Mittelbare Diskriminierung teilzeitbeschäftigter Betriebsratsmitglieder?: Eine kritische Analyse der Rechtsprechung [1 ed.] 9783428505425, 9783428105427

Benachteiligungen von Teilzeitarbeitskräften gelten als Hauptanwendungsbeispiel für die sog. »mittelbare Diskriminierung

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Mittelbare Diskriminierung teilzeitbeschäftigter Betriebsratsmitglieder?: Eine kritische Analyse der Rechtsprechung [1 ed.]
 9783428505425, 9783428105427

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CHRISTIAN TRAUPE

Mittelbare Diskriminierung teilzeitbeschäftigter Betriebsratsmitglieder?

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 204

Mittelbare Diskriminierung teilzeitbeschäftigter Betriebsratsmitglieder? Eine kritische Analyse der Rechtsprechung

Von

Christian Traupe

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Traupe, Christian:

Mittelbare Diskriminierung teilzeitbeschäftigter Betriebsratsmitglieder? : eine kritische Analyse der Rechtsprechung I Christian Traupe. - Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht; Bd. 204) Zug!.: Bonn, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10542-7

D5 Alle Rechte vorbehalten

© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-10542-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@

Vorwort Direkt faßbare rechtliche Benachteiligungen wegen des Geschlechts sind heute kaum noch zu finden. Vielmehr richtet sich der Blick auf Ungleichbehandlungen, die erst mit Hilfe von Statistiken aufgedeckt werden können. Benachteiligungen von Teilzeitarbeitskräften gelten als Hauptanwendungsbeispiel für die sog. "mittelbare Diskriminierung". Mittlerweile hat sich zwar die in den 90er Jahren zum Teil sehr vehement geführte Diskussion um dieses "Rechtsinstitut" etwas beruhigt. Doch erscheint nach wie vor eine grundsätzliche Klärung der juristischen Grundlagen vonnöten, die bei der Anwendung bisher weitgehend ausgeblendet worden ist. Daher werden in dieser Arbeit schwerpunktmäßig das EG-Recht und das deutsche Verfassungsrecht überprüft, inwieweit sie diese aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis stammende richterrechtliche Rechtsfigur enthalten. Ausgangspunkt sind drei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes zur Frage einer mittelbaren Diskriminierung von teilzeitbeschäftigten weiblichen Betriebsratsmitgliedem, die an einer ganztägigen Schulung nach § 37 BetrVG teilnehmen. Die Diskussion dieser Entscheidungen verdeutlicht das Ehrenamtsprinzip und das Lohnausfallprinzip des Betriebsverfassungsgesetzes, was vor dem Hintergrund der aktuellen Reformüberlegungen Beachtung verdient. Gerade die dogmatische Überprüfung zeigt, daß die Rezeption des Verbots der mittelbaren Diskriminierung - bei allem Verständnis für das grundsätzliche Anliegen- nicht überzeugt. So ergibt die Auslegung von Art. I4I EG, daß diese Norm nur unmittelbare Unterscheidungen wegen des Geschlechts verbietet. Bei einer Anknüpfung an geschlechtsneutrale Regelungen wird gerade nicht nach dem Geschlecht differenziert. Vielmehr wird dieses Kriterium substituiert durch das statistische Ergebnis einer bestimmten Maßnahme unter Anknüpfung an das Ersatzmerkmal "Geschlechtsrolle". Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des EuGH stellt das Verbot eine neue Rechtsregel dar, die über den Wortlaut des Art. 141 EG hinausgeht. Im übrigen fehlt der EG die Kompetenz zu ihrer Etablierung. Art. 3 Abs. 3 Satz I bzw. Abs. 2 Satz I GG sind als strikte Anknüpfungsverbote typisierungsfeindlich und beinhalten deshalb auch keine Fälle "umgekehrter Typisierungen" wie im Fall der mittelbaren Diskriminierung bei Anknüpfung an neutrale Merkmale. Tatsächlich sind geschlechtstypisch wirkende Regelungen vielfach unverzichtbar, um typische Nachteile für Frauen auszugleichen. Hierfür ist an Kriterien anzuknüpfen, die ganz überwiegend von Frauen erfüllt werden und für diese Vergünstigungen enthalten. Dies läßt zugunsten von Frauen wirkende Maßnahmen zu, die aber auch Männer in derselben Lebenssituation begünstigen.

6

Vorwort

Um dies zu erreichen, sind neutrale Maßnahmen ausschließlich anhand von Art. 3 Abs. 1 GG zu prüfen, der bei dem hier zugrunde gelegten Verständnis eine flexible Verhältnismäßigkeitsprüfung gestattet. Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2000/2001 von der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn als Dissertation angenommen. Mein besonderer Dank gilt meinem verehrten Doktorvater, Herrn Professor Dr. Meinhard Heinze, der diese Arbeit angeregt und die Untersuchung in jeder Hinsicht unterstützt hat. Dies hatte großen Einfluß auf meine wissenschaftliche und persönliche Entwicklung. Herr Professor Dr. Heinze hat mich über viele Jahre an seinem Lehrstuhl gefördert, zu selbständiger Forschung ermutigt und mir den dazu nötigen Freiraum eingeräumt. Herr Professor Dr. Herbert Fenn hat freundlicherweise die Mühe des Zweitgutachtens auf sich genommen. Auch ihm gebührt hierfür mein besonderer Dank. Daneben möchte ich auch allen danken, die als geduldige Zuhörer und unentbehrliche Diskussionspartner zum Entstehen der Arbeit beigetragen oder sonst wertvolle Hilfe geleistet haben. Besonders hervorheben möchte ich meine Eltern, ohne deren Unterstützung diese Arbeit nie zustande gekommen wäre. Bonn, im April 2001

Christian Traupe

Inhaltsverzeichnis

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

A. Themenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

B. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

1. Kapitel

Die der Untersuchung zugrunde liegenden Fälle

22

A. Die erste Entscheidung des EuGH (,,Monika Bötel") . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

I. LAG Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

II. Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

1. Schlußantrag des Generalanwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

2. Das Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

111. LAG Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

B. Die zweite Entscheidung des EuGH (,,Johanna Lewark" ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

I. Der Vorlagebeschluß des BAG v. 20. 10. 93 -7 AZR 581 I 92 (A) . . . . . . . . . . . . . .

26

II. Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

1. Schlußantrag des Generalanwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

2. Das Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

III. Die Entscheidung des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

8

Inhaltsverzeichnis

C. Die dritte Entscheidung des EuGH ("Edith Freers und Hannelore Speckmann") . . . . .

30

I. ArbG Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

II. Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

l. Schlußantrag des Generalanwalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

2. Das Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

D. LAG Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

E. LAG Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

F. BAG .. . .. .. . ... ... ..... . . .. .. .. . .. . . .. .. . .... .. ... . ...... . .. . . . . . .. .. . .. .. ... . . ... .

34

G. Die "umgekehrte" Konstellation . . . . .. .. . . . .. .. .. . . . . .. . . . . . . .. . . .. .. . .. . . . . . . . . . . . .

35

I. LAG Hamm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

II. Die Entscheidung des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

H. Die Positionen in der Literatur . .. . . .. .. .. . . .. . . .. . . .. . . . .. . . . .. . . .. .. . .. . . .. . . . . .. . .

36

2. Kapitel Analyse der Rechtsgrundlagen

38

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

I. Entscheidungskompetenz des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

l. Verfahrensgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

2. Vorlageberechtigung nationaler Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

II. Verstoß gegen Art. 119 EGV .. .. .. .. . .. . .. . .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. ..

39

l. Entstehungsgeschichte und Regelungssinn . . . .. . .. . . . .. . . . .. . . . .. .. .. . .. . . . .

39

Inhaltsverzeichnis 2. Die Begriffe Entgelt und Arbeit im Art. 119 EGV

9 40

a) Entgeltbegriff in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

b) Gegenansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

c) Auslegung der Begriffe Entgelt und Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

aa) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

bb) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

cc) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

dd) Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

(a) Rechtsgrund für die Lohnweitergewährung nach § 37 Abs. 2 BetrVG ... . .. .. . ............... .. .. .. . . . . ............... ... . .. . .

46

(b) Konsequenzen der Ansicht des EuGH . . . . . . .. .. . . . .. . . . . . . . . . . . .

48

3. Gleiches Entgelt für gleiche Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

a) Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

b) Unmittelbare und verdeckte Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

4. Tatbestand des Verbots der mittelbaren Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

a) Begrifflich gleichbehandelnde Regelung oder Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . .

53

b) Wesentlich größere nachteilige Auswirkung für ein Geschlecht . . . . . . . . . .

53

aa) Verhältnisbildung unter den Geschlechtergruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

(a) Die Ansicht der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

(b) Die Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

(c) Kritische Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

bb) Richtige Vergleichsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

cc) Das Ausmaß der nachteiligen Auswirkung für ein Geschlecht . . . . . . .

62

c) Geschlechtsspezifische Gründe der benachteiligenden Auswirkung . . . . . .

66

aa) Überblick über den Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

bb) Reine Kausalitätsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

cc) Zurechenbarkeit wegen objektiv geschlechtsdiskriminierender Tendenz . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . .

67

dd) Trennung von Kausalität und Zurechenbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

ee) Benachteiligung wegen der Geschlechtsrolle als weiterer Prüfungspunkt . . . . . .. . . . . . .. . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . .. . . . . . . . . . . . . .

70

10

Inhaltsverzeichnis ff) Ablehnung einer eigenen Kausalitätsprüfung

71

gg) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

(a) conditio-sine-qua-non-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

(b) Zurechnungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

(aa) Verantwortungsbeziehung des Arbeitgebers zur Betriebsräteschulung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

(bb) Besondere Verantwortung für teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

d) Benachteiligungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

aa) Ablehnung der Diskriminierungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

bb) Befürwortung der Diskriminierungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

e) Objektive Rechtfertigung . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. .. . . . . .. . . . .

84

aa) Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

(a) Sachlicher Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . .. . .

85

(b) Biologische bzw. funktionale Unterschiede.......... . .. . . ...... .

85

(c) UnternehmeTisches Bedürfnis . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . .. .. . .

88

(d) "Zwingend geboten" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

(e) Differenzierung des Prüfungsmaßstabes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

(f) Richtlinienvorschlag der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

bb) Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

(a) Generelle Rechtfertigungsgründe bei mittelbarer Diskriminierung (aa) Anreiz zur Vollzeitarbeit

94 94

(bb) Lohnnebenkosten ... . ....... . .. . . . ......... . .. . .. . ... . .. . .

95

(cc) Sonstige Gründe . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

(b) Spezielle Gründe im konkreten Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

(aa) Amt im Mitbestimmungsorgan als Ehrenamt . . . . . . . . . . . . . .

97

(bb) Lohnausfallprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (1) Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (2) Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (3) Tatbestand und Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (c) Verhältnismäßigkeilsprüfung . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. .. . . . . . 107 (aa) Geeignetheil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (bb) Erforderlichkeil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (cc) Angemessenheil . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

Inhaltsverzeichnis

11

f) Rechtsfolge einer mittelbaren Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

aa) Rechtsprechung des EuGH .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . 110 bb) Die Rechtsprechung des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . 112 cc) Die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 3 GG.......... .... .. .. .. .. . 113 dd) Ansichten in der Literatur . .. . .. .. .. .. .. .. .. . . . . . . . . .. .. .. . .. . . . .. . . . 114 ee) Kritische Würdigung . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . 116 ff) Auslegung des Art. 119 EGV in bezug auf die Rechtsfolgenanord-

nung ............. . .. . ..................... . ............. . ........... 118 (a) Wortlaut . .. . . . . . . . . . . .. .. .. .. . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . .. . . . 118 (b) Systematik.. .. ...................... .. .................. .. ...... 118 (c) Teleologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 (aa) Art. 119 EGV .. . .. .. .. . .. . .. . .. .. .. . .. .. . .. .. .. .. .. .. .. . .. 122 (bb) Art. 3 GG .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. . .. .. . .. .. .. 124 gg) Ergebnis

127

g) Beweislast . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . .. . . . . .. .. . . 128 aa) Rechtsprechung des EuGH .. .. .. .. .. . . .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. . .. 128 bb) Richtlinienvorschlag der Kornmission . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . .. .. . . 129 cc) Die Beweislastverteilung in§ 611a BGB .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 130 dd) Verbot der mittelbaren Diskriminierung als Beweisinstrument . . . . . . . 131 ee) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . .. . . .. . . . . .. .. . . . .. . . . . . . . .. .. .. 134 III. Verstoß gegen das Grundrecht auf Beseitigung von geschlechtsbedingten Benachteiligungen im Arbeitsverhältnis . . . . . .. . . . .. . . . .. . . . .. . .. . . . .. . . . . . . . . .. . . . 135 IV. Verstoß gegen die Richtlinie 75 I 117 I EWG . . . . .. . . .. . . . .. .. . . . . . .. .. .. .. . .. .. . 135 V. Verstoß gegen die Richtlinie 761207 IEWG . . . . . . .... .. .. ... . ...... . . ... .... ... 136 I. Unmittelbare Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

2. Umsetzungsdefizit hinsichtlich Art. 5 der Richtlinie 76 I 207 I EWG

136

3. Horizontale Wirkung von Richtlinien . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . .. .. .. .. .. . .. . . . 138

12

Inhaltsverzeichnis VI. Staatshaftungsanspruch

140

1. Voraussetzungen nach der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

2. Kritik an der Kreierung der mitgliedstaatliehen Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . 143 B. Die Rechtsgrundlagen des nationalen Rechts . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . .. . . . . . . . . 144 I. Verstoß gegen Art. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 II. Verstoß gegen Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 . . . . . . . . .. . . . . . . . .. .. . . . . . .. . . . . . 145 III. § 37 Abs. 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 1. Anwendbarkeit für Teilzeitkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Gleichsetzung von Betriebsratstätigkeit und Schulungsteilnahme . . . . . . . . . . . . 152 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Stellungnahme. .. ...... . ......... . ... . . ... . .. .. .. . ........ . . .. . .... . .. . .. 153 3. Betriebsbedingte Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 IV. § 37 Abs. 6 i. V. m. Abs. 3 BetrVG analog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . 158 1. Regelungslücke . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . 159

2. Lückenschließung durch analoge Anwendung des § 37 Abs. 3 BetrVG . . . . . . 162 a) Allgemeine Voraussetzungen und Grenzen des Analogieschlusses . . . . . . . . 162 b) Analoge Anwendung von Ausnahmevorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 c) Vergleichbarkeit der Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 aa) Ähnlichkeit von Betriebsratstätigkeit und Schulungsteilnahme . . . . . . . 166 bb) Ähnlichkeit von betriebsbedingten und betriebsratsbedingten Gründen............. . . . . . ....... . ........... . . . . ..... .. . . ...... . . . ... . . . . 167 3. Zusammenfassung

169

V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

Inhaltsverzeichnis

13

3. Kapitel

Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

171

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 I. Gleiches Entgelt für gleiche Arbeit............ . ... . .. . .......... . ....... . ...... 171

I. Formen der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 a) Unmittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 b) Mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 aa) Herkunft, Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (a) Gleichberechtigung im Verfassungsrecht der USA ... ... . . ..... .. 172 (b) Gleichberechtigung im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 (aa) Equal Pay Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 (bb) Civil Rights Act 1964 Title VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (c) Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 bb) Dogmatische Herleitung nach EG-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (a) Vergleich mit anderen Diskriminierungsverboten des EG-Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (aa) Art. 6 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (bb) Art. 48 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (cc) Art. 95 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 (dd) Der allgemeine Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (ee) Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 (b) Herleitung aus Art. 119 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (c) Herleitung aus der Richtlinie 75 I 117 I EWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (d) Herleitung aus der Richtlinie 76 I 207 I EWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (e) Begriff nach der Richtlinie zur Beweislast in Fällen geschlechtsbedingter Diskriminierung von 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 cc) Sinn .. .............. . . . .... . ...... . .......... . ..... . ... . ....... . .. . .. 193 (a) Umgehungsverbot I Beweisinstrument . . . .. .... . ..... . . .. . .... . . . 195 (b) Mittel aktiver Frauenförderung..... . . .. . . . . ...... . ... . ... .. .. . .. 196 (aa) Etablierung eines Gruppenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (bb) Herstellung gleicher Ausgangsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . 198

14

Inhaltsverzeichnis (c) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (d) Gegenthesen- Versuch einer eigenen Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . 203 (aa) Die Zielsetzung der Frauenemanzipation: Gleichberechtigung -Gleichstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (bb) Gleichberechtigung und Chancengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . 205 (cc) Wahrung der Chancengleichheit und geschlechtsneutraler Ausgleich rollentypischer Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2. Bisherige dogmatische Konzeptionen des Verbots der mittelbaren Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . 2ll a) Trennung von Anwendungsvoraussetzungen und Rechtfertigungsprüfung

211

aa) SAG-Rechtsprechung................. . ... . . ................ . ... . . .. 2ll bb) Verbot der mittelbaren Diskriminierung als Kausalitätsprüfung . . . . . . 212 cc) Dominierungsverbot . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . 213 dd) Regelungsbezogene und verhaltensbezogene mittelbare Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 ee) Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung als "soziales Grundrecht" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 b) Keine Trennung von Tatbestand und Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 aa) Rechtfertigungsprüfung zur Konturierung des Tatbestandes . . . . . . . . . . 216 bb) Beweislastregel . .. .................................................. 217 c) Versuch einer Systematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 d) Konsequenzen aus der Kritik am herkömmlichen Verständnis des Verbots der mittelbaren Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 3. Auslegung des Art. 119 EGV hinsichtlich des Verbots mittelbarer Benachteiligung ................... . ..................... . ... . ................. . ...... 224 a) Wortlaut . .. .. . . . . . . . . . .. . .. . .. . . . .. . . .. . . . . . .. .. . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Entstehungsgeschichte . . . .. . . . . . .. . .. .. . . . .. .. . .. .. . . . . .. . . .. .. . .. . .. . . . . 225 c) Systematik ............ . ........... . ..... . .. . ... .. ................. . .. . . . 226 d) Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 4. Rechtsfortbildung durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 a) Abgrenzung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . 230

Inhaltsverzeichnis

15

b) Schließung einer Lücke in Art. 119 EGV ..... . ................. .. . . . . .... 232 aa) Der tatsächliche Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 bb) Der rechtliche Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 c) Daseffet utile-Prinzip als Legitimation für die Rechtsfortbildung . . . . . . . . 234 5. Kompetenz zur Kreierung eines neuen Rechtsinstituts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 a) Verbandskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 aa) Art. 117 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (a) Art. 117 EGVals Formelkompromiß .. . ...... . ................. . 237 (b) Ziele des Art. 117 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 bb) Art. 118a EGV .. . : . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 cc) Art. lOOa EGV ... . .. . .......... . .. .. .. . ... .. .... . ........ . . . . ....... 239 dd) Art. 100 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 (a) Art. 100 EGV als allgemeine Kompetenzvorschrift . . . . . . . . . . . . . . 240 (b) Art. 100 EGVals sozialpolitische Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 ee) Stillschweigend mitgeschriebene Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 (a) Kompetenz nach der implied powers-Lehre

247

(b) Kompetenz aus der resulting powers-Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 (c) Kompetenz nach der effet utile-Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

ff) Art. 235 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (a) Stellung des Art. 235 EGV im Kompetenzsystem . . . . . . . . . . . . . . . 252 (b) Ziele der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 (c) Befugnislücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 gg) Art. 2 Abs. 1 Sozialabkommen (Art. 137 Abs. 1 EG) . . . . . . . . . . . . . . . . 256 b) Organkompetenz .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. . .. . 257 B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 I. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 I. Die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 2. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 II. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

16

Inhaltsverzeichnis 111. Verortung in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 1. Das Verständnis des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG als striktes Anknüpfungsverbot

266

a) Die Begrifflichkeil des Unterscheidungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 b) Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 aa) Logische Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 bb) Natürliche Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 c) Bevorzugung und Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 aa) Auswirkung auf den Grundrechtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 bb) Verrechnung von begünstigenden und belastenden Wirkungen . . . . . . . 274 cc) Geringfügigkeit einer Auswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 dd) Außerhalb der Differenzierung liegende Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . 275 ee) Angemessenheil der Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 d) "Wegen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (a) Die Ansichten im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (b) Die Ansicht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

281

bb) Auslegung im Sinn eines Anknüpfungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (b) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 (c) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 (d) Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 2. Der Ausschluß von Typisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 a) Die Befugnis zur Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 b) Die Typisierungsfeindlichkeit der besonderen Differenzierungsverbote . . . 288 3. Auslegung des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG im Hinblick auf das Verbot mittelbarer Diskriminierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 b) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 c) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

Inhaltsverzeichnis d) Teleologie

17 293

aa) Verständnis als Gruppenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 bb) Umgekehrte Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 cc) Die Behandlung geschlechtstypischer Wirkung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 IV. Verortung in Art. 3 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 1. Auslegungsansätze im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 a) Gleichklang von Art. 3 Abs. 2 GG mit Art. 3 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 b) Zukunftsgerichtetes Verbot der Wiederherstellung alter Ungleichbehandlung ...... . . ......... . ... . ... .. . . .. . ....... . .......... . ......... . ... . .... 303 c) Differenzierungsverbot und Verfassungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 d) Kollektives Förderungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 e) nominierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 f) Art. 3 Abs. 2 GG als Spezialregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

2. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 a) Art. 3 Abs. 2 Satz I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 aa) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 (a) "Männer und Frauen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 (b) "Gleichberechtigt" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 (c) Formulierungsunterschied zu Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . 309 bb) Systematik .. . .. .. .. .. ................ . ... . ........... . . . . . ..... . . .. . 310 cc) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 dd) Teleologie .. .. . ... . .... . . .. . . ..... .. . . . ... . . . . . . . . . . . . . ... ....... . . .. 315 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 b) Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 aa) Auslegung des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 (a) "Tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung" . . . . . . . . . . . 324 (b) Die Förderungsklausel des 1. Halbsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 (c) Die Nachteilsausgleichsklausel des 2. Halbsatzes . . . . . . . . . . . . . . . 327 2 Traupe

18

Inhaltsverzeichnis bb) Objektiv-rechtliche Dimension des Art. 3 Abs. 2 GG

328

(a) Grundsätzliche Bedeutung der objektiv-rechtlichen Dimension . . 329 (b) Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 3. Das Verbot der Benachteiligung wegen mittelbarer Unterscheidungswirkungen . ................... ... ................ . ... . .. .. .. . ............. .. .. . . .. . 331 a) Der mittelbare Grundrechtseingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 b) Der mittelbare Eingriff in Art. 3 Abs. 2, 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 4. Unverzichtbarkeit merkmalstypischer Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 V. Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 1. Kritik an der Verortung der mittelbaren Diskriminierung in Art. 3 Abs. 1 GG

338

2. Tatbestand des Art. 3 Abs. 1 GG unter Berücksichtigung geschlechtstypischer Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 a) Allgerneiner Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 b) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . ......... . . . ...... . . .... 345 aa) Willkürverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 bb) Neue Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 cc) Literatur

346

dd) Synthese

347

c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388

Einleitung Aus allen Problemstellungen, die sich um Fragen der Gleichheit, der Gleichberechtigung und Gleichbehandlung von Mann und Frau ranken, nimmt ein Problem eine besondere Stellung ein, das der sogenannten mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts, also aller Ungleichbehandlungen, die nicht schon vom Wortlaut her an das Differenzierungskriterium "Geschlecht" anknüpfen. Dies hat sicherlich mit dem Umstand zu tun, daß direkt faßbare rechtliche Ungleichbehandlungen - zumal zu Lasten von Frauen - heute kaum noch zu finden sind. So verlegt man sich auf die Betrachtung der Stellung der Frau in der Gesellschaft und findet eine Vielzahl von tatsächlichen Schlechterstellungen, die sich oft nur mit Hilfe von Statistiken nachweisen lassen. Die dahinter zum Vorschein kommende Einstellung ist nicht neu. So hatte schon Alexis de Tocqueville in seinem Werk "Über die Demokratie in Amerika" im Jahre 1840 feststellen müssen: "Der Haß der Menschen gegen das Vorrecht wächst in dem Grad, wie die Vorrechte seltener und kleiner werden [ ... ]. Sind die gesellschaftlichen Bedingungen alle ungleich, so fällt keine noch so große Ungleichheit kränkend auf; wogegen der kleinste Unterschied inmitten der allgemeinen Gleichförmigkeit Anstoß erregt; deren Anblick wird umso unerträglicher, je durchgängiger die Einförmigkeit ist. Daher ist es natürlich, daß mit der Gleichheit selber die Liebe zu ihr unaufhörlich zunimmt; indem man sie befriedigt, steigert man sie." 1

Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung, das mit Hilfe von Statistiken aufgedeckte Ungleichbehandlungen einer bestimmten auch sonst benachteiligten gesellschaftlichen Gruppe vereiteln will, erscheint diesem Gedanken entsprungen. Sind die handgreiflichen Benachteiligungen alle abgebaut, fallen die minimalen Unterschiede umso deutlicher auf. Was aber gefordert werden wird, wenn auch auf dieser Stufe die Differenzen abgebaut sind, vermag man sich kaum vorzustellen. Denn selbst eine Verringerung der Unterschiede auf Minimaldifferenzen vermag eine Gesellschaft nicht zu "befrieden". 2

1 2

2*

Alexis de Tocqueville, S. 318 f. Maunz/Dürig, Art. 3 I, Rn. 169.

20

Einleitung

A. Themenstellung Mit Problemen der Teilzeitbeschäftigung sind Rechtsprechung und Wissenschaft schon seit einer Reihe von Jahren befaßt. Die vorliegende Arbeit will einen Aspekt der Teilzeitarbeit unter dem Gesichtspunkt der mittelbaren Diskriminierung herausgreifen, der in der jüngeren Vergangenheit den Gerichten in vergleichbaren Konstellationen immer wieder vorgelegen hat. Untersucht werden soll die Rechtsstellung der teilzeitbeschäftigten Betriebsrats-, Personalrats- und Schwerbehindertenvertretungsmitglieder. Nehmen teilzeitbeschäftigte Mitglieder von Mitbestimmungsorganen an Schulungsveranstaltungen im Sinn von § 37 BetrVG, § 46 BPersVG oder§ 26 SchwbG teil, die von ihrer Dauer her die individuelle Arbeitszeit des Arbeitnehmers überschreiten, stellt sich das Problem der Lohnfortzahlung bzw. eines denkbaren Freizeitausgleiches für die über die persönliche Arbeitszeit hinausgehende Schulungsteilnahme als Konsequenz einer möglichen Ungleichbehandlung von teilzeitbeschäftigten zu vollzeitbeschäftigten Mitgliedern von Mitbestimmungsorganen, mittelbar einer Diskriminierung von Frauen nach Art. 119 EGV (Art. 141 EG in der Fassung des Vertrages von Amsterdam) bzw. der Richtlinie des Rates 75 I 117 /EWG3 .

B. Gang der Darstellung Zunächst sollen die Fälle beschrieben werden, die die Rechtsprechung bisher entschieden hat (1. Kapitel). Der Fall "Monika Böte!", der vom Europäischen Gerichtshof (EuGH)4 auf Vorlage des Landesarbeitsgerichtes Berlin5 im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EGV behandelt worden ist, hat in diesem Bereich "Pilotfunktion". Die Untersuchung wird sich an diesem Fall orientieren, ohne die anderen Verfahren zu vernachlässigen, die infolge des Bötel-Urteils verschiedene dort nicht oder nicht hinreichend vertiefte Rechtsfragen behandelt haben. Dies kann deshalb geschehen, da die aufgeworfenen Rechtsfragen immer dieselben sind. Von daher rechtfertigt sich auch eine etwas freiere Behandlung der hinter den Fällen stehenden Rechtsprobleme als bei einem "schulmäßigen" Aufbau. Im Anschluß werden die Rechtsgrundlagen, die für einen Anspruch auf Weiterzahlung des Lohnes bei Teilnahme an Schulungsveranstaltungen in Betracht kom3 Richtlinie 75/117/EWG des Rates v. 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männerund Frauen, ABI. EG Nr. L 45, S. 19. 4 EuGH, 04. 06. 1992, Rs. C-360/90, (Arbeiterwohlfahrt der Stadt Berlin e.V./Monika Böte!), Slg. 1992, 1-3589 (3607 ff.) = DB 1992, 1481 = NZA 1992, 687 = BB 1992, 2073 = AP Nr. 39 zu Art. 119 EWG-Vertrag = EAS Nr. 21 zu Art. 119 EG-Vertrag 5 LAG Berlin, Beschluß v. 24. 10. 1990, DB 1991, 51= BB 1991, 142.

B. Gang der Darstellung

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men, analysiert (2. Kapitel). Ausgangspunkt sind die Rechtsgrundlagen des Europarechts, wobei der Schwerpunkt hier auf Art. 119 EGV liegt. Daneben werden die Rechts- und Anspruchsgrundlagen des nationalen Rechts, hier besonders und exemplarisch die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes, untersucht, inwieweit danach ein Lohnweiterzahlunganspruch gegeben ist. Das 3. Kapitel befaßt sich mit dem Phänomen der mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts. Dieses wird sowohl unter europarechtlichen als auch unter verfassungsrechtlichen Aspekten analysiert. Ziel der Arbeit ist es nicht, einzelne Probleme zu lösen, die zu den Tatbestandsmerkmalen des Verbots der mittelbaren Diskriminierung diskutiert werden. Diese Probleme werden daher nur angesprochen. Auf einen eigenen Ansatz zum Verbot der mittelbaren Diskriminierung wird insoweit bewußt verzichtet. Die Arbeit will grundsätzlicher die Verortung und Ableitung der neuen Rechtsfigur aus dem EGRecht und dem Verfassungsrecht klären.

1. Kapitel

Die der Untersuchung zugrunde liegenden Fälle A. Die erste Entscheidung des EuGH ("Monika Bötel") In zeitlicher Hinsicht früher ist vom LAG Berlin zwar nicht der Fall "Monika Böte!" behandelt worden, sondern der sogleich unter B. II. zu behandelnde Fall, doch empfiehlt sich von der exemplarischen Bedeutung dieses Falles her, nicht zuletzt wegen der Entscheidung des EuGH dazu, die Erörterung an dieser Stelle.

I. LAG Berlin Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist eine mit 29,25 Stunden durchschnittlicher wöchentlicher Arbeitszeit teilzeitbeschäftigte Hauspflegerin bei der Arbeiterwohlfahrt der Stadt Berlin, einem Verein, der im Land Berlin Aufgaben der Wohlfahrtspflege wahrnimmt. Im Jahre 1989 nahm die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende des Betriebsrates eines Kreisverbandes ihres Arbeitgebers an sechs ganztägigen Schulungsveranstaltungen teil, die für die Betriebsratsarbeit erforderliche Kenntnisse im Sinn von § 37 Abs. 6 Satz I BetrVG vermittelten und sich neben anderem mit Arbeitsrecht und Betriebsverfassungsrecht befaßten. Der Arbeitgeber gewährte für die Dauer der Schulung den ihrer persönlichen Arbeitszeit entsprechenden Lohn gemäß § 37 Abs. 6 Satz I i.V.m. Abs. 2 BetrVG. Die Klägerin erhielt aber keine Bezahlung für die außerhalb ihrer individuellen Arbeitszeit gelegenen Fortbiidungsstunden. Sie verlangte daher Vergütung der zusätzlich absolvierten Schulungsstunden bis zur Grenze der betrieblichen Vollarbeitszeit, die damals bei 40 Stunden wöchentlich lag, entweder in Form von bezahlter Arbeitsfreistellung oder einer Bezahlung von Überstunden. Das Arbeitsgericht Berlin 1 hat den Arbeitgeber verurteilt, der Klägerin eine bezahlte Arbeitsfreistellung für die außerhalb der persönlichen Arbeitszeit geleisteten Fortbildungsstunden zu gewähren. I

ArbG Ber1in, Urt. v. 18. 05. 1990- Az.: 54 Ca 95/90 (unv.).

A. Die erste Entscheidung des EuGH

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Auf die Berufung des Arbeitgebers hin hat das Landesarbeitsgericht Berlin das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH mit Beschluß vom 24. Oktober 1990 folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Ist es mit Artikel 119 EWG-Vertrag und mit der Richtlinie des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (751117 I EWG) vereinbar, wenn eine gesetzliche Regelung zwar Betriebsratsmitgliedern für Arbeitszeit, die wegen der Teilnahme an Schulungen (welche für die Betriebsratsarbeit erforderliche Kenntnisse vermitteln) ausfallt, Vergütung sichert (Lohnausfallprinzip), jedoch teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern, die für die Schulung über ihre individuelle Arbeitszeit hinaus Zeit aufwenden müssen, einen Ausgleich in Freizeit und I oder Geld für diesen zusätzlichen Zeitaufwand auch bis zur Höhe der betrieblichen Vollarbeitszeit verweigert, obwohl der Anteil der Frauen, die von dieser Regelung betroffen werden, wesentlich höher ist als der Anteil der Männer?"

Zur Begründung hat sich das LAG Berlin im wesentlichen auf den Gedanken gestützt, daß in § 37 BetrVG eine Regelungslücke in bezug auf teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder enthalten sei, die ohne Rechtfertigung gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts (Art. 119 EGV und Richtlinie 75/117 /EWG) verstoße. Denn § 37 Abs. 6 BetrVG verweise nur auf dessen Absatz 2 und nicht auf Absatz 3. Gerade § 37 Abs. 3 BetrVG böte aber einen Ausgleich für den Nachteil, den ein Betriebsratsmitglied hinzunehmen habe, das für Betriebsratstätigkeit aus betriebsbedingten Gründen Freizeit aufwenden müsse. Im übrigen seien teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder in der Regel Frauen. Der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Teilzeitbeschäftigten habe 1987 89,2% und 1989 86% betragen. Dieses Zahlenverhältnis müsse sich im allgemeinen in der Zusammensetzung der teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieder widerspiegeln, was durch einige Beispiele belegt werde.

II. Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH 1. Schlußantrag des Generalanwalts

Unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes, die eine weite Auslegung des Entgeltbegriffes in Art. 119 EGV beinhaltet, hat der Generalanwalt auch die "Vergütung der Fortbildungsstunden" als eine unter Art. 119 EGV fallende Form von Entgelt angesehen. 2 Zur Frage einer mittelbaren Diskriminierung hat der Generalanwalt auf die einschlägige Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Jenkins und Bilka verwiesen. Danach stünde der Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten von der betriebli2 Schlußanträge des GA Darmon v. 28. 01. 1992 in der Rs. C-360190 (Böte!), Slg. 1992, 1-3600 (3601 f.).

24

1. Kap.: Die der Untersuchung zugrunde liegenden Fälle

chen Altersversorgung im Widerspruch zu Art. 119 EGV, wenn sich herausstellen sollte, daß ein erheblich geringerer Prozentsatz Frauen als Männer vollzeitbeschäftigt und diese Maßnahme - unter Berücksichtigung der für weibliche Arbeitnehmer bestehenden Schwierigkeiten, als Vollzeitbeschäftigte zu arbeiten - nicht durch Umstände zu erklären sei, die eine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts ausschlössen3 . Dabei obliege der Nachweis, daß die unterschiedliche Behandlung von Teilzeit- gegenüber Vollzeitkräften auf Faktoren beruhe, die objektiv gerechtfertigt seien und nichts mit einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zu tun hätten, dem Arbeitgeber oder Gesetzgeber4 . Davon ausgehend hat der Generalanwalt eine unterschiedliche Behandlung von Teilzeitbeschäftigten im Verhältnis zu Vollzeitbeschäftigten untersucht. 5 Die Ungleichbehandlung bestünde darin, daß ein teilzeitbeschäftigtes Betriebsratsmitglied gezwungen sei, Freizeit aufzuwenden, wenn die Schulungsveranstaltung über seine Arbeitszeit hinausgehe, eine vollzeitbeschäftigte Kraft diese Notwendigkeit hingegen nicht treffe. Den Einwand, daß diese Situation auch für ein vollzeitbeschäftigtes Betriebsratsmitglied eintreten könne, wenn die Schulungsveranstaltung über die Regelarbeitszeit hinaus dauere, hat der Generalanwalt nicht zugelassen: Denn zur Feststellung, ob eine Diskriminierung vorliege, müsse die Lage der Vollzeitbeschäftigten und die der Teilzeitbeschäftigten nach denselben Maßstäben6 verglichen werden. Der Streitgegenstand sei darauf zu beschränken, ob ein Teilzeitbeschäftigter im Rahmen der Gleichbehandlung eine Vergütung für die Freizeit verlangen könne, die er für die Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung im Rahmen der für Vollzeitbeschäftigte geltenden betrieblichen Arbeitszeit7 aufgewendet habe, da die Vollzeitkräfte im gleichen Rahmen eine Vergütung erhielten, selbst wenn die Veranstaltungen länger dauerten. Diese unterschiedliche Behandlung treffe mehrheitlich Frauen, deren Freizeit häufig noch durch Erziehung der Kinder und die Führung des Haushalts in Anspruch genommen werde. So stelle sich die Frage nach einer objektiven Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung. Hierzu hat der Generalanwalt darauf hingewiesen, daß eine Prüfung der Gründe, die eine Rechtfertigung tragen könnten, Sache des vorlegenden Gerichts sei, daß aber gleichwohl der Gerichtshof Hinweise zu einzelnen Rechtfertigungsgründen geben könne, damit das mit dem Rechtsstreit befaßte Gericht eine sachdienliche Antwort erhalte.8 3 EuGH, 31. 03. 1981, Rs. 96/80 (J.P. Jenkins/K.ingsgate [Clothing Productions] Ltd.), Slg. 1981, 911 (925 f., Tz. 13); 13. 05. 1986, Rs. 170/84 (Bilka-Kaufhaus GmbH/Karin Webervon Hartz), Slg. 1986, 1607 (1627, Tz. 29). 4 EuGH, a. a. 0., Slg. 1986, 1607 (1627, Tz. 30). 5 Schlußanträge des GA Darmon v. 28. 01. 1992 in der Rs. C-360/90 (Bötet), Slg. 1992, 1-3600 (3603 ff.). 6 Schlußanträge, a.a.O, Slg. 1992, 1-3600 (3603, Tz. 16), Hervorhebung durch GA Darmon. 7 Schlußanträge, a.a.O, Slg. 1992, 1-3600 (3603, Tz. 16), Hervorhebung durch GA Darmon.

A. Die erste Entscheidung des EuGH

25

Die Folge einer derartigen Ungleichbehandlung sei, daß Teilzeitbeschäftigte generell davon abgehalten werden könnten, ein Betriebsratsamt anzunehmen, oder zumindest teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder, Schulungsveranstaltungen zur Vermittlung notwendiger Kenntnisse zu besuchen. Zwar gehöre eine solche Fortbildungsveranstaltung nicht zu den nach dem Arbeitsvertrag geforderten Leistungen, doch liege andererseits die Tätigkeit eines Betriebsrats nicht völlig außerhalb des Beschäftigungsverhältnisses, da hierdurch die Vertretung der Arbeitnehmerinteressen und der soziale Dialog innerhalb des Unternehmens gefördert werde. Hierbei habe der Arbeitgeber selbst ein Interesse daran, daß dieser Dialog mit kompetenten und gutunterrichteten Arbeitnehmervertretern geführt werde. Gerade hinsichtlich der Arbeitnehmergruppe der Teilzeitbeschäftigten, die weniger in den Betrieb eingegliedert seien als Vollzeitkräfte, sei dafür zu sorgen, daß diese ihre Interessen durch Vertreter im Betriebsrat geltend machen könnten. 9 Deshalb könne die unterschiedliche Behandlung nicht mit den unterschiedlichen Arbeitszeiten erklärt werden.

2. Das Urteil Der EuGH hat exakt im Sinn der Vorlagefrage entschieden und ist den Schlußanträgen des Generalanwalts gefolgt, Art. 119 EGV und die Richtlinie 75 I 117 I EWG stehe der Regelung des deutschen Betriebsverfassungsgesetzes entgegen, die für eine erheblich größere Zahl von Frauen als von Männern gelte und die die Vergütung, die teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder bei Teilnahme von Schulungsveranstaltungen im Sinn von § 37 BetrVG zu erhalten hätten, auf ihre individuelle Arbeitszeit beschränke, während vollzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder bei Teilnahme an derselben Schulung ihren Lohn bis zur Vergütung für Vollarbeitszeit erhielten. Dem Mitgliedstaat bleibe der Nachweis unbenommen, daß diese Regelung durch objektive Faktoren gerechtfertigt sei, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun habe.

111. LAG Berlin Das Landesarbeitsgericht Berlin ist von einer Bindungswirkung der Vorabentscheidung ausgegangen und hat sich in seinem Urteil vom 5. August 199210 der Rechtsprechung des EuGH angeschlossen, wonach feststehe, daß die betriebsverfassungsrechtliche Regelung, derzufolge teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder s Schlußanträge, a.a.O, Slg. 1992, 1-3600 (3604 ff.). 9 Schlußanträge, a.a.O, Slg. 1992,1-3600 (3605, Tz. 24-26). IO LAG Berlin, Urt. v. 05. 08. 1992-8 Sa 64/90, rlcr. (unv.), erwähnt bei Schiefe r, DB 1993, 1822 u. dems., NZA 1993, 822 (826).

26

1. Kap.: Die der Untersuchung zugrunde liegenden Fälle

bei Schulungsteilnahme keinen Anspruch auf eine über ihre individuelle Arbeitszeit hinausgehende Vergütung hätten, gegen Art. 119 EGV und die Lohngleichheitsrichtlinie verstoße. Entsprechend hat das LAG Berlin § 37 Abs. 6 Satz l i. V. m. Abs. 2 BetrVG nicht angewandt. Die daraus entstehende Lücke hat es durch "Gleichstellung vollzeit- und teilzeitbeschäftigter Betriebsratsmitglieder" hinsichtlich der Vergütung der für Schulungsveranstaltungen aufgewendeten Arbeitszeit geschlossen.

8. Die zweite Entscheidung des EuGH (,,Johanna Lewark") I. Der Vorlagebeschluß des BAG v. 20.10. 93-7 AZR 581/92 (A) In dem dem Vorlagebeschluß des BAG 11 zugrundeliegenden Fall verlangte die Klägerin, das einzige teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglied im Betriebsrat des Beklagten, Freizeitausgleich wegen der Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung, die länger dauerte als ihre individuelle Arbeitszeit. Die Klägerin war mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30,8 Stunden verteilt auf vier Tage beschäftigt und nahm eine Woche lang an einer ganztägigen Betriebsratsschulung teil. An einem der Schulungstage hätte die Klägerin nach dem im Betrieb des Arbeitgebers eingeführten rollierenden System nicht zu arbeiten brauchen. Da der Arbeitgeber lediglich den Lohn für 30,8 Stunden und nicht für die gesamte Schulungswoche zahlte, erhob das Betriebsratsmitglied Klage. Die Vorinstanzen 12 haben der Klage - auch unter Hinweis auf die Entscheidung des EuGH im Fall "Böte!" - stattgegeben. Der 7. Senat des BAG hat allerdings an der ständigen Rechtsprechung festhalten wollen, daß Betriebsratsmitglieder keinen Anspruch auf Ausgleich der Freizeit haben, die sie für eine außerhalb ihrer individuellen Arbeitszeit liegende Schulung aufgewandt haben, hat sich aber durch das Bötel-Urteil des EuGH daran gehindert gesehen und deshalb dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: "Hindert das Verbot der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung beim Arbeitsentgelt (Art. 119 EWG-Vertrag und Richtlinie 75/117 des Rates der Europäischen Gemeinschaften) den nationalen Gesetzgeber, das Betriebsratsamt als unentgeltlich zu führendes Ehrenamt auszugestalten und die Betriebsratsmitglieder lediglich vor Einkommenseinbußen zu schützen, die sie sonst durch betriebsratsbedingte Versäumung von Arbeitszeit erleiden würden?" II Vorlagebeschluß des BAG v. 20. 10. 1993-7 AZR 581/92 (A), DB 1993, 2235 u. 1994, 334 = NZA 1994, 278 = AP Nr. 90 zu § 37 BetrVG 1972 m. Anm. Schiefer. 12 ArbG Kaiserslautem Urt. v. 15. 01. 1992-3 Ca 492/91 (unv.); LAG Rheinland-Pfalz Urt. v. 07. 09. 1992-9 Sa 304/92 (unv.).

B. Die zweite Entscheidung des EuGH

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Zur Begründung hat das BAG ausgeführt: Art. 119 EGV sei schon auf diesen Fall nicht anwendbar, weil die Betriebsratstätigkeit und die dazu erforderliche Schulungstätigkeit nicht als Arbeit im Sinn dieser Bestimmung verstanden werden könne. Davon abgesehen liege keine Ungleichbehandlung von teilzeitbeschäftigten zu vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern vor. Gehe man dennoch von einer Ungleichbehandlung aus, sei diese durch das Prinzip der Ehrenamtlichkeit und das Lohnausfallprinzip gerechtfertigt.

II. Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH 1. Schlußantrag des Generalanwalts

Generalanwalt Francis G. Jacobs hat dem EuGH in seinem Schlußantrag 13 vorgeschlagen, die Linie der Rechtsprechung aus dem Fall "Böte!" trotz der Einwände des BAG nicht zu verlassen. Art. 119 EGV und die Richtlinie 75 I 117 I EWG stünden einer nationalen Rechtsvorschrift entgegen, die für eine erheblich größere Zahl von Frauen als von Männem gelte und die die Vergütung, die teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder von ihrem Arbeitgeber in Form von bezahlter Arbeitsfreistellung oder von Bezahlung von Überstunden bei Teilnahme an Schulungsveranstaltungen - die während der betrieblichen Vollarbeitszeit veranstaltet werden, deren Dauer aber über die individuelle Arbeitszeit dieser Teilzeitbeschäftigten hinausgeht- zu erhalten hätten, auf ihre individuelle Arbeitszeit beschränke. Dies gelte, wenn vollzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder nach dieser Regelung bei Teilnahme an derselben Veranstaltung eine Vergütung für die volle Arbeitszeit erhielten und wenn es für die unterschiedliche Behandlung der Teilzeitbeschäftigten keine objektive Rechtfertigung gebe. Eine derartige unterschiedliche Behandlung sei objektiv gerechtfertigt, "wenn die behauptete Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter eine bloße Folgeerscheinung ist, der unterschiedlichen Behandlung ein berechtigter, in keiner Weise mit einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zusammenhängender Zweck zugrunde liegt und dieser Zweck die unterschiedliche Behandlung rechtfertigt." 14 Der Generalanwalt hat konstatiert, daß die Vergütung für Betriebsräte bei Schulungsveranstaltungen nur im weitesten Sinne des Wortes als Entgelt bezeichnet werden könne, weil es sich strenggenommen nicht um eine Zahlung im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis handele. 15 Trotz der Einwände des vorlegenden Gerichts liege eine Ungleichbehandlung zwischen Vollzeitbetriebsräten und Teilzeitbetriebsräten vor, wenn letztere gezwungen seien, für die Teilnahme an einer Schu13 Schlußanträge des GA Jacobs v. 29. 06. 1995 in der Rs. Rs. C-457/93 (Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e.V. / Johanna Lewark), Slg. 1996,1-245 ff. 14 Schlußanträge, a. a. 0 ., Slg. 1996, 1-245 (259). 15 Schlußanträge, a. a. 0., Slg. 1996, 1-245 (250).

1. Kap.: Die der Untersuchung zugrunde liegenden Fälle

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lungsveranstaltung ein Freizeitopfer zu erbringen. Dies gelte jedenfalls, solange eine Schulung innerhalb der Arbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten stattfinde. 16 Ausführlich haben sich die Schlußanträge des Generalanwalts auch mit der Frage der Rechtfertigung auseinandergesetzt, wobei wiederum betont worden ist, daß sich der Gerichtshof in dieser Frage als befugt angesehen hat, dem nationalen Gericht Leitlinien für die Prüfung an die Hand zu geben. Dies gelte umso eher, als es sich um sozialpolitische Rechtfertigungsgründe handele 17 • Bei wirtschaftlichen Gründen sei in der Regel eine Beurteilung der besonderen Gründe des Einzelfalles erforderlich. Bei allgemeinen sozialpolitischen Erwägungen sei es weniger wahrscheinlich, daß die besondere Situation der betroffenen Arbeitnehmer und des Arbeitgbers von entscheidendem Einfluß sein könnten. 18 Ob eine Maßnahme gerechtfertigt sei, hänge davon ab, welche Wirkung sie hinsichtlich einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts habe und inwieweit sie insbesondere gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts verstoße. Weiter müsse berücksichtigt werden, ob ein solcher Verstoß das unmittelbare Ergebnis oder nur eine Nebenfolge der Maßnahme sei. Im Ergebnis hat der Generalanwalt die im Vorlagebeschluß und in der Stellungnahme der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland angeführten Gründe und Argumente für ausreichend gehalten, die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Danach habe der deutsche Gesetzgeber im Interesse einer sachbezogenen Betriebsratsarbeit die Unabhängigkeit des Betriebsrates höher bewertet als wirtschaftliche Anreize für die Übernahme dieses Amtes. Das Betriebsratsamt sei als Ehrenamt ausgestaltet, daher verbiete sich eine Vergütung der Betriebsratstätigkeit und folglich auch der Schulungstätigkeit Mit diesen Erwägungen werde ein Zweck verfolgt, der berechtigt sei und nichts mit einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zu tun habe. Darüber hinaus sei die unterschiedliche Behandlung Teilzeitbeschäftigter dem Wesen der Teilzeitarbeit inhärent und jeder Nachteil, den Teilzeitkräfte auf Grund der Regelung in § 37 BetrVG hinzunehmen hätten, lediglich eine zufällige Folge des Lohnausfallprinzips.19

2. Das Urteil

Mit Urteil vom 6. Februar 1996 ist der EuGH dem Schlußantrag des Generalanwalt nur teilweise gefolgt und hat die im Bötel-Urteil begonnene Rechtsprechung im wesentlichen bestätigt. 20 Zuerst hat der Gerichtshof festgestellt, daß es sich bei Schlußanträge, a. a. 0., Slg. 1996,1-245 (252 f.). n EuGH, Rs. C-226/91 (Jan Molenbroek/Bestuur van de Sociale Verzekeringsbank), S1g. 1992,1-5943 (5968 f.); Rs. C-343/92 (M.A. Roks u. a./Bestuur van de Bedrijfsvereniging vor de Gezondheid, Geestelijke en Maatschappelijke Belangen u. a.), Slg. 1994, 1-571 (600 f.). 18 Schlußanträge, a. a. 0., Slg. 1996, 1-245 (256). 19 Schlußanträge, a. a. 0., Slg. 1996,1-245 (257 f.). 16

B. Die zweite Entscheidung des EuGH

29

der Vergütung nach§ 37 BetrVG um Entgelt im Sinn von Art. 119 EGV handele.Z 1 Er hat eine Ungleichbehandlung angenommen, wenn bei Ableistung der gleichen Anzahl von Arbeitsstunden das Vollzeitbeschäftigten gezahlte Arbeitsentgelt höher sei als das den Teilzeitbeschäftigten gezahlte. 22 Das Vorliegen dieser Voraussetzung könne nicht bestritten werden, da auch die Zeit für die Schulung "aufgrund desVorliegenseines Arbeitsverhältnisses aufgewandt" werde. 23 Da weiterhin nicht anzunehmen sei, daß das Zahlenverhältnis der teilzeitbeschäftigten zu den vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern wesentlich von dem der Teilzeitbeschäftigten zu den Vollzeitbeschäftigten insgesamt abweiche, stelle § 37 Abs. 6 BetrVG eine gegen Art. 119 EGV und die Richtlinie verstoßende mittelbare Diskriminierung dar. Grundsätzlich sei es Sache des vorlegenden Gerichts zu beurteilen, ob diese Ungleichbehandlung durch objektive Faktoren gerechtfertigt sei, die nichts mit einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zu tun hätten. Dennoch hielt der EuGH es für sachdienlich diesbezüglich einige Hinweise zu geben. Zwar handele es sich bei der Ausgestaltung des Betriebsratsamtes als Ehrenamt nach Auffassung des EuGH um ein legitimes sozialpolitisches Ziel, doch sei auf der anderen Seite zu beriicksichtigen, daß auf diese Weise Teilzeitbeschäftigte davon abgehalten würden, ein Betriebsratsamt auszuüben oder die notwendigen Kenntnisse auf einer Schulungsveranstaltung zu erwerben.Z4

111. Die Entscheidung des BAG Am 5. März 1997 hat das BAG25 daraufhin entschieden, daß teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern weder aus Art. 119 EGV noch aus§ 37 Abs. 3 BetrVG ein Anspruch auf bezahlte Freizeit als Ausgleich für die Teilnahme an einer Betriebsratsschulung, die außerhalb der persönlichen Arbeitszeit lag, zusteht. Zwar handele es sich hierbei um eine Benachteiligung weiblicher teilzeitbeschäftigter Mitglieder eines Betriebsrats. Doch diese mittelbare Frauendiskriminierung sei durch objektive Griinde gerechtfertigt. Denn das Betriebsratsamt als unentgeltliches Ehrenamt und die dahinter stehenden gesetzgebensehen Anliegen dienten einem legitimen sozialpolitischen Ziel. Der Ausschluß von Ausgleichsanspriichen in diesem Fall sei zur Erreichung dieses Zieles geeignet und erforderlich. Im übrigen sei nicht damit 20 EuGH, 06. 02. 1996, Rs. C-457/93 (Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e.V. /Johanna Lewark), Slg. 1996, 1-243 (260 ff.) = NZA 1996, 319 = BB 1996,429 = DB 1996, 379 = AP Nr. 72 zu Art. IJ9 EWG-Vertrag =EAS Nr. 37 zu Art. IJ9 EG-Vertrag (mitunter in der Literatur fälschlich "Bötel II" genannt). 21 EuGH, a. a. 0., Slg. 1996,1-243 (266 f., Tz. 20-23). 22 EuGH, a. a. 0., Slg. 1996, 1-243 (267, Tz. 25). 23 EuGH, a. a. 0., Slg. 1996,1-243 (268, Tz. 27). 24 EuGH, a. a. 0., Slg. 1996, 1-243 (269 f., Tz. 35 - 38). 25 BAG, 05. 03. 1997-7 AZR 581/92-, AP Nr. 123 zu§ 37 BetrVG 1972 = NZA 1997, 1242 = DB 1998, 373.

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1. Kap.: Die der Untersuchung zugrunde liegenden Fälle

zu rechnen, daß hierdurch teilzeitbeschäftigte Frauen abgehalten würden, für den Betriebsrat zu kandidieren.

C. Die dritte Entscheidung des EuGH ("Edith Freers und Bannelore Speckmann") I. ArbG Bremen Zeitlich vor der Vorlage des BAG hatte bereits das Arbeitsgericht Bremen einen Vorabentscheidungsbeschluß an den EuGH formuliert. Die Klägerinnen im Verfahren vor dem ArbG Bremen waren als Arbeiterinnen bei der Beklagten, der Deutschen Bundespost, mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 18 Stunden tätig und gleichzeitig Mitglieder des Personalrats beim Postamt Bremerhaven. Die Klägerinnen nahmen im Februar 1992 an einem fünftägigen Seminar zum Bundespersonalvertretungsgesetz teil, das zur Erfüllung der Aufgaben im Personalrat erforderlich war. Die Dauer der Schulungsveranstaltung entsprach in etwa der tariflichen Normalarbeitszeit von 38,5 Stunden. Die Beklagte zahlte während der Dauer der Schulungsmaßnahme lediglich das der Teilzeittätigkeit entsprechende Einkommen. Eine dariiber hinausgehende Vergütung oder bezahlte Freistellung von der Arbeit für die über die individuelle Arbeitszeit hinausgehende Seminarteilnahme wurde nicht gewährt. Die Klägerinnen begehrten eine bezahlte Freistellung für die die tatsächliche Arbeitszeit übersteigende Dauer des Seminars. Im Direktionsbereich Bremen der Beklagten gab es 20 Personalräte mit insgesamt 225 Personalratsmitgliedem, davon 156 Männerund 69 Frauen. Von den 69 Frauen waren ca. 40% teilzeitbeschäftigt Die männlichen Mitglieder waren alle vollzeitbeschäftigt. Mit Beschluß vom 5. Mai 1993 hat das ArbG Bremen26 dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: "I. Ist der für die Tätigkeit in einer gesetzlich geschaffenen Arbeitnehmervertretung wirtschaftlich dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmetin zufließende Ausgleich Arbeitsentgelt im Sinne der europäischen Vorschriften über die Lohngleichheit von Mann und Frau (Art. 119 EWGV, Richtlinie des Rates 75/117 I EWG vom 10. 02. 1975)? 2. Falls die Frage zu 1 bejaht wird: Ist es ein sachlicher Grund zur Ungleichbehandlung, der nichts mit der Diskriminierung von Frauen zu tun hat, daß nach nationalem Recht die Tätigkeit in einer Arbeitnehmervertretung nicht entlohnt wird, sondern grundsätzlich das Lohnausfallprinzip gilt? 3. Falls die Frage zu 2 verneint wird:

26

Beschluß v. 05. 05. 1993-7 Ca 7454/92 u. 7 Ca 7455/92-, EuZW 1993,614 ff.

C. Die dritte Entscheidung des EuGH

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Ist es ein solcher sachlicher Grund zur Ungleichbehandlung, daß zwar Teilzeitkräfte nur entsprechend der Teilzeitarbeit Lohnfortzahlung für die Teilnahme an einem ganztägigen Seminar erhalten, auf der anderen Seite aber solchen Arbeitnehmern, die normalerweise Überstunden leisten, diese fortgezahlt werden, auch wenn die Seminardauer zeitlich dem Normalarbeitstag angepaßt ist?"

Zur Begründung hat das ArbG Bremen auf folgendes verwiesen: Konsequent zu Ende gedacht führe die Ansicht des EuGH, bei der den Betriebs- und Personalratsmitgliedern während der Teilnahme an Schulungsveranstaltungen fortgezahlten Bezüge handele es sich um Entgelt im Sinn von Art. 119 EGV, dazu, daß die Tatigkeit in einer Arbeitnehmervertretung generell als bezahlte Tatigkeit für eine bestimmte Funktion und nicht mehr als Ehrenamt angesehen werden müsse. 27 Die Erwägung des EuGH im Fall Bötel, der dem Betriebsratsmitglied für seine dortige Tatigkeit zufließende Ausgleich werde zumindest mittelbar auf Grund des Arbeitsverhältnisses gewährt, trage nicht. Denn der Schwerpunkt der Tatigkeit eines Betriebs- oder Personalratsmitglieds liege in der Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer, dabei stelle die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber lediglich "einen handlungsleitenden Gesichtspunkt"28 dar. Betriebs- und Personalratsmitglieder seien also nicht Funktionsträger im Interesse des Betriebes oder der Dienststelle, mithin der Arbeitgeberseite, die dafür von dieser zu entlohnen wären. Im übrigen sei der Grundsatz der ehrenamtlichen Tatigkeit und das damit zusammenhängende Lohnausfallprinzip ein sachlicher, nicht überwiegend Frauen benachteiligender Differenzierungsgrund. 29 Außerdem ergebe sich ein Wertungswiderspruch zwischen europäischem Recht und nationalem Recht, wenn ein Arbeitgeber nach Art. 119 EGV verpflichtet sei, Teilzeitkräften, statt bloßer Lohnfortzahlung, wie Vollzeitkräften die Seminarteilnahme zu vergüten, auf der anderen Seite aber nach § 37 BetrVG bzw. § 46 BPersVG verpflichtet sei, solchen Arbeitnehmern, die während der Schulungsveranstaltung an ihrem Arbeitsplatz Überstunden geleistet hätten, auch das Überstundenentgelt weiter zu gewähren. Dieser Wertungswiderspruch ließe sich durch Anwendung des Lohnausfallprinzips vermeiden. 30

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28

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ArbG Bremen, EuZW 1993,614 (615). ArbG Bremen, EuZW 1993, 614 (616). ArbG Bremen, EuZW 1993, 614 (616). ArbG Bremen, EuZW 1993, 614 (616).

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1. Kap.: Die der Untersuchung zugrunde liegenden Fälle

II. Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH 1. Schlußantrag des Generalanwalts

Generalanwalt Marco Darmon hat in seinem Schlußantrag vom 5. Juli 1994 die bisher vom Gerichtshof eingeschlagene Linie nicht verlassen: Die Vergütung des Arbeitnehmers, der seine Aufgabe als Personalvertreter unmittelbar erfülle, müsse als Entgelt qualifiziert werden. Aber auch der Lohnausfallausgleich nach § 46 Abs. 6 BPersVG weise eine hinreichend starke Bindung zum Beschäftigungsverhältnis auf, weil Personalratsvertreter sich bei Schulungsveranstaltungen das notwendige Wissen aneigneten, um die Interessenvertretung ordnungsgemäß wahrnehmen zu können, die eine Einrichtung des Unternemens sei. Also handele es sich um Entgelt, das der Arbeitgeberaufgrund des Dienstverhältnisses zahle.31 Die mittelbare Diskriminierung von weiblichen teilzeitbeschäftigten Personalratsmitgliedern könne weder unter dem Gesichtspunkt des Lohnausfallprinzips noch wegen einer hieraus erwachsenden zusätzlichen finanziellen Belastung des Arbeitgebers gerechtfertigt werden. 32

2. Das Urteil In seinem Urteil vom 7. März 1996 hat der EuGH33 die vorangegangenen Entscheidungen bestätigt. Das vorliegende Judikat lehnt sich eng an das in der Sache Lewark an, ohne neue Aspekte aufzuzeigen. Auf die im Vorlagebeschluß hingewiesenen besonderen Gesichtspunkte, die das ArbG Bremen veranlaßt hatten, die Vorlagefragen zu stellen, ist der Gerichtshof nicht eigens eingegangen. Insofern kann mittlerweile von einer auch in dieser speziellen Frage der teilzeitbeschäftigten Betriebsratsrnitglieder gefestigten Rechtsprechung des EuGH gesprochen werden?4

D. LAG Berlin Im folgenden werden drei Entscheidungen skizziert, die nicht in eine Vorlage zum EuGH mündeten. Sie stammten aus Berlin, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Zeitlich am frühesten erging die Entscheidung des LAG Berlin. 31 Schlußanträge des GA Dannon v. 05. 07. 1994 in der Rs. C-278/93 (Edith Freers und Hannelore SpeckmanntDeutsche Bundespost), Slg. 1996, I-1167 (1175, Tz. 44). 32 Schlußanträge, a. a. 0., Slg. 1996, 1-1167 (1180 f .). 33 EuGH, 07. 03. 1996, Rs. C-278/93 (Edith Freers und Hanne1ore SpeckmanntDeutsche Bundespost), Slg. 1996, I-1165 (1182 ff.) = NZA 1996,430 = DB 1996, 887 = EAS Nr. 39 zu Art. 119 EGV m. Anm. Schlachter. 34 Eine Entscheidung des ArbG Bremen liegt noch nicht vor.

E. LAG Baden-Württemberg

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Im Fall des Arbeitsgerichts Berlin35 war die Klägerin als Verkäuferin mit 22 Stunden pro Woche in Teilzeit beschäftigt. In ihrer Eigenschaft als Mitglied des Betriebsrates nahm sie an einem vierzehntägigen Lehrgang zum Betriebsverfassungsrecht teil, der die Voraussetzungen des § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG unstreitig erfüllte. Die Schulungsveranstaltung wurde mit jeweils 40 Stunden pro Woche durchgeführt. Da die Klägerin für die Dauer des Lehrganges lediglich von der Arbeit freigestellt war, stritten die Parteien dariiber, ob die Klägerin für die Dauer ihrer Teilnahme am Lehrgang Freizeitausgleich oder zusätzliche Vergütung für die ihre persönliche Arbeitszeit übersteigende Schulungszeit beanspruchen konnte. Die sich nach dem Vortrag der Klägerin aus den Statistiken zur Teilzeitarbeit ergebende Ungleichbehandlung von Männern und Frauen, vermochte sie lediglich auf Zahlenmaterial aus ihrem eigenen Betrieb und anderen Berliner Betrieben zu stützen. Der Betriebsrat, in dem sie Mitglied war, bestand aus 15 Arbeitnehmern, davon 5 Teilzeitkräften, alle Frauen. Im anderen Berliner Betrieb der Beklagten befanden sich unter den 15 Betriebsratsmitgliedern sechs Teilzeitkräfte, davon fünf Frauen. Laut Umfrage der zuständigen Fachgewerkschaft unter zwei anderen großen Lebensmittelketten in Berlin ergab sich auch hier ein deutliches statistisches Ungleichgewicht hinsichtlich der Besetzung von Betriebsräten mit weiblichen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern. Das ArbG Berlin hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht Berlin einen Anspruch der Klägerin auf bezahlte Freistellung hinsichtlich der Differenzstunden zwischen ihrer Teilzeitarbeit und der tatsächlichen betrieblichen Arbeitszeit für die Dauer der Schulungsveranstaltung unter Fortzahlung ihrer Bezüge für gegeben erachtet. Der Anspruch folge aus einer entsprechenden Anwendung des § 37 Abs. 3 i. V. m. Abs. 6 BetrVG. Dieser Analogie bedürfe es, um im Licht der Art. 119 EGV und Art. 3 Abs. 2 GG eine Regelungslücke zu schließen, die § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG für die Freistellung von teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern zu Schulungszwecken enthalte. 36

E. LAG Baden-Württemberg Die Klägerin in dem vom ArbG Stuttgart37 entschiedenen Rechtsstreit war Vertrauenstrau der Schwerbehinderten im Betrieb der Beklagten. Ihre Arbeitszeit betrug 4,5 Stunden täglich, die betriebsübliche Arbeitszeit 7,4 Stunden am Tag. Die 35 36 37

ArbG Berlin, Urt. v. 14. 03. 1989- 2 Ca 180/88 (unv.) LAG Berlin, Urt. v. 30. 01. 1990-8 Sa 86/89- (rla.), ArbuR 1991,252 (254 ff.). ArbG Stuttgart, Urt. v. 12. 03. 1992-7 Ca 5710/9l(unv.).

3 Traupe

l. Kap.: Die der Untersuchung zugrunde liegenden Fälle

34

Parteien stritten darüber, ob die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf bezahlten Freizeitausgleich für die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung nach § 26 SchwbG hat, da diese über die individuelle Arbeitszeit der Klägerin hinaus gedauert hat. Das Arbeitsgericht hat den Anspruch der Klägerin abgewiesen. Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung zum Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg eingelegt. Diese hatte jedoch keinen Erfolg. 38 Der Anspruch folge weder unmittelbar aus § 26 Abs. 6 SchwbG noch aus einer entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift. Das auch hier zum Tragen kommende Lohnausfallprinzip verbiete eine Vergütung der über die individuelle Arbeitszeit hinausgehenden Seminardauer. Außerdem liege eine planwidrige Regelungslücke in der Regelung des § 26 Abs. 6 SchwbG nicht vor. Durch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Bötel sei das Gericht nicht gebunden, da eine § 31 Abs. 1 BVerfGG vergleichbare Regelung im EG-Vertrag fehle. Im übrigen habe der EuGH den Sinn des Ehrenamtsprinzips bei seiner Vorabentscheidung verkannt. Eine Vorlage an den EuGH sei wegen der Zulassung der Revision nicht geboten.

F.BAG Nach der Leitentscheidung des BAG hat das höchste deutsche Arbeitsgericht noch zweimal in unterschiedlichen Konstellationen über einen Ausgleichsanspruch von weiblichen Betriebsratsmitgliedern befinden müssen. In der Entscheidung vom 12. November 199739 ging es insbesondere darum, ob ein Ausgleichsanspruch auf Grund betrieblicher Übung entstehen könne. Die Klägerin machte geltend, daß es eine betriebliche Übung gebe, wonach teilzeitbeschäftigte Betriebsrätinnen beim Besuch von Schulungsveranstaltungen, die über ihre wöchentliche Arbeitszeit hinausgingen, Freizeitausgleich erhielten. Das BAG sprach den Anspruch nicht zu, da es konkret an einer näheren Darlegung der betrieblichen Übung fehlte. Im übrigen bestünden nach Ansicht des BAG Zweifel, ob ein derartiger Anspruch mit dem Bevorzugungsverbots des § 78 Satz 2 BetrVG vereinbar sei. Eine betriebliche Übung dürfe nicht ausschließlich die Mitglieder des Betriebsrats begünstigen. Das letzte Judikat des BAG vom 3. Dezember 199740 befaßte sich mit dem Sonderproblem, ob die betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätze zum Lohnausfanprinzip auch bei Abrufarbeit gelten. Die Klägerin arbeitete bei der Beklagten regelmäßig an Sonntagen und an Wochentagen auf Abruf. Da sie während der Teilnah38 39 40

LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 11. 12. 1992-8 Sa 41/92 (rlcr.), DB 1993, 1826 ff. BAG, Urt. v. 12. 11. 1997-7 AZR 563/93- (unv.). BAG, Urt. v. 03. 12. 1997-7 AZR 490/93, AP Nr. 124 zu§ 37 BetrVG =NZA 1998,

558 f.

G. Die "umgekehrte" Konstellation

35

me an Schulungsveranstaltungen von ihrem Arbeitgeber für die Abruftätigkeit nicht berücksichtigt worden war, hatte sie keinerlei Vergütung für die bei der Schulung aufgewendete Zeit erhalten. Hierzu entschied das BAG - wie schon die Berufungsinstanz-, daß weder nach § 37 BetrVG noch nach gemeinschaftsrechtlichen oder verfassungsrechtlichen Vorschriften ein Vergütungsanspruch bestehe, der über den hypothetischen Lohnanspruch hinausginge, den der Arbeitnehmer durch Arbeit an seinem Arbeitsplatz erworben hätte. Das Lohnausfallprinzip bewahre den Arbeitnehmer auf der anderen Seite aber vor Einkommenseinbußen, die er dadurch erleidet, daß ihm eine Verdienstmöglichkeit verwehrt werde, die er ohne die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung erhalten hätte. Da die Arbeitnehmerin ohne Schulungsteilnahme - wie in der Vergangenheit regelmäßig geschehen - auf Abruf gearbeitet hätte, stehe ihr der hierbei nach einer hypothetischen Betrachtungsweise erzielte Lohnanspruch zu.

G. Die "umgekehrte" Konstellation I. LAGRamm Einen interessanten Kontrast bildet die Entscheidung des LAG Hamm41 , die einem männlichen teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglied für eine Ganztagsschulung keinen Lohnanspruch gewährte, der über die individuelle Arbeitszeit hinausging. Der Kläger dieses Verfahrens arbeitete bei der Beklagten 16 Stunden pro Woche und war Mitglied des dortigen Betriebsrates. In dieser Eigenschaft nahm er an einem zweiwöchigen Seminar mit Ganztagsschulung teil. Die Beklagte gewährte dem Kläger den Lohn für zwei Wochen a 16 Arbeitsstunden. Der Kläger beanspruchte eine zusätzliche Vergütung wie eine Vollzeitkraft Durch Urteil vom 10. Februar 1995 hat das Arbeitsgericht Bochum42 die Klage abgewiesen. Die Berufung ist ebenso erfolglos geblieben. Aufschlußreich ist die Begründung des LAG Ramm für das Verständnis der Geschlechtsdiskriminierung. Das Urteil des EuGH in der Rechtssache Bötel beziehe sich nur auf weibliche teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung aus Art. ll9 EGV griffe erst zugunsten des Klägers, wenn mehr Männer als Frauen bei der Beklagten teilzeitbeschäftigt wären und deshalb für die Männer die Vorenthaltung des vollen Lohnes diskriminierend wäre.

41 42

3*

LAG Hamm, Urt. v. 3. 1. 1996- 3 Sa 712/95 - , BB 1996,645 f. ArbG Bochum, Urt. v. 10. 02. 1995 - 1 Ca 1940/94 - (unv.).

36

l. Kap.: Die der Untersuchung zugrunde liegenden Fälle

II. Die Entscheidung des BAG Wie schon im Fall Lewark hat das BAG ebenfalls am 5. März 1997 über die Revision des umgekehrten Falles entschieden. 43 Da das BAG die Ansicht vertritt, daß schon weibliche teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder keinen Ausgleich nach Art. 119 EGV für Schulungszeiten außerhalb ihrer Arbeitszeit beanspruchen können, brauchte es über die Frage, ob aus dem Gesichtspunkt der mittelbaren Frauendiskriminierung der Anspruch eines männlichen teilzeitbeschäftigten Betriebsrats folgen könne, nicht zu entscheiden.

H. Die Positionen in der Literatur Die Ansichten in der Literatur zur Frage einer mittelbaren Diskriminierung von teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliederinnen sind geteilt. Eine nicht unerhebliche Meinungsgruppe bejaht einen Verstoß gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung, ohne dabei eine Rechtfertigung des Verstoßes anzunehmen.44 Zur Rechtfertigung der Rechtsprechung des EuGH wird beispielsweise angeführt, daß das deutsche Arbeitsrechtssystem nicht "das Maß aller Dinge" sei, vielmehr über den Rechtssystemen der Einzelstaaten ein harmonisiertes EG-Recht entstünde, das durch den EuGH ausgestaltet werde. 45 Inhaltlich wird nicht selten die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung als zu vergütende Arbeit angesehen. § 37 Abs. 3 BetrVG solle analog herangezogen werden, um auch für Schulungsveranstaltungen außerhalb der Arbeitszeit zu einer Kompensation zu kommen. 46 Es gibt daneben Stimmen, die zwar grundsätzlich die Rechtsprechung des EuGH zur mittelbaren Diskriminierung billigen, die Entscheidung im Fall "Bötel" jedoch für falsch halten. 47 Unabhängig von der Diskussion um die Dogmatik der mittelBAG, Urt. v. 05. 03. 1997-7 AZR 193/96- (unv., bis auf juris). Blanke/Wedde in: Däubler/Kittner/Klebe, § 37 Rn. 137; Bobke-von Camen/Veit, RdA 1993, 333 (334 ff.); Deinert, NZA 1997, 183 ff.; Dungs, S. 191 ff.; Ellis, ELR 1994, 563 (579); dies., CMLRev. 1998, 379 (384 f.); ErfK/ Eisemann, § 37 BetrVG, Rn. 21 (da Schulung Betriebsratsarbeit sei); Heither; EWS 1993, 168 (173); Künzl, ZfA 1993, 341 (369); Kuster, AiB 1992, 527 (528 ff.); Mauer; NZA 1993, 56 ff.; Mayer; AiB 1994, 248 (249); Reich/Dieball, ArbuR 1991,225 ff. (zur Vorlageentscheidung des LAG Berlin an den EuGH, DB 1991, 51); Rating, S. 86; Richardi, § 37 Rn. 133 (der darauf hinweist, daß der EuGH die Zahlung einer Vergütung bis zur Höhe Vollzeitbeschäftigter verlange, jedoch nicht die Gewährung von Freizeitausgleich); Saunders, S. 105 ff. (die jedoch insgesamt einen anderen Ansatz verfolgt); Schiek, Europäisches Arbeitsrecht, S. 168 f.; Schlachter; S. 201; Stauner; Politische Studien, Heft 328, S. 5 (7); Wöhlermann, S. 268 f. (die eine ,,richtlinieneffektive" Umsetzung der Auslegungspraxis des EuGH zum Lohnausfallprinzip durch deutsche Arbeitsgerichte anmahnt). 45 Bobke-von Camen!Veit, RdA 1993, 333 (335). 46 Bobke-von Camen/Veit, RdA 1993, 333 (336 f.). 43

44

H. Die Positionen in der Literatur

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baren Diskriminierung wird die Entscheidung von einer nicht geringen Anzahl Autoren insbesondere unter Hinweis auf das Lohnausfallprinzip und das Ehrenamtsprinzip des § 37 BetrVG abgelehnt. 48 Auf die im einzelnen hierzu vorgetragenen Argumente wird innerhalb der Diskussion um die Tatbestandsmerkmale des Verbots der mittelbaren Diskriminierung zurückzukommen sein.

47 Beck-Mannagetta, AR-Blattei SD, 800.2, Rn. 220 ff. ; Classen, JZ 19%, 921 (926); Franzen, ZEuP 1995, 796 (810 f.); Junker, JZ 1994, 277 (282); ders., NJW 1994, 2527 f.; Kokott, NJW 1995, 1049 (1055); Waas, EuR 1994,97 (103 ff.); Wisskirchen, S. 26 (Anm. 21). Stich/er, BB 1996,426 ff. und Biermann, S. 489 ff. (vorsichtig distanziert). 48 W Blomeyer, EWiR Art. ll9 EWGV, 1/93, 45 f.; Buchner, ZfA 1993, 279 (321); Clever, BArbBI. 1995, 10 (ll f.); ders. ZfSH/SGB 1995, 1 (2 ff.); Erasmy, MDR 1995, 109 (111 f.); Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 37 Rn. 72 f.; Heinze, ZfA 1993, 331 (353); Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 37 Rn. 149a; Köck, ZAS 1993, 21 ff.; MünchArbR/Joost, § 300 Rn. 135; Otto, SAE 1994, 310 ff.; Schiefer, NJW 1995, 160 (165 f.); ders., DB 1993, 38 (41 f.); ders., DB 1993, 1822 ff.; ders., NZA 1993, 822 (826); Schiefer/ Erasmy, DB 1992, 1482 ff.; Sowka, DB 1992,2030 (2032); Sowka, BB 1996, 1165 (ll68); Weber/Ehrich!Hörchens, Hb BetrVG, Teil D Rn. 40; GK-BetrVG I Wiese, § 37 Rn. 55.

2. Kapitel

Analyse der Rechtsgrundlagen A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts I. Entscheidungskompetenz des EuGH Bevor die in Betracht korrunenden Rechts- und Anspruchsgrundlagen dargestellt und die in den Verfahren aufgeworfenen Rechtsfragen untersucht werden, soll kurz der Weg der Verfahren zum EuGH dargestellt werden.

1. Verfahrensgegenstand Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 177 lit. a EGV sind Fragen der Auslegung des Gemeinschaftsrechts. Auslegung (vgl. Art. 164 EGV) bedeutet die Ermittlung des Inhalts einer Vorschrift mit Blick auf einen bestirrunten Sachverhalt. 1 Dies steht im Gegensatz zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf einen bestirrunten Sachverhalt. Hierzu ist der EuGH nicht befugt, ebensowenig zur Auslegung und Anwendung nationalen Rechts. Insofern ist der Gerichtshof gehalten, Vorlagefragen, die in diese Richtung zielen, in Auslegungsfragen umzudeuten.2 So ist es auch im Fall Bötel geschehen.

2. Vorlageberechtigung nationaler Gerichte Ein mitgliedstaatliches Gericht ist berechtigt, das Verfahren auszusetzen und den EuGH anzurufen, wenn es eine Entscheidung über eine derartige Auslegungsfrage zum Erlaß des Urteils für erforderlich hält. Über die Entscheidungserheblichkeit urteilt das vorlegende Gericht in eigener Zuständigkeit. Diese Frage wird vom EuGH nicht überprüft. In der Literatur wird den Gerichten jedoch irruner wieder geraten, bei Zweifeln über den Sinn und Zweck einer gemeinschaftsrechtlichen Bestirrunung möglichst häufig vom Vorlagerecht Gebrauch zu machen, um ein Abweichen der nationalen Judikatur von der Rechtsprechung des EuGH auszuschliet

2

Geiger, Art. 177, Rn. 5. Geiger, Art. 177, Rn. 5; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 71 ff.

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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Ben. 3 Denn eine "beliebige Kompetenz zur Verwerfung gültiger Gesetze" könnte anderenfalls die Gesetzesbindung der (nationalen) Gerichte in einem vom Gemeinschaftsrecht nicht geforderten Maße beeinträchtigen. Und die mittelbar benachteiligende Norm dürfe wegen des Vorranges des Gemeinschaftsrechtes nicht angewendet werden. 4 Die vorlegenden Gerichte hatten hier jeweils Zweifel, ob das Diskriminierungsverbot des Art. 119 EGV Auswirkungen haben könne auf die gesetzlichen Bestimmungen, die eine einfache Fortzahlung des Lohnes im Fall von Schulungsveranstaltungen vorsehen, ohne auf die konkrete Dauer der Maßnahme Rücksicht zu nehmen.

II. Verstoß gegen Art.119 EGV Der EuGH nimmt mittlerweile in ständiger Rechtsprechung an, daß die Regelungen in § 37 BetrVG, die für teilzeitbeschäftigte weibliche Mitglieder bei Teilnahme an Schulungen für Arbeitnehmervertreter einen Freizeitausgleich bzw. eine Entlohnung über die individuelle Arbeitszeit hinaus nicht vorsehen, gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung in Art. 119 EGV und der Richtlinie 75/117 I EWG verstoßen.

1. Entstehungsgeschichte und Regelungssinn Art. 119 EGV schreibt die Gleichbehandlung von Männem und Frauen in bezug auf einen einzigen Aspekt aus dem Spektrum der Arbeitsbedingungen, dem Entgelt, vor. Bei Art. 119 EGV handelt es sich um ein oberstes Rechtsprinzip der Gemeinschaft und ein Grundrecht der Marktbürger.5 Diese in allen Mitgliedstaaten anerkannte Ausformung des allgemeinen Gleichheitssatzes hat eine wirtschaftspolitische und eine sozialpolitische Dimension. Denn die Vorschrift wurde 1957 vor allem aus wirtschaftspolitischen, genauer wettbewerbspolitischen Gründen in den Vertrag aufgenommen, während die soziale Dimension erst in einer Reihe von Judikaten durch den EuGH herausgearbeitet werden mußte. Frankreich fürchtete damals, daß seine fortschrittliche Sozialpolitik- insbesondere die Gleichheit des Entgelts für Männer und Frauen - zu Standortnachteilen im zu schaffenden Gemeinsamen Markt führen könne, wenn die anderen Mitgliedstaaten nicht ebenfalls an das Prinzip des gleichen Entgelts gebunden würden. In der Grundsatzentscheidung "Defrenne 11"6 aus dem Jahre 1975 hat der Gerichtshof dann die soziale Dimension Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 97. Schlachter, S. 134. s EuGH, 08. 04. 1976, Rs. 43175 (Gabrielle Defrenne I Societe anonyme beige de navigation aerienne Sabena - "Defrenne II"), Slg. 1976,455 (473). 6 A. a. 0., Slg. 1976,455 (473). 3

4

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

neben diese wirtschaftliche gestellt. Als Auslegungshilfe diente ihm hierbei einmal die Präambel des Vertrages, nach der die Gemeinschaft bestrebt ist, auch den sozialen Fortschritt ihrer Länder zu sichern und auf eine ständige Besserung der Lebensund Beschäftigungsbedingungen der europäischen Völker hinzuwirken. Zum anderen berief sich der EuGH auf die Stellung der Vorschrift im Kapitel über die Sozialpolitik. 7 Art. 119 EGV gehört zu den ganz wenigen Vorschriften im EG-Vertrag, die dem einzelnen Unionsbürger unmittelbar Rechte verleihen, auf die er sich vor nationalen Gerichten berufen kann und die nicht nur gegenüber dem Mitgliedstaat, sondern auch im Verhältnis zu Dritten gelten (horizontale unmittelbare Geltung).

2. Die Begriffe Entgelt und Arbeit im Art. 119 EGV Um die Anwendbarkeit von Art. 119 EGV zu eröffnen, muß die Weiterzahlung der Vergütung nach§ 37 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 BetrVG für die Zeit der Schulungsveranstaltung - soweit gearbeitet worden wäre - unter den Entgeltbegriff des Art. 119 Abs. 2 EGV fallen. Genauso muß die Teilnahme an der Betriebsratsschulung als Arbeitsleistung zu werten sein. Hierbei handelt es sich um das erste wesentliche Problem des vorliegenden Falles. Was "Entgelt" bedeutet, ist in Art. 119 Abs. 2 EGV legal definiert.8 Der Bestimmung unterfallen also die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen, die der Arbeitgeber auf Grund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar oder unmittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt. Eine Legaldefinition für den Arbeitsbegriff enthält Art. 119 EGV nicht.

a) Entgeltbegriff in der Rechtsprechung des EuGH Die Rechtsprechung des Gerichtshofes versteht den Entgeltbegriff in einem sehr weiten Sinn. Danach reicht es aus, daß der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer das Entgelt wenigstens mittelbar auf der Grundlage des Dienstverhältnisses gewährt. 9 So zählt erst einmal zum Entgelt der Lohn in allen Erscheinungsformen, wie Zeit-, Akkord-, und Prärnienlohn. Weiterhin wird jede gegenwärtige oder künftige Leistung, sei sie auf Grund individuellen oder kollektiven Arbeitsvertrages, sei sie auf der Grundlage von Rechtsvorschriften oder freiwillig erbracht, genauso unter diese Vgl. hierzu Currall in: Groeben/Thiesing/Ehlerrnann, Art. 119, Rn. 11 ff. Vgl. auch Einleitung der RL 86/378/ EWG v. 24. 07. 1986, ABI. EG Nr. L 225/40. 9 EuGH, 25. 05. 1971, Rs. 80/70 (Defrenne/Belgien - "Defrenne 1"), Slg. 1971, 445 (451 f.). Zu den weiteren Beispielen: Fuchs/Bieback, NKES, Art. 119, Rn. 13 ff.; Currall, in: Groeben/Thiesing/Ehlerrnann, Art. 119, Rn. 64 ff.; Oetker/ Preis, Recht der Gleichbehandlung von Frauen und Männem in der Europäischen Union, B 4000, Rn. 58; Langenfeld, s. 239 ff. 7

8

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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Definition subsumiert wie eine Leistung nach Ende des Arbeitsverhältnisses 10 oder an Dritte 11 , wie Familienangehörige des Arbeitnehmers nach dessen Tod. Keineswegs ist es erforderlich, daß der Arbeitgeber die Leistung in eigener Person erbringt; er kann sich hierzu auch Dritter bedienen, wie z. B. Versicherungen. 12 Als Entgelt sind auch alle vom Arbeitgeber gewährten Zulagen, z. B. Erschwernis- und Leistungszulagen, Sachbezüge und Sondervergütungen, z. B. Gratifikationen, Prämien 13, Ruhegelder 14, Übergangsgelder 15 oder familienbezogene Leistungen 16, sowie alle weiteren vorstellbaren geldwerten Sozialleistungen 17 wie Personalrabatt oder die vergünstigte bzw. kostenlose Inanspruchnahme von Sozialeinrichtungen18, zu verstehen. Spätestens seit der Barber-Entscheidung 19 steht fest, daß der EuGH auch Leistungsverpflichtungen, die auf gesetzlicher Grundlage beruhen, in den Entgeltbegriff einordnet: 20 Es reiche, daß gesetzlich geregelte Leistungen ihre Grundlage im Arbeitsverhältnis fänden. Entscheidend sei, daß der Arbeitnehmer wegen des Bestehens des Arbeitsverhältnisses gegen seinen Arbeitgeber einen Anspruch auf diese Leistung habe. Der Gerichtshof erkennt aber Einschränkungen des Tatbestandsmerkmales "Entgelt" an. Sogenannte Beschäftigungsbedingungen mit finanziellen Auswirkungen fallen nicht unter den Entgeltbegriff. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Entgeltbegriff im Fall Böte! unproblematisch erfüllt: Zwar beruhe die Vergütung, die ein Betriebsratsmitglied während einer Schulungsveranstaltung erhalte, nicht auf dem Arbeitsvertrag; doch werIO EuGH, 27. 06. 1990, Rs. C-33/89 (Maria Kowalska I Freie und Hansestadt Harnburg), Slg. 1990, 1-2591 (2610 f.). II EuGH, 20. 03. 1984, verb. Rs. 75 und 117/82 (C. Razzouk und A. Beydoun/Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1984, 1509 (1529 ff.). 12 Fuchs/Bieback, NKES, Art. 119, Rn. 17. 13 EuGH, 01. 07. 1986, Rs. 237/85 (Gise1a Rummler/Dato-Druck GmbH), S1g. 1986, 2101. 14 EuGH, 11. 03. 1981, Rs. 69/80 (Susan Jane Worringharn und Margaret Humphreys/ Lloyds Bank Limited), S1g. 1981, 767; 17. 05. 1990, Rs. C-262/88 (Douglas Harvey Barher/Guardian Royal Exchange Assurance Group), Slg. 1990,1-1889. 15 EuGH, 16. 02. 1982, Rs. 19/81 (Arthur Burton/British Railways Board), Slg. 1982, 555. 16 EuGH, 11. 03. 1981, Rs. 69/80 (Worringharn und Humphreys), S1g. 1981 , 767. 17 EuGH, 13. 07. 1989, Rs. 171/88 (lngrid Rinner-Kiihn/FWW Speziai-Gebäudereinigung GmbH&Co. KG), S1g. 1989, 2743- hier: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall (S. 2759, Tz. 7). 18 EuGH, 09. 02. 1982, Rs. 12/81 (Eileen Garland/British Rail Engineering Limited), Slg. 1982, 359- hier: Vergünstigungen im Bahnreiseverkehr (S. 369). 19 EuGH, 17. 05. 1990, Rs. C-262/88 (Barber), Slg. 1990, 1-1889; auch schon EuGH, 13. 07. 1989, Rs. 171188 (Rinner-Kühn), Slg. 1989,2743. 20 Curtin, CMLRev. 1990,475 (477 ff.); Fuchs/Bieback, NKES, Art. 119, Rn. 16.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

de sie vom Arbeitgeber auf Grund von Rechtsvorschriften und auf Grund des Arbeitsverhältnisses gezahlt. Betriebsratsmitglieder seien notwendig auch Arbeitnehmer des Betriebes und in dieser Eigenschaft damit betraut, für die Interessen des Personals einzutreten. Sie förderten dadurch das Bestehen harmonischer Arbeitsbeziehungen und dies läge im allgemeinen Interesse des Betriebes. Darüber hinaus solle die besagte Vergütung den Betriebsratsmitgliedern ein Einkommen sichern, selbst wenn sie während der Dauer von Schulungsveranstaltungen keine in ihrem Arbeitsvertrag vorgesehene Tätigkeit ausübten? 1 In diesem Sinne hatte auch Generalanwalt Darmon plädiert, der die Zahlung eines Lohnzuschlags "naturgemäß" als Entgelt ansah, genauso wie die bezahlte Arbeitsfreistellung.22 Der Gerichtshof hat sich in seinen drei Vorabentscheidungen zum Tatbestandsmerkmal "Arbeit" nicht ausdrücklich geäußert. Im Fall Bötel hat er lediglich festgestellt, daß die Fortzahlung der Sicherung des Einkommens diene. 23 Im Urteil Lewark hat der EuGH ausgeführt, daß Art. 119 EGV einschlägig sei, weil die Zeit für die Schulungsveranstaltungen auf Grund des Vorliegens eines Arbeitsverhältnisses aufgewandt worden sei?4 Die Einwände des BAG und des ArbG Bremen hat der EuGH mit dem Hinweis zurückgewiesen, daß die rechtlichen Begriffe und Qualifizierungen des nationalen Rechts die Auslegung oder die Verbindlichkeit des Gemeinschaftsrechts unberührt ließen. 25 Aber schon Generalanwalt Jacobs hatte in seinen Schlußanträgen zur Rechtssache "Lewark"26 Schwierigkeiten, die Weiterzahlung des Lohnes während der Schulungsveranstaltung als "Entgelt" zu qualifizieren. Strenggenommen erhalte nämlich das Betriebsratsmitglied keine Zahlung im Hinblick auf sein Arbeitsverhältnis, so daß nur im weitesten Sinne des Wortes von Entgelt gesprochen werden könne. Doch komme es nicht darauf an, daß der Arbeitnehmer für die Zahlung eine Arbeitsleistung erbringe. Dies belege die Entscheidung des Gerichtshofes27 zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, welche ebenfalls unter Art. 119 EGV zu subsumieren sei.

EuGH, 04. 06. 1992, Rs. C-360/90 (Bötel), Slg. 1992,1-3589 (3612, Tz. 15). Schlußanträge des GA Darrnon v. 28. 01. 1992 in der Rs. C-360/90 (Böte!), S1g. 1992, 1-3600 (3601 f.). 23 EuGH, a. a. 0., S1g. 1992, 1-3589 (3612, Tz. 15). 24 EuGH, 06. 02. 1996, Rs. C-457/93 (Lewark), Slg. 1996,1-243 (268, Tz. 27). 25 EuGH, a. a. 0., Slg. 1996, 1-243 (266, Tz. 20); EuGH, 07. 03. 1996, Rs. C-278/93 (Freers u. Speckmann), Slg. 1996, 1-1165 (1189, Tz. 16). 26 Schlußanträge des GA Jacobs v. 29. 06. 1995 in der Rs. Rs. C-457/93 (Lewark), Slg. 1996, 1-245 (250). 27 EuGH, 13. 07. 1989, Rs. 171/88 (Rinner-Kühn), Slg. 1989,2743. 21

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A. Die Rechtsgrundlagen des Buroparechts

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b) Gegenansicht

Gegenteiliger Auffassung waren das ArbG Bremen, das LAG Baden-Württemberg und die Bundesregierung in ihren Stellungnahmen zu den Vorlageverfahren vor dem EuGH. Nach herkömmlicher Auslegung des nationalen deutschen Rechts handele es sich nicht um eine Bezahlung der Betriebsrats- bzw. Schulungszeit Denn die Betriebsratstätigkeit stelle keine Sonderform der nach dem Arbeitsvertrag zu erbringenden Arbeitsleistung dar. 28 Nach Ansicht des BAG29 ist die Betriebsratstätigkeit nach deutschem Recht keine zu vergütende Arbeitsleistung, sondern die Ausübung eines unentgeltlichen Ehrenamtes. Denn die Tätigkeit im Betriebsrat sei keine nach dem Arbeitsverhältnis geschuldete, weisungsgebundene Dienstleistung. Dies gelte auch für die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen, die die für die Amtsausübung erforderlichen Kenntnisse vermittelten. Im Kern richtet sich die Kritik also nicht gegen die Subsumtion unter den weiten Entgeltbegriff, sondern gegen die Annahme, das Betriebsratsmitglied erhalte eine Vergütung für seine Arbeitsleistung. Deshalb steht nicht so sehr die Frage nach der Auslegung des Entgeltbegriffs im Vordergrund, sondern die, ob Betriebsratstätigkeit und insbesondere die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen für diese Tätigkeit als Arbeit im Sinn des Art. 119 EGV anzusehen ist. Zu beachten ist allerdings, daß beide Fragen sich nur schwer voneinander trennen lassen. Mittlerweile hat das BAG in seiner jüngsten Entscheidung anerkannt, daß Ausgleichszahlungen für Einkornrnenseinbußen, die infolge einer Teilnahme an Schulungsveranstaltungen entstehen, den Entgeltbegriff des Art. 119 EGV erfüllen. 30

c) Auslegung der Begriffe Entgelt und Arbeit

Nach der Legaldefinition sind als ,,Entgelt" alle gegenwärtigen und künftigen Geld- oder Sachleistungen anzusehen, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zumindest mittelbar auf Grund des Dienstverhältnisses gewährt.3 1 Hingegen ist der Begriff der Arbeit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs - soweit erkennbar bisher nicht problematisiert worden. 32 Ob die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung als Arbeit zu werten ist und folglich die Weiterzahlung der Vergütung für einen Arbeitnehmervertreter während

28 Stellungnahme der Bundesrepublik Deutschland zur Rs. C-457/93 (Lewark), Slg. 1996,1-243 (257, 265 f.). 29 Vorlagebeschluß AP Nr. 90 zu§ 37 BetrVG 1972 = DB 1994, 334 (335) = NZA 1994, 278 (280), unter III 3 der Gründe. 30 BAG, AP Nr. 123 zu§ 37 BetrVG 1972 = DB 1998,373 (374) unter II 2 der Gründe. 31 Siehe Geiger, Art. ll9, Rn. 5. 32 Vgl. Curra11, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. ll9, Rn. 89 ff.

2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

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dieser Zeit unter den Entgeltbegriff des Art. 119 EGV fällt, ist durch Auslegung der Vorschrift zu ermitteln. Die Methoden, die der EuGH benutzt, um das EG-Recht auszulegen, sind weder die Methoden der Auslegung völkerrechtlicher Verträge noch die der Auslegung nationalstaatlicher Gesetze. Vielmehr bedient sich der EuGH eigenständiger Auslegungsmethoden, die sich jedoch grundsätzlich am bekannten Methodenkanon Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck einer Vorschrift -orientieren. 33 aa) Wortlaut Der Wortlaut des Art. 119 EGV ist eindeutig: Entgelt wird für Arbeit gewährt. Die Wendung "alle sonstigen Vergütungen" spricht für eine weite Auslegung, doch muß es sich immer um Vergütung, also um eine Gegenleistung für Arbeit, handeln. Die (Sozial-)Leistung des Arbeitgebers muß ihren Rechtsgrund, ihre causa, in einem konkreten Arbeitsverhältnis haben34 ; damit setzt der Anspruch auf "Entgelt" ein bestehendes, konkretes und individuelles Arbeitsverhältnis voraus und stellt in seiner Ausgestaltung ganz auf die arbeitsrechtliche Beziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ab. 35 Danach läßt sich vertreten, daß die weitergezahlte Vergütung der Schulungsteilnehmer Entgelt darstellt, weil der Rechtsgrund für diese Weiterzahlung noch das Arbeitsverhältnis ist. 36 Doch wirft dies gleich die Frage nach dem Arbeitsbegriff auf. Arbeit im Sinn von Art. 119 EGV kann nur als unselbständige Erwerbstätigkeit aufzufassen sein, als die nach dem Arbeitsvertrag geschuldete weisungsgebundene Erbringung von Dienstleistungen.37 Die Mitarbeit im Betriebsrat ist keine nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Tatigkeit und ebensowenig mit dieser identisch. Daher darf sie beispielsweise in einem Arbeitszeugnis nach § 630 BGB auch bis auf ganz eng begrenzte Ausnahmefalle nicht erwähnt werden?8 Lediglich aus sozialpolitischen Griinden genießt das Betriebsratsmitglied denselben sozialversicherungsrechtlichen Schutz wie jeder Arbeitnehmer. 39 Bei der Betriebsratstätigkeit 33 34

35

Schweitzer/Hummer. Rn. 453 ff. Fuchs/Bieback, NKES, Art. 119, Rn. 13. Fuchs/Bieback, NKES, Art. 119, Rn. 16; Langenfeld/Jansen, in: Grabitz/Hilf,

Art. 119, Rn. 23. 36 Aus der Literatur z. B.: Deinert, NZA 1997, 183 (184 f.). 37 BAG, AP Nr. 90 zu§ 37 BetrVG 1972 unter B III 3 der Gründe; Stichler, BB 1996,426 (427). 38 BAG, AP Nr. 5 zu§ 8 BPersVG; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 37 Rn. 13; Hess/ Schlochauer I Glaubitz, § 37 Rn. 8. 39 Vgl. Fitting/Kaiser/Heitherl Engels, § 37 Rn. 12 f.; Hess/Schlochauer!Giaubitz, § 37 Rn. 7.

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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unterliegt das Betriebsratsmitglied gerade nicht den Weisungen des Arbeitgebers. Es nimmt sein Amt selbständig und unabhängig wahr. Anders könnte der Betriebsrat nicht die Interessen der Arbeitnehmer des Betriebes gegenüber dem Arbeitgeber vertreten. Der Wortlaut des Vertrages gibt anders als für den Entgeltbegriff keinen Anhaltspunkt, daß auch jede irgendwie noch im Zusammenhang mit dem Arbeitsvertrag stehende Tätigkeit als Arbeit anzusehen ist. Das Betriebsratsmitglied ist bei der Ausübung seiner Tätigkeit nicht Arbeitnehmer, sondern Betriebsverfassungsorgan. Folglich ist die Betriebsratstätigkeit keine zu vergütende Arbeitsleistung. Es fehlt nämlich am synallagmatischen Verhältnis von Leistung und Gegenleistung. Zwar setzt die lnnehabung dieses Amtes das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraus. Doch besteht das Betriebsratsamt neben dem Arbeitsverhältnis. Im übrigen streitet das Ehrenamtsprinzip gegen eine Qualifizierung der Betriebsratstätigkeit als Arbeitsleistung. Das zur Betriebsratsarbeit Gesagte gilt ohne Einschränkungen genauso für die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen nach § 37 Abs. 6 BetrVG. Wenn also die Teilnahme an einer Betriebsratsschulung als Arbeit angesehen wird, ist die Grenze des Wortlauts als äußerste Auslegungsgrenze überschritten: Daß die Betriebsratsmitglieder einen Ausgleich für die Einbußen ihres Verdienstes erhalten, weil sie während der Schulung nicht arbeiten konnten, ist richtig, genügt aber allenfalls für die Subsumtion unter den Entgeltbegriff nicht aber unter den Begriff der Arbeit, weil dies ansonsten zu sehr von der Rechtsfolge her gedacht ist.40 Um das bisher gefundene Ergebnis abzusichern, sollen auch die weiteren Auslegungsgesichtspunkte untersucht werden.

bb) Systematik Die in Art. 119 EGV verwendeten Begriffe Arbeitnehmer, Arbeit und Entgelt stehen in einem unlösbaren Kontext. Entgelt im Sinn des Art. 119 EGV meint nach dem systematischen Zusammenhang Vergütung für Arbeit. Arbeit ist die nach dem Arbeitsverhältnis geschuldete, weisungsabhängige Erbringung von Dienstleistungen. Wenn der Arbeitnehmer in seiner Eigenschaft als Mitglied eines Arbeitnehmervertretungsorganes im Betrieb für den Betriebs- oder Personalrat tätig ist, erbringt er keine von den Weisungen seines Arbeitgebers abhängige Arbeitsleistung, sondern vertritt davon unabhängig die Interessen der anderen Beschäftigten. Die Betriebsratstätigkeit ist die Ausübung eines unentgeltlichen Ehrenamtes (§ 37 Abs. 1 BetrVG). Dies gilt entsprechend auch für die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen.

40

Stichler, 88 1996, 426 (427).

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

cc) Entstehungsgeschichte Die Entstehungsgeschichte gibt für dieses spezielle Problem keinen näheren Aufschluß, zumal die Motive nicht veröffentlicht sind.

dd) Sinn und Zweck Die Auslegung nach Sinn und Zweck der Vorschrift, in der Diktion des EuGH "effet utile", bestätigt das bisher gefundene Ergebnis. Hierbei ist ein Rückgriff auf das nationale Recht unvermeidlich, weil Art. 119 EGV in der konkreten Anwendung erst durch § 37 BetrVG ausgefüllt wird. Unter Anerkennung des Begriffes "mittelbar" in der Entgeltdefinition, scheint eine Subsumtion unter Art. 119 EGV möglich. Die Einbeziehung der mittelbaren Gewährung von Leistungen will verhindern, daß der Arbeitgeber die Anwendbarkeit von Art. 119 EGV durch rein verfahrenstechnische Gestaltungen ausschließen kann. Davon kann im Fall der Lohnweiterzahlung während der Teilnahme an Schulungsveranstaltungen jedoch keine Rede sein. Der EuGH behauptet bei der konkreten Subsumtion, daß sich die Lohnfortzahlung nach dem Lohnausfallprinzip nicht aus dem Arbeitsvertrag ergebe, sondern mittelbar auf Grund von Rechtsvorschriften und auf Grund des Arbeitsverhältnisses. Dies ist nach der Rechtslage im Betriebsverfassungsgesetz umstritten. (a) Rechtsgrund für die Lohnweitergewährung nach § 37 Abs. 2 BetrVG Nach Ansicht der Rechtsprechung und eines Teiles der Literatur bleibe Rechtsgrundlage für die Weiterzahlung des Arbeitsentgelts der Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 611 Abs. 1 BGB. Aus § 37 Abs. 2 BetrVG folge lediglich das Verbot der Entgeltminderung. 41 Der Lohnanspruch bliebe also bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 BetrVG bestehen und verwandele sich nicht in einen Ersatzanspruch. 42 Einer anderen Ansicht zufolge handele es sich nicht um einen vertraglichen Erfüllungsanspruch, sondern um einen gesetzlichen Anspruch, der aus § 37 Abs. 2 oder gegebenenfalls aus Abs. 3 BetrVG fließe. Denn der Arbeitnehmer erhalte den

41 BAG, 30. 01. 1973-1 ABR 22/72, AP Nr. 1 zu § 37 BetrVG 1972; 18. 06. 1974-1 ABR 119/73, AP Nr. 16 zu§ 37 BetrVG 1972; 17. 09. 1974-1 AZR 574/73, AP Nr. 17 zu § 37 BetrVG 1972; 31. 07. 1986-6 AZR 298/84, AP Nr. 55 zu § 37 BetrVG 1972; LAG Baden-Württemberg, DB 1993, 1826 (1827). 42 BAG, AP Nr. 55 zu§ 37 BetrVG 1972; Hitifeld, BB 1991, 199 (201); Fitting/ Kaiser/ Heither/Engels, § 37 Rn. 47.

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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Lohn nicht für die Betriebsratstätigkeit, sondern für die Erbringung der Arbeitsleistung.43 Daneben wird im Schrifttum vertreten, daß der Anspruch aus§ 616 Satz 1 BGB folge. 44 Denntrotz Verhinderung an der Dienstleistung bleibe der Entgeltanspruch bestehen. § 616 Satz 1 BGB stellt eine Ausnahme dar zu dem Grundsatz: ohne Arbeit keinen Lohn (vgl. § 614 BGB). Der Dienstpflichtige oder der Arbeitnehmer soll aus sozialpolitischen Gründen seinen Entgeltanspruch nicht verlieren, wenn ihm durch einen in seiner Person liegenden Grund die Erbringung der Arbeitsleistung nachträglich unmöglich wird, ohne daß dies eine Partei zu vertreten hätte. 45 Im Fall des § 616 Satz 1 BGB verwandelt sich der vertragliche Erfüllungsanspruch in einen sozial motivierten Schutzanspruch.46 Ohne diese Regelung griffe§ 323 BGB.47 Insofern besteht eine Verwandtschaft zu § 37 Abs. 2 BetrVG. Doch ist letztere die speziellere Regelung gegenüber§ 616 Satz 1 BGB , die den eigentlichen Rechtsgrund nicht angeben kann. Die Weiterzahlung des Lohnes wird vom Arbeitgeber zwar nach dem im Betriebsverfassungsgesetz normierten Lohnausfallprinzip gewährt. Grundlage hierfür ist die Ausgestaltung des Betriebsratsamtes als Ehrenamt. Wegen der Verweisung in § 37 Abs. 6 BetrVG muß dies entsprechend für die Schulungsteilnahme gelten: Erwerben die Betriebsratsmitglieder auf einer Bildungsveranstaltung Kenntnisse, die für ihre ehrenamtliche Betriebsratstätigkeit erforderlich sind, werden sie durch das Lohnausfallprinzip vor Verdiensteinbußen geschützt. Das durch Betriebsratstätigkeit bzw. Schulungsveranstaltung notwendige Arbeitsversäumnis wird wie geleistete Arbeit vergütet, nicht jedoch die Schulungsveranstaltung. Lediglich die arbeitsvertragliche Dienstleistungspflicht ist per Gesetz suspendiert mit der Folge, daß dem Arbeitgeber gegenüber dem vertraglichen Vergütungsanspruch die Einrede des nichterfüllten Vertrages nach § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht zusteht. 48 Die Fortzahlung der Vergütung nach § 37 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 BetrVG erfolgt nicht etwa auf der Grundlage eines gesetzlichen Vergütungsanspruches49 , sondern beruht auf dem Arbeitsvertrag(§ 611 Abs. 1 BGB). Der Anspruch ergibt sich auch nicht direkt aus § 37 Abs. 2 BetrVG. Diese Vorschrift hat die Funktion, daß dem Betriebsratsmitglied der Vergütungsanspruch für durch Betriebsratsarbeit verEhmann, Anm. zu BAG, SAE 1978, 158 (159). Reich/Dieball, ArbuR 1991; 225 (226); BAG, AP Nr. 16 zu§ 37 BetrVG 1972. 45 MünchKomm-BGB I Schaub, § 616 Rn. 1. 46 Vgl. grundlegend Ehmann, Gesarntschuld, S. 171, insbes. 256 und 259 f. 47 BAG, 19. 03. 1965-5 AZR 107/64, AP Nr. 4 zu §50 BAT= NJW 1965, 1397; Palandt/ Putzo, § 616 Rn. 3. 48 Vgl. LAG Baden-Württemberg, DB 1993, 1826 (1828). 49 So auch BAG, AP Nr. 16 zu§ 37 BetrVG; Hitifeld, BB 1991, 199 (201). 43

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

säumte Zeit erhalten bleibt. Es handelt sich bei dem Vergütungsanspruch nicht um einen eigenständigen, vom Arbeitsvertrag gelösten Anspruch, der allein aus dem Betriebsverfassungsrecht herzuleiten wäre. § 37 Abs. 2 BetrVG begründet den Anspruch nicht, sondern setzt ihn voraus und will ihn erhalten. Insofern ist diese Norm als Ausnahme zu § 323 BGB zu verstehen. (b) Konsequenzen der Ansicht des EuGH Zu kritisieren ist allerdings, daß der EuGH, quasi das nationale Recht subsumierend ohne Notwendigkeit diese Streitfrage entschieden hat und von einem Anspruch ausgeht, der allein auf Rechtsvorschriften beruht, gemeint ist § 37 Abs. 6 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 BetrVG. Dies hätte letztlich zur Konsequenz, daß nicht der Lohn für die ausgefallene Arbeit weitergezahlt wird, sondern die Betriebsratstätigkeit und sogar die Teilnahme an den Schulungsveranstaltungen selbst vergütet wird. Wenn der EuGH also meint, die Vergütung als solche ergebe sich nicht aus dem Arbeitsvertrag, kann dies als ein erster Beleg dafür genommen werden, daß der EuGH das in § 37 BetrVG geregelte Lohnausfallprinzip nicht vollständig erfaßt hat. Wollte man die Leistungen des Arbeitgebers an das Betriebsratsmitglied, das sich auf einem Schulungsseminar befindet, tatsächlich als "Entgelt" für die Seminarteilnahme und diese als "Arbeit" ansehen, hätte dies weitreichende Folgen, die mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Arbeitnehmervertretungsrechts nicht zu vereinbaren sind. Die einfache Weiterzahlung des ansonsten im Betrieb verdienten Lohnes ist nicht mehr zu begründen. Unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung aller Schulungsteilnehmer ist auch die Vergütung der gesamten Seminardauer mit dem individuellen Stundensatz eines jeden Teilnehmers kaum zu rechtfertigen. Da die Tätigkeit als Betriebsratsmitglied grundsätzlich gleich ist - und bei Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung erst recht jeder Anwesende dieselbe Tätigkeit "verrichtet" - verstößt eine unterschiedliche Vergütung des Seminars nach der jeweiligen Tätigkeit am Arbeitsplatz gegen den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz50 und Art. 3 Abs. 1 GG. 51 Die Pflicht, die Betriebsratstätigkeit als solche immer gleich zu vergüten, steht aber dem Prinzip der Ehrenamtlichkeit diametral entgegen. Dieses Prinzip hat den Sinn, dem Mitglied der Arbeitnehmervertretung die notwendige innere Unabhängigkeit zu gewährleisten52 und den Vorteil, daß seine Verbundenheit mit der persönlichen und wirtschaftlichen Situation der von ihm vertretenen Arbeitnehmer gestärkt wird. 53 Diese 50 Vgl. dazu allgemein Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch,§ 112. 51 Nach Auffassung des ArbG Bremen, EuZW 1993, 614 (615), liegt sogar ein Verstoß gegen Art. 119 EGV unter dem Gesichtspunkt einer mittelbaren Diskriminierung vor; die berechtigte Kritik des ArbG Bremen an Subsumtion unter den Entgeltbegriff deutet aber zusätzlich auf Friktionen hinsichtlich der mittelbaren Diskriminierung hin. 52 Vgl. Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 37 Rn 5 m. w. N. 53 Dazu ausführlich ArbG Bremen, EuZW 1993, 614 (615 f.).

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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vom ArbG Bremen im Kern so vorgetragenen Erwägungen hätte der EuGH nicht einfach mit dem Hinweis auf die autonome Auslegung des EG-Rechts beiseite schieben dürfen. Es genügt nicht zu sagen, daß die Lohnweiterzahlung mittelbar im Arbeitsverhältnis ihren Grund hat. Denn dies beachtet nicht hinreichend den grundlegenden Unterschied von Arbeitnehmervertretungsamt und Arbeitsverhältnis. Auch aus der Erwägung, daß die Arbeitnehmervertreter damit betraut seien, die Interessen der Arbeitnehmer wahrzunehmen und damit gleichzeitig das Bestehen harmonischer Arbeitsbeziehungen im Betrieb zu fördern, was schon in dessen allgemeinem Interesse läge54, ergibt sich kein anderes Ergebnis. 5 5 Zwar gilt nach§ 2 Abs. 1 BetrVG bzw. PersVG der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Betrieb I Dienststelle und Arbei tnehmervertretung. Auch mag man in diesem Zusammenhang anführen, daß es zu den allgemeinen Aufgaben des Betriebs- bzw. Personalrates gehört, Maßnahmen, die dem Interesse des Betriebes oder der Dienststelle dienen, zu beantragen(§ 68 Abs. 1 PersVG, § 80 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG). Doch bildet dies nicht den Schwerpunkt der Aufgaben der Arbeitnehmervertretungen. Dieser liegt bei der Vertretung und Interessenwahrnehmung der Arbeitnehmer, wie sich aus den in § 68 Abs. l PersVG, § 80 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG umschriebenen Aufgaben ergibt (vgl. auch § 25 Abs. l SchwbG). Dieser Aufgabenschwerpunkt wird auch durch die in den Arbeitnehmervertretungsgesetzen verankerten Mitbestimmungsrechte (§ 75 PersVG, § 87 BetrVG) belegt. Zuzugeben ist zwar, daß bei der Wahrnehmung und Vertretung der Arbeitnehmerinteressen vertrauensvoll mit der Arbeitgeberseite zusammengearbeitet und auf eine einvernehmliche Einigung hingewirkt werden soll. Dies ändert aber nichts daran, daß es sich hierbei nur um "handlungsleitende Gesichtspunkte" handelt, die nicht bewirken, daß Betriebs- und Personalräte vorrangig im Interesse des Betriebes tätig werden. 56 Erst in zweiter Linie, quasi als Reflex, dient die Arbeitnehmervertretung auch den Interessen des Betriebes bzw. der Dienststelle, indem ein geordnetes Verfahren zur Interessenvertretung und zur Konfliktlösung, zur Verfügung gestellt wird und einzuhalten ist. Dies ist sicherlich ein Beitrag zum Ausgleich der Interessen von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite. Die Arbeitnehmervertretung ist also kein Funktionsträger im Interesse des Betriebes oder der Dienststelle und deshalb nicht von der Arbeitgeberseite für diese Funktion zu entgelten. Deshalb steht hinter den Regelungen des BetrVG und des PersVG, daß die Mitglieder der Arbeitnehmervertretungen wegen ihrer Tätigkeit keine persönlichen Nachteile, insbesondere keine Einkommenseinbuße erleiden dürfen. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß auf Grund der weiten Definition des Entgeltbegriffes isoliert betrachtet die Lohnweiterzahlung nach § 37 Abs. 6 Satz l i. V. m. Abs. 2 BetrVG Entgelt ist, sei es weil der Anspruch auf dem Arbeitsvertrag 54 55 56

EuGH, 04. 06. 1992, Rs. C-360/90 (Böte!), Slg. 1992, 1-3589 (3611). Auch dazu ausführlich ArbG Bremen, EuZW 1993, 614 (616.). Soweit ArbG Bremen, a. a. 0 .

4 Traupe

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

(§ 611 BGB) beruht, sei es mittelbar bei einem gesetzlichen Anspruch aus § 37 Abs. 2 BetrVG direkt. Doch wird das Entgelt nicht für Arbeit, sondern trotz des durch die Betriebsratsarbeit oder die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen bedingten Arbeitsausfalles gewährt.

Bereits in diesem Punkt scheitert die Anwendung des Art. 119 EGV. Für den Fortgang der Erörterung soll jedoch mit dem EuGH unterstellt werden, daß die Teilnahme an einer Betriebsratsschulung ebenso wie die Lohnweiterzahlung unter Art. 119 EGV fällt.

3. Gleiches Entgelt für gleiche Arbeit a) Ungleichbehandlung

Aus dem Inhalt der Regelung oder Maßnahme muß sich für die Anwendbarkeit von Art. 119 EGV eine Ungleichbehandlung, also eine nachteilige Betroffenheit für ein Geschlecht ergeben. Gleichheit des Entgelts ohne Diskriminierung auf Grund des Geschlechts bedeutet nach Art. 119 Abs. 2 EGV zum einen, daß das Entgelt für gleiche nach Akkord bezahlte Arbeit in derselben Maßeinheit festgesetzt wird, und zum anderen, daß für eine nach Zeit bezahlte Arbeit das Entgelt auf demselben Arbeitsplatz dasselbe ist. Hier kann es erkennbar um den zweiten Fall (lit. b) gehen, wenn man - als Arbeitshypothese - Betriebsratstätigkeit mit der Tätigkeit auf einem Arbeitsplatz vergleichen will. In Ausfüllung dieser Voraussetzung liegt nach der Rechtsprechung des EuGH eine Ungleichbehandlung immer dann vor, wenn bei gleicher Zahl von Stunden, die auf Grund des Vorliegens eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden, das Vollzeitbeschäftigten gezahlte Gesamtentgelt höher ist als das Teilzeitbeschäftigten gezahlte. 57 Nimmt eine Teilzeitkraft an einer ganztägigen Schulungsveranstaltung teil, erhält sie nach dem Lohnausfallprinzip nur den Lohn, den sie bei geleisteter Teilzeitarbeit auf ihrem Arbeitsplatz erhalten hätte, also den ihrer Stundenzahl entsprechenden Anteil des Vollzeitlohnes. Eine an derselben Veranstaltung teilnehmende vollzeitbeschäftigte Kraft erhält hingegen - scheinbar -den ganzen Schulungstag "bezahlt", da sie auch den ganzen Tag gearbeitet hätte. In der Literatur58 wird in diesem Zusammenhang von einem "strukturellen Freizeitopfer" teilzeitbeschäftigter Betriebsräte gesprochen. Ob die Regelung des § 37 BetrVG dennoch ein Geschlecht nachteilig betrifft, ist nicht ganz unproblematisch. Denn Vollzeitkräfte und Teilzeitkräfte werden unter 57 EuGH, 15. 12. 1994, verb. Rs. C-399, 409,425/92 u. C-34, 50,78/93 (Stadt Lengerieb u. a. /He1mig u. a.), S1g. 1994, 1-5727 (5754, Tz. 26 f.); EuGH, 06. 02. 1996, Rs. C-457 /93 (Lewark), Slg. 1996, 1-243 (267, Tz. 25). Auch BAG, 05. 03. 1997 - 7 AZR 581 /92 -, AP Nr. 123 zu§ 37 BetrVG 1972 = DB 1998, 373 (374). 58 Z. B.: Reich/Dieball, ArbuR 1991,225 (227); Deinert, NZA 1997, 183 (185).

A. Die Rechtsgrundlagen des Buroparechts

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einem bestimmten Gesichtspunkt gleichbehandelt, unter einem anderen Aspekt jedoch ungleich: Für Überstunden über die jeweilige individuelle Arbeitszeit hinaus gibt es keine "Vergütung". Insoweit läßt sich eine Parallele zum Helmig-Urteil ziehen, in dem der EuGH feststellte, daß kein Verstoß gegen Art. 119 EGV vorliegt, wenn tarifvertragliche Regelungen Mehrarbeitszuschläge nur bei Überschreiten der tarifvertraglich für Vollzeitbeschäftigte festgelegten Regelarbeitszeiten vorsehen. 59 Im Anschluß daran entschied auch das BAG60 entsprechend. Andererseits erhalten Teilzeitkräfte im Betriebsrat, die an einer Schulungsmaßnahme teilnehmen, bei gleicher während der Schulungsteilnahme verbrachter Stundenzahl wie vollzeitbeschäftigte Kollegen ein geringeres Gesamtentgelt, solange die Schulungsveranstaltung innerhalb der betrieblichen Vollarbeitszeit liegt. Unter der Prämisse, daß unter den gewählten Arbeitnehmervertretern mehr teilzeitbeschäftigte Frauen als teilzeitbeschäftigte Männer sind, stellt sich die Frage nach einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts durch das Lohnausfallprinzip des Betriebsverfassungsgesetzes, des Personalvertretungsgesetzes bzw. des Schwerbehindertengesetzes.

b) Unmittelbare und verdeckte Diskriminierung

Allgemein wird unter Diskriminierung, z. B. wegen der Staatsangehörigkeit nach Art. 6 EGV, die ungleiche Behandlung vergleichbarer bzw. die gleiche Behandlung nicht vergleichbarer Sachlagen verstanden. 61 Hierbei ist nicht jede Differenzierung verboten, sondern nur eine willkürliche Differenzierung wie im Völkerrecht und im nationalen Recht. Von daher kann eine unterschiedliche Behandlung vergleichbarer bzw. gleiche Behandlung nicht vergleichbarer Sachlagen dann erlaubt sein, wenn die Differenzierung objektiv gerechtfertigt ist. 62 Im Bereich der Diskriminierung zwischen Männern und Frauen geht der EuGH vom selben Ausgangspunkt aus63 und unterscheidet zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung. Ist das Geschlecht als solches Anknüpfungspunkt für eine unterschiedliche Behandlung von Mann und Frau, spricht man von unmittelbarer Diskriminierung. 59 EuGH, 15. 12. 1994, verb. Rs. C-399, 409, 425/92 u. C-34, 50, 78/93 (Helmig u. a.), Slg. 1994, I-5727 (5754 f.). 60 BAG, 20. 06. 1995 - 3 AZR 684/93, AP Nr. ll zu§ I TVG - Tarifverträge: Chemie m. Anm. Wisskirchen. 61 Vgl. EuGH, 17. 07. 1963, Rs. 13/63 (Italienische Republik/Kommission), Slg. 1963, 357 (384). 62 EuGH, 24. 10. 1973, Rs. 43172 (Merkur-Außenhandels-GmbH/Kommission), Slg. 1973, 1055 (1074); 16. 10. 1980, Rs. 147179 (Rene Hochstrass/Gerichtshof), Slg. 1980, 3005 (3019 ff.). 63 EuGH, 31. 03. 1981, Rs. 96/80 (Jenkins), Slg. 1981, 911 (925 f.); 13. 05. 1986, Rs. 170/84 (Bilka), Slg. 1986, 1607 (1626 f.). 4*

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Schwierig ist die Abgrenzung von unmittelbarer Diskriminierung und mittelbarer Diskriminierung, wenn man beriicksichtigt, daß auch nicht direkt an das Merkmal Geschlecht anknüpfende Regelungen in Form von verdeckter oder verschleierter Diskriminierung als unmittelbare Ungleichbehandlung zu werten sind. In diesem Fall werden ebenfalls wie bei der mittelbaren Diskriminierung nicht geschlechtsspezifische, sondern nur ein bestimmtes Geschlecht betreffende Formulierungen verwendet. Darauf aufbauend wird in der Literatur vertreten, daß es sich um eine unmittelbare verdeckte Diskriminierung handele, wenn eine Vorschrift Anforderungen stelle, die formal Männer und Frauen erfüllen können, aber nicht unmittelbar an die Arbeit anknüpfen und die zudem ganz überwiegend oder sogar ausschließlich von Angehörigen eines Geschlechts erfüllt werden. 64 Mit dieser weiten Definition wird jedoch die Abgrenzung zur mittelbaren Diskriminierung erschwert. Die unmittelbare verdeckte Diskriminierung ist auf einen engeren Anwendungsbereich als Umgehungsverbot für eine offene unmittelbare Diskriminierung zu beschränken.65 Bei der verdeckten Diskriminierung ist das scheinbar neutral formulierte Kriterium in Wahrheit darauf gerichtet, eine bestimmte Gruppe auszuschließen. Eine unmittelbare Diskriminierung wird so nur getarnt. Die Regelung will durch Verwendung eines scheinbar neutral gefaßten Differenzierungskriteriums das verpönte Merkmal umgehen, indem ein Ersatzkriterium benutzt wird, das die gemeinte Gruppe hinreichend genau kennzeichnet. In der Konsequenz dieser Ansicht liegt es, hierfür eine Diskriminierungsabsicht zu verlangen. Da § 37 Abs. 6 BetrVG nicht an das Geschlecht anknüpft, scheidet eine unmittelbare Diskriminierung aus. Da kein geschlechtsspezifisches Ersatzkriterium verwandt wird, handelt es sich auch nicht um einen Fall der verdeckten unmittelbaren Diskriminierung. In Betracht kommt aber ein Verstoß gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung.66

4. Tatbestand des Verbots der mittelbaren Diskriminierung

Im folgenden soll versucht werden, den Tatbestand des Verbots der mittelbaren Benachteiligung zu konturieren. Dies geschieht vor einer theoretischen Erörterung Langenfeld, S. 212; Pfarr/Bertelsmann, Gleichbehandlungsgesetz, S. 36 f. So auch C. Blomeyer, S. 17 f.; Wisskirchen, S. 72 f. Ähnlich Bieback, ZIAS 1990, 1 (8), der die Herausbildung eines eigenständigen Tatbestandes der verdeckten Diskriminierung für entbehrlich hält, weil mittelbare Diskriminierung und verdeckte Diskriminierung identische Voraussetzungen hätten bis auf den Umstand, daß die verdeckte Diskriminierung zum Einsatz käme, wenn das Differenzierungsmerkmal ausschließlich ein Geschlecht beträfe. 66 Dem allgemeinen Herkommen folgend werden die Begriffe "mittelbare Diskriminierung" und "mittelbare Benachteiligung" im folgenden synonym benutzt, wenn auch festgestellt werden muß, daß von "Diskriminierung" erst gesprochen werden kann, wenn erwiesen ist, daß die festgestellte Benachteiligung nicht zu rechtfertigen ist. Insoweit enthält der Begriff "Diskriminierung" bereits ein wertendes Moment. Vgl. Herrmann, SAE 1993, 271 (275). 64

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A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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der Herkunft dieser neuen Rechtsfigur auf der Grundlage der Rechtsprechung von EuGH und BAG sowie der herrschenden Literatur, um so auch den Fall "Böte!" näher untersuchen zu können.

a) Begrifflich gleichbehandelnde Regelung oder Maßnahme

Im Unterschied zur unmittelbaren Diskriminierung ist bei allen Formen der mittelbaren Benachteiligung die begrifflich gleichbehandelnde Regelung oder Maßnahme Ausgangspunkt der Überlegungen. Eine von ihrem Begriff her gleichbehandelnde und damit geschlechtsneutrale Regelung liegt vor, wenn der Gesetzgeber oder der Arbeitgeber eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern nach Leistungsvoraussetzungen, Bedingungen, Befristungen oder sonstigen Merkmalen unterscheidet, die nicht von allen Arbeitnehmern in gleicher Weise erfüllt werden können, ohne dabei an das Geschlecht anzuknüpfen. 67 Zu diesen Merkmalen zählen die Benutzung des Gesichtspunkts "Haushaltsvorstand", die Gewährung von Zulagen für Sorge- bzw. Unterhaltspflichtige, die Anknüpfung einer Regelung an eine "kontinuierliche und ununterbrochene Beschäftigung", die "Seniorität" oder "Anciennität" sowie als wohl häufigster Fall die "Teilzeitbeschäftigung" oder "geringfügige Beschäftigung".68 Das Lohnausfallprinzip gilt in gleicher Weise für Männer wie für Frauen. § 37 Abs. 6 i. V. m. Abs. 2 BetrVG stellt also eine geschlechtsunspezifische Regelung dar.69

b) Wesentlich größere nachteilige Auswirkung für ein Geschlecht

Rein tatsächlich muß festgestellt werden, ob der Anteil der Angehörigen des einen Geschlechts der von der Ausgestaltung einer gesetzgebensehen Maßnahme oder arbeitsvertragliehen Vereinbarung nachteilig betroffen ist oder sein könnte, erheblich größer ist als der Anteil der Angehörigen des anderen Geschlechts.70 Bereits bei diesem Tatbestandsmerkmal beginnen die dogmatischen Probleme. Bei der näheren Erörterung des Tatbestandsmerkmals sind drei Problemkreise zu trennen, die richtige Verhältnisbildung zwischen der Gruppe der Männer und 67 Vgl. BAG, 20. 11. 1990-3 AZR 613/89-, AP Nr. 8 zu§ 1 BetrAVG - Gleichberechtigung-= NZA 1991, 635 (636) = VersR 1991, 944 (945) = SAE 1992, 89 (91); AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag; C. Blomeyer, S. 26; HanauiPreis, ZfA 1988, 177 (187); PfarriBertelsmann, Diskriminierung, S. ll6 u. 117; ReichiDieball, ArbuR 1991, 225 (228). 68 Fuchs I Bieback, NKES, Art. 119 Rz. 39 ff. 69 Das Vorliegen dieser Voraussetzung wird in den Urteilen des EuGH stillschweigend bejaht. 70 Pfarr I Bertelsmann, Diskriminierung, S. ll6 u. ll7; Wisskirchen, S. 80 ff.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

der Gruppe der Frauen, die richtige Vergleichsgruppenbildung orientiert am Adressatenkreis der Maßnahme und die richtige Maßzahl für die erheblich stärkere Betroffenheit. Erstaunlicherweise werden diese Fragen in Rechtsprechung und Literatur nicht mit der wünschenswerten Deutlichkeit herausgestellt und voneinander getrennt.

aa) Verhältnisbildung unter den Geschlechtergruppen Um festzustellen, in welchem Ausmaß die Geschlechtergruppen von den Tatbestandsvoraussetzungen erfaßt werden, müssen Methoden der Tatsachenfeststellung unter Zuhilfenahme der Statistik und der Wahrscheinlichkeitstheorie angewandt werden. 71 Überwiegend wird in Rechtsprechung72 und Literatur73 davon ausgegangen, daß nicht die absolute Zahl der von einer Maßnahme betroffenen Angehörigen eines Geschlechts maßgeblich ist, sondern der jeweilige prozentuale Anteil der von der strittigen Maßnahme betroffenen Angehörigen eines Geschlechts gegenüber den Angehörigen des anderen Geschlechts. Dies läßt sich mit einem Beispiel verdeutlichen: In einem Betrieb arbeiten 1.000 Männer, davon 10% in Teilzeit und 100 Frauen, von denen 75% teilzeitbeschäftigt sind. Benachteiligt eine betriebliche Regelung Teilzeitarbeitskräfte, werden absolut gesehen davon mehr Männer als Frauen (100:75) betroffen. Nimmt man jedoch die Bezugsgröße in den Blick, werden proportional erheblich mehr Frauen als Männer (75%:10%) benachteiligt. 74 Die innere Berechtigung für diese Vorgehensweise liegt in der Rationalisierung der Betrachtung, die allein den Faktor "Zufall" auszuschließen vermag. Auf welche Schwierigkeiten die Begründung der stärkeren Betroffenheit von Frauen trifft, zeigt ein Beispiel aus der Rechtsprechung75 : Das LAG Düsseldorf hatte sich mit § 14 Abs. 4 des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen zu befassen. Nach dieser Regelung entsteht ein Urlaubsanspruch erstmalig bei mehr als dreimonatiger ununterbrochener Zugehörigkeit zum selben Betrieb. Daraus folgerte das LAG Düsseldorf eine stärkere Betroffenheit von Frauen durch die Regelung. Denn diese entfalte für Frauen wesentlich nachteiligere Wirkungen, "weil im Einzelhandel unstreitig mehr Frauen als Männer beschäftigt 71 Pfarr/Benelsmann, Diskriminierung, S. 116 u. 117;vgl. allgemein Evers, Begriff und Bedeutung der Wahrscheinlichkeit für die richterliche Beweiswürdigung, Diss. Freiburg 1979; Bender/Nack, DRiZ 1980, 121 ff. 12 Z. B.: BAG, AP Nr. 8 zu§ 1 BetrAVG- Gleichberechtigung-= NZA 1991, 635 (636) = VersR 1991,944 (945) = SAE 1992, 89 (91). 73 Langenfeld, S. 215m. Bsp.; Bieback, S. 83 ff.; meist wird dieser Umstand gar nicht eigens ausgesprochen: C. Blomeyer, S. 126; Pfarr/Benelsmann, Diskriminierung, S. 118 ff.; Wisskirchen, S. 94; Wißmann, FS Wlotzke, S. 807 (810). 74 Colneric, Anm. zu EuGH, 13. 05. 1986, Rs. 170/84 (Bilka), AR-Biattei - Gleichbehandlung im Arbeitsverhältnis- Nr. 77; Fuchsloch, S. 169. 75 Ausführlich diskutiert bei Fuchsloch, S. 160 f.

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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sind."76 Folgt man dieser Argumentation, verstoßen alle einschränkenden gesetzlichen oder tarifvertragliehen Regelungen gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung, wenn im jeweiligen Anwendungsbereich wesentlich mehr Frauen als Männer arbeiten. Dies zeigt, welche Verwirrung mit dem "Rechtsinstitut" der mittelbaren Diskriminierung gestiftet wird. 77 Um hier überhaupt zum Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach der h. M. zu kommen, muß gefragt werden, ob wesentlich mehr Frauen als Männer in zeitlich kurz befristeten oder andauernden Arbeitsverhältnissen tätig sind.78 Denn nur diesen Aspekt betrifft die streitige Regelung. (a) Die Ansicht der Rechsprechung

Schon die Rechtsprechung des EuGH und des BAG ist zur Frage der richtigen Verhältnisbildung nicht einheitlich. Gerade die Vorgaben des Gerichtshofs bleiben diffus. Zum Teil ist das zahlenmäßige Verhältnis der Geschlechter innerhalb der Vollzeitbeschäftigten der Maßstab79, zum Teil betrachtet der EuGH nur die Quote innerhalb der betroffenen Gruppe80. In Abweichung davon, doch formal unter Berufung auf den EuGH, vergleicht das BAG die Verhältnisse der Geschlechter in der Gruppe der Begünstigten (Vollzeitbeschäftigten) mit denen in der Gruppe der Benachteiligten (Teilzeitbeschäftigten)81. Konkret werden in einem ersten gedanklichen Schritt die Vergleichsgruppen bestimmt, indem die von der Norm Begünstigten und die von ihr Benachteiligten einander gegenübergestellt werden. Innerhalb der Vergleichsgruppen ist dann die LAG Düsseldorl, NZA 1993,474 (475). Vergleichbar ist die Argumentation in folgendem Fall (BAG, 30. 09. 1998-4 AZR 546-548/97, NZA Heft 18/1998, S. XII): Eine der Klägerinnen ist staatlich anerkannte Kindergärtnerin, die andere graduierte Sozialpädagogin. Sie verlangten eine Höhergruppierung nach dem BAT (analog Lehrern mit Hochschulabschluß) mit dem Hinweis darauf, daß 87% der angestellten Lehrer ohne Hochschulabschluß Frauen seien, daher ihre niedrigere Eingruppierung eine mittelbare Diskriminierung darstelle. Dabei wurde jedoch in der zweiten Instanz übersehen, daß auch 83% der angestellten Hochschulabsolventen Frauen sind, so daß es an einer ordnungsgemäßen Vergleichsgruppenbildung fehlt. Von einer geschlechtsbedingten Diskriminierung kann auf Grund der Statistiken keine Rede sein. 78 Vgl. dazu Fuchsloch, S. 161. 79 EuGH, 31. 03. 1981, Rs. 96/80 (Jenkins), Slg. 1981,911 (925 f., Tz. 13); 13. 05. 1986, Rs. 170/84 (Bi1ka), Slg. 1986, 1607 (1627); 13. 07. 1989, Rs. 171188 (Rinner-Kühn), Slg. 1989, 2743 (2760 f.). 80 EuGH, 27. 06. 1990, Rs. C-33/89 (Kowa1ska), Slg. 1990, 1-2591 (2611, Tz. 13); 07. 02. 1991 Rs. C-184/89 (Nimz), Slg. 1991,1-1991,297 (318, Tz. 7); Wißmann, FS Wlotzke, S. 807 (811), meint hierzu, es entspräche der "äußerst kargen Begründungstechnik des EuGH", wenn dieser den höheren Männeranteil unter den Begünstigten einer Regelung nicht eigens erwähne. 81 BAG, AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG- Gleichberechtigung-= NZA 1991, 635 (636) = VersR 1991, 944 (945) = SAE 1992, 89 (91); BAG, AP Nr. ll zu § 1 TVG - Tarifverträge: Chemie - m. Anm. Wisskirchen. 76

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

jeweilige Geschlechterrelation zu bestimmen. Stellt sich beim Vergleich des Geschlechterverhältnisses heraus, daß ein Geschlecht einen höheren Anteil an der benachteiligten als an der begünstigten Gruppe aufweist, ist dieses von der inkriminierten Bestimmung stärker nachteilig betroffen. 82 Das BAG bezieht sich also nicht nur auf das Geschlechterverhältnis in der Gruppe der von der Regelung Benachteiligten, sondern vergleicht dieses mit dem in der Gruppe der Begünstigten. Die Feststellung einer mittelbaren Diskriminierung setzt demnach 83 voraus, daß der Anteil der Frauen an den von einer Maßnahme benachteiligten Arbeitnehmern wesentlich größer ist als ihr Anteil an den begünstigten Arbeitnehmern. Dies läßt sich für das Merkmal Teilzeitbeschäftigung leicht feststellen: Der Anteil der Frauen an den Teilzeitbeschäftigten ist wesentlich höher als der Anteil der Frauen an den Erwerbstätigen insgesamt. Im konkreten Fall stellte das BAG dann aber den Anteil der weiblichen Teilzeitkräfte dem Anteil der männlichen Teilzeitkräfte, jeweils bezogen auf die Gesamtbelegschaft, gegenüber.84 Aber auch in zeitlich nachfolgenden Urteilen blieb unklar, welche Bezugsgröße für die Feststellung einer mittelbaren Diskriminierung entscheidend sein sollte: Kommt es auf den Vergleich zwischen dem prozentualen Anteil benachteiligter weiblicher und männlicher Arbeitnehmer an der Gesamtbelegschaft85 oder an der in Teilzeit beschäftigten Belegschaft86 an? In einem späteren Urteil87 begnügte sich das BAG nicht mit einer einzigen Vergleichsrechnung, sondern stellte eine Reihe von Vergleichen an, ohne aber mitzuteilen, welcher Vergleich entscheidend sei. Das Geschlechterverhältnis in der Gesamtbelegschaft betrug 87% Frauen zu 13% Männer. Darauf basierend wurde der Anteil der weiblichen Arbeitnehmer in der begünstigten mit dem in der benachteiligten Gruppe verglichen. Die Gruppe der Vollzeitbeschäftigten bestand zu 82,3% aus Frauen und zu 17,7% aus Männern, wohingegen 97,9% der Teilzeitbeschäftigten Frauen waren, der Anteil der männlichen Arbeitskräfte in dieser Gruppe also nur 2,1% betrug. Bereits diese Differenz von 15,6 Prozentpunkten zwischen dem Anteil der teilzeitbeschäftigten und dem der vollzeitbeschäftigten Frauen erachtete das Gericht als "wesentlich". Zusätzlich stellte das BAG darauf ab, daß die Gruppe der Teilzeitbe-

82 Vgl. hierzu auch die Darstellung der Rechtsprechung bei Wißmann, FS Wlotzke, S. 807 (809 ff.). 83 BAG, 14. 10. 1986-3 AZR 66/83 -, AP Nr. 11 zu Art. 119 EWGV unter II 3 a (2) der Gründe; 02. 12. 1992 - 4 AZR 152/92 - , AP Nr. 28 zu§ 23a BAT= NZA 1993, 367 (369) unter Berufung auf EuGH, 07. 05. 1991, Rs. C-229/89, (Kommission/Königreich Belgien), Slg. 1991, I-2205 (2228); jetzt auch BAG, AP Nr. 123 zu § 37 BetrVG 1972 = DB 1998, 373 (374). 84 Danach bestand die Gesamtbelegschaft aus 27,7% teilzeitbeschäftigten Frauen, aber nur 2,8% teilzeitbeschäftigten Männem, so daß sich die umstrittene Regelung auf Frauen zehnmal stärker auswirkte als auf Männer, vgl. BAG, AP Nr. 11 zu Art. 119 EWGV. 85 BAG, 14. 03. 1989-3 AZR490/87 -, APNr. 5 zu§ 1 BetrAVG-Gleichberechtigung - . 86 BAG, 23. 01. 1990- 3 AZR 58/88 - , AP Nr. 7 zu § 1 BetrAVG - Gleichberechtigung-. 87 BAG, AP Nr. 8 zu§ 1 BetrAVG- Gleichberechtigung-= NZA 1991, 635 (636).

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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schäftigten fast ausschließlich aus Frauen bestand. Schon deshalb seien unverhältnismäßig mehr Frauen als Männer von dem Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten von der betrieblichen Altersversorgung betroffen. Zur weiteren Stützung seiner These legte das BAG im folgenden noch die unterschiedliche Verteilung von Begünstigten und Benachteiligten getrennt nach den Geschlechtern dar: Bei den Männem arbeiteten lediglich 5% in Teilzeit, bei den Frauen aber immerhin 33,8%. (b) Die Ansichten in der Literatur

Auch in der Literatur werden unterschiedliche Vergleichsgruppenbildungen diskutiert. Ausgehend von ihrer Unterscheidung zwischen regelungsbezogener und verhaltensbezogener mittelbarer Differenzierung88 versucht Fuchsloch 89 unter Zuhilfenahme der Regeln analytischer Logik90 eine rationale Vergleichsgruppenbildung zu entwickeln. Danach liege bei einer regelungsbezogenen mittelbaren Differenzierung eine erheblich stärkere Betroffenheit eines Geschlechts vor, wenn der Anteil eines Geschlechts innerhalb der behandelten Gruppe im Verhältnis zu dem Anteil dieses Geschlechts an der Gesamtgruppe erheblich höher oder erheblich niedriger ist als der Anteil des anderen Geschlechts an der behandelten Gruppe im Verhältnis zu dem Anteil des anderen Geschlechts an der Gesamtgruppe. Wisskirchen 91 hält eine strikte Trennung zwischen der Frage des Nachteils und der der stärkeren Betroffenheit von Frauen gegenüber Männem für erforderlich. Für die Feststellung eines Nachteils sei die Gruppe der Benachteiligten mit der Gruppe der Begünstigten zu vergleichen, konkret also die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten mit der der Vollzeitbeschäftigten, und die jeweilige quotale Stärke der Frauen festzustellen. Hinsichtlich der Frage der stärkeren Betroffenheit komme es einzig darauf an, ob die benachteiligte Gruppe mehr Frauen als Männer aufweise. Ein Vergleich zur begünstigten Gruppe verbiete sich, weil das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach dieser Konzeption lediglich dem Nachteilsausgleich und nicht der kompensatorischen Frauenförderung diene.

Eine wiederum andere Gruppenbildung schlägt Blomeyer92 vor. Zuerst sei das Geschlechterverhältnis in der benachteiligten Gruppe zu untersuchen. Überwiege hier das weibliche Geschlecht, sei dies als Indiz für eine Entgeltdiskriminierung zu verstehen. Als Gegenprobe müsse das Verhältnis von Männem zu Frauen in der bevorzugten Gruppe untersucht werden. Wenn in beiden Gruppen dasselbe GeFuchsloch, S. 168. Fuchsloch, S. 162 ff., 169 f. 90 In Anlehnung an Podlech, Gehalt und Funktionen des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes (1971). 91 S. 93 ff. und dezidiert Anm. zu BAG, AP Nr. 11 7 zu § 1 TVG- Tarifverträge: Chemieunter 1 b. 92 C. Blomeyer, S. 126; ebenso Wißmann, FS Wlotzke, S. 807 (810 f.). 88 89

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

schlecht überwiege, könne eine geschlechtsspezifische Tendenz nicht festgestellt werden. Dies sei leichter zu ermitteln als die andere denkbare Rechenoperation, bei der das Verhältnis von benachteiligten zu begünstigten weiblichen Arbeitnehmern sowie das Verhältnis von benachteiligten zu begünstigten männlichen Arbeitnehmern zu ermitteln sei.93 (c) Kritische Stellungnahme

Sowohl die Ansätze zur Vergleichsgruppenbildung in der Rechtsprechung als auch die in der Literatur sind einer Reihe von Einwänden ausgesetzt: Wird nur auf den Frauenanteil in der benachteiligten und in der begünstigten Gruppe geschaut, also der Anteil männlicher Arbeitnehmer völlig unberücksichtigt gelassen, fehlt es an einem tatsächlichen Vergleich zwischen den Geschlechtern. Eine Anknüpfung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung an Art. 119 EGV bzw. Art. 3 Abs. 2, 3 GG läßt sich dogmatisch-methodisch nicht mehr rechtfertigen, weil diese Normen immer eine Ungleichbehandlung von Frauen im Vergleich zu Männern voraussetzen. Der Schluß von den Frauenanteilen in der benachteiligten und begünstigten Gruppe auf eine stärkere Betroffenheit von Frauen gegenüber Männern ist hingegen nicht zwingend. 94 So lassen sich Beispiele konstruieren, bei denen zwar der Frauenanteil in der benachteiligten Gruppe wesentlich höher ist als der Anteil in der bevorzugten Gruppe, bei denen aber gleichzeitig der Anteil der Männer, in der benachteiligten Gruppe höher ist als der entsprechende Frauenanteil. Von daher kann es nicht auf das Überwiegen des Frauenanteils in der benachteiligten Gruppe gegenüber dem Frauenanteil in der bevorzugten Gruppe ankommen. Unklar bleibt in der sehr divergierenden Rechtsprechung des BAG, auf welchen Vergleich es nun entscheidend ankommen soll. Das Abstellen auf ganz unterschiedliche Vergleiche kann nur solange funktionieren, wie es nicht zu Widersprüchen kommt. Problematisch wird die Lage, wenn zwar der Anteil der Frauen in der benachteiligten Gruppe überwiegt, dies aber nur die allgemeine Stärke der Geschlechtergruppen an der Gesamtbelegschaft widerspiegelt. Die Heranziehung verschiedener heterogener Kriterien beweist, wie unausgegoren das Verbot der mittelbaren Diskriminierung noch ist. Diese Art der Feststellung der Ungleichbehandlung ist keine Grundlage für eine rationale Entscheidungstindung unter der Prämisse der Ungleichbehandlung, da die Kriterien beliebig austauschbar sind. Gegen die Ansicht des BAG, wonach auch das Geschlechterverhältnis in der Gruppe der begünstigten Arbeitnehmer einzubeziehen sei, wird eingewandt, daß so die Frage der Feststellung der stärkeren Betroffenheit mit der des Nachteils, also 93

C. Blomeyer, S. 127 f.

94

Vgl. C. Blomeyer, S. 27.

