteile und die damit zusammenhängenden Konsequenzen waren für Rechtsprechung und Lehre Anlaß, den Interessebegriff teilweise nicht anzuwenden oder nur auf sog. mittelbare Schäden zu beschränken. Im Unterschied zu der auf einer idealistischen Ganzheitslehre beruhenden Gesamtvermögensdifferenztheorie ist der Schaden keine ideale, durch einen Umstand bedingte "Einheit", sondern besteht aus einzelnen individuellen, realen Nachteilen. Durch die individuelle Begründetheit der einzelnen Nachteile in ein und demselben Umstand hängen diese Nachteile inhaltlich miteinander zusammen20 und bilden - soweit mehrere einzelne, durch den Umstand begründete Nachteile vorliegen - in ihrer Gesamtheit den Schaden. Der Schaden ist danach einer oder mehrere in einem Umstand begründete einzelne individuelle Nachteile. Der sich darauf beziehende Begriff des Schadens enthält also weder das Merkmal "Differenz"21 noch das Merkmal Vermögen. Die hier vertretene Definition des Schadensbegriffs nach der sich der Schaden aus einzelnen individuellen gegenständlichen Nachteilen zusammensetzt=, steht in voller Übereinstimmung mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch23 • Dies ergibt sich nicht nur aus den Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch24 , sondern folgt auch aus der in § 249 S. 1 BGB geregelten Naturalrestitution, besser Sachherstellung, bei der vorausgesetzt ist, daß der als Schadensersatz geschuldete Ausgleich den Ersatz eines oder einer Mehrheit von realen gegenständlichen Nachteilen um1. Keuk, S. 24.

20 Zur Lehre vom Bedingungs- und Begründungszusammenhang vgl. Wolf, SehR I, § 4 G II e 2 bb (200 ff.). 21 So auch Watsmann, S. 29. 22 Vgl. dazu auch Keuk, S. 24, 31 f.; Becker, S. 116 ff. U Vgl. aber auch Mertens, S. 68. U Vgl. oben, 2. Kap. II 5 und Protokolle I, S. 296: "Verstehe man unter

Schaden jeden wirthschaftlichen Nachtheil und unter Ersatz die Ausgleichung dieses Nachtheils". s. a. Esser I Schmidt, § 31 I (129 f.): "Die BGB-Autoren" haben "gegenständlich gedacht. Es stand für sie außer Frage, daß jemand geschädigt sei, dem die Fensterscheibe eingeworfen, das Hemd zerrissen oder die Nase blutig geschlagen wurde". 10·

148

3. Kap.: Eigene Auffassung

faßt, die in demselben Umstand begründet sind. Darauf, ob die Nachteile unmittelbar oder mittelbar begründet sind, kommt es nicht an26 • Ernst Wolf definiert den Begriff Schaden als "die in einer Störung begründeten Nachteile für einen Menschen"l!G. Diese Definition des Schadens stimmt mit der hier vertretenen Auffassung darin überein, daß es sich beim Schaden nicht um eine ideale "Einheit" handeltl!7, sondern der Schaden notwendig aus einzelnen individuellen gegenständlichen Nachteilen besteht. Nicht zugestimmt werden kann Wolf allerdings darin, daß die Nachteile in einer Störung, d. h. mit einem Ordnungsverhältnis nicht zu vereinbarenden Sachverhalt, begründet sein müssen, und daß ein nicht in einer Störung begründeter Nachteil, z. B. daß ein Mensch kurze Beine habe, kein Schaden sei28 • Dabei wird übersehen, daß jeder individuelle Nachteil notwendig ein Schaden ist, soweit er in einem Umstand begründet ist. Inhaltlich besteht zwischen Schaden und individuellem Nachteil kein Unterschied. Der Schaden ist insbesondere kein Artmerkmal des Nachteils. Mit dem Begriff Schaden werden lediglich alle in einem Umstand begründeten individuellen Nachteile zusammenfassend bezeichnet29 • Auf das von Wolf angegebene Unterscheidungsmerkmal von Nachteil und Schaden "in einer Störung begründet" kommt es deshalb nicht an. Dies zeigt sich insbesondere auch an dem von Wolf genannten Beispiel. Dabei setzt Wolf voraus, daß ein Mensch, der kurze Beine habe, einen individuellen Nachteil erlitten hat, was aber nicht der Fall ist. Das Vorliegen eines individuellen Nachteils setzt voraus, daß ein Mensch - wie noch näher dargelegt wird - in bezug auf einen Gegenstand eine Einbuße einer individuellen Möglichkeit personhaften Existierens erlitten hat. Daraus ergibt sich, daß die Möglichkeit personhaften Existierens, in deren Einbuße ein individueller Nachteil bestehen soll, individuell für den betroffenen Menschen und nicht generell bestanden haben muß. Ein Mensch, der aufgrund seiner genetischen Anlagen gar nicht diese individuelle Möglichkeit hat, lange Beine zu haben, kann diese individuelle Möglichkeit auch nicht einbüßen. Ein individueller Nachteil liegt somit nicht vor. Damit ist auch das die Begriffe Schaden und individueller Nachteil unterscheidende Merkmal "in einer Störung begründet" ohne Bedeutung. Der Schaden bezieht sich seinem Begriff nach auf alle in einem Umstand begründeten Nachteile, die, soweit sie in einem tatbestandsmäßi25 28 27 28

29

Motive H, S. 18 f. Wolf, SchR I, § 4 G H a 1 (173). Wolf, SchR I, § 4 G II f 2 bb (218 f.). Wolf, SehR I, § 4 G II a 2 ee (179). So auch Wolf, Festschrift für Schiedermair, S. 576.

III. Einzelnachteile statt Ganzheitsschaden

149

gen Umstand begründet sind, auch zu ersetzen sindoo . Der Schaden umfaßt damit sowohl die entstandenen, d. h. tatsächlichen Nachteile als auch die künftigen mutmaßlichen Nachteile. Ein mutmaßlicher Nachteil ist ein Nachteil, der aufgrund gegenwärtiger Bedingungen hypothetisch eingetreten wäre, d. h. der Wahrscheinlichkeit nach begründet ist, wie z. B. der mutmaßlich entgangene Gewinn. Auch dieser künftige, möglicherweise eintretende Nachteil ist, soweit er in dem Umstand begründet ist, ein Schaden. Dieser Erkenntnis entspricht auch die Regelung des § 252 BGB sowie die Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Daraus geht hervor, daß sowohl der Ersatz der positiven Einbuße als auch der des entgangenen Gewinns, geschuldet wird31. Da sich der Schaden seinem Umfang nach nicht nur auf tatsächliche, sondern auch auf mutmaßliche einzelne Nachteile bezieht, ist es für die methodische Erkenntnis, ob und in welchem Umfang der Schaden entstanden ist, unumgänglich, festzustellen, welcher Sachverhalt ohne den schädigenden Umstand eingetreten wäre und welche Nachteile im Unterschied zu den Ergebnissen des hypothetischen Zustands real entstanden sind32 • Bei der dabei durchzuführenden Methode des Vergleichs des real bedingten Zustands mit dem hypothetisch bedingten Zustand handelt es sich um ein methodisches Hilfsmittel zu der Erkenntnis, welche Nachteile durch das schädigende Ereignis bedingt wurden, d. h. des Kausalablaufs. Das methodische Hilfsmittel des Vergleichs ähnelt insoweit der methodischen Erkenntnis eines Bedingungszusammenhangs, wobei geprüft wird, ob ein Ereignis hinweggedacht werden kann, ohne daß das andere entfällt33. Die Anwendung der Methode des Vergleichs zur Erkenntnis der Bedingtheit des realen Schadens, die von der Vergleichsmethode zur Erkenntnis des Inhalts der Schadensersatzpflicht nach § 249 BGB zu unterscheiden ist, dient ausschließlich dazu, den größtmöglichen Grad der Gewißheit einer Erkenntnis zu erreichen. Erkenntnisfehler sollen damit soweit wie möglich ausgeschlossen werden. Es handelt sich bei dem genannten Vergleich somit nicht um den Vergleich zweier ganzheitlicher Vermögenswerte im Sinne der Gesamtvermögensdifferenztheorie, wonach der Schaden durch die Vergleichsmethode erst "konstituiert" wird. Es ist deshalb auch nicht möglich, daß durch die Methode 3(} Wolf, SchR I, § 4 G II a 2 gg (179); vgl. auch Oertmann, Vorteilsausgleichung, S. 31. 31 Vgl. Motive II, S. 17; Keuk, S. 19. 3!! Wolf, Festschrift für Schiedermair, S. 577 f.; SehR I, § 4 G II f 2 ce (219); gg (222). Von einem tatsächlichen Geschehensablauf zu sprechen, wie das Wolf (SchR I, § 4 G II f 2 gg [222]) macht, empfiehlt sich allerdings nicht, da ein entgangener Gewinn kein tatsächlicher Nachteil ist. 33 Wolf, SchR I, § 4 G II f 2 gg (222 f.). In diesem Sinne beruft sich wohl auch Larenz (NJW 1950, 491) auf die Methode des Vergleichs.

3. Kap.: Eigene Auffassung

150

des Vergleichs zur Feststellung der Bedingtheit der realen Nachteile in dem schädigenden Ereignis ein entstandener Nachteil entfallen kannM . IV. Der Begriff des individuellen und realen Nachteils Nachteilig für einen Menschen ist nach Ernst Wolf "jede Einbuße und jedes Nichterlangen von Möglichkeiten, sich als personhaftes Lebewesen (Person) zu erhalten, zu entfalten und zu vermehren sowie als entscheidungsfähiger Mensch (persönlichkeit) über die in ihm oder in äußeren Bedingungen seines Existierens eingetretenen Erfolge selbst zu entscheiden"36. Der Nachteil besteht nach Wolf danach in der Einbuße oder Nichterlangungse von Möglichkeiten für einen Menschen, die man als Möglichkeiten personhaften Existierens bezeichnen kann8'7. Dabei handelt es sich bei jeder einzelnen Möglichkeit des personhaften Existierens, die Gegenstand der Einbuße ist, um eine individuell bestehende oder der Wahrscheinlichkeit nach bestehende Möglichkeit für einen individuell bestimmten Menschen. Die genannte Definition bezieht sich mithin auf einen individuellen Nachteil. Der Nachteil besteht nach Wolf in der Einbuße oder der Nichterlangung von Möglichkeiten personhaften Existierens, insbesondere Entscheidungsmöglichkeiten, die durch einen oder mehrere Gegenstände bedingt sind. Damit hat Wolf zutreffend herausgearbeitet, daß der Nachteil nicht in der "Vernichtung oder Minderung eines Rechtsgutes"38 oder der "konkreten Einbuße", die "das Rechtssubjekt an seinem Vermögen in Gestalt des Verlustes oder der Beschädigung einzelner Vermögensbestandteile erleidet"lI', besteht, sondern in der durch einen M Nach Coing, SJZ 1950, 869 und RG 144, 84 kann "nach den Grundsätzen der Logik" ein einmal entstandener Schaden bzw. eine Schadensersatzpfticht nicht mehr beseitigt werden. Vgl. aber auch Lemhöfer, JuS 1966, 339. lIS Wolf, SchR I, § 4 G II a 2 aa (173). ~ Das Merkmal Nichterlangung von Möglichkeiten ist entgegen der Auffassung Wolfs entbehrlich. Das ergibt sich daraus, daß es sich bei den Möglichkeiten personenhaften Existierens, die Gegenstand der Einbuße sind, sowohl um tatsächlich bestehende als auch um künftige Möglichkeiten handeln kann. Das entspricht zwar nicht dem Sprachgebrauch, nach dem der Ausdruck Einbuße auf ein gegenwärtig Vorhandenes bezogen wird, ist aber ontologisch zutreffend, weil auch künftige Möglichkeiten existieren. Zur Einbuße einer künftigen Möglichkeit ist allerdings erforderlich, daß sie ihrer Wahrscheinlichkeit nach begründet ist. 37 Wolf, Festschrift für Schiedermair, S. 574; zu den Begriffen personhaftes Existieren und Persönlichkeit vgl. im einzelnen Wolf, Allg. T., § 1 A II b (5 ff.). 38 Staudinger / Werner, Vorbem. vor §§ 249 - 255, Rn. 9; vgl. auch Planck / Siber, § 249, 2 (67); Enneccerus / Lehmann, § 14 a (58).

