Missbräuchliche Einkaufspreise im deutschen, europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht [1 ed.] 9783428543885, 9783428143887

Die fortschreitende Konzentration im Handel hat in den letzten Jahren verstärkt Marktmachtproblematiken nicht nur auf An

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Missbräuchliche Einkaufspreise im deutschen, europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht [1 ed.]
 9783428543885, 9783428143887

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Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Band 61

Missbräuchliche Einkaufspreise im deutschen, europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht Von

Söre Jötten

Duncker & Humblot · Berlin

SÖRE JÖTTEN

Missbräuchliche Einkaufspreise im deutschen, europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht

Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Begründet von Professor Dr. Wolfgang Blomeyer † und Professor Dr. Karl Albrecht Schachtschneider

Band 61

Missbräuchliche Einkaufspreise im deutschen, europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht

Von

Söre Jötten

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat diese Arbeit im Jahre 2013 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0947-2452 ISBN 978-3-428-14388-7 (Print) ISBN 978-3-428-54388-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-84388-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2013/2014 von der Juristischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen. Die berücksichtigte Rechtsprechung und Literatur befinden sich weitgehend auf dem Stand vom Oktober 2013. Mein Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Prof. Joachim Jickeli. Bereits im Schwerpunktbereichsstudium weckte er mein Interesse für das Kartellrecht und ich danke ihm für die anregende und unkomplizierte Betreuung meiner Promotion und die Unterstützung bei der Stipendiumsbewerbung. Herr Prof. Haimo Schack übernahm die Erstellung des Zweitgutachtens und ich möchte ihm für die erteilten Anregungen und Hinweise danken. Ausdrücklich danke ich zudem Prof. Jickeli und Prof. Schack für die besonders schnelle Erstellung der beiden Gutachten. Besondere Unterstützung erfuhr ich zudem während meiner gesamten Studienzeit von Prof. Rudolf Meyer-Pritzl, dem mein besonderer Dank, nicht nur für die Erstellung eines Gutachtens für ein Promotionsstipendium, gilt. Am Lehrstuhl von Prof. Meyer-Pritzl fand ich bereits als Hiwi eine akademische Heimat in Kiel, in der ich trotz der lehrstuhlfremden Thematik meiner Dissertation stets Unterstützung fand. Ohne die anregenden Bürogespräche mit Tanja Claussen wäre diese Arbeit wohl nicht fertig geworden. Unterstützung erfuhr ich im besonderen Maße von Seiten meiner Familie und Freunde, die immer Vertrauen in mich hatten. Von Herzen danke ich meiner Mutter, Gabi Jötten, die mir mein Studium nicht nur finanziell ermöglicht hat, und meiner Schwester, Sara Jötten, deren geduldige und kritische Unterstützung in meinem Studium nicht wegzudenken wäre. Sara hat mir zudem durch das Korrekturlesen der Arbeit sehr geholfen. Für die finanzielle Unterstützung danke ich dem Land Schleswig-Holstein, welches meine Promotion durch ein Landesgraduiertenstipendium förderte. Berlin, im Juli 2014

Söre Jötten

Inhaltsübersicht 1. Teil Grundlagen

15

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 B. Nachfragemacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 C. Formen missbräuchlicher Preisgestaltung durch Nachfrager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 D. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Teil Deutsches Kartellrecht

24

A. Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gemäß § 19 i.V.m. § 18 GWB . . . . . 24 B. Missbrauch relativer Marktmacht gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 C. Missbrauch überlegener Marktmacht gemäß § 20 Abs. 3 S. 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . 92 D. Ergebnis zur Erfassung von Nachfragemachtmissbrauch durch das GWB . . . . . . . . . . 96 3. Teil Europäisches Kartellrecht

97

A. Missbrauch einer beherrschenden Stellung gemäß Artikel 102 AEUV . . . . . . . . . . . . 97 B. Marktabgrenzung von Beschaffungsmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 C. Beherrschende Stellung eines Nachfragers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 D. Wesentlicher Teil des Binnenmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 E. Missbräuchliche Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 F. Zwischenstaatlichkeitsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 G. Ergebnis zur Erfassung von Nachfragemachtmissbrauch durch Art. 102 AEUV . . . . . 130

8

Inhaltsübersicht 4. Teil US-amerikanisches Kartellrecht

131

A. Monopsonisierung nach Section 2 Sherman Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 B. Versuchte Monopsonisierung nach Section 2 Sherman Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 C. Preisdiskriminierungen nach Section 2 (f) Clayton Act (Robinson-Patman Act) . . . . . 162 D. Ergebnis zur Erfassung von Nachfragemachtmissbrauch durch US-Recht . . . . . . . . . . 170 5. Teil Vergleichende Zusammenfassung

171

A. Marktabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 B. Marktmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 C. Missbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

Inhaltsverzeichnis 1. Teil Grundlagen

15

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 B. Nachfragemacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 C. Formen missbräuchlicher Preisgestaltung durch Nachfrager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Ausbeutungsmissbrauch durch niedrige Preise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Behinderungsmissbrauch durch Kampfpreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 D. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

2. Teil Deutsches Kartellrecht A. Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gemäß § 19 i.V.m. § 18 GWB . . . . . I. Marktabgrenzung von Beschaffungsmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Notwendigkeit der Marktabgrenzung in Nachfragemachtkonstellationen . 2. Methodik der Marktabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Methodik zur Abgrenzung von Angebotsmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Übertragung auf Beschaffungsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachliche Marktabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Umstellung des Angebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Umstellung des Absatzweges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Berücksichtigung marktnaher Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Räumliche Marktabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsatz der räumlichen Marktabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Beschaffungspolitik der Nachfrager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Export als Alternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zeitliche Marktabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis zur Abgrenzung von Beschaffungsmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 24 25 25 26 26 28 28 29 30 32 33 34 34 34 35 36 38 38 39

10

Inhaltsverzeichnis II. Marktbeherrschende Stellung auf dem Beschaffungsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1. Nachfrageseitige Marktbeherrschung in der bisherigen Entscheidungspraxis . . 39 a) Von der Unverzichtbarkeitsthese zum tradierten Marktbeherrschungsbegriff 39 b) Möglichkeit paralleler Einzelmarktbeherrschung „pivotaler“ Nachfrager . . 41 c) Zwischenergebnis zur nachfrageseitigen Marktbeherrschung . . . . . . . . . . . . 43 2. Einzelmarktbeherrschung von Nachfragern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a) Vollmonopson gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 b) Teilmonopson gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 c) Überragende Marktstellung gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 3 GWB . . . . . . . . . . . . . aa) Marktanteil gemäß § 18 Abs. 3 Nr. 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bedeutung des Marktanteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Höhe des Marktanteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Berechnung des Marktanteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Finanzkraft gemäß § 18 Abs. 3 Nr. 2 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zugang zu den Absatzmärkten gemäß § 18 Abs. 3 Nr. 3 GWB . . . . . . . dd) Verflechtungen mit anderen Unternehmen gemäß § 18 Abs. 3 Nr. 4 GWB ee) Marktzutrittsschranken gemäß § 18 Abs. 3 Nr. 5 GWB . . . . . . . . . . . . . . . ff) Tatsächlicher oder potenzieller Wettbewerb gemäß § 18 Abs. 3 Nr. 6 GWB gg) Umstellungsflexibilität gemäß § 18 Abs. 3 Nr. 7 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite gemäß § 18 Abs. 3 Nr. 8 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45 46 47 49 50 51 51 52 54 54 56 56 57

d) Ergebnis zu den Marktbeherrschungskriterien des § 18 Abs. 3 GWB . . . . . 59 3. Marktbeherrschungsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 4. Ergebnis zur marktbeherrschenden Stellung eines Nachfragers . . . . . . . . . . . . . 59 III. Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Ausbeutungsmissbrauch durch niedrige Einkaufspreise gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Ermittlung des wettbewerbsanalogen Preises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vergleichsmarktkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gewinnbegrenzungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61 61 63 64

b) Abweichung vom wettbewerbsanalogen Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 c) Sachliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2. Kampfpreisstrategien durch Nachfrager gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB . . . . . 66 a) Ermittlung von Kampfpreisen auf Angebotsmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kriterien zur Ermittlung von Kampfpreisen auf Angebotsmärkten . . . . (1) Verlustanalyse unter Heranziehung der Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verdrängungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Eignung zur Wettbewerbsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67 67 67 68 69

Inhaltsverzeichnis

11

bb) Zusammenwirken der einzelnen Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Fehlender unmittelbarer Nachweis der Verdrängungsabsicht . . . . . . (2) Fehlende Auswirkungsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Fehlende Verlustanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Übertragung auf Beschaffungsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verlustanalyse unter Heranziehung des Verkaufspreises . . . . . . . . . . . . . bb) Verdrängungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Eignung zur Wettbewerbsbeschränkung auf dem Beschaffungsmarkt . . dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Rechtfertigung einer Kampfpreisstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Passive Diskriminierung gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausnutzen der Marktstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auffordern oder Veranlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gewähren von Vorteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ohne sachliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis zu den missbräuchlichen Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70 70 70 70 71 72 72 74 75 76 76 77 77 78 78 78 78 79 79 80

B. Missbrauch relativer Marktmacht gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Marktabgrenzung bei relativer Marktmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bestimmung von relativer Marktmacht gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 GWB . . . . . . . . . 1. Kleine und mittlere Unternehmen i.S.v. § 20 Abs. 1 S. 1 GWB . . . . . . . . . . . . 2. Nachfragebedingte Abhängigkeit der Anbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausreichende Ausweichmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zumutbare Ausweichmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fallgruppen nachfragebedingter Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abhängigkeit aufgrund hoher Umsatzanteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abhängigkeit aufgrund von nachfragerspezifischen Investitionen oder Spezialisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Goodwill-bedingte Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abhängigkeitsvermutung gemäß § 20 Abs. 1 S. 2 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verbotenes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis zum Missbrauch relativer Marktmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80 81 83 83 85 86 87 88 88

C. Missbrauch überlegener Marktmacht gemäß § 20 Abs. 3 S. 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . I. Überlegene Marktmacht i.S.v. § 20 Abs. 3 S. 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verbotene Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis zum Missbrauch überlegener Marktmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92 93 94 95