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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der Ungleichbehandlung, vermischt werde. 95 Doch setzt dieser Einwand voraus, daß sich die Ungleichbehandlung auf andere Weise feststellen läßt. Der hierzu von Wisskirchen vorgetragene Ansatz erscheint nicht überzeugend. Die definitorische Trennung von Nachteil und stärkerer Betroffenheit führt zu keinem Erkenntnisgewinn. Für die Feststellung eines Nachteils bedarf es keines Vergleiches zwischen verschiedenen Gruppen unter dem Gesichtspunkt der Geschlechtsverteilung in den Gruppen. Der Nachteil resultiert aus dem Inhalt der Regelung oder Maßnahme, die im Streit ist. Enthält diese einen Nachteil zu Lasten eines bestimmten Personenkreises, entsteht doch erst die Frage der mittelbaren Diskriminierung. Hinsichtlich der Frage der stärkeren Betroffenheit genügt es nicht, das geringfügige Überwiegen der Frauen gegenüber den Männem allein in der benachteiligten Gruppe ausreichen zu lassen. Vielmehr ist der Vergleich mit der begünstigten Gruppe notwendig, um hieraus Folgerungen bezüglich der Vermutungswirkung ziehen und den Faktor ,,Zufall" ausschalten zu können. Die Vomahme der von Blomeyer vorgeschlagenen Rechenoperationen ist keineswegs leichter vorzunehmen als die von der Rechtsprechung vorgenommenen Berechnungen. Beiden Ansätzen liegt dieselbe Ausgangsberechnung zugrunde. Es werden allerdings unterschiedliche Vergleiche angestellt. Der Unterschied besteht darin, daß die Rechtsprechung den Anteil der Frauen in der benachteiligten Gruppe zum Anteil der Frauen in der bevorzugten Gruppe ins Verhältnis setzt. Ergibt sich ein Überwiegen in der benachteiligten Gruppe, folgt daraus die Ungleichbehandlung.96 Demgegenüber setzt Blomeyer das Überwiegen des einen Geschlechtsanteils in der benachteiligten Gruppe zum Überwiegen eines bestimmten Geschlechtsanteils in der bevorzugten Gruppe in Beziehung. Kurz gesagt: Er vergleicht nur das jeweilige Überwiegen. Beträgt beispielsweise das Verhältnis der Frauen zu den Männem in der benachteiligten Gruppe 90: 10 und in der bevorzugten 49:51 kommen beide Ansichten zum selben Ergebnis. Die Rechtsprechung vergleicht den jeweiligen Frauenanteil, also in diesem Beispiel 90:49; der Anteil der Frauen in der benachteiligten Gruppe gegenüber dem in der bevorzugten Gruppe ist wesentlich größer. Nach Blomeyer überwiegt der Anteil der Frauen nur in der benachteiligten Gruppe, nicht dagegen in der bevorzugten, so daß hieraus eine geschlechtsspezifische Tendenz der Regelung folgt. Ändert man nun das Verhältnis von Frauen zu Männem in der begünstigten Gruppe geringfügig, so daß es 51:49 beträgt, ändert sich das Bild. Die Rechtsprechung muß nach wie vor eine Ungleichbehandlung bejahen, weil die jeweiligen Frauenanteile (90:51) immer noch stark differieren. Blomeyer aber muß feststellen, daß in beiden Gruppen der Anteil der Frauen überwiegt, was ihn zu dem Schluß zwingt, eine geschlechtsspezifische Tendenz zu verneinen.

Wisskirchen, Anm. zu BAG, AP Nr. 11 7 zu § 1 TVG- Tarifverträge: Chemie. 96 Dies läßt sich aus BAG, NZA 1993, 367 (370) schließen, wenn es dort unter IV 3 d heißt: "diese Ungleichbehandlung", nachdem unmittelbar zuvor die vergleichenden Berechnungen abgehandelt wurden. 95

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Der Unterschied zwischen Fuchsloch und Blomeyer liegt in der andersgearteten Gegenprobe. Bei Fuchsloch ist Bezugsgröße für die Gegenprobe die Gesamtgruppe, bei Blomeyer hingegen die Restgruppe der Bevorzugten. Schon diese Betrachtung macht deutlich, daß das alleinige Überwiegen der Frauen in der benachteiligten Gruppe als Kriterium nicht ausreicht, wenn Frauen insgesamt in der Gesamtbelegschaft überwiegen. Deshalb ist ein Vergleich mit dem Restgruppenverhältnis sinnvoll. Sodann muß zur Feststellung einer überwiegenden Betroffenheit der Frauenanteil zum Männeranteil in Beziehung gesetzt werden.

bb) Richtige Vergleichsebene Als weiteres Problem stellt sich die Frage der richtigen Vergleichsebene, um nachzuweisen, daß die benachteiligende Wirkung auf geschlechtsspezifischen Gründen beruht. Nach den herkömmlichen Regeln für den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ist der Vergleich innerhalb eines Betriebes oder Unternehmens unter Zugrundelegung allgemeiner Zahlen des Raumes, für den die Regelung gilt, vorzunehmen. 97 Die Wahl der richtigen Vergleichsebene hängt von der Art der betreffenden Maßnahme, Bedingung oder Vereinbarung ab, insbesondere wer Adressat der betreffenden Regelung ist. 98 Der Adressatenkreis darf aber nicht allein mit der in der Norm erwähnten Gruppe gleichgesetzt werden, weil der Adressatenkreis bereits durch das Gesetz diskriminierend beschränkt sein kann. Deshalb ist auf die durch die Norm potentiell Begünstigten abzustellen. 99 Um eine überwiegend nachteilige Auswirkung festzustellen, ist eine kollektive Betrachtung erforderlich: Handelt es sich um Maßnahmen, die auf Gesetzen beruhen, bilden alle erwerbsfähigen Personen die Gruppe, deren Daten auf geschlechtsspezifische Unterschiede hin zu untersuchen sind. Bei tarifvertragliehen Regelungen kommt es auf die Verhältnisse im Anwendungsbereich des Tarifvertrages an. Es müssen die Daten derjenigen Personen berücksichtigt werden, die unter den räumlichen und fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen. Die Tarifbindung ist dabei unerheblich. 100 Sind Regelungen auf bestimmte Gruppen von Beschäftigten zugeschnitten, müssen unter Umständen nur die Daten aus dieser Grup97 Nach h. M. kommt es auf den Betrieb an, nach a. A. auf das Unternehmen, vgl. Zöllner/Loritz § 17 III Im. w. N.; dieser Streit ist hier unerheblich. 98 Pfarr/Bertelsmann, Diskriminierung, S. 117 f.; Hanau/Preis, ZfA 1988, 177 (187); Reich/Diebal/, ArbuR 1991, 225 (228); Sowka, DB 1992, 2030; Wisskirchen, S. 83. 99 Bieback, ZIAS 1990, I (9); Wisskirchen, S. 83. wo Pfarr I Bertelsmann, Diskriminierung, S. 118.

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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pe auf geschlechtsspezifische Unterschiede hin miteinander verglichen werden (z. B. Teilzeitbeschäftigte, Außertarif-Angestellte). Dies ist jedoch nicht angezeigt, wenn die Gruppenbildung als solche oder Differenzierungen gegenüber anderen Beschäftigten in Frage stehen. 101 Generell anders argumentiert Bengelsdor/ 02 , der einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz jeweils nur im Einzelfall anband der Zahlen dieses konkreten Falles nachgewiesen wissen will, nicht aber mit Hilfe eines Rückgriffes auf allgemeine statistische Angaben über die gesamte Bundesbevölkerung. Denn ansonsten wären Sonderregeln für Teilzeitkräfte immer dem Vorwurf der mittelbaren Diskriminierung ausgesetzt, was ein argurnenturn ad absurdum darstelle. Diese Überlegung genügt als Kritik an der Ausgestaltung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung allein noch nicht. Denn vor der endgültigen Feststellung der mittelbaren Diskriminierung steht noch die Rechtfertigungsprüfung, so daß nicht jede nachteilige Regelung für Teilzeitkräfte von vomherein bereits dem Vorwurf der mittelbaren Diskriminierung ausgesetzt ist. Zuzugeben ist aber, daß die Berufung auf allgemeine Statistiken zur Rechtsfindung immer ein großes Unsicherheitspotential birgt. In der Literatur ist vorgeschlagen worden, im Fall Böte! die Vergleichsgruppen aus den Mitgliedern des Betriebsrats zu bilden, die für ganze Schulungstage voll bezahlt werden, und denjenigen, bei denen das nicht der Fall ist. Denn die nachteilige Wirkung des Lohnausfallprinzips manifestiere sich darin, daß Freizeit, die innerhalb des Zeitrahmens eines Normalarbeitstages für die Schulungsteilnahme aufgewandt wird, nicht vergütet werde. So könnten auch Vollzeitkräfte hierdurch negativ betroffen sein, wohingegen Teilzeitkräfte nicht in jedem Fall benachteiligt würden, wenn beispielsweise ihre persönliche Arbeitszeit genau in die Schulungszeit falle. 103 Zwar ist der Ausgangspunkt der Überlegung nicht zu beanstanden, doch folgt daraus - nach dem herkömmlichen Verständnis des Verbots der mittelbaren Diskriminierung - nicht die von Wißmann vorgenommene Vergleichsgruppenbildung. Denn es wird nicht berücksichtigt, daß diese Vergleichsgruppenbildung immer eine Frage des Einzelfalles ist, ob auch ein vollzeitbeschäftigter Betriebsrat durch die Regelung des Lohnausfallprinzips einen Nachteil erleidet. Hat bei der einen Schulung der teilzeitbeschäftigte Betriebsrat keinen Nachteil hinzunehmen, weil die zeitliche Lage der Schulung und seine Arbeitszeit deckungsgleich sind, erleidet dasselbe Betriebsratsmitglied schon bei der nächsten Veranstaltung wegen der zeitlichen Lage der Schulung einen Lohnausfall. Mit dieser Vergleichsgruppenbildung läßt sich folglich kein allgemeingültiger, für das gesamte Anwendungsgebiet der Norm geltender Vergleich bewerkstelligen. Es sollte also auch in diesem Fall beim Vergleich zwischen Teilzeit und Vollzeit bleiben.

101 102 103

Pfarr/ Bertelsmann, Diskriminierung, S. 118; Hanau/ Preis, ZfA 1988, 177 (187). Bengelsdorf, NZA 1989, 905, 909 (Anm. 82). W!ßmann, FS Wlotzke, S. 807 (827).

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Mit Blick auf die richtige Vergleichsgruppenbildung auf der richtigen Vergleichsebene geht es beim Lohnausfallprinzip des § 37 BetrVG nicht um die gesamte Gruppe der Teilzeit- bzw. Vollzeitbeschäftigten. Miteinander zu vergleichen sind jeweils die Gruppe der teilzeitarbeitenden Betriebsratsmitglieder mit der Gruppe der in Vollzeit arbeitenden Betriebsratsmitglieder. Dieser Vergleich ist jedoch nicht für den einzelnen betroffenen Betrieb, sondern wegen der Überprüfung einer gesetzlichen Regelung auf der Ebene des Geltungsbereiches des Betriebsverfassungsgesetzes anzustellen.

cc) Das Ausmaß der nachteiligen Auswirkung für ein Geschlecht Die Rechtsprechung des EuGH hat es bisher vermieden, einen Maßstab für die Ermittlung der Wesentlichkeit oder Erheblichkeit des Unterschieds in der Betroffenheit anzugeben. Bevor auf das Problem des Unterschieds in der Geschlechterverteilung eingegangen wird, sollen kurz vom Gerichtshof104 in neueren Urteilen aufgestellte Anforderungen an die Aussagekraft der Zahlen in den Vergleichsgruppen untersucht werden. In der Rechtssache ,,Enderby" hatte der EuGH verlangt, daß sich die statistischen Angaben auf eine ausreichende Zahl von Personen beziehen müssen und nicht nur "rein zufällige oder konjunkturelle Erscheinungen widerspiegeln" dürfen. Damit ist klargestellt, daß es einer gewissen zeitlichen Stabilität bezüglich der Geschlechterverteilung in den Vergleichsgruppen bedarf. Eine nur vorübergehende Abweichung in den Zahlenverhältnissen der Vergleichsgruppen reicht nicht aus anzunehmen, ein Geschlecht sei erheblich stärker nachteilig betroffen. 105 In der Rechtsprechung des BAG finden sich unterschiedliche Begriffe zur Kennzeichnung der nachteiligen Betroffenheit. So wurde einmal darauf abgestellt, daß "wesentlich mehr" 106 Frauen als Männer nachteilig betroffen seien, ohne diesen Terminus näher zu bestimmen. Ein anderes Mal wurde aus dem Umstand, daß der Frauenanteil an den Teilzeitbeschäftigten "wesentlich höher" sei als an den Vollzeitbeschäftigten, gefolgert, daß "unverhältnismäßig mehr" Frauen als Männer benachteiligt würden. 107 Gleichzeitig werden auch die Wendungen "erheblich mehr Frauen als Männer benachteiligt" und "mehr Frauen als Männer betroffen" verwendet. 108 In neueren Urteilen spricht das BAG 109 davon, daß die Benachteiligung 104 EuGH, 27. 10. 1993, Rs. C-127 I 92 (Dr. Parnela Mary Enderby I Frenchay Health Authority und Secretary of State for Health), Slg. 1993,1-5535 (5571 ff., 5573, Tz. 17). tos Vgl. W!ßmann, FS Wlotzke, S. 807 (811 ff.). 106 BAG, AP Nr. 11 zu Art. 119 EWGV; BAG, AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG- Gleichberechtigung-; BAG, AP Nr. 7 zu§ 1 BetrAVG- Gleichberechtigung-. Ebenso EuGH, 13. 05. 1986, Rs. 170184 (Bilka), Slg. 1986, 1607 (1630) - unter Ziff. 1 des Tenors. 107 BAG, AP Nr. 11 zu Art. 119 EWGV unter II 3 a (2) der Gründe; BAG, AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG- Gleichberechtigung-= NZA 1991, 635 (636) = VersR 1991, 944 (945).

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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"erheblich mehr" Frauen als Männer (oder umgekehrt) treffen muß. Die verwirrende Vielfalt der Begriffe deutet darauf hin, daß das BAG hier noch nicht zu einer einheitlichen Prüfung gefunden hat. Ferner setzt sich in dieser Begriffsverwirrung die unklare Situation hinsichtlich der Vergleichsgruppenbildung fort, da das Ausmaß der nachteiligen Betroffenheit in erster Linie von den bei den jeweiligen Vergleichen ermittelten Differenzen abhängt. So werden auch die Größenordnungen und Maßeinheiten durch die Vergleichsgruppenbildung bestimmt. Solange hier aber noch Unklarheiten bestehen, läßt sich auch zum Ausmaß der Betroffenheit nichts Genaues sagen. 110 Vereinzelt ist jedoch unter Berufung auf das Bötel-Urteil gemutmaßt worden, daß es auf einen exakten statistischen Nachweis im Einzelfall gar nicht ankomme, wenn nur die theoretische Möglichkeit oder Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung bestehe. 111 Mit diesem Verständnis ist allerdings der Beliebigkeit der Argumentation Tür und Tor geöffnet. Im übrigen ist in Rechtsprechung und Literatur bislang ungeklärt, welchen Umfang die unterschiedliche Betroffenheit haben muß, um von einer mittelbaren Diskriminierung sprechen zu können. Denn nicht jeder noch so kleine statistisch meßbare Unterschied in der Betroffenheit könne schon zu einer mittelbaren Diskriminierung führen. Andererseits handele es sich bei einem Mißverhältnis von 1:10 um eine rechtlich relevante Differenz. 112 Auch könne nicht aufs Komma genau eine Prozentzahl angegeben werden, bei deren Überschreitung eine mittelbare Diskriminierung angenommen, bei deren Unterschreitung hingegen verneint werde. Eine statistisch ermittelte Zahl gebe keinen hinreichenden Aufschluß über die Indizwirkung der geschlechtsspezifischen Abweichung. Es komme in jedem Fall auf einen Vergleich mit der Größe der Grundgesamtheit an, um die Frage beantworten zu können, ob eine Differenz zufallig sei oder Ausdruck einer Geschlechtsdiskriminierung. Als Faustformel gelte hierbei: Je kleiner die Grundgesamtheit der von einer Regelung oder Maßnahme betroffenen Personen sei, desto größer müsse die Differenz sein; je größer hingegen die Grundgesamtheit sei, desto eher seien schon kleine prozentuale Unterschiede nicht mehr mit Zufall zu erklären. 113 Zur besseren Verifizierbarkeit des Kriteriums wird deshalb in der Literatur vorgeschlagen, die Stärke der Betroffenheit an der Bedeutung der Ungleichbehandlung, der Anzahl der Betroffenen und dem Ausmaß der Betroffenheit zu messen. 114 ws BAG, AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG- Gleichberechtigung-= NZA 1991, 635 (636) = VersR 1991, 944 (945). 109 BAG, 26. 05. 1993 - 5 AZR 184/92, AP Nr. 42 zu Art. 119 EWGV = NZA 1994, 413 (414). 110 C. Blomeyer; S. 31. 111 Prechal, LIEI 1993, 81 (84 ff.); Saunders, S. 31. 112 Pfarr/Bertelsmann, Diskriminierung, S. 118 f.; Bieback, S. 87. 113 So die Thesen von: Pfarr I Bertelsmann, Diskriminierung, S. 119 f. 114 Pfarr/Bertelsmann, Diskriminierung, S. 118 f.; Hanau/Preis, ZfA 1988, 177 (187 f.); Bieback, ZIAS 1990, 1 (10).

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Andererseits wird auch angeführt, daß das Kriterium der erheblich stärkeren Betroffenheit nichts über das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung aussage. Entscheidend sei hingegen eine nachteiligere Wirkung für die Gruppe der Frauen. Lasse sich der im Vergleich zu Männern nachteiligere Effekt einer Regelung oder Maßnahme für Frauen erst einmal nachweisen, sei es unerheblich, um wieviel stärker Frauen nachteilig betroffen seien. Lediglich für den ersten Argumentationsschritt der Feststellung einer nachteiligen Betroffenheit seien die Zahlenverhältnisse von unterschiedlicher Überzeugungskraft Die Untergrenze werde durch den Faktor Zufall gebildet. Deshalb stelle sich nur noch die Frage, ab welcher Zahlendifferenz dieser Faktor nicht mehr anzunehmen sei. Aber auch hier gebe es keinen absoluten Maßstab, wann eine statistisch erhebliche Zahl den Schluß auf eine mittelbare Diskriminierung zulasse. Bei weniger aussagekräftigen Zahlen seien zusätzliche Faktoren heranzuziehen. So könne auch eine Quote von 55% zur Feststellung einer nachteiligen Betroffenheit ausreichen. 115 Das Problem der Zahlendifferenz ist durch diesen Vorschlag keineswegs aus der Welt geschafft, sondern nur auf eine andere Ebene verlagert, zur Ausschaltung des Faktors Zufall. Im übrigen hilft der Kunstgriff, statt von stärkerer Betroffenheit von nachteiligerer Wirkung zu sprechen, nicht weiter. Richtig ist an dieser Überlegung aber, daß auch geringe Unterschiede in der Betroffenheit zu einem Gleichheitsverstoß führen können. Doch ist dies eine Frage des Inhalts der streitigen Regelung oder Maßnahme. Selbstverständlich kommt nicht erst dann eine Ungleichbehandlung in Betracht, wenn eine bestimmte Gruppe durch die inhaltliche Ausgestaltung, z. B. wegen geringerer Leistungen für Teilzeitkräfte, wesentlich härter betroffen wird als eine andere. Gerade die Feststellung der mittelbaren Diskriminierung nach der herkömmlichen Konzeption beruht auf der Überlegung, daß in der gesellschaftlichen Wirklichkeit wesentlich mehr Frauen als Männer von einer für eine Gruppe nachteiligeren Maßnahme betroffen werden. An dieser Stelle der Darstellung sind einige grundsätzliche kritische Überlegungen angezeigt. Es ist ein großes Manko der Doktrin von der mittelbaren Diskriminierung, daß es nicht gelungen ist, die Frage nach der Wesentlichkeit der Benachteiligung auch nur näher einzugrenzen, geschweige denn zu beantworten. Stattdessen wird ein irgendwie festgestelltes statistisches Übergewicht als "Beweis" für eine Diskriminierung angesehen, ohne zu überpriifen, ob Gegenstand von Gleichheitsüberlegungen überhaupt eine statistische Größe sein kann.116 Es wird nicht beachtet, daß der Gleichheitsgedanke nur individuelle Gerechtigkeit vermitteln will und kann, Quantitäten sind dabei ohne Bedeutung. Denn einer Statistik wohnt noch kein individueller Gerechtigkeitsgehalt inne. 117 Will man den Statistiken dennoch eine Aussagekraft beimessen, ist man gezwungen, einerseits aus einer Vielzahl von Möglichkeiten die richtigen Vergleichsgruppen auszuwählen, andererseits 115 116

111

Wisskirchen, S. 94 f. Vgl. Herrmann, SAE 93,271 (279). Vgl. Zöllner!Loritz, § 9 II 4 f. (l).

A. Die Rechtsgrundlagen des Buroparechts

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die gefundenen Zahlen korrekt zu bewerten. Die hierfür erforderlichen Rechenoperationen und Vergleichsbetrachtungen tragen nicht zur Praktikabilität und Durchschaubarkeil des Rechtsinstituts, geschweige denn zur Vorhersehbarkeit von Ergebnissen und damit zur Rechtssicherheit bei. Eine statistische Erhebung über das Verhältnis von teilzeitbeschäftigten zu vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern in der Bundesrepublik Deutschland lag weder den Gerichten bei den jeweiligen Entscheidungen vor, noch existiert sie aktuell. Das LAG Berlin stützte seine Entscheidung lediglich auf Berliner Zahlenmaterial und folgerte aus der Erwägung, Teilzeitarbeit sei Frauenarbeit, daß dann auch ganz überwiegend teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder Frauen sein müssen. 118 Genauso verfuhr das BAG in seiner abschließenden Entscheidung vom 5. März 1997. Der Anteil der teilzeitbeschäftigten Frauen übersteige den Anteil der teilzeitbeschäftigten Männer in einem so hohen Maße, daß dies zuverlässige Rückschlüsse auf ihren Anteil an den teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern gestatte.119 Angesichts einer Frauenquote unter den Teilzeitbeschäftigten von ca. 90% mag für diese Folgerung eine Wahrscheinlichkeit bestehen, doch zwingend ist dies keineswegs. Aus spezifischen Gründen, die in der Betriebsratstätigkeit liegen können, könnte es sich auch anders verhalten. Im übrigen hätte die Klage bereits deshalb abgewiesen werden müssen, weil die Klägerin die Voraussetzungen einer Diskriminierung nicht beweisen konnte. Es geht nicht an, den Diskriminierungsvorwurf mit derart weitreichenden Sanktionen auf eine unsichere, da nur vermutete, Tatsachengrundlage zu stützen. Das Gericht durfte sich mit dieser "Hilfsüberlegung" nicht begnügen, zumal die Voraussetzungen für eine Schätzung nach § 287 ZPO nicht vorlagen. Alle Konzeptionen des Verbots der mittelbaren Diskriminierung verlangen, daß der Kläger die Tatsachen, auf denen der Diskriminierungsvorwurf beruht, behaupten und notfalls beweisen muß. Eine Vermutung für die Richtigkeit der Tatsachen genügt nicht. Allenfalls aus praktischen Gründen läßt sich die Vorgehensweise der Gerichte billigen, da anderenfalls die Klägerin gezwungen wäre, eigene statistische Erhebungen anzustrengen. Auf der anderen Seite zeigt dies wiederum die ganze Fragwürdigkeit einer auf Statistiken gestützten Rechtsfigur. Der EuGH berief sich in seiner Vorabentscheidung im Fall "Böte!" auf die "nationalen Verfahrensakten", aus denen hervorgehe, "daß es unter den teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern des Arbeitgebers viel mehr Frauen als Männer"120 gebe. Dabei unterließ es der EuGH, das genaue Zahlenverhältnis mitzuteilen. Davon abgesehen ist die Vorgehensweise, allein auf die Zahlen des konkreten Arbeitgebers abzustellen, nach der Konzeption der mittelbaren Diskriminierung LAG Berlin, ArbuR 1991, 252 (253, 255). BAG, AP Nr. 123 zu§ 37 BetrVG 1972 =DB 1998, 373 (374); Wißmann, FS Wlotzke, s. 807 (832 ff.). 12o EuGH, 04. 06. 1992, Rs. C-360/90 (Böte!), Slg. 1992,1-3589 (3612 f. , Tz. 19). 118

119

5 Traupe

2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

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unzulässig, wenn wie hier die Auswirkung einer gesetzlichen Vorschrift überprüft wird. Der EuGH hätte auf die Zahlenverhältnisse unter den Betriebsratsmitgliedern in der gesamten Bundesrepublik eingehen müssen. Die Entscheidung ist an dieser für die Feststellung einer mittelbaren Diskriminierung entscheidenden Stelle unzulänglich begründet.

c) Geschlechtsspezifische Gründe der benachteiligenden Auswirkung

Unter diesem Gesichtspunkt werden Fragen der Kausalität und Zurechenbarkeit im Verbotstatbestand der mittelbaren Diskriminierung diskutiert.

aa) Überblick über den Meinungsstand Beim Tatbestandsmerkmal der Kausalität fehlt eine einheitliche dogmatische Strukturierung und eine einvernehmliche Formulierung des Prüfungs-Obersatzes. Umstritten ist in Rechtsprechung und Lehre bereits, ob die benachteiligende Wirkung einer Vereinbarung, Maßnahme oder Regelung auf dem Geschlecht bzw. der Geschlechtsrolle beruhen, also überhaupt eine Kausalität zwischen einer Regelung und der nachteiligen Betroffenheit bestehen muß.

bb) Reine Kausalitätsprüfung Pfarr I Bertelsmann werfen die Frage nach der Kausalität einer Vereinbarung oder Regelung für die nachteilige Betroffenheit eines Geschlechts auf, da dem Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung eine Diskriminierungsabsicht fremd sei. 121 Gleichzeitig bilde das Problem der "Benachteiligung wegen des Geschlechts oder der Geschlechtsrolle" einen eigenständigen Prüfungspunkt. 122 Zur Subsumtion wird darauf verwiesen, daß Teilzeitarbeit Frauenarbeit sei. 123 Dieser Ansicht zufolge ist eine Maßnahme oder Regelung dann kausal für die Diskriminierung, wenn sie gegebene Ungleichbehandlungen in das Arbeitsleben umsetze.124 Gestalte der Arbeitgeber eine Vereinbarung oder Maßnahme bzw. der Staat eine Regelung gerade so aus, daß sie die Umsetzung einer außerhalb oder in anderen Bereichen des Erwerbslebens vorgefundenen Ungleichheit oder Ungleichbehandlung der Geschlechter in das einzelne Arbeitsverhältnis bewirke, werde die Diskriminierung auf Grund des Geschlechts mit Bezug auf das Arbeitsverhältnis Pfarr/ Bertelsmann, Diskriminierung, S. 120. Pfarr/ Bertelsmann, Diskriminierung, S. 123 f. 123 So auch BAG, AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG- Gleichberechtigung - = NZA 1991, 635 (636) =VersR 1991, 944 (945 f.). 124 Pfarr/ Bertelsmann, Diskriminierung, S. 121. 121

122

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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praktisch hergestellt. 125 Zurechenbar sei sie, wenn die Maßnahme nicht hinweggedacht werden könnte, ohne daß die konkreten Nachteile entfielen. Offensichtlich werden hier Kausalität und Zurechenbarkeit miteinander verwechselt. Eine notwendige Haftungsbegrenzung auf der Tatbestandsseite fehlt völlig.126

cc) Zurechenbarkeit wegen objektiv geschlechtsdiskriminierender Tendenz Im Gegensatz dazu verlagern Hanau! Preis 127 den Schwerpunkt der Betrachtung auf die Zurechenbarkeit: Es geht ihnen um eine Haftungsbegrenzung der Arbeitgeber, denen nicht stellvertretend gesamtgesellschaftliche Versäumnisse bei der Gleichstellung der Frau zugerechnet werden dürften. Deshalb bestehe kein Zurechnungszusarnmenhang, wenn sich allgemeine Lebensumstände zwangsläufig auch im Arbeitsleben auswirkten und die fehlende Gleichstellung hervortreten ließen. 128 In Anlehnung an die schadensrechtliche Kausalitätslehre und die Verfassungsrechtsprechung zu mittelbaren Grundrechtseingriffen fordern sie für die Herstellung eines Zurechnungszusammenhangs eine "objektiv geschlechtsdiskriminierende Tendenz" 129. Bloß zufällige äußere Verbindungen zwischen der Regelung und der diskriminierenden Wirkung sollten so ausgeschieden werden. Letztlich könne einem Arbeitgeber eine benachteiligende Auswirkung einer Regelung oder Maßnahme nur zugerechnet werden, wenn hierdurch ein weiterer Umstand gesetzt werde, der die bereits vorhandene ungleiche Ausgangsposition noch verschlechtere. Auf den ersten Blick mag es so aussehen, als setzten Hanau! Preis Kausalität und Zurechenbarkeit gleich. 130 Doch liegt einfach das Schwergewicht ihrer Betrachtung auf dem für die Haftungseingrenzung entscheidenden Tatbestandsmerkmal der Zurechenbarkeit. Richtig bleibt aber, daß die vorrangige Frage der Kausalität so weitgehend ausgeblendet wird.

dd) Trennung von Kausalität und Zurechenbarkeit Wisskirchen trennt deutlich zwischen der Kausalität und der haftungsbegrenzenden Zurechenbarkeit. Die Kausalität als Frage nach den Griinden für das Vorliegen eines frauentypischen Merkmals, z. B. Teilzeitarbeit, gehöre zum Verbotstatbestand der mittelbaren Diskriminierung. Dieser bestehe nämlich aus vier kausal mit125 126 127 128 129 130

5*

Pfarr/ Bertelsmann, Diskriminierung, S. 121. Hanau/ Preis, ZfA 1988, 177 (189); Wisskirchen, S. 103. ZfA 1988, 177 (188 ff.). Vgl. Wank, RdA 1985, I (21). Hanau/ Preis, ZfA 1988, 177 (189 f.). Vgl. die Kritik bei Wisskirchen, S. 103 f.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

einander verknüpften Faktoren. Eine Maßnahme oder Regelung, die ein frauentypisches Merkmal als Anknüpfungspunkt für eine Benachteiligung wähle, welches von einer Frau erfüllt werde und sie deshalb zur Betroffenen mache, müsse zu einem Nachteil bei dieser Frau führen. Insofern reiche die Gruppenzugehörigkeit allein nicht aus, den Verbotstatbestand zu erfüllen. Durch das Kausalitätskriterium ließen sich drei Fallgestaltungen aus dem Anwendungsbereich des Verbots ausscheiden: Zum einen entfalle die Kausalität, wenn die Maßnahme oder Regelung gar nicht an das frauentypische Merkmal anknüpfe. Zum anderen könne eine Frau, die nicht aus den frauentypischen Gründen teilzeitbeschäftigt sei, sich nicht auf das Verbot der mittelbaren Diskriminierung berufen. Gleiches gelte zum dritten für einen Mann, der ausnahmsweise das ansonsten frauentypische Merkmal aufweise, also beispielsweise einer Teilzeitbeschäftigung nachgehe. Er sei zwar betroffen, aber nicht wegen seines Geschlechts. 131 Diejenige Teilzeitbeschäftigte, die sich auf das Verbot der mittelbaren Diskriminierung berufe, müsse also aus "frauentypischen" Gründen zur Gruppe der Teilzeitbeschäftigten gehören. Diese Voraussetzung hänge mit dem Zweck des Verbots der mittelbaren Frauendiskriminierung zusammen. Dieser bestehe nämlich unter anderem darin, frauentypische Nachteile auszugleichen und bestehende funktionale Unterschiede der Geschlechter nicht zu vertiefen. Auch in diesem Bereich seien Popularklagen unzulässig, deshalb setze ein Klageanspruch nicht nur die Zugehörigkeit der Klägerin zur benachteiligten Gruppe voraus, sondern auch einen funktionalen Unterschied für die Klägerin, der erst zum Erfüllen des geschlechtstypischen Merkmals wie der Teilzeitbeschäftigung geführt habe. Bei einer Teilzeitbeschäftigung, die beispielsweise durch ein Studium bedingt sei, könne das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nicht greifen. 132 Bedenken gegen die Praktikabilität und Beweisbarkeit dieses Ansatzes will Wisskirchen dadurch abschneiden, daß sie lediglich von einer widerlegliehen Vermutung für das Vorliegen privater Gründe im Hinblick auf die Ausübung einer Teilzeitbeschäftigung ausgeht. Wenn erwiesen sei, daß die funktionalen Geschlechtsunterschiede nicht der Beweggrund für das geschlechtstypische Merkmal seien, könne eine Klage aus dem Gesichtspunkt der mittelbaren Diskriminierung keinen Erfolg haben. An die Frage nach der Kausalität schließe sich die Prüfung der Zurechenbarkeit an, wobei zwischen Individualmaßnahmen eines Arbeitgebers und Gesetzen zu unterscheiden sei. Nur bei den Individualmaßnahmen könne die Zurechenbarkeit unter Adäquanzgesichtspunkten in ganz unvorhersehbar gelagerten Fällen oder bei Auftreten nichtarbeitsrechtsspezifischer Nachteile entfallen. Die Adäquanztheorie, die entwickelt worden sei, um aus der Sicht eines Individuums unvorhersehbare 131 132

Wisskirchen, S. 104 f. Vgl. Wisskirchen, Anm. zu BAG, AP Nr. 11 7 zu § I TVG - Tarifverträge: Chemie-.

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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Kausalverläufe aus der Haftung auszuschließen, könne bei Maßnahmen des Gesetzgebers keine Anwendung finden. Ebensowenig könne der Gedanke, daß die diskriminierende Wirkung eines Gesetzes nur an der gesamtgesellschaftlich nachteiligen Situation für Frauen läge, zu einer Einschränkung der Kausalität führen. 133 Diese Ansicht mag vom gedanklichen Ansatz her stringent sein, ist aber einer Reihe von Einwänden ausgesetzt: Die Betonung der funktionalen Geschlechtsunterschiede als Beweggrund für das Erfüllen des geschlechtstypischen Merkmals, führt zwar zu einer Begrenzung der Haftung nach dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung, da es nicht nur auf statistische Gegebenheiten ankommt. Doch läuft diese Sicht auf eine gerade im Prozeß kaum zu handhabende und zu beweisende Motivforschung hinaus, wenn die Anwendung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung von den Gründen für die Erfüllung des frauentypischen Merkmals abhängt. Zudem käme es zu einer Ungleichbehandlung zwischen verschiedenen Frauengruppen, nämlich denen, die das Merkmal erfüllten, und den anderen, bei denen das frauentypische Merkmal nicht vorläge. Die hieraus resultierenden Abgrenzungsprobleme wären kaum zu lösen. Wann ist die Ausübung von Teilzeitarbeit rollenbedingt, also frauentypisch, und wann beruht sie auf anderen Gründen, wie Studium oder dem Streben nach mehr Freizeit wegen einer anderweitigen finanziellen Absicherung? Welche anderen privaten Gründe sind hier zu berücksichtigen? Ist die Rollenverteilung in der Partnerschaft nicht auch "privat"? Was gilt, wenn die Frau die Rolle der Hausfrau und Mutter in freiwilliger Absprache mit ihrem Partner übernommen hat; ist sie dann überhaupt noch schutzwürdig? Gehört dieser Umstand dann nicht konsequenterweise zur Motiverforschung? Auch der Ausschluß der Männer läßt sich nicht überzeugend begründen, schon gar nicht wenn diese die "Doppelbelastung" von Haushalt und Beruf zu tragen haben und damit durch ihre Rollensituation in die Teilzeit gedrängt wurden. Ganz davon abgesehen wird durch die scheinbare Haftungsbegrenzung der Anknüpfung an einem frauentypischen Merkmal eine Haftung des Arbeitgebers für die hergebrachte Rollenverteilung unter den Geschlechtern konstituiert, obwohl behauptet wird, der Arbeitgeber brauche nicht für gesamtgesellschaftliche Versäumnisse einzustehen. Wenn der Gedanke der Zurechnung auf Gesetze keine Anwendung findet, wird übersehen, daß Gesetze zwar vom Gesetzgeber gemacht werden, aber durch Arbeitgeber vollzogen oder mindestens beachtet werden müssen, wobei diesen dann Kosten entstehen. So müßten dann auch in diesem Fall die Arbeitgeber gesamtgesellschaftliche Versäumnisse ausgleichen. Insoweit greift die Argumentation von Wisskirchen zu kurz.

133

Wisskirchen, S. 105 ff.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

ee) Benachteiligung wegen der Geschlechtsrolle als weiterer Prüfungspunkt Darüber hinaus stelle sich die Frage, ob für den objektiven Tatbestand allein die Feststellung ausreicht, daß Teilzeitarbeit überwiegend von Frauen ausgeübt wird, oder ob vielmehr darüberhinaus geprüft werden müsse, ob Frauen dies fast ausschließlich wegen familiärer Verpflichtungen tun. So wird in der Rechtsprechung des 3. Senats 134 und des 5. Senats 135 des BAG für den Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung gefordert, daß die besonders die Angehörigen eines Geschlechts treffende nachteilige Wirkung einer Maßnahme auf geschlechtsspezifische Gründe, also biologische Unterschiede oder Geschlechterrollen, zurückzuführen sein müsse. Dabei sei zu prüfen, ob die nachteilige Wirkung einer Regelung auch anders als mit dem Geschlecht oder der Geschlechtsrolle erklärt werden könne. Gerade die faktische Behinderung weiblicher Arbeitnehmer durch die sozialtypische Rollenverteilung und die hieraus resultierenden Belastungen an der Erfüllung geschlechtsneutral formulierter Tatbestände sei das Hauptanwendungsfeld des Verbots der mittelbaren Diskriminierung. 136 Dieses Problem wird vom 4. Senat 137 und vom 7. Senat 138 ausdrücklich offengelassen, da Teilzeitarbeit Frauenarbeit sei. Im übrigen lasse sich eine solche zusätzliche Voraussetzung weder aus Art. 119 EGV noch aus den Vorabentscheidungsurteilen des EuGH entnehmen. In der Rechtsprechung des EuGH sei der Hinweis auf die Geschlechterrollen am Arbeitsmarkt nicht als Tatbestandsmerkmal formuliert gewesen, sondern in die Erörterung der Verhältnismäßigkeit als Teil der Rechtfertigungsprüfung eingebunden gewesen. Nach Auffassung Wisskirchens ist eine derartige zusätzliche Voraussetzung abzulehnen. Denn eine Häufung von Frauen hinsichtlich bestimmter Phänomene im Arbeitsleben sei nicht erkennbar, außer sie beruhe auf biologischen Merkmalen oder traditionellen Verhaltensmustern. Es liege schließlich nicht an größerer Arbeitsscheu von Frauen, daß diese häufiger in Teilzeit arbeiteten als Männer. Andererseits hat sie selbst im selben Zusammenhang ausgeführt, daß es hinsichtlich der Kausalität auf die Gründe für das Vorliegen des frauentypischen Merkmals ankommt. Zum Beispiel kann so ein Grund die Absolvierung eines Studiums sein. Auch WijJmann verneint ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal dergestalt, daß die stärkere nachteilige Betroffenheit auf die Geschlechterrollen zurückzuführen sein müsse. 139

BAG, AP Nr. 11 zu Art. 119 EWGV. BAG, AP Nr. 95 zu § I LohnFG = NZA 1992, 259 (260). Offengelassen: BAG, AP Nr. 42 zu Art. 119 EWGV = NZA 1994, 413 (414). 136 BAG,APNr.11 zuArt.119EWG-Vertrag. 137 BAG, 02. 12. 1992-4 AZR 152/92- AP Nr. 28 zu § 23a BAT= NZA 1993, 367 (368 f.). 138 BAG, AP Nr. 123 zu§ 37 BetrVG 1972 = DB 1998, 373 (374). 139 Wij3mann, FS Wlotzke, S. 807 (816 ff.); vgl. auch Bieback, S. 91. 134 135

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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Zuzugeben ist allerdings, daß das Tatbestandsmerkmal der geschlechtsspezifischen Gründe für die nachteilige Wirkung einer Maßnahme allein die Anknüpfung an Art. 119 EGV bzw. Art. 3 Abs. 2, 3 GG gewährleistet, da dort das Geschlecht als Differenzierungsmerkmal erwähnt wird. Aus der Rechtsprechung des EuGH läßt sich dieses Kriterium aber wohl nicht folgern, lediglich in zwei Entscheidungen hatte der Gerichtshof140 von den Schwierigkeiten gesprochen, die weibliche Arbeitnehmer haben, als Vollzeitbeschäftigte zu arbeiten. Eingebunden war diese Formulierung aber jedesmal in die Rechtfertigungs- und Verhältnismäßigkeitsprüfung.141 Doch läßt sich diese Wendung bezogen auf das konkrete Vorabentscheidungsersuchen als erschwerender Hinweis im Blick auf die Verhältnismäßigkeitspriifung verstehen. 142 Ausdrucklieh hat der EuGH dagegen im Fall "Enderby", in dem es nicht um das Phämomen der Teilzeitarbeit gegangen ist - sondern um die Vergütung von Logopäden im Vergleich zu Pharmazeuten, die Annahme einer mittelbaren Diskriminierung allein auf die Zahlenverhältnisse gestützt, wonach die Gruppe der leitenden Logopäden fast ausschließlich aus Frauen bestand und die der besserverdienenden leitenden Pharmazeuten überwiegend aus Männern.143 Im übrigen bleibt die formelhafte Wendung unklar. Er dürfte wohl eher so zu verstehen sein, daß die geschlechtsbedingten Schwierigkeiten weiblicher Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt unter Umständen im Rahmen der Rechtfertigungspriifung Beriicksichtigung finden können. 144 Es kann sich also nicht um eine zusätzliche Voraussetzung handeln, die neben die Kausalitätsprüfung tritt. Es handelt sich also schlicht um ein Mißverständnis, wenn behauptet wird, dieses Merkmal müsse zusätzlich zur Kausalität im eben erörterten Sinn gepriift werden. Im übrigen läßt sich eine inhaltliche Kongruenz zwischen diesem Ansatz und der Frage nach den frauentypischen Griinden feststellen.

ff) Ablehnung einer eigenen Kausalitätspriifung

Nach anderer Ansicht sind die Frage nach der Kausalität und die Prüfung, ob die benachteiligende Wirkung auf dem Geschlecht bzw. der Geschlechtsrolle beruht, identisch. Folglich wird vielfach das Bestehen eines Kausalzusammenhangs nicht untersucht 145 oder der Sinn dieses Tatbestandsmerkmals generell bestritten 146.

140 EuGH, 31. 03. 1981, Rs. 96/80 (Jenkins), Slg. 1981, 911 (925 f., Tz. 13); 13. 05. 1986, Rs. 170/84 (Bilka), Slg. 1986, 1607 (1627, Tz. 29). 141 Zu der mißverständlichen Übernahme durch das BAG: Blomeyer; S. 33 ff. 142 BAG, AP Nr. 28 zu § 23a BAT= NZA 1993, 367 (369). 143 EuGH, 27. 10. 1993, Rs. C-127 /92 (Enderby), S1g. 1993, 1-5535 (5573, Tz. 19). 144 Vgl. Blomeyer; S. 65 f. 145 Reich/Dieball, ArbuR 1991,225 (228 f.). 146 Sacksofsky, S. 362; Schlachter; S. 154 ff., 389, 391.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Die generelle Ablehnung einer eigenen Kausalitätsprüfung im Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung wird damit begründet, daß das Kausalitätskriterium nur scheinbar eingrenzend wirke und die Prüfung erschwere. Die Geschlechtsbedingtheit der fraglichen Maßnahme soll insgesamt mit Hilfe der Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung überprüft werden. Damit sei die Darlegung der Kausalität zwischen der nachteiligen Betroffenheit einer Person und ihrer Geschlechtszugehörigkeit gemeint. 147 Die für den Kausalitätsnachweis allgemein verwendete conditio-sine-qua-non-Formel biete keine Klärung, ob die nachteilige Wirkung kausal auf dem Geschlecht beruhe, sondern gebe nur das Problem an. Eine Antwort werde allenfalls vorgespiegelt in den Fällen, in denen die Gruppengrößen so stark voneinander abwichen, daß eine genauere Untersuchung überflüssig erscheine, zum Beispiel wenn 90% aller Teilzeitbeschäftigten Frauen seien. Hier fehle offensichtlich eine einleuchtende Alternative zur vermuteten Kausalität. Negative Auswirkungen auf Teilzeitkräfte träfen Frauen in ihrer Geschlechtsrolle aus Gründen der familiären Arbeitsteilung. Sei ein Zusammenhang dagegen nicht mehr so evident, helfe die conditio-sine-qua-non-Formel die Frage nach der Zurechenbarkeit nicht mehr beantworten. Im Fall der mittelbaren Benachteiligung werde die Benachteiligung "aufgrund typischerweise miteinander verknüpfter Geschehensabläufe als wahrscheinlich geschlechtsbedingt vermutet" 148 • Weder ein direkter Nachweis noch der Ausschluß aller Alternativhypothesen sei erforderlich. Beim Konzept der mittelbaren Benachteiligung handele es sich um eine mit Hilfe von Indizien für eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dieser Kausalität aufgestellte Vermutungswirkung. Diese sei notwendig, da die Kausalbeziehung zwischen Benachteiligung und Geschlecht bei nicht ausdrücklich nach dem Geschlecht differenzierenden Maßnahmen besonders schwer zu beweisen sei. Aber diese Indizien könnten stets auch entkräftet werden. Dem beklagten Unternehmen beispielsweise stehe es frei, durch genauere Daten oder verfeinerte statistische Methoden nachzuweisen, daß eine unterschiedliche Betroffenheit tatsächlich nicht oder nicht in dem behaupteten Umfang vorliege. Es müsse deshalb genau geprüft werden, ob die von der Klägerseite vorgetragenen Statistiken den behaupteten Schluß auf die Geschlechtsbedingtheit der Maßnahme zuließen. Die Kausalität könne am zweckmäßigsten durch Überprüfung des Beweiswertes der Statistik festgestellt werden. 149 Zu kritisieren ist hieran, daß ein Verzicht auf eine Kausalitätsprüfung die Anknüpfung an Art. 119 EGV bzw. Art. 3 GG schwer begründbar erscheinen läßt. Denn auf diese Weise wird allein die Statistik zum Anknüpfungspunkt für eine Ungleichbehandlung. Darüber hinaus setzt sich die Rechtsprechung des BAG mit dem Abstellen auf die Geschlechtsrolle in gewisser Weise auch in Widerspruch zur ständigen Recht147 148 149

Schlachter. S. 389. Schlachter. S. 391. Schlachter. S. 392.

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sprechung des BVerfG seit dem Urteil zum Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen, in dem das BVerfG es abgelehnt hat, die traditionelle Rollenverteilung unter den Geschlechtern der rechtlichen Betrachtung zugrunde zu legen. 150 Wenn dies so ist, entfällt der argumentative Ausgangspunkt für die Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung.151

gg) Stellungnahme Die Frage, ob die Kausalität zwischen einer Maßnahme und ihrer benachteiligenden Wirkung eigenständig zu priifen ist oder ob diese Prüfung insgesamt durch die Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung geschehe, kann letztlich dahinstehen. Denn die verschiedenen aufgezeigten Meinungen sind nicht so weit voneinander entfernt, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. In irgendeiner Form spielt die Frage der Kausalität immer eine Rolle. Bei der zuletzt dargestellten Meinung wird sie lediglich nicht eigenständig gepriift, sondern auf Grund bestimmter Indizien vermutet. Wiederum handelt es sich um das Merkmal "Geschlechtsrolle", welches den Kausalzusammenhang herstellen soll. Im Mittelpunkt steht also die Überlegung zu geschlechtsspezifischen Griinden oder dem frauentypischen Merkmal; beide Formulierungen meinen dasselbe. Dahinter verbirgt sich tatsächlich die Frage, inwieweit der Arbeitgeber für allgemeine gesellschaftliche Umstände und Versäumnisse bei der Geschlechtergleichstellung "haftbar" ist. Das eigentliche Problem ist also nicht das der richtigen Kausalitätspriifung, sondern das der Zurechenbarkeit. Für den Fall der teilzeitbeschäftigten Betriebsräte stellt sich somit die Frage nach der Kausalität zwischen der Regelung des § 37 BetrVG und der nachteiligen Auswirkung auf weibliche Betriebsräte. (a) conditio-sine-qua-non-Prinzip

Voraussetzung für die Kausalität ist, daß die ungleiche Auswirkung auf die Geschlechter durch die rechtliche Gestaltung der Vereinbarung oder Maßnahme bedingt ist. Die entscheidende Frage ist also, warum ein geschlechtsneutrales Kriterium bewirkt, daß überwiegend Frauen nachteilig betroffen sind. Denkt man sich in strikter Anwendung des conditio-sine-qua-non-Prinzips die Vereinbarung oder Maßnahme hinweg und ändert sich dann die nachteilige Betroffenheit nicht, so ist das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nicht verletzt. Auf die Frage, ob es genügt, wenn eine Regelung das vorgefundene Rollenverhalten nur widerspiegelt, oder ob sie es durch einen weiteren Umstand vertiefen muß, kommt es an dieser Stelle nicht an. Dies ist eine Frage der Zurechenbarkeit. 150 !51

BVerfGE 85, 191 (206 f.); 87, 1 (42). Vgl. Loritz, SAE 1992, 372 (373).

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Das Hinwegdenken der Lohnweiterzahlung nach dem Lohnausfallprinzip alleine bedeutet, daß sowohl in Teilzeit als auch in Vollzeit beschäftigte Betriebsratsmitglieder bei der Teilnahme an Schulungsveranstaltungen überhaupt nicht "entlohnt" werden. Ändert man die Lohnfortzahlung so, daß alle nach individueller Dauer der Schulungsveranstaltung entlohnt werden, als handelte es sich um geleistete Arbeit, entfällt die Benachteiligung. Die konkrete Kausalbeziehung sieht also wie folgt aus: Frauen haben typischerweise für Familie und Haushalt zu sorgen, daher ist ihnen die Wahrnehmung einer Vollzeitstelle nicht möglich. Das Lohnausfallprinzip des § 37 BetrVG knüpft hieran unmittelbar an und setzt diese gesellschaftlich vorgefundene Ungleichheit in das einzelne Arbeitsverhältnis um. Die Kausalität nach der conditio-sine-qua-non-Formel muß daher bejaht werden. An dieser Argumentation wird deutlich, daß der Kausalzusammenhang zwischen dem Unterscheidungskriterium und der nachteiligen Wirkung für eine Geschlechtsgruppe durch das Merkmal Geschlechtsrolle hergestellt worden ist. Tatsächlich wird die Kausalität im Fall von geschlechtsneutralen Regelungen nicht durch das naheliegende Merkmal "Geschlecht" konstituiert, weil nach diesem Kriterium nicht differenziert worden ist. Dennoch ist in irgendeiner Form eine Anknüpfung an das Merkmal "Geschlecht" notwendig, da das Verbot der mittelbaren Diskriminierung in Art. 119 EGV bzw. Art. 3 GG verortet wird. Folglich weicht die Rechtsprechung und ganz herrschende Literatur auf das Merkmal "Geschlechtsrolle" aus, meist jedoch ohne dies offenzulegen. 152 Doch erscheint dieser (versteckte) Rückgriff auf die Geschlechtsrolle problematisch und soll daher an dieser Stelle nochmals vertieft untersucht werden. Denn dieses Tatbestandsmerkmal ist weder in Art. 119 EGV noch in Art. 3 Abs. 2, 3 GG enthalten. Das BAG folgerte dieses Merkmal aus dem Hinweis des EuGH 153 auf die für Frauen bestehenden Schwierigkeiten, als Vollzeitbeschäftigte zu arbeiten. Gegen diese Ableitung spricht schon der soeben erwähnte Einwand, daß der Hinweis des EuGH in einem ganz anderen Kontext steht und sich in der neueren Rechtsprechung dieses Gerichts gar nicht mehr findet. Zuzugeben ist allerdings, daß das Konzept der Einbeziehung der Geschlechtsrolle - auf den ersten Blick - in sich stimmig ist. Denn es löst ein Problem: Ohne die Ausdehnung des Verbotstatbestandes auf das Merkmal der Geschlechtsrolle ist der Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung nicht denkbar. Die ungleiche Auswirkung einer Regelung allein bewirkt noch keine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts. Diese resultiert vielmehr aus dem Umstand, daß eine Gruppe auf Grund eines bestimmten Merkmals willkürlich ausgegrenzt wird. Für die mittelbare Frauendiskriminerung ist es zusätzlich notwendig, einen Konnex zwischen dem Ausgrenzungskriterium, z. B. dem Merkmal Teilzeitarbeit, und der Zusammensetzung der ausgegrenzten Gruppe herzustellen, in der sich beispielsweise überwie152 153

Mit Ausnahme von C. Blomeyer, S. 31 ff. ; Wißmann, FS Wlotzke, S. 807 (816 ff.). EuGH, 13. 05. 1986, Rs. 170/84 (Bilka), Slg. 1986, 1607 (1627, Tz. 29).

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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gend Angehörige des weiblichen Geschlechts befinden. Denn ohne Kausalzusammenhang zwischen Geschlecht und Unterscheidungskriterium kann eine Diskriminierung wegen des Geschlechts -und sei es nur eine mittelbare - nicht bejaht werden. Anders als im Fall des nur scheinbar neutralen Kriteriums, das auf Grund biologischer Gegebenheiten zwingend nur von einem Geschlecht erfüllt werden kann, wie die Schwangerschaft, ergibt sich die kausale Verknüpfung zwischen dem Unterscheidungskriterium und dem Geschlecht bei völlig geschlechtsneutral formulierten Kriterien nicht implizit aus den Umständen. 154 Doch weckt der Begriff der Geschlechtsrolle noch in weiterer Hinsicht Bedenken. Er ist inhaltlich nur schwer zu bestimmen. Das BAG 155 subsumiert hierunter die "sozialtypische Rollenverteilung" und allgemein die "gesellschaftlichen Verhältnisse". Doch können sich beide Parameter im Laufe der Zeit ändern und gerade in den letzten Jahren haben sie sich auch stark geändert, wie einerseits die Zunahme von Single-Haushalten und nichtehelichen Lebensgemeinschaften sowie andererseits die abnehmende Zahl von Familien mit Kindern zeigen. Darüber hinaus ist ungeklärt, wer nach welchen Kriterien das Merkmal der Geschlechtsrolle bestimmt. Dies in jedem Einzelfall dem entscheidenden Gericht zu überlassen, dürfte jedenfalls zu einer großen Rechtsunsicherheit führen. 156 In der Rechtsprechung des BAG wird die Vermutung aufgestellt, daß die nachteilige Wirkung nicht anders als mit dem Geschlecht oder der Geschlechtsrolle erklärt werden könne. 157 Eine verheiratete Frau könne nur, wenn sie in Teilzeit arbeite, den Anforderungen von Beruf und Familie gerecht werden. 158 Die Aussage ist aber nur richtig, wenn alle teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen Familie haben und genau deshalb in Teilzeit arbeiten. 159 Zwar gibt es Statistiken, aus denen sich ergibt, daß ein größerer Teil von teilzeitbeschäftigten Frauen Farnilie hat 160, doch bedeutet dieser Umstand noch nicht, daß genau die Familie auch der Grund für die Teilzeitbeschäftigung ist. Aus der Betrachtung müssen alle diejenigen Frauen ausgenommen werden, die sich die Aufgaben in Haushalt und Familie mit ihrem Partner teilen, ebenso diejenigen Frauen, welche als Alleinstehende selbstverständlich Beruf und Haushalt miteinander verbinden müssen. Nicht anders ist die Situation von Frauen zu bewerten, die in einer kinderlosen Partnerschaft leben. Vgl. Blomeyer; S. 32 f. BAG, AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag; AP Nr. 8 zu§ 1 BetrAVG- Gleichberechtigung - . 156 Vgl. Blomeyer; S. 35. 157 BAG, AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag; AP Nr. 95 zu§ 1 LohnFG. 158 BAG, AP Nr. 5 zu§ 1 BetrAVG- Gleichberechtigung - . 159 Daß im konkreten Fall (BAG, AP Nr. 5 zu§ 1 BetrAVG- Gleichberechtigung-) die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen Teilzeit arbeitete, hielt das BAG für irrelevant, weil es auf die Gruppe der teilzeitbeschäftigten Frauen insgesamt ankäme. Dies zeigt, daß mit dieser Konstruktion der mittelbaren Diskriminierung in Wirklichkeit ein Gruppenrecht geschaffen worden ist. 160 Vgl. BAG, AP Nr. 8 zu§ I BetrAVG- Gleichberechtigung-= NZA 1991, 635 (636). 154 155

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Auch hier ist wegen der häuslichen Aufgaben nicht zwingend eine Verringerung der Arbeitszeit notwendig. Dies mag vor allem durch Ansprüche und Erwartungen der Partner bestimmt werden; dann ist es aber auch Sache der Partner, sich hierüber zu verständigen. Häufig werden Frauen allein deshalb nicht mehr in Vollzeit arbeiten, weil dies von der wirtschaftlichen Absicherung nicht mehr notwendig erscheint, man andererseits den Kontakt zum Beruf nicht verlieren will. 161 Schon diese wenigen Überlegungen machen deutlich, daß man mit einer einzigen Statistik nicht auskommt. Vielmehr sind Daten zu allen denkbaren persönlichen Lebensweisen und familiären Hintergründen der Teilzeitarbeit zu erheben. Das Motiv für die Teilzeitarbeit gilt es also zu erforschen, will man nicht Gefahr laufen, mit unzulässigen Pauschalierungen zu operieren. Daß dies wenig praktikabel ist und zu großen Beweisproblemen führt, liegt auf der Hand. Insofern kann auf die Kritik zur Ansicht von Wisskirchen verwiesen werden (2. Kap. A II 4 c dd). Als Ausweg bietet sich allenfalls an, "Geschlechtsrolle" durch Auslegung aus dem Merkmal "Geschlecht" herzuleiten. Diese Mühe hat sich bisher, soweit ersichtlich, niemand gemacht. Das Unterfangen kann aber allein schon deshalb nicht gelingen, weil "Geschlechtsrolle" vom möglichen Wortsinn des Wortes "Geschlecht" nicht mehr gedeckt ist. Der Begriff "Geschlecht" ist allein biologisch geprägt, während der Begriff "Geschlechtsrolle" ausschließlich ein soziologisches, gesellschaftliches Phänomen bezeichnet. Wenn man dies anders beurteilte, hätte dies eine Einmischung des Staates in den privatautonomen Entscheidungsbereich der Partner einer Lebensgemeinschaft zur Konsequenz. Zwar darf eine Regelung nicht mit der herkömmlichen Rollenverteilung gerechtfertigt werden. Doch bedeutet dies noch nicht im Gegenschluß, daß der Staat alles zu tun hat, um die Menschen zum Verlassen der herkömmlichen Rollen zu drängen. Abhilfe scheint die Ansicht zu bieten, die von vomherein den Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung selbst als Mittel zur Feststellung des geschlechtsspezifischen Zusammenhangs zwischen einer neutralen Regelung und einer geschlechtssegregativen Wirkung ansieht. Doch bleiben dann grundsätzlich alle Zurechnungsaspekte ausgeblendet. Als Tatbestand, der sich aus Art. 119 EGV oder Art. 3 GG herleiten läßt, ist diese Konzeption nicht denkbar. Mit den hier untersuchten Konzeptionen kann eine Anknüpfung an das Merkmal "Geschlecht" nicht gelingen. Am Problem der Kausalverknüpfung kranken also alle Konzeptionen des Verbots der mittelbaren Diskriminierung, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

161 Herrmann, SAE 1993, 271 (280). Vgl. BAG, 28. 10. 1992-10 AZR 129/92- AP Nr. 66 zu§ 112 BetrVG 1972 = NZA 1993, 717 (718), das zutreffend zwischen Vollzeit- und Teilzeitarbeit nach dem pro-rata-temporis-Prinzip differenziert: Die streitige Sozialplanabfindung für Teilzeitbeschäftigte wird nach dem Verhältnis ihrer persönlichen Arbeitszeit bemessen.

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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(b) Zurechnungszusammenhang Kann daher schon kein Kausalzusammenhang zwischen dem Lohnausfallprinzip des § 37 BetrVG und der nachteiligen Auswirkung auf weibliche teilzeitbeschäftigte Betriebsräte festgestellt werden, soll dennoch ergänzend die Frage des Zurechnungszusammenhangs betrachtet werden. Wie in anderen Rechtsgebieten auch genügt die Feststellung der reinen Kausalität zwischen Maßnahme und benachteiligender Wirkung nicht. Vielmehr ist daneben eine wertende Betrachtung erforderlich, ob dem Arbeitgeber, den Koalitionen oder dem Gesetzgeber die benachteiligende Wirkung einer Maßnahme, Vereinbarung oder Regelung zuzurechnen ist. 162 Der Zurechnungszusammenhang entfällt, wenn die fehlende Gleichstellung auf allgemeinen Lebensumständen beruht, die sich zwangsläufig auch im Arbeitsleben auswirken. 163 Würde man auch im Fall der zu einer Schulung entsandten weiblichen teilzeitbeschäftigten Mitglieder des Betriebsrats verlangen, daß es nicht bei strikter Anwendung des Lohnausfallprinzips zu einer faktischen Schlechterstellung der Frau kommen darf, wäre der Arbeitgeber gezwungen, gesamtgesellschaftliche Versäumnisse bei der Gleichstellung der Geschlechter durch eigene Sozialleistungen zu kompensieren. Es könnte daher am Ende auf die Frage ankommen, ob der Arbeitgeber gleichsam als "Funktionär der Gesellschaft" 164 gezwungen ist, durch Staat und Gesellschaft verursachte Versäumnisse vorrangig zu beseitigen. Es bietet sich daher an, zwischen Nachteilen mit Bezug zum Arbeitsverhältnis und anderen Nachteilen zu unterscheiden. 165 (aa) Verantwortungsbeziehung des Arbeitgebers zur Betriebsräteschulung Für diesen Ansatz, dem Arbeitgeber nicht alle Folgen von Gleichstellungsversäumnissen zuzurechnen, spricht, daß es eine gesetzliche Grundlage für eine derartige Lastentragung nicht gibt, sie im Hinblick auf Art. 12 GG aber erforderlich wäre, wie das Bundesverfassungsgericht 166 zweimal für vergleichbare Fälle ausgeführt hat.

Vgl. Hanau/Preis, ZfA 1988, 177 (188). Hanau/Preis, ZfA 1988, 177 (188); ähnlich: Wank, RdA 1985, I (21). 164 Zöllner; FS Strasser ( 1983), S. 223 (235). 165 So Wank, RdA 1985, 1 (21): Eine Mindestgrenze folge aus§ 612 Abs. 3 S. 2 BGB. Gesetzliche Schutzvorschriften zugunsten der Frau dürfe der Arbeitgeber nicht zum Anlaß nehmen, bei den Sozialleistungen Frauen zu benachteiligen: Auf diese Weise werde der Eintritt einer Konträrfolge ausgeschlossen. Wisskirchen, S. 106. Im Ergebnis ähnlich: Hanau/Preis, ZfA 1988, 177 (189 f.). 166 Zum hessischen Bildungsurlaubsgesetz und zum nordrhein-westfalischen Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz: BVerfGE 77, 308 (334 f. u. 337). Zum hessischen Sonderurlaubsgesetz: BVerfGE 85, 226 (236 f.) =DB 1992, 841 f. m. Anm. Schiefer. 162 163

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Materiellrechtlich ist danach das entscheidende Kriterium für eine Kostenüberwälzung auf den Arbeitgeber eine Verantwortungsbeziehung des Arbeitgebers zum Zweck der Regelung. Dieses Kriterium stellt sich als Konkretisierung des Rechtfertigungsgrundes "hinreichende Gründe des Allgemeinwohls" im Rahmen von Art. 12 GG dar. Vom Grad der Verantwortungsbeziehung will das BVerfG das Ausmaß der Kostenbelastung abhängig machen. Die Freistellungs- und Entgeltfortzahlungsregelungen des hessischen Bildungsurlaubsgesetzes und des nordrhein-westfälischen Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes hielten unter diesem Blickwinkel einer verfassungsrechtlichen Prüfung im wesentlichen stand. Das BVerfG wies zur Begründung auf den beschleunigten technischen und sozialen Wandel, der ein lebenslanges Lernen erfordere. Die Bildungsbereitschaft der Arbeitnehmer werde durch die Freistellung von der Arbeit und die Lohnfortzahlung gefördert. Über das erforderliche berufliche Fachwissen hinaus liege es im Gemeinwohl, die für das Zusammenleben in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache und Mitverantwortung in Staat, Gesellschaft und Beruf zu stärken. 167 Im übrigen würde den Arbeitgebern keine unzumutbare Kostenlast auferlegt: Zum einen nütze die Weiterbildung der Arbeitnehmer der Innovationsfähigkeit der Wirtschaft. Zum anderen enthielten die angegriffenen Gesetze Einschränkungen der Arbeitnehmeransprüche, die dadurch insgesamt die Interessen der Arbeitgeber berücksichtigten. Dagegen verstieß nach Ansicht des BVerfG die Entgeltfortzahlungspflicht für den Zusatzurlaub, den pädagogische Mitarbeiter an Bildungsveranstaltungen in Hessen beanspruchen konnten, gegen Art. 12 GG, da es in erster Linie Sache der überbetrieblichen Ausbildungsträger sei, Ausbildungspersonal anzustellen und zu besolden. 168 Im Fall des hessischen Sonderurlaubsgesetzes für Mitarbeiter in der Jugendarbeit stellte das BVerfG ein gewisses Interesse des Arbeitgebers an ehrenamtlicher Mitwirkung seiner Mitarbeiter fest. Denn diese trage dazu bei, Fähigkeiten des Arbeitnehmers zu entwickeln und zu fördern, die auch dem Arbeitgeber zugutekommen könnten, weil sie geeignet seien, sich bei der Tätigkeit im Betrieb positiv auszuwirken. Hierzu zähle die Entfaltung von Eigeninitiative und Verantwortungsbereitschaft, die Erfahrung im Umgang mit Menschen sowie die Entwicklung von Führungsqualitäten. 169 Hieraus folgte für das BVerfG keineswegs die volle Kostenübernahme für die Entgeltfortzahlung durch den einzelnen Arbeitgeber. Denkbar wäre auch eine Kostenerstattung durch eine öffentliche Kasse oder ein Ausgleich durch eine Solidareinrichtung der Arbeitgeber. Überträgt man diese Grundsätze auf den Fall der Entgeltweiterzahlung bei Betriebsräteschulungen, ist bereits zweifelhaft, ob § 37 BetrVG als gesetzliche Grundlage im Sinn des Art. 12 GG im Hinblick auf die damit verbundenen gesamtgesellschaftlichen Verpflichtungen genügt. Nimmt man das aber grundsätzlich an, weil die Vorschrift eine gesetzliche Grundlage für die Lohnfortzahlung darstellt unabhängig von allen gesellschaftlichen Implikationen, stellt sich die weitere Fra167 168 169

BVerfGE 77, 308 (333). BVerfGE 77, 308 (336 f.). BVerfGE 85, 226 (236).

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ge, ob sich diese finanzielle Belastung des Arbeitgebers auf Grund der Verantwortungsbeziehung des Arbeitgebers rechtfertigen läßt. Die vom BVerfG geforderte Verantwortungsbeziehung des Arbeitgebers zum Zweck der Regelung läßt sich jedoch kaum begründen. In erster Linie dient der Betriebsrat den Interessen der Arbeitnehmer, und nicht denen des Arbeitgebers. Folglich ist der Zweck der Betriebsräteschulung an dem Interesse der Arbeitnehmervertretung ausgerichtet. Dies zeigt sich daran, daß sich die Freistellung nach § 37 Abs. 6 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 BetrVG nur auf solche Schulungs- und Bildungsveranstaltungen bezieht, die für die Betriebsratsarbeit erforderliche Kenntnisse vermitteln. Dies sind in erster Linie Sachfragen des Betriebsverfassungs- und Arbeitsrechts. Nicht hierzu zählen Kenntnisse und Kompetenzen allgemeinerer Art, wie z. B. auf den Gebieten Management oder Rhetorik. 170 Daß der Arbeitnehmer, der sich schulen läßt, mittelbar eventuell auch andere Fähigkeiten entwickelt, die irgendwann dem Arbeitgeber zugutekommen könnten, kann dabei als untergeordnet vernachläßigt werden. Damit kann man schon an der Rechtfertigung der Lohnweiterzahlung dem Grunde nach zweifeln. Da konkret jedoch nur die Höhe der Lohnweitergewährung nach § 37 Abs. 6 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 BetrVG frir weibliche teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten im Streit ist, soll dieses Problem besonders berücksichtigt werden. (bb) Besondere Verantwortung für teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder Es kommt also hauptsächlich auf die Frage an, ob der Arbeitgeber kraft seiner Verantwortungsbeziehung die für Teilzeitkräfte anfallenden Mehrkosten zu tragen hat, wenn ihnen ein über ihren Lohnausfall hinausgehender Ausgleich gewährt wird. Erst in diesem Problem manifestiert sich das Gleichstellungsdefizit Doch für diese Frage fehlt es erst recht an einem Zurechnungszusarnmenhang. § 37 BetrVG enthält wegen der Teilnahme an Schulungsveranstaltungen weder einen geschlechtsspezifischen Anknüpfungspunkt noch einen im Hinblick auf eine Sonderbehandlung von teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern. Daher ist die Frage unter einem grundsätzlicheren Blickwinkel, der Zurechnung gesamtgesellschaftlicher Versäumnisse, zu erörtern. Dem Einwand der fehlenden Verantwortungsbeziehung wird entgegengehalten: Eine Abgrenzung der Zurechenbarkeit danach, ob die Benachteiligungsursachen dem Arbeitsverhältnis entstammen oder dem Privatbereich, sei dem Arbeitsrecht keineswegs immanent: Immerhin treffe den Arbeitgeber eine Reihe von Verpflichtungen, die an Bedürfnisse aus dem Privatbereich anknüpften, beispielsweise die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder die Gewährung einer Verheiratetenzulage. 171 Überhaupt unzutreffend sei die Abgrenzung, wenn es um die Rollenverteilung der Geschlechter gehe. Den Arbeitgebern sei die gesellschaftliche Zuteilung no V gl. nur die Übersicht bei Hess I Schlochauer I Glaubitz, § 37 Rz. 126 f. 171

Pfarr/ Bertelsmann, Diskriminierung, S. 121.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

der bezahlten und unbezahlten Arbeit nicht gleichgültig, sondern sie sei von unmittelbarer Relevanz für die Festsetzung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen: Die Übernahme der Familienarbeit überwiegend durch Frauen erlaube Arbeitsbedingungen, die Menschen nicht akzeptieren könnten, wenn sie neben einer vollen Berufsarbeit auch noch Kinder betreuen und für die Reproduktion der gesamten Familie sorgen müßten. Es liege selbstverständlich im Interesse des Arbeitgebers, daß sowohl die Arbeitskraft seiner Arbeitnehmer im privaten Bereich durch Ernährung und Fürsorge (täglich) wiederhergestellt werde als auch zukünftig benötigte Arbeitskräfte großgezogen und erzogen werden. Allerdings gestalte der Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen keineswegs so, daß dies von den bei ihm beschäftigten Arbeitnehmern bewältigt werden könnte. Er nutze vielmehr die Delegation dieser in den privaten Bereich gehörenden, für ihn unmittelbar nützlichen, aber von ihm nicht bezahlten Arbeit, auf die Frauen. Auf diese Weise sei die gesellschaftlich vorgegebene Rollenverteilung von Mann und Frau dem Arbeitgeber zurechenbar, da sie ihm nütze. 172 Im übrigen ginge die Argumentation, dem Arbeitgeber werde die Verantwortung für gesellschaftliche Aufgaben auferlegt, am Ansatzpunkt der mittelbaren Diskriminierung vorbei. Denn das Endziel des Verbots sei nicht die Herstellung von Ergebnisgleichheit, sondern eine Situation, in der beide Geschlechter gleiche Zugangschancen hätten, also eine faire Verteilung der Mitwirkungsmöglichkeiten. Daraus folge, daß der Arbeitgeber lediglich auf Maßnahmen verzichten solle, die zum Andauern des gegenüber Frauen bestehenden gesellschaftlichen Unrechts beitragen bzw. es verstärken. Deshalb könne sich der Arbeitgeber nicht darauf berufen, die benachteiligende Wirkung einer Maßnahme träfe ein Geschlecht besonders, weil gerade seine Mitglieder noch außerhalb des Arbeitsverhältnisses liegende Erschwernisse, wie die Doppelbelastung von Beruf und Haushalts- und Familienversorgung, zu bewältigen hätten. 173 Die sich hinter dieser Argumentation verbergende Grundannahme, jede Arbeitsbedingung, die an die allgemeinen gesellschaftlichen Lebensbedingungen für Frauen anknüpfe, sei dem Arbeitgeber zurechenbar, wenn sie ihm nur nutze, vermag so nicht zu überzeugen: Die oben dargestellte Rollenverteilung beruht auf der klassischen Familienstruktur, wie sie heute durchaus nicht mehr regelmäßig anzutreffen ist. Die Zahl der Ein-Personen-Haushalte und Familien ohne Kinder steigt. Familiengründungen werden seltener, nichteheliche Lebensgemeinschaften ohne feste Bindung liegen im Trend. Für diese gesellschaftlichen Phänomene kann die Kritik von Pfarr I Bertelsmann nicht greifen. Denn die gesellschaftlich vorgegebene Rollenverteilung existiert in diesem Bereich nicht oder nicht in diesem Ausmaß.

172

173

Pfarr/Bertelsmann, Diskriminierung, S. 121 f. Schlachter, S. 390 f.

A. Die Rechtsgrundlagen des Buroparechts

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Andererseits ist in Familien und sonstigen Lebensgemeinschaften die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau Privatsache. Wer das Geld zum Lebensunterhalt verdient und wer den Haushalt führt bzw. sich um die Kindererziehung kümmert, unterliegt allein der Absprache unter den Partnern und wird nicht nur etwas damit zu tun zu haben, daß der Arbeitgeber Frauen ungünstigere Arbeitsbedingungen zur Verfügung stellt, sondern auch durch persönliche Vorbildung und Neigung bestimmt sein. Daneben mögen auch andere Faktoren eine Rolle spielen, wie z. B. gesundheitliche Gründe. Ganz davon abgesehen steht es jedem frei, für den Haushalt eine Haushaltshilfe und für die Kinderbetreuung eine entsprechende Kraft einzustellen, also auf diese Weise die "frauenspezifischen Aufgaben" zu delegieren. Hierbei handelt es sich zumindest teilweise um Dienstleistungen, die am Markt eingekauft werden können. Der Arbeitgeber ist nicht gehalten, die Arbeitsbedingungen so auszugestalten, daß jeder potentielle Erwerbstätige in der Lage ist, sowohl einer bezahlten Vollzeitarbeit - möglichst bei einer 20-Stunden-Woche - nachzugehen als auch daneben noch den privaten Haushalt komplett zu führen. Bestätigt wird diese Erwägung durch das Bilka-Urteil des EuGH. Danach sind Arbeitgeber nicht verpflichtet, bei der Ausgestaltung ihrer Versorgungsordnungen zu berücksichtigen, daß bestimmte Arbeitnehmer wegen familiärer Verpflichtungen größere Schwierigkeiten haben, die Voraussetzungen für eine Betriebsrente zu erfüllen. 174 Ebensowenig ist es die Aufgabe des Staates, die Menschen, Mann und Frau, aus ihren hergebrachten Rollen herauszuzwingen. Er hat nur Rahmenbedingungen zu setzen, die eine chancengleiche Wahl zwischen den Rollen ermöglichen. Wenn dem Arbeitnehmer die Arbeit im Haushalt abgenommen wird, nutzt dies nicht in erster Linie dem Arbeitgeber, weil sich auf diese Weise sein Arbeitnehmer leichter regenerieren könne. Denn jeder Mensch braucht die tägliche Versorgung mit Nahrungsmitteln etc., unabhängig davon, ob er arbeitet oder nicht. Insofern wirkt die gegenteilige Ansicht sehr "konstruiert". So ist denn auch die Argumentation Schlachters nicht stimmig, die aus dem Verbot der Anknüpfung von benachteiligenden Regelungen an die vorgefundene Rollenverteilung folgert, daß hierdurch dem Arbeitgeber noch keine Verantwortung für gesellschaftliche Versäumnisse bei der Gleichstellung der Frau aufgebürdet werde. Dies ist aber genau die Folge eines solchen Verbots. Anders ist es nur, wenn dem Arbeitgeber lediglich verboten wird, durch seine Maßnahmen die bestehenden nachteiligen Verhältnisse für ein Geschlecht noch zu vertiefen. Er ist in historischer Sicht nicht für die existierende Rollenverteilung verantwortlich. Ist der Staat der Auffassung, daß diese geändert werden müsse, wäre es seine Aufgabe durch gezielte Fördermaßnahmen hier einzugreifen, nicht aber durch Verbote, die im Ergebnis den Arbeitgeber mit höheren Kosten belasten.

174 EuGH, 13. 05. 1986, Rs. 170/84 (Bilka), Slg. 1986, 1607 (3. Leitsatz u. S. 1629 f., insbes. Tz. 43).

6 Traupe

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Das Ergebnis formaler Gleichbehandlung ist immer die Fortschreibung der vorgefundenen Situation. Sind die Ausgangsbedingungen ungleich, kann auch das Ergebnis einer gleichbehandelnden Maßnahme nur ungleich sein. Verbietet man dem Arbeitgeber die Anknüfung an die vorgefundene ungleiche Startsituation und damit die formale Gleichbehandlung, zwingt man ihn zum Ausgleich der ungleichen Lage durch einseitige Förderung. Soll die vorgefundene Situation geändert werden, bedarf es immer eines Eingriffes von außen, der nicht nur Chancen verändert, sondern auch die ungleichen Ausgangssituationen angleicht. Eine dritte Möglichkeit ist nicht denkbar. Dies kann also kein Kriterium für die Zurechenbarkeit einer mittelbaren Diskriminierung sein. Den Arbeitgebern können deshalb solche allgemeinen gesellschaftlichen Defizite im Bereich der tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter nicht zugerechnet werden. Zurechenbar ist also nur das vom Arbeitgeber wenigstens mitzuverantwortende Verhalten. Eine benachteiligende Wirkung einer Regelung oder Maßnahme ist objektiv nur dann als mittelbare Diskriminierung zurechenbar, wenn hierdurch ein weiterer Umstand gesetzt wird, der die bereits vorhandenen ungleichen Ausgangspositionen noch verschlechtert. Das ist gemeint, wenn Hanau! Preis davon sprechen, daß der Regelung eine "objektiv geschlechtsdiskriminierende Tendenz" innewohnen müsse. 175 Das heißt diese Tendenz muß aus der Regelung heraus objektiv erkennbar sein. Erforderlich ist eine ex-ante-Beurteilung. Es müssen alle im Zeitpunkt der Setzung der Regelung einem objektiven Betrachter erkennbaren Umstände berücksichtigt werden. Zwischen der mittelbar diskriminierenden Wirkung und der Regelung muß ein innerer Zusammenhang bestehen. Eine bloß zufällige äußere Verbindung reicht nicht aus. 176 Bei § 37 BetrVG kann nicht davon gesprochen werden, daß das Lohnausfanprinzip die vorgefundene gesellschaftliche Situation teilzeitbeschäftigter Frauen noch verschlechtert. Die Regelung, daß jeder Arbeitnehmer den Lohn weitergezahlt bekommt, den er erhalten hätte, wenn er am Arbeitsplatz gearbeitet hätte, ist insoweit neutral. Kommt es infolgedessen zu einer statistisch erfaßbaren Ungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen, spiegelt das nur die allgemeine Situation wider. Hierdurch wird kein Umstand gesetzt, der die ungleiche Ausgangsposition nochmals verschlechtert. Die aus der Anwendung des § 37 Abs. 6 i. V. m. Abs. 2 BetrVG für Frauen resultierende Ungleichbehandlung ist dem Arbeitgeber nicht zuzurechnen.

175 176

Hanau/Preis, ZfA 1988, 177 (189 f.). Hanau/Preis, ZfA 1988, 177 (190).

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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d) Benachteiligungsahsicht

Umstritten ist in Rechtsprechung und Literatur, ob der Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung einen subjektiven Aspekt enthalten muß.

aa) Ablehnung der Diskriminierungsabsicht Nach der neueren Rechtsprechung des EuGH und des BAG hängt das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nicht (mehr) von einer Benachteiligungsahsicht des Arbeitgebers oder Normsetzers ab. Ein Motiv des Arbeitgebers, Frauen gegenüber Männem zu benachteiligen, dürfte sich kaum einmal erweisen. Eine Benachteiligung beispielsweise von Teilzeitkräften müsse "schon deshalb als auf dem Geschlecht beruhend gelten, weil eine in Kenntnis des offensichtlichen Zusammenhangs getroffene Maßnahme auch die Auswirkungen auf das eine Geschlecht mit in Kauf genommen" 177 habe. Um eine mittelbare Benachteiligung anzunehmen, genüge die Wahrscheinlichkeit, daß keine andere Erklärung mit gewissem Gewicht die unterschiedlichen Auswirkungen auf die Geschlechter erklären könne. 178 Entweder fehle eine anderweitige Begründung oder sie sei nicht von hinreichendem Gewicht. Nur in Nuancen anders argumentiert Wank: Da im übrigen der Gerechtigkeitsgehalt einer abstrakt-generellen Regelung zu prüfen sei, hätten die gleichen Maßstäbe wie bei Gesetzen zu gelten: objektive Auslegung und Inhaltskontrolle. Die Benachteiligungsabsicht könne aber bei der Rechtfertigung von Bedeutung sein. Je offensichtlicher die faktische Benachteiligung der Frauen sei, desto eher könne auf eine Benachteiligungsahsicht und damit auf das Fehlen eines sachlichen Grundes geschlossen werden. 179 Eine subjektive Komponente lasse sich auch nicht aus der Wendung der Rechtsprechung schließen, der Arbeitgeber dürfe Nachteile der Frauen auf dem Arbeitsmarkt und gesellschaftlich bedingte Schwächen bei der Durchsetzung ihrer Interessen nicht ausnutzen 180. Das Wort "ausnutzen" beinhalte keine Diskriminierungsabsicht 181

m Schlachter, S. 156. Schlachter, S. 156; ähnlich Pfarr/Bertelsmann, Diskriminierung, S. 123 f. 179 Wank, RdA 1985, 1 (21). 178

180 181

6*

BAG, AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag. Hanau!Preis, ZfA 1988, 177 (189).

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

bb) Befürwortung der Diskriminierungsabsicht Dagegen wird vereinzelt eingewandt, es komme bei einer mittelbaren Benachteiligung auch auf die Zielsetzung einer Regelung an, also darauf, ob der Arbeitgeber trotz an sich vorliegender vernünftiger Gründe für eine Differenzierung zwischen Teilzeitbeschäftigten und Vollzeitbeschäftigten das Ziel verfolge, die Arbeitnehmergruppe der Teilzeitbeschäftigten nur deshalb schlechter zu behandeln, weil dieser Arbeitnehmergruppe ausschließlich oder überwiegend Frauen angehörten. 182, 183 Im amerikanischen Recht existieren zwar Hinweise auf die Notwendigkeit einer Diskriminierungsabsicht Das Vorhandensein weniger diskriminierender, aber genauso effektiver Maßnahmen wird in der OS-Rechtsprechung als Indiz dafür gesehen, daß der Arbeitgeber die vorgenommene Maßnahme lediglich als Vorwand benutzte. Doch darf nicht verkannt werden, daß es sich hierbei auch um Fälle handeln könnte, die nach der hier vorgenommenen Unterscheidung unter die verdeckte unmittelbare Diskriminierung fallen. 184 Eine unbesehene Übernahme der OSRechtsprechung zur mittelbaren Diskriminierung ist generell abzulehnen. Immerhin wird vereinzelt zugestanden, daß die Überprüfung sachlicher Gründe bei der Rechtfertigung im Rahmen des Konzepts der h. M. automatisch eine Kontrolle der Motivation für eine Maßnahme beinhalte. 185 Eine solche Beurteilung sei immer auch von subjektiven Parametern geprägt, die durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung eher noch verstärkt würden. 186 Bei der strikten Anwendung des Lohnausfallprinzips auf weibliche teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder läßt sich eine Diskriminierungsabsicht nicht erkennen.

e) Objektive Rechtfertigung

Anerkannt ist, daß jede mittelbare Diskriminierung gerechtfertigt werden kann. Die Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung soll hier unabhängig von 182 So noch EuGH, 31. 03. 1981, Rs. 96/80 (Jenkins), Slg. 1981, 911 (926, Tz. 14); neuerdings wieder: LAG Harnm, NZA 1993, 573 (574); Bengelsdorf, NZA 1989, 905 (909, Anrn. 82); Hernnann, SAE 1993, 271 (276); mißverständlich: BAG, AP Nr. 11 zu§ I TVGTarifverträge: Chemie - unter II. 3. c der Gründe: Mit einer etwaigen Ungleichbehandlung werde "ein hinreichend gewichtiger sachlicher, nicht auf die Geschlechtszugehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer bezogener Zweck verfolgt." 183 Begr. RegE zu § 61la BOB, BR-Drs. 353179 = RdA 1980,52; Ausschußbericht, BTDrs. 8/4259, S. 8; Bertelsrnann, BB 1983, 1805 (1807) 184 Vgl. bei Wisskirchen, S. 124, Fn. 176. 185 Schlußanträge des GA Darrnon v. 19. 04. 1989 in der Rs. 171188 (Rinner-Kühn), Slg. 1989, 2749 (2753 f.). 186 Rating, S. 98.

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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der später noch zu behandelnden Frage des Prüfungsortes erörtert werden. Denn gleichgültig, ob man die Rechtfertigung zum Tatbestand des Verbots rechnet oder hiervon trennt, sind Maßstab und inhaltliche Probleme dieselben.

aa) Prüfungsmaßstab Als erstes stellt sich die Frage der Strukturierung einer objektiven Rechtfertigung, insbesondere welcher Maßstab für die Prüfung anzulegen ist.

(a) Sachlicher Grund Vereinzelt wird das Vorliegen eines sachlichen Grundes als Rechtfertigungsmaßstab für ausreichend gehalten. Als Begründung läßt sich§ 6lla Abs. 1 Satz 3 BGB heranziehen. 187 So gesehen wäre der Rechtfertigungsstandard derselbe wie beim arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Vereinfachend gesagt wäre die Differenzierung nur bei Willkür des Arbeitgebers unzulässig. Vom Standpunkt der herrschenden Meinung ist dies nicht konsequent, weil danach das Verbot der mittelbaren Diskriminierung aus Art. 3 Abs. 2 bzw. 3 GG folgend mehr als nur ein Willkürverbot gemäß Art. 3 Abs. 1 GG ist. 188

(b) Biologische bzw.funktionale Unterschiede Anderer Ansicht zufolge kann für die Rechtfertigung einer mittelbaren Frauendiskriminierung kein anderer Maßstab gelten als für die Rechtfertigung einer unmittelbaren Geschlechtsdiskriminierung. 189 Insofern ist nach der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 3 Abs. 2 GG eine unterschiedliche Behandlung von Männem und Frauen nur gestattet, wenn der sich aus dem Geschlecht ergebende biologische oder funktionale Unterschied das zu regelnde Lebensverhältnis so entscheidend prägt, daß gemeinsame Elemente überhaupt nicht zu erkennen sind oder zumindest vollkommen zurücktreten. 190 Danach nimmt das absolute Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 GG dem Gesetzgeber jede auf das Geschlecht bezogene Gestaltungs- bzw. Differenzierungsfreiheit mit 187 Vgl. Kiefer, ZTR 1989, 91 (94); Eich, NJW 1980, 2329 (2331). Enrum/Hanau, § 61la Rn. 6 u. 13, greift allerdings zur Ausfüllung des Merkmals "sachlicher Grund" auf die Formeln der Rechtsprechung zurück. 188 Statt aller: Wisskirchen, S. llO.

189 Boecken, EzA Art. 119 EWG-Vertrag Nr. 2, S. 17 (23 ff.) - Anrn. zu BAG, 20. 11. 1990-3 AZR 613/89 - , AP Nr. 8 zu§ 1 BetrAVG- Gleichberechtigung-= NZA 1991, 635 = VersR 1991, 944 -; MünchArbR/ Schüren, § 157 Rn. 107; Kirsten, RdA 1990, 282 (284 f.); Weber, BB 1992, 1345 (1346). 190 BVerfGE 39, 169 (185 f.); 52, 369 (374); 68, 384 (390).

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Ausnahme, daß Differenzierungen auf Grund biologischer oder funktionaler Unterschiede geboten wären. 191 Die mittelbare Geschlechtsdiskriminierung werde in gleichem Maße von Art. 3 Abs. 2 GG erfaßt wie die unmittelbare Diskriminierung. Denn es gehöre heute zur gesicherten Erkenntnis der Grundrechtsdogmatik, daß nicht nur zielgerichtete Eingriffe Grundrechte verletzen könnten, sondern daß solche Verletzungen auch unbeabsichtigte, aber tatsächliche also mittelbare Folge von Regelungen sein könnten. 192 Diese Erkenntnis beanspruche für Freiheitsgrundrechte 193 gleichermaßen Geltung wie für Gleichheitsgrundrechte in Fallgestaltungen, bei denen nicht in der geschlechtsneutralen Regelung als solcher eine Diskriminierung liege, sondern die Ungleichbehandlung erst in Verbindung mit auf dem Geschlecht oder der Geschlechtsrolle beruhenden tatsächlichen (Ungleichheits-)Verhältnissen zu Tage trete. 194 Wegen dieser Gleichstellung von unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung im Hinblick auf Art. 3 Abs. 2 GG wäre es inkonsequent, die an die festgestellte Differenzierung zu stellenden Rechtfertigungsanforderungen abhängig von der Art des Grundrechtseingriffs unterschiedlich streng auszugestalten. 195 Dies gelte für Art. 3 Abs. 2 GG. Auf Art. 119 EGV werde dies zwar nicht übertragen, doch der deutsche Rechtsanwender habe Art. 3 Abs. 2 GG neben Art. 119 EGV anzuwenden. Der prinzipielle und rangunabhängige Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht werde hier durch die Öffnung des EG-Rechts zugunsten nationaler Rechtsetzung verdrängt. Denn mit Art. 119 EGV seien lediglich gemeinschaftsrechtliche Mindestanforderungen bezüglich der Lohngleichheit zwischen Mann und Frau aufgestellt worden, die durch weiterreichende nationale Regelungen ergänzt werden könnten. Eine Verdrängung von Art. 3 Abs. 2 GG wäre nur denkbar, wenn - was nicht geschehen ist - mit der in Art. 119 EGV enthaltenen Verpflichtung zur Verwirklichung des Grundsatzes der Lohngleichheit den Mitgliedstaaten gleichzeitig verbindlich vorgeschrieben worden wäre, welche Anforderungen an die Rechtfertigungsgründe für eine Ungleichbehandlung zu stellen seien. 196 Legt man diese Ansicht zugrunde, muß gefragt werden, ob die faktische Ungleichbehandlung von teilzeitbeschäftigten weiblichen Betriebsräten gegenüber männlichen vollzeitbeschäftigten Kollegen auf biologischen oder funktionalen Gründen beruht, die das zu regelnde Lebensverhältnis so entscheidend prägen, daß gemeinsame Elemente zumindest dahinter vollkommen zurücktreten. Hierbei handelt es sich erkennbar um eine Wertungsfrage. Dabei ist zweifelhaft, ob die BeruBVerfGE 10, 59 (73 f.). Boecken, EzA Art. 119 EWG-Vertrag Nr. 2, S. 17 (23); Hanau/Preis, ZfA 1988, 177 (184 ff.); Bieback, ZIAS 1990, 1 (31 f.). 193 Vgl. Bleckmann/Eckhoff, DVBI. 1988, 373 ff.; Lübbe-Wo/ff, S. 42 ff. 194 Boecken, EzA Art. 119 EWG-Vertrag Nr. 2, S. 17 (23). 195 Boecken, EzA Art. 119 EWG-Vertrag Nr. 2, S. 17 (25 f.). 196 Boecken, EzA Art. 119 EWG-Vertrag Nr. 2, S. 17 (27 ff.). 191

192

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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fung auf funktionale, also arbeitsteilige Unterschiede noch sachgerecht ist oder ob nicht vielmehr damit die derzeitige Rollenverteilung von Mann und Frau festgeschrieben wird. Schon friih wurde diese Formel als "pseudoverfassungsrechtliche Einbruchstelle für eine ungerechtfertigte Benachteiligung der Frau" 197 gekennzeichnet. Auch die Rechtsprechung des BVerfG 198 wendet diesen Rechtfertigungsgrund in der Sache nicht mehr an. Denn funktionale, arbeitsteilige, mithin auf den hergebrachten Geschlechterrollen beruhende Unterschiede können einen Lebenssachverhalt nicht so entscheidend prägen, daß dahinter vergleichbare Elemente völlig zuriicktreten, weil nach der Rechtsordnung die Geschlechtsrollen frei gewählt werden können. 199 Deshalb sind nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG nur noch Regelungen vor Art. 3 Abs. 2 u. 3 GG zu rechtfertigen, soweit sie zur Lösung von Problemen zwingend erforderlich sind, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können. 200 Wenn aber funktionale Unterschiede gleichgesetzt werden können mit traditioneller Rollenverteilung201 und das Verbot der mittelbaren Diskriminierung gerade die Konservierung der bisherigen Rollenstrukturen aufbrechen will, bedeutet dies, daß funktionale Unterschiede gerade eine mittelbare Diskriminierung nicht rechtfertigen können. Es bleibt als Rechtfertigungsgrund also nur noch der biologische Unterschied. Einzig noch relevantes biologisches Unterscheidungsmerkmal ist die Schwangerschaft. Folglich kann der biologische Unterschied eine mittelbar diskriminierende Maßnahme nie rechtfertigen. Denn die Ursache der unterschiedlichen Wirkung auf verschiedene Gruppen liegt nicht in den biologischen Anlagen von Männern und Frauen und die zu vergleichenden Gruppen sind nicht geschlechtshomogen in ihrer Zusammensetzung. Gegenüber dieser Ansicht ist jedoch folgendes zu bedenken: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung bedeutet eine weite Öffnung des Tatbestandes, wobei die Tatbestandsmäßigkeit von außerrechtlichen statistischen Methoden abhängt. Wenn aber die Folge der dargestellten strengen Auffassung ist, daß mittelbare Diskriminierungen nie gerechtfertigt werden können, fehlt ein Korrektiv für den weiten Tatbestand, wie es beispielsweise in einer Verhältnismäßigkeitspriifung gesehen werden könnte. So würde auf der anderen Seite das Recht wiederum "blind" angewandt, allein in Abhängigkeit von möglicherweise bestrittenen und sich häufig wandelnden Statistiken. Im übrigen ist bereits die Ausgangsthese dieser Ansicht, daß die Subsumtion unter dieselbe gesetzliche Grundlage dieselbe Rechtsfolge auslösen müsse, nicht zwingend, wie eine Blick auf§ 823 Abs. I BGB beweist. Auch hier wird hinsichtlich Tatbestand und Rechtsfolgen zwischen benannten und unbenannten Rechten unterschieden.202 197

Baur, JZ 1959,443 (444).

198 BVerfGE 39, 169 (183); 43, 213 (225 f.); 48, 327 (338); 57, 361 (384 f.). 199 Vgl. Sachs, NVwZ 1991,437 (438). zoo BVerfGE 85, 191 (207); 92,91 (109). 201 Dazu: Sachs, Grenzen, S. 363 ff.; ders., NJW 1989, 553 (555). 202 Vgl. z. B. für das allgemeine Persönlichkeitsrecht Medicus, Rn. 615; z.T. kritisch allerdings Larenz I Canaris, Schuldrecht II I 2, § 80 III 1 b.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

(c) Untemehmerisches Bedürfnis Der EuGH hat in der Bilka-Entscheidung203 vorgegeben, daß kein Verstoß gegen Art. 119 EGV anzunehmen ist, wenn die Maßnahme "auf Faktoren beruht, die objektiv gerechtfertigt sind und nichts mit einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zu tun haben." Objektiv gerechtfertigt sei eine Ungleichbehandlung, wenn die von den Unternehmen "zu diesem Zweck gewählten Mittel einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens dienen und zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich sind." Steht eine Rechtsvorschrift auf dem Prüfstand, spricht der EuGH statt von einem Unternehmerischen Bedürfnis von einem legitimen Ziel der mitgliedstaatliehen Sozialpolitik. 204 Dabei betont der Gerichtshof, daß er die genaue Prüfung der Rechtfertigung den nationalen Gerichten überlasse. Dennoch gibt er auch zu dieser Frage häufig Hinweise, um dem vorlegenden Gericht seine Fragen sachdienlich zu beantworten und auf diese Weise eine Entscheidung zu ermöglichen?05 So hatte er im Fall "Böte!" das Lohnausfallprinzip des § 37 BetrVG bereits als Rechtfertigungsgrund zurückgewiesen.206 In den späteren Entscheidungen wies er darauf hin, daß die nationalen Gerichte bei der Prüfung der Rechtfertigung zu beachten hätten, daß die Regelung des § 37 BetrVG geeignet sei, weibliche teilzeitbeschäftigte Arbeitskräfte davon abzuhalten, ein Betriebsratsamt anzunehmen bzw. sich die hierfür erforderlichen Kenntnisse durch Teilnahme an Schulungsveranstaltungen anzueignen. 207 Eine nähere Erläuterung der von ihm benutzten unbestimmten Rechtsbegriffe gibt der EuGH nicht. In Abweichung von der Rechtsprechung des EuGH forderte das BAG hinsichtlich der Rechtfertigung teilweise, daß die unterschiedliche Behandlung einem "unabweisbaren Bedürfnis des Unternehmens" dienen müsse?08 Ob es sich hierbei tatsächlich um eine Steigerung der Anforderungen und um eine eigenmächtige Weiterentwicklung des Gemeinschaftsrechts gehandelt hat, wie Wolfgang Blomeyer annimmt209, oder doch eher um ein einmaliges Versehen, mag dahinstehen. Denn die Rechtsprechung des BAG kehrte in späteren Entscheidungen wieder zum herkömmlichen Maßstab zurück. 210 203 EuGH, 13. 05. 1986, Rs. 170/84 (Bilka), Slg. 1986, 1607 ff. (Leitsatz 3 a. E., S. 1627 ff.). 204 EuGH, 07. 03. 1996, Rs. C-278/93 (Freers u. Speckmann), Slg. 1996, 1-1165 (1192, Tz. 28). 205 Z. B.: EuGH, 30. 03. 1993, Rs. C-328/91, (Thomas), Slg. 1993, 1-1247 (1 273 f., insbes. Tz. 13). 206 EuGH, 04. 06. 1992, Rs. C-360/90 (Böte!), Slg. 1992, 1-3589 (3613 f.). 2o1 EuGH, a. a. 0., Slg. 1992, I-3589 (3614, Tz. 25); EuGH, 06. 02. 1996, Rs. C-457 /93 (Lewark), Slg. 1996, 1-243 (270, Tz. 37); EuGH, 07. 03. 1996, Rs. C-278/93 (Freers u. Speckmann), Slg. 1996,1-1165 (1193, Tz. 30). 208 BAG AP Nr. 5 zu§ 1 BetrAVG- Gleichberechtigung- unter Nr. 4 des Tenors, obwohl in der Entscheidung formuliert wird: wirkliches Bedürfnis des Unternehmens - unter ll 3 a der Gründe. 209 W Blomeyer, Alterssicherung in Deutschland, S. 101 (113).

A. Die Rechtsgrundlagen des Buroparechts

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Interessant ist ein Blick auf die Prüfung der Rechtfertigung in einem neueren Urteil des BAG, in welchem es das Verbot der mittelbaren Diskriminierung sowohl unter Art. 119 EGV als auch unter Art. 3 Abs. 3 GG priift. Zunächst verweist das BAG auf die allgemeine Rechtfertigungsvoraussetzung, die auch der I. Senat des BVerfG neuerdings nach Aufgabe der "funktionalen Unterschiede" zugrundelegt Danach ist eine Ungleichbehandlung, die an das Geschlecht anknüpft, nur gerechtfertigt, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich ist. 211 Sodann verweist das BAG unter den Voraussetzungen für die mittelbare Diskriminierung auf den vom EuGH aufgestellten Rechtfertigungsstandard, nach dem objektive Griinde vorliegen müssen, die nichts mit der Geschlechtszugehörigkeit der benachteiligten Arbeitnehmer zu tun haben212 . Bei der Subsumtion stellt das BAG dann fest, daß im konkreten Fall mit der Ungleichbehandlung "ein hinreichend gewichtiger sachlicher, nicht auf die Geschlechtszugehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer bezogener Zweck verfolgt"213 werde. Eine ausfüllende Definition, was unter einem wirklichen Unternehmerischen Bedürfnis zu verstehen ist, hat die Rechtsprechung bisher nicht entwickelt. Langenfeld schlägt vor zu priifen, "ob die Verfolgung des angeführten Zieles mit der strittigen Maßnahme in dem betreffenden Unternehmen wirtschaftlich sinnvoll ist."214 Zur Ausfüllung dieses Begriffes hält sie am ehesten die jeweiligen nationalen Gerichte für berufen, da diese am besten mit den ökonomischen Verhältnissen in den jeweiligen Mitgliedstaaten vertraut wären.215 Dieser von der Rechtsprechung initiierte Ansatz hat jedenfalls gegenüber der zuvor angesprochenen rigiden Ansicht den Vorteil größerer Flexibilität und wird daher dem weiten Tatbestand des Verbots der mittelbaren Diskriminierung eher gerecht. (d) " Zwingend geboten"

Ein ähnlicher Ansatz wird auch in der Literatur vertreten. Danach kann eine tatbestandsmäßige mittelbare Diskriminierung gerechtfertigt sein, wenn entweder die Ausgestaltung der Vereinbarung oder Maßnahme von der Art der auszuübenden Tätigkeit her zwingend geboten sei oder ein objektiv gerechtfertigtes Ziel verfolge und die Benachteiligung nicht durch unmittelbare Änderungen oder Ergänzungen 210 Seit BAG, AP Nr. 8 zu § I BetrAVG- Gleichberechtigung - . Vgl. auch BAG, AP Nr. 123 zu§ 37 BetrVG 1972 = DB 1998, 373 (375). 211 BVerfGE 85, 191 (207). 212 Der EuGH formuliert üblicherweise: "die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben". 213 BAG, AP Nr. 11 zu § 1 TVG- Tarifverträge: Chemie - , unter II 3 c der Gründe. 214 Langenfe ld, S. 216. 215 Langenfeld, S. 217.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

zu beseitigen oder wenigstens zu mildem sei. Also müsse eine geschlechtsunspezifische Ausgestaltung unmöglich sein. Die vorgenommene Ausgestaltung müsse ferner zur Erreichung des Zieles erforderlich und geeignet sein.216 Das erste Rechtfertigungsmoment- "zwingend geboten"- sei restriktiv auszulegen, für Abwägungen bleibe kein Raum. Ansonsten müsse die Ausgestaltung unter dem Gesichtspunkt der objektiv gerechtfertigten Ziele gepriift werden.Z 17 Das Merkmal "zwingend geboten" sei demnach beispielsweise für Anforderungen an Qualifikationen nur erfüllt, wenn die Tätigkeit ohne Qualifikationen nicht ausgeübt und diese nicht kurzfristig erworben werden könne. Wirke die konkrete Ausgestaltung eines Arbeitsplatzes und der Arbeitsbedingungen einschließlich der Arbeitsschutzbestimmungen, sofern sie nicht Frauen zulässigerweise ganz von der Beschäftigung ausschließen, benachteiligend, könne sie nicht als zwingend geboten angesehen werden. Denn es handele sich um von Menschen gemachte Strukturen, die auch anders gestaltet werden könnten. Hingegen seien Arbeitszeiten, mithin Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, dann zwingend geboten, wenn die Arbeitsleistung nur in dieser Zeit erbracht werden könne.218 Andererseits sollen Kosten, konkret die Verschiebung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses bei der Einbeziehung von (mehr) Frauen, nicht zwingend geboten sein. Mit dem zweiten Rechtfertigungsmoment sollen Abwägungen zwischen der Zielsetzung einer Maßnahme und der benachteiligenden Wirkung auf Frauen zugelassen werden. Mit dieser Abwägung dürfe aber nicht lediglich nur Willkür ausgeschlossen werden. Es genüge nicht jeder "sachliche Grund" für die Rechtfertigung. Vielmehr müsse bei der Abwägung das "hoch zu veranschlagende Grundrecht auf Gleichstellung der Geschlechter"219 beriicksichtigt werden. Verfehle eine Regelung mit benachteiligender Wirkung auf Frauen dieses Ziel, sei sie einer besonders scharfen Prüfung zu unterziehen. So reiche die Behauptung des Arbeitgebers, wirtschaftlicher Vernunft zu folgen, um günstige ökonomische Ergebnisse zu erzielen, nicht aus; erforderlich sei stattdessen ein "wirkliches Bedürfnis". Eine Rechtfertigung kann nach dieser Ansicht erst eintreten, wenn es um die "Erhaltung des Unternehmens" geht. 220 Dabei habe das Gericht die unternehmefischen Entscheidungen im Streitfall auf ihre Notwendigkeit, Erforderlichkeit und Geeignetheit hin zu überpriifen. Könne eine Zielsetzung als ökonomisch notwendig oder sonst gerechtfertigt angesehen werden, müsse weitergepriift werden, ob die von ihr getragene Ausgestaltung der Maßnahme in zurnutbarer Weise zu ersetzen bzw. durch eine solche Maßnahme zu ergänzen sei, die keine oder eine weniger benachteiligende Auswirkung auf eine Geschlecht habe. Gebe es keine Ausgestaltung, die das objek216

Pfarr I Bertelsnw.nn, Diskriminierung, S. 116 u. 124 f.

Pfarr/Bertelsnw.nn, Gleichbehandlungsgesetz, Rn. 241. Pfarr/ Bertelsnw.nn, Diskriminierung, S. 124. 219 Pfarr/Bertelsmann, Diskriminierung, S. 125. 22o Ausführlich zum Ökonomischen: Pfarr I Bertelsnw.nn, Gleichbehandlungsgesetz, Rn. 249 - 259. 217 218

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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tiv gerechtfertigte Ziel nicht in demselben Umfang oder nicht auf dieselbe effektive und kostengünstige Weise wie die vom Arbeitgeber gewählte Ausgestaltung erreichen könne, bleibe zu fragen, ob die einseitige nachteilige Wirkung auf andere Weise gemildert oder beseitigt werden könne.Z21 Diese Ansicht verschärft die Anforderungen an die Rechtfertigung so weit, daß eine Rechtfertigung praktisch nicht denkbar ist. Denn "zwingend geboten" verlangt für die Rechtfertigung mehr als ein "wirkliches unternehmerisches Bedürfnis". Zwingend, also unausweichlich geboten ist eine Maßnahme erst dann, wenn das Unternehmen ansonsten in seinem Bestand gefährdet wäre. Im übrigen ist fraglich, ob eine einzelne Maßnahme geeignet ist, ein ganzes Unternehmen vor der Insolvenz zu retten. 222 Kritisch zu bemerken bleibt daneben, daß unklar ist, woher das zitierte Grundrecht auf Gleichstellung der Geschlechter kommt, ob hiermit Art. 119 EGV oder Art. 3 Abs. 2 GG gemeint ist. In der Grundrechtsdogmatik ist umstritten, inwieweit Art. 3 Abs. 2 GG auf Gleichstellung im Sinn von Ergebnisgleichheit zielt. 223 Art. 119 EGV kommt von vornherein nicht in Betracht, da diese Norm nur auf die Lohngleichheit beschränkt ist. (e) Differenzierung des Prüfungsmaßstabes Unter Berücksichtigung des weitgefaßten Verbotstatbestandes der mittelbaren Diskriminierung schlagen Hanau I Preis eine Differenzierung des Prüfungsmaßstabes vor. Nicht in allen Fällen sei die Betroffenheit so groß und evident wie im Fall der Teilzeitarbeit Der unterschiedliche Grad der benachteiligenden Wirkung müsse auch einen differenzierten Prüfungsmaßstab nachsichziehen. Denn der verfassungsrechtliche Schutz vor mittelbaren Diskriminierungen werde gerade wegen der tatsächlichen Auswirkungen gewährt. Auf der anderen Seite erfordere der Vertrauensschutz bezüglich einer auf den ersten Blick neutralen Regelung eine differenzierende Betrachtung. Das Ausmaß tatsächlicher Betroffenheit bedinge daher die Strenge des Prüfungsmaßstabes: Je stärker die Benachteiligung und die Betroffenheit eines Geschlechts durch eine mittelbar diskriminierende Maßnahme sei, desto gewichtiger habe der Rechtfertigungsgrund zu sein. 224 Auch Wisskirchen 225 geht nicht von einem einheitlichen Maßstab für alle Fälle mittelbarer Diskriminierung aus und schlägt stattdessen eine Fallgruppenbildung vor. Je nach Fallgestaltung könne sowohl ein unternehmerisches Bedürfnis - im Pfarr I Bertelsmann, Gleichbehandlungsgesetz, Rn. 261 f. Vgl. Wisskirchen, S. 112 f., die eine Parallele zu den Begriffen "berechtigtes betriebliches Interesse" in§ 1 Abs. 3 S. 2 KSchG und "dringende betriebliche Erfordernisse" in § 1 Abs. 2 KSchG zieht. 223 Vgl. dazu unten 3. Kap. B IV 2 b aa (b). 224 Hanau/ Preis, ZfA 1988, 177 (192). 225 Wisskirchen, S. 113 ff. 221

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Hinblick auf Beförderungs- oder Kündigungspraktiken - als auch ein Kriterium mit Arbeitsplatzbezogenheil - mit Blick auf die Anforderungen an eine bestimmte Position - rechtfertigende Wirkung entfalten. Ein wirkliches unternehmerisches Bedürfnis sei mehr als nur Unternehmerische Bequemlichkeit. Denn ein Bedürfnis setze voraus, daß "das Unternehmen ohne die mittelbar diskriminierende Maßnahme in seinen Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit betroffen" sei und "nicht lediglich untergeordnete ökonomische Interessen nachteilig berührt" würden?26 Im übrigen könne die an der Intensität des Eingriffs orientierte differenzierte Prüfung von Hanaul Preis weiterhelfen, wobei die Stärke der Betroffenheit von der Zahl der betroffenen Frauen, der Dauer der Maßnahme, ihrer Auswirkung für die Zukunft und die Höhe der finanziellen Einbuße eine Rolle spiele. Daneben sei auch die Größe der Disparität zu berücksichtigen. Der Unternehmerische Grund, ob unternehmensoder arbeitsplatzbezogen, müsse erheblich und wichtig sein. Dies sei der Ort für eine Verhältnismäßigkeilsprüfung zur Abwägung von Maßnahme und Ziel, bei der eine irgendwie geartete Korrelation zwischen Maßnahme und Ziel nicht ausreiche. 227 In diesem Zusammenhang stelle sich die Frage, wann eine andere Maßnahme als taugliche weniger belastende Alternative gelten könne. Zur Beantwortung wird darauf verwiesen, daß die Alternative keineswegs genauso effektiv sein müsse, insbesondere die Unternehmen nicht mit höheren Kosten belaste. Stünden jedoch die Kosten der Alternativmaßnahme außer Verhältnis zur Verbesserung der Repräsentation von Frauen, so handele es sich nicht um eine taugliche Alternative.228 Für die Rechtfertigungsprüfung von Gesetzen teilt Wisskirchen den Ansatz des EuGH und stellt fest, daß der Gesetzgeber hinsichtlich des verfolgten Zieles einen weiten Ermessensspielraum besitze, der nur durch das Grundgesetz und den EGVertrag begrenzt werde. 229 Für die Rechtfertigungsprüfung ist angesichts der Weite und Vielgestaltigkeit des Tatbestandes einer differenzierten Lösung der Vorzug zu geben. Doch sollten die Anforderungen auch dann nicht in unerreichbare Höhen geschraubt werden. Die Rechtfertigungsprüfung wird daher in jedem Fall eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zu enthalten haben. (j) Richtlinienvorschlag der Kommission

Der mittlerweile überholte ältere Vorschlag der Kommission aus dem Jahre 1988 verlangte zur Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung zwingende Gründe oder Umstände, die in keinem Zusammenhang mit dem Geschlecht derbetroffenen Person stehen (Art. 5 Abs. 1).230 226 227 22s 229

Wisskirchen, S. 118 f. Wisskirchen, S. 119 f. Wisskirchen, S. 124 ff. Wisskirchen, S. 123 f.

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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Später präzisierte die Kommission die Anforderungen zweimal. In der Fassung des Richtlinienentwurfs von 1996231 heißt es in Art. 2 Abs. 2: "liegt eine mittelbare Diskriminierung [sc.: nicht] vor, wenn [ . . . ] das verfolgte Ziel [ . . . ] sachlich gerechtfertigt ist und die zur Erreichung dieses Ziels eingesetzten Mittel angemessen und notwendig sind." Dagegen formuliert der Vorschlag aus dem Jahr 1997, daß von einer mittelbaren Diskriminierung auszugehen sei, "es sei denn, das verfolgte Ziel entspricht einem echten Bedarf des Unternehmens oder notwendigen Vorgaben der Sozialpolitik eines Mitgliedstaats, steht in keinem Zusammenhang mit der Geschlechtszugehörigkeit und ist als solches sachlich gerechtfertigt und die zur Erreichung des Ziels eingesetzten Mittel sind angemessen und notwendig. " 232 In der verabschiedeten Fassung (Art. 2 Abs. 2 Richtlinie 97 I 80 I EG) heißt es bezüglich der Rechtfertigung: "es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind angemessen und notwendig und sind durch nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe gerechtfertigt. " 233 . In der Begründung zu der ursprünglichen Fassung fülute die Kommission aus, daß es sich um ein wichtiges Ziel handeln müsse, das als solches erhaltenswert sein müsse und wichtig genug, um eine im Vergleich zum Gleichheitsgrundsatz vorrangige Berücksichtigung zu rechtfertigen. Als Beispiel wurde die Garantie eines sozial annehmbaren Mindesteinkommens für Personen mit unterhaltsberechtigtem Ehegatten oder unterhaltsberechtigten Kindem genannt. Insgesamt änderte sich die Formulierung hinsichtlich der Rechtfertigung dreimal. Die jetzt verabschiedete Fassung ist kürzer, aber auch vager als die vorhergehende. Die ehemalige Formulierung, daß das Ziel einem Unternehmerischen Bedürfnis bzw. sozialpolitischen Vorgaben des Mitgliedstaates zu entsprechen habe, entsprach noch der Rechtsprechung des EuGH, fiel aber in der verabschiedeten Fassung weg. Was in der älteren Version die Wendung zu bedeuten hatte, daß das Ziel in keinem Zusammenhang mit der Geschlechtszugehörigkeit zu stehen habe und als solches sachlich gerechtfertigt werden müsse, ist nur schwer zu ergründen. Steht das Ziel in einem Zusammenhang zur Geschlechtszugehörigkeit, liegt der Verdacht einer unmittelbaren Diskriminierung nahe. Ansonsten genügt das von der Rechtsprechung des EuGH genannte Kriterium nebst einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Rechtfertigung. Gleiches gilt für die jetzige Wendung der Rechtfertigung durch nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe. Darüber hinaus 230 Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Beweislast im Bereich des gleichen Entgelts und der Gleichbehandlung von Frauen und Männern, ABI. EG Nr. C 176 v. 05. 07. 1988, S. 5 ff. - KOM (88) 269 endg. 231 Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Beweislast bei geschlechtsbedingter Diskriminierung vom 20. September 1996, ABI. EG Nr. C 332 v. 07. 11. 1996, S. Il- KOM (96) 340 endg.- 96/0196 (PRT). 232 Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Beweislast in Fällen geschlechtsbedingter Diskriminierung vom 14. Mai 1997, ABI. EG Nr. C 185 v. 18. 06. 1997, S. 21 (25)- KOM(97) 202 endg - 96/0196 (PRT). 233 Richtlinie 97 /80/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 über die Beweislast bei Diskriminierungaufgrund des Geschlechts, ABI. EG Nr. L 14 v. 20. 01. 1998, S. 6 (7).

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

innerhalb der Rechtfertigungsprüfung die Ziele bzw. die Vorschriften oder Kriterien zu überprüfen, ob sie als solche sachlich gerechtfertigt sind, erscheint kaum möglich, zumal keine näheren Kriterien angegeben wurden. Insgesamt ist das Erfordernis einer Verhältnismäßigkeitsprüfung das wesentliche Kriterium, um eine mittelbar diskriminierende Vorschrift oder Regelung zu rechtfertigen. In Anbetracht der geringen Unterschiede zwischen Rechtsprechung und Literatur mit Ausnahme der unter (b) und (d) soeben bereits abgelehnten Ansichten, soll den folgenden Betrachtungen der vom EuGH und BAG entwickelte Maßstab zugrundegelegt werden. bb) Rechtfertigungsgründe Bevor die Gründe für eine - unterstellte - mittelbare Diskriminierung von teilzeitbeschäftigten weiblichen Mitgliedern von Mitbestimmungsorganen näher betrachtet werden, sollen kurz einige der häufigsten vorgetragenen Rechtfertigungsgründe auf ihre Stichhaltigkeit untersucht werden. (a) Generelle Rechtfertigungsgründe bei mittelbarer Diskriminierung

(aa) Anreiz zur Vollzeitarbeit Das Argument, Arbeitnehmer, deren Arbeitszeit wöchentlich weniger als 10 Stunden oder monatlich weniger als 45 Stunden betrage, seien nicht wie Vollzeitarbeitnehmer vergleichbar in den Betrieb eingegliedert und ihm verbunden, wurde vom EuGH zurückgewiesen. 234 Hinter dieser Argumentation verbirgt sich letztlich ein Kostenargument Der Arbeitgeber soll von Kosten entlastet werden, die spezifisch nichts mit dem Arbeitsprozeß zu tun haben. Der Grund für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist aus historischer Sicht rein sozialpolitischer Natur. Die Lohnfortzahlung bei den Angestellten wurde 1930 I 31 235 den Arbeitgebern auferlegt, indem die Bestimmungen, die den Angestellten einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Krankheit gewährten, für die Dauer von sechs Wochen für unabdingbar erklärt wurden. Gleichzeitig wurde bestimmt, daß der Anspruch des Versicherten auf Krankengeld für die Dauer der Lohnfortzahlung ruht, um die notleidenden Krankenkassen zu entlasten. 236 Für den Staat ist es oft billiger und bequemer, soziale Leistungen durch Dritte finanzieren zu lassen. Unter diesem Gesichtspunkt muß auch eine Kostenentlastung für Arbeitgeber ein hinreichendes Differenzierungskriterium sein. 234 EuGH, 13. 07. 1989, Rs. 171/88 (Rinner-Kühn), Slg. 1989, 2743 (2761, Tz. 13 f.); Ausschluß der Lohnfortzahlung für geringfügig Beschäftigte, vgl. Loritz, SAE 1992, 372. 235 Verordnungen des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 2.Dezember 1930 (RGBI. I S. 517) und vom 5. Juni 1931 (RGBI. I S. 279). 236 Vgl. Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge, EFZG, Einleitung A 6.

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Auch eine angeblich geringere Motivation Teilzeitbeschäftigter vermag keine rechtfertigende Wirkung zu entfalten. (bb) Lohnnebenkosten Grundsätzlich seien die Kosten eines Unternehmers wegen der Beschäftigung von Teilzeitkräften nicht rechtfertigend zu beriicksichtigen, weil die durch Teilzeitarbeit auch für den Unternehmer entstehenden Vorteile ebenfalls zu beriicksichtigen seien. 237 Etwas anderes könne nur gelten, wenn die Unternehmensstruktur derart ungünstig sei, daß sich Teilzeitarbeit überwiegend ungünstig auswirke. 238 Ohne Bedeutung sei das Kostenargument, wenn spezifische Kosten für weibliche Arbeitnehmer in Rede stünden, z. B. Mutterschaftsurlaub. Bei der Kostenbetrachtung ist jedoch zu beachten, daß nur wirkliche Kosten anerkannt werden dürfen. Das Argument, Teilzeitarbeit sei generell unrentabel, stimmt so nicht: Einem höheren Verwaltungsaufwand als bei der Beschäftigung von Vollzeitkräften239 steht nicht selten eine höhere Motivation, eine geringere zeitliche Belastung und damit eine bessere Arbeitsleistung von Teilzeitkräften gegenüber240. Gerade unter dem Gesichtspunkt der Arbeitszeitflexibilisierung liegt die Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen nicht selten im Interesse des Arbeitgebers. Andererseits existieren Gesichtspunkte, die Frauenarbeit teurer machen als Männerarbeit. Die Mehrkosten für Schwangerschaften und Arbeitsschutzeinrichtungen ausschließlich für Frauen sind nur die prägnantesten Beispiele. 241 Doch ist auch hier nicht einzusehen, warum allein der einzelne Unternehmer, der bereit ist, eine Frau einzustellen, die Kosten für den Ausfall der Frau bei Schwangerschaft und Mutterschaft tragen soll. 242 In Betracht käme eine Überwälzung des Risikos auf die Gesamtheit der Arbeitgeber durch Erhebung einer Umlage. 243 Folglich kann 237 238 239

Langenfeld, S. 217 f. EuGH, 13. 05. 1986, Rs. 170/84 (Bilka), Slg. 1986, 1607 (1627 ff.). Sieg, SAE 1982, 257 (261).

Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft Nr. 12/1988, S. 4 (5); Wank, RdA 1985, 1 (17 f.); Schlachter, S. 32. 241 Wank, Jura 1981, 393 (400); Coester-Waltjen, ZRP 1982, 217 (220 f.); Mayer-Maly, FS Hersehe!, S. 257 (267 f.); Köbl, S. 7. 242 Ähnlich Schlachter, S. 34. 243 Als Sonderabgabe unterliegt eine denkbare Abgabe für Mutterschutz bestimmten Voraussetzungen, soll sie verfassungsgemäß sein (vgl. allgemein BVerfGE 55, 274, 311 ff.): 1. Die Gruppe der Abgabenpflichtigen muß in sich homogen sein, also eine gemeinsame InteressenJage aufweisen. Dies trifft auf die Gruppe der Arbeitgeber zu, da sie ein Interesse haben, die Kosten für den Ausfall von Schwangeren gering zu halten. 2. Die Gruppe steht mit dem Abgabenzweck in einer engen, sachnahen Beziehung. Diese besondere Gruppenverantwortung ergibt sich für die Arbeitgeber aus dem Umstand, daß es ihre Arbeitnehmerinnen sind, die zumindest potentiell betroffen sind. 3. Das Abgabenaufkommen muß gruppennützig, 240

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

der Wille, Kosten einzusparen und die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu erhalten, durchaus geeignet sein, als objektives Bedürfnis eines Unternehmens eine mittelbare Benachteiligung zu rechtfertigen. 244 (cc) Sonstige Gründe Die Erhaltung oder Verbesserung des Unternehmensimage bzw. der Wunsch von Kunden, nur mit Männern arbeiten zu wollen, reicht zur Rechtfertigung auf keinen Fall, weil sonst Vorurteile gegenüber Frauen noch verstärkt werden.245 Dies ist nicht einmal ein sachlicher Grund. Körperliche Anforderungen, die von Frauen auf Grund der unterschiedlichen biologischen Konstitution wesentlich weniger oft erfüllt werden als von Männern, können je nach Fallgestaltung tatsächlich objektiv gerechtfertigt sein, z. B. das Erfordernis einer gewissen Mindestgröße, um aus dem Cockpit schauen zu können.246 Das Kriterium der Berufserfahrung wird oft zur Rechtfertigung angeführt. Nach der Rechtsprechung des EuGH darf nicht generell auf das Dienstalter zurückgegriffen werden, wenn keine Beziehung zwischen der Art der ausgeübten Tatigkeit und dem größeren Erfahrungswissen des Dienstälteren besteht. 247 Zurückgewiesen wurde auch das Kriterium der Flexibilität, wenn die Anpassungsfahigkeit des Arbeitnehmers an wechselnde Arbeitszeiten und Arbeitsorte honoriert werden soll. Anders verhält es sich jedoch, wenn eine Zulage für erhöhte Flexibilität gewährt wird, um die Qualität der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit zu vergüten. 248 (b) Spezielle Gründe im konkreten Fall

Die vom EuGH behauptete tatbestandliehe mittelbare Diskriminierung der teilzeitbeschäftigten Betriebsrätin beruht auf der Regelung des § 37 BetrVG, der bezüglich der Schulungsveranstaltungen in Absatz 6 auf die Lohnfortzahlung in Absatz 2 verweist. Hinter dieser Anordnung steht einmal das Lohnausfallprinzip und - eng damit verbunden - das Ehrenamtsprinzip. Fraglich ist, ob diese Prinzipien eine tatbestandsmäßige mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts zu also im Interesse der Abgabenpflichtigen, verwendet werden. Als Ausgleichsabgabe dient sie dem solidarischen Ausgleich von Mutterschutzlasten und dient der Kostensenkung bei den abgabenpflichtigen Arbeitgebern. 244 Vgl. auch Schlachter, S. 203. 245 Vgl. Wisskirchen, S. 114m. N. aus der amerikanischen Rechtsprechung. 246 Vgl. Wisskirchen, S. 114m. N. aus der amerikanischen Rechtsprechung. 247 EuGH, 07. 02. 1991, Rs. C-184/89 (Nirnz), Slg. 1991,1-1991,297 (319, Tz. 14). 248 EuGH, 17. 10. 1989, Rs. 109/88 (Handels- og Kontorfunktionaeremes Forbund i Danmark/Dansk Arbejdsgiverforening [für Danfoss A/ S]), Slg. 1989, 3199 (3226 ff.).

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rechtfertigen vermögen. In seinem Urteil in der Rechtssache Bötel249 hatte der EuGH ausgeschlossen, eine unterschiedliche Behandlung von vollzeitbeschäftigten und teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern damit zu rechtfertigen, daß diese allein auf die unterschiedliche Arbeitszeit zurückzuführen sei und die nach nationalem Recht bei Teilnahme an Schulungsveranstaltungen gezahlte Vergütung allein nach Maßgabe der nicht geleisteten Arbeitsstunden berechnet werde. Der Gerichtshof hatte diese Frage zuletzt zwar ausdrücklich offengelassen, doch den nationalen Gerichten Hinweise gegeben. Danach sei auf der einen Seite die durch das Prinzip der Unentgeltlichkeit des Amtes gewährleistete Unabhängigkeit von Betriebsräten bzw. Personalräten, die vom deutschen Gesetzgeber als wichtiger angesehen werde als wirtschaftliche Anreize für die Übernahme des Amtes, ein sozialpolitisches Ziel, das für sich genommen nichts mit einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zu tun habe. Auf der anderen Seite verhindere diese Ausgestaltung, daß sich aus der Gruppe der Teilzeitbeschäftigten, in der der Frauenanteil überwiege, Kandidaten für das Mitbestimmungsamt zur Verfügung stellten oder sich schulen ließen. 250 (aa) Amt im Mitbestimmungsorgan als Ehrenamt Für alle Mitbestimmungsorgane ist das Amt des Betriebsrats (§§ 37 Abs. 1, 78 Abs. 2 BetrVG), des Vertrauensmanns oder der Vertrauensfrau für Schwerbehinderte(§ 26 Abs. 1 SchwbG), des Personalrats(§ 46 Abs. 1 BPersVG) und des Mitglieds des Sprecherausschusses der leitenden Angestellten (§ 14 Abs. 1 SprAuG) vom Gesetzgeber als Ehrenamt ausgestaltet worden.251 Das Betriebsratsmitglied ist nicht Vertreter kraft Amtes, wie beispielsweise der Konkursverwalter, sondern Repräsentant der Belegschaft. Er kann also die Belegschaft nicht vertreten und Rechte, die den Arbeitnehmern des Betriebes zustehen, gerichtlich oder außergerichtlich geltend machen.252 Es handelt sich beim Betriebsratsamt um ein privatrechtliches Ehrenamt und kein Amt im öffentlich-rechtlichen Sinne. So bleibt das Rechtsverhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem einzelnen Betriebsrat mit gewissen inhaltlichen Modifikationen als Arbeitsverhältnis bestehen. 253 EuGH, 04. 06. 1992, Rs. C-360/90 (Böte)), Slg. 1992,1-3589 (3613 f.). EuGH, 06. 02. 1996, Rs. C-457 /93 (Lewark), Slg. 1996, 1-243 (270, Tz. 37); EuGH, 07. 03. 1996, Rs. C-278/93 (Freers u. Speckmann), Slg. 1996, 1-1165 (1193, Tz. 30). 251 Dies gilt ferner für die Mitglieder des Gesamtbetriebsrats (§51 Abs. 1 BetrVG), des Konzernbetriebsrats (§59 Abs. 1 BetrVG), der Jugend- und Auszubildendenvertretung sowie der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung (§ 73 Abs. 2 BetrVG), der Bordvertretung (§ 115 Abs. 4 BetrVG), des Seebetriebsrats (§ 116 Abs. 3 BetrVG) und ftir Arbeitnehmervertreter im Sinn von § 3 Abs. I Nr. 2 BetrVG entsprechend. 252 Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 37 Rn. 5; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 10 I (S. 167). 253 Vgl. ErfK/Eisemann, § 37 BetrVG, Rn. 1; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 37 Rn. I, 5. Mißverständlich insoweit v. Hoyningen-Huene, ebd., der davon ausgeht, daß die Amtstätigkeit der arbeitsvertraglich zu leistenden Arbeit gleichgesetzt werden müsse. 249

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7 Traupe

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Der Grundsatz des Ehrenamtes bedeutet, daß das Amt unentgeltlich zu führen ist. Betriebsratsmitglieder dürfen durch ihre Tätigkeit nicht in den Genuß finanzieller Vorteile gelangen. Auf der anderen Seite dürfen ihnen in arbeitsrechtlicher, in finanzieller und in beruflicher Hinsicht ebensowenig irgendwelche Nachteile entstehen. § 37 BetrVG ist insoweit eine Konkretisierung des § 78 Satz 2 BetrVG, der ein Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot für Betriebsräte normiert. Hierdurch wird die innere Unabhängigkeit und die unparteiische Amtsführung der Mitglieder betriebsverfassungsrechtlicher Organe geschützt. Das Verbot der Benachteiligung oder Begünstigung von Betriebsratsmitgliedern wegen der ehrenamtlichen Tätigkeit bedeutet keine Privilegierung, sondern nur die Sicherstellung der Gleichbehandlung mit den anderen Arbeitnehmern. 254 Flankiert wird diese Regelung durch den Aufwendungs- und Auslagenersatzanspruch des§ 40 BetrVG. Schutzzweck des § 37 BetrVG ist die Gewährleistung der äußeren und inneren Unabhängigkeit des einzelnen Betriebsratsmitglieds?55 Dies soll zu einer ordnungsgemäßen und sachdienlichen Betriebsratsarbeit beitragen. Insbesondere soll die Amtsausübung der Betriebsratsmitglieder nicht durch den Erhalt oder den drohenden Verlust von materiellen Sondervorteilen beeinflußt werden. Deshalb ist bereits der äußere Anschein zu vermeiden, der Arbeitgeber nehme durch die Zuwendung von Vorteilen in irgendeiner Form Einfluß auf die Tätigkeit des Betriebsrats. Die vom Betriebsrat vertretenen Arbeitnehmer können daher sicher sein, daß die vom Betriebsrat mitzutragenden und für die Arbeitnehmerschaft zwangsläufig auch mit Nachteilen verbundenen Entscheidungen, die beispielsweise Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte betreffen, wie Kündigung oder Aufstellung eines Sozialplanes, in innerer und äußerer Unabhängigkeit vom Arbeitgeber getroffen worden sind. Der Sicherstellung der äußeren Unabhängigkeit dienen die Absätze 4 und 5, die eine generelle wirtschaftliche und berufliche Absicherung des Organmitglieds vorsehen. Hingegen wird durch die Unentgeltlichkeit der Amtstätigkeit die innere Unabhängigkeit gesichert. Deshalb ist der Begriff der Unentgeltlichkeit sehr streng zu verstehen. 256 Folge ist, daß dem Betriebsratsmitglied für seine Amtstätigkeit weder mittelbar noch versteckt eine Vergütung zukommen darf. Das Gesetz verbietet die Zuwendung jedes geldlichen oder geldwerten Vorteils. So ist die Weiterzahlung des Gehaltes für nicht notwendige Arbeitsversäumnis ebensowenig erlaubt wie die Zuweisung einer besonders verbilligten Werkswohnung, die Gewährung besonders günstiger Konditionen bei einem Firmendarlehen, die Einräumung von zusätzlichen Urlaubstagen, die Zahlung von Sitzungsgeldern oder einer Aufwandsentschädigung neben dem fortgezahlten Lohn bzw. die zur Erfüllung der Aufgaben nicht erforderliche Freistellung von der Arbeit. 257 FittingiKaiseriHeitheriEngels, § 78 Rn. 12. Ausführlichjetzt auch BAG, AP Nr. 123 zu§ 37 BetrVG 1972 ==OB 1998,373 (375). 256 Allg. Ansicht: BAG, 20. 10. 1993-7 AZR 581192 (A), AP Nr. 90 zu § 37 BetrVG 1972 =OB 1994, 334; schon RAG, 08. 02. 1928, BenshSlg. 2, 36 (38); BlankeiWedde in: Oäubler I Kittner I Klebe, § 37 Rn. 3; Richardi, § 37 Rn. 6; Fitting I Kaiser I Heither I Engels, § 37 Rn. 6; v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, § 10 I (S. 167). 254 255

A. Die Rechtsgrundlagen des Buroparechts

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Daneben soll der Arbeitnehmerstatus des Amtsinhabers erhalten bleiben, um Glaubwürdigkeit und Effizienz des Amtswalters gegenüber den von ihm repräsentierten Belegschaftsmitgliedern zu sichern. Er soll mit ihrem beruflichen Schicksal verbunden bleiben sowie seine berufliche Stellung im Betrieb und seiner Gruppe oder Abteilung behalten. 258 Unter rechtspolitischen Gesichtspunkten sind an der bestehenden Konzeption Zweifel angemeldet worden. Schon nach geltendem Recht werde das Betriebsratsmitglied "für" seine Tätigkeit entlohnt. Denn der Arbeitsausfall, für den er den Lohn erhielte, beruhe notwendig auf der Amtstätigkeit Auch benachteilige die jetzige Regelung ein nach § 38 BetrVG freigestelltes Betriebsratsmitglied erheblich, wenn dieses seine Betriebsratsarbeit weiter durchführen müsse, ohne dafür entlohnt zu werden, obwohl vergleichbare Arbeitnehmer ihre Arbeit eingestellt hätten. Würde seine Amtstätigkeit direkt vergütet, wäre seine Arbeitsmotivation in solchen Fallgestaltungen höher. Im übrigen bestimme allein die Höhe der Bezahlung die Einflußnahmemöglichkeit des Arbeitgebers. Eine Gefahr für die Unabhängigkeit bestünde aber dann nicht, wenn die Höhe der Vergütung sich nach dem Einkommen vergleichbarer Arbeitnehmer richte. 259 Hierbei wird aber übersehen, daß das Ehrenamtsprinzip davon ausgeht, daß bis zu einem gewissen Grad Freizeit vom Amtsträger geopfert werden muß. Auch soll bereits der objektive Anschein, also der bloße Verdacht der Beeinflussung vermieden werden, und nicht nur die tatsächliche Einflußnahme selbst, die sicherlich wesentlich durch die Höhe der Bezahlung bestimmt ist. Entscheidend gegen eine Vergütung der Amtstätigkeit spricht aber der Gedanke der Gleichbehandlung, der sich dann nicht mehr durchhalten ließe. Betriebsratsmitglieder würden für gleiche oder mindestens vergleichbare Tätigkeiten je nach Herkommen und Lohnniveau der mit ihnen vergleichbaren Arbeitnehmer eine ganz unterschiedliche Vergütung erhalten. Die besseren Gründe sprechen also gegen eine Abkehr vom Ehrenamtsprinzip. Unter diesem Blickwinkel ist die Lohnweitergewährung an teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder zu würdigen. Erhielten sie über die individuelle Arbeitszeit hinaus eine Vergütung "für" die Teilnahme an der Schulungsveranstaltung, wäre das Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG berührt und das Ehrenamtsprinzip des § 37 Abs. 1 BetrVG in Frage gestellt. Teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder würden dann eine zusätzliche Vergütung erhalten, was eine Bevorzugung gegenüber vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern darstellen würde, die für aufgewendete Zeit jenseits der betrieblichen Vollarbeitszeit keine weitere Vergütung erhielten. Demgegenüber kann nicht eingewandt werden, der Vergütungsanspruch für das Freizeitopfer stelle gerade keine Begünstigung dar, sondern eine Ge257 V gl. BAG, 01. 03. 1963-1 ABR 3/62, AP Nr. 8 zu § 37 BetrVG 1952; Richardi, § 37 Rn. 7 ff.; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 37 Rn. 7; Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 37 Rn. 9; Dütz/Säcker, DB 1972, Beilage Nr. 17, S. 5. 258 Vgl. Dütz /Säcker, DB 1972, Beilage Nr. 17, S. 5. 259 Knipper, S. 87 ff.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

genleistung für betriebsbedingte Tätigkeit. Dieses Freizeitopfer müßten Teilzeitbeschäftigte "regelmäßiger" als Vollzeitkräfte erbringen. 260 Genausowenig kann der Ansicht gefolgt werden, der Freizeitausgleich sei im Gesetz vorgesehen, daher könne in der Gewährung von Freizeitausgleich durch den Arbeitgeber keine Bevorzugung und damit Gefährdung der Unabhängigkeit des Betriebsratsmitglieds liegen. 261 Hier offenbart sich eine fehlende Einsicht in die Wertentscheidung und die Systematik des Gesetzes. Aus dem Ehrenamtsprinzip folgt, daß die Betriebsratstätigkeit als solche nicht vergütet wird, um eine Einflußnahme auf das Organmitglied durch den Arbeitgeber zu verhindern. Schon gar nicht wird die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung vergütet. Die Schulungsteilnahme stellt erst recht keine "betriebsbedingte Tätigkeit" dar. Das Gesetz unterscheidet deutlich zwischen Betriebsratsarbeit und Teilnahme an Schulungsveranstaltungen. Betriebsbedingt ist die Teilnahme an solchen Veranstaltungen nie. Diskutiert werden kann allenfalls, ob das Freizeitopfer "betriebsratsbedingt" ist, weil Zeit der Schulung und Lage der Arbeitszeit für ein teilzeitbeschäftigtes Betriebsratsmitglied inkompatibel sind. Die Unentgeltlichkeit des Amtes bedeutet letztlich, daß ein Betriebsrat gegebenenfalls Freizeit ersatzlos aufwenden muß, solange das Gesetz nicht ausdrücklich Gegenteiliges bestimmt. 262 Der Rekurs auf den gesetzlich vorgesehenen Freizeitausgleich verfängt ebensowenig. Denn dieser ist nur in § 37 Abs. 3 BetrVG erwähnt, auf den Abs. 6 des § 37 BetrVG gerade nicht verweist.Z63 Indem der Gesetzgeber zusätzliche Sonderzahlungen verboten hat, kommt sein Wille zum Ausdruck, die Unabhängigkeit des Amtes in einem Mitbestimmungsorgan höher zu bewerten als wirtschaftliche Anreize zur Übernahme des Amtes, um eine sachgerechte Durchführung der betriebsverfassungsrechtlichen Mitwirkung und Mitbestimmung zum Wohle und zum Nutzen der Arbeitnehmerschaft zu gewährleisten. Diese sozialpolitische Entscheidung ist eine gesetzgebefische Zielsetzung, die nichts mit einer Diskriminierung wegen des Geschlechts zu tun hat. Das Ehrenamtsprinzip vermag also die tatbestandliehe mittelbare Diskriminierung zu rechtfertigen. (bb) Lohnausfallprinzip Das Lohnausfallprinzip ist unmittelbare und notwendige Konsequenz der Pflicht zur ehrenamtlichen Betätigung des Betriebsrats und des Verbots jeglicher Bevorzugung bzw. Benachteiligung der Betriebsratsmitglieder.264 Es stellt die Konkretisierung der Ehrenamtlichkeit im Hinblick auf die Vergütungsansprüche des Betriebsrats dar. 260

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Schlachter, S. 201. So: Deinert, NZA 1997, 183 (186).

262 BAG, 27. 06. 1990-7 AZR 292/89, AP Nr. 76 zu§ 37 BetrVG 1972 unter II 3 der Gründe; BAG, AP Nr. 90 zu§ 37 BetrVG 1972 unter II 2 der Gründe. 263 Zur analogen Anwendung des § 37 Abs. 3 BetrVG, die von Deinert aber nicht diskutiert wird, vgl. 2. Kap. B IV. 264 BAG, AP Nr. 90 zu§ 37 BetrVG 1972 unter III 4 c der Gründe.

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(1) Herkunft

Bereits § 35 Betriebsrätegesetz 1920265 sah vor, daß die Mitglieder der Betriebsräte und ihre Stellvertreter ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt verwalten. Die notwendige Versäumung von Arbeitszeit durfte eine Minderung der Entlohnung oder Gehaltszahlung nicht zur Folge haben. Diese Bestimmung war dem§ 13 der preußischen Ausführungsbestimmungen zum Hilfsdienstgesetz nachgebildet. Dadurch sollte sichergestellt werden, daß die Betriebsvertretung in völliger Unabhängigkeit und Unparteilichkeit arbeiten konnte. 266 § 37 BetrVG 1952 übernahm diese Grundgedanken und normierte zusätzlich einen Freistellungsanspruch für Betriebsratsmitglieder, wenn und soweit dies für die ordnungsgemäße Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich war. Die Neufassung des § 37 BetrVG durch das Betriebsverfassungsgesetz 1972 führte unter anderem den Anspruch auf Teilnahme an Schulungsveranstaltungen ein. Am Prinzip der ehrenamtlichen und unentgeltlichen Amtsführung wurde über alle Änderungen hinweg festgehalten, im übrigen genauso wie an der Kostentragung durch den Arbeitgeber. (2) Sinn

Dem Betriebsratsmitglied dürfen aus der Wahrnehmung seiner Amtspflichten keine Nachteile entstehen. Dies gilt auch im Hinblick auf die Lohnzahlung. So bedarf es hierfür einer besonderen Regelung. Zwei Ausgestaltungen sind denkbar. 267 Zum einen könnte die Lohnweiterzahlung durch einen eigenständigen gesetzlichen Vergütungsanspruch gesichert werden, der vom vertraglichen Lohnanspruch unabhängig ist. Konsequenz dieser Konzeption ist, daß der Vergütungsanspruch auch dann nicht entfällt, wenn der vertragliche Lohnanspruch aus anderen Griinden als der Ausübung des Betriebsratsamts nicht entsteht. 268 Dies ist die Regelung des Gesetzes für Betriebsversammlungen nach §§ 17 und 43 Abs. 1 BetrVG. Die Zeit der Teilnahme wird wie Arbeitszeit vergütet (§ 44 Abs. 1 BetrVG). Zum anderen kann das Gesetz bestimmen, daß der vertragliche Lohn- oder Gehaltsanspruch fortbesteht, obwohl wegen der Betriebsratstätigkeit die Arbeitsleistung nicht erbracht worden ist. In diesem Fall entsteht der Anspruch, wenn ohne die Betriebsratstätigkeit am Arbeitsplatz gearbeitet worden wäre. Dies ist die Konzeption des§ 37 Abs. 2 BetrVG. Das sogenannte Lohnausfallprinzip wird mitunter 265 Das Betriebsrätegesetz wurde von der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversanunlung auf der Grundlage von Art. 165 Abs. 6 WRV am 18. 01. 1920 verabschiedet und trat am 04. 02. 1920 in Kraft, RGBl. S. 147. 266 Mansfeld, § 35 Anm. 1; Flatow, § 35 Anm. 3; Gürteler, § 35 Anm. l. 267 Vgl. dazu MünchArbR/ Joost, § 300 Rn. 24. 268 MünchArbR/ Joost, § 300 Rn. 24; § 304 Rn. 89.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

etwas weniger mißverständlich auch "Lohnweiterzahlungsprinzip"269 genannt. Denn der Lohn wird weitergezahlt; er fallt gerade nicht aus. (3) Tatbestand und Anwendbarkeit

Hinter dem Lohnausfallprinzip des § 37 Abs. 2 BetrVG verbirgt sich deshalb eine "Als-ob-Betrachtung": Das Betriebsratsmitglied erhält den Lohn weitergezahlt, den es erhalten hätte, wenn es an seinem Arbeitsplatz gearbeitet hätte. Es wird hierdurch kein eigenständiger Lohnanspruch begründet. Vielmehr geht der Anspruch auf die Weiterzahlung des individuellen Arbeitsentgelts. Rechtsgrundlage hierfür ist der Arbeitsvertrag i. V. m. § 611 Abs. I BGB.270 Unter den Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 BetrVG bleibt der ursprüngliche Entgeltanspruch bestehen, obwohl die Gegenleistung, die Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeit, nicht erbracht worden ist (vgl. oben 2. Kap. A II 2 c dd (a)). Ist das Betriebsratsmitglied normalerweise Zeitlohnempfänger, ist die Arbeitsversäumnis als Arbeitszeit zu bewerten. Arbeitet es hingegen im Akkord, richtet sich die Vergütung nach der durchschnittlichen bisherigen Arbeitsleistung, wobei der Durchschnittsverdienst der letzten Lohnabrechnungsperiode zugrunde gelegt wird. 271 Bestandteile des weiterzugewährenden Arbeitsentgelts sind auch Zulagen (Erschwerniszulage) und Zuschläge (z. B. für Nacht- und Sonntagsarbeit) sowie allgemeine Zuwendungen, wie Gratifikation, Urlaubsgeld, Anwesenheitsprämie.272 Auf der anderen Seite hat dies zur Folge, daß das Betriebsratsmitglied den Lohn trotz Betriebsratstätigkeit nicht weitergezahlt bekommt, wenn aus besonderen Gründen der Vergütungsanspruch aus dem Arbeitsverhältnis nicht besteht: Anerkannt ist, daß in gewissen Fällen, in denen der Arbeitgeber beispielsweise nach der Betriebsrisikolehre von der Lohnzahlung befreit ist, er auch den Lohn für Zeiten der Betriebsratstätigkeit oder einer Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6 i. V. m. Abs. 2 BetrVG nicht weiterzuzahlen braucht. Bei Schlechtwettertagen im Baugewerbe war nach der alten Regelung nur das Schlechtwettergeld fortzuzahlen. 273 Der Umstand, daß das Betriebsratsmitglied MünchArbR/ Joost, § 300 Rn. 26. St. Rspr. : BAG, AP Nr. 1 zu§ 37 BetrVG 1972 unter 1 der Gründe; BAG, AP Nr. 55 zu § 37 BetrVG 1972 unter 3 a der Gründe. 271 Ist dies nicht möglich, ist der Durchschnittslohn der während der Zeit der Arbeitsversäumnis im Leistungslohn beschäftigten vergleichbaren Arbeitnehmer im Betrieb weiterzuzahlen, Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 37 Rn. 44; Löwisch, § 37 Rn. 14. 272 BAG, 21. 04. 1983-6 AZR 407/80, AP Nr. 43 zu § 37 BetrVG 1972; Wlotzke, § 37 Anm.2. 273 BAG, 23. 04. 1974-1 AZR 139173, AP Nr. 11 zu § 37 BetrVG 1972; BAG, 20. 07. 1977-5 AZR 658176, AP Nr. 1 zu § 720 RVO; LAG Düsseldorf, DB 1973, 577 = BB 1973, 334; Richardi, § 37 Rn. 32; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 37 Rn. 54 u. 147;, GK-BetrVG/ Wiese,§ 37 Rn. 56; Künzl, ZfA 1993, 341 (369). 269

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während dieser Zeit uneingeschränkt für den Betriebsrat tätig gewesen ist, ändert an diesem Ergebnis nichts. Statt des Schlechtwettergeldes könnte es den Durchschnittslohn nur beanspruchen, wenn tatsächlich die Betriebsratstätigkeit als solche vergütet würde. So aber ist zu fragen, was der Betriebsrat verdient hätte, wenn er an seinem Arbeitsplatz gearbeitet hätte. Dann hätte er witterungsbedingt nur Schlechtwettergeld erhalten. Auch bei Kurzarbeit besteht nur ein Anspruch auf das entsprechend gekürzte Arbeitsentgelt.274 Denn dem Lohnausfallprinzip folgend hätte das Betriebsratsmitglied an seinem Arbeitsplatz einen der Kurzarbeit entsprechenden, also gekürzten, Entgeltanspruch erworben. Daneben besteht ein Anspruch auf Kurzarbeitergeld gegen die Bundesanstalt für Arbeit. Wenn in der Literatur275 geltend gemacht wird, daß ein Betriebsratsmitglied, das während einer Kurzarbeitsperiode aus betriebsbedingten Gründen Betriebsratstätigkeit ausübe, Anspruch auf die übliche Vergütung ohne Mehrarbeitszuschläge gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG habe, kann dem nicht gefolgt werden. Denn dies würde auf eine Vergütung der Betriebsratstätigkeit unter Hintanstellung des Lohnausfallprinzips hinauslaufen. Demgegenüber ließe sich der Anspruch aus § 37 Abs. 3 BetrVG herleiten. Doch ist dies Tatfrage des Einzelfalles.276 Für den Fall eines Streiks im Betrieb während der Schulungsveranstaltung, für die das Betriebsratsmitglied freigestellt war, stellt sich die Rechtslage etwas komplizierter dar. Der I. Senat des BAG nahm an, daß das vor Beginn des Arbeitskampfes freigestellte Mitglied seinen Arbeitsentgeltanspruch nicht deshalb verliere, weil im Betrieb während dieser Zeit gestreikt werde. Auch komme es nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer sich am Streik beteiligt hätte, wenn er nicht nach § 37 Abs. 6 BetrVG von der Arbeit freigestellt worden wäre. Vielmehr sei für die Lohnweiterzahlung entscheidend, ob der Arbeitnehmer seine Teilnahme am Streik trotz der Arbeitsfreistellung erkläre oder sich tatsächlich am Streikgeschehen beteilige. 277 Dagegen nahm das LAG Hamm278 an, der Lohnanspruch entfalle bereits dann, wenn sich das Betriebsratsmitglied ohne die Schulung am Streik beteiligt hätte. Für die erste Ansicht spricht, daß der Arbeitnehmer nur dann seines Entgeltanspruchs verlustig geht, wenn er sich am Streik beteiligt. Die Beteiligung am Arbeitskampf muß der Arbeitnehmer ausdrücklich oder konkludent durch sein Han274 LAG Harrun, DB 1993, 1044; ArbG Aachen, BB 1975, 136; BlankeiWedde in: Däubler/Kittner/Klebe, § 37 Rn. 49; FittingiKaiseriHeitheriEngels, § 37 Rn. 54 u. 147; GKBetrVG I Wiese, § 37 Rn. 56; Künzl, ZfA 1993, 341 (369); Schiefer; NZA 93, 822 (826). 275 Däubler; Ratgeber Arbeitsrecht, S. 104; BlankeiWedde in: Däubler/Kittner/Klebe, § 37 Rz. 49. 276 So Fitting I Kaiser I Heither I Engels, § 37 Rn. 54. 277 BAG, 15. 01. 1991-1 AZR 178/90, AP Nr. 114 zu Art. 9 GG- Arbeitskampf- = NZA 1991,604 (605 f.); FittingiKaiseriHeitheriEngels, § 37 Rn. 148. 278 DB 1990, 2274.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

dein, z. B. als Streikposten, erklären. Bleibt er erkennbar aus anderen Gründen der Arbeit fern, weil er arbeitsunfähig krank ist oder sich im Urlaub befindet, behält er trotz des Streiks seinen Lohnanspruch. Ist das Betriebsratsmitglied also bereits vor Beginn des Streiks von der Arbeitspflicht befreit, entfällt der Vergütungsweiterzahlungsanspruch nur, wenn es ausdrücklich oder konkludent erklärt, es beteilige sich am Streik, weil ansonsten der Arbeitgeber aus dem Fernbleiben des Arbeitnehmers nicht auf die Streikbeteiligung schließen kann. Nimmt ein Betriebsratsmitglied während eines Arbeitskampfes Betriebsratsaufgaben wahr, obwohl er ausgesperrt ist, hat er keinen Anspruch auf Weiterzahlung seines Arbeitsentgelts. Auch dies ist eine Konsequenz des Lohnausfallprinzips. Ohne die Wahrnehmung der Betriebsratsaufgaben hätte das Betriebsratsmitglied ebensowenig wie die übrigen Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse suspendiert waren, arbeiten und dadurch einen Entgeltanspruch erlangen können. 279 Daran vermag auch der Einwand nichts zu ändern, daß die Aussperrung nur die arbeitsvertragliehen Pflichten und nicht die auf dem Gesetz beruhenden Tätigkeiten des Betriebsrats berühre280. Denn der Einwand geht am Kern des Problems vorbei: Entscheidender Anknüpfungspunkt für die Lohnweiterzahlung ist das Arbeitsverhältnis, nicht die Tätigkeit als Betriebsrat. Das Arbeitsverhältnis ist aber durch die Aussperrung suspendiert, so daß dadurch die Anknüpfung für die Lohnweiterzahlung entfällt. Eine andere Frage ist, ob das als unbillig empfundene Ergebnis durch die Annahme korrigiert werden kann, das ausgesperrte, aber dennoch Tätigkeiten für den Betriebsrat verrichtende Organmitglied könne einem Arbeitnehmer gleichgestellt werden, der Erhaltungs-(Notstands-)arbeiten verrichtet. 281 Akzeptiere man das Ergebnis der Rechtsprechung, bedeute dies eine Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds gegenüber dem normalen Arbeitnehmer, der die freie Zeit während der Aussperrung gewinnbringend hätte nutzen können. Dagegen spricht jedoch, daß die Arbeitspflicht des für Erhaltungs- oder Notstandsarbeiten eingesetzten Arbeitnehmers im Gegensatz zu den anderen am Arbeitskampf beteiligten Arbeitnehmern und folglich auch den Betriebsratsmitgliedern nicht suspendiert ist. Allerdings ist der Rechtsgrund für die Erhaltungsarbeiten bislang ungeklärt. Nach Brox!Rüthers ergibt er sich aus der vertraglichen Treuepflicht, die auch durch einen rechtmäßigen Arbeitskampf nicht suspendiert sei. 282 Diese Betrachtung berührt jedoch nicht die Arbeitspflicht, die auf besonderer Vereinbarung beruht, welche dann die durch den Arbeitskampf suspendierte Arbeitspflicht wieder aufleben läßt.