39

Walsmann, S. 16.

IV. Der Begriff des individuellen und realen Nachteils

151

Gegenstand, sei es ein Vermögens- oder Nichtvermögensgegenstand, bedingten individuellen Möglichkeit des Existierens für einen Menschen. Zwar wird in der Zerstörung oder Einbuße eines Gegenstandes, der eine Entscheidungsmöglichkeit für einen Menschen bedingt, zugleich eine Einbuße dieser Möglichkeit selbst liegen. Da die Einbuße des Gegenstandes jedoch nicht notwendig mit der Einbuße an Möglichkeiten des personhaften Existierens, die u. a. durch eine Entscheidung des Menschen bedingt sein kann40 , zusammenfällt, kommt es auf die Einbuße des Gegenstandes selbst nicht an. Dies zeigt sich schon daran, daß die Einbuße einer Entscheidungsmöglichkeit für einen Menschen nicht nur durch eine Einbuße des Gegenstandes, sondern auch in einer Verbesserung eines Gegenstandes bestehen kann, wenn die Verbesserung des Gegenstandes dem Menschen eine Entscheidungsmöglichkeit nimmt. Es ergibt sich auch daraus, daß nicht jede Zerstörung eines Gegenstandes eine Einbuße personhaften Existierens bedeuten muß. Das ist z. B. dann der Fall, wenn die Beeinträchtigung des Gegenstandes aufgrund einer Entscheidung des Berechtigten erfolgte. Hinzu kommt, daß es mit der Definition des Nachteils als Einbuße eines Gegenstandes nicht gelingt, die Belastung eines Menschen mit einer Verbindlichkeit als Nachteil zu erfassen41 • Nach der hier vertretenen Definition ist die Belastung mit einer Verbindlichkeit dagegen eine Einbuße einer Entscheidungsmöglichkeit und mithin ein Nachteil. Damit entfällt zugleich der gegen die Definition eines realen Einzelnachteils vorgebrachte Haupteinwand. Daß der Nachteil nicht notwendig in der Einbuße eines Gegenstandes zu liegen braucht, ergibt sich aus der möglichen Entscheidungsbedingtheit des Nachteils42. Dem liegt zugrunde, daß ein Nachteil nur dann eintreten kann, wenn zwischen Mensch und Gegenstand ein individuelles Verhältnis mit dem Inhalt besteht, daß dieser Gegenstand individuelle Möglichkeiten personhaften Existierens für diesen Menschen bedingt. Dieses Verhältnis ist seinem Inhalt nach nicht nur durch die Art und Beschaffenheit des individuellen Gegenstands bedingt, sondern kann auch durch individuell bestimmte Entscheidungen des Menschen inhaltlich bedingt sein43 • Die Möglichkeiten des personhafWolf, SehR I, § 4 G 11 2 ce (175); Festschrift für Sch.iedermair, S. 574 f. Vgl. dazu Hagen, Drittschadensliquidation, S. 163. 41 Die mögliche Entsch.eidungsbedingtheit der Verhältnisse und damit des Nachteils bedeutet nicht, daß schon dann ein Nachteil vorliegt, wenn der betreffende Mensch ichhaft (subjektiv) meint, er habe einen solchen erlitten. Ein Entschluß kann zwar nur subjektiv gefaBt werden. Darauf kommt es aber nicht an. Es kommt nur auf das durch den Entsch.luß hergestellte oder bedingte Verhältnis an (Wolf, Festschrift für Schiedermair, S. 574 Fn. 108), das deshalb auch "objektive äußere Beziehung" genannt wird (Mauczka, 40

41

S.28). 43 Wolf, SehR I, § 4 G 11 2 ce (174 f.); Festschrift für Sch.iedermair, S. 574 f.

3. Kap.: Eigene Auffassung

152

ten Existierens, insbesondere die Entscheidungsmöglichkeiten, die aus diesem individuellen oder "subjektbezogenen"44 Verhältnis zwischen Person und Gegenstand folgen, hängen somit sowohl vom Gegenstand als auch von den von dem Menschen getroffenen individuellen Entscheidungen ab. Die für einen Menschen eintretende Einbuße einer individuellen Möglichkeit und somit der Nachteil ist damit auch durch die von ihm über einen Gegenstand getroffenen individuellen Entscheidungen bedingt46. Für das Vorliegen eines individuellen Nachteils, der von Mensch zu Mensch verschieden ist, kommt es deshalb z. B. darauf an, ob der Mensch den betreffenden Gegenstand zum Gebrauch, Verbrauch, Verkauf oder zur Vernichtung bestimmt hat, da nur dementsprechende individuelle Entscheidungsmöglichkeiten eingebüßt werden können. Wenn ein Gegenstand dem Gebrauch gewidmet ist, liegt bezüglich des möglicherweise bei Verkauf des Gegenstandes eintretenden merkantilen Minderwerts kein tatsächlicher Nachteil vor, sondern allenfalls ein, der Wahrscheinlichkeit nach zu erwartender, entgangener Gewinn. Ebenfalls kein Nachteil entsteht einem Menschen, wenn ihm Gebrauchsmöglichkeiten während der Reparaturzeit eines beschädigten Gegenstandes entgehen, er den Gegenstand während der Reparaturzeit jedoch nicht hätte nutzen wollen oder können46 • Nach der von Wolf gegebenen Definition des individuellen Nachteils gehört zum Begriff Nachteil sowohl der Gegenstand als auch das Verhältnig47, das auch als "objektive äußere Beziehung eines Menschen zu einem Gute" bezeichnet wird 48 • Um einerseits dieses Verhältnis von Mensch zu Gegenstand oder mehreren in besonderer Weise zusammenhängenden Gegenständen und die Bedingtheit der Möglichkeiten des personhaften Existierens durch dieses Verhältnis zu verdeutlichen, andererseits um zum Ausdruck zu bringen, daß es sich bei diesen Möglichkeiten um real bedingte und nicht um metaphysische Möglichkeiten, wie z. B. solche des Glaubens handelt, sollte man die von Wolf aufgestellte Definition des Nachteils durch das Merkmal in bezug auf einen oder mehrere in besonderer Weise miteinander zusammenhängenden Gegenständen ergänzen. Ein Nachteil ist danach eine in bezug auf 44 Vgl. dazu BGH 45, 219. Vgl. auch Rinne, S. 56 f., der aber unzutreffend meint, es handele sich um ein "Wertverhältnis" und beim Nachteil um eine "Wertminderung"; vgl. dazu Wolf, Festschrift für Schiedermair, S. 575 f. 45 Die hier vertretene Auffassung von der Individualität des Nachteils ist somit von der behaupteten Individualität des Interessebegriffs zu unterscheiden, wonach die Individualität in der Minderung des individuellen Vermögens als Ganzheit bestehen soll. Daß diese Auffassung, die auf der Ganzhietslehre beruht, nichts mit dem individuellen Schaden zu tun hat, wurde dargelegt (vgl. oben, 2. Kap. II 2 b ee). 48 So auch BGH 45,219; Wolf, SchR I, § 4 G II f 3 dd (239). 47 Wolf, SchR I, § 4 G II a 2 ee (174); Festschrift für Schiedermair, S. 574. 48

Mauczka, S. 28.

IV. Der Begriff des individuellen und realen Nachteils

153

einen oder mehrere in besonderer Weise miteinander zusammenhängende Gegenstände eintretende Einbuße einer individuellen Möglichkeit personhaften Existierens. Diese Definition empfiehlt sich um so mehr, wenn man berücksichtigt, daß in der Art des Gegenstands, in bezug auf den die Einbuße eintritt, das Unterscheidungsmerkmal von Nachteil und Vermögensnachteilliegt. Als Merkmal des Begriffs Nachteil ist der Ausdruck Gegenstand in seiner allgemeinsten Bedeutung zu verstehen. Unter Gegenstand ist jeder Gegenstand gemeint, der Bedingung der Möglichkeit des Erhaltens, Entfaltens oder Fortpftanzens eines Menschen als Person und Gegenstand menschlicher Einwirkung sein kann 49 • Es kann sich bei dem einzelnen Nachteil um einen solchen in einem körperlichen oder geistigen Bestandteil eines Menschen oder in Gegenständen außerhalb eines Menschen, wie z. B. Sachen, Sachbestandteilen oder rechtlichen Verhältnissen handeln. Als Beispiel für mehrere, in besonderer Weise mit-einander zusammenhängende Gegenstände kann eine Bibliothek oder ein Betrieb genannt werden, bei denen es sich nicht um ein "Ganzes", sondern um eine Gruppe von einzelnen Gegenständen unter einer Sammelbezeichnung (Gesamtheit) handelt50 • Auf einen "Schutz" durch die Rechtsordnung kommt es für den Gegenstand, in bezug auf den die Einbuße für einen Menschen eintritt, nicht an51 • Ebensowenig darf Gegenstand mit Vermögensgegenstand gleichgesetzt werden, da dies gleichbedeutend mit der Gleichsetzung von Schaden und Vermögensschaden wäre. Das würde jedoch zur Verneinung aller in Nichtvermögensgegenständen eintretenden Nachteile, d. h. Nichtvermögensschäden, führen, was der begrifflichen Systematik von Schaden, Vermögensschaden und Nichtvermögensschaden und damit dem Bürgerlichen Gesetzbuch widersprechen würde. Sowohl der Gegenstand, in bezug auf den die Einbuße eintreten kann, wie auch der Nachteil existieren real. Realität des Gegenstandes bedeutet dabei nicht Körperlichkeit und damit nicht unmittelbar sinnliche Wahrnehmbarkeit des Gegenstandes. Ein realer Gegenstand ist vielmehr jeder Gegenstand, der unabhängig vom Bewußtsein des Menschen existiert. Dementsprechend ist auch der Nachteil als Zustand real. Es handelt sich somit beim Nachteil nicht um ein "Gedankending", welches nur "geschaut" oder "gefühlt" werden könnte. An der Realität des Gegenstandes und des Nachteils ändert sich auch dann nichts, wenn es sich bei dem betroffenen Gegenstand um einen nicht sinnlich wahrnehmbaren Gegenstand handelt, wie dies z. B. bei recht40

50

&1

Vgl. dazu Wolf, Allg. T., § 2 H I b 1 dd (165). Wolf, SchR I, § 4 G 11 a 2 dd (178). Vgl. oben, 2. Kap. 111 1 d aa.