89 90 91 92 92

D. Ergebnis zur Erfassung von Nachfragemachtmissbrauch durch das GWB . . . . . . . . . . 96

12

Inhaltsverzeichnis 3. Teil Europäisches Kartellrecht

97

A. Missbrauch einer beherrschenden Stellung gemäß Artikel 102 AEUV . . . . . . . . . . . . 97 B. Marktabgrenzung von Beschaffungsmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Methodik auf Angebotsmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachliche Marktabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Räumliche und zeitliche Marktabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Übertragung auf Beschaffungsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachliche Marktabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Spiegelbildliches Bedarfsmarktkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Spiegelbildlicher SSNIP-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Räumliche und zeitliche Marktabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98 99 99 101 102 103 103 104 105 107

C. Beherrschende Stellung eines Nachfragers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Definition der beherrschenden Stellung i.S.v. von Art. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . II. Kriterien zur Bestimmung von Einzelmarktbeherrschung durch Nachfrager . . . . 1. Marktstrukturkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Marktanteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bedeutung des Marktanteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Höhe des Marktanteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weitere Marktstrukturkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unternehmensstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Marktverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107 108 113 113 113 113 115 116 117 117 118

D. Wesentlicher Teil des Binnenmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 E. Missbräuchliche Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausbeutungsmissbrauch durch niedrige Einkaufspreise gemäß Art. 102 lit. a AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gewinnspannenbegrenzungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergleichsmarktkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kampfpreisstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kampfpreisunterbietungen durch marktbeherrschende Anbieter . . . . . . . . . . . . a) Verlustanalyse unter Heranziehung der Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Praxis des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Prioritätenmitteilung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verdrängungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

119 119 120 121 122 122 123 123 123 124 125 125

Inhaltsverzeichnis c) Auswirkungen auf den Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kampfpreisüberbietung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verlustanalyse zur Bestimmung missbräuchlicher Kampfpreise . . . . . . . . . . b) Bestimmung von Kampfpreisen unabhängig von einer Verlustanalyse . . . . . 3. Rechtfertigung missbräuchlicher Kampfpreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 126 127 127 127 128 129 129

F. Zwischenstaatlichkeitsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 G. Ergebnis zur Erfassung von Nachfragemachtmissbrauch durch Art. 102 AEUV . . . . . 130

4. Teil US-amerikanisches Kartellrecht A. Monopsonisierung nach Section 2 Sherman Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Marktabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Methodik der Abgrenzung von Angebotsmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachlicher Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Räumlicher Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übertragung auf Beschaffungsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachlicher Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ökonomische Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Pragmatische Erwägungen und empirische Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Marktnahe Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Räumlicher Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis zur Marktabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Monopsonmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Methodik zur Bestimmung von Monopsonmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Marktanteil und Monopsonmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anticompetitive oder exclusionary conduct . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausbeutungsmissbrauch durch Monopsonpreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Behinderung von Wettbewerbern durch Predatory Pricing . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Brooke Group-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Übertragung auf Beschaffungsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Predation-Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verlustanalyse zur Ermittlung von Kampfpreisen . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Recoupment-Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Recoupment-Erfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritische Würdigung der Gleichstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

131 131 132 133 133 136 137 137 137 138 139 139 140 140 140 142 143 145 147 149 150 151 151 152 153 153 155 156

14

Inhaltsverzeichnis IV. Ergebnis zur Monopsonisierung gemäß Section 2 Sherman Act . . . . . . . . . . . . . . 158

B. Versuchte Monopsonisierung nach Section 2 Sherman Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Specific intent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wettbewerbswidriges Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gefährliche Erfolgswahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis zur versuchten Monopsonisierung gemäß Section 2 Sherman Act . . . . .

158 159 160 160 161

C. Preisdiskriminierungen nach Section 2 (f) Clayton Act (Robinson-Patman Act) . . . . . I. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorliegen einer Anbieterdiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zwischenstaatlicher Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Veräußerung von Waren zu unterschiedlichen Preisen . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wettbewerbsbeeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verteidigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kenntnis des Nachfragers von der Anbieterdiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kenntnis des Nachfragers vom Vorliegen von defenses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis zur Preisdiskriminierung durch Nachfrager nach Section 2 (f) Clayton Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

162 162 164 164 164 164 165 167 167 168 169

D. Ergebnis zur Erfassung von Nachfragemachtmissbrauch durch US-Recht . . . . . . . . . . 170 5. Teil Vergleichende Zusammenfassung

171

A. Marktabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 B. Marktmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 C. Missbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 I. Ausbeutungsmissbrauch durch niedrige Preise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 II. Kampfpreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

1. Teil

Grundlagen A. Einleitung Die kartellrechtliche Behandlung von Nachfragemacht ist in den letzten Jahren weltweit wieder verstärkt in den Fokus der Kartellrechtswissenschaft und der Wettbewerbsbehörden gerückt. In Deutschland ist die Thematik seit Jahrzehnten immer wieder Mittelpunkt wettbewerbspolitischer, wettbewerbsrechtlicher und ökonomischer Diskussionen gewesen. Im Zuge der Fusionsfälle Edeka/Tengelmann1 und Edeka/trinkgut2 hat das Bundeskartellamt nach langer Zeit wieder den Versuch unternommen, Marktmacht auf Beschaffungsmärkten nachzuweisen und damit die Nachfragemachtdiskussion entscheidend wiederbelebt. So beschäftigte sich auch der Arbeitskreis Kartellrecht im Bundeskartellamt im September 2008 eingehend mit der Thematik.3 Die noch nicht abgeschlossene Sektoruntersuchung Lebensmitteleinzelhandel, die vom Bundeskartellamt 2011 eingeleitet wurde, soll ebenfalls im besonderen Maße die Wettbewerbsstruktur auf den Beschaffungsmärkten analysieren und damit das Bestehen von Nachfragemacht.4 Auch im Hinblick auf das europäische Kartellrecht ist die Wettbewerbssituation auf Beschaffungsmärkten in den letzten Jahren verstärkt in Entscheidungen der Kommission berücksichtigt worden. So wurde im Verfahren gegen British Airways zum ersten Mal Marktmacht, der Missbrauch von Marktmacht und damit ein Verstoß 1 BKartA, Beschluss vom 30. Juni 2008 – B2-333/07, Edeka/Tengelmann, (Stand: 27. 02. 2014). 2 BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B2-47250-Fa-52/10, Edeka/trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014). 3 Bundeskartellamt, Nachfragemacht und Kartellrecht – Stand und Perspektiven, Tagung des Arbeitskreises Kartellrecht am 18. September 2008, (Stand: 27. 02. 2014). 4 Vgl. Kartellamt prüft Macht von Aldi & Co., (Stand: 27. 02. 2014). Die britische Competition Commission hat im Jahre 2008 ebenfalls eine Marktuntersuchung durchgeführt und dabei eingehend auch die Wettbewerbsverhältnisse auf dem Beschaffungsmarkt analysiert, Competition Commission, The supply of groceries in the UK, S. 155 ff.

16

1. Teil: Grundlagen

gegen Art. 102 AEUV nicht im Hinblick auf die Stellung des Unternehmens als Anbieter, sondern auf die Stellung als Nachfrager festgestellt.5 In den USA fand im Jahre 2004 die „Buyer Power Conference“ des American Antitrust Institute statt.6 Die US-amerikanische Kartellrechtswissenschaft hat sich im Anschluss verstärkt dem Thema Marktmacht und Machtmissbrauch auf Beschaffungsmärkten gewidmet und der US-Supreme Court hat im Jahre 2007 mit dem Fall Weyerhaeuser7 nach langer Zeit wieder eine Rechtssache zur Entscheidung angenommen, welche das Monopolisierungsverbot nach Section 2 Sherman Act betrifft. Der Fall Weyerhaeuser hat dabei den Missbrauch von Nachfragemacht durch den Einsatz einer Kampfpreisstrategie zum Gegenstand. Auch die Federal Trade Commission hat in den im Jahre 2010 aktualisierten Merger Guidelines explizit die Behandlung von Nachfragemacht thematisiert.8 Die Thematik der Nachfragemacht ist aktuell und wirft noch immer unzählige Fragen auf, die als unbeantwortet gelten müssen.9 Da nicht bloß in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten Konzentrationstendenzen nicht nur auf Seiten des Angebots, sondern auch im Bereich der Beschaffung zu beobachten sind,10 beschränkt sich die vorliegende Arbeit nicht auf das GWB, sondern untersucht zudem, wie der Missbrauch von Nachfragemacht nach europäischem und US-amerikanischem Kartellrecht behandelt wird. Im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung des europäischen Kartellrechts und die über hunderjährige Kartellrechtstradition in den USA bieten sich diese beiden Rechtsordnungen in besonderem Maße für einen Vergleich an. Ebenso wie Angebotsmacht sind auch im Hinblick auf Nachfragemacht unzählige Missbrauchsformen möglich. Das Anzapfen,11 Bonussysteme,12 die Durchsetzung 5 Kommission, Entscheidung vom 14. Juli 1999 – IV/D-2/34.780 (K(1999 1973), ABl. 2000 L 30/1, Virgin/British Airways; bestätigt durch EuG, Entscheidung vom 17. Dezember 2003 – T-219/99, Slg. 2003, II-5917, British Airways/Kommission, und EuGH, Urteil vom 15. März 2007 – Rs. C-95/04 P, Slg. 2007, I-2331, British Airways/Kommission. 6 Siehe (Stand: 27. 02. 2014). 7 Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber Co., 549 U.S. 312 (2007). 8 Federal Trade Commission, Horizontal Merger Guidelines, S. 32 – 33. 9 So sind allein in den vergangenen zwölf Monaten zwei deutschsprachige Dissertationen erschienen, die sich mit anderen Teilaspekten von Nachfragemacht auseinandersetzen: Palatzke, Nachfragemacht im Kartellrecht – Bewährungsprobe für den More Economic Approach, Frankfurt am Main 2012 und Wanderwitz, Der Missbrauch von Nachfragemacht nach § 20 III GWB, Köln 2013. 10 Die sich nicht auf den Lebensmitteleinzelhandel beschränken, dort jedoch besonders ausgeprägt sind. 11 Wanderwitz, S. 54 ff. 12 Kommission, Entscheidung vom 14. Juli 1999 – IV/D-2/34.780 (K(1999 1973), ABl. 2000 L 30/1, Virgin/British Airways; bestätigt durch EuG, Entscheidung vom 17. Dezember 2003 – T-219/99, Slg. 2003, II-5917, British Airways/Kommission und EuGH, Urteil vom 15. März 2007 – Rs. C-95/04 P, Slg. 2007, I-2331, British Airways/Kommission.