279 BAG, 25. 10. 1988-1 AZR 368/87, AP Nr. 110 zu Art. 9 GG- Arbeitskampf -; Hess/Schlocfuluer/Glaubitz, § 37 Rn. 48. 280 So Blanke/Wedde in: Däubler/Kittner/Kiebe, § 37 Rz.54. 281 So Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 624; Brox, Anm. zu BAG, AP Nr. 110 zu Art. 9 GG Arbeitskampfrecht 282 Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn. 288 ff., 291.

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Überdies würden bei einer solchen Gleichstellung, wie sie Brox!Rüthers vornehmen, die Wertungen des § 37 Abs. 2, 3 BetrVG unterlaufen. Das Ehrenamtsprinzip wäre verletzt. Der Betriebsrat würde für seine Arbeit entlohnt. Hier hilft nur der Hinweis, daß bei einem Ehrenamt auch ein gewisses Maß an Freizeit eingesetzt werden muß, ohne daß schon von einer Benachteiligung gegenüber anderen Arbeitnehmern gesprochen werden kann. Ein anderer Begründungsversuch geht dahin, den Anspruch zumindest für einen Ausnahmefall aus § 37 Abs. 3 BetrVG herzuleiten. Dies kommt beispielsweise in Betracht, wenn der Arbeitgeber während des Arbeitskampfes bei Angelegenheiten, denen ein Kampfbezug fehlt, Beteiligungsrechte des Betriebsrats beachten muß und deshalb hierfür den Betriebsrat einschaltet. Dann hat das Betriebsratsmitglied einen Anspruch nach § 37 Abs. 3 BetrVG, da die Beteiligung des Betriebsrats aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit erfolgt. 283 Wenn jedoch das Betriebsratsmitglied Betriebsratsarbeit bei Gelegenheit der Aussperrung erledigt, führt dies nicht zu einem Entgeltanspruch. Ebensowenig besteht ein Anspruch auf Lohnweiterzahlung bzw. Freizeitausgleich bei einer Schulung an einem Tag, der auf Grund einer Betriebsvereinbarung arbeitsfrei war, indem die Arbeitszeit von diesem Tag auf andere Zeitpunkte verlegt wurde. 284 Auch ohne die Teilnahme an der Schulungsveranstaltung hätte das Betriebsratsmitglied an jenem Tag nicht zu arbeiten brauchen. Wenn sein Arbeitszeitkonto mit dem durchschnittlichen täglichen Stundensatz belastet wurde, so erfuhr er hierdurch keine Benachteiligung, weil alle Arbeitnehmer diesen freien Tag in irgendeiner Form vor- oder nacharbeiten mußten. Sein Nachteil bestand darin, den freien Tag nicht zur eigenen Disposition zu haben. Vor diesem Nachteil vermag aber auch die allgemeine Regelung des § 78 Satz 2 BetrVG nicht zu schützen, zumal in § 37 Abs. 3 BetrVG ein Freizeitausgleich für diesen Fall nicht vorgesehen ist. Wenn im Betrieb des zur Schulung entsandten Betriebsratsmitglieds die Vier-Tage-Woche eingeführt ist und die Schulung (auch) an einem eigentlich arbeitsfreien Tag stattfindet, ergibt sich aus diesem Umstand für das Betriebsratsmitglied kein Vergütungsanspruch. Entsprechendes gilt bei der Teilnahme an Schulungsveranstaltungen für außerhalb der Arbeitszeit liegende An- und Abreisezeiten. Auch hier besteht für diese Zeiten kein Vergütungsanspruch. Dies folgt aus der gesetzlichen Anordnung des § 37 Abs. 6 BetrVG, der nicht auf den Absatz 3 verweist. 285 Das Lohnausfallprinzip gilt gleichermaßen für vollzeitbeschäftigte wie für teilzeitbeschäftigte Mitglieder des Betriebsrats. Danach sind die an SchulungsveranFitting I Kaiser I Heither I Engels, § 37 Rn. 48. BAG, AP Nr. 76 zu § 37 BetrVG 1972. 285 BAG, 18. 09. 1973 - 1 AZR 102173, APNr. 3 zu§ 37 BetrVG 1972; 19. 07. 1977 - 1 AZR 302174, AP Nr. 31 zu§ 37 BetrVG 1972. 283

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

staltungen teilnehmenden Betriebsräte so zu stellen, als ob sie im Betrieb verblieben wären und gearbeitet hätten. Keineswegs ist die Teilnahme an der Schulungsveranstaltung als unmittelbare, wie Arbeit zu vergütende Betriebsratsarbeit anzusehen.Z86 Das BetrVG enthält ein ausdifferenziertes und fein abgestuftes System, das deutlich zwischen Betriebsratstätigkeit und Teilnahme an Schulungen unterscheidet. Die Mitglieder des Betriebsrats, die eine Schulungsveranstaltung besuchen, sollen die Vergütung beziehen, die sie auch ohne den Besuch der Schulung an ihrem Arbeitsplatz erhalten hätten. Auf diese Weise sollen sie vor finanziellen Nachteilen durch Lohneinbußen bewahrt werden, die notwendige Folge wären, gäbe es diese Regelung nicht. Denn die Betriebsratsmitglieder erbringen während der Schulungszeit keine Arbeitsleistung, hätten also an sich keinen Anspruch auf das der unterbliebenen Arbeitsleistung entsprechende Entgelt. Die gesetzliche Anordnung in§ 37 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 BetrVG, die den Vergütungsanspruch auch für die wegen Betriebsratsschulungen versäumte Zeit bestehen läßt, ist eine Konkretisierung des in § 78 Satz 2 BetrVG verankerten Benachteiligungsverbots. 287 Gleichzeitig wird ebenso das dort normierte Begünstigungsverbot umgesetzt. Betriebsratsmitglieder sollen nicht für die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen entlohnt werden. Grenze der Lohnfortzahlung ist also die individuelle Arbeitszeit des Betriebsrates, keineswegs die Dauer der Schulungsveranstaltung. Dauert die Veranstaltung über die individuelle Arbeitszeit hinaus, erhält weder ein vollzeitbeschäftigter noch ein teilzeitbeschäftigter Kollege eine zusätzliche Vergütung. Insofern werden nicht nur von teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern mitunter Freizeitopfer erwartet. Daß hier ein Freizeitopfer erbracht werden muß, ist Ausfluß der Ehrenamtlichkeit der Betriebsratstätigkeit Das Verbot des § 78 Satz 2 BetrVG ist ohne dieses "Restrisiko", mitunter ein Freizeitopfer erbringen zu müssen, nicht umsetzbar. Nur wenn dies auch rechtspolitisch akzeptiert wird, kann das Konzept der Ehrenamtlichkeit aufgehen. 288 Dieses Ergebnis wird auch durch einen Vergleich mit der Lösung bestätigt, wie sie im Fall der Zuschläge für Überschreiten der regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit entwickelt worden ist: Der Zweck der Mehrarbeitszuschläge besteht nicht darin, ein Freizeitopfer des Arbeitnehmers, sondern eine grundsätzlich zu vermeidende besondere Arbeitsbelastung durch ein zusätzliches Entgelt auszugleichen. 289 Die individuelle Dispositionsfreiheit des Arbeitnehmers ist also genausowenig wie bei § 37 BetrVG Schutzzweck der Norm. Im Fall des § 37 BetrVG wird keine ArBAG, AP Nr. 3 zu§ 37 BetrVG 1972 unter 3 der Gründe. BAG, AP Nr. 90 zu§ 37 BetrVG 1972 unter III 4 b der Gründe. 288 Dann entfällt auch der Einwand Deinerts, NZA 1997, 183 (187), derangesichtsder Unmöglichkeit, das gesetzgebensehe Ziel der Unabhängigkeit der Betriebsräte durch Vermeidung von Bevorzugungen und Benachteiligungen zu erreichen, das Lohnausfallprinzip insgesamt nicht für geeignet hält, eine mittelbare Diskriminierung zu rechtfertigen. 289 BAG, 21. II. 1991-6 AZR 551/89, AP Nr. 2 zu§ 34 BAT; AP Nr. 11 zu§ I TVGTarifverträge: Chemie-; Amdt, NZA 1989, Beilage 3, S. 8 (I 0). 286 287

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beitsleistung im Betriebsratsamt und erst recht nicht bei der Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung vergütet, sondern der Betriebsrat vor einer Lohneinbuße bewahrt. Deshalb besteht weder ein Bedürfnis für den Ausgleich von entgangener Freizeit noch für den Ausgleich von Mehrarbeit. (c) Verhältnismäßigkeitsprüfung

Nach der Rechtsprechung des EuGH schließt sich hieran die Prüfung an, ob die Ungleichbehandlung zur Erreichung des legitimen sozialpolitischen Zieles geeignet und erforderlich ist. Damit ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung umschrieben?90 Der Mitgliedstaat darf zur Erreichung seines sozialpolitischen Ziels keine untauglichen Mittel einsetzen. Das gleiche Ziel darf nicht auch mit anderen, vergleichbaren Mitteln zu erreichen sein. Schließlich dürfen die durch die Ungleichbehandlung auftretenden Nachteile zu den angestrebten Zielen nicht außer Verhältnis stehen. Die Nachteile müssen daher unter Würdigung aller Umstände zurnutbar sein. Der EuGH hat in diesem Zusammenhang den Hinweis gegeben, daß bei der Abwägung zu berücksichtigen sei, das Lohnausfallprinzip hindere Teilzeitkräfte, ein Betriebsratsamt auszuüben bzw. sich hierfür schulen zu lassen. (aa) Geeignetheit Die durch das Lohnausfallprinzip verursachte Ungleichbehandlung von teilzeitbeschäftigten und vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern ist als notwendige Folge der Ausgestaltung des Betriebsratsamtes als Ehrenamt geeignet, die Unabhängigkeit des Betriebsratsamtes vor äußerer Einflußnahme sicherzustellen. Betriebsräte erhalten auch für Betriebsratstätigkeit in der Freizeit keine höhere Vergütung, wenn dies nicht aus betriebsbedingten Gründen geschehen ist. Dadurch ist gewährleistet, daß sich Betriebsratsmitglieder nicht einen geldwerten Vorteil verschaffen können, der den übrigen Arbeitnehmern ebenfalls nicht zukommt. (bb) Erforderlichkeil Fraglich ist, ob der Ausschluß der Lohnweiterzahlung auch erforderlich ist, um das angestrebte sozialpolitische Ziel zu erreichen. Nur indem Betriebsräte unter keinen Umständen- auch nicht eine kleine Gruppe unter ihnen- für ihre Tatigkeit oder die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen von ihrem Arbeitgeber einen finanziellen Vorteil erhalten, ist die notwendige Unabhängigkeit der Mandatsträger sichergestellt. Eine Ausnahme würde das Ehrenamtsprinzip insgesamt in Frage stellen. Im übrigen ließe sich eine Korrektur nicht auf Schulungs- und Bildungsveranstaltungen begrenzen, sondern müßte für die gesamte Betriebsratstätigkeit gelten. 291 Ein milderes Mittel als das Verbot, die Tatigkeit wie die Schulungsteil290

So auch BAG, AP Nr. 123 zu§ 37 BetrVG 1972 = DB 1998,373 (375 f.).

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

nahme durch den Arbeitgeber bezahlen zu lassen, ist nicht ersichtlich, um das Ziel der unentgeltlichen ehrenamtlichen Amtsführung zu erreichen. Dies ist in der Rechtsprechung des BAG bereits angedeutet, wenn dort die Finanzierung einer gewerkschaftlichen Schulungstätigkeit durch den Arbeitgeber als geeignet angesehen wird, die Unabhängigkeit der Gewerkschaften zu gefährden. 292 Im übrigen wäre allenfalls ein völlig anderes Finanzierungsmodell geeignet, die Unabhängigkeit der Betriebsräte sicherzustellen, so wie nach dem Ehrenamtsprinzip. Dazu müßte die Tätigkeit der Betriebsratsmitglieder durch die Arbeitnehmer des Betriebes selbst vergütet werden.Z93 Daß dieses Modell mehr als nur Theorie ist, zeigt die Rechtslage in Österreich. Dort ist der Betriebsinhaber grundsätzlich nur verpflichtet, sächliche Mittel wie Räumlichkeiten unentgeltlich zur Verfügung zu stellen (§ 72 ArbVG294). Die Kosten der Geschäftsführung des Betriebsrats durch zusätzlichen Sach- und Personalaufwand können dagegen durch eine Umlage der Arbeitnehmer im jeweiligen Betrieb finanziert werden(§ 73 ArbVG).Z95 Zu denken wäre auch an eine Kostenteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern des Betriebes. Dies entspräche auch besser der "interessendualistischen Konzeption"296 des geltenden Betriebsverfassungsgesetzes, das eine Kooperation zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebes vorsieht (vgl. § 2 Abs. 1 BetrVG 1972). Schon im Kommentar zum Betriebsrätegesetz 1920 von Mansfeld wurde die alleinige Kostentragungspflicht durch den Arbeitgeber als "inkonsequent" bezeichnet. 297 Soll stattdessen das Ehrenamtsprinzip aufgegeben werden und das Amt einschließlich Schulungsveranstaltungen vergütet weden, bedeutet dies notwendig auch den Abschied von der alleinigen Finanzierung durch den Arbeitgeber. Dann müßten die Arbeitnehmer in die Pflicht genommen werden. (cc) Angemessenheil Schließlich ist zu überlegen, ob die Griinde für eine Beseitigung der Ungleichbehandlung teilzeitbeschäftigter weiblicher Betriebsratsmitglieder schwerer wieEbenso BAG, AP Nr. 123 zu§ 37 BetrVG 1972 =DB 1998, 373 (375 f.). BAG, 03. 04. 1979-6 ABR 70/76, AP Nr. 17 zu§ 40 BetrVG unter II1 2 b der Gründe, mit insoweit zustimmender Anmerkung Hunold. 293 Dazu W. Blomeyer, EWiR Art. 119 EGV 1/96, 355 (356). 294 Bundesgesetz vom 14. Dezember 1973 betreffend die Arbeitsverfassung (ArbVG), BGBI. Nr. 22/1974, zuletzt geändert in der Fassung des Art. 5 des Bundesgesetzes, BGBI. Nr. 754/1996 (Österreichisches Arbeitsverfassungsgesetz). 295 Dazu: Floretta/Strasser, Kommentar zum ArbVG, S. 397 ff.; Floretta/Spielbüchler/ Strasser; Arbeitsrecht, Bd. II (Kollektives Arbeitsrecht), S. 245 ff. Zu berücksichtigen ist hierbei aber, daß auch in Österreich die Personalaufwendungen vom Betriebsinhaber getragen werden; in diesem Zusammenhang gilt ebenfalls das Lohnausfallprinzip, § 116 ArbVG. Folglich ist das Betriebsratsamt als Ehrenamt(§ 115 Abs. 1 ArbVG) ausgestaltet. 2% Dütz /Säcker, DB 1972 Beilage Nr. 17, S. 6. 297 Mansfeld, § 36 Anm. 1 (bezüglich der insoweit vergleichbaren Geschäftsführungskosten des Betriebsrats). 291 292

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genals die Gründe für die Wahrung des Ehrenamtsprinzips. Wagt man die widerstreitenden Interessen und Rechtsgüter - in einer AngemessenheilSprüfung gegeneinander ab, muß bezweifelt werden, daß teilzeitbeschäftigte Frauen allein deshalb abgehalten werden könnten, ein Amt in einem Mitbestimmungsorgan anzunehmen, weil es bei der Teilnahme von Schulungsveranstaltungen zu unbezahlten Freizeiteinbußen kommen könnte. Schließlich ist jedem Kandidaten bewußt, daß es sich bei diesem Amt um ein Ehrenamt handelt. Gerade diese Qualifikation bringt es notwendig mit sich, daß vom Amtsinhaber erwartet wird, er werde sich wenn nötig - auch über seine Arbeitszeit hinaus, für die Belange der Belegschaft einsetzen. Gerade Teilzeitkräfte können nicht erwarten, daß alle notwendigen Veranstaltungen so terminiert sind, daß sie innerhalb ihrer persönlichen Arbeitszeit liegen, zumal Teilzeitarbeit in Deutschland nicht die Regelarbeitszeit bildet. Im übrigen dürften die weiteren mit der Übernahme des Amtes verbundenen zeitlichen Belastungen und tatsächlichen Schwierigkeiten bei der Organisation familiärer Verpflichtungen eher geeignet sein, Kandidaten zögern zu lassen, ein Betriebsratsamt zu übernehmen. 298 Zur Interessenvertretung bestimmter Belegschaftsgruppen bedarf es nicht notwendig deren Repräsentanz im Betriebsrat, weil der Betriebsrat als Kollegialorgan die gesamte Arbeitnehmerschaft vertritt und erwartet werden kann, daß er sich mit besonderen Problemen einzelner Gruppen vertraut macht, wenn er die erforderlichen Kennnisse nicht bereits besitzt. Zwar läßt sich annehmen, daß der Betriebsrat die Interessen einzelner Gruppen leichter wahrnehmen kann, wenn er entsprechend der Organisation des Betriebes und der Struktur der Arbeitnehmerschaft zusammengesetzt ist. 299 Doch könnte es andererseits die Arbeitsfähigkeit des Organs gefährden, wenn darauf geachtet werden wollte, daß jede Gruppe im Betriebsrat repräsentiert ist. Läßt sich im übrigen auf Grund des durch das Lohnausfallprinzips eintretenden Freizeitopfers ein teilzeitbeschäftigtes Betriebsratsmitglied nicht schulen, hat der Betriebsrat die Möglichkeit, ein anderes Mitglied zur Schulung zu entsenden, da der Schulungsanspruch dem Betriebsrat kollektiv zusteht. Auch hierdurch wird weder die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats noch die sachgerechte Vertretung der Interessen von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern beeinträchtigt. (d) Ergebnis

Lediglich die oben abgelehnte strenge Auffassung, die nur biologische Gründe für eine Rechtfertigung auch einer mittelbaren Diskriminierung anerkennt, vermag in diesem Fall nicht zu einer Rechtfertigung zu kommen. Nach allen anderen Meinungen ist die Ungleichbehandlung durch das Ehrenamtsprinzip der Betriebsratsführung gerechtfertigt.

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BAG, AP Nr. 123 zu§ 37 BetrVG 1972 =DB 1998, 373 (376). So jedenfalls BAG, AP Nr. 123 zu§ 37 BetrVG 1972 = DB 1998, 373 (376).

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

f) Rechtsfolge einer mittelbaren Diskriminierung

Die Rechtsfolge bei einem Verstoß gegen das in Art. 119 EGV verankerte Diskriminierungsverhot scheint auf den ersten Blick keine Schwierigkeiten zu bereiten. Die unterschiedlichen Sachverhalte, deren Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt ist, müssen gleichbehandelt werden. Dennoch ist die Lage nicht so klar wie im Fall einer Verletzung eines Freiheitsgrundrechts, bei der sich ein Unterlassungsanspruch gegen den Staat ergibt. 300 Da der Begriff der Gleichbehandlung keineswegs absolut und eindeutig ist, sind mehrere Lösungen denkbar. Sicher ist, daß man eine Norm, die gegen den Gleichheitssatz verstößt nicht ohne weiteres aufheben kann, weil dann überhaupt keine Regelung mehr existiert. Diese Lösung wäre selbst für die bisher durch die Regelung Benachteiligten ohne jeden Vorteil. Bedeutet Gleichbehandlung, daß der bisher schlechter Behandelte nun genauso zu behandeln ist wie der bislang besser Behandelte, oder ist auch eine Absenkung auf das Niveau des Schlechtergestellten denkbar, oder kann Gleichbehandlung nicht auch die Einführung einer ganz neuen Regelung beinhalten, die das bisherige Niveau verläßt? Denn im Kern ist nicht die eine oder die andere Regelung per se zu beanstanden, sondern nur die durch sie für beide Vergleichsgruppen erzeugte Unterschiedlichkeit, also der unterschiedliche Verteilungsmaßstab.301

aa) Rechtsprechung des EuGH Der Gerichtshof geht mittlerweile in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß ein Verstoß gegen Art. 119 EGV sog. anspruchserzeugende Wirkung302 habe. Das bedeutet praktisch, daß die diskriminierende Regelung vom nationalen Gericht bei der Entscheidung des konkreten Falles außer Anwendung zu lassen ist und für alle Arbeitnehmer dieselbe Regelung wie für die bisher begünstigten Arbeitnehmer angewendet werden muß. Man spricht deshalb auch von einer "automatischen Angleichung nach oben". Allerdings stellt es der Gerichtshof dem nationalen Normgeber in neueren Entscheidungen frei, für die Zukunft eine andere Regelung zu schaffen, die auch geringere Ansprüche vorsehen kann.303 Ältere Entscheidungen

Lübbe-Wolf!, S. 40. BVerfGE 33, 90 (103); 33, 115 (123 ff.); J. lpsen, S. 109, spricht von "verfassungswidriger Normrelation"; Schlaich, Rn. 367; Classen, JZ 1996, 921 (928); Belling/Hartmann, NZA 1993, 1009 (1014) mit Hinweis auf Aristoteles, Nikomachische Ethik, V. Buch, 7, 1131 b 27-1132 a 2 (der griechische Wortlaut ist abgedruckt bei Böckenförde, S. 24, Anm.4). 302 EuGH, 08. 04. 1976, Rs. 43175 (Defrenne II), Slg. 1976, 455 (472 ff.); EuGH, 28. 09. 1994, Rs. C-128 I 93 (Geertruida Catharina Fisscher I Voorhuis Hengelo BV und Stichting Bedrijfspensioenfonds voor de Detailhandel), Slg. 1994, 1-4583 (4594 ff.); 28. 09. 1994, Rs. C-200191, (Coloroll Pension Trustees LtdiJames Richard Russen u. a.), Slg. 1994, 14389 (4412 ff.); vgl. Nicolai, ZfA 1996,481. 300

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A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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konnten noch so verstanden werden, daß der EuGH auch für die Zukunft eine Anpassung nach oben verlangte. 304 Eine weitere Einschränkung stellt die Eingrenzung der zeitlichen Wirkung von Urteilen für die Vergangenheit dar, die mit Rücksichtnahme auf Vertrauensschutzgesichtspunkte vorgenommen wird. 305 Dogmatisch begreift der Gerichtshof offensichtlich Art. 119 EGV selbst als Anspruchsgrundlage für die Anhebung.306 Zur Begriindung führt der EuGH stets an: Solange Art. 119 EGV nicht ordnungsgemäß in innerstaatliches Recht umgesetzt sei, bleibe die vorhandene Regelung das einzig gültige Bezugssystem. 307 Diese Rechtsfolge gilt unabhängig von dem Umstand, ob eine unmittelbare oder eine mittelbare Diskriminierung vorliegt. 308 Die Rechtsfolge der automatischen Angleichung nach oben ergibt sich für den Gerichtshof aus drei Überlegungen309. Erstens folge die Anhebung der bisher benachteiligten Gruppe auf das Niveau der begünstigten Gruppe notwendig aus dem Umstand, daß Art. 119 EGV unmittelbar und zwischen Bürgern anwendbar sei. 310 Zweitens stützt sich der Gerichtshof auf den engen Zusammenhang von Art. 119 EGV mit Art. 117 EGV. Denn das dort zum Ausdruck kommende Ziel der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte ist die Konkretisierung des Programmsatzes aus der Präambel des EU-Vertrages, die auch die Förderung des sozialen Fortschritts als Ziel nennt. Wenn Art. 117 EGV nur eine Verbesserung und Angleichung der Arbeitsbedingungen im Wege des Fortschritts erlaube, müsse Art. 119 EGV genauso verstanden werden, daß eine Angleichung der niedrigeren Löhne und Gehälter an die höheren erfolge. 311 Und drittens stelle die automatische Angleichung nach oben eine einfache und wirksame Methode dar, Diskriminierungen zu verfolgen und die Anwendung des Gleichberechtigungsgebotes in den Mitgliedstaaten sicherzustellen. Gerade dieses Argument der effektiven Durchsetzung des Art. 119 EGV zieht der EuGH in neueren Entscheidungen 303 Vgl. EuGH, 28. 09. 1994, Rs. C-28/93 (Maria Nelleke Gerda van den Akker u. a. / Stichting Shell Pensioenfonds), Slg. 1994,1-4527 (4537, Tz. 19); 28. 09. 1994, Rs. C-408/92 (Constance Christina Ellen Smith u. a. / Avdel Systems Ltd), Slg. 1994, 1-4435 (4466 f.). 304 Dazu Schlachter; NZA 1995, 393 (398). 305 EuGH, 17. 05. 1990, Rs. C-262/88 (Barber), Slg. 1990, 1-1889 (1956); 28. 09. 1994, Rs. C-28/93 (van den Akker), Slg. 1994, 1-4527 (4535 f.); 28. 09. 1994, Rs. C-128/93 (Fisscher), Slg. 1994,1-4583 (4594 ff.). 306 Vgl. BAGE 50, 137 (143); ArbG Berlin, BB 1983, 2182; Colneric, EuZW 1991, 75 (77); Hanmann, S. 272 f. 307 EuGH, 27. 06. 1990, Rs. C-33/89 (Kowalska), S1g. 1990, 1-2591 (2613, Tz. 20); 07. 02. 1991, Rs. C-184/89 (Nimz), S1g. 1991,1-297 (320, Tz. 18). 308 Für Fälle der mittelbaren Diskriminierung: EuGH, 13. 12. 1989, Rs. C-102/88 (M.L. Ruzius-Wilbrink/Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor Overheidsdiensten), Slg. 1989, 14311 (Leitsatz Nr. 2, 4332 f.); 27. 06. 1990, Rs. C-33/89 (Kowalska), Slg. 1990, 1-2591 (2612 f.); EuGH, 07. 02. 1991, Rs. C-184/89 (Nimz), S1g. 1991,1-297 (321). 309 Dazu: Nicolai, ZfA 1996,481 (483 ff.). 310 EuGH, 08. 04. 1976, Rs. 43/75 (Defrenne II), S1g. 1976,455 (476). 3ll EuGH, 08. 04. 1976, Rs. 43/75 (Defrenne II), Slg. 1976, 455 (473).

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

heran. 312 Die Erreichung dieses Zieles wird auch dadurch unterstützt, daß der Gerichtshof die zeitliche Wirkung seiner Urteile erst in zwei Fällen313 bei unmittelbaren Diskriminierungen eingeschränkt hat, wenn die Betroffenen in bezug auf die Rechtmäßigkeit der geschlechtsbedingten Differenzierung gutgläubig gewesen sind und die Gefahr schwerwiegender Störungen besteht. 314 Vorgehensweise und Begründung gelten gleichermaßen für gesetzliche Regelungen wie für tarifvertragliche Regelungen. 315 Auch Bestimmungen eines Tarifvertrages, die die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts möglicherweise behindern können, müssen vom nationalen Gericht außer Anwendung gelassen werden, ohne daß es auf eine vorherige Beseitigung der Norm durch Tarifverhandlungen ankommt. Im Anschluß daran sind die für die Begünstigten geltenden Tarifnormen auch für die bislang Benachteiligten anzuwenden. Insofern endet die Tarifautonomie am Diskrirninierungsverbot. 316

bb) Die Rechtsprechung des BAG In einer besonderen Konstellation entschied das BAG317 gegen die vom EuGH vorgenommene automatische Angleichung nach oben. Konkret hatte eine verheiratete Frau die Gewährung einer tarifvertraglich vorgesehenen "Ehefrauenzulage" als "Ehemännerzulage" begehrt. Das BAG hielt die tarifvertragliche Bestimmung für nichtig und konnte schon deshalb keine Zahlung einer entsprechenden Zulage an weibliche Arbeitnehmer zusprechen. Es müsse den Tarifvertragsparteien überlassen bleiben, ob und auf welche Weise sie eine nichtige Tarifnorm durch eine verfassungsmäßige ersetzen oder ergänzen. In der Literatur wurde hieran kritisiert, daß das Gericht keine Vorlage an den EuGH formuliert hatte. 318 Generelllöst das BAG jedoch Fälle, in denen die Entgeltgleichheit im Streit ist, durch eine Angleichung nach oben. Anknüpfungspunkt für diese Rechtsfolgenanordnung ist§ 612 Abs. 2 BGB. Danach gilt die übliche Vergütung als vereinbart, 312 Bei Art. 119 EGV: EuGH, 07. 02. 1991, Rs. C- 184/89 (Nimz), Slg. 1991, 1-297(321, Tz. 19). Allgemein: EuGH, 19. 11. 1991, verb. Rs. C-6/90 u. C-9/90 (Andrea Franeovieh u. a./ltalienische Republik), Slg. 1991,1-5357 (5414, Tz. 33). 313 EuGH, 08. 04. 1976, Rs. 43175 (Defrenne II), Slg. 1976,455 (480); 17. 05. 1990, Rs. C-262/88 (Barber), Slg. 1990,1-1889 (1955 f.). 314 EuGH, 28. 09. 1994, Rs. C-128/93 (Fisscher), Slg. 1-1994,4583 (4594, Tz. 18). 315 EuGH, 07. 02. 1991, Rs. C-184/89 (Nirnz), Slg. 1991,1-297 (321, Tz. 20). 316 EuGH, 13. 12. 1989, Rs. C-102/88 (Ruzius-Wilbrink), Slg. 1989, 1-4311 (4332 f.); 27. 06. 1990, Rs. C-33/89 (Kowalska), Slg. 1989, 1-2591 (2613, Tz. 19 f .); 15. 12. 1994, verb. Rs. C-399, 409,425/92 u. C-34, 50, 78/93 (Helmig u. a.), Slg. 1994, 1-5727 (5752, Tz. 18). 317 BAG, 13. 11. 1985-4 AZR 234/84, AP Nr. 136 zu Art. 3 GG = SAE 1986, 161m. zust. Anm. Scholz. 318 Colneric, BB 1988, 966 (969); Hitifeld, BB 1991, 199 (202); Zuleeg, Anm. zu BAG AP Nr. 136 zu Art. 3 GG.

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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wenn nicht ausdrücklich ein Lohn festgesetzt wurde. Der Männern gezahlte Lohn wird dann als übliche Vergütung angesehen. 319 Zur Begründung beruft sich das BAG -bei Tarifverträgen - auf die Nichtigkeit (§ 134 BGB) einer nur eine bestimmte Gruppe begünstigenden Tarifvertragsnorm. 320 Bedeutung erlangt hat diese Frage auch bei der Gewährung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung für Teilzeitbeschäftigte. Hier hat das BAG entschieden, daß das Lohngleichheitsgehot für die Vergangenheit nur dadurch hergestellt werden könne, daß die bisher von der Versorgungsordnung ausgeschlossenen Teilzeitbeschäftigten bis zu einer Änderung in diese Ordnung einbezogen werden müßten. Die Arbeitgeber könnten sich demgegenüber weder auf das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot noch auf Vertrauensschutz berufen, daß sie bei Einrichtung der Versorgungsordnung den Ausschluß von Teilzeitbeschäftigten für zulässig hätten halten dürfen. Erst für die Zukunft stehe es den Arbeitgebern frei, unter Beachtung der von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen ihre Versorgungsordnungen anzupassen.321

cc) Die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 3 GG Gerade in der Frage der Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das Gleichberechtigungsgebot manifestiert sich ein großer Unterschied in der Dogmatik zwischen EG-Recht und der Auslegung des Art. 119 EGV durch den EuGH sowie dem Grundgesetz und dem Verständnis des Art. 3 GG durch das BVerfG. Im Bewußtsein, daß es nicht nur eine "richtige" Lösung gibt, den Gleichheitsverstoß zu beseitigen, erklärt das BVerfG die gegen Art. 3 GG verstoßende Norm nicht für nichtig oder nimmt gar eine eigene Rechtsfolgenbestimmung vor, sondern erklärt lediglich die streitige Norm für unvereinbar mit Art. 3 GG und setzt dem Gesetzgeber eine Frist zur Neuregelung des Sachverhalts unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. In der Praxis hebt das BVerfG die angefochtene Entscheidung auf und verweist den Fall an das Ausgangsgericht zurück, wobei es dieses anweist, den Rechtsstreit bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber auszusetzen. 322 Diese Vorgehensweise ist Ausdruck des Gewaltenteilungsprinzips im Grundgesetz323 , nach dem der Normgeber, und nicht die Gerichte die wesentlichen Wertentscheidungen in Form von Gesetzen treffen. Deshalb kann die Recht319 BAG, 25. 01. 1989-5 AZR 161/88, AP Nr. 2 zu§ 2 BeschFG 1985; 26. 09. 1990- 5 AZR 112/90, AP Nr. 9 zu§ 2 BeschFG 1985. 320 Seit BAG, 15. 01. 1955-1 AZR 305/54, AP Nr. 4 zu Art. 3 GG; AP Nr. 11 zu Art. 119 EWGV; 21. 03. 1991-2 AZR 323/84 (A), AP Nr. 29 zu§ 622 BGB; 07. 03. 1995-3 AZR 282/94, AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG- Gleichbehandlung -. 321 BAG, AP Nr. 11 zu Art. 119 EWGV. 322 BVerfGE 22, 349 (360 ff.); 52, 369 (379); 87, 114 (136). 323 Ob es das Gewaltenteilungsprinzip in der EG gibt, ist zweifelhaft; einen gewissen Ausgleich für sein Fehlen enthält das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Vgl. Pieper, Subsidiarität, S. 184; Steinherger VVDStRL 50 (1991), 9 (30 ff.). 8 Traupe

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

sprechung grundsätzlich nur kassatorisch tätig werden, nicht aber selbst Recht gestalten. Nur in zwei Konstellationen hält sich das BVerfG für legitimiert, eine Begünstigung, die eine Regelung einer Gruppe vorbehält, auf eine andere Gruppe auszudehnen, indem es eine Gesetzeslücke füllt. 324• Verlangt ein Verfassungsauftrag oder sonst eine Verfassungsbestimmung eine genau definierte begünstigende Behandlung und enthält der Gesetzgeber diese Behandlung einer Gruppe vor, dehnt das BVerfG die Begünstigung auf die benachteiligte Gruppe aus. Ob es hier allerdings des Rückgriffs auf Art. 3 GG bedarf, mag bezweifelt werden. In der anderen Situation hat der Gesetzgeber ein Regelungssystem geschaffen und will hieran erkennbar festhalten. Soll das Regelungssystem in sich schlüssig bleiben, bedarf es einer Ausdehnung auf die begünstigte Gruppe. 325 Verstößt eine ungleich belastende Teilnorm gegen das Gleichbehandlungsgebot, erklärt das BVerfG nur diese für nichtig, wenn der Gesetzgeber die übrige gesetzliche Regelung unzweifelhaft auch ohne den verfassungswidrigen Teil aufrechterhalten hätte. 326 Sonst kassiert das Gericht die gesamte Regelung als nichtig.

dd) Ansichten in der Literatur Die Rechtsprechung des EuGH ist in der europarechtlichen und deutschen arbeitsrechtlichen Literatur vielfach auf Zustimmung gestoßen. 327 Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot dürfe nicht nur mit kostenneutralen oder kaum spürbaren Sanktionen belegt werden. Auch ohne gesetzliche Grundlage müsse das Entgelt der bislang benachteiligten Gruppe automatisch an das der begünstigten Gruppe angeglichen werden. Der Arbeitgeber könne sich nicht darauf berufen, er hätte bei Kenntnis der Unwirksamkeit wegen eines Diskriminierungsverstoßes die Entgeltvereinbarung wie vorliegend nicht abgeschlossen. Der mit der einen Gruppe vereinbarte Lohn beispielsweise ist der Preis für diese und gleichwertige Arbeit und daher ebenso Maßstab für die bisher Benachteiligten. Es dürfe nicht dazu kommen, daß der Arbeitgeber auf Dauer die bislang eingesparte Differenz einbehalte, wenn ihm eine Anpassung des Entgeltniveaus nach unten gestattet würde. 328 Unterschiede lassen sich in der Frage feststellen, ob die von der Begünstigung bislang ebenfalls ausgeschlossenen Männer, z. B. in Teilzeit arbeitende männliche Arbeitnehmer künftig auch in den Genuß der Vorteile kommen sollen. Zum Teil wird diese Frage bejaht: Der Arbeitgeber sei verpflichtet, den vom Gleichbehand324

Vgl. dazu nur Pieroth/Schlink, Rz. 484 ff.

BVerfGE 21, 329 (337 f.); 22, 163 (174 f.); 55, 100 (113 f.). BVerfGE 4, 219 (250). 327 Boecken, DB 1989, 924 ff.; Classen, JZ 1996, 921 (929); Colneric, FS Gnade, S. 627 (639); Schlachter, S. 427 f.; Saunders, S. 64; Sievers, S. 164 ff. 328 Schlachter, S. 428. 325

326

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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lungsgrundsatz geforderten Rechtszustand herzustellen, indem die bislang benachteiligte Gruppe die der bevorzugten Gruppe gewährten Vorteile erhalte. Zwar könnten sich nur die Angehörigen des benachteiligten Geschlechts hierauf berufen. Doch nach Herstellung des günstigeren Zustandes könnten auch die Angehörigen des anderen Geschlechts, die das Unterscheidungskriterium ebenso aufwiesen, Gleichstellung verlangen. Die Verweigerung wäre sonst eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts. 329 Demgegenüber verweigert man vereinzelt in der Literatur den männlichen Angehörigen der benachteiligten Gruppe nicht nur die Berufung auf das Verbot der mittelbaren Diskriminierung, sondern auch auf spätere Gleichstellung im Ergebnis. 330 Kontrovers diskutiert wird daneben, wie die Ungleichbehandlung für die Zukunft zu beseitigen ist. Wisskirchens Lösung für einen Verstoß von Kollektivnormen gegen das Gleichberechtigungsgebot lehnt sich ebenfalls an die Rechtsprechung des EuGH an. Für die Vergangenheit bestehe eine Verpflichtung des Arbeitgebers, die Ungleichbehandlung finanziell auszugleichen. Für die Zukunft könne das Gericht lediglich die Diskriminierung feststellen; es sei dann Sache der Tarifvertragsparteien, eine gleichheitskonforme Regelung zu treffen. 331 Colneric hingegen scheint eher der Antwort zuzuneigen, daß die Tarifvertragsparteien gehalten seien, die aus Art. 119 EGV folgende Angleichung nach oben im Tarifvertrag umzusetzen. 332 Die Idee, Art. 3 GG enthalte eine "Gesamtrichtung nach oben" bzw. "eine zum Besseren hin dynamisierte Zielrichtung"333 , ist auch in der deutschen Literatur vereinzelt schon früh vertreten worden. Danach seien Verstöße gegen den Gleichheitssatz durch Anhebung des niedrigeren auf das höhere Niveau zu beseitigen, wobei Art. 3 GG selber diese korrigierende Kraft zugesprochen wird?34

Wißmann, DB 1989, 1922 (1924); Schlachter, S. 134 f. Dies liegt in der Konsequenz der Ansicht von Sacksofsky, die dem beim "Dominierungsverbot" des Art. 3 Abs. 2 GG eingeordneten Verbot der mittelbaren Diskriminierung den Zweck zuordnet, die Lage der Frauen zu verbessern. Somit würde eine Begünstigung der Männer der Intention der Gesellschaftsveränderung widersprechen; vgl. S. 350, 360 f. u. 374. Zumindest im Ergebnis wirkt die Entscheidung des LAG Hamm, BB 1996, 645 f., genauso, wenn man männlichen teilzeitbeschäfigten Betriebsräten die Berufung auf Art. 119 EGV verweigert mit der Begründung, nicht Männer, sondern Frauen seien mittelbar benachteiligt. Fände sich also keine Frau, die Klage erhebt, wären Männer von der Gleichstellung ausgeschlossen, obwohl der Verstoß gegen den Gleichheitssatz objektiv unabhängig davon ist, ob den Verstoß ein Mann oder eine Frau geltend macht. V gl. dazu auch Schlachter, Anm. EAS Nr. 39 zu Art. 119 EGV. 331 Wisskirchen, S. 128 ff. 329

330

So Colneric, EuZW 1991, 75 (77). Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 20, 36, 107, 110, 171 ff., 353, 365; ähnlich Nikisch, Arbeitsrecht I,§ 29 VI 5, S. 357 f.; Nipperdey, RdA 1950, 121 (126) für Art. 3 Abs. 2 GG. 334 Nipperdey, RdA 1950, 121 (125). 332

333

s•

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Doch lassen sich daneben kritische Stimmen vernehmen: NicolaP 35 will zwischen den widerstreitenden Interessen bei der Bestimmung der Rechtsfolgen einen Ausgleich herbeiführen. Maßgeblich ist für sie in diesem Zusammenhang der Vertrauensschutzgesichtspunkt. Dieser streite nicht ausschließlich zugunsten der betroffenen Arbeitnehmer und einer Angleichung nach oben. Anders als Wisskirchen billigt sie den Arbeitgebern für die Vergangenheit Vertrauensschutz zu. Demgegenüber betont Hartmann noch stärker die Respektierung der Tarifautonomie und zeigt der Rechtsfolgenbestimmung durch die Gerichte enge Grenzen auf: Art. 3 GG beinhalte allein kein ,,konstruktives Prinzip", das eine gleichheitswidrige Norm automatisch in eine gleichheitskonforme umzugestalten vermöge. Auch der Richter könne die Gleichheit in der Regel wegen des Vorranges der Tarifautonomie nicht selbst herstellen. 336 Für die Rechtsprechung des BVerfG, nach der eine gegen Art. 3 GG verstoßende Regelung nicht nichtig, sondern "bloß verfassungswidrig" sei, mangele es an einer Grundlage.337 Rechtsfolge eines Verstoßes gegen Art. 3 GG sei die Nichtigkeit der (Tarif-)Norm. Denkbar sei es aber einen gleichheitskonformen Regelungsrest aufrechtzuerhalten. 338 Aus Art. 119 EGV folge kein hiervon abweichendes Ergebnis. Ein Gleichheitsverstoß müsse nach dieser Bestimmung keineswegs zwingend durch eine Angleichung nach oben beseitigt werden. 339 Im übrigen sei das gemeinschaftsrechtliche Geschlechtsdiskriminierungsverbot durch Art. 3 Abs. 2 GG, §§ 61la, 612 Abs. 3 BGB und Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG für das deutsche Recht umfassend "umgesetzt", was die Anwendung von Art. 119 EGV im deutschen Recht sperre.340

ee) Kritische Würdigung Kritisiert wurde an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, daß das Interesse der Prozeßparteien an einer zügigen Entscheidung zurücktreten müsse und den Parteien nicht selten ein jahrelanges Warten auf eine Regelung des Gesetzgebers zugemutet werde. 341 Der durch den EuGH vorgezeichneten Lösung, die "Belange des Regelungsgebers" zurückzustellen, sei der Vorzug zu geben, weil dieser es auch in der Hand habe, für Abhilfe zu sorgen.342 Gerade in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten sind aber nicht nur die Interessen oder Belange des Normgebers zu berücksichtigen. Das Gewaltenteilungsprinzip im demokratischen Rechtsstaat 335 336 337 338 339 340

341 342

ZfA 1996,481 ff., insbes. 487 ff. Hartmann, S. 108 ff. u. 110 ff. Hartmann, S. 178 ff. Hartmann, S. 191 ff. Hartmann, S. 285 ff. Hartmann, S. 297 f., 308. Vgl. Classen, JZ 1996, 921 (928). Classen, JZ 1996,921 (929).

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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sorgt für Rechtssicherheit, an der alle Rechtsunterworfenen interessiert sind. Es geht dabei nicht um Belange des Normsetzers, die mit beliebigen anderen Interessen gleichgesetzt werden können. In die Bewertung einzustellen sind vielmehr auch die Interessen des Arbeitgebers, der nicht selten im Vertrauen auf die Gültigkeit einer Norm diese über einen langen Zeitraum angewandt hat, ohne daß für ihn ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot erkennbar gewesen ist. Dies wird bei Verstößen gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung die Regel sein. Ein Vorteil der "Angleichung nach oben" durch den EuGH mag darin erblickt werden, daß es der EuGH auf diese Weise vermeidet, eine Regelungslücke aufzutun. 343 Schließlich läßt sich zur Erklärung der Rechtsprechung darauf hinweisen, daß die meisten anderen Diskriminierungsverbote des Gemeinschaftsrechts Diskriminierungen wegen der Staatsangehörigkeit betreffen (Art. 6, 48 Abs. 2, 59 Abs. 1, 95 EGV). In diesen Konstellationen ist ausdrücklich die Rechtsfolge der Inländergleichbehandlung vorgegeben. 344 Dagegen kann jedoch eingewandt werden, daß beide Gleichheitssätze insoweit eben inkompatibel sind, als Art. 119 EGV explizit keine Rechtsfolge vorgibt. In der Literatur ist aber auch die Rechtsprechung des EuGH nicht auf ungeteilte Zustimmung gestoßen. Dies gilt für das Ergebnis genauso wie für die tragende Begriindung. So wird zu recht darauf hingewiesen, daß Art. 119 EGV, was beispielsweise die Rechtsfolgen diskriminierender Tarifnormen angeht, hinreichend umgesetzt ist. Denn Tarifnormen, die gegen ein Gesetz verstoßen, sind nichtig?45 Weiterhin wird geltend gemacht, daß die Tarifvertragsfreiheit und die Kompetenz des nationalen Gesetzgebers in bezug auf die Sozialpolitik durch die Rechtsprechung des EuGH unangemessen beschränkt werden. 346 Hiergegen mag man erwidern, daß der EuGH Art. 119 EGV nur solange für bindend ansieht, wie der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien keine gleichheitskonforme Regelung getroffen haben. Ihnen steht es also frei, für die Zukunft eine von der bisherigen Regelung abweichende, dem Gleichbehandlungsgedanken verpflichtete Lösung zu vereinbaren.347

343 EuGH, 15. 12. 1994, verb. Rs. C-399, 409,425/92 u. C-34, 50,78/93 (Helmig u. a.), Slg. 1994,1-5727 (5751, Tz. 14); Classen, JZ 1996,921 (928). 344 Daraufweist Classen, JZ 1996,921 (929) hin. 345 Entweder folgt die Nichtigkeit nach der Rechtsprechung des BAG (AP Nr. 4 zu Art. 3 GG; AP Nr. 29 zu§ 622 BGB) aus§§ 134, 139, 140 BGB oder nach der h. L. (Wiedemann/Stumpf, TVG, Ein!. Rn. 93; Belling/Hartmann, NZA 1993, 1009 (1014)) aus ihrer Stellung als im Rang niedrigere Rechtsquelle. Vgl. auch Hartmann, S. 101 ff.; Wisskirchen, s. 127. 346 Kutsch, BB 1991, 2149 (2151); Wisskirchen, S. 127 f. 347 EuGH, 28. 09. 1994, Rs. C-408/92 (Avdel Systems), Slg. 1994, 1-4435 (4467, Tz. 26); Schlußanträge des GA Darmon v. 28. 03. 1990 in der Rs. 33/89 (Kowalska), Slg. 1990, 2600 (2605, Tz. 23); Currall, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 119 Rn. 62 (Anm. 164).

2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

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ff) Auslegung des Art. 119 EGV in bezug auf die Rechtsfolgenanordnung

Da die Frage der Rechtsfolgenbestimmung eines Gleichheitsverstoßes über das Problem der mittelbaren Diskriminierung hinausgehend von Interesse ist, soll hier kurz überprüft werden, ob die Auslegung des Art. 119 EGV durch den EuGH bezüglich der Rechtsfolgenanordnung einer kritischen Überprüfung standhält. Bei der Gelegenheit werden auch entsprechende Überlegungen zu Art. 3 GG einbezogen. (a) Wortlaut

Der Wortlaut des Art. 119 EGV spricht vom "Grundsatz des gleichen Entgelts fürMännerund Frauen". Der Text enthält keine Aussage, auf welchem Niveau die Gleichbehandlung anzusiedeln ist, wenn eine Norm gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt. 348 Es findet sich nicht einmal eine Andeutung, daß der Gleichbehandlung nur genüge getan wäre, wenn das niedrigere Regelungsniveau (für Frauen) auf das höhere (für Männer) angehoben würde. Hätten die Mitgliedstaaten als Vertragsschöpfer tatsächlich die vom EuGH angewendete Rechtsfolge intendiert gehabt, hätten sie eine Formulierung gewählt, die darauf hingedeutet hätte. So aber legt der Normtext lediglich die Anwendung eines gleichen Verteilungsmaßstabes nahe. 349 Entsprechendes gilt für Art. 3 Abs. 2 GG. (b) Systematik

In der Defrenne-11-Entscheidung beruft sich der EuGH auf den systematischen Zusammenhang zu Art. 117 EGV und sieht dies als das maßgebliche systematische Argument an. Art. I 17 EGV präzisiert die Zielvorgabe der Präambel für den Abschnitt Sozialpolitik und fordert die Mitgliedstaaten auf, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte im Wege des Fortschritts, also ihrer Verbesserung, anzugleichen. Daraus folgert der EuGH, daß auch Art. 119 EGV nicht anders als durch Anhebung der niedrigeren Löhne und Gehälter befolgt werden könne. Nach seinem Charakter ist Art. 117 EGV als reiner Programmsatz ausgestaltet. Er formuliert zwar ein verbindliches Ziel, doch enthält er weder für die Mitgliedstaaten konkrete Verpflichtungen noch für den einzelnen ein subjektives Recht. 350 Dies zeigt schon ein Blick auf Absatz 2 des Art. 117 EGV, in dem die Mitgliedstaaten bekunden, wie der Fortschritt der Lebens- und Arbeitsbedingungen bewerkstelVgl. Bahlmann, RdA 1984,98 (101). Hartmann, S. 286; ähnlich Nicolai, ZfA 1996, 481 (485). 350 EuGH, 15. 06. 1978, Rs. 149177 (Gabrielle Defrenne/Societe anonyme beige de navigation aerienne Sabena- "Defrenne III"), Slg. 1978, 1365 (1378, Tz. 19/23); Currall/ Pipkom, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Vorbem. zu Art. 117-128 Rn. 7; Art. 117 Rn. 5 f.; Schweitzer/Hummer, Rz. 1517. 348 349

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ligt werden soll. Dort sind einerseits das Wirken des Gemeinsamen Marktes und andererseits die Rechtsetzungsverfahren des EG-Vertrages angesprochen. Zwar ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, Art. 117 EGV als Anhaltspunkt für die Auslegung anderer Sozialvorschriften heranzuziehen. Doch hat die Rechtsprechung des EuGH hierbei die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten zu beachten, zumal sie im Rahmen des Art. 119 EGV aus Art. 117 EGV konkrete Rechtsfolgen herleitet, die auf der einen Seite zu finanziellen Ansprüchen verdichtet werden, auf der anderen Seite für die Arbeitgeber aber enorme finanzielle Lasten mitsichbringen. So stellt sich die Frage, wie die Kompetenzen zwischen der EG und den Mitgliedstaaten im Bereich der Sozialpolitik aufgeteilt sind. In den Art. 117 ff. EGV, dem Kapitel "Sozialpolitik", sind die Kernvorschriften für den Bereich der Sozialpolitik eher schwach ausgestaltet. Denn bei Gründung der EWG bestand keine Einigkeit, ob überhaupt ein Kapitel über die Sozialpolitik aufgenommen werden sollte. 351 Nach Art. 117 Abs. 1 EGV verfolgt die Gemeinschaft das Ziel, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte zu verbessern und im Wege des Fortschritts anzugleichen. Die Angleichung hat auf dem jeweils erreichten höheren Niveau zu geschehen. Zwar ist die Gemeinschaft als solche dem sozialpolitischen Ziel des Art. 117 EGV verpflichtet. Doch resultiert hieraus keine allgemeine Kompetenz zur Gestaltung einer europäischen Sozialpolitik. Diese Kompetenz steht generell weiter den Mitgliedstaaten zu. 352 Die Vorschrift stellt eher eine Handlungsanweisung zur Verwirklichung des sozialen Zieles an die Gemeinschaft und an die Mitgliedstaaten dar. Indem Art. 117 Abs. 2 EGV Mittel zur Erreichung der sozialpolitischen Ziele benennt, wird deutlich, daß diese Norm selbst nicht als Kompetenzvorschrift zu verstehen ist. 353 Die Kompetenzen müssen sich also aus speziellen Ermächtigungen ergeben (vgl. Art. 3b Abs. 1 EGV) 354• Auch Art. 118 EGV bestä-

351 Windbichler; RdA 1992, 74 (75); Abbo Junker; JZ 1994, 277 (278); Steinmeyer; ZIAS 1989,208 (214 f.). 352 EuGH, 09. 07. 1987, verb. Rs. 281, 283 bis 285 u. 287/85 (Bundesrepublik Deutschland u. a./Kommission- "Wanderarbeitnehmer") Slg. 1987, 3203 (3251, Tz. 14); EuGH, 29. 09. 1987, Rs. 126/86 (Femando Roberto Gimenez Zaera/lnstituto Nacional de Ia Seguridad Social und Tesorerfa General de Ia Seguridad Social), Slg. 1987, 3697 (3717, Tz. 16); Langenfeld/Jansen, in: Grabitz /Hilf, vor Art. 117, Rn. 5. 353 A.A.: Zwanziger, ArbuR 1995, 430 (436). Dagegen wiederum: Weißbuch Europäische Sozialpolitik, KOM (94) 333 v. 27. 07. 1994, Einführung B Nr. 12 u. 17 f.; Entschließung des Rates zu bestimmten Perspektiven einer Sozialpolitik der Europäischen Union v. 06.Dezembep 1994, ABI. EG Nr. C 368, S. 6 ff. v. 23. 12. 1994, Erwägungen 16 f. u. 19. 354 Allerdings besitzt die Gemeinschaft spezielle Ermächtigungen im Titel "Sozialpolitik", die Art. 118a, Art. 127 EGV, sowie Koordinierungs- und Förderungskompetenzen (Art. 118, 123 ff. EGV). Darüberhinaus existieren in besonderen Politikbereichen einzelne Rechtsetzungsermächtigungen wie z. 8. Art. 51 EGV. Weiterhin werden Art. 100 und 235 EGV zur Stützung sozialpolitischer Rechtsakte herangezogen. Vgl. nur: Geiger, Art. 117 Rn. 5 ff.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

tigt diese Auslegung: Danach erhält die Gemeinschaft nur die Aufgabe zugewiesen, die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Fragen zu fördern. Dies bedeutet notwendig, daß der Schwerpunkt der Handlungsermächtigung in der Sozialpolitik bei den Mitgliedstaaten verbleibt. Denn sonst würde eine Koordinierung und Unterstützung keinen Sinn haben. An dieser Kompetenzverteilung hat sich auch durch den Abschluß der Einheitlichen Europäischen Akte grundsätzlich nichts geändert. Lediglich in dem eng umgrenzten Ausschnitt der Arbeitssicherheit hat die EG seitdem eine spezielle Rechtsetzungsermächtigung (Art. 118a EGV). Mit Verabschiedung des Maastrichter Vertragswerkes sind die sozialpolitischen Kompetenzen des EG-Vertrages unangetastet geblieben. Die Vorschriften des Sozialabkommens von Maastricht, die eine Erweiterung der sozialpolitischen Kompetenzen zugunsten der Gemeinschaft vorsehen, sind mittlerweile nach dem Beitritt des Vereinigten Königreiches anläßlich der Vertragsänderung von Amsterdam in den EG-Vertrag integriert (Titel XI, Art. 136 ff. EG n. F.)? 55 Ausgehend von dieserneuen Rechtsgrundlage muß allerdings festgestellt werden, daß die Gemeinschaft jetzt Zugriff hat auf alle wesentlichen Gebiete des Arbeits- und Sozialrechts. Damit einher geht ein Wechsel von der "Alleinzuständigkeit zur Primärzuständigkeit" der Mitgliedstaaten. 356 Dennoch ist mit den neuen Sozialvorschriften keine totale Vergemeinschaftung der Sozialpolitik verbunden. Dies folgt aus zwei Griinden. Zum einen betont das Sozialabkommen die gemeinsame Zielsetzung und Zielverwirklichung der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten in Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 Sozialabkommen, insbesondere wenn es dort heißt, daß die Gemeinschaft die Tätigkeit der Mitgliedstaaten unterstützt und ergänzt (Art. 137 Abs. 1 EG n. F.). Zum anderen beschränkt die Einführung des Subsidiaritätsprinzips (Art. 3b Abs. 2 EGV) die mit dem Sozialabkommen verbundene Kompetenzausdehnung. 357 Ausfluß des Subsidiaritätsprinzips ist die Einsicht der Kommission, daß Sozialpolitik in Europa nur noch gemeinsam durch die Union, die Mitgliedstaaten, die Sozialpartner und die Bürger bewerkstelligt werden kann. 358 Ganz in diesem Sinn bekennt sich auch die Entschließung des Rates zu bestimmten Perspektiven einer Sozialpolitik der Europäischen Union359 zu dem in Generationen gewachsenen nationalen Arbeits- und Sozialrechtssystemen und nimmt Abschied von dem lange insgeheim gehegten Ziel der Harmonisierung der nationalen Systeme. Dies ist eine eindeutige Hinwendung zum Gedanken 355 Auf dem Europäischen Rat von Amsterdam hat das Vereinigte Königreich das Sozialabkommen unterzeichnet, so daß die Vorschriften jetzt EG-weit gelten. 356 Schu[z, SF 1992,79 (81); etwas schärfer Heinze, ZfA 1992, 331 (336 f.). 357 Da das Sozialabkommen dem Protokoll beigefügt ist und dieses wiederum dem EGVertrag, ist nicht nur das Protokoll (via Art. 239 EGV), sondern auch das darauf aufbauende Abkommen Gemeinschaftsrecht. Folglich ist auch das Subsidiaritätsprinzip anwendbar. Dies gilt allerdings nur noch, solange der EG-Vertrag in der Fassung des Amsterdamer Vertrages nicht in Kraft ist. 358 Weißbuch Europäische Sozialpolitik, KOM (94) 333, Einführung B Nr. 12. 359 ABI. EG Nr. C 368, S. 6 ff. v. 23. 12. 1994, Erwägungen 16-19.

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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des Wettbewerbs der Rechtsordnungen, da nur hierdurch der Standortvorteil weniger entwickelter Mitgliedstaaten gewahrt werden kann und ihnen die Chance erhalten bleibt, aus eigener Kraft den Abstand zu den entwickeltereD Mitgliedstaaten zu verringern. Im Sozialabkommen ist der Gemeinschaft für die hier besonders interessierende Materie der Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und die Gleichbehandlung am Arbeitsplatz in Art. 2 Abs. 1 Spiegelstrich 3 eine Zuständigkeit an die Hand gegeben worden (Art. 137 Abs. 1 Spiegelstrich 5 EG n. F.). Allerdings kann diese Kompetenzzuweisung an dem bisherigen Befund nichts ändern. Erstens ist hiermit gegenüber dem EG-Vertrag keine qualitative Kompetenzausdehnung verbunden, da schon bisher Rechtsetzungen in diesem Bereich über die Vorschrift des Art. 235 EGV erfolgten. Zweitens sagt auch diese Kompetenzzuweisung nichts über die Rechtsfolge eines Gleichbehandlungsverstoßes. Auf dem speziellen Sektor der Lohnpolitik, der zweiten von einer automatischen Rechtsangleichung nach oben betroffenen Materie, besitzt die Gemeinschaft überhaupt keine Regelungskompetenz. Die Festlegung des Leistungs- und Kostenniveaus einer sozialpolitischen Regelung ist ausschließlich Sache der Mitgliedstaaten und hier häufig der Tarifvertragsparteien. Bestätigt wird diese Sichtweise durch Art. 2 Abs. 6 Sozialabkommen, in dem das Arbeitsentgelt aus der gemeinsamen Verantwortung der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten ausdriicklich ausgenommen ist (Art. 137 Abs. 6 EG n. F.). Dieser kompetenziellrechtliche Vorrang der Mitgliedstaaten wird grundsätzlich auch vom EuGH anerkannt, jedoch nur für die Zukunft. 360 Warum dies für Vergangenheit und Gegenwart nicht gilt, bleibt unerfindlich. Gerade für diese Differenzierung der Kompetenzlage fehlt jede besondere Begriindung. So ist die Rechtsprechung des EuGH in sich widerspriichlich, weil sie einerseits die Kompetenz der Mitgliedstaaten für die Zukunft anerkennt, andererseits für die Vergangenheit leugnet. 361 Die Harrnonisierung auf höchstem Niveau, die der EuGH dem Art. 117 EGV entnimmt, läßt sich nach alldem aus dem Gedanken des Fortschritts der Lebensund Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer allein nicht herleiten. Es handelt sich insoweit um eine Vertragsbestimmung, die programmatischen Charakter hat und die Hauptverantwortung für die Sozialpolitik den Mitgliedstaaten überläßt. Überdies ist in Art. 117 EGV keine Gemeinschaftsinstitution angesprochen, den Fortschritt zu bewerkstelligen, also kann ebensowenig der EuGH diesen Fortschritt herbeiführen. Selbst wenn man davon ausgeht, daß Art. 117 EGV ein Vertragsziel (ähnlich wie in der Präambel) normiert, das die Gemeinschaft notfalls via Art. 235 EGV zu verfolgen habe, stellt die Rechtsprechung des EuGH einen Verstoß gegen die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten dar. 360 Vgl. EuGH, 29. 09. 1987, Rs. 126/86 (Girnenez Zaera), Slg. 1987, 3697 (3716, Tz. 14, u. 3717, Tz. 16 ff.). 361 Vgl. Hanrrumn, S. 290 f.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Schließlich fehlt eine ausdrückliche Bezugnahme in Art. 117 EGV auf Art. 119 EGV. So ist der soziale Fortschritt ausdrücklich nur durch Verbesserungseffekte bei der Herstellung des Gerneinsamen Marktes und durch die Rechtsetzung zu verwirklichen. Folglich sahen die Vertragsschöpfer keine unmittelbare Beziehung zwischen diesen beiden Bestimmungen. Die Beziehung, die der EuGH zwischen beiden Vorschriften herstellt, ist willkürlich und rein vorn Ergebnis her gedacht, systematisch aus dem Vertrag aber nicht zu begründen. Der hierdurch bewirkte teilweise Einbruch in die mitgliedstaatliche Kompetenz für Lohnfindung und Lohngestaltung ist mit dem Grundsatz der Subsidiarität nicht zu vereinbaren. Nach der systematischen Auslegung bleibt es bei der Feststellunug, daß Art. 119 EGV nur den gleichen Verteilungsmaßstab festlegt. (c) Teleologie (aa) Art. 119 EGV Entscheidende Bedeutung hat die teleologische Auslegung, bei der der Gerichtshof sich in ständiger Rechtsprechung auf den "effet utile" einer Vorschrift beruft. Art. 119 EGV verfolgt einen doppelten Zweck. Zum einen stellt der Lohngleichheitsartikel eine Manifestation sozialer Gerechtigkeit dar. Von dieser Zwecksetzung her bedarf es aber nicht der automatischen Angleichung nach oben. Gleichheit und Gleichbehandlung verlangen auch unter dem Blickwinkel sozialer Gerechtigkeit ausschließlich eine gleichmäßige Behandlung von Mann und Frau bei der Entgeltbernessung. Art. 119 EGV ist unter diesem Gesichtspunkt völlig neutral.362 Der zweite Zweck ist wettbewerbspolitischer Natur. Besonders in der Frühphase der Gerneinschaft sollte die Vertragsbestimmung das hohe Lohnniveau auch für Frauen in Frankreich gegenüber Mitgliedstaaten absichern, die durch geschlechtsspezifische Lohndiskriminierung Wettbewerbsvorteile aufwiesen. 363 Dieser Zielsetzung kommt die automatische Anhebung des Lohnniveaus für Frauen auf das von Männern entgegen. Dennoch darf diese historische Auslegung nicht überbewertet werden. Die französischen Vorstellungen sind von den anderen Unterzeichnerstaaten nicht geteilt worden, sie haben keinen erkennbaren Niederschlag im Vertragstext gefunden und sind in ihrer inhaltlichen Berechtigung nach wie vor umstritten. Genausogut läßt sich vertreten, daß Lohnunterschiede den Wettbewerb eher befördern, denn behindern. Außerdem braucht ein hoher Sozialstandard keineswegs ein Hindernis für Wirtschaftswachsturn darzustellen. 364 Auch die wettbewerbspolitische Zwecksetzung kann das Auslegungsergebnis des EuGH deshalb nicht tragen. Fraglich ist, ob unter Berücksichtigung des "effet utile" von Art. 119 EGV die "Angleichung nach oben" zu rechtfertigen ist. Der Effektivitätsgrundsatz in der 362 363

364

Hartmann, S. 292 f. Vgl. oben 2. Kap. A II I; Bahlmann, RdA 1984, 98. Vgl. auch Knolle, BArbBl. 1957,488 (489).

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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Rechtsprechung des EuGH verlangt, daß eine Norm des Gemeinschaftsrechts stets so auszulegen ist, daß ihr größtmögliche Wirkung im Hinblick auf die Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft (vgl. Art. 2 EGV) zukommt. 365 Danach gebietet der "effet utile" hier eine automatische Angleichung nach oben, wenn bei einem Verständnis des Art. 119 EGV als reinem Verteilungsmaßstab die effektive Durchsetzung des Gleichberechtigungsgebotes gefährdet wäre. Legt man die Rechtsprechung des EuGH zugrunde, besteht in der Tat keine Gefahr, daß der Lohngleichheitsartikel zu einer "stumpfen Waffe"366 wird. Denn die Gleichbehandlung ist durch Angleichung nach oben effektiv gesichert, indem der Benachteiligte auf diese Besserstellung einen Anspruch hat. 367 Dies bedeutet aber nicht zwingend, daß ohne Rekurs auf die Effektivität und näherer Überprüfung in jedem Fall bezüglich ihrer Erforderlichkeil die Angleichung nach oben die einzig statthafte Rechtsfolge darstellt. Dem unbedenklichen Rückgriff auf das Auslegungsprinzip des "effet utile" steht jetzt - mindestens für den deutschen Rechtsanwender - die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Maastricht-Urteil entgegen. Das BVerfG ist nicht länger gewillt, ein Überspielen der Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten unter Berufung auf den Grundsatz der mitgeschriebenen Kompetenzen und der möglichst effektiven Auslegung hinzunehmen. Dies widerspricht der klaren Unterscheidung zwischen Vertragsauslegung und Vertragsänderung?68 Das BVerfG hat das modernere Verständnis von Auslegung des Gemeinschaftsrechts auf seiner Seite. In der Aufbauphase der Gemeinschaft hat der EuGH einen unschätzbaren Beitrag zur Entwicklung und fortschreitenden Integration Europas durch sein dynamisches Verständnis des Gemeinschaftsrechts geleistet. Doch diese Phase der Integration ist spätestens mit dem Maastrichter Vertrag zu Ende gegangen. Mit Einführung des Subsidiaritätsprinzips muß auch die Auslegung des Gemeinschaftsrechts unter diesem neuen Gesichtspunkt betrachtet werden. Nicht mehr die Bewerkstelligung der Integration, sondern die Ausbalancierung der Kompetenzlage zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten ist fortan das entscheidende Auslegungskriterium unter Geltung des Subsidiaritätsprinzips. 369 Auch bei der Bestimmung der Rechtsfolge von Art. 119 EGV geht es um die Wahrung der mitgliedstaatliehen Kompetenz für die Lohnfindung. Das Subsidiaritätsprinzip als Auslegungsmaxime zur Austarierung und Wahrung der vertraglichen Kompetenzverteilung zwingt daher zu der Folgerung, daß die automatische 365 EuGH, 15. 7. 1960, Rs. 20/59 (Italien/Hohe Behörde), Slg. 1960,681 (708); Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1180). 366 Vgl. die Stellungnahme der niederländischen Regierung in der Rs. 71/85 (FNV), Slg. 1987, 3855 (3860). 367 Vgl. dazu Hartmann, S. 295. 368 Vgl. BVerfGE 89, 155 (209 f .). 369 Heinze, RdA 1994, 1 (10), spricht davon, daß die Auslegung der Verträge nicht mehr aus der Mitte der Verträge her vorzunehmen sei, sondern von der Peripherie, von der Schnittstelle des Europarechts zum jeweiligen nationalen Recht her.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Angleichung nach oben keineswegs die von der Effektivität her gebotene Rechtsfolge des Art. 119 EGV darstellt. Im übrigen gebietet der Effektivitätsgrundsatz die automatische Angleichung nach oben keineswegs. Denn die verbindliche Verpflichtung zur Neubestimmung der Rechtsfolge unter Beachtung der gerichtlichen Vorgaben durch den dazu berufenen Normgeber ist ebenfalls geeignet, den bisher Benachteiligten zu einer Norm zu verhelfen, die einen gerechten Verteilungsmaßstab beinhaltet. Unter diesem Blickwinkel handelt es sich bei der vom EuGH vorgenommenen "dynamischen Auslegung" des Art. 119 EGV nicht mehr um Vertragsauslegung, sondern um eine Vertragsänderung, zu der ausschließlich die Mitgliedstaaten berufen sind. (bb) Art. 3 GG Zum Vergleich soll kurz auch ein Blick auf Art. 3 GG geworfen werden. Wollte man dem Art. 3 GG tatsächlich eine "Gesamtrichtung nach oben" entnehmen, bedürfte es einer zusätzlichen materiellen Vorgabe. Der Gleichheitsgedanke will Gerechtigkeit vermitteln, auf welchem Niveau diese Gerechtigkeit verwirklicht wird, sagt weder der Gleichheitsgedanke allgemein, noch Art. 3 GG im besonderen. Verbindlich wird nur der Verteilungsmaßstab vorgegeben, der lediglich zu einer gleichmäßigen Behandlung verpflichtet. 370 Nicht nur der Regelungsgegenstand, sondern auch das Niveau, auf welchem dieser Gegenstand normiert wird und das den Maßstab für die Gleichbehandlung abgibt, stehen im Ermessen des jeweiligen Normgebers. Die politische Entscheidung, die der Ausübung des Ermessens zugrunde liegt, kann und will das Grundgesetz nicht determinieren, schon gar nicht in bezug auf ein bestimmtes Regelungsniveau. So sind andere Verfassungsprinzipien bei der Regelung zwar zu beachten, doch folgt auch aus ihnen keine Pflicht zur Angleichung eines Regelungsniveaus nach oben, falls ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz festgestellt wird. Mag man aus Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 5 GG und Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) eine generelle Tendenz zur Hebung des Lebensniveaus herauslesen, doch sind die Vorgaben immer noch so unbestimmt, daß durch sie kein bestimmtes Regelungsniveau vorgeschrieben sein könnte. 371 Ebensowenig vermag das bei jeder Rechtsetzung zu beachtende Vertrauensschutzprinzip die Herstellung der Gleichheit auf dem höheren Niveau für jeden Fall vorzuschreiben.372 Fehlt es nämlich an einem schützenswerten Vertrauen auf den Bestand der gleichheitswidrigen Norm, ist der Normsetzer frei in der gleichheitskonformen Ausgestaltung der Norm. Umgekehrt ist es genauso vorstellbar, daß beispielsweise bei einer tarifvertragliehen Norm sowohl das schützenswerte Vertrauen der Arbeitnehmer gegen eine Anpassung nach unten spricht als auch in genau dem gleichen Maße das schützenswerte Vertrauen

370 371 372

Vgl. Hartmann, S. 89; Mertens, S. 79. Hartmann, S. 89 f. m. w. N. Hartmann, S. 90 f.

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

125

der Arbeitgeber gegen eine Angleichung nach oben. 373 Dies ist aber eine Frage der Normsetzung nach Feststellung der Gleichheitswidrigkeit Ebensowenig enthalten Art. 3 Abs. 2 GG und Art. 3 Abs. 3 GG Vorgaben, wie ein Gleichheitsverstoß zu beseitigen ist und damit auf welchem Niveau Gleichheit herzustellen ist. Auch diesen Bestimmungen ist nur die Wahl des gleichen Verteilungsmaßstabs, also ein gleiches Regelungsverhältnis zu entnehmen. 374 Zu einem anderen Ergebnis käme man allenfalls dann, wenn man insbesondere Art. 3 Abs. 2 GG als Frauengrundrecht qualifizieren wollte. An dieser Stelle bedarf es noch keiner vertieften Auseinandersetzung mit Art. 3 Abs. 2 GG, da bereits ein Blick auf die Vorschrift genügt, um diese Ansicht zu widerlegen. Nach dem Wortlaut sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Daher kann die Norm nicht nur zugunsten von Frauen wirken. Soll die weitere Frage, ob Art. 3 GG aus sich selbst heraus eine gleichheitskonforme Umgestaltung der Rechtslage bewirken kann, bejaht werden, müßte der Gleichheitssatz entweder aus sich heraus oder im Zusammenwirken mit anderen (Verfassungs-)Rechtsätzen genaue Vorgaben für die Korrektur einer gleichheitswidrigen Norm machen. Schon die Abstraktheit und Ausfüllungsbedürftigkeit der Verfassungsnormen steht einer inhaltlichen Festlegung von niederrangigen Rechtssätzen entgegen. Im übrigen ist eben bereits angedeutet worden, daß anderen Verfassungssätzen hierzu eine sichere Aussage nicht entnommen werden kann. Im übrigen bedarf es stets auch inhaltlicher Vorgaben auf der niedrigeren Stufe für eine Ausfüllung.375 Läßt sich Art. 3 GG eine ipso iure eintretende Korrektur der gleichheitswidrigen Regelung nicht entnehmen, könnte man noch auf den Gedanken kommen, wenigstens soweit es um die Benachteiligung von Frauen im Arbeitsleben geht, käme eine Anhebung auf das Niveau der Regelung für Männer in Betracht. Denn es ist davon auszugehen, daß die Regelung, die für Männer gilt, der vom Normgeber gewollte "Normalfall" ist, weil tendenziell mehr Männer als Frauen erwerbstätig sind. Doch legt diese Ansicht die fehlerhafte Prämisse zugrunde, daß nur die Benachteiligung verfassungswidrig ist. Die Verfassungswidrigkeit läßt sich jedoch nur durch einen wechselseitigen Vergleich der Gruppen feststellen. 376 Gegen den Gleichheitssatz verstößt auch nicht eine der beiden Regelungen als solche, sondern die Relation zwischen ihnen. Im übrigen kann nicht die Regelung für eine bestimmte Gruppe als Normalfall angesehen werden. Zwar stellt die ungünstigere Regelung im Verhältnis zur Normalregelung eine Benachteiligung dar, doch stellt genauso die günstigere gegenüber der ungünstigeren eine Bevorzugung dar, die ebenso von Art. 3 Abs. 3 GG verboten wird. Wird stattdessen durch das Gericht

373 374 375 376

V gl. Hartmann, S. 230 ff., 235. Vgl. Hartmann, S. 91 ff., 100. Vgl. Kelsen, Staatslehre, S. 243; Hartmann, S. 109. Vgl. H.P. Ipsen, in: Neumann/Nipperdey I Scheuner, Grundrechte II, S. 179.

126

2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

eine der Regelungen zum Normalfall erklärt, enthält dies bereits eine vorweggenommene Wertung des Gleichheitsniveaus. 377 Zu berücksichtigen sind auch Konsequenzen in der praktischen Anwendung, will der EuGH die insbesondere im Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung gerade erst aufgebaute Prämisse der Einbeziehung tatsächlicher Auswirkungen von Normen bei der Rechtsfolgenbetrachtung nicht gleich wieder aufgeben. So ist es eine nicht zu unterschätzende Tatsache, daß bei arbeitsrechtlichen Regelungen im Entgeltbereich die automatische Angleichung nach oben für viele Arbeitgeber zu einer erheblichen finanziellen Mehrbelastung führt, mit der sie bei der ursprünglichen Kalkulation nicht zu rechnen brauchten. Klassisches Beispiel ist die Ausweitung der betrieblichen Altersversorgung auch auf Teilzeitbeschäftigte nach Feststellung eines Verstoßes gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung durch den EuGH. 378 Damit stellte sich die Frage der Finanzierungsfähigkeit der bestehenden Betriebsrentensysteme. 379 Dies führte in vielen Fällen zu der Konsequenz, daß eine ganze Reihe von betrieblichen Altersversorgungssystemen geschlossen wurden, weil anders die Ausweitung des Dotationsrahmens nicht aufzufangen war. 380 Eine Kürzung bestehender Rechte oder Anwartschaften ist oft so gut wie unmöglich. 381 Von einer solchen Entwicklung getroffen werden jüngere Mitarbeiter, die Leistungsträger von morgen, denen damit nicht nur wesentliche Leistungsanreize für eine Mitarbeit im Unternehmen genommen werden. Gleiches gilt für tarifvertragliche Eingruppierungssysteme, die immer häufiger unter dem Gesichtspunkt der mittelbaren Diskriminierung unter Rechtfertigungsdruck geraten. Wenn der EuGH im Hinblick auf die finanziellen Auswirkungen seiner Entscheidungen bemerkt, daß die Berücksichtigung praktischer Auswirkungen nicht so weit gehen dürfe, daß die Objektivität des Rechts gebeugt und seine zukünftige Anwendung unterbunden werde382, geht dieser Einwand an der Problematik vorbei. Denn die Durchsetzung des Rechts nutzt den Betroffenen nichts, wenn ihr Vertragspartner finanziell nicht mehr in der Lage ist, alle unvorhersehbaren und deshalb nicht einkalkulierten Auswirkungen der Rechtsprechung im Entgeltbereich zu tragen.

m Hanmann, S. 99.

EuGH, 13. 05. 1986, Rs. 170/84 (Bilka), Slg. 1986, 1607 (1621 ff.). Vgl. Ahrend/Jumpenz/Spies, BB 1995, 1186 (1187); Buchner; VSSR 1992, 1 (5); Nicolai, ZfA 1996,481 (482). 380 Vgl. hierzu allgemein Clever, SF 1992, 1 ff. 381 EuGH, 28. 09. 1994, Rs. C-200/91, (Coloroll), Slg. 1994, 1-4389 (4412 ff.); 28. 09. 1994, Rs. C-408/92 (Avdel Systems), Slg. 1994, 1-4435 (4464 ff.); vgl. auch Blomeyer; NZA 1995,49 (53). 382 EuGH, 08. 04. 1976, Rs. 43175 (Defrenne II), Slg. 1976, 455 (480), daher hatte der EuGH den zeitlichen Geltungsbereich seiner neuen Rechtsprechng zur unmittelbaren Wirkung von Art. 119 EGV grundsätzlich auf den Tag der Verkündung des Defrenne II-Urteils beschränkt. 378

379

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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Für die grundgesetzliche Gleichbehandlungsnorm ist an dieser Stelle also keine gegenüber Art. 119 EGV abweichende Beurteilung geboten. Art. 3 GG383 und Art. 119 EGV gewährleisten gleichermaßen, daß der Maßstab für die Zuteilung von Leistungen, wie z. B. Entgelt, der gleiche ist.

gg) Ergebnis Oberstes Leitprinzip bei der Bestimmung der Rechtsfolgen eines Gleichheitsverstoßes muß die Beachtung von Gewaltenteilung 384 und Subsidiarität sein: Die Gerichte dürfen sich nicht zu Ersatzgesetzgebern machen und so die innerstaatliche Gesetzgebung determinieren oder vorwegnehmen, das gilt besonders für den EuGH. Denn weder Art. 119 EGV noch Art. 3 GG machen aus sich heraus oder im Zusammenwirken mit anderen Bestimmungen verbindliche Vorgaben, wie ein Gleichheitsverstoß zu beseitigen ist. Da das Ziel dieser Untersuchung nicht darin besteht, einen neuen Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung zu entwickeln, soll hier nur grob skizziert werden, wie eine Rechtsfolgenbestimmung aussehen könnte, die diese Grundsätze beachtet: Bei einem Gleichheitsverstoß ergreift die Nichtigkeit bzw. Verfassungswidrigkeil nicht eine Regelung allein, sondern immer nur die ungleiche Regelungsrelation. Daher ist festzustellen, ob in einer solchen verfassungswidrigen Regelungsrelation ein nicht gegen den Gleichheitssatz verstoßender "Regelungssockel" enthalten ist. Läßt sich die eigentliche Ungleichbehandlung dann in dem darüber hinausgehenden und logisch abtrennbaren Teil festmachen, ist nur dieser überschießende Teil nichtig. 385 Davon gedanklich zu trennen, ist die anschließende Frage, ob die gleichheitskonforme Restregelung die vom Normgeber so nicht gewollt gewesen ist, dennoch aufrechterhalten werden kann. 386 Die verfassungsgemäße Restnorm wird von der Teilnichtigkeit nur dann erlaßt, wenn diese nach dem objektiven Sinn des Gesetzes bzw. des Tarifvertrages und dem (hypothetischen) Willen der Tarifvertragsparteien keine selbständige Bedeutung mehr hat oder als gegenstandslos gewordener Teil einer gedanklich untrennbaren Gesamtregelung seinen Sinn und seine Rechtfertigung verloren hat. 387 Stellt die Rechtsnorm gegenüber der ursprünglichen Norm ein minus dar, bereitet die Fortgeltung keine Probleme, da der verbleibende Regelungssockel jedenfalls mitgewollt gewesen ist. Im übrigen ist es Sache der Tarifvertragsparteien eine neue gleichheitskonforme Regelung zu finVgl. Hartrmmn, S. 100. Dazu Clever; SF 1992, I (2). 385 Sachs, RdA 1989, 25 (29); Hartmann, S. 197 ff., insbes. S. 202 f.; Belling!Hartmann, NZA 1993, 1009 (1014). 386 Hartmann, S. 203 ff.; Belling!Hartmann, NZA 1993, 1009 (1014). 387 Vgl. BVerfGE 8, 274 (301); 65, 325 (358); Hartmann, S. 205. 383 384

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

den. Handelt es sich bei der Restnorm dagegen um ein aliud oder ein maius gegenüber der ursprünglichen Norm, kommt es auf den hypothetischen Parteiwillen an.388 Weitere Konsequenz der (Teil-)Nichtigkeit ist, daß in der Regel eine Rechtsgrundlage fehlt, die dem Benachteiligten einen Anspruch auf die Besserbehandlung gibt. 389 g) Beweislast

Auch die Frage der Darlegungs- und Beweislastverteilung ist in Literatur und Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt.

aa) Rechtsprechung des EuGH Der Gerichtshof hält allgemein in Fällen der Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts grundsätzlich den Arbeitnehmer, der eine Diskriminierung geltendmacht, für beweispflichtig. Die Beweislast kehre sich allerdings um, wenn Arbeitnehmer bei dem ersten Anschein einer Diskriminierung sonst kein wirksames Mittel hätten, um die Einhaltung des Art. 119 EGV durchzusetzen. 390 So sei der Arbeitgeber hinsichtlich des Vorliegens von Rechtfertigungsgründen darlegungs- und beweispflichtig, wenn beispielsweise aussagekräftige Statistiken einen erkennbaren Unterschied im Entgelt zweiergleichwertiger Tätigkeiten erkennen ließen, von denen die eine fast ausschließlich von Frauen und die andere hauptsächlich von Männern ausgeübt werde?91 Die Verteilung der Beweislast mit der skizzierten Beweislasturnkehr erklärt sich vor dem Hintergrund, daß sich für den EuGH Tatbestands- und Rechtfertigungsebene des Verbots der mittelbaren Diskriminierung als Einheit darstellen. Danach ist also das Nichtvorliegen von Rechtfertigungsgründen Voraussetzung dafür, daß überhaupt eine Diskriminierung gegeben ist. 392 Allerdings gewährt die Rechtsprechung der Klägerin eine weitere Beweiserleichterung, wenn der Arbeitgeber in seinem Unternehmen ein nicht durchschaubares Entlohnungssystem verwendet. Dann muß die Klägerin lediglich auf der Grundlage einer relativ großen Anzahl von Arbeitnehmern belegen, daß das durchschnittliche Entgelt der im Unternehmen beschäftigten Frauen niedriger ist als das der Männer. Anschließend ist es Sache des Arbeitgebers, durch Vorlage genauerer Statistiken zu beweisen, daß sein Entgeltsystem nicht diskriminierend ist. 393 Hartmann, S. 212 ff. Umfassend zu den weiteren Folgen und Möglichkeiten: Hartmann, S. 217 ff., 306 f. 390 EuGH, 27. 10. 1993, Rs. C-127 /92 (Enderby), Slg. 1993,1-5535 (5571 f., Tz. 13). 391 EuGH, a. a. 0., Slg. 1993, 1-5535 (5572, Tz. 14). 392 Vgl. Sievers, S. 149. Mißverständlich insoweit Wisskirchen, S. 168, die meint, das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes sei eine dem Arbeitgeber günstige Tatsache und daher schon nach allgemeinen Regeln von ihm zu beweisen. 393 EuGH, 17.10. 1989,Rs.109/88(Danfoss),Slg. l989, 3199(3225f.). 388

389

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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Dabei ist im übrigen aber zu beachten, daß der EuGH den Fall nicht selbst entscheidet, sondern nur im Wege der Vorabentscheidung Fragen zur Auslegung des EG-Rechts beantwortet. Regelungen zur Beweislast gehören systematisch und kompetenziell in das mitgliedstaatliche Prozeßrecht.

bb) Richtlinienvorschlag der Kommission Ein erster Richtlinienvorschlag der Kommission zur Beweislastumkehr im Bereich des gleichen Entgelts und der Gleichbehandlung von Frauen und Männern394 sah vor, daß die klagende Partei nur eine Anfangsvermutung einer Diskriminierung darlegen muß. Danach sollte die Beweislast auf den Arbeitgeber übergehen. Zweifel sollten zugunsten der Klägerpartei gehen. Dieser Richtlinienvorschlag wurde zurückgezogen, da er am Widerstand des Vereinigten Königreiches scheiterte. In einer Stellungnahme hatte der Bundesrat kritisiert, durch den Richtlinienvorschlag werde die Gefahr eines Ausforschungsbeweises heraufbeschworen. Daneben würden die schutzwürdigen Interessen Dritter, z. B. von Mitbewerbern nur ungenügend beachtet. 395 Auf der Grundlage des Art. 2 Abs. 1, 4. Spiegelstrich des Sozialabkommens von Maastricht ("Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und Gleichbehandlung am Arbeitsplatz") erging durch die Kornmission erneut ein Vorschlag für eine Richtlinie zur Beweislast in Fällen geschlechtsbedingter Diskriminierungen. 396 In dem Richtlinienentwurf ist in Art. 4 Abs. 1 lit. a eine Verteilung der Beweislast vorgesehen, in dem Sinn, daß die klagende Partei eine oder mehrere Tatsachen vorbringen muß, die je nach Fall auf den Anschein einer geschlechtsbedingten unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung schließen lassen und es der beklagten Partei anschließend obliegt zu beweisen, daß keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat. Dabei sollen verbleibende Zweifel zu Lasten des Beklagten gehen. Dem Beklagten obliegt zu beweisen, daß die dem Anschein nach vorliegende Diskriminierung aus sachlichen Gründen erfolgt, die keine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts bewirken soll. Die verabschiedete Richtlinie 97 I 80 I EG sieht in Art. 4 Abs. 1 nur geringfügige Modifikationen gegenüber dem letzten Kommissionsvorschlag vor. Danach gilt: Wenn "Personen, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert 394 Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Beweislast im Bereich des gleichen Entgelts und der Gleichbehandlung von Frauen und Männem, ABI. EG Nr. C 176 v. 5. 7. 1988, S. 5- KOM (88) 269 endg. 395 BR-Drs. 304/88. 396 Geänderter Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Beweislast bei geschlechtsbedingter Diskriminierung, ABI. EG Nr. C 185 v. 18. 06. 1997, S. 21- KOM (97) 202 endg. - 96/0196 (PRT); ursprüngliche Fassung: ABI. EG Nr. C 332 v. 07. 11. 1996, S. 11 -KOM (96) 340-96/0196 (PRT). Dazu ErfK/Schlachter, Art. 119 EGV, Rn. 20; Bieback, S. 117.

9 Traupe

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

halten und bei einem Gericht bzw. einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, [obliegt] es dem Beklagten [ ... ] zu beweisen, daß keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat. " 397

cc) Die Beweislastverteilung in§ 6lla BGB § 6lla Abs. l S. 3 BGB enthält eine von den allgemeinen Regeln der Zivilprozeßordnung abweichende Regel der Beweislast bei Diskriminierungsfällen. Wenn der Arbeitnehmer Tatsachen glaubhaft macht, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses, beim beruflichen Aufstieg oder bei sonstigen Maßnahmen im Arbeitsverhältnis vermuten lassen, wird dem Arbeitgeber die Beweislast dafür auferlegt, daß sachliche Gründe, die nicht auf das Geschlecht bezogen sind, die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen oder das Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung für die auszuübende Tätigkeit ist. Damit trägt die klägerische Partei die Darlegungs- und Beweislast für die Benachteiligung und dafür, daß nur das Geschlecht der Grund für die Benachteiligung war. Hierbei hat sie Tatsachen glaubhaft zu machen, was zeigt, daß die Anforderungshöhe des Strengbeweises nicht erfüllt zu werden braucht. Inwieweit die Regelung des § 294 ZPO auf diese Konstellation paßt, ist umstritten. 398 Aus der gesetzlichen Anordnung ergibt sich unzweifelhaft, daß lediglich ein Grad von Wahrscheinlichkeit vermittelt werden muß, der unterhalb der vollen richterlichen Überzeugung von der Wahrheit liegt. 399 Im Ergebnis muß der Kläger eine Benachteiligung plausibel oder schlüssig darlegen und dabei alles vorbringen, was von einem mit den Interna des Betriebes nicht Vertrauten verlangt werden kann.400 Der Arbeitgeber trägt dann die volle Beweislast für das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen.401

In der Literatur ist richtigerweise darauf hingewiesen worden, daß die Vorschrift des § 6lla Abs. l Satz 3 BGB nur auf die unmittelbare Ungleichbehandlung zugeschnitten ist.402

397 Richtlinie 97 I 801EG des Rates vom 15. Dezember 1997 über die Beweislast bei Diskriminierungaufgrund des Geschlechts, ABI. EG Nr. L 14 v. 20. 01. 1998, S. 6 (8). 398 Für die Anwendbarkeit: LAG Hamburg, OB 1988, 131 ; Molitor, RdA 1984, 13 (16). Gegen die Anwendbarkeit: MünchKomm-BGB I Müller-Glöge, § 6lla, Rn. 35; Prütting, S. 339; Schlachter, S. 180 f.; Wisskirchen, S. 168. 399 Schlachter, S. 181 ; Wisskirchen, S. 168. 400 Erman/Hanau, § 611a, Rn. 14. 401 Prütting, S. 339, ihm folgend Schlachter, S. 182. 402 Sievers, S. 152.

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

131

dd) Verbot der mittelbaren Diskriminierung als Beweisinstrument In der Literatur wird vereinzelt die Ansicht vertreten, bereits das Rechtsinstitut des Verbots der mittelbaren Diskriminierung sei als Beweisinstrument zu verstehen. Auf Grund der "statistischen Wirkung" bestehe eine Vermutung für das Vorliegen einer Diskriminierung. Hieraus ließe sich dann auch auf die Beweislastverteilung schließen. 403 Derjenige, der sich auf Art. 119 EGV berufe, müsse nachweisen, daß die Anwendung der in Rede stehenden neutralen Vorschrift zu einer überwiegenden nachteiligen Betroffenheit eines Geschlechts führt. Dann trage der Anwender der Vorschrift das Risiko, daß er die vermutete Tatsache der Diskriminierung nicht widerlegen könne. Aus dieser Beweislastverteilung folge auch eine Beweiserleichterung für die klagende Partei. Die Vermutung auf Grund der statistischen Materialien bewirke, daß die klagende Partei nur noch die überwiegende nachteilige Betroffenheit eines Geschlechts beweisen müsse, die Diskriminierung dann aber ohne weiteren Nachweis fingiert werde. Der Anwender der differenzierenden Regelung sei hingegen gehalten, den vollen Beweis für das Vorliegen eines die Diskriminierung ausschließenden Rechtfertigungsgrundes zu erbringen.404 Auch Schlachter scheint diesem Verständnis des Verbots der mittelbaren Benachteiligung zuzuneigen, erörtert sie doch die Beweisprobleme von unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung im seihen Zusammenhang. 405 Die Klägerin habe Indizien darzulegen, die ein Wahrscheinlichkeitsurteil über die Abhängigkeit einer Benachteiligung vom Geschlecht der Betroffenen erlaube. Zum Beweis der Benachteiligung gehöre die Darlegung der konkret verantwortlichen Maßnahme des Arbeitgebers als Ursache für die benachteiligende Wirkung. Denn der Arbeitgeber solle nicht einen nicht näher spezifizierten Ungleichgewichtszustand rechtfertigen müssen. Sei jedoch der Klägerin aus tatsächlichen Griinden eine Identifizierung der Maßnahme- wie in der Rechtssache Danfoss406 - unmöglich, kehre sich die Beweislast um.407 Zum einen lasse sich eine mittelbare Benachteiligung durch Indizien nachweisen, von denen auf einen versteckten Diskriminierungsvorsatz geschlossen werden könne. Beispiele für derartige Hilfstatsachen seien geschlechtsspezifische Stellenausschreibungen oder bestimmte Verhaltensweisen und Äußerungen des Arbeitgebers. Fehlten solche Indizien, müsse über den Einzelfall der Klägerin hinaus auch das Verhalten des Arbeitgebers der gesamten Gruppe gegenüber in die Betrachtung einbezogen werden. Ergebe sich dann, daß in der bevorzugten Gruppe keine Frauen oder in der benachteiligten keine Männer seien, habe der Arbeitgeber offensichtlich nach einem Merkmal differenziert, "das nur eine verschleiernde Umschreibung der Geschlechtszugehörigkeit darstellt."408 Auch an403 404 405

406

407

9*

C. Blomeyer; S. 117 ff.; Rating, S. 97 f. C. Blomeyer; S. 124 f. Schlachter; S. 404 ff. EuGH, 17. 10. 1989, Rs. 109/88 (Danfoss), Slg. 1989,3199 (3225 f.). Schlachter; S. 405.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

dere Umstände seien denkbar, die jeder für sich noch nicht verdächtig seien, in ihrer regelmäßigen Wiederkehr jedoch die Vermutung begründeten, daß nicht irgendein denkbarer zulässiger Grund für die Maßnahme den Ausschlag gegeben habe, sondern die Geschlechtszugehörigkeit Wenn die Klägerin also Indizien schlüssig darlege, die aus einem regelhaft einer Gruppe gegenüber geübten Verhalten auf eine ebenso motivierte Entscheidung einem Gruppenmitglied gegenüber schließen Jasse, habe sie die Anforderungen des § 6lla Abs. 1 S. 3 BGB hinsichtlich des Glaubhaftmachens von Tatsachen erfüllt. 409 Eine andere Stimme in der Literatur schlägt anstelle einer Umkehr der Beweislast einen Auskunftsanspruch der betroffenen Klägerin gegen den Arbeitgeber vor, um auf diese Weise das Wissensdefizit hinsichtlich der Tatsachen, auf die der Diskriminierungsvorwurf sich stützt, auszugleichen. 410

ee) Stellungnahme Vorrangig soll sowohl zur Rechtsprechung des EuGH als auch bezüglich der Richtlinie zur Beweislast in Fällen geschlechtsbedingter Diskriminierung kritisch Stellung genommen werden. Nach herkömmlichem Rechtsverständnis muß derjenige, der sich auf das Vorliegen bestimmter Umstände beruft, diese nicht nur darlegen, sondern auch in vollem Umfang beweisen. Das bedeutet, daß das potentielle Opfer einer geschlechtsbedingten unmittelbaren wie mittelbaren Diskriminierung im Entgeltbereich darlegen und beweisen muß, daß eine nicht zu rechtfertigende Diskriminierung nach Art. 119 EGV vorliegt, weil dies die anspruchsbegründenden Tatsachen sind. Die in der Literatur vorgeschlagene Beweislastverteilung widerspricht den Grundregeln des Beweisrechts und enthält so gesehen eine zumindest teilweise Beweislasturnkehr. Wenn dagegen eingewandt wird, daß der EuGH bei der Entwicklung seiner Beweisverteilung keine Regel vorgefunden hatte, die er hätte umdrehen können411 , wird verkannt, daß die Grundsätze der Beweisverteilung nicht für jede Norm extra geschaffen werden oder entwickelt werden müssen, sondern in jeder Rechtsordnung vorgegeben sind. Die in der Richtlinie vorgenommene Beweislastverteilung verletzt das Subsidiaritätsprinzip. Zwar enthält die Richtlinie eine Begründung im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip. Doch geht diese Begründung an den Anforderungen des Art. 3b Abs. 2 EGV vorbei: Wenn die Urteile des EuGH zur Beweislast in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgelegt werden, rechtfertigt dies vorrangig ein Vertragsverletzungsverfahren bei Mißachtung der Rechtsprechung, nicht jedoch eine 408

409

410 411

Schlachter, S. 406. Schlachter, S. 406. Wisskirchen, S. 171 ff. So C. Blomeyer, S. 126.

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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europäische Rechtsetzung. Warum die Mitgliedstaaten nicht selbst in der Lage sind, die Beweislast bei Geschlechtsdiskriminierungen zu regeln, oder inwiefern bei der Umsetzung des Art. 119 EGV noch Defizite in einzelnen Mitgliedstaaten bestehen, wird nicht dargetan. Zwar mag eine kohärente und einheitliche Auslegung in diesem Bereich wünschenswert sein, doch ergibt sich hieraus noch keine europarechtliche Kompetenz. Rechtsvereinheitlichung ist nicht das vorrangige Ziel des Sozialabkommens. Weiterhin gestattet die Rechtsgrundlage des Art. 2 Abs. 1, 2 Sozialabkommen keine Eingriffe in das nationale Prozeßrecht, in die Fragen von Beweislastverteilung und Beweiswürdigung. Dies geht über die Kompetenzgrundlage "Gleichbehandlung am Arbeitsplatz" deutlich hinaus. Die Gleichbehandlung ist nach der Rechtsprechung des EuGH auch ohne diese Richtlinie sichergestellt. Der Umstand, daß es in der Praxis mitunter zu Beweisschwierigkeiten kommt, rechtfertigt allein noch keine Umkehr oder auch nur Änderung der Beweislastverteilung. Daneben sind faktische Schwierigkeiten allein kein Defizit in der Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die genannte Kompetenz nicht eröffnet. "Beweislastverteilung" bedeutet in der Richtlinie eher "Umkehr der Beweislast"; doch sind die Voraussetzungen dafür nicht eingehalten: Der Kläger muß Tatsachen vorbringen, und falls erforderlich beweisen, die eine geschlechtsbedingte Diskriminierung vermuten lassen. Entscheidend ist, daß der Kläger nicht über die Informationen und Mittel verfügt, die Diskriminierung zu beweisen. Das Vorbringen bzw. Glaubhaftmachen von Tatsachen allein reicht für eine Umkehr der Beweislast nicht aus. Vom Beklagten wird auf diese Weise der volle Beweis einer negativen Tatsache verlangt. Damit wird der Beklagte aber in aller Regel in eine noch schwierigere Situation gebracht als sie für die klagende Partei vorgelegen hat. Zweifel in der Beweisführung unterliegen richterlicher Wertung, dürfen nicht von vomherein einer Prozeßpartei angelastet werden. Dies gilt auch für den Sonderfall der nicht durchschaubaren Entgeltsysteme und arbeitgeberseitigen Entscheidungen. Hier würde es genügen, wenn der Beklagte die Tatsachen vorträgt, die das System oder die Entscheidung durchschaubar machen, indem er die tragenden Motive und Fakten angibt. Im Gegensatz dazu verlangt die Rechtsprechung jedoch den vollen Gegenbeweis durch entsprechende Statistiken. Ganz davon abgesehen reicht ein Auskunftsanspruch des Klägers wie in Art. 5 des ursprünglichen Richtlinieneentwurfes von 1988 und von Wisskirchen vorgeschlagen aus, den Interessen der klägerischen Partei gerecht zu werden. Mehr als die dann vorgetragenen Tatsachen wird der Beklagte nicht vorbringen können. Die Umkehrung der Beweislast wird damit aus prozeßrechtlicher Sicht überflüssig. Zu bemängeln ist abschließend, daß das Verhältnis zwischen dem Instrument der mittelbaren Diskriminierung und der Beweislastverteilung nach dieser Richtlinie unklar bleibt. Wird einfach nur die Rechtsprechung festgeschrieben, oder hat

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

die mittelbare Diskriminierung doch eine andere Funktion als die eines Beweisinstrumentes? Den Ausführungen von Schlachter kann insgesamt nicht gefolgt werden. Sie erscheinen zu sehr auf den Nachweis einer Diskriminierungsabsicht zugeschnitten zu sein, auf die es nur im Fall der verdeckten unmittelbaren Diskriminierung ankommt. Insofern paßt der Ansatz zur Beweislastverteilung nicht zum Verbot der mittelbaren Diskriminierung.

5. Zusammenfassung Gezeigt werden konnte, daß zum Verbot der mittelbaren Diskriminierung trotz gewisser Grundlinien in Rechtsprechung und Literatur eine Reihe unterschiedlicher Prüfungsansätze und Konzeptionen vertreten werden, die eine einheitliche Beurteilung und Handhabung des Rechtsinstituts erschweren. Verwiesen sei nur auf die Fragen der richtigen Vergleichsgruppenbildung, der Kausalität und der objektiven Rechtfertigung. Auf den theoretischen Hintergrund der verschiedenen Konzeptionen soll im 3. Kapitel der Arbeit näher eingegangen werden. Ziel dieser Darstellung ist es nicht gewesen, ein weiteres Konzept für das Verbot der mittelbaren Diskriminierung zu erarbeiten. Daher steht am Schluß dieses Abschnitts auch keine Formulierung eines eigenen Aufbaus. Aufgezeigt werden sollten vielmehr die Probleme und Friktionen, die das Verbot der mittelbaren Diskriminierung in der praktischen Anwendung bereiten. Der Fall "Böte!" eignet sich hierzu exemplarisch. Für den hier zur Diskussion gestellten Fall der teilzeitbeschäftigten Betriebsrätin konnte jedoch im Ergebnis kein Verstoß gegen Art. 119 EGV unter dem Gesichtspunkt der mittelbaren Diskriminierung festgestellt werden. Erstens läßt sich die Anwendbarkeit des europarechtlichen Lohngleichheitsgebots auf die betriebsverfassungsrechtliche Schulungsteilnahme kaum begründen, weil das Entgelt nicht für "Arbeit" fortgezahlt wird. Es fehlt bei der Schulungsteilnahme an dem notwendigen Zusammenhang zwischen Entgelt und Arbeit. Zweitens konnte in den verschiedenen Prozessen konkret keine überwiegende Benachteiligung weiblicher teilzeitbeschäftigter Betriebsratsmitglieder dargelegt werden, weil es hierzu bereits an aussagekräftigem Zahlenmaterial fehlte. Darüber hinaus liegt im Lohnausfallprinzip keine Ungleichbehandlung, weil vollzeitbeschäftigte und teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder gleichbehandelt werden. Beiden Gruppen wird das Entgelt fortgezahlt, das sie erhalten hätten, wenn sie an ihrem Arbeitsplatz gearbeitet hätten. Drittens lassen das Ehrenamtsprinzip und das Lohnausfallprinzip, die beide nicht voneinander zu trennen sind, eine unterstellte mittelbare Ungleichbehandlung gerechtfertigt erscheinen. Der Lohn wird nicht "für" die Teilnahme an der Schulungsveranstaltung gezahlt. Ansonsten erhielten teilzeitbeschäftigte Betriebsratmit-

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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glieder eine zusätzliche Vergütung, die ihre Unabhängigkeit vom Arbeitgeber gefährden würde. Die Unabhängigkeit des Mitbestimmungsamtes wird vom Gesetzgeber höher bewertet als wirtschaftliche Anreize zur Übernahme des Amtes. Das Lohnausfallprinzip ist die konsequente Umsetzung des Ehrenamtsprinzips. Da dem Betriebsrat aus der Amtsführung weder Vorteile noch Nachteile erwachsen dürfen, erhält er genau den Lohn, den er erhalten hätte, wenn er gearbeitet hätte. Diese Gesetzeskonzeption zwingt sowohl vollzeit- wie auch teilzeitbeschäfigte Betriebsratsrnitglieder mitunter zu Freizeitopfem. Angesichts dieser Sachlage war auf Fragen der Rechtsfolge und der Beweislastverteilung für den konkreten Fall nicht mehr einzugehen.

111. Verstoß gegen das Grundrecht auf Beseitigung von geschlechtsbedingten Benachteiligungen im Arbeitsverhältnis Ob ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Beseitigung von geschlechtsbedingten Benachteiligungen im Arbeitsverhältnis412 vorliegt, bedarf keiner näheren Erörterung, da dies subsidiär ist gegenüber Art. 119 EGV. Weitergehende Rechte können hieraus nicht hergeleitet werden.

IV. Verstoß gegen die Richtlinie 75/117/EWG Die sogenannte Entgeltrichtlinie 75/117/EWG413 soll die Anwendung des Art. 119 EGV sichern. Die Richtlinie als abgeleitetes Recht ist jedoch nicht in der Lage, den EG-Vertrag zu ändern. Art. 119 EGV hat als primäres Gemeinschaftsrecht Vorrang. Eine Vertragsänderung kann nur durch einen neuen Vertrag geschehen, der der Ratifizierung aller Mitgliedstaaten bedarf. Dies legt Art. N EUV ausdrücklich fest, der den alten Art. 236 EWGV abgelöst hat. Insofern können sich aus den Vorschriften dieser Richtlinie, die sich speziell auf das Entgelt bezieht, keine weitergehenden Rechte ergeben als aus Art. 119 EGV.414 Wenn in Urteilennicht selten auch des BAG - gerade zu Fragen des Verbots der mittelbaren Diskriminierung die Richtlinie 75 I 117 /EWG mitzitiert wird, ist dies inhaltlich ohne Bedeutung. EuGH, 15. 06. 1978, Rs. 149/77 (Defrenne III), Slg. 1978, 1365 (1379); Bloch, S. 33 f. Richtlinie Nr. 75/117 I EWG des Rates zur Ang1eichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen vom 10. Dezember 1975, ABI. EG Nr. L 45 v. 19. 02. 1975, S. 19. 414 Vgl. EuGH, 31. 03. 1981, Rs. 96/80 (Jenk.ins), Slg. 1981,911 (927, Tz. 22); EuGH, 03. 12. 1987, Rs. 192/85 (George Noel Newstead/Department ofTransport and Her Majesty's Treasury), Slg. 1987,4753 (4784, Tz. 20); bestätigt in EuGH, 17. 05. 1990, Rs. C-262/ 88 (Barber), Slg. 1990,1-1889 (1949, Tz. 11); Beyer, BetrAV 1992,6 (9). 412

413

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

V. Verstoß gegen die Richtlinie 76/207 /EWG Wegen des teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern zugemuteten höheren Freizeitopfers kommt ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 761207 IEWG415 in Betracht. Diese Vorschriften verbieten sowohl eine unmittelbare als auch eine mittelbare Diskriminierung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen. Die Richtlinie will in Ergänzung zu Art. 119 EGV den Grundsatz der Gleichbehandlung einerseits beim Zugang zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg, andererseits bei der Beendigung der Beschäftigung sowie allgemein in bezug auf die Arbeitsbedingungen sicherstellen. Da es unter diesem Blickwinkel nicht auf die spezielle Entgeltgleichheit ankommt, entfalten weder Art. 119 EGV noch die Richtlinie 75 I 117 I EWG eine Sperrwirkung.

1. Unmittelbare Anwendbarkeit Grundsätzlich kann eine Klägerin im Prozeß gegen ihren beklagten Arbeitgeber aus einem Verstoß des § 37 BetrVG gegen Art. 5 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 761207 IEWG keinen Anspruch herleiten. 416 Das wäre nur der Fall, wenn die Richtlinie 76 I 207 I EWG unmittelbar anwendbar wäre. Grundsätzlich sind Richtlinienbestimmungen nach Art. 189 Abs. 3 EGV nicht unmittelbar im nationalen Recht anwendbar, sondern bedürfen der Umsetzung in innerstaatliches Recht, wobei die Ziele einer Richtlinie für die Mitgliedstaaten verbindlich sind. Der EuGH macht von diesem Grundsatz jedoch eine Ausnahme, wenn die Richtlinie innerstaatlich nicht innerhalb der vorgegebenen Frist umgesetzt worden ist und die einzelne Bestimmung der Richtlinie, die entscheidungserheblich ist, inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist.417

2. Umsetzungsdefizit hinsichtlich Art. 5 der Richtlinie 76/207/EWG Im Hinblick auf ein mögliches Umsetzungsdefizit der Richtlinie 761207 IEWG reicht es nicht, darauf hinzuweisen, daß Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG eine effektive Kontrollfunktion und Korrekturwirkung zur Herstellung der Gleichbehandlung ge415 Richtlinie Nr. 76/207 /EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männen und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen vom 9. 2. 1976, ABI. EG Nr. L 39 v. 14. 2. 1976, S. 40. 416 LAG Baden-Württemberg, DB 1993, 1826 (1828); Schief er, DB 1993, 1822 (1823). 417 EuGH, 04. 12. 1974, Rs. 41174 (Yvonne van Duyn/Home Office), Slg. 1974, 1337 (1348 f.); EuGH, 26. 02. 1986, Rs. 152/84 (M.H. Marshali/Southampton and Soutb-West Hampshire Area Health Authority [Teaching]), S1g. 1986,723 (748 f.).

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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währleisten. 418 Dies genügt nur der Umsetzung von Art. 5 Abs. 2 lit. b der Richtlinie. Die Richtlinie 76/207 /EWG verlangt aber nicht nur eine Kontrolle von Vorschriften, sondern in Art. 5 Abs. 2 lit. a vorrangig die Beseitigung aller entgegenstehenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Das erfordert eine inhaltliche Anpassung des gesamten nationalen Rechts, soweit es den Bestimmungen der Richtlinie widerspricht. So ist also zu fragen, ob § 37 BetrVG den Anforderungen des Art. 5 der Richtlinie entspricht. Dann müßte das teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern strukturell häufiger zugemutete Freizeitopfer oder anders ausgedrückt die faktische Hinderung, für eine Betriebsratsmitgliedschaft zu kandidieren bzw. diese Mitgliedschaft zu gleichen Bedingungen auszuüben, eine Arbeitsbedingung im Sinn dieser Vorschrift sein. 419

Reich/Dieball sprechen sich für eine weite Auslegung des Begriffes der Arbeitsbedingungen aus. Hierfür führen sie die Zielsetzung der Richtlinie im Hinblick auf Art. II7 EGV an, der von einer Angleichung der Lebens- und Arbeitsbedingungen im Wege des Fortschritts spricht. In diesem Zusammenhang sei auch die gewählte Rechtsgrundlage des Art. 235 EGV zu berücksichtigen. Die Rechtsstellung der Arbeitskräfte in der EG werde durch ein Geflecht von individual- und kollektivrechtlichen Regelungen bestimmt. Der Vergleich mit der Verordnung I612/68 belege die Notwendigkeit einer weiten Auslegung. Auch hier seien in Art. 7 und Art. 8 der VO I6I2/68 individual- und kollektivrechtliche Elemente bei der Ausübung der Beschäftigung verkoppelt. In diesem Sinne seien von dem Begriff der "Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen" auch Folgeregelungen mit Bezug auf eine Tätigkeit in Arbeitnehmervertretungsorganen urnfaßt, etwa hinsichtlich Freistellung, Entschädigung, Fortbildung und Erstattung von Lohnausfall420,42I. Von Art. 5 Abs. I Richtlinie 76/207 /EWG werde nicht nur die unmittelbare, sondern auch die mittelbare Diskriminierung erfaßt (vgl. Art. 2 Abs. I Richtlinie 76/207 /EWG). Die dem Lohnausfallprinzip entsprechende Entschädigungsregelung für die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen diskriminiere weibliche teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder durch formale Gleichbehandlung von in Wirklichkeit ungleichen Sachverhalten.422 Zweifelhaft ist, ob der vorliegende Sachverhalt wegen des starken Entgeltbezuges nicht erschöpfend von Art. II9 EGV erfaßt wird. Desweiteren müssen gegen die hier vorgeschlagene weite Auslegung des Begriffes "Arbeitsbedingungen" Bedenken angemeldet werden: Sie verkennt, daß der EG zwar eine Kompetenz für 418 419 420 421 422

Belling!Hartmann, NZA 1993, 1009 (1015). So Reich/Dieball, ArbuR 1991, 225 (230 ff.). Vgl. Randelshofer; in: Grabitz I Hilf, Art. 48, Rn. 31. Reich/ Dieball, ArbuR 1991, 225 (230 f.). Reich/ Dieball, ArbuR 1991, 225 (230 f.).

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Fragen der Entgeltgleichbehandlung, nicht aber für die Materie "kollektives Arbeitsrecht" bzw. "Arbeitnehmennitbestimmungsrecht" eingeräumt ist. 423 Der Verweis auf Art. 117 und 235 EGV geht fehl. Art. 117 EGV enthält keine Kompetenzbestimmung. Die Voraussetzungen für die Lückenfüllungskompetenz des Art. 235 EGV liegen für Arbeitnehmermitbestimmungsfragen nicht vor. Davon abgesehen dürfte es sich jedoch bei den geschilderten Randbedingungen der Teilnahme an Betriebsratsschulungsveranstaltungen kaum um "Arbeitsbedingungen" handeln. Oben war herausgestellt worden, daß schon Betriebsratstätigkeit und Arbeitsleistung nicht identisch sind. Dann hat dies für das besagte Freizeitopfer erst recht zu gelten. Insofern reicht der pauschale Hinweis auf kollektive Arbeitsbedingungen keineswegs. Im übrigen hilft es auch nicht, auf einen angeblichen Widerspruch424 der herkömmlichen Auslegung des § 37 Abs. 2 BetrVG mit der Entschließung des Rates vom 21. Mai 1991 zum dritten mittelfristigen Aktionsprogramm der Gemeinschaft für die Chancengleichheit für Frauen und Männer425 hinzuweisen. Hierin werden die Sozialpartner aufgefordert, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vertretung von Frauen in den Entscheidungsgremien aktiv zu fördern. Durch die Regelung des Lohnausfallprinzips werden aber nicht nur Frauen, sondern allgemein teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer abgehalten, im Betriebsrat rnitzuarbeiten. Die vom mittelfristigen Aktionsprogramm angestrebte Chancengleichheit verlangt zudem keine einseitige Besserstellung weiblicher teilzeitbeschäftigter Betriebsratsmitglieder. Letztlich muß die Aufforderung an die Sozialpartner in diesem Fall leerlaufen, weil § 37 Abs. 6 Satz I BetrVG als zwingende gesetzliche Vorschrift den Sozialpartnern keinen Gestaltungsspielraum läßt. Auch die Sozialpartner können sich nicht über das Lohnausfallprinzip hinwegsetzen.

3. Horizontale Wirkung von Richtlinien Sind also hinsichtlich einer Subsumtion des § 37 BetrVG unter die Richtlinie 76 I 207 I EWG große Zweifel anzumelden, muß die nachfolgend dargestellte Überlegung gänzlich zu einer Verneinung eines Verstoßes gegen diese Richtlinie führen. In der Konstellation, daß eine ArbeitnehmeTin einen Anspruch gegen ein anderes Privatrechtssubjekt, ihren Arbeitgeber, geltend macht, gilt hinsichtlich der unmittelbaren Anwendbarkeit eine Besonderheit: Um den Anspruch gewähren zu können, müßten die Richtlinien des EG-Vertrages horizontale Wirkung in Privatrechtsverhältnissen entfalten, also auch ohne Umsetzung zwischen zwei Privat423 Erst das Sozialabkommen von Maastricht hat hier in Art. 2 Abs. 3 für damals 14 der 15 Mitgliedstaaten eine Rechtsänderung gebracht. 424 Reich/ Dieball, ArbuR 1991, 225 (232). 425 ABI. EG Nr. C 142 v. 31. 05. 1991, S. 1 ff.

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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rechtssubjekten anwendbar sein.426 Nach Art. 189 Abs. 3 EGV ist die Richtlinie ein Rechtsakt, der an die Mitgliedstaaten gerichtet ist und für sie in bezug auf das zu erreichende Ziel verbindlich ist. Jede Richtlinie muß also von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden, um innerstaatlich- auch zwischen Privatrechtssubjekten - Verbindlichkeit zu erlangen. Ausnahmsweise kann einzelnen Bestimmungen einer Richtlinie unmittelbare Wirkung zukommen. Der einzelne Bürger kann sich dann aber nur staatlichen Stellen gegenüber auf inhaltlich unbedingte und hinreichend genaue Richtlinienbestimmungen berufen. Die unmittelbare horizontale Wirkung unter Privaten wäre in diesem Fall, und ist es auch in anderen Fällen häufig, eine unmittelbare Wirkung zu Lasten eines Gemeinschaftsbürgers, hier des Arbeitgebers. Für die Geltung einer derartigen horizontalen Drittwirkung mag man einen einheitlichen gemeinschaftsweiten Standard der Rechtsgeltung in den Mitgliedstaaten anführen sowie die Erwägung, daß das Erfordernis der Umsetzung einer Richtlinie den Souveränitätsinteressen der Mitgliedstaaten dienen und nicht den Bürger vor Belastungen schützen solle. 427 Das bis zur Rechtsänderung durch den Maastrichter Vertrag gültige Argument, daß die fehlende Veröffentlichungsbedürftigkeit (Art. 191 EWGV) einer Drittwirkung entgegenstünde, ist durch die Neufassung des Art. 191 Abs. 2 EGV generell allerdings nicht mehr aufrechtzuerhalten. 428 Doch sprechen die gewichtigeren Argumente gegen die horizontale Wirkung: Die Richtlinien sind an die Mitgliedstaaten adressiert, also können sie auch nur den Staat und seine Untergliederungen binden, nicht aber davon unabhängige Dritte. Anderenfalls würden mit unmittelbarer Wirkung Verpflichtungen zu Lasten einzelner geschaffen, obwohl die Gemeinschaft dazu nur in den Fällen der Verordnung und der Entscheidung befugt ist. Auch systematische Überlegungen stehen einer unmittelbaren horizontalen Wirkung von Richtlinien entgegen. Bei der Annahme einer unmittelbaren Wirkung zu Lasten eines einzelnen Bürgers würde zum einen der die Richtlinie nicht umsetzende Mitgliedstaat auch noch einen Vorteil aus dieser Tatsache, und damit aus einem Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht, ziehen. Dies widerspricht aber dem Gedanken, daß die unmittelbare Wirkung nicht fristgerecht umgesetzter Richtlinien Sanktionscharakter haben soll, weil sich der Mitgliedstaat sonst zu seinem früheren Verhalten ungeahndet in Widerspruch setzen könnte. Zum anderen verlöre sich anderenfalls die Abgrenzung zwischen Verordnung und Entscheidung auf der einen Seite sowie Richtlinie auf der anderen Seite.429

426 Dies wird von der ganz h. M. abgelehnt: EuGH, 26. 02. 1986, Rs. 152184 (Marshall), Slg. 1986, 723 (749 unter Tz. 48); dazu Langenfeld, S. 197. A.A.: Reich/Dieball, ArbuR 1991, 225 (235 f.). 427 Vgl. Bleckmann/Bleckmann, Rn. ll95; ders., RIW 1984,774 (776 f.). 428 Etwas anderes gilt fur die Richtlinie 76 I 207 I EWG, weil diese noch nach der alten Regelung lediglich im Amtsblatt Nr. L unter der Rubrik "nicht veröffentlichungsbedürftige Rechtakte" erschien.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Hiergegen wird wiederum eingewandt, daß bei diesem Verständnis die Abgrenzung zwischen gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung und horizontaler Drittwirkung nicht durchgeführt werden könne. 430 Unmittelbare Wirkung und EGrechtskonforme Auslegung sind jedoch streng zu unterscheiden. 431 Denn der jeweilige gedankliche und methodische Ansatzpunkt ist ein ganz verschiedener, auch wenn sich beide Instrumente in gewisser Weise ergänzen. Vorrang vor der unmittelbaren Wirkung hat die richtlinienkonforme Auslegung. Ihr sind aber Grenzen gesetzt, soweit eine unzulängliche Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht zu beklagen ist.432 Richtlinienkonforme Interpretation kann immer nur soweit gehen, wie das nationale Recht noch auslegungsfähig ist. Ebenso scheidet eine richtlinienkonforme Auslegung dort aus, wo die Richtlinie dem nationalen Gesetzgeber einen Spielraum für die Umsetzung gewährt. 433 Im Privatrechtsverhältnis ist häufig das Bestehen einer Anspruchsgrundlage im Streit; existiert eine solche im nationalen Recht nicht, kann sie nicht mittels richtlinienkonformer Auslegung des nationalen Rechts gewonnen werden. Andererseits kann die unmittelbare Wirkung von Richtlinien durchaus eine Anspruchsgrundlage zur Verfügung stellen, wenn die Richtlinie eine solche normiert. In diesem Fall kann auch eine richtlinienkonforme Auslegung des § 37 BetrVG am Ergebnis nichts ändern. Denn selbst wenn der Tatbestand einer mittelbaren Diskriminierung bejaht werden sollte, müßte man immer noch von einer Rechtfertigung durch das Ehrenamtsprinzip und das Lohnausfallprinzip ausgehen.

VI. Staatshaftungsanspruch Die Klägerin könnte einen Schadensersatzanspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland aus dem Gesichtspunkt der Staatshaftung wegen mangelhafter Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinie 76 I 207 I EWG haben.

429 Vgl. aus der jüngeren Rechtsprechung: EuGH, 14. 07. 1994, Rs. C-91 192 (Paola Faccini DoriiRecreb Srl), Slg. 1994, 1-3325 (3355 f.); EuGH, 07. 03. 1996, Rs. C-192194 (EI Corte lngles SAICristina Blazquez Rivero), Slg. 1996, 1-1281 (1303, Tz. 17); Haneklaus, DVBI. 1993, 129 (133). 430 Reich/Dieba/1, ArbuR 1991,225 (236). 431 Götz, NJW 1992, 1849 (1853); Jarass, NJW 1990,2420 (2421). Vgl. auch den Schlußanträge des GA Darrnon in der Rs. C-177 I 88 (Elisabeth Johanna Pacifica Dekker I Stichting Vonningscentrum voor Jong Volwassenen [VJV-Centrum] Plus), Slg. 1990, 1-3956 (3958 f., insbes. Tz. 15). 432 EuGH, 08. 10. 1987 Rs. 80186 (Strafverfahren gegen Kolpinghuis Nijmegen BV), Slg. 1987, 3969 (3986, Tz. 13); Götz, NJW 1992, 1849 (1854). 433 Classen, EuZW 1993, 83 (86 f.).

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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1. Voraussetzungen nach der Rechtsprechung des EuGH Mittlerweile hat der Gerichtshof in einer Reihe von Judikaten434 eine Schadensersatzpflicht der Mitgliedstaaten gegenüber einzelnen Bürgern als weitere Sanktion gegen die Mitgliedstaaten herausgebildet, wenn die betreffende Richtlinie nicht ordnungsgemäß in innerstaatliches Recht umgesetzt worden und die entscheidende Richtlinienbestimmung einer unmittelbaren Geltung nicht zugänglich ist. Neuerdings hat der EuGH die mitgliedstaatliche Schadensersatzpflicht auch im Fall von sog. legislativem Unrecht eintreten lassen, wenn formelles mitgliedstaatliches Gesetzesrecht gegen Vertragsbestimmungen oder Verordnungsrecht verstößt. 435 Die Begründung dieses Rechtsinstituts folgt demselben Gedanken wie im Fall der Rechtsprechung zur unmittelbaren Wirkung und stellt insofern eine konsequente Fortsetzung dieser Rechtsprechung dar. Dem Prinzip des effet utile und der mitgliedstaatliehen Verpflichtung aus Art. 5 EGV folgend dürfe die Nichtumsetzung auch von nicht unmittelbar wirkenden Richtlinien für die Mitgliedstaaten nicht folgenlos bleiben, solle nicht die volle Wirkung der Richtlinie gefährdet werden. Im übrigen würde es dem gemeinschaftlichen und dem mitgliedstaatliehen Rechtsstaatsprinzip widersprechen, zu dem die Staatshaftung zähle, wenn Mitgliedstaaten sich einer Haftung für Schäden entziehen könnten, die sie durch einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht verursacht hätten. Mit Blick auf die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft nach Art. 215 Abs. 2 EGV müssen für einen Schadensersatzanspruch folgende Voraussetzungen vorliegen: 436 Als erstes wird ein objektiver Pflichtverstoß gefordert, der in einer fehlerhaften Durchführung der Richtlinie liegt. Dabei ist unerheblich, ob es sich um eine Versäumung der Umsetzungsfrist handelt oder um eine unvollständige, inhaltlich fehlerhafte oder mit unzureichenden Umsetzungsmitteln vollzogene Richtliniendurchführung.437 Sodann muß das durch die Richtlinie vorgesehene Ziel dem einzelnen Rechte verleihen. Das heißt, der materielle Gehalt eines Zieles oder einer Bestimmung muß einem bestimmten abgegrenzten Personenkreis zugute kommen.438 Eine kon43 4 EuGH, 19. II. 1991, verb. Rs. C-6 u. 9/90 (Francovich), Slg. 1991, 1-5357; EuGH, 16. 12. 1993, Rs. C-334/92 (Teodoro Wagner Miret/Fondo de garantfa salarial), Slg. 1993, 1-6911; EuGH, 14. 07. 1994, Rs. C-91192 (Faccini Dori), Slg. 1994, 1-3325; EuGH, 08. 10. 1996, verb. Rs. C-178, 179, 188, 189 u. 190/94 (Erich Dillenkofer u. a./Bundesrepublik Deutschland ["MP-Travel"]), Slg. 1996,1-4845. 435 EuGH, 05. 03. 1996, verb. Rs. C-46 u. 48/93 (Brasserie du Pecheur SA/Bundesrepublik Deutschland u. The Queen I Secretary of State for Transport ex parte: Factortame Ltd. u. a. ["Factortame III"]), Slg. 1996, 1-1029. 436 Vgl. auch Comils, S. 124 ff. 437 EuGH, 19. 11. 1991, verb. Rs. C-6 u. 9/90 (Francovich), Slg. 1991, 1-5357 (5415, Tz. 38 ff.). 438 Zu Einzelheiten vgl. Comils, S. 124 f. m. w. N.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

krete Rechtsnorm, die ein Individualrecht beinhaltet, braucht gerade nicht vorzuliegen. Denn der Schadensersatzanspruch kommt nur zum Tragen, wenn die Bestimmungen nicht unmittelbar anwendbar sind. Drittens muß der Inhalt des mit der Richtlinie verfolgten Rechts auf der Grundlage der Richtlinie bestimmbar sein. Schließlich muß ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die mitgliedstaatliche Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinie und dem entstandenen Schaden des Bürgers bestehen. Zuletzt ist zu fragen, ob in bestimmten Fallgestaltungen die Schadensersatzpflicht von einem qualifizierten Pflichtverstoß abhängt. Zu denken ist an nicht offenkundige Pflichtverstöße bei einer inhaltlich fehlerhaften Richtlinienumsetzung oder wenn der Mitgliedstaat objektiv vertretbar der Auffassung war, das bestehende nationale Recht entspreche bereits den Zielen der Richtlinie, und deshalb eine Umsetzung unterließ. 439 Als Rechtsfolge440 ergäbe sich ein Schadensersatzanspruch in Höhe des Lohnes für Vollzeitkräfte. Fraglich ist schon, inwieweit im Zusammenhang mit der Teilnahme an Schulungsveranstaltungen von Arbeitsbedingungen im Sinn dieser Vorschrift gesprochen werden kann. Hier gilt das gerade Erörterte (V 2). Davon abgesehen dürften auch die Voraussetzungen für eine Staatshaftung nicht vorliegen. Ziel der Richtlinie ist die Gleichbehandlung auch durch das Verbot der mittelbaren Diskriminierung im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen, die von Art. 119 EGV nicht erfaßt werden. Problematisch ist aber, ob der genaue Inhalt dieses Zieles sich auf Grund der Richtlinie hinreichend bestimmen läßt. Tatbestand und Rechtsfolgen des Verbots der mittelbaren Diskriminierung sind in der Richtlinie weder angedeutet noch gar definiert. Bei Erlaß der Richtlinie im Jahre 1976 gab es keine konkreten Anhaltspunkte, was unter mittelbarer Diskriminierung zu verstehen sei, schon gar nicht eine derartige Vorstellung, die dem heutigen Verständnis nahegekommen wäre. Die Rechtsprechung des EuGH zur Reichweite dieses Verbotes hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Genauere Vorstellungen gibt es erst seit dem Jenkins-Urteil 1981 bzw. dem Bilka-Urteil 1986. Der exakte Inhalt des Verbots ist auch in der Literatur immer noch umstritten und nicht in allen Tatbestandsmerkmalen und Rechtsfolgen geklärt. Es kann nicht angenommen werden, daß es eine Pflicht des nationalen Gesetzgebers gibt, sein gesamtes nationales Recht in allen Verästelungen ständig den Wandlungen der Rechtsprechung des EuGH in bezug auf die Auslegung einzelner Richtlinienbestimmungen anzupassen. Auf Grund der zweifelhaften Rechtslage bezüglich des Verbots der mittelbaren Diskriminierung allgemein und bezüglich der Anwendbarkeit der Richtlinie 76 I 207 I EWG auf § 37 BetrVG im besonderen kann eine Pflicht des deutschen Gesetzgebers, § 37 BetrVG der 439

440

Jarass, NJW 1994, 881 (883); Comils, S. 126. Dazu: Heilbronner, JZ 1992, 284; zweifelnd: Ossenbühl, DVBI. 1992,993 (Fn. 2).

A. Die Rechtsgrundlagen des Europarechts

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Richtlinie 76 I 207 I EWG anzupassen und damit das bewährte Regelungssystem der ehrenamtlichen Betriebsratsarbeit aufzugeben, nicht festgestellt werden. Damit fehlt es bereits an der Pflichtverletzung durch den deutschen Gesetzgeber, so daß die weitere Prüfung der Voraussetzungen obsolet ist.

2. Kritik an der Kreierung der mitgliedstaatliehen Staatshaftung Selbst wenn man die Voraussetzungen des Staatshaftungsanspruches bejahen wollte, müßte man sich die Frage nach der Kompetenz des EuGH zur Schaffung eines derartigen Rechtsinstituts vorlegen. Die Berechtigung zur Herleitung eines Staatshaftungsanspruchs der Mitgliedstaaten wegen der Nichtumsetzung von Richtlinien oder allgemein eines Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht ist dem Gerichtshof abgesprochen worden. Der Hauptvorwurf lautet, die Kreierung dieses Anspruchs stelle eine unzulässige Rechtsschöpfung dar.441 In der Tat ergeben sich gegen die Normierung dieses Staatshaftungsanspruches gewichtige Bedenken. Schon die Begründung des EuGH überzeugt nicht. Das Bedürfnis der Gemeinschaft nach einer Sanktion der Mitgliedstaaten besteht nicht im dargestellten Umfang, allenfalls bei der Nichtumsetzung von Richtlinien, nicht aber in jedem Fall des Zusammentreffens von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht. 442 Daneben kann eine rechtliche Lücke im Hinblick auf eine Sanktionierung kaum ausgemacht werden. Seit Einführung des "Follow-up-Verfahrens" in Art. 171 Abs. 2 EGV, das eine finanzielle Sanktion im Fall der Nichtbeachtung von Vertragsverletzungsverfahren vorsieht, existiert eine wirksame Sanktion zur besseren Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts. 443 Dieser Befund läßt an der Erforderlichkeit einer weiteren Sanktion Zweifel aufkommen, zumal Hauptaufgabe sowohl des Vertragsverletzungsverfahrens als auch des "Follow-up-Verfahrens" die Kontrolle der Umsetzungspflicht von Richtlinien ist.444 Das Prinzip der vollen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, das gefahrdet wäre, wenn die Staatshaftung nicht als Sanktion griffe, wird in diesem Zusammenhang nicht mehr als Regel für die Vertragsauslegung begriffen, sondern als materiell-rechtliches Leitprinzip, das eine Rechtsschöpfung legitimieren soll.445 Diese Aufgabe kann das Effektivitätsprinzip nicht leisten, weil anderenfalls das gesamte Kompetenzgefüge zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten überspielt werden würde. Die EG hat keine Kompetenz zur Regelung einer Staatshaftung, wie sie durch den EuGH vorge441 442 443

444 445

Ossenbühl, DVBI. 1992, 993 (995 f.). Comils, S. 147 ff. Comils, S. 160 ff. Comils, S. 168 ff. Ossenbühl, DVBI. 1992, 993 (995); von Danwitz, JZ 1994, 335 (338 f.); Comils,

S. 171 ff.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

zeichnet wurde. Diese Kompetenz folgt weder aus Art. 100, lOOa EGV446 noch aus den ungeschriebenen Kompetenzen (implied und resulting powers)447 oder gar Art. 235 EGV448 • Wenn die Gemeinschaft keine Rechtsetzungszuständigkeit besitzt, dann kann sie der Gerichtshof im Wege der Rechtsfortbildung erst recht nicht besitzen. 449 Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß eine teilzeitbeschäftigte Betriebsrätin unter dem Gesichtspunkt der Staatshaftung wegen angeblich mangelhafter Umsetzung der Richtlinie 76 I 207 I EWG keinen Anspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz in Höhe der Differenz zwischen ihrem Teilzeitlohn und dem Lohn, den sie bei betriebsüblicher Vollarbeitszeit erhalten hätte, herleiten kann. Insgesamt ist das Begehren der teilzeitbeschäftigten Betriebsrätin unter keinem europarechtlichen Gesichtspunkt begründet.

B. Die Rechtsgrundlagen des nationalen Rechts Zu prüfen bleibt, wie der Rechtsstreit der teilzeitbeschäftigten Betriebsrätin nach nationalen Rechtsvorschriften zu beurteilen ist.

I. Verstoß gegen Art. 3 GG Vorrangig kommt ein Verstoß gegen Art. 3 GG in Betracht. Umstritten ist, ob und wenn ja, wo genau, Art. 3 GG auch ein Verbot der mittelbaren Diskriminierung beinhaltet. Ganz überwiegend wird eine Prüfung bei Art. 3 Abs. 2 GG verortet Dies nimmt neben dem größten Teil der Literatur450 446 Dazu: Comils, S. 268 ff., insbes. S. 291 f., der zutreffend darauf hinweist, daß eine Staatshaftungsregelung nach dem Francovich-Urteil nicht unter die Vorschriften der Binnenmarktkompetenz fallt, weil sie nicht die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand hätte und auch sonst jeder nähere Binnenmarktbezug fehlt. 447 Comils, S. 292 ff., wonach keine vorhandene Zuständigkeit die Anknüpfung an die stillschweigend mitgeschriebene Befugnis der implied powers rechtfertigt, um eine so umfassende Staatshaftungsregelung zu erlassen. Ebensowenig läßt sich eine Befugnis im Wege der Gesamtanalogie aus einer Gruppe vorhandener Regelungen herleiten. 448 Comils, S. 306 ff.: Die mit der Staatshaftungsregelung verfolgten Ziele sind nicht solche, die im Rahmen des Gemeinsamen Marktes zu verwirklichen sind. Eine planwidrige Befugnislücke existiert nicht. Das Schweigen des EG-Vertrages im Hinblick auf eine Gemeinschaftskompetenz zur Sanktionierung von mitgliedstaatliehen Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht mittels Staatshaftung ist beredt. 449 Vgl. Comils, S. 265 u. 319 ff. 450 Ausnahmen Sachs, Grenzen, S. 483 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 3, Rn. 37; Herrmann, SAE 1993, 271 (274 ff.).

B. Die Rechtsgrundlagen des nationalen Rechts

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auch das BAG an, dasjedoch meist vorrangig Art. 119 EGV prüft. 451 Es istjedoch davon auszugehen, daß sich bei einer Überprüfung des Falles anhand der Kriterien der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 Abs. 2, 3 GG keine Abweichung in der Beurteilung und im Ergebnis zeigen wird, da das Verbot der mittelbaren Diskriminierung aus Art. 119 EGV abgeleitet und dann auf Art. 3 GG übertragen wird. Explizit abweichende Prüfkriterien werden insoweit in Rechtsprechung und Literatur nicht aufgestellt. Als Beleg sei ein neueres Urteil des BAG angeführt, das ausdrücklich Art. 119 EGV und Art. 3 Abs. 3 GG nebeneinander prüft. Das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG enthalte den Grundsatz des gleichen Lohnes für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit. Eine Verletzung dieses Grundsatzes liege auch dann vor, wenn Regelungen nicht ausdrücklich an das Geschlecht anknüpften. Die Voraussetzungen des Verbots der mittelbaren Diskriminierung seien grundsätzlich dieselben wie bei Art. 119 EGV.452 Hierbei führt das BAG nicht weiter aus, wie die Übertragung der Voraussetzungen aus dem EG-Recht in das nationale Verfassungsrecht vonstatten geht, ob es sich hierbei um eine europarechtskonforme Auslegung des Verfassungsrechts handelt. Dies wäre zumindest vorstellbar. Die entscheidende Frage ist also, ob und wenn ja an welcher Stelle und mit welchen Merkmalen Art. 3 GG ein Verbot der mittelbaren Diskriminierung enthält. Diese Frage soll im späteren Verlauf beantwortet werden (3. Kap. B).