154

3. Kap.: Eigene Auffassung

lichen Verhältnissen oder sogenannten immateriellen Gütern der Fall ist. Der Gegenstand existiert in diesen Fällen ebenso wie der Nachteil unabhängig vom Bewußtsein eines Menschen, sei es das des Geschädigten selbst oder das eines Richters. Um einen realen gegenständlichen Nachteil handelt es sich auch im Fall des Verlusts eines wahrscheinlich eingetretenen Gewinns, bei dem es sich um einen in dem Umstand begründeten mutmaßlichen Nachteil handelt. Die Realität des Nachteils ist dabei von seiner Tatsächlichkeit zu unterscheiden. Eine Tatsache ist ein entstandenes SeiendesMl. Tatsächlich ist ein Nachteil ebenso wie der Gegenstand, in dem er eintritt, folglich dann, wenn er entstanden ist. Um einen tatsächlichen Nachteil handelt es sich beim mutmaßlich entgangenen Gewinn nicht. Ein mutmaßlicher Nachteil ist ein Nachteil, der aufgrund gegenwärtiger Bedingungen hypothetisch wahrscheinlich eingetreten wäre. Die Nichttatsächlichkeit eines mutmaßlich eingetretenen Nachteils ändert jedoch nichts an seiner Realität. Die Erkenntnis, ob ein Schaden vorliegt, erfolgt ausschließlich durch Anwendung der in der Definition des Begriffs Nachteil genannten, durch den realen Gegenstand Nachteil bedingten, inhaltlich bestimmten Begriffsmerkmale. Es handelt sich mithin um ein ausschließlich gegenstandsbedingtes (objektives) Erkennen eines realen Nachteils. Damit unterscheidet sich die hier auf einer empirisch-realistischen Erkenntnislehre beruhende Erkenntnis des Nachteils schon ihrem Ansatz nach von der Anwendung des konstruierten apriorischen, nicht in der Erfahrung begründeten Begriff des Interesses, wonach das Vorliegen des Schadens als einheitliche Wertdifferenz einfach ausgerechnet werden und ohne den Vergleich zweier einheitlicher Vermögenswerte keine Existenz haben soll. Bei der Erkenntnis, ob ein Nachteil vorliegt, ist eine genaue Analyse der individuell bedingten Möglichkeiten personhaften Existierens, die von Fall zu Fall verschieden sind, erforderlich. Das bedeutet aber nicht, daß es sich dabei um eine Wertung im Einzelfall im Sinne der idealistisch geprägten teleologisch normativen Schadensauffassung handelt. Nach diesen Lehren, nach denen der Schaden unter Berücksichtigung sogenannter "objektiver Zwecke", "Ideen", "Funktionen" oder anderer subjektiver nicht begründbarer "Wertmaßstäbe" erfolgen soll und der Begriff als "feste Größe" verneint wird, ist eine gegenstandsbedingte Erkenntnis eines realen Nachteils bzw. Schadens schon dem Ansatz nach ausgeschlossen.

51

Wolf, Allg. T., § 1 V b (66).

V. Der Vermögensschaden als Schaden besonderer Art

155

V. Der Vermögensschaden als Schaden besonderer Art

Vom Begrüf des Schadens ist der Begriff des Vermögensschadens als Schaden besonderer Art zu unterscheiden. Während der Begriff des Schadens sich auf alle Nachteile, d. h. Vermögens- und Nichtvermögensnachteile, gleichermaßen bezieht, bezieht sich der Begriff des Vermögensschadens nur auf eine bestimmte Art von Nachteilen, nämlich auf die Gesamtheit aller in einem Umstand begründeten Vermögensnachteile. Diese Unterscheidung entspricht nicht nur der begrifflichen Systematik, wonach sich der Artbegriff vom Gattungsbegriff unterscheidet, sondern auch der Systematik des Bürgerlichen Gesetzbuchs, nach der die Begriffe Schaden und Vermögensschaden nicht identifiziert werden. Das Unterscheidungsmerkmal zwischen Schaden und Vermögensschaden liegt in der Art der vorliegenden Nachteile. Der Vermögensschaden ist eine Gesamtheit von Vermögensnachteilen. Um einen Vermögensnachteil handelt es sich, wenn für einen Menschen eine Einbuße an Möglichkeiten personhaften Existierens in bezug auf einen oder mehrere in besonderer Weise miteinander zusammenhängende Vermögensgegenstände besteht. Tritt die Einbuße nicht in bezug auf einen Vermögensgegenstand, sondern in einem Gegenstand anderer Art ein, handelt es sich um einen Nichtvermögensnachteil53• Der Vermögensnachteil tritt nicht in einem Vermögen als idealer Ganzheit oder Werteinheit ein, wie es von den Vertretern der Gesamtvermögensdifferenztheorie unzutreffend behauptet wird. Der Vermögensnachteil kann nur einen einzelnen oder mehrere in besonderer Weise miteinander zusammenhängende einzelne Vermögensgegenstände betreffen. Aus einzelnen, miteinander zusammenhängenden Gegenständen besteht z. B. eine Gesamtheit wie ein Betrieb oder das gesamte Vermögen. Eine Einbuße in bezug auf das gesamte Vermögen bezieht sich auf die Gesamtheit aller einzelnen Vermögensgegenstände. Es handelt sich dabei um eine Einbuße an Möglichkeiten des Existierens eines Menschen in bezug auf einzelne Vermögensgegenstände, die zum Vermögen eines Menschen gehören. Zwar liegt darin zugleich eine Minderung seines gesamten Vermögens, aber nicht eine Minderung des Vermögens als Ganzheit, wie das nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie der Fall sein soll. Daß der Nachteil nur in einzelnen Gegenständen eintreten kann, entspricht dem Wesen des Vermögens, welches kein "überindividuelles Ganzes", sondern eine Gesamtheit aller dinglichen Gegenstände (Dinge) ist, über die ein Mensch verfügen kann. Das Vermögen umfaßt sowohl 53

Wolf, SchR I, § 4 GIlb 1 (180).

156

3. Kap.: Eigene Auffassung

das Vermögen im rechtlichen als auch im wirtschaftlichen SinneM • Da es nach dem Begriff des Vermögensnachteils gleichgültig ist, ob die Einbuße für einen Menschen in einem rechtlichen, wie z. B. einem Forderungsrecht, oder in einem wirtschaftlichen Verhältnis, z. B. einer Erwerbschance55 , eingetreten ist, kommt es für die Frage, ob ein Vermögensgegenstand nachteilig betroffen wurde, ausschließlich darauf an, ob es sich bei dem Gegenstand um einen dinglichen Gegenstand (Ding), über den ein Mensch verfügen kann, handelt. Zu diesen dinglichen Gegenständen (Dingen) zählen neben den wirtschaftlichen Gütern auch alle dinglichen Rechtsgegenstände, d. h. alle Sachen, nicht wesentliche Sachbestandteile sowie Gegenstände, die aufgrund gesetzlicher Regelungen rechtlich in besonderer Hinsicht wie Sachen behandelt werden, wie z. B. Gegenstände der sog. Immaterialgüterrechtest . Vermögensgegenstände sind danach alle Gegenstände, die kein Mensch, kein Bestandteil eines Menschen, wie z. B. eine Kenntnis oder eine Fähigkeit, oder ein nicht verfügbares personhaftes Verhältnis, wie z. B. ein Freundschaftsverhältnis, sind57 • Auf den Geldwert eines Gegenstandes, auf seine Schätzbarkeit in Geld, auf eine wirtschaftliche Wertung, Verkehrsanschauung, einen Kommerzialisierungsgedanken oder Frustrierungsgedanken oder ähnliche Thesen kommt es für die Erkenntnis des Vermögensschadens nicht an. Werden diese Auffassungen dessen ungeachtet zugrundegelegt, kann dies, wie bereits dargelegt wurde, nur zu einer Verwirrung bei der Bestimmung des Vermögensschadens führen. Legt man die hier vertretene Definition des Vermögensnachteils bei seiner Erkenntnis zugrunde, so ergibt sich, daß es sich bei einer in bezug auf die Erwerbsfähigkeit bzw. Arbeitskraft eines Menschen eintretenden Einbuße nicht um die Einbuße in einem Vermögensgegenstand und damit nicht um einen Vermögensnachteil handelt. Die Erwerbsfähigkeit ist ein Bestandteil einer Person und kein dinglicher Gegenstand58 • Daß der Nachteil in der Erwerbsfähigkeit gemäß § 843 Abs. 1 BGB auch als Nichtvermögensschaden zu ersetzen ist, ist davon zu unterscheiden. Diese Zusammenhänge werden verkannt, wenn ausgeführt wird, daß die "Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit" nur dann zum Schadensersatz verpflichte, "soweit tatsächlich ein Schaden entstanden" seis, bzw. sich bei "konkreter Berechnung ein Schaden ergeben" müs5' Im einzelnen zum Beg)riff des Vermögens, Wolf, SehR I, § 2 D II a 9 bb (99 ff.); § 4 G II b 1 aa (180 ff.); Allg. T., § 5 B I b (253 f.). 55 Vgl. dazu im einzelnen Wolf, SehR I, § 2 D II a 9 bb (100 f.). 56 Wolf, SaehR, § 1 B (10 ff.). 57 Wolf, SehR I, § 2 D II a 9 bb (100 f.). 58 Wolf, SehR I, § 4 G II f 3 ee (239). 50 Palandt I Thomas, § 843, Anm. 2.

V. Der Vermögensschaden als Schaden besonderer Art

157

seOO • Indem dabei die Erkenntnis des Schadens in der Erwerbsfähigkeit danach beurteilt werden soll, ob eine Gesamtvermögensminderung vorliegt, führt das dazu, Vermögens- und Nichtvermögensnachteil zu vermengen. Hinzu kommt, daß zwischen Erwerbsausfallschaden und dem Schaden in der Erwerbsfähigkeit nicht unterschieden sowie der Ersatz eines eingetretenen Nachteils in der Erwerbsfähigkeit entgegen dem Gesetzeswortlaut (§ 843 Abs. 1 BGB) verneint wird61 • Um einen Vermögensnachteil handelt es sich in den Fällen des Entzugs oder der Minderung von Gebrauchsvorteilen oder Nutzungsmöglichkeiten einer Sache. Auf die Art der Sache kommt es nicht an. Es kann sich um die Gebrauchsvorteile eines Kraftfahrzeugs, um einen Pelzmantel oder um eine sonstige Sache handeln62 • Entsprechend der Individualität des Nachteils muß der betroffene Mensch allerdings Nutzungswillen und Nutzungsmöglichkeit gehabt haben. Gebrauchsvorteile einer Sache sind die Vorteile, die sich aus der Möglichkeit ergeben, die Sache zu gebrauchen oder über ihren Gebrauch durch andere zu entscheiden6S • Die Gebrauchsvorteile einer Sache oder eines Rechts existieren danach als Möglichkeiten, die Sache zu gebrauchen, unabhängig von ihrem tatsächlichen Gebrauch. Während die Möglichkeit als reales Verhältnis zwischen Mensch und Sache einen dinglichen Gegenstand, über den man verfügen kann, und damit einen Vermögensgegenstand darstellt, ist das tatsächliche Gebrauchen eine Handlung einer Person und damit Bestandteil dieser Person und folglich kein VermögensgegenstandM . Es ist deshalb zu unterscheiden, ob in bezug auf das tatsächliche Gebrauchen als Handeln oder ob in bezug auf die Sache und die damit zusammenhängende Gebrauchsmöglichkeit eine Einbuße vorliegt. Ist z. B. eine Person verletzt und kann sie infolgedessen eine Sache nicht benutzen, gebrauchen oder auch genießen, so liegt darin kein Entzug von Gebrauchsvorteilen einer Sache und somit auch kein Vermögensschaden vor65 • Ebensowenig handelt es sich um BGH7, 48. Vgl. oben, 2. Kap. II 3. 82 Wolf, SchR I, § 4 G II f 3 dd (239). 63 Wolf, SachR, § 1 CI h (31). 6. Wolf, SachR, § 1 CI h (31). 85 Mit ähnlicher Begründung hat auch der BGH (55, 146 ff.) das Vorliegen eines Vermögensschadens im sog. "Jagdpacht-Fall" zutreffend verneint. In diesem Fall hatte der BGH zu beurteilen, ob der Kläger, der infolge einer unfallbedingten Körperverletzung an der Ausübung seines langjährigen Jagdpachtrechts zeitweise gehindert war, einen Vermögensschaden erlitten hat. Zur Begründung hat der BGH angeführt: "Wird nicht der Gegenstand des Gebrauchs beschädigt, sondern allein der Nutzungsberechtigte körperlich verletzt und dieser deshalb an dem Gebrauch des nicht beeinträchtigten Vermögensgutes zeitweise gehindert, so steht nach Auffassung des erkennenden Senats dem Betroffenen bei einer Sachlage, wie sie hier vorliegt, 80