B. Nachfragemacht

17

sachlich nicht gerechtfertigter Konditionen,13 Hochzeitsrabatte,14 Diskriminierungen oder Ausschließlichkeitsbindungen15 und Kampfpreise16 sind nur einige Formen der Ausnutzung von Nachfragemacht. Die Möglichkeiten der Machtausnutzung sind nahezu unbegrenzt und so führt der United States Court of Appeals, District of Columbia Circuit treffend aus: „Anticompetitive conduct can come in too many different forms, and is too dependent upon context, for any court or commentator ever to have enumerated all the varieties.“17

Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf den Preismissbrauch durch nachfragemächtige Einzelunternehmen und damit auf einen bislang wenig erörterten Teilaspekt. Im Mittelpunkt der Untersuchung soll dabei stehen, unter welchen Voraussetzungen der grundsätzlich bestehenden Freiheit der Preisgestaltung von Unternehmen auf dem Beschaffungsmarkt durch das Kartellrecht Grenzen gesetzt sind.

B. Nachfragemacht Ausgangspunkt fast aller Arbeiten zum Thema Nachfragemacht ist ein Definitionsversuch. Bei der Frage, wann einem Unternehmen Nachfragemacht zukommt, stehen sich dabei im Wesentlichen zwei Konzepte gegenüber: das Monopsonmodell und das Verhandlungsmachtmodell.18 Das Monopsonmodell basiert auf dem klassischen Marktmachtverständnis und versteht Nachfragemacht als einen Fall horizontaler Marktmacht, der aus einer Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Beschaffungsmarkt resultiert.19 Über Nachfragemacht im Sinne von Monopsonmacht kann damit auf einem Markt stets entweder ein Unternehmen als Monopsonist oder mehrere Unternehmen gemeinsam als Oligopson verfügen. Durch die Marktstellung ist das Monopson bzw. Oligopson

13

Monopolkommission, 7. SG - Nachfragemacht, Rdnr. 203 f. Bischke/Brack, NZG 2009, 657; siehe auch die Pressemitteilung des BKartA zur Abmahnung von Edeka vom 27. Juli 2013, (Stand: 27. 02. 2014). 15 Wecker, S. 204 f. 16 Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber Co., 549 U.S. 312 (2007). 17 Caribbean Broadcasting System, Ltd. v. Cable &. Wireless PLC, 148 F.3d 1080, 1087 (D.C. Cir. 1998); ebenso Lepage’s, Inc. v. 3M (Minnesota Mining and Manufacturing Co.), 324 F.3d 141, 152 (3rd Cir. 2003). 18 Der Umdeutungsansatz, der die Nachfragetätigkeit in ein Angebot einer Vertriebsleistung umdeuten will und damit Beschaffungs- in Angebotsmärkte transformiert, hat in den vergangenen Jahren keinerlei Zuspruch mehr erhalten und soll hier daher ausgeklammert bleiben, siehe bereits Ulmer, in: Wettbewerbsbeziehungen zwischen Industrie und Handel, 33 (44 ff.). 19 Monopolkommission, 7. SG – Nachfragemacht, S. 28, 44 f. 14

18

1. Teil: Grundlagen

dazu in der Lage, einseitig Wettbewerbsparameter zu bestimmen, die bei wirksamem Wettbewerb dem Markt überlassen wären.20 Das Verhandlungsmachtmodell hingegen versteht Nachfragemacht als ein primär vertikales Machtungleichgewicht zwischen zwei Unternehmen verschiedener Wirtschaftsstufen zugunsten des Nachfragers.21 Dieses entsteht insbesondere dann, wenn die Abbruchoptionen von Anbieter und Nachfrager für diese stark unterschiedliche Werte aufweisen.22 Unabhängig vom Wettbewerb auf dem Beschaffungsmarkt kann eine Vielzahl solcher Abhängigkeitsverhältnisse bestehen und Nachfragemacht kann demnach nicht nur einem Unternehmen zukommen. Verhandlungsmacht ermöglicht es einem Nachfrager, die Entscheidungen eines Geschäftspartners zu seinen Gunsten zu beeinflussen.23 Unmittelbaren Einfluss auf die Wettbewerbsparameter des Marktes muss der Nachfrager dabei nicht haben. Beiden Konzepten gemeinsam ist, dass sie unter Nachfragemacht die grundsätzliche Möglichkeit eines Nachfragers verstehen, eigene Interessen unabhängig vom Willen der Marktgegenseite und von Konkurrenten durchzusetzen. Damit unterscheiden sie sich letzten Endes allein in der Darlegung der Kausalitätskriterien der Nachfragemacht.24 Ein monokausaler Erklärungsansatz soll in der vorliegenden Arbeit jedoch nicht verfolgt werden, zudem ist er auch nicht erforderlich für eine Untersuchung der kartellrechtlichen Anwendungsvoraussetzungen. Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung ist nicht, was Nachfragemacht ist, sondern vielmehr, unter welchen Voraussetzungen Nachfrager in ihrer Preissetzungsfreiheit aufgrund von kartellrechtlichen Verbotsnormen eingeschränkt sind. Nicht auf eine konkrete Nachfragemachtdefinition kommt es damit an, sondern allein darauf, wie die zu untersuchenden Normen auf Nachfrager Anwendung finden. Entscheidend ist folglich nicht, wie Nachfragemacht definiert werden soll, sondern nur, wann ein Nachfrager die Normadressatenvoraussetzungen der §§ 18, 19, 20 GWB, des Art. 102 AEUV und von Section 2 Sherman Act und Section 2(f) Clayton Act erfüllt. Bereits ein erster Blick in die jeweiligen Tatbestände verdeutlicht, dass eine Differenzierung zwischen Anbietern und Nachfragern allen drei Rechtsordnungen weitgehend fremd ist. Entsprechend besteht auch im Hinblick auf alle drei Rechtsordnungen grundsätzliche Einigkeit dahingehend, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für Anbieter und Nachfrager soweit wie möglich gleich auszulegen sind. Der Begriff der spiegelbildlichen Anwendbarkeit der für Anbieter entwickelten 20

Chen, 22 Research in L. & Econ. 17, 21 – 24 (2007); Inderst/Mazzarotto, in: Issues in Competition Law and Policy, 1953 (1955); Kirkwood, 72 Antitrust L.J. 625, 638 (2005). 21 Arndt, in: Die Konzentration in der Wirtschaft, 99 (107); Hansen, Probleme der Nachfragemacht aus der Sicht des Bundeskartellamts, S. 7. 22 Doyle/Inderst, 28 ECLR 210, 212 ff. (2006); Inderst/Wey, Die Wettbewerbsanalyse von Nachfragemacht aus verhandlungstheoretischer Sicht, S. 21. 23 Arndt spricht daher auch von der Fähigkeit, die Marktgegenseite zu „Umwertungen“ zu zwingen, Arndt, in: Die Konzentration in der Wirtschaft, 99 (131). 24 So auch Kessen, S. 46 – 47 im Hinblick auf die Nachfragemachtproblematik in der Automobilindustrie.

C. Formen missbräuchlicher Preisgestaltung durch Nachfrager

19

Grundsätze hat sich dabei etabliert und soll auch im Folgenden verwendet werden. Die Schwierigkeiten der spiegelbildlichen Anwendung wurden sehr treffend beschrieben von Pauly, der sinngemäß schreibt: Es ist nicht einfach, klar zu denken, während man auf dem Kopf steht und die Intuition kann leicht und überzeugend in die falsche Richtung weisen.25 In den Teilen 2, 3 und 4 dieser Arbeit sollen daher die Schwierigkeiten einer spiegelbildlichen Anwendung bestehender Grundsätze auf Beschaffungsmärkte herausgearbeitet und bestehende Defizite in der Anwendungspraxis aufgezeigt werden.

C. Formen missbräuchlicher Preisgestaltung durch Nachfrager Die grundsätzlich gewährleistete Preisfreiheit im Wettbewerb kann sowohl „nach unten“ als auch „nach oben“ kartellrechtlich beschränkt sein. Missbräuchliche Preise können einen Ausbeutungs- und einen Behinderungscharakter aufweisen, die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs beschränken und damit ein kartellrechtliches Eingreifen erfordern. Es ist im Hinblick auf missbräuchliche Preise zwischen zwei Missbrauchsformen zu unterscheiden: dem Ausbeutungsmissbrauch und dem Behinderungsmissbrauch.

I. Ausbeutungsmissbrauch durch niedrige Preise Der Ausbeutungsmissbrauch betrifft Fälle, in denen ein Unternehmen von der Marktgegenseite Preise verlangt, die unter wettbewerblichen Bedingungen nicht durchsetzbar wären. Das Verbot des Ausbeutungsmissbrauchs soll damit kurzfristig nichtwettbewerbliche Marktergebnisse korrigieren.26 Auf Angebotsmärkten besteht ein Ausbeutungsmissbrauch in dem Fordern zu hoher Preise von Käufern bzw. Nachfragern. Im Rahmen der Ausübung von Nachfragemacht auf Beschaffungsmärkten erfasst der Ausbeutungsmissbrauch spiegelbildlich missbräuchlich niedrige Preise, die der Nachfrager von den Anbietern verlangt. In der deutschen Kartellrechtswissenschaft wird die Nachfragemachtthematik insbesondere im Hinblick auf das Fordern von niedrigen Preisen und der Ausbeutung der Marktgegenseite diskutiert. Beispielhaft seien hier der Bereich des Lebensmitteleinzelhandels,27 die Beschaffung von Milch28 und das Zulieferer25 Pauly, 6 Journal of Health Economics 73 f. (1987); ebenso Hammer/Sage, 71 Antitrust L.J. 949, 963 (2004): „it [is] not easy to think straight while standing on one’s head and ,intuition can easily (and persuasively) be led in the wrong direction.‘“ 26 Jickeli, S. 238. 27 Monopolkommission, 7. SG – Nachfragemacht, S. 203 ff., Monopolkommission, 19. HG – 2010/2011, Rdnr. 1154 f.; Schulze, S. 231 ff. 28 Bundeskartellamt, Sektoruntersuchung Milch, Rdnr. 108.