II. Verstoß gegen Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 Unabhängig davon könnte Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985453 einschlägig sein, wenn Vollzeit- und Teilzeitkräfte unterschiedlich behandelt werden. In dieser Vorschrift ist der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG einfachrechtlich konkretisiert worden.454 Im Gegensatz zum allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz erfaßt das Verbot der Schlechterstellung von Teilzeitarbeitnehmern nicht nur einseitige Leistungen des Arbeitgebers, sondern findet auch auf 451 Vgl. nur BAG, AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag (Bilka); AP Nr. 42 zu Art. 119 EWG-Vertrag; 23. 02. 1994-4 AZR 219/93, AP Nr. 51 zu Art. 119 EWG-Vertrag. In einer jüngeren Entscheidung vom 20. 06. 1995, AP Nr. II zu § I TVG- Tarifverträge: Chemie -, zog das BAG allerdings ausdrücklich Art. 3 Abs. 3 GG als Prüfungsmaßstab heran, ohne Art. 3 Abs. 2 GG überhaupt nur zu erwähnen. 452 BAG AP Nr. 11 zu § 1 TVG - Tarifverträge: Chemie - . 453 Im folgenden abgekürzt: § 2 Abs. 1 BeschFG. Jetzt § 4 Abs. 1 des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge und zur Änderung und Aufhebung arbeitsrechtlicher Bestimmungen vom 21. 12. 2000 (BGBI. I, S. 1966). Der einzige signifikante Unterschied zur bisherigen Regelung besteht darin, daß Teilzeitkräfte nunmehr nicht ohne sachlichen Grund "schlechter" behandelt werden dürfen als vergleichbare Vollzeitkräfte. Hierdurch soll eine Besserstellung von Teilzeitkräften nicht ausgeschlossen werden. Für die vorliegende Untersuchung ergeben sich keine Änderungen. 454 BAG, 28. 07. 1992 - 3 AZR 173/92, AP Nr. 18 zu§ 1 BetrAVG- Gleichbehandlung -.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

arbeitsvertraglich vereinbarte Leistungen Anwendung. § 2 Abs. 1 BeschFG bezieht sich auf das gesamte rechtserhebliche Handeln des Arbeitgebers. Daher gilt hier nicht der Vorrang der Vertragsfreiheit. 455 Den Begriff des teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmers definiert§ 2 Abs. 2 BeschFG. Teilzeitbeschäftigt sind danach die Arbeitnehmer, deren regelmäßige Wochenarbeitszeit kürzer ist als die regelmäßige Wochenarbeitszeit vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer des Betriebes. Wenn eine regelmäßige Wochenarbeitszeit nicht vereinbart ist, ist die regelmäßige Arbeitszeit maßgeblich, die im Jahresdurchschnitt auf eine Woche entfällt. Damit stellt sich als wesentliches Merkmal der Teilzeitarbeit die für das Beschäftigungsverhältnis dauerhaft vereinbarte kürzere als die betriebsübliche Arbeitszeit dar. Betriebsüblich in diesem Zusammenhang ist die Arbeitszeit betriebsangehöriger vollzeitbeschäftigter vergleichbarer Arbeitnehmer, nicht die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit. Eine Ungleichbehandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten um der Teilzeitarbeit selbst willen, also allein wegen der Teilzeitarbeit, ist unzulässig. Mit anderen Worten: Dem Arbeitgeber ist die Vornahme einer Gruppenbildung verboten, deren gemeinsames Merkmal einzig der zeitliche Umfang der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung ist. Nicht verboten ist die unterschiedliche Behandlung aus anderen Gründen als der Teilzeitarbeit. 456 Dieses Verständnis des§ 2 Abs. 1 BeschFG entspricht auch den allgemeinen Prinzipien aller Gleichheitssätze, die eine Differenzierung nach dem verpönten Kriterium verbieten. 457 Eine schematische Gleichbehandlung beider Gruppen ist nicht intendiert. Ungleichbehandlungen sind gerechtfertigt, wenn sachliche Gründe für die Differenzierung vorliegen. Diese Regelung ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß einerseits die Teilzeitbeschäftigung als spezielle Beschäftigungsform abgesichert werden soll, auf der anderen Seite aber die durch die Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen erhofften arbeitsmarktpolitischen Effekte nicht durch überzogene Schutzvorschriften konterkareiert werden sollen.458 § 2 Abs. I BeschFG gebietet die grundsätzliche Gleichbehandlung von Vollzeitund Teilzeitarbeitnehmern und verbietet damit eine willkürliche Schlechterstellung der teilzeitbeschäftigten im Vergleich zu den vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern eines Betriebes in bezug auf alle das Individualarbeitsrecht betreffenden Arbeitsbedingungen von Teilzeitarbeitnehmern. Insbesondere Entgeltregelungen in allen Ausprägungen sind erlaßt, wie Arbeitsvergütung, Zulagen, Prämien oder Sonderleistungen.459 Von einer unterschiedlichen Behandlung wegen Teilzeitarbeit wird MünchArbR/ Richardi § 14 Rz. 33; Kasseler Handbuch/ Linck 4.2 Rz. 85 f. BAG, 09. 02. 1989-6 AZR 174/87, AP Nr. 4 zu§ 2 BeschFG 1985; AP Nr. 18 zu§ 1 BetrAVG- Gleichbehandlung -; GK-TzA/Lipke Art. 1 § 2 BeschFG 1985 Rn. 61 ff.; MünchArbR/ Schüren, § 157 Rn. 58; Richardi, NZA 1992, 625 ff. 457 GK-TzA/Lipke Art. 1 § 2 BeschFG 1985 Rn. 3; Herrmann, SAE 93,271 (273). 458 GK-TzA/Lipke Art. 1 § 2 BeschFG 1985 Rn. 3; BT-Drs. 10/2102, S. 16 f. 459 Löwisch, BB 1985, 1200 (1203); Lorenz, NZA 1985,473 (474). 455

456

B. Die Rechtsgrundlagen des nationalen Rechts

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daher gesprochen, wenn die Dauer der Arbeitszeit das Differenzierungskriterium für unterschiedliche Arbeitsbedingungen ist. 460 Ist wiederum eine Leistung oder sonstige Arbeitsbedingung ausdrücklich den Vollzeitbeschäftigten vorbehalten oder sind Arbeitnehmer, deren regelmäßige Arbeitszeit einen bestimmten Wert unterschreitet, von einer Regelung ausgeschlossen, wird an die Arbeitszeit als maßgebliches Differenzierungskriterium angeknüpft. Entsprechend der quantitativ geringeren Arbeitsleistung des Teilzeitbeschäftigten im Vergleich zum Vollzeitbeschäftigten ist eine entsprechende Kürzung des Arbeitsentgelts gestattet. 461 Dies ist eine unmittelbare Folge des Gleichbehandlungsgrundsatzes, der eine den jeweiligen Besonderheiten entsprechende Behandlung erfordert. Die Besonderheit der Teilzeitbeschäftigung liegt eben in ihrer geringeren Arbeitszeit, die eine entsprechend geringere Entlohnung nachsichzieht Dies ist kein Anwendungsfall einer gerechtfertigten Ungleichbehandlung, sondern strikte Gleichbehandlung der beiden Gruppen. Hier liegt denn auch der Schlüssel für das richtige Verständnis des § 37 Abs. 6 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 BetrVG. Unmittelbar aus dem Grundsatz, daß nicht die Teilnahme an der Schulungsveranstaltung selbst vergütet wird, folgt, daß das Lohnausfallprinzip keine Ungleichbehandlung zwischen Vollzeitkräften und Teilzeitkräften bewirkt. Vielmehr werden beide Gruppen gleichbehandelt, indem ihnen bei der Teilnahme an Schulungsveranstaltungen der jeweils hypothetisch am Arbeitsplatz enielte Lohn weitergezahlt wird. 462 Allerdings läßt sich eine Ungleichbehandlung darin sehen, daß Teilzeitkräften unabhängig vom Geschlecht - tendenziell häufiger ein Ausfall von Freizeit zugemutet wird. Diese Ungleichbehandlung darf nicht allein wegen der Teilzeit bestehen, ist aber zulässig, wenn sie aus anderen Gründen erfolgt. Kommt es gleichwohl wegen der Teilzeit zu der Ungleichbehandlung, kann sie im übrigen durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt werden. 463 Andere Gründe als Teilzeitarbeit für eine Ungleichbehandlung sind beispielsweise die Arbeitsleistung, die Qualifikation, die Berufserfahrung eines Arbeitnehmers oder dessen soziale Lage sowie unterschiedliche Arbeitsplatzanforderungen. 464 Die erhöhte Wahrscheinlichkeit der Hinnahme eines Freizeitopfers resultiert selbstverständlich aus der Arbeitsform der Teilzeitarbeit, geschieht aber nicht um der Teilzeit willen. Sie ist vielmehr Ausfluß des Ehrenamtsprinzips in§ 37 Abs. 1 BetrVG. 460 BAG 29. 01. 1992 - 5 AZR 518/90, AP Nr. 18 zu § 2 BeschFG; Wildschütz, NZA 1991, 925 (926). 46 1 GK-TzA/Lipke Art. 1 § 2 BeschFG 1985 Rn. 87; MünchArbR/ Schüren,§ 157 Rn. 81. 462 Auf diese Argumentation kommt es nur an, wenn man nicht von vomherein der Auffassung zuneigt, das BetrVG sei gegenüber dem BeschFG das speziellere Gesetz, was eine Anwendung von § 2 Abs. 1 BeschFG sperrte, so: Otto, SAE 1994, 310 (312). 463 BAG, AP Nr. 4 zu§ 2 BeschFG 1985. Einschränkend Richardi, NZA 1992, 625 (626), der eine unterschiedliche Behandlung aus anderen Gründen als wegen der Teilzeitarbeit schon nicht als Verstoß gegen § 2 Abs. 1 BeschFG ansieht. 464 Vgl. die amtliche Begründung: BT-Drs. 10/2102.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Weitergehend wird in der Literatur vertreten, die Regelung enthalte mehr als nur ein Willkürverbot Der Arbeitgeber werde bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen gebunden, indem § 2 Abs. 1 BeschFG für jede Benachteiligung von Teilzeitkräften einen sachlichen Grund verlange, der nicht in der unterschiedlichen Dauer der Arbeitszeit fuße. 465 Daher kommt es nicht darauf an, daß die Ungleichbehandlung "wegen der Teilzeitarbeit" erfolgt. Das Merkmal "Teilzeitarbeit" sei nur die objektive tatbestandliehe Voraussetzung der Anwendbarkeit von§ 2 Abs. 1 BeschFG und kein subjektives Tatbestandselement Die Dauer der Arbeitszeit werde nur in seltenen Fällen ein Motiv für die Benachteiligung sein. Andere Beweggründe seien häufiger anzutreffen; diese seien dann im Rahmen der Überprüfung zu gewichten.466 Wenn man diese Auffassung zugrunde legt, steht eine Ungleichbehandlung von vollzeitbeschäftigten und teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern fest. Soll sie gerechtfertigt sein, bedarf es eines sachlichen Grundes. Die Beweislast liegt für diesen beim Arbeitgeber. Als sachlicher Grund kommen nur andere Anknüpfungspunkte als der vertraglich festgelegte zeitliche Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung in Betracht. Zu forschen ist also nach dem Zweck, den der Arbeitgeber mit der Normierung der Regel verfolgt, wobei die Differenzierungen nicht gegen absolute Differenzierungsverbote verstoßen dürfen und zweckgerecht sein müssen.467 Hinter § 37 BetrVG steht keine Differenzierungsabsicht, nach der in Teilzeit arbeitende Betriebsratsmitglieder bewußt anders behandelt werden sollen als in Vollzeit beschäftigte. Erst mittelbar resultiert aus der Anwendung des Lohnausfallprinzips eine unterschiedliche Behandlung. Diese beruht auf dem Prinzip der ehrenamtlichen Führung des Betriebsratsamtes. Eine Entlohnung ist weder für die Amtsführung noch für die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen vorgesehen. Vielmehr wird sowohl von vollzeitbeschäftigten wie von teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern ein gewisser Einsatz von Freizeit erwartet, ohne daß dies Ausgleichsansprüche zur Folge hat. Das Ehrenamtsprinzip sichert die Unabhängigkeit der Amtsführung des Betriebsrats. Es ist von einer Differenzierung zwischen vollzeitbeschäftigten und teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern völlig unabhängig. Deshalb ist das Ehrenamtsprinzip als sachlicher Grund anzusehen, der eine Differenzierung rechtfertigt.

111. § 37 Abs. 3 BetrVG Möglicherweise hat eine teilzeitbeschäftigte Betriebsrätin, die an einer Schulungsveranstaltung teilnimmt, die ihre persönliche Arbeitszeit übersteigt, einen Anspruch auf Arbeitsbefreiung unter Weitergewährung des Arbeitsentgelts oder, 465 466 467

MünchArbR/ Schüren, § 157 Rn. 58. MünchArbR/ Schüren, § 157 Rn. 79. Richardi, NZA 1992, 625 (627).

B. Die Rechtsgrundlagen des nationalen Rechts

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wenn die Arbeitsbefreiung nicht vor Ablauf eines Monats aus betriebsbedingten Gründen gewährt werden kann, auf Vergütung der aufgewendeten Zeit wie Mehrarbeit. Grundlage für einen derartigen Anspruch könnte § 37 Abs. 3 BetrVG sein. Dies setzt nach dem Wortlaut voraus, daß das Betriebsratsmitglied aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit für den Betriebsrat tätig geworden ist.

1. Anwendbarkeit für Teilzeitkräfte a) Meinungsstand

In diesem Zusammenhang stellt sich als erstes die Frage, ob und inwieweit § 37 Abs. 3 BetrVG für teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder generell Anwendung finden kann. Dieses Problem wird in Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutiert. Nach Auffassung des ArbG Gießen fallt die Ausübung von Betriebsratstätigkeit eines teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieds stets in die persönliche "Sphäre der individuellen Arbeitsvertragsgestaltung des Arbeitnehmers"468 . Ansonsten würde die Betriebsratsarbeit als solche vergütet werden. 469 Ansprüche aus § 37 Abs. 3 BetrVG bestehen deshalb mangels betriebsbedingter Tätigkeit außerhalb der Arbeitszeit nicht. Dagegen hat das LAG Niedersachsen470 angenommen, daß der Anspruch aus § 37 Abs. 3 BetrVG gegeben sei, da betriebsbedingte Gründe für die Mehrarbeit in der Freizeit des Teilzeitbeschäftigten vorlägen. Denn der Arbeitgeber habe durch den Abschluß von Teilzeitarbeitsverträgen selbst eine Ursache dafür gesetzt, daß teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder mitunter gezwungen seien, außerhalb ihrer individuellen, aber noch innerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit Betriebsratsaufgaben wahrzunehmen wie beispielsweise an Betriebsratssitzungen teilzunehmen. Unerheblich sei demgegenüber, daß Teilzeitarbeit nicht selten auch im Interesse des Arbeitnehmers vereinbart werde.47 1 Eine dritte Position hat das LAG Frankfurt/M.472 eingenommen. Die Unterscheidung in § 37 Abs. 3 BetrVG zwischen betriebsbedingter und betriebsratsbedingter Mehrtätigkeit in der Freizeit passe nicht auf Teilzeitbeschäftigte, da die Teilzeitbeschäftigung in der Regel im Interesse des Arbeitnehmers liege und die Betriebsratstätigkeit außerhalb der individuellen Arbeitszeit nicht nur betriebsbeArbG Gießen, NZA 1986,614 (615). Vgl. BAG, 21. 05. 1974-1 AZR 477173, AP Nr. 14 zu§ 37 BetrVG 1972. 470 AiB 1986, 94. 471 Vgl. auch ErfK/Eisemann, § 37 BetrVG, Rn. 10; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 37 Rn. 66; Blanke /Wedde, in: Däubler/Kittner/Klebe, § 37 Rn. 58 u. 61; Wlotzke, § 37 Anm. II 3 a; Schaub, § 221 III l. 412 BB 1988,1819=DB 1988, 1706=NZA 1988, 740. 468 469

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

dingt sei. Dieses Ergebnis sei aber korrekturbedürftig, da die Verweigerung von Freizeitausgleich angesichts des hohen Frauenanteils bei teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern eine mittelbare Diskriminierung darstelle. Insofern haben nach dieser Ansicht teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder grundsätzlich Anspruch auf vollen Freizeitausgleich, wenn und soweit sie jenseits ihrer individuellen Arbeitszeit Betriebsratstätigkeit ausüben. In der Literatur wird auf die Frage nur vereinzelt eingegangen. 473

b) Stellungnahme

Die Festlegung bestimmter Arbeitszeiten liegt immer im Interesse des Arbeitgebers, hierzu zählt auch die Anordnung von Teilzeitarbeit Aus diesem Umstand allein läßt sich aber noch nicht ableiten, daß auch die konkrete Tätigkeit eines konkreten Betriebsratsmitglieds in dessen Freizeit im Interesse des Arbeitgebers liegt. 474 Zweifel muß deshalb die Unterscheidung erwecken nach dem Interesse der jeweiligen Arbeitsvertragspartei am Abschluß eines Teilzeitarbeitsvertrages als dem entscheidenden Kriterium dafür, daß eine Mehrarbeit in der Freizeit betriebsbedingt ist. Unklar bleibt, warum ein auch vorhandenes Interesse des Arbeitgebers - nach Auffassung des ArbG Gießen - bzw. des Arbeitnehmers - nach Meinung des LAG Niedersachsen- an einer solchen Vertragsgestaltung nicht zu berücksichtigen ist. Davon abgesehen wird im Einzelfall schwer nachprüfbar sein, wer am Abschluß des Teilzeitarbeitsvertrages das größere Interesse gehabt hat. Ein derart unsicheres Kriterium taugt nicht zur Abgrenzung.475 Am geltenden Recht vorbei argumentiert das LAG Frankfurt/M., wenn es behauptet, die gesetzlich angelegte Unterscheidung zwischen betriebsbedingter und betriebsratsbedingter Mehrarbeit passe für Teilzeitbeschäftigte nicht. Den Nachweis bleibt es schuldig. Vielmehr muß das Gericht zur "Krücke" des Verbots der mittelbaren Diskriminierung greifen, um das "gewollte" Ergebnis zu erzielen. Auf diese Weise wird das Kriterium "betriebsbedingt" völlig unterlaufen. Außerdem würden teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder gegenüber vollzeitbeschäftigten einen Vorteil erlangen. 476 Denn bei Vollzeitbeschäftigten bedarf es mehr als nur der zeitlichen Lage ihrer Arbeitszeit für einen Ausgleichsanspruch. Es kommt nicht darauf an, ob bestimmte Arbeitszeiten im Interesse des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers liegen. Wenn teilzeitbeschäftigte Mitglieder des Betriebsrats Betriebsratstätigkeit außerhalb ihrer individuellen, aber innerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit wahrnehmen, folgt hieraus noch nicht automatisch ein Ausgleichsanspruch wegen betriebsbedingter 473 Richardi, § 37 Rn. 48; Schaub, § 221 III 1; Bengelsdorf, NZA 1989, 905; Rath, BB 1989, 2326; Kock, S. 93 ff. 474 Bengelsdorf, NZA 1989, 905 (909). 475 V gl. auch Rath, BB 1989, 2326 (2327); im Erg. ebenso Kock, S. 34 f. 476

Vgl. wiederum Bengelsdorf, NZA 1989, 905 (907); Rath, BB 1989, 2326 (2327).

B. Die Rechtsgrundlagen des nationalen Rechts

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Mehrarbeit. Folgte man hingegen der anderen Auffassung, die auf die Betriebsorganisation als Kriterium der Betriebsbedingtheit abstellt, müßte man auch vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern Ausgleichsansprüche gewähren, wenn diese außerhalb ihrer persönlichen Arbeitszeit für den Betriebsrat tätig werden und dessen Arbeitszeit allein aus organisatorischen Gründen von der anderer Arbeitnehmer abweicht.477 Der Wortlaut des Gesetzes in § 37 Abs. 3 BetrVG differenziert nicht zwischen teilzeit- und vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern. Es liegt deshalb nahe, anzunehmen, daß das Gesetz nicht eine Gruppe pauschal von seiner Anwendung ausschließen wollte. Maßgeblich ist, ob die jeweilige Betriebsratstätigkeit außerhalb der persönlichen Arbeitszeit und das damit verbundene individuelle Freizeitopfer betriebsbedingt ist oder nicht. Dies mag mit der betrieblichen Organisation zusammenhängen, muß es aber nicht. Das Interesse des Arbeitgebers bezieht sich regelmäßig auf zwei verschiedene Tatbestände, die nicht in eins gesetzt werden können. Zum einen handelt es sich um die allgemeine Frage der Organisation der betrieblichen Arbeitszeit. Zum anderen geht es bei der Prüfung der Betriebsbedingtheit im Sinn von § 37 Abs. 3 BetrVG ausschließlich um den Grund für die Durchführung einer einzelnen bestimmten Betriebsratstätigkeit durch einen Amtsträger außerhalb dessen persönlicher Arbeitszeit. Die Festlegung einer bestimmten Arbeitszeit durch den Arbeitgeber ist immer nur die Voraussetzung, das notwendige Kriterium, dafür, daß § 37 Abs. 3 BetrVG überhaupt zur Anwendung kommen kann. Keineswegs ist dieser Umstand allein aber schon das hinreichende Kriterium. Ein Vergleich mit der Situation im Fall eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers macht dies deutlich. Konsequent zu Ende gedacht wäre das Kriterium "betriebsbedingt" überflüssig. Denn auch die Lage der Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers ist aus betriebsorganisatorischen Gründen im Interesse des Arbeitgebers. Sähe man dieses Kriterium als das maßgebliche im Hinblick auf die Betriebsbedingtheit an, wäre notwendig jede Tatigkeit eines Arbeitnehmers außerhalb seiner Arbeitszeit betriebsbedingt Auf eine konkrete Veranlassung der Tatigkeit käme es nicht mehr an. Das Kriterium taugte nicht mehr als Abgrenzungsmerkmal.478 Es bedarf also immer der Prüfung, ob der Umstand, daß Betriebsratstätigkeit außerhalb der individuellen Arbeitszeit verrichtet werden muß, aus betrieblichen Gründen veranlaßt gewesen ist. Dabei kommt es immer auf den vom Arbeitgeber im konkreten Fall begründeten Sachzwang an, Betriebsratsaufgaben außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen. So signalisiert bereits der Gesetzestext, der von Betriebsratstätigkeit spricht, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, daß nicht der betriebsbedingte Grund allein für die Anwendbarkeit des § 37 Abs. 3 BetrVG genügt. Hinzukommen muß stets, daß die Wahrnehmung der Betriebsratstätigkeit in der Freizeit auch erforderlich ist. 477 Vgl. auch Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 37 Rn. 56 u. 60; GK-BetrVG/Wiese, § 37 Rn. 74; Bengelsdoif, NZA 1989, 905 (907); Rath, BB 1989, 2326 (2328). 478 Vgl. Bengelsdoif, NZA 1989,905 (910); Kock, S. 96 ff.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Anerkannt werden können also nur Gründe, die es dem Betriebsratsmitglied objektiv unmöglich machen, innerhalb seiner Arbeitszeit die Betriebsratsarbeit zu verrichten. Der systematische Zusammenhang des § 37 BetrVG bestätigt dieses Ergebnis. Denn bereits aus der Grundregel der Absätze 1 und 2 folgt, daß Betriebsratsarbeit grundsätzlich innerhalb der betrieblichen und persönlichen Arbeitszeit zu erledigen ist. Legt beispielsweise der Betriebsrat eine Betriebsratssitzung in die Freizeit eines Betriebsratsmitglieds, obschon die Sitzung ebenso während seiner Arbeitszeit hätte durchgeführt werden können, liegen keine betriebsbedingten Gründe vor. 479 Denn der Arbeitgeber hat weder durch die Lage der Arbeitszeit noch durch sonst einen Umstand Zwang ausgeübt, die Betriebsratssitzung außerhalb der Arbeitszeit stattfinden zu lassen. Besteht jedoch auf Grund der unterschiedlichen Arbeitszeiten der einzelnen Betriebsratsmitglieder nicht einmal eine theoretische Möglichkeit, eine Betriebsratssitzung so anzusetzen, daß diese in die individuelle Arbeitszeit aller Mitglieder fällt, liegen betriebsbedingte Gründe für Mehrarbeit außerhalb der individuellen Arbeitszeit bei den betroffenen Mitgliedern vor.480 Doch darf man nicht so weit gehen, als weiteres Kriterium für die Ersatzfähigkeit das der unzumutbaren Härte einzuführen. 481 Hierfür gibt es weder im Gesetz einen Anhaltspunkt noch ließe sich dies mit dem Prinzip der Ehrenamtlichkeit vereinbaren.

2. Gleichsetzung von Betriebsratstätigkeit und Schulungsteilnahme Für § 37 Abs. 3 BetrVG ist es erforderlich, daß das Betriebsratsmitglied außerhalb der Arbeitszeit für den Betriebsrat tätig geworden ist. Auf die Kontroverse, was unter Betriebsratstätigkeit zu verstehen ist482, kommt es für den vorliegenden Zusammenhang der Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung nicht an. Denn Voraussetzung für eine Anwendung dieser Anspruchsgrundlage wäre im Ergebnis eine Gleichsetzung von Betriebsratstätigkeit und Schulungsteilnahme.

a) Meinungsstand

Tatsächlich wird eine derartige Gleichsetzung in der Literatur teilweise vertreten.483 Zur Begründung wird auf die Rechtsprechung des BAG zu § 40 BetrVG verwiesen. Unter Tätigkeit des Betriebsrats im Sinn des § 40 Abs. 1 BetrVG sei 479 Ähnlich BAG, 03. 12. 1987-6 AZR 569/85, AP Nr. 62 zu § 37 BetrVG 1972 =NZA 1988, 437 (439). 480 LAG Niedersachsen, AiB 1986, 94; Bengelsdorf, NZA 1989, 905 (911); Rath, BB 1989, 2326 (2328). 481 So aber Kock, S. 101 ff. 482 Vgl. dazu Kock, S. 59 ff. 483 Weiss, Anm. zu BAG AP Nr. 3 zu§ 37 BetrVG 1972, unter l.

B. Die Rechtsgrundlagen des nationalen Rechts

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eine sinnvolle, auf die sachgerechte Gestaltung und Verwirklichung der Aufgaben gerichtete Betätigung zu verstehen, die ihm nach dem Betriebsverfasungsrecht obliegen. So sei das Wissen des einzelnen Betriebsratsmitglieds über die gesetzlichen Aufgaben so eng mit ihrer praktischen Durchführung verbunden, daß beide Gesichtspunkte sachlich nicht voneinander zu trennen seien.484 Daraus folgt für das BAG, daß die Kosten für Betriebsräteschulungen genauso wie für jede andere Betriebsratstätigkeit zu erstatten sind. Hieraus seien nach jener Auffassung auch für § 37 BetrVG die Folgerungen zu ziehen, zumal die Gesetzesmaterialien485 ebenfalls für eine Gleichstellung sprächen. 486 Dort betont der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, wie wichtig die Qualifikation der Betriebsratsmitglieder im Hinblick auf quantitativ und qualitativ wachsende Aufgaben des Betriebsrats ist. Außerdem müsse den Betriebsratsmitgliedern für die Steigerung ihrer Bildungsbereitschaft ein Anreiz gegeben werden, um eine eventuelle Hemmschwelle gegenüber Schulungsangeboten zu überwinden. Von anderen Vertretern in der Literatur wird diese Frage bei § 37 Abs. 2 BetrVG erörtert mit dem Ergebnis, daß die Schulungsteilnahme zu den Aufgaben des Betriebsrats nach § 37 Abs. 2 BetrVG gehöre. Teilweise wird die Teilnahme ausdrücklich als Betriebsratstätigkeit angesehen487 , teilweise gehen dieselben Vertreter - in bezug auf die Entgeltfortzahlung - von einer "Gleichstellung" aus. 488 Später hat das BAG jedoch klargestellt, daß die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen keine Betriebsratstätigkeit im Sinn von§ 37 Abs. 3 BetrVG sei und die Entscheidung zu § 40 Abs. 1 BetrVG hinsichtlich der Kostenerstattung durch den Arbeitgeber nicht auf die Lohnfortzahlung übertragen werden könne, weil insoweit in § 37 BetrVG eine Spezialregelung existiere.489

b) Stellungnahme

Gegen die Gleichsetzung von Betriebsratstätigkeit und Schulungsteilnahme490 spricht schon der Wortlaut des Gesetzes. Betriebsratsarbeit und SchulungsveranBAG, 31 . 10. 1972-1 ABR 7/72, AP Nr. 2 zu§ 40 BetrVG 1972. zu BT-Drs. Vl/2729, S. 14. 486 Weiss, Anm. zu BAG AP Nr. 3 zu § 37 BetrVG 1972, unter 3. 487 Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 37 Rn. 23; Blanke/Wedde, in: Däubler/Kittner/ Klebe,§ 37 Rn. 18 u. 92; Richardi, § 37 Rn. 16 u. § 40 Rn. 29 ("die Schulung [ist] mit der Tätigkeit des Betriebsrats so eng verbunden, daß sie sachlich nicht voneinander getrennt werden können"); Bengelsdorf, NZA 1989, 905 (906). 488 Blanke/Wedde, in: Däubler/Kittner/Klebe, § 37 Rn. 135. 4 89 BAG, 18. 09. 1973-1 AZR 102173, AP Nr. 3; 19. 07. 1977-1 AZR 302174, AP Nr. 31 ; 27. 06. 1990-7 AZR 292/89, AP Nr. 76 zu§ 37 BetrVG 1972. 490 So auch BAG, 14. 03. 1990-7 AZR 147/89, AP Nr. 2 zu§ 26 SchwbG 1986 = NZA 1990, 698; LAG Baden-Württemberg, DB 1993, 1826; LAG Köln, DB 1990, 1291; Schiefer, DB 1993, 1822 f. 484

485

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

staltung sind zwei völlig unterschiedliche Sachverhalte. Aus dem Begriff "Tätigkeit" läßt sich schließen, daß der Betriebsrat selbst handeln muß. Nehmen seine Mitglieder dagegen rezeptiv an Vorträgen teil, werden sie nicht in eigener Person für den Betriebsrat tätig. Desweiteren kann von erforderlicher Tätigkeit des Betriebsrats nur gesprochen werden, wenn der Betriebsrat die ihm durch Gesetz zugewiesenen Aufgaben unmittelbar wahrnimmt. Die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen gehört insofern aber nicht zur unmittelbaren Amtstätigkeit. 491 Zu einem anderen Ergebnis kommt man nur, wenn man den Begriff der Betriebsratstätigkeit entsprechend weit versteht. 492 Dies ist jedoch abzulehnen, weil dadurch die vom Gesetz vorgesehene trennscharfe Abgrenzung zwischen den beiden Tätigkeitsformen unterlaufen wird. Unter Betriebsratstätigkeit ist deshalb nur die Erfüllung von Aufgaben zu verstehen, die dem Betriebsrat oder seinen Mitgliedern kraft Gesetzes, insbesondere des Betriebsverfassungsgesetzes, kraft Tarifvertrags oder Betriebsvereinbarung obliegen oder in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erfüllung dieser Aufgaben stehen. 493 Auch wenn nur hinreichend geschulte Mitglieder des Betriebsrats die sich ihnen stellenden Aufgaben gut und vor allem im Interesse der Belegschaft werden erfüllen können, ändert dies nichts daran, daß die Tätigkeit und der Erwerb der Voraussetzungen für diese Tätigkeit nicht dasselbe sind. Wenn nicht einmal der Anreiz ausreicht, statt im Betrieb arbeiten zu müssen, an einer kostenlosen Schulungsund Bildungsveranstaltung teilnehmen zu können, die häufig nicht nur allein betriebsverfassungsrechtliches Wissen vermittelt, sondern dariiber hinausgehendes sozialpolitisches, rechtliches, wirtschaftliches oder technisches Wissen, bleibt unerfindlich, warum eine gänzliche Bezahlung der Teilnahme an einer solchen Veranstaltung einen höheren Anreiz darstellen soll. Bildungbereitschaft wird man kaum mit Geld sinnvoll erkaufen können. Der Wortsinn, der die äußerste Grenze der Auslegung bildet, ist bei einer Gleichsetzung von Betriebsratstätigkeit und Schulungsteilnahme überschritten. Zudem steht das systematische Verhältnis zwischen § 37 Abs. 2 und Abs. 3 BetrVG einer Gleichsetzung entscheidend entgegen. Wenn es keinen Unterschied zwischen Betriebsratsarbeit und Schulungsteilnahme gäbe, wäre die Sonderregel des § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG nicht zu erklären, die nur auf den Absatz 2, nicht auch auf Absatz 3 verweist. Die Rechtsprechung des BAG zu § 40 BetrVG kann an dieser Stelle nicht fruchtbar gemacht werden, weil § 37 BetrVG im Verhältnis zu § 40 BetrVG eine Sonderregelung über die Kostentragungspflicht enthält, die peinlich genau zwischen Betriebsratstätigkeit und Schulungsteilnahme unterscheidet.494 Anderenfalls würden die gesetzlichen Wertungen vollständig unterlaufen. Davon abgesehen stellt § 37 Abs. 3 BetrVG eine Ausnahmevorschrift zum Lohn491 Vgl. Jacobi I Rausch, DB 1972, 972 (973). 492 Kock, S. 137 f. 493 Fitting/ Kaiser/ Heither/ Engels, § 37 Rn. 21 ff. u. 60. 494 Vgl. Jacobi/Rausch, DB 1972,972 (973 f.).

B. Die Rechtsgrundlagen des nationalen Rechts

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ausfallprinzip dar. Ausnahmeregelungen sind nach der traditionellen Methodenlehre eng auszulegen. 495 Hinzukommt noch folgende Überlegung: Dem Gesetzgeber wäre es bei der Neufassung des § 37 BetrVG 1972 möglich gewesen, eine beabsichtigte Gleichstellung von Betriebsratstätigkeit und vorbereitender Schulungsteilnahme im Gesetz deutlich zum Ausdruck zu bringen. Zum Beispiel hätte er in § 37 Abs. 6 BetrVG eine Fiktion formulieren können, die alle Zweifel beseitigt hätte. 496 Daß er genau dies nicht getan hat, belegt die fein austarierte Differenzierung zwischen Betriebsratstätigkeit und Schulungsteilnahme. Deshalb ist die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung für Betriebsräte keine Tätigkeit im Sinn des § 37 Abs. 3 BetrVG. Gleiches gilt für § 26 Abs. 6 SchwbG und § 46 Abs. 2 S. 2 BPersVG.497 Das Bundespersonalvertretungsgesetz enthält in § 46 Abs. 6 eine eigenständige Sonderregelung für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, in der sowohl die Freistellung vom Dienst als auch die Fortzahlung der Bezüge geregelt ist. Die Gewährung von Freizeitausgleich gemäß § 46 Abs. 2 S. 2 BPersVG kann daneben nicht in Betracht kommen. Das hier gefundene Ergebnis entspricht auch dem gesetzgebensehen Willen, nach dem Betriebs- und Personalratsmitglieder sowie Vertrauensleute der Schwerbehinderten gleichbehandelt werden sollen.498 So scheitert eine direkte Anwendung des § 37 Abs. 3 BetrVG bereits am Tatbestandsmerkmal "Betriebsratstätigkeit". § 37 Abs. 3 BetrVG ist direkt nicht auf den Ausgleich eines Freizeitopfers bei Teilnahme an Schulungsveranstaltungen anwendbar. In Betracht kommt allenfalls eine analoge Anwendung der Vorschrift. 3. Betriebsbedingte Gründe

Der Vollständigkeit halber soll auch auf die weiteren Voraussetzungen eingegangen werden, wobei unterstellt werden soll, die Schulungsteilnahme fiele unter § 37 Abs. 3 BetrVG. Von untergeordnetem Interesse ist dabei, daß die Betriebsratstätigkeit bzw. Schulungsteilnahme als solche und durch das betreffende Mitglied erforderlich sein muß. Bedeutender ist, ob die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung außerhalb der persönlichen Arbeitszeit des teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieds betriebsbedingt ist oder nicht.

495

Larenz, Methodenlehre, S. 355 f.

"Als Betriebsratstätigkeit gilt auch die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen." Damit wäre die Verweisung auf Absatz 2 überflüssig geworden. Jacobil Rausch, DB 1972, 972 (974). 497 Vgl. BAG, AP Nr. 2 zu§ 26 SchwbG 1986 =NZA 1990, 698; LAG Baden-Württemberg, DB 1993, 1826 f. 498 Vgl. nochmals BAG, 14. 03. 1990, AP Nr. 2 zu§ 26 SchwbG 1986 =NZA 1990,698. 496

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Von betriebsbedingten Gründen wird gesprochen, wenn sich die Notwendigkeit, außerhalb der individuellen Arbeitszeit, Betriebsratsaufgaben zu erledigen, aus der Eigenart des Betriebes, seines Arbeitsablaufes oder der Beschäftigungslage ergibt. Dabei muß es sich um einen im Betrieb selbst vorhandenen Sachzwang handeln, der die Undurchführbarkeit der Betriebsratsarbeit während der Arbeitszeit zur Folge hat.499 Klassische Beispiele sind Betriebe mit Schichtarbeit oder Betriebsbesichtigungen bzw. Unfalluntersuchungen außerhalb der persönlichen Arbeitszeit des zuständigen Betriebsratsmitglieds. Daneben wird der Begriff in einem weiteren Sinn verstanden. Betriebsbedingte Gründe sind auch solche Umstände, die vom Arbeitgeber veranlaßt werden, die also in der Sphäre des Betriebes bzw. des Arbeitgebers liegen. 500 Nimmt beispielsweise der Arbeitgeber darauf Einfluß, daß die Betriebsratssitzung außerhalb der Arbeitszeit abgehalten wird, besteht ebenfalls ein Anspruch nach Absatz 3.501 Umstritten ist dies allerdings für die Frage von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, die im Interesse des Betriebes eine schnelle Entscheidung verlangen und deshalb Verhandlungen zwischen den Betriebspartnern jenseits der gewöhnlichen Arbeitszeit erfordern.so2 Keiner Erwähnung bedarf, daß betriebsbedingte Gründe nicht gegeben sind, wenn das Betriebsratsmitglied aus Gründen, die in seiner Person oder in seinem Verhalten liegen, Betriebsratsarbeit außerhalb der Arbeitszeit ausführt. 503 So hat das Betriebsratsmitglied keinen Ausgleichsanspruch, wenn es freiwillig, ohne betrieblichen Sachzwang, außerhalb der Arbeitszeit Betriebsratsaufgaben erledigt, z. B. die Akten für die nächste Betriebsratssitzung am Abend vorher nochmals durchsieht. 504 Abzugrenzen sind die betriebsbedingten Gründe von den sogenannten betriebsratsbedingten Gründen. Diese liegen vor, wenn durch einen besonderen Umstand der Betriebsratsarbeit ein Tätigwerden für den Betriebsrat außerhalb der Arbeitszeit erforderlich ist. Es handelt sich immer um solche Umstände, die durch die Gestaltung der Beriebsratsarbeit durch den Betriebsrat bedingt und dem Einfluß des Arbeitgebers entzogen sind.505 Wird Betriebsratsarbeit außerhalb der Arbeitszeit 499 St. Rspr.: BAG, AP Nr. 31; 11. 07. 1978-6 AZR 387/75, AP Nr. 57; 26. 01. 1994-7 AZR 593/92, AP Nr. 93 zu § 37 BetrVG 1972; Blanke I Wedde, in: Däubler I Kittner I Klebe, § 37 Rn. 58; ErfK I Eisemann, § 37 BetrVG, Rn. I 0; Fitting I Kaiser I Heither I Engels, § 37 Rn. 64; GK-BetrVGIWiese, § 37 Rn. 58. 500 GK-BetrVG I Wiese, § 37 Rn. 75. 501 BAG, AP Nr. 93 zu§ 37 BetrVG 1972. 502 Für die Annahme eines betriebsbedingten Grundes: GK-BetrVG I Wiese, § 37 Rn. 75; FittingiKaiseriHeitheriEngels, § 37 Rn. 65. Dagegen LAG Harnrn, 14. 07. 1978-3 Sa 368/78, EzA § 37 BetrVG 1972 Nr. 61. 503 BAG AP Nr. 14 zu§ 37 BetrVG 1972; FittingiKaiseriHeitheriEngels, § 37 Rn. 68; GK-BetrVGI Wiese,§ 37 Rn. 76; HessiSchlochaueriGlaubitz, § 37 Rn. 58. 504 GK-BetrVGIWiese, § 37 Rn. 76. 505 BAG AP Nr. 14,31 u. 57 zu§ 37 BetrVG 1972; GK-BetrVGIWiese, § 37 Rn. 77.

B. Die Rechtsgrundlagen des nationalen Rechts

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aus betriebsratsbedingten Gründen durchgeführt, hat das Betriebsratsmitglied keine Ausgleichsansprüche. Soll beispielsweise in einer Betriebsratssitzung die Teilnahme eines besonders sachverständigen Gewerkschaftsfunktionärs ermöglicht werden, ist eine solche Betriebsratssitzung außerhalb der Arbeitszeit betriebsratsbedingt. Ebensowenig besteht ein Ausgleichsanspruch, wenn ein Organmitglied gezwungen ist, seinen Urlaub zu unterbrechen, um an einer Betriebsratssitzung teilzunehmen. 506 Dies muß jedenfalls solange gelten, wie nicht der Arbeitgeber auf den Termin des Urlaubs Einfluß genommen hat. Kurz gesagt sind Umstände, die der Sphäre des Arbeitgebers zuzurechnen sind, betriebsbedingt und solche aus der Sphäre des Betriebsrats oder des einzelnen Betriebsratsmitglieds betriebsratsbedingt. Auch in diesem Zusammenhang wäre es falsch, auf die Lage der Arbeitszeit abzustellen und zu behaupten, Teilzeitbeschäftigung läge im Interesse des Betriebes, daher wäre die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen außerhalb der persönlichen Arbeitszeit betriebsbedingt Vielmehr kommt es auf den Grund für die Teilnahme an den Schulungsveranstaltungen an. Nur wenn der Arbeitgeber die Entsendung zu dieser bestimmten Veranstaltung angeordnet hat, weil der Mitarbeiter zu einer anderen Zeit im Betrieb nicht abkömmlich gewesen wäre, kann davon gesprochen werden, daß die Teilnahme betriebsbedingt gewesen ist. Die Schulungszeit wird in aller Regel aber ausschließlich vom Träger der Schulungsveranstaltung bestimmt. 507 Daß es für das einzelne Betriebsratsmitglied keinen Unterschied mache, ob die veranstaltende Gewerkschaft, der Arbeitgeber oder sonst jemand die Lage der Schulungsveranstaltung bestimme, kann in diesem Zusammenhang kein Argument darstellen. 508 Denn auf die Sichtweise des Betriebsratsmitglieds kommt es nach dem Gesetz nicht an, sondern nur auf die des die Kosten tragenden Arbeitgebers. Die Entsendung dorthin erfolgt nicht aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der individuellen Arbeitszeit der teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieder. Auf diese Weise läßt sich also der Unterschied zwischen betriebsbedingt und betriebsratsbedingt nicht überspielen. Die Teilnahme an Schulungen einschließlich der An- und Abreise außerhalb der Arbeitszeit beruht regelmäßig nicht auf betriebsbedingten Gründen.509 506 Richardi, § 37 Rn. 46; ErfK!Eisemann, § 37 BetrVG, Rn. 10; Fitting/Kaiser/Heither I Engels, § 37 Rn. 68; a. A: Ochsmann, BB 1978, 562 unter Hinweis auf § 78 Satz 2 BetrVG. 507 V gl. BAG, AP Nr. 31; AP Nr. 76; AP Nr. 90 jeweils zu § 37 BetrVG 1972; AP Nr. 2 zu § 26 SchwbG 1986; Galperin/Löwisch, § 37 Rn. 40 u. 96; GK-BetrVG/Wiese, § 37 Rn. 80; Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 37 Rn. 63; MünchArbR/Joost, § 300 Rn. 134; Dütz/Säcker; DB 1972, Beilage 17, S. 5; Lipke, NZA 1990,758 (761). 508 Anders: Weiss, Anm. zu BAG AP Nr. 3 zu § 37 BetrVG 1972, unter 4. 509 Vgl. BAG AP Nr. 3, 31 u. 76 zu§ 37 BetrVG 1972; LAG Düsseldorf, DB 1973,577 u. 975 (976); ArbG Crailsheim, BB 1972, 1055 f.; ArbG Hagen, DB 1972, 1296; ArbG Hamrn, BB 1973, 940; ArbG Kassel, DB 1973, 1854 (1855 f.); ArbG Kiel, BB 1973, 939; Buchner; DB 1972, 1236 (1239); Dütz /Säcker; DB 1972, Beilage Nr. 17, S. 5; Hohn, BB 1972, 1228; Jacobi/Rausch, DB 1972, 972 (974); Lipke, NZA 1990, 758 (761); Richardi, § 37 Rn. 49 u.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Auch aus diesem Gesichtspunkt entfällt ein Ausgleichsanspruch nach § 37 Abs. 3 BetrVG.

IV.§ 37 Abs. 6 i. V.m. Abs. 3 BetrVG analog Eventuell könnte sich ein Anspruch des teilzeitbeschäftigten weiblichen Betriebsratsmitglieds aus § 37 Abs. 6 i. V. m. Abs. 3 BetrVG analog ergeben. Denn die Betriebsrätin war unzweifelhaft zu einem Freizeitopfer gezwungen. Nach dem Grundgedanken der Regelung ist Betriebsratsarbeit grundsätzlich während der Arbeitszeit zu verrichten. 510 Für die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen enthält § 37 Abs. 6 BetrVG eine Sonderregelung. Hinsichtlich der Entgeltweiterzahlung verweist dieser Absatz jedoch lediglich auf § 37 Abs. 2, nicht jedoch auf § 37 Abs. 3 BetrVG. Hieraus folgert ein Teil der Rechtsprechung und Literatur eine Regelungslücke. 511 Vom LAG Berlin512 wurde der Anspruch einer teilzeitbeschäftigten Betriebsrätin wegen des von ihr erbrachten Freizeitopfers auf eine entsprechende Anwendung des § 37 Abs. 6 i. V. m. Abs. 3 BetrVG gestützt. Diese entsprechende Anwendung sei geboten, weil § 37 Abs. 6 Satz I BetrVG im Hinblick auf die Freistellung von teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern zu Schulungszwecken eine Regelungslücke enthalte. Eine Regelungslücke oder Gesetzeslücke im umfassenderen Sinn - im Gegensatz zur echten Gesetzeslücke - liege vor, wenn das Gesetz für einen bestimmten Sachverhalt zwar eine Lösung enthalte, diese Lösung aber "sachlich unangemessen oder ungerecht" erscheine, weil der Gesetzgeber den Fall nicht oder nicht vollständig gesehen habe. 513 Die Regelungslücke ergebe sich, da teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder bei Schulungen generell über ihre vertraglich geschuldete Arbeitszeit hinaus Freizeit aufwenden müßten, hierfür aber nicht einmal bis zur Schwelle der betriebsüblichen Vollarbeitszeit eine bezahlte Freistellung nach § 37 Abs. 2 BetrVG erhielten und insofern stets ein Sonderopfer erbringen müßten. Der Gesetzgeber des Betriebsverfassungsgesetzes habe nur das vollzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglied vor Augen gehabt und die teilzeitbeschäftigte Kraft völlig übersehen. Das ergebe sich aus den Gesetzesmaterialien, aus der Formulierung in § 37 Abs. 3 BetrVG, wonach Betriebsratstätigkeit außerhalb der 134 f.; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, § 37 Rn. 71 ff. u. 147; Galperin/Löwisch, § 37 Rn. 40 u. 96; Hess/Schlochauer/Glaubitz, § 37 Rn. 149; Stege/Weinspach, § 37 Rn. 26 u. 55. sw Vgl. GK-BetrVG/Wiese, § 37 Rn. 67. 511 LAG Berlin, ArbuR 1991, 252 ff.; Hunold, DB 1991, 1673 f.; Reich/Dieball, ArbuR 1991,225 ff.; Kuster, AiB 1992,527 (528 f.); Mauer, NZA 1993,56 (57). m ArbuR 1991,252 ff. Vgl. oben I. Kap. D. 513 LAG Berlin, ArbuR 1991, 252 (254). Vgl. Staudinger/Coing (1995), Einl. zum BGB, Rn. 122. Der Gedanke der "umfassenden Lücke" findet sich schon bei Zitelmann, S. 34 f.

B. Die Rechtsgrundlagen des nationalen Rechts

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Arbeitszeit wie Mehrarbeit vergütet werde, und aus dem Umstand, daß Betriebsratsschulungen in der Regel Ganztagsschulungen seien. Letzteres sei unabhängig davon, ob diese an einzelnen Tagen oder über zwei Wochen dauerten und ob sie am Ort des Betriebssitzes oder außerhalb stattfänden. Die unzureichende Berücksichtigung von teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern könne auch nicht als ein Problem der zeitlichen Organisation von Schulungen behandelt werden. Eine Deckung von Teilzeitarbeit und Schulungszeit lasse sich schon wegen der unterschiedlichen Formen und Ausgestaltungen von Teilzeitbeschäftigung nicht erreichen. Diese planwidrige Regelungslücke verstoße gegen Art. 3 Abs. 2 GG, Art. 119 EGV und die Lohngleichheitsrichtlinie. Eine Rechtfertigung sei angesichtsder planwidrigen Regelungslücke "begrifflich ausgeschlossen". 514 Die Lükke sei unter Heranziehung der Regelung in anderen der Interessenlage nach ähnlich gelagerten Fällen zu schließen. Insofern biete sich § 37 Abs. 3 BetrVG an, der für Betriebsratsmitglieder, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb ihrer individuellen Arbeitszeit Freizeit aufwenden müßten, einen Ausgleich vorsehe. Das Freizeitopfer von teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern bei der Teilnahme an Schulungen sei betriebsbedingt Die Ausgestaltung der Teilzeitarbeit werde im wesentlichen von den Betrieben nach ihren Bedürfnissen vorgegeben. Das Eigeninteresse des Arbeitnehmers an Teilzeitarbeit falle demgegenüber nicht ins Gewicht. Die unterschiedlichen betrieblichen Vorgaben machten es aber praktisch unmöglich, "nach Umfang und Lage ,passende' Schulungen zu organisieren"515 • In der Literatur wird ergänzend darauf hingewiesen, daß teilzeitbeschäftigte weibliche Betriebsratsmitglieder allein schon dadurch benachteiligt seien, daß ihnen in der Regel die Versorgung des Haushalts und der Kinder obliege, sie deshalb lediglich einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen könnten und bei Teilnahme an einer ganztägigen Schulungsveranstaltung zusätzlich noch mit den Kosten für eine Ersatzperson belastet seien, die für sie in der Betreuung einspringe. Schon deshalb sei mit dem finanziellen Ausgleich keine Bevorzugung verbunden. 516 Fraglich ist, ob die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 37 Abs. 3 BetrVG vorliegen. Methodisch setzt der Analogieschluß das Vorhandensein einer planwidrigen Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage voraus.

1. Regelungslücke Eine Lücke liegt nicht schon dann vor, wenn das Gesetz - oder genauer die Gesamtheit der in den Gesetzen oder im Gewohnheitsrecht gegebenen Rechtsregeln für eine bestimmte Fallgestaltung innerhalb des von ihm geregelten Bereiches 514 515 516

LAG Berlin, ArbuR 1991, 252 (255). LAG Berlin, ArbuR 1991, 252 (256). Mauer, NZA 1993, 56 (57).

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

keine Regel bereithält, also schweigt. Diese weite Definition würde nämlich verkennen, daß das Gesetz auch absichtlich schweigen kann.517 Daher können Regelungslücken nur im Rahmen des Regelungszusammenhangs, der Regelungsabsicht des Gesetzes erschlossen werden. Von einer Gesetzeslücke wird daher als einer "planwidrigen Unvollständigkeit" des Gesetzes gesprochen. 518 Hierbei ist der mit der Regelung verfolgte gesetzgebensehe Plan durch historische und teleologische Auslegung zu ermitteln. Abzugrenzen ist die planwidrige Lücke vom rechtspolitischen Fehler. Zwar mag der Richter der wohl begründeten Ansicht sein, daß das Gesetz den Sachverhalt besser anders geregelt hätte und demnach die Entscheidung des historischen Gesetzgebers fehlerhaft sei, doch ist er in einem solchen Fall nicht zur Korrektur aufgerufen. Dies ist allein der Gesetzgeber. Deshalb ist auch der Maßstab, um die Lückenhaftigkeit festzustellen, das Gesetz selbst, und nicht außerhalb des Gesetzes liegende soziale und wirtschaftliche Verhältnisse. 519 Sowohl bei der Feststellung einer Gesetzeslücke als auch eines rechtspolitischen Fehlers sind Wertungen erforderlich. Denn in beiden Fällen erscheint das Gesetz bei wertender Betrachtung unvollständig. Doch ist der jeweilige Wertungsmaßstab unterschiedlich: einmal die gesetzesimmanente Teleologie, das andere Mal die von außen herangetragenen rechtspolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen.520 Zu untersuchen ist, ob § 37 BetrVG im Hinblick auf die Verweisung in dieser Vorschrift allein von Absatz 6 auf Absatz 2 eine planwidrige Regelungslücke enthält. Auszugehen ist also vom Sinn des Gesetzes. § 37 BetrVG will durch die Sicherstellung der Lohnweiterzahlung bei Betriebsratstätigkeit und Teilnahme an Schulungsveranstaltungen eine Benachteiligung von Betriebsratsmitgliedern verhindern. Dies geschieht technisch durch das Lohnausfallprinzip. Von einer planwidrigen Unvollständigkeit der Regelung kann nur gesprochen werden, wenn auf Grund der fehlenden Regelung für Betriebsräte, die an Schulungsveranstaltungen teilnehmen, die außerhalb ihrer Arbeitszeit liegen, tatsächlich eine Benachteiligung dieser Betriebsratsmitglieder einträte. Diese Benachteiligung müßte zudem vom Gesetz nicht beabsichtigt sein. Hierauf deutet die Vorschrift des § 78 Satz 2 BetrVG hin, aus der ein Benachteiligungsverbot für Betriebsratsmitglieder folgt. Dieses Verbot wird allerdings durch § 37 BetrVG konkretisiert. Insofern ist § 37 gegenüber § 78 Satz 2 BetrVG Iex specialis. Die konkrete Ausgestaltung in der spezielleren Regelung hat Vorrang vor der allgemeinen Grundregel. Die Verweisung von Absatz 6 Satz 1 des § 37 BetrVG lediglich auf Absatz 2 dieser Norm ist kein Versehen des Gesetzgebers gewesen521 , sondern steht in der Intention seiner Gesamtregelung der Rechtsstellung der Betriebsratsmitglieder. Die Vorschrift ist Larenz, Methodenlehre, S. 370. Larenz, Methodenlehre, S. 373 m. w. N. 519 So Larenz. Methodenlehre, S. 374 gegen Binder, S. 984. 520 Larenz, Methodenlehre, S. 374. 52 1 A.A.: LAG Hamm, BB 1973, 1354 f. unter Berufung auf BAG AP Nr. 2 zu § 40 BetrVG 1972; Weiss, Anrn. zu BAG AP Nr. 3 zu§ 37 BetrVG 1972 unter 3., die wegen der Umstellungen im Gesetzgebungsverfahren ein Redaktionsversehen für möglich halten. 517 518

B. Die Rechtsgrundlagen des nationalen Rechts

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im Gesetzgebungsverfahren durch den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung gegenüber dem Regierungsentwurf mehrfach geändert worden. 522 In den Materialien findet sich jedoch keine Andeutung, daß die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen mit der Betriebsratsarbeit völlig gleichgesetzt werden sollte. Vielmehr muß die Differenzierung zwischen Betriebsratstätigkeit und Schulungsteilnahme mit den unterschiedlichen Rechtsfolgen bezüglich des Zeitaufwands außerhalb der Arbeitszeit als vom Gesetzgeber so gewollt angesehen werden. Auch die Umstellung der einzelnen Absätze hatte nicht zur Folge, daß eine Verweisung auf Absatz 3 für die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen aus redaktionellen Griinden entfiel. Sie war auch schon im Regierungsentwurf, der insoweit in sich geschlossen gewesen ist, nicht vorgesehen. § 37 Abs. 3 des Regierungsentwurfes, der dem jetzigen Absatz 6 entspricht, hatte bereits keine Verweisung auf den Absatz 2 des Regierungsentwurfes enthalten, der mit dem jetzigen § 37 Abs. 2 BetrVG 1972 identisch ist. 523 Die Erwägung, daß § 37 BetrVG sich am vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer orientiere und der Gesetzgeber den teilzeitbeschäftigten vergessen habe, greift nicht durch, selbst wenn man ihr zustimmen würde. Auch bei vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern kann es zu Freizeitopfern kommen, wenn sie beispielsweise an einem Tag eine Schulungsveranstaltung besuchen, der im Betrieb arbeitsfrei ist. 524 Die fehlende Verweisung auf Absatz 3 ist also keine spezifische Benachteiligung teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, sondern offensichtlich systemimmanent Es handelt sich um eine notwendige und gewollte Folge des Ehrenamtsprinzips und des Lohnausfallprinzips. Sonst würde das Lohnausfallprinzip ausgehebelt. Rechtspolitisch mag man dies als ungerecht kritisieren; dies ist dann allenfalls ein rechtspolitischer Fehler des Gesetzes. 525 Eine Regelungslücke besteht jedoch nicht. Vielmehr ist von einem beredten Schweigen des Gesetzgebers auszugehen. Im Ergebnis handelt es sich bei der vom LAG Berlin vorgenommenen Analogie um eine Analogie "contra legem" 526. Die Grenze zwischen zulässiger Ausfüllung einer Gesetzeslücke und unzulässiger Korrektur einer rechtspolitisch als fehlerhaft angesehenen Entscheidung des Gesetzgebers wird damit überschritten. 527 522 BT-Drs. VI/2729, S. 17; zu BT-Drs. VII2729, S. 23; amtliche Begründung des Regierungsentwurfes: zu BT-Drs. VI/1786, S. 40 f. = BR-Drs. 715170, S. 40 f. 523 Vgl. auch BAG AP Nr. 3 u. 31 zu § 37 BetrVG 1972. 524 Dies hat das LAG Berlin, ArbuR 1991, 252 (254) auch gesehen, diesem Umstand jedoch keine Bedeutung beigemessen. 525 Hierauf läuft die Kritik von Weiss, Anm. zu BAG AP Nr. 3 zu § 37 BetrVG 1972 unter 3. hinaus, wenn er dem BAG vorwirft, es habe sich nicht mit der Äußerung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung auseinandergesetzt, der gefordert hatte, die Qualifikation der Betriebsratsmitglieder müsse wegen der quantitativ und qualitativ wachsenden Aufgaben gefördert werden. Dieser Förderauftrag kann aber nur innerhalb des geltenden Rechts verwirklicht werden; er ist nicht geeignet, den Wortlaut des § 37 BetrVG auszuhebeln. 526 Dies wird selbst von Reich I Dieball, ArbuR 1991, 225 (234), Fn. 67, eingestanden. Deren Lösung, die auf eine "gemeinschaftsrechtskonforme" horizontale Direktwirkung der Richtlinie 76 I 207 I EWG hinausläuft, ist jedoch ebenso dogmatischen Bedenken ausgesetzt.

II Traupe

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

2. Lückenschließung durch analoge Anwendung des § 37 Abs. 3 BetrVG a) Allgemeine Voraussetzungen und Grenzen des Analogieschlusses

Selbst wenn man insofern eine Regelungslücke bejahen wollte, bliebe das Problem ihrer interessengerechten Schließung. Beim Analogieschluß wird der gesetzlich geregelte, spezifische Falltypus und der vorliegende, gesetzlich nicht geregelte Falltypus gegenübergestellt mit der Maßgabe, ob der letztgenannte und der erste gleichzubewerten sind. Ist die Interessenlage in beiden Fällen vergleichbar, werden die unterscheidenden spezifischen Merkmale als unerheblich ausgeklammert und nur die verbleibenden allgemeinen Merkmale als notwendige Voraussetzungen der Rechtsfolge auch für den nicht geregelten Fall betrachtet. Dies beinhaltet eine generalisierende Bewertung, nach der die spezifischen Merkmale nicht gewichtig genug sind, um eine unterschiedliche Behandlung zu rechtfertigen. 528 Bei einem Analogieschluß sind die sich aus der Verfassung ergebenden Schranken zu beachten. 529 Art. 20 Abs. 3 GG bindet die Rechtsprechung an Gesetz und Recht. Dies schließt eine Fortbildung des Rechts durch die Rechtsprechung nicht aus.530 Der Richter hat aber zu respektieren, daß im gewaltengeteilten Rechtsstaat die Recht setzende und Recht begründende Macht dem Gesetzgeber zukommt (Art. 20 Abs. 2 GG). Hier wirken sich der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes und die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Wesentlichkeitstheorie53 1 aus. Alle wesentlichen Regelungen, die sich auf die grundrechtliche Rechtsstellung des Einzelnen beziehen, sind durch Gesetz zu treffen. Als Element des Rechtsstaatsprinzips gewährleistet Art. 20 Abs. 3 GG zugleich das Maß an Rechtssicherheit, das im Interesse der Freiheitsrechte unerläßlich ist. Denn der Bürger muß sich auf den Inhalt der Rechtsordnung bei seinen Dispositionen verlassen können. 532 Ein Analogieschluß wird diesen Maßstab beachten müssen, soll die Entscheidung des Richters nicht in die Freiheitssphäre des einzelnen eingreifen (Art. 2 Abs. 1 GG). Auf den ersten Blick bietet sich für eine analoge Anwendung die Regelung des § 37 Abs. 3 BetrVG an.

527 Im Erg. auch LAG Baden-Württemberg, DB 1993, 1826 (1827); Schiefer; DB 1993, 1822 (1823). 528 So gesehen handelt es sich beim Analogieschluß um einen Anwendungsfall des Gleichheitsgrundsatzes, Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 11 II; Larenz, Methodenlehre, S. 381. 529 Instruktiv: Fenn, FS Kissel, S. 213 (217 ff.). 530 Vgl. BVerfGE 25, 167 (181); 82, 6 (11). 53! Siehe nur BVerfGE 33, 1 (11 ff.); 47,46 (78 ff.). 532 BVerfGE 82, 6 (12).

B. Die Rechtsgrundlagen des nationalen Rechts

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b) Analoge Anwendung von Ausnahmevorschriften

Der Lückenschließung durch analoge Anwendung des § 37 Abs. 3 BetrVG könnte entgegenstehen, daß es sich bei dieser Vorschrift um eine Ausnahmevorschrift handelt und Ausnahmevorschriften grundsätzlich eng auszulegen und einer Analogie nicht fähig sind533 . Dies rechtfertigt sich nicht allein aus methodischdogmatischen Überlegungen, sondern ist Ausfluß des eben dargestellten verfassungsrechtlichen Bezugsrahmens für einen Analogieschluß. Im Regel-AusnahmeVerhältnis von Vorschriften spiegeln sich bestimmte ausdrucklieh getroffene Wertentscheidungen des Gesetzgebers. Ein Regelungsprinzip wird nur unter engen Voraussetzungen durchbrochen und außer Kraft gesetzt. Eine Ausdehnung der Ausnahmevorschritt im Wege der Analogie hieße nicht nur diese gesetzgebensehe Wertentscheidung zu unterlaufen, sondern auch den verfassungsrechtlich gesteckten Rahmen zu überschreiten. Zum einen würde das Rechtsstaatsprinzip, speziell der Gewaltenteilungsgrundsatz, verletzt, zum anderen wäre ein Eingriff in Freiheitsrechte des Bürgers unvermeidlich. Gerade in diesem Zusammenhang hat auch das BAG wiederholt darauf hingewiesen, daß es für die Kostenbelastung der Unternehmen wegen der Teilnahme von Mitarbeitern an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen Grenzen gibt. Diese folgen grundrechtlich gesehen aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG. Aber allein schon eine gegen Art. 20 Abs. 3 GG verstoßende analoge Ausdehnung von § 37 Abs. 3 BetrVG wäre als Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG auf Seiten der Arbeitgeber zu werten, weil die verfassungswidrige Anwendung dieser Vorschrift eine unverhältnismäßige Belastung der Freiheitssphäre des einzelnen Unternehmers darstellt. Ob es sich um eine Ausnahme handelt, entscheidet sich nicht formal anband der Formulierung der einzelnen Vorschriften im Gesetz. Maßgebend ist vielmehr eine wertende Betrachtung, die die Intention des Gesetzes einbezieht. 534 Von einer echten Ausnahme ist auszugehen, wenn das Gesetz eine Regel mit einer möglichst umfassenden Geltungsanordnung für bestimmte, eng umgrenzte Fälle durchbricht, weil die Aufrechterhaltung der Regel auch in diesen Fällen dem Gesetzgeber wenig praktikabel oder rechtspolitisch unangebracht erscheint. Die Beschränkung von Auslegung und analoger Anwendung soll erreichen, daß die mit der Regel verfolgte Absicht des Gesetzgebers nicht durch eine weite Anwendung der Ausnahme unterlaufen oder in ihr Gegenteil verkehrt wird. 535

533 Dazu RGZ 153, 1 (23); BGHZ 2, 237 (244); 4, 219 (222); 11, 135 (143); BAG, 26. 07. 1956- 3 AZR 124/54, AP Nr. 3 zu§ 1 Ges. SchadErsAnspr. Dienst- u. ArbUnfall = NJW 1956, 1771; BSG NJW 1959, 167 (168); grundsätzlich: Larenz, Methodenlehre, S. 355 f. Kritisch: Enneccerus!Nipperdey, Allgemeiner Teil,§ 48, 1, 2; Weinsheimer, NJW 1959, 566. 534 Negative Geltungsanordnungen wie in § 285 BGB oder in § 935 Abs. 1 BGB sind keine Ausnahmen von einer Grundregel, sondern Bestandteile einer einzigen Regel. Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 355. 535 Larenz, Methodenlehre, S. 356.

II*

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Bei der Regelung in Absatz 3 handelt es sich nicht um einen Unterfall des § 37 Abs. 2 BetrVG536, sondern um eine Ausnahmevorschrift. 537 Für einen eng begrenzten Tatbestand schließt sie die Geltung des Lohnausfallprinzips aus. Das Lohnausfallprinzip beansprucht aber in allen anderen Fällen umfassende Geltung, weil es aus dem Ehrenamtsprinzip folgt und auf diese Weise die Neutralität des Betriebsratsamtes sichergestellt werden soll.538 § 37 Abs. 2 und§ 37 Abs. 3 BetrVG beinhalten unterschiedliche Tatbestände, an die unterschiedliche Rechtsfolgen geknüpft sind. Absatz 2 will dem Betriebsratsmitglied, das wegen seiner Tätigkeit Arbeitszeit versäumen muß, Arbeitsbefreiung und die ihm zustehende Vergütung sichern. Absatz 3 hingegen gewährt einen Ausgleich für Nachteile, die infolge der Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeit aus einem betrieblich verursachten Freizeitopfer resultieren. § 37 Abs. 3 BetrVG ist vom Gesetzgeber als eine Entschädigungsnorm aus Billigkeitsgründen konzipiert, um dem Betriebsratsmitglied in besonders gelagerten Härtefällen einen Freizeit- oder Geldausgleich zu gewähren. Ein solcher liegt vor, wenn die Betriebsratsarbeit außerhalb der Arbeitszeit ausgeführt wird und dies dem Arbeitgeber zuzurechnen ist. Gleichzeitig soll die Kostenbelastung der Unternehmen bei Schulungsveranstaltungen von Betriebsratsmitgliedern auf die Weiterzahlung des am Arbeitsplatz verdienten Entgelts beschränkt werden. 539 Für dieses Auslegungsergebnis streitet auch die historische Entwicklung der Norm. Noch im Betriebsrätegesetz von 1920 hatten die Sitzungen der Betriebsräte außerhalb ihrer Arbeitszeit stattzufinden (§ 30). Lediglich notwendige Versäumnis von Arbeitszeit durfte nicht zu einer Minderung der Entlohnung führen (§ 35 Satz 2 BRG 1920). Ein Ersatzanspruch für Freizeitverlust durch Betriebsratsarbeit war nicht normiert. Mit dem Betriebsverfassungsgesetz von 1952 wurden die Sitzungen des Betriebsrats grundsätzlich in die Arbeitszeit der Mitglieder verSo aber Weiss, Anm. zu BAG AP Nr. 3 zu § 37 BetrVG 1972, unter 2. Vgl. BAG AP Nr. 14 u. 31 zu § 37 BetrVG 1972; LAG Hamm EzA § 37 BetrVG Nr. 61; LAG Baden-Württemberg, DB 1993, 1826 (1827); Bengelsdorf, NZA 1989, 905 (910); Schiefer; DB 1993, 1822 (1823). 538 Die gegenteilige Ansicht von Weiss, a. a. 0., überzeugt nicht, da er pauschal leugnet, daß sich aus dem Ehrenamtsprinzip für das Verhältnis von Absatz 2 zu Absatz 3 in § 37 BetrVG etwas entnehmen lasse. Hier wird die zentrale Bedeutung - auch für die Auslegung der einzelnen Absätze des § 37 -verkannt. Die hier vertretene Auslegung zwingt auch nicht zu der Folgerung, bei der Teilnahme an einer Betriebsräteschulung handele es sich um "eine Betriebsratstätigkeit minderer Art und Güte" Weiss, a. a. 0., unter 2. Es handelt sich schlicht um ein aliud. Der Gesetzgeber hat von seinem Regelungsspielraum bei der Auferlegung von Belastungen des Arbeitgebers Gebrauch gemacht und entschieden, daß Betriebsratstätigkeit und Kenntniserlangung nicht völlig gleich zu erachten sind. Vielmehr kann für letzteres auch vom Arbeitnehmer ein begrenztes finanzielles Opfer erwartet werden. Im übrigen wäre es ebensowenig zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber generell ein größeres Eigenengagement des einzelnen Mitglieds normieren würde. 539 Dieses Ziel steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG zum Bildungsurlaub: BVerfGE 77, 308 (334, 336 f.); 85, 226 (236 f.); vgl. Wank, Anm. zu BAG AP Nr. 1, 2 u. 3 zu § 9 BildungsurlaubsG NW. 536 537

B. Die Rechtsgrundlagen des nationalen Rechts

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legt (§ 30). Im übrigen blieb es dabei, daß die Betriebsratsmitglieder von ihrer Arbeit freizustellen waren, wenn und soweit dies die Betriebsratstätigkeit erforderte. Angesichts dieser engen Regelung erschien es dem BAG unzumutbar, daß ein in Wechselschicht arbeitender Betriebsratsvorsitzender in zwei von drei Wochen seine Betriebsratsarbeit regelmäßig außerhalb seiner Schicht in der Freizeit ausführen mußte, sollte die Betriebsratsarbeit nicht vernachlässigt werden. Deshalb hielt es einen Anspruch auf Freistellung von der bisherigen Arbeit in Wechselschicht und Zuweisung einer anderen Tätigkeit in der Normalschicht für gerechtfertigt. 540 Dies ließ sich dem § 37 Abs. 3 BetrVG 1952 durch ein argurnenturn a maiore ad minus entnehmen: Wenn schon die Freistellung möglich ist, dann muß erst recht auch die Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz möglich sein; denn diese ist im Verhältnis zur Freistellung ein minus. 541 In einer weiteren Entscheidung ebenfalls zu einem in Wechselschicht arbeitenden Betriebsratsmitglied sah es das BAG als unzumutbar an, daß dieses alle drei Wochen vier Stunden Freizeit für die Amtsausübung zu opfern hatte. 542 Wenn die Mitglieder des Betriebsrates ihre Aufgaben im wesentlichen nicht mehr während der allgemeinen Arbeitszeit erledigen konnten, konnte dies eine unzumutbare Belastung darstellen. Dann war eine Freistellung gemäߧ 37 Abs. 3 BetrVG 1952 erforderlich. 543 Dieser Rechtsprechung folgend ist§ 37 Abs. 3 BetrVG 1972 in das Gesetz eingefügt worden. 544 Der Grundsatz der ehrenamtlichen Tätigkeit ist dabei unangetastet geblieben. Absatz 3 der Fassung von 1972 sollte nur ausnahmsweise zur Vermeidung von Härten einen Ausgleichsanspruch gewähren. Dem Charakter als Ausnahmenorm widerspricht schließlich nicht ihre Stellung im Gesamtgefüge des§ 37 BetrVG. Denn ursprunglieh stand dieser Absatz als Absatz 5 des Regierungsentwurfs zu § 37 BetrVG am Ende der Regelung. Erst durch die Änderungen und Ergänzungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung im Gesetzgebungsverfahren erhielt er die jetzige Stellung als Absatz 3, um den Sinnzusammenhang zu Absatz 2 nicht zu zerreißen. 545

c) Vergleichbarkeit der Interessenlage

Selbst wenn man diesen Überlegungen nicht folgen will, muß die Vergleichbarkeit des in § 37 Abs. 3 BetrVG geregelten und dem hier vorliegenden Fall nachgeBAG, 13. 11. 1964-1 ABR 7/64, AP Nr. 9 zu§ 37 BetrVG 1952. Neumann-Duesberg, Anm. zu BAG, AP Nr. 9 zu § 37 BetrVG 1952. 542 BAG, 03. 06. 1969-1 ABR 1/69, AP Nr. 11 zu § 37 BetrVG 1952. 543 Vgl. Richardi, Anm. zu BAG AP Nr. 11 zu § 37 BetrVG 1952, der kritisch darauf hinweist, daß nach damals geltendem Recht ein Freizeitausgleich für die vorliegende Fallgestaltung nicht vorgesehen war. 544 GK-BetrVG/ Wiese, § 37 Rn. 68; Bengelsdorf, NZA 1989, 905 (910). 545 BT-Drs. Vl/2729, S. 17; zu BT-Drs. Vl/2729, S. 23. Vgl. auch BAG, 19. 07. 1977-1 AZR 376/74, AP Nr. 29 zu BetrVG 1972, unter 2 b der Gründe, m. zust. Anm. Schlüter (3 c ). 540

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

wiesen werden. Fraglich ist, ob eine Übereinstimmung beider Sachverhalte in den für die rechtliche Bewertung maßgeblichen Punkten besteht. Dies ist nicht so sehr eine formal-logische Frage von "Identität" und "Nichtidentität", sondern eine solche juristischer Bewertung, bei der die gesetzliche Bewertung des geregelten Tatbestandes die Richtschnur bildet. Die Priifung hat in zwei gedanklichen Schritten zu erfolgen. Notwendig ist zunächst die Offenlegung der in der gesetzlichen Regel zum Ausdruck kommenden maßgeblichen Wertungen. Im Anschluß daran muß zum einen positiv festgestellt werden, daß der zu beurteilende Sachverhalt dem gesetzlich geregelten in den maßgeblichen rechtlichen Wertungen gleicht, und zum anderen negativ, daß die Unterschiede nicht so bedeutsam sind, eine andere Wertung nahezulegen. 546 Die Vorschrift des § 37 Abs. 3 BetrVG ist unmittelbar nur einschlägig, wenn die Teilnahme an den Betriebsratsschulungen aus betriebsbedingten Griinden außerhalb der Arbeitszeit der Teilzeitbeschäftigten erfolgt. Sinn und Zweck der Vorschrift, die in § 35 BRG 1920 und § 37 BetrVG 1952 nicht existierte, ist es, unbillige Härten zu vermeiden, wenn ein BetriebsratsnUtglied z. B. wegen der Besonderheit seines Arbeitsverhältnisses die Tätigkeit für den Betriebsrat in erheblichem Umfang nur außerhalb seiner Arbeitszeit absolvieren kann. Insofern will Absatz 3 eine Art Entschädigung gewähren.547 Die entscheidenden Kriterien sind also die Verrichtung von Betriebsratsarbeit außerhalb der Arbeitszeit und der Grund hierfür, der betriebsbedingt sein muß. Der vorliegende Fall zeichnet sich dadurch aus, daß statt der Betriebsratsarbeit die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung in Rede steht und daß diese nicht aus betrieblichen Griinden, sondern aus Griinden, die vom Betriebsrat zu verantworten sind, außerhalb der Arbeitszeit stattgefunden hat. Gleich zu erachten sind beide Sachverhalte in einem Punkt: Das ist das Freizeitopfer, das vom Betriebsratsmitglied erbracht wird. Fraglich ist jedoch, ob diese Übereinstimmung bereits die maßgebliche ist.

aa) Ähnlichkeit von Betriebsratstätigkeit und Schulungsteilnahme Problematisch ist schon, ob eine Vergleichbarkeit von Betriebsratstätigkeit und Schulungsteilnahme vorliegt. Der einzige Ansatzpunkt für eine Ähnlichkeit wäre die Überlegung, daß die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen den Arbeitnehmer in seiner Eigenschaft als Betriebsrat in die Lage versetzen soll, sein Amt sachLarenz, Methodenlehre, S. 381 f. Ehmann, Anm. zu BAG, SAE 1978, 158 (159 f.), der in seiner Kritik an der Entwicklung hin vom Ehrenamt zum bezahlten Funktionär übersieht, daß § 37 Abs. 3 BetrVG nur bei betriebsbedingter Tatigkeit außerhalb der Arbeitszeit eingreift; Schlüter, Anm. zu BAG, AP Nr. 29 zu§ 37 BetrVG 1972 (unter 3 b u. c); Richardi, § 37 Rn. 37; GK-BetrVG/ Wiese, § 37 Rn. 68; Bengelsdorf, NZA 1989,905. S46

S47

B. Die Rechtsgrundlagen des nationalen Rechts

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gerecht und angemessen wahrzunehmen. Dazu gehört zwar auch der Einsatz zum Wohl des Betriebes; im Vordergrund steht aber die Interessenvertretung und Interessenwahmehmung zugunsten der Mitarbeiter. Erst mittelbar folgt hieraus die Aufgabenwahmehmung auch zum Wohl des Betriebes. Unter diesem Aspekt liegt keine Ähnlichkeit von Betriebsratstätigkeit und Schulungsteilnahme vor. Im übrigen hat die Schulungsteilnahme nur einen mittelbaren, untergeordneten Einfluß auf die Tätigkeit. Die Güte der Tätigkeit wird auch durch andere Faktoren bestimmt. Der Grundsatz der Gleichbehandlung gebietet es keineswegs, die gesetzliche Regel auch auf den nicht geregelten Sachverhalt zu übertragen.

bb) Ähnlichkeit von betriebsbedingten und betriebsratsbedingten Geiinden Die Abgrenzung der betriebsbedingten von den betriebsratsbedingten Geiinden ist der Idee nach trennscharf. Das eine Mal hat die Grunde der Arbeitgeber zu vertreten, das andere Mal der Betriebsrat. Es ist nicht vorstellbar, Grunde, die eigentlich in der Sphäre des Betriebsrats liegen, dennoch der Sphäre des Arbeitgebers zuzuordnen. Damit würde die gesetzliche Wertung unterlaufen. 548 Dies gilt auch in diesem speziellen Fall der Teilnahme an Schulungsveranstaltungen. Auf die Zeit der Schulungsveranstaltung hat der Arbeitgeber in aller Regel keinen Einfluß; sie wird einzig vom Träger der Veranstaltung bestimmt. Selbst wenn man annimmt, daß damit auch der Betriebsrat keinen Einfluß auf die Lage und die Dauer der Schulung hat, zwingt das nicht zu der Folgerung, das (Lohnweiterzahlungs-)Risiko deshalb dem Arbeitgeber zuzuweisen. Denn der Einfluß des Betriebsrats ist theoretisch größer als der des Arbeitgebers: Der Betriebsrat hat die Möglichkeit, eine andere Schulungsveranstaltung auszuwählen; diesen Einfluß hat der Arbeitgeber nicht. Der Gleichbehandlungsgrundsatz zwingt nicht dazu, den betriebsratsbedingten Grund - Lage und Dauer der Schulung sind eher vom Betriebsrat als vom Arbeitgeber zu beeinflussen - wie einen betriebsbedingten Grund zu behandeln. Auch hier sind die wertungsmäßigen Unterschiede gravierend. Die Tatbestände sind wertungsmäßig also nicht gleich zu erachten. Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 37 Abs. 3 BetrVG liegen nicht vor. Gegen dieses Ergebnis wird allerdings eingewandt, daß der Anreiz für Teilzeitkräfte, sich in einen Betriebsrat wählen zu lassen, fehlt, wenn teilzeitbeschäftigte 548 So hatte das BAG, AP Nr. 14 zu § 37 BetrVG 1972, eine analoge Anwendung des § 37 Abs. 3 BetrVG in der Weise, daß das Wort "betriebsbedingt" wie "betriebsratsbedingt" zu lesen sei, für ein nach § 38 BetrVG freigestelltes Betriebsratsmitglied abgelehnt. Es seien auch für freigestellte Betriebsratsmitglieder Konstellationen denkbar, die es erforderlich machen könnten, Betriebsratsarbeit aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit zu verrichten. An dem Tatbestandsmerkmal "betriebsbedingte Gründe" in der Auslegung der h. M. müsse deshalb festgehalten werden, solle es nicht zu einer unmittelbaren Vergütung der Betriebsratsarbeit als solcher kommen.

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2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Betriebsratsmitglieder für ganztägige Schulungen nicht einen vollen Ausgleich erhalten. Doch darf dieser Umstand als Motiv nicht überbewertet werden. 549 Davon abgesehen läßt sich diesem Einwand auf der einen Seite die Frage entgegenhalten, ob der Arbeitgeber den vollen Freizeitausgleich in diesen Fällen allein finanzieren muß. Wenn nach § 37 BetrVG den Teilzeitkräften die volle Lohnweiterzahlung zu gewähren ist, geht für den Arbeitgeber ein Teil des Anreizes verloren, Teilzeitkräfte einzustellen. Denn unter diesem Gesichtspunkt wäre eine Teilzeitkraft verhältnismäßig gesehen teurer als eine Vollzeitkraft. Auf der anderen Seite muß man sich davor hüten, die allein zulässige Betrachtungsebene zu verlassen und private Tatbestände mit denen des Betriebes bzw. der Betriebsratsschulung zu vermischen, wenn man behauptet, eine Bevorzugung sei mit dem finanziellen Ausgleich nicht verbunden. Es ist nicht Sache des Arbeitgebers, auf Haushaltsführung und Betreuung von Familienmitgliedern seiner Angestellten Einfluß oder Rücksicht zu nehmen. Auch braucht der Arbeitgeber keine finanziellen Anreize für die Übernahme der Hausarbeit zu geben. Ebensowenig ist es seine Sache, bei Engpässen in der Versorgung für finanziellen Ausgleich zu sorgen. Oben [2. Kap. II 4 c gg (b) (aa)] ist bereits gezeigt worden, daß es keine Rechtsgrundlage dafür gibt, dem Arbeitgeber eine derartige Belastung aufzuerlegen. Daneben spricht gegen eine Zurechnung zur Verantwortungssphäre des Arbeitgebers: Der Anspruch, Mitglieder zu Schulungen zu entsenden, steht dem Betriebsrat als Kollektiv zu, nicht dem einzelnen Mitglied.550 Dementsprechend entscheidet der Betriebsrat als Kollektiv, wer wann zu welcher Schulung entsandt wird. Hier kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an, ob wegen der Teilzeitarbeit und der Lage der Teilzeitarbeit noch eine Zurechnung zum Arbeitgeber erfolgen kann. Bei Anwendung der Kriterien der mittelbaren Diskriminierung ist eine solche differenzierte Betrachtung unmöglich. Fraglich ist, ob diese Lösung auch in vergleichbaren Konstellationen zu entsprechenden Ergebnissen führt, so daß es im System des § 37 BetrVG nicht zu Friktionen kommt. Ist der an sich in die Arbeitszeit fallende Schulungstag nur auf Grund einer Betriebsvereinbarung arbeitsfrei und muß die dadurch ausfallende Arbeitszeit vor- oder nachgearbeitet werden, besteht kein Ausgleichsanspruch nach § 37 Abs. 3 BetrVG. 551 Dies gilt auch, wenn die Schulungsveranstaltung auf einen Tag fällt, der auf Grund eines "rollierenden Systems" arbeitsfrei ist. 552 Genauso verhält es sich, wenn in der Schulungszeit Schichtfreizeit nach einem betrieblichen Schichtenplan anfällt553 oder Blockfreizeit infolge Arbeitszeitverkürzung554.

549 550 551 552 553 554

Vgl. jüngst BAG, AP Nr. 123 zu § 37 BetrVG 1972 = DB 1998, 373 (374). LAG Düsseldorf, OB 1992, 636; Schiefer, DB 1992, 631 f. BAG AP Nr. 76 zu § 37 BetrVG 1972. LAG Köln, LAGE§ 37 BetrVG 1972, Nr. 30 S. 2. LAG Hamm, BB 1973, 1354 f. Sogar vom LAG Berlin, ArbuR 1991, 252 (254), zugestanden.

B. Die Rechtsgrundlagen des nationalen Rechts

169

Die hierdurch entstehende Härte für teilzeitbeschäftigte-männliche und weibliche - Arbeitnehmer in ihrer Eigenschaft als Mitglieder von Mitbestimmungsorganen ist im Gesetz angelegt und Folge des Ehrenamtsprinzips. Dies verlangt in besonderen Fällen den ersatzlosen Einsatz von Freizeit, wenn das Gesetz keine spezielle Ausgleichsregelung bereithält.555 Die Alternative wäre nur die Vergütung des Betriebsratsamtes und konsequent auch die von Schulungsveranstaltungen. Dies wirft aber wiederum andere Folgeprobleme auf. Nach welchem Maßstab soll ein Mitglied des Betriebsrats besoldet werden? Wer soll die Lohnhöhe festlegen, der Arbeitgeber des Betriebes, der alte Betriebsrat zusammen mit dem Arbeitgeber oder der Gesetzgeber im Betriebsverfassungsgesetz? Soll der Vorsitzende eine höhere Vergütung erhalten als ein einfaches Mitglied? Wie soll man Mitarbeiter für ein solches Amt gewinnen, die bisher in ihrem Beruf wesentlich mehr verdient haben als sie bei Wahrnehmung des Betriebsratsamtes erhalten würden? Nicht minder problematisch wäre auch die Vergütung der Tätigkeit unter Weitergewährung des bisher verdienten Lohnes, um die eben beschriebenen Probleme zu vermeiden. Denn bei der Vergütung des Betriebsratsamtes entstünden Gleichbehandlungsprobleme, weil für dieselbe Tätigkeit ein unterschiedlicher Lohn, abhängig von der bisherigen Tätigkeit, gezahlt werden müßte. Im übrigen müßte gefragt werden, inwieweit es noch gerechtfertigt ist, den Arbeitnehmervertretern bezahlte Arbeitsfreistellungen für Schulungsveranstaltungen und bezahlten Bildungsurlaub zu gewähren. Eine Einschränkung dieser Instrumente wäre erwägenswert, zumal auch von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat erwartet wird, daß sie sich die notwendigen Kenntnisse außerhalb der Dienstzeit aneignen, weil sie für ihre Tätigkeit eine angemessene Vergütung erhalten (vgl. § 113 AktG). Davon abgesehen wäre auch die Finanzierung durch den Arbeitgeber nicht mehr begründbar. Die innere Rechtfertigung hierfür liegt im Ehrenamtsprinzip, das nur in Ausnahmefallen durchbrochen wird - wenn der Arbeitgeber für diese Durchbrechung die Verantwortung trägt(§ 37 Abs. 3 BetrVG). Wird das Ehrenamtsprinzip aufgegeben, müßte konsequent die Belegschaft zur Finanzierung herangezogen werden. Letztlich ist nicht einzusehen, warum die Träger von Schulungsveranstaltungen, die häufig Gewerkschaften sind, nicht vermehrt Halbtagsschulungen anbieten. In Verbindung mit einem Tausch von Schichten ließe sich durch ein solches Vorgehen bereits ein Großteil der Härtefälle auffangen.

3. Zusammenfassung

Eine analoge Anwendung des § 37 Abs. 3 BetrVG zur Begründung eines Ausgleichsanspruchs für die Teilnahme einer außerhalb der Arbeitszeit liegenden 555

BAG AP Nr. 76 u. 90 zu§ 37 BetrVG 1972.

170

2. Kap.: Analyse der Rechtsgrundlagen

Schulungsteilnahme scheitert sowohl an der fehlenden Regelungslücke als auch am Charakter des § 37 Abs. 3 BetrVG als Ausnahmevorschrift und an der Unvergleichbarkeit der jeweiligen Interessenlage im Fall der Betriebsratstätigkeit und der Schulungsteilnahme.

V. Ergebnis Weder aus den Rechtsgrundlagen des deutschen Verfassungsrechts noch aus denen des Arbeitsrechts folgt ein Anspruch einer teilzeitbeschäftigten Betriebsrätin auf Weiterzahlung des Lohnes für außerhalb ihrer Arbeitszeit liegende Zeiten einer Betriebsratsschulungsteilnahme.

3. Kapitel

Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung Im folgenden soll das Verbot der mittelbaren Diskriminierung näher untersucht werden. Zu klären ist dabei, inwieweit und mit welchen Tatbestandsvoraussetzungen sich dieses Verbot aus Art. 119 EGV und Art. 3 GG herleiten läßt.

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV I. Gleiches Entgelt für gleiche Arbeit Gleichheit des Entgelts ohne Diskriminierung auf Grund des Geschlechts bedeutet nach Art. 119 Abs. 2 EGV zum einen, daß das Entgelt für gleiche nach Akkord bezahlte Arbeit in derselben Maßeinheit festgesetzt wird, und zum anderen, daß für eine nach Zeit bezahlte Arbeit das Entgelt auf demselben Arbeitsplatz dasselbe ist.

1. Formen der Ungleichbehandlung

Allgemein wird unter Diskriminierung die ungleiche Behandlung vergleichbarer bzw. die gleiche Behandlung nicht vergleichbarer Sachlagen verstanden. 1 Verboten ist nur eine willkürliche Differenzierung. Von daher kann eine unterschiedliche Behandlung vergleichbarer bzw. gleiche Behandlung nicht vergleichbarer Sachlagen dann erlaubt sein, wenn die Differenzierung objektiv gerechtfertigt ist. 2 Im Bereich der Diskriminierung zwischen Männern und Frauen unterscheidet der EuGH nach gefestigter Rechtsprechung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung.

1 EuGH, 17. 07. 1963, Rs. 13/63 (Italienische Republik/Kommission), Slg. 1963, 357 (384). 2 EuGH, 24. 10. 1973, Rs. 43172 (Merkur), Slg. 1973, 1055 (1074); 16. 10. 1980, Rs. 147 179 (Hochstrass), Slg. 1980, 3005 (30 19 ff. ).

172

3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

a) Unmittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts

Ist das Geschlecht als solches Anknüpfungspunkt für eine unterschiedliche Behandlung von Mann und Frau, spricht man von unmittelbarer Diskriminierung.

b) Mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts

Da das Verbot der mittelbaren Diskriminierug wegen eines bestimmten neutralen Differenzierungskriteriums erst seit einigen Jahren in Rechtsprechung und Literatur Eingang gefunden hat, lohnt ein Blick auf seine Herkunft, Entwicklung und die damit beabsichtigte Wirkung.

aa) Herkunft, Entwicklung Seinen historischen und dogmatischen Ursprung hat das Verbot der mittelbaren Diskriminierung im anglo-amerikanischen Rechtskreis. Es dient vornehmlich dazu, eine Umgehung der unmittelbaren Diskriminierung zu verhindern. Ausgangspunkt ist in der Rechtsprechung des Supreme Court der USA die Rassendiskriminierung betreffend sachlich unnötiger Aufnahmepriifungen gewesen, die von Farbigen schlechter bewältigt wurden. 3 Dabei kommt es hinsichtlich der mittelbaren Diskriminierung - in den USA "organisational discriminiation" genannt4 - nicht auf das Motiv, sondern auf das Ergebnis des Handeins an, das zu einer erkennbaren Benachteiligung führen muß. Der Supreme Court hat später bei einer Geschlechtsdiskriminierung ähnlich argumentiert. 5 (a) Gleichberechtigung im Verfassungsrecht der USA

In der Verfassung der Vereinigten Staaten hat es ursprunglieh keinen Gleichheitssatz gegeben. Erst das 5. Amendment als Teil der "Bill of Rights" hat mit der "Due Process Clause" das Gebot eines fairen Verfahrens eingeführt. In materiellrechtlicher Hinsicht wird hierdurch die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes überpriift. Die Wirkungsweise ist mit dem Willkürverbot des Grundgesetzes vergleichbar. Diese Klausel kann nur begrenzt zum Schutz des Gleichberechtigungsinteresses im Arbeitsverhältnis fruchtbar gemacht werden. Die im 14. Amendment von 1868 niedergelegte "Equal Protection Clause" soll die Bundesstaaten verpflichten, jedermann den gleichen Schutz des Gesetzes zu gewährleisten. Aus der Qualifika3 Griggs v. Duke Power Co., 401 U.S. Supreme Courts Reports 424 (1971), S. 214 ff. (Text bei G. Wisskirchen, S. 184 ff.). 4 Vgl. Seeland, ZVglRWiss 81 (1982), 286 (295). s Dothard v. Rawlinson, 433 U.S. Supreme Court Reports 321 (1977), zit. nach GA Warner in Rs. 96/80, Slg. 1981, 911 (937).

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EG V

173

tion als generellem Benachteiligungsverbot folgt, daß Unterscheidungen nur nach angemessenen Kriterien getroffen werden dürfen: Gefordert wird ein nicht willkürlicher Unterscheidungsgrund. So ist eine Ungleichbehandlung zulässig, wenn der Gesetzgeber einen legitimen, anerkennenswerten Zweck verfolgt. Dies kann jede am Gemeinwohl orientierte Unterscheidung sein, solange das Ziel nicht selbst verfassungswidrig ist. Durch die Rechtsprechung wird diese Bestimmung extensiv ausgelegt bishin zu einem Anspruch auf Angleichung unterschiedlicher Lebenschancen. Diese Regelungen galten ursprunglieh nur für Farbige. Erst seit den 70er Jahren gilt die Garantie der Gleichberechtigung auch für Frauen. 6 Seit dem 19. Amendment enthält die Verfassung eine Gewährleistung des Frauenwahlrechts. Das "Equal Rights Amendment", das dem Art. 3 Abs. 2 GG entsprechen würde, ist bis heute nicht verabschiedet worden. 7 Die Überpriifung mittelbar benachteiligender Regelungen hat der Supreme Court allerdings nicht anband der Verfassung, sondern ausschließlich an Fällen entwickelt, die unter den Civil Rights Act 1964 Title VII fielen. 8 Maßnahmen, die nicht unmittelbar nach dem Geschlecht differenzieren, sondern nur im Ergebnis eine für eine Gruppe benachteiligende Wirkung entfalten, werden nur dann nach dem strengen verfassungsrechtlichen Maßstab beurteilt, wenn eine Diskriminierungsabsicht vorliegt. Bei einem verdächtigen Abgrenzungskriterium wird eher eine Diskriminierungsabsicht unterstellt als bei einem neutralen, das legitimen Interessen selbst dann dienen kann, wenn es sich besonders belastend auf einzelne Gruppen auswirkt. Hier ist es Sache der Kläger, dem Staat eine Benachteiligungsabsicht nachzuweisen. Dies kann unter Zuhilfenahme von objektiven Gesichtspunkten, wie der tatsächlichen Auswirkung auf bestimmte Gruppen, geschehen. Doch allein weil eine Maßnahme zu vorhersehbaren und über das gewöhnliche Maß hinaus belastenden Ergebnissen führt, soll noch nicht auf eine Absicht geschlossen werden. 9 Diskriminierungsabsicht bedeutet nach der Rechtsprechung des Supreme Court "mehr als Vorsatz im Sinn eines gewollten Verhaltens bzw. eines Bewußtseins für die Folgen" 10. Vielmehr muß der Gesetzgeber eine bestimmte Maßnahme gewählt haben gerade wegen und nicht nur ungeachtet ihrer benachteiligenden Wirkung. Bisher ist vom Supreme Court nicht eindeutig geklärt worden, aus welchen Indizien auf eine Diskriminierungsabsicht geschlossen werden darf und welche Funktion dabei Statistiken zukommt. In den USA ist es überdies keineswegs einhellige Ansicht, daß Frauen denselben besonderen Schutz genießen sollten wie Farbige. Denn zum einen handelt es sich bei den Frauen, anders als bei Farbigen beispielsweise nicht um eine Minderheit. Zum anderen ging die Unterdriickung nie soweit wie dort, wenn man sich allein das Schicksal der Sklaverei Vgl. hierzu besonders Bungert, ZVgiRWiss 89 (1990), 441 ff. Ausführlich Schlachter, S. 222 ff., m. weiterführenden Nachweisen. 8 Washington v. Davis, 426 U.S. 229 (238 f.) (1976); Schlachter, S. 242. 9 Schlachter, S. 242 f. IO Personnel Administrator of Massachusetts v. Feeny, 442 U.S. 256 (1979); Schlachter, s. 243. 6

7

174

3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

vor Augen führt. Drittens stimmen Rassendiskriminierung und Geschlechtsdiskriminierung nicht gänzlich überein. Denn eine ideale Gesellschaft kann ohne die Differenzierung nach Rassen auskommen, da es keine wirklichen biologischen Unterschiede gibt, die Eigenschaften und Fähigkeiten unwandelbar auf eine bestimmte Rasse festlegen. Doch existieren offensichtliche biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die differenzierende Regelungen notwendig machen. Damit stellt sich immer wieder die Frage nach den Auswirkungen dieser Unterschiede auf Eigenschaften, gesellschaftlichen Status oder Zugang zum Erwerbsleben. Dies führt zu der Folgerung, daß Frauen mit Hilfe der equal protection clause ein Recht auf Gleichbehandlung im formellen Sinn geltend machen können. Anspruch auf einen besonderen Schutz bei Benachteiligungen, die auf biologische oder geschlechtsrollenspezifische Griinde zuriickzuführen sind, kann die Regelung jedoch nicht vermitteln. 11 (b) Gleichberechtigung im Privatrecht

Die Gleichberechtigung im privaten Arbeitsrecht wird wesentlich durch unterverfassungsrechtliche Normen gestaltet. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang der "Equal Pay Act" von 1963 12 und der "Civil Rights Act 1964, Title VI1" 13 • (aa) Equal Pay Act Das Entgeltgleichheitsgebot des equal pay act setzt voraus, daß zwei Arbeitnehmer unterschiedlichen Geschlechts im selben Betrieb arbeiten, wegen des Geschlechts ungleich bezahlt werden, obwohl sie gleiche Arbeit leisten. Eine unterschiedliche Entlohnung kann allerdings durch "any other factor than sex", jeden nicht mit dem Geschlecht zusammenhängenden Faktor, gerechtfertigt werden. Dabei darf nicht an mittelbar benachteiligende Unterscheidungen oder Rollenstereotypen angeknüpft werden. Zulässig ist also ein Differenzierungskriterium, das auf objektiven, sachlichen Griinden beruht und für das Unternehmen arbeitsnotwendig ist. 14 Auffälligerweise wird Teilzeitarbeit in den USA nicht als verdächtig im Hinblick auf eine mögliche mittelbare Frauendiskriminierung angesehen. Auch eine unterproportionale Bezahlung von Teilzeitkräften erregt wegen ihrer Üblichkeit keinen Anstoß.

II 12

13 14

Vgl. Schlachter, S. 244. 29 u.s.c. § 206 (d) (1985). 42 U.S.C. § 2000e und folgende. Nachweis: Wisskirchen, S. 222 ff. Schlachter, S. 257 ff., 271 f.

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

175

(bb) Civil Rights Act 1964 Title VII Title VII des amerikanischen Bürgerrechtsgesetzes verbietet die Diskriminierung im Arbeitsleben im weitesten Sinne. Dabei ging es vorrangig um die Verbesserung der Rechtsstellung von ethnischen Minderheiten. Die Benachteiligung wegen des Geschlechts ist eher "zufällig", im letzten Augenblick des Gesetzgebungsverfahrens ins Gesetz gekommen. 15 Auf Grund dieser Bestimmungen sind Maßnahmen mit diskriminierenden Auswirkungen rechtswidrig und verboten, wenn sie von einer dafür geeigneten Person oder Institution begangen werden, ein gesetzlich verbotenes Merkmal, wie Rasse, Geschlecht, Religion oder Herkunft, aufweisen, zu den hier gesetzlich verbotenen Maßnahmen zählen, also z. B. Einstellung, Entlassung, Entlohnung oder Arbeitsbedingungen, und wenn die verbotene Maßnahme gerade wegen des gesetzlich geschützten Merkmals erfolgt. Das Gesetz läßt eine Reihe von Ausnahmen zu, die Differenzierungen zwischen den Geschlechtern gestatten. Diese Bestimmung stellt kein reines Unterscheidungsverbot dar. Denn angesichts des Zieles, einen bestehenden ungleichgewichtigen Zustand zu verbessern, werden auch neutrale Maßnahmen erlaßt, die mittelbar gerade die geschützte Gruppe nachteilig treffen. Eine Benachteiligung wegen des Geschlechts kann durch statistische Unterschiede indiziert sein, wenn Gruppen nach Eigenschaften abgegrenzt werden, die von einem Geschlecht in der Lebenswirklichkeit erkennbar häufiger verwirklicht werden als von dem anderen. Als Beispiel mögen Einstellungskriterien wie Körpergröße oder Körpergewicht dienen, wenn es dem Arbeitgeber tatsächlich um die Körperkraft geht. Letztlich wird sich hier immer eine Diskriminierungsabsicht erweisen, die sich hinter nur scheinbar neutralen Kriterien verbirgt. Gleiches gilt für eine Differenzierung anband von sozialtypischen Unterschieden. Trifft eine Maßnahme eine Gruppe nachteilig, der aus bestimmten rollenspezifischen Griinden vorwiegend Frauen angehören, ist dies vor Tide VII rechtfertigungsbedürftig. Konkret unterscheidet der Arbeitgeber nicht allein nach dem Geschlecht, sondern wählt ein zusätzliches Differenzierungskriterium, das vorwiegend Frauen aufweisen, beispielsweise die Betreuung von Kindem im Vorschulalter. 16 Zur Bestimmung, wann eine Benachteiligung "wegen" des Geschlechts vorliegt, hat die Rechtsprechung des Supreme Court diverse Theorien mit jeweils eigenen Anwendungsvoraussetzungen entwickelt. Das Konzept des "disparate treatment", der unterschiedlichen Behandlung, betrifft die vorsätzliche Ungleichbehandlung. Hierfür genügt das Bewußtsein, Frauen anders als Männer behandeln zu wollen, selbst wenn dies in bester Absicht geschieht. Die Diskriminierungsabsicht kann damit belegt werden, daß eine ganze Gruppe benachteiligt wird. Doch ist es in den USA umstritten, ob der Nachweis einer nur statistisch feststellbaren Benachteiligung der Gruppe genügt, den Schluß auf ein diskriminierendes Motiv für eine kon15 16

Schlachter, S. 287. Vgl. dazu Schlachter, S. 292 ff.

176

3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

krete Einzelmaßnahme zu rechtfertigen. Die Eignung eines statistischen Nachweises als Beleg, daß es sich um eine Benachteiligung wegen des Geschlechts handelt, beruht nach der bejahenden Ansicht auf einem WahrscheinlichkeitsurteiL Nach der normalen Erwartung führe ein nichtdiskriminierendes Einstellungsverhalten auf Dauer zu einer Belegschaftsstruktur, die mehr oder weniger der rassischen und ethnischen Zusammensetzung der örtlichen Bevölkerung entspreche, aus der die Bewerber stammten. Ohne eine diskriminierende Auswahlentscheidung müßte - eine gleiche Verteilung der Begabung vorausgesetzt - insgesamt eine einigermaßen repräsentative Belegschaftsstruktur entstehen. 17 Diese auf den ersten Blick ebenso einfache wie einleuchtende Erklärung leidet aber gerade darunter, daß sie andere Ursachen für eine fehlende Übereinstimmung außer acht läßt. Hier kommt als Alternative ein unterschiedliches Berufswahlverhalten ebenso in Betracht wie andere Lebenspräferenzen. Praktische Schwierigkeiten dürften bei der Festlegung des relevanten Einzugsbereichs und der Beriicksichtigung von Arbeitskräften aus entfernteren Regionen entstehen. Im übrigen ist es zweifelhaft, warum sich die Bevölkerungsstruktur in der Belegschaftsstruktur widerspiegeln soll. Hierdurch wird eine Ergebnisgleichheit indiziert, die ein Gebot rechtlicher Chancengleichheit nie erreichen kann. Das andere Konzept des "disparate impact", der unterschiedlichen Auswirkung, ist entwickelt worden, um Beweisprobleme, die beim disparate-treatment-Konzept auftraten, zu vermeiden. Eine auf das disparate-impact-Konzept gestützte Klage ist weder abhängig von einer Ungleichbehandlung im Einzelfall noch von einer vorsätzlichen Benachteiligung. 18 Doch ist diese Ansicht auch im amerikanischen Recht nicht unbestritten: Das Verbot einer vom Motiv des Handelnden unabhängigen Diskriminierung sei vom Kongreß überhaupt nicht beabsichtigt worden. 19 Nach diesem Ansatz kommt es auf die Auswirkungen genereller bzw. neutraler Maßnahmen an, die abhängig von der jeweiligen Ausgangslage verschiedene Gruppen unterschiedlich hart treffen können. Die Klägerin hat im Verfahren den notwendigen Beweis prima facie erbracht, wenn eine gleichermaßen auf alle Beschäftigten oder Bewerber angewandte Maßnahme weit überwiegend gerade die geschützte Gruppe benachteiligt. Dann ist das Unternehmen gezwungen, die Notwendigkeit dieser Maßnahme für eine erfolgreiche Arbeitsleistung darzulegen. Gelingt ihm das, muß die Klägerin zeigen, daß die gewählte Maßnahme durch eine weniger belastende Maßnahme ersetzt werden kann, die denselben Zweck erreicht.20 Ausgehend von der Zielsetzung des Kongresses bei Schaffung von Title VII hat der Supreme Court festgestellt, daß das Gesetz nicht nur offene Diskriminierungen, sondern ebenso Maßnahmen verbiete, die formal fair seien, in der Anwendung 17 18 19

20

Nachweise bei Schlachter, S. 317. Riesenhuber, RdA 1993, 36 (37); Schlachter; S. 318. Gold, IRLJ 7 (1985), 429 (489 ff., 492 ff.). Schlachter; S. 318.

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

177

aber diskriminierend wirkten. Prüfungsmaßstab sei hierfür die Arbeitsnotwendigkeit.21 Die disparate-impact-Lehre kommt nur zur Anwendung, wenn eine oder mehrere Maßnahmen benannt werden können, die die Benachteiligung herbeigeführt haben und deshalb vom Unternehmen zu verändern oder zu beseitigen sind. 22 Ohne eine konkret identifizierbare Benachteiligungshandlung kann dem Unternehmen nur ein unausgewogenes Ergebnis hinsichtlich der Zusammensetzung der Belegschaft vorgeworfen werden. Das wiederum könnte durch "positive" Gegenmaßnahmen korrigiert werden, was nicht Zweck des auf ein Benachteiligungsverbot zielenden Gesetzes ist. Die Gesetzesreform von 1991 , der "Civil Rights Reform Act"23 hat dies ausdrücklich klargestellt. Für die Darlegung der nachteiligen Auswirkung ist ein Rückgriff auf statistische Methoden erforderlich. Durch die Darlegung unterschiedlicher Werte für die geschützte Gruppe und die Vergleichsgruppe wird lediglich eine Vermutungswirkung erzeugt, daß die negativen Wirkungen nicht auf Zufall beruhen können. Ein direkter Beweis für eine Diskriminierung ist damit noch nicht erbracht. Einwendungen kann der Arbeitgeber gegen diesen prima facie-Beweis ebenfalls mit Hilfe der Statistik erheben. Er kann beispielsweise die angeführte Statistik als solche bezweifeln, oder er kann einwenden, die Klägerin habe fehlerhafte Daten verwendet, die Vergleichsgruppenbildung falsch vorgenommen oder statistisch nicht aussagekräftige Gruppen betrachtet. Davon abgesehen hat der beklagte Arbeitgeber im Prozeß die Möglichkeit, die beanstandete Maßnahme zu rechtfertigen. Rechtfertigungskriterium ist die Arbeitsnotwendigkeit ("business necessity") bzw. der hinreichende Bezug zum konkreten Arbeitsplatz (,job relatedness"). 24 Allein daß der Arbeitgeber einen "vernünftigen Grund" für seine Maßnahme aufzeigen kann, genügt als Rechtfertigung nicht. Der Arbeitgeber muß vielmehr darlegen, daß die Maßnahme für eine erfolgreiche und sichere Arbeitsleistung auf dem konkreten Arbeitsplatz notwendig und das damit verfolgte Ziel zwingend ist. 25 Eine durch die Rechtsprechung zwischenzeitlich vorgenommene Senkung des Rechtfertigungsmaßstabs ist durch das Reformgesetz von 1991 korrigiert worden. Ausnahmen vom disparate-impact-Konzept sind in der Rechtsprechung anerkannt. So kann das Entgeltsystem eines Arbeitgebers nicht pauschal angegriffen werden. Allenfalls einzelne Entlohnungskriterien können auf ihre diskriminierende Wirkung hin überprüft werden. Im übrigen erkennen die Gerichte an, daß die Unternehmen ihre Lohnstrukturen an den Gegebenheiten des Arbeitsmarktes ausriebGriggs v. Duke Power, 401 U.S. 424 (429 ff.) (1971)- auch bei Wisskirchen, S. 184 ff. Wards Cove Packing Co., Inc. v. Antonio, 490 U.S. 642 (1989)- auch bei Wisskirchen, S. 193 ff.; Schlachter, S. 319 (Anm. 179). 23 Civil Rights Reform Act of 1991, sec. 105. Abgedruckt bei Wisskirchen, S . 238 ff. Vgl. auch ebd., S. 34. 24 Griggs v. Duke Power, 401 U.S. 424 (431 f.) (1971)- auch bei Wisskirchen, S. 184 ff. 25 Vgl. Schlachter, S. 321. 21

22

12 Traupe

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

ten, und scheuen deshalb das Risiko eines punktuellen Eingriffs in diese komplexen Strukturen. (c) Zusammenfassung und Bewertung

Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Das Konzept des disparate impact verbietet gruppenspezifische Auswirkungen neutraler Differenzierungen. Es hat damit eine gesellschaftspolitische Funktion. Es verlangt von demjenigen Arbeitgeber, der eine Unterscheidung treffen will, zu prüfen, wie die augenblickliche Verteilung der Rassen- und Geschlechtsgruppen in der (örtlichen) Bevölkerung ist und wie sie sich entwickelt, damit seine Belegschaftsstruktur dem in etwa entspricht. Hierbei dürfte es sich um ein nahezu unmögliches Unterfangen handeln, wie in der Literatur zu recht bemerkt worden ist. 26 Die gesellschaftspolitische Funktion wird noch dadurch verstärkt, daß dem Arbeitgeber die Beweislast aufgebürdet ist, dafür daß jegliches Differenzierungskriterium einen offenkundigen Bezug zu der fraglichen Tätigkeit hat. 27 Damit ist eine weitere Aufgabe dieses Konzepts angedeutet, das in seiner prozessualen Funktion als "proof scheme" ("Beweisschema" 28 ) besteht. Die ungleiche Auswirkung einer Maßnahme läßt den Schluß auf ein unerlaubtes Kriterium zu, obwohl der Arbeitgeber durch Verwendung eines neutralen Kriteriums signalisiert hat, er gehe von einem erlaubten Motiv aus. Daher muß er die Erlaubtheil beweisen. Wichtig ist festzuhalten, daß das Konzept auf einer gesetzlichen Grundlage beruht. Ist schon die Ausdehnung der Rechtsprechung vom Schutz ethnischer Minderheiten auf Frauen nicht selbstverständlich gewesen, weil für letztere angesichts ihres zahlenmäßigen Umfangs und ihrer gänzlich anderen Situation in der Geschichte das Schutzkriterium der politischen Einflußlosigkeit nicht gilt, ist die Frage einer Übertragbarkeit der amerikanischen Rechtsprechung auf europäische Verhältnisse besonders problematisch. Diese Frage stellt sich umso drängender als auch in den USA die mittelbare Diskriminierung auf Individualmaßnahmen wie Auswahl, Einstellung und Beförderung beschränkt geblieben ist, eine Einschränkung der EuGH und BAG offensichtlich keine Bdeutung beimessen. Weder die Übertragbarkeit der Rechtsfigur noch Folgeprobleme sind von EuGH und BAG jemals erörtert worden. Deshalb kann ein Anspruch auf Allgemeingültigkeit hinsichtlich der von EuGH und BAG aufgestellten Voraussetzungen der mittelbaren Diskriminierung bisher nicht erhoben werden.29

26

27 28

29

C. Blomeyer, S. 100m. w. N. Vgl. Griggs v. Duke Power, 401 U.S. 424 (432) (1971)- auch bei Wisskirchen, S. 184 ff. C. Blomeyer, S. 101. Vgl. Wisskirchen, S. 38 f.

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

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bb) Dogmatische Herleitung nach EG-Recht Art. 119 EGV enthält keine Aussage zur mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung?0 Doch in der Lohngleichheitsrichtlinie 75 I 117 I EWG findet sich ein erster Anhaltspunkt. Dort verlangt Art. 1 die Beseitigung jeder Diskriminierung auf Grund des Geschlechts. In der Literatur wird geltend gemacht, dies beinhalte auch mittelbare Formen der Diskriminierung- zumindest konkludent. 31 (a) Vergleich mit anderen Diskriminierungsverboten des EG-Vertrages

Zur Klärung der Reichweite des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 119 EGV bietet sich ein Vergleich mit dem anderen Diskriminierungsverbot des EG-Vertrages, dem wegen der Staatsangehörigkeit, und dem allgemeinen EG-rechtlichen Gleichheitssatz an. (aa) Art. 6 EGV Wegen der Staatsangehörigkeit einer natiirlichen Person oder des Sitzes einer juristischen Person im Geltungsbereich des EG-Vertrages darf niemand benachteiligt werden (Art. 6 EGV32); dies ist das urspriinglichste und wichtigste Diskriminierungsverbot der Römischen Verträge. Eine Schlechterstellung von EG-Ausländem darf nicht auf das Kriterium der Staatsangehörigkeit gestützt werden. Bei diesem Diskriminierungsverbot handelt es sich um eine Ausformung des allgemeinen Gleichheitssatzes. 33 Es wird für spezielle Materien des Vertrages, insbesondere für die Marktfreiheit, in zahlreichen Vorschriften konkretisiert. Die wichtigsten Anwendungen sind die auf dem Gebiet der Zölle, der Freiheit des Warenverkehrs, der Arbeitnehmerfreizügigkeit, der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, der Kapitalverkehrsfreiheit und auf dem Gebiet des Steuerrechts. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs handelt es sich bei Art. 6 EGV um ein relatives Diskriminierungsverbot; das bedeutet, daß Differenzierungen nach der Staatsangehörigkeit keine verbotene Diskriminierung darstellen, wenn sie aus sachlichen Griinden gerechtfertigt sind.34 In der Literatur wird erörtert, für die Rechtfertigung nicht nur einen sachlichen Grund zu verlangen, sondern auch eine Verhältnismäßigkeitspriifung anzuschließen.35 So ausdrücklich jetzt auch ErfK I Schlachter; Art. 119 EGV, Rn. 12. Vgl. Hanau/Preis, ZfA 1988, 177 (183). 32 Art. 12 EG. Vor lokrafttreten der Änderungen durch den Vertrag zur Gründung einer Europäischen Union v. 07. 02. 1992, ABI. EG Nr. C 224 v. 31. 08. 1992, S. 1 ff., war dies Art. 7EWGV. 33 EuGH, 16. 10. 1980, Rs. 147179 (Hochstrass), Slg. 1980, 3005 (3019). 34 EuGH, a. a. 0 ., Slg. 1980, 3005 (3019). A.A.: von Bogdany in: Grabitz/Hilf, Art. 6, Rn. 23. 35 Zuleeg, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 7 EWGV, Rn. 3m. w. N. 30

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12*

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Neben der offenen Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit beinhaltet Art. 6 EGV auch die sogenannte "versteckte Diskriminierung". Davon kann in diesem Zusammenhang gesprochen werden, wenn eine Regelung nicht unmittelbar nach der Staatsangehörigkeit differenziert, sondern ein Kriterium wählt, das typischerweise nur Ausländer oder Inländer erfüllen, wie zum Beispiel Erfordernisse hinsichtlich des Wohnsitzes oder des Herkunftsortes.36 Demnach sind nicht nur offensichtliche Diskriminierungen verboten, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen. Auch sie liegen nicht vor, wenn diese Kriterien im Gesamtzusammenhang der Regelung aus sachlichen Gründen gerechtfertigt sind. 37 Von zentraler Bedeutung für das Diskriminierungsverbot wegen der Staatsangehörigkeit ist die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Sotgiu38 . Der EuGH war in einem Vorabentscheidungsverfahren vom BAG wegen der Auslegung von Art. 7 Abs. 1 und 4 der Verordnung 1612/68 39 angerufen worden. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die Deutsche Bundespost, hatte dem Kläger, einem italienischen Arbeitnehmer mit Wohnsitz in Italien, eine niedrigere Trennungsentschädigung als den Arbeitnehmern mit Wohnsitz in Deutschland gewährt. So stellte sich die Frage, ob nicht nur eine Ungleichbehandlung wegen der Staatsangehörigkeit, sondern auch wegen der Anknüpfung an den Wohnsitz nach Art. 7 VO 1612/ 68 verboten ist. In diesem Sinne legte der Gerichtshof die Vorschrift aus: Abgesehen von den offensichtlichen Diskriminierungen auf Grund der Staatsangehörigkeit seien auch die versteckten Diskriminierungen verboten, die sich dadurch auszeichneten, daß andere Unterscheidungsmerkmale angewandt würden, die zum seihen Ergebnis führten. 40 Diese Auslegung des Diskriminierungsverbots wurde vom Gerichtshof mit ihrer Erforderlichkeit begründet, um die Wirksamkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes, eines der Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts, zu wahren. So verweist der EuGH auf die Präambel zur Verordnung 1612 I 68, in der es heißt, daß "tatsächlich und rechtlich" eine Gleichbehandlung erforderlich sei.41 36 EuGH, 12. 02. 1974, Rs. 152173 (Giovanni Maria Sotgiu/Deutsche Bundespost), Slg. 1974, 153 (164 f.); EuGH, 16. 02. 1978, Rs. 61177 (Kommission/Irland- "Seefischerei"), Slg. 1978, 417(451, Tz. 78 I 80). 37 EuGH, a. a. 0., Slg. 1974, 153 (165); vgl. von Bogdany in: Grabitz /Hilf, Art. 6, Rn. 15 ff. 38 EuGH, a. a. 0., Slg. 1974, 153 ff. 39 Verordnung Nr. 1612/68 des Rates v. 15.0ktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, ABI. EG 1968 Nr. L 257, S. 2. 40 Im Ergebnis war die Regelung sachlich gerechtfertigt, weil die höhere Trennungsentschädigung für Arbeitnehmer im Inland zeitlich nur begrenzt gewährt wurde und mit der Auflage verbunden war, an den Arbeitsort umzuziehen, während die Trennungsentschädigung an Arbeitnehmer mit Wohnsitz im Ausland ohne diese Einschränkungen gewährt wurde, EuGH, a. a. 0., Slg. 1974, 153 (165). 41 EuGH, 12. 02. 1974, Rs. 152173 (Sotgiu), S1g. 1974, 153 (164).

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

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In der Rechtssache "Seefischerei"42 , einem Vertragsverletzungsverfahren, das die Kommission gegen Irland angestrengt hatte, bestätigte der Gerichtshof diese Auslegung von Art. 6 EGV. Hintergrund der Auseinandersetzung war die Größe von Fischereibooten. Die irische Regierung hatte in einem Fischerei-Entwicklungsprogramm Boote, die eine bestimmte Länge und I oder Motorleistung überschritten, aus ihren Gewässern ausgeschlosssen, um so die Fischbestände in den irischer Hoheitsgewalt unterliegenden Meeresgebieten zu schützen. Die gewählten Kriterien erfüllten aber praktisch ausschließlich nur Boote aus anderen Mitgliedstaaten, nicht aber Boote unter irischer Flagge. Für die Feststellung einer Diskriminierung sei zuerst das Verhältnis der Anzahl der Schiffe der verschiedenen Mitgliedstaaten, denen der Fischfang innerhalb der fraglichen Zone verboten sei, zur Gesamtzahl ihrer Seefischereifahrzeuge festzustellen. Für Irland ergebe sich ein Wert von 0,18%, für die Niederlande von 17,2%. Zweitens erweise sich die diskriminierende Wirkung an folgender Überlegung: Schließe Irland größere Boote aus seinen Gewässern aus, bliebe den anderen Mitgliedstaaten nur der Einsatz entsprechend kleinerer Boote. Diese seien aber rein praktisch weniger gut in der Lage, regelmäßig große Entfernungen zu überwinden oder für längere Zeit auf See zu bleiben. Drittens müsse festgestellt werden, in welchem Verhältnis Schiffe aus anderen Mitgliedstaaten, die die gewählten Größenkriterien überschritten, regelmäßig im relevanten irischen Gebiet dem Fischfang nachgegangen seien. Für Irland seien dies 0,19% der Schiffe, für Frankreich 24,8%, für die Niederlande 100% der Schiffe. Die vom EuGH vorgenommene Auslegung weist auf ein Verständnis des Verbots der versteckten Diskriminierung als Umgehungsverbot43 hin. Knüpft man nicht an die Staatsangehörigkeit, sondern an ein scheinbar neutrales Kriterium, den Wohnsitz des Arbeitnehmers, an, bedeutet dies eine Umgehung des verpönten Merkmals. Denn im Ergebnis werden ausschließlich EG-Ausländer von der Regelung nachteilig betroffen. Die Umgehung setzt eine entsprechende Absicht voraus. Folgende Indizien sprechen beispielsweise im "Seefischerei"- Fall für das Vorhandensein einer Umgehungsabsicht Leichter durchzusetzen und zu kontrollieren wäre das Verbot des gesamten Fischfangs in einer bestimmten Region oder zu bestimmten Jahreszeiten als der Ausschluß bestimmter Fischereifahrzeuge. Doch wären dann auch alle (kleineren) irischen Boote betroffen. Hinzukommt, daß irische Schiffe, anders als große niederländische oder französische, nicht in andere Fanggebiete ausweichen können. Weiteres Indiz für eine Diskriminierungsabsicht ist der Umstand, daß die nachteilig betroffenen Fangflotten seit langem in irischen Gewässern fischten. Auch sind Größe und Maschinenstärke allein keine sicheren Kriterien, die auf eine bestimmte Fangmenge schließen lassen.44 Der Schutzzweck EuGH, 16. 02. 1978, Rs. 61177, Slg. 1978, 417. So auch Erklärung der italienischen Regierung nach Art. 20 des Satzungsprotokolls in der Rechtssache Sotgiu, Slg. 1974, 158. 44 Hinweise in den Schlußanträgen des GA Reischi v. 19. 01. 1978 in der Rs. 61/77 ("Seefischerei"), Slg. 1978, 453 (465 f.). 42 43

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

der Maßnahme kann auf diese Weise gar nicht sicher erreicht werden. Dies läßt auf eine Umgehungs- oder Diskriminierungsabsicht im Hinblick auf den Ausschluß ausländischer Schiffe schließen. Denn dies ist das einzige, was die gewählten Kriterien mit Sicherheit bewirken. In Hinsicht auf die später zu behandelnde Frage der mittelbaren Frauendiskriminierung verspricht schon an dieser Stelle ein Blick auf das Problem der Kausalität der versteckten Diskriminierung aus Griinden der Staatsangehörigkeit einen Erkenntnisgewinn. Zwischen kausaler und finaler Verknüpfung läßt sich im Rahmen des Art. 6 EGV unterscheiden, weil eine Diskriminierung aus Griinden der Staatsangehörigkeit verboten ist. Die Einbeziehung des Kausalverlaufes sei erforderlich, um den Einwand, die Ungleichbehandlung beruhe auf einem Zufall, abzuschneiden.45 Doch sei dariiber hinaus die finale Verknüpfung, die auf den Zweck einer Maßnahme abstelle, entscheidend. Dieser müsse allerdings objektiv im Rechtsakt zum Ausdruck gekommen sein.46 Dagegen wird jedoch eingewandt, daß sich der innere Wille einer Person, die an der Entstehung der Maßnahme mitgewirkt habe, gar nicht verläßlich ermitteln lasse. Derjenige, der eine Maßnahme beschlossen habe, müsse sich die daraus resultierenden Folgen seinem Willen zurechnen lassen.47 Aber nicht jede faktische Benachteiligung fällt unter Art. 6 EGV. So knüpft eine unterschiedliche Regelung zwischen Waren nach ihrem Ursprung und zwischen Einzelherstellern nach der Art der von ihnen verkauften Waren weder an die Staatsangehörigkeit noch an den Ort der Niederlassung an; also liegt hierin auch keine versteckte Diskriminierung.48 Ergibt sich die Benachteiligung eines Ausländers lediglich aus der bloßen Unterschiedlichkeit der Regelungen, handelt es sich nicht um eine versteckte Diskriminierung: Art. 6 EGV erfaßt nicht unterschiedliche Behandlungen oder Verzerrungen, die aus der Verschiedenheit der nationalen Rechtsordnungen resultieren, wenn nur diese Rechtsordnungen gleichermaßen auf alle ihrer Herrschaft unterworfenen Personen nach objektiven Kriterien und ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Betroffenen Anwendung findet. 49 Folgt die Ungleichbehandlung mangels einer gemeinsamen Politik aus den Unterschieden in den nationalen Rechtsordnungen, bietet Art. 6 EGV hiergegen keine Handhabe, weil diese Vorschrift anderenfalls eine Allgemeinklausel zur Harmonisierung des nationalen Rechts darstellen würde. Dies ist aber nur durch die Rechtsetzung der EG nach den Regeln und Verfahren des Vertrages zu erreichen. 50 Hinsichtlich des Anwendungsbereiches ist demnach festzuhalten, daß das Diskriminierungsver45 So Reitmaier, S. 50. 46

Reitmaier, S. 44 ff. ; a.A. : von Bogdany in: Grabitz/Hilf, Art. 6, Rn. 16.

47 Zuleeg, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 7, Rn. 5. 48 EuGH, 13. 11 . 1986, verb. Rs. 80 u. 159 I 85 (Nederlandse Bakkerij Stichting u. a. /Edah

BV), Slg. 1986, 3359 (3383 f.). 49 EuGH, 13. 02. 1969, Rs. 14/68 (Walt Wilhelm u. a./Bundeskartellamt), Slg. 1969, I (16, Tz. 13); vgl. auchZuleeg, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 7, Rn. 7. 50 Zuleeg, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 7, Rn. 7; Fastenrath, JZ 1987, 170 (171). Kritisch Bleckmann, RIW 1985, 917 ff.

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bot des Art. 6 Abs. 1 EGV alle mitgliedstaatliehen Akte in Sachbereichen betrifft, in denen die Gemeinschaft Aufgaben wahrnimmt. 51 Auf natürliche Erscheinungen zurückzuführende Standortunterschiede sind keine Diskriminierungen im Sinn des Vertrages. Darunter sind nur Ungleichbehandlungen zu verstehen, die auf menschliches Wirken und insbesondere auf Maßnahmen der öffentlichen Gewalt zurückgehen. 52 Im vom EuGH entschiedenen Fall ging es um den Empfang ausländischer Fernsehsender und die damit verbundene Übertragung von Werbung. In Belgien existierte ein Verbot der Ausstrahlung von Werbung, an das Kabelfernsehgesellschaften auch bei der Übertragung ausländischer Programme, die Fernsehwerbung enthielten, gebunden waren. Sendete ein ausländisches Programm jedoch von einem ausländischen Standort jenseits der Grenze, griff das Verbot nicht. Hierbei bestand jedoch der Nachteil, daß diese auf Grund ihres geographischen Standorts Mitteilungen nur innerhalb ihres natürlichen Sendegebietes ausstrahlen konnten. Eine Diskriminierung lag hierin nicht. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß der EuGH nur der versteckten Diskriminierung, die an ein Ersatzkriterium anknüpft, einen Riegel vorschieben will. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts geht aber über dieses Verständnis als versteckte Diskriminierung hinaus. Folglich kann die Rechtsprechung zu Art. 6 EGV nicht bzw. nur bedingt weiterhelfen. (bb) Art. 48 EGV In Anknüpfung an die Rechtsprechung zu Art. 6 EGV erlangt das Verbot der mittelbaren Diskriminierung im Rahmen von Art. 48 Abs. 2 EGV (Art. 39 Abs. 2 EG) weitere Bedeutung. Danach dürfen Wanderarbeitnehmer nicht - auch nicht mittelbar- auf Grund der Nationalität diskriminiert werden. Denn eine Bestimmung, die auf den ersten Blick nach einem anderen Unterscheidungsmerkmal als der Staatsangehörigkeit differenziert, verstößt trotzdem gegen Art. 48 Abs. 2 EGV, wenn die Anwendung der Bestimmung tatsächlich zu demselben Ergebnis führt, es sei denn die Differenzierung ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt. 53 Zum Teil wird aber auch bei dieser Konstellation von versteckter oder verschleierter und nicht von mittelbarer Diskriminierung gesprochen. 54 Maßgeblich ist, ob eine bestimmte Regelung - allein oder in Verbindung mit anderen Umständen - eine Benachteiligung des Ausländers bewirkt. Allerdings sollten rein theoretische Erwägungen au51 Dazu: Zuleeg, in: Groeben/Thiesing/Ehlerrnann, Art. 7, Rn. 11 ff.; Geiger; Art. 6, Rn. 10. 52 EuGH, 18. 03. 1980, Rs. 52179 (Strafverfahren gegen Mare J.V.C. Debauve u. a.), Slg. 1980, 833 (858, Tz. 21)- insbes. zum Begriff "Diskriminierung". 53 EuGH, 12. 02. 1974, Rs. 152173 (Sotgiu), Slg. 1974, 153 (165, Tz. 13); EuGH, 08. 05. 1990, Rs. C-175/88 (Klaus Biehl/ Administration des contributions du Grand-Duche de Luxernbourg), Slg. 1990,1-1779 (1792 ff.). 54 milker; in: Groeben/Thiesing/Ehlerrnann, Art. 48, Rn. 13; Geiger, Art. 48 Rn. 15 f .; Schlußanträge des GA Darrnon v. 24. 01. 1990 in der Rs. 175/88 (Biehl), Slg. 1990,1-1784.

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ßer Betracht bleiben, die nur unter ganz besonderen Umständen eine Benachteiligung nachsichziehen. 55 Doch stellt nicht jede unterschiedliche Behandlung einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverhot dar. Ergibt ein konkreter Vergleich der Sachverhalte, daß der durch eine unterschiedliche Behandlung betroffene Staatsangehörige gegenüber den Angehörigen des Aufnahmestaates im Ergebnis nicht benachteiligt ist, kann von einer verbotenen Diskriminierung nicht gesprochen werden. 5 6 Von einer derartigen Sachlage war im Fall Biehl jedoch nicht auszugehen. Ein deutscher Arbeitnehmer ging in Luxemburg einer Erwerbstätigkeit nach und entrichtete dort auf seine Einkünfte Einkommensteuer. Als er während eines laufenden Kalenderjahres seinen Wohn- und Arbeitssitz in die Bundesrepublik verlegte, verweigerte die Steuerverwaltung des Großherzogtums Luxemburg eine Erstattung zuviel einbehaltener Einkommensteuer. Dies geschah unter Berufung auf eine Vorschrift, die festlegte, daß einbehaltene Steuern auf Löhne und Gehälter zu Lasten der Arbeitnehmer, die nur während eines Teils des Jahres gebietsansässige Steuerpflichtige sind, nicht erstattet werden können. Hier sah der EuGH57 in dem Kriterium der ständigen Ansässigkeil im Inland eine versteckte Form der Diskriminierung nach Art. 48 Abs. 2 EGV. Da es in der ganz überwiegenden Mehrzahl Angehörige anderer Mitgliedstaaten sind, die sich in Luxemburg niederlassen oder das Land verlassen, läßt sich in diesem Kriterium eine Diskriminierungsabsicht vermuten. Bestätigt hat der Gerichtshof seine Rechtsprechung im Urteil "Le Manoir" 58. Eine französische Firma hatte eine irische Staatsangehörige als Praktikantin für sechs Monate beschäftigt und eine Ausbildungsvergütung gezahlt, die unter dem dynamischen Mindestlohn lag, aber zur Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen verpflichtete. Die für die Einziehung dieser Beiträge zuständige Einrichtung setzte nicht die tatsächlich gezahlte Vergütung als Bemessungsgrundlage fest, sondern den höheren Mindestlohn, weil die Praktikantin nicht dem nationalen Bildungswesen angehöre und zwischen Frankreich und Irland in diesem Bereich auch kein Abkommen bestehe. Zwar knüpft die Ungleichbehandlung nicht direkt an die Staatsangehörigkeit an, doch hatte der EuGH keine Schwierigkeiten, eine verschleierte Diskriminierung festzustellen. 59 Von der nachteiligen Wirkung können tatsächlich nur ausländische Praktikanten betroffen sein. Denn Personen, die im Rahmen einer schulischen Berufsausbildung ein Praktikum ableisten, gehören eigentlich immer dem nationalen Bildungswesen ihres Herkunftslandes an. Insofern stellt das Kriterium "Angehörigkeit zum nationalen Bildungswesen eines MitgliedWölker, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 48, Rn. 13. EuGH, 12. 02. 1974, Rs. 152173 (Sotgiu), Slg. 1974, 153 (165, Tz. 12). 57 EuGH, 08. 05. 1990, Rs. C-175/88 (Biehl), Slg. 1990,1-1779 (1793). 58 EuGH, 21. 11. 1991, Rs. C-27 /91 (Union de recouvrement des cotisations de securite sociale et d'allocations farniliales de Ia Savoie [URSSAF) I Societe Hostellerie Le Manoir), Slg. 1991,1-5531. 59 EuGH, a. a. 0., Slg. 1991, 1-5531 (5541 f.). 55

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staates" eine klassische Umgehung des Staatsangehörigkeitskriteriums dar. Die Diskriminierungsabsicht liegt wegen der Verwendung eines Ersatzkriteriums auf der Hand. Auf das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV läßt sich diese Entscheidung nicht übertragen. Gerade im Hinblick auf den sozialen und rechtspolitischen Hintergrund der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung ist interessant, warum nicht mehr Arbeitnehmer von dem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen trotz totaler Gleichstellung in bezugauf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen.60 Zweifellos noch existierende Unzulänglichkeiten im Gemeinschaftsrecht stehen nur in geringem Maße der Verwirklichung der Freizügigkeit entgegen. Vielmehr wird man den auch in weniger entwickelten Regionen schon gehobenen Lebensstandard anführen müssen. So ist das Recht auf Freizügigkeit eben nur ein Faktor neben einer Reihe von anderen ökonomischen Faktoren, die die Mobilität beeinflussen. Nicht außer acht gelassen werden dürfen die vielfältigen persönlichen, sozialen, kulturellen und sprachlichen Hindernisse bei einzelnen Arbeitnehmern. Hinzu kommt auch der teilweise schlechtere rechtliche Status von Drittstaatsangehörigen, die als billige Arbeitskräfte angeworbenen wurden. Dieser Umstand führt oft zu deren Bevorzugung gegenüber einheimischen Arbeitskräften und EG-Ausländern.61 (cc) Art. 95 EGV Nach Art. 95 EGV (Art. 90 EG) sind diskriminierende Abgabenbelastungen im innergemeinschaftlichen Warenverkehr verboten. Die Mitgliedstaaten dürfen auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten weder unmittelbar noch mittelbar höhere inländische Abgaben als auf gleichartige inländische Waren erheben. Mit diesem Verbot soll die vollkommene Wettbewerbsneutralität der inländischen Abgaben für einheimische und importierte Erzeugnisse sichergestellt werden. 62 Art. 95 EGV ist lex specialis zum allgemeinen Diskriminierungsverbot 63 Hinter den steuerrechtliehen Vorschriften des EG-Vertrages steckt das sogenannte fakultative Bestimmungslandprinzip. Das heißt, eingeführte Waren werden grundsätzlich im Land ihrer Bestimmung, dem lmportland, nach dessen Steuersystem belastet, während es dem exportierenden Mitgliedstaat freisteht, die exportierten Waren durch Steuerrückerstattung von seinen indirekten Steuern zu befreien. 64 Für die Erhebung von Einfuhrausgleichsabgaben setzt Art. 95 EGV Obergrenzen fest: Die Höhe der Ausgleichsabgabe für eingeführte Erzeugnisse wird durch das Niveau der auf entsprechende 60 Vgl. zum folgenden: ßVlker, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Vor Art. 48 bis 50, Rn.6. 61 So auch: Straubhaar, ICMS 1988,45 (55 ff.). 62 EuGH, 03. 03. 1988, Rs. 252/86 (Gabriel Bergandi I Directeur generaldes impöts), Slg. 1988, 1343 (1373 f.); Geiger, Art. 95, Rn. 2. 63 Voß, in: Grabitz /Hilf, Art. 95, Rn. 61. 64 Vgl. Oppermann, Rn. 1023.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

einheimische Waren erhobenen Abgaben beschränkt. Es handelt sich somit um ein Schlechterstellungsverbot, das keine absolute steuerliche Gleichbehandlung von inländischen und eingeführten Waren fordert. 65 Eine verbotene Ungleichbehandlung nach Art. 95 Abs. 1 EGV liegt vor, wenn importierte Waren mit höheren Abgaben belastet werden als gleichartige Waren inländischer Produktion. Dabei kann eine Ungleichbehandlung wegen eines höheren Abgabensatzes, wegen der Möglichkeit von Steuervergünstigungen oder wegen einer unterschiedlichen Bemessungsgrundlage festzustellen sein. 66 Nach der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs67 fallt eine Abgabenregelung auch dann unter das Diskriminierungsverbot, wenn sie ohne Differenzierung nach inländischen und eingeführten Waren so gefaßt ist, daß der größte Teil der inländischen Produktion unter den geringsten, die importierten Waren jedoch fast ausnahmslos unter den höchsten Steuersatz fallen. 68 Eine solche mittelbare Diskriminierung liege aber nicht vor, wenn eine auf objektiven Kriterien beruhende und nicht nach der Herkunft unterscheidende steuerliche Differenzierung legitime wirtschaftliche oder soziale Zwecke verfolge. 69 In dem Verfahren Kommission gegen Griechische Republik ging es um die griechische Praxis, bestimmte, in einer gesetzlichen Bestimmung abschließend aufgezählte alkoholische Getränke wie Whisky, Gin, Wodka, Rum, Tequila, Arrak und Taffia, die in Griechenland so gut wie nicht produziert werden, einem höheren Mehrwertsteuersatz zu unterwerfen als einheimische Getränke wie Ouzo, Weinbrand und Liköre. Hier nahm der Gerichtshof eine Gleichartigkeit zwischen den verschiedenen alkoholischen Getränken im Sinn des Art. 95 Abs. 1 EGV an, bzw. gemeinsame Züge, die genügend ausgeprägt seien, um die Annahme zuzulassen, daß wenigstens ein teilweiser oder potentieller Wettbewerb im Sinn des Art. 95 Abs. 2 EGV vorliege. Auch wenn die griechische Regelung nicht ausdrücklich nach der Herkunft der Produkte unterscheide, falle doch der größte Teil der alkoholischen Getränke aus inländischer Produktion in die günstigste, der größte Teil der ausländischen Erzeugnisse dagegen in die höchste Steuerklasse. Daß bestimmte ausländische Getränke vom griechischen Verbraucher als Luxuserzeugnisse angesehen würden, sei in diesem Zusammenhang unerheblich. Vorhandene Verbrauchergewohnheiten dürften durch die Steuerpolitik nicht verfestigt wer65 EuGH, 13. 03. 1979, Rs. 86178 (SA des Grandes Distilleries Peureux/Directeur des Services fiscaux de Ia Haute-Saöne et du Territoire de Belfort [,,Französisches Branntweinmonopol"]), Slg. 1979, 897 (913 f.); Oppermann, Rn. 1024. 66 Geiger; Art. 95, Rn. 9 ff. 67 EuGH, 18. 04. 1991, Rs. C-230/89 (Kommission/Griechische Republik), Slg. 1991, 1-1909 (1922 f., insbes. Tz. 10), allerdings ohne den Begriff "mittelbare Diskriminierung" zu benutzen. 68 Geiger; Art. 95, Rn. 15. 69 EuGH, 14. 01. 1981, Rs. 46/80 (S.p.A. Vinai/S.p.A. Orbat), Slg. 1981, 77 (93 f.)Förderung der Destillation landwirtschaftlicher Erzeugnisse gegenüber der Alkoholgewinnung aus Erdölderivaten; EuGH, 03. 03. 1988, Rs. 252/86 (Bergandi), Slg. 1988, 1343 (1375) - Begünstigung bestimmter Kategorien von Spielautomaten je nach Publikum und Aufstellungsort.

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den.70 Das Besondere dieser Konstellation liegt hier in dem Umstand, daß Art. 95 EGV untersagt, mit Hilfe des Steuerrechts bestimmte Produktionen unmittelbar oder auch nur mittelbar zu schützen. Die Vorschrift dient insoweit der Herstellung von Wettbewerb unter gleichartigen oder zumindest substituierbaren Waren.71 Dennoch läßt sich auch in diesem Fall eine Diskriminierungsabsicht der griechischen Steuerregelung ausmachen, die dadurch indiziert gewesen ist, daß die höchste Abgabenstufe schwerpunktmäßig auf ausländische Spirituosen Anwendung fand, während einheimische Produkte dem niedrigsten Steuersatz unterlagen. Zusätzlich ist die Vermutung vor dem Hintergrund zu sehen, daß die Regelung geeignet war, die einheimische Alkoholproduktion zu schützen. Auch die Regelungstechnik der Aufzählung bestimmter Produkte, die dann unter den höchsten Steuersatz fallen, spricht für die Diskriminierungsabsicht Zu welchem Zweck sollte sonst auf diese Weise vorgegangen werden? Auf der anderen Seite könnte man aber überlegen, ob - im Gegensatz zum Urteil des EuGH - diese Absicht nicht zumindest teilweise widerlegt worden ist. Zum einen fehlt eine überzeugende Begriindung, warum Whisky und Ouzo in einem potentiellen Wettbewerb stünden. Zum anderen ist die Einlassung, bei Whisky handele es sich um ein Luxusgut durchaus geeignet, die Vermutung der Diskriminierungsabsicht zu erschüttern. Das Urteil sagt nur, dieser Einwand vermöge die Differenzierung nicht zu rechtfertigen. Dies stellt aber eine andere Prüfungsebene dar. (dd) Der allgemeine Gleichheitssatz Vor allem aus dem Verbot jeder Diskriminierung aus Griinden der Staatsangehörigkeit, dem Diskriminierungsverbot des Art. 40 Abs. 3 S. 2 EGV und dem Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen hat der Gerichtshof in einer langen Reihe von Judikaten den allgemeinen Gleichheitssatz als einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts herausgestellt. 72 Überdies ist dieser Rechtssatz Bestandteil der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und in der EMRK73 verankert (vgl. Art. F Abs. 2 EUV, Art. 6 Abs. 2 EU). Der allgemeine Gleichheitssatz reicht über die ausdriicklich in den Verträgen verankerten Diskriminierungsverbote hinaus. Hiernach sind Differenzierungen bei vergleichba70 EuGH, 18. 04. 1991, Rs. C-230/89 (Kommission/Griechische Republik), Slg. 1991, 1-1909 (1923, Tz. 9). 71 Vgl. EuGH,27. 02. 1980, Rs. 168178 (Kommission/Französische Republik ["Besteuerung von Branntwein")), Slg. 1980, 347 (359, Tz. 4). 72 EuGH, 12. 11. 1969, Rs. 29/69 (Erich Stauder/Stadt Ulm, Sozialamt), Slg. 1969, 419 (425); EuGH, 25. 10. 1978, Rs. 125177 (Koninklijke Schollen-Honig NV und De verenigde Zetmeelbedrijven "De Bijenkorf' BV I Hoofdproduktschap voor Akkerbouwprodukten [,,Isog.lukose")), Slg. 1978, 1991 (2003 f., Tz. 25/27); EuGH, 08. 10. 1980, Rs. 810179 (Peter Uberschär I Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ["Deutsche Freiwillige Versicherung")), Slg. 1980, 2747 (2764 f., Tz. 16); vgl. auch: Feige, S. 127 ff. 73 Art. 14 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. 11. 1950 (BGBI. 1952 II, S. 686, 953).

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ren Sachverhalten verboten, es sei denn, die Differenzierung ist objektiv gerechtfertigt74 Die Kontrolldichte des EuGH hängt vom Sachzusammenhang und vom Verfahrensgegenstand ab, die unterste Grenze für eine Rechtfertigung ist jedoch das allgemeine Willkürverbot Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz wird von der Rangfolge nach der lex-specialis-Regel vom Diskriminierungsverbot des Art. 6 EGV und dieses wiederum von den spezielleren Diskriminierungsverboten der einzelnen Vertragsmaterien verdrängt. Auch auf dem Feld der Gleichbehandlung von Mann und Frau vermag der allgemeine Gleichheitssatz wegen der spezielleren Regelung im EG-Vertrag und in den Richtlinien keine Wirkung zu entfalten. Die Kontrolldichte des Gerichtshofs ist höher als beim allgemeinen Gleichheitssatz. 75 (ee) Zusammenfassung und Bewertung Der Wortlaut sämtlicher Vorschriften, die allgemein oder speziell ein Diskriminierungsverbot wegen der Staatsangehörigkeit aussprechen, enthält keinen Hinweis auf die Einbeziehung von versteckten oder mittelbaren Diskriminierungen in den Verbotstatbestand, ebensowenig wie bei Art. 95 EGV oder dem allgemeinen Gleichheitssatz. Vielmehr postuliert der EuGH die Existenz auch dieser Verbotsform aus Gründen des "effet utile" (Effektivität) der Verbotsvorschrift In den vom EuGH entschiedenen Fällen ging es aber ersichtlich eher darum, das Aufstellen von Ausweichkriterien für das Verbot der Ungleichbehandlung wegen der Staatsangehörigkeit zu verhindern. Insofern ist die Rechtsprechung bei weitem nicht so rigide wie im Fall der mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts, wo der Untersuchungsschwerpunkt auf der durch statistische Methoden bewerkstelligten Untersuchung von eventuellen ungleichen Auswirkungen auf die Gruppen der Geschlechter liegt ("Abzählmethode"). Eine naheliegende Folgerung kann nicht gezogen werden. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts läßt sich nicht einfach als Umgehungsverbot deuten. Die Umgehung ist durch die Vorschrift selbst erfaßt Hingegen ist eine andere Konsequenz unabweisbar. Die Rechtsprechung zu Art. 6, 48, 95 EGV läßt sich nicht auf Art. 119 EGV übertragen. Denn diese betraf nur die versteckte Diskriminierung, für die anerkannt ist, daß sie zu den unmittelbaren Verbotstatbeständen gehört. Trotz Verbots der Schlechterstellung und vollständiger rechtlicher Gleichstellung nicht nur hinsichtlich der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, sondern auch hinsichtlich sonstiger sozialer Vorteile, machen nur vergleichsweise wenige Unionsbürger vom ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch. 76 Dies dürfte weniger Oppermann, Rn. 412 ff. Vgl. Fuchsloch, S. 63. 76 Wölker, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Vorbemerkung zu den Artikeln 48 bis 50, Rn. 6 mit Nachweisen zur Statistik. 74 75

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an noch bestehenden Friktionen im Gemeinschaftsrecht liegen, als vielmehr an tatsächlichen Umständen, die durch noch so ausgeklügelte rechtliche Regelungen nicht in den Griff zu bekommen sind. Hierzu zählen eine Reihe von ökonomischen Faktoren, wie die Verbesserung des Lebensstandards und der Arbeitsmöglichkeiten in den bisher nicht so entwickelten Regionen. Hinzukommen persönliche, soziale, kulturelle und sprachliche Hindernisse, die einzelnen Arbeitnehmern einen Wechsel in ein anderes Mitgliedsland erschweren oder unmöglich machen. Angesichts eines solchen Befundes wäre es voreilig, allein vom Ergebnis her mit statistischen Methoden auf eine mittelbare Diskriminierung zu schließen. Entsprechende Überlegungen sollten auch im Hinblick auf das Verbot der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung nicht von Anfang an ausgeblendet werden. (b) Herleitung aus Art. 119 EGV

Obwohl dem Wortlaut des Art. 119 EGV ein ausdrückliches Verbot der mittelbaren Diskriminierung nicht zu entnehmen ist, übertrug der EuGH in der Rechtssache Jenkins77 die Grundsätze seiner Rechtsprechung zu Art. 6 und 48 Abs. 2 EGV auf die Frage der Diskriminierung von Mann und Frau. Danach stellt die Tatsache der unterschiedlichen Entlohnung von Teilzeit- und Vollzeitarbeit für sich allein keine gemäß Art. 119 EGV verbotene Diskriminierung auf Grund des Geschlechts dar, wenn die unterschiedliche Entlohnung ohne Unterscheidung nach dem Geschlecht erfolgt. Etwas anderes gilt nur, wenn die unterschiedliche Entlohnung ein indirektes Mittel dafür ist, das Lohnniveau der Teilzeitarbeitnehmer zu senken, weil diese Arbeitnehmergruppe ausschließlich oder überwiegend aus weiblichen Personen besteht. Sollte sich also herausstellen, daß ein erheblich geringerer Prozentsatz der weiblichen Arbeitnehmer als der männlichen Arbeitnehmer die Mindestzahl der Wochenarbeitsstunden leistet, die den Anspruch auf den Stundenlohn zum vollen Satz begründet, verstößt die ungleiche Entlohnung gegen Art. 119 EGV, wenn unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten, die weibliche Arbeitnehmer haben, um diese Mindeststundenzahl leisten zu können - die Lohnpolitik des betreffenden Unternehmens nicht durch Gründe zu erklären ist, die eine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts ausschließen. 78 Ein solcher Faktor kann darin zu sehen sein, daß der Arbeitgeber aus objektiv gerechtfertigten wirtschaftlichen Gründen beabsichtigt, unabhängig vom Geschlecht des Arbeitnehmers einen Anreiz zur Vollzeitarbeit zu geben. 79 Dem jeweiligen nationalen Gericht soll die Feststellung einer mittelbaren Diskriminierung überlassen bleiben. Dieses hat "in Anbetracht der tatsächlichen Umstände, der Vorgeschichte und der Beweggründe des Arbeitgebers"80 zu beurteilen, ob im konkreten Fall eine Diskriminierung vorliegt. Hier77 78

79 80

EuGH, 31. 03. 1981, Rs. 96/80 (Jenkins), Slg. 1981,911 ff. EuGH, a. a. 0 ., S1g. 1981,911 (925 f., Tz. 13). EuGH, a. a. 0., Slg. 1981, 911 (925, Tz. 12). EuGH, a. a. 0., Slg. 1981,911 (926, Tz. 14).