81

158

3. Kap.: Eigene Auffassung

entzogene oder geminderte Gebrauchsvorteile, wenn infolge des Entzugs von Gebrauchsmöglichkeiten in der Person eine Einbuße an den Nichtvermögensgegenständen Genuß und Freizeit eintritt06• Die Einbuße, die die Gebrauchsmöglichkeit einer Sache betrifft, ist von derjenigen, die sich auf die in der Person eintretenden Genußmöglichkeit bezieht, scharf zu unterscheiden. VI. Die Erkenntnis des Inhalts der Schadensersatzpßicht 1. Der Inhalt der Sehadensersatzpflicht

Von dem Schaden und seiner Erkenntnis ist die Schadensersatzpflicht und die Erkenntnis ihres Inhalts zu unterscheiden87 • Der Inhalt der Schadensersatzpfticht besteht darin, den Schaden des Ersatzberechtigten auszugleichene8 • Allein dieser Inhalt ist Gegenstand der in den §§ 249 ff. BGB getroffenen Regelungen8e , die über den Schadensbegriff selbst keine unmittelbare Aussage enthalten. Aus den Motiven geht lediglich hervor, daß der Inhalt und Umfang der Schadensersatzpflicht durch den eingetretenen Schaden bedingt ist141 • Die Schadensersatzpflicht ist eine Ausgleichspflicht besonderer Art?1. Inhalt der Schadensersatzpflicht ist der Ausgleich des Schadens, d. h. aller in einem tatbestandsmäßigen Umstand begründeten Nachteile des Ersatzberechtigten. Ausgleich eines Schadens bedeutet Herstellung eines Zustandes, der demjenigen entspricht, der bei Nichteintritt des Schadens bestehen würde 72 • Es handelt sich bei der Schadensersatzpflicht damit weder um die Pflicht, eine ganzheitliche Vermögenseinbuße auszugleichen (Vermögensausgleich), noch hat die Schadensersatzpflicht den Inhalt, den "an seinem Vermögen Beschädigten in die gleiche wirtschaftliche Vermögenslage" zu versetzen, "wie sie ohne Eintritt des zum Ersatz verpflichtenden Umstandes bestanden haben würde"7S. Auf die Herstellung einer wirtschaftlich entsprechenden Lage kommt es nicht ausschließlich an. Es kann sich auch um die Herstellung einer rechtlichen Lage handeln. kein Anspruch auf Ersatz seiner Nachteile als Vermögensschäden zu". Vgl. dazu auch Werber, AcP 173, 158 ff.; Schiemann, S. 52 m. w. N . .. Wolf, SehR I, § 4 G II f 3 dd (239). 17 Vgl. auch Gottwald, S. 43, 44 f. m. w. N. 18 Wolf, SehR I, § 4 G I (173). 18 Vgl. oben, 2. Kap. II 5. 70 Vgl. Motive II, S. 18. 71 Zu anderen Ausgleichspftichten vgl. Wolf, SchR I, § 4 H (274 ff.). 71 Wolf, SehR I, § 4 G II d 2 aa (187); Protokolle I, S. 296. 73 BGH 30, 31 m. w. N.; 35, 398.

VI. Die Erkenntnis des Inhalts der Sehadensersatzpflieht

159

Diese inhaltliche Bestimmung des als Schadensersatz geschuldeten Ausgleichs entspricht dem Inhalt des § 249 S. 1 BGB. Nach § 249 S. 1 BGB ist derjenige Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Herstellung des Zustandes, der ohne den zum Ersatz verpflichtenden Umstand eingetreten wäre, heißt dabei nichts anderes als Herstellung des Zustandes, der bei Nichteintritt des tatbestandsmäßigen schädigenden Umstands, mithin bei Nichteintritt des durch den tatbestandsmäßigen Umstand begründeten Schaden bestehen würde. Daß es sich bei der in § 249 S. 1 BGB geregelten Ausgleichung nur um die Herstellung einer dem hypothetischen Zustand entsprechenden Lage handeln kann, ergibt sich daraus, daß ein hypothetischer Zustand nicht als realer Zustand hergestellt werden kann. Eine identische Herstellung des real eingetretenen Schadens ist nicht möglich. Ein existierender Schaden und geschehener Kausalablauf können nicht ungeschehen gemacht werden 74 • Der Schaden kann nur ersetzt werden. Schadensersatz bedeutet danach nichts anderes, als daß sachlich gleichartige oder in anderer Hinsicht vergleichbare Vorteile zu verschaffen sind. Schadensersatz ist lediglich ein Behelf76 • Der als Schadensersatz geschuldete Ausgleich kann nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch einmal in der Herstellung eines dem hypothetischen Zustand gleichwertigen Zustands (sog. Naturalrestitution oder Sachherstellung nach § 249 S. 1 BGB) oder der Herstellung einer entsprechenden Lage durch Geldzahlung (Geldersatz; §§ 249 S. 2, 250, 251 BGB)16 bestehen. Dabei zeigt sich, daß der allgemeine Inhalt der Schadensersatzpflicht mit dem Inhalt der' Pflicht zur Sachherstellung nach § 249 S. 1 BGB inhaltlich übereinstimmt. Geschuldet ist jeweils Herstellung des Zustands, der demjenigen entspricht, der bei Nichteintritt des Schadens bestehen würde. Diese übereinstimmung des allgemeinen Inhalts der Schadensersatzpflicht mit der besonderen Herstellungspflicht, Sachherstellung zu leisten, ergibt sich dabei aus dem den Inhalt der Schadensersatzpflicht bedingenden Schaden. Dieser ist ein realer Zustand und bedingt deshalb seinem Wesen entsprechend einen Ausgleich durch Sachherstellung. Aus der Übereinstimmung des Inhalts der Schadensersatzpflicht mit der als Schadensersatz geschuldeten Sachherstellung folgt für die Regelung des § 249 S. 1 BGB, daß diese nicht nur eine Aussage über die Art und Weise der Schadensersatzleistung, sondern auch über den allgemeinen Inhalt der Schadensersatzpflicht enthält77 •

Wott, SehR I, § 4 G II d 2 aa (187); Staudinger / Werner, § 249, Rn. 6. Wott, SehR I, § 4 G II d 2 aa (188). 78 Wott, SehR I, § 4 G II d 2 aa (187). 77 s. a. Protokotle I, S. 296: "Begriff des Schadensersatzes"; Degenkotb, AcP 76,5; Larenz, SehR I, § 29 I a (442). 74

75

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3. Kap.: Eigene Auffassung

§ 249 S. 1 BGB regelt den Inhalt der Schadensersatzpflicht für alle Haftungstatbestände einheitlich. Eine Differenzierung des Inhalts der Schadensersatzpflicht im Hinblick auf die Unterschiedenheit einzelner Haftungstatbestände, wie sie von den Vertretern der normativen Schadenslehre angestrebt wird, kennt das Bürgerliche Gesetzbuch nicht.

Eine Schadensersatzpflicht tritt als Rechtswirkung eines Haftungstatbestandes ein. Notwendiges Tatbestandselement für das Eintreten dieser Ersatzpflicht ist dabei das Vorliegen eines Schadens und das Begründetsein dieses Schadens in einem tatbestandsmäßigen Umstand78• Mit anderen Worten heißt das, ohne tatbestandsmäßigen Schaden gibt es keine Schadensersatzpflicht. Die Unterscheidung zwischen tatbestandsmäßigem Schaden und der als Rechtswirkung eintretenden Schadensersatzpflicht, deren Inhalt darin besteht, den eingetretenen Schaden auszugleichen, darf allerdings nicht mit dem von Mertens vertretenen "Modell einer dualistischen Konzeption des Schadens" verwechselt werden. Danach soll "der Schaden als Tatbestandsmerkmal einer zum Schadensersatz verpflichtenden Norm bereits in der Minderung des individuellen Vermögenswertes im Zeitpunkt des Schadensfalls selbst" liegen, "für die Festlegung der Rechtsfolge des Schadensersatzes aber" "nicht voll maßgeblich" sein. "Auf der Rechtsfolgeseite" stehe "die Sicht des Schadens als einer gegenwärtigen Wertminderung unter dem Vorbehalt einer Korrektur auf Grund der weiteren Vermögensentwicklung, dessen Umfang im einzelnen der Festlegung bedarf"79. Nach Mertens soll demnach eine Messung bzw. Schätzung des "Vermögensabflusses" auf der "Tatbestandsseite" erfolgen und dieser ermittelte Betrag auf der "Rechtsfolgeseite" einer "historischen Korrektur"80 unterworfen werden, was nichts anderes bedeuten kann, als daß auf der "Rechtsfolgeseite" eine weitere Bemessung des geschuldeten Schadensersatzes durchgeführt werden soll. Dabei übersieht Mertens, daß nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in den §§ 249 ff. keine Bewertung des Tatbestandsmerkmals Schaden, das heißt der Einbuße, sondern nur eine Schätzung des als Schadensersatz geschuldeten Ausgleichs in Geld vorsieht81 • Die Bestimmung der Schadensausgleichsleistung hat dabei in strenger Gebundenheit an den real eingetretenen tatbestandsmäßigen Schaden zu erfolgen. Eine "hi78 Wolf, SehR I, § 4 G II c 2 bb (185); Motive II, S. 18: "Die selbstverständliche Voraussetzung für jeden Schadensersatzanspruch. ist, daß der Schaden, dessen Ersatz verlangt wird, im Kausalzusammenhange mit derjenigen Handlung oder Unterlassung des Verpflichteten steht, welche den Anspruch begründet". Vgl. dazu aber auch Keuk, S. 26. 78

80 81

Mertens, S. 204. Mertens, S. 194, 205, 229. Vgl. dazu auch Keuk, S. 27.

VI. Die Erkenntnis des Inhalts der Schadensersatzpfticht

161

storische Korrektur" oder "Modifizierung" im Rahmen der "Rechtsfolgebestimmung" , wie dies Mertens bei der Bestimmung der "Rechtsfolgeseite" vorschlägt, macht nicht nur die Bemessung des Schadens auf der "Tatbestandsseite" überflüssig, sondern verkennt zudem, daß sich der Inhalt der Schadensersatzpflicht seinem Begriff nach auf den real eingetretenen tatbestandsmäßigen Schaden bezieht. Wird diese Abhängigkeit des Inhalts der Ersatzpflicht durch den eingetretenen Schaden nicht beachtet, so kann dies darüber hinaus nur zu einer "normativen" Bestimmung des Inhalts der Ersatzpflicht führen, was Mertens der Sache nach selbst zugibt, wenn er darauf hinweist, daß die "historische Korrektur" auf der "Rechtsfolgenseite" einer "Herausarbeitung einer Reihe von Regeln" bedürfe82 • 2. Die Abhängigkeit des Inhalts der Smadensersatzpflicht von dem eingetretenen Smaden

Der Inhalt der Ersatzpflicht besteht nach § 249 S. 1 BGB in der Herstellung eines Zustandes, der bei Nichteintritt des schädigenden Ereignisses bestehen würde. Der Inhalt der Schadensersatzpflicht betrifft danach nicht den Ausgleich irgend eines Zustandes, sondern desjenigen Zustands, der bei Nichteintritt der durch einen Umstand bedingten einzelnen individuellen Nachteile, d. h. des Schadens, bestehen würde. Der herzustellende hypothetische Zustand ist nicht als ein selbständiger, unabhängig vom realen Schadensverlauf durch das schädigende Ereignis bedingter, "ganzheitlicher" Zustand aufzufassen, sondern bezieht sich in Umfang und Inhalt auf die einzelnen, real bedingten Nachteile. Insoweit besteht eine Abhängigkeit des hypothetischen Zustandes, dessen Herstellung Inhalt der Schadensersatzpflicht ist, durch den eingetretenen Schaden als einer Gesamtheit von Einzelnachteilen. Das hat zur Folge, daß sich der einheitliche Inhalt der Ersatzpflicht aus einzelnen Ausgleichsposten zusammensetzt. Nach dem Inhalt der Schadensersatzpflicht ist die Erkenntnis des real eingetretenen Schadens der Erkenntnis des herzustellenden Zustandes, der bei Nichteintritt der in dem (tatbestandsmäßigen) Umstand begründeten, einzelnen, realen Nachteile bestehen würde, zugrunde zu legen. Allein nach diesem real eingetretenen Schaden richten sich Inhalt und Umfang des hypothetischen Zustandes und mithin der Inhalt der Schadensersatzpflicht. Das bedeutet aber nicht, wie Wolf meint, daß Gegenstand der Erkenntnis des Inhalts und Umfangs der Schadensersatzpflicht allein der tatbestandsmäßig begründete Schaden sei83 • Gegenstand der Erkenntnis und Erkenntnismethode 82 83

MeTtens, S. 229. Wolf, SehR I, § 4 G f 2 aa (218).