20

1. Teil: Grundlagen

wesen genannt.29 Das Verbot des Ausbeutungsmissbrauchs beschränkt daher die Preisfreiheit eines Nachfragers „nach unten.“

II. Behinderungsmissbrauch durch Kampfpreise Der Behinderungsmissbrauch durch Kampfpreise ist dagegen auf die Verdrängung oder Disziplinierung von Wettbewerbern auf der gleichen Marktstufe gerichtet. Eine Kampfpreisstrategie verfolgt damit das Ziel der Marktmachtsteigerung durch Verdrängung oder Disziplinierung von Wettbewerbern.30 Kampfpreise geben Anlass zu kartellrechtlichen Bedenken, wenn durch diese die Konkurrenten des Marktbeherrschers in ihren wettbewerblichen Möglichkeiten behindert werden. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn eine signifikante Anzahl von Wettbewerbern nicht mehr gewinnbringend arbeiten kann oder aus dem Markt austreten muss.31 Auf Angebotsmärkten findet durch den marktbeherrschenden Anbieter eine Kampfpreisunterbietung (predatory pricing) unter Inkaufnahme von Verlusten statt, um Wettbewerber zu disziplinieren, aus dem Markt zu verdrängen oder einen Marktzutritt zu verhindern.32 Dadurch erleidet das Unternehmen kurzfristige Gewinneinbußen, die es bei erfolgreicher Verdrängung durch eine anschließende Preiserhöhung auf dem monopolisierten Markt ausgleicht.33 Während die Marktgegenseite damit kurzfristig von niedrigeren Preisen profitiert, geht der anschließende Preisanstieg zu Lasten der Abnehmer und schlussendlich der Verbraucher.34 Die Fallgruppe der Kampfpreisunterbietung begrenzt somit die Preisfreiheit von Anbietern „nach unten.“ Während in der deutschen und europäischen Kartellrechtswissenschaft Kampfpreisstrategien bislang auf Kampfpreisunterbietungen durch Anbieter reduziert wurden, hat das US-amerikanische Section 2 Sherman Act-Verfahren Ross-Simmons Hardwood Lumber Co. v. Weyerhaeuser Co. aufgezeigt, dass auch Nachfrager Kampfpreisstrategien auf Beschaffungsmärkten einsetzen können. Diese sind ebenso darauf gerichtet, Wettbewerber vom Beschaffungsmarkt (und schlussendlich vom Angebotsmarkt) zu verdrängen und damit die eigene Marktmacht zu steigern. 29 Kessen, S. 75 ff. Auch im Bereich der Internetsuchmaschinen wird die fehlende Bereitschaft von Google, als Nachfrager von Nachrichtenportalen für Inhalte zu bezahlen, im Zusammenhang mit einem möglichen Ausbeutungsmissbrauch diskutiert. Dieser Problematik versuchte der Gesetzgeber jedoch über das Leistungsschutzrecht für Presseverlage zu begegnen. Siehe ausführlich Kersting/Dworschak, NZKart 2013, 46 (51 f.). 30 Sondermann, S. 308. 31 Leo/Knöpfle, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, 4. EL April 2001, Rdnr. 1785.1. 32 Emmerich, in: Dauses, Art. 102 AEUV, 31. EL Juli 2012, Rdnr. 123. 33 Sondermann, S. 308. 34 Pries, S. 10 f.

C. Formen missbräuchlicher Preisgestaltung durch Nachfrager

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Als Gegenstück zur Kampfpreisunterbietung als Unterfall des Verdrängungsmissbrauchs auf Angebotsmärkten kann auf Beschaffungsmärkten zum einen predatory bidding, zum anderen predatory overbuying gesehen werden. Während der Nachfrager beim predatory bidding den Preis hochtreibt, indem er auf dem Markt mehr für das fragliche Produkt bietet, erreicht er eine Preiserhöhung beim predatory overbuying durch eine Erhöhung der nachgefragten Menge.35 Die Auswirkungen beider Strategien sind identisch,36 weswegen im Folgenden keine weitere Unterscheidung vorgenommen werden soll und für beide Strategien einheitlich der Begriff Kampfpreisüberbietung oder predatory buying verwendet wird. Auch die Kampfpreisstrategie durch marktbeherrschende Nachfrager lässt sich zunächst in zwei Phasen unterteilen. In der ersten Phase treibt der Normadressat den Preis mit Verdrängungsabsicht hoch. Dies wirkt sich stets positiv auf die Marktgegenseite – also die Anbieter – und stets negativ auf Wettbewerber aus, die höhere Einkaufspreise zahlen müssen, um weiterhin beliefert zu werden. Bei erfolgreicher Verdrängung kann der Nachfrager in der zweiten Phase seine Nachfrage strategisch reduzieren und dadurch den Marktpreis senken. Die zuvor erlittenen Verluste können damit ausgeglichen werden. Der Anbieter des fraglichen Gutes profitiert somit, spiegelbildlich zum Nachfrager bei der Kampfpreisunterbietung, während der Predation-Phase von höheren Einkaufspreisen und muss nach Beendigung dieser Phase mit niedrigeren Einkaufspreisen rechnen. Auf dem nachgelagerten Absatzmarkt hat die Kampfpreisüberbietung regelmäßig nur dann unmittelbare Auswirkungen während der ersten Phase, wenn der Normadressat zu Preisdiskriminierungen in der Lage ist. Wenn auf dem nachgelagerten Absatzmarkt intensiver Wettbewerb herrscht, beispielsweise weil der räumliche Beschaffungsmarkt enger abzugrenzen ist als der räumliche Absatzmarkt, wird der Normadressat seine Verkaufspreise hingegen nicht signifikant anpassen können.37 Sofern der Normadressat Marktmacht auch auf dem nachgelagerten Absatzmarkt hat38 und den Verkaufspreis für den Output erhöht, profitieren davon regelmäßig auch seine Wettbewerber auf dem Beschaffungsmarkt durch höhere Einnahmen, was die Erfolgsaussichten der Verdrängungsstrategie schmälert. Eine Kampfpreisüberbietung kann somit nur dann Verdrängungswirkung entfalten, wenn der Verkaufspreis auf dem nachgelagerten Absatzmarkt durch die Kampfpreisüberbietung auf dem Beschaffungsmarkt nicht beeinflusst wird.39 In der zweiten Phase der Kampfpreis35

Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3 A, Rdnr. 747b2. Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber Co., 549 U.S. 312, 322 Fn. 3 (2007); Mand, Buying Power and Section 2 of the Sherman Act, S. 35. 37 Vgl. dazu die Ausführungen zum US-amerikanischen Kartellrecht unten 4. Teil A. III. 2. 38 In einem solchen Fall würde die Kampfpreisüberbietung gleichermaßen eine Kampfpreisunterbietung auf dem nachgelagerten Markt darstellen. Aufgrund der etablierten Praxis zum predatory pricing wäre ein Rückgriff auf die Kampfpreisüberbietung dann wenig zweckmäßig. 39 Entsprechendes gilt auch für die Kampfpreisunterbietung. Senkt der marktbeherrschende Anbieter den Verkaufspreis auf dem Absatzmarkt in Verdrängungsabsicht, so ist eine Ver36

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1. Teil: Grundlagen

überbietung sind die Auswirkungen auf dem nachgelagerten Markt ebenso ambivalent, schmälert eine Weitergabe der erzielten Preisvorteile doch theoretisch die Kompensation erlittener Einbußen. Der mögliche Einsatz einer Kampfpreisüberbietung als Verdrängungsstrategie auf Beschaffungsmärkten setzt voraus, dass der Nachfrager den Marktpreis einseitig so stark anheben kann, dass die Wettbewerbsfähigkeit von Konkurrenten dadurch beschränkt wird und diese zum Marktaustritt gezwungen werden. Kampfpreisüberbietungen sind somit nur auf Märkten möglich, auf denen das Angebot stark begrenzt ist.40 Ist einem Nachfrager der Bezug von Waren schließlich aufgrund zu hoher Preise unmöglich, so bleibt ihm nichts anderes als der Marktaustritt. Das Verbot des Behinderungsmissbrauchs durch Kampfpreise beschränkt daher die Preisfreiheit eines Nachfragers „nach oben.“

D. Gang der Untersuchung Bevor die einzelnen Missbrauchsformen näher untersucht werden, ist in einem ersten Schritt zu klären, unter welchen Voraussetzungen Nachfrager überhaupt Normadressaten des jeweiligen Normen sind. In allen drei untersuchten Rechtsordnungen gilt das Missbrauchs- bzw. Monopolisierungsverbot nicht für alle Unternehmen, sondern nur für solche, die einen gewissen Grad an Marktmacht aufweisen. Für die Feststellung von Marktmacht ist in einem notwendigen Zwischenschritt zunächst der relevante Markt abzugrenzen. Im Anschluss ist zu untersuchen, wann die jeweilige Marktmachtschwelle von einem Nachfrager überschritten wird. Erst dann kann das fragliche Verhalten auf seine Missbräuchlichkeit hin untersucht werden. Während die Rechtsprechung zum Missbrauch von Angebotsmacht in allen drei Rechtsordnungen sehr umfangreich ist, gibt es nur wenige Fälle, in denen der Missbrauch von Nachfragemacht im Mittelpunkt des Verfahrens stand.41 Im Hinblick auf die gebotene spiegelbildliche Betrachtungsweise von Nachfragemacht werden daher im Folgenden in einem ersten Schritt die jeweiligen Grundsätze des Missbrauchs von Angebotsmacht skizziert. In einem zweiten Schritt wird versucht, diese Grundsätze spiegelbildlich auf Nachfragemacht zu übertragen. Da die Nachfragedrängung ausgeschlossen, wenn er gleichzeitig auf dem Beschaffungsmarkt die Bezugskosten für alle Marktteilnehmer senkt und damit die Preisunterbietung ausgleicht. Streng genommen handelt es sich bei einem solchen Preis nicht einmal um einen Kampfpreis. 40 Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3 A, Rdnr. 747b2. Eine weitere Voraussetzung ist, dass der Preis des Gutes sich auf dem Markt bildet und nicht in bilateralen Verhandlungen festgesetzt wird. Weiterhin ist erforderlich, dass die Grenzkosten für den Anbieter steigend sind. Bei sinkenden Grenzkosten der Anbieter würde eine erhöhte Nachfrage des marktbeherrschenden Unternehmens schließlich sinkende Preise bedeuten und eine Kampfpreisüberbietung wäre unmöglich. Vgl. Inderst, WuW 2008, 1261 (1263 Fn. 11). 41 Bontrup/Marquardt, S. 1.