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

aus ist vielfach gefolgert worden, daß für das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung eine Diskriminierungsabsicht des Arbeitgebers erforderlich sei. 81 Bis heute grundlegend zur Frage einer mittelbaren Diskriminierung ist die Entscheidung in der Rechtssache BilkaiWeber von Hartz 82. Hier stellte der EuGH klar, daß es zur Feststellung einer mittelbaren Diskriminierung auf eine Diskriminierungsabsicht nicht ankommt. 83 Geklärt wurde auch die Frage, welche Umstände geeignet sind, eine geschlechtsbezogene Diskriminierung auszuschließen: Die faktisch diskriminierende Ausgestaltung einer Bedingung oder Anforderung muß nicht nur ein objektiv gerechtfertigtes Ziel verfolgen, sondern die zu diesem Zweck eingesetzten Mittel müssen auch einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens dienen und zur Erreichung dieses Zieles geeignet und erforderlich sein. 84 (c) Herleitung aus der Richtlinie 751117 I EWG

In der sogenannten Lohngleichheitsrichtlinie vom 10. 2. 197585 , die die Grundsätze des Art. 119 EGV konkretisieren soll, wird in Art. 1 Abs. 1 die "Beseitigung jeder Diskriminierung auf Grund des Geschlechts" angestrebt. Aus dieser Formulierung läßt sich jedenfalls entnehmen, daß es nach Auffassung des Rates mehr als nur eine Form der Ungleichbehandlung geben muß. Doch sind mit der Verwendung der Generalklausel weder die Erscheinungsformen möglicher Diskriminierungen umschrieben noch diese definiert, so daß aus der Richtlinie 75 I 117 I EWG nicht auf Inhalt und Definition des Verbots der mittelbaren Diskriminierung geschlossen werden kann. 86 (d) Herleitung aus der Richtlinie 76/207 IEWG

Die sog. Gleichbehandlungsrichtlinie vom 9. 2. 197687 gilt über die bloße Lohngleichheit des Art. 119 EGV hinaus zur Verwirklichung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die sonstigen Arbeitsbedingungen. Barrett, HRR 1981, 174 (184 f.); Post, LIEI 1981,77 (84); Langenfeld, S. 214. EuGH, 13. 05. 1986, Rs. 170184 (Bilka), Slg. 1986, 1607. 83 Vgl. Reich/ Dieball, ArbuR 1991, 225 (227); Langenfeld, S. 214. 84 EuGH, 13. 05. 1986, Rs. 170184 (Bilka), Slg. 1986, 1607 f. (Tenor 1./2.). 85 Richtlinie Nr. 75 I 111 I EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen vom 10. Dezember 1975, ABI. EG Nr. L 45 v. 19. 02. 1975, S. 19. 86 C. Blomeyer, S. 108. 87 Richtlinie Nr. 761207 IEWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männem und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen vom 09. Februar 1976, ABI. EG Nr. L 39 v. 14. 02. 1976, S. 40. 81

82

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

191

Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 76 I 207 stellt klar, daß keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts - insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand -erfolgen darf. Allerdings ist problematisch, ob der in dieser Richtlinie verwendete Begriff mit dem von der Rechtsprechung kreierten Verbot der mittelbaren Diskriminierung gleichzusetzen ist. Denn im Zeitpunkt des Richtlinienerlasses wandte der EuGH das Verbot der mittelbaren Diskriminierung noch nicht auf Art. 119 EGV bzw. die Richtlinien an. 88 Auch dieser Richtlinie kann ebensowenig wie den Richtlinien 7917 I EWG89, 8613781EWG90 oder 8616131EWG91 , die ebenfalls das Verbot der mittelbaren Diskriminierung kennen, eine Definition von Tatbestand und Rechtsfolge dieser speziellen Diskriminierungsart entnommen werden.

(e) Begriffnach der Richtlinie zur Beweislast in Fällen geschlechtsbedingter Diskriminierung von 1998 Bereits der Zwischenbericht der Kommission vom 6. Januar 1984 über die Anwendung der RL 79 I 7 enthielt eine Begriffsbestimmung der mittelbaren Diskriminierung. 92 Danach ist von einer mittelbaren Diskriminierung auszugehen, wenn eine offensichtlich neutrale Maßnahme in der Hauptsache Arbeitnehmer eines bestimmten Geschlechts betrifft, ohne daß die Diskriminierung ausdrücklich beabsichtigt wäre. Hierbei obliegt dem Urheber der Maßnahme, alle Kriterien zusammenzutragen, um den Nachweis zu erbringen, daß die Maßnahme auf objektiven Gründen basiert und keinerlei Diskriminierung beabsichtigt ist. Bestimmt der Eheoder Farnilienstand den Umfang sozialer Rechte und wird faktisch nur ein Geschlecht benachteiligt, kann schon die statistische Überlegung, das bloße Überwiegen des Frauenanteils innerhalb der diskriminierten Gruppe, entscheidend sein, um eine verborgene, verschleierte bzw. mittelbare Diskriminierung festzustellen. Dies indiziert die Rechtswidrigkeit, die erst dann aufgehoben ist, wenn Kriterien vorlie-

88 Hanau, FS Hersehe[, S. 217; Sachs, Grenzen des Diskriminierungsverbotes, S. 479. A.A. für die heutige Zeit: Wisskirchen, S. 51 f. m. N. aus der Rspr. 89 Richtlinie Nr. 79/7/EWG des Rates zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männemund Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit vom 19. Dezember 1978, ABI. EG Nr. L 6 v. 10. 01. 1979, S. 24. 90 Richtlinie Nr. 86/378/ EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männem und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit vom 24. Juli 1986, ABI. EG Nr. L 225 v. 12. 08. 1986, S. 40. 91 Richtlinie Nr. 86/613/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männem und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit - auch in der Landwirtschaft - ausüben, sowie über den Mutterschutz vom 11. Dezember 1986, ABI. EG Nr. L 359 v. 19. 12. 1986, S. 56. 92 KOM (83)793 endg., S. 7.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

gen, die die Maßnahme objektiv rechtfertigen, weil das erzielte Ergebnis dem verfolgten Zweck entspricht. Die Kommission hatte sich bereits 1988 in einem Richtlinienentwurf um eine Definition bemüht, was unter mittelbarer Diskriminierung wegen des Geschlechts zu verstehen ist: Eine ihrem Wortlaut nach neutrale Vorschrift enthält ein Kriterium oder ein Verfahren, das tatsächlich für die Person eines Geschlechts eine unverhältnismäßig nachteilige Wirkung hat, insbesondere wegen des Bezugs auf den Ehe- oder Familienstand, ohne daß dies durch zwingende Gründe oder Umstände gerechtfertigt ist, die in keinem Zusammenhang mit dem Geschlecht der betroffenen Person stehen.93 Da der Vorschlag insbesondere beim Vereinigten Königreich auf Widerstand stieß, zog die Kommission diesen Vorschlag zurück. Der spätere Richtlinienvorschlag der Kommission zur Beweislast in Fällen geschlechtsbedingter Diskriminierungen beruhend auf Art. 2 Abs. 1, 2 Sozialabkommen (Art. 137 Abs. I, 2 EG) enthielt wiederum in Art. 6 des Richtlinienentwurfs eine überarbeitete Definition zur mittelbaren Diskriminierung: "Im Sinne des in Artikel 2 genannten Grundsatzes der Gleichbehandlung liegt eine mittelbare Frauendiskriminierung vor, wenn eine Vorschrift, ein Kriterium oder ein Verfahren, die ihrem Wortlaut nach neutral sind, insbesondere durch Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, eine wesentlich größere Anzahl von Personen eines Geschlechts betrifft, sofern das mit der Anwendung dieser Vorschrift, dieses Kriteriums oder dieses Verfahrens verfolgte Ziel nicht sachlich begründet ist und die zur Erreichung des Ziels eingesetzten Mittel angemessen und notwendig sind. " 94

Im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens erfuhr der Passus als neuer Art. 2 Abs. 2 des Richtlinienentwurfs leichte redaktionelle Änderungen: "Im Sinne des in Absatz 1 genannten Gleichbehandlungsgrundsatzes liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Vorschrift, ein Kriterium oder ein Verfahren, die ihrem Anschein nach neutral sind, insbesondere durch Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand wesentlich mehr Personen eines Geschlechts betrifft, sofern das mit der Anwendung dieser Vorschrift, dieses Kriteriums oder dieses Verfahrens verfolgte Ziel nicht sachlich gerechtfertigt ist und die zur Erreichung des Ziels eingesetzten Mittel angemessen und notwendig sind." 95

Dieser Vorschlag wurde 1997 durch die Kommission nochmals geändert: .,Im Sinne des in Absatz 1 genannten Gleichbehandlungsgrundsatzes liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Vorschrift, ein Kriterium oder ein Verfahren, die ihrem 93 Art. 5 Abs. 1 des Vorschlags der Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Beweislast im Bereich des gleichen Entgelts und der Gleichbehandlung von Männern und Frauen vom 27. Mai 1988, ABI. EG Nr. C 176 v. 05. 07. 1988, S. 5 (6) - KOM (88) 269 endg. 94 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Beweislast in Fällen geschlechtsbedingter Diskriminierungen, Hinweis: EuroAS 9/96, S. 142. 95 Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Beweislast bei geschlechtsbedingter Diskriminierung v. 20. September 1996, ursprüngliche Fassung: ABI. EG Nr. C 332 v. 07. 11. 1996, S. 11- KOM (96) 340 endg.- 96/0196 (PRT). Hervorhebungen bezeichnen die Änderungen.

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

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Anschein nach neutral sind, u. a. durch Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand verhältnismäßig mehr Personen eines Geschlechts benachteiligen, es sei denn, das verfolgte Ziel entspricht einem echten Bedarf des Unternehmens oder notwendigen Vorgaben der Sozialpolitik eines Mitgliedstaats, steht in keinem Zusammenhang mit der Geschlechtszugehörigkeit und ist als solches sachlich gerechtfertigt und die zur Erreichung des Ziels eingesetzten Mittel sind angemessen und notwendig."96

Die dann 1998 verabschiedete Fassung lautet: "Im Sinne des in Absatz 1 genannten Gleichbehandlungsgrundsatzes liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren einen wesentlich höheren Anteil der Angehörigen eines Geschlechts benachteiligen, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind angemessen und notwendig und sind durch nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe gerechtfertigt. ,m Die jedenfalls von der Formulierung stark veränderte Vorschrift entfernt sich von der durch die Rechtsprechung des EuGH vorgegebenen Definition. Insbesondere entfiel der Bezug auf den Ehe- und Familienstand und die Ziel-Mittel-Relation bei der Rechtfertigungsprüfung. Unterstrichen wurde hingegen, daß es nicht auf die absolute Anzahl der betroffenen Personen, sondern auf deren Anteil im Verhältnis zum anderen Geschlecht ankommt. Allerdings läßt sich nicht ausmachen, daß der Sinn der Definition im Kern verändert werden sollte (vgl. 2. Kap. A II 4 e aa (f) ).

cc) Sinn Für das Verbot der mittelbaren Diskriminierung werden unterschiedliche Erklärungsansätze genannt. 98 Interessant, wenn auch nicht von entscheidender Bedeutung, ist die Kontroverse, ob diese Form der Diskriminierung unter die austeilende oder unter die ausgleichende Gerechtigkeit im Sinn der aristotelischen Gerechtigkeitsvorstellung99 zu subsumieren ist. 100 Zwar lassen sich aus einer derartigen Einordnung noch keine Tatbestandsmerkmale oder Rechtsfolgen deduzieren, doch gibt sie Aufschluß über Grundvorstellung und Bedeutung, die dieser Rechtsfigur zugemessen wird. Die 96 Geänderter Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Beweislast in Fällen geschlechtsbedingter Diskriminierung vom 14. Mai 1997, ABI. EG Nr. C 185 v. 18. 06. 1997, S. 21- KOM (97) 202 endg. - 96/0196 (PRT). Hervorhebungen bezeichnen die Änderungen. 97 Richtlinie 97 /80 I EG des Rates vom 15. Dezember 1997 über die Beweislast bei Diskriminierungaufgrund des Geschlechts, ABI. EG Nr. L 14 v. 20. 01. 1998, S. 6. Hervorhebungen bezeichnen die Änderungen. 98 Einen Überblick gibt Wisskirchen, S. 40 ff. 99 Aristoteles, Nikomachische Ethik, V. Buch, 5, 1130 b 30-1131 a I; 7, 1131 b 271132 a 2 (der griechhische Wortlaut ist abgedruckt bei Böckenförde, S. 24, Anm. 2 und 4). Vgl. auch Salomon, S. 26; Schweizer, S. 128 ff. wo Nach W. Blomeyer, FS Müller, S. 51 ff. und Kyriazis, S. 86 gehört die mittelbare Diskriminierung zur austeilenden Gerechtigkeit, denn sie habe redistributive Funktion im Sinn der

13 Traupe

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

austeilende (distributive) Gerechtigkeit ordnet die Verteilung von Gütern und Lasten, "von Ehre, Geld und den anderen Dingen, die unter die Mitglieder der Gemeinschaft aufgeteilt werden können", nach dem Verhältnis des zu verteilenden Gutes zur Würdigkeit des Empfängers an: "[Hier] kann der eine ungleich oder gleich viel erhalten wie der andere". 101 Paradebeispiel für diese Kategorie ist das Steuerrecht. Die ausgleichende (kommutative) Gerechtigkeit betrifft dagegen den freiwilligen und unfreiwilligen vertraglichen Verkehr. Muß ein Schädiger Schadensersatz in Höhe des zugefügten Schadens leisten, ist damit zwischen ihm und dem Geschädigten die Gleichheit wiederhergestellt. Bei dieser Form der Gerechtigkeit geht es um den Ausgleich von Gewinn und Schaden nach dem Prinzip der arithmetischen Gleichheit. 102 Die mittelbare Diskriminierung läßt sich weder der einen noch der anderen Kategorie zuordnen. Mit "gerechten" Verträgen auch im weitesten Sinne hat sie nichts zu tun; allenfalls paßt die Vorstellung eines Ausgleiches von einem Zuviel und einem Zuwenig bezogen auf die Mitte, die das Gleiche und Gerechte bildet 103 • Die austeilende Gerechtigkeit ist gekennzeichnet durch das Prinzip der geometrischen Gleichheit. Gerecht ist danach die Proportion, in der sich das Ganze zum Ganzen wie das Glied zum Glied verhält. 104 Davon ist die mittelbare Diskriminierung, die auf eine Ergebnisgleichheit zwischen Männern und Frauen abzielt, weit entfernt. Die Judikatur sowohl des EuGH als auch des BAG hat es bisher vermieden, das neue "Rechtsinstitut" auf ein rechtsdogmatisch begriindetes Fundament zu stellen. Im Schrifttum werden grob zwei Wirkrichtungen unterschieden. In einer schwächeren Form fungiere das Verbot als Beweisinstrument, in einer stärkeren Form auch als Mittel aktiver Frauenförderung. Diese verschiedenen Funktionen schließen sich dieser Ansicht zufolge nicht gegenseitig aus, sondern bauen im Gegenteil aufeinander auf. Daneben existieren aber auch andere Erklärungsansätze; zum Teil wird heftig bestritten, daß das Verbot der mittelbaren Diskriminierung Frauenförderung zum Ziele habe. 105 Gemeinsamer Ausgangspunkt ist der Umstand, daß nicht lediglich formal nach einer Ungleichbehandlung gefragt wird, sondern daß auf das Ergebnis einer bestimmten Maßnahme in der Rechtswirklichkeit geschaut wird. Benachteilige eine Maßnahme eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe (Farbige, Frauen), bestehe Anlaß, die Maßnahme anband der Kriterien der mittelbaren Diskriminierung zu überpriifen. 106 austeilenden Gerechtigkeit. Nach Wisskirchen, S. 42, zählt sie dagegen zur ausgleichenden Gerechtigkeit. 101 Aristoteles, Nikomachische Ethik, V. Buch, 5, 1130 b 30. 102 Aristoteles, Nikomachische Ethik, V. Buch, 5, 1131 a 1; 7, 1131 b 27-1132 a 2. Aber bereits diese Zuordnungen sind umstritten oder werden zumindest häufig verwechselt. Vgl. Böckenförde, S. 24; Schweizer, S. 128 f. 103 Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, V. Buch, 7, 1132 a 15. 104 Aristoteles, Nikomachische Ethik, V. Buch, 7, 1131 b 15-18. 105 Z. B. Schlachter, S. 390; Wisskirchen, S. 42 f.

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(a) Umgehungsverbotl Beweisinstrument Die ursprüngliche Funktion des Verbots der mittelbaren Diskriminierung sei die des Beweisinstruments, vergleichbar dem prima facie-Beweis. 107 Es gehe darum, eine in Wahrheit versteckte unmittelbare Diskriminierung mit nur vorgeschobenen Gründen zu verhindern. Der Einsatz von Ersatzkriterien, die im Ergebnis auch wieder nur eine bestimmte Gruppe, die sich nach Geschlecht oder Hautfarbe abgrenzen lasse, benachteilige, solle verhindert werden. Diese schwache Version des Verbots kann auf die Rechtsprechung des Supreme Court 108 in den USA und die Jenkins-Entscheidung des EuGH 109 gestützt werdenY 0 Besonders in den USA wurden neutrale Regelungen als Umgehung im Hinblick auf eine unmittelbare Diskriminierung verwendet. Diese Politik der Unternehmen war Anlaß für die Rechtsprechung, derartige Maßnahmen mit dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung zu belegen, weil an einer weiter vorhandenen Diskriminierungsabsicht nicht gezweifelt werden konnte. Diese brauchte die klagende Partei nun nicht mehr zu beweisen; es genügte allein der Beleg durch die objektiven Daten. Insofern war mit dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung auch eine Beweiserleichterung verbunden (vgl. oben 3. Kap. A I 1 b) aa) (c)). Andererseits läßt sich gerade für tarifvertragliche Regelungen in Deutschland von einer durch neutrale Formulierungen verdeckten Diskriminierungsabsicht häufig nicht ausgehen. Gerade diese Sichtweise des Verbots der mittelbaren Diskriminierung wird in der Literatur häufig verworfen, wenn die genannten Kriterien wie Verhinderung einer Umgehung der unmittelbaren Diskriminierung und Vorliegen einer Diskriminierungsabsicht der unmittelbaren verdeckten Diskriminierung zugeordnet werden.111

Hierzu ausführlich Ebsen, RdA 1993, 11 (12 ff.). Bieback, S. 36 ff., der einen ähnlichen Ansatz verfolgt, spricht in diesem Zusammenhang von einer "Argumentationslastregel"; besonders benachteiligende Auswirkungen einer Norm seien zu rechtfertigen, bei den speziellen Diskriminierungsverboten entsprechend intensiv, mit schwerwiegenden Argumenten. Das Ziel des Verbots der mittelbaren Diskriminierung liege in einer Beseitigung diskriminierender Strukturen und einer Herstellung gleicher Chancen. 108 Z. B. 401 U.S. 424 (1971) Griggs v. Duke Power Company. 109 EuGH, 31. 03. 1981, Rs. 96/80 (Jenkins), Slg. 1981, 911 ff. 110 Ebsen, RdA 1993, 11, 12; in die Richtung geht auch: C. Blomeyer, S. 117 ff. 111 Wisskirchen, S. 72 f.; vgl. auch C. Blomeyer, S. 17 f. 106 107

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

(b) Mittel aktiver Frauenförderung

Über den Ansatz des Umgehungsverbotes noch hinausgehend handele es sich beim Verbot der mittelbaren Diskriminierung auch um ein Instrument zur Förderung der faktischen Gleichstellung von Mann und Frau. Damit soll historisches Unrecht, das Frauen durch jahrhundertelange Zurückstellung in allen gesellschaftlichen Bereichen erlitten haben, kompensiert werden. Umstritten ist jedoch, wie weit die Förderung geht. (aa) Etablierung eines Gruppenrechts Die Konzeption der Frauenförderung rechtfertige sich auf Grund der anhaltenden Benachteiligung von Frauen in unserer Gesellschaft. Anband einzelner Befunde versucht Sacksofsky 112 deutlich zu machen, warum Frauen auch heute noch in allen Bereichen des öffentlichen Lebens benachteiligt sind: Obwohl sich der Anteil der erwerbstätigen Frauen, die verheiratet seien, zwischen 1950 und heute fast verdoppelt habe, erreichten Frauen nicht annähernd einen gleichen Anteil an Mitwirkung und Einfluß im beruflichen, wirtschaftlichen und politischen Bereich. Sowohl der Ausbildungs- als auch der Arbeitsmarkt seien durch horizontale wie vertikale geschlechtsspezifische Segregation gekennzeichnet. Frauen seien nur in wenigen frauentypischen - Berufszweigen erwerbstätig. Als Beispiele werden die allgemeinen Dienstleistungsbetriebe, die Textil- und Bekleidungsindustrie und das Gesundheitswesen genannt. In jedem Berufszweig, in dem Frauen überhaupt zu finden seien, seien sie überproportional arn unteren Ende der Hierarchie vertreten. Der Bruttoverdienst erwerbstätiger Frauen liege nur bei Zweidrittel desjenigen der Männer. Da Frauen häufig in Teilzeitarbeit oder in Heimarbeit beschäftigt seien, genössen sie einen geringeren sozialen Schutz. Frauen seien überproportional länger und häufiger arbeitslos; zudem werde ihnen eher gekündigt als Männem. 113 Da Regelungen, die ausdrücklich zwischen Männem und Frauen differenzierten, immer seltener anzutreffen seien, könne dieser Befund gar nicht mehr allein aus dem Blickwinkel der Rechtswissenschaft erklärt werden. Hier müßten vielmehr die verschiedenen Disziplinen der Sozialwissenschaften wie Psychologie, Soziologie, Politologie und Wirtschaftswissenschaften in die Untersuchung einbezogen werden. 114 Im folgenden soll der - unter dem eben genannten Blickwinkel allerdings nicht vertiefte - Erklärungsansatz von Sacksofsky vorgestellt werden. Die Erklärungsmöglichkeit, daß Frauen auf Grund ihrer unterschiedlichen Interessen und Fähigkeiten andere Präferenzentscheidungen treffen als Männer, wird nicht akzeptiert, da die Gründe für unterschiedliche Präferenzentscheidungen genannt werden müßten. Mutmaßlich resultierten die von Frauen getroffenen Ent112 113

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Sacksofsky, S. 187 ff. Sacksofsky, S. 157 f. Sacksofsky, S. 187 f.

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scheidungen, höhere Positionen seltener besetzen zu wollen, zumindest aber anderen Wegen der Persönlichkeitsentfaltung wie Kindererziehung den Vorzug zu geben, "nicht ihrer freien Wahl, sondern sind das Ergebnis struktureller Bedingungen einer Gesellschaft, die erst vor kurzem die offizielle Ausrichtung am patriarchalischen System aufgab." 115 Zu diesen Bedingungen zähle schon der Umstand, daß es eine wirklich "geschlechtsneutrale Erziehung" in der heutigen Gesellschaft nicht gebe. Als Hauptursachen wird denn auch die strukturelle Diskriminierung 116 durch zahlreiche Rechtsnormen genannt, die einen unbeschränkt Erwerbstätigen voraussetzen, der also von Pflichten auf dem reproduktiven Sektor, gekennzeichnet durch Haushalt und Kindererziehung, freigestellt ist. Für eine Berufstätigkeit von Frauen würden so mittelbare und unmittelbare Hindernisse aufgerichtet. Denn die Gesellschaft in Deutschland habe ihren Arbeitsprozeß am Leitbild der Hausfrauenehe orientiert. Bis vor kurzem bestand nach dieser Ansicht eine gesellschaftliche "Arbeitsteilung" dergestalt, daß der Erwerbstätige frei von familiären Verpflichtungen seine gesamte Kraft dem Beruf widmen und den Anforderungen des Arbeitslebens jederzeitigen Vorrang vor denen des Privatlebens einräumen konnte. Dies entsprach auch den Bedürfnissen der Arbeitgeber. Der andere Partner mußte dann zwangsläufig die Rolle der Hausfrau übernehmen. Aber die Grundlage für diese arbeitsteilige Gestaltung in der Gesellschaft entfalle in dem Augenblick, in dem Frauen die Alleinzuständigkeit für den Haushalt und die Kinderbetreuung nicht mehr als naturgegeben akzeptierten, auf der anderen Seite die Männer die bisher den Frauen zugedachte Rolle nicht zu übernehmen bereit seien. Obwohl gerade die Kindererziehung gesamtgesellschaftlich von großer Bedeutung sei, habe der Arbeitsprozeß darauf nicht reagiert. So seien es eben immer noch ganz überwiegend Frauen, für die die Verbindung von Beruf und Familie eine Doppelbelastung darstelle und Karriereeinbußen zur Folge habe. m Zum zweiten seien es überwiegend Männer, die über Eignung und Befahigung, Einstellung und Beförderung entschieden. Da die Beurteilungskriterien von Männern stammten und zur Beurteilung von Männern gedacht seien, Frauen aber typischerweise andere Fähigkeiten als Männer hätten, sei eine Unterbewertung typisch weiblicher Eigenschaften in der Folge wahrscheinlich. 118 Der frauenfördernde Charakter dieses Ansatzes wird in seiner ganzen Tragweite deutlich, wenn man die dogmatischen Konsequenzen in die Betrachtung einstellt, die Sacksofsky aus ihrer Analyse zieht. Sie will die faktische Gleichstellung von Mann und Frau durch Einführung eines Gruppengrundrechts verwirklichen. So lasse sich im Verbot der mittelbaren Diskriminierung ein Gruppenanspruch auf die gerechte Verteilung von Arbeitsmarktchancen erblicken. Denn durch mittelbare Diskriminierungen werde ein 115

116 117 11s

Sacksofsky, S. 188. A.A.: Sachs, NJW 1989,553 (557). Vgl. Benda, S. 7. Sacksofsky, S. 189. Sacksofsky, S. 190.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Anspruch der Frauen als Gruppe 119 auf Teilhabe am "ökonomischen Kuchen" vereitelt. Hieraus folge nicht die Legitimation für Quotenregelungen, sondern lediglich eine Neuverteilung von Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Die Umverteilung von Arbeit und Vermögen werde sich dann als Folge dieser neuen Chancengleichheit einstellen. Um dies zu erreichen, liest sie Art. 3 Abs. 2 GG als nominierungsverbot (dazu näher unten: 2 a cc). (bb) Herstellung gleicher Ausgangsbedingungen Mit der Einführung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung werden in einer milderen Lesart frauenspezifische Nachteile bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen. Von diesem Ausgleich an sollen gleiche Ausgangsbedingungen für Mann und Frau herrschen. Denn genauso wie durch unmittelbare Diskriminierung werde auch durch mittelbare Diskriminierung die Unterrepräsentation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt festgeschrieben. Schon bestehende faktische Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern dürften nicht noch durch Maßnahmen und Regelungen des Gesetzgebers, der Tarifvertragsparteien oder der Arbeitgeber vertieft werden, da hierdurch in der Regel an soziale Unterschiede angeknüpft werde, die das Ergebnis von Ungleichbehandlung in der Vergangenheit seien. Die Adressaten des Diskriminierungsverbots (Arbeitgeber, Sozialversicherungsträger, Staat im weitesten Sinne) seien also gehalten, auf die ansonsten "bestehenden Defizite an faktischer Gleichberechtigung" 120 Rücksicht zu nehmen und alles zu unterlassen, was im Zusammenwirken mit solchen Defiziten dazu führen könne, daß Frauen deutlich häufiger als Männer von einer bestimmten Maßnahme negativ betroffen würden. Gerade die "funktionalen Unterschiede" zwischen den Geschlechtern bürgen an sich schon regelmäßig einen Nachteil für Frauen. Durch das Verbot der mittelbaren Diskriminierung solle verhindert werden, daß aus solchen Nachteilen weitere negative Folgen erwüchsen. 121 Eine Ausnahme gelte nur dann, wenn sich die Maßnahme als notwendig erweise, um "anerkennenswerte Ziele zu erreichen, die angesichts der prinzipiellen Berücksichtigungspflicht ein hinreichendes Gewicht haben". 122 Für solche Maßnahmen, die geeignet seien, das faktische Gleichstellungsdefizit von Frauen in der Gesellschaft noch zu verstärken, gelte der Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit 123 Insbesondere die Prüfung von Art. 3 GG dürfe sich nicht (mehr) an herkömmlichen Vorstellungen über die Rollenverteilung 11 9 Ebenso Ebsen, Hb d. VerfR, § 8 Rn. 32, der meint, notwendiges Element der Gewährleistung faktischer Gleichberechtigung sei eine Sichtweise, in der es nicht um die einzelne Frau, sondern um die "die Frauen" als Gruppe ginge. 120 Ebsen, RdA 1993, 11 (13). 121 Wisskirchen, S. 44. 122 Ebsen, RdA 1993, 11 (13). 123 Vgl. BAG AP Nr. 5 zu§ 1 BetrAVG- Gleichberechtigung - ; s. auch Hanau/Preis, ZfA 1988, 177 (190 f.); Ebsen, in: v. Maydell, Soziale Rechte in der EG (1990), S. 97 (113 f.).

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orientieren. 124 In dieser milderen Variante soll eine gewisse Form der Frauenförderung durch das Verbot der mittelbaren Diskriminierung insbesondere dadurch erreicht werden, daß im Fall einer statistischen Ungleichbehandlung geprüft wird, ob die zur Rechtfertigung vorgetragenen Gründe ein hinreichendes Gewicht haben, also sachlich überzeugen, um die unerwünschte Folge der faktischen Benachteiligung von Frauen hinzunehmen. 125 (c) Kritik

Sacksofsky hat eine sehr ausführliche und aufschlußreiche Analyse der gesellschaftlichen Wirklichkeit vorgelegt. Der Befund der Ungleichheit der Lebenssituation von Mann und Frau ist unbestritten. 126 Doch ihre Folgerungen daraus sind keineswegs so zwingend, wie von ihr behauptet. Ob nicht Entscheidungen für einen bestimmten Lebensverlauf oder für bestimmte frauentypische Berufe doch auf Präferenzen beruhen, sollte stärker berücksichtigt werden. Nicht jedes ideologisch unerwünschte Ergebnis ist allein durch gesellschaftlichen oder strukturellen Zwang zu erklären. Der Rekurs auf das historische Unrecht, das den Frauen jahrhundertelang angetan worden sei, unterlegt unzulässigerweise die Sichtweise des ausgehenden 20. Jahrhunderts und überträgt diese auf vergangene Epochen mit anderen Anschauungen und Wertvorstellungen. Nicht zu allen Zeiten ist die starre Rollenaufteilung zwischen Mann und Frau als Benachteiligung der Frau empfunden worden. Aus heutiger Sicht offensichtliche Zurücksetzungen und Diskriminierungen sollen nicht geleugnet werden. Doch existierten für Frauen nicht nur Benachteiligungen. Zu erinnern ist nur an den Umstand, daß der Kriegsdienst seit jeher den Männern "vorbehalten" war, sicherlich nicht nur eine Privilegierung. Biologische Unterschiede zwischen Mann und Frau lassen sich auch durch das nominierungsverbot nicht aus der Welt schaffen. Es wird dabei bleiben, daß Frauen die Kinder auf die Welt bringen und dadurch immer eine andere Lebenssituation und einen anderen Lebensverlauf haben als Männer. Wenn die Feststellung lautet, das Verfassungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG hinsichtlich der Gleichstellung der Frau sei in den meisten Bereichen der Gesellschaft nicht verwirklicht worden 127, weckt dies Befremden. Eine derartige Aussage deutet auf ein Verständnis von Gleichberechtigung hin, das allein an gleichen Ergebnissen und nicht an gleichen Chancen orientiert ist. Verkannt wird zudem, daß BVerfGE 52, 369 (375 ff.). Vgl. EuGH, 13. 07. 1989, Rs. 171188 (Rinner-Kühn), Slg. 1989, 2743 (2761); 07. 02. 1991, Rs. C-184/89 (Nimz), Slg. 1991,1-297 (319); Ebsen, RdA 1993, 11 (13). 126 Nochmals bei Zöllner; FS Strasser; 223 (224 f.) Wohl schon seit über 20 Jahren: Säcker; Referat auf dem 50. DIT (1974), L 9 (15 ff.). 127 Bundesminister des Innem, Vorbemerkung zu dem von Kar[ Heinrich Friauf erstatteten Gutachten, S. 5. 124

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Art. 3 Abs. 2 GG keine unmittelbare Wirkung unter Privaten entfaltet. 128 Letztlich spiegeln tatsächliche Ungleichheiten in der Erwerbssituation häufig nur in der Wirklichkeit existierende Unterschiede wider, wie z. B. den schlechteren Ausbildungsstand von Frauen. 129 Eine Reihe von Vertretern in der Literatur bestreiten den Begriff "Frauenförderung" im Zusammenhang mit dem Verbot der mittelbaren Benachteiligung: Dieses gehöre zum "bloßen Diskriminierungsverbot" und komme mit Art. 3 Abs. 3 GG nicht in Konflikt. Zwar würden Chancen von Männern beeinträchtigt, doch liege darin keine Benachteiligung. Entscheidend sei, daß ausschließlich Bevorzugungen abgebaut würden, die wegen der rechtswidrigen Benachteiligung einer anderen Gruppe überhaupt erst möglich geworden seien. Soweit Kompensationsmaßnahmen eine Umverteilung bei nachgewiesener Diskriminierung erreichen wollten, seien sie gerechtfertigt. Gleiches gelte, wenn nur eine individuelle Benachteiligung ausgeglichen werden sollte. 130 Ungeachtet des Umstandes, daß bereits der Begriff der Wiedergutmachung problematisch ist, bleibt hierbei regelmäßig offen, wieweit Wiedergutmachung reicht. Unklar ist in diesem Zusammenhang die Abgrenzung zwischen dem bloßen Ausnutzen der gesellschaftlich problematischen Lage von Frauen und der sog. Wiedergutmachung historisch hergebrachten Unrechts. Hierbei handelt es sich um ideologisch aufgeladene Vokabeln, mit denen die rechtliche Problematik von Gleichberechtigung und Chancengleichheit nicht in den Griff zu bekommen ist. Es sind aber genau diese Vokabeln und das hinter ihnen stehende rechtspolitische Verständnis, das - zumindest in der augenblicklichen Diskussion - über Reichweite und Inhalt des Diskriminierungsverbots entscheidet und damit auch über die Existenz des Verbots der mittelbaren Ungleichbehandlung. Konzepte von Frauenförderung jeglicher Art müssen jedoch durch den Gesetzgeber entschieden werden. Formulierungen von Ebsen, mit deren Hilfe das Stichwort "Frauenförderung" ausgefüllt wird, finden sich fast wörtlich bei Schlachter und Wisskirchen wieder, ohne daß dieser Begriff bei ihnen benutzt würde. Dies zeigt zumindest, daß hier noch große Ungereimtheiten in der Beschreibung von Funktion und Dogmatik des Verbots der mittelbaren Diskriminierung bestehen. Doch können die Autoren, die von Nachteilsausgleich und Teilhaberecht sprechen, nicht in Abrede stellen, daß auch sie eine gewisse Förderung von Frauen vornehmen wollen, nämlich bis die Gleichheit der Startbedingungen wirklich hergestellt sei. 131 Gleich mehrere Umstände lassen es berechtigt erscheinen, auch bei der Beseitigung von mittelbarer 128 129

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Zöllner; FS Strasser; S. 223 (225 Anm. 12). Zöllner; Gutachten für den 52. DIT (1978), D 7 (163 ff.). Kyriazis, S. 86 (Anm. 73, der zwischen "kompensatorischer Funktion" - Entschädi-

gung für das Unrecht in der Vergangenheit - und "distributiver Funktion" - Neutralisierung der gegenwärtigen Auswirkungen einer ungerechten Vergangenheit- unterscheidet, was nicht einfach sein dürfte); Schlachter; S. 56; im Erg. auch Bieback, S. 36 ff. 131 Vgl. nur Bieback, S. 37 f.

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EG V

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Diskriminierung von Frauenförderung zu sprechen. Einmal ist allein der Arbeitgeber in die Pflicht genommen, für einen materiellen bzw. finanziellen Ausgleich zu sorgen. Zum zweiten wird mit Hilfe des Verbotstatbestandes für eine einseitige Angleichung der Rechtsstellung der benachteiligten Frauen an die der bevorzugten Männer gesorgt. Hauptgrund ist jedoch, daß nach ganz überwiegender Meinung sich nur Frauen auf den Verbotstatbestand berufen können. Die primäre Förderung durch eine eventuelle Angleichung genießen also Frauen. In diesem Kontext wird allerdings gerne behauptet, daß der Arbeitgeber nicht gehalten sei, gesellschaftliche Mißstände durch sein Zutun auszugleichen oder gar wiedergutzumachen. 132 Doch ist diese These von der h. M. nicht stimmig durchzuhalten. Dies gilt selbst für die "mildere" Version. Denn der Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung zeichnet sich gerade dadurch aus, daß die Benachteiligung nicht durch die Regelung als solche zum Tragen kommt, sondern erst im Zusammenwirken mit unterschiedlichen Lebensbedingungen in der Gesellschaft für Männerund Frauen. Resultiert die Ungleichbehandlung aber erst aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen und sind diese Ungleichbehandlungen durch Angleichung an die Stellung des Mannes auszugleichen, wird der Arbeitgeber gezwungen, durch frauenfördernde Leistungen gesellschaftliche Mißstände abzubauen. 133 Die Berechtigung dieser Folgerung ergibt sich aus der Störung der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung. 134 Der Einwand, dem Unternehmer werde die Verantwortung für historisch gewachsene gesellschaftliche Mißstände auferlegt, erfahrt seine Berechtigung eben nicht erst dann, wenn das Endziel des Verbots die Herstellung von Ergebnisgleichheit ist 135 , sondern immer schon wenn Männer zugunsten von Frauen kollektiv benachteiligt werden, mit dem Ziel, die Repräsentation von Frauen zu erhöhen. Auf das vorgebliche Motiv, der "wirklichen Herstellung von Chancengleichheit" bzw. der Gleichheit der Ausgangsbedingungen, kommt es nicht an. Denn die entsprechende Umverteilung von gesellschaftlichen Gütern und Funktionen ist in jedem Fall ein so folgenschwerer Eingriff, daß er nur vom parlamentarischen Gesetzgeber beschlossen werden und unter staatlicher Finanzierung erfolgen kann. Der einzelne Unternehmer ist mit der Förderung von Frauen, und sei es auch nur bis zu einem gewissen Niveau, in aller Regel schon finanziell überfordert. Das von Wank erwogene Abgrenzungskriterium "Bezug zum Arbeitsverhältnis" geht deshalb nicht weit genug. Denn auch gesetzliche Regelungen haben einen Bezug zum Arbeitsverhältnis. Doch verursacht nicht der Ar132 Pfarr/Bertelsmann, Gleichbehandlungsgesetz, Rn. 232; Schlachter, S. 391 ; Sievers, S. 55 ff.; vgl. Wisskirchen, S. 42 (Anm. 9), bei der bereits erste Kritik anklingt. 133 Zöllner, FS Strasser, S. 223 (235) u. Wank, RdA 1985, I (21): Der Arbeitgeber ist kein "Funktionär der Gesellschaft". 134 Beispielsweise wäre die Austauschgerechtigkeit gestört, wenn der Arbeitgeber im Fall des § 37 Abs. 2 u. Abs. 6 BetrVG gezwungen wäre, Teilzeitbeschäftigten "für" die Teilnahme an einer Schulung dieselbe Vergütung zu zahlen wie Vollzeitbeschäftigten. Das Gleiche gilt im Fall der Überstundenzuschläge für Teilzeitkräfte ab Überschreiten der inidviduellen Arbeitszeit. 135 So aber Schlachter, S. 390.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

beitgeber Ungleichbehandlungen, wenn er gesetzliche Vorschriften vollzieht. Ihn auch in diesem Fall mit höheren Kosten einer Gleichstellung zu belasten, stellt einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Berufs- und Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers dar. 136 Anders läßt sich nur argumentieren, wenn man das Verbot der mittelbaren Diskriminierung darauf beschränkt, rechtliche Gleichheit herzustellen. Für dieses Ziel ist die Kreierung eines neuen Rechtsinstituts aber nicht notwendig; und der Gruppenbezug zeigt, daß sich das Verbot hierauf nicht beschränken läßt. Im übrigen stellen Leistungen des Arbeitgebers nur dann keine Kompensationen für gesellschaftliche Mißstände dar, wenn beispielsweise bei betrieblichen Sozialleistungen Teilzeitkräfte proportional berücksichtigt werden. Dies ist aber nach dem Konzept der mittelbaren Diskriminierung nicht möglich, weil dies pauschal auf die Angleichung an die Stellung des höchsten Niveaus, nämlich dem der Männer, zielt. Daß das Konzept insoweit nicht stimmig ist, zeigt sich an folgender Überlegung: Es wird behauptet, der Arbeitgeber könne sich nicht damit verteidigen, die benachteiligenden Wirkungen träfen die Gruppe der Frauen nur deshalb besonders, weil diese noch außerhalb des Arbeitsverhältnisses liegende Erschwernisse, die häufig angesprochene Doppelbelastung von Beruf und Familie, zu bewältigen hätten. 137 Die Doppelbelastung von Beruf und Versorgung des Haushalts - wobei an dieser Stelle nicht darüber entschieden werden soll, inwieweit es überhaupt gerechtfertigt ist, die Familie als Belastung zu bezeichnen - betrifft nicht das Arbeitsverhältnis. Hierauf braucht der Arbeitgeber keine Rücksicht zu nehmen; er darf vielmehr darauf vertrauen, daß dies der Arbeitnehmer von sich aus organisiert. Es geht auch nicht darum, daß die "Problemgruppe der Frauen" mit beruflicher und häuslicher Doppelbelastung nicht marktmächtig genug sei, sich gegen eine Zusatzbelastung zur Wehr zu setzen 138 • Denn diese Zusatzbelastung resultiert nicht aus der beruflichen Anforderung, sondern aus der Übernahme familiärer Pflichten. Es liegt nicht im Einfluß- und Risikobereich des Arbeitgebers, daß ein bestillllilter Arbeitnehmer oder eine bestimmte ArbeitnehmeTin für die Familie die Versorgung des Haushalts übernillllilt. Würde man dies dem Arbeitgeber aufbürden, hätte er doch gesellschaftliche Aufgaben zu übernehmen. Die Inpflichtnahme der Arbeitgeber durch

136 Ganz abgesehen davon kann der Arbeitgeber im konkreten Fall der Lohnweiterzahlung bei einer Betriebsratsschulung nicht zu einer Kompensation verpflichtet sein, weil die Entsendung eines (teilzeitbeschäftigten) Betriebsratsmitglieds durch den Betriebsrat geschieht. Oben (2. Kap. B IV 2 c bb) konnte bereits gezeigt werden, daß der Anspruch, Mitglieder zu Schulungen zu entsenden, dem Betriebsrat als Kollektiv zusteht, nicht dem einzelnen Mitglied. Dementsprechend entscheidet der Betriebsrat als Kollektiv, wer wann zu welcher Schulung entsandt wird. Hier kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an, ob wegen der Teilzeitarbeit und der Lage der Teilzeitarbeit noch eine Zurechnung zum Arbeitgeber erfolgen kann. Bei Anwendung der Kriterien der mittelbaren Diskriminierung ist eine solche differenzierte Betrachtung unmöglich. 137 Schlachter, S. 391. 138 So Schlachter; S. 391.

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das Verbot der mittelbaren Diskriminierung wirkte dann auch als staatliches Instrument der Frauenförderung. 139 (d) Gegenthesen- Versuch einer eigenen Konzeption

Bevor eine eigene Konzeption umrissen werden soll, ist die Klärung einiger grundlegender Begriffe notwendig, weil diese in der juristischen Diskussion häufig mit unterschiedlichem Inhalt gebraucht werden und daher keine begrifflichen Orientierungspunkte abzugeben vermögen. (aa) Die Zielsetzung der Frauenemanzipation: Gleichberechtigung - Gleichstellung Nachdem ausdrückliche rechtliche Diskriminierungen in Deutschland seit Einführung des Grundgesetzes, nicht zuletzt durch eine strenge Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das Rechtfertigungen für die Schlechterstellung der Frau im Recht nicht gelten ließ, mittlerweile abgebaut sind, richtet sich das Augenmerk der Frauenemanzipation auf tatsächliche oder vermeintliche Ungleichgewichte zwischen den Geschlechtern in der Wirklichkeit. Damit wird ein Ziel formuliert, das über die rechtliche Gleichbehandlung hinausreicht. Die Bezeichnungen hierfür sind allerdings höchst unterschiedlich. Es wird von "realer Gleichstellung", "faktischer Gleichberechtigung" oder auch "tatsächlicher Chancengleichheit" gesprochen.140 Eine Definition und Abgrenzung dieser Begriffe ist unumgänglich. So bezeichnet Gleichberechtigung im Deutschen Wörterbuch von Grimm "im Rahmen rechtlicher und politischer Ordnungen, ein gleiches Maß von Rechten oder Ansprüchen und die daraus abzuleitende Gleichstellung" 141 . Brockhaus/Wahrig definieren die Gleichberechtigung als die "Gleichheit von Mann und Frau hinsichtlich aller Rechte und den Möglichkeiten, diese wahrzunehmen, der alltäglichen Pflichten usw." 142• Gleichstellen bedeutet nach Duden 143 ein Stellen auf die gleiche Rang-, 139 Zutreffend Ebsen, Hb d. VerfR, § 8 Rn. 36. Auch BK/ Rüfner, Art. 3 Abs. 2 und 3, Rn. 741, subsumiert daher das Verbot der mittelbaren Diskriminierung unter das Stichwort

,,Frauenförderung". 140 Vgl. nur Bumke, Der Staat 1993, 117 (121): Bei der Diskussion über das "Problem faktischer Gleichberechtigung [ .. . ] geht es nicht um faktische Gleichheit im Sinne einer statistisch-schematischen Gleichstellung und nivellierenden ,Gleichmacherei' [Anm.], sondern um die Durchsetzung der rechtlichen Gleichwertigkeit und tatsächlichen Gleichberechtigung der Geschlechter in der sozialen Wirklichkeit im Wege der Kompensation geschlechtsspezifisch ungleicher Wirkungsbedingungen formal gleicher Rechte, d. h. um die Gewährleistung derjenigen Bedingungen, unter denen die Chancengleichheit der Geschlechter erst real werden kann." 141 Grimm/Grimm, Stichwort "Gleichberechtigung". 142 Brockhaus/Wahrig, Stichwort .,Gleichberechtigung".

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Ordnungs- oder Wertstufe und nach Grimm 144 das Gleichmachen bzw. Gleichordnen. Beide Definitionen lassen ungeachtet ihres zeitlichen Abstands voneinander erkennen, daß Gleichberechtigung und Gleichstellung keine Synonyme sind. Die Gleichberechtigung bezieht sich immer nur auf gleiche Rechte, gleiche Ansprüche und gleiche Chancen, diese wahrzunehmen. Eine hiervon unabhängig eingeräumte Gleichstellung im Ergebnis ist nicht angesprochen. Von faktischer Gleichberechtigung wird im Unterschied zu rechtlicher Gleichberechtigung gesprochen, wenn die Herstellung tatsächlicher Gleichheit der Geschlechter im Hinblick auf die "[Teilnahme] am politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben" 145 gemeint ist. 146 Gleichstellung als rechtspolitisches Ziel hat eine Reihe von gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen, über die es nachzudenken gilt, bevor der Gesetzgeber daran geht, dieses Ziel in praktische Politik und damit in juristische Form umzusetzen. Die erste Konsequenz wäre die Angleichung der Geschlechtsrollen. Gleichstellung bewirkt Rollengleichheit Noch in einem viel stärkeren Maße als dies ohnehin bereits in den letzten Jahren zu beobachten ist, würden sich die Rollen der Geschlechter verändern. Die totale Rollengleichheit bedeutete einen tiefen Einschnitt in unser bisheriges gesellschaftliches System. 147 Am deutlichsten wird sich dies im familiären Bereich auswirken. Rollentausch und Rollenteilungen sind die notwendige Konsequenz. Dies dürfte jedoch für die Zukunft der Kinder von gravierender Bedeutung sein. Die Gefahren, die mit einer gleichzeitigen Berufstätigkeit beider Elternteile verbunden sind, werden oft nicht gesehen oder mit dem Begriff "Schlüsselkinder" bagatellisiert. 148 Der Ruf nach staatlicher Kinderbetreuung ist hierfür symptomatisch. Selbstverwirklichung als Recht beider Partner geht vor eiDuden, Stichwort "gleichstellen". Grimm/Grimm, Stichwort "Gleichstellung". 145 Präambel zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18. 12. 1979, in Geltung für die Bundesrepublik Deutschland durch Gesetz v. 25. 04. 1985, BGBI. II, S. 647; in Kraft seit 09. 08. 1985, siehe Bekanntmachung v. 13. 11. 1985, BGBI. II, S. 1234. In Art. 3 des Übereinkommens heißt es denn auch, daß die Vertragstaaten verpflichtet seien, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, "damit gewährleistet wird, daß sie [gemeint ist: die Frau] die Menschenrechte und Grundfreiheiten gleichberechtigt mit dem Mann ausüben und genießen kann". Derartige Maßnahmen sind nach Art. 4 solche zur Herstellung von "De-facto-Gleichberechtigung von Mann und Frau" (de facto equality bzw. egalite de fait). Demzufolge sind die Vertragstaaten gehalten, Veränderungen bezüglich der "sozialen und kulturellen Verhaltensmuster von Mann und Frau" (Art. 5 lit. a) und der ,,Beseitigung jeder stereotypen Auffassung in bezug auf die Rolle von Mann und Frau" im Bildungswesen (Art. 10 lit. c) herbeizuführen. 146 Ebsen, Hb d. VerfR, § 8 Rn. 10. 143

144

147 Zöllner, FS Strasser, S. 223 (228 f.), fürchtet gar eine Art "Kulturrevolution" mit einer Tendenz zur Minderung kultureller Vielfalt. Andererseits ließen sich Kompensationseffekte durch die Rollenveränderung nicht abschätzen. Seriöse Aussagen auf diesem Gebiet sind wohl kaum möglich. 148 Giesen, S. 66, spricht sich vor diesem Hintergrund sogar für eine Beschränkung der außerfamiliären Erwerbstätigkeit beider Ehegatten aus.

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genverantwortlicher Kindererziehung. Kinderbetreuung und Kindererziehung sind aber nicht die Aufgaben des Staates, sondern wie Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG normiert, natürliches Recht und oberste Pflicht der Eltern. 149 Aus dieser Verantwortung kann sie der Staat nicht entlassen. Dies bedeutet zwar nicht, daß der Erziehungsauftrag nicht auch durch die Eltern auf andere Personen delegiert werden kann, doch hat der Gesetzgeber nicht ohne Hintergedanken den Eltern das Erziehungsrecht überantwortet. Als natürliche Bezugspersonen von Geburt und Abstammung her sind sie besser geeignet, die Erziehung wahrzunehmen als staatliche Massenanstalten. Diese konkurrieren in Form der Schulen noch früh genug mit den Eltern. Wechselnde Bezugspersonen für das Kind mögen von Vorteil sein, bringen aber notwendig den Verlust differenzierter Leitbilder, insbesondere des Leitbildes der Mutter mit sich. 150 Zweifelhaft mag es überdies sein, ob für jede Familie der Rollentausch oder eine partielle Rollenänderung immer das ökonomisch Sinnvollste ist. Es sei nur darauf hingewiesen, daß sich bei allen Bemühungen Arbeitsplätze nicht beliebig vermehren lassen, da insbesondere qualifizierte Arbeitsplätze nicht in jedem Fall in Teilzeitarbeitsplätze umwandelbar sind. Daraus folgt, daß es sich beim Rollentausch nicht um einen Verfassungsauftrag handeln kann. Nur auf streng freiwilliger Grundlage ist eine Änderung der hergebrachten Rollen denkbar. Nur in diesem Rahmen kann der Staat überhaupt gehalten sein, Rahmenbedingungen für eine chancengleiche Ausübung familiärer und beruflicher Rollen zu schaffen. Jeder Familie muß es möglich sein, in eigener Verantwortung die für sie beste Rollenaufteilung zu wählen, die abhängig ist von der Motivation, insbesondere dem Kinderwunsch, der jeweiligen Ausbildung und der ökonomischen Effizienz. (bb) Gleichberechtigung und Chancengleichheit Auch der Begriff der Chancengleichheit wird unterschiedlich verstanden. Kar-

pen versteht Chancengleichheit als einen Chancenausgleich und damit als "Para-

digma ,sozialer Gleichheit'" 151 . Durch Chancengleichheit sollen Unterschiede ausgeglichen werden bezüglich der angestrebten gleichen Anteile an bestimmten sozialen Gütern, wie Besitz, Bildung und Macht. Dies sei ein Anwendungsfall der aristotelischen justitia distributiva 152 - der angleichenden, verteilenden Gerechtigkeit. Zwar würden ungleiche Dinge ungleich behandelt, doch erreiche man hierdurch eine Gleichheit des Resultats, indem man jedem Objekt Güter gemäß der Differenz zwischen (ungleicher) Ausgangsposition und (gewollt gleichem) Ergebnis hinzufüge. 153 Demgegenüber sei die justitia commutativa- die ausgleichende,

149 150 151 152

Vgl. BVerfGE 24, 119 (150). Zöllner, FS Strasser, S. 223 (229); Giesen, S. 56 ff. Karpen, JA 1985,562 (564). Vgl. Hesse, AöR 77 (1951152), 167 (197).

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

regelnde Gerechtigkeit - Ausdruck rechtsstaatlicher Gleichheit. Hier werde jedes Objekt seiner Eigenart entsprechend behandelt, so daß die Ergebnisse bei ungleicher Ausgangslage auch ungleich blieben. Auf die hier zutage tretende Begriffsverwirrung hat bereits Huster hingewiesen. 154 Die ausgleichende Gerechtigkeit behandelt keineswegs jedes Objekt seiner Eigenart, seiner Leistung, Begabung oder seinen objektiven Fähigkeiten entsprechend, sondern betrifft die Austauschgerechtigkeit z. B. im vertraglichen Rechtsverkehr. Dagegen betrifft die austeilende, distributive Gerechtigkeit die gerechte Verteilung von Gütern (vgl. oben 3. Kap. AI I b cc) . Die Begrifflichkeit Karpens soll deshalb nicht zugrunde gelegt werden. Wegen der notwendig ungleichen Behandlung zur Erreichung gleicher Chancen kann die Chancengleichheit aber mit dem Postulat der relativen Gleichheit in Widerspruch geraten; dies wird nicht verkannt. Dennoch solle an der Gleichheit zum Ausgleich der Startbesonderheiten festgehalten werden, weil die Verwirklichung der gleichen Freiheit eine "angemessene (materielle) ,Innenausstattung der Freiheit'"155 erfordere. Chancengleichheit in diesem Sinne geht also über die Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen beim Start hinaus, indem Besonderheiten und Unterschiede vor dem Start ausgeglichen werden, um am Start ein gleiches Ergebnis zu erhalten. Gerade vom eigentlichen strengen Wortsinn ausgehend hat der Begriff Chancengleichheit eine andere Akzentuierung. Eine Garantie gleicher Erfolgsverwirklichung ist ihm nicht eigen! 56 Er meint im Kontext von Freiheit und Gleichheit die jedem in gleicher Weise eingeräumte Möglichkeit, von seiner Freiheit Gebrauch zu machen; gewährleistet ist nur die Startgleichheit 157 Wenn jeder das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und jeder das Recht zur freien Äußerung seiner Meinung hat, dann ist für jeden die grundrechtliche Freiheitsverbürgung gleichermaßen gewährleistet, weil jeder gleiche Rechte hat, seine Freiheit wahrzunehmen. Chancengleichheit ist so auch die jedermann gleichermaßen gewährleistete Freiheit, eine Rechtsstellung, auch ein Freiheitsrecht, in Anspruch zu nehmen oder dies nicht zu tun. (cc) Wahrung der Chancengleichheit und geschlechtsneutraler Ausgleich rollentypischer Nachteile Gleichstellung impliziert das Ergebnis, das für zwei Subjekte - unabhängig von ihrer Ausgangslage- gleich sein soll; die tatsächliche ungleiche Ausgangssituation 153 V gl. AK I Stein, Art. 3, Rn. 71 : Gleichheit der "tatsächlichen Voraussetzungen zum Erwerb materieller oder immaterieller Güter". 154 Huster, S. 39 Anm. 105. 155 Karpen, JA 1985, 562 (565). 156 Schoch, DVBL 1988, 863 (880); Sachs, Grenzen, S. 74, Anm. 158. 157 Kempen, ZRP 1989, 367 (368); v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3, Rz 29; Schoch, DVBI. 1988, 863 (880, Anm. 278 u. 279m. N. aus dem Prüfungsrecht).

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zwischen zwei Vergleichssubjekten soll angeglichen werden. Gleichberechtigung hat demgegenüber die rechtliche Behandlung und nicht das Ergebnis im Blick; zwei vergleichbare Subjekte sollen gleich behandelt werden; eine rechtliche Differenzierung soll zwischen ihnen nicht stattfinden. In diesen Zusammenhang gehört auch der Begriff der Chancengleichheit; beide Subjekte sollen rechtlich identische Chancen haben, aus ihrer Stellung und aus ihren Anlagen das Beste zu machen. Inwieweit wegen der grundsätzlichen biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau von dem strengen Konzept der Chancengleichheit eventuell Abstriche zu machen sind, ist damit noch nicht vorentschieden. Begriffe wie tatsächliche Chancengleichheit oder faktische Gleichberechtigung tragen zur klaren Unterscheidbarkeit dieser unterschiedlichen Konzepte wenig bei, weil sie rechtliche und tatsächliche Aspekte in ihrer Begriffswahl vermischen. Zum Prinzip der Gerechtigkeit gehört einerseits die Chancengleichheit für die Frau unmittelbar. Auf der anderen Seite ist nicht zu verkennen, daß sie mitunter in Widerstreit gerät zum Gerechtigkeitsprinzip der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung. Betrifft dies das Arbeitsverhältnis, kann der Arbeitgeber nicht als ,,Funktionär der Gesellschaft" dazu angehalten werden, Gemeinschaftsaufgaben wie die Verbesserung der Lage der Frau auf dem Arbeitsmarkt alleine zu bewältigen. Gesamtgesellschaftliche Aufgaben sind vom Staat aus dem allgemeinen Steueraufkommen zu finanzieren, nicht von einzelnen Marktteilnehmern. 158 Mit den Termini Gleichberechtigung und Gleichstellung korrespondiert selbstverständlich der Umstand, daß es rechtliche und faktische Gleichheit gibt. Denn Gleichbehandlung und Ungleichbehandlung lassen sich sowohl aktbezogen als auch folgenbezogen verstehen. Die aktbezogene Sichtweise hat allein die zu beurteilende staatliche Maßnahme im Blick, während es für die folgenbezogene Deutung auf die tatsächlichen Auswirkungen der staatlichen Handlung ankommt. Je nach Blickwinkel kann also eine rechtliche Gleichbehandlung (im aktbezogenen Sinn) eine faktische Ungleichbehandlung (im folgenbezogenen Sinn) beinhalten.159 Daraus folgt das Grunddilemma faktischer Gleichheit 160: Sollen einzelne Gruppen gefördert werden, indem eine Gleichheit im Ergebnis hergestellt wird, bedeutet das notwendig, andere Gruppen ungleich zu behandeln. Denn diese folgenbezogene faktische Gleichheit kann nur durch eine Ungleichbehandlung im aktbezogenen Sinn erzielt werden. 161 Da aber in der Wirklichkeit die Menschen niemals ganz gleich, sondern immer in bestimmter Hinsicht auch verschieden sind, hat rechtliche Gleichbehandlung immer auch das Bestehenlassen oder Verstärken fak-

158 Vgl. Zöllner, FS Strasser, 223 (235). 159 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 377 f. mit Hinweis auf BVerfGE 2, 336 ff. als Beispiel. 160 Ebsen, Hb d. VerfR, § 8 Rn. 12, spricht vorn .,Gerechtigkeitsdilernrna der faktischen Gleichberechtigung", Alexy, S. 379, vorn .,Paradox der Gleichheit". 161 BVerfGE 12, 354 (367); Alexy, S. 378.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

tischer Ungleichheiten zur Folge. Andererseits vennag rechtliche Gleichheit auch faktische Gleichheit zu verwirklichen. 162 So stellt sich die Frage nach dem Ausgleich dieses Dilemmas. Dieser Frage soll nicht in abstracto 163 , sondern konkret im Rahmen der Erörterung der mittelbaren Diskriminierung nachgegangen werden. Nur soviel sei vorausgeschickt: Der Gleichheitssatz des Grundgesetzes ist nicht zuletzt wegen Art. 1 Abs. 3 GG auf die rechtliche Gleichheit verpflichtet. 164 Ob der Staat daneben auch verpflichtet ist, faktische Gleichheit herzustellen, rührt an das grundlegende Verhältnis von Gleichheit und Freiheit. Gleichheit im Ergebnis kann nur mittels Umverteilung 165, also durch Eingriffe in Freiheitsrechte, bewerkstelligt werden. Der Ansatzpunkt für eine stärkere Berücksichtigung tatsächlicher Gegebenheiten liegt außerhalb von Art. 3 GG und ist vielmehr im Sozialstaatsprinzip zu suchen. 166 Im übrigen ist der soziale Rechtsstaat des Grundgesetzes bemüht, Freiheit und Gleichheit gleichermaßen zur Geltung zu bringen, wobei der Vorrang der Freiheit weithin anerkannt ist.167 Es wird sich erweisen, daß der Verfassungsgesetzgeber in Art. 3 Abs. 2 GG mit dem Konzept der Gleichberechtigung diesem Dilemma zwischen Freiheit und Gleichheit von vomherein aus dem Weg gegangen ist, indem er sich für die Chancengleichheit der Geschlechter entschieden hat. Eine gänzlich andere Sichtweise würde Verfassung und Gesetzgeber gleichennaßen überfordern. Die Herstellung tatsächlicher Gleichheit im Ergebnis ist weder ein "selbständiges, das heißt aus sich heraus einsichtiges Gerechtigkeitserfordernis noch auch nur ein brauchbares Indiz für einen gesellschaftlich gerechten Zustand der Rollenverteilung unter den Geschlechtem" 168. Zur Begründung muß wiederum auf die notwendige, aber unzulässige Folge der Gruppenbetrachtung verwiesen werden. Wird wie im Fall der mittelbaren Diskriminierung von der ganz herrschenden Meinung nur auf das statistische Ergebnis einer Maßnahme geschaut, geht es nicht wirklich um Herstellung und Wahrung von Chancengleichheit, sondern um eine Gleichstellung bezogen auf das Ergebnis. So wäre das Verbot der mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts eine unterhalb der Quotenregelung liegende, mildere Fonn der Frauenförderung. Dies läßt sich für den typischen Fall des Ver162

Hesse, Der Gleichheitsgrundsatz im Staatsrecht, S. 180.

163 Z. B. Alexy, S. 380 ff.

164 Vgl. BVerfGE 77, 84 (120), in der sich das BVerfG zu Ungleichheiten der tatsächlichen Betroffenheit bei rechtlich gleicher Behandlung äußert. 165 Der nicht unberechtigten Frage, ob und inwieweit den Umverteilungen überhaupt ein Streben nach Gerechtigkeit oder bloß der Gedanke zugrundeliegt, daß der zahlen soll, der zahlen kann, soll hier nicht nachgegangen werden. Leisner, S. 189 ff.; vgl. auch Zippelius, VVDStRL47 (1989), 7 (16). 166 Knappe Zusammenfassung m. w. N. bei Schoch, DVBI. 1988, 863 (866 f.). 167 Vgl. Schoch, DVBI. 1988, 863 (871 f.). 168 Zöllner, FS Strasser, S. 223 (226).

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bots der mittelbaren Diskriminierung zeigen: Werden Teilzeitkräfte, also überwiegend Frauen, gegenüber Vollzeitkräften benachteiligt, verlangt das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach herkömmlicher Lesart die Angleichung an die Stellung der Vollzeitkräfte als Rechtsfolge. Damit soll die Ungleichbehandlung von Teilzeitarbeit beseitigt werden. Gleichzeitig wird Teilzeitarbeit jedoch für Arbeitgeber finanziell unattraktiv, obwohl eine Mehrheit der Frauen lieber Teilzeit als Vollzeit arbeiten würde. Als Fernziel wird eine Angleichung von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung in dem Sinn angestrebt, daß die gesamte vorhandene Arbeit auf alle heute noch in Vollzeit und Teilzeit Erwerbstätigen gleichmäßig aufgeteilt wird. Damit wäre das Problem der Schlechterstellung von Teilzeitarbeit endgültig erledigt. Daß diese Form der ,,Arbeitsumverteilung" das Problem der Arbeitslosigkeit nicht zu lösen vermag, sei ergänzend nur am Rande bemerkt. Ungleichheiten in der Lebenswirklichkeit können auf fehlende Chancengleichheit und Ungleichbehandlungen zurückzuführen sein, sie müssen es aber nicht ausschließlich. Genausowenig ist es die zwingende Folge weiterreichender Fördermaßnahmen, daß sich eine statistische Ausgewogenheit auf allen Ebenen einstellen wird. Immerhin steht es im Belieben der Frauen, Förderungen z. B. zur besseren Vereinbarkeil von Beruf und Familie anzunehmen oder auch nicht. Letztlich gilt diese auch für die Quote; selbst sie kann nur erfüllt werden, wenn sich genügend Frauen auf die durch sie reservierten Plätze bewerben. Eine faktische Unausgewogenheit des Geschlechterproporzes in der beruflichen und sozialen Wirklichkeit kann auch das Ergebnis von unterschiedlichen Präferenzentscheidungen sein. Man sollte das Moment der freiwilligen Entscheidung der Frau, ihre Persönlichkeit auf andere Weise zu entfalten, was auch die sinnstiftende Aufgabe der Kindererziehung einschließen kann, nicht vorschnell als antiquiert und Ausdruck eines patriarchalischen Systems abtun. Der Blick auf diese Tatsache wird durch die herkömmliche Sichtweise des Verbots der mittelbaren Diskriminierung verstellt; selbst die Frage nach der Rechtfertigung kann dieses Manko nicht genügend ausgleichen, schon gar nicht wenn man an die Rechtfertigung der mittelbaren Diskriminierung dieselben Anforderungen stellt wie an die Rechtfertigung einer unmittelbaren Diskriminierung. Soll die These, daß Frauen immer dann, wenn sie in einem bestimmten Bereich nicht in gleichem Umfang vertreten sind wie Männer, gegen ihren Willen ausgeschlossen sind, zutreffen, müßten persönliche und berufliche Wunschvorstellungen von Männem und Frauen weitgehend identisch sein. Dies kann aber angesichts der bis vor kurzem immer noch rollenspezifischen Erziehung nicht angenommen werden. So bliebe als Erklärung nur die Unterstellung gleicher Präferenzentscheidungen als eine Fiktion. 169 Dies ist jedoch kein sachgerechter Erklärungsansatz. Besser wäre es also unterschiedliche Wunschvorstellungen von Mann und Frau als Tatsache hinzunehmen und erst in einem zweiten Schritt nach den Gründen hierfür zu fragen, anstatt vorschnell allein anhand von Statistiken Unterrepräsentationen von Frauen festzustellen, die durch Eingriffe von außen zu besei169

Vgl. Sachs, NJW 1989, 553 (557).

14 Traupe

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

tigen sind. Nicht zuletzt unter grundrechtliehen Aspekten sind die Rollen- und Berufswahl von Männern und Frauen hinzunehmen. Der Staat hat nur die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine freie Wahl und eine chancengleiche Entfaltung zu gewährleisten. Umgekehrt läßt sich der Befund, daß in beruflichen Positionen mit Führungsverantwortung oder in politisch leitenden Stellungen immer noch mehr Männer als Frauen anzutreffen sind, dafür aber Frauen gegenüber Männern im Haushalt oder in Teilzeitbeschäftigungen nach wie vor dominierend sind, nicht allein durch "den Einsatz männlicher Macht in frauendiskriminierender Absicht oder in Anwendung frauendiskriminierender Vorurteile" erklären. 170 Nicht von der Hand zu weisen ist demgegenüber der Ansatz, hierfür hergebrachte, im Bewußtsein beider Geschlechter und von Institutionen verankerte, soziale Rollen und Einstellungen verantwortlich zu machen. Demnach müssen die der Rollenangleichung entgegenstehenden Einstellungen in den Köpfen beseitigt werden. 171 Die Frage, warum gerade das Verbot der mittelbaren Diskriminierung hier in den Köpfen zu einer Veränderung führen kann, bleibt aber auch von seinen Verfechtern unbeantwortet. Sollte der Gesetzgeber der Auffassung sein, daß die Entscheidung von Frauen für eine Betreuung der Familie und gegen eine (volle) Berufsausübung nicht freiwillig erfolgt, sondern vorrangig vom System vielfältiger mittelbarer Benachteiligungen aufgezwungen ist, liegt es an ihm, diese Entscheidung durch sozialstaatlich kompensierende Gesetzgebung zu überprüfen mit dem Ziel, Beruf und Familie besser miteinander zu vereinbaren. Geschlechtsspezifisch wirkende Hemmnisse könnten dann durch Regelungen beseitigt werden, die im Tatbestand genau an diese Hemmnisse anknüpfen und so vorbeugend oder kompensierend wirkten, ohne auf die "Geschlechtsstereotype" ausweichen zu müssen. Diese Kompensation ist aber gerade Aufgabe des Gesetzgebers, nicht Aufgabe des Arbeitgebers, da sie gesamtgesellschaftlich ansetzen muß und nicht nur betriebs- oder unternehmensbezogen. Eine kompensierende Regelung, die statt an das Geschlecht an das tatsächliche Hemmnis anknüpft, beispielsweise an die Schlechterstellung von Teilzeitarbeit, hätte zudem den Vorteil, daß sie geschlechtsdiskriminierende Ungerechtigkeiten vermiede, wie sie sonst durch geschlechtsspezifische Pauschalierungen auftreten. Durch eine pauschale Kompensation für alle Frauen wegen Schwangerschaft, Geburt und Kindererziehung wird die kinderlose Frau unverdient belohnt und der alleinerziehende männliche Vor- und Einzelkämpfer faktischer Emanzipation bestraft. 172 Im übrigen vermeidet man so die Gefahr, die faktische Rollenverteilung weiterhin zu perpetuieren, gerade dies ein Anliegen, das mit dem herkömmlichen Verbot der mittelbaren Diskriminierung beseitigt werden soll. Einem weiteren KriSo zu recht Ebsen, Hb d. VerfR, § 8 Rn. II. Ähnlich Ebsen, Hb d. VerfR, § 8 Rn. II. 172 Vgl. Sachs, NJW 1989, 553 (557). Die Möglichkeit der Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung (§ 56 SGB VI), die beiden Elternteilen eingeräumt wird, ist hier sicher ein richtiger Ansatz. 11o

171

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terium müssen kompensierende Maßnahmen ebenso genügen. Sie dürfen nicht wieder - wie so oft in der Vergangenheit - die Drittinteressen der Kinder ausblenden.l73

2. Bisherige dogmatische Konzeptionen des Verbots der mittelbaren Diskriminierung Mittlerweile lassen sich in der dogmatischen Diskussion um das Verbot der mittelbaren Diskriminierung verschiedene Konzepte ausmachen. Bei der Darstellung sollte unterschieden werden zwischen solchen Ansätzen, die Prüfung von Voraussetzungen und Rechtfertigung dogmatisch trennen, und den Konzeptionen, die diese Trennung nicht vornehmen.

a) Trennung von Anwendungsvoraussetzungen und Rechtfertigungsprüfung

Sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur wird in aller Regel von einem zweistufigen Aufbau ausgegangen, der zwischen der Priifung der Anwendungsvoraussetzungen und der Rechtfertigungspriifung unterscheidet. Die nachfolgend dargestellten Positionen schließen sich nicht unbedingt gegenseitig aus. Sie beleuchten mitunter recht unterschiedliche Aspekte des Diskriminierungsverbots und werden hier aus Geiinden der Vollständigkeit wiedergegeben.

aa) SAG-Rechtsprechung Die Rechtsprechung des BAG geht davon aus, daß bei Vorliegen des objektiven Tatbestandes die Rechtswidrigkeit einer mittelbaren Diskriminierung indiziert sei. Der objektive Tatbestand sei gekennzeichnet durch eine geschlechtsneutrale Entgeltregelung, die eine unverhältnismäßige nachteilige Betroffenheit von weiblichen Arbeitskräften auf Grund des Geschlechts oder der Geschlechtsrolle zur Folge habe. Für die Rechtfertigung verlangt das BAG unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH seit der Bilka-Entscheidung 174 objektiv rechtfertigende Griinde, die vorlägen, wenn die unterschiedliche Behandlung der Geschlechter einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens entspräche und für die Erreichung dieses Zieles geeignet und nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit erforderlich sei. 175 Ausführlich Heinze, DVBI. 1994, 908 (910 ff.). EuGH, 13. 05. 1986, Rs. 170/84 (Bilka), Slg. 1986, 1607 (1627 ff.). 175 BAG, AP Nr. 11 zu Art. 119 EWGV (unter II 3 b der Gründe); AP Nr. 42 (unter II I c der Gründe); AP Nr. 8 zu§ I BetrAVG - Gleichberechtigung-= NZA 1991,635 (637). 173

174

14*

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

bb) Verbot der mittelbaren Diskriminierung als Kausalitätsprüfung Nach Schlachter stellt das Konzept der mittelbaren Diskriminierung selbst eine Kausalitätsprüfung hinsichtlich der Geschlechtsbedingtheit der zu überprüfenden Maßnahme dar: In Anlehnung an die disparate-impact-Theorie diene das Verbot mittelbarer Benachteiligungen auch dazu, Umgehungsmöglichkeiten unmittelbarer Benachteiligungen auszuschließen. Denn nur die Auswirkungen einer Maßnahme seien objektiv meßbar und nachweisbar, hingegen die wirklichen Absichten eines für die Maßnahme Verantwortlichen nur schwer. Die "Theorie von der mittelbaren Benachteiligung" 176 soll danach keine besondere Begehensform bei Diskriminierungen beschreiben, sondern die zwischen der nachteiligen Betroffenheit einer Person und ihrer Geschlechtszugehörigkeit bestehende Kausalität aufzeigen. Ein strenger Beweis der Kausalität werde hierdurch aber nicht geliefert. Das Konzept gründet sich vielmehr auf eine von Schlachter als "Alltagstheorie" bezeichnete Kausalitätsvorstellung, für die nicht die conditio-sine-qua-non-Formel entscheidend sei, sondern für die es reiche, daß "eine unverhältnismäßig häufige Benachteiligung einer Gruppe irgendwann kein Zufall mehr sein kann" 177 . Die Anknüpfung an ein neutrales Merkmal allein könne den naheliegenden Zusammenhang zwischen Geschlechtszugehörigkeit und Nachteil nicht ausschließen. Vom einzelnen Fall einer nachteiligen Betroffenheit könne noch nicht auf den Grund für diese nachteilige Wirkung für die einzelne Frau geschlossen werden, wenn nicht ausdrücklich an die Geschlechtszugehörigkeit als Entscheidungskriterium angeknüpft werde. Erst wenn man eine Vielzahl vergleichbarer Fälle in die Betrachtung einbeziehe, lasse sich wegen der Regelhaftigkeit, mit der sich die Entscheidung geschlechtsspezifisch auswirke, auf deren Abhängigkeit vom Geschlecht der Betroffenen schließen. 178 Es komme dabei nicht darauf an, ob die negativ wirkenden Maßnahmen bewußt herbeigeführt worden seien oder nicht. Das Motiv sei unerheblich. Doch könne gleichwohl eine mittelbare Benachteiligung angenommen werden, wenn die wahren Absichten durch scheinbar neutrale Anknüpfungsgesichtspunkte verschleiert würden. Selbst ein an sich "unverdächtiger Grund" wie größere Effizienz oder geringere Kostenbelastung könne insofern zu geschlechtsbedingter Benachteiligung führen, wenn die geschlechtsspezifischen Nachteile um anderer Interessen willen in Kauf genommen worden seien. Damit sei- wie im amerikanischen Recht 179 nur die Diskriminierungsabsicht im technischen Sinn als dolus directus ersten Grades ausgeschlossen. 180

176

177 178 179 180

Schlachter, S. 389. Schlachter, Schlachter, Schlachter, Schlachter,

S. 389. S. 390. S. 394. S. 390.

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

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Ob im konkreten Fall ein Angehöriger des anderen Geschlechts von der Maßnahme profitiert habe, sei ohne Belang: "Wird statt der alleinerziehenden Mutter nicht ein Mann, sondern eine kinderlose Frau eingestellt, widerlegt das nicht die Geschlechtsbedingtheit, sondern allenfalls die Diskriminierungsabsicht" 181 Es genüge, wenn allein durch die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht die Chance, einen Arbeitsplatz zu bekommen, statistisch verringert werde. Denn Frauen seien auch schon dann wegen des Geschlechts benachteiligt, wenn ihre beruflichen Tatigkeiten durch objektiv vermeidbare Schwierigkeiten behindert würden, mit denen Männer typischerweise nicht konfrontiert seien. Da es sich nach dieser Konzeption des Verbots der mittelbaren Diskriminierung um ein Wahrscheinlichkeitsurteil handele, könne dies auch durch Entkräftung der für die Wahrscheinlichkeit sprechenden Indizien, insbesondere der statistischen Daten, erschüttert werden. Die Vermutungswirkung des Konzepts beruhe nicht auf der zweifelsfreien Aufklärung der Ursachen geschlechtsspezifischer Wirkungen, sondern auf der Wahrscheinlichkeit, mit der sie auf Geschlechtszugehörigkeit zurückgeführt werden könnten. 182

cc) Dominierungsverbot Sacksofsky entwickelt unter gänzlicher Neuinterpretation des Art. 3 Abs. 2 GG (vgl. unten 3. Kap. B IV 1 d) ihre Konzeption zur mittelbaren Diskriminierung. Art. 3 Abs. 2 GG müsse eine neue Bedeutung zugewiesen werden. Eine gruppenbezogene Sichtweise des besonderen Gleichheitssatzes soll danach die bisherige merkmalsbezogene Sicht des Art. 3 Abs. 2 GG als Differenzierungsverbot ablösen.183 Unter Berücksichtigung des historischen Hintergrundes und der gesellschaftlichen Wirklichkeit wurden und werden bestimmte Merkmale immer zu Lasten einer durch ein solches Merkmal konstituierten Gruppe verwendet; auf deren Situation komme es nach diesem Konzept der Funktion besonderer Gleichheitssätze an. Für diese gruppenbezogene Sichtweise wird der Begriff des "Dominierungsverbotes"184 eingeführt. 185

Zurückführen läßt sich diese Sicht auf Überlegungen aus dem anglo-amerikanischen Recht: Diskriminierung erscheine hier nicht als "quasi-willkürliche, vorurteilsbehaftete Bewertung des einzelnen auf Grund eines Merkmals, das eigentlich keine Rolle spielen dürfte", sondern als Übertragung von Vorurteilen und abwertenden Ansichten, die gegenüber der Gruppe bestehen, auf den einzelnen. Dieser 181

Schlachter; S. 390.

182

Schlachter; S. 392.

183 184

Sacksofsky, S. 312 ff. Sacksofsky, S. 312.

185 Ebsen bezeichnet denselben dogmatischen Ansatz als "Benachteiligungsverbot", RdA 1993, 11 (14); ähnlich: Schlachter; S. 79.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

wird "wegen seiner Zugehörigkeit zu der durch das Merkmal definierten Gruppe" und nicht aus "individualisierten, auf seine Persönlichkeit ausgerichteten und zugeschnittenen Gründen ungleich behandelt" 186. Bei der Zugrundelegung eines Differenzierungsverbotes könne dem einzelnen verfassungsrechtlicher Schutz nur verkürzt zugute kommen. Ein in Wirklichkeit kollektives Problem sei nicht als individuelles zu lösen. 187 Theoretisch sei das Konzept des gruppenbezogenen Diskriminierungsschutzes hinsichtlich der Gruppe, zu dessen Nachteil eine Verwendung des Merkmals erfolge, offen. Doch da in jeder konkret zu beurteilenden Gesellschaft allein eine Gruppe von Benachteiligungen betroffen sei, müsse eben dieser Gruppe besonderer verfassungsrechtlicher Schutz mit Hilfe des Dominierungsverbotes gewährt werden. Deshalb schütze das nominierungsverbot allein die in der Vergangenheit schlechtergestellte und fortwirkend benachteiligte Gruppe vor ungerechtfertigter Schlechterstellung. Der Gesetzgeber habe darauf zu achten, wie sich bestimmte gesetzgebensehe Maßnahmen auf die vom nominierungsverbot geschützte Gruppe auswirkten. 188 Sacksofsky leitet die Konzeption des Dominierungsverbotes aus der Funktion besonderer Gleichheitssätze ab: Die Aufgabe der Grundrechte in der pluralistischen Gesellschaft sei es, der jeweiligen politischen Mehrheit bestimmte Gestaltungsmöglichkeiten zu verwehren. Wesentlich sei hier der Minderheitenschutz. Ein Bedürfnis für einen besonderen gleichheitsrechtlichen Schutz bestehe "nur zugunsten von Gruppen, die selbst in der politischen ,Mehrheit' nicht ausreichend vertreten"189 seien. Verfassungsrechtlicher Schutz durch besondere Gleichheitssätze komme nur solchen Gruppen zugute, die in der Geschichte diskriminiert worden seien und die noch immer unter den Wirkungen der Benachteiligung zu leiden hätten. Für die andere Gruppe, die die politische und wirtschaftliche Macht innehabe, genüge der allgemeine Gleichheitssatz als verfassungsrechtlicher Schutz, da sie ihre Interessen ohnehin politisch vertreten könne. Diese Sicht von besonderen Gleichheitssätzen wird wiederum aus der OS-amerikanischen Rechtsdiskussion abgeleitet.190 Vor diesem Hintergrund verbiete das nominierungsverbot auch nicht abstrakt und absolut bestimmte Merkmale, sondern solche Rechtsnormen, die eine geschützte Gruppe diskriminierten, zu ihrer Diskriminierung beitrügen oder ihre auf Grund hergebrachter Diskriminierung schlechtere Ausgangslage perpetuierten. So werde insbesondere auf die Auswirkungen geblickt, die eine Regelung in der gesellschaftlichen Wirklichkeit auf die geschützte Gruppe habe. Es gehe bei den besonderen Gleichheitssätzen immer um den Schutz sozialer Gruppen, die in der Gesellschaft dauerhaft Bedeutung hätten und als Gruppe immer rechtlich schiech186 Zitate bei: Sacksofsky, S. 312; vgl. auch Robbers, DÖV 1988,749 (753); Salzwedel, FS Jahrreiß, S. 339 (345). 187 Sacksofsky, S. 312 f. 188 Sacksofsky, S. 315. 189 Sacksofsky, S. 314. 190 Vgl. Sacksofsky, S. 279 ff.

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

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ter behandelt worden seien. Gerade der Bekämpfung struktureller Benachteiligungen könne ein Verbot der mittelbaren Diskriminierung daher zugute kommen. 191

dd) Regelungsbezogene und verhaltensbezogene mittelbare Diskriminierung Fuchsloch unterscheidet zwischen regelungsbezogener und verhaltensbezogener mittelbarer Differenzierung bzw. Diskriminierung je nach dem, ob die Regelungen selbst durch ihre Anknüpfungsmerkmale unterschiedlich auf die Geschlechter wirkten, oder ob die Regelungen zu Veränderungen führten, die ihrerseits auf die Geschlechter unterschiedlich wirkten. Eine regelungsbezogene mittelbare Differenzierung sei dadurch gekennzeichnet, daß eine Norm direkt durch ihre Ausgestaltung und Anknüpfungsmerkmale erheblich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts erfasse. Der Tatbestand einer solchen regelungsbezogenen mittelbaren Differenzierung sei erfüllt, wenn das Verhältnis der weiblichen Teilgruppe zur weiblichen Vergleichsgruppe erheblich größer oder erheblich kleiner sei als das Verhältnis der männlichen Teilgruppe zur männlichen Vergleichsgruppe. Im Unterschied dazu bewirkten Regelungen bei einer verhaltensbezogenen mittelbaren Differenzierung Verhaltensänderungen im Rahmen einer bestehenden Wettbewerbssituation zwischen zwei Gruppen, die nicht notwendig chancengleich sein müßten. Mit diesem Begriff werde an den steuerrechtliehen Begriff der verhaltenssteuernden Wirkung von Gesetzen im Gegensatz zu der rechtlich belastenden Wirkung von Gesetzen angeknüpft. Diese Art der Differenzierung sei empirisch schwer festzustellen. Sie sei gegeben, wenn der Anteil eines Geschlechts in der Gruppe, die ein angestrebtes Ereignis verwirkliche, zu einem Zeitpunkt, in dem die Regelung gelte, gegenüber einem anderen Zeitpunkt, in welchem die Regelung nicht gelte, abnehme oder zunehme und diese Veränderung nur auf die Regelung zurückgeführt werden könne, da keine sonstigen rechtlichen oder tatsächlichen Veränderungen erfolgten. 192

ee) Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung als "soziales Grundrecht" Schließlich läßt sich das Verbot der mittelbaren Diskriminierung auch mit dem Gedanken der sozialen Grundrechte in Beziehung setzen: Alle Instrumente faktischer Gleichstellung leiten ihre innere Rechtfertigung - meist unausgesprochen entweder direkt aus einem Förderungsauftrag des Art. 3 Abs. 2 GG oder aus dem Sozialstaatsprinzip. Dahinter steckt in beiden Fällen der Gedanke, daß der Staat nicht nur in Form von Abwehrrechten Freiheit und Gleichheit zu gewähren hat, sondern auch dafür Sorge zu tragen hat, daß die Bürger diese Rechte wirksam aus191 192

Sacksofsky, S. 190 f. Fuchsloch, S. 167 ff.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

üben können, sie nicht zu leeren Hüllen werden. Deshalb wird häufig gesagt, der Staat habe auch die Voraussetzungen für die Ausübung der Rechte herzustellen und zu bewahren. Nach Ebsen entspreche es dem auf soziale Wirklichkeit bezogenen Sinn des Sozialstaatsprinzips das Ziel der Förderung faktischer Gleichberechtigung als "Konkretisierung dieses Prinzips und als einen besonders überzeugenden Anwendungsfall sozialstaatlicher Grundrechtsinterpretation zu begreifen". 193 Demgegenüber ordnet Alexy das Prinzip der faktischen Gleichheit nicht dem Sozialstaatsprinzip zu, sondern dem allgemeinen Gleichheitssatz. Daraus folgt für ihn auch ein subjektives Recht auf Herstellung faktischer Gleichheit. Allerdings sei dieses Recht immer mit gegenläufigen Prinzipien der negativen Freiheit oder der rechtlichen Gleichheit abzuwägen. 194

b) Keine Trennung von Tatbestand und Rechtfertigung

aa) Rechtfertigungsprüfung zur Konturierung des Tatbestandes Nach Classen 195 diene die Rechtfertigungsprüfung der Eingrenzung des weiten Verbotstatbestandes. Das quantitative Argument der stärkeren Betroffenheit von Frauen reiche allein nicht, vielmehr müsse darüber hinaus ein Gesichtspunkt vorliegen, der eine spezifische Verbindung herstelle zwischen den faktischen Ungleichheiten und dem besonderen Gleichheitssatz. 196 Der EuGH lasse in seiner Rechtsprechung hierzu erkennen, daß er bei Vorliegen einer zahlenmäßigen Benachteiligung davon ausgehe, daß diese durch ein frauentypisches Merkmal bedingt sei. Deshalb erfordere eine derart verdächtige Maßnahme eine intensivere Prüfung der sie tragenden Gründe. Schon deshalb sei die Suche nach anderen Erwägungen Teil des Tatbestandes des Gleichheitssatzes. Außerdem sei bei der Anknüpfung an Art. 119 EGV die Funktion des Rechtfertigungsgrundes eine andere als im deutschen Recht. Die Rechtfertigungsprüfung im Gemeinschaftsrecht diene allein dazu, den wahren Grund einer benachteiligenden Regelung herauszufinden. Eine Rechtfertigung für ein Abweichen vom Gleichheitsgrundsatz komme nicht in Frage. 197

Ebsen, Hb d. VertR, § 8 Rn. 38. Ale.xy, S. 380 ff. 195 JZ 1996,921 ff. 196 Classen, JZ 1996, 921 (923) unter Berufung auf Hanau/Preis, ZfA 1988, 177 (188); Waas, EuR 1994, 97 (99) u. C. Blomeyer, S. 31 ff.; ab!. dagegen Zuleeg VVDStRL 53 (1994), 154 (188). 197 Classen, JZ 1996, 921 (924). 193

194

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EG V

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bb) Beweislastregel Auch Christian Blomeyer verzichtet auf eine Trennung von Tatbestand und Rechtfertigungsebene. Seiner Meinung nach stellt das Verbot der mittelbaren geschlechtsbedingten Entgeltdiskriminierung kein neues Rechtsinstitut dar, sondern - genau wie in den USA- eine Beweislastregel. 198 Die durch die Rechtsprechung des EuGH aufgestellte Tatsachenvermutung, von einer geschlechtsbedingten Diskriminierung sei auszugehen, wenn durch eine bestimmte Maßnahme überwiegend weibliche Arbeitnehmer betroffen werden, enthalte folgende Beweislastverteilung: Derjenige, der sich auf Art. 119 EGV berufe, trage nur das Risiko dafür, daß er die überwiegende nachteilige Betroffenheit eines Geschlechts auf Grund einer neutralen Maßnahme nicht beweisen könne. Hingegen müsse der Anwender der Vorschrift das Risiko tragen, daß er die vermutete Tatsache der Diskriminierung nicht widerlegen könne. Vom vermeintlichen Opfer einer Entgeltdiskriminierung müsse also nur die Vermutungsbasis der überwiegenden nachteiligen Betroffenheit eines Geschlechts vorgetragen und nachgewiesen werden. Sei dies geschehen, werde die vermutete Tatsache, Diskriminierung wegen des Geschlechts, fingiert, ohne daß es eines weiteren Beweises bedürfe. Dann sei es Sache des beklagten Verwenders einer solchen Regelung, die vermutete Tatsache zu widerlegen. 199 Hierfür genüge nicht, daß die bloße Möglichkeit eines anderen Ablaufs dargetan werde. Dies berücksichtige die Vermutungswirkung bereits. Kriterien für eine erfolgreiche Widerlegung seien das "wirkliche Bedürfnis" des Verwenders für die Maßnahme, die Geeignetheit und die ErforderlichkeiL 200 Mit der Vermutungsregel ist nach dieser Ansicht auch eine Beweiserleichterung für denjenigen, der sich auf Art. 119 EGV beruft, verbunden. Das Schwergewicht der Prüfung, ob eine verbotene Diskriminierung wegen des Geschlechts vorliege, bilde die Rechtfertigung durch den Verwender. Wenn diese erfolgreich sei, führe dies nicht etwa zu einer gerechtfertigten Diskriminierung, sondern schließe den Tatbestand des Art. 119 EGV gänzlich aus.201 Diese Sichtweise beinhalte darüber hinaus noch zwei Vereinfachungen im tatbestandliehen Aufbau. Einmal gestalte sich die Vergleichsgruppenbildung sehr viel einfacher als in der Rechtsprechung des BAG. Die Vermutung einer geschlechtsbedingten Diskriminierung entstehe, wenn in der benachteiligten Gruppe die weiblichen Arbeitnehmer und in der begünstigten die männlichen Arbeitnehmer überwögen. Zum andem entfielen Kausalitäts- und Zurechnungsprobleme, da der Geschlechtsbezug einer Maßnahme auf Grund der diskriminierenden Auswirkung vermutet werde. 202 198 199 200

201 202

C. Blomeyer, S. 117 ff. C. Blomeyer, S. 124. C. Blomeyer, S. 125. C. Blomeyer, S. 127. C. Blomeyer, S. 127 f.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

c) Versuch einer Systematisierung

Verschiedene Fonnen der Gleichberechtigung und Gleichstellung lassen sich unterscheiden. Fraglich ist, wie das Verbot der mittelbaren Diskriminierung hier einzuordnen ist. Auf der einen Seite stehen die Gebote rechtlicher Gleichberechtigung und Chancengleichheit, die umgesetzt werden durch Differenzierungsverbote. Danach ist es dem Staat verboten, Ungleichbehandlungen an bestimmte Kriterien zu knüpfen, z. B. das Geschlecht als Unterscheidungskriterium für eine Benachteiligung oder Bevorzugung zu wählen. Auf der anderen Seite lassen sich alle Instrumente, die das Ziel sog. faktischer Gleichberechtigung im Hinblick auf eine Gleichstellung der Geschlechter verfolgen, zusammenfassen. Hierzu zählen alle einseitigen Bevorzugungen von Frauen, wie sie bereits gegeben sind, wenn z. B. bestimmte (staatliche) Fortbildungsprogramme nur Frauen offenstehen. Unter den einzelnen Instrumenten bestehen Abstufungen, je nach dem wie weit sie sich vom Gebot rechtlicher Gleichberechtigung entfernen und eine faktische Gleichstellung verwirklichen wollen. 203 Bei ihnen ist nur die Wirkungsweise unterschiedlich, das Ziel aber dasselbe. Denn sowohl das Verbot der mittelbaren Diskriminierung (oder Benachteiligungsverbot, Dominierungsverbot) als auch die Quotenregelung wollen bisherige Schlechterstellungen der Frau kompensieren, indem sie an faktische gesellschaftliche Ungleichheiten anknüpfen. Gemeinsam ist allen Instrumenten der Gleichstellung der Blick auf "die Frauen" als Gruppe, nicht mehr auf die einzelne Frau. Um eine Unterrepräsentanz in bestimmten Positionen oder Ämtern oder eine nachteilige Betroffenheit durch bestimmte Regelungen, die Frauen häufiger erfüllen als Männer, feststellen zu können, müssen die Frauen insgesamt oder eine Teilgruppe von ihnen betrachtet werden. Gerade das Verbot der mittelbaren Diskriminierung ist ohne diesen Gruppenbezug nicht denkbar. Auch der Ansatz Blomeyers, im Verbot der mittelbaren Diskriminierung eine Beweislastregel zu erblicken, der vordergrundig viel für sich hat, kommt nicht ohne diesen Gruppenbezug aus. Die Beweislastregel alleine erfaßt die Rechtsfigur nicht zur Gänze. Der aufgezeigte Gruppenbezug ist jedoch der entscheidende Punkt, mit dem vor allem das Verbot der mittelbaren Diskriminierung steht und fällt. Oder umgekehrt gesprochen: Das Problem der mittelbaren Diskriminierung ist über den statistisch hergestellten Gruppenbezug konstruiert, ohne diesen Bezug existierte es nicht. Also ist eine ganz wesentliche Frage, ob dieser Gruppenbezug zulässig ist.

203 Nach Ebsen, Hb d. VertR, § 8 Rn. 31, ließe sich eine Reihe bilden vom Verbot faktischer Benachteiligungen über die Gewährleistung von Frauenförderung als Staatsziel bis hin zur Rechtfertigung kompensierender Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts.

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

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Soll eine Gruppe vom Recht wahrgenommen werden, Interessen artikulieren und Rechte innehaben können, muß sie eine Struktur und eine Organisation aufweisen, die sie über die Summe der Einzelinteressen ihrer Mitglieder heraushebt. Denn die Gruppe ist nur ein gedankliches und abstraktes Wesen. Lediglich der einzelne ist real und konkret.204 Die Gruppe der Frauen besitzt keine Struktur oder Organisation; sie ist als soziale Gruppe viel zu inhomogen, als daß es eine von den einzelnen Frauen gelöste Gruppenexistenz geben könnte. Bekanntlich rührt die Gruppenbetrachtung - wie überhaupt der gesamte Fragenkomplex der Frauenförderung einschließlich des Verbots mittelbarer Diskriminierung - von der Diskussion in den Vereinigten Staaten um "affirmative action" zugunsten der Afro-Amerikaner (Farbigen). Dort werden die Farbigen als Klasse oder Gruppe begriffen, weil sie von anderen und von ihren eigenen Angehörigen als solche identifiziert wird. Nicht zuletzt ist die Gruppe der Farbigen erst durch die langanhaltende historische Schlechterstellung und Unterdrückung konstituiert worden. In der Diskussion zum deutschen Recht ist hinsichtlich der Frauen oft der Vergleich mit der Gruppe der Farbigen gezogen worden. Der Geschlechtsunterschied begründe genauso wie eine andere Hautfarbe eine abgrenzbare soziale Gruppe mit einem "gemeinsamen Sozialschicksal", weshalb die faktische Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtergruppen ein "selbständiges Gerechtigkeitserfordemis" sei. 205 Sollen tatsächlich die Frauen als Gruppe wahrgenommen werden, müßten sie dieses gemeinsame, von historischer Unterdrückung geprägte Sozialschicksal aufweisen, das eine besondere Gruppenidentität bewirkt und ein starkes Verbundenheits- oder Solidaritätsgefühl unter den Gruppenmitgliedern begründet. Das wird sich jedoch nur bei gesellschaftlichen Gruppen annehmen lassen, die einen geschlossenen Charakter aufweisen, räumlich sowie zahlenmäßig eng umgrenzt sind und sich streng gegen andere Gruppen abgrenzen. 206 Doch lassen sich "die Frauen" nicht mit "den Farbigen" vergleichen. Im Gegensatz zu den Farbigen bilden Frauen keine homogene Gruppe mit gemeinsamem Sozialschicksal. Zu unterschiedlich sind ihre Interessen, politischen, weltanschaulichen und religiösen Ansichten, ihre Lebensstile und Berufe sowie ihr jeweiliges familiäres, gesellschaftliches, regionales und kulturelles Herkommen. Das Unrecht der historischen Diskriminierung erreicht bei ihnen auch nicht die Qualität wie bei den amerikanischen Sklaven und deren Nachfahren. All diese Umstände deuten auf die Betonung des Individuellen -im Gegensatz zur Herausbildung von Gruppenbindungen und Gruppeninteressen. Die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland wie auch aller anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist nicht in geschlechtsspezifische Gruppen aufgeteilt, die sich antagonistisch gegenüberstehen und deren Mitglieder durch die Geschlechtszugehörigkeit so stark geprägt sind, daß dahinter alle anderen Bindungen beispielsweise landsmannschaftlicher oder beruflicher oder weltanschaulicher Art zurücktreten.207 204 205 206

Vgl. Karpen, JA 1985, 562 (568); Huster, AöR 118 (1993), 109 (124). Slupik, S. 95. Vgl. Huster, AöR ll8 (1993), 109 (127).

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Im übrigen muß sogar Sacksofsky eingestehen, daß es eine absolute Symmetrie zwischen verschiedenen Gruppen nicht geben könne. 208 Offensichtlich ist also die absolute Gleichheit zwischen verschiedenen Gruppen nicht zu erreichen. Aus dieser gleichermaßen überraschenden wie bezeichnenden Einsicht werden die sich aufdrängenden Konsequenzen nicht gezogen. Die sich anschließende Frage, ob absolute Gleichheit dann überhaupt durch ein Dominierungsverbot hergestellt werden kann, stellt sie ebensowenig wie die weiteren Fragen, welche Unterschiede bestehen bleiben sollen und nach welchen Kriterien noch Differenzierungen vorgenommen werden dürfen. Es wäre erstrebenswert, hierauf eine Antwort zu geben, soll dem Ansatz Sacksofskys der Vorwurf der Beliebigkeit bezüglich der Herstellung von Gleichheit erspart bleiben. Desweiteren müssen sich die Verfechter dieser Gruppenbetrachtung entgegenhalten lassen, daß sie Schwierigkeiten haben, zwischen dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung und der Herstellung von Gruppenparität abzugrenzen, bei der die Eigenschaft des Geschlechts für die Bestimmung von Gruppenparität konstituierend wirkt, immer vorausgesetzt, man folgt ihrem Ansatz, das Verbot der mittelbaren Diskriminierung habe keinen frauenfördernden Charakter.209 Besonders Quotenregelungen tendieren in diese Richtung. Die Ausflucht, auch beim Ziel der Herstellung faktischer Gleichberechtigung ginge es nur um Beseitigung von Diskriminierungen, insbesondere wenn sie das Ergebnis von Rollenzuschreibungen oder anderer Mechanismen seien, die Frauen tatsächlich treffen210, greift zu kurz. Beiden Sichtweisen geht es um Beseitigung von Diskriminierung, beiden geht es aber auch um Herstellung tatsächlicher Gleichheit, um Gleichheit im Ergebnis. Allenfalls im Niveau dieses Ergebnisses mögen am Ende Unterschiede feststellbar sein. Das Ziel der Emanzipation und der Gleichberechtigung der Frau wäre tatsächlich verfehlt211 , wenn die Eigenschaft des Geschlechts auf lange Sicht im gesellschaftlichen Leben nicht an Bedeutung verlöre, sondern konstituierend bliebe für eine möglichst gleichmäßige Besetzung von beruflichen Positionen und Ämtern im öffentlichen Leben. Dieser Einwand gilt eben nicht nur gegen den Geschlechterproporz, sondern gegen alle Formen der faktischen Gleichstellung. An Gruppen orientiertes Proporzdenken betont die Differenz, während die Gleichberechtigung, verstanden als Gewährung gleicher Rechte und gleicher Chancen Trennendes zu überwinden verrnag.212

207

Ausführlich Huster, AöR 118 ( 1993), 109 (128 f.).

2os Sacksofsky, S. 313 (Anm. 36). 209 Slupik, S. 85 ff. spricht von einem Gleichgewicht im gesellschaftlichen Kräfteverhältnis zwischen den Geschlechtern. 210 Ebsen, Hb d. VerfR, § 8 Rn. 33. 211 Um einen Einwand Ebsens, a. a. 0 ., gegen den paritätischen Geschlechterproporz nach Slupik aufzugreifen. 212 Vgl. Zöllner, FS Strasser, S. 223 (227).

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

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Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung will nachteilige Folgen von Normen oder Maßnahmen beseitigen, die zwar nicht unmittelbar an das Geschlecht anknüpfen, die aber typischerweise bei Frauen häufiger auftreten als bei Männern. Insofern läßt sich dieses Instrument abwehrrechtlich verstehen; es ist grundsätzlich auf staatliches oder arbeitgeberseitiges Unterlassen gerichtet. Dennoch ist die Parallele zum Abwehrrecht z. B. aus Art. 3 Abs. 1 GG nur eine scheinbare. Das subjektive Recht aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ist nämlich "auf Unterlassung(en) rechtswidriger Störungen der Rechtsgleichheit gerichtet" 213. Keineswegs erschöpft sich das Verbot der mittelbaren Diskriminierung immer in einem UnterJassen. Häufig wird die Gleichbehandlung, genauer Gleichstellung mit Männern begehrt, also ein positives Tun verlangt, als Reflex aus der bisherigen faktischen Benachteiligung. Bei Art. 3 Abs. 3 GG genügt das Unterlassen der Anknüpfung an das Geschlecht, um das Normprogramm des Differenzierungsverbotes zu erfüllen und somit der Unterlassungspflicht zu genügen. Letztlich ist dies aber eine Frage der Rechtsfolge. Auch hierin liegt ein Indiz für den frauenfördernden Charakter des Verbots der mittelbaren Diskriminierung. Als weitere Instrumente zur Herstellung der faktischen Gleichstellung von Frau und Mann werden diskutiert die objektiv-rechtliche Dimension des Art. 3 Abs. 2 GG (a.F.) unter dem Stichwort Förderungsauftrag und alle fördernden Maßnahmen, die nur Frauen zugute kommen und damit notwendig in die grundrechtliche Stellung des Mannes eingreifen. Zur letzten Gruppe gehören nicht nur Quoten, sondern auch beispielsweise Fortbildungsveranstaltungen, die sich ausschließlich an Frauen richten. Beim Verbot der mittelbaren Diskriminierung werden die ungleichen Verteilungen zum Ausgangspunkt genommen, um Normen oder Praktiken zu beseitigen oder anzupassen, die diese Ungleichgewichte verursachen oder ausnutzen. Die Quote wirkt anders; sie will faktische Defizite in der statistischen Verteilung von Positionen durch Anheben der Zahl von beschäftigten Frauen, bis ein gewisser Prozentsatz erreicht ist, beseitigen. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung und das Instrument der Frauenförderung durch Quotenregelung haben eine vergleichbare Zielsetzung, weisen auf der anderen Seite Unterschiede auf. In die Rechtsstellung des einzelnen Mannes wird anders als bei der Quotenregelung nicht schon immer dann unmittelbar eingegriffen, wenn ausschließlich Normen zur Disposition stehen, die sich auf eine vorhandene Rechtsstellung beziehen, also z. B. nur bestimmte Modalitäten des Arbeitsverhältnisses im Blick haben. Doch wird auch da der Mann gegenüber der Frau nicht nur faktisch zurückgesetzt, weil er sich nicht auf das Verbot der mittelbaren Diskriminierung berufen und die Verbesserung der Rechtsstellung nicht auf diesem Wege begehren kann. Hierin liegt auch eine unmittelbare Differenzierung wegen des Geschlechts. Hingegen wird von vornherein unmittelbar in seine Rechtsstellung eingegriffen, wenn Beurteilungskriterien für Einstellung und Beförm Leibholz, S. 235; Alexy, S. 389.

222

3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

derung auf dem Prüfstand stehen. Sollte sich hierbei eine diskriminierende Auswirkung erweisen in dem Sinn, daß mehr Männer als Frauen diese erfüllen können, würden im Anschluß mehr Frauen statt Männer bei Einstellung und Beförderung berücksichtigt. Die Parallele zur Quotenregelung ist auffallig. Quotenregelungen benachteiligen aber nicht nur unmittelbar Männer, sondern als Folgewirkung auch Frauen, die Ehefrauen, der zurückgesetzten Männer, die zugunsten der Familie auf eine eigene Berufstätigkeit verzichtet haben. 214 Hergebrachte Strukturen und Denkmuster in den Köpfen lassen sich weder durch das Verbot der mittelbaren Diskriminierung noch durch eine Bevorzugungsregel für Frauen wirksam abbauen. Gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung- dogmatisch konstruiert über die Herstellung einer ausgewogenen Verteilung der Geschlechtergruppen - spricht insgesamt der Umstand, daß die "Parität von Gruppen kein Wert an sich"215 ist. Nach der Grundrechtsordnung des Grundgesetzes und ebenso des EG-Rechts ist dies nur das Postulat der Gerechtigkeit, konkretisiert zwischen Männem und Frauen als Gleichberechtigung in Form der Chancengleichheit. Ist die Chancengleichheit unter Individuen verwirklicht, hat der Gleichberechtigungssatz seine erste und vorrangige Funktion erfüllt; die weitere bestünde dann darin, die Chancengleichheit für die Zukunft aufrecht zu erhalten. Wenn dennoch eine Unterrepäsentation von Frauen wegen früherer unmittelbarer Benachteiligungen festzustellen ist, hat dies auf die Rechte und Rechtsverhältnisse der jetzt lebenden Männer und Frauen keinen Einfluß. Denn alle jetzt lebenden Individuen haben einen Anspruch auf Gleichbehandlung und Chancengleichheit, der unabhängig ist von den Anschauungen und Praktiken vergangener Zeiten. 216

d) Konsequenzen aus der Kritik am herkömmlichen Verständnis des Verbots der mittelbaren Diskriminierung

Ziel der Untersuchung ist es nicht, den bereits vorhandenen Sichtweisen der mittelbaren Diskriminierung eine weitere Variante hinzuzufügen. Vielmehr soll die rechtliche und tatsächliche Problematik aufgezeigt werden. Der hier zur Untersuchung gestellte Fall zeigt bereits die ganze Fragwürdigkeit der Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung: Über die Berufung auf das Verbot der mittelbaren Diskriminierung erhält ein weibliches teilzeitbeschäftigtes Betriebsratsmitglied den ganzen Schulungstag bezahlt wie jedes vollzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglied. 214 Hoftrumn, FamRZ 1995,257 (262, Anm. 47); Wiegmann, in: Battis/Schulz, S. 43 ff.; Ebsen, Hb d. VerfR, § 8 Rn. 13. Dazu näher unten 3. Kap. B IV 3 b. 215 Huster; AöR 118 (1993), 109 (125). 216 Diese Überlegung stellt nicht nur- wie bei Huster; AöR 118 (1993), 109 (125)- einen

Einwand gegen Quotenregelungen dar, sondern wegen des konstitutiven Gruppenbezugs des Verbots mittelbarer Diskriminierung auch gegen diese Rechtsfigur.

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

223

Ein männliches teilzeitbeschäftigtes Betriebsratsmitglied kann sich jedoch nach der herrschenden Ansicht nicht auf das ausschließlich Frauen vorbehaltene Institut des Verbots der mittelbaren Benachteiligung stützen, schon gar nicht wenn es um Teilzeitbeschäftigung geht, die eben typischerweise Frauenarbeit ist. 217 Er erhält also weiterhin nur den Lohn, den er erhalten hätte, wenn er im Betrieb gearbeitet hätte. Dies bedeutet, daß er unmittelbar wegen seines Geschlechts für dieselbe Tatigkeit der Teilnahme an der Schulungsveranstaltung weniger Lohn bekommt als eine Frau. Der Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts ist damit erfüllt. Im Ergebnis bedeutet dies, daß das Verbot der mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts als ein Instrument der Frauenförderung eingeordnet werden kann. Sachgerecht ist es deshalb, bei Differenzierungen zwischen Teilzeit- und Vollzeitarbeit nicht an die Auswirkungen auf die Geschlechter anzuknüpfen, sondern direkt an die vorgenommene Differenzierung und diese einer Prüfung anhand von Art. 3 Abs. 1 GG oder im Fall der Teilzeit § 2 Abs. 1 BeschFG zu unterziehen. Hieran wird deutlich, daß das vorliegende Problem des Rechtsstreits "Bötel" kein Fall für den EuGH war, sondern ein rein innerstaatlicher Sachverhalt, der nach nationalem Recht von einem deutschen Gericht zu entscheiden war. Der zweite Hauptanwendungsbereich des Verbots mittelbarer Diskriminierung, Einstellung und beruflicher Aufstieg, läßt sich ebenfalls ohne Rückgriff auf ein besonderes Rechtsinstitut sachgerecht regeln. Verdeckt Männer begünstigende Vorzugsregeln, wie Dienstalter oder ununterbrochene Vollzeittätigkeit, dürfen nicht pauschal angewandt werden. Auch diese sind bei einer Ungleichbehandlung vor Art. 3 Abs. 1 GG zu rechtfertigen. Sämtliche Auswahlkriterien müssen sowohl in ihrer abstrakten Festsetzung als auch in ihrer Anwendung auf den Einzelfall herangezogen werden, wobei die konkrete Situation von Frauen zu berücksichtigen ist. Aus der Übernahme von Verantwortung in der Familie und besonderem sozialen Engagement können auch besondere - berufsrelevante - Qualifikationen resultieren, die entsprechend zu bewerten sind.Z 18 Auch hier gilt es, die Männer, die eine andere Rolle einnehmen und zugunsten der Familie eine Pause eingelegt haben, nicht durch ein allein Frauen begünstigendes Rechtsinstitut auszuschließen, wenn hierfür keine Notwendigkeit besteht. Erst wenn man alle Aspekte der EuGH-Rechtsprechung zusammenbetrachtet, wird das ganze Ausmaß der Rechtsschöpfung deutlich. In ihrer Summe ergeben sie die Kreation eines neuen Rechtsinstituts der Frauenförderung.

m So: LAG Harnrn, BB 1996,645. 21s

Vgl. dazu Köbl, FS Kissel, S. 521 (539); 2. GleichberG, BR-Drs. 301/93, S. 82 f.

224

3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

3. Auslegung des Art. 119 EGV hinsichtlich des Verbots mittelbarer Benachteiligung

Auffällig ist, daß weder der EuGH noch die Literatur sich der Frage zuwenden, auf welchem methodischen Weg das Verbot der mittelbaren Diskriminierung aus Art. 119 EGV abgeleitet werden kann. Wenn überhaupt eine Stellungnahme hierzu erfolgt, wird kurz auf die grundsätzliche Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes von Mann und Frau hingewiesen und eine erweiternde Auslegung des Art. 119 EGV um seiner Effektivität willen angenommen.219 Da der Begriff der mittelbaren Diskriminierung nicht "im Schoß einer kontinental-europäischen Rechtsordnung"220 entstanden ist, sondern aus dem amerikanischen und britischen Recht durch das EG-Recht in andere Mitgliedstaaten "transplantiert" worden ist, könnte zweifelhaft sein, ob er einfach durch Auslegung von Art. 119 EGV bzw. Art. 3 GG zu gewinnen ist oder ob es sich nicht um einen Akt der Rechtsetzung handelt. 221 Nach Ansicht des BAG ist die mittelbare Diskriminierung schon immer Bestandteil von Art. 3 GG gewesen; folglich geht es nicht um Setzung von Richterrecht bzw. Rechtsfortbildung.222 Ähnlich argumentiert eine Vielzahl von Stimmen in der Literatur. Es handele sich mehr um eine juristische Entdeckung denn um eine originäre Schöpfung der Gerichte. Das Verbot sei nötig, wolle das Recht nicht an der gesellschaftlichen Wirklichkeit vorbeiexistieren.223 Art. 119 EGV muß mit den klassischen Auslegungsmethoden des EG-Rechts daraufhin überprüft werden, ob er ein Verbot der mittelbaren Frauendiskriminierung - und wenn ja mit welchen Tatbestandsmerkmalen - enthält. Denn durch eine schlichte Deduktion aus dem Begriff der "Diskriminierung" läßt sich das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nicht gewinnen.

a) Wortlaut

Der Wortlaut spricht von gleichem Entgelt für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit. Die Formen der Ungleichbehandlung werden nicht genannt, anders als in der Richtlinie 75 I 117 /EWG, in der jede Diskriminierung verboten ist, und in der Richtlinie 76/207 /EWG, die die mittelbare neben der unmittelbaren Diskriminierung explizit erwähnt. Der Inhalt der Richtlinien kann aber nicht in Art. 119 EGV So Fuchsloch, S. 52. Kyriazis, S. 109. 221 Hier ohne Problembewußtsein: Kirsten, RdA 1990, 282 (285). 222 BAG, AP Nr. 8 zu§ 1 BetrAVG- Gleichberechtigung-= NZA 1991,635 (637). 223 So explizit: Hanau/Preis, ZfA 1988, 177 (182); vgl. Griebeling, RdA 1992, 373 (374); Fuchs/ Bieback, NKES, Art. 119, Rn. 37: traditionell wesentlicher Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnungen und des gemeinschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes. 219

220

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

225

hereingelesen werden, da die Richtlinien als Sekundärrecht generell nicht den Vertrag als Primärrecht ergänzen oder ändern können. Dies beruht auf der Normenhierarchie und dem unterschiedlichen Rechtsetzungsverfahren zwischen den Rechtsquellen. Mit der Garantie des gleichen Entgelts ist aber noch nicht eine Ergebnisgleichheit224 verbunden, aus der das Verbot auch der mittelbaren Diskriminierung folgt. Der Terminus gleiches Entgelt ist insoweit nicht zwingend. In erster Linie bedeutet er die Festlegung auf Gleichbehandlung hinsichtlich des Lohnes, aus der allein das Ergebnis gleiches Entgelt fließen soll. Entscheidend ist die Anknüpfung an das Geschlecht in Art. 119 EGV, die belegt, daß das Unterscheidungsverbot hinsichtlich des Lohnes ein unmittelbares sein soll. Art. 119 EGV zeichnet sich gerade dadurch aus, daß er Unterscheidungen nach dem Geschlecht verbietet. Bei neutralen Regelungen wird aber gerade nicht nach dem Geschlecht als dem verpönten Merkmal differenziert. Vielmehr wird dieses Kriterium substituiert durch das statistische Ergebnis einer bestimmten Maßnahme unter Anknüpfung an das Merkmal "Geschlechtsrolle", welches das eigentliche Differenzierungskriterium des Art. 119 EGV ersetzen soll. Zeigt sich beim Blick auf das Resultat, daß wesentlich mehr Frauen als Männer betroffen sind, soll die Maßnahme gleichwohl als Ungleichbehandlung anzusehen sein. Vom Wortlaut des Art. 119 EGV ist dieser Schluß nicht gedeckt. Denn das EG-rechtliche Gleichberechtigungsgebot enthält das Kriterium "Geschlechtsrolle" nicht. Folglich dürfen im Rahmen des Art. 119 EGV nur vollzeitbeschäftigte Männer mit vollzeitbeschäftigten Frauen und teilzeitbeschäftigte Männer mit teilzeitbeschäftigten Frauen verglichen werden. Unzulässig ist ein Vergleich zwischen vollzeitbeschäftigten Männem und teilzeitbeschäftigten Frauen, da die beiden Gruppen keine gleiche Arbeit leisten. Der Vergleich ist nur insoweit möglich, als festgestellt werden soll, daß Teilzeitkräfte proportional, gemessen an ihrer Stundenzahl, den gleichen Lohn wie Vollzeitkräfte erhalten. Hierfür bedarf es aber nicht eines neuen Rechtsinstituts. Auch die durch den Vertrag von Amsterdam vorgenommenen Ergänzungen des Lohngleichheitsartikels (Absätze 3 und 4 des neuen Art. 141 EGV) geben keinen Hinweis auf das Verbot der mittelbaren Diskriminierung.

b) Entstehungsgeschichte

Die Betrachtung des historischen Hintergrundes zu Art. 119 EGV225 zeigt, daß die vertragschließenden Staaten an das Phänomen der mittelbaren Diskriminierung nicht gedacht und es deshalb nicht eigens in den einschlägigen Gleichbehandlungsartikeln genannt haben. Das Ziel der Einfügung einer Bestimmung zur Lohngleichheit war eher wettbewerbspolitischer denn sozialpolitischer Natur (Vgl. dazu be224

225

Fuchs/Bieback, NKES, Art. ll9, Rn. 37. Ausführlich bei C. Blomeyer, S. 103 ff. m. w. N.

15 Traupe

226

3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

reits oben 2. Kap. A II 1). Rückschlüsse auf die Verankerung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung lassen sich also auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift nicht ziehen. c) Systematik

Durch die systematische Auslegung ist der Sinn einer Norm aus ihrer Stellung im Vertrag heraus zu ermitteln. Dabei greift der Gerichtshof nicht selten auf eine Reihe allgemeiner Grundsätze in den Verträgen zuriick. 226 Bereits der Vergleich mit anderen Diskriminierungsvorschriften, wie er oben durchgeführt worden ist, hat ergeben, daß sich diese Vorschriften auf ein Verbot unmittelbarer Diskriminierungen in Form offener und versteckter Ungleichbehandlungen beschränken. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung, das ausschließlich auf Statistiken abhebt und eine Diskriminierungsabsicht nicht fordert, enthalten sie nicht. Weiterhin zeigt eine vergleichende Betrachtung der Richtlinien, in denen die mittelbare Diskriminierung erwähnt wird, daß Art. 119 EGV ein solches Verbot nicht beinhaltet. Ansonsten hätte der EG-Gesetzgeber nicht das Bedürfnis gesehen, das Verbot mittelbarer Beeinträchtigung wenigstens in den sozialpolitischen Richtlinien seit Ende der 70er Jahre zu verankern. Zwar kann man angesichts der historischen Auslegung noch die Frage aufwerfen, ob es sich tatsächlich um ein "beredtes Schweigen" handelt, da bei Schaffung des Vertrages niemand an das Problem gedacht habt. Doch greift dieses Argument zu kurz. Denn in der Folgezeit wäre genügend Zeit und auch Gelegenheit gewesen, bei Vertragsänderungen wie der EEA 1986, dem Maastrichter Vertrag 1991 oder dem Amsterdamer Vertrag von 1997 das Verbot ausdriicklich in Art. 119 EGV zu verankern. 227 Auch die systematische Auslegung vermag deshalb die These nicht zu stützen, der zufolge Art. 119 EGV auch das Verbot der mittelbaren Diskriminierung enthalte. d) Sinn und Zweck

Wichtigster Auslegungsgesichtspunkt ist der der Teleologie. Der EuGH rekurriert hier stets auf den Grundsatz des effet utile228 , wonach eine Vorschrift so ausVgl. Oppermann, Rn. 581. Durch den Vertrag von Amsterdarn ist folgender Absatz 4 an Art. 119 EGV (jetzt Art. 141) angefügt worden: Im Hinblick auf die effektive Gewährleistung der vollen Gleichstellung von Männem und Frauen im Arbeitsleben hindert der Grundsatz der Gleichbehandlung einen Mitgliedstaat nicht daran, zur Erleichterung der Berufstätigkeit des unterrepräsentierten Geschlechts oder zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn spezifische Vergünstigungen beizubehalten oder zu beschließen. 22s Seit EuGH, 16. 07. 1956, Rs. 8/55 (Federation charbonniere de Belgique/Hohe Behörde), Slg. 1955 I 56, 197 (312). 226 227

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

227

zulegen ist, daß ihr größtmögliche Wirksamkeit zukommt. Dieses Auslegungsprinzip stammt aus dem Volkerrecht229 und wird meist zusammen mit der Lehre von den implied powers, den mitgeschriebenen Kompetenzen, genannt. Das Prinzip bezieht sich auf eine materielle Rechtsvorschrift und hat die Funktion, diese in ihrem (vertraglich) vorausgesetzten Geltungsanspruch voll zu entfalten. Ziel des EuGH bei "Einführung" der mittelbaren Diskriminierung war es erklärtermaßen, den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 119 EGV "effektiv" durchzusetzen gerade vor dem Hintergrund der besonderen Bedeutung des Grundsatzes der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Folglich stützte sich diese Vorgehensweise auf die sog. dynamische Auslegung von Vertragsvorschriften, die in besonderem Maße der Integration der Gemeinschaft dient. In der Tat erscheint es zur Durchsetzung der praktischen Wirksamkeit des Art. 119 EGV durchaus angängig, nicht nur unmittelbare Unterscheidungen einzubeziehen, sondern auch solche, die neutral gefaßt sind, sich aber statistisch unterschiedlich auf die Geschlechter auswirken. Fraglich ist jedoch, ob zum einen die Grenzen dieser Auslegungsfigur beachtet sind, und zum anderen, ob die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips in Art. 3b Abs. 2 EGV den Grundsatz des effet utile nicht eingeschränkt hat. Nicht jedes Ergebnis, das auf den ersten Blick eine praktisch wirksame Vervollkommnung geltenden Rechts und einen opportunen Fortschritt für die gemeinschaftsrechtliche Integration bietet, läßt sich mit dem Auslegungsgrundsatz der Durchsetzung der vollen praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts begründen. Denn dieses Auslegungsprinzip kann nicht mehr als bestehende Zweifel beseitigen helfen, die nach Anwendung anderer Prinzipien der Auslegung verblieben sind. Haben insbesondere der Wortlaut und der systematische Zusammenhang keinen Aufschluß gegeben und sind danach mehrere Auslegungsvarianten möglich, ist nach Anwendung des effet utile-Prinzips derjenigen Variante der Vorzug zu geben, die den Regelungserfolg und die Ziele der Gesamtregelung am wirkungsvollsten zum Tragen bringt. In der Entscheidung über die dann wirkungsvollste Variante manifestiert sich der Charakter des effet utile als Auslegung nach Sinn und Zweck der Vorschrift, weil für diese Entscheidung außerhalb der Norm liegende Maßstäbe zur Anwendung gelangen. 230 Also kann dieser Auslegungsgrundsatz nur Anwendung finden, wenn Zweifel verbleiben im Hinblick auf den wirklichen Willen der Vertragsparteien eines völkerrechtlichen Vertrages oder hinsichtlich des objektiven Regelungsgehalts einer Norm. 231 Deshalb ist- auch im Völkerrechtanerkannt, daß das Prinzip des effet utile nicht dazu führen darf, daß ein Auslegungsergebnis gewählt wird, das dem feststehenden Wortlaut oder Geist des Ver229

Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 780 (S. 494): ut res magis valeat quam

pereat. 230

Oppermann, Rn. 582; Olbertz, StVj 1992, 37 (40 ff.); Comils, S. 174.

Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 333; Bydlinski, Methodenlehre, S. 378 ff., 553 ff., bezüglich des Methodenkonflikts und der Rangfrage bei einander widersprechenden Auslegungsergebnissen nach Anwendung verschiedener Auslegungsmethoden. 231

15*

228

3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

trages widerspricht. 232 Der Vorrang der teleologischen Auslegung vor der Wortlaut- und Systematikauslegung darf nicht dazu führen, daß die äußerste Grenze des Wortlauts überschritten wird. Denn sie ist eine wichtige Garantie für die Individualgrundrechte und die Souveränität der Mitgliedstaaten: Je tiefer eine Gemeinschaftsmaßnahme in Grundrechte der einzelnen oder die Souveränität der Mitgliedstaaten eingreift, desto klarer und präziser muß bereits der Wortlaut der Norm einen solchen Eingriff gestatten. 233 Der entgegenstehende Wortlaut einer Norm kann also durch den Effektivitätsgrundsatz nicht überspielt werden. Volle Wirksamkeit kommt einer Norm zu, wenn sich ihr Rechtsfolgebewirkungsanspruch unter idealen rechtlichen und tatsächlichen Geltungsbedingungen entfalten kann. 234 Der Wortlaut des Art. 119 EGV beläßt keinen Zweifel. Ausdrücklich spricht er von gleichem Lohn für Mann und Frau und hat damit Regelungen im Blick, die mit Bezug zum Lohn ausdrücklich nach dem Geschlecht differenzieren. Der Grundsatz des effet utile läßt sich in diesem Zusammenhang folgendermaßen zur Anwendung bringen: Wenn Normen eine versteckte Differenzierung nach dem Geschlecht enthalten, indem sie an ein Ersatzkriterium anknüpfen, wäre die größtmögliche Wirkung des Diskriminierungsverbots wegen des Geschlechts gestört, ließen sie sich nicht auch unter Art. 119 EGV subsumieren. Denn der Sinn und Zweck einer Vorschrift gebietet es, nicht nur ihre unmittelbare Anwendbarkeit zu sichern, sondern auch dafür Sorge zu tragen, daß sie nicht ihrer Wirkung durch einfache Umgehung beraubt wird. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung hat dagegen eine andere Intention, deren Verwirklichung eine Überwindung des Wortlauts in zweifacher Hinsicht bedeuten würde. Zwar ist der versteckten Diskriminierung und der mittelbaren Diskriminierung die Anknüpfung an ein geschlechtsneutrales Merkmal gemeinsam, doch zielt das Verbot der mittelbaren Diskriminierung auf Beseitigung solcher Normen, die sich nur geschlechtsspezifisch auswirken, von denen also auch Männer nachteilig betroffen werden können, während im Fall der versteckten Diskriminierung tatsächlich nur Frauen betroffen sind. Beim Verbot der mittelbaren Diskriminierung wird auch im Ergebnis nicht trennscharf zwischen der nachteiligen Auswirkung auf Frauen und der begünstigenden auf Männer unterschieden. Rechtsfolge des Art. 119 EGV ist nämlich die Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Dies gebietet aber zu ihrer praktischen Wirksamkeit keineswegs auch die Gleichbehandlung von beispielsweise Vollzeit- und Teilzeitkräften. Zum anderen beschränkt sich der Wortlaut des Art. 119 EGV auf den Lohn als Regelungsgegenstand, sonstige Arbeitsbedingungen sind nicht erwähnt. Ihre Einbeziehung in die Vorschrift ist äußerst zweifelhaft. Nicht von ungefähr sah sich der europäische Gesetzgeber veranlaßt, für diese Bereiche durch Richtlinien eigene Nichtdiskriminierungsvorgaben zu machen. Dennoch bezieht der Gerichtshof das 232 Vgl. StiGH, Recueil des Avis Consultatifs 1923, Series A, No. I - S.S. Wimbledon, S. 24 f. ; IGH, Gutachten v. 18. 07. 1950, Interpretation des traites de paix conclus avec Ia Bulgarie, Ia Hongrie et Ia Roumanie, Recueil (ICJ Reports) 1950, S. 229. Comils, S. 174. 233 Darauf weist Bleckmann I Bleckmann, Rn. 548, zu recht hin. 234 Comils, S. 175.

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

229

Verbot der mittelbaren Diskriminierung auch auf Bereiche wie Einstellung und Beförderung und geht damit in einem weiteren Punkt über den eindeutigen Wortlaut hinaus. Dies bedeutet, daß das Verbot der mittelbaren Diskriminierung eine neue Rechtsregel darstellt, die den Wortlaut des Art. 119 EGV verlassen hat und partiell einen anderen Sinn verfolgt. Eine weitere Grenze ergibt sich aus dem völkerrechtlichen Grundsatz in dubio mitius, nach dem Einschränkungen staatlicher Freiheit im Zweifel restriktiv interpretiert werden müssen. Beide Grundsätze sind dann miteinander in Ausgleich zu bringen.235 Auch in Anbetracht der Tatsache, daß das Gemeinschaftsrecht nicht dem Völkerrecht gleich zu erachten ist, darf es doch nicht soweit kommen, daß die effet utile-Regel zu Lasten anderer Auslegungsgrundsätze verabsolutiert wird. Das effet utile-Prinzip hat keine normative Bedeutung aus sich selbst heraus und folglich keine eigene legitimierende Kraft. 236 Wenn dem Art. 119 EGV das Verbot auch mittelbarer Diskriminierungen entnommen wird, muß dieser Gedanke herangezogen werden. Denn dem Staat in Gestalt des Gesetzgebers wird der Gestaltungsspielraum bei der Gesetzgebung beschnitten, indem ihm Differenzierungsmöglichkeiten durch neutrale Rechtsnormen, die nicht an das Geschlecht anknüpfen, genommen werden, die er dem Wortlaut des Art. 119 EGV zufolge hätte. Zu beachten ist, daß dies Auswirkungen haben kann auf staatliche Förderungen, wenn neutrale Fördermaßnahmen, nur deshalb ausgeschlossen sind, weil sie ganz überwiegend Frauen zugute kommen. Die Entwicklung des Rechtsinstituts der mittelbaren Diskriminierung aus Art. 119 EGV unter Berufung auf das Prinzip des effet utile läßt sich methodisch nicht durch Auslegung dieser Vorschrift herleiten. Weitergehend wird das Prinzip des effet utile auch als materieller Leitsatz des Gemeinschaftsrechts verstanden.237 Er sei ein umfassendes Prinzip, das der ,,Sicherung der Funktionsfahigkeit der Gemeinschaften" diene und dem Wesen der Integration immanent sei. Vor diesem Hintergrund ist es denkbar, daß der EuGH das Rechtsinstitut entwickelt hat, um dem Gemeinschaftsrecht insgesamt eine höhere Durchsetzungskraft zu verleihen. Doch bei Ipsen dient dieses Verständnis des effet utile-Prinzips als Begründung für den Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem innerstaatlichen Recht. Die Schöpfung eines neuen Rechtsinstituts hat aber nichts mit der Begründung des Vorrangverhältnisses zu tun, so daß auch das Verständnis des effet utile-Grundsatzes als materielles Leitprinzip der Gemeinschaft das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nicht zu legitimieren vermag.

235 StiGH, Gutachten v. 21. 11. 1925, Article 3, paragraphe 2 du traite de Lausanne ("Mossul"), Recueil des Avis Consultatifs 1925, Series B, No. 12, S. 25. 236 von Danwitz, JZ 1994, 335 (339); Isensee, HStR 111, §57, Rn. 118 für die im Verfassungsrecht vergleichbare Auslegungsmethode der Funktionsfähigkeit. 237 H.P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 10 I 40, S. 280.

230

3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

4. Rechtsfortbildung durch den EuGH

Ein weitergehendes Verständnis des Diskriminierungsverbots wie beim Verbot der mittelbaren Diskriminierung läßt sich nur erreichen, wenn man statt der Differenzierung anhand des Geschlechts eine neutrales Differenzierungskriterium genügen läßt und fordert, daß wesentlich mehr Frauen als Männer wegen ihrer Geschlechtsrolle nachteilig betroffen seien. So stellt sich die Frage, ob es der Grundsatz des effet utile einer Vertragsvorschrift gebietet, für Art. 119 EGV eine Anknüpfung an die Geschlechtsrolle zuzulassen. Da in methodischer Hinsicht die Grenzen der Auslegung überschritten sind, muß hier von Rechtsfortbildung gesprochen werden? 38

a) Abgrenzung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung

Notwendig ist zunächst eine Abgrenzung von Auslegung und Rechtsfortbildung.239 Jedes Gesetz enthält "Lücken". Kein noch so sorgfaltiger Gesetzgeber kann jeden denkbaren Fall vorhersehen und regeln. Der Richter ist deshalb zur Schließung der Gesetzeslücken aufgerufen, für die die Rechtswissenschaft eine Methodik entwickelt hat. Man spricht von gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung. Rechtsfortbildung durch den Richter erschöpft sich aber nicht allein in der Lückenfüllung. Gerichte formen nicht selten neue Rechtsgedanken, die im Gesetz allenfalls angedeutet sind. Eine derartige "gesetzesübersteigende" Rechtsfortbildung muß im Einklang mit den leitenden Prinzipien der Gesamtrechtsordnung stehen. 240 In Anlehnung an Savigny unterscheidet die deutsche Methodenlehre zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung. Nach Larenz handelt es sich dennoch lediglich um voneinander verschiedene Stufen desselben gedanklichen Verfahrens. Auf jeder Stufe der Auslegung oder Rechtsfortbildung bedient sich der Richter eines eigenen methodischen Verfahrens. Abgrenzungskriterium zwischen der Auslegung im engeren Sinn und der Rechtsfortbildung allgemein ist die Wortlautgrenze, der noch mögliche Wortsinn. 241 Eine solche Unterscheidung kennt die französische Methodenlehre nicht. Auslegung und Rechtsfortbildung sind gleichermaßen Interpretationen des Textes. Die Praxis des EuGH orientiert sich an der französischen Doktrin. Auch eine trennscharfe Abgrenzung zwischen ergänzender Rechtsfortbildung zur Schließung einer Lücke im Vertrag und Rechtsfindung oder freier Rechtsschöpfung nimmt der Gerichtshof nicht vor?42 Hinweise auf die angewandte Me238 Auch Comils, S. 145 ff., prüft unter diesem Gesichtspunkt die Einführung der Staatshaftung für nicht rechtzeitig umgesetzte Richtlinien durch den EuGH, im Francovich-Urteil (EuGH, 19. 11. 1991, verb. Rs. C-6/90 u. C-9/90 (Andrea Franeovieh u. a./ltalienische Republik), Slg. 1991, 1-5357. 239 Dazu Konzen EuZW 1995, 39 (48); BVerfG 75, 223 (241 ff.). 240 Gedankengang und Begrifflichkeit bei Larenz, Methodenlehre, S. 366. 241 Larenz, Methodenlehre, S. 366.

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

231

thode gibt der EuGH nur selten; meist definiert er in apodiktischer Form den Inhalt der Begriffe. Bestimmte Auslegungskriterien sind kaum auszumachen. Die Konkretisierung der Vertragsbegriffe erfolgt also durch Rechtsschöpfung, wobei nicht verkannt wird, daß eine inhomogene und in sich nicht geschlossene Rechtsordnung wie das Gemeinschaftsrecht einer ständigen Lückenfüllung bedarf.Z43 Erst nach und nach entsteht so ein Netz von definierten Begriffen, das wiederum für künftige Auslegungen Anhaltspunkte bietet. 244 Da der EuGH sich in seiner Rechtsprechung an den eigenen vorangegangenen Entscheidungen ausrichtet, werden Rechtsfragen auch durch die Parteien und Generalanwälte über die Auslegung der Präjudizien des EuGH weiterentwickelt. 245 Dennoch soll hier an diesem methodischen Verständnis - mit der wohl herrschenden Lehre246 - festgehalten werden, um der Darstellung eine größere Transparenz zu verleihen. Im übrigen kann diese Vorgehensweise dazu dienen, Judikate des EuGH durchschaubarer und nachvollziehbarer zu machen. In Anbetracht der Aufgabe des EuGH, das Gemeinschaftsrecht verbindlich auszulegen und anzuwenden, und angesichts der Tatsache, daß sich der EuGH dieser Aufgabe nicht entziehen darf, läßt sich zwar die Notwendigkeit einer dynamischen Interpretationsmethode einsehen, nicht aber die fehlende dogmatische Begründung. Eine solche ist umso eher erforderlich, als die Gemeinschaftsrechtsordnung per se noch eine im Werden begriffene, lückenhafte und keineswegs überall homogen gewachsene und durchgegliederte Ordnung darstellt. 247 Die von Constantinesco vorgenommene Unterscheidung zwischen Rechtsfortbildung zur Schließung von Lücken und ergänzender Rechtsfindung entspricht durchaus diesem Verständnis. Als Ergebnis der Rechtsfortbildung soll sich danach eine neuere, bessere und angepaßtere Lösung als die vorhandene ergeben. Methoden bzw. Quellen der Rechtsfortbildung sind Begriffe der nationalen Rechte und Ermittlung allgemeiner Rechtsgrundsätze durch Rechtsvergleichung. Die Rechtsfortbildung geschieht also einmal durch die seltene Verweisung auf nationale Rechtsbegriffe und Grundsätze bzw. sehr viel häufiger deren Rezeption. 248

Bevor man allerdings auf allgemeine oder gemeinsame Rechtsgrundsätze zurückgreift, stellt sich die Frage, ob ein solches Vorgehen "legitimierbar" ist. 249 Ermittelt werden die allgemeinen Rechtsgrundsätze eigentlich durch systematische Rechtsvergleichung, auch wenn die Urteile des EuGH aus methodologischer Sicht Zu diesem Befund Constantinesco, S. 807; Schweitzer!Hummer; Rn. 451. Vgl. Schweitzer!Hummer; Rn. 451. 244 Bleckmann, NJW 1982, 1177. 245 Bleckmann, NJW 1982, 1177. 246 Constantinesco, S. 808; H.P. lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 5170 ff. (S. 131 ff.); Schweitzer!Hummer; Rn. 455. 247 Vgl. Constantinesco, S. 808; Schweitzer!Hummer; Rn. 451 ff. 248 Constantinesco, S. 810 ff. 249 Dazu näher: Constantinesco, S. 813 f. 242 243

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

wiederum sehr knapp ausfallen; eingehender beschäftigen sich die Schlußanträge der Generalanwälte mit den aufgeworfenen Fragen der Rechtsvergleichung. In aller Regel begnügt sich der Gerichtshof mit dem apodiktischen Ausspruch, der oftmals nicht erkennen läßt, ob der als allgemein qualifizierte Rechtsgrundsatz allen Mitgliedstaaten gemeinsam ist. Die Bildung eines "arithmetischen Mittels" ist dabei auch gar nicht die vom EuGH angestrebte Lösung, er wählt vielmehr unter den von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten angebotenen Lösungen die im Hinblick auf die Erreichung der Ziele des Vertrages passendste und förderlichste aus.250 b) Schließung einer Lücke in Art. 119 EGV

Voraussetzung für eine vertragsimmanente Rechtsfortbildung ist das Vorhandensein einer Lücke im EG-Vertrag bezüglich der Gleichberechtigung von Mann und Frau. aa) Der tatsächliche Befund Es erscheint bereits zweifelhaft, ob in tatsächlicher Hinsicht ein Defizit in bezug auf die Ungleichbehandlung von Mann und Frau angenommen werden kann. Ausführlich ist erörtert worden, daß rechtliche Ungleichbehandlungen weitgehend abgebaut sind. Ebenso ist erläutert worden, daß für verbleibende, erst durch Statistiken aufscheinende tatsächliche Ungleichheiten ein ganzes Bündel von Faktoren in Frage kommt. Hierzu zählen sicher auch versteckte Formen der Diskriminierung durch neutral formulierte Differenzierungskriterien. Im Hinblick auf die von der mittelbaren Diskriminierung ins Auge gefaßten Bereiche Einstellung, Eingruppierung und Beförderung dürften sich Defizite in der Ausbildung entscheidend bemerkbar machen, die Frauen daran hindern, kurzfristig in berufliche Spitzenpositionen aufzusteigen. Hierbei handelt es sich um ein Manko, das abzubauen einerseits langfristig den größten Erfolg verspricht, das aber andererseits nur langsam zu beseitigen sein dürfte. Daneben kommt als weiteres Moment die freiwillige Entscheidung der Frau zum Tragen, auf eine Berufstätigkeit zugunsten der Familie zu verzichten. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist allerdings die biologische Situation von Frauen, die durch Schwangerschaft und Geburt häufiger berufliche Ausfallzeiten erleiden als Männer.

250 Schlußanträge des GA Lagrange v. 04. 06. 1962 in der Rs. 14/61 (Koninklijke Nederlandsche Hoogovens en Staalfabrieken N.V./Hohe Behörde), Slg. 1962, 559 (570 f.); Constantinesco, 817 f.

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

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bb) Der rechtliche Befund Will der EuGH Art. 119 EGV im Hinblick auf das Verbot der mittelbaren Diskriminierung fortbilden, muß das Gemeinschaftsrecht insoweit eine Lücke enthalten. In rechtlicher Hinsicht sind Ungleichbehandlungen anband des Differenzierungskriteriums Geschlecht durch Art. 119 EGV wirksam sanktioniert. Das gleiche gilt für versteckte Diskriminierungen durch neutrale Merkmale, die auf nichts anderes zielen als auf eine Geschlechtsdiskriminierung. Für dariiber hinausgehende mittelbare Diskriminierungen existiert auf den ersten Blick keine eigenständige Norm. Soweit das Verbot der mittelbaren Diskriminierung die besondere Lage der Teilzeitkräfte in den Blick nimmt, erscheint der Weg über Art. 119 EGV dennoch als ein Umweg. Naheliegender ist zum einen die Heranziehung des allgemeinen Gleichheitssatzes: Werden Teilzeitkräfte unterschiedlich behandelt, muß dies durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt weden. Es ist nicht ersichtlich, warum dies nicht als Schutz für alle Teilzeitkräfte, und nicht nur die weiblichen unter ihnen, ausreichen sollte. Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz ist Verfassungsgrundsatz in allen Mitgliedstaaten der EG und deshalb auch vom Gerichtshof in anderem Zusammenhang als ungeschriebener Grundsatz des Gemeinschaftsrechts fruchtbar gemacht worden. Das Gleichbehandlungsdefizit, das in allen Mitgliedstaaten bei der Beschäftigung von Teilzeitkräften auftritt, läßt sich genauso wirkungsvoll mit diesem Instrument bekämpfen. Der Rückgriff auf Statistiken, die belegen, daß Teilzeitarbeit häufig von Frauen ausgeführt wird und deshalb eine (mittelbare) Frauendiskriminierung vorliegt, wirkt dagegen konstruiert. Das einzige Bedenken, das dagegen erhoben werden kann, ist, daß auf Gemeinschaftsebene der allgemeine Gleichheitssatz nicht im EG-Vertrag verankert ist und dem EuGH deshalb eine Überprüfung verwehrt ist. Doch handelt es sich hierbei um ein Scheinargument. Wie noch zu zeigen sein wird, fallt nicht das gesamte Arbeitsrecht in die Kompetenz der Gemeinschaft. Folglich ist der EuGH kein Superrevisionsgericht in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten. Bestätigt wird die Richtigkeit dieser Sichtweise durch die am 7. Juni 1997 von den europäischen Sozialpartnern verabschiedete "Europäische Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit", die am 15. Dezember 1998 bereits in eine Richtlinie des Rates umgesetzt worden ist. 251 In § 4 Abs. 1 dieser Rahmenvereinbarung ist der Grundsatz der Nichtdiskriminierung enthalten, der der Bestimmung des § 2 Abs. 1 BeschFG entspricht. Danach dürfen Teilzeitkräfte gegenüber Vollzeitkräften nicht schlechtergestellt werden, es sei denn die Ungleichbehandlung ist aus objektiven Gründen gerechtfertigt. Überdies gilt, wann immer möglich, der Pro-rata-temporis-Grundsatz (§ 4 Abs. 2 der Rahmenvereinbarung)?52 Mittlerweile hat man also auch auf der europäischen Ebene eingesehen, 251 Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit, ABI. EG Nr. L 14 v. 20. 01. 1998, S. 9. 252 vgl. KOM (97), 392 endg. v. 23. 07. 1997; Text der Vereinbarung auch in: ArbuR 1997, 318.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

daß der Schutz von Teilzeitkräften besser durch eine eigene Regelung gewährleistet wird, statt über den Umweg der mittelbaren Diskriminierung. So läßt sich in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht feststellen, daß ein Bedürfnis für die Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts im Hinblick auf das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nicht besteht. Dennoch soll der weitere Gedankengang hier nachgezeichnet werden.

c) Daseffet utile-Prinzip als Legitimationfürdie Rechtsfortbildung Offensichtlich will der Gerichtshof das Prinzip des effet utile als Legitimationsquelle für die Schaffung neuer Rechtsinstitute in Anspruch nehmen. Damit mißt der EuGH der nützlichen Wirkung einer Vorschrift kompetenzausdehnende Kraft zu und riickt dieses Prinzip in die Nähe der implied powers-Rege1. 253 Dieses Verständnis des effet-utile-Prinzips steht im Widerspruch zum Prinzip der begrenzten Einzelzuständigkeit (Art. 3b Abs. l EGV) und zum durch den Maastrichter Vertrag eingeführten Subsidiaritätsprinzip (Art. 3b Abs. 2 EGV). Hierzu hat das BVerfG in seinem "Maastricht-Urteil" entschieden, daß eine Vertragsauslegung im Sinn einer größtmöglichen Ausschöpfung der Gemeinschaftszuständigkeiten ("effet utile") hinsichtlich von Befugnisnormen für Deutschland keine Bindungswirkung mehr entfalten könne, weil der Vertrag streng zwischen der Wahrnehmung einer begrenzt eingeräumten Hoheitsbefugnis und einer Vertragsänderung unterscheide. 254 Diese konsequente Unterscheidung kann nicht durch Berufung auf bestimmte Auslegungsgrundsätze überspielt werden, und sie gilt für die Grundsatzbestimmung des Art. 119 EGV gleichermaßen. Auch in diesem Zusammenhang kommt es auf die Abgrenzung zur Vertragsänderung an. Damit ist die Frage nach der Kompetenz zur Schaffung eines neuen Rechtsinstituts aufgeworfen.

5. Kompetenz zur Kreierung eines neuen Rechtsinstituts Das entscheidende Problem an dieser Stelle ist, ob es sich beim Verständnis des Art. 119 EGV im Sinn eines frauenfördernden Verbots der mittelbaren Diskriminierung um gestattete richterliche Rechtsfortbildung 255 oder um eine deren Grenzen sprengende, vom geltenden Vertragsrecht nicht gedeckte Rechtsetzung handelt. Es kommt darauf an festzulegen, wo die Trennlinie zwischen Rechtsfortbildung innerhalb der Verträge und einer Vertragsänderung verläuft. Feststeht, daß es eine 253 So auch in der Rechtsprechung zur mitgliedstaatliehen Staatshaftung. Eingehend und kritisch dazu Comils, S. 177 ff. 254 BVerfGE 89, 155 (210). 255 Zu den Grenzen: BVerfGE 75, 223 (240 ff.).