11 WUk

162

3. Kap.: Eigene Auffassung

des Inhalts der Schadensersatzpflicht kann nur der Inhalt der Pflicht, mithin der nach § 249 S. 1 BGB herzustellende Zustand selbst sein, während der Schaden seine eigene Erkenntnis und Erkenntnismethode bedingt. Daß bei der Erkenntnis des Inhalts der Ersatzpflicht die inhaltliche und umfängliche Abhängigkeit vom real eingetretenen Schaden zu berücksichtigen ist, ist davon zu unterscheiden. Nach dem Dargelegten ist es nicht möglich, den Inhalt der Schadensersatzpflicht ohne Bezug auf den real eingetretenen Schaden zu erkennen, oder gar das Bedingungsverhältnis umzukehren. Damit unterscheidet sich die hier vertretene Auffassung grundlegend von den in der Rechtsprechung vertretenen Schadenslehren. Mommsen als Vertreter der Gesamtvermögensdifferenztheorie ging zwar zutreffend davon aus, daß der Umfang des Interesses durch den Kausalzusammenhang zwischen dem eingetretenen Schaden und der zum Ersatz verpflichtenden Tatsache bedingt werde. Durch die Behauptung, das Interesse als einheitliche Wertdifferenz beziehe sich nicht nur auf die durch das schädigende Ereignis bedingten Nachteile, sondern auch auf die bedingten Vorteile, hat er die Abhängigkeit des Inhalts der Schadensersatzpflicht durch den Schaden jedoch aufgegeben 84• Bei den normativ-teleologischen Schadenslehren ergibt sich die Unabhängigkeit der Bestimmung des Inhalts der Schadensersatzpflicht vom eingetretenen realen Schaden dagegen aus den zugrunde gelegten teleologischen Lehren. Der Inhalt der Schadensersatzpflicht wie auch das Vorliegen und der Umfang des Schadens werden ausschließlich aus dem "Sinn und Zweck" des Schadensersatzes ermittelt. Damit wurde die Erkenntnis für wesentliche dogmatische Zusammenhänge versperrt. Aus der Abhängigkeit des Inhalts der Schadensersatzpflicht vom eingetretenen Schaden ergibt sich, daß der geschuldete Ausgleich eines eingetretenen realen Schadens durch die Erkenntnis oder Erkenntnismethode des Inhalts der Ersatzpflicht nicht wieder entfallen kann. Das soll z. B. nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie in den Fällen der Vorteilsausgleichung der Fall sein. Nach dieser Lehre soll ein durch das schädigende Ereignis bedingter Vorteil bei der Schadensberechnung in der Weise berücksichtigt werden, daß der Wert des Vorteils einen Rechnungsposten bei der Schadensberechnung bilde86 • Berücksichtigt man dagegen die Abhängigkeit des Inhalts der Schadensersatzpflicht durch den eingetretenen Schaden, so ergibt sich, daß der auszugleichende Zustand sich ausschließlich auf den eingetretenen Schaden beziehen kann86 • Vgl. oben, 2. Kap. II 2 b ce. Vgl. oben, 1. Kap. I 3. 88 Dies übersieht Gottwald, S. 45, der im übrigen zutreffend zwischen Schaden und Schadensersatz unterscheidet. 8' 8S

VI. Die Erkenntnis des Inhalts der Schadensersatzpflicht

163

Vorteile sind dagegen keine Nachteile, gehören nicht zum Schaden und können folglich auch den bei Nichteintritt des Nachteils hypothetisch bestehenden Zustand und somit den Inhalt der Schadensersatzpflicht nicht bedingen. Eine Vorteilsausgleichung ist deshalb ausgeschlossen. Auf die Frage, ob der Vorteil infolge fehlendem adäquaten Zusammenhang, des "Sinns und Zwecks" des Schadensersatzanspruchs oder anderen Billigkeitsgesichtspunkten zu "versagen" sei, kommt es - ungeachtet des Umstands, daß danach der Inhalt der Schadensersatzpflicht nicht vom Schaden, sondern von anderen Erwägungen abhängt - nicht an. Das zur Vorteilsausgleichung Gesagte gilt entsprechend für die Fälle der Drittschadensliquidation, die dadurch gekennzeichnet sein sollen, daß der Schaden, der normalerweise bei dem Verletzten und damit Ersatzberechtigten eintreten würde, aufgrund besonderer Umstände nicht bei ihm, sondern bei einem Dritten eintrittS7 • Diese Lehre entfällt mit der ihr zugrunde liegenden Gesamtvermögensdifferenztheorie, nach der Schaden und Inhalt der Schadensersatzpflicht fehlerhaft miteinander vermengt werden. In sämtlichen Fällen der Drittschadensliquidation ist dem Verletzten bei der Anwendung der hier vertretenen Lehre vom realen Schaden ein Schaden entstanden, der auch bei der Bestimmung des als Schadensersatz geschuldeten Ausgleichs nicht mehr entfallen kann. Ohne Probleme lassen sich auf der Grundlage der hier vertretenen Lehre auch die Fälle der hypothetischen Kausalität lösen. Das Problem der hypothetischen Kausalität ist von der Frage gekennzeichnet, ob der ersatzfähige Schaden entfalle, wenn ohne das haftungsbegründende Ereignis andere Gründe zu gleichen oder anderen Nachteilen für den Verletzten geführt haben würden88• Während die Berücksichtigung hypothetischer Schadensereignisse vor allem von Vertretern der Gesamtvermögensdifferenztheorie bejaht werden8ll , scheidet die Berücksichtigung hypothetischer Schadensereignisse nach der hier vertretenen Auffassung bei der Bestimmung des Inhalts der Schadensersatzpfticht aus. Der bei Nichteintritt des Schadens bestehende hypothetische bzw. ein diesem entsprechenden Zustand, dessen Herstellung nach § 2498.1 BGB geschuldet wird, bezieht sich ausschließlich auf den eingetretenen Schaden. Ein nicht durch das schädigende Ereignis, sondern durch ein anderes Ereignis bedingter Nachteil darf dabei für die Ermittlung des hypothetischen Zustands ebensowenig berücksichtigt werden wie für den realen Zustand. Dies entspricht auch dem Inhalt des § 249 S. 1 BGB. Darin kommt zum Ausdruck, daß der Zustand herzustellen ist, der ohne 81 88 80

Vgl. oben., 1. Kap. I 4. Lemhöfer, JuS 1966, 377; v. Caemmerer, S. 3. Vgl. Lange, Schadensersatz, § 4 IV (114 f.).

3. Kap.: Eigene Auffassung

164

das bestimmte, zum Ersatz verpflichtende, d. h. das die realen Nachteile bedingende Ereignis bestanden hätte. Wird das Gegenteil behauptet, so wird die in § 249 S. 1 BGB enthaltene Abhängigkeit des herzustellenden hypothetisch bestehenden Zustands durch den eingetretenen Schaden verkannt. Etwas anderes gilt allerdings für diejenigen unter dem Stichwort der hypothetischen Kausalität diskutierten Fälle, in denen der eingetretene Nachteil nicht in dem tatbestandsmäßigen Umstand, sondern in einem anderen Umstand begründet ist. Dies ist dann gegeben, wenn das tatbestandsmäßige Verhalten zwar Bedingung, aber nicht Grund des Nachteils ist. Ein solcher Fall liegt z. B. vor, wenn der Grund der Zerstörung eines Hauses in der Baufälligkeit und nicht in dem tatbestandsmäßigen Verhalten der in Anspruch genommenen Person liegt (sog. Anlageschäden)90. Die Erkenntnis des Inhalts der Schadensersatzpflicht ist unabhängig von der Wahl des Erkenntniszeitpunkts. Der Zeitpunkt kann der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung wie jeder andere sein. Dies ergibt sich nicht nur daraus, daß es auch möglich ist, den Inhalt der Schadensersatzpflicht außergerichtlich zu erkennen, sondern vor allem aus dem Inhalt der Schadensersatzpflicht selbst. Nach dieser ist jeder einzelne entstandene reale Nachteil auszugleichen. Auf eine Minderung des Vermögens als Ganzes kommt es nicht an. So ist z. B. undenkbar, daß ein Vermögensnachteil, der den Verlust von Gebrauchsvorteilen betrifft, deshalb wieder entfällt, weil er sich im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht mehr in einer "Gesamtvermögensbilanz" im Sinne der Gesamtvermögensdifferenztheorie niederschlägt. Die Bedingtheit des Inhalts der Schadensersatzpflicht durch den eingetretenen Schaden hat zur Folge, daß es auf ein rechtswidriges oder schuldhaftes Verhalten des Schädigers oder des Geschädigten - von den gesetzlich geregelten Ausnahmetatbeständen wie z. B. § 254 BGB abgesehen - für den Inhalt der Schadensersatzpflicht nicht ankommt. Ebenso muß bei der Bestimmung des Inhalts der Schadensersatzpflicht nach § 249 S. 2 BGB unberücksichtigt bleiben, ob der Geschädigte eine Ersatzreparatur vornimmt91 oder Herstellungskosten aufgewendet hat oder nicht92 • Wird das Gegenteil behauptet, wird trotz eines eingetretenen realen Nachteils der sich auf diesen Nachteil beziehende geschuldete Schadensersatz versagt. 00

Vgl. dazu Wolf, SehR I, § 4 G 11 e 2 ff (209 f.); Lange, Schadensersatz,

§ 4 IX (121) . •1 92

So auch BGH 61, 58. So auch BGH NJW 1958, 627.