D. Gang der Untersuchung

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machtdiskussion über lange Zeit besonders intensiv in Deutschland mit Blick auf das GWB geführt worden ist, soll dieses ungeachtet seiner sinkenden Bedeutung vorangestellt werden. In der anschließenden Darstellung des Art. 102 AEUV kann dann in weiten Teilen auf die Ausführungen zum GWB verwiesen werden. Dem folgt eine Analyse des US-amerikanischen Kartellrechts.

2. Teil

Deutsches Kartellrecht Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen unterscheidet zwischen dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gemäß § 19 GWB und dem Missbrauch relativer Marktmacht gemäß § 20 Abs. 1, 2 GWB und überlegener Marktmacht im Sinne von § 20 Abs. 3 GWB. Ausgehend von dem Missbrauchsverbot für marktbeherrschende Unternehmen sollen im Folgenden die Anwendungsmöglichkeiten der Verbotstatbestände auf Nachfrager ausführlich analysiert werden.

A. Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gemäß § 19 i.V.m. § 18 GWB Das Missbrauchsverbot für marktbeherrschende Unternehmen nach § 19 GWB ist Grundlage der deutschen Missbrauchsaufsicht. Es ist für marktbeherrschende Anbieter und Nachfrager gleichermaßen einschlägig und erfasst nach der Generalklausel des Absatz 1 alle missbräuchlichen Verhaltensweisen. Diese werden näher konkretisiert in den Fallgruppen des Absatzes 2 Nr. 1 bis Nr. 5. Für die hier diskutierten Fälle des Preismissbrauchs sind insbesondere der Ausbeutungsmissbrauch gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB und das Verbot unbilliger Behinderung gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB, welches auf Kampfpreise Anwendung findet, von Bedeutung. Da es sich beim Verbot passiver Diskriminierung42 um einen nachfragespezifischen Tatbestand handelt, soll dieser ebenfalls berücksichtigt werden. Die Prüfung des § 19 GWB erfolgt dabei stets dreistufig: Erstens ist der relevante Markt abzugrenzen, zweitens ist zu untersuchen, ob das Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung auf diesem Markt einnimmt, und drittens ist das Verhalten auf seine Missbräuchlichkeit hin zu analysieren.

42

Siehe unten 2. Teil A. III. 3.

A. Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gem. § 19 i.V.m. § 18 GWB

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I. Marktabgrenzung von Beschaffungsmärkten 1. Die Notwendigkeit der Marktabgrenzung in Nachfragemachtkonstellationen Immer wieder diskutiert wurde in den vergangenen Jahren die Frage, ob eine Marktabgrenzung im Rahmen der Ermittlung einer marktbeherrschenden Stellung überhaupt notwendig ist.43 Insbesondere im Hinblick auf das Verhandlungsmachtkonzept als Ansatzpunkt zur Bestimmung von Nachfragemacht, welches auch in der kartellrechtlichen Anwendungspraxis diskutiert wird, könnte man eine Marktabgrenzung für entbehrlich halten.44 Wenn Macht schließlich allein in bilateralen Beziehungen besteht, könnte die horizontal ausgerichtete Marktabgrenzung tatsächlich entbehrlich sein. Die ganz herrschende Meinung hält eine Marktabgrenzung hingegen noch immer für unumgänglich.45 Die Notwendigkeit einer Marktabgrenzung ergibt sich zunächst aus der Marktbeherrschungsvermutung gemäß § 19 Abs. 3 GWB, welche an bestimmte Marktanteile anknüpft.46 Die Ermittlung von Marktanteilen ist nur möglich, wenn zuvor ein Markt in sachlicher, räumlicher und eventuell zeitlicher Hinsicht ausreichend klar bestimmt wurde. Weiterhin ergibt sich erst aus der Marktabgrenzung, wer als Wettbewerber des potentiell marktbeherrschenden Unternehmens überhaupt in Betracht kommt.47 Wichtigste Aufgabe der Marktabgrenzung ist somit zu ermitteln, welchen wettbewerblichen Kräften Unternehmen ausgesetzt sind.48 Schließlich sprechen auch Praktikabilitätserwägungen klar für eine zweistufige Prüfung.49 Wenngleich die Bedenken daher nicht zur Aufgabe des zweistufigen Verfahrens führen, dürfen Marktabgrenzung und die Bestimmung des Beherrschungsgrades nicht isoliert voneinander erfolgen. Denn je enger ein Markt abgegrenzt wird, desto leichter fällt die Feststellung einer beherrschenden Stellung.50 43 Kritisch insbesondere Wilde, S. 58, die zu Recht darauf hinweist, dass durch die Marktabgrenzung die Marktbeherrschungsanalyse oftmals vorweggenommen wird. Weiterhin setzt eine Marktabgrenzung aus Sicht der Marktgegenseite voraus, dass diese bereits bestimmt wurde, vgl. Traugott, WuW 1998, 929 (935). Dies ist jedoch theoretisch nur möglich nach erfolgter Abgrenzung des gegensätzlichen Marktes. Eine gewisse Zirkelschlussartigkeit ist der Marktabgrenzung daher tatsächlich inhärent. Dazu ausführlich Neveling, S. 33 ff. 44 Zu der Vereinbarkeit des Verhandlungsmachtkonzepts mit der gesetzlichen Wertung des § 18 GWB siehe unten 2. Teil A. II. 1. a) – c). 45 Bergmann, S. 44 – 46; Lenßen, S. 27 ff.; Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 241; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 18; Neveling, S. 41; Säcker, BB 1988, 416 (418). 46 Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 239. 47 KG, Beschluss vom 19. März 1975 – Kart. 26/74, WuW/E OLG 1599 (S. 1602), Vitamin B-12. 48 Traugott, WuW 1998, 929. 49 Kirschner, S. 64. 50 Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 20 m.w.N.

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2. Teil: Deutsches Kartellrecht

2. Methodik der Marktabgrenzung Eine beherrschende Stellung kann somit auch auf Beschaffungsmärkten nur im Hinblick auf einen bestimmten Markt festgestellt werden.51 Daher ist auch bei der Bestimmung von Nachfragemacht im Sinne einer marktbeherrschenden Stellung auf einem Beschaffungsmarkt eine Marktabgrenzung in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht unerlässlich. Während der Begriff „Markt“ im GWB vielfach verwendet wird, wird er an keiner Stelle des Gesetzes eine definiert. In der Ökonomie wird der Markt allgemein als der Ort verstanden, an dem Angebot und Nachfrage nach einem bestimmten Gut zusammentreffen. Entsprechend erfolgt die Marktabgrenzung vom Standpunkt eines Wirtschaftsgutes aus gesehen hinsichtlich der beiden Marktseiten.52 Der kartellrechtliche Marktbegriff ist hingegen normativer Natur und dient primär dem Zweck, die Wettbewerbsverhältnisse entweder auf Angebots- oder auf Nachfrageseite53 und die gegenüber der Marktgegenseite und den Wettbewerbern bestehende Marktmacht zu ermitteln.54 Dem ökonomischen Markt ist der an den Zielen des Kartellrechts ausgerichtete, kartellrechtlich relevante Markt daher gegenüber zu stellen.55 Damit erfolgt die Marktabgrenzung weniger aus Sicht eines bestimmten Wirtschaftsgutes, als vielmehr aus Sicht eines bestimmten Bedarfes bzw. Angebots. Der ökonomische Marktbegriff eignet sich somit nicht, den normativen Marktbegriff des GWB auszufüllen.56 Im Vordergrund der Anwendungspraxis und auch der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Prinzipien der Marktabgrenzung steht eindeutig der Angebotsmarkt. Die Abgrenzung des Beschaffungsmarktes basiert im Wesentlichen auf den Instrumenten zur Abgrenzung des Angebotsmarktes und vielfach wird in der Praxis und Literatur lediglich auf eine spiegelbildliche Anwendbarkeit verwiesen. Daher soll im Folgenden zunächst in Kürze die Abgrenzung von Angebotsmärkten im Rahmen des § 18 GWB thematisiert werden. In einem zweiten Schritt ist diese Methodik schließlich – soweit möglich – auf Beschaffungsmärkte zu übertragen. a) Methodik zur Abgrenzung von Angebotsmärkten Bei der Abgrenzung von Angebotsmärkten ist nach ganz herrschender Meinung auf das Bedarfsmarktkonzept abzustellen und somit auf die Ausweichmöglichkeiten 51

Kirschner, S. 64; Neveling, S. 131; Reimann, WuW 1976, 541 (544). Hölzler/Satzky, S. 83 f. 53 Götting, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 19 GWB, Rdnr. 11; Hölzler/Satzky, S. 84 m.w.N.; Müller, S. 23 – 25. 54 Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 471; Massey, 31 The Economic and Social Review 309, 325 (2000). 55 Lenßen, S. 56 – 67; Massey, 31 The Economic and Social Review 309, 317 f. (2000). 56 Neveling, S. 33. 52

A. Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gem. § 19 i.V.m. § 18 GWB

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der Marktgegenseite, also der Abnehmer.57 Dieses Konzept entspringt der USamerikanischen Kartellrechtstradition und hat sich auch im deutschen Kartellverfahren durchgesetzt.58 Nach dem Bedarfsmarktkonzept sind bei der sachlichen Marktabgrenzung „[s]ämtliche Erzeugnisse, die sich nach ihren Eigenschaften, ihrem wirtschaftlichen Verwendungszweck und ihrer Preislage so nahestehen, dass der verständige Verbraucher sie als für die Deckung eines bestimmten Bedarfs geeignet in berechtigter Weise abwägend miteinander vergleicht und als gegeneinander austauschbar ansieht“59

als einem Markt zugehörig anzusehen. Ausgangspunkt der Abgrenzung ist daher nicht die Homogenität von Gütern aus Anbietersicht, sondern vielmehr ein bestimmtes Bedürfnis des Abnehmers, welches durch das angebotene Gut befriedigt werden kann.60 Abzustellen ist dabei auf das Leitbild des verständigen Verbrauchers. Bei der Abgrenzung von Angebotsmärkten nach dem Bedarfsmarktkonzept bildet der Bedarf des Nachfragers (Verbrauchers) damit ein feststehendes Datum, und diejenigen Güter, die den Bedarf befriedigen können, sind die Variablen, die ermittelt werden sollen.61 Diese Güter bilden schließlich den Markt im kartellrechtlichen Sinn und stehen im Wettbewerb miteinander. Eine weitere Variable aus Verbrauchersicht kann der Vertriebsweg sein, sofern die unterschiedlichen Vertriebsformen für den Verbraucher gleichwertig sind.62 Im Grunde mit dem Bedarfsmarktkonzept schwer vereinbar, weil nicht auf die Marktgegenseite abstellend,63 wird ergänzend die Produktions- und Angebotsumstellungsflexibilität von anderen Anbietern bereits bei der Marktabgrenzung berücksichtigt.64 Sofern es anderen Anbietern mit vertretbarem Aufwand kurzfristig möglich ist, Konkurrenzprodukte herzustellen, die zur Bedarfsdeckung ebenfalls