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

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derartige Grenze gibt. Sie folgt aus der begrenzten Kompetenzzuweisung an die Gemeinschaft. In Art. 164 EGV ist dem Gerichtshof nur die Aufgabe zugewiesen, das Gemeinschaftsrecht auszulegen und damit die Kompetenzgrenzen zu überprüfen. Diese Aufgabe beinhaltet keine eigenständige Befugnis zur Kompetenzerweiterung, sondern nur eine Auslegungs- und Konkretisierungsbefugnis der vorausgesetzten objektiven Gemeinschaftskompetenzen. 256 Unter Kompetenz wird allgemein die staatlichen Stellen und Organen der drei "Staatsfunktionen" eingeräumte und zugeteilte Handlungsmacht verstanden, in Verfolgung des staatlichen Gemeinwohlauftrages und in Erfüllung zugewiesener staatlicher Aufgaben, hoheitliche Akte festgelegter und genau bezeichneter Art zu setzen. 257 Diese Definition läßt sich auf die Gemeinschaftsebene übertragen, indem für den Begriff des Staates der der Gemeinschaft gesetzt wird. 258 Wichtig bleibt festzuhalten, daß auch die EG-Rechtsetzung zwischen Ziel, Aufgabe und Kompetenz differenziert.Z59 Am deutlichsten wird dies in Art. 4 EGV, in dem ausdrücklich zwischen gemeinschaftlichen Aufgaben und Befugnissen für die Organe der Gemeinschaft zur Wahrnehmung dieser Aufgaben unterschieden wird. Oft wird von den Kompetenzen der Gemeinschaft als dynamischen Kompetenzen oder Querschnittskompetenzen gesprochen, weil diese nicht sachbezogen auf bestimmte Tatigkeitsfelder beschränkt sind. 260 Auffallig ist, daß die Befugnisse der Gemeinschaft anders formuliert sind als beispielsweise die engen Kompetenzkataloge des Grundgesetzes. Versteht man deshalb aber die Kompetenzen der Gemeinschaft derart dynamisch, daß sie grundsätzlich alle Sachbereiche erfaßten, die zur Verwirklichung eines Zieles oder einer Aufgabe dienlich seien, wäre die Unterscheidung von Aufgaben und Befugnissen gleich wieder außer Kraft gesetzt. Das Prinzip der enumerativen Einzelermächtigung, wonach gerade nicht von der Aufgabe auf die Befugnis geschlossen werden darf, würde leerlaufen. Letztlich wäre die Gemeinschaft von einer Allzuständigkeit nicht mehr weit entfemt. 261 Zurecht ist darauf hingewiesen worden, daß der Begriff der Querschnittskompetenz allein keine Aussage über den dynamischen Charakter der Kompetenz im Sinn einer potentiellen Nichtabgrenzbarkeit zuläßt. Auch in Bundesstaaten existieren Kompetenzmaterien, die einen weiten Bereich erfassen und die sich als Querschnittskompetenzen begreifen lassen. Dies enthebt nicht von der Notwendigkeit, eine Kompetenzabgrenzung vorzunehmen. Die EG, die sich als Rechtsgemeinschaft begreift und definiert, kann dieses Attribut nur für sich in Anspruch nehmen, wenn ihre Kompetenzen gegenüber denen der Mitgliedstaaten abgrenzbar sind. Allein auf diese Weise läßt sich das Rechtsstaatsprinzip - nichts anderes besagt die Charak256 257 258 259 260

261

Vgl. BVerfGE 75, 223 (242 f.); Klein, VVDStRL 50 (1991), 56 (66); Comils, S. 254. Stettner, S. 35 und 439. Davon gehen auch Schröer, S. 25, und Constantinesco, S. 261 ff. aus. Vgl. Steindorff, S. 19. Everling, EuR 1987, 214 (221); Kraußer, S. 49; Lecheler, S. 99. So Comils, S. 259 f.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

terisierung als Rechtsgemeinschaft - für die Frage der Zuständigkeiten verwirklichen, indem Vorhersehbarkeit, Berechenbarkeil und Meßbarkeit für die Kompetenzverteilung gewährleistet werden. 262 Genau in diesem Sinne ist auch Heinze zu verstehen, der eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts nicht mehr aus der Mitte der Verträge, sondern von der Peripherie her, also der Schnittstelle zwischen Gemeinschaftsrecht und mitgliedstaatlichem Recht fordert, um auf diese Weise der rechtskulturellen Eigenart des jeweiligen nationalen Rechts Rechnung zu tragen_263 Bei der Behandlung des Kompetenzproblems sind zwei Aspekte deutlich voneinander zu unterscheiden. Will der Gerichtshof für sich eine Kompetenz zur Fortbildung europäischen Rechts in Anspruch nehmen, stellt sich vorrangig die Frage, ob die Materie überhaupt in die Kompetenz der Gemeinschaft fallt. Auch richterliche Rechtsfortbildung kann diese Grenze nicht überwinden, da ein Gericht nur das Recht fortbilden kann, zu dessen Pflege es berufen ist. 264 Erst hieran schließt sich die Frage an, ob der innergemeinschaftlichen Gewaltenteilung265 entsprechend der Gerichtshof das richtige Organ ist für die Wahrnehmung der Kompetenz oder ob er seine Befugnisse zu Lasten des eigentlichen Gesetzgebungsorgans, des Rates, überdehnt hat.

a) Verbandskompetenz

Die Prinzipien der beschränkten Verbandskompetenz (Art. 3b Abs. 1 EGV) und der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 4 Abs. l EGV) verlangen, daß die Zuständigkeiten, die die Gemeinschaft für sich in Anspruch nimmt, aus dem EG-Vertrag hergeleitet und nachgewiesen werden. Die Gemeinschaft besitzt weder eine Allzuständigkeit noch eine pauschale lntegrationskompetenz. 266 Fraglich ist, ob der Gemeinschaft ein Kompetenztitel für den Bereich der Gleichbehandlung im Arbeitsrecht und speziell der Gleichberechtigung bzw. Gleichstellung zusteht. Vorauszuschicken ist, daß die Frage des Ranges einer gemeinschaftlichen Regelung zum Verbot der mittelbaren Diskriminierung für die grundsätzliche Frage der Stettner, S. 306; Comils, S. 264. Heinze, RdA 1994, 1 (10). 264 Vgl. H.P. lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 20/ 21 (S. 425). 265 Vorsichtiger formulierend wird auch vom innergemeinschaftlichen institutionellen Gleichgewicht gesprochen und gezweifelt, ob der Begriff der Gewaltenteilung auf die Situation der Gemeinschaft übertragbar sei, vgl. Fastenrath, NJW 1983, 494 f. Dies ändert in der Sache aber nichts an dem Umstand, daß den einzelnen Organen der EG bestimmte spezifische Befugnisse zugewiesen sind und sie nicht ohne weiteres Befugnisse anderer Organe wahrnehmen dürfen. Auch dies zählt zur Vorhersehbarkeit des Rechts in einer Rechtsgemeinschaft. 266 Vgl. Steindorff, S. 24; Klein, VVDStRL 50 (1991), 56 (62). 262 263

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

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Verbandskompetenz unerheblich ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH gehört das Verbot der mittelbaren Diskriminierung zum Primärrecht, da es aus Art. 119 EGV abgeleitet wird. Eine Regelung des Rates in Form einer Verordnung oder Richtlinie wäre dagegen als Sekundärrecht zu qualifizieren. Die Zuständigkeitsabgrenzung ist von der Rechtsform einer Regelung und damit von der Handlungsform, mit der die Zuständigkeit umgesetzt wird, unabhängig. Allein entscheidend ist die Reichweite der primärrechtlichen Rechtsetzungsermächtigungen. 267 Der EG-Vertrag enthält keine ausdrückliche Zuweisung einer Gemeinschaftskompetenz zur Regelung von Gleichbehandlungsfragen zwischen Mann und Frau. Insbesondere kann der Vorschrift des Art. 119 EGV eine solche Kompetenz nicht entnommen werden. Etwas anderes gilt in Zukunft allerdings für die Neufassung: Art. 141 Abs. 3 EGV gibt dem Rat die Möglichkeit, Maßnahmen zur Gewährleistung der Anwendung des Grundsatzes der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung von Männem und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, einschließlich des Grundsatzes des gleichen Entgelts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit zu erlassen.268 Die alte Fassung der Vorschrift enthält jedoch primär einen Auftrag an die Mitgliedstaaten, die Gleichbehandlung von Mann und Frau zu verwirklichen. Darüber hinaus hat der Gerichtshot269 die Bestimmung für unmittelbar anwendbar erklärt, so daß sich auch Private gegenüber Privaten auf diesen Grundsatz berufen können. 270 Eine Kompetenzzuweisung ist hiermit jedoch nicht verbunden. Zu prüfen bleibt, ob andere Vorschriften des Sozialkapitels oder die allgemeinen Bestimmungen über die Rechtsvereinheitlichung eine Kompetenz der Gemeinschaft bereithalten.

aa) Art. 117 EGV

(a)Art. 117 EGVals Formelkompromif3 Kompetenzvorschriften für das Arbeits- und Sozialrecht findet man in den Art. 117 ff. EGV kaum. Diese Vorschriften beinhalten einen typischen Formelkompromiß.271 Nach dem Spaak-Bericht sollte in den EWG-Vertrag kein Kapitel über die Sozialpolitik aufgenommen werden. Unter dem Einfluß ordoliberaler Ideen lehnte die deutsche Seite Sozialvorschriften im Vertrag ab. Sie glaubte, daß Sozialkosten als natürliche, standortbedingte Kosten durch andere natürliche Faktoren Dazu Comils, S. 268 f. Inwieweit diese Vorschrift das Verbot der mittelbaren Diskriminierung zu legitimieren vermag, wird unter 5 a gg untersucht, weil die Neufassung inhaltlich Art. 2 Abs. 1 Spiegelstrich 4 Sozialabkommen entspricht. 269 EuGH, 08. 04. 1976, Rs. 43/75 (Defrenne II), Slg. 1976, 455 (472 ff., 476, Tz. 40). 270 Currall I Pipkom, in: Groeben I Thiesing I Ehlermann, Art. 117, Rn. 33. 27 1 Junker, JZ 1994,277 (278). 267

268

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

kompensiert würden. Demgegenüber erhoffte sich die französische Seite - in der Tradition französischer Industriepolitik -, die sozialen Unterschiede in den Mitgliedstaaten einzuebnen, um gleiche Wettbewerbsbedingungen in der EG zu erreichen. Denn sie hielt die Kosten eines modernen Sozialsystems für "künstliche" Kosten, die durch Eingriff von außen anzugleichen seien. 272 Deshalb vereint Art. 117 EGV273 beide Ziele: Die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen soll sich sowohl immanent, aus dem Wirken des Gemeinsamen Marktes, als auch durch Steuerung von außen, durch die besonderen Verfahren des EG-Vertrages und durch die Rechtsangleichung, ergeben. 274 Der Vorschrift liegt folglich eine doppelte Zweckbestimmung zugrunde. Die Forderung nach Angleichung der Lebens- und Arbeitsbedingungen beinhaltet eine wirtschaftliche Zwecksetzung: Es soll verhindert werden, daß der unterschiedliche Entwicklungsstand der mitgliedstaatlichen Arbeits- und Sozialrechtssysteme zu Wettbewerbsnachteilen besonders der Unternehmen in höher entwickelten Mitgliedstaaten führt. Daneben wird auch ein sozialer Zweck gesehen, der im Fortschrittsgedanken seinen Ausdruck findet. Angestrebt wird bei der Angleichung der Lebens- und Arbeitsbedingungen stets die soziale Verbesserung. 275 (b) Ziele des Art. 117 EGV

Gemäß Art. 117 Abs. 1 EGV ist es das Ziel der Gemeinschaft, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte zu verbessern und im Wege des Fortschritts anzugleichen. Als ersten Weg, wie die Ziele des Art. 117 Abs. 1 EGV verwirklicht werden können, nennt Absatz 2 das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes. Dies zeigt wiederum, daß Sozial- und Wirtschaftspolitik nicht voneinander zu trennen sind. Das zweite Mittel zur Zielverwirklichung sind die vertraglich besonders vorgesehenen Verfahren (Art. 118a, Art. 127 EGV). Dariiber hinaus existieren in besonderen Politikbereichen einzelne Rechtsetzungsermächtigungen wie z. B. Art. 51 EGV. Auch Art. 235 EGV wurde in der Vergangenheit zur Stützung sozialpolitischer Rechtsakte herangezogen. 276 Der dritte Weg ist der der Rechtsangleichung über Art. 100, 100a EGV. Windbichler, RdA 1992,74 (75); Junker, JZ 1994,277 (278). Die Neufassung dieser Bestimmung in Art. 136 EGV führt für den vorliegenden Zusammenhang zu keinen Abweichungen. 274 Der Kompromiß basiert auf einem wirtschaftswissenschaftlichen Theorienstreit zwischen der Ansicht, die auf einer umfassenden sozialen Harmonisierung bestanden hatte (sozialpolitischer Interventionismus), und der Ansicht, die ein Austarieren der Kosten des Sozialsystems den wirtschaftlichen Kräften des Marktes überlassen wollte (neoliberale Wirtschaftstheorie). Dazu: Geiger, Art. 117, Rn. 7; Wohlfahrt/Everling/Glaesner/Sprung, Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Kommentar zum Vertrag ( 1960), Vorbem. vor Art. 117, Anm. 3 f.; Schnorr, RdA 1981, 345 f.; Steinmeyer, ZIAS 1989, 208 (214 f.). 275 Curral/1 Pipkom, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 117, Rn. 10 f. 276 Geiger, Art. 117, Rn. 5 ff. 272 273

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

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Indem Art. 117 Abs. 2 EGV Mittel zur Erreichung der sozialpolitischen Ziele benennt, wird deutlich, daß diese Norm selbst nicht als Kompetenzvorschrift zu verstehen ist. 277 Die Kompetenzen müssen sich aus speziellen Ermächtigungen ergeben. Zwar ist die Gemeinschaft als solche dem sozialpolitischen Ziel des Art. 117 EGV verpflichtet. Doch resultiert hieraus keine allgemeine Kompetenz der EG zur Gestaltung einer europäischen Sozialpolitik. Diese Kompetenz steht generell weiter den Mitgliedstaaten zu. Dies belegt der Wortlaut der Vorschrift, die keine Gemeinschaftsinstitution in die Pflicht nimmt. 278 Beinhaltet Art. 117 EGV schon generell keine Kompetenz auf dem Gebiet des Arbeits- und Sozialrechts, kann der Bestimmung erst recht keine Kompetenz zur Gestaltung der Gleichbehandlung entnommen werden. Dies gilt sowohl für die Gleichbehandlung von Mann und Frau wie für die Gleichbehandlung verschiedener Gruppen von Arbeitnehmern. bb) Art. 118a EGV Das in Art. 118a EGV normierte Ziel, die Verbesserung der Arbeitsumwelt zu fördern, um die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen ist in Abs. 2 mit einer Ermächtigungsgrundlage für den Erlaß von Richtlinien verbunden. Doch lassen sich unter den Begriff "Arbeitsumwelt", so wie er hier im Kontext des Arbeitsschutzes gebraucht wird, Gleichbehandlungsprobleme nicht subsumieren.

cc) Art. lOOa EGV Als speziellere Ermächtigungsgrundlage genießt Art. lOOa EGV Vorrang vor Art. 100 EGV. Von der Harmonisierung nach Art. lOOa EGV werden Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten erfaßt, die die Herstellung und das Funktionieren des Binnenmarktes betreffen. Mit der EEA von 1987 wurde der Begriff des Binnenmarktes in das Gemeinschaftsrecht eingeführt. Eine Legaldefinition findet sich in Art. 7a Abs. 2 EGV. Es handelt sich danach um einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist. Die Verwirklichung des Binnenmarktes zielte auf den völligen 277 A. A.: Zwanziger, ArbuR 1995, 430 (436). Dagegen spricht auch das Weißbuch zur Europäischen Sozialpolitik, KOM (94) 333 v. 27. Juli 1994, und die Entschließung des Rates zu bestirrunten Perspektiven einer Sozialpolitik der Europäischen Union: Ein Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Konvergenz in der Union, vom 6. Dezember 1994, in: ABI. EG Nr. C 368 V. 23. 12. 1994, S. 6 ff. 278 EuGH, 09. 07. 1987, verb. Rs. 281, 283 bis 285 u. 287/85 ("Wanderarbeitnehmer") Slg. 1987, 3203 (3250 f.); Currall/Pipkom, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 117, Rn. I.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Abbau der innergemeinschaftlichen Grenzkontrollen, die Beseitigung der materiellen Schranken, also der Personenkontrolle an den Grenzen, der technischen Schranken, also der unterschiedlichen Regelungen in den Mitgliedstaaten für die Herstellung und Vermarktung von Waren und für die Erbringung von Dienstleistungen, sowie der steuerlichen Schranken, also der Erstattung der indirekten Steuern bei der Ausfuhr durch das Herkunftsland und der Erhebung bei der Einfuhr durch das Bestimmungsland. Der Anwendungsbereich des Art. 100a Abs. 1 EGV ist damit nicht sachlich, sondern funktional begrenzt. Unanwendbar ist er allerdings für Bestimmungen über Steuern, die Freizügigkeit und über die Rechte und Interessen der Arbeitnehmer (Art. 100a Abs. 2 EGV). Zu letzterem zählen das Mitbestimmungs-, Betriebsverfassungs-, Tarif- und Arbeitskampfrecht Anwendbar sind hier Art. 100 EGV und für 14 der 15 Mitgliedstaaten teilweise das Sozialabkommen. Andererseits verbietet Absatz 2 nicht jede Angleichungsmaßnahme von Rechtsvorschriften, die nur irgendeinen entfernten Bezug zu Arbeitnehmerinteressen haben?79 So ist anerkannt, daß auf Art. 100a EGV auch solche Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer gestützt weden können, die Unterschiede in den Sicherheitsanforderungen an Arbeitsgeräte oder an Bedienungsvorrichtungen von Maschinen beseitigen helfen, wenn diese sonst die Errichtung des Binnenmarktes unmittelbar beeinträchtigen. 280 Art. 100a EGV gewährt also ebenfalls keine Gemeinschaftskompetenz für Fragen der Gleichbehandlung im Arbeitsrecht.

dd) Art. 100 EGV

(a) Art. 100 EGV als allgemeine Kompetenzvorschrift Harmonisierungsmaßnahmen nach Art. 100 EGV setzen voraus, daß sich mitgliedstaatliche Regelungen unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken. Der Gemeinsame Markt sollte während einer Übergangszeit von 12 Jahren nach Art. 8 EWGV schrittweise verwirklicht werden. Gekennzeichnet ist der Gemeinsame Markt nach Art. 2 und 3 EGV durch eine Zollunion, die Verwirklichung der vier Grundfreiheiten, eine gemeinsame Handelspolitik, ein System unverfälschten Wettbewerbs sowie eine gemeinsame Politik in den Bereichen Landwirtschaft, Verkehr und Außenhandel. 281 Zur Wettbewerbsfreiheit zählt auch die Vermeidung und Beseitigung von Wettbewerbsverfälschungen infolge staatlicher Beihilfen oder unterschiedlicher kostenrelevanter Produktionsbedingungen sowie das Verbot von 279 Pipkom, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. IOOa Rn. 60 ff. Ausführlich: MüllerGraf!. EuR 1989, 107 (121 ff.). 280 Wlotzke. RdA 1992, 85 (87). 281 Langeheine, in: Grabitz/Hilf, Art. 100, Rn. 25; Taschner; in: Groeben/Thiesing/ Ehlermann, Art. 100, Rn. 33; Schweitzer/Hummer; Rn. 1068 f.

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

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privaten (Art. 85, 86 EGV) oder staatlichen (Art. 90 EGV) Wettbewerbsbeschränkungen.282 Ob die Begriffe "Binnenmarkt" und "Gemeinsamer Markt" einen unterschiedlichen Regelungsgehalt aufweisen, ist umstritten, für den vorliegenden Zusammenhang aber von untergeordneter Bedeutung?83 Sicher ist, daß Art. 100 EGV für alle diejenigen Bereiche zur Anwendung kommt, die nach Art. lOOa Abs. 2 EGV von der Binnenmarktharmonisierung ausgenommen sind: die direkten Steuern und das Arbeits- und Sozialrecht Unterschiedliche Regelungen im Arbeits- und Sozialrecht haben Auswirkungen auf die Arbeitskosten und beeinflussen die Standortwahl und das Investitionsverhalten von Unternehmen. Zu Problemen führt immer wieder die Frage, ob Rechts- und Verwaltungsvorschriften unmittelbare Auswirkungen auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes zeitigen. Im Rahmen einer restriktiven Auslegung müßten dann die in Frage stehenden nationalen Vorschriften die Verwirklichung der Grundlage des Gemeinsamen Marktes und die Schaffung wettbewerbsgerechter Rahmenbedingungen der Wirtschaftsabläufe zu behindern geeignet sein. Für diese Ansicht spricht der in Art. 3 lit. h EGV verwendete Begriff der "Erforderlichkeit". Eine andere Ansicht läßt es genügen, daß sich die Angleichung förderlich auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirkt. 284 In der Konsequenz dieser Auffassung wird der EG-Vertrag als "dynamische, das heißt, auf die Fortentwicklung und Veränderung von Kompetenzen angelegte Verfassung" 285 begriffen. Begrundet werden kann diese Auffassung mit Art. 101, 102 EGV; für den häufigsten Fall einer Behinderung, nämlich der Wettbewerbsverzerrung, stehen besondere Maßnahmen zusätzlich zur Verfügung. Im Ergebnis sind beide Auffassungen dann nicht weit voneinander entfernt, wenn das einschränkende Tatbestandsmerkmal der "Unmittelbarkeit" der Auswirkung ernstgenommen wird. Ließe man den Begriff "unmittelbar" unbeachtet, genügte schon jede noch so entfernte Auswirkung einer Rechts- oder Verwaltungsvorschrift auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes, um die Rechtsangleichungskompetenz auszulösen. Art. 100 EGV soll aber - auch nach dem Willen der Vertragsschöpfer nur - angewendet werden, wenn die Auswirkung auf den Gemeinsamen Markt eine gewisse Intensität hat, also "spürbar" Ahlt, S. 114. Der Streit wird durch die Definition des EuGH, 05. 05. 1982, Rs. 15 I 81 ( Gaston Schul Douane Expediteur BV /Inspecteur der invoerrechten en accijnzen, Roosendaal), Slg. 1982, 1409 (1431 f.), aufgeworfen, auf die der Vertragsgeber bei Einführung des Binnenmarktbegriffes nicht hinreichend Rücksicht genommen hat: "Der Begriff Gemeinsamer Markt [ . .. ] stellt ab auf die Beseitigung aller Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel mit dem Ziele der Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt, dessen Bedingungen denjenigen eines wirklichen Binnenmarktes möglichst nahekommen." Vgl. zum Ganzen: Grabitz, in: Grabitz/Hilf, Art. 8 EWGV, Rn. I ff. u. Art. 8a EWGV, Rn. 1 ff. 284 Taschner, in: Groeben/Thiesing/Eh1ermann, Art. 100 Rn. 29. 285 Mäder, NZA Beilage 22/1990, 10 (18). 282

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

ist. 286 Denn nicht jeder Bezug zum Gemeinsamen Markt genügt, um die Harmonisierungskompetenz zu eröffnen, weil ansonsten die Art. 100 ff. EGV wegen des immer zu begründenden Einflusses auf Wettbewerbsbedingungen eine Allzuständigkeit der Gemeinschaft begründen würden. 287 Diese Voraussetzung korrespondiert im übrigen mit dem Tatbestandsmerkmal der "Erforderlichkeit" der Rechtsangleichung in Art. 3 lit. h EGV. Abschließend ist eindringlich darauf hinzuweisen, daß die überaus weite Auslegung des Art. 100 EGV, die in der Angleichung an sich schon einen Integrationsfortschritt sieht, verbunden mit großer Detailgenauigkeit der Richtlinien die fortbestehenden Rechtsetzungskompetenzen der Mitgliedstaaten nicht hinreichend achtet.zss

(b) Art. 100 EGV als sozialpolitische Kompetenz Damit die Normsetzungskompetenz des Art. 100 Abs. 1 EGV eröffnet ist, müssen sich nationale Rechtsvorschriften zur Gleichbehandlung von Arbeitnehmern unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken. Die Rechtsangleichung dient dem Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse Bestehen in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche Regelungen hinsichtlich der Gleichbehandlung von Arbeitnehmern, z. B. unter dem Gesichtspunkt der Teilzeitarbeit, kann dies einen Wettbewerbsvorteil desjenigen Mitgliedstaates bedeuten, der bestimmten Arbeitnehmergruppen schlechtere Arbeitsbedingungen beläßt. Fraglich ist jedoch, ob sich derartige unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen unmittelbar auf den Gemeinsamen Markt auswirken. Um einen Anhaltspunkt zu gewinnen, ist an dieser Stelle ein Blick auf die von der Gemeinschaft erlassenen Richtlinien zur Gleichbehandlung von Interesse, die zum einen ausschließlich auf Art. 100 EGV (RL 75 I 117 I EWG), zum anderen neben Art. 235 auch auf Art. 100 EGV (RL 8613781EWG, RL 8616131EWG) gestützt worden sind. Die gewählte Ermächtigungsgrundlage begründet der Rat in der vorangestellten Erwägung zur RL 75 I 117 I EWG damit, daß die Verwirklichung des in Art. 119 EGV niedergelegten Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen "Bestandteil der Errichtung und des Funktionierens des Gemeinsamen Marktes" sei. 289 Gleichzeitig weist er darauf hin, daß die Gewährleistung dieses Grundsatzes in erster Linie Sache der Mitgliedstaaten sei. Sodann wird jedoch auf die Entschließung des Rates vom 21. Januar 1974 über ein sozial286 Der Begriff ist insoweit nicht im Sinn einer unmittelbaren Kausalbeziehung zu verstehen. Vgl. Taschner; in: Groeben/ThiesingiEhlermann, Art. 100, Rn. 30; Langeheine, in: Grabitz I Hilf, Art. I 00 Rn. 33; Pipkom, in: Beutler I Bieber I Pipkom I Streil, S. 376. 287 Taschner; in: GroebeniThiesingiEhlermann, Art. 100 Rn. 32. 288 Geiger; Art. 100, Rn. 9. 289 Dieser Aspekt wurde in der Begründung der RL 86/6131EWG wieder aufgegriffen.

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

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politisches Aktionsprogramm bezug genommen, in dem unter der Prämisse der "Angleichung der Lebens- und Arbeitsbedingungen auf dem Wege des Fortschritts" Maßnahmen zugunsten von Frauen gefordert werden bezüglich des Zugangs zu Beschäftigung, beruflicher Bildung und beruflichem Aufstieg sowie der Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlohnung. Deshalb und wegen der fortbestehenden Unterschiede bei der Entlohnung von Männern und Frauen sei es "zweckmäßig, die grundlegenden Rechtsvorschriften durch Bestimmungen zur Erleichterung der konkreten Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes zu verstärken [und] die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften in bezug auf die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts anzunähern". Eingehender wird die Rechtsetzung auch bei den späteren Richtlinien nicht begrundet Der Hinweis auf den Gemeinsamen Markt hat eher formelhaften Charakter und vermag wegen seiner Unbestimmtheit die Anknüpfung nicht zu tragen. Entscheidend ist für den Rat die Entschließung über ein sozialpolitisches Aktionsprogramm. Problematisch ist aber, daß dieses die erforderlichen Kompetenzen zu seiner Umsetzung nicht zur Verfügung stellt. Die geforderten Maßnahmen zugunsten von Frauen sind deshalb Ziel der Gemeinschaft, aber nicht gleichzeitig Handlungsermächtigung. Augenscheinlich wird mit der Wendung "Angleichung der Lebens- und Arbeitsbedingungen auf dem Wege des Fortschritts" auf Art. 117 EGV verwiesen. Dies stellt einen gängigen Argumentationstopos dar. Schließlich begrundet die Zweckmäßigkeit der Rechtsvereinheitlichung noch nicht ihre Erforderlichkeil im Sinn von Art. 100 EGV. Insgesamt vermag die angegebene Begrundung eine Kompetenz für die Setzung von Richtlinien zur Gleichbehandlung nach Art. 100 EGV nicht zu tragen. Dieser Umstand stellt immerhin ein wichtiges Indiz dar, daß der Gemeinschaft für diesen Sektor eine Kompetenz nicht zusteht. Gleichwohllassen sich die Richtlinien solange als vom EG-Vertrag gedeckt ansehen, wie sie lediglich eine Konkretisierung des in Art. 119 EGV niedergeigten Gleichbehandlungsgrundsatzes sind?90 In bezug auf das Verbot der mittelbaren Diskriminierung kann jedoch nicht mehr von einer Konkretisierung gesprochen werden, wie sich bei der Auslegung des Art. 119 EGV erwiesen hat. Der Blick auf die Richtlinien läßt Zweifel an der Existenz einer Kompetenz aufkommen. Für den Erlaß arbeitsrechtlicher Richtlinien wird meist Art. 117 EGV - wie bereits eben angedeutet - zur Begründung der Kompetenz mit herangezogen, indem der soziale Fortschritt als selbständiges Funktionselement des Gemeinsamen Marktes angesehen wird. So argumentiert man, daß unterschiedliche soziale Schutzstandards einen Vereinheitlichungsdruck nach unten auslösen könnten. Entscheidend sei, ob sich solche Regeln unmittelbar auf die Wettbewerbsbedingungen der Unternehmen auswirkten. Deshalb sei eine Angleichung sozialer Schutzvorschriften nach oben durch die EG erforderlich, um das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes zu gewährleisten. 291 Denn nach Ansicht des Europäischen Rates Buchner; ZfA 1993, 279 (287 f.). Vgl. Birk, RdA 1992, 68 (71); Currall!Pipkom, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. ll7, Rn. 33; Zwanziger; ArbuR 1995,430 (436). 290 291

16*

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

ist die Verwirklichung des Binnenmarktes kein Selbstzweck, sondern dient der Erreichung eines umfassenden Zieles, "einen möglichst großen Wohlstand für alle, entsprechend der Tradition des sozialen Fortschritts" zu ermöglichen. 292 Hierbei will die Gemeinschaft, den sozialen Fortschritt also nicht allein einer immer besseren wirtschaftlichen Entwicklung überlassen. Im Laufe der Entwicklung beschränkte sich die Gemeinschaftspraxis zu Art. 100 EGV immer weniger darauf, wirtschaftlich notwendige Korrekturen der staatlichen Rechtsordnungen durchzuführen, sondern betrachtete den sozialen Fortschritt als selbständiges Funktionselement des Gemeinsamen Marktes, um hieraus eine Zuständigkeit der EG abzuleiten, die sozialpolitischen Normen der Mitgliedstaaten nicht nur anzugleichen, sondern auch zu verbessern.Z93 Anders ausgedrückt: Die Rechtsangleichung nach Art. 100 ff. EGV ist in der Praxis nicht etwa nur auf die bloße Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bezogen. 294 Vielmehr steht der EG hier eine "eigene gesetzgebungspolitische Aufgabe zu, die sich in der Erarbeitung und Fortschreibung gemeinschaftsoptimaler Harmonisierungslösungen ausdrückt. " 295 In der Konsequenz dieser Auffassung liegt es zu behaupten, daß der EG-Vertrag keinen Wettbewerb zwischen den Arbeitsrechtsordnungen der Mitgliedstaaten hervorrufen wolle.Z96 Der in Art. 117 EGV noch niedergelegte Formelkomprorniß wurde durch das Zusammenziehen von Art. 100 und ll7 EGV zu einer Kompetenz zugunsten der Meinung beiseite geschoben, daß Unterschiede in den Sozialstandards der Mitgliedstaaten doch zu Wettbewerbsverzerrungen führen, die das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes beeinträchtigen. Dies ist jedoch umstritten. Unterschiedliche mitgliedstaatliche Regelungen über Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen könnten zu Wettbewerbsverzerrungen führen, wenn bestimmte Wirtschaftszweige besonders begünstigt oder benachteiligt werden. Werde beispielsweise in einem Mitgliedstaat die soziale Sicherheit durch nach dem Lohn bemessene Beiträge finanziert und in einem anderen durch den Staatshaushalt, habe dies Auswirkungen auf besonders lohnintensive Produktionszweige. Die Finanzierung der sozialen Sicherheit aus Steuermitteln wirke sich so als Beihilfe aus für Unternehmen, die keine Beiträge zu leisten hätten. Damit entstünde Unternehmen in solchen Mit292 Europäischer Rat in Hannover, EA 1988, D 439 ff., und Europäischer Rat in Rhodos, EA 1989, D2. 293 EuGH, 08. 04. 1976 Rs. 43175 (Defrenne II), Slg. 1976, 455 (473); 08. 06. 1982, Rs. 91181 (Kommission I Italienische Republik ["Vertragsverstoß eines Staates - Richtlinie über Massenentlassungen"]), Slg. 1982, 2133 (2138 ff.); Schnorr; RdA 1981, 345 (349); Steinmeyer; ZIAS 1989,208 (216 f.) 294 Von der Groeben, NIW 1970, 359 (361), spricht hier von .,technischer Flurbereinigung". 295 Langeheine, in: Grabitz I Hilf, Art. 100, Rn. 1; ähnlich Pipkom, in: Beutler I Bieber I PipkorniStreil, S. 378. 296 Birk. RdA 1992, 68 (69).

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

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gliedsländern ein Wettbewerbsvorteil, was zu einer Verfälschung des Gemeinsamen Marktes führe. 297 Demgegenüber wird geltendgemacht, es sei nicht begründbar, isoliert einen Faktor, die Sozialkosten, anzugleichen, da die verschiedenen Kostenfaktoren der Produktion miteinander in Wechselbeziehungen stünden. Insbesondere sei es falsch, einzelne soziale Leistungen je getrennt von anderen zu vergleichen. Beim Vergleich komplexer Größen verlören einzelne Faktoren vielmehr an Bedeutung: Tariflöhne, Sozialversicherungsbeiträge und andere Arbeitsbedingungen seien wie ein "System kommunizierender Röhren untereinander verbunden"298. Erst die Gesamtheit der Arbeits- und Sozialkosten korrespondiere mit der Höhe und der Entwicklung der Produktivität. Genauso wie die direkten Steuern gehörten die Sozialkosten zu den globalen Kostenbelastungen der einzelnen Volkswirtschaften, deren Unterschiede im allgemeinen den Wettbewerb nicht verfälschten.Z99 Lohnhöhe und Kosten für soziale Sicherheit sind nicht die einzigen Faktoren, die die Wettbewerbsfähigkeit bestimmen. Diese hängt auch von der Qualität der Produkte und Dienstleistungen ab. Auch hinsichtlich der Arbeitskosten ist nicht allein die Höhe der Löhne entscheidend, sondern auch das Produktivitätsniveau, das vom Grad der Mechanisierung und Organisation des Produktionsprozesses bestimmt wird. Daneben spielen Steuern und Abgaben eine Rolle. Sozialleistungen sichern den sozialen Frieden, tragen so zur Standortqualität bei und sind keine künstlichen Lasten der Unternehmen, die generell die Gleichheit des Wettbewerbs beeinträchtigen. Vielmehr handelt es sich um natürliche standortbedingte Kosten, die durch höhere Produktivität ausgeglichen werden. Sozialkostenwettbewerb soll durch den EG-Vertrag generell gerade nicht ausgeschlossen werden, wie die Teilregelungen zum Lohn (Art. 119 EGV) und zum Urlaub (Art. 120 EGV) im Umkehrschluß belegen. 300 Denkbar ist allerdings, daß unterschiedliche Arbeitskosten und -bedingungen den Wettbewerb infolge eines "Dumpingeffekts" berühren können. Aber nicht jede Erscheinung, die mit dem Etikett "Sozialdumping" belegt wird, gebietet eine Angleichung der Sozialstandards. Denn zum einen kann von Dumping nur die Rede sein, wenn Waren unter ihrem normalen Wert gehandelt werden, also übertragen auf die Situation am Arbeitsmarkt Arbeitnehmer in bestimmten Mitgliedsländern ihre Arbeitskraft unter Selbstkosten anbieten. Zum anderen bedeutet ein Gefälle bei Sozialkosten noch nicht, daß daraus resultierende Produktionsverlagerungen aus wirtschaftlichen Gründen um jeden Preis verhindert werden müßten. Denn eine der Hauptauswirkungen des Binnenmarktes für die Wirtschaft ist die aus dem Wettbewerbsdruck resultierende Anpassung von Industriezweigen. Würden qua Harmonisierung alle Kostenfaktoren beseitigt, würden Handel und Argumentation wird dargestellt bei Bleckmann/Coen, Rn. 2546. Bleckmann/Coen, Rn. 2547. 299 Pipkom, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Vorbem. zu Art. 117 - 122, Rn. 20; Knolle, BArbl. 1957, 488; Bleckmann/Coen, Rn. 2547 ff. 300 Bleckmann/Coen, Rn. 2548 ff. 297 298

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Wettbewerb in der Gemeinschaft insgesamt obsolet. 301 Nur wenn der Wettbewerb der Sozialrechtssysteme zugelassen wird, haben wirtschaftlich schwächere Mitgliedstaaten eine Chance, durch Arbeitsbedingungen auf niedrigerem Niveau, Wettbewerbsfähigkeit zu erlangen. Und nur wenn sie am Wettbewerb teilnehmen, werden sie wirtschaftlich in der Lage sein, Produktivitätsruckstände aufzuholen. So wird sich durch den Wettbewerb am Ende eine Angleichung ergeben. Art. 100 EGV gestattet also - auch im Zusammenwirken mit Art. 117 EGV - keine eigene Sozialpolitik der Gemeinschaft, sondern allenfalls eine ergänzende Sozialpolitik neben der der Mitgliedstaaten. Letztlich verbirgt sich hinter dem Kompetenzproblem die Frage, wann Art. 100 EGV einen Eingriff in den mitgliedstaatliehen Zuständigkeitsbereich zu rechtfertigen vermag. Angesichts der Betonung des Subsidiaritätsprinzips durch den Maastrichter Vertrag wird man die in dieser Vorschrift angelegte Begrenzung der gemeinschaftlichen Zuständigkeit ernstnehmen müssen. Unmittelbare Auswirkung auf den Gemeinsamen Markt bedeutet, daß die Rechtsvereinheitlichung für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlich sein muß. Für das Problem der Ungleichbehandlung verschiedener Arbeitnehmergruppen ergibt sich daher, daß diese erst dann eine relvante Auswirkung auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes hat, wenn sie ein solches Ausmaß annähme, daß sie zu einem Dumpingeffekt führte. Bis zu dieser Grenze verbleibt die Beseitigung von Ungleichbehandlungen in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Gegen die Annahme eines Sozialdumpings spricht aber der tatsächliche Befund, daß in allen Mitgliedstaaten der Grundsatz der Gleichbehandlung gewährleistet ist, der auch für Arbeitnehmer gilt. Von daher besteht kein Harmonisierungsbedarf nach Art. 100 EGV. Eine Regelung, wie sie das Verbot der mittelbaren Diskriminierung beinhaltet, verfolgt nicht das Ziel, Standortnachteile wegen der Ungleichbehandlung von Arbeitnehmergruppen zu beseitigen, sondern hat ausschließlich einen sozialen Schutzzweck, der vom Gerechtigkeitsgedanken getragen wird. Insbesondere Frauen sollen wirksamer vor Ungleichbehandlungen geschützt werden. Hier fehlt jeder nähere Bezug zum Gemeinsamen Markt. Als Indiz für die Richtigkeit dieser Deutung mag der Standort des Art. 119 EGV im Kapitel "Sozialpolitik" dienen. Bei einem stärkeren Bezug zum Wettbewerb im Gemeinsamen Markt wäre er sicher in den Art. 100 ff. EGV angesiedelt worden. Auch aus Art. 100 EGV folgt also keine Kompetenz der EG für Fragen der Arbeitnehmergleichbehandlung.

301

Bleckmann/Coen, Rn. 2549 f.

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ee) Stillschweigend mitgeschriebene Kompetenzen Zu denken ist noch eine Gemeinschaftszuständigkeit aus den sog. ungeschriebenen oder besser stillschweigend mitgeschriebenen Kompetenzen, die Vorrang vor Art. 235 EGV genießen, weil diese sich auf vorhandene Vertragskompetenzen beziehen. Dagegen kommt Art. 235 EGV erst zum Zuge, wenn zur Erreichung von Vertragszielen überhaupt keine Befugnisvorschrift im Vertrag vorhanden ist. 302 Die mitgeschriebenen Kompetenzen des EG-Rechts, die nach den Befugnissen kraft "implied powers", "resulting powers" und "effet utile" unterschieden werden303, lassen sich mit den deutschen verfassungsrechtlichen Kategorien der Kompetenzen kraft Sachzusammenhangs, der Natur der Sache und der Annexkompetenz304 vergleichen, wobei trennscharfe Zuordnungen kaum möglich sind. Zudem herrscht weder über die Abgrenzung noch über die Voraussetzungen der einzelnen Kompetenzbereiche im Schrifttum Einigkeit. 305 Nach herrschender Meinung sind die im Vertrag ausdrücklich vorgesehenen Kompetenzen im Interesse der Handlungsfähigkeit der EG unter Zuhilfenahme der Doktrin von den implied powers und dem Auslegungsgrundsatz des effet utile voll auszuschöpfen. 306 Die impliedpowers-Lehre und der Auslegungsgrundsatz des effet utile sind im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Maastrichter Vertrag auf Ablehnung gestoßen.307

(a) Kompetenz nach der implied powers-Lehre Der Grundsatz der implied powers entstammt dem amerikanischen Bundesstaatsrecht. 308 Er ist heute im EG-Recht als Auslegungsregel anerkannt, die dazu dient, in den Verträgen implizit enthaltene Kompetenzen zu finden. Dennoch ist sein Inhalt problematisch. Man könnte daran denken, die Regel dazu einzusetzen, von einer ausdrücklich verliehenen Kompetenz im weiteren Sinne, also von einem Ziel, auf die Möglichkeit zur Zielverwirklichung, auf die Befugnis, zu schließen. Bei dieser Sichtweise wäre aber das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung partiell außer Kraft gesetzt. Von daher kann die implied powers-Regel nicht mit einem so weiten Anwendungsbereich verstanden werden. Die Lehre von den implied powers findet sich sowohl im Volkerrecht als auch im innerstaatlichen Recht. Die Regel besagt daher im Gemeinschaftsrecht, daß der Gemeinschaft neben den ausdrücklich geschriebenen Zuständigkeiten auch diejenigen Zuständigkeiten zustehen, ohne die die Ausübung der ausdrücklich eingeräumten Kompeten302 303

304

305 306 307 308

Schwartz, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 235, Rn. 92. Vgl. Böhm, S. 145. Dazu Bullinger, AöR 96 (1971), 237 ff. Vgl. Nicolaysen, EuR 1966, 129 (131, 137 Anm. 33); Böhm, S. 192 f. Oppermann, Rn. 435; Bleckmann/Bleckmann, Rn. 797 ff. BVerfGE 89, 155 (210). Kruse, AVR 1953, 169 (172); Böhm; S. 120 ff.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

zenunmöglich oder sinnlos wäre. 309 Es kann sich also immer nur um die Begründung von Hilfsbefugnissen im Verhältnis zu bereits bestehenden Hauptbefugnissen handeln. 310 Die Lehre erinnert an die bundesstaatliche Kompetenz kraft Sachzusammenhangs. Praktische Anwendungsfalle sind die Errichtung von im Vertrag nicht vorgesehenen HUfsorganen und die Begründung von Außenkompetenzen, wenn der Gemeinschaft Innenkompetenzen zugewiesen sind. 311 Um die Lehre von den implied powersandieser Stelle für die Suche nach einer Kompetenz zur Begründung des Verbots mittelbarer Diskriminierung fruchtbar zu machen, bedarf es also einer ausdrücklichen Hauptbefugnis im EG-Vertrag. Aus dieser müßte dann mittels einer Hilfsbefugnis das Verbot der mittelbaren Diskriminierung hergeleitet werden. Oben ist bereits nachgewiesen worden, daß eine solche Hauptbefugnis nicht besteht. Allenfalls ist an Art. 100 EGV als Anknüpfungspunkt zu denken. Dann müßte die Regelung des Gemeinsamen Marktes ohne die gleichzeitige Sanktionierung von geschlechtsspezifischen Ungleichbehandlungen, die sich allein anhand von Statistiken feststellen lassen, unmöglich oder sinnlos sein. Dies wird man kaum behaupten können. Wiederum fehlt es am spezifischen Sinnenmarktbezug des Verbots mittelbarer Diskriminierung. Allenfalls Ungleichbehandlungen von Marktteilnehmern unter Wettbewerbsgesichtspunkten ließen sich auf diese Weise sanktionieren, wobei der Gesichtspunkt der implied powers zur Begründung kaum notwendig erscheint. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung läßt sich nicht mittels einer stillschweigend mitgeschriebenen Sachzusammenhangsbefugnis begründen, da es keine Anknüpfungskompetenz gibt, mit der das Verbot in einem untrennbaren Sachzusammenhang steht. (b) Kompetenz aus der resulting powers-Regel

Die Lehre von den resulting powers kommt ebenfalls aus dem amerikanischen Verfassungsrecht und läßt sich am ehesten mit der Kompetenz kraft Natur der Sache im deutschen Verfassungsrecht vergleichen. Nach dieser Lehre kann eine Befugnis auch aus einer Gesamt- oder Rechtsanalogie zu mehreren geschriebenen Zuständigkeiten abgeleitet werden. 312 Insoweit erweitert die Lehre von den resulting powers die implied powers-Regel, indem nun zur Auftindung impliziter Befugnisse nicht nur eine vorhandene Kompetenz, sondern mehrere solcher Befugnisse herangezogen werden. 313 Auf diesen streng limitierten Anwendungsbereich 309 Der EuGH, formuliert: " . . . bei deren Fehlen sie sinnlos wären oder nicht in vernünftiger und zweckmäßiger Weise zur Anwendung gelangen könnten", 16. 07. 1956, Rs. 8/55 (Federation charbonniere de Be1gique I Hohe Behörde), Slg. 1955/56, 197 (312). 310 Schweitzer!Hummer, Rn. 329, sprechen deshalb auch von der Theorie der stillschweigenden Hilfskompetenzen. 311 Schweitzer/Hummer, Rn. 338, 650 ff. 312 Böhm, S. 198 ff.; Comils, S. 297.

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

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muß die Figur von den resulting powers im Gemeinschaftsrecht bezogen bleiben, soll sie nicht in methodische Beliebigkeit zur Findung gewünschter Ergebnisse ausarten. Weiterungen in der Lehre mit Blick auf übergeordnete Bundesinteressen314 können für die EG mangels Rechtsqualität als Bundesstaat nicht anerkannt werden. Hinzukommt, daß ansonsten das Enumerationsprinzip ausgehebelt würde.3I5 Im übrigen läßt sich mit einer Kompetenz aus der Natur der Sache das geschlechtsspezifische Ungleichbehandlungsverbot auch nicht herleiten. Gleichbehandlungsfragen zählen generell von ihrer Natur her nicht zu den Materien, die ausschließlich die Gemeinschaft regeln kann. Aber selbst bei einer strengen Rückbindung an die Regeln der Gesamtanalogie folgt aus resulting powers keine Kompetenz zur Regelung des Verbots mittelbarer Diskriminierung. Zwar könnte man noch mit Art. 6 Abs. 2, 48 EGV eine Gesamtheit von Kompetenznormen annehmen, die sich für eine solche Ableitung anböten. Doch läßt sich ihnen nur der Rechtsgedanke eines allgemeinen Gleichbehandlungsverbotes entnehmen, der offensichtliche und versteckte unmittelbare Diskriminierungen verbietet. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung geht jedoch wegen der einzig auf Statistiken beruhenden geschlechtsspezifischen Wirkung hieriiber hinaus. Davon abgesehen verlangen die Diskriminierungsverbote wegen der Staatsangehörigkeit immer einen grenzüberschreitenden Bezug, der gerade beim geschlechtsspezifischen Diskriminierungsverbot fehlt. Auch unter diesem Gesichtspunkt läßt sich an einer Übertragbarkeit der Grundsätze aus Art. 6 und 48 EGVauf Art. 119 EGV zweifeln. Eine Kompetenz der Gemeinschaft zum Erlaß des Verbots mittelbarer Diskriminierung läßt sich auch nicht durch eine resulting power der EG begriinden.

(c) Kompetenz nach dereffet utile-Regel Schließlich sind nach der Rechtsprechung des EuGH die Vertragskompetenzen teleologisch auszulegen, um ihnen volle Sinnentfaltung und größtmögliche Wirksamkeit zukommen zu lassen (effet utile)? 16 Wenn hier der Gedanke der vollen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts wieder aufgegriffen wird, geschieht dies in Überschreitung des traditionellen Verständnis313 Kruse, AVR 1953, 169 (177 f.). Der EuGH, beruft sich in einigen Entscheidungen auf den "Gesamtzusammenhang" des Vertrages [15. 07. 1960, Rs. 20/59 (Regierung der Italienischen Republik/Hohe Behörde), Slg. 1960, 681 (708)] bzw. auf eine Gesamtschau verschiedener spezieller Kompetenznormen [14. 07. 1976, verb Rs. 3, 4 u. 6176 (Cornelis Kramer u. a.), Slg. 1976, 1279 (1310 f., Tz. 19 f.)]. 314 Küchenhoff, AöR 82 (1957), 413 (472), spricht von "stillschweigende[n] Bundeszuständigkeiten kraft eines im Hinblick auf verfassungsgestaltende Grundentscheidungen evident höherwertigen Bundesinteresses"; Böhm, S. 216 ff. 315 Vgl. Behrens, S. 90 ff.; Comils, S. 298. 316 EuGH, 16. 07. 1956, Rs. 8/55 (Federation charbonniere de Belgique/ Hohe Behörde), Slg. 1955/56,197 (312).

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

ses der effet utile-Regel als Auslegungsregel für einzelne vertragliche Vorschriften. Bereits im Francovich-Urteil zur Haftung der Mitgliedstaaten für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht hatte der EuGH das Prinzip des pleine efficacite bzw. des effet utile herangezogen, um hieraus eine "Sanktionskompetenz der Gemeinschaft" zu begründen mit dem Ziel, eine wirkungsvollere Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts zu erreichen. 317 Dieses Verständnis des effet utile-Prinzips spielt auch bei der Begründung des Verbots mittelbarer Diskriminierung eine maßgebliche Rolle. Fraglich ist also, ob dem effet utile-Grundsatz kompetenzbegründende Kraft zukommt. Der EuGH geht in einer Reihe von Judikaten davon aus, wobei er sein methodisches Verständnis nicht immer offenlegt, sondern wahlweise die implied powers-Regel oder den Grundsatz von der vollen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts als Auslegungsprinzip heranzieht. Im Kern geht es um die Zulässigkeit des sog. Zweck-Mittel-Schlusses, also des Schlusses von der Aufgabe oder dem vertraglichen Ziel auf die korrespondierende Rechtsetzungsbefugnis. 318 Im Unterschied zum Verständnis des effet utile als Auslegungsregel oder zur implied powers-Doktrin fehlt die Rückbindung an eine geschriebene Befugnisnorm im Vertrag. Folglich geht es nicht mehr um die Verwirklichung der praktischen Wirksamkeit der vorhandenen Kompetenz, sondern der Aufgabe selbst. Indem der Gedanke des effet utile als Kompetenzbegründungsprinzip fungiert und damit die geschriebenen vertraglichen Kompetenzen erweitert, gerät diese Vorgehensweise in Konflikt mit Art. 235 EGV, der dazu dient, der EG Kompetenzen zur Durchsetzung von Vertragszielen an die Hand zu geben, die der Vertrag selbst nicht enthält. Hierbei handelt es sich aber immer um Kompetenzen, die im Vertrag angelegt sind. Art. 235 EGV aktualisiert also implizit - durch die Erfordernisse einer effektiven Aufgabenwahrnehmung und wegen des dynamischen Charakters des Gemeinschaftsrechts - vorhandene Kompetenzen und begründet keine völlig neuen Kompetenzen. Von daher läßt sich Art. 235 EGVauch nicht als Kompetenz-Kompetenz begreifen. 319

Dazu Comils, S. 301 ff. So der EuGH, 09. 07. 1987, verb. Rs. 281, 283 bis 285 u. 287/85 ("Wanderarbeitnehmer"), S1g. 1987, 3203 (3253 Tz. 4): "Weist eine Bestimmung des EWG-Vertrages, im vorliegenden Fall Artikel 118, der Kommission eine bestimmte Aufgabe zu, so ist davon auszugehen, daß sie ihr dadurch notwendigerweise auch die zur Erfüllung der Aufgabe unerläßlichen Befugnisse verleiht; andernfalls würde der Bestimmung jede praktische Wirksamkeit genommen." 319 Tomuscluzt, EuR 1976, Sonderheft, 45 (57); Comils, S. 303. Selbst das BVerfG wollte dem Art. 235 EGV sicher nicht den Charakter einer Kompetenz-Kompetenz zuweisen, als es die Bestimmung als "Kompetenzerweiterungsvorschrift" [E 89, 155 (196)] kennzeichnete. Dies geschah lediglich in Abgrenzung zu Art. F Abs. 3 EUV, der erst recht keine KompetenzKompetenz darstellt, weil ihm schon die verfahrensrechtlichen Ergänzungen einer Befugnisnorm fehlen. Dem BVerfG ging es hierbei eher um die Beschreibung der tatsächlichen Handhabung durch die EG-Organe als um eine präzise rechtliche Einordnung. Dies zeigt die Verwahrung gegen die "großzügige Handhabung des Art. 235 EWGV im Sinne einer 'Vertragsabrundungskompetenz' " [E 89, !55 (210)]. 317 318

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

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Bei der Argumentation mit dem effet utile-Prinzip wird die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts als Leitzweck verabsolutiert und von diesem Zweck auf fehlende Befugnisse zu ihrer Durchsetzung geschlossen. Das Prinzip des effet utile dient dann nicht der Verwirklichung eines im Vertrag angelegten Zieles oder Zwecks, sondern ist selbst der durchzusetzende Zweck? 20 Der Zweck-MittelSchluß läßt sich also überhaupt nur begründen, wenn es der Effektivität der Wirkungskraft des Gemeinschaftsrechts ganz allgemein dient, daß das EG-Recht ein Verbot der mittelbaren Diskriminierung enthält. Dann müßte das Recht der Gleichbehandlung und der Diskriminierungsverbote absolut lückenlos sein und auch solche Fälle erfassen müssen, die sich nur mit Hilfe von Statistiken feststellen lassen. Für die Schließung von Kompetenzlücken im EG-Recht ist aber die Bestimmung des Art. 235 EGV vorhanden. Sie stellt ein tatbestandlieh beschränktes und verfahrensmäßig gesichertes Instrumentarium für die Aktualisierung von Kompetenzen zur Verfügung. Eine Lückenschließung, die über Art. 235 EGV hinausgreift, kann es nicht geben; dies wäre ein Verstoß gegen das Enumerationsprinzip, der notwendig als Vertragsänderung zu qualifizieren wäre und somit unter das Reglement des Art. N EUV fällt. Der Zugriff auf ungeschriebene virtuelle Kompetenzen wird durch Art. 235 EGV abschließend geregelt. Dies ist Ausdruck und Sicherung des Prinzips, daß grundsätzlich eine Zuständigkeit bei den Mitgliedstaaten verblieben ist und nur kraft vertraglicher Zuweisung auf die Gemeinschaft übergeht. Eine Kompetenzbegründung allein aus dem Prinzip der Effektivität des Gemeinschaftsrechts müßte als Kompetenz-Kompetenz beschrieben werden, unabhängig von der sich anschließenden Frage, welchem Organ auf Gemeinschaftsebene diese Kompetenz zukäme. Die Rechtsfortbildung im Hinblick auf die Institutionalisierung des Verbots mittelbarer Diskriminierung wäre nur dann zulässig, wenn sie durch den Rat im Wege des Verfahrens nach Art. 235 EGV hätte eingeführt werden können. Eine darüber hinausgehende Rechtsfortbildungsbefugnis steht auch dem Gerichtshof nicht zu. Unter Berufung auf den effet utile des Vertrages kann auch der EuGH nur vorhandene Kompetenzen aktualisieren. 321 Eine Gemeinschaftskompetenz zum Erlaß des Verbots mittelbarer Diskriminierung folgt ebensowenig aus dem Prinzip des effet utile. ff) Art. 235 EGV

Folglich ist zum Schluß zu prüfen, ob Art. 235 EGV eine vorhandene Kompetenz zum Erlaß eines Verbot der mittelbaren Diskriminierung aktualisieren kann. Art. 235 EGV erlaubt die Rechtsetzung, wenn dies zur Erreichung eines Gemeinschaftszieles im Rahmen des Gemeinsamen Marktes erforderlich ist. Die inhaltliche Ausfüllung dieser Voraussetzungen ist umstritten. Problematisch ist, ob eine 320 321

Zu diesem Verständnis und der Kritik hieran Comi/s, S. 304 f. Vgl. Comils, S. 306.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

tatbestandliehe Begrenzung bei der Zielverwirklichung im Rahmen des Gemeinsamen Marktes ansetzen kann. Die erste Ansicht, die den Begriff des Gemeinsamen Marktes hier weit auslegt, bezeichnet damit - über die Bedeutung des Begriffes in Art. 2 EGV hinaus - die Gesamtheit der Gemeinschaftsaufgaben. 322 Diese Auffassung ist abzulehnen, weil die Wendung "im Rahmen des Gemeinsamen Marktes" jede Bedeutung verlöre. Eine Vertragsbestimmung ist aber so auszulegen, daß jeder Begriff einen Sinn erhält. Nach einer engeren Meinung soll das Merkmal der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Gemeinsamen Marktes dienen 323 oder jedenfalls keine negativen Auswirkungen auf das System des Gemeinsamen Marktes haben dürfen 324. Jedenfalls ist Art. 235 EGV nur für solche Materien anwendbar, die einen Bezug zum Gemeinsamen Markt aufweisen. Ausgeschlossen sind Regelungen zur Verwirklichung der politischen Union oder auf dem Gebiet der Landesverteidigung. 325 Art. 235 EGV beschränkt sich als Abrundungskompetenz auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes; das bedeutet ausschließlich Liberalisierung, weder Regulierung noch gar autonome Schutzpolitik. 326 Zum Erlaß der Gleichbehandlungsrichtlinien ist diese Vorschrift von den Gemeinschaftsorganen herangezogen worden. Dies gilt für die Richtlinien 761207 I EWG und 79 17 I EWG327 . Die Richtlinien 86/378/ EWG 328 und 86 I 613/ EWG329 sind zusätzlich noch auf Art. 100 EGV gestützt worden. Dieser Umstand ist aber nicht mehr als ein Indiz, daß es sich bei Art. 235 EGV um eine taugliche Kompetenz für Gleichbehandlungsfragen handeln könnte. (a) Stellung des Art. 235 EGV im Kompetenzsystem Die Kompetenzergänzungsvorschrift des Art. 235 EGV steht zwischen dem Grundsatz der enumerativen Einzelermächtigung (Art. 3b Abs. 1 EGV) und der Everling, EuR Sonderheft 1976, S. 2 (11); Constantinesco, S. 275. Tomuschat, EuR Sonderheft 1976, S. 45 (65). 324 Grabitz, in: Grabitz/Hilf, Art. 235, Rn. 62; Schwartz, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 235, Rn. 189 ff. ("im Einklang mit den Regeln des Gemeinsamen Marktes"); Cornils, S. 308. 325 Vgl. Bleckmann/Bleckmann, Rn. 789 u. 791 f. 326 Steindorff, S. 114 Anm. 355. 327 Richtlinie des Rates v. 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit, ABI. EG Nr. L 6 v. 10. 01. 1979, S. 24. 328 Richtlinie des Rates v. 24. Juli 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männem und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit, ABI. EG Nr. L 225 v. 12. 08. 1986, S. 40. 329 Richtlinie des Rates v. 11. Dezember 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit auch in der Landwirtschaft - ausüben, sowie über den Mutterschutz, ABI. EG Nr. L 359 v. 19. 12. 1986, S. 56. 322

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A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

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Vertragsänderung (Art. N EUV). Sie stellt ein institutionalisiertes Verfahren zur legitimen Rechtsfortbildung des EG-Vertrages dar. Da die EG einerseits auf eine ständige Weiterentwicklung auch durch Rechtsetzung angelegt ist, andererseits die im Vertrag explizit genannten Kompetenzen zur Erfüllung aller Gemeinschaftsaufgaben nicht ausreichen, können die Rechtsetzungsorgane im Wege des Art. 235 EGV Rechtsakte erlassen, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines der Gemeinschaftsziele zu verwirklichen. Insoweit braucht nicht auf die Vertragsergänzungsvorschrift des Art. N EUV zuriickgegriffen zu werden. 330 Auch das BVerfG hat im Maastricht-Urteil die Legitimität der Rechtsfortbildung durch Art. 235 EGV nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern nur auf eine strikte Einhaltung der Voraussetzungen hingewiesen, die nicht durch eine pauschale Berufung auf die Dynamik des Gemeinschaftsrechts, auf den Gedanken der inhärenten Zuständigkeiten und die Ausschöpfung von Befugnissen unter dem Gesichtspunkt des effet utile unterlaufen werden darf. 331 Der Hinweis des BVerfG richtet sich gegen die seit dem Gipfel von Paris 1972 immer stärker werdende Tendenz in der Praxis der Gemeinschaftsorgane, sich von den Voraussetzungen des Art. 235 EGV bei der Rechtsfortbildung zu lösen. Damals rief der Rat der Staats- und Regierungschefs dazu auf, die Vertragsabrundungskompetenz voll auszuschöpfen. In der Folgezeit entwickelte sich Art. 235 EGV faktisch mehr und mehr zu einer Kompetenz-Kompetenz.332 Um so wichtiger ist es, auf eine strenge Abgrenzung zur Vertragsergänzung allein deshalb zu achten, weil das Verfahren nach Art. N EUV eine Ratifizierung der Vertragsänderung erfordert und nicht nur einen einstimmigen Ratsbeschluß wie bei Art. 235 EGV. Dies wiederum sichert die Souveränität der Mitgliedstaaten als Herren der Verträge, denen es überlassen bleiben muß, welche hoheitlichen Befugnisse sie auf die Gemeinschaften übertragen.

(b) Ziele der Gemeinschaft Art. 235 EGV stellt ein Mittel dar, um die Ziele des EG-Vertrages zu erfüllen. Zweckmäßig ist es daher, das Ziel des Verbots mittelbarer Diskriminierung nochmals genau zu beschreiben. Das Verbot der Verwendung neutraler Differenzierungskriterien mit geschlechtsspezifischer Auswirkung will zum einen die Gleichberechtigung von Mann und Frau vornehmlich im Arbeitsleben fördern. Mittelbar und langfristig resultiert hieraus eine Gleichstellung von Mann und Frau, da der Abbau struktureller Diskriminierungen intendiert ist. In dieser konkreten Gestalt läßt sich ein derartiges Ziel nicht in den Verträgen finden. Fraglich ist, inwieweit man davon ausgehen kann, daß es in allgemeinen Zielen zur Sozialpolitik enthalten ist und inwieweit diese hier herangezogen werden dürfen. 330 33 1 332

Geiger, Art. 235, Rn. 1. BVerfGE 89, 155 (210). Steindorff. S. 114.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Die Ziele sind in der Präambel und in den Vorschriften über die Aufgaben der EG (Art. 2 f. EGV) beschrieben und umfassen damit die Verbandskompetenz der Gemeinschaft. 333 Weitere Konkretisierungen finden sich in diversen Einzelregelungen (Art. 29, 39, 110, 123 EGV). Inwieweit aber für die Anwendung von Art. 235 EGV tatsächlich die allgemeinen Ziele der Präambel und des Art. 2 EGV herangezogen werden dürfen, ist umstritten. So wird in der Literatur argumentiert, daß eine Beschränkung auf die konkreten Ziele des Art. 3 EGV nicht möglich sei? 34 Nach der Gegenansicht sind die Ziele der Gemeinschaft im Sinne ihrer Aufgaben von den Zielen im Sinne der Erwartungen zu unterscheiden, die sich an die Aufgabenerfüllung knüpfen. 335 Die in der Präambel und in Art. 2 EGV beschriebenen allgemeinen politischen Fernziele haben tatsächlich eine andere Funktion als die Aufgaben des Art. 3 EGV. Die Fernziele sollen durch die Integrationsbemühungen der Gemeinschaft, insbesondere auf den angegebenen Wegen der Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion erreicht werden. Sie dienen so als Kriterien, die bei der Auslegung anderer Bestimmungen des Vertrages heranzuziehen sind. Würden sie als Ziele im Sinn des Art. 235 EGV aufgefaßt, wäre eine Abgrenzung zur Vertragsergänzung unmöglich. Daher ist der zuletzt genannten Ansicht zu folgen.336 Folglich scheidet eine Berufung auf den in der Präambel des EU-Vertrages und in Art. B EUV geforderten sozialen Fortschritt als Zielbestimmung aus. Auch Art. 2 EGV, in dem die Gemeinschaft sich ein hohes Maß an sozialem Schutz zum Ziel setzt, kann für Art. 235 EGV nicht herangezogen werden. Problematisch ist, ob eine Berufung auf den effet utile des Gemeinschaftsrechts kompetenzbegründende Kraft hat. Die Effektuierung des Gemeinschaftsrechts für sich genommen ist kein durch Art. 235 EGV verfolgbares Ziel der EG. Dies müßte als alle anderen Ziele einschließendes Generalziel bezeichnet werden und in Verbindung mit der Kompetenzaktualisierungsbefugnis eine Generalermächtigung darstellen sowie auf diese Weise das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung wirkungslos machen. 337 Im übrigen enthält keine Gemeinschaftsbestimmung dieses VertragszieL Neue Vertragsziele dürfen aber unstreitig nicht begründet werden. Art. 117 Abs. 1 EGV wird in diesem Zusammenhang als verbindliches Ziel der Gemeinschaft angesehen. 338 Damit verbunden ist auch eine Pflicht zum Tätigwerden, wenn sich infolge einer negativen wirtschaftlichen Entwicklung - entgegen Grabitz, in: Grabitz/Hilf, Art. 235 Rn. 21. Ehring, in: Groeben/Boeckh/Thiesing (2. Aufl.), Art. 235 Anm. li I (S. 757) und Schwartz. in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 235 Rn. 115; Bleckmann/Bleckmann, Rn. 789. 335 Grabitz. in: Grabitz I Hilf, Art. 235, Rn. 12. 336 Geiger, Art. 235 Rn. 5. 337 Vgl. Comils, S. 310. 338 Vgl. nur EuGH, 29. 09. 1987, Rs. 126/86 (Gimenez Zaera), Slg. 1987, 3697 (3716, Tz. 14); Bleckmann/Coen, Rn. 2557 ff. 333 334

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

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der Fortschrittserwartung - die soziale Situation in der Gemeinschaft zu verschlechtern droht. 339 Damit stünde der Anwendung der Abrundungskompetenz nichts im Wege. 340 Die Aufgabe des Art. 117 EGV, eine Harmonisierung der Lebens- und Arbeitsbedingungen im Wege des Fortschritts zu erreichen, kann jedoch aus mehreren Gründen als Ermächtigung für Gleichbehandlung der Geschlechter, und sei es nur für eine wirksamere Durchsetzung des Gleichberechtigungsgebotes in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, nicht genügen. Zwar sieht Art. 6 Abs. 3 des Abkommens über die Sozialpolitik vor, daß spezifische Vergünstigungen für Frauen dem Gleichberechtigungsgrundsatz nicht entgegenstehen, wenn sie der Erleichterung ihrer Berufstätigkeit oder dem Ausgleich von Benachteiligungen in ihrer beruflichen Laufbahn dienen. Mit dieser Öffnungsklausel sollen die Mitgliedstaaten lediglich nicht daran gehindert werden, Vergünstigungen für Frauen vorzusehen. Keineswegs handelt sich um eine Verpflichtung der EG-Organe, solche einzuführen, denen der EuGH bei Nichteinführung zur Durchsetzung verhelfen müßte. Die Klausel ist als Reaktion auf die Rechtsprechung des EuGH im Fall "Barber"341 zu verstehen. Im übrigen kann diese Förderklausel nicht zur Anwendung kommen, weil das Sozialabkommen nicht zur Auslegung des EG-Vertrages herangezogen werden kann. Eine weitere Überlegung spricht gegen die Heranziehung des Art. 117 EGV im Rahmen des Art. 235 EGV. Die Vertragsabrundungskompetenz kann nicht noch neben bereits bestehenden Kompetenzen in einem Politikbereich zur Anwendung gelangen. Hier ist vielmehr von einem beredten Schweigen des Vertrages auszugehen. Wenn zur Durchführung eines bestimmten Politkbereiches nur in begrenztem Umfang Kompetenzen von den Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft übertragen worden sind, muß davon ausgegangen weden, daß dies einer bewußten Entscheidung der Mitgliedstaaten entspricht, ansonsten selbst zuständig zu bleiben. Diese Wertentscheidung kann nicht mittels der Vertragsabrundungskompetenz unterlaufen werden. Grundsätzlich ist dies für die Sozialpolitik auch anerkannt. Denn Art. 117 EGV gibt auch genau die Mittel an, mit denen sein Ziel verwirklicht werden soll. Daneben verbietet sich ein Rückgriff auf Art. 235 EGV. Im übrigen steht einer umfassenden Rechtsetzung durch die EG auf Grundlage des Art. 235 EGV das Subsidiaritätsprinzip des Art. 3b Abs. 2 EGV entgegen.

Schnorr; RdA 1981, 345 (347). Vgl. schon allgernein für die Rechtslage vor "Maastricht": Birk, RdA 1992, 68 (72), der allerdings gewisse Einschränkungen vornimmt. Die EG-AIIzuständigkeit für die Sozialpolitik klang auch in der Diskussion auf dem 5. RdA-Syrnposion "Europäisches Arbeitsrecht" nach dem Referat von Birk zur Gesetzgebungszuständigkeit der EG im Arbeitsrecht an, vgl. Coen, RdA 1992, 74. Explizit a.A.: Buchner; VSSR 1992, 1 (20); Grabitz, in: Grabitz/Hilf, Art. 235, Rn. 17 ff. 341 EuGH, 17. 05. 1990, Rs. C-262/88 (Barber), Slg. 1990,1-1889. 339 340

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

(c) Befugnislücke

Art. 235 EGV kommt nur zum Zuge, wenn der Vertrag sonst keine Befugnis der EG-Organe aufweist. Diese und die weiteren Voraussetzungen brauchen nicht mehr erörtert zu werden, nachdem feststeht, daß es für eine Kompetenzaktualisierung bereits an einem Gemeinschaftsziel fehlt. Hier kann nur nochmals wiederholt werden, daß in der Gemeinschaft Einigkeit herrscht, die Zuständigkeit für die Sozialpolitik im allgemeinen bei den Mitgliedstaaten zu belassen und Fragen der faktischen Gleichstellung der Geschlechter nicht zu regeln. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, daß der Gemeinschaft eine Verbandskompetenz zur Etablierung des Verbots mittelbarer Diskriminierung wegen des Geschlechts nicht zusteht.

gg) Art. 2 Abs. 1 Sozialabkommen (Art. 137 Abs. 1 EG) Zum Schluß soll erörtert werden, ob sich unter Einbeziehung des Sozialabkommens von Maastricht die kompetenzielle Situation ändert. Den "Herren des EG-Vertrages" könnte es unbenommen sein, gestützt auf die Kompetenz des Art. 2 Abs. 1 Spiegelstrich 4 i.V.m. Abs. 2 Sozialabkommen (Art. 137 Abs. 1 Spiegelstrich 5 i. V. m. Abs. 2 EG) eine schärfere Form des geschlechtsbedingten Diskriminierungsverbots zu normieren. So stellt sich jedoch das Problem, ob das Verbot der mittelbaren Diskriminierung, wie es vom EuGH konzipiert und von der h.L. ausgestaltet worden ist, noch vom Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist. Nach der besagten Regelung sind nur Bestimmungen zulässig, die die Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und die Gleichbehandlung am Arbeitsplatz zum Thema haben. 342 Chancengleichheit und Gleichbehandlung sind bereits durch Art. 119 EGV abgedeckt. Die Bestimmung des Sozialabkommens wollte nicht den Anwendungsbereich des Art. 119 EGV erweitern, wie es mit der Normierung des Verbots mittelbarer Diskriminierung geschähe, sondern der Gemeinschaft die Möglichkeit eröffnen, Regelungen auf diesem Sektor mit qualifizierter Mehrheit, statt einstimmig nach Art. 100, 235 EGV zu erlassen. 343 Deshalb erscheint es nur schwer vorstellbar, inhaltlich weitergehende Regelungen zu konzipieren, die sich dennoch innerhalb des Kompetenzrahmens halten. Der Beseitigung der mittelbaren Diskriminierung liegt jedoch eine ergebnisorientierte Sicht der Wirklichkeit zugrunde, die mit dem herkömmlichen Verständnis von Chancengleichheit nicht zu vereinbaren ist. Danach bedeutet dieser Terminus eine Gleichheit der Ausgangschancen, der Startbedingungen, gerade keine Gleichheit im Ergebnis. Dies entspricht im übrigen der Rechtsprechung des EuGH zum Art. 2 Abs. 4 RL 76/207 /EWG. 344 Mit dieser 342 343

Allgemein: Kliemann, S. 104. Vgl. vom Ansatz genauso Schutz, S. 98.

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

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Auslegung der Begriffe Chancengleichheit und Gleichbehandlung läßt sich das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nicht in Einklang bringen. Von daher ergibt sich auch aus Art. 2 Abs. 1 Spiegelstrich 4 i.V.m. Abs. 2 Sozialabkommen keine Kompetenz zur Einführung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung. An diesem Befund ändert sich nichts, wenn man Art. 6 Abs. 3 Sozialabkommen (Art. 141 Abs. 4 EG) in die Betrachtung einbezieht. In dieser Vorschrift wird klargestellt, daß ein Mitgliedstaat nicht daran gehindert ist, zur Erleichterung der Berufstätigkeit von Frauen oder zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in ihrer beruflichen Laufbahn spezifische Vergünstigungen beizubehalten oder zu beschließen. Derartige Vergünstigungen verletzen nicht den Gleichheitsgrundsatz. Die Vorschrift ist als legislative Reaktion auf ein rein formales Verständnis der Gleichbehandlung von Mann und Frau durch die Rechtsprechung des EuGH345 zu verstehen. Als Anknüpfungspunkt für eine Gemeinschaftskompetenz zum Erlaß einer Vorschrift wie dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung kommt sie gleich aus zwei Gründen nicht in Betracht. Zum einen richtet sich die Bestimmung nur an die Mitgliedstaaten und erlaubt ihnen, Vergünstigungen beizubehalten. Eine Gemeinschaftskompetenz wird durch die Bestimmung ausdrücklich nicht begründet. Zum anderen ist der Tatbestand der Norm derart eng, daß ein Verbot wie das der mittelbaren Diskriminierung nicht darunter zu subsumieren ist. Das Verbot gechlechtsneutraler Regelungen mit geschlechtsspezifischen Auswirkungen ist keine spezifische Vergünstigung zur Erleichterung der Berufstätigkeit von Frauen. Den Unterzeichnerstaaten des Sozialabkommens schwebten hier allgemein "positive Maßnahmen", wie beispielsweise eine vorgezogene Altersgrenze für Frauen, vor. Gesichert werden sollte vorrangig ein Verständnis von Gleichbehandlung als materieller Gleichbehandlung. 346 Zusammenfassend muß konstatiert werden, daß der Gemeinschaft eine Kompetenz zur Einführung einer Regelung mit dem Inhalt des Verbots mittelbarer Diskriminierung nicht zukommt. Die Rechtsfortbildung, die im Verbot der mittelbaren Diskriminierung zu sehen ist, verbietet sich bereits aus diesem Grund.

b) Organkompetenz Zur Abrundung der Argumentation soll noch kurz die Frage der Organkompetenz des Gerichtshofs in bezug auf die- an sich schon nicht statthafte- Rechtsfort344 EuGH, 17. 10. 1995, Rs. C-450 I 93 (Eckhard Kaianke I Freie Hansestadt Bremen), Slg. 1995,1-3051 (3078, Tz. 22 f.); EuGH, 11. 11. 1997, Rs. C-409/95(Hellmut Marschall/Land Nordrhein-Westfalen), Slg. 1997, 1-6363 (6392 f .). Deutlich auch Schlußanträge des GA Jacobs v. 15. 05. 1997 in der Rs. C-409/95, a. a. 0., Slg. 1997,1-6365 (6377, Tz. 42). 345 EuGH, 17. 05. 1990, Rs. C-262/88 (Barber), Slg. 1990,1-1889. 346 Vgl. Schutz, S. 115 f.

17 Traupe

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

bildung beleuchtet werden. Dabei soll unterstellt werden, daß der Gemeinschaft eine Verbandskompetenz zum Erlaß einer Regelung, wie sie das Verbot der mittelbaren Diskriminierung beinhaltet, zusteht. Auf der einen Seite steht die in Art. 164, 173 ff. EGV zum Ausdruck gekommene Willens- und Wertentscheidung der Mitgliedstaaten, für die Rechtsprechung in den Europäischen Gemeinschaften einen Gerichtshof einzusetzen, "dem Rechtsfindungswege offenstehen sollten, wie sie in jahrhundertelanger gemeineuropäischer Rechtsüberlieferung und Rechtskultur ausgeformt worden sind"347 • Dies schließt die Möglichkeit ein, das Recht nach methodisch anerkannten Grundsätzen fortzubilden, wozu die Ableitung allgemeiner Rechtsprinzipien aus den Zielen und der Funktion der Gemeinschaftsrechtsordnung zählt. 348 Fraglich ist, wo die organkompetenziellen Grenzen für eine Rechtsfortbildung durch den EuGH verlaufen. So wird teilweise im Schrifttum geltend gemacht, daß das Richterrecht in der Rechtsordnung der EG einen weitergehenden Anwendungsbereich habe als im nationalen Recht. Selbst wenn der Vertrag Mittel zur Erreichung in den Verträgen festgesetzter Ziele "nicht einmal in Ansätzen" erwähne, dürfe der Gerichtshof diese Mittel herausbilden. 349 Demgegenüber betont eine stärker werdende Meinungsgruppe, daß sich aus der Systematik und dem Zweck des Vertrages spezifische gemeinschaftsrechtliche Grenzen für die Rechtsfortbildung finden lassen. 350 Die Frage ist also, ob der Gerichtshof selbst, als planwidrig erkannte Lücken im Befugnissystem des Gemeinschaftsrechts schließen kann. Nur auf dieses Problem kommt es im vorliegenden Zusammenhang an. Der Blick ist auf Art. 235 EGV zu richten. Die Kompetenzabrundungsklausel sieht für die Aktualisierung ungeschriebener aber potentiell vorhandener Befugnisse einen einstimmigen Ratsbeschluß vor. Dies kann als bewußte Entscheidung der Schöpfer des Vertrages gegen eine Rechtsfortbildung durch den EuGH im Bereich der Gemeinschaftskompetenzen verstanden werden. Einmal deutet das Einstimmigkeitserfordernis darauf hin, daß die Mitgliedstaaten bei der Kompetenzaktualisierung ein Sicherungsmoment in den Vertrag eingebaut haben. 351 Denn bis zur Feststellung der Kompetenzaktualisierung im Rat verbleibt die Kompetenz als eine konkurrierende, von der Gemeinschaft nicht wahrgenommene Befugnis bei den Mitgliedstaaten. Insofern läßt sich die Kompetenzaktualisierung mit der Kompetenzübertragung vergleichen. 352 Nimmt nun der mit Mehrheit entscheidende Gerichtshof diese Aktualisierung vor, ist dieses Sicherungsmoment wirkungslos. Gravierender erscheint jedoch die damit verBVerfGE 75, 223 (243). BVerfGE 75, 223 (243 f.); Comils, S. 320. 349 Everling, RabelsZ 50 (1986), 193 (207); Bleckmann, GS Constantinesco, S. 61 (65). 350 Hillgruber, Grenzen der Rechtsfortbildung, S. 31 (42 f.); Stein, FS 600 Jahre Universität Heidelberg, S. 619 (628 ff.); Comils, S. 320 ff. 351 Comils, S. 320. 352 Hillgruber, Grenzen der Rechtsfortbildung, S. 31 (42 f.); Constantinesco, S. 280. 347 348

A. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 119 EGV

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bundene politische Implikation, die sich mit der Frage nach der Planwidrigkeit der Lücke stellt. Mit Hilfe welchen Maßstabs soll der Gerichtshof eigentlich die Planwidrigkeit einer Befugnislücke feststellen? Zweifelhaft ist, ob hierfür bereits die Summe der im Vertrag übertragenen Gemeinschaftsaufgaben ausreicht oder ob der EuGH nicht vielmehr die Entscheidungen des Gemeinschaftsgesetzgebers zu berücksichtigen hat. 353 Immerhin handelt es sich auch um eine bewußte Entscheidung des Gesetzgebers, wenn im Gesetz oder im Vertrag zum Ausdruck kommt, daß eine bestimmte Regelung nicht gewollt war. Die Annahme einer planwidrigen Lücke verbietet sich im Fall eines beredten Schweigens des Gesetzgbers.354 Gerade auf EG-Ebene ist dieses Ergebnis nicht fernliegend, weil unterhalb dieser Ebene Regelungen für diese Materie in den Mitgliedstaaten möglich und erwünscht bleiben. Von Rechtsverweigerung kann nicht gesprochen werden, wenn der Rat eine Befugnislücke nicht nach Art. 235 EGV schließen sollte. Dann bleiben die Mitgliedstaaten für den Sachbereich zuständig? 55 Selbst wenn man dem Art. 235 EGV eine Verpflichtung des Gemeinschaftsgesetzgbers entnehmen wollte, die Befugnislücke zu schließen356, könnte für die Befugnis des EuGH zur Rechtsfortbildung kein anderes Ergebnis gewonnen werden. Auch dann bliebe es beim Vorbehalt der Einstimmigkeit, der durch die richterliche Entscheidung nicht unterlaufen werden dürfte. 357 Weitere grundsätzliche Überlegungen sprechen für das bereits angedeutete Ergebnis: Auch für die Rechtsfortbildung durch den EuGH gilt der alte europäische Rechtsgrundsatz der "Gewaltenteilung zwischen Legislative und Judikative". Hierbei handelt es sich um eine Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips, dem sich ebenso wie alle Mitgliedstaaten auch die Gemeinschaft verpflichtet fühlt. Die Grenze der richterlichen Rechtsfortbildung verläuft nach deutschem Rechtsverständnis dort, wo die dem Richter abverlangte Entscheidung im Rahmen der geltenden Rechtsordnung mit spezifisch rechtlichen Erwägungen allein nicht gefunden werden kann, sondern eine an Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten orientierte politische Entscheidung notwendig ist. 358 Warum auf europäischer Ebene etwas anderes gelten soll, ist nicht ersichtlich. Fragen der Gleichstellung der Geschlechter und der spezifischen Förderung der Frau haben einen derart politischen Charakter, daß ihre verbindliche Entscheidung durch die Gerichtsbarkeit dem Verständnis des judical self-restraint widerspricht. Dies hängt damit zusammen, daß bei der Lösung dieser Probleme, sofern hier überhaupt tiefere Probleme diagnostiziert werden können, die sich rechtlich und politisch lösen lassen, verschiedene durchaus zueinander in Widerspruch stehende Antworten in der öffentlichen Auseinandersetzung diskuStein, FS 600 Jahre Universität Heidelberg, S. 619 (628 f. und 631 ff.); Comils, S. 321. Vgl. nur Larenz, Methodenlehre, S. 370, 373 f. 355 Dazu Stein, FS 600 Jahre Universität Heidelberg, S. 619 (631 f. und 635 f.); Comils, s. 321 f. 356 So Schwartz, in: Groeben/Thiesing/ Ehlerrnann, Art. 235 Rn. 245 ff. 357 Comils, S. 322. 358 Larenz, Methodenlehre, S. 426 ff. 353

354

17*

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

tiert werden. Dieses öffentliche Ringen um die richtige und gerechte Form der Frauenförderung, der besseren Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie für beide Geschlechter ist noch in vollem Gange und entzieht sich auch einfachen Antworten, die Richter bei der Lösung eines konkreten Falles, der notwendig immer auf einen bestimmten Ausschnitt der Lebenswirklichkeit bezogen ist, geben können. Es fehlt dem EuGH demnach an der Organkompetenz zur Rechtsfortbildung bei einer nach Art. 235 EGV vorausgesetzten Verbandskompetenz zur Setzung eines Verbots der mittelbaren Diskriminierung.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG An dieser Stelle soll versucht werden, das von der h.M. so genannte Verbot der mittelbaren Diskriminierung359 in den Kontext von Art. 3 GG einzufügen und dessen Tatbestandsmerkmale zu bestimmen. Umstritten ist, ob und wenn ja, wo genau, Art. 3 GG auch ein Verbot der mittelbaren Diskriminierung beinhaltet.

I. Rechtsprechung 1. Die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts

Das BVerfG hat sich bislang weder zum Prüfungsort noch zu den Voraussetzungen des Verbots der mittelbaren Diskriminierung geäußert. Der neuesten Rechtsprechung lassen sich allenfalls Andeutungen über die grundsätzliche Existenz des Verbots entnehmen. Die Aussagen aus der Nachtarbeitsentscheidung 360 können jedoch noch nicht in diese Richtung gedeutet werden? 61 Hierzu bestand für das BVerfG auch kein Anlaß, weil das Nachtarbeitsverbot für Frauen ein klarer Fall unmittelbarer Diskriminierung war. Das Gericht hatte festgestellt, daß das Geschlecht grundsätzlich auch dann nicht als Anknüpfungspunkt für eine durch Art. 3 Abs. 2, 3 GG verbotene rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden dürfe, wenn eine Regelung nicht auf eine verbotene Ungleichbehandlung angelegt sei, sondern in erster Linie andere Ziele verfolge.362 Mit dieser Klarstellung 359 Eine frühe Andeutung, ohne freilich den Begriff zu erwähnen, findet sich bei Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 II, Rn. 25 (Anm. 3); Schnapp, JR 1974, 316 (317). 360 BVerfGE 85, 191 (206 f.). 361 A.A. Sievers, S. 43.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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wollte das BVerfG allen Einschränkungen des Differenzierungsverbotes im Sinn einer Finalität oder Sachgerechtigkeitsprüfung eine Absage erteilen. Dies beweist der Rückgriff auf die zitierte Entscheidung, in der es um die Förderung privater Ersatzschulen im Verhältnis zu Bekenntnis- oder Weltanschauungsschulen ging. Die Formulierung läßt sich nicht als Anerkennung der mittelbaren Diskriminierung bei Art. 3 Abs. 2, 3 GG verstehen. Auch der Hinweis des Gerichts, faktische Nachteile, die typischerweise Frauen träfen, dürften wegen des Gleichberechtigungsgebots des Art. 3 Abs. 2 GG durch begünstigende Regelungen ausgeglichen werden, läßt sich nicht als implizite Billigung der neuen Rechtsfigur deuten. Selbst wenn man das Verbot der mittelbaren Diskriminierung als "minus" im Ziel der Herstellung faktischer Gleichheit enthalten sehen wollte, würde dies den Kontext der Feststellung mißachten. Die Nachtarbeitsentscheidung wollte dem Art. 3 Abs. 2 GG nicht das Ziel der Gleichstellung der Geschlechter beilegen, sondern der Durchsetzung der Gleichberechtigung in der gesellschaftlichen Wirklichkeit. 363 Dem läßt sich nicht entgegenhalten, der objektive Verfassungsauftrag zur Herstellung der faktischen Geschlechtergleichstellung korrespondiere mit dem subjektiven Recht der Frau, die bestehenden Ungleichheiten nicht noch weiter zu vertiefen. 364 Dieses subjektive Recht ist unbestritten. Aber auch hieraus ergibt sich noch nicht zwingend das Verbot der mittelbaren Diskriminierung als Grundsatz des Art. 3 Abs. 2, 3 GG, solange auch andere Lösungen zur Sicherung dieser Rechtsposition vorstellbar sind. Der Nichtannahmebeschluß in dem Rechtsstreit "Bilka" gegenüber der Verfassungsbeschwerde des Kaufhausunternehmens gab ebenfalls keinen näheren Aufschluß. Die Kammer rekurrierte auf das erste Parteienfinanzierungsurteil des Bundesverfassungsgerichts365, in dem bereits der für die Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung maßgebliche Rechtsgedanke angelegt war. Dennoch beschränkte sich die Kammer darauf, die praktischen Auswirkungen einer Regelung im Hinblick auf die Gleichbehandlung zu würdigen. Dieser Umstand ist in der Rechtsprechung des Gerichts keineswegs neu. Das BVerfG äußerte sich zum genauen Prüfungsort und Prüfungsumfang von mittelbar Frauen benachteiligenden Regelungen in dieser Entscheidung nicht. 366 Als Durchbruch zur Anerkennung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung im Rahmen von Art. 3 Abs. 2, 3 GG läßt sich dieser Beschluß also nicht werten. 367 Auch in der Entscheidung zum Zugang zu Männer362 BVerfGE 85, 191 (206), als Klarstellung zu BVerfGE 75, 40 (70), wo es geheißen hatte: "Das Verbot des Art. 3 Abs. 3 GG gilt mithin nicht absolut; es verbietet, wie sich schon aus seinem Wortlaut ergibt ('wegen' ), nur die bezweckte Benachteiligung oder Bevorzugung, nicht aber einen Nachteil oder einen Vorteil, der die Folge einer ganz anders intendierten Regelung ist". 363 Auf diesen von Sievers, S. 43 f., verkannten Unterschied wird unter 3. Kap. B IV 2 a dd eingegangen. 364 So Sievers, S. 44. 365 BVerfGE 8, 51 (65 ff.). 366 BVerfG, NZA 1993, 213 (214).

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Berufen, m der es um eine Auslegung des § 6lla BGB im Lichte des Art. 3 Abs. 2 GG ging, merkte das BVerfG in einem obiter dieturn lediglich an, daß eine besonders kritische Prüfung nachträglich mitgeteilter Gesichtspunkte für eine Auswahlentscheidung erforderlich sei, wenn Kriterien typischerweise von Personen desselben Geschlechts wie die abgelehnte Person überhaupt nicht oder nur in ganz geringem Umfang erfüllt werden. 368 Das BVerfG bestätigte seine Ansicht, auch tatsächliche Gesichtspunkte in die rechtliche Würdigung einfließen zu lassen. Weitergehende Feststellungen traf das Gericht nicht. 369 Immerhin läßt sich nicht ausschließen, daß das Gericht lediglich auf die versteckte (unmittelbare) Diskriminierung abheben wollte. 370 Selbst die Entscheidung zum hamburgischen Ruhegeldgesetz371 hat keine Anerkennung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung durch das BVerfG gebracht. Unter dem Prüfungspunkt des Art. 3 Abs. 3 Satz I GG merkt es jedenfalls lediglich an, daß eine "Anknüpfung an das Geschlecht [ ... ] nach der Rechtsprechung auch vorliegen [kann], wenn eine geschlechtsneutral formulierte Regelung überwiegend Frauen trifft und dies auf natürliche oder gesellschaftliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern zurückzuführen ist". Zitiert wird als Beleg ausschließlich Rechtsprechung des EuGH und des BAG. Offensichtlich hat sich das BVerfG diese Sichtweise noch nicht zu eigen gemacht. 372 Insgesamt verdichten sich aber die Anzeichen dafür, daß das Gericht bei nächster Gelegenheit seine Rechtsprechung ändern könnte. 2. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts

Das BAG prüft die mittelbare Diskriminierung anband der Vorgaben des EuGH und Art. ll9 EGV. 373 In den meisten Urteilen wird Art. 3 Abs. 2 und oder 367 Vgl. Fuchsloch, S. 83 f., 87. Zutreffend weist sie darauf hin, daß im Mittelpunkt der Auseinandersetzung vor dem BVerfG die Frage stand, ob zugunsten des Unternehmens ein Vertrauenstatbestand vorgeigen haben könne, der aus der früheren Rechtsprechung des BAG folge, nach welcher geschlechtstypisch wirkende Regelungen mit nachteiligen Wirkungen für Frauen nicht rechtswidrig gewesen seien. Sievers, S. 44, hingegen sieht in dieser Entscheidung einen weiteren Beweis für die Verankerung der mittelbaren Diskriminierung in Art. 3 Abs. 2, 3 GG. 368 BVerfGE 89, 276 (290 f.). 369 In der Literatur wird diese Entscheidung allerdings als Hinwendung des BVerfG zum Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung in der Ausformung durch den EuGH verstanden: Fuchsloch, S. 85; Zimmer, NJW 1994, 1203 (1204). 370 Sievers, S. 45, bestreitet dies mit dem Hinweis auf die Einbeziehung von Statistiken. 371 BVerfG, Beschl. v. 27. 11.1997-1 BvL 12/91-, NZA 1998,247 ff. 372 Im zu entscheidenden Fall bedurfte es keines Rückgriffs auf diese Rechtsfigur, da ein Verstoß gegen Art. 3 .Abs. 1 GG festgestellt wurde. 373 Ausschließlich auf Art. 119 EGV stützen sich BAG (3. Senat), 25. 10. 1994-3 AZR 149/94, AP Nr. 40 zu § 2 BeschFG 1985 = NZA 1995, 730 (733); BAG (5. Senat), 09. 10. 1991 - 5 AZR 598/90, AP Nr. 95 zu§ 1 LohnFG = SAE 1992, 367 (368 ff.); BAG (10. Senat), 28. 10. 1992-10 AZR 128/92, NZA 1993, 515 (516); BAG (Vorlagebeschluß des 7. Senats an den EuGH), AP Nr. 90 zu§ 37 BetrVG 1972 =NZA 1994,278 ff.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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Abs. 3 GG zwar mitzitiert, hat aber keine eigene Bedeutung. Der 3. Senat des BAG374 scheint eher einer Verortung in Art. 3 Abs. 3 GG zuzuneigen. Der 6. und 10. Senat ziehen aber beide Absätze gemeinsam heran. 375 Neuerdings will der 5. Senat nur noch auf§ 612 Abs. 3 BGB abstellen, da dieser sowohl Art. 3 Abs. 2, 3 GG als auch die europarechtlichen Bestimmungen verdränge. 376.

II. Schrifttum In der Literatur werden verschiedene dogmatische Herleitungen und unterschiedliche Ergebnisse vertreten. Teilweise wird das Verbot der mittelbaren Diskriminierung allein bei Art. 3 Abs. 2 GG377, teilweise sowohl bei Absatz 2 als auch bei Absatz 3 verortet Einzelne besonders prononcierte Ansätze sollen kurz näher beleuchtet werden. Nach Sacksofsky läßt sich das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nicht mit dem herkömmlichen Verständnis von Art. 3 Abs. 2 GG als Differenzierungsverbot begründen, da Normen in Rede stünden, die ausdrücklich nicht nach dem verpönten Merkmal differenzierten. Dem besonderen Gleichheitssatz müsse deshalb eine neue Bedeutung zugewiesen werden, indem eine gruppenbezogene Sichtweise die bisherige merkmalsbezogene Sicht des Art. 3 Abs. 2 GG als Differenzierungsverbot verdränge?78 Hierfür verwendet sie den Begriff des "Dominierungsverbots". Die herkömmliche und die neue Sichtweise unterschieden sich schon vom Schutzzweck her. Das Differenzierungsverbot wolle die Verwendung bestimmter Merkmale bei gesetzgebensehen Differenzierungen verbieten, während das Dominierungsverbot benachteiligte Gruppen schützen wolle. In den Blick genommen seien damit verschiedene Seiten des Problems der Gleichheit. 379 Die Blickrichtung des Differenzierungsverbotes sei die der Zusammenfassung von einzelnen zu Gruppen, die des Dominierungsverbotes des Verhältnisses von Gruppen zueinander. Nach dem Differenzierungsverbot dürften sich 374 BAG, 05. 10. 1993-3 AZR 695/92, AP Nr. 20 zu§ I BetrAVG- Lohnversicherung= NZA 1994,315 (316); 20. 06. 1995-3 AZR 539/93, APNr. 1 zu§ 1 TVG- Tarifverträge: Nährmittelindustrie - = NZA 1996, 597 (599 f.); AP Nr. II zu § 1 TVG -Tarifverträge: Chemie-= NZA 1996,600 (601). Vgl. auch Heither, FS Gnade, S. 611 (623 f.). 375 BAG (6. Senat), 10. 11. 1994- 6 AZR 486/94, AP Nr. 11 zu§ 63 BAT= NZA 1995, 692 (693); BAG (10. Senat), 09. 11. 1994- 10 AZR 3/94, AP Nr. 33 zu§ 23a BAT= NZA 1995, 1003 f. 376 BAG (5. Senat), 23. 08. 1995-5 AZR 942/93, AP Nr. 48 zu§ 612 BGB = DB 1996, 889. 377 Schlachter, S. 79 ff., insbes. S. 81 ; Sacksofsky, S. 374; Sievers, S. 71 ff., 79 f.; Ebsen, RdA 1993, 11 ff.; Zwanziger, BB 1995, 1404; Kokott, NJW 1995, 1049 (1050, 1057). Im Ansatz genauso: Pfarr, Quoten, S. 81. 378 Sacksofsky, S. 312. 379 Vgl. auch Hesse, AöR 77 (1951152), 167 (179).

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

durch ein Gesetz unterschiedlich behandelte Personengruppen nicht durch das verpönte Merkmal unterscheiden, so daß die so gekennzeichneten Personen gar nicht als Gruppen wahrzunehmen seien. Das Dominierungsverbot schütze allein die historisch benachteiligte Gruppe vor weiterer ungerechtfertigter Schlechterstellung, wenn das Differenzierungsverbot seine Funktion erfüllt habe. Allein die Sichtweise des Dominierungsverbotes biete gegenüber Normen Schutz, die einer strukturellen Benachteiligung einer bestimmten Gruppe Vorschub leisten würden, indem sie das Fortkommen der Angehörigen der benachteiligten Gruppe auf Grund des langen Ausschlusses dieser Gruppe von der gleichen Teilhabe erschwerten. 38 Folglich gelte Art. 3 Abs. 2 GG ausschließlich zugunsten von Frauen. Auf diese Weise werde auch eine trennscharfe Abgrenzung der Absätze 2 und 3 erreicht. 381

°

Anderen Stimmen in der Literatur zufolge enthält ausschließlich Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG das Verbot der mittelbaren Diskriminierung. Das Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG sei in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. 382 Jedoch wollen diese Autoren die Wirkung des Rechtsinstituts nicht auf Frauen beschränkt sehen. Der Gleichberechtigungsgrundsatz habe in diesem Zusammenhang die Aufgabe, eine gesteigerte Argumentationslast für diskriminierende Folgen einer gesetzlichen Regelung aufzustellen. 383 Vertreten wird auch, die mittelbare Diskriminierung bei Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG einzuordnen, da deren Beseitigung der "Frauenförderung und dem Abbau frauenspezifischer Nachteile" diene, ohne Grundrechte anderer zu verletzen. 384 Wisskirchen 385 und Fuchsloch 386 sind unabhängig voneinander beide der Ansicht, daß das Verbot der mittelbaren Diskriminierung in Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG verortet werden müsse. Erst beide Bestimmungen zusammen erfaßten den vollen Gehalt des Verbotes. Art. 3 Abs. 2 GG beinhalte mit der Wendung "gleichberechtigt" einen umfassenderen Diskriminierungsschutz als das einfache Verbot der Ungleichbehandlung. Dieses Gleichberechtigungsgebot solle in die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt werden, um so für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen. Dieser dynamische Anspruch an die Arbeitswelt werde durch die Neufassung des Absatzes 2 unterstrichen. Auch Absatz 3 beinhalte ein Verbot der mittelbaren Diskriminierung, da eine Diskriminierungsabsicht für die Geschlechtsdiskriminierung nicht erforderlich sei387 , vielmehr das objektive Sacksofsky, S. 315 f. Sacksofsky, S. 316 ff. Im Ergebnis genauso Schlachter, S. 48, 79 ff.; Slupik, S. 99 ff.; Ebsen, RdA 1993, 11 (14); Zwanziger, BB 1995, 1404. 382 Sievers, S. 71 ff., 79 f. ; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 3, Rn. 86; indirekt auch Jarass/ Pieroth, Art. 3, Rn. 53. 383 Bieback, ZIAS 1990, 1 (30). 380 381

BK/ Rüfner, Art. 3 Abs. 2 und 3, Rn. 741. Wisskirchen, S. 58 ff., insbes. S. 63. 386 Fuchsloch, S. 134 ff.u. S. 149 ff. 387 BVerfGE 85, 191 (206) läßt sich hier nur sehr eingeschränkt heranziehen, weil keine Aussage zur mittelbaren Diskriminierung getroffen wird. 384 385

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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Vorliegen einer Benachteiligung ausreiche 388. Demnach seien Abs. 2 und Abs. 3 des Art. 3 GG "komplementär" zueinander zu verstehen: Das Benachteiligungsverbot müsse im Lichte des Gleichberechtigungsgrundsatzes ausgelegt werden. Die benachteiligte Frau sei immer auch Mitglied der Gruppe und weise ein geschlechtstypisches Merkmal auf, wenn die Gruppe der Frauen in derselben Situation im Vergleich zu Männern mit diesem überdurchschnittlich häufig gekennzeichnet sei. Das Spannungsfeld zwischen einer individualrechtliehen Komponente und einem gruppenbezogenen Element, das das Verbot der mittelbaren Diskriminierung kennzeichne, lasse sich nur bei zusammengefaßter Betrachtung von Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG erfassen. 389 Wisskirchen ist ebenfalls der Ansicht, daß das Institut der mittelbaren Diskriminierung ausschließlich zum Schutz der Frauen wirke. Auch bei einer Subsumtion unter Art. 3 Abs. 2 oder 3 GG ist diese Folgerung aber keineswegs zwingend?90 Daneben existiert noch die allerdings selten geäußerte Meinung, ausschließlich Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG beinhalte das Verbot der mittelbaren Diskriminierung. 391 Denn das Konzept der mittelbaren Diskriminierung sei eng mit den besonderen Gleichheitssätzen verbunden und habe nichts mit dem neuen Gebot der aktiven Förderung der Geschlechtergleichheit in Art. 3 Abs. 2 GG zu tun. Vereinzelte Gegenstimmen wollen hingegen geschlechtsneutral gestaltete, aber geschlechtstypisch wirkende Normen einer Sachgerechtigkeitsprüfung unterziehen, für die im Rahmen der dogmatischen Strukturen eines strikten Unterscheidungsverbotes kein Raum sei. Sedes materiae sei vielmehr Art. 3 Abs. I GG. An die Prüfung der Sachgerechtigkeit seien jedoch unter Einwirkung von Art. 3 Abs. 2 GG a.F. erhöhte Anforderungen zu stellen. 392 Im weiteren Fortgang der Darstellung soll versucht werden, unter methodischen Gesichtspunkten zu ergründen, inwieweit und an welcher Stelle Art. 3 GG das Verbot einer mittelbaren Diskriminierung enthält. Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG sind Konkretisierungen des ersten Absatzes. Falls das Verbot der mittelbaren Diskriminierung unter die spezielleren Regelungen einzuordnen wäre, bliebe für Art. 3 Abs. 1 GG kein Raum mehr.

Loritz, ZfA 1991, 607,621. Slupik, S. 98; Pfarr/Bertelsmann, Gleichbehandlungsgesetz, S. 96; bestätigend Wisskirchen, Anrn. zu BAG AP Nr. 11 zu § 1 TVG- Tarifverträge: Chemie-. 390 Bieback, ZIAS 1990, 1 (28 ff.); Raasch, S. 190; Wißmann, FS Wlotzke, S. 807 (820 ff.). 391 Weber, ArbuR 1995, 113 (118 f.); Slupik, S. 99 ff. Neuerdings Bieback, S. 43 ff., unter Aufgabe der in ZIAS 1990, 1 (30) geäußerten Ansicht. 392 Sachs, Grenzen, S. 483 ff.; ders., HStR V, § 126, Rn. 89; ders. NJW 1989, 553 (557 Anrn. 47); nochmals bestätigt ders., ZBR 1994, 133 (138); Hernnann, SAE 1993, 271 (273, 276); Schmidt-Bleibtreu/ Klein, Art. 3, Rn. 37. Wohl ebenso: BAG, NZA 1993, 515 (516). 388 389

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

111. Verortung in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG Diese Untersuchung ist nicht der Ort, die gesamte Diskussion um die Unterscheidungsverbote des Grundgesetzes in allen Einzelheiten nachzuzeichnen. Es sollen deshalb nur die Aspekte herausgegriffen werden, die im Hinblick auf die Einordnung des Verbots mittelbarer Diskriminierung Hinweise abzugeben vermögen. Dies ist zum einen das Verständnis des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG als striktes Anknüpfungsverbot und zum anderen die Diskussion um die Zulässigkeit von Typisierungen im Rahmen eines Unterscheidungsverbotes. Zwar läßt sich vertreten, daß Art. 3 Abs. 2 GG gegenüber Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG spezieller und daher vorrangig zu erörtern ist, doch beinhaltet der Absatz 3 mit dem individuellen Bevorzugungs- und Benachteiligungsverbot vom Wortlaut her einen engeren Anwendungsbereich, so daß die Darstellung mit diesem Absatz begonnen werden soll.

1. Das Verständnis des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG als striktes Anknüpfungsverbot Schon ein erster Blick auf den Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG läßt Zweifel aufkommen, ob das Verbot der mittelbaren Diskriminierung unter diese Grundrechtsbestimmung subsumiert werden kann, wird doch die Benachteiligung oder Bevorzugung wegen des Geschlechts untersagt. Läßt sich daher in der Auslegung nachweisen, daß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG als strikt zu verstehendes Unterscheidungsverbot keinen Raum für außerhalb der Merkmale liegende Wertungen beläßt, die das Differenzierungsverbot einschränken, wäre dies zumindest ein starkes Indiz für die Annahme, daß ebenfalls Wertungen zur Ausdehnung des Unterscheidungsverbots - wie im Fall des Verbots mittelbarer Diskriminierung - nicht in die Vorschrift einfließen können. In Rechtsprechung und Literatur gibt es jedoch zahlreiche Versuche, die strikte Wirkung des Art. 3 Abs. 3 GG zu relativieren. Diesen Tendenzen gilt in der Darstellung daher ein besonderes Augenmerk.

a) Die Begrifflichkeil des Unterscheidungsverbots Immer wieder wird in der Literatur der Versuch unternommen, dem Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG neben einem Unterscheidungsverbot auch den Sinn eines Unterscheidungsgebotes beizulegen. 393 Hierdurch soll das Differenzierungsverbot durchbrachen und bestimmte Unterscheidungen im Rahmen dieses Verbots ermög393 Rüpke, S. 56 ff., 73 ff. (bezüglich Art. 3 Abs. 2, 3 GG); Hecke/, HdbStKirchR 1 I, § 10, S. 445 (518 f.); ders., FS Dürig (1990), S. 241 (243, 244); ders., HdbStKirchR2 I, § 21 III, s. 623 (635 ff.).

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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licht werden. Die teilweise herangezogene Parallele zum Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien394 vermag keine tragfähige Begründung abzugeben. Die Lebenssituation der durch Art. 3 Abs. 3 Satz l GG geschützten Merkmalsträger und die politische Wirklichkeit der Parteien lassen sich nicht in eins setzen. Abgesehen davon ist zweifelhaft, ob das Gebot der Chancengleichheit der Parteien tatsächlich als Differenzierungsgebot zu verstehen ist. Das BVerfG395 betont lediglich den formalen Charakter der Chancengleichheit im Sinn eines Unterscheidungsverbotes, das allenfalls aus zwingenden Gründen durchbrochen werden darf. Auch der anderweitig vorgetragene Begründungsansatz, daß ein Diskriminierungsverbot kein Differenzierungsverbot sei und daß nicht jede Differenzierung eine Benachteiligung oder Bevorzugung enthalten müsse396, läßt nicht erkennen, warum Art. 3 Abs. 3 Satz l GG neben dem Differenzierungsverbot auch ein entsprechendes Gebot enthalten müsse. Bereits der aus dem Wortlaut folgende Charakter des Art. 3 Abs. 3 GG als Verbot von Benachteiligung und Bevorzugung deutet auf eine einseitige Ausrichtung gegen jegliche Differenzierungen. Dies gilt im Unterschied zum doppelseitig wirkenden Art. 3 Abs. 1 GG, der eine gegen gleiche Behandlung gerichtete Bedeutung umfaßt. 397

b) Vergleichbarkeit

Unter dem Stichwort der "logischen und natürlichen Vergleichbarkeit" 398 wird eine weitere Einschränkung des Anwendungsbereiches von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG diskutiert. Alle Unterscheidungsverbote setzten zur ihrer Anwendbarkeit voraus, daß bei beiden durch das Differenzierungskriterium in den Blick genommenen Gruppen gemeinsame Elemente des in der Norm geregelten Lebenssachverhalts existierten. Läge das geregelte Phänomen nur bei einer der beiden Gruppen vor, scheide ein Vergleich zwischen ihnen aus logischen Gründen aus. Die andere Fallgruppe der natürlichen Unvergleichbarkeit399 soll ebenfalls eng beschränkt bleiben durch Anlehnung an die Kriterien der logischen Unvergleichbarkeit. Biologische Unterschiede könnten die Vergleichbarkeit ausschließen, müßten es aber nicht. 400 Natürliche Unvergleichbarkeit setze einen merkmalsspezifischen Lebenssachverhalt voraus, dessen Behandlung als Fall eines durch Einbeziehung ausschließlich

Rüpke, S. 59 ff. BVerfGE 8, 51 (64 f.); 20, 56 (116); 52, 63 (89). Vgl. Stern, Staatsrecht I,§ 10 li 3b "Y (S. 307 f .), E (S. 309). 396 Hecket, HdbStKirchR 1 I, § 10, S. 445 (515); ders., HdbStKirchR2 I, § 21 IV, S. 623 (642 f .). 397 Sachs, Grenzen, S. 41 ff.; ders., HStR V,§ 126, Rn. 23. 398 Sachs, Grenzen, S. 342 ff., 490 f. 399 In Anlehnung an BVerfGE 6, 389 (423). 400 Sachs, Grenzen, S. 370 ff., insbes. 377 ff. 394

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

von Nicht-Merkmalsträgem festzulegenden übergreifenden Lebenssachverhaltes willkürlich wäre.401 Hieran knüpft Sacksofsky ihren Vorwurf, daß das Anknüpfungsverbot selbst von Sachs nicht konsequent durchgehalten werde. Kern ihrer Kritik ist, daß es einer Einschränkung des Differenzierungsverbotes nicht bedürfe. Sonderregeln insbesondere für Schwangerschaft und Mutterschutz seien schon deshalb überflüssig, weil man diesen Lebenssachverhalten auch durch Anknüpfung an allgemeine geschlechtsneutrale Kategorien wie Krankheit oder Kündigungsschutz gerecht werden könne.402 Zwei Objekte oder Sachverhalte, die miteinander verglichen werden, sind nie in allen Merkmalen gleich, sonst wären sie identisch. Gleichheit meint also eine Beziehung zweier Objekte oder Sachverhalte hinsichtlich des Vorhandenseins gemeinsamer Eigenschaften. Insofern wird von Gleichartigkeit gesprochen. Diese kann immer nur bezüglich eines bestimmten Kriteriums, des tertium comparationis, bestehen. Nach der Bestimmung des tertium comperationis bedarf es der Durchführung des Vergleichs, ob die zum Vergleich gestellten Sachverhalte in der als maßgeblich bestimmten Hinsicht gleich sind. Zwei Objekte oder Sachverhalte sind immer in irgendeiner Hinsicht vergleichbar. Nie können sie sich der Beurteilung entziehen, gleich oder ungleich zu sein. Stets läßt sich ein tertium comparationis angeben.403 Die Unterscheidungsverbote wollen die Verwendung bestimmter Kriterien als tertia comperationis ausschließen. Sinnvoll sind sie aber nur auf Lebenssachverhalte anzuwenden, die von beiden Gruppen von Merkmalsträgem verwirklicht werden können. Das wichtigste Beispiel aus der Rechtsprechung hierzu ist das erste Homosexuellen-Urteil des BVerfG. Dort wird die Nichtanwendung von Art. 3 Abs. 3 GG auf die Erwägung gestützt, daß das Gleichbehandlungsgebot von Mann und Frau "für die gesetzgebensehe Behandlung der männlichen und weiblichen Homosexualität keinen Maßstab abgibt". 404 Das Differenzierungsverbot nach dem Geschlecht gelte nur, "wenn der zu ordnende Lebenssachverhalt essentiell vergleichbar ist, d. h. wenn er, vom Geschlecht des Betroffenen abgesehen, weitere wesentliche Elemente urnfaßt, die ihrerseits gleich sind". 405 Danach kommt die Argumentationsfigur der Vergleichbarkeit nur in zwei Fällen zur Anwendung: zum einen wenn gemeinsame Elemente überhaupt nicht vorhanden sind, also der zu ordnende Lebenssachverhalt ausschließlich in einem Geschlecht verwirklicht werden kann, wie es beispielsweise bei der Mutterschaft der Fall ist; zum anderen wenn der biologische Unterschied zwischen den Geschlechtern den Lebenssachverhalt so entscheidend Sachs, HStR V, § 126, Rn. 36. Sacksofsky, S. 155 f. 403 Vgl. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 I, Rn. 1 ff.; Nef, S. 6 ff.; W. Böckenförde, S. 67 Anm. 3; Seißer, S. 10. 404 BVerfGE 6, 389 (422). 405 BVerfGE 6, 389 (422 f.). 401

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B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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prägt, daß vergleichbare Elemente daneben vollkommen zurücktreten. Beispielhaft nennt das Gericht den gesamten Bereich des Sexualstrafrechts.406 Das BVerfG407 verwendete dieses Argumentationsmuster meist als "verfeinerte" dogmatische Grundlage neben dem Ansatz der Zulassung von Differenzierungen nach biologischen und funktionalen Unterschieden. 408 In neueren Entscheidungen griff das Gericht allerdings nicht mehr auf die Vergleichbarkeitsthese zurück, sondern beschränkte sich auf die Formel der biologischen und funktionalen Unterschiede. 409 In der Literatur sind unterschiedliche Ausprägungen der Vergleichbarkeitsthese vertreten worden. Diese reichten von der Ablehnung der bundesverfassungsgerichtliehen Position410 über die grundsätzliche Billigung der Rechtsprechung411 bishin zu einer völligen Aufweichung dieser Rechtsprechung im Hinblick darauf, die besonderen Gleichheitssätze des Art. 3 GG auf das Niveau eines reinen Willkürverbots abzusenken412. Sachs, der an die Überlegungen der Rechtsprechung zur Vergleichbarkeit anknüpft, hat zutreffend darauf hingewiesen, daß der eigentliche Ansatzpunkt des BVerfG nicht die Vergleichbarkeit, sondern die "Gleichartigkeit der Lebenstatbestände"413 ist. Denn ein Vergleich läßt sich nach dem eben Gesagten immer durchführen. Ein Sachverhalt sei "essentiell vergleichbar [ ... ], wenn er, vom Geschlecht der Betroffenen abgesehen, weitere wesentliche Elemente umfaßt, die ihrerseits gleich sind".414 So erweist sich diese Definition der Vergleichbarkeit durch das BVerfG doch nur als Einfallstor für ein Unterscheidungsverbot auf der Ebene des Willkürverbotes. Dennoch wäre es ein Mißverständnis, bei dieser Sichtweise durch das BVerfG stehenzubleiben, da es Art. 3 Abs. 2, 3 GG grundsätzlich als striktes Unterscheidungsverbot auffaßt. Allerdings hat die Berufung des BVerfG auf die "biologischen und funktionalen Unterschiede" mit der Beschränkung des Differenzierungsverbots durch die Vergleichbarkeit des jeweiligen Lebenssachverhalts nichts zu tun. Allenfalls können biologische Unterschiede im Einzelfall das Grunderfordernis ausschließlicher Verwirklichung in einem Geschlecht erfüllen. 415

BVerfGE 6, 389 (423 ff.). BVerfGE 3, 225 (242); 10, 59 (74); 15, 337 (343); 21, 329 (343 f.); 31, 1 (4 f.); 37, 217 (249 f.); 39, 169 (185 f.); 52, 369, (374, 375 f.). 408 Vgl. Sachs, Grenzen, S. 2 f., S . 333 u. 355 ff. 409 BVerfGE 43,213 (225); 68, 384 (390); 71, 224 (229); 74, 163 (179). 406 407

H.P. lpsen, in: NeumanniNipperdey I Scheuner, Grundrechte II, S. 111 (181). Meier-Reimer, DRZ 1950, 289; Scheffler, Referat auf dem 38. DJT (1950), B 3 (5); Dürig, in: MaunziDürig, Art. 3 II, Rn. 13. 412 Beitzke, in: Neumann I Nipperdey I Scheuner, Grundrechte II, S. 199 (208 f.); schwächer Knöpfe/, NJW 1960, 556 (557); Fuss, JZ 1959,329 (335). 41 3 Sachs, Grenzen, S. 345. 414 BVerfGE 6, 389 (422 f.). 415 Sachs, Grenzen, S. 368 f. 410

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

aa) Logische Vergleichbarkeit Richtig ist, daß die Vergleichbarkeit den Anwendungsbereich eines strikten Unterscheidungsverbotes begrenzen kann. Beliebig unterschiedliche Sachverhalte sind nicht etwa deshalb gleich zu behandeln, weil den einen ein Mann und den anderen eine Frau verwirklicht. Das strikte Differenzierungsverbot kann also nur auf Fälle bezogen werden, die mit denselben Tatbestandsmerkmalen zu erfassen sind. Der geregelte Lebenstatbestand muß sich zwingend auf beiden Seiten des Vergleichspaares verwirklichen können, sonst ist eine Aussage zur Gleichheit sinnlos. Dies ist der zutreffende Hintergrund für die Feststellung des BVerfG, daß das Unterscheidungsverbot wegen fehlender Vergleichbarkeit unanwendbar sei, "wenn der zu ordnende Lebenstatbestand überhaupt nur in einem Geschlecht verwirklicht werden kann"416 , er also logisch unvergleichbar ist. Doch ist der Anwendungsbereich der logischen Unvergleichbarkeil weitaus enger als er vom BVerfG betrachtet wird. 417 Dies hängt mit der Definitionsmacht des Gesetzgebers zusammen. Er kann bei der Formulierung des Tatbestandes merkmalsspezifische Lebenstatbestände vorsehen, die sich jedoch als Unterfall eines Lebenstatbestandes erweisen, der auch von anderen Merkmalsträgem verwirklicht werden kann. Dann läßt sich anhand eines gemeinsamen Merkmals eine übergeordnete Gemeinsamkeit ("Klasse" oder "Gruppe") bilden, der sowohl Männer als auch Frauen angehören können. Damit wäre folglich logische Vergleichbarkeit gegeben und das Differenzierungsverbot anwendbar. Dies gilt zum Beispiel für die Anknüpfung an den Tatbestand "Mutterschaft", der sich grundsätzlich geschlechtsübergreifend als "Elternschaft" formulieren läßt. Dies zeigt schon, daß gerade auch im Bereich des "Geschlechts" logische Unvergleichbarkeil nur selten angenommen werden kann. Logische Unvergleichbarkeit tritt hier nur ein, wenn eine Regelung unmittelbar auf die biologisch nur bei Frauen vorkommenden Umstände der Schwangerschaft und Geburt abstellt. Nur für diese Anknüpfungsmomente läßt sich eine übergeordnete auch Männer enthaltende Klasse nicht bilden. 418 Der Hinweis auf den auch Männer treffenden Zustand der "Krankheit" geht fehl, da Schwangerschaft und Krankheit weBVerfGE 6, 389 (423)- Hervorhebung im Original-. Das gilt auch für den Fall der Homosexualität, bei dem sich das gemeinsame Element der Gleichgeschlechtlichkeit der Sexualpartner angeben läßt. Vgl. Sachs, Grenzen, S. 348 ff. mit weiteren Beispielen. 418 Dürig, in: Maunz /Dürig, Art. 3 II, Rn. 13, nennt noch das Beispiel einer Regelung, die an den Umstand "Menstruation" anknüpft. Auch dieser Lebenssachverhalt verwirklicht sich biologisch nur bei Frauen. Sacksofsky, S. 152 f. , hält dieses Beispiel für ebenso untauglich wie das der Mutterschaft. Denn auch hier ließe sich eine übergreifende Gruppe der "Menstruationsbelasteten" (sie) bilden, die logische Unvergleichbarkeit entfallen ließe. Hierbei wird verkannt, daß "Elternschaft" und ,.Menstruationsbelastung" nicht analog als übergeordnete Klassen gebildet werden können. Die Klassenbildung "Elternschaft" läßt sich mit der Erwägung rechtfertigen, daß nach der Entbindung grundsätzlich auch der Vater einen wesentlichen Teil der Versorgung des Neugeborenen übernehmen kann, so daß spezielle Schutzvorschriften für Frauen danach überflüssig sind. Die Belastung des männlichen Partners durch die Menstruationsphase seiner Frau ist dagegen "konstruiert" und rein theoretischer Natur. 416 417

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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sensverschieden sind. Die Krankheit wird als regelwidriger Körperzustand definiert. Demgegenüber handelt es sich bei der Schwangerschaft durchaus um einen regelgerechten Zustand. 419 Dies bedeutet aber nicht, daß logische Unvergleichbarkeit automatisch zu einer Sonderbehandlung führen muß. So ließ der EuGH420 beispielsweise eine Kündigung auf Grund schwangerschaftsbedingter Krankheiten nach Ende des Mutterschutzes zu wie bei anderen Krankheiten eben auch. Ein zweiter - ebenfalls sehr enger - Anwendungsbereich sind die durch das Recht hergestellten Sonderverhältnisse. Weist die Rechtsordnung ausschließlich einem Geschlecht bestimmte Eigenschaften - verfassungsrechtlich gerechtfertigt zu, rufen diese als Anknüpfungspunkt von weiteren Regelungen die Kategorie der logischen Vergleichbarkeit auf den Plan. Als Beispielläßt sich der Wehr- bzw. Ersatzdienst für Männer anführen. Die Dienstverpflichtung gilt qua Gesetz nur für Männer. Eine übergeordnete, Frauen einschließende Gruppe mit gemeinsamen Merkmalen läßt sich logisch nicht bilden. 421

bb) Natürliche Vergleichbarkeit Die zweite vom BVerfG angesprochene Fallkonstellation, nach der der biologische Geschlechtsunterschied den Lebenssachverhalt so entscheidend präge, daß vergleichbare Elemente daneben vollkommen zurückträten, bezeichnet Sachs als "natürliche Unvergleichbarkeit". Der Begriff der natürlichen Unvergleichbarkeit verdeckt, daß an dieser Stelle Wertungen in den Vergleich einfließen, die sich am Maßstab des Willkürverbots orientieren. Denn diese Art der Unvergleichbarkeit soll nur angenommen werden, wenn sich zwar ein übergreifender Lebenssachverhalt finde, dessen Verwirklichung für die verschiedenen Gruppen der Träger des jeweiligen Merkmals aber derart unterschiedlich seien, daß die Betrachtung auf dieser übergeordneten Ebene willkürlich erscheine. 422 Erstens: Die Gleichstellung der natürlichen mit der logischen Unvergleichbarkeit verkennt, daß der logischen Unvergleichbarkeit eine denkgesetzlich notwendige Beschränkung des Differenzierungsverbots zugrunde liegt, während sich die natürliche Unvergleichbarkeit lediglich auf eine Wertung berufen kann, die einen Unsicherheitsfaktor in die Betrachtung einbringt. Für diese zweite Kategorie der Beschränkung ist aber bereits die Ausgangsüberlegung in Zweifel zu ziehen. Denn daß sich in Fällen natürlicher Unvergleichbarkeit ein Lebenssachverhalt sowohl als geschlechtsübergreifend, mithin dem Differenzierungsverbot unterworfen, als auch geschlechtsspezifisch und der Anwendung des Verbots entzogen, begreifen läßt423 , ist nichts als eine 419 Vgl. einerseits § 27 SGB V und andererseits § 195 RVO, die ausdrücklich zwischen Krankheit und Mutterschaft unterscheiden. 420 EuGH, 08. 11. 1990, Rs. C-179/88 (Handels- og Kontorfunktionaeremes Forbund), Slg. 1990, 1-3979 (3998 ff.). Dazu Sachs, HStR V,§ 126, Rn. 35, Anm. 92. 421 Sachs, Grenzen, S. 369; ders., HStR V, § 126, Rn. 35. 422 Nochmals Sachs, HStR V,§ 126, Rn. 36.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Umschreibung der aufgeworfenen Wertungsfrage. Eine Begründung für die Notwendigkeit der zweiten Kategorie wird damit nicht gegeben. Erst wenn dieser Dualismus möglicher Betrachtungen tatsächlich zwingend vorliegen sollte, ergibt sich die Folgerung, daß das Unterscheidungsverbot selbst nichts darüber aussagt, welche Variante maßgeblich sein soll. Richtiger scheint daher zu sein, das Unterscheidungsverbot immer dann schon zur Anwendung gelangen zu lassen, wenn sich ein geschlechtsübergreifender Aspekt angeben läßt. Zweitens: Das von Sachs zur Erläuterung angeführte Beispiel der gesundheitlichen Verfassung von Schwangeren läßt sich genauso unter die Kategorie der logischen Unvergleichbarkeit fassen. Denn die Anknüpfung an den gesundheitlichen Zustand von Schwangeren nach der Entbindung bezieht sich unmittelbar auf den Umstand der Geburt, für den es keine übergeordnete Gemeinsamkeit gibt. Das Kriterium der Elternschaft paßt nicht, da es nicht um die Rolle der Eltern als Erziehende und für das Kind Verantwortliche geht, die von beiden Partnern gleichermaßen ausgefüllt werden kann, sondern um spezifische Folgen der Entbindung, die nur bei der Gebärenden eintreten können. Folglich gilt es festzuhalten, daß nur die Kategorie der logischen Unvergleichbarkeit das Differenzierungsverbot einzuschränken vermag, weil es aus zwingenden - in der Logik eines Vergleichs liegenden - Gründen nicht angewendet werden kann. Denn ein Vergleich ist nur sinnvoll möglich, wenn es ein bestimmtes Vergleichskriterium gibt, in dem die Angehörigen der unvergleichbaren Gruppe mit Angehörigen ausschließlich des anderen Geschlechts gleich sind. Auf diese Weise wird auch vermieden, die Striktheit des Differenzierungsverbots auf Grund von schwierigen Wertungen an Hand des Willkürverbots aufzuweichen.

c) Bevorzugung und Benachteiligung Der Text des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verbietet die Benachteiligung oder Bevorzugung einer Person wegen eines bestimmten Merkmals. Von daher könnte man mutmaßen, daß nicht jede Unterscheidung verboten ist, sondern sich an dieser Stelle der Vorschrift ein Spielraum eröffnet, den Anwendungsbereich des Verbots einzuschränken. Schon vom Begriff her verlangt die Unterscheidung den Eintritt rechtlicher oder tatsächlicher Folgen durch staatliches Handeln bei einer durch das verbotene Kriterium gekennzeichneten Person. 424

423 424

Sachs, Grenzen, S. 378. Sachs, Grenzen, S. 266.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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aa) Auswirkung auf den Grundrechtsträger Daher läßt sich in Erwägung ziehen, ein erster Ansatzpunkt für eine tatbestandliehe Beschränkung des Schutzbereiches finde sich in den isoliert zu betrachtenden Auswirkungen auf die vom Staatshandeln betroffenen Grundrechtsträger. 425 Denn der allgemeinen Grundrechtsdogmatik folgend können nur ,,rechtlich relevante Auswirkungen" staatlichen Handeins eine Grundrechtsverletzung nach sich ziehen.426 Eine staatliche Maßnahme oder Regelung löst aber bereits eine Betroffenheit des Grundrechtsträgers aus, wenn irgendein - und sei es nur wirtschaftliches, ideelles oder emotionales- Interesse berührt wird. 427 Eine Betroffenheit in subjektiven Rechten ist nicht erforderlich. Als Beispiel sei die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts angeführt, in der das Gericht die Regelung des § 1758 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. als gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßend qualifizierte. 428 Bis dahin bekam das von einer Frau angenommene Kind den Namen als Familiennamen, den die Frau vor ihrer Verheiratung als Familiennamen geführt hatte, auch wenn die Frau jetzt nach einer Verheiratung einen anderen Namen führte. Das BVerfG erörterte im Rahmen der Prüfung von Art. 3 Abs. 1 GG einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 GG, weil die Frau durch die Namensregelung für das Adoptivkind benachteiligt werde. Nicht allein das Namensrecht des Kindes, sondern auch der Rechtskreis der Adoptivmutter sei betroffen. Zwar lassen diese und ähnliche Judikate des BVerfG keine abschließende Bewertung zu, von welcher Qualität die Betroffenheit sein muß, um einen Verstoß gegen das Differenzierungsverbot annehmen zu können. Doch kann die Anwendung des Unterscheidungsverbotes nicht dadurch umgangen werden, daß eine Auswirkung auf Personen, die durch eines der verpönten Merkmale gekennzeichnet sind, schlicht geleugnet wird, wenn bereits ein ideelles Interesse berührt ist.429 Lassen sich demnach Auswirkungen staatlichen Handeins feststellen, sind diese als Bevorzugung, also vorteilhafte Auswirkung, oder Benachteiligung, also nachteilige Auswirkung, zu bestimmen. Genauso wie Verwaltungsakte entweder begünstigend oder belastend sind430, lassen sich auch die Rechtsfolgen von Normen bezüglich ihrer Wirkung auf die Rechts- oder Interessenstellung einer Person als begünstigend oder belastend qualifizieren. Die Kategrorie der gemischten Wirkung, die sich für Verwaltungsakte beschreiben läßt,431 kann hier außer Betracht bleiben, 425 BSGE 8, 164 (168); OVG Münster, OVGE 18, 1 (15); BayObLG, in: GieseiSchunkl Winkler, Verfassungsrechtsprechung in der Bundesrepublik, Entscheidungssarnrnlung, Art. 3 II GG, (C, t), Nr. 25, S. 52 f. 426 Vgl. BK/ Stern, Art. 93, Zweitbearbeitung 1982, Rn. 500-503 m. w. N. 427 BVerfGE 37,217 (246); H.P. Ipsen, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, Grundrechte II, S. 111 (159); v. MangoldtiKlein, Art. 3, Anm. V 3 a; Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Il, Rn. 38, 55 (Anm. 4 aufS. 284). 428 BVerfGE 17,99 (104 ff.); vgl. auch E 19, 177 (182). 429 Sachs, Grenzen, S. 266 ff., 272. 430 Wolf!I BachofI Stober; Verwaltungsrecht I, § 46 Rn. 21 .

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Traupe

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

weil auch sie nicht in der Lage ist, eine (wenigstens teilweise) begünstigende oder belastende Wirkung zu verneinen, verbietet doch Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG Belastungen und Bevorzugungen gleichermaßen. 432 Neben der entweder begünstigenden oder belastenden Wirkung gibt es im Rahmen des Unterscheidungsverbotes keine dritte Kategorie. Insbesondere hilft es nicht, Normen als Ordnungsvorschriften zu deklarieren433 , um sie dem Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 3 GG zu entziehen.

bb) Verrechnung von begünstigenden und belastenden Wirkungen Genügen zwar diese Erwägungen nicht, das Differenzierungsverbot einzuschränken, läßt sich allerdings die Frage aufwerfen, ob eine Verrechnung von begünstigenden und belastenden Wirkungen geeignet ist, Unterscheidungen zu rechtfertigen. Sind schon globale Betrachtungen über Benachteiligungen und Bevorzugungen von Frauen gegenüber Männem wie im Witwerrentenurteil des BVerfG434 eher geeignet, die Frage der Differenzierung zu verdecken, ist auch gegenüber "rechnerischen" Kompensationen größte Vorsicht angebracht, selbst wenn die Betrachtung sich auf die jeweils bei einem Merkmalsträger eintretenden Wirkungen beschränkt. Ist eine Regelung sowohl begünstigender als auch belastender Natur, muß sie für jede dieser Wirkungen an Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG gemessen werden, ohne daß eine Verrechnung die Anwendung des Unterscheidungsverbotes hemmen könnte. Die Folge wird nicht selten statt einer wechselseitigen Aufhebung eine Kumulation beider Effekte sein. 435 Genausowenig kann eine begünstigende Regelung mit einer benachteiligenden anderen Regelung- oder umgekehrt- verrechnet werden.436 Ein exakter Ausgleich von Vor- und Nachteilen wird sich ohnedies nie ergeben.

Vgl. nur Maurer;§ 9 Rn. 49. Sachs, Grenzen, S. 284. 433 BGH, NJW 1955, 218 f. (bezüglich der ausschließlichen Zuständigkeit in Scheidungssachen am Wohnsitz des Mannes, § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO a.F.); VGH Kassel, DÖV 1957,220 (221) bezüglich § 1355 BOB a.F.; Esser; JZ 1953, 521 (524). Näher dazu Sachs, Grenzen, S. 276 ff., dessen Kritik nicht im einzelnen wiedergegeben werden soll, da die Berufung auf Ordnungsvorschriften wohl als überholt gelten kann. 434 BVerfGE 48, 346 (366). 435 Sachs, HStR V, § 126, Rn. 55 . 436 Eine solche Kompensation hat das BVerfG für die alte Regelung des § 1355 BOB zumindest einmal erwogen, als es eine Benachteiligung der Frau nicht dadurch für behoben hielt, "daß sie ihren Mädchennamen dem Familiennamen hinzufügen konnte", E 48, 327 (337). Dazu allgernein Sachs, Grenzen, S. 286 ff. 431

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B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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cc) Geringfügigkeit einer Auswirkung Die Geringfügigkeit einer Bevorzugung oder Benachteiligung stellt kein geeignetes Kriterium dar, das Unterscheidungsverbot nicht anzuwenden.437 Tatsächlich könnte der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 3 Abs. I GG im Rahmen der Priifung von Typisierungen und unbeabsichtigten Nebenfolgen die Hinnahme von "geringfügigen" Ungleichheiten entnommen werden.438 Der Gleichbehandlungsgrundsatz und das Differenzierungsverbot lassen sich aber in diesem Punkt nicht vergleichen, so daß sich eine Übertragung der Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 1 GG auf Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verbietet. Rechtfertigen läßt sich die Großzügigkeit des BVerfG bei geringfügigen Ungleichheiten im Rahmen von Art. 3 Abs. I GG mit der abweichenden Konstruktion als Willkürverbot439 , das eine Priifung der Sachgerechtigkeit und eine stärkere Beriicksichtigung der gesetzgebensehen Gestaltungsfreiheit zuläßt. Die Unterscheidungsverbote eröffnen derartige Spielräume nicht. 440 Im übrigen muß davor gewarnt werden, die Grundrechte partiell nicht zur Anwendung kommen zu lassen, nur weil ein Eingriff für nicht hinreichend intensiv gehalten wird. Dies widerspricht bereits Art. 1 Abs. 3 GG, wonach sämtliches staatliches Handeln an die Grundrechte gebunden ist, auch wenn es nur geringfügige Unterscheidungen trifft. Davon abgesehen läßt sich eine Grenze zwischen geringfügigen und stärker belastenden Differenzierungen kaum angeben. Das Differenzierungsverbot würde in die Nähe eines Willkürverbots geriickt und damit angesichts von Art. 3 Abs. 1 GG überflüssig. dd) Außerhalb der Differenzierung liegende Gesichtspunkte Es bleibt die Situation zu bewerten, daß außerhalb der Differenzierung liegende Umstände, wie die Ausgangssituation von Betroffenen oder Nicht-Betroffenen sowie die Auswirkungen anderer Regelungen auf die Nicht-Betroffenen in die Betrachtung einbezogen werden. So wird nicht selten argumentiert, in bestimmten Differenzierungen sei wegen der zu beriicksichtigenden besonderen historischen Situation keine Bevorzugung, sondern ein Ausgleich zu sehen. Dies galt für den alten Hausarbeitstag in Nordrhein-Westfalen, der Frauen mit eigenem Hausstand vorbehalten war, genauso wie für Regelungen zugunsten von Flüchtlingen und Ver437 Abweichend VG Freiburg, VBIBW. 1981, 229 f., das eine Ungleichbehandlung eines Mannes gemäß Art. 3 Abs. 2, 3 GG verneinte, der von einem nur Frauen zugänglichen Teil eines Schwimmbades ausgeschlossen worden war. 438 Vgl. BVerfGE 11,50 (58 ff.); 13,21 (29); 13, 331 (341) (Regelung trotz Ungleichheit wegen der Eigenart des Gegenstandes sachgerecht); 21, 12 (27); 23, 327 (345 f.); 24, 174 (183); 27, 220 (230); 44, 283 (288 f .); 58, 68 (79 f.) ("gewisse Benachteiligung"); 60, 68 (78). 439 Damit ist eine genaue Bestimmung des Regelungsgehalts von Art. 3 Abs. 1 GG noch nicht vorweggenommen (vgl. unten 3. Kap. V. 2.). 440 Vgl. Sachs, Grenzen, S. 292.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

triebenen. 441 Jedoch vermag die unterschiedliche Ausgangssituation der Betroffenen nicht schon den Charakter als differenzierende Regelung zu beseitigen. Ob derartige Bestimmungen dennoch angemessen sein können, ist damit noch nicht entschieden. Einschlägig ist dann Art. 3 Abs. l GG.442 Nur wenn eine Regelung nicht dieselben Rechtsfolgen für Betroffene und Nicht-Betroffene auslöst, ergibt sich bei der Berücksichtigung von Auswirkungen anderer Normen auf Nicht-Betroffene überhaupt die Frage einer Differenzierung. Ansonsten bleibt es dabei, daß Belastungen und Begünstigungen getrennt zu bewerten sind und eine Kompensation nicht in Betracht kommt. ee) Angemessenheit der Differenzierung In diesem Zusammenhang stellt sich allerdings sogleich die Frage, ob bei der Bestimmung von Bevorzugung und Benachteiligung das Kriterium der Angemessenheil zu berücksichtigen ist. Auch hierdurch wäre der Relativierung des Differenzierungsverbots der Weg geebnet. 443 Das BVerfG erteilte der Auslegung des Art. 3 Abs. 2, 3 GG als Willkürverbote, die lediglich sachwidrige Differenzierungen erfaßten, früh eine Absage, indem es feststellte, daß die in Art. 3 Abs. 2, 3 GG genannten Kriterien keinen Grund für eine Differenzierung hergeben. 444 Damit waren die Weichen für ein strikt zu beachtendes Unterscheidungsverbot gestellt, dem die Literatur überwiegend gefolgt ist. 445 Sachs hat diese Feststellung durch eine methodengerechte Auslegung bestätigt.446 Zwar läßt der Wortlaut keine eindeutige Festlegung zu, doch führt bereits die systematische Interpretation durch einen Vergleich mit Art. 3 Abs. 1 GG dazu, daß eine Beschränkung auf den Ausschluß sachwidriger Differenzierungen bei den besonderen Gleichheitssätzen nicht angenommen werden kann. Insofern erhalten die Konkretisierungen des allgemeinen Gleichheitssatzes in der Rechtsprechung des BVerfG einen besonderen Stellenwert. In ihnen sind denkbare Gründe für eine differenzierende Regelung des Gesetzgebers verfassungskräftig ausgeschlossen. Folglich setzen sie der sonst nur durch das Willkürverbot begrenzten Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers eine deutlich engere Grenze. Bei einem anderen Verständnis von Konkretisierung, als Wiederholung derselben Wirkweise für einen enZ. B. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 111, Rn. 53 und 78. Sachs, HStR V, § 126, Rn. 58. 443 Vgl. in diesem Sinne z. B. BVerwG, DVBI. 1986, 1106 (1107) (für die Bevorzugung kirchlicher Schulen); Heckel, FS Dürig, S. 241 ff.; Schnorr von Carolsfeld, JR 1950, 417 f.; Stephan, NJW 1950, 664 (665); dagegen Thoma, DVBI. 1951,457 ff.; Nipperdey, RdA 1950, 121 (126 f.). Hierzu Sachs, Grenzen, S. 302 ff. 444 BVerfGE 3, 225 (240). 445 Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 111, Rn. 1; Hamann!Lenz, Art. 3, Anm. B 13; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 3, Rn. 104; Schmidt-Bleibtreu!Klein, Art. 3, Rn. 40; Pierothl Schlink, Rn. 471, 490 ff. 446 Sachs, Grenzen, S. 302 ff.; knapper ders., HStR V, § 126, Rn. 60 ff. 441

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B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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geren Anwendungsbereich447, wären die besonderen Gleichheitssätze neben Art. 3 Abs. 1 GG schlicht überflüssig.448 Wenig überzeugend ist der Versuch einen Standard jenseits des Willkürverbots und unterhalb des strikten Unterscheidungsverbots zu etablieren. 449 Die dadurch aufgeworfene Frage der Sachgerechtigkeit läßt sich bei Art. 3 Abs. 2, 3 GG keineswegs einfacher lösen als beim allgemeinen Gleichheitssatz. Auch die Begrenzung der besonderen Gleichheitssätze auf ein "umgekehrtes Willkürverbot", wonach die Konkretisierungen des allgemeinenen Gleichheitssatzes Ungleichbehandlungen nach den inkriminierten Merkmalen verböten, bis die Ignorierung der Unterschiede an die Willkürgrenze stoße450, bietet keinen Vorteil. Das normlogische Verhältnis von Iex specialis zu Iex generalis bleibt dabei unklar. 451 Die historische Interpretation bestätigt das in der systematischen Auslegung gefundene Ergebnis. Die Unterscheidungsverbote stehen am Ende einer langen Entwicklung der Mißbilligung bestimmter die Menschen unterscheidender Kennzeichen. Gerade der Blick auf die das Merkmal Geschlecht enthaltende Vorläufervorschrift des Art. 109 Abs. 2 WRV belegt, daß die Interpretation im Sinn eines Willkürverbots einen Rückschritt bedeuten würde. Bereits zu jener Zeit stand lediglich die Relativierung durch das Wort "grundsätzlich" einem strikteren Verbotsverständnis entgegen. Derartige relativierende Zusätze sind denn auch in den Vorschriften des Grundgesetzes bewußt nicht mehr wiederholt worden.452 Bei der Abfassung des Grundgesetzes herrschte Einigkeit, daß Relativierungen wie sie für den allgemeinen Gleichheitssatz in Betracht kämen, für das Differenzierungsverbot ausgeschlossen sein sollen.453 Nicht zuletzt wurden die Unterscheidungsverbote als Abkehr von den Diskriminierungen der NS-Zeit begriffen.454 Auch dies bezeugt ihre Einschränkungslosigkeit. Unter teleologischen Auslegungsgesichtspunkten ergeben sich keine abweichenden Beurteilungen. Sinn und Zweck des Differenzierungsverbotes ist die Beseitigung bestehender und die Verhinderung neuer Ungleichheiten, wobei Spielräume des Gesetzgebers, Differenzierungen unter dem Deckmantel der Sachlichkeit und Angemessenheit beizubehalten oder einzuführen, beseitigt werden sollen. Das bloße Verbot von unangemessener Ungleichbehandlung ist erfahrungsgemäß nicht in der Lage, derartige 447 Grundrechtskommentar I Brinkmann, Art. 3, Anm. I 4 a (für Art. 3 Abs. 2 GG - anders für Art. 3 Abs. 3 GG, Anm. I 5 b); von Mangoldt/Klein, Art. 3, Anm. IV 6, Anm. VI 2. 448 Schmidt-Rimpler!Gieseke/Friesenhahn/Knur; AöR 76 (1950/51), 165 (166); Bachof, RdA 1953,42 (45 f.); Baur; JZ 1959, 443; Dürig, NJW 1959, 1173. 449 Knöpfe/, NJW 1960, 553 (556). 450 Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 I, Rn. 261 ff., insbes. 265-267. 451 Sachs, Grenzen, S. 309. 452 Vgl. Art. 19 Abs. 2, wie er vom Ausschuß für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates in l. Lesung angenommen wurde, Parlamentarischer Rat (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland), Bonn 1948/49, Entwürfe, S. 3. Ausführlich Sachs, Grenzen, S. 313 ff. 453 Sachs, Grenzen, S. 320 mit dem allgemeinen Hinweis auf die Streichung des Wortes "willkürlich" bezüglich des Verbots der Entziehung der Staatsangehörigkeit in Art. 16 Abs. I S. I GG, weiter S. 325 f. 454 v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, Art. 3, Anm. 5.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Unterscheidungen zu bekämpfen, die meist noch aus historischen Vorurteilen resultieren. Die durch eine Reduzierung auf ein Sachwidrigkeitsverbot eröffneten Rechtfertigungsmöglichkeiten sind nicht geeignet, das Ziel durchzusetzen, Ungleichbehandlungen anhand der verpönten Merkmale auszuschließen. Diesem Ziel am nächsten kommt vielmehr der völlige Ausschluß von Differenzierungen nach den genannten Kriterien, der sich auch nicht auf vermeintliche Rechtfertigungen berufen kann. 455

d) "Wegen"

Von großer Bedeutung für das Verständnis des Differenzierungsverbots des Art. 3 Abs. 3 GG und gleichzeitig der wichtigste Hebel, das Verbot zu beschränken, ist das Wort "wegen". Meist wird deshalb ein kausaler Zusammenhang zwischen der Verwendung eines der genannten Merkmale und der Benachteiligung oder Bevorzugung verlangt. Welcher Kausalitätsbegriff hierbei zugrundezulegen ist, wird unterschiedlich diskutiert, wenn hieriiber denn überhaupt genauer Rechenschaft abgelegt wird. Dahinter steht allgemein das Bestreben, durch in irgendeiner Form wertende Betrachtung den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 3 GG einzuschränken.

aa) Meinungsstand (a) Die Ansichten im Schrifttum

Oft wird mit der Präposition "wegen" die Voraussetzung eines Kausalnexus456 im Sinn einer zivilrechtliehen Äquivalenz457 postuliert. Wenn das verpönte Merkmal eine nicht hinwegzudenkende Bedingung für den Eintritt der Rechtsfolge darstellt, ist es also ein Tatbestandsmerkmal der Norm. Damit ist die schlichte und einschränkungslose Anknüpfung an das verbotene Merkmal gegeben. Jedes in Art. 3 Abs. 3 GG erwähnte Merkmal wäre hiernach für die Differenzierung kausal, da jede Bedingung als für den Erfolg gleichwertig angesehen wird. Eine Beschränkung läßt sich durch die conditio sine qua non-Formel nicht erreichen. 458 Bei dieser Vgl. Sachs, Grenzen, S. 328 ff. v. Mangoldt/Klein, Art. 3, Anm. III 4 e, V 3 c; H.P. /psen, in: Neumann/Nipperdey/ Scheuner, Grundrechte II, S. 111 (145, 155 f., 180 f. in Anm. 226); Knöpfe/, NJW 1960, 553 (556 f.); Schmidt-Bleibtreul Klein, Art. 3, Rn. 39. 457 Vgl. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 III, Rn. 134 ff., insbes. Rn. 151, der allerdings in Rn. 154 auf das vorrangige Ziel einer Regelung abhebt (die äquivalente Kausalität ist für ihn nur Grundlage der Kausalitätsbetrachtung, entscheidend ist die Wertung). Auch bei Seißer, S. 105, ist die äquivalente Kausalität nur der Ausgangspunkt, entscheidend sei unter den Kausalfaktoreneine wertende Auswahl zu treffen, S. 109. 458 Vgl. Sacksofsky, S. 139 f.; Fuchsloch, S. 138. 455

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B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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Sichtweise wären schon die Mutterschutzvorschriften für weibliche Arbeitnehmer verfassungswidrig, weil die Geschlechtszugehörigkeit eine Bedingung ist, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg, die Rechtsfolge der Benachteiligung bzw. Bevorzugung, entfiele. 459 Das Verständnis einer äquivalenten Kausalität läßt sich deshalb richtigerweise als striktes Anknüpfungsverbot begreifen. 460 Weitere Einschränkungen der Kausalität werden unter den Stichworten "Adäquanztheorie" oder "Finalitätstheorie" diskutiert. Bei der Anwendung der Adäquanztheorie461 wird danach gefragt, ob nicht ein anderer Grund als die Geschlechtszugehörigkeit adäquat ursächlich ist. Nach der Adäquanztheorie im Zivilrecht werden solche Ursachen ausgeschieden, die nur durch eine ganz unwahrscheinliche Verkettung von Umständen den Erfolg herbeiführen konnten. Diese Ansicht bedeutet jedoch einen Wechsel im Bezugspunkt der Kausalitätsbetrachtung von der Beziehung zwischen dem Tatbestandsmerkmal und der Rechtsfolge zur Frage nach den Griinden und Ursachen für eine Regelung. Damit wird nicht mehr überpriift, ob die Geschlechtseigenschaft adäquat kausal ist für die Rechtsfolge. Dies ist folglich keine Adäquanzerwägung, sondern weist eher auf Finalität hin. Daher wird in der Literatur462 vorgeschlagen, nur solche Differenzierungen durch Art. 3 Abs. 3 GG zu verbieten, die "gerade und nur" wegen eines der verpönten Kriterien erfolgen. Mit dieser Einschränkung soll - ob tauglich oder nicht463 -der maßgebliche Grund für die Ungleichbehandlung herausgefiltert werden. Entscheidend ist nach dieser Ansicht, ob das verpönte Kriterium das motivierende Element bzw. der Hauptzweck für die staatliche Regelung darstellt. Mit der genannten Formulierung wird aber der Finalität nicht Rechnung getragen. Diese ist dagegen gekennzeichnet durch die Unterscheidung zwischen einer beabsichtigten Folge und der bloßen Nebenfolge einer Regelung, die aus ganz anderen Griinden erfolgt.464 Die Frage nach dem vorrangigen Grund ist also eine Wertungsfrage, die die entsprechenden Probleme der Beurteilungsperspektive und des Beurteilungsmaßstabes nach sich zieht. Nicht zuletzt droht auf diese Weise aber die Gefahr, daß das Diskriminierungsverbot auf das Niveau einer bloßen Sachgerechtigkeitspriifung465 herabsinkt. 466 Vgl. Binder-Wehberg, S. 27 f. So Sachs, Grenzen, S. 396 ff., S. 430. 461 Binder-Wehberg, S. 27 f. Hierzu kritisch: Sachs, S. 418; Sacksofsky, S. 140 f. 462 Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 III, Rn. 154 ("das vorrangige Ziel des Gesetzes"); Hamann/Lenz, Art. 3 Anm. B 13; Gusy, NJW 1988, 2505 (2508); Fuss, JZ 1959, 329 (336); Geiger, Grundrechte, S. 37; Pieroth/Schlink, JuS 1984, 345 (348). 463 Hieran zweifelnd Sacksofsky, S. 144. 464 Sacksofsky, S. 142. 465 In diesem Sinne wohl Fuss, JZ 1959, 329 (336) (dem Gesetzgeber werde ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG nur dann nachzuweisen sein, "wenn sich keine sonstigen Gründe für die Differenzierung finden"); Geiger; Grundrechte, S. 37. 459

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Ein davon wohl nur marginal abweichender Ansatz in der Literatur wird von Podlech vertreten. Er versteht Art. 3 Abs. 3 GG als ein Begründungsverbot.467 Nach den Absätzen 2 und 3 des Art. 3 GG sei der öffentlichen Gewalt verboten, Differenzierungen mit dort genannten Merkmalen zu begründen. Unter diesen Begriff der Begründung sollen nicht nur zusätzliche oder alternative Gründe, sondern alle zur Argumentation geeigneten Begründungsmöglichkeiten fallen. 468 Podlech begreift die besonderen Differenzierungsverbote als Konkretisierungen des allgemeinen Gleichheitssatzes, indem er die Absätze 2 und 3 als Inhaltsbestimmungen negativer Art hinsichtlich des Ausdrucks zureichender Grund für eine Ungleichbehandlung auffaßt. 469 Im Ergebnis wäre nach dieser Ansicht jede Differenzierung nach einem verpönten Merkmal zulässig, solange sich irgendein anderer Grund als der verpönte findet. Im übrigen ergibt sich ein terminologischer Unterschied zu der Ansicht, die "sachgerechte" Differenzierungen billigt. 470 Dies ist die allgemein zu beobachtende Gefahr aller Meinungen, die versuchen, auf irgendeine Art das Differenzierungsverbot zu beschränken. Oft sind die Theorien in sich nicht konsistent und vermögen, konsequent angewandt, eine Einschränkung gar nicht herbeizuführen. Sie laufen aber alle letztlich darauf hinaus, wertende Gesichtspunkte in das Unterscheidungsverbot einfließen zu lassen und damit die Striktheit des Verbots zu leugnen. Doch findet sich in der Literatur ebenfalls eine Reihe von Autoren, die einem strikteren Verständnis des Differenzierungsverbots im Sinn eines Anknüpfungsverbots Raum geben. 471 Gegen die in der älteren Literatur meist nicht näher begründete Auffassung wandte sich Dürig in seiner Kritik, wonach die in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmale "zulässige Anknüpfungspunkte für rechtliche Regelungen sein dürfen oder sogar begrifflich sein müssen"472. Er vernachlässigt hierbei jedoch, daß in Art. 3 Abs. 3 Satz I GG die Anknüpfung an die Merkmale des Differenzierungsverbotes nicht erlaubt ist, wenn sie als Kriterium einer Unterscheidung verwendet werden, nicht schon dann wenn Regelungen die Kriterien lediglich thematisch berühren. 473

466 Kritisch Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 3, Rn. 104; Thoma, DVBI. 1951,457 (459); Sacksofsky, S. 145. 467 Podlech, S. 94 ff.; ihm folgend Schlink, Der Staat 15 (1976), 335 (349 f.). 468 Vgl. Podlech, S. 87. 469 Podlech, S. 91. 470 Sacksofsky, S. 147 Anm. 214; Sachs, Grenzen, S. 424 ff., 426. 471 Sachs, Grenzen, S. 428 ff.; Stein, Staatsrecht, § 48 III I a; Hesse, Grundzüge, Rn. 436; Apelt, JZ 1951, 353 (358); Zeidler, DÖV 1952,4 (5); Schnapp, JR 1974, 316 (317); Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 3, Rn. 104. 472 Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3111, Rn. 135. 473 Sachs, Grenzen, S. 421 f.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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(b) Die Ansicht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Die Rechtsprechung - insbesondere die des BVerfG - ist sehr heterogen und keineswegs durch das Bemühen gekennzeichnet, die Art des Zusammenhangs dogmatisch offenzulegen. Einige Entscheidungen stellen lediglich pauschal auf einen kausalen Zusammenhang ab474, andere lassen sich einordnen unter ein Verständnis als äquivalente Kausalität475 . Lange Zeit hat auch die Rechtsprechung des BVerfG die Anwendung des Art. 3 Abs. 3 GG durch Gesichtspunkte der Finalität einzuschränken gesucht. Nur die bezweckte Benachteiligung oder Bevorzugung sei verboten, nicht aber ein Nachteil oder ein Vorteil, der die Folge einer ganz anders intendierten Regelung sei, beispielsweise eine Regelung zum Schutz der werdenden Mutter. Die Ungleichbehandlung mußte danach also nicht nur Nebenzweck, sondern Hauptzweck der Regelung sein. 476 Folglich unterfielen auch Ungleichbehandlungen, die einen Ausgleich für vergangene Benachteiligungen bewirken sollten, nicht dem Art. 3 Abs. 3 GG, da die Ungleichbehandlung nicht hauptsächlich bezweckt war. 477 Diese einschränkende Wertung, die dem Begriff "wegen" im Sinn von "vor allem wegen" oder "ausschließlich wegen" beigemessen wurde, war vom Wortlaut der Norm kaum gedeckt. Im übrigen wollte das BVerfG auch nicht zwischen beabsichtigter Folge (Zweck) und unbeabsichtigter Nebenfolge unterscheiden, sondern eher zwischen dem Hauptzweck einer Norm und den zur Erreichung des Zwecks erforderlichen Mitteln. Dies läßt sich mit einem Blick auf das vom BVerfG selbst gewählte Beispiel des Mutterschutzes nachweisen. Es kann doch nicht geleugnet werden, daß diese Schutzvorschriften genau die Bevorzugung (oder Benachteiligung) werdender Mütter bezwecken. Denn es ist das Ziel dieser Vorschriften, durch Beschäftigungsverbote Belastungen und Gefahren für Mutter und Kind zu vermeiden. 478 Hiermit ist aber das Problem der Gewichtung von Zwecken angesprochen. Demnach vermag ebensowenig wie das Kriterium der Kausalität ein eng verstandener Finalitätsbegriff, den Anwendungsbereich des Differenzierungsverbots zu beschränken.479 Vereinzelt wird die Anknüpfung einer Vorschrift an eines der verpönten Kriterien geleugnet. 480 In anderen Entscheidun474 BVerfGE 2, 266 (286); 3, 58 (158 f.): Eine Sonderbehandlui~;g dürfe "ihre Ursache [nicht] in den durch Art. 3 Abs. 3 GG bezeichneten Gründen haben". Ahnlieh BVerfGE 5, l7 (22). 475 BVerfGE 59, 128 (157). 476 BVerfGE 4, 52 (58); 7, 155 (170 f.) ("um ... willen"); 19, 119 (126) (das "motivierende Element"); 39, 334 (368); 75, 40 (70). Ähnlich die Formulierungen, die auf eine gesteigerte Kausalität deuten in BVerfGE 2, 266 (267, Leitsatz Nr. 6) ("gerade wegen"); 43, 213 (225) (Verbot von "Regelungen, die allein an den Unterschied der Geschlechter anknüpfen"); vgl. auch BVerwGE 52, 313 (329); BVerwGE 75, 86 (96); BAG, 28. 09. 1972-2 AZR 469171 , AP Nr. 2 zu§ 134 BGB = NJW 1973, 77 (78). 477 Vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein, Art. 3, Rn. 264. 478 Vgl. Sachs, Grenzen, S. 395 f. 479 Sacksofsky, S. 143. 480 BVerfGE 3, 58 (147).