VI. Die Erkenntnis des Inhalts der Schadensersatzpflicht

165

Nur bei Beachtung der Abhängigkeit des als Schadensersatz geschuldeten Ausgleichs durch den eingetretenen Schaden ist gewährleistet, daß ausschließlich der reale dem Geschädigten entstandene und durch den Schädiger verursachte Schaden ausgeglichen wird. Allein darin kann der oft geforderte "gerechte Ausgleich"113 bestehen. Wird demgegenüber mit "gerechtem Ausgleich" "billiger Ausgleich" verstanden, der nach subjektiv gesetzten Billigkeitsüberlegungen bestimmt werden soll, kann dies nur zu Ungerechtigkeiten entweder dem Geschädigten oder dem Schädiger gegenüber führen 94 • 3. Die Methode des Vergleidls

Inhalt der Schadensersatzpflicht ist es, den eingetretenen Schaden auszugleichen, d. h. den Zustand herzustellen, der bei Nichteintritt des schädigenden Ereignisses bestanden hätte. Dieser Inhalt bedingt wie jeder Erkenntnisgegenstand seine eigene Erkenntnis und Erkenntnismethode. Seine Erkenntnis und Erkenntnismethode darf deshalb nicht mit derjenigen des Schadens verwechselt oder vermengt werden. Aus der Bedingtheit der Erkenntnismethode durch den Erkenntnisgegenstand folgt für die Methode der Erkenntnis des Inhalts der Ersatzpflicht, .daß zur Erkenntnis des auszugleichenden Zustands der Zustand, der bestehen würde, mit dem real bedingten Zustand zu vergleichen ist. Bei dieser unumgänglichen Methode des Vergleichs sind die durch den tatbestandsmäßigen Umstand real bedingten Nachteile unter Anwendung des Begriffes Nachteil zu ermitteln und mit der erkannten hypothetisch bedingten Lage, d. h. der Lage, die bei Nichteintritt des Schadens bestehen würde, entweder in dem einzelnen oder in den mehreren in besonderer Weise zusammenhängenden durch die Einbuße betroffenen Gegenstände zu vergleichen. Der dabei ermittelte nachteilige Unterschied zwischen den beiden Lagen macht den Zustand aus, der bei Nichteintritt des schädigenden Ereignisses bestanden hätte und somit auszugleichen ist. Der nachteilige Unterschied besteht in einem Zustand. Er ist damit keine "Werteinheit" oder "rechnerische Differenz"1I5. Bei dem methodischen Erkennen des Inhalts der Schadensersatzpflicht durch Vergleich ist folgendes zu beachten:

13 Beuthien, NJW 1966, 1998: "Ziel eines gerechten Schadensersatzausgleichs". 14 Vgl. insoweit auch Lemhöter, JuS 1966, 344 m. w. N. 95 Vgl. auch Planck I Siber, § 249, 2 (67).

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3. Kap.: Eigene Auffassung

1) Ausschließlich die durch das schädigende tatbestandsmäßige Ereignis bedingten (begründeten) realen und hypothetischen Zustände sind zu ermitteln, andere reale oder hypothetische Bedingungszusammenhänge bzw. Begründungszusammenhänge müssen unberücksichtigt bleiben. 2) Der hypothetische Zustand ist in Abhängigkeit von den durch das tatbestandsmäßige Ereignis real begründeten einzelnen individuellen Nachteilen, d. h. dem tatbestandsmäßigen Schaden zu erkennen. Real bedingte Vorteile, hypothetisch bedingte Nachteile oder andere Umstände bleiben außer Betracht. 3) Allein die in bezug auf die durch den Umstand bedingten bzw. begründeten Nachteile ermittelten Zustände sind miteinander zu vergleichen. Nicht verwechselt werden darf die zur Erkenntnis des Inhalts der. Schadensersatzpflicht herangezogene Methode des Vergleichs mit der methodischen Erkenntnis des Vorliegens und des Umfangs des Schadens, bei der ebenfalls der durch das Ereignis bedingte reale und hypothetische Sachverhalt miteinander verglichen werden muß. Die Erkenntnis des Inhalts der Schadensersatzpflicht setzt logisch wie methodisch die Erkenntnis des Vorliegens und des Umfangs des Schadens voraus, da sie durch diesen bedingt ist. Daß bei der Beurteilung des Inhalts der Schadensersatzpflicht sowohl die Erkenntnis des Umfangs des Schadens als auch die des Umfangs der Schadensersatzpflicht in einem Erkenntnisverfahren zusammengezogen werden kann, kann daran nichts ändern. Die Methode des Vergleichs zur Ermittlung des Inhalts der Schadensersatzpflicht bezieht sich sowohl auf die Erkenntnis der Schadensersatzpflicht in bezug auf einen Vermögensschaden als auch in bezug auf einen Nichtvermögensschaden. Besteht gemäß § 253 BGB die Schadensersatzpflicht ausschließlich im Ersatz des Vermögensschadens, ist der bei der methodischen Erkenntnis des Inhalts der Schadensersatzpflicht vorzunehmende Vergleich auf die eingetretenen Vermögensnachteile, d. h. auf die Einbußen, die in bezug auf Vermögensgegenstände eingetreten sind, zu beschränken. Die nach der hier vertretenen Auffassung durchzuführende Methode des Vergleichs ist keine Methode des Gesamtvermögensvergleichs. Der Vergleich ist in einzelnen Gegenständen, seien es Vermögens- oder Nichtvermögensgegenstände, durchzuführen. Diese Erkenntnismethode ist deshalb von der "Differenzrechnung" i. S. der Gesamtvermögensdifferenztheorie zu unterscheiden, durch die sowohl das Vorliegen eines Vermögensschadens als auch der Inhalt der Schadensersatzpfticht, das sog. Interesse, erkannt werden soll.

VI. Die Erkenntnis des Inhalts der Schadensersatzpflicht

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Mit der angegebenen Vergleichsmethode zur Bestimmung des Inhalts der Schadensersatzpflicht wird verhindert, daß Nachteile, die durch das tatbestandsmäßige Ereignis bedingt wurden, zweimal ausgeglichen werden. Diese Möglichkeit folgt daraus, daß zwischen dem Ersatz von einzelnen, in einem Umstand begründeten Nachteilen durchaus inhaltliche Entsprechungsverhältnisse bestehen können. Das resultiert daraus, daß alle in dem Umstand begründeten, d. h. in einem inhaltlichen Entsprechungsverhältnis stehenden Nachteile auszugleichen sind. Folgendes Beispiel mag dies verdeutlichen. Wird bei einem Verkehrsunfall der Kotflügel eines Kraftfahrzeugs einer Person verbeult, so ist für diese Person ohne Zweifel ein Nachteil entstanden. Entstehen dem Geschädigten durch die Reparatur des Kraftfahrzeugs Aufwendungen, so liegt darin ebenfalls ein Nachteil, der in dem tatbestandsmäßigen Umstand begründet ist. Würde man beide Nachteile, die in dem Umstand begründet sind, ohne weiteres in Geld schätzen bzw. den Betrag der Aufwendungen zugrundelegen und miteinander addieren", würde das zu einer Verdopplung des Ersatzes führen. Es würde dabei nicht berücksichtigt, daß die Aufwendungen zur Behebung des Sachschadens erfolgt sind, wobei die Aufwendungen begrifflich aber nicht Ausgleich des vorhergegangenen Sachschadens bedeuten. Es ist dabei aber erkennbar, daß beim Ersatz der beiden Nachteile ein Entsprechungsverhältnis bestehen kann, da ein Nachteil die Wirkung haben kann, einen anderen Nachteil auszugleichen. Dies muß bei der Erkenntnis des Inhalts der Schadensersatzpflicht berücksichtigt werden. Um einen doppelten Ersatz der Nachteile, die in einem Umstand begründet sind, auszuschließen und um Nachteile zu erfassen, die inhaltlich einen vorhergegangenen Nachteil teilweise oder ganz ausgleichen, sind realer und hypothetisch begründeter Zustand im Zeitpunkt der Bestimmung der Ersatzleistung miteinander zu vergleichenD7 • Für das genannte Beispiel ergibt sich dabei folgendes. Der Zustand, der infolge des Umstandes eingetreten ist, besteht darin, daß der Kotflügel des Kraftfahrzeugs wiederhergestellt ist. Eine Beule im Kotflügel besteht im Zeitpunkt der Erkenntnis des Inhalts des Schadensersatzanspruchs nicht. Es besteht lediglich ein Nachteil, der in den gemachten Aufwendungen liegt. Dies ist die reale Lage. Die hypothetisch bedingte Lage besteht darin, daß weder die Beule im Kotflügel noch die Aufwendungen entstanden wären. Vergleicht man den real bedingten Zustand mit dem hypothetisch bedingten Zustand, so stellt man fest, daß die Differenz in den gemachten Aufwendungen liegt. Dieser nachteilige Unterschied bildet den Gegenstand der Ersatzleistung. Allein durch Ersatz .. So anscheinend Wotf, SehR I, § 4 G II f 2 ii (226). 07 Ähnlich auch Gottwal.d, S. 48; Deutsch, Haftungsrecht, S. 434; aber auch Hans StoU, Begriff, S. 17.

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3. Kap.: Eigene Auffassung

der Aufwendungen wird der Zustand hergestellt, der bestehen würde, wenn das zum Ersatz verpflichtende Ereignis nicht eingetreten wäre. Eine Be- oder Entreicherung ist danach bei der Erkenntnis des Inhalts der Schadensersatzverpflichtung dem methodischen Ansatz nach ausgeschlossen. 4. Die Individualität des Inhalts der Sdladensersatzpftidlt und seiner Erkenntnis

Die Schadensersatzpflicht wird in Inhalt und Umfang durch den eingetretenen Schaden bedingt. Daraus folgt, daß der Individualität des Schadens entsprechend auch der Inhalt der Schadensersatzpflicht individuell ist. Die Individualität des Inhalts der Schadensersatzpflicht besteht darin, den individuellen Zustand herzustellen, der bei Nichteintritt des individuellen Schadens bestehen würde. Bei dem individuellen herzustellenden Zustand handelt es sich um einen durch das individuelle schädigende Ereignis bedingten, auf den individuellen Nachteil und damit auf die individuelle Person des Geschädigten bezogenen Zustand. Die Individualität des Inhalts der Schadensersatzpflicht bedingt ihrerseits eine individuelle Erkenntnismethode. Danach ist der vom realen Sachverhalt abweichende hypothetische Zustand unter Anwendung des Begriffs Schaden individuell festzustellen, wobei der eingetretene Umstand die durch diesen Umstand bedingten bzw. begründeten Nachteile samt den Bedingungs- bzw. Begründungszusammenhängen in ihrer Individualität zu erkennen sind1l8 • Von diesem durch einen individuellen Umstand bedingten individuellen Zustand zu "abstrahieren" oder zu klären, welcher Geschehensablauf typischerweise eingetreten wäre1l8, ist mit der Individualität des Schadens nicht zu vereinbaren. Von der hier vertretenen individuellen Erkenntnismethode des Inhalts der Schadensersatzpflicht ist die konkrete Schadensberechnung i. S. d. Gesamtvermögensdifferenztheorie zu unterscheiden. Die konkrete Methode der Schadensberechnung nach der Gesamtvermögensdifferenztheorie soll sich aus der Berücksichtigung der Entwicklung des als "Ganzheit" aufgefaßten Vermögens und somit einer "ganzheitlichen Betrachtung" ergeben. Dagegen folgt die Individualität der hier vertretenen individuellen Methode aus der individuellen Erkenntnis der durch den Umstand bedingten individuellen Geschehensabläufe und der einzelnen individuellen Nachteile. Der Inhalt der Schadensersatzpflicht ist individuell zu erkennen. Das gilt sowohl für die Erkenntnis des als Schadensersatz geschuldeten Ausgleichs durch Naturalrestituus 99

Vgl. Wolf, SehR I, § 4 G II f 2 dd (219). Vgl. dazu v. Caemmerer, S. 7 f.; s. a. oben, 2. Kap.

In 1 f

bb.