57 Füller, in: Münchener Kommentar, Einl., Rdnr. 1669 ff.; Ruppelt, in: Langen/Bunte, § 19 GWB, Rdnr. 20 ff.; Säcker, BB 1988, 416 (418); vgl. auch Müller, S. 111 ff., der sich ausführlich mit den Gegenkonzepten zum Bedarfsmarktkonzept auseinandersetzt. Im Ergebnis jedoch eine Abkehr vom Bedarfsmarktkonzept als nicht gangbar bezeichnet. 58 Traugott, WuW 1998, 929 (929); vgl. bereits Beckmann, S. 124 ff. 59 KG, Beschluss vom 18. Februar 1969 – Kart. V 34/67, WuW/E OLG 995 (S. 995 f.), Handpreisauszeichner. 60 Lenßen, S. 186. 61 Hölzler/Satzky, S. 85. 62 BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B2-47250-Fa-52/10 (S. 43), Edeka/trinkgut,

(Stand: 27. 02. 2014); Neveling, S. 122 ff. 63 Neveling, S. 77; Füller, in: Münchener Kommentar, Einl., Rdnr. 1680. 64 Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 24. Begründet werden kann diese Abkehr vom Bedarfsmarktkonzept in erster Linie damit, dass sie verhindert, dass die technischen Eigenschaften eines Produktes zu atomisierten Märkten führen, siehe dazu Füller, in: Münchener Kommentar, Einl., Rdnr. 1680 m.w.N.

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2. Teil: Deutsches Kartellrecht

geeignet sind, besteht ein einheitlicher Markt.65 Durch die Berücksichtigung der Angebotsumstellungsflexibilität sollen insbesondere dynamische Marktprozesse besser erfasst werden können. Nur dadurch können schließlich die auf dem Markt vorherrschenden Wettbewerbsverhältnisse in adäquater Form ermittelt werden. b) Zusammenfassung Für die Abgrenzung von Angebotsmärkten lässt sich somit festhalten, dass sie im deutschen Recht in erster Linie anhand des qualitativen Kriteriums des Bedarfs der Marktgegenseite erfolgt und quantitative Instrumente zur Messung von Substitutionsbeziehungen im Rahmen der Missbrauchsaufsicht nicht zur Anwendung kommen. Ausgangspunkt ist stets die dem zu bestimmenden Markt gegenüberstehende Marktseite, also die Nachfrager. Austauschmöglichkeiten der Anbieter sind nur in engen Grenzen ergänzend zu berücksichtigen. 3. Übertragung auf Beschaffungsmärkte Das Bedarfsmarktkonzept findet bei der Abgrenzung von Beschaffungsmärkten nach heute ganz herrschender Meinung spiegelbildliche Anwendung.66 Ausgangspunkt müssen daher die Ausweichmöglichkeiten der Anbieter von Waren und Dienstleistungen als Marktgegenseite der Nachfrager sein.67 Solche Ausweichmöglichkeiten können dabei in sachlicher Hinsicht sowohl im Rahmen der Produktion bestehen als auch in der Wahl des Vertriebsweges. Überschneidungen mit der 65 Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 24; Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 40; Opitz, WuW 2003, 37 (42 f.); klar veranschaulichen tut dies Lenßen beispielhaft im Hinblick auf den Angebotsmarkt für Schuhe: Für Schuhe unterschiedlicher Größen müssten theoretisch unterschiedliche Märkte bestehen, wenn es allein auf die Nachfragesubstituierbarkeit ankäme. Denn ein Verbraucher mit Schuhgröße 42 kann mit einem kleineren Schuh wenig anfangen, er eignet sich nicht zur Befriedigung seines Bedarfs. Jedoch würde dies zu einer inadäquaten Darstellung der Wettbewerbsverhältnisse führen, wenn Hersteller problemlos ihre Produktion auf andere Größen umstellen können. In diesen Konstellationen ist daher auch die angebotsseitige Substituierbarkeit zu berücksichtigen, Lenßen, S. 97 ff. 66 Zuletzt BKartA, Beschluss vom 27. März 2013 – B2-113/12 (Tz. 33), Deutsche Milchkontor/Roseneiskrem-Gruppe, (Stand: 27. 02. 2014); BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B2-47250-Fa-52/10 (S. 106), Edeka/trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014); Götting, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 19 GWB, Rdnr. 25; Kessen, S. 58; Möschel, WuW 2013, 568 (571); Neveling, S. 132; Opitz, WuW 2003, 37 (42); Schwalba, Rdnr. 130; Ruppelt, WuW 2012, 27 (33); Wecker, S. 54; im Schweizer Kartellrecht beispielsweise gesetzlich normiert in Art. 11 Abs. 3 lit. a der Verordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen vom 17. Juni 1996; anderer Ansicht wohl Füller, in: Münchener Kommentar, Einl., Rdnr. 1695, der jedoch kein Alternativkonzept vorschlägt oder favorisiert. 67 Köhler, Nachfragewettbewerb und Marktbeherrschung, S. 46.

A. Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gem. § 19 i.V.m. § 18 GWB

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räumlichen Marktabgrenzung ergeben sich dabei verstärkt dadurch, dass mittels einer Produktions- oder Vertriebswegumstellung regelmäßig auch andere Absatzgebiete erreicht werden. Eine trennscharfe Abgrenzung ist daher im Grunde nicht möglich, in der Praxis wird jedoch auch auf Beschaffungsmärkten stets zwischen sachlicher und räumlicher Marktabgrenzung differenziert.68 Diese Unterscheidung soll daher beibehalten werden. a) Sachliche Marktabgrenzung Die sachliche Marktabgrenzung soll nach einem spiegelbildlichen Bedarfsmarktkonzept erfolgen. In dieser Aussage erschöpft sich weitgehend die kartellrechtliche Literatur, ohne näher zu erörtern, wie genau dieses Spiegelbild aussehen soll. Als geklärt kann lediglich die relevante Sichtweise angesehen werden: Entscheidend sind die Ausweichmöglichkeiten der Anbieter als Marktgegenseite.69 Da sich die Frage der funktionellen Austauschbarkeit von Produkten auf Angebotsmärkten qualitativ an einem bestimmten Bedarf orientiert,70 muss es bei der spiegelbildlichen Abgrenzung von Beschaffungsmärkten nun ebenfalls ein qualitatives Kriterium, vergleichbar mit dem Bedarf des verständigen Verbrauchers, geben, um die funktionelle Austauschbarkeit aus Anbietersicht ermitteln zu können. Hierfür bietet sich eine Heranziehung des Absatzinteresses des verständigen Anbieters an. Während der Verbraucher ein primäres Interesse daran hat, durch den Erwerb von Gütern einen bestimmten Bedarf zu decken, arbeitet ein Anbieter von Waren oder Dienstleistungen in erster Linie gewinnorientiert und damit auf den Absatz seiner Produkte fokussiert. So wie bestimmte Produkte den Bedarf des Verbrauchers befriedigen, wird das Absatzinteresse des Herstellers durch verschiedene Abnehmergruppen befriedigt, die es daher zu ermitteln gilt.71 Das Absatzinteresse von Anbietern konzentriert sich dabei stets auf ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Produktgruppe. Diese Produkte sind insbesondere Ausfluss aus 68 Zuletzt: BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B2-47250-Fa-52/10 (S. 106 ff.; 117), Edeka/trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014); BKartA, Beschluss vom 15. Dezember 2011 – B7-66/11 (Tz. 261 ff., 268), LGI/Kabel BW, (Stand: 27. 02. 2014); BKartA, Beschluss vom 22. Februar 2013 – B7-70/12 (Tz. 266 f.; 268), Kabel Deutschland/Tele Columbus, (Stand: 27. 02. 2014). 69 Götting, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 19 GWB, Rdnr. 25; Köhler, Wettbewerbsbeschränkungen durch Nachfrager, S. 65 f.; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 40 – 42, jeweils m.w.N. 70 Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 248 ff. 71 Vgl. Reimann, WuW 1976, 541 (544 – 545), der jedoch die Abnahmefunktionen der Nachfrager in eine Vertriebsleistung umdeuten will und damit den Beschaffungsmarkt zu einem Angebotsmarkt transformiert. Dieser Ansatz, der maßgeblich auf einen nicht näher ausgeführten Gedanken von Kartte zurückgeht (Kartte, WRP 1976, 1 (3)), hat sich jedoch weder in der Praxis noch in der Wissenschaft durchsetzen können.