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

gen wird durchaus auf derselben Argumentationslinie schlicht auf die Anknüpfung an das Differenzierungsmerkmal abgestellt. 481 Tatsächlich ist das Gericht meist bemüht, die Bedeutung des verbotenen Kriteriums zu leugnen und stattdessen andere Kriterien für die Differenzierung als entscheidend heranzuziehen. Dies ist vom Ansatz her nicht unzutreffend, verlangt gleichwohl eine genaue tatbestandliehe Bestimmung des möglicherweise einschlägigen Kriteriums.482 In der Entscheidung zum Nachtarbeitsverbot für Frauen hat das BVerfG seine Ansicht zur Finalität ausdriicldich aufgegeben. Nach Ansicht des Gerichts verstärkt das Diskriminerungsverbot den allgemeinen Gleichheitssatz und zieht der dem Gesetzgeber dort gewährten Gestaltungsfreiheit engere Grenzen. Mithin darf das Geschlecht grundsätzlich nicht als Anknüpfungspunkt einer rechtlichen Ungleichbehandlung dienen, auch dann nicht, wenn eine Regelung nicht eine verbotene Ungleichbehandlung intendiert, sondern in erster Linie andere Zwecke verfolgt. An ein Geschlecht anknüpfende Regelungen verstoßen nur dann nicht gegen Art. 3 Abs. 3 GG, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind.483 Dies ist nicht nur eine Absage an Einschränkungen durch das Kriterium der Finalität, sondern an jedwede Einschränkung des Differenzierungsverbots, soweit sie - unabhängig von biologischen Notwendigkeiten - an wichtige Griinde oder sachgerechte Erwägungen anknüpfen will. 484 Abzuwarten bleibt, inwieweit hierin eine wirkliche Kehrtwende und endgültige Absage an die bisherige Rechtsprechung liegt. Die jetzige Formel erinnert an die ältere Rechtsprechung, in der das Gericht Art. 3 Abs. 3 GG verneinte, wenn gemeinsame Elemente überhaupt nicht vorhanden waren. Also sind Einschränkungen des Differenzierungsverbotes nach dieser neuesten Rechtsprechung nur unter ganz engen Voraussetzungen möglich, so daß man von einem Anknüpfungsverbot sprechen kann.

bb) Auslegung im Sinn eines Anknüpfungsverbotes (a) Wortlaut

Die kategorische Fassung des Verbots, niemand darf wegen eines bestimmten Merkmals unterschiedlich behandelt werden, spricht eher für als gegen ein absolutes, denn ein relatives Unterscheidungsverbot Allerdings ist der Wortlaut allein 481 BVerfGE 3, 225 (240); 6, 389 (422); 23, 258 (262); 39, 334 (368) (neben dem bereits angesprochenen Finalitätsgesichtspunkt). 482 Vgl. Sachs, Grenzen, S. 402 ff. 483 BVerfGE 85, 191 (207). 484 Wisskirchen, S. 61, weist darauf hin, daß hiermit auch der Diskriminierungsabsicht als eigenem Tatbestandsmerkmal eine Absage erteilt sei.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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nicht eindeutig, da auch Art. 3 Abs. 1 GG einschränkungslos formuliert ist. 485 Zudem bietet die Präposition "wegen" den Vorstellungen von kausaler oder finaler Verknüpfung einen besseren Ansatzpunkt als bei einem Verbot von Unterscheidungen "nach" bestimmten Kriterien. 486 Doch eignen sich beide Formulierungen auch für ein reines Anknüpfungsverbot, weil sie beide die notwendige Verknüpfung zwischen Merkmal und Ungleichbehandlung herzustellen vermögen. So ist auch der Begriff "wegen" in der Lage einen Bezug auszudriicken.487 Insofern darf die Verwendung dieser Präposition im Gegensatz zum "nach" nicht überbewertet werden. Ein Austausch beider Begriffe scheidet aus sprachlichen Griinden aus. Ihre gleiche Bedeutung erweist sich aber zusätzlich bei einem Vergleich mit Art. 33 Abs. 2 GG, der ebenfalls als besonderer Gleichheitssatz den Zugang zu öffentlichen Ämtern nach Eignung, Beflihigung und fachlicher Leistung gewährleisten will. Der Unterschied zu Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ist die positive Wendung der Gewährleistung. Auch hier könnte anstelle von "nach" "wegen" eingesetzt werden, wenn es nicht sprachlich untunlich wäre. 488 Ein einfacher Kausalzusammenhang läßt sich hingegen aus der Präposition "wegen" ableiten. Doch spricht dies nicht gegen, sondern für die hier vertretene Auffassung, da die conditio sine qua non-Formel als striktes Anknüpfungsverbot aufgefaßt werden muß.489 Nicht zu unterschätzen ist die passivische Formulierung des Verbots. 490 Das Verbot wendet sich nicht gegen eine Handlungsweise, die von bestimmten Motiven oder Zwecken getragen ist, sondern sanktioniert durch die Verwendung der Diathese "Passiv" jede Anknüpfung an eines der Merkmale, unabhängig von Griinden oder Zwecken, um den Eintritt eines "Unterscheidungserfolges" beim Merkmalsträger zu verhindern. Merkmale wie Geschlecht und Rasse eignen sich nicht als Motive oder Zwecke staatlichen Handelns; denn sie lassen sich nicht durch bestimmte Maßnahmen "herbeiführen". Auch dieser Umstand spricht gegen eine finale Deutung des "wegen". (b) Systematik Die zuvor dargestellten Überlegungen werden durch systematische Griinde bestätigt. Zum einen enthalten die auf das gleiche Ziel gerichteten Verfassungsbestimmungen des Art. 33 Abs. 3 S. 1 GG und Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 1, Vgl. Fuchsloch, S. 137. Vgl. Podlech, S. 94. 487 Duden, Bd. 6, Stichwort "wegen", zu a) und b), S. 2853. Vgl. im übrigen Sachs, Grenzen, S. 429. 488 Vgl. von Mangoldt/Klein, Art. 33, Anm. IV 2 c; Maunz. in: Maunz/Dürig, Art. 33, Rn. 21. 489 Sachs, Grenzen, S. 430. 490 Vgl. Sachs, Grenzen, S. 430 ff. 485

486

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

2 WRV491 ebenfalls keinen Hinweis auf zusätzliche kausale oder finale Anforderungen an das (religionsbezogene) Unterscheidungsverbot. 492 Zum anderen spricht für ein striktes Verständnis als Anknüpfungsverbot das Verhältnis zum allgemeinen Gleichheitssatz. Bereits oben konnte gezeigt werden, daß praktisch alle Versuche, das Unterscheidungsverbot mit kausalen oder finalen Erwägungen anzureichern, darauf hinauslaufen, Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG in Richtung auf ein Sachgerechtigkeitsgebot umzulenken, wenn bereits alternative Begründungen des staatlichen Handeins genügen, um einen Verstoß gegen das Differenzierungsverbot nicht anzunehmen. Die Affinität zum Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG ist augenfallig.493 Soll dagegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG einen eigenständigen Regelungssinn behalten, zwingt dies unter systematischen Gesichtspunkten zu einer Auslegung als Anknüpfungsverbot.

(c) Entstehungsgeschichte Der verfassungsgeschichtliche Hintergrund des Art. 3 Abs. 3 GG belegt, daß diese Vorschrift der Schlußpunkt einer langen Entwicklung hin zu einem wirkungsvollen Differenzierungsverbot darstellt. Nicht nur ist eine Höchstzahl an verpönten Kriterien aufgenommen, sondern auch eine Begrenzung des Anwendungsbereiches vollständig ausgeschlossen. Eine Beschneidung des Differenzierungsverbotes durch Erwägungen finaler Kausalität oder sachgerechter Gründe würde dieser Tendenz zuwiderlaufen.494 Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift des Grundgesetzes bietet keinen Anhaltspunkt für ein relativierendes Verständnis.

(d) Sinn und Zweck Sinn und Zweck des Differenzierungsverbotes ist es, bestimmte Kennzeichen eines Menschen als Gründe für eine Ungleichbehandlung von Verfassungs wegen auszuschließen und damit historisch hergebrachte Differenzierungen abzubauen. Diesem Zweck würde es zuwiderlaufen, Unterscheidungen anband der eigentlich verpönten Merkmale zuzulassen, weil die Differenzierung wegen des Merkmals nicht eigentlich bezweckt ist und es einen sachlichen Grund für die Unterscheidung gibt. Dagegen bietet das strikte Anknüpfungsverbot den effektivsten Schutz, wenn es um die Durchsetzung des Differenzierungsverbotes geht. 495 Nur auf diese Weise ist sichergestellt, daß nicht beliebige andere Gründe für eine Differenzierung wegen des verbotenen Merkmals vorgeschoben werden. 496 491 BVerfGE 7, 155 (162); Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 III, Rn. 23; v. Mangoldtl Klein, Art. 33, Anrn. V 2. 492 Sachs, HStR V, § 126, Rn. 72. 493 Vgl. Pietzcker, FS Partsch, S. 471 (481); Sachs, Grenzen, S. 433 f. 494 Zur geschichtlichen Entwicklung ausführlich Sachs, Grenzen, S. 434 ff. und 448 ff. 495 Vgl. Sachs, HStR V,§ 126, Rn. 74.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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e) Ergebnis

Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ist als striktes Anknüpfungsverbot zu verstehen, das nicht durch Erwägungen kausaler oder finaler Art, hinter denen beliebige andere Gründe für eine Unterscheidung stehen können, relativiert werden kann. Nur mit diesem Verständnis läßt sich ein wirkungsvolles Differenzierungsverbot sicherstellen.

2. Der Ausschluß von Typisierungen

Diskutiert wird, inwieweit die Befugnis zur Typisierung eine Einschränkung der strikten Anwendung des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG darstellen könnte.

a) Die Befugnis zur Typisierung

Im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes ist anerkannt, daß der Gesetzgeber typisieren darf und typisieren muß: Denn die Generalisierung und Abstrahierung ist eine Aufgabe des Gesetzgebers bei der Normsetzung. Notwendig verallgemeinert jede Rechtsetzung, indem sie "vom Besonderen abstrahiert, gegenüber dem Individuellen generalisiert, das Reale zum rechtlich Erwünschten idealisiert, das Regelmäßige und Übliche vom Zufälligen und Vorübergehenden abhebt [ ... ]"497 Typisierung als Auseinanderfallen von Normzweck und Differenzierung läßt sich aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität, der Rechtssicherheit oder allgemein aus dem "Wesen [ ... ] der rechtsetzenden Staatstätigkeit"498 rechtfertigen.499 Bei der Typisierung wird einmal das rechtlich Wesentliche herausgestellt. Auf diese Weise wird mit derartigen notwendigen Typisierungen der Auftrag des 496 Läßt sich das Unbehagen gegen ein strikt verstandenes Anknüpfungsverbot mit Einschränk:ungsversuchen auf der Tatbestandsseite dogmatisch nicht fassen, so wird stattdessen erwogen, ihm durch eine abwägende Bewertung von Gründen, Zielen und Wirkungen einer Ungleichbehandlung Raum zu geben. In Anlehnung an die allgemeinen Grundrechtslehren ließen sich die Diskriminierungsverbote als vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte begreifen, die mit anderen verfassungskräftig verbürgten Werten kollidieren können. Denn der eigentliche Konflikt zwischen einem strikten rechtlichen Unterscheidungsverbot und wertenden Differenzierungen aktualisiere sich in den objektiv-rechtlichen Grundrechtsfunktionen. Die abwehrrechtlich geschützten Verbotsgehalte des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG seien nach Maßgabe verfassungsimmanenter Grenzen im Rahmen einer "strengen" Verhältnismäßigkeitsprüfung zu konkretisieren. So Sachs I Osterloh, Art. 3, Rn. 243, 253 f.; Jarass I Pieroth, Art. 3, Rn. 78; PierothiSchlink, Rn. 491 ff.; Ebsen, Hb d. VerfR, § 8, Rn. 23 ff.; Huster. AöR 118 (119), 109 (111). Da dieser Ansatz außerhalb des hiesigen Untersuchungsgegenstandes liegt, wird dies nicht vertieft; vgl. dazu Sachs, HStR V,§ 126, Rn. 129 ff.; 52 ff., 116 Anm. 332. 497 So besonders plastisch Kirchhof, HStR V,§ 124, Rn. 293. 498 BVerfGE 30, 292 (315). 499 Vgl. allgemein Pemice, S. 243 ff.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Gleichheitssatzes erfüllt, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. 500 Zum zweiten kann ein Gesetz nicht auf jede Besonderheit und Individualität Rücksicht nehmen, folglich muß es verallgemeinem und auf diese Weise eine gemeinschaftliche Rechtsordnung herstellen. Soll die oft unüberschaubare Komplexität der sozialen Wirklichkeit in der Gesetzgebung mit Hilfe der Typisierung handhabbar gemacht werden, führt dies nicht nur zu der erwünschten Folge, daß typische Anwendungsfälle erfaßt werden, sondern auch zu den unerwünschten Wirkungen, daß untypische Fälle ebenso einbezogen werden wie umgekehrt typische Fälle ausgeschlossen bleiben. Dies, obwohl die einen nach der Intention des Gesetzes nicht erfaßt sein sollten und die anderen berücksichtigt werden müßten. 501 Zum dritten wird auch der Grad der Typisierung durch den allgemeinen Gleichheitssatz determiniert. Das Verharren des Gesetzes auf einer höheren Abstraktionsebene und der Verzicht auf weitere Differenzierung bedarf eines rechtfertigenden Grundes. 502 Das Verständnis des allgemeinen Gleichheitssatzes als Verbot willkürlicher Ungleichbehandlungen eröffnet die Möglichkeit, gewisse Unterschiedlichkeiten und Ausnahmen der Gleichbehandlung als sachlich gerechtfertigt anzuerkennen und so der gesetzgebensehen Gestaltungsfreiheit einen größeren Spielraum zu eröffnen.503 Eine typisierende Betrachtungsweise im Rahmen von Art. 3 Abs. 2, 3 GG findet sich oft in Entscheidungen der obersten Bundesgerichte, wenn die fehlende Vergleichbarkeit, biologische oder funktionale Unterschiede oder die Sachlichkeit einer Differenzierung in Rede stehen. Exemplarische Bedeutung hat in diesem Kontext das erste Witwerrentenurteil des BVerfG504. Unterschiedlich behandelt wurden von § 43 Abs. 1 Angestelltenversicherungsgesetz505 Männer und Frauen, die ihre Farnilien bis zum Tod des Partners überwiegend unterhalten hatten. Denn Männer erhielten im Gegensatz zu Frauen keine Rente gewährt, wenn sie zu Lebzeiten des anderen Partners den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hatten. Frauen bekamen eine Rente unabhängig von der Tatsache der Erbringung der Unterhaltsleistung. Zur Rechtfertigung berief sich das Gericht im Rahmen von Art. 3 Abs. 2 GG darauf, daß der Bedarf nach Ersatz der Unterhaltsleistungen nach Versterben des versicherten Ehepartners bei Witwe und Witwer wesentlich verschieden sei. 506 Denn nur für den Witwer, nicht aber für die Witwe gehe mit dem Verlust der Unterhaltsleistungen des Verstorbenen "in aller Regel ein wirtschaftlicher Ausgleich" 500 501 502

Kirchhof. HStR V, § 124, Rn. 294. Sachs, NVwZ 1991,437 (440). Kirchhof. HStR V, § 124, Rn. 295 f.

Vgl. BVerfGE 21, 12 (26 ff.); 48, 227 (239). BVerfGE 17, 1 (8 ff.). 505 In der Fassung des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957, BGBI. I, S. 88. 506 BVerfGE 17, 1 (17). 503

504

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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einher. 507 Das BVerfG rekurrierte dabei auf die funktionale Verschiedenartigkeit der Leistungen der Ehegatten für die eheliche Gemeinschaft, die über ihr Ende fortwirke und die unterschiedliche erwerbswirtschaftliche Situation von Witwe und Witwer bestimme, an der sich die Rente orientiere. 508 Die Ausftihrungen des BVerfG vermögen jedoch die eigentliche Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen, auf die vom Gericht auch nicht eingegangen wird. Eine Sonderbehandlung von Frauen auf Grund eines bei ihnen stets eintretenden Unterhaltsersatzbedarfes gilt es gar nicht zu rechtfertigen, weil insofern Männer und Frauen ausgehend von diesem Bedarf gleichbehandelt werden. Ungleichbehandelt werden dagegen diejenigen Männer und Frauen, die für den Unterhalt in der Ehe gesorgt hatten. Denn in diesem Fall erhalten nur Frauen die Hinterbliebenenrente. Vom Ziel des Gesetzes, den Unterhaltsbedarf des überlebenden Ehegatten zu sichem509, dürften aber auch Witwen die Rente nicht erhalten, die für den Unterhalt gesorgt hatten. Denn ein besonderer Unterhaltsersatzbedarf liegt auch bei ihnen nicht vor. 510 Die vom Gericht in diesem Zusammenhang weiterhin aufgeworfene Frage nach den Grenzen einer zulässigen Typisierung511 hat mit der Rechtfertigung einer solchen Ungleichbehandlung nichts zu tun. Das Urteil erörtert die Frage der Rechtfertigung, wenn die Zulässigkeit der Typisierung geprüft wird. Dabei wären beide Problemkreise streng auseinanderzuhalten. Die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2, 3 GG für die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung finden keine Erwähnung mehr. Stattdessen stellt das Gericht entscheidend auf den Umstand ab, daß die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei bevorzugender Typisierung weiter gehe als bei einer benachteiligenden Typisierung. 512 So mutiert zumindest in diesem Urteil des BVerfG die Typisierung zur Legitimation für eine eigentlich sonst verbotene Unterscheidung nach dem Geschlecht, vorbehaltlich des Umstandes, daß die Grenzen zulässiger Typisierung eingehalten sind. 513 Typisierungen lösen hingegen selbst Rechtfertigungszwänge aus und sind nicht geeignet, Verstöße gegen andere Verfassungsnormen zu rechtfertigen.514 Später griff das BVerfG den Ansatz der Typisierung bei Art. 3 Abs. 2, 3 GG nur noch einmal im Rentenalterbeschluß auf und hielt den Gesetzgeber auch dann zu einer Ungleichbehandlung für befugt, wenn er einen "sozialstaatlich motivierten typisierenden Ausgleich von Nachteilen" anordne. 515 Ansonsten berücksichtigte es alle Umstände, die überhaupt bei Männem und Frauen vorkommen, und lehnte 507

BVerfGE 17, 1 (19 ff.).

5os BVerfGE 17, 1 (22). 509 510 511

512 513 514 515

So BVerfGE 17, 1 (10, 12 ff.). Vgl. dazu Sachs, Grenzen, S. 462 f. BVerfGE 17, 1 (23 ff.). BVerfGE 17, 1 (24). Vgl. Sachs, Grenzen, S. 463 f. Isensee, S. 169. BVerfGE 74, 163 (180).

288

3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

den Rückgriff auf Typisierungen ab. 516 Die Durchsetzung der Gleichberechtigung läßt sich im übrigen auch ohne typisierende Betrachtungsweise bewerkstelligen, wenn der Gesetzgeber an die wirklich bedeutsamen Unterschiede in der sozialen Wirklichkeit anknüpft. 517 (Dazu unten IV. 4.)

b) Die Typisierungsfeindlichkeit der besonderen Differenzierungsverbote Eine Übertragung der Grundsätze zur Typisierung von Art. 3 Abs. 1 GG auf Art. 3 Abs. 2, 3 GG ist nicht möglich.518 Der häufigste Anlaß für Typisierungen, "verwaltungstechnische Erwägungen", scheidet aus gegenüber dem Vorrang der verfassungsrechtlichen Grundentscheidung für die Gleichberechtigung der Geschlechter als Rechtfertigungsmoment von Zweckmäßigkeitsüberlegungen, die Art. 3 Abs. 2, 3 GG verletzen. 519 Ausdrücklich hat das BVerfG erst später festgestellt, daß ein erhöhter Verwaltungsaufwand eine unterschiedliche Behandlung von Mann und Frau nicht zu rechtfertigen vermag. 520

Isensee hat einen genaueren Begriff der Typisierung geliefert und damit den Weg gewiesen, Typisierungen aus Art. 3 Abs. 2, 3 GG herauszuhalten. Unter Typisierung versteht er lediglich die "Gleichbehandlung von Rechtsfällen, die an sich unterschiedlich gelöst werden müßten". Davon unterscheidet er explizit das "Verfahren der regulären Tatbestandsbildung, [ ... ] jedwede Form der Verallgemeinerung und der Orientierung an der Lebenstypizität".521 Damit muß dann von einer Typisierung gesprochen werden, wenn ein vorgegebenes Differenzierungsgebot durchbrachen und vom selbstgewählten Unterscheidungsprinzip des Gesetzgebers abgewichen wird. 522 Deshalb verlangt die Typisierung nach einer Legitimation523 und kann nicht selbst zur Legitimierung von Verfassungsdurchbrechungen dienen.524

516 BVerfGE 31, 1 (5 f.); im Hausarbeitstagsbeschluß BVerfGE 52, 369 (375, 378 f.); deutlich BVerfGE 57, 335 (344 f.) (Absage an unterschiedlich hohe Tabellenwerte für die Bruttojahresarbeitsentgelte von Männem und Frauen in der Sozialversicherung). 517 Vgl. BVerfGE 57, 335 (346); Sachs, NVwZ 1991,437 (440). 518 Vgl. schon lsensee, S. 170; Sachs, Grenzen, S. 478 f. A.A. offenbar Gemhuber/Coester-Waltjen, § 6 li 5, S. 58. 519 Ähnlich argumentierte das BVerfG beim Ausschluß von Typisierungen im Rahmen von Art. 6 Abs. 1 GG, ohne dies freilich im ersten Witwerrentenurteil (BVerfGE 17, 1) auf den Gleichberechtigungssatz oder das Differenzierungsverbot zu übertragen. Vgl. Sachs, Grenzen, S. 464 f. 520 BVerfGE 31, 1 (6). 521 Isensee, S. 96 f. 522 Isensee, S. 97; Sachs, Grenzen, S. 477 f. 523 Isensee, S. 125 (Überschrift des 4. Teils). 524 Sachs, Grenzen, S. 478.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

289

Das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 GG ist richtigerweise als "typisierungsfeindlich" beschrieben worden. 525 Typisierungen beim Differenzierungsverbot müßten notwendig an das Geschlecht anknüpfen, was Art. 3 Abs. 2, 3 GG gerade verhindern wollen. Auf diese Weise würden Typisierungen im Zusammenhang mit den in Art. 3 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GG verbotenen Merkmalen die hergebrachten Rollenbilder bestätigen und verfestigen. Auf die möglichen Gründe und Motive, warum nicht an die eigentlich gemeinten Umstände angeknüpft wird, kommt es nicht an. Dies zu verhindern, ist aber auch Ziel des Differenzierungsverbotes. Treffend hat Sachs formuliert: "Die Vernachlässigung des atypischen, abweichenden Einzelfalls im Bereich der Merkmale bedeutet nichts anderes, als die Betroffenen der Macht der kollektiven Vorurteile, denen sie sich vielleicht mit größter Mühe entzogen haben, von Rechts wegen wieder zu unterwerfen." 526 Aus diesem Grunde ist auch das Typisierungsargument im Rentenalterbeschluß zurückzuweisen. Um Frauen wegen vielfältiger anderer Belastungen einen Vorteil zukommen zu lassen, bedarf es nicht der Anknüpfung an das "Surrogatmerkmal"527 der Geschlechtseigenschaft Pragmatische Erwägungen der Verwaltungsvereinfachung können nicht rechtfertigend herangezogen werden. Typisierungen indizieren eine Gruppenbetrachtung, wie sie den auf individuellen Rechtsgüterschutz ausgerichteten Grundrechten gerade zuwiderläuft. Solange Regelungen mit individueller Bevorzugung und dem Verbot individueller Benachteiligung möglich sind, sollte auf Typisierungen generell nicht zurückgegriffen werden. 528

3. Auslegung des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG im Hinblick auf das Verbot mittelbarer Diskriminierungen Gezeigt werden konnte bislang, daß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ein Differenzierungsverbot im Sinn eines strikten Anknüpfungsverbotes darstellt. Ausgeschlossen sind alle Beschränkungen auf der Tatbestandsseite, soweit es nicht um die logische Anwendbarkeit der Vorschrift geht, und alle Bestrebungen einer Typisierung. Enthalten diese Überlegungen bereits starke Indizien, die gegen eine Einbeziehung des Verbots mittelbarer Diskriminierung in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG sprechen, soll die Bestimmung dennoch methodisch unter diesem Blickwinkel untersucht werden.

525

Isensee, S. 170.

Sachs, Grenzen, S. 479. Treffend Heck, AcP 112, 1 (183). 528 Vgl. Schmitt Glaeser; Sachverständigenanhörung in der GVK von Bundestag und Bundesrat und der Bundesratskommission Verfassungsreform - Dokumentation 1993, in: Limbach/Eckertz-Höfer (Hrsg.), Frauenrechte im Grundgesetz, S. 129. 526 527

19 Traupe

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

a) Wortlaut

Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 Satz 1, 1. Fall GG gebietet, daß niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Der durch den Begriff "niemand" umrissene personale Anwendungsbereich signalisiert eine individuelle Garantie. Unter dem Gesichtspunkt des Geschlechts dürfen sich also Männer und Frauen auf dieses Grundrecht berufen. Angesichts der Tatsache, daß sich immer eine einzelne Frau (oder ein einzelner Mann) wegen einer bestimmten Maßnahme auf das Verbot berufen wird, spricht dieser individualistische Zug des Absatzes 3 noch nicht gegen eine Festlegung des Verbots mittelbarer Diskriminierung in diesem Absatz des Art. 3 GG, obwohl das Verbot der mittelbaren Diskriminierung einen deutlichen Gruppenbezug aufweist. Der Wortlaut läßt insoweit aber noch keine positive Festlegung zu. 529 Ist Anknüpfungspunkt einer Regelung das Geschlecht, wird der Schutzbereich des Grundrechts berührt. Dabei ist es unerheblich, ob die Regelung ein Geschlecht benachteiligt oder begünstigt, also nicht neutral ist. In der Literatur530 wird mit Recht darauf verwiesen, daß Regelungen, die an das Geschlecht anknüpfen, immer entweder begünstigend oder belastend sind, folglich allenfalls Unterschiede in der Intensität einer Maßnahme auftreten können. Dies legt die Folgerung nahe, daß eine Anknüpfung an das Merkmal Geschlecht generell nicht erlaubt ist, eben unabhängig davon, ob damit Vorteile oder Nachteile verbunden sind. Dagegen könne es nur noch durch eine Saldierung von Begünstigungen und Belastungen innerhalb eines Gesamtsystems zu einer insgesamt neutralen Wirkung kommen. 531 So soll der Gegenansicht zufolge aus der expliziten Nennung von Bevorzugung und Benachteiligung im Rahmen des Art. 3 Abs. 3 GG das Verbot auch der mittelbaren Diskriminierung folgen.532 Dieses Auslegungsergebnis läßt sich jedoch nur erreichen, wenn man voraussetzt, daß Art. 3 Abs. 3 GG auch die Auswirkungen rechtlicher Regelungen im Blick hat. Dies ist aber genau das zu beweisende Ergebnis. Mithin handelt es sich bei dieser Auslegung um einen Zirkelschluß. Davon abgesehen beziehen sich die verbotenen Auswirkungen einzig auf an ein Geschlecht anknüpfende Regelungen. Nach der Konzeption der h.M. knüpft das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nicht an das Merkmal "Geschlecht" an. Folglich ist das Geschlecht nicht conditio sine qua non für den Eintritt der belastenden oder begünstigenden Rechtsfolge. Hiergegen wird eingewandt, daß die Grundannahme der Äquivalenztheorie nicht beachtet worden sei, nach der alle notwendigen Bedingungen gleichwertig seien. Eine Bewertung von Kausalfaktoren - wie bei Sachs - dürfe nicht vorgeA.A.: Fuchsloch, S. 135; Bieback, S. 43 f. Sachs, Grenzen, S. 275 f., im Anschluß an die Lehre vom Verwaltungsak.t. 53 1 Schiek, Nachtarbeitsverbot, S. 138 f.; Fuchsloch, S. 136. Dagegen Sachs, Grenzen, S. 285 ff.; HStR V, § 126, Rn. 55. 532 Fuchsloch, S. 136. 529 530

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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nommen werden. Auch bei der mittelbaren Diskriminierung bestehe eine Kausalbeziehung im Sinn der Äquivalenztheorie, und zwar zwischen der Regelung und der ungleichen tatsächlichen Betroffenheit der Geschlechter. 533 Die Kritik geht fehl. Mitnichten werden bei der Lehre vom strikten Anknüpfungsverbot Kausalfaktoren unzulässig bewertet. Im Gegenteil: Andere Faktoren als das Geschlecht sind in Art. 3 Abs. 3 GG nicht erwähnt. Sie sind deshalb unter der Geltung des Anknüpfungsverbotes irrelevant. Deshalb kann auch nicht argumentiert werden, der Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG sei bewußt offen formuliert und beschränke sich nicht auf Unterscheidungen, die das verbotene Merkmal ausdrücklich im Normtext enthielten, sondern könne auch Dsikriminierungen einbeziehen, die auf eng mit den verpönten Merkmalen zusammenhängenden sonstigen Merkmalen beruhten.534 Hierdurch würde in das besondere Differenzierungsverbot des Absatzes 3 eine Beliebigkeit hineingetragen, die schon der Wortlaut nicht hergibt. Tatsächlich ist der Wortlaut insoweit nicht offen, sondern abschließend. Besteht eine Kausalbeziehung zwischen dem Geschlecht und der Regelung, greift Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ein. Geschlecht und geschlechtsspezifische Gründe einer nachteiligen Auswirkung können auf diese Weise nicht gleichgesetzt werden.

Fuchsloch kritisiert den Ansatz von Sachs, insbesondere weil alle merkmalsneutral formulierten Regelungen nicht unter Art. 3 Abs. 3 GG fielen. Damit erweise sich auch hier der restriktive Charakter der Auffassung, die das Tatbestandsmerkmal "wegen" als ein Anknüpfungsverbot versteht. Der Blick für das richtige Verständnis des Art. 3 Abs. 3 GG eröffne sich erst, wenn man die Rechtsprechung des EuGH und des BAG zum Verbot der mittelbaren Diskriminierung berücksichtige. Hierbei sei die Kausalität zwischen Geschlecht bzw. Geschlechtsrolle und der nachteiligen Auswirkung einer Maßnahme oder Regelung eigenständig zu prüfen. Bei Zugrundelegung dieses Verständnisses müsse das verpönte Merkmal nicht ausdrücklich erwähnt werden, um die Wirkung des Art. 3 Abs. 3 GG auszulösen. 535 Fuchsloch steckt in ihre Kritik, insbesondere an der Auffassung des Anknüpfungsverbotes, genau das Element hinein, das es erst noch zu beweisen gilt, daß das Verbot der mittelbaren Diskriminierung in Art. 3 Abs. 3 GG enthalten sei. Wenn sie aber gleichwohl an dieser Stelle der Auslegung bereits aus dem Wortlaut des Absatzes 3 die Verankerung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung folgert, muß dies Bedenken erwecken. Lediglich mit einem "Kunstgriff' kommt sie dann zu dem gewünschten Ergebnis, indem "Geschlecht" als "Geschlechtsrolle" verstanden wird. Diese Auslegung rechtfertigt sie mit der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 119 EGV. Eine so verstandene Auslegung des Begriffs "Geschlecht" überschreitet die Wortlautgrenze. Denn die Formulierung "Geschlecht" bedeutet nicht "soziales Geschlecht" oder "Geschlechtsrolle" oder "faktische Auswirkungen auf ein Geschlecht". 533 534 535

19*

Bieback, ZIAS 1990, 1 (28); auch Wisskirchen, S. 59. Bieback, S. 43. Fuchsloch, S. 140 f.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

b) Entstehungsgeschichte

Die Entstehungsgeschichte zu Art. 3 Abs. 3 GG deutet in ihrem beredten Schweigen auf ein Verständnis dieses Absatzes als striktes Anknüpfungsverbot. 536 Im Grundrecht P Abs. 2 des für die Beratungen während des Herrenchiemseer Konvents im Unterausschuß I für Grundsatzfragen aufgestellten Grundrechtskataloges war es schlechthin verboten, "Unterschiede, insbesondere wegen der Abstammung, der sozialen Stellung, der religiösen oder politischen Anschauungen [zu] machen" 537 . Für Gründe oder Motive einer Unterscheidung ist bei dieser Formulierung kein Raum.538 Dies läßt sich nicht zuletzt durch die persönliche Sichtweise von Nawiasky belegen, der maßgeblich am Entwurf beteiligt war und sich bereits zu den Vorläufer-Vorschriften der WRV auf den Standpunkt gestellt hatte, daß der anzuwendende Maßstab der der absoluten Gleichheit zu sein habe und jede Unterscheidung ebenso ausgeschlossen sei wie ein Rückgriff auf oft gar nicht faßbare Motive oder Zwecke. 539 Da Nawiasky als Protagonist der persönlichen Rechtsgleichheit bekannt geworden ist, darf ausgeschlossen werden, daß er sich unter den Eindrücken der Herrschaft der Nationalsozialisten und der Rechtspraxis zum Unterscheidungsverbot540 einem relativierenden Verständnis des Differenzierungsverbotes zugewandt hätte. Die Beratungen des Parlamentarischen Rates haben hier keine Abweichungen von einem strikten Anknüpfungsverbot erbracht. 541 Die Einwände von Fuchsloch gegen dieses Auslegungsergebnis können nicht durchgreifen. Sie meint, vor dem historischen Hintergrund der Vorschrift sollten Ausgleichs- und Wiedergutmachungsleistungen an historisch verfolgte Gruppen möglich sein, ein striktes Verständnis stünde dem jedoch entgegen.542 Doch übersieht sie, daß keine Anknüpfung an das Merkmal Rasse oder Religion bei derartigen Leistungen vorliegt, wenn die Wiedergutmachung daran anknüpft, daß eine Person nationalsozialistischer Verfolgung ausgesetzt war, weil diese Person für einen Juden gehalten worden war. Damit erhält jeder die Wiedergutmachung, der als Jude verfolgt wurde, unabhängig von seiner tatsächlichen Rasse.543 Der zweite 536 Sachs, Grenzen, S. 434 ff., hat ausführlich dargelegt, daß ein solches Anknüpfungsverbot in der Tradition deutscher Verfassungen steht. 537 Anlage zur 5. Sitzung des, Verfassungsausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz der westlichen besatzungszonen, Verfassungskonvent aufHerrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, Protokolle der Sitzungen der Unterausschüsse Unterausschuß 1: Grundsatzfragen, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, S. 141 (143). Vgl. bei Sachs, Grenzen, S. 314 Anm. 363. 538 Sachs, Grenzen, S. 448. 539 Nawiasky, VVDStRL 3, 25 (36 u. 40). 540 Die in Absatz 3 aufgezählten Merkmale waren Anknüpfungspunkte für massive staatliche Benachteiligungen bishin zur staatlichen Vernichtung von Trägem bestimmter Merkmale. Gerade dieser Hintergrund spricht deutlich für ein strenges Verständnis. 541 Sachs, Grenzen, S. 449 f. 542 Fuchsloch, S. 142. 543 Sachs, Grenzen, S. 427.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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Einwand Fuchslochs beschäftigt sich mit der Gefahr einer Umgehung von Differenzierungsverboten, wenn Art. 3 Abs. 3 GG als striktes Anknüpfungsverbot verstanden wird. 544 Abgesehen davon, daß es sich hierbei nicht um ein Argument zur Entstehungsgeschichte handelt, ist dem Einwand entgegenzuhalten, daß die Umgehung einer Vorschrift immer mit erfaßt ist vom eigentlichen Verbot. Im übrigen vernachlässigt Fuchsloch den Unterschied zwischen der versteckten Diskriminierung, die die Umgehung verpönter Merkmale ahnden will, und der mittelbaren Diskriminierung, die auf statistisch bedingte Ungleichheiten abhebt. Auch insofern läßt sich die Einbeziehung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung in Art. 3 Abs. 3 GG nicht durch eine mögliche Umgehungsgefahr des Differenzierungsverbots begründen. Die Entstehungsgeschichte deutet also ebenfalls nicht auf eine Verortung des Verbots mittelbarer Diskriminierung in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. c) Systematik Fuchsloch zufolge sprechen keine systematischen Erwägungen gegen eine Einbeziehung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Unter Berufung auf die Entscheidung des BVerfG zum Nachtarbeitsverbot stellt sie fest, daß auch Art. 3 Abs. 3, 1. Fall GG (a.F.) den Gleichberechtigungsgrundsatz im Sinn eines Gleichstellungsgebotes für die soziale Wirklichkeit, also "zugunsten einer tatsächlichen Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern" verkörpere.545 Bereits die Formulierung ist problematisch; das Verhältnis von Gleichberechtigung und Gleichstellung wird verwischt. Unklar bleibt, worin der Unterschied zwischen tatsächlicher Gleichberechtigung und faktischer Gleichstellung in der sozialen Wirklichkeit besteht. Eine Ableitung, inwiefern die Rechtsprechung des BVerfG durch die Bezugnahme auf die gesellschaftliche Wirklichkeit auch das Verbot der mittelbaren Diskriminierung beinhaltet, erfolgt nicht. Unbeachtet bleibt, daß die neue Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 2 GG und nicht zu Absatz 3 erging. Gerade unter systematischen Gesichtspunkten erscheint es schon vom Standpunkt der h.M. schwierig, auch Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG das Verbot der mittelbaren Diskriminierung zuzuordnen. Diese Auslegung vernachlässigt nicht nur das strikte Differenzierungsverbot, das dieser Bestimmung - unabhängig von der Qualifikation des Absatzes 2 - innewohnt, sondern hat Probleme auch immanent das Verhältnis zu Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG zu bestimmen, ohne nicht wieder eine der beiden Vorschriften für überflüssig halten zu müssen. d) Teleologie An dieser Stelle der Auslegung stellt sich die entscheidende Frage, ob es vom Sinn und Zweck des Differenzierungsverbots her geboten ist, in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG auch ein Verbot der mittelbaren Diskriminierung zu erblicken. 544 545

Fuchsloch, S. 143. Fuchsloch, S. 143.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

aa) Verständnis als Gruppenrecht Fuchsloch bejaht dies. Regelungszweck sei, die Schlechterstellung der Angehörigen einer bestimmten Gruppe zu verhindern. Dies könne ein striktes Anknüpfungsverbot nicht leisten. Denn diskriminierende Auswirkungen für eine Gruppe könnten auch durch (scheinbar) neutrale Merkmale erzeugt werden. Bisher für Art. 3 Abs. 2 GG angestellte Überlegungen gelten aber auch für den Absatz 3. Wiederum nimmt Fuchsloch in ihren Überlegungen Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 119 EGV: "Der Sinn und Zweck der Diskriminierungsverbote in Richtung auf eine soziale Integration ist besonders gut für das Gemeinschaftsrecht vom EuGH herausgearbeitet worden. " 546 Die dynamische Auslegungsmethode des EuGH spreche für eine Ausweitung des Diskriminierungsverbots auf das Verbot verdeckter Benachteiligungen, die nicht notwendig absichtlich erfolgen müßten. Nur so könne "die Neutralität des Rechts gegenüber den bestehenden Gruppenunterschieden [ ... ] gewährleistet"547 werden. Der Rückgriff auf die Rechtsprechung des EuGH überzeugt an dieser Stelle ebensowenig wie zuvor. Fuchsloch bleibt den Nachweis schuldig, daß sich das europäische Recht bruchlos auf die Vorschrift des Grundgesetzes übertragen läßt, dies gilt insbesondere für die Rechtsprechung des EuGH, die für das Gemeinschaftsrecht über lange Jahre eine ganz besondere integrative Funktion erfüllt hat. Die vom EuGH entwickelten Rechtssätze lassen sich schon gar nicht ohne Berücksichtigung ihres spezifischen Hintergrundes auf das Grundgesetz anwenden. Schon die soziale Integration als Zweck des Diskriminierungsverbots weckt Zweifel. Eine solche Bestimmung des Zwecks geht an der sozialen Wirklichkeit vorbei. Die Gruppe der Frauen steht nicht außerhalb des gesellschaftlichen Lebens, so daß es um ihre Wiedereingliederung ginge. Im übrigen will das Verbot der mittelbaren Diskriminierung - nach der Konzeption der ganz h.M. - gerade keine Neutralität des Rechts gegenüber bestehenden Gruppenunterschieden gewährleisten, sondern im Gegenteil dazu beitragen, bestehende Unterschiede zwischen den Geschlechtern abzubauen.

Weiterhin sieht Fuchsloch kein Problem mit dem denkbaren Charakter des Verbots mittelbarer Diskriminierung als Gruppengrundrecht, da der Anspruch als solcher als Einzelrecht ausgestaltet sei und nur die Vergleichsgruppenbildung einen Gruppenbezug aufweise. 548 Die Erwägungen von Wisskirchen sind denen von Fuchsloch nicht unähnlich, wenn sie das Tatbestandsmerkmal "Geschlecht" mit "Geschlechtsrolle" gleichsetzt. Art. 3 Abs. 3 GG beziehe sich nicht nur auf das Geschlecht der einzelnen Person, sondern auch auf durch die Gruppe definierte geschlechtstypische Merkmale. Eine Frau weise ein solches Merkmal auf, "wenn die Gruppe der Frauen in derselben Situation im Vergleich zu Männern dieses überFuchsloch, S. 145. Ebd., unter Bezugnahme auf S. 131: Das Verbot der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung enthalte daher das Gebot, Anknüpfungsmerkmale zu verwenden, die nicht geschlechtsspezifisch wirkten und sei "damit auf tatsächliche Neutralität gerichtet." 548 Fuchsloch, S. 144. 546 547

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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durchschnittlich häufig hat. " 549 Sie nimmt damit offen Bezug zur Interpretation des Art. 3 Abs. 2 GG durch Slupik550 im Sinn eines Gruppenrechts. Dieses Verständnis bestimme auch die Auslegung von Art. 3 Abs. 3 GG, weil das betroffene Individuum immer auch Mitglied der durch das Geschlecht bestimmten Gruppe sei. Deshalb seien Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG zusammen die verfassungsrechtliche Grundlage des Verbots der mittelbaren Diskriminierung. Denn diese Rechtsfigur enthalte ein Spannungsfeld zwischen einer individualrechtliehen Komponente, die Benachteiligung der einzelnen Frau, und einer gruppenbezogenen Komponente, der kollektive Anknüpfungspunkt für die benachteiligende Regelung. 551 Demgegenüber ist festzustellen, daß nicht die einzelne Frau benachteiligt ist, da nach diesem Merkmal nicht differenziert wird. Der eben vorgestellte Ansatz läßt sich nicht durchhalten: Denn die Benachteiligung der einzelnen Frau ergibt sich erst aus dem Gruppenbezug. Nur weil die einzelne Frau der Gruppe angehört, die statistisch häufiger das betreffende neutrale Differenzierungskriterium erfüllt, ist sie benachteiligt. Der von Wisskirchen verwendete Begriff des Spannungsfeldes zwischen der individualrechtliehen und der gruppenbezogenen Komponente sagt für sich genommen nichts aus. Unklar bleibt vor allem, warum beide Absätze zusammen das Verbot enthalten sollen. Wiederum erweist sich als Dreh- und Angelpunkt bei der Einordnung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung in die speziellen Gleichheitssätze die Gleichsetzung von Geschlecht und Geschlechtsrolle, die auch hier - wie meist - ohne nähere Begründung oder methodengerechte Auslegung vorgenommen wird. Hierin spiegelt sich die weitverbreitete Auffassung, daß der Staat gehalten sei, die hergebrachte Rollenverteilung, die nicht akzeptiert wird, aktiv zu ändern. Hingegen unterliegt die Rollenverteilung in der Familie der freien Entscheidung der Partner. Der Staat hat lediglich gleiche Ausgangsbedingungen für Mann und Frau im Hinblick auf die jeweilige Rolle herzustellen. Ein Problem wird sich dabei jedoch nicht ändern lassen. Es werden immer die Frauen sein, die die Kinder zur Welt bringen und die deswegen gewissen beruflichen Einschränkungen unterliegen. Nur unter diesem Aspekt ist der Staat berechtigt, die offensichtliche Unausgewogenheit von Chancen zugunsten der Frauen - durch unmittelbare Anknüpfung an diesen Status - zu beeinflussen. Der Rückgriff auf das Verständnis des Art. 3 Abs. 2 GG als Gruppenrecht kann gerade nicht weiterhelfen. Denn das Grundgesetz kennt keine Gruppenrechte. Die Grundrechte sind individuelle Gewährleistungen. Der Sinn eines Differenzierungsverbotes ist es, daß jeder Mensch ohne Rücksicht auf die verbotenen Merkmale nach seinen individuellen Verhältnissen und Fähigkeiten beurteilt wird. 552 Insofern ist das strikte Differenzierungsverbot wegen des GeWisskirchen, S. 62. Slupik, S. 101. Ihr zufolge müsse das Differenzierungsverbot des Absatzes 3 im Lichte des Gleichberechtigungsgebotes in Absatz 2 ausgelegt werden. 55 1 Wisskirchen, S. 63. 552 Sachs, NVwZ 1991,437 (439); Isensee, S. 170. 549 550

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

schlechts Ausprägung des Menschenwürdesatzes (Art. 1 Abs. 1 GG). Beim Verbot der mittelbaren Diskriminierung ist ein Zusammenhang zur Menschenwürde nicht mehr erkennbar, weil allein statistisch argumentiert wird und nicht mehr auf eines der besonders verpönten Differenzierungskriterien abgestellt wird. Auch diese Überlegungen sprechen für einen anderen Priifungsort und andere angepaßte Voraussetzungen, da eine Gleichsetzung der unmittelbaren mit der mittelbaren Diskriminierung unangebracht erscheint. Das Verständnis der Differenzierungsverbote als strikte Anknüpfungsverbote hat den Charme, den Schutzzweck am effektivsten zu verwirklichen. So wird eine relativierende Abwägung zugunsten beinahe beliebiger, vielleicht nur vorgeschobener, Sachgriinde vereitelt.

bb) Umgekehrte Typisierung Art. 3 Abs. 3 GG verbietet die Anknüpfung staatlichen Handeins an ein bestimmtes, dort genanntes Unterscheidungsmerkmal. Die Unterscheidungsverbote des Grundgesetzes entfalten als Grundrechte verbindliche Rechtssatzwirkungen (Art. 1 Abs. 3 GG). Gegenstand der Unterscheidungsverbote ist sämtliches Staatshandeln, das generell persönliche Voraussetzungen für den Eintritt von Folgen tatsächlicher oder rechtlicher Art aufstellt und damit Unterscheidungen vomimmt. 553 Bei Art. 3 Abs. 3 GG ist die Beziehung, die zwischen einem der Merkmale und der Differenzierung bestehen muß, um das Unterscheidungsverbot zur Anwendung gelangen zu lassen, als Verbot von Differenzierungen "wegen" des verpönten Merkmals ausgestaltet. Dabei ist die Anknüpfung an das verbotene Merkmal Minimalvoraussetzung für ein Unterscheidungsverbot Eine Regelung trifft auf der Grundlage eines verbotenen Merkmals des Art. 3 Abs. 3 GG, das als Differenzierungskriterium fungiert, eine Unterscheidung, indem der Staat dieses Merkmal als notwendige Bedingung für den Eintritt von Rechtsfolgen einsetzt. Damit liegt eine Anknüpfung an das verbotene Kriterium vor, da die tatbestandliehe Festlegung der Adressaten in einer Norm über den Kreis der von den Rechtsfolgen Betroffenen entscheidet. 554 Bei Normen oder Maßnahmen, die dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung unterfallen, wird gerade nicht an das verpönte Kriterium "Geschlecht" angeknüpft, sondern an ein neutrales Unterscheidungsmerkmal. Da Art. 3 Abs. 3 GG insoweit ein striktes Unterscheidungsverbot nach genau bezeichneten Kriterien aufstellt, verbietet sich eine ausdehnende Anwendung auf andere Merkmale, wenn diese allenfalls zu ähnlichen Wirkungen führen. Nun kann es aber sein, daß Unterscheidungen im Normtext dennoch anhand eines verbotenen Merkmals getroffen werden, ohne daß das Merkmal ausdriicklich genannt ist. 555 Denkbar ist diese Konstellation bei Verwendung synonymer Begrif-

553 554

555

Sachs, Grenzen, S. 70 ff., 244 ff.; ders., HStR V,§ 126, Rn. 24. Sachs, Grenzen, S. 71,451 ff.; ders., HStR V,§ 126, Rn. 29. Dazu Sachs, Grenzen, S. 458 ff.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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fe, die exakt denselben Personenkreis erfassen wie das in Art. 3 Abs. 3 GG verbotene Merkmal. Dies ist der Fall der verdeckten Diskriminierung. Art. 3 Abs. 3 GG ist anwendbar. 556 Ansonsten wäre eine mögliche Umgehung des Verbots nicht ausreichend sanktioniert. Die Merkmale Teilzeitarbeit und Geschlecht sind in diesem Sinn keine synonymen Begriffe, wenn auch Teilzeitarbeit häufig Frauenarbeit ist. Der Männeranteil, der je nach zugrundeliegender Statistik bis zu annähernd 20% beträgt, würde völlig übergangen, wenn man Teilzeitarbeit und Geschlecht gleichsetzen würde. Noch in einer zweiten Konstellation wird ebenfalls an verbotene Kriterien angeknüpft, wenn der Normtext nach Eigenschaften differenziert, die nur, aber nicht immer bei Trägem eines verbotenen Merkmals auftreten. 557 Als Beispiel für eine derart spezifische Begleitvoraussetzung sei für Frauen die Schwangerschaft genannt558 , da sie naturgemäß nur bei Frauen vorkommt, für Männer der Wehr- bzw. Ersatzdienst, der ihnen gemäß Art. 12a Abs. I, 2 GG vorbehalten ist. Hier liegt also das verpönte Differenzierungskriterium notwendig vor. Das Merkmal Teilzeitarbeit ist aber keine spezifische Begleitvoraussetzung in diesem Sinne. Denn auch Männer können Teilzeitarbeit leisten und tun dies. Dagegen liegt keine Anknüpfung an das verbotene Merkmal vor, wenn eine Norm ein Differenzierungskriterium wählt, das zwar besonders häufig oder typischerweise, aber nicht exklusiv bei einer Gruppe von Merkmalsträgem vorkommt. Hier ist das verpönte Merkmal nicht conditio sine qua non für den Eintritt der Rechtsfolge. Denn neben den durch das neutrale Kriterium hauptsächlich und typischerweise betroffenen Trägem des eigentlich verpönten Merkmals werden auch andere Personen erlaßt, die ebenfalls die Voraussetzungen des neutralen Kriteriums erfüllen. Andererseits bleiben Träger des verpönten Merkmals, die das neutrale Kriterium nicht erfüllen, außerhalb des Anwendungsbereiches. 559 Dies ist die notwendige Folgerung, wenn die Zulässigkeit typisierender Regelungen bei Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG abgelehnt wird. Ein striktes Unterscheidungsverbot verbietet jede Anknüpfung an das verpönte Merkmal, aber auch nur genau eine solche. Werden also neutrale Kriterien verwendet, die nur näherungsweise die Träger eines verpönten Merkmals ("Geschlecht") treffen, kann von einer umgekehrten Typisierung gesprochen werden. So stellt sich das Verbot der mittelbaren Diskriminierung als Spiegelbild der Zulässigkeit typisierender Regelungen dar. Die Typisierung enthält eine Befugnis zur Ungleichbehandlung, indem sie konkret an ein verpöntes Merkmal des Art. 3 Abs. 3 Satz I GG anknüpft. Als Voraussetzung für die Zulässigkeit zu typisieren fordert das BVerfG, daß zum einen Härten und Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen treffen dürfen und der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht sehr intensiv sein darf. Knüpft also eine Regelung direkt an das Merkmal "Frau" an, werden von ihr häufig nicht nur Frauen Sachs, HStR V, § 126, Rn. 90. Sachs, HStR V, § 126, Rn. 31. 558 EuGH, 08. II. 1990, Rs. C-177/88 (Dekker), Slg. 1990, 1-3941 (3973, Tz. 12), der eine Geschlechtsdiskriminierung bei Nichteinstellung wegen Schwangerschaft annahm. 559 Sachs, Grenzen, S. 451 ff., 480 ff. ; ders., HStR V, § 126, Rn. 32. 556 557

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

positiv erlaßt, sondern auch Männer, und es gibt Frauen, die von ihrer Regelung ausgeschlossen bleiben. Wenn aber dem Gesetzgeber auf der einen Seite eine Befugnis zur Ungleichbehandlung unter Anknüpfung an das Merkmal "Geschlecht" zugebilligt wird, dann kann es ihm auf der anderen Seite durch Art. 3 Abs. 2 bzw. 3 GG nicht verboten werden, merkmalsneutral ausgestaltete Regelungen zu verwenden, nur weil diese statistisch wesentlich mehr Angehörige des einen Geschlechts betreffen als des anderen Geschlechts. Dies wäre ein deutlicher Wertungswiderspruch. Genau mit der umgekehrten Überlegung lassen sich sinnvolle Regelungen gestalten. Die Anknüpfung an neutrale Merkmale läßt zugunsten von Frauen wirkende Regelungen zu, die einen Beitrag zur Angleichung der Lebensverhältnisse leisten können.560 Hierfür spricht auch Art. 3 Abs. 2 S. 2, 2. Fall GG.

cc) Die Behandlung geschlechtstypischer Wirkung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Die hier vertretene enge Auslegung der Unterscheidungsverbote in Art. 3 Abs. 2, 3 GG wird durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wesentlich gestützt. Danach ist das Differenzierungsverbot beschränkt auf die in den Vergleichstatbeständen erwähnten unterschiedlichen Eigenschaften. "Differenzierungen, die auf anderen Unterschiedlichkeiten der Personen oder auf Unterschiedlichkeiten der Lebensumstände beruhen, bleiben von dem Differenzierungsverbot unberührt."561 In einigen Entscheidungen, die solche Konstellationen betrafen, zog das Gericht als Prüfungsmaßstab das Willkürverbot heran. Dies zeigt schon ein Blick auf die ältere Rechtsprechung: Das BVerfG bezieht tatsächliche Auswirkungen von Regelungen in seine Überlegungen zur Gleichheit immer wieder mit ein. In einer frühen Entscheidung rügte es den "sogenannten Edukationseffekt" der damaligen steuerlichen Zusammenveranlagung von Ehepartnern. Als Prüfungsmaßstab zog das Gericht Art. 3 Abs. 1 GG heran und erörterte in diesem Rahmen, ob Art. 3 Abs. 2 GG dem Gesetzgeber im Hinblick auf die typischerweise gegen die Berufstätigkeit von Frauen wirkende und so beabsichtigte Zusammenveranlagung gestalterische Grenzen setzt. Im Ergebnis stand der Gleichberechtigungsgrundsatz der "Wertentscheidung, die Ehefrau ins Haus zurückzuführen" entgegen.562 Ob diese Entscheidung allerdings als erster Ansatz gewertet werden kann, das Verbot der mittelbaren Diskriminierung in Art. 3 Abs. 2 GG zu verankern, muß bezweifelt werden, zumal das BVerfG Art. 3 Abs. 1 GG zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen gewählt hat. 563 560 561 562 563

Vgl. zu diesem Ziel der Gleichberechtigung BVerfGE 87, I (42); 94, 241 (259). BVerfGE 3, 225 (241). BVerfGE 6, 55 (80 ff.). Dies verkennt Fuchsloch, S. 86. Vgl. Sachs, Grenzen, S. 485 f.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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Später erörterte das BVerfG in einer vergleichbaren Konstellation im Rahmen wiederum des allgemeinen Gleichheitssatzes den Grundsatz des Art. 6 Abs. I GG. 564 In einer Entscheidung aus dem Jahre 1974 benutzte das Gericht zwar den Begriff "mittelbare Benachteiligung", subsumierte jedoch nicht unter Art. 3 Abs. 2, 3 GG. In diesem Zusammenhang ließ es auch eine Saldierung von Begünstigungen einer Teilgruppe eines Geschlechts mit Benachteiligungen einer anderen Teilgruppe desselben Geschlechts zu. 565 In einem Verfahren aus dem Jahre 1985 beschäftigte sich das BVerfG mit der Schlechterstellung von Teilzeit- gegenüber Vollzeitbeschäftigten, der klassischen Domäne des Verbots der mittelbaren Diskriminierung. Nach der damals geltenden Regelung der Bundesbesoldungsordnung in der Fassung des Haushaltsstrukturgesetzes von 1975 erhielten Ehegatten, die beide als teilzeitbeschäftigte Beamte oder Richter im öffentlichen Dienst beschäftigt waren, zusammen weniger als den vollen ehegattenbezogenen Bestandteil des Ortszuschlags. Das BVerfG priifte anband des Art. 3 Abs. 1 GG und suchte nach vernünftigen, einleuchtenden Griinden für die Differenzierung. Diese fand es, ohne Art. 3 Abs. 2, 3 oder Art. 6 Abs. I GG in bezug zu nehmen, im Leitbild und in wesentlichen Strukturinhalten des Beamtenund Richterverhältnisses, das auf Vollzeitbeschäftigung und nicht auf Teilzeitbeschäftigung angelegt sei. 566 Im "Triimmerfrauenurteil" stellte das BVerfG nur fest, daß die mit der unzureichenden Beriicksichtigung von Kindererziehungsleistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung deutlich größere Betroffenheit von Frauen die aus Art. 3 Abs. 2 GG folgende Pflicht des Gesetzgebers auslöst, auf eine Angleichung der Lebensverhältnisse von Frauen und Männern hinzu wirken. 567 Unter dem Gesichtspunkt der mittelbaren Diskriminierung priifte das BVerfG die rentenversicherungsrechtlichen Regeln hingegen nicht, sondern maß sie ausschließlich an Art. 3 Abs. 1 GG. Diese Argumentationslinie bestätigte das BVerfG in seiner Entscheidung zur Bewertung von Kindererziehungszeiten beim Zusammentreffen mit beitragsbelegten Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Trotz des ausdriicklichen Hnweises, daß sich eine unzureichende Beriicksichtigung von Kindererziehungszeiten vor allem zu Lasten der Mütter auswirke, zog es als Maßstab Art. 3 Abs. 1 GG heran. 568 Das Urteil zur Einkommensanrechnung unter nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten im Zusarnrnenhang mit der Gewährung von Arbeitslosenhilfe (§ 138 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 9 AFG) brachte keine neuen Aspekte. BVerfGE 13, 290 (298 f.); 13, 318 (331). BVerfGE 37, 121 (126). 566 BVerfGE 71, 39 (58 ff.). Auch heute ist in der rechtspolitischen Diskussion umstritten, ob die Treuepflicht des Beamten "teilbar" ist in dem Sinne, daß Bewerber von vornherein automatisch - unabhängig von ihren eigenen Präferenzen - nur als teilzeitbeschäftigte Beamte eingestellt werden können. Hiergegen dürften die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtenturns stehen, die die volle Inpflichtnahrne des Beamten vorsehen. 567 BVerfGE 87, 1 (42). 568 BVerfGE 94, 241 (259 ff.). 564 565

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Auch hier wurde die Ungleichbehandlung von Alleinverdiener- und Doppelverdienerehe unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes gepriift und für nicht gerechtfertigt erklärt. Gleichzeitig wies das BVerfG darauf hin, daß diese Ungleichbehandlung geeignet sei, die überkommene Rollenverteilung festzuschreiben, indem die Hausfrauenehe begünstigt werde, was Art. 3 Abs. 2 GG widerspreche.569 Die Witwerrentenentscheidung hatte sich mit der einseitigen praktischen Folge der Rentengesetzgebung zu befassen, daß es regelmäßig Frauen waren, die die Witwenrente von 60% der Altersrente des verstorbenen Versicherten erhielten. Nachdem das Gericht einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG unter dem Gesichtspunkt der Ungleichbehandlung von Versichertenrenten und abgeleiteten Hinterbliebenenrenten ausführlich gepriift und mit der Erwägung verneint hatte, daß Versichertenrenten Lohnersatzfunktion, Hinterbliebenenrenten hingegen Unterhaltsersatzfunktion hätten570, erörterte es einen möglichen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2, 3 GG. Hierzu stellte das Gericht fest, daß die einschlägige rentenrechtliche Vorschrift gegen das Differenzierungsverbot wegen des Geschlechts nicht verstoße, weil nicht zwischen Mann und Frau differenziert werde. Auch ein Witwer würde nur 60% der Versichertenrente seiner verstorbenen Frau erhalten. Ausdrucklieh bezog das BVerfG sodann die praktischen Folgen der Regelung, daß Männer nur in seltenen Fällen Hinterbliebenenrente erhalten, in die Betrachtung ein. Dabei ließ das Gericht nur scheinbar offen, ob "eine derartig einseitige praktische Folge einer an sich verfassungsrechtlich nach Art. 3 Abs. 2, 3 GG unbedenklichen Regelung in besonderen Fällen gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau verstoßen könnte"571 . Denn das Gericht äußerte sich dezidiert zu einer möglichen Rechtfertigung: Danach stellen die praktischen Auswirkungen keine generelle Benachteiligung von Frauen dar. Die vom B VerfG zur Rechtfertigung angeführten Argumente lassen als Maßstab eine Willkürpriifung erahnen. Die faktischen Folgen werden nicht als sachfremd angesehen.572 Witwenrenten der gesetzlichen Rentenversicherung würden ohne Rücksicht auf die Dauer der Ehe, auf eigenes Einkommen oder andere Rentenbezüge gewährt. Im übrigen seien Frauen gegenüber Männem insoweit oft bevorzugt. In der Entscheidung zur friiheren Zusammenveranlagung von Ehegatten gemäß § 26 EStG 1951 untersuchte das Gericht vorrangig Art. 6 Abs. 1 GG und stellte einen Verstoß gegen die wertsetzende Grundsatznorm zum Schutz von Ehe und Familie fest. Eine mögliche Rechtfertigung überpriifte es am Maßstab des sachlichen Grundes und wies dabei den ,,Edukationseffekt", das Ziel, die Ehefrau von der eigenen Berufstätigkeit weg ins Haus zu führen, als einen solchen zuriick. Nur in diesem Zusarnrnenhang wird Art. 3 Abs. 2 GG - das bereits feststehende Ergebnis 569 570 571

572

BVerfGE 87, 234 (258). BVerfGE 48, 346 (357 ff.). BVerfGE 48, 346 (366). So auch Sachs, Grenzen, S. 485.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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unterstützend - ins Spiel gebracht, weil zur Gleichberechtigung auch gehört, daß die Ehefrau, die Möglichkeit hat, wie jeder Mann auch Erwerbseinkommen zu erzielen, ohne daß dies als ehezerstörefisch gewertet würde. 573 Dies ist bemerkenswert, weil der Gesichtspunkt einer unmittelbaren Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts im Fortgang der Entscheidung noch angesprochen wird. 574 Bestätigt hat das BVerfG diese Ansicht auch für ein anderes Kriterium des Absatzes 3, die Sprache. Unter Berufung auf die eben erwähnte Grundsatzentscheidung zu Art. 117 GG führte das Gericht aus, daß die Bedeutung des Differenzierungsverbotes darin liege, daß die Verschiedenheit "keine rechtlichen, nicht aber auch, daß sie keine sonstigen Wirkungen haben dürfte575 Daraus folgt, daß Art. 3 Abs. 3 GG den Staat nicht verpflichtet, tatsächliche sprachbedingte Erschwernisse auszugleichen. 576 Nur auf den ersten Blick widerspricht der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zum Bilka-Rechtsstreit dieser Linie. Das Gericht verweist dort auf das erste Parteienfinanzierungsurteil 577 aus dem Jahre 1958: "Danach widerspricht auch ein Gesetz, das in seinem Wortlaut eine ungleiche Behandlung vermeidet und seinen Geltungsbereich abstrakt-allgemein umschreibt, dann dem Gleichheitssatz, wenn sich aus seiner praktischen Anwendung eine offenbare Ungleichheit ergibt und diese ungleiche Auswirkung gerade auf die rechtliche Gestaltung zurückzuführen ist."s7s

Die Übertragung dieser Erkenntnisse auf den Fall der mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts dränge sich förmlich auf. 579 An der Übertragbarkeit auf andere gesellschaftliche Verhältnisse hatte das BVerfG aber schon im selben Urteil gezweifelt, hatte es seine Ausführungen doch ausdrücklich auf den Fall der Parteispenden beschränkt. Denn im Bereich der Spenden für politische Parteien sei hinsichtlich der Chancengleichheit ein besonders strenger Maßstab anzulegen, da hier die Tätigkeit der politischen Parteien beim Prozeß der politischen Willensbildung im Raum stehe, der alle Bürger unterworfen seien. 580 Der Argumentationsansatz bei der Parteienfinanzierung unterscheidet sich von dem bei der Gleichbehandlung der Geschlechter. Das Grundrecht der Parteien auf Chancengleichheit BVerfGE 6, 55 (80 ff.). BVerfGE 6, 55 (83). Vgl. Sachs, Grenzen, S. 485, Anm. 421. 575 BVerfGE 64, 135 (156). In dem Beschluß ging es um den Anspruch eines Ausländers auf Bekanntgabe eines Strafurteils in einer ihm verständlichen Sprache. 576 Damit wird deutlich, daß Art. 3 Abs. 3 GG nicht die Funktion einer Minderheitenvorschrift zukommt. Vgl. Anm. Sachs, BayVBI. 1984,208, zu BverfG, Beschl. v. 17. 05. 19832 BvR 731 I 80- nicht in der amtl. Slg. veröffentlicht. m BVerfGE 8, 51 (64). 578 BVerfG, 28. 09. 1992-1 BvR 496/87 -, NZA 1993, 213 (214)- nicht in der amtl. Slg. veröffentlicht. 579 Vgl. Fuchsloch, S. 84; Wisskirchen, S. 58. 580 BVerfGE 8, 51 (67 f.). 573

574

302

3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

enthält eine Gleichheitsforderung, die nicht durch eine bestimmte, unterschiedslose Gestaltung der rechtlichen Lage durch den Staat an sich erfüllt werden kann. Vielmehr bezieht das BVerfG die Chancengleichheit der Parteien von vomherein auf die Auswirkungen hinsichtlich der Wettbewerbspositionen der Parteien. 581 Im übrigen ist nach dieser Rechtsprechung der Gesetzgeber nur gehalten, die bestehenden tatsächlichen Unterschiede nicht zu verschärfen. 582 Die Anknüpfung an merkmalstypische Kriterien .,verschärft" die faktischen Unterschiede aber nicht, .,sondern läßt sie unberührt wirken"583 . Damit ist auch klargestellt, daß das Prinzip der Chancengleichheit nicht auf die Beseitigung oder den Ausgleich tatsächlicher Unterschiede seitens des Staates zielt, sondern nur gleiche rechtliche Ausgangsbedingungen gewährleisten will. 584 Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß das BVerfG als Prüfungsmaßstab für Normen, die nicht unmittelbar an das Geschlecht anknüpfen, sondern lediglich eine geschlechtstypische Wirkung entfalten, nur Art. 3 Abs. I GG heranzieht und in diesem Rahmen Wertungen aus dem Gleichberechtigungssatz, dem Gebot der Förderung von Ehe und Familie und dem Sozialstaatsprinzip einfließen läßt. Auf diese Weise verengt sich die ansonsten unter der Geltung des allgemeinen Gleichheitssatzes weite Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Dieses Verfahren hat nicht nur den Vorteil großer dogmatischer Klarheit und Stringenz, bleibt es doch bei der ausschließlichen Anknüpfung von geschlechtsunterscheidenden Normen an Art. 3 Abs. 2, 3 GG, sondern auch großer Flexibilität, weil in die rechtfertigende Abwägung verschiedene, oft nicht leicht miteinander in Einklang zu bringende Punkte eingestellt werden können, wie z. B. der Gleichberechtigungssatz und das Gebot der Förderung von Ehe und Familie. Der durch die Anknüpfung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung an Art. 3 Abs. 2 GG verengte Blick auf das eine Ziel der faktischen Gleichstellung der Geschlechter weitet sich für andere gleichrangige Förderaufträge an den Staat.

e) Ergebnis Mit der Konzeption eines strikten Anknüpfungsverbots ist es unvereinbar, Fälle mittelbarer Diskriminierung von Art. 3 Abs. 3 GG zu erfassen, handelt es sich doch um Regelungen, die an Gegebenheiten anknüpfen, die nur .,typischerweise" und nicht .,denknotwendig" oder .,ausschließlich" bei einem Geschlecht vorkommen.

581 582 583 584

BVerfGE 8, 51 (65 ff.); 20,56 (118). Vgl. Sachs, Grenzen, S. 487 Anm. 428. BVerfGE 8, 51 (67); 20, 56 (118). Sachs, Grenzen, S. 487 Anm. 429. Sachs, Grenzen, S. 487 Anm. 429.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

303

IV. Verortung in Art. 3 Abs. 2 GG Bevor die Einordnung des Verbots mittelbarer Diskriminierung in Art. 3 Abs. 2 GG überprüft werden soll, wendet sich die Darstellung den unterschiedlichen Verständnissen von Art. 3 Abs. 2 GG zu. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Ergänzung des Absatzes 2 durch das Änderungsgesetz vom 27. Oktober 1994585 gerichtet werden.

1. Auslegungsansätze im Schrifttum a) Gleichklang von Art. 3 Abs. 2 GG mit Art. 3 Abs. 3 GG

Lange Zeit war die Auffassung, daß Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG übereinstimmend als Differenzierungsverbot auszulegen sind, in Rechtsprechung und Lehre weitgehend unangefochten. Dürig zufolge beinhaltet Art. 3 Abs. 2 GG ein "umgekehrtes Willkürverbot". Während bei Art. 3 Abs. 1 GG bis zur Grenze der Willkür differenziert werden dürfe, müssen beim Gleichberechtigungssatz Männer und Frauen gleichbehandelt werden, bis die lgnorierung des Geschlechtsunterschieds ihrerseits willkürlich wäre. 586 Gravierende Unterschiede zur Rechtsprechung des BVerfG ergeben sich jedoch durch diese dogmatische Konstruktion nicht. 587

Ausgehend von der Überlegung, daß zwei Verfassungsnormen auch eine unterschiedliche Bedeutung haben müssen, soll nicht eine von ihnen überflüssig sein, existieren zahlreiche Ansätze gerade Art. 3 Abs. 2 GG (a.F.) einen weitergehenden Bedeutungsgehalt zuzuweisen.

b) Zukuriftsgerichtetes Verbot der Wiederherstellung alter Ungleichbehandlung

Nach Ramm sei der politische Gehalt der Gleichberechtigungsformel dahin zu verstehen, daß Art. 3 Abs. 2 GG die bisherige rechtliche Benachteiligung der Frau aufhebe, hingegen nicht die zu ihrem Schutz bestehenden Vorschriften. Daneben beinhalte der Gleichberechtigungssatz ein in die Zukunft gerichtetes Verbot der Wiederherstellung des früheren, Frauen benachteiligenden, Zustandes. Neue Ungleichbehandlungen seien hingegen am Maßstab des Differenzierungsverbotes in Art. 3 Abs. 3 GG zu prüfen.588 Doch wirkt die zeitliche Trennung der WirkungsGesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. 10. 1994, BGBI. I, 3146. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 I, Rn. 265 ff.; Art. 3 II, Rn. 2. Vgl. oben B III 1 c (Anm. 90). 587 Vgl. dazu Sacksofsky, S. 137 f. 585

586

304

3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

weise beider Absätze eher konstruiert, um beiden Absätzen eine eigene Bedeutung zuweisen zu können.

c) Differenzierungsverbot und Verfassungsauftrag

Neuere Ansätze folgern aus dem unterschiedlichen Wortlaut von Art. 3 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 3 GG, daß Absatz 2 einen weitergehenden Inhalt habe als Absatz 3, indem Absatz 2 nicht nur die rechtliche Gleichheit, sondern auch die Herstellung tatsächlicher bzw. wirklicher Gleichberechtigung erfasse.589 Insofern wird in Art. 3 Abs. 2 GG eine Ermächtigung oder sogar ein Verfassungsauftrag zur Herstellung tatsächlicher Gleichberechtigung erblickt. 590 Teilweise wird dieser Verfassungsauftrag aus dem Sozialstaatsprinzip591 , teilweise aus dem Gleichberechtigungssatz selber592 gefolgert. Die Ansichten über die dogmatische Begründung und den genauen Inhalt des Verfassungsauftrages gehen im einzelnen weit auseinander. Gemeinsam ist jedoch allen Ansichten, daß der Staat gehalten sei, die faktischen Voraussetzungen zu schaffen, damit Frauen auch in der Lage sind, die sich ihnen aus dem Gleichberechtigungssatz ergebenden Möglichkeiten zu nutzen. Meist beruft man sich aber auf die Parallele zu den Freiheitsrechten, für die über die Abwehrfunktion hinaus eine positive Wirkung durch Schutzpflichten, Gewährleistungs- und Teilhaberechte anerkannt sei. 593 Konsequenz dieser Auffassung ist eine objektiv-rechtliche Verpflichtung für den Gesetzgeber, Fragen der tatsächlichen Gleichberechtigung überhaupt aufzugreifen; mit welchen gesetzgebensehen Mitteln er dies tut, wird hierdurch nicht festgelegt. Kritik erfuhr das Verständnis des Art. 3 Abs. 2 GG als staatliche Förderungspflicht aus einem Verfassungsauftrag wegen seiner Unbestimmtheit, die wenig an Veränderungen bewirken könne.594 Aus dem Wortlaut des Absatzes 2 läßt sich ein Verfassungsauftrag zur Herstellung tatsächlicher Gleichberechtigung nicht entnehmen, wie ein Vergleich mit Art. 6 Abs. 5 GG belegt, der die Gleichstellung von unehelichen mit ehelichen Kindem gebietet. 595 Es bleibt für die Verfechter dieser Ansicht also nur der Ausweg, "Gleichberechtigung" als "faktische Gleichberechtigung" zu interpretieren. 596 Rechtliche Gleichbehandlung genießt im Rahmen der Ramm, JZ 1968,41 (42 f.). Friauf, S. 10, 28 ff.; Garbe-Emden, S. 81 ff.; J. Hofmann, S. 27 f.; Pfarr, Quoten, S. 34 f.; Jarass/ Pieroth, Art. 3, Rn. 49. 590 Erstmals Säcker, Referat auf dem 50. DJT, L 9 (25). 591 Friauf, S. 25, 29 f.; Benda, S. 123 ff., 132; Raasch, S. 321. 592 Dix, S. 374: "aus dem programmatisch-objektivrechtlichen Gehalt der Gebote der Gleichberechtigung und der Gleichbehandlung"; Pfarr, Quoten, S. 82 ff. 593 Friauf, S. 22 ff. 594 Sacksofsky, S. 166. 595 Schmitt Glaeser, S. 24. 5% Darauf weist Sacksofsky, S. 192 ff., hin. 588 589

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

305

Differenzierungsverbote unbestritten einen hohen Stellenwert. Diese wäre bei einer Ausdehnung auf faktische Gleichberechtigung, deren Reichweite zudem sehr unbestimmt ist, notwendig in Frage gestellt. Wird schon bei Art. 3 Abs. 1 GG ein Auftrag zur Herstellung faktischer Gleichheit überwiegend abgelehnt, muß ein derartiges Ansinnen bei einem absoluten Differenzierungsverbot erst recht auf Ablehnung stoßen, soll das Gebot rechtlicher Gleichbehandlung und Verbot jeglicher Differenzierung nicht aufgegeben werden. Im übrigen läßt sich auch aus dem obiter dieturn im Nachtarbeitsurteil 597 kein Verfassungsauftrag zur Herstellung faktischer Gleichberechtigung entnehmen, weil selbst hier der Staat nicht direkt angesprochen und in die Pflicht genommen ist.

d) Kollektives Förderungsgebot Slupik spricht hinsichtlich des Art. 3 Abs. 2 GG von einem kollektiven Förderungsgebot. Absatz 2 diene allein dem Schutz der Frauen, wohingegen Absatz 3 als Differenzierungsverbot beiden Geschlechtern zugute komme. Vor diesem Hintergrund versteht sie Absatz 2 als ein Gruppengrundrecht zugunsten der Frauen und nur den Absatz 3 als eine individualrechtliche Garantie. Der Gleichberechtigungssatz stelle die Entscheidung des Grundgesetzes für eine Parität im Geschlechterverhältnis dar. Art. 3 Abs. 2 GG selbst - und nicht das Sozialstaatsprinzip- fordere eine rechtliche Anhebung der sozialen Stellung der Frau, einen Nachteilsausgleich durch das Recht. Eine Begrenzung ergebe sich lediglich durch das soziale Ideal der Geschlechterparität Dabei müsse der Staat alle Voraussetzungen schaffen, die es der Frau ermöglichten, einen Rollentausch vorzunehmen. Orientierungspunkt hierfür seien die Vorteile des bisher bevorzugten Geschlechts. 598 Schon von ihrer eigenen Argumentation ausgehend ist Slupiks Ansatz Kritik ausgesetzt. Denn auf der einen Seite postuliert sie ein Förderungsgebot des Staates, auf der anderen Seite soll der Staat aber nur berechtigt sein, Frauen als Gruppe zu bevorzugen.599 Nicht näher präzisiert werden Bedingungen und Inhalt des kollektiven Förderungsgebotes. So gesehen handelt es sich bei Slupiks Überlegungen mehr um Zielvorstellungen, denn methodengerechte Auslegung des Gleichberechtigungssatzes.600

e) Dominierungsverbot

Der von Sacksofsky vertretene Ansatz des Dominierungsverbotes ist bereits an anderer Stelle ausführlich behandelt worden (3. Kap. AI 2 a cc). 597 598 599

600

BVerfGE 85, 191 (206 f.). Slupik, S. 86, 96, 136. Vgl. Slupik, S. 136 u. 137. Dazu die Kritik bei Sacksofsky, S. 347. So auch Sacksofsky, S. 347.

20 Traupe

306

3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

f) Art. 3 Abs. 2 GG als Spezialregelung

Raasch zufolge regele Art. 3 Abs. 2 GG (a.F.) die Gleichstellungsproblematik speziell und abschließend. Werden kompensatorische Maßnahmen zugunsten von Frauen auf Art. 3 Abs. 2 GG gestützt, werde der Schutzbereich des Differenzierungsverbotes gar nicht berührt.601 Sei eine Ungleichbehandlung durch Art. 3 Abs. 2 GG gerechtfertigt oder gar geboten, fehle ihr die negativ zu wertende Tendenz, die eine Differenzierung zu einer Diskriminierung mache, das "Sich-Hinwegsetzen des einzelnen aufgrund sozialer Vorteile, die Verletzung der Menschenwürde."602 Inhaltlich besteht im Ergebnis kein Unterschied zu den eben dargestellten Ansichten, die von einem Verfassungs- oder allgemeinen Förderungsauftrag zugunsten der Frau sprechen. Dogmatisch bedient sich Raasch des Kunstgriffes, schlicht den Anwendungsbereich der Verbotsnorm zu leugnen. Doch auch der Rückgriff auf den Menschenwürdesatz in diesem Zusammenhang kann dieses Vorgehen, für das Art. 3 Abs. 2 GG nicht den geringsten Anhaltspunkt bietet, nicht rechtfertigen, bleibt sie doch den Nachweis für den Unterschied schuldig, warum Differenzierungen zu Lasten von Frauen eine menschenwürdeverletzende Tendenz aufweisen, solche zu Lasten von Männern aber nicht.

2. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung Ganz überwiegend wird vertreten, daß das Verbot der mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts, verstanden als Verbot der Anknüpfung an frauentypische Differenzierungsmerkmale, in Art. 3 Abs. 2 GG zu verorten sei. Die Darstellung befaßt sich zuerst mit dem Satz 1 des Art. 3 Abs. 2 GG, bevor die Auswirkungen der Grundgesetzänderung untersucht werden.

a) Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG Auch in Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG wird mit dem Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" das Merkmal "Geschlecht" als sachwidriges Differenzierungskriterium verworfen. 603 Insofern enthält Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG ein strenges Unterscheidungs- oder Anknüpfungsverbot. 604 Danach wäre das Verbot der mittelbaren Diskriminierung auch nicht in Art. 3 Abs. 2 Satz I GG zu verorten. Fraglich ist, ob methodisch eine Ausdehnung dieser Vorschrift auf lediglich geschlechtstypische Gegebenheiten nachgewiesen werden kann. Dann müßte dem Raasch, S. 245. Raasch, S. 247. 603 Zuletzt BVerfGE 84, 9 (17 ff.), in der die rechtliche Ungleichbehandlung in bezugauf den Ehenamen nach § 1355 Abs. 2 S. 2 BGB a.F. an Art. 3 Abs. 2 GG a.F. gemessen wurde. 604 Sachs, HStR V, § 126, Rn. 89. 601

602

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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Gleichberechtigungssatz eine vom Differenzierungsverbot unterscheidbare Förderungspflicht für Frauen, zumindest im Sinne einer Begünstigungsgleichheit mit anderen (merkmalsunabhängigen) Gruppen, zukommen. Allein das Verständnis eines Teils der neueren Literatur, der Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG als Gebot faktischer Gleichstellung bzw. als Gruppengrundrecht auffaßt, würde das bisher gefundene Ergebnis revidieren können.

aa) Wortlaut An dieser Stelle gilt es die These zu überprüfen, bereits der Wortlaut von Absatz 2 weise gravierende Unterschiede zu Absatz 3 auf, die eine Verankerung der gruppenbezogenen Sichtweise in Art. 3 Abs. 2 GG und der merkmalsbezogenen Sichtweise in Art. 3 Abs. 3 GG nahelegten. Damit erhielten beide Absätze auch eigene Regelungsgehalte.

(a) "Männer und Frauen" So wird aus dem Umstand, daß Absatz 2 von Männern und Frauen spricht und nicht den Singular verwendet, auf den Gruppenbezug geschlossen. 605 Dieser Umstand alleine ist jedoch unerheblich. Allein gekennzeichnet wird damit, daß eine Unterscheidung nach dem Geschlecht, das jeden einzelnen Mann und alle Männer sowie jede einzelne Frau und alle Frauen konstituiert, nicht getroffen werden darf. Der Bezug zu den durch die Geschlechter gebildeten Gruppen wäre genauso deutlich oder undeutlich dem Absatz 2 zu entnehmen, wenn die Vorschrift den Singular verwenden würde, da der einzelne der durch das Geschlecht definierten Gruppe nicht entrinnen kann. Unerheblich ist der Formulierungsunterschied auch deshalb, weil eine Vorschrift immer alle Mitglieder einer Gruppe seinem Regime unterwerfen wird und nicht nur ein einzelnes. Durch die Verwendung des Plurals ist der einzelne aber immer mitgeschützt Für eine (ausschließliche) Gruppenbetrachtung spricht die Formulierung also nicht zwingend.

(b) "Gleichberechtigt" Größerer Bedeutung dürfte deshalb dem Begriff "Gleichberechtigung" in diesem Zusammenhang zukommen. Die Wendung "sind gleichberechtigt" gehe über den möglichen Wortsinn "haben gleiche Rechte" als Terminus für Rechtsgleichheit im engeren Sinn hinaus. Gleichberechtigung ziele als "politischer Begriff auf die Schaffung einer Gesellschaft, die allen Angehörigen der als gleichberechtigt bezeichneten Gruppen beispielsweise gleiche Entwicklungsmöglichkeiten, reale Al-

605

20*

Robbers, DÖV 1988, 749 (753); Sacksofsky, S. 319; Schlachter, S. 42; Sievers, S. 72.

308

3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

ternativen, Macht, gleiches Ansehen und gleichen Status verschafft."606 Der Verweis auf das Grimmsehe Wörterbuch von 1949607 vermag dieses Verständnis aber nur teilweise zu stützen. Gleichrangig und mit gleichem Rechtsanspruch ausgestattet, deutet eher auf Rechtsgleichheit Zweifel muß in der Tat die weite Ausdeutung des Gleichberechtigungsbegriffes durch Sacksofsky wecken. Der Hinweis auf die realen Alternativen bleibt diffus. Gemeint sein könnte freilich das Ausscheren der Frau aus dem bisherigen Rollenverständnis. Dies ist zweifellos von der Gleichberechtigung umfaßt. Der Machtbegriff wirkt deplaziert. Das Grundgesetz ist nicht der Ort, die Machtverteilung zwischen Mann und Frau (neu) zu regeln. Der Begriff der Gleichberechtigung bezieht sich schlicht auf die wertfreie Geltung von Rechtsnormen. Gleichberechtigung läßt gleiches Recht gelten, indem die typisierungsfähigen unterschiedlichen Eigenschaften und Merkmale von Rechtssubjekten ausgeklammert werden und rechtlich unberiicksichtigt bleiben. Gleichberechtigung will die rechtliche Gleichheit tatsächlich verschiedener Geschlechter herstellen. So ist die Gleichberechtigung in Art. 3 GG angeordnet, nicht weil die Menschen gleich sind, sondern obwohl sie verschieden sind. 608 Erst wenn Werte von außen herangetragen werden, kann man eine Entscheidung über Gleich- und Ungleichberechtigung als werthaft bezeichnen. 609 Damit wird keineswegs der Begriffsbestandteil "Recht" im Gleichberechtigungsbegriff überstrapaziert. 610 Er wird vielmehr bei diesem Verständnis vom Wortlaut her korrekt zur Geltung gebracht. Dagegen kann nicht eingewandt werden, der geschichtliche Hintergrund des Begriffes mit der Forderung der Frauenbewegung nach sozialer Gleichstellung werde mißachtet. 611 Vor allem wird bei einer derartigen Betrachtung übersehen, daß der Begriff Gleichberechtigung von den Schöpfern der Verfassung mit Bedacht gewählt wurde und daß er deshalb den anders gearteten Begriff der Gleichstellung gerade nicht erlaßt. Gleichstellung ist denn auch der genaue Gegenbegriff zur Gleichberechtigung. Will die Gleichberechtigung gleiche rechtliche Ausgangspositionen schaffen, zielt die Gleichstellung darauf, durch ungleiches Recht und Privilegierungen eine Gleichheit im Ergebnis herzustellen. In der Diskussion um die Einführung des Art. 3 Abs. 2 GG ist dieser Umstand gelegentlich polemisch als "Gleichmacherei" bezeichnet und abgelehnt worden.

Sacksofsky, S. 320. ",gleichrangig, gleichwertig' [ ... ],mit gleichem Rechtsanspruch, gleicher Verfügungsgewalt, gleicher öffentlicher Anerkennung ausgestattet'", Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch, 4. Band, Sp. 8028, 8030. 608 Gusy, NJW 1988, 2505 (2506, 2509). 609 Näher Kempen, ZRP 1989, 367 (368). 610 So aber Raasch, S. 148; Sievers, S. 71. 611 So aber Maidowski, S. 114; Sievers, S. 71. 606 607

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

309

(c) Formulierungsunterschied zu Art. 3 Abs. 3 Satz I GG Schließlich wird aus der unterschiedlichen Formulierung hinsichtlich des verpönten Merkmals "Geschlecht" ein unterschiedlicher Bedeutungsgehalt der beiden Absätze gefolgert. Im Gegensatz zu Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG untersage Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG nicht die Verwendung eines bestimmten Merkmals, sondern verbiete Handlungen, die dem Zustand "Gleichberechtigung" entgegenstehen. Auch mit Hilfe dieser Formulierung wechsele Absatz 2 die Perspektive von der merkmalsbezogenen zur gruppenbezogenen Sichtweise. Die dem Staat untersagten Verhaltensweisen werden hiernach von den Auswirkungen bestimmt, die sie auf das Verhältnis der beiden Geschlechtergruppen zueinander haben.612 Auch dies sei ein Indiz für die Einbeziehung des Verbots mittelbarer Diskriminierung in Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG, da es auch bei der mittelbaren Diskriminierung auf eine Gruppenbetrachtung ankomme. 613 Die Formulierung "sind gleichberechtigt" bedeutet vorrangig, daß Männer und Frauen gleiche Rechte genießen und der Staat daher nicht nach dem Geschlecht differenzieren darf. Die Formulierungsunterschiede im Verhältnis zu Absatz 3 dürfen nicht überbewertet werden. Hierbei ist entscheidend die Entstehungsgeschichte der Vorschrift zu berücksichtigen, auf die sogleich zurückzukommen sein wird. So spricht bereits der Wortlaut gegen die Auslegung des Art. 3 Abs. 2 GG als Gruppengrundrecht, das einseitig zugunsten von Frauen wirkt, und so das Verbot der mittelbaren Diskriminierung enthält. Art. 3 Abs. 2 GG ist kein Grundrecht, das spezifisch nur den Frauen zugute käme. Aus dieser Vorschrift folgt keine Pflicht zur Anhebung des niedrigeren Regelungsniveaus für Frauen auf das in der Regel höhere Regelungsniveau der Männer. Ware es anders, deutete dies auf eine eingeschränkte Wirkweise des Gleichberechtigungssatzes, für die ansonsten nichts spricht. Ein Aspekt ist von den Vertretern der h.M. bei der Wortlautauslegung unbeachtet geblieben. Normiert ist die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, von Männern und Frauen. Frauen sollen also die gleichen Rechte haben wie Männer und Männer die gleichen Rechte wie Frauen. Hätte der historische Verfassungsgeber dieses Grundrecht anders ausgestalten wollen, hätte er dies im Wortlaut signalisiert und formuliert: Frauen genießen gleiche Rechte wie Männer.614 Das Grundgesetz hat also nicht allein der Forderung nach einer Angleichung der Stellung der Frau an die des Mannes Rechnung getragen, obwohl dies unter Berufung auf die französische Verfassung von 1946 als charakteristische Tendenz dieser Zeit

612 613

Sacksofsky, S. 321 f . Sievers, S. 72.

614 Vgl. die Präambel der französischen Verfassung von 1946: "La loi garantit aIa femme, dans tous !es domaines, des droits egaux ceux de l'homme"; dazu Ramm, JZ 1968, 40 (42); Hartmann, S. 94. Eine vergleichbare Formulierung war im Vorfeld der Herrenchiemseer Beratungen zum Grundgesetz (Erste Ergänzung zu den Bayerischen Leitgedanken für die Schaffung eines Grundgesetzes) erwogen worden: "Frauen haben die gleichen Rechte wie die Männer, soweit nicht durch Gesetz anderes bestimmt wird"; dazu Sachs, Grenzen, S. 313.

a

310

3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

oft behauptet wird. 615 Eine einseitige Bevorzugung, wie sie das nominierungsverbot herauslesen will, läßt sich dem Art. 3 Abs. 2 Satz l GG nicht entnehmen. bb) Systematik Die systematische Betrachtung der Absätze 2 und 3 des Art. 3 GG gilt als das augenfälligste Argument, beiden Absätzen einen unterschiedlichen Bedeutungsgehalt zuzuweisen. Denn zwei bewußt in das Grundgesetz aufgenommene Bestimmungen, die unterschiedlich formuliert seien, müßten auch eine unterschiedliche Bedeutung haben. Die Gegenansicht, die Absatz 2 und 3 als gleichbedeutend ansehe, mache eine der beiden Normen bezüglich des Merkmals Geschlecht überflüssig. Dies stelle einen gravierenden Verstoß gegen die Regeln systematischer Interpretation dar.616 Spätestens seit der Nachtarbeitsentscheidung des BVerfG617 ist ein über den Bedeutungsgehalt eines Unterscheidungsverbots hinausreichender Sinn des Absatzes 2 allgemein anerkannt. Daher geht es hier einzig um die Frage, ob der über das strikte Differenzierungsverbot des Absatzes 3 hinausgehende Gehalt des 2. Absatzes das Verbot der mittelbaren Diskriminierung beinhaltet. Sacksofsky beispielsweise bejaht dies unter Hinweis auf ihre Konzeption des Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG als Dominierungsverbot, der eine sinnvolle Ergänzung des Schutzes durch den allgemeinen Gleichheitssatz mit höheren Anforderungen an den Gesetzgeber darstelle. Das Verständnis als Gruppenrecht stehe der Grundrechtskonzeption, die auf einen Schutz von Individuen zielt, nicht entgegen. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf die Grundrechte der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und der Vereinigungsfreiheil bzw. Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 1, 3 GG), die ebenfalls ohne Bezugnahme auf eine Gruppe nicht denkbar wären. Im übrigen gehe es auch nicht um die Installierung von Rechten für die Gruppe der Frauen. Im Vordergrund stehe immer noch der Schutz des Individuums; lediglich der Diskriminierungsbegriff werde aus der Sicht der Gruppe analysiert. 618 Gegen den argumentativen Ansatz der Gruppenrechte sind über die bereits dargelegte grundsätzliche Kritik hinaus weitere - grundgesetzimmanente - Einwände zu erheben. Das Grundgesetz hat sich ausweislich der herausgehobenen Betonung des Menschenwürdesatzes in Art. 1 Abs. I GG für den Vorrang des Individuums vor dem Kollektiv entschieden. Dies gilt auch für die Zuerkennung von Rechten, insbesondere der Grundrechte. Gerade die besonderen Gleichheitssätze dienen der Sicherung der Menschenwürde.619 Das bedeutet, daß Rechte immer den einzelnen und seine Menschenwürde

615 Vgl. BAG, 14. 07. 1954-1 AZR 105/54, APNr. 1 zu Art. 3 GG = E 1,51 (53); Dürig, FamRZ 1954,2 (3); Ramm, JZ 1968,41 (42 f.); Slupik, S. 76; Sacksofsky, S. 331 ff. 616 Sacksofsky, S. 333, 339 f.; Sievers, S. 72 m. w. N. 617 BVerfGE 85, 191. 618

Sacksofsky, S. 334 f.; Schlachter, S. 45 f. Hierzu allerdings kritisch Sievers, S. 80 ff.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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schützen wollen. Das Konzept des Grundgesetzes, einen individuellen Grundrechtsschutz zu vermitteln, widerspricht folglich einem Gleichheitsverständnis, das den Verstoß gegenüber dem einzelnen erst aus dem Verstoß gegenüber der Gruppe herleiten will. Entscheidend ist die Grundrechtsverletzung gegenüber dem Individuum. Das gilt auch für den Zusammenhang von Freiheit und Gleichheit, der sich erst dann auf eine "Scheinaltemative"620 reduziert, wenn Gleichheit als Gleichberechtigung und Chancengleichheit verstanden wird. Denn individuelle Gleichheit sichert individuelle Freiheit und eröffnet so dem einzelnen gleiche Chancen.621 Dies korrespondiert wiederum mit der gleichen Achtung der Menschenwürde, die jeder Person die gleiche Chance zur Entfaltung gibt. 622 Letztlich geht auch das Demokratieprinzip davon aus, daß der einzelne gleiche Rechtssubjektivität genießt und diese nicht erst aus einem Gruppenbezug abhängig ist. 623 Zwar wird gesagt, daß sich auch nach der h.M. die einzelne Frau auf einen Grundrechtsverstoß ihr gegenüber berufen kann, doch wird dieser erst aus dem Gruppenbezug abgeleitet. Ohne die zuvor festgestellte Benachteiligung der ganzen Gruppe läge kein Verstoß vor, da die einzelne Frau nicht benachteiligt wird. Von daher gilt nicht: Der Gruppenbezug könne als Verstärkung des Grundrechtsschutzes aus Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG begriffen werden. Denn die einzelne Frau hat nur scheinbar den zusätzlichen individuellen Anspruch aus dem Gruppenrecht, weil vorrangig die Verletzung des Gruppenrechts ist. Wenn weiter die Gruppe der Männer von einigen Vertretern der h.M. aus dem Schutzbereich des Art. 3 Abs. 2 GG gänzlich ausgenommen wird, spricht dies trotz Leugnung für ein Verständnis dieser Grundrechtsbestimmung als Gruppengrundrecht einzig zugunsten der Gruppe der Frauen. Dabei wird der Mann nur wegen seiner Eigenschaft als Mann und Angehöriger dieser Gruppe nicht geschützt. 624 Ob es Konstellationen gibt, in denen der Mann denselben Schutz bedarf wie die Frau, weil die Gruppe der Männer strukturell benachteiligt wird, stellt sich für diese Auffassung nicht als Problem. Indem die Lage der Gruppe in die Argumentation einbezogen wird, scheint der Charakter als Gruppenrecht deutlich auf. Dem richtigen Gedanken, tatsächliche Auswirkungen von Nonnen in der gesellschaftlichen Realität nicht auszublenden, kann auf einfachere Weise Rechnung getragen werden, so daß die Konstituierung von Individualrechten über einen Gruppenbezug entbehrlich erscheint (vgl. unten IV. 4. und V.). 619 Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 III, Rn. 1; Starck, in: v. Mangoldt/Kiein, Art. 3, Rn. 254. 620 So Kriele, Befreiung und politische Aufklärung, S. 57 ff.; ders., Hb d. VertR 1, S. 129 (133 ff.). 621 Vgl. Kempen, ZRP 1989, 367 (368); H. Hofmann, FamRZ 1995,257 (263). 622 Vgl. auch Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7 (19). 623 H. Hofmann, FamRZ 1995, 257 (263). 624 Dies ist der einzige Unterschied zwischen der Ansicht von Sacksofsky und der von Sievers.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Zum Teil wird Art. 117 Abs. l GG als systematisches Argument gegen die Identität von Absatz 2 und 3 genannt. Die Übergangsvorschrift des Art. 117 Abs. l GG verwies lediglich auf Art. 3 Abs. 2 GG und nicht auch auf Art. 3 Abs. 3 GG. Nach dieser Bestimmung sollte das dem Art. 3 Abs. 2 GG entgegenstehende Recht bis zu seiner Anpassung an das Gleichberechtigungsgebot, längstens jedoch bis zum 31. 3. 1953 in Kraft bleiben. Hieraus lassen sich jedoch keine Folgerungen für das Verhältnis der beiden Absätze untereinander herleiten 625 , weil Absatz 3 mit den anderen verpönten Merkmalen eine über Absatz 2 hinausgehende Bedeutung aufweist. Schwerlich sollte auch für die anderen Merkmale eine Übergangszeit gelten. Lediglich für die Herstellung der Rechtsgleichheit besonders im Bürgerlichen Recht räumte der Verfassungsgesetzgeber eine Übergangsfrist ein, weil hier "Berge an Rechtsungleichheit [ ... ] abzutragen"626 waren. Die Binnensystematik des Art. 3 GG legt ein Verständnis des Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG als Gruppenrecht zugunsten der Frau(en) nicht nahe. Beim Blick auf Absatz 3 fällt auf, daß dort sowohl die Bevorzugung als auch die Benachteiligung wegen des Geschlechts verboten ist. Bevorzugt eine Regelung also Männer gegenüber Frauen, ist nicht nur die Benachteiligung der Frauen, sondern genauso die Bevorzugung der Männer verfassungswidrig und verboten.627 Daher kann die - verfassungswidrige - Rechtsstellung des Mannes nicht als Maßstab für die Angleichung der Stellung der Frau dienen. Ebenso weist der umgekehrte Fall der Frauenbevorzugung Ungereimtheiten auf. Benachteiligte Männer könnten sich bei einem Verständnis des Absatzes 2 als Frauengrundrecht auf Absatz 3 berufen, der auch ein Bevorzugungsverbot von Frauen enthält. Das Frauengrundrecht als spezifische Besserstellung der Frauen liefe dann quasi leer. Dagegen kann nicht eingewandt werden, Art. 3 Abs. 2 GG beziehe sich nur auf die Vergangenheit mit der Funktion bisherige Benachteiligungen der Frauen aufzuheben, wohingegen Art. 3 Abs. 3 GG in der Zukunft neue Benachteiligungen verhindern wolle.628 Diese Auffassung verkennt, daß Absatz 3 nicht nur das Geschlecht als Differenzierungskriterium verbietet, sondern noch eine Reihe anderer Kriterien, für die es in Absatz 2 keine Entsprechung gibt. Da auch bezüglich der anderen Kriterien davon auszugehen ist, daß nicht nur neue Bevorzugungen oder Benachteiligungen von Verfassungs wegen verboten sein sollen, das Differenzierungsverbot für die Vergangenheit also auch von Absatz 3 erfaßt sein müßte, wäre Art. 3 Abs. 3 GG jeweils unterschiedlich auszulegen je nach dem, ob es sich um das Kriterium "Geschlecht" oder um eines der anderen Kriterien handelte. Eine solche divergierende Auslegung widerspricht aber - ebenfalls - dem Gebot der systematisch gleichen Auslegung eines einzigen Nonnabsatzes.629 Anders Söllner; S. 15; Sievers, S. 73. Köbl, FS Kissel, S. 521 (528)- Hervorhebung im Original. 627 BAG, 28. 11. 1958 - 1 AZR 307/58, AP Nr. 39 zu Art. 3 GG; Schmidt-Rimpler I Gieseke/ Friesenhahn I Knur, AöR 76 (1950/51), 165 (178); Hartrrumn, S. 95. 628 So Ramm, JZ 1968,40 (43). 625 626

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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cc) Entstehungsgeschichte Die Befürworter des Verbots mittelbarer Diskriminierung innerhalb des Art. 3 Abs. 2 GG berufen sich zur Stützung ihrer Ansicht auch auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. In den "ausführliche[n] und erregte[n] Debatten"630 zur Gleichberechtigung sei offenbar geworden, daß die Verankerung der Gleichberechtigung im Grundgesetz eine tiefgreifende Veränderung der Gesellschaft und umfassende Verbesserung der Lage der Frauen zur Folge haben sollte.631 Doch darf die historische Auslegung nicht überschätzt werden. In der Diskussion um die Einführung des Absatzes 2 offenbart sich vielmehr ein tiefreichender Dissens über den Sinn dieser Bestimmung. Ein besonderer Absatz hinsichtlich der Gleichberechtigung war nicht von Anfang an im Grundgesetz vorgesehen. So enthielt der Entwurf von Herrenchiemsee keine Bestimmung über das Verhältnis der Geschlechter. 632 Erst in der Sitzung des Grundsatzausschusses vom 5. Oktober 1948 wurde eine besondere Bestimmung vorgeschlagen: "Alle Männer und Frauen haben dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. " 633 In der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom November 1948 wurde das Merkmal Geschlecht in den Katalog der verpönten Merkmale des Absatzes 3 aufgenommen. In der Diskussion beharrten gerade die Abgeordneten der SPD auf einer besonderen Sicherung für Frauen. Auch Änderungen des Familienrechts wurden gefordert, um der hergebrachten Rollenverteilung entgegenzuwirken.634 Der weitergehende Antrag der SPD, eine Bestimmung aufzunehmen, nach der Männer und Frauen gleichberechtigt sind, wurde hier wie auch später in der Sitzung des Hauptausschusses am 3. Dezember 1948 abgelehnt. Die Abgeordnete Dr. Seibert begrundete den Antrag für ihre Fraktion damit, daß die Frau nicht nur in staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten, sondern auf allen Rechtsgebieten dem Mann gleichgestellt werden müsse. Die Frau habe nach den Ereignissen während des Krieges einen ,,moralischen Anspruch darauf, so wie der Mann bewertet zu werden". Der Schutz vor Benachteiligungen wegen des Geschlechts ging ihr nicht weit genug, weil sie befürchtete, spitzfindige Juristen könnten nachweisen, daß die Frau im bürgerlichen Recht gar nicht benachteiligt oder der Mann bevorzugt werde. 635 Diese ÄuSeißer, S. 73; Knöpfel, NJW 1960, 553 (556); Hartmann, S. 95 f. v. Mangoldt, AöR 75 (1949), 273 (281). 631 Sacksofsky, S. 323 ff. 632 Verfassungsausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz der westlichen Besatzungszonen, Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, in: Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Dokument Nr. 14, S. 62 f. 629

630

Kurzprotokoll der 6. Sitzung des Grundsatzausschussesam 05. 10. 1948, S. 4. Abg. Dr. Bergsträßer, Stenographisches Protokoll der 26. Sitzung des Grundsatzausschusses am 30. 11. 1948, S. 53; Abg. Nadig, ebd., S. 58. 635 Stenographisches Protokoll der 17. Sitzung des Hauptausschusses am 03. 12. 1948, S. 206. Dazu JöR NF 1 (1951), 70; Böttger, S. 186 f.; Köbl, FS Kisse1, S. 521 (527 f.). 633

634

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

ßerung belegt, daß es dem Parlamentarischen Rat vornehmlich um die Beseitigung rechtlicher Ungleichbehandlungen ging und man fürchtete, das Differenzierungsverbot des Absatzes 3 würde hierfür nicht ausreichen. So stützten die Abgeordneten der CDU ihre Ablehnung anfangs auf die Erwägung, daß das Verbot der Benachteiligung wegen des Geschlechts eine ausreichende Sicherung für die Frauen enthalte. Bei den verschiedenen Absätzen gehe es nur um Formulierungsunterschiede; die gewünschte Gleichstellung sei bereits durch das Differenzierungsverbot gewährleistet. 636 Diese Argumentation wurde nicht erst nach heftigen Protesten aus der Öffentlichkeit gegen die Ablehnung der Aufnahme eines besonderen Absatzes zur Gleichberechtigung vorgebracht, sondern bereits in der entscheidenden Sitzung des Hauptausschusses am 3. Dezember 1948.637 Danach gab die CDU I CSU-Fraktion ihren Widerstand auf und stimmte während der 2. Lesung in der Sitzung des Hauptausschusses am 18. Januar 1949 für den Gleichberechtigungssatz.638 Im Vergleich zum vorher bereits angenommenen Vorschlag, der sich nur auf die staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten bezog, war diese Formulierung im Hinblick auf die Beseitigung von Rechtsungleichheiten auf allen Gebieten ein wesentlicher Fortschritt. Über den Inhalt des Begriffes der Gleichberechtigung fand eine nähere Auseinandersetzung nicht statt; Definitionsversuche wurden nicht unternommen. Allgemein erwartet und zum Teil auch erstrebt wurden Änderungen im Ehe- und Familienrecht sowie im Arbeits- und Sozialrecht Anerkannt war allerdings, daß es immer nur um rechtliche Gleichheit gehen konnte. An eine "schematische Gleichstellung" war ausdrücklich nicht gedacht.639 Daß die Veränderungen in diesen Rechtsbereichen als tiefgreifend empfunden wurden, kann angesichts der - aus heutiger Sicht- massiven Benachteiligung der Frau unter einem noch patriarchalischen Rechtssystem auf nahezu allen Gebieten kaum verwundern. 640 So galt im Farnilienrecht der Güterstand der Verwaltung und Nutznießung des Ehemannes am Frauenvermögen (§ 1363 BGB). Allein dem Mann stand gemäߧ 1354 BGB die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu. Nach § 1356 BGB war die Frau berechtigt und verpflichtet, das gemeinschaftliche Hauswesen zu leiten. Auch durfte der Ehemann ein von seiner Frau eingegangenes Arbeitsverhältnis mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts kündigen, wenn dadurch die Erfüllung ihrer Pflichten in Ehe und Familie beeinträchtigt wurde(§ 1358 BGB). Veränderungen konnten sich deshalb auf rechtliche Ungleichbehandlungen beschränken; auf diesem Sektor gab es genug zu tun. 636

Abg. Kaufrrwnn, Stenographisches Protokoll der 17. Sitzung des Hauptausschusses,

s. 208.

Anders offenbar Sacksofsky, S. 332 u. Anrn. 103. Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, 42. Sitzung arn 18. 1. 1949, S. 538 ff. Dazu JöR NF 1 (1951), 71 f. 639 Abg. Dr. Weber (CDU), Stenographisches Protokoll der 42. Sitzung des Hauptausschusses, S. 539; ähnlich Dr. Seibert (SPD), ebd., S. 540. 640 Vgl. nochmals Köbl, FS Kissel, S. 521 (528). 637

638

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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Andere Fonnen des Nachteilsabbaus, wie Quotenregelungen oder das Verbot der mittelbaren Diskriminierung mit dem Ziel der tatsächlichen Angleichung der Stellung der Frau641 an die des Mannes, waren zur damaligen Zeit außerhalb jeder Diskussion. Das Ziel war die effektive Herstellung der Rechtsgleichheit von Männern und Frauen auf allen Rechtsgebieten, die nicht an einer fragwürdigen Auslegung der Begriffe "Benachteiligung" und "Bevorzugung" scheitern sollte, nicht die Herstellung einer "überindividuellen Gruppenparität"642. Daß gleichwohl Uneinigkeit über die Reichweite der Gleichberechtigung herrschte, zeigt das Verstreichen der Frist des Art. 117 Abs. I GG, ohne daß das Bürgerliche Recht in nennenswertem Umfang angepaßt worden wäre und die den Gerichten überlassene Anpassung des einfachen Rechts an den Gleichberechtigungssatz. 643 Auch die Auslegung des Art. 3 Abs. 2 GG als asymmetrisch wirkendes Grundrecht läßt sich durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift nicht schlüssig belegen. Die damalige Auseinandersetzung enthält keine Anhaltspunkte dafür, daß Männer von der Gleichberechtigung explizit ausgeschlossen sein sollten. Zwar waren allein Benachteiligungen von Frauen mit Händen zu greifen. Doch wenn der Verfassungsgeber beabsichtigt hätte, Männer vom Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 2 GG auszunehmen, hätte er dies kenntlich gemacht. Insgesamt läßt sich die Auslegung der h.M. mit Hilfe der Entstehungsgeschichte des Art. 3 Abs. 2 GG deshalb nicht stützen.

dd) Teleologie Zur Bestätigung ihrer Ansicht beruft sich die h.M. maßgeblich auf den Sinn und Zweck des Art. 3 Abs. 2 GG. Der aus der politischen Diskussion der Frauenbewegung in das Grundgesetz aufgenommene Begriff der Gleichberechtigung644 sollte die Lage der Frauen in zweifacher Hinsicht verbessern. Zum einen sollten Frauen in der Gesellschaft gleiche soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Chancen haben. Zum anderen sollten die typischerweise von Frauen verrichteten Tätigkeiten nicht zu einer untergeordneten Stellung der Frauen führen. 645 Es bleibt aber die Frage, wie weit die Verbesserung gehen sollte und welche Bereiche sie ergreifen sollte und konnte. Hier kann nicht auf der einen Seite der historische Kontext des Gleichberechtigungsbegriffes betont werden und auf der anderen Seite gleichzeitig die historische Situation der Frauen ausgeblendet werden, die durch große Rechtsungleichheiten gekennzeichnet war, wie soeben dargestellt. Vornehmlich in dieser Hinsicht sollte die Lage der Frauen verbessert werden. Wie schwierig allein 641 642 643 644

645

Anders insoweit wohl Maidowski, S. 119; Sievers, S. 75. Köbl, FS Kissel, S. 521 (527). Vgl. Sachs/Osterloh, Art. 3, Rn. 227. Dazu Binder-Wehberg, S. 24; Slupik, S. 76. Vgl. Sacksofsky, S. 335 ff., 338, 350; Schlachter; S. 47.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

das war, zeigen nicht zuletzt die langen Bemühungen um eine Relativierung des Differenzierungsverbotes. Den Gleichberechtigungssatz umzudeuten in einen Auftrag zur totalen Gleichstellung geht über das damals Gedachte und Mögliche hinaus. Hauptstoßrichtung war sicherlich der Schutz der Frau, doch darf dies nicht für alle Zeit verabsolutiert werden. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß die Normen der Verfassung bis zu einem gewissen Grad dem Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen unterworfen sind. Zu warnen ist deshalb vor einer unreflektierten Einbeziehung des politischen Vorverständnisses in die Verfassungsauslegung. Zuzugeben ist, daß diese Gefahr bei Art. 3 GG besonders groß ist angesichts der hohen Konkretisierungsbedürftigkeit der Norm. Gegen die Deutung des Art. 3 Abs. 2 GG als striktes Differenzierungsverbot ist eingewandt worden, daß nur ein Verständnis als nominierungsverbot noch bewirken könne, daß der auch heute weiterhin benachteiligten Gruppe der Frauen durch den Gleichberechtigungssatz Schutz zukomme. Nur mit Hilfe des Dominierungsverbotes könne verhindert werden, daß die eine Gruppe die andere beherrsche, unterdrücke oder daß Mitglieder der einen Gruppe ständig eine bessere Position einnähmen als die der anderen. 646 Gegen den Schluß - Art. 3 Abs. 2 GG habe als Differenzierungsverbot ausgedient, deshalb müsse ihm nun ein neuer Bedeutungsgehalt zugewiesen werden, soll er nicht überflüssig werden - sind sowohl grundsätzliche als auch konkrete Bedenken in der Sache anzumelden. Vorab ist jedoch darauf hinzuweisen, daß Art. 3 Abs. 2 Satz I GG genauso wie Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nach wie vor die Aufgabe haben, rechtliche Ungleichbehandlungen wegen des Geschlechts in der Zukunft zu verhindern. Die Fixierung auf den Abbau vergangeuer Ungleichbehandlungen ist eine zu eindimensionale Sichtweise und verkennt den zukunftsgerichteten Aspekt des Gleichberechtigungssatzes. In grundsätzlicher Hinsicht wird nicht deutlich gemacht, inwiefern tatsächlich ein Leerlaufen des Differenzierungsverbotes vorliegt, da durchaus noch rechtliche Ungleichbehandlungen existieren. Die für eine methodische Ableitung eines derartigen Verständniswandels von Verfassungsnormen zu Hilfe genommenen klassischen Auslegungsmethoden können diesen Wandel nicht belegen, wie hier herausgearbeitet worden ist. Es hätte so schon der Darlegung eines tiefgreifenden gesellschaftspolitischen Bedeutungswandels bedurft. Dieser wird sich jedoch kaum nachweisen lassen. Es fehlt bereits am notwendigen Konsens unter den Frauen, was das Ziel der Gleichberechtigung sein soll: totale Gleichstellung, stärkere Betonung der Unterschiede zwischen Männern und Frauen oder gar eine Verbindung aus beiden Positionen.647 Exemplarisch sei folgende Forderung wiedergegeben648 : Angestrebt wird die Gleichheit hinsichtlich der Verfügung über materielle Ressourcen und der gesellschaftlichen Macht- und Einflußmöglichkeiten. Gleichzeitig entfalte sich Gleichberechtigung auch im "Sichtbar-

647

Sacksofsky, S. 337 f., S. 348. V gl. dazu Gerhard, Gleichheit ohne Angleichung- Frauen im Recht ( 1990).

648

Vgl. bei Köbl, FS Kissel, S. 521 (532).

646

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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Werden der sexuellen Differenz". Alle denkbaren Lebenswünsche von Frauen bräuchten "Anerkennung, gesellschaftlichen Einfluß und Geld", handele es sich nun um die Berufstätigkeit, die Mutterrolle oder eine Verbindung von beidem. Gleichheit und Differenz schlössen sich nicht gegenseitig aus, vielmehr könne "Gleichheit nicht ohne Akzeptanz von Differenz eingelöst werden [ ... ] und Differenz nicht ohne die Basis gleicher Rechte Wertschätzung erfahren". 649 Das einzige was hieraus erkennbar wird, ist der Umstand, daß einheitliche Leitbilder oder gar Schablonen für Lebensplanung und Lebensgestaltung nicht gefragt sind. Sollte aber tatsächlich die Gleichstellung der Geschlechter als das erstrebenswerte Ziel angesehen werden, bedarf es dazu nicht eines neuen Verständnisses von Art. 3 Abs. 2 GG. Als Rechtsgrundlage läßt sich - jedenfalls im Ansatz - das Soziaistaatsprinzip heranziehen, wie dies das BVerfG in der Rentenalterentscheidung angedeutet hat. 650 Ein Wandel des Verfassungsverständnisses hin zu einem Gebot der Gleichstellung der Geschlechter muß nicht zuletzt deshalb besondere Zweifel erwecken, weil die für die Angleichung der Geschlechter unabdingbare Kenntnis der psychobiologisch bedingten Vorlieben und Wunschvorstellungen der Geschlechter hinsichtlich der eigenen Lebensgestaltung noch immer nicht gesichert ist. Der derzeitige empirische Befund scheint eher die verbreitete These zu stärken, daß es zwischen Männern und Frauen zum Teil nicht unerhebliche Unterschiede in den psychobiologischen Präferenzen gibt. Dies verbietet vorschnelle Schlußfolgerungen im Hinblick auf die Gleichstellung der Geschlechter. Differenzen würde sonst nicht ausreichend Rechnung getragen. 651 Wenn vom Ergebnis her betrachtet, eine ungleiche Verteilung von Frauen und Männern konstatiert wird und hieraus ein Mangel an Gleichberechtigung gefolgert wird, bedeutet dies nicht zwingend, den Gleichberechtigungssatz im Sinn der Rechtsgleichheitsgarantie zu verabschieden, sondern erst einmal, ihn effektiv durchzusetzen. Geltende Rechtssätze und Rechtspflichten werden nicht deshalb bedeutungslos, weil sie mißachtet werden. 652 Der Blick allein auf das Ergebnis indiziert wiederum eine kollektive, statt einer individuellen Betrachtungsweise. Als kollektiver Anspruch soll Gleichberechtigung den Frauen einen proportional gleichen Anteil an sozialen Gütern, wie Einkommen, Bildung und Macht, verschaffen. Denkt man diese statistische Argumentation konsequent fort, wäre dem Gleichberechtigungsgebot erst dann genüge getan, wenn jeder gesellschaftliche Sektor die Bevölkerungsstruktur in groben Zügen widerspiegelte. Doch der Schluß vom statistischen Befund auf die Ursache der Ungleichberechtigung offenbart einen Denkfehler. Die Zahl der zu repräsentierenden Bevölkerungsgruppen läßt sich beinahe beliebig vermehren. Der Phantasie, neue "Minderheitengruppen" ausfindig zu machen, die dann ebenfalls ihren Anteil am 649 650 651 652

Prengel, S. 124 f. -Zitate ohne Hervorhebungen im Original. BVerfGE 74, 163 (179 f.); dazu Köbl, FS Kissel, S. 521 (530). Vgl. Köbl, FS Kissel, S. 521 (536 ff.). Vgl. Kempen, ZRP 1989, 367 (369).

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

sozialen und ökonomischen "Kuchen" einfordern und Repräsentation auf allen Ebenen verlangen, sind praktisch keine Grenzen gesetzt. Am naheliegendsten ist es hier an die Gruppe der lange in Deutschland lebenden Ausländer zu denken, zumal wenn ihnen die deutsche Staatsangehörigkeit zuerkannt wird und sie so eine anerkannte Minderheit darstellen. Das gleiche gilt für die gesellschaftlichen Ebenen und Sektoren, die in die Repräsentationsbetrachtung einbezogen werden. Auch sie lassen sich beliebig vermehren. Für alle denkbaren Gruppen auf allen denkbaren Ebenen einen Proporz herzustellen, erscheint ausgeschlossen. Auf diese Weise würde der soziale Rechtsstaat wieder zum "Ständestaat, der seine Wohltaten nach einem starren Plan von Quoten, Sollziffern und Proporzanspriichen vergibt. " 653 Diese Überlegungen gelten auch für das Verbot der mittelbaren Diskriminierung, das aus der Gruppenbetrachtung seine Daseinsberechtigung ableitet. Zwar verlangt das Verbot der mittelbaren Diskriminierung keinen Proporz. Doch wenn ein solcher in einem bestimmten Sektor nicht vorliegen sollte, dürfen dort keine nachteiligen Regeln zu Lasten einer Minderheit geschaffen werden, die sich nicht besonders rechtfertigen lassen. Auf diese Weise wird der Gestaltungsspielraum des Normsetzers über den Gleichbehandlungsgrundsatz hinaus eingeengt. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung ist quasi die Vorstufe zum Proporz. Ist die Quote von 50% Anteil jeder Minderheit in jedem gesellschaftlichen Sektor erst erfüllt, bedarf es des Verbots mittelbarer Diskriminierung nicht mehr, da Ungleichgewichtigkeiten, die Nachteile signalisieren, nicht mehr vorhanden sein können. Konkret wird oft der Umstand beklagt, daß Art. 3 Abs. 2, 3 GG in der Auslegung als Differenzierungsverbot nur noch Männern Schutz böte, weil alle rechtlichen Ungleichbehandlungen zu Lasten der Frauen abgebaut seien und nur noch Schutzvorschriften zugunsten der Frauen existierten, in deren Genuß jetzt auch Männer kommen wollten. Aus dieser Erkenntnis allerdings den Schluß zu ziehen, die bisherige Auslegung des Art. 3 Abs. 2 GG werde den gesellschaftlichen Anforderungen nicht mehr gerecht und müsse deshalb geändert werden654 , wäre voreilig. In erster Linie deutet dieser Befund auf ein unzureichend entwickeltes Verständnis des Art. 3 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GG als striktes Differenzierungs- oder Anknüpfungsverbot. Unsinnig ist also nicht die Auslegung als Differenzierungsverbot, sondern die Anknüpfung an das Geschlecht bei zahlreichen Schutzvorschriften, bei denen dies nicht notwendig ist, um den Schutz zu entfalten und jedem zu gewähren, der ihn konkret und unabhängig von seinem Geschlecht braucht. Ein neues Verständnis des Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG als Dominierungsverbot oder Gruppengrundrecht ist deshalb nicht zwingend erforderlich, um gewandelten gesellschaftlichen Anschauungen Rechnung zu tragen. Das gleiche gilt für Frauenförderungsmaßnahmen, die unmittelbar an das Geschlecht anknüpfen. Auch sie sind nach dem strikten Differenzierungsverbot unzulässig. Abhilfe läßt sich aber schaffen, wenn zum Ausgangspunkt der Regelung die tatsächlich belastenden Umstände 653 654

Karpen, JA 1985, 562 (568). Sacksofsky, S. 340 f.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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gemacht werden, weil auf diese Weise eine geschlechtsneutrale, nicht typisierende Förderung erreicht wird. Damit erledigt sich auch der Einwand, Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG werde andernfalls zur "Garantieklausel bestehender Verhältnisse" 655 . Wenn weiterhin eingewandt wird, Fragen der strukturellen Benachteiligung durch geschlechtsneutral formulierte Vorschriften würden aus dem Anwendungsbereich des Gleichberechtigungssatzes bei einem Verständnis als Differenzierungsverbot ausgeblendet, bedeutet dies nach der hier vertretenen Lösung nicht, daß Auswirkungen von Normen in der Realität überhaupt nicht beachtet würden. Ihnen wird nur an anderer Stelle der Argumentation - im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG - Rechnung getragen. Die Auslegung des Gleichberechtigungsgebots nach seinem Sinn und Zweck kann nicht ohne eine Betrachtung der neueren Rechtsprechung des B VerfG vorgenommen werden. Das BVerfG hatte bereits vor Neufassung des Gleichberechtigungsgebotes aus Art. 3 Abs. 2 GG eine staatliche Schutzpflicht bezüglich der tatsächlichen Durchsetzung des Gleichberechtigungsgebotes abgeleitet. Art. 3 Abs. 2 GG stelle über das Diskrimnierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG hinausreichend ein Gleichberechtigungsgebot auf und erstrecke dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit.656 Hierin erblickt das BVerfG eine Legitimationsgrundlage für den Ausgleich tatsächlicher Nachteile. Schon in der Entscheidung zum vorgezogenen Rentenalter für Frauen hatte das BVerfG dem Art. 3 Abs. 2 GG a.F. über das Unterscheidungsverbot hinaus die gesetzgeberische Befugnis entnommen, tatsächliche Nachteile, die typischerweise Frauen treffen und auf biologische Unterschiede zurückgehen, durch begünstigende Regelungen auszugleichen. Darin liegt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts keine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts zu Lasten der Männer, die erst mit 65 Lebensjahren, statt mit 60 Lebensjahren Altersruhegeld erhalten können, sondern eine sozialstaatlich motivierte Maßnahme, die eine Kompensation erlittener Nachteile herbeiführen will. 657 Diese auszugleichenden Nachteile liegen nicht allein in der Doppelbelastung durch Haushaltsführung und Beruf, sondern auch im Ausbildungsdefizit von Frauen, das vielfach durch eine Vorwegnahme der erwarteten Stellung der Frau als spätere Mutter bedingt ist. Hieraus resultieren Nachteile in der beruflichen Entwicklung und dadurch im Erwerbseinkommen, die sich letztlich auf die Rentenerwartung niederschlagen. Hinzu treten maßgeblich die typischen Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit durch Zeiten von Schwangerschaft, Geburt und Kindererziehung. Diese Ursachen lassen sich auf biologische Umstände zurückführen, die deshalb einen Ausgleich zu rechtfertigen vermögen. 658 Zu kritisieren ist an dieser Entscheidung allerdings die nicht notwenSchlachter, S. 45. BVerfGE 89, 276 (285), im Anschluß an BVerfGE 85, 191 (207); jüngst E 92, 91 (109) -für die Zeit nach Inkrafttreten des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG. 657 BVerfGE 74, 163 (180). 655

656

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

dige Typisierung, die eine Unterscheidung wegen des Geschlechts beinhaltet. Insofern stellt diese Entscheidung im Kontext aber eher einen Ausreißer dar. Im Namenrechtsbeschluß deutete das BVerfG dann erstmals an, daß es dem Gleichberechtigungssatz einen weitergehenden Inhalt beizumessen gewillt war. Hier kreierte es die später aufgegriffene Formulierung von der Durchsetzung der Gleichberechtigung für die Zukunft. 659 Doch läßt sich die Entscheidung durchaus in den Kontext des Gleichberechtigungsgebotes einfügen. Letztlich verabschiedet das Gericht nur die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen wegen des Geschlechts durch funktionale Unterschiede, die doch ausschließlich der Verfestigung der hergebrachten Rollenmuster dienen. Unter diesem Gesichtspunkt braucht die vorgefundene gesellschaftliche Wirklichkeit nicht hingenommen zu werden. Eine weitergehende Aussage im Sinn einer Pflicht zur Umgestaltung der Wirklichkeit und einer Neuverteilung der Rollen trifft das Urteil nicht. 660 Die Entscheidung zum Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen (§ 19 Abs. 1 AZO a.F.) lag in der Konsequenz des bereits in der Rentenalterentscheidung aufschimmernden Verständnisses des Gleichberechtigungsgebotes und setzte auch die im Namenrechtsbeschluß eingeschlagene Linie fort. Die Arbeitszeitordnung untersagte eine Beschäftigung von Arbeiterinnen in der Zeit von 20 Uhr abends bis 6 Uhr morgens sowie an Tagen vor Sonn- und Feiertagen nach 17 Uhr. Das BVerfG sah hierin einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG. An diesem Ergebnis ändert sich nichts durch den Umstand, daß die Regelung des § 19 Abs. 1 AZO nicht auf eine verbotene Ungleichbehandlung zielt, sondern andere Ziele, den Schutz der Arbeiterinnen wegen der ungünstigen Auswirkungen von Nachtarbeit, verfolgt. 661 Sodann klärt das BVerfG das Verhältnis von Absatz 3 zu Absatz 2 des Art. 3 GG: Art. 3 Abs. 2 GG reicht über das Diskriminierungsverbot hinaus, indem die Vorschrift ein Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt. Auf diese Weise soll die Gleichberechtigung von Mann und Frau für die Zukunft durchgesetzt werden. Der Gleichberechtigungssatz "zielt auf die Angleichung der Lebensverhältnisse. So müssen Frauen die gleichen Erwerbschancen haben wie Männer"662. Staatliche Maßnahmen dürfen überkommene Rollenverteilungen, die zu einer höheren Belastung oder sonstigen Nachteilen für Frauen führen, nicht verfestigen. 663 Tatsächliche Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, dürfen durch begünstigende Regelungen ausgeglichen werBVerfGE 74, 163 (180 f.). BVerfGE 84, 9 ( 17): "Allein die traditionelle Prägung eines Lebensverhältnisses reicht für eine Ungleichbehandlung [ . .. ] nicht aus. Das verfassungsrechtliche Gebot verlöre seine Funktion, für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen, wenn die vorgefundene gesellschaftliche Wirklichkeit hingenonunen werden müßte". 660 Anders offenbar König, DÖV 1995, 837 (839). 661 BVerfGE 85, 191 (206). 662 BVerfGE 85, 191 (207) unter Berufung auf BVerfGE 6, 55 (82). 663 Vgl. BVerfGE 15, 337 (345); 52, 369 (376); 57, 335 (344); 87, 1 (42). 658

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B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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den. 664 Wegen der mit dem Beschäftigungsverbot verbundenen Nachteile konnte auch eine unmittelbare Ungleichbehandlung von Arbeiterinnen nicht durch das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG gerechtfertigt werden. 665 Die hier wiedergegebenen Aussagen des BVerfG waren für das Urteil zum Verbot der Nachtarbeit nicht tragend, so daß sie als obiter dieturn zu werten sind, als eine bei Gelegenheit geäußerte Rechtsansicht des BVerfG. Denn das Verbot der Beschäftigung von Arbeiterinnen zur Nachtzeit verstieß offensichtlich bereits gegen Art. 3 Abs. 3 GG. Eine Rechtfertigung der Regelung kam für das Gericht nicht in Betracht. Gerade indem es das Argument zurückwies, Nachtarbeit belaste Frauen mehr als Männer, weil sich diese tagsüber um Kindererziehung und Haushaltsführung zu kümmern hätten, distanzierte es sich nochmals nachdrücklich von der Festschreibung überkommener Rollenverteilungen. Insofern hätte eine Rechtfertigung des Nachtarbeitsverbots nur zu einer derartigen Verfestigung der Rollenverteilung beigetragen. Vor diesem Hintergrund ist das obiter dieturn maßgeblich zu verstehen. Durchsetzung der Gleichberechtigung in der gesellschaftlichen Wirklichkeit meint deshalb zuerst Abschied von überkommenen Rollenklischees. Dem Staat ist es von Verfassungs wegen verboten, durch seine Regeln Frauen und Männer in ihren hergebrachten Rollen festzuhalten und sei es durch versteckte steuerliche Anreize oder vermeintliche Vergünstigungen wie ein Nachtarbeitsverbot Ebensowenig darf er Normen aufstellen, die in die freie Entscheidung der Ehegatten über die Aufgabenverteilung in der Ehe eingreifen könnten. Dies ergibt sich aus dem Zusammenspiel mit Art. 6 Abs. 1 GG. 666 Die Angleichung der Lebensverhältnisse kann sich nur dadurch einstellen, daßMännerund Frauen in freier Entscheidung, ihr bisheriges starres Rollenverständnis aufgeben und bereit sind, neue Wege zu gehen. Hierbei hat sie der Staat durch geeignete Fördermaßnahmen zu unterstützen, die insbesondere den "biologischen" Wettbewerbsnachteil der Frauen wegen Schwangerschaft und Geburt im Auge haben müssen. Dann haben Frauen die gleichen Erwerbschancen wie Männer. Auffallig ist, daß das BVerfG Vokabeln wie Gleichstellung, Gruppenrecht, Quote und mittelbare Diskriminierung vermeidet. Ganz offensichtlich verfolgt das Gericht einen anderen Ansatz der Förderung. Ausgehend von der Gleichberechtigung will es die Durchsetzung der gleichen Erwerbschancen für Männer und Frauen. Gleichberechtigung durch Chancengleichheit lautet also das Programm des BVerfG. Damit bleibt das BVerfG auf dem Boden der Rechtsgleichheit und erteilt allen Gruppenbetrachtungen eine deutliche Absage. In einer Entscheidung zu § 6lla BGB bestätigte das Bundesverfassungsgericht seine eingeschlagene Linie. Diese zivilrechtliche Vorschrift ist danach im Lichte des Art. 3 Abs. 2 GG so auszulegen und anzuwenden, daß Arbeitssuchende bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses wirksam vor Benachteiligungen wegen des 664 665 666

BVerfGE 74, 163 (180). BVerfGE 85, 191 (209 f.). BVerfGE 87, 234 (258 f.).