VI. Die Erkenntnis des Inhalts der Schadensersatzpfticht

169

tion als auch durch Geldersatz. Bei beiden Arten des geschuldeten Schadensersatzes ist ein dem individuellen Zustand, der bei Nichteintritt des individuellen Schadens bestehen würde, individuell entsprechender Zustand zu ersetzen. Bei der Erkenntnis des zu leistenden Schadensersatzes in Geld ist der bei Nichteintritt der in einem Umstand begründeten einzelnen individuellen Nachteilen bestehende Zustand, der Schätzung in Geld zugrunde zu legen1°O. Dieser individuell hypothetische Zustand ist in Geld zu beziffern bzw. zu bewerten. Es handelt sich dabei nicht um eine Bewertung des eingetretenen Schadens, sondern um die Bewertung des nach dem Inhalt der Schadensersatzpfiicht herzustellenden individuellen ZustandsHl1 • Ist im Wege des Geldersatzes der Wert eines Gegenstandes zu ersetzen, kann es sich nach dem Dargelegten nur um den Wert des Gegenstandesfür den Geschädigten, den sog. individuellen Wert, handeln102• Allein dieser Wert entspricht dem auszugleichenden individuellen Zustand. Auf den Marktwert oder objektiven Wert kommt es nicht an. Die hier vertretene Auffassung stimmt damit auch mit derjenigen der Gesetzesverfasser überein, nach denen der Wert maßgebend sein soll, "welchen der Gegenstand für den Gläubiger nach den besonderen Verhältnissen hatte" (außerordentlicher Wert)1w. Bei der Bestimmung des individuellen Werts sind neben der Beschaffenheit des Gegenstands auch die individuellen Verhältnisse des Geschädigten, insbesondere die von dem Geschädigten mit dem Gegenstand verfolgten Ziele oder Zwecke oder in bezug auf den Gegenstand getroffenen Entscheidungen zu berücksichtigen104 • Der individuelle Wert darf dabei allerdings nicht mit dem sog. Affektionswert verwechselt werden, der nur in der Meinung des Geschädigten besteht. Der individuelle Wert setzt sich vielmehr aus objektiv bestimmbaren Faktoren zusammen. Wenn ein zum Gebrauch oder Verbrauch gewidmeter Gegenstand zerstört oder entzogen worden ist, besteht der individuelle Wert im Gebrauchswertl°6 oder Verbrauchswertl 06 • Bei der Bestimmung des Ge100 Vgl. auch Ransen, MDR 1978, 363, der von einer "Orientierung ain Parallelsachverhalt" spricht, der "gewissermaßen als objektive Stütze der Schadensberechnung" diene. 101 Unklar Wolf, SchR I, § 4 G 11 f 2 dd (220); Ü (226), nach dem wohl der eingetretene Schaden und nicht der Inhalt der Schadensersatzpfticht in Geld zu schätzen ist. 10! Wolf, SchR I, § 4 G 11 f 3 aa (227). 101 104

Motive 11, S. 21. Wolf, SehR I, § 4 G f 3 aa (227); M. L. Müller, S. 91 f.

105 Der Gebrauchswert, nach dem der als Schadensersatz geschuldete Ausgleich bemessen wird, darf nicht mit der Gebrauclismöglichkeit als Gegen-

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3. Kap.: Eigene Auffassung

brauchswerts ist u. a. die Wirtschaftlichkeit, Leistungsfähigkeit, Bequemlichkeit, Gepflegtheit, voraussichtliche Benutzbarkeit für den geschäftlichen, beruflichen, privaten oder sonstigen Bedarf für den Geschädigten107 oder der "Gebrauchszweck"108 zu berücksichtigen. Eine Anerkennung des Affektionsinteresses liegt in der Feststellung des Gebrauchswerts nichtl°u• Bezieht sich der Nachteil auf mehrere, in besonderer Weise miteinander zusammenhängende Gegenstände, z. B. ein Unternehmen oder Betrieb, so sind bei der Bestimmung des als Schadensersatz geschuldeten individuellen Wertes auch die besonderen Zusammenhänge der diese Gesamtheit ausmachenden Gegenstände zueinander zu berücksichtigen. Wird die besondere Zusammensetzung der Gegenstände im Verhältnis zueinander als zusätzlicher Schätzungsfaktor in Betracht gezogen, kann der Wert der Gesamtheit höher sein als die Summe der zur Gesamtheit gehörenden Gegenstände in ihrer EinzelheitllO • Der individuelle Wert, d. h. der durch die individuellen Verhältnisse des Geschädigten bedingte Wert ist nicht notwendig höher als der allgemeine Wert (Marktwert). Dies wird zwar in der Regel der Fall sein, muß es aber nicht. Der individuelle Wert kann auch geringer als der Marktpreis sein111 . Maßgebend sind ausschließlich die individuellen Verhältnisse. Dabei ist nicht ausgeschlossen, daß der individuelle Wert mit dem Marktwert übereinstimmen kann. Dies ist dann der Fall, wenn über den Gegenstand entweder ein entgeltlicher Vertrag geschlossen worden ist oder der Gegenstand zum Verkauf bestimmt ist, wie es z. B. bei einer Handelsware der Fall istlll!. In diesen Fällen ist der Marktpreis des Gegenstands als Schadensersatz zu leisten. Nach überwiegender Auffassung soll der Wert zu ersetzen sein, "den der Gegenstand gerade für die betreffende Person" habe lls• Indem nach der genannten Auffassung der Wert für den Geschädigten jedoch stand eines möglichen Nachteils vermengt werden (vgl. dazu Wolf, SchR I, § 4 G 11 f 3 aa ccc (233 f.). 108 Wolf, SehR I, § 4 G f 3 aa (227). 107 Nach Wolf, SchR I, § 4 G 11 f 3 aa (227) soll bei der Schätzung des indi-

viduellen Wertes einer zum Gebrauch dienenden zerstörten Sache gegebenenfalls zu berücksichtigen sein, daß für eine Neuanschaffung Kreditkosten entstehen. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Im Entstehen von Kreditkosten liegt ein neben der Zerstörung der Sache zusätzlich bestehender Nachteil, der in demselben Umstand begründet ist. 108 So BGH NJW 1982, 1518. 100 So Hohenester, NJW 1967, 252. 110 Vgl. oben, 2. Kap. 11 2 a. 111 Wolf, SchR I, § 4 G 11 f 2 dd (220). 111 Wolf, SehR I, § 4 G 11 f 3 aa (227). 111 Larenz, SchR I, § 29 I b (445).

VI. Die Erkenntnis des Inhalts der Schadensersatzpflicht

171

"an den Verlust einer Sache" anknüpfen soll, "die mit anderen ll ' einem bestimmten Zweck" diene 116, wird deutlich, daß man mit dieser Bestimmung des individuellen Werts über den Ansatz der Gesamtvermögensdifferenztheorie nicht hinausgekommen ist. Der individuelle Wert soll mit anderen Worten derjenige Wert sein, der dem Gegenstand im Vermögen des Geschädigten als "Ganzem" oder einer größeren Einheit zukommen soll, wobei die einzelnen Vermögensgegenstände nach dem Marktwert beziffert werden sollen. Auf den Wert, den der Gegenstand gerade für den Geschädigten unter Berücksichtigung seiner individuellen Verhältnisse, also nicht nur für seine Vermögensverhältnisse hat, soll es nach dieser Auffassung dagegen nicht ankommen. In Geld beziffert wird der individuelle Wert - soweit keine festen Größen feststehen - durch Schätzung der individuellen Faktoren, die den individuellen Wert bedingen. Individuelle Faktoren sind z. B. Dauerhaftigkeit, Leistungsfähigkeit oder Wirtschaftlichkeit der Sachel18 • Bei der Schätzung als Beurteilen besonderer Art handelt es sich um einen Behelf, der niemals genau sein117 , sondern den Gegenstand nur in Annäherungswerten erfassen kann. Soll die Schätzung dabei nicht ins Blaue erfolgen, müssen jedoch strenge Methoden angewandt werden, die der Schätzung als einem gegenstandsbedingten (objektiven) und analytischen Verfahren entsprechen118• Das ist auch in § 287 ZPO vorausgesetzt. Ein zu großes "Schätzungsermessen" wird dem Richter damit nicht eingeräumt118 • Keine Rolle spielt es bei der Schätzung des in Geld geschuldeten Schadensersatzes, in bezug auf welche Gegenstände die Einbuße eingetreten ist. Es kann sich sowohl um Vermögensgegenstände als auch um Nichtvermögensgegenstände handeln. In Geld schätzbar sind gemäß § 287 ZPO alle Gegenstände. Dies wird in der Rechtsprechung auch mittlerweile nicht mehr bestritten, wie sich daran zeigt, daß nach den Rechtsprechung die Schätzung des Schmerzensgelds1to und der entgangenen Freizeitl21 keine Schwierigkeit bereiten soll. Als Anhaltspunkte für die Schätzung können dabei Maßstäbe und Tarife herangezogen werden, wobei allerdings beachtet werden muß, daß dadurch ein Nichtvermögensgegenstand nicht zum Vermögensgegenstand, ein Nichtvermögensschaden nicht zum Vermögensschaden wird. tu Hervorhebung vom Verfasser. 115 Larenz, SehR I, § 29 I b (445). 111 Wolf, SehR I, § 4 G II f 3 aa (227). 117 Wolf, SehR I, § 4 GIlb 1 aa (183); ähnlieh auch Gottwald, S. 81 m. w. N. 118 Wolf, SehR I, § 4 G II f 2 ii (226); vgl. auch. Gottwald, S. 81. 111 So aber Hans Stoll, Begriff, S. 18. uo Vgl. Wolf, SehR I, § 4 G II f 3 bb (236). 111 Vgl. BGH 63, 105.

Schlußbemerkung Bei der Erkenntnis des Schadens und seines Ersatzes werden in der Rechtsprechung die Gesamtvermögensdifferenztheorie, die Lehre vom objektiven, normativen und dualistischen Schaden zugrunde gelegt. Keine dieser Schadenslehren konnte einer kritischen überprüfung standhalten. Die Gesamtvermögensdifferenztheorie ist das Produkt der idealistischen Konstruktionsjurisprudenz, die Lehren vom objektiven, normativen und dualistischen Schaden sind auf eine normativ-teleologische Rechtsauffassung gegründet. Gemeinsam ist den genannten Schadenslehren, daß sie auf idealistischer Grundlage beruhen. Merkmal der idealistischen Philosophie ist die Identität von Denken und Sein. Reale Gegenstände und Erfahrung dieser Gegenstände aufgrund sinnlicher Wahrnehmung werden verneint. Die Gegenstände werden vielmehr in einem absoluten "Bewußtsein" apriorisch konstruiert oder produziert, intuitiv geschaut oder gefühlt oder dialektisch bestimmt. Der Absage an die realen Gegenstände, Verhältnisse und Zustände sowie einer gegenstandsbedingten (objektiven) Erkenntnis durch die idealistische Philosophie und der darauf gegründeten Rechtslehren entsprechen die von der Rechtsprechung vertretenen Schadenslehren. Der Interessebegriff oder. die damit identische Gesamtvermögensdifferenztheorie Puchtas und Mommsens ist eine subjektive ideale Konstruktion, die sich nicht auf einen realen, in einem oder mehreren einzelnen realen Gegenständen eintretende Einbuße bezieht. Der Schaden, der in einer idealen ganzheitlichen Wertdifferenz bestehen soll, ist vielmehr ein "Gedankending", welches ohne "Rechtsoperation" keine Existenz hat. Die Existenz eines realen, d. h. bewußtheitsunabhängigen Schadens wird geleugnet. Dasselbe gilt für die normativ-teleologischen Schadenslehren. Nach diesen Auffassungen kommt es darauf an, ob "zweckrational" ein Schaden vorliegt. Der Unterschied zwischen der objektiven, normativen oder dualistischen Schadenslehre besteht nur im Hinblick auf die behaupteten "Zwecke" oder "Ideen", die zur Bestimmung des Schadens und Schadensersatzes herangezogen werden. Während die Lehre vom objektiven Schaden ausschließlich auf einen "Rechtsverfolgungszweck" abstellt, wird nach der Lehre vom nQrmativen und dualistischen Schaden die "schadensrechtliche Beurteilungsbasis" auf "alle in Betracht kommenden Zwecke" erweitert, durch die