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2. Teil: Deutsches Kartellrecht

den Produktionsmitteln des Unternehmens und dem unternehmerischen Knowhow.72 Produktionsmittel und Know-how des verständigen Anbieters sind daher das Datum, anhand dessen die variable Nachfragergruppe ermittelt werden muss. Da es Unternehmen üblicherweise möglich ist, mehrere Produkte herzustellen, sind anhand der Umstellungsflexibilitäten der Anbieter Produktgruppen zu bilden. Anschließend ist zu untersuchen, welche Formen der Nachfrage bzw. Vertriebswege für die Produktgruppe in Frage kommen und das Absatzinteresse des Anbieters befriedigen können. Diese Abnehmer sind aus Anbietersicht austauschbar, stehen in Wettbewerbsbeziehungen um die Beschaffung des fraglichen Produktes und sind damit dem gleichen sachlichen Markt zugehörig. aa) Umstellung des Angebots Während die Bedeutung der Angebotsumstellungsflexibilität der Hersteller im Rahmen der Abgrenzung des Angebotsmarkts kontrovers diskutiert wird, entspricht sie aufgrund der spiegelbildlichen Betrachtungsweise auf Beschaffungsmärkten der auf Angebotsmärkten im Vordergrund stehenden Nachfragesubstituierbarkeit, basiert auf der Sichtweise der Marktgegenseite und muss daher Ausgangspunkt der Marktabgrenzung sein.73 Die Berücksichtigung der Angebotsumstellungsmöglichkeiten der Anbieter bei der Abgrenzung von Beschaffungsmärkten entspricht der heute herrschenden Meinung in Wissenschaft und Praxis.74 Bei Herstellern sind damit die Umstellungsmöglichkeiten der Produktion und bei Lieferanten die Umstellungsmöglichkeiten bei der eigenen Beschaffung maßgeblich.75 Berücksichtigung finden müssen daher nicht nur diejenigen Produkte, die ein Anbieter bereits vertreibt, sondern auch solche, die er unter zumutbaren Bedingungen ohne größere Umstellungsschwierigkeiten anbieten könnte.76 Diese zu einer Produktgruppe zu72

Vgl. Opitz, WuW 2003, 37 (42 – 44). So auch Neveling, S. 134. 74 BKartA, Beschluss vom 30. August 2007 – B9-52463-Fa-59/07 (Tz. 42), Rewe/toom,

(Stand: 27. 02. 2014); BKartA, Beschluss vom 30. Juni 2008 – B2-333/07 (S. 97), Edeka/ Tengelmann, (Stand: 27. 02. 2014); BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B247250-Fa-52/10 (S. 106 – 109), Edeka/trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014); Kirschner, S. 64 ff.; Köhler, Wettbewerbsbeschränkungen durch Nachfrager, S. 65 f.; Müller, S. 76; Müller-Uri, Rdnr. 419; Neveling, S. 134; Kessen, S. 60 – 62 stellt wohl sogar allein auf die Angebotsumstellungsflexibilität ab und lässt alternative Absatzwege unberücksichtigt; ähnlich auch Deister, in: Just/Schulte, § 19 GWB, Rdnr. 32, der auf alternative Absatzwege nur sekundär abstellen will; ebenso im Hinblick auf das Schweizer Kartellrecht, Grüniger, S. 121. 75 Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, S. 262; Wecker, S. 220. 76 Götting, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 19 GWB, Rdnr. 25; Kantzenbach, in: Wettbewerbskongreß, 125 (131); Neveling, S. 134; unklar hingegen noch BGH, Urteil vom 13. November 1990 – KZR 25/89, WuW/E BGH 2683 (S. 2685), Zuckerrübenanlieferungsrecht. 73

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sammenzufassenden Produkte sind der Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen.77 Welche Kriterien zur Ermittlung angebotsseitiger Substituierbarkeit herangezogen werden können, gestaltet sich in der Praxis jedoch schwierig und ein einheitliches Konzept ist bisher nicht ersichtlich.78 Üblicherweise wird entsprechend vage formuliert, dass die Umstellung technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar sein muss. Weiterhin müssen die Produkte leicht und gewinnbringend absetzbar sein und es darf keine gewichtige Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit zu befürchten sein.79 Die Produktionsumstellung kann insbesondere dann nicht zumutbar sein, wenn die Produktionsprozesse sich stark unterscheiden. Technisch nicht möglich ist eine Produktionsumstellung beispielsweise, wenn bestimmtes Know-how für die Produktion notwendig ist.80 Auch rechtliche Gesichtspunkte können die Zusammenfassung grundsätzlich ähnlicher Produkte zu einer Produktgruppe verhindern.81 77 Diese Produktgruppe ist allerdings nicht mit dem Sortiment der Lebensmitteleinzelhändler identisch und der für die Abgrenzung von Angebotsmärkten im LEH herangezogene Sortimentsgedanke kann auf Beschaffungsmärkten keine unmittelbare Anwendung finden. Der Sortimentsgedanke berücksichtigt schließlich nicht die Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite, sondern stellt vielmehr auf das übliche Nachfrageverhalten der Verbraucher als Endabnehmer auf einem nachgelagerten Markt ab. Die frühere Praxis des Bundeskartellamts (BKartA, Beschluss vom 23. März 1982 – B9-712068-U-2002/82, WuW/E BKartA 1970 (S. 1977), Coop/Supermagazin; BKartA, Beschluss vom 14. August 1984 – B9-712068-U2006/84, WuW/E BKartA 2161 (S. 2164 f.), Coop/Wandmaker) wurde daher von der Rechtsprechung zu Recht verworfen, KG, Beschluss vom 5. November 1986 – Kart. 15/84, WuW/E OLG 3917 (S. 3927 ff.), Coop/Wandmaker. Ein Rückgriff auf den Sortimentsgedanken ist daher bei der Abgrenzung von Beschaffungsmärkten mit der Systematik der Marktabgrenzung unvereinbar. A.A. Kerpen, S. 186 f., der jedoch den Grundsatz der Maßgeblichkeit der Sichtweise der Marktgegenseite unzureichend berücksichtigt und dem daher nicht gefolgt werden kann. 78 Die Ausführungen zur Angebotssubstituierbarkeit beziehen sich im Schrifttum und auch in der Praxis in erster Linie auf die ergänzende Berücksichtigung bei der Abgrenzung von Angebotsmärkten, vgl. Lenßen, S. 121. 79 Kessen, S. 59. Damit ist die Angebotsumstellungsflexibilität eng verbunden mit der Flexibilität im Hinblick auf die Wahl des Vetriebsweges. Im Einzelfall kann es zu Überschneidungen kommen, die gebührend zu berücksichtigen sind, vgl. Kirschner, S. 71. 80 BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B2-47250-Fa-52/10 (S. 107), Edeka/trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014). 81 BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B2-47250-Fa-52/10 (S. 107 f.), Edeka/ trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014): So haben alkoholfreie Getränke und Mineralwasser in Deutschland zwar einen grundsätzlich ähnlichen Produktionsprozess und erfordern kein besonderes Know-how, die Herstellung von Mineralwasser setzt jedoch neben einer Quelle eine amtliche Anerkennung und Wasserrechte voraus. Die Möglichkeit der Produktionsumstellung von alkoholfreien Getränken auf Mineralwasser könnte daher aus rechtlichen Gründen scheitern. Das Bundeskartellamt beantwortet die Frage in der Entscheidung nicht abschließend, weil es für die wettbewerbliche Analyse in dem Fall auf eine trennscharfe Abgrenzung nicht ankommt.

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Generiert eine Angebotsumstellung hohe versunkene Kosten oder ist sie aus anderen Gründen kaufmännisch nicht sinnvoll, so bedeutet dies ebenfalls die Unzumutbarkeit der Umstellung.82 In der Praxis läuft es damit stets auf eine genaue Prüfung des Einzelfalls unter Berücksichtigung der vorherrschenden Marktbedingungen hinaus. Dabei können insbesondere tatsächliche Produktionsüberlagerungen einer Vielzahl von Herstellern auf bestehende Angebotsumstellungsflexibilitäten hindeuten.83 bb) Umstellung des Absatzweges Konnte anhand der Umstellungsflexibilitäten der Anbieter ein Produkt oder eine Produktgruppe ermittelt werden, ist nun zu untersuchen, welche Formen der Nachfrage als Abnehmer dieser Produkte für die Anbieter Alternativen darstellen.84 Zunächst sind alle tatsächlichen Abnehmer der zuvor abgegrenzten Produktgruppe zu ermitteln. Im Folgenden sind diese Abnehmer um den Kreis der Nachfrager zu erweitern, die durch eine kurzfristige, zumutbare und damit kaufmännisch sinnvolle Umstellung der Vertriebswege ebenfalls von den Anbietern bedient werden könnten und daher unmittelbaren Wettbewerbsdruck ausüben. Dafür kommt es entscheidend darauf an, ob verschiedene Erscheinungsformen der Nachfrage oder Gruppen von Nachfragern für den Anbieter austauschbar sind.85 Die Nachfrager müssen funktional vergleichbar, wenn auch nicht identisch sein.86 Grundsätzlich sind die gesamten Absatzmöglichkeiten, unabhängig von bestehenden Vertriebsschienen, zu berücksichtigen.87 Einzelne Vertriebswege sind somit nicht notwendigerweise ein einzelner Markt.88 Jedoch ist der Aufbau einer neuartigen Vertriebsschiene regelmäßig mit Investitionen verbunden und nimmt eine gewisse Zeit in Anspruch.89 Es muss dann ermittelt werden, ob bereits aktueller Wettbe82

Lenßen, S. 123; Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 476. Vgl. BKartA, Beschluss vom 30. Juni 2008 – B2-333/07 (S. 96), Edeka/Tengelmann, (Stand: 27. 02. 2014); BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B2-47250-Fa-52/10 (S. 106 ff.), Edeka/trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014); Lenßen, S. 123. 84 So sind für einen Hersteller von Lebensmitteln insbesondere der Lebensmitteleinzelhandel, der Großhandel oder Cash&Carry-Märkte denkbare Abnehmer. 85 Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 153. 86 Gröner/Köhler, BB 1982, 257 (260); Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 153. Nicht vergleichbar können Abnehmer beispielsweise aufgrund unterschiedlicher Abnahmemengen sein. Ist die Anbieterseite auf den Massenumsatz ausgerichtet, so sind Bezieher von Kleinmengen keine alternativen Nachfrager, die tatsächlichen Wettbewerbsdruck auf die Großabnehmer ausüben, vgl. Benisch, WuW 1977, 619 (625). 87 Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 155. 88 BKartA, Beschluss vom 30. November 1989 – B2-685300-U-75/89, WuW/E BKartA 2428 (S. 2431), Nordfleisch – CG Hannover; Gröner/Köhler, BB 1982, 257 (260). 89 Kirschner, S. 72. 83