21 Traupe

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Geschlechts geschützt werden. 667 Das BVerfG sieht die Durchsetzung der Gleichberechtigung nicht nur als staatliche Aufgabe, sondern sogar als Schutzpflicht an. Die neuere Rechtsprechung des BVerfG weist deutliche Anhaltspunkte für eine Stärkung der objektiv-rechtlichen (sozialstaatlichen) Dimension des Art. 3 Abs. 2 GG auf und stellt deshalb keinen grundsätzlichen Systemwechsel weg von der Rechtsgleichheit hin zur allein ergebnisorientierten Gleichstellung dar. 668 Vielmehr läßt sie sich sinnvoll so verstehen, daß die objektiv-rechtliche Dimension der Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht erst aus dem Sozialstaatsprinzip folgt, sondern direkt aus dem Gleichberechtigungssatz. Folglich dient Art. 3 Abs. 2 GG unter anderem als Legitimationsgrundlage für eine "zivilgesetzliche Verstärkung der Privatrechtswirkung des Gleichberechtigungsgebots". 669 Die Einbeziehung des Art. 119 EGV im Wege europarechtskonformer Auslegung kann zu keinem abweichenden Ergebnis führen, weil auch dieser Vorschrift das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nicht entnommen werden kann. ee) Ergebnis Die Auslegung von Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG gerade unter Berücksichtigung des teleologischen Gehalts hat die These nicht bestätigen können, daß hier das Verbot der mittelbaren Diskriminierung zu verorten sei. Selbst nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG kann nur von der Durchsetzung der gleichen (Erwerbs-) chancen von Männern und Frauen gesprochen werden, der diese Vorschrift dienen will. Die Rechtsprechung des BVerfG läßt sich nicht für Gruppenbetrachtungen instrumentalisieren. Das BVerfG bleibt dem Prinzip der Rechtsgleichheit treu. b) Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG

Weiterer Ansatzpunkt für eine Einbeziehung der mittelbaren Diskriminierung in Art. 3 Abs. 2 GG könnte der in den Gleichberechtigungsartikel eingefügte Satz 2 sein. Danach fördert der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männem und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Der erste Halbsatz enthält eine Förderklausel, der zweite Halbsatz eine NachteilsausgleichsklauseL 670 Die Neuregelung entspringt einer Empfehlung der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat671 • BVerfGE 89, 276 (285 f.). A.A. offenbar Sacksofsky, S. 391. 669 Sachs/Osterloh, Art. 3, Rn. 261. 670 H. Hofmann, FamRZ 1995, 257 (261 ff.); Sachs/Osterloh, Art. 3, Rn. 262 Anm. 532. 671 Auf Grund Art. 5 Einigungsvertrag sollten sich die gesetzgebenden Körperschaften innerhalb von zwei Jahren mit den im Zusammenhang mit der deutschen Einigung aufgewor667 668

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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aa) Auslegung des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG Schon in der Verfassungskommission blieb der Sinn dieser Formulierung umstritten. Es sollte ein Zeichen gesetzt werden für "die" Frauen. Doch auf einen weitergehenden positiven Sinn konnte man sich nicht verständigen. Man hatte sich nach langer Auseinandersetzung auf eine gemeinsame Formulierung geeinigt, in der jeder seine politische Position angesichts ihrer Unbestimmtheit und Weite wiederfinden konnte. Für die einen ist die Zulässigkeil von Quotenregelungen nun ausgemacht672 , für die anderen wegen der Vermeidung des Wortes "Gleichstellung" ausgeschlossen673 . Der Einwand von Kokott, Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG müsse als verfassungsrechtliche Anerkennung der Quote verstanden werden, weil anderenfalls der neue Satz 2 sich in einem Appell zur Ergreifung von Maßnahmen zur Vereinbarkeil von Familienarbeit und Erwerbstätigkeit und in der Anerkennung der typischerweise von Frauen geleisteten Arbeit erschöpfen würde, folgt eher dem Motto: "Es kann nicht sein, was nicht sein darf." Abgesehen davon ist nicht zu erkennen, warum das übrige Ergebnis so unbrauchbar wäre, daß man dagegen mit allen Mitteln zu Felde ziehen muß. Zu recht spricht /sensee auf Grund dieses Befundes von einem "dilatorischen Formelkompromiß"674. Der in der Verfassungskommission bereits nicht entschiedene Streit wird bei der Interpretation der neuen Bestimmung fortgesetzt. Das BVerfG bezeichnet den Satz 2 als Klarstellung in bezugauf die eigene Rechtsprechung. 675 So geht denn auch die Literatur überwiegend davon aus, daß die Neuregelung lediglich eine die Rechtsprechung bestätigende und verstärkende Funktion habe. 676 In der Änderung einen Beitrag zur Rechtssicherheit und Rechtsklarheit und damit zur verfassungsrechtlichen Absicherung der Rechtsprechung des BVerfG zu sehen, erscheint aber angesichts der Unbestimmtheit der Formulierung und des weiter schwelenden Streites nicht unproblematisch. 677 Damit dürfte ein wesentliches Ziel der Grundgesetzänderung verfehlt sein. fenen Fragen zur Änderung des Grundgesetzes befassen. Die Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 GG hat mit den Problemen der Wiedervereinigung allerdings nichts zu tun. Die Einsetzung der Gemeinsamen Verfassungskommission führte vielmehr zu einer umfassenden Überarbeitung des Grundgesetzes. Herangezogen werden kann allenfalls Art. 31 Abs. 1 Einigungsvertrag, wonach es die Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers ist, die Gesetzgebung zur Gleichberechtigung zwischen Männem und Frauen weiterzuentwickeln. 672 Kokott, NJW 1995, 1049 (1051); König, DÖV 1995, 837 (841 ff.); Sacksofsky, S. 411 ff. 673 H. Hofmann, FamRZ 1995, 257 (261); Sachs, ZBR 1994, 133 (139 ff.). 674 Isensee, NJW 1993, 2583 (2585). Von einer "Kompromißformel" in diesem Staatsziel spricht auch ErfK/ Schlachter, Art. 3 GG, Rn. 94. Unklar insoweit Sacksofsky, S. 399, die meint, Satz 2 beinhalte keinen dilatorischen Formelkompromiß, da Ziel der Vorschrift die "Herstellung von Gleichberechtigung in der Realität" sei - im Gegensatz zu ihrer eigenen Einlassung auf S. 398: "Selten ist wohl der Charakter einer Verfassungsbestimmung als Formelkompromiß deutlicher geworden." 675 BVerfGE 92, 91 (109). 676 Sachs/Osterloh, Art. 3, Rn. 262; Kokott, NJW 1995, 1049 (1051); Sachs, ZBR 1994, 133 (138). 21*

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Aus der Gesetzesbegründung läßt sich entnehmen, daß der Satz 2 kein subjektives Grundrecht, besonders keine "originären" Teilhabe- oder Leistungsansprüche, enthält, sondern lediglich einen objektiven, nicht unmittelbar Ansprüche der einzelnen Frau begründenden "verbindlichen Förderauftrag" des Staates. Ziel ist danach eine "sachgerechte Förderungspolitik" auf allen staatlichen Ebenen "zur Erreichung der tatsächlichen Gleichberechtigung". Gleichzeitig soll mit der Neufassung "klargestellt werden, daß es darum geht, eine faktische Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern zu erreichen"678 • Der zweite Halbsatz des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG formuliert nach der Begründung als Ziel staatlichen Handeins die Beseitigung bestehender geschlechtsbedingter gesellschaftlicher Nachteile. Halbsatz 1 und Halbsatz 2 stünden in enger Beziehung, da der Auftrag aus dem ersten Halbsatz durch Halbsatz 2 weiter verstärkt werde. Auffällig ist die Verwendung der Begriffe tatsächliche Gleichberechtigung und faktische Gleichberechtigung, die in diesem Zusammenhang suggeriert, daß zwischen beiden Begriffen ein Unterschied besteht. Doch läßt sich eine rechtlich faßbare Differenz nicht ausmachen. Im übrigen ist aber schon der Begriff tatsächliche Gleichberechtigung nur schwer zu definieren. Offensichtlich soll damit über eine "bloße" rechtliche Gleichberechtigung hinausgewiesen werden und die Verhältnisse in der Gesellschaft einbezogen werden. Unklar bleibt dabei, inwieweit sich die tatsächliche Gleichberechtigung von der Gleichstellung, die nicht gemeint gewesen ist, abgrenzen läßt. Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen den beiden staatlichen Aufgaben des Satzes 2 bleibt auch die Begründung schuldig. Nur schwer vorstellbar ist, welche Maßnahmen der staatlichen Nachteilsausgleichspflicht unterfallen, die nicht schon unter die staatliche Förderpflicht subsumiert werden können. Bereits an diesen wenigen "Schwachpunkten" wird deutlich, wie stark der neue Satz 2 einen Kompromiß darstellt, dem es an inhaltlicher Klarheit und Schärfe fehlt. Erkennbar ist auch, daß es in Deutschland keinen Konsens gibt, wie das Verfassungsgebot der Gleichberechtigung von Mann und Frau in die Gesellschaft erstreckt werden soll. Die Vorschrift kann deshalb nicht losgelöst vom Hintergrund des (alten) Gleichberechtigungssatzes und der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hierzu betrachtet werden. Diese ist bereits oben dargestellt worden. (a) "Tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung"

Vom Begriff der Gleichberechtigung ist der Gesetzgeber nicht abgerückt. Der Begriff Gleichstellung wurde absichtlich nicht benutzt. Auch von "tatsächlicher Gleichberechtigung" ist nicht die Rede, sondern von ihrer tatsächlichen Durchsetzung. Damit sollten zwei Formulierungsvarianten des Wortes "Gleichberechtigung" vermieden werden, um einer Reduzierung des Gleichberechtigungsbegriffes Vgl. H. Hofmann, FamRZ 1995, 257. Zum Entwurf der Fraktionen der CDU /CSU, SPD und F.D.P., BT-Drs. 12/6633, S. 6; vgl. auch Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission (GVK), BT-Drs. 12/6000, S. 50. 677 678

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GO

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in Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG auf eine normative Gleichberechtigung vorzubeugen, zumal die Rechtsprechung die in Satz I genannte Gleichberechtigung in Richtung einer faktischen Gleichberechtigung ausgedehnt habe. 679 Augenscheinlich geht die Gesetzesbegründung davon aus, daß Satz 2 noch einen über die Durchsetzung faktischer Gleichberechtigung hinausgehenden Sinn hat, ansonsten wäre die eben wiedergegebene Befürchtung nicht verständlich. Inwieweit sich eine Durchsetzung aber durch eine tatsächliche Durchsetzung steigern läßt, bleibt ebenso unklar wie der Bedeutungsgehalt des Satzes 2 nach der Gesetzesbegründung. Letztlich kann dies nicht verwundern. Konnte die Gemeinsame Verfassungskommission schon keinen Zweck angeben, auf den sich alle verständigen konnten, kann es die Gesetzesbegründung auch nicht, die die Empfehlung unverändert übernommen hat. Mit der verbalen Absage an das Ziel der Gleichstellung hat der Gesetzgeber auch Quotenregelungen als Mittel der Durchsetzung der Gleichberechtigung abgelehnt. Wer in die Formel von der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung dennoch die Gleichstellung durch Quotenregelung hineininterpretieren will, mißachtet den erklärten Willen der Mehrheit der Gemeinsamen Verfassungskommission und der grundgesetzändernden Organe, in denen derartige Formulierungen keine Chance zur Verwirklichung hatten. 680 Der Gesetzgeber ist beim Leitbegriff des Art. 3 Abs. 2 GG a.F., der Gleichberechtigung, geblieben. Mit der spachlichen Anhindung ist auch eine sachliche Anhindung verbunden. Sie zeigt, daß die individuelle rechtliche Gleichberechtigung auch nicht teilweise zugunsten einer kollektiven Betrachtung zurückgenommen werden sollte. Zugleich hat er damit signalisiert, daß das hinter den Quoten stehende Konzept der Gruppengrundrechte und Gruppenbetrachtungen nicht die Sichtweise des Grundgesetzes ist. Dies hat Rückwirkungen auf die Verortung des Verbots mittelbarer Diskriminierung. Wie gezeigt läßt sich dies nur unter der Geltung von Gruppenbetrachtungen in Art. 3 Abs. 2 GG hineinlesen. Ist diese aber zurückgewiesen, bleibt nur Art. 3 Abs. I GG als Prüfungsort. (b) Die Förderungsklausel des 1. Halbsatzes

Der erste Halbsatz des neuen Satz 2 von Art. 3 Abs. 2 GG wird wegen der Formulierung "Der Staat fördert..." als Förderklausel verstanden. Damit ist mehr als nur eine Zuständigkeitsnorm in das Grundgesetz eingefügt worden, wie sie mit der Wendung ,,Es ist Aufgabe des Staates..." 681 angezeigt worden wäre. Allgemein wird der neue Satz 2 als "Staatsziel" bezeichnet. 682 Ein Staatsziel ist eine Norm Bericht der GVK, BT-Drs. 12/6000, S. 50. Vgl. Bericht der GVK, BT-Drs. 12/6000, S. 50 f.; dazu auch Jahn, DVBI. 1994, 177 (183); Rohn/Sannwald, ZRP 1994, 65 (71); Scho[z, ZG 1994, 1 (23 f.); H. Hofmann, FamRZ 1995,257 (261). 681 Formulierungsvorschlag der CDU /CSU-Fraktion erwähnt im Bericht der GVK, BTDrs. 12/6000, S. 51. 679

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

der Verfassung, die der Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter sachlich umschriebener Aufgaben bzw. Aufträge mit rechtlich verbindlicher Wirkung vorgibt und sich dabei an alle staatliche Gewalt richtet. Regelmäßig ist der Gesetzgeber in die Pflicht genommen, wobei es in den Rahmen seiner politischen Gestaltungsfreiheit fallt, wie und wann er die ihm übertragene Aufgabe erfüllt.683 Inwieweit der Staat durch den neuen Satz 2, 1. Halbsatz mit bindender Wirkung zum Handeln verpflichtet wird, geht aus der Formulierung nicht eindeutig hervor. Klar ist jedoch, daß ein einklagbares Grundrecht auf Frauenförderung oder gar eine bestimmte Art staatlichen Handeins nicht geschaffen worden ist. 684 Angesichts des erklärten Zieles der Grundgesetzänderung, die Angleichung der Lebensverhältnisse zu bewirken, wie sie schon im Nachtarbeitsurteil des BVerfG beschrieben wird, stellt sich die Frage, wie weit der staatliche Föderauftrag und die Verantwortung für die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung reicht. In der Gesetzesbegrundung ist zur Angleichung der Lebensverhältnisse ausdriicklich angemerkt, daß es sich hierbei weniger um ein rechtliches, denn ein gesellschaftliches Problem handelt. 685 Dieser Feststellung ist uneingeschränkt zuzustimmen. Hieraus folgt die Brisanz des Zieles, das in einem unauflöslichen Konflikt zu den Mitteln seiner Durchsetzung steht. Denn wie soll der Staat die Angleichung gewährleisten, will er nicht tatsächlich die Menschen zwingen, ihre Rollen zu verlassen, die sie doch eigentlich frei wählen können? Sollte der Staat dazu verpflichtet werden, die Verantwortung für die Durchsetzung der Gleichberechtigung in allen gesellschaftlichen Bereichen zu tragen, müßte er zudem in Lebensverhältnisse eingreifen, die bisher einem flächendeckenden Eingriff des Staates nicht offenstanden. Letztlich hätten regulierende Vorgaben Auswirkungen bishin zu Vereinen und Personengesellschaften, Parteien und Gewerkschaften, den Kirchen und den Medien, sowie auf Kunst und Kultur. Zwingend wären Eingriffe in die privatautonome Vertragsgestaltung und die innere Struktur der einzelnen Institutionen und damit Eingriffe in andere Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte wie Art. 5, 9, 12, 14, 21, 140 GG. Der Staat würde seine freiheitssichernde Funktion endgültig aufgeben müssen, zugunsten von Regulierung und Überwachung der so verstandenen Gleichberechtigung. 686 Andererseits sind gewisse Vorgaben für das Verhältnis Privater untereinander nicht ungewöhnlich. Sie reichen aber selten soweit, wie es hier der Fall wäre. Ob gesetzliche Vorgaben wirklich eine durchgreifende Änderung herbeiführen können, ist überdies zweifelhaft. Wichtiger erscheint vielmehr ein Bewußtseinswandel, der durch staatliche Eingriffe aber kaum herbeigeführt werden kann. 682 Bericht der GVK, BT-Drs. 12/6000, S. 50; BT-Drs. 12/6633, S. 6; BT-Drs. 1217109, S. 7; König, DÖV 1995, 837 (840); H. Hofmann, FamRZ 1995, 257 (261). 683 Badura, Staatsrecht, D 43; Sachs!Murswiek, Art. 20a, Rn. 13. 684 Bericht der GVK, BT-Drs. 12/6000, S. 50. 685 Bericht der GVK, BT-Drs. 12/6000, S. 50. 686 Ausführlich H. Hofmann, FamRZ 1995, 257 (261 f.).

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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Schwerer wiegt noch der Umstand, daß durch den staatlichen Förderauftrag der Aspekt der Ergebnisgleichheit und der Gleichstellung ins Spiel kommt, den die Rückbindung an die Gleichberechtigung gerade ausschließen wollte. Die Verpflichtung auf die Ergebnisgleichheit gälte für alle gesellschaftlichen Bereiche, die der Staat dann ständig überwachen müßte. Dies beweist, wie gefahrlieh der Ruf nach dem Staat für den eigentlich staatsfreien gesellschaftlichen Bereich ist. Derartige Regelungen sollten, bei Bedarf den einzelnen gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen, z. B. der Familie selbst oder im arbeitsrechtlichen Bereich den Tarifvertragsparteien, überlassen bleiben. 687 So zeigt sich der Kompromißcharakter der Bestimmung auch in dieser Zielsetzung, die im Text allerdings keinen eindeutigen Niederschlag gefunden hat. Deutlichere Formulierungen sind in der Beratung der Gemeinsamen Verfassungskommission zurückgewiesen worden. Der unauflösliche Widerspruch zwischen dem Gleichberechtigungsgebot und dem Ziel der Angleichung der Lebensverhältnisse zwingt dazu, dieses Ziel nicht zum verbindlichen Maßstab der Auslegung zu machen, weil es im Verfassungstext keinen hinreichend deutlichen Ausdruck gefunden hat, sondern nur den offenen Dissens widerspiegelt. Somit läßt sich festhalten, daß dem Staat keine verbindliche Gewährleistungspflicht für die Beachtung des Gleichberechtigungssatzes durch alle gesellschaftlichen Bereiche hindurch aufgetragen worden ist. Vielmehr vermag auch das Staatsziel der Förderung der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung den Vorrang des individuellen Grundrechts auf Gleichberechtigung nicht auszuhebeln. Dies entspricht der Rechtsprechung des BVerfG zum Staatsziel Sozialstaat. Das Staatsziel in Art. 20 Abs. I, 28 Abs. 1 GG kann demnach für die Grundrechte keine mittelbaren Schranken bilden.688 So bleibt nur, den Förderungsauftrag strikt auf die Gleichberechtigung zu beziehen und ihm den Gehalt einer Verstärkung des individuellen Grundrechts zuzuweisen, soll das System des Grundgesetzes nicht gesprengt werden. (c) Die Nachteilsausgleichsklausel des 2. Halbsatzes

Die allgemein als Nachteilsausgleichsklausel des 2. Halbsatzes bezeichnete Wendung weist nicht minder vielfältige Probleme bei der Auslegung auf. Fraglich ist, ob der Begriff des Nachteils auf konkrete, individuelle Belastungen oder Nachteile zu beziehen ist oder allgemein auf statistische Unterrepräsentation. Für die letze Variante mag angeführt werden, daß in der Diskussion zur Neuregelung verschiedene Vorschläge gemacht worden sind, die konkrete Benachteiligungen wie Schwangerschaft, Kindererziehung und familiäre Pflege benannten, sich aber nicht durchsetzen konnten. Andererseits orientiert sich die Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 GG an der Rechtsprechung des BVerfG, das einen Nachteilsausgleich dann für zulässig erachtet, wenn die Nachteile ihrerseits auch auf biologische Unter687 688

Nochmals H. Hofmann, FamRZ 1995,257 (262, 263). BVerfGE 59, 231 (262 f.); H. Hofmann, FamRZ 1995, 257 (262).

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

schiede zurückgehen. 689 Hierunter lassen sich nur Nachteile fassen, die einzig auf dem Geschlechtsunterschied beruhen, also Benachteiligungen auf Grund der allein bei Frauen vorkommenden Schwangerschaft, Geburt und anschließenden Stillzeit Wegen des Ausnahmecharakters ist die Wendung eng zu verstehen und kann nicht ausgedehnt werden auf sonstige vielleicht frauentypische Unterschiede. Darüber hinaus sind geschlechtsneutrale Förderungen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie unproblematisch, da sie nicht an das Geschlecht anknüpfen. Wie bereits ausgeführt sprechen grundsätzliche systematische und teleologische Überlegungen gegen ein Verständnis der Nachteilsausgleichsklausel, die Quotenregelungen zuließe. Dies bedeutete die Umgestaltung des Gleichberechtigungsgrundrechts zu einem Gruppengrundrecht.69° Folglich ist auch bei der Interpretation der Nachteilsausgleichsklausel die systematische Nähe zum Gleichberechtigungssatz und damit zur individuellen Grundrechtsverbürgung zu berücksichtigen. Kollektivistische Betrachtungen vermögen keine individuelle Gerechtigkeit herzustellen. Man sollte sich aber bei der Verfassungsinterpretation nicht voreilig vom Ziel individueller Gerechtigkeit verabschieden. Die hier vorgestellte Sichtweise will individuelle Gerechtigkeit befördern und setzt deshalb nicht pauschal typisierend bei einem Nachteilsausgleich für die Frauen an, sondern für jeden, der beispielsweise durch die tatsächliche Übernahme von Familienpflichten beruflich "behindert" ist, unabhängig von seinem Geschlecht. Erst hierdurch werden Nachteile durch die Ausübung einer "Geschlechtsrolle" ausgeglichen.

bb) Objektiv-rechtliche Dimension des Art. 3 Abs. 2 GG So bleibt festzustellen, daß der Gesetzgeber mit dem neuen Satz 2 des Art. 3 Abs. 2 GG jetzt einen Rechtssatz in die Verfassung geschrieben hat, der bisher schon zumindest sinngemäß der ganz h.M. entsprach. Klargestellt wurde durch die Verfassungsergänzung, daß die objektiv-rechtliche Dimension des Gleichberechtigungssatzes den Staat in Form eines Staatszieles in die Pflicht nimmt. Davon abgesehen läßt sich zwischen Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG in der Auslegung durch das BVerfG und Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG kein substantieller inhaltlicher Unterschied feststellen. Ein solcher ist auch bisher in der Literatur nicht dargelegt worden. Zum Verhältnis dieser beiden Sätze herrscht ein merkwürdiges Schweigen. Sinnvoll erscheint es deshalb, dem Satz 1 das Verbot der rechtlichen Benachteiligung von Frauen sowie das Gebot rechtlicher Gleichberechtigung von Frau und Mann zuzuweisen und den Satz 2 als Staatsziel der Herstellung der Gleichberechtigung anzusehen, das der Verstärkung der subjektiven Garantie aus Satz 1 dient, ihr aber nicht zuwiderläuft. BVerfGE 74, 163 (180). Dagegen hat sich die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf ausdrücklich verwahrt, BT-Drs. 12/7109, S. 13. 689 690

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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Nur kurz soll im folgenden die objektiv-rechtliche Dimension des Art. 3 Abs. 2 GG beleuchtet werden, soweit es der Untersuchung dient, ob sich aus dieser Wirkweise des Art. 3 Abs. 2 GG das Verbot der mittelbaren Diskriminierung entnehmen läßt.

(a) Grundsätzliche Bedeutung der objektiv-rechtlichen Dimension Gerade das ursprüngliche und primäre Verständnis von Art. 3 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GG als strikte Unterscheidungsverbote drückt die grundsätzliche Wertentscheidung aus, daß jeder Person kraft ihrer Menschenwürde derselbe Geltungsanspruch zukommt. 691 Um diesem zentralen Anspruch, dem Zusammenhang von persönlicher Rechtsgleichheit und Menschenwürde, gerecht werden zu können, haben sich die objektiv-rechtlichen Wirkungen am Grundgedanken des strikten Anknüpfungsverbots auszurichten. So disqualifizierte das BVerfG sehr früh eine ausufernde Tendenz zu weiterreichenden Wirkungen des Differenzierungsverbots, die seinerzeit polemisch als "Gleichmacherei" bezeichnet wurden: Art. 3 Abs. 2, 3 GG beschränkt sich nach dieser Rechtsprechung auf die Bedeutung, "daß die aufgeführten faktischen Verschiedenheiten keine rechtliche, nicht aber auch daß sie keine gesellschaftliche, soziologische, psychologische oder sonstige Wirkung haben dürfen"692 . Mit dem Namenrechtsbeschluß und besonders dem Nachtarbeitsurteil schränkte das Gericht diese "Absage an jegliche Nivellierungstendenz außerhalb rechtlicher Lebensbereiche"693 ein. Doch ging das Gericht keineswegs soweit, als Ziel für die gesellschaftliche Wirklichkeit eine hälftige Beteiligung und Berücksichtigung von Frauen auf allen Ebenen zu fordern. Das maßgebliche Ziel der Differenzierungsverbote bleibt, daß jedes Individuum die gleiche Chance freier Persönlichkeitsentfaltung haben soll. Niemand darf allein auf Grund einer Gruppenzugehörigkeit, der er nicht entrinnen kann oder die er frei gewählt hat, ohne Rücksicht auf seine individuellen Eigenschaften unterschiedlich behandelt werden. Daß dabei wirkliche Chancengleichheit für Mann und Frau noch nicht allein mit der Beseitigung aller rechtlichen Unterschiede hergestellt ist, versteht sich angesichts der biologischen Unterschiede eigentlich von selbst. Aber nur in diesem engen Bereich darf der Gesetzgeber zu einem Ausgleich greifen. Auf die Herstellung der Chancengleichheit sind auch alle Ausprägungen der objektiv-rechtlichen Dimension bezogen.

691 Vgl. zu den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten allgemein: Stern, Staatsrecht III/ 1, S. 900 ff., insbes. S. 912-920; Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 III, Rn. 1; Sachs, Grenzen, S. 43; Zippelius, VVDStRL 47 (1989), S. 7 (10 f.). 692 BVerfGE 3, 225 (241). 693 Sachs, HStR V,§ 126, Rn. 118.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

(b) Ausprägungen

Zuerst zählt hierzu die Ausstrahlungswirkung auf die bestehende Rechtsordnung, die sich einerseits in einer verfassungskonformen Auslegung aller Normen und andererseits in der Ausfüllung von Generalklauseln manifestiert. Insoweit sind auch die Beziehungen zwischen Privatpersonen in die Grundrechtswirkung der Differenzierungsverbote einbezogen.694 Wird als Schutzgut der Unterscheidungsverbote die Herstellung der Chancengleichheit angesehen, die sich allein auf gleiche Ausgangschancen bezieht, sollte es nicht zu Konflikten mit Freiheitsrechten kommen. Art. 3 Abs. 2 GG beinhaltet durch seinen Satz 2 ausdrücklich festgeschrieben eine Schutzpflicht des Staates vor privater Diskriminierung. § 6lla BGB erfüllt diese staatliche Schutzpflicht in bezugauf das private Arbeitsverhältnis.695 Objektiv-rechtliche Wirkungen des Art. 3 Abs. 2, 3 GG für Organisation und Verfahren der Ausübung von Staatsgewalt696 sind vorstellbar. Kommt es in bestimmten Bereichen, wie z. B. dem Zugang zu öffentlichen Ämtern, immer wieder zu unzulässigen Differenzierungen, sind Organisation und Verfahren so auszugestalten, daß verschleierten Differenzierungen durch objektive Kriterien und transparente Entscheidungsabläufe entgegengewirkt wird. Hierzu mag auch die Bestellung von Gleichberechtigungsbeauftragten zählen. Werden deren Ämter einseitig für Frauen reserviert, stellt dies aber einen nicht zu rechtfertigenden Verstoß gegen das Verbot unmittelbarer Ungleichbehandlung von Männem und Frauen dar.697 Mit einer vergleichbaren Argumentation könnte man auch das Verbot der mittelbaren Diskriminierung in diese Kategorie einordnen. Doch würde dies verkennen, daß Zielsetzung und Ausrichtung des Verbots mittelbarer Diskriminierung nur partiell mit dem Verbot versteckter Diskriminierung vergleichbar sind. Die versteckte Diskriminierung trifft ausschließlich Frauen und ist deshalb problemlos unter Art. 3 Abs. 2, 3 GG einzuordnen, während das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nur überwiegend Frauen betrifft. Die schon deshalb dogmatisch nicht mögliche Zuordnung des Verbots mittelbarer Diskriminierung zu Art. 3 Abs. 2, 3 GG kann auch die objektiv-rechtliche Dimension insoweit nicht überspielen. Im übrigen lassen sich die Probleme der Einstellungspraxis entgegen verbreiteter Auffassung vielfach sachgerechter als versteckte Diskriminierung qualifizieren. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung ist für diesen Sektor dann überflüssig. Denn 694

Stem, Staatsrecht III/1, S. 924 f., 1546 ff., 1584 ff.; Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 I,

Rn. 516; Starck, in: v. Mangoldt/ Klein, Art. 3, Rn. 256; Sachs, HStR V, § 126, Rn. 121.

Inwieweit die Regelung hierfür ausreicht ist allerdings umstritten. AllgemeinStem, Staatsrecht III/1, S. 953 ff. 697 Ähnlich kritisch Sachs, HStR V,§ 126, Rn. 123. Vgl. BAG, 12. 11. 1998-8 AZR 365/ 97, NZA 1998, Heft 23, S. IX: Das BAG brauchte die Frage nicht zu entscheiden, weil die Bewerbung des Mannes nicht ernsthaft gewesen sei, doch ergebe sich keine Verpflichtung der Gemeinde nach der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung, eine Frau zur Gleichstellungsbeauftragten zu bestellen. 695

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B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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in aller Regel werden scheinbar neutrale Kriterien vorgeschoben, sollen Frauen nicht eingestellt werden. Zu berücksichtigen ist dabei andererseits, daß nicht alle verdächtigen Kriterien, wie Berufserfahrung oder Körpergröße, allein Frauen benachteiligen, insoweit auch eine Sachgerechtigkeitsprüfung nach Art. 3 Abs. 1 GG näherliegt. Als weitere objektiv-rechtliche Dimension ergibt sich der Charakter der Grundrechte als Programmsatz für die Gesetzgebung zur Unterstützung und Förderung der in den Grundrechten ausgedrückten Ziele. Bezogen auf das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts zählen hierzu Fördermaßnahmen, die frauentypische Nachteile in der gesellschaftlichen Wirklichkeit beseitigen helfen sollen. Aber auch unter diesem Gesichtspunkt läßt sich das Grundrecht des Art. 3 Abs. 2 GG nicht umfunktionieren zu einem Gruppengrundrecht, das auf Ergebnisgleichheit, statt auf Sicherung der Chancengleichheit freier Persönlichkeitsentfaltung zielt. Selbst aus dem Programmcharakter und dem Förderauftrag folgt kein ,,Zwang zur Egalität"698 • Abschließend bleibt festzustellen, daß die objektiv-rechtlichen Gehalte des Gleichberechtigungssatz nur der Unterstützung und Verstärkung der primären Wirkung des Rechtssatzes dienen. Dem eigentlichen Sinn der Norm zuwiderlaufende Wirkungen können deshalb den objektiv-rechtlichen Gehalten nicht entnommen werden. 699 Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung ergibt sich auch aus der objektiv-rechtlichen Funktion des Art. 3 Abs. 2 GG genausowenig wie aus der primären Rechtssatzwirkung, ja es folgt erst recht nicht aus den objektiven Gehalten, weil es ein subjektives Recht darstellt. 700

c) Ergebnis Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung kann nicht in Art. 3 Abs. 2 GG verortet werden. Hieran hat auch die Einfügung des Satzes 2 in den zweiten Absatz des Art. 3 GG nichts geändert.

3. Das Verbot der Benachteiligung wegen mittelbarer Unterscheidungswirkungen a) Der mittelbare Grundrechtseingriff Unter allgemeinen grundrechtsdogmatischen Aspekten wird oft vorgebracht, daß der mittelbare Eingriff in Grundrechte heute Gemeingut sei, so daß auch 698 699 700

Sachs, HStR V, § 126, Rn. 124. Stern, Staatsrecht III/ I , S. 917 f., 921 ff.; Sachs, HStR V, § 126, Rn. 128. Ähnlich Sievers, S. 76.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Art. 3 Abs. 2, 3 GG vor mittelbaren geschlechtsbedingten Eingriffen Schutz bieten müßten. 701 Der hergebrachten Grundrechtsdogmatik folgend 702 wird von einem unmittelbaren, klassischen Eingriff gesprochen, wenn der Staat durch Hoheitsakt, insbesondere Verwaltungsakt, der an den Bürger adressiert ist, eine Beziehung zwischen Staat und Bürger rechtlich regelt und dabei zielgerichtet Grundrechte tangiert. 703 Heute ist weithin anerkannt, daß Freiheitsrechte auch dann verletzt sein können, wenn der Hoheitsträger nicht obrigkeitlich, rechtsförmlich, unmittelbar oder final in die Rechtsposition des Bürgers eingreift. 704 Umstritten ist jedoch, welche Kriterien für eine Begrenzung bzw. Ausweitung der Grundrechtsrelevanz von Eingriffen taugen. Denn das Merkmal "Unmittelbarkeit" ist nur allzuhäufig Synonym oder Blankettformel für das gerade benutzte- unter Umständen nicht offengelegte- Subkriterium. 705 Um auch neue, bisher nicht ·beachtete Beeinträchtigungsmodalitäten in den Blick nehmen zu können, wird die Bildung verschiedener Fallgruppen vorgeschlagen. Bleckmann I Eckhoff unterscheiden neun Fallgruppen706, was belegt, daß einheitliche Voraussetzungen für den mittelbaren Grundrechtseingriff nicht existieren, sondern daß es auf die jeweilige Fallkonstellation ankommt. Diese Fallgruppen seien hier nur überblicksmäßig angesprochen. Anstelle des Verwaltungsakts kann als Eingriffsform der öffentlich-rechtliche Vertrag treten. Allgemein ist faktisches Staatshandeln grundrechtsrelevant, wenn es das Ziel staatlichen Handeins ist, Grundrechte zu beeinträchtigen. 707 Unerheblich ist es, ob der Grundrechtseingriff durch ein Handeln des Staates oder eines Privaten verursacht wird, wenn dieser von der Verwaltung dazu angehalten wird. Faktische Eingriffe haben Grundrechtsrelevanz. Nicht nur die gänzliche Entziehung einer geschützten Position, sondern auch schon die Erschwerung ihrer Ausübung, z. B. durch Entziehung der für die Freiheitsausübung erforderlichen Mittel, ist als Eingriff zu qualifizieren. 708 Die Verweigerung einer staatlichen Leistung kann einen Eingriff darstellen. Eingriffe in Vorbereitungshandlungen zur Ausübung des eigentlich geschützten Grundrechts lassen sich als mittelbare Eingriffe in das Grundrecht auffassen oder bei entsprechend erweitert interpretiertem Schutzbereich als unmittelbarer Eingriff. Beeinträchtigt wird der grundrechtlich geschützte Freiraum 701 Boecken, Anm. zu BAG EzA Art. 119 EWGV Nr. 2, S. 17 (23); Bieback, ZIAS 1990, 1 (31 f.); Hanau/ Preis, ZfA 1988, 177 (184 ff.). 702 Vgl. nur Jsensee, HStR V, § 111, Rn. 61. 703 Bleckmann/Eckhojf. DVBI. 1988, 373 (374). 704 Jsensee, HStR V,§ 111, Rn. 62 f. 705 Dazu Bleckmann I Eckhojf. DVBI. 1988, 373 (374 f.); vgl. auch Gallwas, S. 90, Anm. 145. 706 Bleckmann/Eckhojf. DVBI. 1988,373 (376-380). 707 Vgl. BVerfGE 18, 97 (106). 70S In einzelnen Fällen kommt es auf die richtige Interpretation des Schutzbereiches an, um einen Eingriff bestimmen zu können. V gl. Ramsauer, VerwArch 72, 89 (99 ff. , der auf die im Zivilrecht entwickelte Normzwecklehre zuriickgreifen will, um den Schutzbereich der Grundrechte gegenüber faktischen Beeinträchtigungen befriedigend zu bestimmen); Bleckmann/ Eckhojf. DVBI. 1988, 373 (378).

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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ebenfalls, wenn der Staat an die Freiheitsausübung negative Folgen in ganz anderen Lebensbereichen anknüpft. Ein Eingriff braucht zudem nicht notwendig in einer einzigen Handlung des Staates zu liegen, er kann in einem Bündel von einander ergänzenden und flankierenden Einzelmaßnahmen zu erblicken sein. In Ausnahmefällen mag man sogar bei eigentlich nur verwaltungsintern wirkenden Maßnahmen trotz fehlender Außenrechtsqualität einen Eingriff annehmen, wenn die spätere Anfechtung eines Verwaltungsaktes keinen ausreichenden Schutz bietet. Schließlich kann die Grundrechtsverletzung unbeabsichtigte Nebenfolge eines auf ein anderes Ziel gerichteten staatlichen Handeins sein; so genügt bisweilen bereits die Gefährdung eines Grundrechts für einen Eingriff. 709 Gemeinsam ist den verschiedenen Konstellationen das Problem, ob dem Staat das grundrechtsrelevante Verhalten oder seine Auswirkungen noch zugerechnet werden können. So ist nicht die "Unmittelbarkeit", sondern die Zurechenbarkeit das entscheidende Kriterium, das ein grundrechtstangierendes Verhalten zu einem Eingriff in Grundrechte werden läßt. Bleckmann I Eckhoff nennen als Einzelkriterien der Zurechenbarkeit neben der Finalität staatlichen Handelns, die Voraussehbarkeit des Beeinträchtigungserfolges und die Frage, "ob das handelnde Staatsorgan den maßgeblichen Einfluß auf diesen Erfolg hatte" oder "ob das beeinträchtigte Verhalten oder die beeinflußten Gegenstände in funktionalem Zusammenhang mit der grundrechtlich geschützten Freiheitsausübung stehen.'mo Inwieweit sich aber Erkenntnisse zu mittelbaren Eingriffsformen von den Freiheitsrechten, an denen sie unbestritten entwickelt worden sind, auf die Gleichheitsgrundrechte und speziell auf das strikte Differenzierungsverbot übertragen lassen, ist damit noch nicht vorentschieden. Denn die andersartige Struktur der Gleichheitsrechte verbietet eine unbesehene Übernahme. Dennoch ist der Grundgedanke, der für die Freiheitsrechte Geltung beansprucht, auch im Hinblick auf die Gleichheit richtig. Nicht allein der unmittelbare und finale Zugriff auf die Rechtsgleichheit löst den Verstoß gegen Art. 3 GG aus.

b) Der mittelbare Eingriff in Art. 3 Abs. 2, 3 GG Eine bislang in der Diskussion weithin vernachlässigte Konstellation wird man unabhängig von der Diskussion um das Verbot der mittelbaren Diskriminierung als mittelbaren Eingriff in Art. 3 Abs. 2, 3 GG qualifizieren dürfen: Erfaßt werden solche geschlechtsbezogenen Regelungen, die in ihrer unmittelbaren normativen Wirkung vor dem Unterscheidungsverbot zu Recht oder zu Unrecht zu rechtfertigen sind, die aber zusätzlich de facto entfernte Folgen zeitigen, die sich als bedenklich 709 An dieser Stelle der Darstellung geht es nicht darum, eine in sich geschlossene Dogmatik des mittelbaren Grundrechtseingriffs zu entwerfen, sondern lediglich darum, die Vielfalt möglicher "mittelbarer" Eingriffsformen aufzuzeigen. 710 Bleckmann!Eckhoff, DVBI. 1988,373 (380).

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

erweisen. Es handelt sich um Normen, bei denen neben unmittelbaren auch mittelbare Unterscheidungswirkungen existieren. Letztere sind nach der allgemeinen Eingriffsdogmatik mittelbare Folgen einer unmittelbaren Differenzierung nach dem Geschlecht. Man kann sie als "eingriffsgleiche Wirkungen" bezeichnen.711 Insoweit ähneln sie der letzten von Bleckmann I Eckhoffbeschriebenen Kategorie712. Hierunter fallen beispielsweise geschlechtsspezifische Arbeitsschutzbestimmungen mit ihren Auswirkungen auf Beschäftigungschancen und Höhe der Vergütung.713 Die in ihrer unmittelbaren Wirkung nicht zu beanstandenen Mutterschutzvorschriften weisen ebenfalls derartige Folgewirkungen auf. Die mittelbare Unterscheidungswirkung liegt darin, daß derartige Vorschriften für Frauen tatsächliche Hindernisse bei Einstellung und beruflichem Fortkommen errichten, weil die Einhaltung dieser Bestimmungen aus Sicht der Arbeitgeber eine Kostenbelastung darstellt, die ihnen nicht entsteht, wenn sie einen Mann einstellen. Demgegenüber hat das BVerfG nicht nur allgemein die Belastung der Arbeitgeber mit Lohnkosten während der Mutterschutzfrist für gerechtfertigt gehalten. Es hat sogar pauschal angezweifelte und bagatellisierte Nebeneffekte zu Lasten jüngerer Frauen nicht beriicksichtigt und Art. 3 Abs. 2, 3 GG in diesem Zusammenhang nicht einmal erwähnt. Gleichzeitig ist die Mehrbelastung von denjenigen Arbeitgebern, die verhältnismäßig viele Frauen beschäftigen bzw. ihnen relativ hohe Löhne zahlen, nicht beanstandet worden714, obgleich Lenkungseffekte zum Nachteil von Frauen äußerst naheliegend erscheinen.715 Regelungen, die derartige mittelbare Benachteiligungen nachsichziehen, sind vor Art. 3 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GG zu rechtfertigen. Für Mutterschutzbestimmungen folgt die Rechtfertigung aus der besonderen biologischen Situation von Schwangerschaft und Geburt. Andere Schutzbestimmungen zugunsten weiblicher Arbeitskräfte dürften dagegen nicht zu rechtfertigen sein, da sie geeignet sind, Frauen in ihren tradierten Rollen festzuhalten. Anzustreben sind demgegenüber Bestimmungen, die unabhängig vom Geschlecht denjenigen Arbeitnehmer schützen, der familiäre Pflichten wahrnimmt. Als weiteres anschauliches Beispiel für eine mittelbare Unterscheidungswirkung mag folgende Konstellation dienen: Existiert für einen bestimmten Bereich eine Quotenregelung, wird hiermit eine Gruppe von Frauen bevorzugt. Unmittelbar benachteiligt werden gleichzeitig Männer, die trotz gleicher Qualifikation auf Grund der Quote zurliekgesetzt werden. Aber dies ist nicht die einzige Wirkung; mittelbar werden auch die Ehefrauen dieser Männer nachteilig betroffen, die auf eine eigene Berufstätigkeit zugunsten ihrer Ehemänner verzichtet und sich in freier Entscheidung für Ehe und Familie ausgesprochen haben. 716 Hier könnte man sogar von ei-

711 712 713 714

715

Lerche, HStR V,§ 121. Rn. 50; Sachs, HStR V,§ 126, Rn. 91. Bleckmann I Eckhoff, DVBI. 1988, 373 (380) unter 2. b) (9). Kirchhof, HStR V,§ 124, Rn. 135; Sachs, HStR V,§ 126, Rn. 91. BVerfGE 37, 121 (126, 129); 70, 242 (250 f.). Sachs, HStR V,§ 126, Rn. 91.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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ner doppelten Benachteiligung sprechen, denn zu dem freiwilligen Verzicht auf eine eigene berufliche Entwicklung tritt der durch die Benachteiligung des Partners vennittelte Nachteil hinzu. Diese mittelbaren Unterscheidungswirkungen sind dem Staat zuzurechnen, da sie auf einem unmittelbaren und finalen Grundrechtseingriff beruhen. Im übrigen wird sich der Staat auch deshalb nicht von den mittelbaren Folgen freizeichnen können, weil sie regelmäßig vorhersehbar sind. Man kann also unterscheiden zwischen der von der h.M. sogenannten mittelbaren Diskriminierung, die nach deutschem Recht an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen ist, da die Regelung keine Anknüpfung an das Geschlecht enthält, und dem unmittelbaren Eingriff in das Grundrecht aus Art. 3 Abs. 2, 3 GG mit mittelbaren oder entfernten Unterscheidungswirkungen, welche ebenfalls an Art. 3 Abs. 2, 3 GG zu messen sind. Die Differenzierung rechtfertigt sich, weil bei der hier erörterten Konstellation ein unmittelbarer geschlechtsbezogener Eingriff vorliegt und die weiteren, entfernten, mittelbaren Folgen dieses unmittelbaren Eingriffs in den Blick genommen werden sollen.

4. Unverzichtbarkeit merkmalstypischer Anknüpfung Geschlechtstypisch wirksame Regelungen sind in vielen Fällen unverzichtbar717, in anderen Fällen ein wichtiges Mittel, um typische Nachteile für ein Geschlecht in der gesellschaftlichen Wirklichkeit auszugleichen. Hierzu ermächtigt Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG ausdrücklich, ohne einen bestimmten Weg des Nachteilsausgleichs vorzuschreiben. Als Beispiel für die erste Gestaltung mögen Strafnormen gegen sozialschädliches Verhalten dienen, die in der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu über 90% auf Männer zur Anwendung kommen. 718 Als Beispiel für den zweiten Fall sei der Elternurlaub angeführt, auch wenn ihn zu mehr als 90% Frauen in Anspruch nehmen.719 Deshalb überrascht die ausschließlich negative Sichtweise, die der Anknüpfung an merkmalstypische Umstände beigemessen wird. Läßt sich doch über diesen Weg auch das Ziel der Emanzipation, die tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau, durchaus befördern. Hierzu müssen Regelungen an Kriterien anknüpfen, die ganz überwiegend von Frauen erfüllt werden, und 716 Ebsen, Hb d. VerfR, § 8, Rn. 13, spricht in diesem Fall von "Mitbenachteiligung" und H. Hofmann, FamRZ 1995, 257 (262, Anm. 47), von "indirekter Benachteiligung". Doch pla-

stischer ist der Ausdruck "mittelbare Benachteiligung", weil die Benachteiligung der Ehefrauen diese durch ihre Männer hindurch trifft, sie also unter der Fortwirkung einer Regelung leiden, deren Adressat sie gar nicht waren. 717 Sachs, Grenzen, S. 482; ders., HStR V,§ 126, Rn. 89. 718 Sachs, Grenzen, S. 482 Anm. 410 mit genauen Zahlenangaben. Vgl. zu aktuelleren Zahlen Göppinger; Kriminologie, Kap. 22, 5.3.2, S. 527: 6,7% der Verurteilungen für Mord bzw. Totschlag und 6,2% der Verurteilungen für Raub entfallen auf Frauen. 719 Sachs, HStRV, § 126, Rn. 89 Anm. 247.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

für diese positive Effekte oder Vergünstigungen beinhalten. 720 Diese Regelungen müssen dann nur den gegenüber den speziellen Gleichheitssätzen geringeren Rechtfertigungsanforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG standhalten, also keine willkürlichen Bevorzugungen von bestimmten Merkmalsträgern, in der Regel also Frauen, darstellen. Auf der anderen Seite muß bezweifelt werden, daß das Verbot der mittelbaren Diskriminierung dem Ziel der faktischen Gleichstellung wirklich dienlich ist. Dies gilt jedenfalls solange, wie rechtliche Unterbewertungen von Haushaltsarbeit721 nur durch eine geschlechtsneutrale Formulierung ersetzt werden. Auch hier wären die Frauen überwiegend negativ betroffen.722 Dieser Zusammenhang besteht jedoch unabhängig vom Ziel der Gleichstellung: Wenn das Differenzierungskriterium selbst als Anknüpfungspunkt des Rechtssatzes ausscheidet, kann nur noch an die merkmalstypischen Umstände angeknüpft werden, soll auf die Regelung nicht gänzlich verzichtet werden. 723 So käme zum Ausgleich tatsächlicher Belastungen statt einer unzulässigen Anknüpfung an das Geschlecht eine Regelung in Betracht, die die Vereinbarkeit von Familienpflichten und Berufstätigkeit verbessert. Würde das Verbot der mittelbaren Diskriminierung mit der ganz h. M. bei Art. 3 Abs. 2 bzw. 3 GG verortet, entstünden Probleme mit einer derartigen, vordergründig neutralen, Kompensationsleistung, die aber wegen der noch herrschenden Rollenverteilung überwiegend zugunsten von Frauen wirkte. Die Folge wäre eine mittelbare Männerdiskriminierung, weil statistisch mehr Frauen als Männer in den Genuß der Bevorzugung kämen. Dieser Konsequenz könnte man nur ausweichen, wenn Art. 3 Abs. 3 GG keine symmetrische Wirkung beigemessen würde. 724 Deshalb sind die Vertreter der h.M. gezwungen, die Zulässigkeit solch neutraler Förderung trotz geschlechtsspezifischer Wirkung einfach zu postulieren.725 Subsumiert man allerdings das Verbot neutraler Normen mit geschlechtsspezifischer Wirkung unter Art. 3 Abs. 1 GG, lassen sich solche Regelungen zwanglos rechtfertigen. Dies sei nur kurz am Kindererziehungsleistungs-Gesetz726 erörtert. Die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung ausschließlich zugunsten von Frauen ist verfassungsrechtlich problematisch. Das Gesetz will die mit der Kindererziehung für die Allgemeinheit erbrachte Leistung 12o Mit Beispielen Sachs, Grenzen, S. 488 f. 721 Dazu BVerfGE 17, 1 (13); 19,268 (279); 22, 93 (96 f.); 26, 265 (273 f.); 37, 217 (251); 47, 1 (24); 53, 257 (296). 722 Sachs, Grenzen, S. 487 f. 723 Mit Beispielen Sachs, Grenzen, S. 481 f. 724 Vgl. Sacksofsky, S. 306 ff., die dies ausdrücklich aber nur für Art. 3 Abs. 2 GG annimmt. 725 Vgl. Schlachter, S. 51, unter Berufung auf BVerfGE 85, 191, aber ohne Begründung. Ähnlich Fuchsloch, S. 146 f., die das Problem auf der Rechtfertigungsebene lösen will. Die Rechtfertigung ergebe sich aus dem Ziel der Annäherung der Lebensverhältnisse. 726 Gesetz über Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung für Kindererziehung an Mütter der Geburtsjahrgänge vor 1921 v. 12. Juli 1987, BGBI. I, S. 1585.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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rentenversicherungsrechtlich honorieren. Hierfür nimmt das Gesetz eine Typisierung vor, indem es generell allen Müttern der einbezogenen Jahrgänge diese Leistung zubilligt, unabhängig von der Tatsache, ob sie ihre Kinder tatsächlich selbst erzogen haben. Schwerer wiegt aber der Ausschluß der Vater, die ihre Kinder nachweislich selbst und allein erzogen haben. Das BVerfG rechtfertigte dies damit, daß der Gesetzgeber mit der typisierenden Annahme, in den fraglichen Zeiträumen sei die Kindererziehung regelmäßig Sache der Mütter gewesen, keiner Fehleinschätzung unterliege. Im übrigen sei es unter dem Gesichtspunkt der Typisierung zulässig, hierdurch den Verwaltungsaufwand möglichst gering zu halten. 727 Der Rückgriff auf die Typisierung bei geschlechtsbezogenen Differenzierungen und damit eine Rechtfertigung durch funktionale Unterschiede verbietet sich aber im Rahmen des Art. 3 Abs. 2, 3 GG, weil dies zu einer Verfestigung der hergebrachten Rollenverteilung führt. Im übrigen läßt sich die Reservierung von Kindererziehungsleistungen für Frauen nicht mit biologischen Grunden rechtfertigen, außer man hielte diese Leistung für eine Geburtsprämie. 728 Das entscheidende Argument liegt darin, daß keine Notwendigkeit einer geschlechtsspezifischen Differenzierung besteht, um das Ziel des Gesetzgebers zu erreichen. Die Anknüpfung an das Merkmal "Erbringung der Erziehungsleistung" hätte keine Mutter, die ihr Kind selbst erzogen hat, ausgenommen, stattdessen aber die Vater, die sich der Erziehung ihrer Kinder gewidmet haben, ebenfalls begünstigt. Die Anknüpfung begünstigender Regelungen an die tatsächlich unterscheidenden Merkmale und nicht an das Geschlecht, läßt sich auch in Übereinstimmung bringen mit der neueren Rechtsprechung des BVerfG und der darauf basierenden Grundgesetzänderung. In der Rechtsprechung wird dem Gesetzgeber ausdrucklieh vor Augen gehalten, auf welche Weise er bestehende Benachteiligungen am wirkungsvollsten beseitigen kann. Hierzu nennt das BVerfG ausdrucklieh die Anknüpfung an die tatsächlich diskriminierenden Merkmale. 729 Nach der Gesetzesbegrundung zu Art. 3 Abs. 2 Satz 2, 2.Halbsatz GG, der Nachteilsausgleichsklausel, ist es das Ziel der Ergänzung, bestehende Nachteile auszugleichen. Deshalb ist eine allgemeine Kompensation, die keinen sachlichen Bezug zu einem konkret bestehenden Nachteil aufweist, unzulässig? 30 Diesem Ziel der Nachteilsausgleichsklausel wird man nicht durch pauschale Frauenförderung, sondern durch Beseitigung konkreter Benachteiligungen gerecht, indem beim Nachteilsausgleich an das tatsächlich benachteiligende Merkmal angeknüpft wird. Zu diesen geschlechtsneutralen Förderungsmaßnahmen, die zum Abbau faktischer Benachteiligungen von Frauen und Männern beitragen helfen, zählen beispielsweise Maßnahmen zu flexiblen, familiengerechten Arbeitszeit- und Arbeitsplatzgestaltungen. 731 Gerade auf diese 727 728 729 730 731

BVerfGE 87, 1 (47 f.). Sachs, NVwZ 1993, 345 ff. BVerfGE 85, 191 (208 f.). Ebenso H. Hofmann, FamRZ 1995,257 (262). BT-Drs. 12/6633, S. 6; 12/6000, S. 50. H. Hofmann, FamRZ 1995,257 (262).

22 Traupe

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Weise kann der Verfestigung herkömmlicher Rollenbilder am besten entgegengewirkt werden. Im übrigen werden Quotenregelungen überflüssig, gegen die durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken erhoben werden müssen.

V. Art. 3 Abs. 1 GG Wie gezeigt enthalten weder Art. 3 Abs. 3 noch Abs. 2 GG das Verbot der mittelbaren Diskriminierung. Es bleibt also nur, neutrale Regelungen mit geschlechtsspezifischen Auswirkungen an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen.

1. Kritik an der Verortung der mittelbaren Diskriminierung in Art. 3 Abs. 1 GG Die in der Literatur vereinzelt geäußerte Ansicht, geschlechtstypisch wirkende Regelungen seien anhand des Art. 3 Abs. 1 GG zu überpriifen, ist vielfacher Kritik ausgesetzt. Eieback kritisiert an dieser Auffassung, daß tatsächlich eine kausale Beziehung zwischen der neutralen gesetzlichen Regelung und der ungleichen Betroffenheit der Geschlechter bestehe. Werde die Kausalität verneint, würden einzelne Kausalfaktoren entgegen der Lehre von der Gleichwertigkeit aller Kausalfaktoren bewertet.732 Hieran anknüpfend meint Wisskirchen, es werde verkannt, welche Faktoren bei der Frage nach der Kausalität miteinander in Beziehung stehen müßten. Es ginge nicht darum, daß eine einzelne Frau von einer benachteiligenden Regelung betroffen sei. Die äquivalent-kausale Rechtsfolge der neutralen Regelung müsse vielmehr die ungleich stärkere Betroffenheit des weiblichen Geschlechts sein. Bei der Kausalität sei eine "gruppenbezogene Betrachtungsweise"733 geboten: Daß einzelne Frauen nicht unter die Regelung fielen, sei ebenso unerheblich wie der Umstand, daß einzelne Männer durch die Regelung ebenfalls benachteiligt würden. Für die ungleich stärkere Betroffenheit müßten Geschlecht und Betroffenheit nicht identisch sein. Mit dieser Kritik läuft Wisskirchen jedoch Gefahr, einem Zirkelschluß zu erliegen. Wenn sie die ungleich stärkere Betroffenheit bei einer gruppenbezogenen Betrachtungsweise als Rechtsfolge postuliert, ist dies genau der Umstand, den es nachzuweisen gilt, daß es auf diese Art der Betrachtung ankommt. Gerade das strikte Anknüpfungsverbot, nach welchem lediglich an das verpönte Kriterium angeknüpft werden muß, wird der Äquivalenztheorie einzig gerecht. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung, das neutrale Differenzierungskriterien in den Blick nimmt, muß hingegen in unzulässiger Weise Kausalfaktoren bewerten. Die bereits dargestellte Kritik zur gruppenbezogenen Betrachtungsweise 732 733

Bieback, ZIAS 1990, l (28). Wisskirr:hen, S. 59.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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soll an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Die Kritik an der Einordnung des Verbots mittelbarer Diskriminierung in Art. 3 Abs. 1 GG verkennt, daß geschlechtsneutrale Differenzierungen schon nach ihrem ersten Anschein in den Geltungsbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes gehören. Von daher liegt die Argumentationslast bei denjenigen, die das Verbot der mittelbaren Diskriminierung bei Art. 3 Abs. 2 bzw. Abs. 3 GG verortet sehen wollen. Dieser Ansatz konnte jedoch entkräftet werden. Oft wird auch die Notwendigkeit merkmalstypischer Anknüpfung bestritten. Sonderregelungen für Minister oder leitende Angestellte seien durch objektive Gründe gerechtfertigt. 734 Der Verweis auf die Rechtfertigungsebene ist jedoch nur eine bequeme Ausflucht. Denn das Unwerturteil, das durch die Erfüllung des objektiven Tatbestandes gefällt wird, bleibt trotz Rechtfertigung bestehen. Davon abgesehen ist die Rechtfertigungsprüfung immer mit einer Unsicherheit belastet, ob die Voraussetzungen auch erfüllt werden. 735 So läßt sich die Gefahr der Nivellierung aller bisherigen Differenzierungen nicht leugnen.736 Sievers '737 Kritik an dem Beispiel aus dem Strafrecht, bestimmte Delikte würden ganz überwiegend von Männern erfüllt, kann ebensowenig überzeugen. Der Einwand, es fehle an der Ungleichbehandlung von Männern und Frauen, kann kaum ernstgemeint sein. Der Hinweis, es gehe um die Bestrafung eines jeden Täters nach seiner individuellen Schuld, ist für sich genommen zwar richtig, kann aber allenfalls für die Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung Bedeutung gewinnen. Wenn er weiter eine sinnvolle Gruppenbildung an Hand von geschlechtsneutralen Kriterien wie Vollzeit- I Teilzeitbeschäftigte hier für nicht möglich hält, läßt dies eher auf ein Verständnis der mittelbaren Diskriminierung als Verbot der Umgehung unmittelbarer Differenzierungen (versteckte Diskriminierung) schließen. Selbstverständlich werden von Strafnormen alle Menschen rechtlich gleichbehandelt; gerade die Einbeziehung tatsächlicher Auswirkungen vermittelt häufig ein anderes Bild. Genau dies ist der Hintergrund des Verbots mittelbarer Diskriminierung. Deshalb kann die Notwendigkeit merkmalstypischer Anknüpfung auch nicht mit der Überlegung zurückgewiesen werden, daß die Bestrafung nicht wegen des Geschlechts oder der Geschlechtsrolle erfolge, sondern wegen der verübten Tat. Wäre es anders, wäre Art. 3 Abs. 3 GG unmittelbar anzuwenden. Im übrigen werden auch Teilzeitbeschäftigte nicht wegen ihres Geschlechts oder ihrer Geschlechtsrolle gegenüber Vollzeitbeschäftigten ungleichbehandelt Die Regelung zum Elternurlaub versucht Sievers dadurch zu retten, daß er dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung ausschließlich eine Frauen begünstigende Wirkung zuweist. 738 Eine solche asymmetrische Wirkung ist bereits an anderer Stelle zurückgewiesen worden. 734 Bieback, ZIAS 1990, 1 (29) unter Berufung auf BAG, 11. 11. 1986-3 ABR 74 I 85, AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG- Gleichberechtigung-. 735 Vgl. Wisskirchen, S. 59. 736 Vgl. W Blomeyer; Das Zusammenwirken der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit mit dem EuGH, S. 101 (ll5). 737 Sievers, S. 60.

22*

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Gerade weil die für die mittelbare Diskriminierung erforderliche Rechtfertigungs- und Verhältnismäßigkeilsprüfung eher der Sachgerechtigkeitsprüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes entspricht als der Überprüfung einer unmittelbaren Differenzierung wegen des Geschlechts739, ist das Verbot der mittelbaren Diskriminierung sinnvoll dem Art. 3 Abs. 1 GG zuzuordnen. Eine dogmatisch haltbare Begründung für einen eingeschränkten Überprüfungsmaßstab im Fall der mittelbaren Diskriminierung wird hingegen nicht geliefert. Die Berufung auf den gegenteiligen Fall der geschlechtsspezifischen Frauenförderung, die ebenfalls aus "genügend wichtigen Gründen"740 zulässig sein könnte, zeigt die ganze Problematik dieser Rechtsfigur nochmals auf. Das oben entwickelte Konzept der Einordnung in Art. 3 Abs. 1 GG und der Möglichkeit geschlechtsneutraler Förderung ist demgegenüber rationeller und dogmatisch stringenter. Mehr Gewicht hat demgegenüber der Einwand Schlachters, die Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen allein mit dem Hinweis auf einen sachlichen Grund werde dem Umstand nicht gerecht, daß eine bestimmte "Gruppe von Erwerbspersonen, die durch die geschlechtsspezifische Rollenverteilung nicht ausweichen können", durch die Regelung besonders getroffen werde. 741 Darauf, daß die geschlechtsspezifische Rollenverteilung, kein geeignetes Kriterium ist, soll hier nicht noch einmal eingegangen werden. Davon unabhängig läßt sich der Einwand entkräften, indem innerhalb der Rechtfertigungsprüfung der wertsetzenden Bedeutung des Gleichberechtigungsgebotes Rechnung getragen wird. Das gestattet eine dem Fall angemessene, flexible Rechtfertigungsprüfung, die nicht bei einer bloßen Willkürprüfung stehen bleibt. Je nach statistischer Auswirkung auf ein Geschlecht, können die Anforderungen an die Rechtfertigung unterschiedlich hoch sein. Darauf wird sogleich zurückzukommen sein.

2. Tatbestand des Art. 3 Abs. 1 GG unter Berücksichtigung geschlechtstypischer Wirkungen Abschließend stellt sich die Frage nach den Tatbestandsmerkmalen des Eingriffs in den allgemeinen Gleichheitssatz unter Berücksichtigung geschlechtstypischer Wirkungen.

738

Sievers, S. 61.

Dieser Umstand wird von Bieback, ZIAS 1990, 1 (29), klar erkannt; dennoch verleihe die Begründung des Verbots mittelbarer Diskriminierung aus Art. 3 Abs. 2 GG ihm "größere Stringenz". A.A. allerdings Schlachter, S. 81, unter unzutreffender Berufung auf Bieback. 740 Schlachter, S. 81. 741 Schlachter, S. 82. Ähnlich Fuchsloch, S. 133. 739

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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a) Allgemeiner Aufbau Grundsätzlich bestehen keine Unterschiede zu einer herkömmlichen Priifung des Art. 3 Abs. I GG, wobei jedoch innerhalb der Rechtfertigungspriifung der tatsächlichen Auswirkung auf die Geschlechter Rechnung getragen werden muß. Gleichheit in Art. 3 Abs. I GG bedeutet Rechtsgleichheit Alle Machtunterworfenen sollen eine gleichmäßige rechtliche Behandlung durch die an Art. 3 GG gebundene Macht erfahren. 742 Damit ist keineswegs die "radikale, egalitäre Gleichheitjakobinischer Prägung"743 gemeint, sondern der auf Aristoteles144 und Thomas von Aquin745 zuriickgehende Gedanke der relativen Gerechtigkeitsgleichheit 746 Maßstab der Gerechtigkeit ist es danach, ,jedem das Seine zuzuteilen"747 . Die moderne Gleichheitsdogmatik übersetzt dieses Prinzip für Art. 3 GG, daß dem Sachverhalt entsprechend Gleiches gleich und dem Sachverhalt nach Ungleiches entsprechend ungleich zu behandeln ist. 748 Daraus folgt im Ergebnis ein Verbot, vergleichbare Personen oder Sachverhalte willkürlich unterschiedlich zu behandeln.749 Auf eine Diskriminierungsabsicht kommt es nicht an, um einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. I GG unter dem Gesichtspunkt geschlechtstypischer Wirkungen festzustellen. Entscheidend ist die neutral gefaßte Anknüpfung und die nachteiligere tatsächliche Auswirkung auf eine Gruppe von Betroffenen. Selbst die beabsichtigte Bevorzugung oder Benachteiligung von typischerweise betroffenen Merkmalsträgem fallt somit nicht unter Art. 3 Abs. 2, 3 GG. 750 Zu denken ist allerdings daran, daß bei nur vorgeschobenem neutralen Differenzierungskriterium auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 Satz I, Abs. 3 Satz I GG in Betracht kommt. Dies setzt aber voraus, daß tatsächlich ausschließlich eine Gruppe von Merkmalsträgem erlaßt wird. Die folgende Konkretisierung des Priifungsaufbaus lehnt sich eng an die ältere Rechtsprechung des BVerfG an und führt zu einer Strukturierung des Gleichheitssatzes751: Ein Gleichheitsurteil kann immer nur frir zwei oder mehr Sachverhalte, 742 H.P. Jpsen, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, Grundrechte II, S. 111 (141); W Bök· kenförde, S. 71. 743 Hartmann, S. 82.

Nikomachische Ethik, V. Buch, 5 ff., 1130 b 5-1132 b 20. Summa theologica, 1111, qu 57 lco, insbes. qu 58 lco und 2co, qu 611co. 746 Leibholz, S. 244; Böckenförde, S. 24, 38; Hartrrumn, S. 82. 747 Ulpian, Digesten, 1.1.10: "iustitia est constans et perpetua voluntas, ius suum cuique tribuendi". Vgl. auch: Leibholz, S. 244; Nipperdey, RdA 1950, 121 (123); Böckenförde, S. 38; Hesse, AöR 77 (1951152), 167 (197 f.). 748 BVerfGE I, 14 (52); 4, 144 (155); 51, 295 (300); 60, 16 (42); 67, 186 (195); 78, 249 (287). Leibholz, S. 45. Vgl. auch schon Aristoteles, Nikomachische Ethik, V. Buch, 6, 1131 a 10 ff. 749 H.P. Jpsen, in: Neumann /Nipperdey I Scheuner, Grundrechte II, S. 111 (152, 157); Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 I, Rn. 305, 337; Böckenförde, S. 43 ff. 750 Vgl. Sachs, Grenzen, S. 483 f. 744

745

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

Personen oder Objekte gefallt werden. Eine solche Mehrheit von Objekten kann nur festgestellt werden, wenn sich die einzelnen Objekte in irgendeiner Hinsicht unterscheiden. Ohne unterscheidende Merkmale sind die Objekte identisch; eine Gleichheitsaussage ist unmöglich. Wird die Gleichheitsaussage hinsichtlich bestimmter Eigenschaften oder Einzelmerkmale getroffen, muß angegeben werden, worin der Bezugspunkt für die Unterscheidung liegt. Über die Feststellung, ob die übereinstimmenden oder die unterscheidenden Einzelmerkmale den Ausschlag geben sollen, kann nur ein Differenzierungskriterium (tertium comparationis) Auskunft geben. Das Differenzierungskriterium gibt der Gesetzgeber vor anhand derjenigen Merkmale, die ihm als bedeutsam erscheinen, um damit ein bestimmtes Differenzierungsziel zu erreichen. Gleichheit stellt also ein Urteil dar hinsichtlich der Wesentlichkeit oder Unwesentlichkeit der den verglichenen Objekten anhaftenden Merkmale.752 Zuerst sind die jeweiligen Unterschiede festzustellen, wobei es entschiedend auf das Differenzierungskriterium und das Differenzierungsziel ankommt. Ausgangspunkt ist also die Ungleichbehandlung zweier Gruppen von Normadressaten. Die Bildung von Vergleichsgruppen wird entscheidend durch den zu ordnenden Sachverhalt, also das Regelungsziel, bestimmt.753 Die Auswahl des Differenzierungskriteriums erschließt sich nicht aus einem logischen Denkakt, sondern ist nach wertenden Gesichtspunkten vorzunehmen. 754 Dabei existiert eine Abhängigkeit zwischen der Auswahl des tertium comparationis und der Möglichkeit zur Differenzierung: Je ungenauer die Auswahl des Differenzierungskriteriums bewerkstelligt wird, desto größer sind die Gruppen der Sachverhalte, die als gleich angesehen werden müssen, und desto geringer ist die Möglichkeit einer unterschiedlichen Behandlung. Umgekehrt, je genauer, also inhaltsreicher, das Differenzierungskriterium bestimmt ist, desto kleiner sind die Gruppen der Sachverhalte, die als gleich zu betrachten sind, folglich ist die Möglichkeit zu unterschiedlicher Behandlung umso größer. 755 Deshalb kommt es entscheidend auf eine möglichst exakte Festlegung des tertium comparationis an. Bei der Auswahl des Differenzierungskriteriums ist der Gesetzgeber nicht frei, sondern an die Grundwertentscheidungen der Verfassung gebunden, so daß subjektive Gerechtigkeitsvorstellungen unbeachtlich sind. Das Grundgesetz selbst enthält Maßstäbe für Gleich- oder Ungleichbehandlung mit seinen speziellen Gleichbehandlungsrechten, Differenzierungsverboten oder -geboten (Art. 6 Abs. 1 bzw. 751 Vgl. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 I, Rn. 1; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 3, Rn. 16aff.; Stein, § 48 III; Schach, DVBI. 1988, 863 (873). 752 Vgl. Hesse, AöR 77 (1951/52), 167 (174). 753

Kirchhof, NJW 1987, 2354 (2356); Schach, DVBI. 1988, 863 (874).

H.P. /psen, in: Neumann I Nipperdey I Scheuner, Grundrechte li, S. 111 ( 178); Hesse, AöR 77 (1951/52), 167 (174, 198); Dürig, in: Maunz/ Dürig, Art. 3 I, Rn. 1 f.; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 3, Rn. 17. 755 Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 3, Rn. 16. 754

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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Abs. 5, 33 Abs. 1-3, 38 Abs. 1 Satz 1 GG). Hieraus können weitergehende Einschränkungen folgen. Daneben hat der Gesetzgeber auch die anderen Wertentscheidungen zu beachten, aus denen sich Differenzierungsverbote ergeben können.756 Desweiteren entfaltet auch das einfache Gesetzesrecht Bindungen, weil sich die Differenzierung in das vorgegebene gesetzgebensehe System einfügen muß. Auch hat sich die Regelung in ihrem eigenen Binnenbereich systemkonform einzuordnen. Schließlich hat die Differenzierung nur Bestand, wenn sie ihr Grundanliegen konsequent durchführt und in sich folgerichtig ist. 757 Das vom Normsetzer vorgegebene und dem gesetzlichen Regelungszweck entsprechende Differenzierungsziel muß verfassungsgemäß sein.758 Bevor auf eine mittelbare ungleiche Geschlechterverteilung geblickt wird, sollte die unmittelbare Unterscheidung einer Überprüfung unterzogen werden. In den meisten Fällen handelt es sich um eine Differenzierung wegen Teilzeitarbeit Nach § 2 Abs. 1 BeschFG ist die willkürliche Schlechterstellung von Teilzeitarbeit gegenüber Vollzeitarbeit verboten. Daher lassen sich bereits auf dieser Ebene in den allermeisten Fällen sinnvolle und interessengerechte Ergebnisse erzielen, die einen Rückgriff auf die Betrachtung geschlechtsspezifischer Statistiken entbehrlich machen. Besonders gut kann dies an einem Beispiel aus der Rechtsprechung des EuGH759 erläutert werden. Die vorlegenden Arbeitsgerichte wollten vom EuGH wissen, ob tarifliche Regelungen, die auch für Teilzeitkräfte einen Überstundenzuschlag erst ab Überschreiten der tariflichen Regelarbeitszeit vorsahen, einen Verstoß gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung darstellten. Im Rahmen der Erörterung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung prüfte der EuGH vorrangig eine Ungleichbehandlung anband der Gruppen Vollzeitbeschäftigte- Teilzeitbeschäftigte760 und stellte fest, daß eine Ungleichbehandlung nur dann vorliege, wenn bei gleicher Anzahl auf Grund eines Arbeitsverhältnisses geleisteter Stunden die den Vollzeitkräften gezahlte Gesamtvergütung höher sei als die den Teilzeitkräften gezahlte. 761 In diesem Fall erhielten aber Vollzeitkräfte und beispielsweise Teilzeitkräfte mit einer vertraglichen Arbeitszeit von 18 Stunden für die 19. ArGubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 3, Rn. 20; Schoch, DVBI. 1988, 863 (874). Kirchhof, NJW 1987, 2354 (2356). 758 Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Art. 3, Rn. 21. 759 EuGH, 15. 12. 1994, Rs. C-399/92, u. a. (Stadt Lengerieb u. a.), Slg. 1994, I-5727 (5753 ff., Tz. 23 ff.). 760 Ein Verstoß gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung könne nur bejaht werden, wenn eine Regelung eine Ungleichbehandlung von Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten vorsähe und diese Ungleichbehandlung erheblich mehr Frauen als Männer beträfe. EuGH, a. a. 0 ., Tz. 23 f. Doch handelt es sich hierbei entgegen der angegebenen Verweise auf die Urteile Kowalska, Rs. C-33/89, Slg. 1990, I-2591, und Bilka, Rs. 170/84, Slg. 1986, 1607, um einen ungewöhnlichen Prüfungsaufbau. 761 EuGH, 15. 12. 1994, Rs. C-399/92, u. a. (Stadt Lengerieb u. a.), Slg. 1994, I-5727 (5754, Tz. 26). 756 757

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

beitsstunde dieselbe Gesamtvergütung. Diese Feststellung gilt auch für das Überschreiten der tariflichen Regelarbeitszeit Auch dann erhalten beide Gruppen dieselbe Gesamtvergütung unter Einschluß der Überstundenzuschläge. Dagegen ließe sich eine Ungleichbehandlung nur begründen, wenn die Anzahl der Überstunden von Vollzeitkräften und Teilzeitkräften miteinander verglichen wird. 762 Denn danach erhielten Vollzeitkräfte bereits ab der ersten Überstunde einen Zuschlag, während Teilzeitkräfte erst bei Überstunden, die gleichzeitig die tarifliche Regelarbeitszeit überschreiten, Überstundenzuschläge erhielten. Würde auf Grund dieser Annahme ein Verstoß gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung begründet, liefe dies auf das widersprüchliche Ergebnis hinaus, daß Vollzeit- und Teilzeitkräfte unterschiedlich entlohnt werden in dem Bereich, der zwischen der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit des Teilzeitbeschäftigten und dem Ende der Regelarbeitszeit liegt. 763 Führt das Verbot der mittelbaren Diskriminierung unter Berufung auf das Ziel der Herstellung von Gleichbehandlung nur zu einer erneuten Ungleichbehandlung, läßt dies Zweifel an der Stimmigkeit der Konzeption insgesamt aufkommen. Diese Ungereimtheiten lassen sich am besten vermeiden, wenn von vornherein auf die Vergleichsgruppen Vollzeitkräfte - Teilzeitkräfte abgestellt wird und nicht der "Umweg" über den statistischen Frauenanteil in der benachteiligten Gruppe gegangen wird. Daß diese Vorgehensweise ebenfalls zu sachgerechten Ergebnissen führt, belegt die neuere Rechtsprechung des BAG zu der weiter virulenten Frage der Einbeziehung Teilzeitbeschäftigter in die betriebliche Altersversorgung. 764 Hier prüft das BAG ebenfalls eine Ungleichbehandlung zu Lasten der Teilzeitbeschäftigten allein anband von Art. 3 Abs. 1 GG. Sachlich vertretbare bzw. einleuchtende Gründe für den generellen Ausschluß von unterhälftig beschäftigten Teilzeitkräften aus der betrieblichen Altersversorgung vermochte das Gericht nicht zu erkennen. Die Gruppenbildung allein nach dem Umfang der Teilzeitarbeit läßt sich nicht damit rechtfertigen, daß sie von den Tarifvertragsparteien stammt. Ihnen kommt dabei keine größere Sachkunde zu. Art. 3 Abs. 1 GG ist auch im Rahmen der Tarifautonomie zu beachten.765 Hinzu kommt, daß die betriebliche Altersversorgung nicht nur aus Gründen der Fürsorge oder Versorgung gewährt wird, sondern auch Entgeltcharakter hat. Ein völliger Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten von der betrieblichen Altersversorgung läßt sich aber wegen verminderter Arbeitszeit allein nicht rechtfertigen. Denn die damit belohnte Betriebstreue hängt nicht vom Umfang der ge762 Schüren, NZA 1993, 529 (531); Siemes, Anm. zu EuGH EAS Nr. 35 zu Art. 119 EGV (Stadt Lengeeich u. a.). 763 Dies erkennt auch Sievers, S. 88 f., an, ohne jedoch hieraus Konsequenzen zu ziehen. 764 BAG, AP Nr. 18 zu§ 1 BetrAVG- Gleichbehandlung- =E 71, 29 (38 ff.) unter BI 3 c der Gründe; BAG, 7. 3. 1995-3 AZR 282/94, AP Nr. 26 zu§ 1 BetrAVG- Gleichbehandlung- = SAE 1997, 96 ff.; BAG, 16. 1. 1996-3 AZR 767/94, AP Nr. 222 zu Art. 3 GG = SAE 1997, 105m. gemeinsamer Anm. v. Maydell/Seibold. 765 BAG, AP Nr. 26 zu§ 1 BetrAVG - Gleichbehandlung - = SAE 1997, 96 (98 f.) unter B II 2 d aa der Gründe.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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schuldeten Arbeitszeit ab. Die anteilig kürzere Arbeitszeit spiegelt sich deshalb in einer anteilig verkürzten Altersversorgung wider.766 Weiter ist der Sinn der Altersversorgung zu beachten, die der Sicherung des bisherigen Lebensstandards dienen soll. Diesen Versorgungsbedarf haben auch unterhälftig Teilzeitbeschäftigte, weil die Zusatzversorgung die Lücke zwischen der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung - so sie bestand - und der Höhe des Arbeitsentgelts helfen soll zu schließen. Der Bedarf ist im übrigen nicht wegen anderweitiger Absicherung zu leugnen. Dies hieße die Bedeutung für den Familienunterhalt von vornherein auszuklammern, was eine unzulässige Typisierung darstellen würde. 767 b) Rechtsprechung des Bundesveifassungsgerichts

Lediglich zur Abrundung soll die dogmatische Handhabung des Art. 3 Abs. 1 GG durch die Rechtsprechung des BYerfG beleuchtet werden, kontrastiert durch Stimmen aus der Literatur. Für die vorliegende Untersuchung besteht jedoch keine Notwendigkeit, ein gänzlich neues Prüfungsschema zu Art. 3 Abs. 1 GG zu entwickeln. aa) Willkürverbot Ausgangspunkt der Rechtsprechung des BYerfG ist das Gebot des Art. 3 Abs. 1 GG, wesentlich Gleiches gleich, wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Nicht beliebige Gemeinsamkeiten oder Unterschiede geben den Ausschlag für Gleich- oder Ungleichbehandlung, sondern die für den zu ordnenden Lebenssachverhalt entscheidenden Gesichtspunkte. Entsprechend priift das Gericht, ob der Gesetzgeber tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse beriicksichtigt hat, die so erheblich oder bedeutsam sind, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise hätten Beachtung finden müssen.768 Nur auf denjeweiligen Regelungszusammenhang bezogene bedeutsame Unterschiede lassen also Personen oder Sachverhalte als ungleich im Sinn von Art. 3 Abs. 1 GG erscheinen.769 Gerade in der älteren Rechtsprechung hat der Gleichheitssatz sein Gepräge als ein Willkürverbot erhalten. Der Gleichheitsgrundstz ist danach verletzt, wenn sich für eine bestimmte Maßnahme "keine vernünftigen Erwägungen finden lassen, die sich aus der Natur der Sache ergeben oder sonstwie einleuchtend sind"770. Das BVerfG versteht den Willkürbegriff dabei 766 BAG, AP Nr. 26 zu§ I BetrAVG- Gleichbehandlung- = SAE 1997, 96 (99) unter B II 2 d cc (2) der Gründe. 767 BAG, AP Nr. 26 zu§ 1 BetrAVG- Gleichbehandlung- =SAE 1997, 96 (99) unter B II 2 d dd und ee der Gründe. 768 BVerfGE I, 264 (276); 12, 341 (348); 50, 57 (77); 71 , 255 (271). 769 Vgl. Leibholz. S. 48; Martini, S. 18. 770 BVerfGE 10, 234 (246). Daneben existiert eine Vielzahl gleichbedeutender Formulierungen. Vgl. dazu Martini, S. 21 f. m. N.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

objektiv. Ein subjektiver Schuldvorwurf verbirgt sich nicht hinter der Feststellung der Willkür. Der Akzent liegt vielmehr auf der Evidenz der Unsachlichkeit oder Ungerechtigkeit einer Regelung. Dahinter verbirgt sich eine Sichtweise, die den Gleichheitssatz primär durch den Gesetzgeber ausgefüllt wissen und erst bei augenscheinlicher Ungerechtigkeit die Kontrolle durch das Gericht auf den Plan rufen will. 771

bb) Neue Formel Die sogenannte neue Formel des I. Senats, die von ihm seit 1980 ständig angewandt wird, stellt als Verbot einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung von Personengruppen oder Normadressaten eine Ergänzung des Willkürverbots dar. Art. 3 Abs. 1 GG ist danach verletzt, "wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten"772. Danach muß die rechtliche Unterscheidung eine ausreichende Stütze in sachlichen Unterschieden finden. Hierzu müssen Lebenssachverhalte verglichen werden, die einander nie in allen, sondern stets nur in einzelnen Merkmalen gleichen. Unter diesen Umständen ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, die für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung maßgebenden Gesichtspunkte auszuwählen. 773 Art und Gewicht der tatsächlichen Unterschiede dürfen dabei nichtsachwidrig außer acht gelassen werden. Eine weitergehende Einschränkung kann sich allerdings aus anderen Verfassungsnormen ergeben.774 Mit der neuen Formel wird das Schwergewicht von der Evidenzkontrolle zur verfassungsgerichtlichen Abwägung in Richtung auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung verlagert.775

cc) Literatur In der Literatur neigt eine stärker werdende Ansicht dazu, die Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG der Prüfung der Freiheitsgrundrechte anzunähern, indem auch

eine Verhältnismäßigkeitsprüfung einbezogen wird. Gleichheitsrechte und FreiSachs/Osterloh, Art. 3, Rn. 10. m BVerfGE 22, 387 (415); 55, 72 (88); 82, 126 (146)- hier positiv famuliert-; 85, 191 (210); 87, 1 (36); 87, 234 (255); 88, 5 (12); 94, 241 (260). So ausdriicklich auch der 2. Senat, 771

BVerfGE 65, 377 (384). 773 BVerfGE 13, 181 (202); 83, 395 (401); 87, 1 (36). 774 BVerfGE 87, 1 (36 f.); 94,241 (260). 775 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Anh., Rn. 6; Hesse, FS Lerche, S. 121 (122); Martini, S. 56.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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heitsrechte unterscheiden sich ihrer Struktur nach, so daß sich eine undifferenzierte Übertragung des für die Freiheitsgrundrechte entwickelten Prüfschemas auf das Gleichbehandlungsgrundrecht verbietet. 776 Deshalb berücksichtigen einige Stimmen in der Literatur die Verhältnismäßigkeitsprüfung innerhalb des herkömmlichen, an der Rechtsprechung des BVerfG angelehnten, Prüfschemas. 777 Andere werten dagegen Ungleichbehandlungen als Eingriffe in das Gleichheitsgrundrecht und prüfen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz innerhalb der Schranken-Schranken.778

dd) Synthese Zwischen Willkürverbot und neuer Formel besteht jedoch keine strikte Trennung, die eine Entscheidung für die eine oder andere Ausprägung gebieten würde. Auch für die Integration einer Verhältnismäßigkeitsprüfung bedarf es keiner Entscheidung des Grundsatzstreites, ob Art. 3 Abs. I GG analog einem Freiheitsgrundrecht zu prüfen ist. 779 Gleichwohl kann man einen unterschiedlichen Anwendungsbereich zwischen Willkürverbot und neuer Formel ausmachen: Die Unterscheidung läßt sich nach der Personenbezogenheit des Differenzierungskriteriums treffen. Liegt eine Ungleichbehandlung von Personengruppen in einem personenbezogenen Merkmal vor, kommt die neue Formel zur Anwendung. Enthält die Differenzierung stattdessen ein verhaltensbezogenes Unterscheidungsmerkmal, prüft das BVerfG anband des Willkürverbots, wenn es den Betroffenen möglich ist, den Eintritt der negativen Folgen durch ihr Verhalten zu beeinflussen. 780 Auf diese Weise läßt sich die neue Formel der persönlichen, die Willkürprüfung der sachlichen Rechtsgleichheit zuordnen. 781 In der neueren Rechtsprechung verfolgen beide Senate, wenn auch mit unterschiedlichen Formulierungen, eine Integration von Willkürverbot und verhältnismäßiger Gleichheit. Eine zusätzliche eigenständige Willkürprüfung findet nicht mehr statt.782 So formuliert der l. Senat beispielsweise im zweiten Transsexuellen776 Auch Kloepfer, S. 54 ff., der eine Priifung wie bei anderen Grundrechten vornehmen will, ist zu Modifikationen des Aufbaus gezwungen. Hierzu kritisch G. Müller, VVDStRL 47 (1989), 37 (40 f.). 777 Ale.xy, S. 364 ff. , 390 f.; Wendt, NVwZ 1988,778 (782 ff.); Pieroth/Schlink, Rn. 484 ff.; Hesse, FS Lerche, S. 121 (128 ff.); Maaß, NVwZ 1988, 14 (20 f.). 778 Kloepfer, S. 54 ff.; Huster, S. 225 ff. 779 Vgl. auch Hesse, FS Lerche, S. 121 (123 ff.), der insbes. darauf hinweist, daß die Rechtsprechung beider Senate die Priifung einer Verletzung des Gleichheitssatzes um Ele-

mente des Verhältnismäßigkeitsprinzips erweitert hat und auch der 2. Senat die "neue Formel" gelegentlich verwendet. 780 Vgl. BVerfGE 55, 72 (89); 89, 15 (22); 90, 46 (56). 781 Dazu: Hesse, FS Lerche, S. 121 (124); Martini, S. 47 ff. 782 Sachs/Osterloh, Art. 3, Rn. 30 ff.

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

beschluß vom 26. Januar 1993783 sehr plastisch: "Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordemisse reichen. Die Abstufung der Anforderungen folgt aus Wortlaut und Sinn des Art. 3 Abs. 1 GG sowie aus seinem Zusammenhang mit anderen Verfassungsnormen." Je nach Regelungsgegenstand ergibt sich also eine unterschiedliche Anforderung an die Prüfungsdichte des BVerfG. Das ist auch nach der Rechtsprechung des 2. Senats nicht anders. Dieser verpflichtet den Gesetzgeber in seinen Obersätzen auf eine sachgerechte Auswahl derjenigen Sachverhalte, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpfen, die er also im Rechtssinn als gleich ansehen will. 784 "Was dabei in Anwendung des Gleichheitssatzes sachlich vertrebar oder sachfremd ist, läßt sich nicht abstrakt und allgemein feststellen, sondern nur stets in bezug auf die Eigenart des konkreten Sachbereichs, der geregelt werden soll"785 . Auch die Rechtsprechung des 2. Senats begnügt sich keineswegs mit einer bloßen Willkürprüfung, sondern integriert in die Gleichheitsüberlegungen sach- und regelungsbereichsspezifische Abwägungen. 786 Folglich differenzieren beide Senate des BVerfG die Kontrollmaßstäbe für den allgemeinen Gleichheitssatz und orientieren die Kontrolldichte in Abhängigkeit von Sachverhalt und Regelungsgebiet. 787 Hinsichtlich der Ungleichbehandlung von Personengruppen haben sowohl der 1. Senat explizit als auch der 2. Senat implizit herausgestellt, daß der Gesetzgeber einer umso strengeren Bindung unterliegt, ,je mehr sich die personenbezogenen Merkmale den in Art. 3 Abs. 3 GG genannten annähern [ ... ]"788 , da "der Grundsatz, daß alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindem soll [ ... ]"789 . Dies belegt, daß ein Einfließen der Wertungen des Gleichberechtigungssatzes nach der Rechtsprechung des BVerfG möglich und geboten ist. Aus der unterschiedlichen Weite des Gestaltungsspielraums beim Gesetzgeber folgt auch eine abgestufte Kontrolldichte in der verfassungsgerichtlichen Prüfung. 790 BVerfGE 88, 87 (96); 89, 15 (22); vgl. noch E 89, 365 (375). BVerfGE 21, 12 (26); 23,242 (252); 53,313 (329); 90, 145 (196). 785 BVerfGE 90, 145 (196); 93, 319 (348 f.); ganz ähnlich der 1. Senat, BVerfGE 90, 226 (239), allerdings bezogen auf das Gebot der Ungleichbehandlung von Ungleichem. Auffällig ist dabei, daß der 2. Senat früher formulierte: "Was dabei in Anwendung des Gleichheitssatzes sachlich vertretbar oder sachfremd und deshalb willkürlich ist. .. ". Der Hinweis auf die Willkürlichkeit findet sich in der neueren Rechtsprechung nicht mehr. 786 Sachs/Osterloh, Art. 3, Rn. 37. Hesse, FS Lerche, S. 121 (125 f.), sieht hier eine Annäherung an die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit 787 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Anh., Rn. 6. Interessant ist der Vergleich mit der Willkür-Rechtsprechung bei Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bezogen auf Vorlagefragen nach Art. 177 Abs. 3 EGV: Rodi, DÖV 1989,750 ff. 788 BVerfGE 88, 87 (96); vgl. auch E 55, 72 (89). Für den 2. Senat: E 65, 377 (384). 789 BVerfGE 88, 87 (96). 783

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B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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Mit dieser Feststellung korrespondiert die weitere Erkenntnis, daß Art. 3 Abs. 1 GG seine Maßstäbe auch aus dem übrigen Verfassungsrecht bezieht. 791 Als Beispiel sei nochmals die Entscheidung des BVerfG zur friiheren steuerlichen Zusammenveranlagung von Ehegatten herangezogen. Hier leitete das BVerfG aus der Wertentscheidung des Art. 3 Abs. 2 GG ab, daß der sog. Edukationseffekt, die Ehefrau ins Haus zuriickzuführen, die Zusammenveranlagung nicht rechtfertigen kann. 792 So läßt sich die Beriicksichtigung der objektiven Wertentscheidung des Verfassungsgesetzgebers für die Gleichberechtigung der Frau bruchlos in die Priifung des allgemeinen Gleichheitssatzes integrieren. Behandelt eine Regelung Personengruppen unterschiedlich, wird im einzelnen nachgepriift, "ob für die vorgesehene Differenzierung Griinde von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können". 793 Ist festgestellt, daß zwei Sachverhalte, die nicht ausdrucklieh nach dem Geschlecht differenzieren, sich unterschiedlich auf Männer und Frauen auswirken, muß bei der Priifung der Rechtfertigung die wertsetzende Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 GG beriicksichtigt werden. Keineswegs genügt zur Rechtfertigung die Erwägung, daß die vom Gesetzgeber gewählte Differenzierung nicht willkürlich sei. Vielmehr ist die Regelung einer Sachgerechtigkeits- bzw. Verhältnismäßigkeitspriifung zu unterziehen, deren Anforderungen, insbesondere hinsichtlich der Angemessenheit, mit dem Ausmaß der unterschiedlichen faktischen Auswirkungen steigen. Wird also z. B. eine geschlechtsneutrale Unterscheidung nach dem Differenzierungskriterium der Arbeitszeit überpriift, können in Abhängigkeit der tatsächlichen überwiegenden nachteiligen Betroffenheit von Frauen die Wertentscheidungen des Gesetzgebers aus dem Gleichberechtigungsgebot bei der Rechtfertigungspriifung nicht unberiicksichtigt bleiben. Diese Erwägungen lassen sich in die Rechtfertigungspriifung einer Ungleichbehandlung einbauen. Eine Ungleichbehandlung kann durch die tatsächlichen Unterschiede oder durch das Regelungsziel gerechtfertigt werden. Dabei vermögen nur tatsächliche Unterschiede "von solcher Art und solchem Gewicht" eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Unterschiede sind von solcher Art, daß sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können, wenn die Differenzierung im Hinblick auf die tatsächlichen Unterschiede geeignet und erforderlich ist, das Regelungsziel zu erreichen. Die legitimierenden Unterschiede müssen daneben gewichtig genug sein, die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. 794 Hier sind das Gewicht der Ungleichbehandlung und die Unterschiede gegeneinander abzuwägen unter BeriickBVerfGE 88, 87 (96 f.). BVerfGE 13, 290 (298 f.); 17, 210 (217); 65, 104 (113); Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 I, Rn. 2; Sachs, Grenzen, S. 486. 792 BVerfGE 6, 55 (80 ff.). 793 BVerfGE 88, 87 (97); vgl. BVerfGE 82, 126 (146). 794 Wendt, NVwZ 1988, 778 (784 ff.). 79Q

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3. Kap.: Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung

sichtigung der Bedeutung für die Verwirklichung des Regelungszieles. Auch ein Regelungsziel von entsprechender Art und entsprechendem Gewicht kann eine Ungleichbehandlung rechtfertigen. Dazu muß das Differenzierungsziel verfassungsgemäß sein, und die Ungleichbehandlung muß geeignet sowie erforderlich sein, das Regelungsziel zu erreichen. Darüber hinaus müssen Differenzierung und Regelungsziel in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.795 Hierbei wird die Beachtung eines inneren Zusammenhangs zwischen dem aus dem gesetzgebensehen Ziel abgeleiteten Differenzierungskriterium und dem Differenzierungsziel gefordert, so daß die vorgenommene Differenzierung geeignet ist, das Regelungsziel zu verwirklichen. 796 Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß das Differenzierungsziel noch nicht den zureichenden Differenzierungsgrund bildet.797 Das Differenzierungskriterium ergibt sich durch Werturteil an Hand des Differenzierungszieles.798 Der Gesetzgeber muß an dieser Stelle also eine Abwägung treffen zwischen dem Interesse an der Erreichung des Regelungszieles und dem Interesse an der Gleichbehandlung.799 Als Regelungsziel kommt hierbei das vom EuGH angesprochene wirkliche Bedürfnis des Unternehmers bzw. das notwendige oder legitime Ziel der mitgliedstaatliehen Sozialpolitik in Betracht. Konkret ergibt sich also aus der Relation von Differenzierungskriterium und Differenzierungsziel die rechtliche Richtigkeit des Gleichheitsurteils. Die Differenzierung ist ihrer Art nach geeignet, den vorgefundenen Unterschieden der Vergleichssachverhalte Rechnung zu tragen, wenn der Gesetzgeber die Differenzierung in Abhängigkeit vom verfolgten Zweck sachgerecht vorgenommen hat. Bei der Erforderlichkeit der Differenzierung wird gefragt, ob eine in ihrem Ausmaß weniger einschneidende Ungleichbehandlung ausgereicht hätte, den Regelungszweck zu erreichen. Im Rahmen der Angemessenheit ist zu prüfen, ob die Unterschiede zwischen den Vergleichssachverhalten so gewichtig sind, daß sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können. Dabei ist das Gewicht der zu beurteilenden Ungleichbehandlung gegen das der als Differenzierungskriterium gewählten Unterschiedlichkeit abzuwägen. 800

795

Vgl. dazu Schach, DVBI. 1988, 863 (874); Ale.xy, S. 390 f.; Kloepfer; S. 62 f.; Martini,

s. 76f.

796 Vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein, Art. 3, Rn. 15 ff., 33; Friauf, S. 14 ff.; Gusy, JuS 1982, 30 (34); ders., NJW 1988, 2505 (2507 ff.); Gallwas, S. 39 ff.; AK/ Stein, Art. 3, Rn. 34, 48 f., 52 ff. 797 Podlech, S. 109 ff.; 114 f.; Schoch, DVBI. 1988, 863 (874). 798 Wendt, NVwZ 1988, 778 (785); ähnlich schon Böckenförde, S. 72 f. 799 Wendt, NVwZ 1988, 778 (785); G. Müller; VVDStRL 47 (1989), 37 (49 ff.): Diese Prüfung ähnele zwar einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, sei aber von ihr zu unterscheiden. soo Dazu: Wendt, NVwZ 1988 (784 ff.); Martini, S. 266 ff.

B. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art. 3 GG

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c) Zusammenfassung Hier soll den vorhandenen Vorschlägen, wie Art. 3 Abs. 1 GG zu prüfen ist, kein weiterer hinzugefügt werden. Dies läge außerhalb des Untersuchungszieles und würde den Rahmen der Bearbeitung sprengen. Unabhängig vom zugrundeliegenden Prüfungsschema und damit unabhängig von der Diskussion, ob der Gleichheitssatz wie ein Freiheitsgrundrecht zu prüfen ist oder nicht, konnte nachgewiesen werden, daß sich der Rechtsgedanke, die Wertung des Art. 3 Abs. 2 GG zu berücksichtigen, in die Gleichheitsprüfung integrieren läßt. Für die Berücksichtigung dieses Rechtsgedankens ist die hinter dem Streit stehende Frage, wie weit der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers reicht, irrelevant, weil sich bei jeder Auffassung wenigstens ein Anknüpfungspunkt für die Einbeziehung von Art. 3 Abs. 2 GG findet. Dies gilt insbesondere, wenn man der neuesten Rechtsprechung zur Rechtfertigungsprüfung in Art. 3 Abs. I GG folgt, die bei der Ungleichbehandlung von Personengruppen einen umso strengeren Maßstab bishin zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse anlegen will, je mehr sich die personenbezogenen Merkmale den in Art. 3 Abs. 3 GG aufgeführten annähern. Die flexible Rechtfertigungsprüfung weist zudem eine Reihe von Vorteilen auf. So kann das Ausmaß der nachteiligen Betroffenheit ebenso berücksichtigt werden wie das Maß des Überwiegens des Frauenanteils. Aus systematischer Sicht ist nicht unerheblich, daß dogmatische Brüche vermieden werden, die bei der Einordnung unter Art. 3 Abs. 2, 3 GG entstehen würden. Denn eine Subsumtion des Verbots mittelbarer Diskriminierung unter diese Vorschriften widerspräche den europarechtliehen Vorgaben des EuGH bezüglich der Rechtfertigungsprüfung. Nur auf der Ebene des Art. 3 Abs. 1 GG läßt sich eine derartige Verhältnismäßigkeitsprüfung durchführen, nicht beim absoluten Anknüpfungsverbot. Allein auf diese Weise lassen sich die europarechtlichen Vorgaben mit der neuesten Rechtsprechung des BVerfG zur Rechtfertigung einer Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in Übereinstimmung bringen. Folgt man diesem Ansatz, erübrigt sich die Frage nach dem Verhältnis von Art. 119 EGV zu Art. 3 GG.

Zusammenfassung Nach Auffassung des EuGH verstößt § 37 BetrVG, der für teilzeitbeschäftigte weibliche Betriebsratsmitglieder bei einer Schulungsteilnahme einen Freizeitausgleich oder eine Entlohnung über die individuelle Arbeitszeit hinaus nicht vorsieht, gegen Art. 119 EGV bzw. die Richtlinie 75/117 /EWG, wobei die Frage der Rechtfertigung in der neueren Rechtsprechung offengelassen wird. Bei der Subsumtion wird jedoch nicht beachtet, daß die Grenze des Wortlauts als äußerste Auslegungsgrenze überschritten wird, wenn die Schulungsteilnahme von Betriebsratsmitgliedern als Arbeit angesehen wird. Zwar setzt das Amt des Betriebsrats das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraus. Doch existiert dieses Amt neben dem Arbeitsverhältnis. Im übrigen streitet das Ehrenamtsprinzip gegen eine Qualifizierung der Betriebsratstätigkeit als Arbeitsleistung. Das zur Betriebsratsarbeit Gesagte gilt genauso für die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen nach § 37 Abs. 6 BetrVG. Der Anspruch auf Weitergewährung des Lohnes trotz Teilnahme an einer Betriebsratsschulung beruht allein auf dem Arbeitsvertrag und ist kein hiervon gelöster Vergütungsanspruch aus dem Betriebsverfassungsgesetz. Konsequenz der Ansicht des EuGH, der davon ausgeht, daß der Lohnweiterzahlungsanspruch allein auf § 37 Abs. 6 S. 1 i.V.m. Abs. 2 BetrVG beruht, ist, daß nicht der Lohn für die ausgefallene Arbeit weitergezahlt wird, sondern die Betriebsratstätigkeit und sogar die Teilnahme an den Schulungsveranstaltungen selbst vergütet wird. Dies hätte weitreichende Folgen, die mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Arbeitnehmervertretungsrechts nicht zu vereinbaren sind. Auf Grund der weiten Definition des Entgeltbegriffes ist die Lohnweiterzahlung nach § 37 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 BetrVG isoliert betrachtet Entgelt. Doch wird das Entgelt - und das ist entscheidend - nicht für Arbeit, sondern trotz des durch die Betriebsratsarbeit oder die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen bedingten Arbeitsausfalls gewährt. Allein von daher ist die Anwendung des Art. 119 EGV nicht eröffnet. Bei § 37 Abs. 6 BetrVG kommt nur ein Verstoß gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung in Betracht. Denn das Lohnausfallprinzip gilt in gleicher Weise für Männer wie für Frauen, ist also geschlechtsunspezifisch. Zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen des Verbots der mittelbaren Diskriminierung ist zu bemerken:

Zusanunenfassung

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Wird bei der Feststellung einer wesentlich größeren nachteiligen Auswirkung für ein Geschlecht nur auf den Frauenanteil in der benachteiligten und in der begünstigten Gruppe geschaut, also der Anteil männlicher Arbeitnehmer völlig unberücksichtigt gelassen, fehlt es an einem tatsächlichen Vergleich zwischen den Geschlechtem. Eine Anknüpfung des Verbots der mittelbaren Diskriminierung an Art. 119 EGV bzw. Art. 3 Abs. 2, 3 GG läßt sich dogmatisch nicht mehr rechtfertigen, weil diese Normen immer eine Ungleichbehandlung zwischen Frauen und Männem voraussetzen. Das alleinige Überwiegen der Frauen in der benachteiligten Gruppe als Kriterium reicht nicht aus, wenn Frauen insgesamt in der Gesamtbelegschaft überwiegen. Zudem ist eine kollektive Betrachtung erforderlich: Handelt es sich um Maßnahmen, die auf Gesetzen beruhen, bilden alle erwerbsfähigen Personen die Gruppe, deren Daten auf geschlechtsspezifische Unterschiede hin zu untersuchen sind. Bei tarifvertragliehen Regelungen müssen die Daten derjenigen Personen berücksichtigt werden, die unter den räumlichen und fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen. Der Doktrin der mittelbaren Diskriminierung ist es nicht gelungen, die Frage nach der Wesentlichkeit oder Erheblichkeit des Unterschieds in der Betroffenheit und damit in der Benachteiligung zu beantworten. Stattdessen wird ein statistisches Übergewicht als "Beweis" für eine Diskriminierung angesehen, ohne zu überprüfen, ob Gegenstand von Gleichheitsüberlegungen überhaupt eine statistische Größe sein kann. Es wird nicht beachtet, daß der Gleichheitsgedanke nur individuelle Gerechtigkeit vermitteln will und kann, Quantitäten dabei ohne Bedeutung sind. Zum Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung gehört eine Kausalitäts- bzw. Zurechenbarkeitsprüfung, die meist mit dem Kriterium umschrieben wird, daß die benachteiligende Wirkung einer Vereinbarung, Maßnahme oder Regelung auf dem Geschlecht bzw. der Geschlechtsrolle beruhen muß. Tatsächlich wird die Kausalität im Fall von geschlechtsneutralen Regelungen allein durch das Merkmal "Geschlechtsrolle" konstituiert, um wenigstens den Schein einer Anknüpfung an das Merkmal "Geschlecht" in Art. 119 EGV bzw. Art. 3 GG zu wahren. Tatsächlich fehlt aber allen Konzeptionen des Verbots einer mittelbaren Diskriminierung eine schlüssige Kausalverknüpfung. Für den Zurechnungszusammenhang kommt es auf die Frage an, ob der Arbeitgeber gleichsam als "Funktionär der Gesellschaft" gezwungen ist, durch Staat und Gesellschaft verursachte Versäumnisse vorrangig zu beseitigen. Zurechenbar ist nur das vom Arbeitgeber wenigstens mitzuverantwortende Verhalten. Eine benachteiligende Wirkung einer Regelung oder Maßnahme ist objektiv nur dann als mittelbare Diskriminierung zurechenbar, wenn hierdurch ein weiterer Umstand gesetzt wird, der die bereits vorhandenen ungleichen Ausgangspositionen noch verschlechtert. Bei § 37 BetrVG kann nicht davon gesprochen werden, daß das Lohnausfallprinzip die vorgefundene gesellschaftliche Situation teilzeitbeschäftigter Frauen noch verschlechtert. Die Regelung, daß jeder Arbeitnehmer den Lohn wei23 Traupe

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tergezahlt bekommt, den er erhalten hätte, wenn er am Arbeitsplatz gearbeitet hätte, ist insoweit neutral. Kommt es infolgedessen zu einer statistisch erfaßbaren Ungleichbehandlung zwischen Männem und Frauen, spiegelt das nur die allgemeine Situation wider. Wie jede Ungleichbehandlung kann auch eine mittelbare Benachteiligung gerechtfertigt werden. Umstritten ist der Prüfungsmaßstab. Die unterschiedlichen Kriterien reichen von einem sachlichen Grund über einen biologischen bzw. funktionalen Unterschied, bishin zu der Forderung, die Unterscheidung müsse zwingend geboten sein. Der EuGH verlangt ein wirkliches Bedürfnis des Unternehmens bzw. ein (anerkennenswertes) Ziel der mitgliedstaatliehen Sozialpolitik gekoppelt mit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung. Nach der Beweislastrichtlinie 97 /80/EG sind zur Rechtfertigung nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe und die Angemessenheil und Notwendigkeit der Regelungen erforderlich. Anforderungen, die vom Niveau her über diesen Maßstab hinausgehen, führen im Ergebnis dazu, daß mittelbar diskriminierende Regelungen überhaupt nicht zu rechtfertigen sind. Angesichts der Offenheit des Tatbestandes, der wesentlich von statistischen Werten bestimmt wird, ist das ein unhaltbares Ergebnis. Unter Geltung des vom EuGH und von der Richtlinie zur Beweislast vorgegebenen Maßstabs vermögen das Ehrenamts- und das damit zusammenhängende Lohnausfallprinzip eine mittelbare Diskriminierung zu rechtfertigen. Das Amt des Betriebsrats als Ehrenamt ist unentgeltlich zu führen. Dies sichert die Unabhängigkeit der Amtsführung des Betriebsrats. Das Betriebsratsmitglied wird nicht für seine Tätigkeit oder die Teilnahme an Schulungen entlohnt. Sonst würden sie eine zusätzliche Vergütung erhalten, was eine Bevorzugung gegenüber vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern darstellte, die für aufgewendete Zeit jenseits der betrieblichen Vollarbeitszeit keine weitere Vergütung erhielten. Die Unentgeltlichkeil des Amtes bedeutet, daß ein Betriebsrat gegebenenfalls Freizeit ersatzlos aufwenden muß, solange das Gesetz nicht ausdrücklich Gegenteiliges bestimmt. Das hieraus folgende Lohnausfallprinzip ist dadurch gekennzeichnet, daß der vertragliche Lohn- oder Gehaltsanspruch fortbesteht, obwohl wegen der Betriebsratstätigkeit die Arbeitsleistung nicht erbracht worden ist. In diesem Fall entsteht der Anspruch, wenn ohne die Betriebsratstätigkeit am Arbeitsplatz gearbeitet worden wäre (§ 37 Abs. 2 BetrVG). Das Lohnausfallprinzip gilt gleichermaßen für vollzeitbeschäftigte wie für teilzeitbeschäftigte Mitglieder des Betriebsrats. § 37 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 BetrVG ist eine Konkretisierung des in § 78 S. 2 BetrVG verankerten Benachteiligungsverbots und läßt den Vergütungsanspruch auch für die wegen Betriebsratsschulungen versäumte Zeit bestehen. Keineswegs ist die Teilnahme an der Schulungsveranstaltung als unmittelbare, wie Arbeit zu vergütende Betriebsratsarbeit anzusehen. An der Verhältnismäßigkeit dieser Regelung besteht kein Zweifel. Denn insbesondere ein milderes Mittel als das Verbot, die Tätigkeit wie die Schulungsteilnahme durch den Arbeitgeber bezahlen zu las-

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sen, ist nicht ersichtlich, um das Ziel der unentgeltlichen ehrenamtlichen Amtsführung zu erreichen. Hinsichtlich der Bestinunung der Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung gehen EuGH und BAG davon aus, daß die Regelung für die bevorzugte Gruppe auf die bislang benachteiligte Gruppe auszudehnen ist. Das BVerfG mißt für das deutsche Verfassungsrecht dem Art. 3 GG jedoch nicht eine derart anspruchserzeugende Wirkung zu, sondern erklärt die inkriminierte Norm für unvereinbar mit dem Gleichbehandlungssatz und überläßt dem Gesetzgeber eine Neuregelung. Der EuGH stützt seine Auslegung auf eine Zusanunenschau von Art. 119 und Art. 117 EGV. Doch ist der zwischen beiden Vorschriften hergestellte Zusanunenhang rein vom Ergebnis her gedacht und systematisch aus dem Vertrag nicht zu begründen. Der hierdurch bewirkte teilweise Einbruch in die mitgliedstaatliche Kompetenz für Lohntindung und Lohngestaltung ist mit dem Grundsatz der Subsidiarität nicht zu vereinbaren. Art. 119 EGV legt nur den gleichen Verteilungsmaßstab fest. Das Subsidiaritätsprinzip als Auslegungsmaxime zur Austarierung und Wahrung der vertraglichen Kompetenzverteilung zwingt daher zu der Folgerung, daß die automatische Angleichung nach oben keineswegs die vom effet utile her gebotene Rechtsfolge des Art. 119 EGV darstellt. Denn die verbindliche Verpflichtung zur Neubestinunung der Rechtsfolge unter Beachtung der gerichtlichen Vorgaben durch den dazu berufenen Normgeber ist ebenfalls geeignet, den bisher Benachteiligten zu einer Norm zu verhelfen, die einen gerechten Verteilungsmaßstab beinhaltet. Auch Art. 3 GG enthält keine Vorgaben für eine Umgestaltung einer gleichheitswidrigen Rechtslage. Denn im Kern ist nicht die eine oder die andere der beiden zum Vergleich gestellten Regelungen zu beanstanden, sondern nur die durch sie für beide Vergleichsgruppen erzeugte Unterschiedlichkeit, also der unterschiedliche Verteilungsmaßstab. Art. 3 GG und Art. 119 EGV gewährleisten beide, daß der Maßstab für die Zuteilung von Leistungen, wie z. B. Entgelt, der gleiche ist. Zur Durchsetzung von Gleichbehandlungsklagen ist in aller Regel eine Umkehr der Beweislast nicht erforderlich. Ausreichend ist die Zubilligung von Auskunftsansprüchen. Der EG steht eine Kompetenz zur Etablierung einer Beweislastumkehr bei geschlechtsbedingten Diskriminierungen nicht zu. Die Unschärfe der Tatbestandsvoraussetzungen des Verbots mittelbarer Diskriminierungen in Verbindung mit dem vom EuGH weit ausgelegten Entgeltbegriff eröffnen ein nicht vorhersehbares Anwendungsfeld für das Verbot der mittelbaren Diskriminierung und engen die Gestaltungsfreiheit des nationalen Gesetzgebers stark ein. Der Lohnweiterzahlungsanspruch der teilzeitbeschäftigten Betriebsrätin ergibt sich auch nicht aus den Richtlinien 75 I 117 /EWG und 76/207 /EWG, da die 23*

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Lohngewährung nach § 37 BetrVG keine "Arbeitsbedingung" im Sinn der letztgenannten Richtlinie ist und der Richtlinie eine horizontale Wirkung nicht zukommt. Unter dem Gesichtspunkt eines Staatshaftungsanspruchs wegen mangelhafter Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207 /EWG ergibt sich kein abweichendes Ergebnis. Weder aus den Rechtsgrundlagen des deutschen Verfassungsrechts noch aus denen des Arbeitsrechts folgt ein Anspruch einer teilzeitbeschäftigten Betriebsrätin auf Weiterzahlung des Lohnes für außerhalb ihrer Arbeitszeit liegende Zeiten einer Betriebsratsschulungsteilnahme. Eine Ungleichbehandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten nach Art. 1 § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 um der Teilzeitarbeit selbst willen, also allein wegen der Teilzeitarbeit, ist unzulässig. § 2 Abs. 1 BeschFG gebietet die grundsätzliche Gleichbehandlung von Vollzeit- und Teilzeitarbeitnehmern und verbietet damit eine willkürliche Schlechterstellung der teilzeitbeschäftigten im Vergleich zu den vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern eines Betriebes in bezug auf alle das Individualarbeitsrecht betreffenden Arbeitsbedingungen von Teilzeitarbeitnehmern. Insbesondere Entgeltregelungen in allen Ausprägungen sind erlaßt, wie Arbeitsvergütung, Zulagen, Prämien oder Sonderleistungen. Unmittelbar aus dem Grundsatz, daß nicht die Teilnahme an der Schulungsveranstaltung selbst vergütet wird, folgt, daß das Lohnausfallprinzip keine Ungleichbehandlung zwischen Vollzeitkräften und Teilzeitkräften bewirkt. Vielmehr werden beide Gruppen gleichbehandelt, indem ihnen bei der Teilnahme an Schulungsveranstaltungen der jeweils hypothetisch am Arbeitsplatz erzielte Lohn weitergezahlt wird. Ein Vergütungsanspruch ergibt sich nicht aus § 37 Abs. 3 BetrVG. Zwar ist die Vorschrift auf Teilzeitbeschäftigte anwendbar. Denn der Wortlaut des Gesetzes differenziert nicht zwischen teilzeit- und vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern. Maßgeblich ist, ob die jeweilige Betriebsratstätigkeit außerhalb der persönlichen Arbeitszeit und das damit verbundene individuelle Freizeitopfer betriebsbedingt ist oder nicht. Dabei kommt es immer auf den vom Arbeitgeber im konkreten Fall begründeten Sachzwang an, Betriebsratsaufgaben außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen. Für die Einführung eines weiteren Kriteriums der unzumutbaren Härte gibt es weder im Gesetz einen Anhaltspunkt, noch ließe sich dies mit dem Prinzip der Ehrenamtlichkeil vereinbaren. Gegen die Gleichsetzung von Betriebsratstätigkeit und Schulungsteilnahme im Rahmen des Absatzes 3 spricht schon der Wortlaut des Gesetzes. Betriebsratsarbeit und Schulungsveranstaltung sind zwei völlig unterschiedliche Sachverhalte. Zudem steht das systematische Verhältnis zwischen § 37 Abs. 2 und Abs. 3 BetrVG einer Gleichsetzung entgegen. Wenn es keinen Unterschied zwischen Betriebsratsarbeit und Schulungsteilnahme gäbe, wäre die Sonderregel des § 37 Abs. 6 S. 1 BetrVG nicht zu erklären, die nur auf den Absatz 2, nicht auch auf Absatz 3 verweist. Als Ausnahmevorschrift zum Lohnausfallprinzip ist § 37 Abs. 3 BetrVG eng auszulegen. Zudem beruht die Teilnahme an Schulungen einschließlich der

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An- und Abreise außerhalb der Arbeitszeit regelmäßig nicht auf betriebsbedingten Gründen, sondern entspringt der Lage der Schulungsveranstaltung, auf die der Arbeitgeber keinen Einfluß hat. Daher steht auch dieser Gesichtspunkt einem Anspruch aus § 37 Abs. 3 BetrVG entgegen. Eine analoge Anwendung des § 37 Abs. 3 BetrVG zur Begründung des Ausgleichsanspruchs scheitert sowohl an der fehlenden Regelungslücke in § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG als auch am Charakter des § 37 Abs. 3 BetrVG als Ausnahmevorschrift und an der Unvergleichbarkeit der jeweiligen Interessenlage im Fall der Betriebsratstätigkeit und der Schulungsteilnahme. Die Verweisung von Absatz 6 Satz 1 des § 37 BetrVG lediglich auf Absatz 2 dieser Norm ist kein Versehen des Gesetzgebers gewesen, sondern steht in der Intention seiner Gesamtregelung der Rechtsstellung der Betriebsratsmitglieder. Auch bei vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern kann es zu Freizeitopfern kommen, was belegt, daß die fehlende Verweisung auf Absatz 3 keine spezifische Benachteiligung teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer ist, sondern eine notwendige und gewollte Folge des Ehrenamtsprinzips und des Lohnausfallprinzips. Bei der Regelung in Absatz 3 handelt es sich nicht um einen Unterfall des § 37 Abs. 2 BetrVG, sondern um eine Ausnahmevorschrift § 37 Abs. 2 und § 37 Abs. 3 BetrVG beinhalten unterschiedliche Tatbestände, an die unterschiedliche Rechtsfolgen geknüpft sind. Absatz 2 will dem Betriebsratsmitglied, das wegen seiner Tätigkeit Arbeitszeit versäumen muß, Arbeitsbefreiung und die ihm zustehende Vergütung sichern. Absatz 3 hingegen gewährt einen Ausgleich für Nachteile, die infolge der Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeit aus einem betrieblich verursachten Freizeitopfer resultieren. Die Tatbestände der Betriebsratstätigkeit und der Teilnahme an einer Betriebsratsschulung sind wertungsmäßig nicht gleich zu erachten, so daß es bereits daher an einer Vergleichbarkeit der Interessenlage fehlt. Die hierdurch entstehende Härte für teilzeitbeschäftigte - männliche und weibliche - Arbeitnehmer in ihrer Eigenschaft als Mitglieder von Mitbestimmungsorganen ist im Gesetz angelegt und Folge des Ehrenamtsprinzips. Seinen historischen und dogmatischen Ursprung hat das Verbot der mittelbaren Diskriminierung im anglo-amerikanischen Rechtskreis. Ist schon die Ausdehnung der Rechtsprechung in den USA vom Schutz ethnischer Minderheiten auf Frauen nicht selbstverständlich gewesen, weil für letztere angesichts ihres zahlenmäßigen Umfangs und ihrer gänzlich anderen Situation in der Geschichte das Schutzkriterium der politischen Einflußlosigkeit nicht gilt, ist die Frage einer Übertragbarkeit der amerikanischen Rechtsprechung auf europäische Verhältnisse besonders problematisch. Diese Frage stellt sich umso drängender als auch in den USA die mittelbare Diskriminierung auf Individualmaßnahmen wie Auswahl, Einstellung und Beförderung beschränkt geblieben ist, eine Einschränkung, der EuGH und BAG offensichtlich keine Bedeutung beimessen. Weder die Übertragbarkeit der Rechtsfigur noch Folgeprobleme sind von EuGH und BAG jemals erörtert worden. Deshalb kann ein Anspruch auf Allgemeingültigkeit

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hinsichtlich der von EuGH und BAG aufgestellten Voraussetzungen der mittelbaren Diskriminierung bisher nicht erhoben werden. Neben der offenen Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit beinhaltet Art. 6 EGVauch die sogenannte "versteckte Diskriminierung". Der Wortlaut der Art. 6, 48 Abs. 2 und 95 EGV, die allgemein oder speziell ein Diskriminierungsverbot wegen der Staatsangehörigkeit aussprechen, enthält keinen Hinweis auf die Einbeziehung von versteckten oder mittelbaren Diskriminierungen in den Verbotstatbestand. Der EuGH will nur der versteckten Diskriminierung, die an ein Ersatzkriterium anknüpft, einen Riegel vorschieben. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts geht aber über dieses Verständnis als versteckte Diskriminierung hinaus. Vielmehr postuliert der EuGH die Existenz auch dieser Verbotsform aus Gründen des "effet utile" (Effektivität) der Verbotsvorschrift Eine naheliegende Folgerung kann nicht gezogen werden. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts läßt sich nicht einfach als Umgehungsverbot deuten. Die Umgehung ist durch die Vorschrift selbst erfaßt. Hingegen ist eine andere Konsequenz unabweisbar. Die Rechtsprechung zu Art. 6, 48, 95 EGV läßt sich nicht auf Art. 119 EGV übertragen. Die Rechtsprechung des EuGH zieht für die Begründung und Verortung des Verbots einer mittelbaren Diskriminierung nicht nur Art. 119 EGV, sondern auch die Richtlinien 751117 IEWG und 761207 IEWG heran. Tatbestand und Rechtsfolgen des Verbots lassen sich all diesen Vorschriften nicht entnehmen. Die neue Beweislast-Richtlinie 97 I 80 I EG nimmt erstmals eine Begriffsbestimmung der mittelbaren Diskriminierung vor. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung kann in einer schwächeren Version als Beweisinstrument wirken und in einer stärkeren als Mittel aktiver Frauenförderung. Tatsächlich wird es sich häufig um Frauenförderung handeln. Einmal ist allein der Arbeitgeber in die Pflicht genommen, für einen materiellen bzw. finanziellen Ausgleich zu sorgen. Zum zweiten wird mit Hilfe des Verbotstatbestandes für eine einseitige Angleichung der Rechtsstellung der benachteiligten Frauen an die der bevorzugten Männer gesorgt. Hauptgrund ist jedoch, daß sich nach ganz überwiegender Meinung nur Frauen auf den Verbotstatbestand berufen können. Die primäre Förderung durch eine eventuelle Angleichung genießen also Frauen. Im übrigen wäre häufig der Arbeitgeber gezwungen, eigentlich gesellschaftliche Mißstände durch eigene Leistungen auszugleichen. Nach der hier vertretenen Auffassung braucht der Arbeitgeber jedoch keine Rücksicht zu nehmen auf eine eventuelle Doppelbelastung durch das Arbeitsleben und häusliche bzw. familiäre Pflichten bestimmter Gruppen der Arbeitsbevölkerung. Gleichstellung impliziert das Ergebnis, das für zwei Subjekte - unabhängig von ihrer Ausgangslage - gleich sein soll; die tatsächliche ungleiche Ausgangssituation zwischen zwei Vergleichssubjekten soll angeglichen werden. Gleichberechtigung

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hat demgegenüber die rechtliche Behandlung und nicht das Ergebnis im Blick; zwei vergleichbare Subjekte sollen gleich behandelt werden; eine rechtliche Differenzierung soll zwischen ihnen nicht stattfinden. Im Rahmen der Chancengleichheit sollen beide Subjekte rechtlich identische Chancen haben, aus ihrer Stellung und aus ihren Anlagen das Beste zu machen. Inwieweit wegen der grundsätzlichen biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau von dem strengen Konzept der Chancengleichheit eventuell Abstriche zu machen sind, ist damit noch nicht vorentschieden. Begriffe wie tatsächliche Chancengleichheit oder faktische Gleichberechtigung verwischen die klare Unterscheidbarkeil dieser unterschiedlichen Konzepte, weil sie rechtliche und tatsächliche Aspekte in ihrer Begriffswahl vermischen. Es hat sich gezeigt, daß der Verfassungsgesetzgeber in Art. 3 Abs. 2 GG mit dem Konzept der Gleichberechtigung dem Dilemma zwischen Freiheit und Gleichheit von vornherein aus dem Weg gegangen ist, indem er sich für die Chancengleichheit der Geschlechter entschieden hat. Eine andere Sichtweise würde Verfassung und Gesetzgeber gleichermaßen überfordern. Die Herstellung tatsächlicher Gleichheit im Ergebnis ist weder ein eigenes, aus sich heraus einsichtiges Gerechtigkeitserfordernis noch ein taugliches Indiz für eine gerechte Rollenverteilung unter den Geschlechtern. Wird wie im Fall der mittelbaren Diskriminierung von der ganz herrschenden Meinung nur auf das statistische Ergebnis einer Maßnahme geschaut, geht es nicht wirklich um Herstellung und Wahrung von Chancengleichheit, sondern um eine Gleichstellung bezogen auf das Ergebnis. Mit der Einbeziehung von Statistiken wird der Konnex zwischen Gleichheit und individueller Gerechtigkeit durchbrachen. Ein durch die Heranziehung von Statistiken befördertes Gruppengrundrecht widerspricht der auf das Individuum bezogenen Gerechtigkeitsvorstellung und ist ein Widerspruch zum bisherigen Konzept der Grundrechte, bei der es auf die Sicht des Einzelnen ankommt. Mit Blick auf die Funktion der Gleichbehandlung ist festzustellen: Aktive Frauenförderung geht über Gleichbehandlung hinaus; denn sie zielt nur auf die Ergebnisgleichheit, nicht auf die Gleichbehandlung als Maßnahme. Zur effektiven Durchsetzung von Gleichberechtigung und Chancengleichheit genügt die Verankerung eines Umgehungsverbots der Gleichbehandlung. Ungleichheiten in der Lebenswirklichkeit können auf fehlende Chancengleichheit und Ungleichbehandlungen zurückzuführen sein, sie müssen es aber nicht ausschließlich. Eine faktische Unausgewogenheit des Geschlechterproporzes in der beruflichen und sozialen Wirklichkeit kann auch das Ergebnis von unterschiedlichen Präferenzentscheidungen sein. Nicht zuletzt unter grundrechtliehen Aspekten sind die Rollen- und Berufswahl von Männern und Frauen zu akzeptieren. Der Staat hat nur die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine freie Wahl und eine chancengleiche Entfaltung zu gewährleisten. Geschlechtsspezifisch wirkende Hemmnisse können effektiver durch Regelungen beseitigt werden, die im Tatbestand genau an diese Hemmnisse, beispielsweise

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an die Schlechterstellung von Teilzeitarbeit, anknüpfen und so vorbeugend oder kompensierend wirken, ohne auf die "Geschlechtsstereotype" ausweichen zu müssen. Diese Kompensation ist aber gerade Aufgabe des Gesetzgebers, nicht Aufgabe des Arbeitgebers, da sie gesamtgesellschaftlich ansetzen muß und nicht nur betriebs- oder unternehmensbezogen. Eine solche kompensierende Regelung hätte zudem den Vorteil, daß sie geschlechtsdiskriminierende Ungerechtigkeiten vermiede, wie sie sonst durch geschlechtsspezifische Pauschalierungen aufträten. Gemeinsam ist allen Instrumenten der Gleichstellung der Blick auf "die Frauen" als Gruppe, nicht mehr auf die einzelne Frau. Um eine Unterrepräsentanz in bestimmten Positionen oder Ämtern oder eine nachteilige Betroffenheit durch bestimmte Regelungen, die Frauen häufiger erfüllen als Männer, feststellen zu können, müssen die Frauen insgesamt oder eine Teilgruppe von ihnen betrachtet werden. Gerade das Verbot der mittelbaren Diskriminierung ist ohne diesen Gruppenbezug nicht denkbar. Das Problem der mittelbaren Diskriminierung ist über den statistisch hergestellten Gruppenbezug konstruiert. Dieser Gruppenbezug ist jedoch als Ansatzpunkt einer juristischen Konstruktion unzulässig. Eine Gruppenbetrachtung kann nur bei gesellschaftlichen Gruppen angenommen werden, die einen geschlossenen Charakter aufweisen, räumlich sowie zahlenmäßig eng umgrenzt sind und sich streng gegen andere Gruppen abgrenzen. Die Gruppe der Frauen besitzt keine Struktur oder Organisation; sie ist als soziale Gruppe viel zu inhomogen, als daß es eine von den einzelnen Frauen gelöste Gruppenexistenz geben könnte. Auch lassen sich "die Frauen" nicht mit "den Farbigen" vergleichen. Denn sie weisen kein gemeinsames Sozialschicksal auf. Zu unterschiedlich sind ihre Interessen, politischen, weltanschaulichen und religiösen Ansichten, ihre Lebensstile und Berufe sowie ihr jeweiliges familiäres, gesellschaftliches, regionales und kulturelles Herkommen. Das Unrecht der historischen Diskriminierung erreicht bei ihnen auch nicht die Qualität wie bei den amerikanischen Sklaven und deren Nachfahren. All diese Umstände deuten auf die Betonung des Individuellen - im Gegensatz zur Herausbildung von Gruppenbindungen und Gruppeninteressen. Absolute Gleichheit zwischen verschiedenen Gruppen ist im übrigen nicht zu erreichen. Das Ziel der Emanzipation und der Gleichberechtigung der Frau wäre tatsächlich verfehlt, wenn die Eigenschaft des Geschlechts auf lange Sicht im gesellschaftlichen Leben nicht an Bedeutung verlöre, sondern konstituierend bliebe für eine möglichst gleichmäßige Besetzung von beruflichen Positionen und Ämtern im öffentlichen Leben. An Gruppen orientiertes Proporzdenken betont die Differenz, während die Gleichberechtigung, verstanden als Gewährung gleicher Rechte und gleicher Chancen Trennendes zu überwinden vermag. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung und das Instrument der Frauenförderung durch Quotenregelung haben eine vergleichbare Zielsetzung, weisen auf der anderen Seite Unterschiede auf. In die Rechtsstellung des einzelnen Mannes wird anders als bei der Quotenregelung nicht schon immer dann unmittelbar eingegriffen, wenn aus-

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schließlich Normen zur Disposition stehen, die sich auf eine vorhandene Rechtsstellung beziehen, also z. B. nur bestimmte Modalitäten des Arbeitsverhältnisses im Blick haben. Doch wird auch da der Mann gegenüber der Frau nicht nur faktisch zurückgesetzt, weil er sich nicht auf das Verbot der mittelbaren Diskriminierung berufen und die Verbesserung seiner rechtlichen Situation nicht auf diesem Wege begehren kann. Hierin liegt auch eine unmittelbare Differenzierung wegen des Geschlechts. Der zweite Hauptanwendungsbereich des Verbots einer mittelbaren Diskriminierung, Einstellung und beruflicher Aufstieg, läßt sich ebenfalls ohne Rückgriff auf ein besonderes Rechtsinstitut sachgerecht regeln. Verdeckt Männer begünstigende Vorzugsregeln, wie Dienstalter oder ununterbrochene Vollzeittätigkeit, dürfen nicht pauschal angewandt werden. Auch diese sind bei einer Ungleichbehandlung vor Art. 3 Abs. 1 GG zu rechtfertigen. Sämtliche Auswahlkriterien müssen sowohl in ihrer abstrakten Festsetzung als auch in ihrer Anwendung auf den Einzelfall herangezogen werden, wobei die konkrete Situation von Frauen zu berücksichtigen ist. Aus der Übernahme von Verantwortung in der Familie und besonderem sozialen Engagement können auch besondere - berufsrelevante - Qualifikationen resultieren, die entsprechend zu bewerten sind. Auch hier gilt es, die Männer, die eine andere Rolle einnehmen und zugunsten der Familie eine berufliche Pause eingelegt haben, nicht durch ein allein Frauen begünstigendes Rechtsinstitut auszuschließen, wenn hierfür keine Notwendigkeit besteht. Die Auslegung von Art. 119 EGV ergibt: Entscheidend ist die Anknüpfung an das Geschlecht in Art. 119 EGV, die belegt, daß das Unterscheidungsverbot hinsichtlich des Lohnes ein unmittelbares sein soll. Art. 119 EGV zeichnet sich gerade dadurch aus, daß er Unterscheidungen nach dem Geschlecht verbietet. Bei neutralen Regelungen wird aber gerade nicht nach dem Geschlecht als dem verpönten Merkmal differenziert. Vielmehr wird dieses Kriterium substituiert durch das statistische Ergebnis einer bestimmten Maßnahme unter Anknüpfung an das Merkmal "Geschlechtsrolle", welches das eigentliche Differenzierungskriterium des Art. 119 EGV ersetzen soll. Historische und systematische Auslegung führen zu keinem anderen Ergebnis. Die Auslegung nach dem Sinn und Zweck des Art. 119 EGV weckt Zweifel, ob zum einen die Grenzen dieser Auslegungsfigur beachtet sind, und zum anderen, ob die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips in Art. 3b Abs. 2 EGV den Grundsatz des effet utile nicht eingeschränkt hat. Denn es ist anerkannt, daß das Prinzip des effet utile nicht dazu führen darf, daß ein Auslegungsergebnis gewählt wird, das dem feststehenden Wortlaut oder Geist des Vertrages widerspricht. Der Vorrang der teleologischen Auslegung vor der Wortlaut- und Systematikauslegung darf nicht dazu führen, daß die äußerste Grenze des Wortlauts überschritten wird. Denn sie ist eine wichtige Garantie für die Individualgrundrechte und die Souveränität

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der Mitgliedstaaten: Je tiefer eine Gemeinschaftsmaßnahme in Grundrechte der einzelnen oder die Souveränität der Mitgliedstaaten eingreift, desto klarer und präziser muß bereits der Wortlaut der Norm einen solchen Eingriff gestatten. Der entgegenstehende Wortlaut einer Norm kann also durch den Effektivitätsgrundsatz nicht überspielt werden. Der Grundsatz des effet utile läßt sich bei Art. 119 EGV folgendermaßen zur Anwendung bringen. Der Sinn und Zweck einer Vorschrift gebietet es, nicht nur ihre unmittelbare Anwendbarkeit zu sichern, sondern auch dafür Sorge zu tragen, daß sie nicht ihrer Wirkung durch einfache Umgehung beraubt wird, indem an ein Ersatzkriterium angeknüpft wird. Also unterfallen auch versteckte Differenzierungen dem Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung hat dagegen eine andere Intention, deren Verwirklichung eine Überwindung des Wortlauts in zweifacher Hinsicht bedeuten würde. Zwar ist der versteckten Diskriminierung und der mittelbaren Diskriminierung die Anknüpfung an ein geschlechtsneutrales Merkmal gemeinsam, doch zielt das Verbot der mittelbaren Diskriminierung auf Beseitigung solcher Normen, die sich nur geschlechtsspezifisch auswirken, von denen also auch Männer nachteilig betroffen werden können, während im Fall der versteckten Diskriminierung tatsächlich nur Frauen betroffen sind. Beim Verbot einer mittelbaren Diskriminierung wird auch im Ergebnis nicht trennscharf zwischen der nachteiligen Auswirkung auf Frauen und der begünstigenden auf Männer unterschieden. Rechtsfolge des Art. 119 EGV ist nämlich die Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Dies gebietet aber zu ihrer praktischen Wirksamkeit keineswegs auch die Gleichbehandlung von beispielsweise Vollzeit- und Teilzeitkräften. Zum anderen beschränkt sich der Wortlaut des Art. 119 EGV auf den Lohn als Regelungsgegenstand, sonstige Arbeitsbedingungen sind nicht erwähnt. Ihre Einbeziehung in die Vorschrift ist äußerst zweifelhaft. Nicht von ungefähr sah sich der europäische Gesetzgeber veranlaßt, für diese Bereiche durch Richtlinien eigene Nichtdiskriminierungsvorgaben zu machen. Dennoch bezieht der Gerichtshof das Verbot der mittelbaren Diskriminierung auch auf Bereiche wie Einstellung und Beförderung und geht damit in einem weiteren Punkt über den eindeutigen Wortlaut hinaus. Dies bedeutet, daß das Verbot der mittelbaren Diskriminierung eine neue Rechtsregel darstellt, die den Wortlaut des Art. 119 EGV verlassen hat und partiell einen anderen Sinn verfolgt. Konsequenz ist: Dem Staat in Gestalt des Gesetzgebers wird der Gestaltungsspielraum bei der Gesetzgebung beschnitten, indem ihm Differenzierungsmöglichkeiten durch neutrale Rechtsnormen, die nicht an das Geschlecht anknüpfen, genommen werden. Zu beachten ist, daß dies Auswirkungen haben kann auf staatliche Förderungen, wenn neutrale Fördermaßnahmen, nur deshalb ausgeschlossen sind, weil sie ganz überwiegend Frauen zugute kommen. Im Wege der Auslegung läßt sich das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nicht dem Art. 119 EGV entnehmen. So bleibt nur die Möglichkeit einer Rechtsfortbildung. Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen ergänzender Rechtsfortbil-

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dung zur Schließung einer Lücke im Vertrag und Rechtsfindung oder freier Rechtsschöpfung nimmt der Gerichtshof zwar nicht vor, doch soll hieran im Interesse einer rationellen Betrachtung festgehalten werden. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob in tatsächlicher Hinsicht eine Lücke oder ein Defizit in bezug auf die Ungleichbehandlung von Mann und Frau angenommen werden kann. Für den rechtlichen Befund gilt Vergleichbares. Soweit das Verbot der mittelbaren Diskriminierung die besondere Lage der Teilzeitkräfte in den Blick nimmt, ist der Weg über Art. 119 EGV ein Umweg. Naheliegender ist die Heranziehung des allgemeinen Gleichheitssatzes. Es ist nicht ersichtlich, warum dies nicht als Schutz für alle Teilzeitkräfte, und nicht nur die weiblichen unter ihnen, ausreichen sollte. Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz ist Verfassungsgrundsatz in allen Mitgliedstaaten der EG und deshalb auch vom Gerichtshof in anderem Zusammenhang als ungeschriebener Grundsatz des Gemeinschaftsrechts fruchtbar gemacht worden. Es gibt eine Trennlinie zwischen Rechtsfortbildung innerhalb der Verträge und einer Vertragsänderung. Sie folgt aus der begrenzten Kompetenzzuweisung an die Gemeinschaft. Auch die EG-Rechtsetzung differenziert zwischen Ziel, Aufgabe und Kompetenz. Die EG, die sich als Rechtsgemeinschaft begreift und definiert, kann dieses Attribut nur für sich in Anspruch nehmen, wenn ihre Kompetenzen gegenüber denen der Mitgliedstaaten abgrenzbar sind. Allein auf diese Weise läßt sich das Rechtstaatsprinzip - nichts anderes besagt die Charakterisierung als Rechtsgemeinschaft - für die Frage der Zuständigkeiten verwirklichen, indem Vorhersehbarkeit, Berechenbarkeil und Meßbarkeit für die Kompetenzverteilung gewährleistet werden. Der Gemeinschaft steht eine Verbandskompetenz zur Etablierung des Verbots einer mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts nicht zu. Der EG-Vertrag enthält keine ausdriickliche Zuweisung einer Gemeinschaftskompetenz zur Regelung von Gleichbehandlungsfragen zwischen Mann und Frau. Insbesondere kann der Vorschrift des Art. 119 EGV eine solche Kompetenz nicht entnommen werden. Etwas anderes gilt in Zukunft allerdings für die Neufassung: Art. 141 Abs. 3 EGV gibt dem Rat die Möglichkeit, Maßnahmen zur Gewährleistung der Anwendung des Grundsatzes der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung von Männem und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, einschließlich des Grundsatzes des gleichen Entgelts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit zu erlassen. Auch andere Vorschriften wie Art. 100, 1OOa und 117 EGV beinhalten keine derartige Kompetenz. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung läßt sich nicht mittels einer stillschweigend mitgeschriebenen Sachzusanunenhangsbefugnis (implied powers) begründen, da es keine Anknüpfungskompetenz gibt, mit der das Verbot in einem untrennbaren Sachzusanunenhang steht. Mit einer Kompetenz aus der Natur der Sache (resulting powers) läßt sich das geschlechtsspezifische Ungleichbehandlungsverhot auch nicht herleiten. Gleichbehandlungsfragen zählen generell von ihrer

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Natur her nicht zu den Materien, die ausschließlich die Gemeinschaft regeln kann. Selbst bei einer strengen Rückbindung an die Regeln der Gesamtanalogie folgt aus resulting powers keine Kompetenz zur Regelung des Verbots einer mittelbaren Diskriminierung. Doch läßt sich Art. 6 Abs. 2, 48 EGV nur der Rechtsgedanke eines allgemeinen Ungleichbehandlungsverbotes entnehmen, der offensichtliche und versteckte unmittelbare Diskriminierungen verbietet. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung geht jedoch wegen der einzig auf Statistiken beruhenden geschlechtsspezifischen Wirkung hieriiber hinaus. Dem effet utile-Grundsatz kommt keine kompetenzbegrundende Kraft zu. Für die Schließung von Kompetenzlücken im EG-Recht ist die Bestimmung des Art. 235 EGV vorhanden. Sie stellt ein tatbestandlieh beschränktes und verfahrensmäßig gesichertes Instrumentarium für die Aktualisierung von Kompetenzen zur Verfügung. Die Rechtsfortbildung kann jedoch nicht auf Art. 235 EGV gestützt werden. Es fehlt bereits an einem für eine Kompetenzaktualisierung erforderlichen GemeinschaftszieL Konkret enthält der Vertrag kein derartiges Ziel, wie es mit dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung verfolgt wird. Das allgemeine Ziel des Art. 117 EGV läßt sich hier nicht heranziehen. Im übrigen herrscht in der Gemeinschaft Einigkeit, die Zuständigkeit für die Sozialpolitik im allgemeinen bei den Mitgliedstaaten zu belassen und Fragen der faktischen Gleichstellung der Geschlechter nicht zu regeln. Damit eriibrigt sich auch die Suche nach einer Befugnislücke. Ebensowenig ist mit den Vorschriften des Maastrichter Sozialabkommens, die nach dem Amsterdamer Vertrag in den EG-Vertrag einbezogen sind, eine Befugniserweiterung auf dem Feld der Gleichbehandlung wegen des Geschlechts verbunden. Davon abgesehen fehlt dem EuGH die Organkompetenz zur Rechtsfortbildung bei einer nach Art. 235 EGV vorausgesetzten Verbandskompetenz zur Setzung eines Verbots der mittelbaren Diskriminierung. Die Auslegung von Art. 3 GG zeigt: In der Rechtsprechung des BVerfG ist das Verbot der mittelbaren Diskriminierung bisher nicht ausdriicklich behandelt worden. Das BAG orientiert sich in seinen Entscheidungen eng an den Vorgaben des EuGH und legt der Prüfung in der Sache ausschließlich Art. 119 EGV zugrunde. Die Ansichten zur Verortung des Verbots einer mittelbaren Diskriminierung sind in der Literatur geteilt. Meist wird jedoch Art. 3 Abs. 2 GG herangezogen. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ist als striktes Anknüpfungsverbot zu verstehen, das nicht durch Erwägungen kausaler oder finaler Art, hinter denen beliebige andere Gründe für eine Unterscheidung stehen können, relativiert werden kann. Lediglich eine Ausnahme ist hiervon zuzulassen, wenn eine Vergleichbarkeit der Sachverhalte aus logischen Gründen nicht in Betracht kommt. Das ist der Fall, wenn sich

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der zu ordnende Lebenstatbestand überhaupt nur in einem Geschlecht verwirklicht. Weitere Einschränkungen, die sich an den Auswirkungen einer Norm festmachen ließen, oder aus Gründen der Geringfügigkeit einer Bevorzugung oder Benachteiligung sind nicht anzuerkennen. Nur mit diesem Verständnis läßt sich ein wirkungsvolles Differenzierungsverbot sicherstellen und verhindern, daß nach den verpönten Kriterien differenziert und damit im Ergebnis auch die Menschenwürde des Einzelnen verletzt wird. Das Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz I bzw. Abs. 2 Satz 1 GG ist "typisierungsfeindlich". Typisierungen müßten notwendig an das Geschlecht anknüpfen, was Art. 3 Abs. 3 Satz I, Abs. 2 Satz I GG gerade verhindem wollen. Auf diese Weise würden Typisierungen im Zusammenhang mit den verbotenen Merkmalen die hergebrachten Rollenbilder bestätigen und verfestigen, was im Gegenteil nicht notwendig ist, um Benachteiligungen von Frauen abzubauen. Die Auslegung des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG läßt erkennen, daß es daher mit der Konzeption eines strikten Anknüpfungsverbots unvereinbar ist, Fälle mittelbarer Diskriminierung von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG zu erfassen. Denn hierbei handelt es sich um Regelungen, die an Gegebenheiten anknüpfen, die nur "typischerweise" und nicht "denknotwendig" oder "ausschließlich" bei einem Geschlecht vorkommen. Da die Wendung "Geschlecht" nicht "soziales Geschlecht" oder "Geschlechtsrolle" oder "faktische Auswirkungen auf ein Geschlecht" bedeutet, steht bereits der Wortlaut dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung entgegen. Ebensolches gilt für die Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Denn das strikte Differenzierungsverbot wegen des Geschlechts ist eine Ausprägung des Menschenwürdesatzes (Art. 1 Abs. 1 GG). Beim Verbot der mittelbaren Diskriminierung ist ein Zusammenhang zur Menschenwürde nicht mehr erkennbar, weil der Vorwurf der Ungleichbehandlung allein statistisch definiert wird. Daher erscheint eine Gleichsetzung der unmittelbaren mit der mittelbaren Diskriminierung unangebracht. Ein striktes Unterscheidungsverbot verbietet jede Anknüpfung an das verpönte Merkmal, aber auch nur genau eine solche. Die Verwendung neutraler Kriterien, die nur näherungsweise die Träger eines verpönten Merkmals ("Geschlecht") treffen, stellen eine "umgekehrte Typisierung" dar. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung ist Spiegelbild der Zulässigkeit typisierender Regelungen. Gegenüber typisierenden Ungleichbehandlungen unter Anknüpfung an das Merkmal "Geschlecht" wäre es ein deutlicher Wertungswiderspruch, wenn dem Gesetzgeber durch Art. 3 Abs. 2 bzw. 3 GG verboten wäre, merkmalsneutral ausgestaltete Regelungen zu verwenden, nur weil diese statistisch wesentlich mehr Angehörige des einen Geschlechts als des anderen Geschlechts betreffen. Umgekehrt lassen sich sinnvolle Regelungen gestalten, wie durch die Rechtsprechung des BVerfG bestätigt wird, die als Prüfungsmaßstab in derartigen Fällen allein Art. 3 Abs. I GG heranzieht: Die Anknüpfung an neutrale Merkmale läßt zugunsten von Frauen wirkende Regelungen zu, die einen Beitrag zur Angleichung der Lebensverhältnisse leisten können und auf diese Weise Männerund Frauen in ihrer jeweiligen Lebenssi-

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tuation gleichermaßen begünstigen können. (Sachgerecht ist es deshalb, bei Differenzierungen zwischen Teilzeit- und Vollzeitarbeit nicht an die Auswirkungen auf die Geschlechter anzuknüpfen, sondern direkt diese Differenzierung einer Prüfung anhand von Art. 3 Abs. 1 GG oder im Fall der Teilzeit § 2 Abs. 1 BeschFG zu unterziehen.) Das Verständnis der Differenzierungsverbote als strikte Anknüpfungsverbote hat den Vorzug, den Schutzzweck am effektivsten zu verwirklichen. Auch von Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG wird das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nicht erfaßt. Wie in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG wird das Merkmal "Geschlecht" als sachwidriges Differenzierungskriterium geächtet. Gleichberechtigung meint schlicht Rechtsgleichheit, also die wertfreie Geltung von Rechtsnormen für die von Natur aus verschiedenen Geschlechter. Der Wortlaut signalisiert die Durchsetzung von gleichen Rechten für beide Geschlechter. Aus der Stellung des Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG im Grundgesetz folgt kein Hinweis auf die Verankerung eines Gruppenbezugs in dieser Vorschrift. Gerade der enge Konnex der Gleichheit und der Menschenwürde verbietet die Herleitung besonderer Rechte aus Gruppenbetrachtungen. Ebensowenig spricht die Entstehungsgeschichte für eine einseitige Wirkweise nur zugunsten von Frauen. Durch die neuere Rechtsprechung des BVerfG wird bestätigt, daß diese Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck nur der Durchsetzung der gleichen (Erwerbs-)chancen von Männem und Frauen dienen will. Die Rechtsprechung des BVerfG läßt sich nicht für Gruppenbetrachtungen instrumentalisieren. Das BVerfG bleibt dem Prinzip der Rechtsgleichheit treu. Die Ergänzung des Gleichberechtigungssatzes in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG erscheint angesichts des absehbaren Streits um ihr richtiges Verständnis als Formelkompromiß. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß in Deutschland eine einheitliche Auffassung darüber fehlt, was das Ziel von Gleichberechtigung und Gleichstellung sein soll. Sicher ist, daß der Neuregelung eine die Rechtsprechung des BVerfG bestätigende und verstärkende Funktion zukommt. Der Wortlaut der neuen Bestimmung hält jedenfalls an der Gleichberechtigung fest. Der Begriff der "Gleichstellung" ist mit Bedacht nicht aufgenommen worden. Inhalt und Reichweite des Förderauftrags und der Nachteilsausgleichsklausel haben sich hieran zu orientieren. Angesichts der Tatsache, daß Männer und Frauen ihre familiären Rollen und Pflichten von Verfassungs wegen frei wählen können, ist der Staat nicht auf die Herstellung von Ergebnisgleichheit verpflichtet, die er nur durch massive Eingriffe erreichen könnte. Im Rahmen der Nachteilsausgleichsklausel können nur Nachteile berücksichtigt werden, die auf dem Geschlechtsunterschied beruhen. Auf sonstige vielleicht frauentypische Unterschiede kann die Vorschrift nicht ausgedehnt werden. Darüber hinaus sind geschlechtsneutrale Förderungen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie unproblematisch, da sie nicht an das Geschlecht anknüpfen. Kollektive Betrachtungen vermögen keine individuelle Gerechtigkeit herzustellen. Bei der Verfassungsinterpretation ist das Ziel des Grundgesetzes zur Beförde-

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rung individueller Gerechtigkeit zu beachten. Die hier vorgestellte Sichtweise will individuelle Gerechtigkeit herstellen und setzt deshalb nicht pauschal typisierend bei einem Nachteilsausgleich für die Frauen an, sondern für jeden, der beispielsweise durch die tatsächliche Übernahme von Familienpflichten beruflich "behindert" ist, unabhängig von seinem Geschlecht. Erst hierdurch werden Nachteile durch die Ausübung einer "Geschlechtsrolle" ausgeglichen. Die Verfassungsänderung stellt klar, daß die von der Rechtsprechung des BVerfG entwickelte objektiv-rechtliche Dimension des Gleichberechtigungssatzes den Staat in Form eines Staatszieles bindet. Daher enthält Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG das Verbot der rechtlichen Benachteiligung eines Geschlechts und das Gebot der rechtlichen Gleichberechtigung. Der neue Satz 2 ist das Staatsziel zur Herstellung der Gleichberechtigung, das der Verstärkung der subjektiven Garantie des Satzes 1 dient, ihr aber nicht zuwiderläuft. Da Chancengleichheit angesichts der biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau noch nicht mit der Beseitigung aller rechtlichen Unterschiede hergestellt ist, darf der Gesetzgeber für diesen engen Bereich tatsächliche Unterschiede ausgleichen. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung ergibt sich ebensowenig aus der objektiv-rechtlichen Dimension wie aus der primären Rechtssatzwirkung des Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG. Hieran hat sich durch die Grundgesetzänderung nichts geändert. Als mittelbaren Eingriff in Art. 3 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GG können solche geschlechtsbezogenen Regelungen qualifiziert werden, die in ihrer unmittelbaren normativen Wirkung vor dem Unterscheidungsverbot zu Recht oder zu Unrecht zu rechtfertigen sind, die aber zusätzlich de facto entfernte Folgen, mittelbare Unterscheidungswirkungen, zeitigen. Auch diese eingriffsgleichen Wirkungen sind vor Art. 3 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GG zu rechtfertigen. Im Gegensatz zur Konzeption des Verbots einer mittelbaren Diskriminierung sind geschlechtstypisch wirkende Regelungen vielfach unverzichtbar, insbesondere um typische Nachteile für Frauen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit auszugleichen, indem Regelungen an Kriterien anknüpfen, die ganz überwiegend von Frauen erfüllt werden und für diese Vergünstigungen enthalten. Unabhängig vom zugrundeliegenden Priifungsschema, dem hier kein neues hinzugefügt werden soll, läßt sich die Wertung des Art. 3 Abs. 2 GG in die Gleichheitsprüfung integrieren. Dies gilt insbesondere, wenn man der neuesten Rechtsprechung zur Rechtfertigungsprüfung in Art. 3 Abs. 1 GG folgt, die bei der Ungleichbehandlung von Personengruppen einen umso strengeren Maßstab bishin zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse anlegt, je mehr sich die personenbezogenen Merkmale den in Art. 3 Abs. 3 GG aufgeführten annähern. Die flexible Rechtfertigungsprüfung weist Vorteile auf. So kann das Ausmaß der nachteiligen Betroffenheit ebenso berücksichtigt werden wie das Maß des Überwiegens des Frauenanteils. Aus systematischer Sicht ist nicht unerheblich, daß

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dogmatische Brüche vermieden werden, die bei der Einordnung unter Art. 3 Abs. 2, 3 GG entstehen würden. Denn eine Subsumtion des Verbots einer mittelbaren Diskriminierung unter diese Vorschriften widerspräche den europarechtlichen Vorgaben des EuGH bezüglich der Rechtfertigungsprüfung. Nur auf der Ebene des Art. 3 Abs. 1 läßt sich eine derartige Verhältnismäßigkeitsprüfung durchführen, nicht beim absoluten Anknüpfungsverbot.

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