Schlußbemerkung

173

der Schadensbegriff als Zweck- oder Rechtsbegriff teleologisch geprägt werden soll. Bei dem Zweckbegriff Schaden handelt es sich um eine subjektive änderbare Zweckkonstruktion, die einem realen Schaden nicht entspricht. Grundlage der eigenen Auffassung zur Erkenntnis des Schadens und seines Ersatzes bildet eine empirisch-realistische Erkenntnislehre. Nach dieser Lehre ist jeder Begriff, jedes Urteil, jedes Gesetz und jede gesetzesähnliche Regel vollständig auf die methodische wissenschaftliche Erfahrung realer Seiender gegründet. Im Unterschied zur Gesamtvermögensdifferenztheorie ist der Schaden keine ideale, durch einen Umstand bedingte Einheit, sondern besteht aus einzelnen individuellen realen Nachteilen. Der Schaden ist einer oder mehrere in einem Umstand begründete einzelne individuelle Nachteile. Ein individueller Nachteil ist eine in bezug auf einen oder mehrere in besonderer Weise miteinander zusammenhängende Gegenstände eintretende Einbuße einer individuellen Möglichkeit personhaften Existierens. Um einen Vermögensnachteil als Nachteil besonderer Art handelt es sich dann, wenn für einen Menschen eine Einbuße an individuellen Möglichkeiten personhaften Existierens in bezug auf einen oder mehrere Vermögensgegenstände besteht. Tritt die Einbuße nicht in bezug auf einen Vermögensgegenstand, sondern in einem Gegenstand anderer Art ein, handelt es sich um einen Nichtvermögensnachteil. Ob ein Schaden vorliegt, ist durch Anwendung des Begriffs Schaden, ob ein Vermögensschaden vorliegt, durch Anwendung des Begriffs Vermögensschaden zu erkennen. Von dem Schaden und seiner Erkenntnis ist der Inhalt der Schadensersatzpflicht und deren Erkenntnis zu unterscheiden. Inhalt der Schadensersatzpflicht ist der Ausgleich des Schadens, d. h. Herstellung des individuellen Zustands, der demjenigen entspricht, der bei Nichteintritt des Schadens bestehen würde. Diese inhaltliche Bestimmung des als Schadensersatz geschuldeten Ausgleichs entspricht dem Inhalt des § 249 S. 1 BGB. Die Regelung des § 249 S. 1 BGB enthält nicht nur eine Aussage über die Art und Weise der Schadensersatzleistung; sondern bestimmt auch den allgemeinen Inhalt der Schadensersatzpflicht. Der nach § 249 S. 1 BGB herzustellende Zustand bezieht sich in Inhalt und Umfang auf den real eingetretenen Schaden, d. h. auf die einzelnen realen und individuellen Nachteile, die in einem tatbestandsmäßigen Umstand begründet sind. Die Schadensersatzpflicht hängt in Inhalt und Umfang ausschließlich vom real eingetretenen Schaden ab.

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Sachwortverzeichnis Affektionswert 67,112,169 angemessene Lizenzgebühr 29 f., 118 f. Anlageschaden 27,164 Arbeitskraft 32, 102 außerordentlicher Wert 79, 112, 169; s. a. individueller Wert, subjektiver Wert Ausgleichszweck 104, 128 ff., 140 Begriff 58,144 ff. Begriffsbildung 23, 88 ff., 130, 144 ff. Begriffsjurisprudenz s. Konstruktionsjurisprudenz Bereicherungsverbot 113 Billigkeit 134 ff., 140 Billigkeitserwägungen 29 Fn. 132, 118, 134 ff. Billigkeitsrechtsprechung 100, 137 Bußgedanke, Bußfunktion 22, 85 damnum emergens 17, 61 dialektische Methode, Dialektik 39 ff., 90, 123, 132, 139, 146 Differenzhypothese s. Gesamtvermögensdifferenztheorie, Interessebegriff Differenzhypothese, reine 31 f., 63 f., 137 Differenzrechnung s. Gesamtvermögensdifferenztheorie, Interessebegriff Drittschadensliquidation 20, 24, 30, 33, 56 f., 163 dualistische Konzeption des Schadens 160 f. Erkennen 37 ff., 40, 146 Erkenntnis apriori 42 ff., s. a. 72 ff., 154 Einzelnachteile 55 ff., 147 ff., 151 empirisch-realistische Erkenntnislehre 138, 143 ff., 154 entgangener Gewinn 17 f., 78, 149, 154

Fallgruppe 20, 24, 33, 137, 141 Fangprämie 33 Frustrierungsgedanke 98 Fn. 149 Gebrauchsvorteile - Begriff 157 - entgangene 24 ff., 73, 99 f., 109, 152, 157 f., 164, s. a. 111 Gebrauchswert 67 f., 112, 118, 169 f. Geldwert 51, 53, 66, 96 f., 101 Gema-Rechtsprechung 29, 118 gemeiner Wert 116, s. a. Marktwert, objektiver Wert, Verkehrswert Genugtuungsfunktion 22, 71, 85, 101 Gesamtvermögensdifferenztheorie 15 ff., 22, 24 f., 27, 30 ff., 35, 50 ff., 83 ff., 98, 102, 108 f., 111, 114, 124, 129 ff., 155, s. a. Interessebegriff Haftung 83 Hermeneutik, juristische 139 hermeneutischer Zirkel 132 hypothetische Kausalität 24, 26 ff., 109, 163 idealistische Philosophie 24, 35 ff., 39, 81, 138 Idee 23 ff., 36 ff., 53, 57, 80 f., 89 id quod interest 62 Interessebegriff 15 ff., 21, 50, 54, 56, 58, 60 ff., 70 f., 72 ff., 76 ff., 88, 102, 114, 147, 154 individueller Wert 112, 115, 169 ff., s. a. außerordentlicher Wert, subjektiver Wert Konstruktionsjurisprudenz 16 f., 23, 50, 62, 69, 72, 80, 88, 146 Kommerzialisierung 26, 97 ff., 130 f. Lohnfortzahlung 31 lucrum cessans 17, 61 Mangel- und Mangelfolgeschaden 106 f. Marktwert 19 Fn. 37, 54, 67, 116, 118,

Sachwortverzeichnis 169 ff., s. a. gemeiner Wert, objektiver Wert, Verkehrswert merkantiler Minderwert 24 f., 109, 111, 113, 152 Methode des Vergleichs 75 f., 108, 149 f., 165 ff. Mindestschaden 19 Fn. 37, 21, 29, 80, 102 f., 108, 110 Nachteil 54 ff., 59, 61 f., 64, 72 ff., 78, 103, 147 ff., 150 ff. Nichterfüllungsschaden 106 f. Nichtvermögensschaden 54, 69 ff., 96 ff., 155 ff. Nutzungsmöglichkeit, entgangene s. Gebrauchsvorteile, entgangene objektiv-normativer Wert 116 ff. objektiver Schadenskern 68, 102 objektiver Wert 19 Fn. 37, 21, 68, 80, 96, 102 f., 107 ff., 110 ff., 115, 116 ff., 169, s.a. Marktwert Objektivierung des Schadensersatzes 22 Fn. 64, 67, 69, 107 ff., 119 Pauschalierung s. Objektivierung phänomenologische Methode 24, 46 ff. Präventionszweck: 22, 85, 101, 130 f., 136, 140 rechnerische Differenz 58 f. Rechtsgefühl 81 f., 134 ff. Rechtsfortsetzungsgedanke, rechtsverfolgender Zweck, rechtsverfolgende Funktion s. Rechtsverfolgungszweck: Rechtssicherheit 136 f. Rechtsverfolgungszweck: 22, 80 ff., 87 ff., 91, 93 ff., 101, 104, 106, 109, 119, 130 f., 133, 136, 140 richterliche Rechtsfortbildung 137 ff. Sachwert 54,68 Fn. 103, 110, 116 Sanktionsfunktion, Sanktionszweck: 22, 28, 85, 101, 109, 130 f., 136, 140 Schaden (s. a. Schadensbegriff) - dualistischer 35 - gegliederter 21 f. - individueller 110 ff. - konkreter 17, 59 Fn. 59, 68 Fn. 100 - mittelbarer 21, 84, 102 ff., 109, 147 - natürlicher 91 - normativer 24, 30 ff., 35, 80, 119 ff. - objektiver 21 ff., 25, 28, 34 Fn. 168, 35, 80 ff., 88, 102, 107, 110, 119

187

-

positiver 78 realer 25, 58, 77, 88 f., 108, 119, 121 f., 125, 127, 143, 147 ff., 163 - rechnerischer 59, 76 - rechtlich ersatzfähiger 91 - subjektiver 17, 68 Fn. 100 - tatbestandsmäßiger 160, s. a. 148 - unmittelbarer 21, 84, 102 ff., 108 f. Schadensbegriff (s. a. Schaden) - als apriorische Konstruktion 72 ff. - als Zweckbegriff 87 ff., 119 - dualistischer 32 ff., 50, 122 ff., 130 - faktisch-normativer 123 Fn. 38 - gegliederter 26 Fn. 103, 28, 102 ff., 109 - normativer 20, 28 Fn. 117, 29 Fn. 131, 30 ff., 119 ff., 130, 137 ff. - objektiver 33, 88, 113, 115 - subjektiver 113 Schadensberechnung - abstrakte 17 f., 19 Fn. 38, 21 ff., 25 f., 28 f., 55, 65, 75, 93, 110 f., 116 - abstrakt-normative 22, 116 - abstrakt-typisierende 18 Fn. 34, 22 - auf hypothetischer Grundlage 22 Fn.63 - individuelle 64 f., 110, 115 - konkrete 17 f., 55 Fn. 35, 64 ff., 75, 168 - objektive 21, 28 Schadensermittlung, Methoden der 15 ff. Schadensersatz - individueller 110 ff., 168 ff. - Sinn und Zweck: des 20, 24, 33, 87, 162 f. Schadensersatzbegriff 71, 75, 81J 129 Schadensersatzpflicht - Abhängigkeit der 161 ff. - individuelle Erkenntnis der 168 ff. - Inhalt der 23, 60, 62 f., 65, 70 f., 75, 76, 78, 82, 86, 107 ff., 110, 158 ff. Schätzung 115,118,169,171 Sozialschaden 114 f. Strafe 71, 85 Straffunktion, Strafzweck: 22, 85, 87 subjektiver Wert 66 f., 75, 116, s. a. individueller Wert Subjektsbeziehung 110 f., 152 teleologische Auslegung 128, 139 f. teleologische Betrachtungsweise 23, 80

188

Sachwortverzeichnis

teleologische Methode 124 ff. teleologisch-normative Rechtsauffassung 80 ff., 87 ff., 119, 132, 154, s. a. 23 f., 35 Totalschadensbasis, Abrechnung auf 111 f. Typisierung s. Objektivierung Verbrauchswert 67, 112, 169 Vermögen 51 ff., 78, 155 ff. Vermögensschaden 16, 21, 26, 32, 50, 54 f., 60, 68, 69 ff., 77 ff., 80, 87 ff., 96 ff., 122 f., 166, 171 Vermögenswert 21, 26, 63, 96 ff., 109 Verkehrsauffassung 26, 99 ff. Verkehrswert 108, 112, s. a. Marktwert, objektiver Wert Vorhalte bzw. Vorsorgekosten 30 Fn. 137, 33, 34 Fn. 168 Vorteilsausgleichung 19 f., 24, 30, 33, 56, 57, 61 f., 77, 134 Fn. 116, 162 ff. wertende Betrachtungsweise 32 f.,

124 ff. Wertersatz 108 Wertphilosophie 24, 48 f., 94, 117 Wertung 20, 24, 30 f., 92 ff., 96 ff., 101, 105, 121, 124 ff., 133 Wertungsgesichtspunkte 128 ff. Wertungsjurisprudenz 23 f., 35, 94, 117 Wertungsmaßstäbe 20, 32, 34, 124, 134, 140, 154 Wertungsprinzipien 23 Wiederbeschaffungswert 111 f. wirtschaftliche Betrachtungsweise 26, 101 wirtschaftliche Wertung 26, 31, 92 Zeitwert 113 Zweck 23 f., 30, 37, 81, 89, 125, 136, 139, 154 Zweckbegriff 87 ff., 119 zweite Schadensberechnungsmethode bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten 24, 28 f.