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werbsdruck von bisher nicht genutzten Vertriebsschienen ausgeht. Ist dies nicht der Fall, so ist der relevante Nachfragemarkt enger als die Summe der aktuellen und potentiellen Nachfrager.90 Grundsätzlich ist dabei zu bedenken, dass der Anbieter aus wettbewerbsrechtlicher Sicht in erster Linie allein ein schützenswertes Interesse daran hat, seine Waren überhaupt abzusetzen und nicht daran, den status quo zu erhalten.91 Damit kommt den Nachfragern in erster Linie eine reine Abnahmefunktion zu und es ist von untergeordneter Bedeutung, welchen Verwendungszweck die nachgefragten Wirtschaftsgüter innerhalb der Nachfrageunternehmen haben.92 Andererseits können im Einzelfall besondere Absatz- und Vertriebsformen bei der Beurteilung von Absatzalternativen nicht völlig ausgeblendet werden.93 Schließlich handelt es sich bei der Wahl eines bestimmten Vertriebsweges oftmals um eine unternehmensindividuelle und -strategische Entscheidung, bei der grundsätzlich unterstellt werden kann, dass sie nach Ansicht der Unternehmensführung dem Absatzinteresse des Unternehmens am meisten zugutekommt und damit die Wettbewerbsfähigkeit des Anbieters sichert. Sofern im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung die Konzentration auf eine bestimmte Abnehmergruppe daher kaufmännischer Vernunft nicht widerspricht, sollte diese Entscheidung von den Wettbewerbsbehörden im Rahmen der Marktabgrenzung berücksichtigt werden.94 Analog zur Figur des verständigen Verbrauchers ist bei der Beurteilung von Absatzalternativen auf einen verständigen Anbieter abzustellen.95 Dieser muss die Abnahmeverhältnisse der Nachfrager miteinander abwägen, vergleichen und als austauschbar betrachten. cc) Berücksichtigung marktnaher Akteure Ergänzend können auch solche Nachfrager bereits unmittelbaren Wettbewerbsdruck auf dem Beschaffungsmarkt ausüben, die bislang noch nicht als Nachfrager der fraglichen Produktgruppe in Erscheinung getreten sind. Eine Berücksichtigung solcher marktnaher Akteure entspricht der Berücksichtigung von Angebotsumstellungsflexibilitäten bei der Angebotsmarktabgrenzung. Diejenigen Nachfrager, die die Produktgruppe bisher noch nicht beziehen, jedoch grundsätzlich jederzeit beziehen könnten, weil sie die Produkte zur Befriedigung eines bestimmten Bedarfes als geeignet ansehen, sind als marktnahe Akteure ebenfalls Teil des Marktes, sofern sie unmittelbaren Wettbewerbsdruck auf die vorhandenen Nachfrager ausüben. 90

Benisch, WuW 1977, 619 (624). Gröner/Köhler, BB 1982, 257 (260). 92 Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 479; Rixen, in: Frankfurter Kommentar, § 20 GWB, 65. EL April 2008, Rdnr. 95; Taube, S. 46. 93 Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 155. 94 Vgl. Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 477. 95 Benisch, WuW 1977, 619 (624); Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 479; Neveling, S. 132. 91

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dd) Zusammenfassung Bei der sachlichen Abgrenzung von Beschaffungsmärkten stellt die Umstellungsflexibilität der Anbieter als Marktgegenseite den Ausgangspunkt der Untersuchung dar. In einem ersten Schritt ist daher zu untersuchen, welche Produkte der verständige Anbieter vernünftigerweise herstellen könnte. Diese Produkte sind zu einer Produktgruppe zusammenzufassen und es ist im Anschluss zu untersuchen, welche Nachfrager als Abnehmer für die Anbieter in Betracht kommen. Dabei sind auch Umstellungen des Absatzweges zu berücksichtigen. Eine solche Herangehensweise, die maßgeblich auf das Absatzinteresse eines verständigen Anbieters abstellt, entspricht einem spiegelbildlichen Bedarfsmarktkonzept. In dem gleichen Maße wie die Angebotsumstellungsflexibilität der Anbieter bei der Abgrenzung von Angebotsmärkten berücksichtigt werden muss, sind zudem ergänzend auch die Umstellungsflexibilitäten der Nachfrage bei der Abgrenzung von Beschaffungsmärkten heranzuziehen. Sofern von potentiellen Nachfragern unmittelbarer Wettbewerbsdruck ausgeht, sind diese ebenfalls Teil des relevanten Marktes. b) Räumliche Marktabgrenzung Weiterhin kann eine marktbeherrschende Stellung immer nur innerhalb eines bestimmten, räumlichen abgegrenzten Gebiets bestehen.96 Jedoch hat die räumliche Marktabgrenzung in der Praxis hier bislang nur eine geringe Rolle gespielt,97 sollte jedoch auch auf Beschaffungsmärkten mit der notwendigen Sorgfalt erfolgen, um die Wettbewerbsbeziehungen korrekt abzubilden. So wie die sachliche Marktabgrenzung muss sie in spiegelbildlicher Betrachtungsweise zur Angebotsmarktabgrenzung erfolgen. Ausgangspunkt sind damit die räumlichen Ausweichmöglichkeiten der Anbieter. aa) Grundsatz der räumlichen Marktabgrenzung Die räumliche Marktabgrenzung dient ebenfalls der Ermittlung der Konkurrenzverhältnisse auf dem Beschaffungsmarkt, also der „area of effective competition.“98 Zu untersuchen sind die räumlichen Ausweichmöglichkeiten der Anbieter

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Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 35. So wird im Lebensmitteleinzelhandel ohne näher auf die Wettbewerbsverhältnisse einzugehen schlicht von einem nationalen Beschaffungsmarkt ausgegangen. Siehe BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B2-47250-Fa-52/10 (S. 117), Edeka/trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014); BKartA, Beschluss vom 30. Juni 2008 – B2-333/07 (S. 102), Edeka/Tengelmann, (Stand: 27. 02. 2014); BKartA, Beschluss vom 30. August 2007 – B9-52463-Fa-59/07 (S. 47), Rewe/toom, (Stand: 27. 02. 2014); Benisch, WuW 1977, 619 (629). 98 Bergmann, S. 66. 97

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für den Absatz der zuvor ermittelten Produktgruppe.99 Damit sind die räumlichen Marktgrenzen so zu ziehen, „dass sie ein Gebiet umschließen, innerhalb dessen die Anbieter ohne erhebliche Kostendifferenz an jeden beliebigen Ort liefern können.“100 Während sich die Abgrenzung des Angebotsmarktes daher nach der Reichweite der Nachfrage richtet, bestimmt sie sich auf Nachfragemärkten spiegelbildlich nach der Reichweite des Angebots.101 Eine besonders geringe Haltbarkeit, hohe Transportkoste, sonstige besondere Gütereigenschaften und Erfordernisse des Marktes können zu einem regional beschränkten Beschaffungsmarkt aufgrund von Produktbesonderheiten führen.102 Daneben können auch rechtliche Faktoren den räumlichen Markt einengen.103 Die Anbieter müssen dazu in der Lage sein, auf dem räumlich relevanten Markt ihre Leistungen ohne erhebliche Kostendifferenzen anbieten zu können.104 Wann Kostenunterschiede erheblich sind, ist stets im Wege einer umfassenden Analyse der Vertriebsbedingungen zu ermitteln. Im Rahmen der räumlichen Marktabgrenzung sind insbesondere zwei Fragestellungen relevant. Erstens, inwieweit das Beschaffungsverhalten der Nachfrager für die Marktabgrenzung von Bedeutung ist. Zweitens, unter welchen Voraussetzungen Exportmöglichkeiten von Anbietern bei der räumlichen Marktabgrenzung zu berücksichtigen sind, sofern dadurch der Absatz durch den Nachfrager auf einem anderen nationalen Angebotsmarkt erfolgt. bb) Die Beschaffungspolitik der Nachfrager Fraglich ist, ob bei der räumlichen Marktabgrenzung allein auf die Absatzpolitik der Hersteller abzustellen ist oder ob die Beschaffungspolitik der Nachfrager ebenfalls Berücksichtigung finden muss. In dem Beschluss Rewe/toom hat das Bundeskartellamt im Rahmen der räumlichen Marktabgrenzung auch auf die Be99

Hölzler/Satzky, S. 85; Köhler, Wettbewerbsbeschränkungen durch Nachfrager, S. 66. Monopolkommission, 7. SG – Nachfragemacht, Rdnr. 200. So auch Kirschner, S. 83. Zuletzt hat das Bundeskartellamt hingegen den räumlichen Beschaffungsmarkt für den Erwerb von Senderechten nicht aus Sicht des Veräußerers abgegrenzt, sondern vielmehr aus Erwerbersicht. Dies steht jedoch im Widerspruch zu der bisherigen Praxis und ist auch methodisch nicht zu begrüßen. Auch wenn das Ergebnis, ein bundesweiter Beschaffungsmarkt, nicht zu beanstanden ist, BKartA, Beschluss vom 15. Dezember 2011 – B7-66/11 (Tz. 268), LGI/Kabel BW, (Stand: 27. 02. 2014). 101 Heidenhain, AG 1987, 117 (118 – 119). 102 BGH, Urteil vom 23. Februar 1988 – KRZ 17/86, WuW/E BGH 2483 (S. 2486 – 2488), Sonderungsverfahren; BKartA, Beschluss vom 30. November 1989 – B2-685300-U-75/89, WuW/E BKartA 2428 (S. 2429 – 2430), Nordfleisch – CG Hannover; Hölzler/Satzky, S. 85; Kirschner, S. 84; Schulze, S. 176. 103 Gröner/Köhler, BB 1982, 257 (261). 104 BGH, Urteil vom 23. Februar 1988 – KRZ 17/86, WuW/E BGH 2483 (S. 2488), Sonderungsverfahren. 100

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schaffungspolitik der Nachfrager abgestellt, was auf eine Berücksichtigung hindeutet.105 Im Hinblick darauf, dass die Marktabgrenzung stets aus Sicht der Marktgegenseite erfolgen muss, ist eine Berücksichtigung der Beschaffungspolitik der Handelsunternehmen jedoch methodisch nicht überzeugend. Auch im Rahmen der Abgrenzung von Angebotsmärkten ist schließlich nicht auf die Absatzpolitik der Unternehmen gegenüber Verbrauchern abzustellen, sondern allein auf die räumliche Nachfragetätigkeit der Verbraucher. Die Abgrenzung dient der Ermittlung der Konkurrenzverhältnisse auf dem Beschaffungsmarkt. Würde man die Beschaffungspolitik der Nachfrager ebenfalls berücksichtigen, käme man zu dem Ergebnis, dass ein nachfragendes Unternehmen durch die eigene Beschaffungspolitik seine Wettbewerber selbst bestimmen könnte. Daher ist auch im Rahmen der räumlichen Marktabgrenzung allein die Sichtweise der Anbieter maßgeblich. cc) Export als Alternative Von besonderer praktischer Bedeutung ist die Frage, ob im Export eine zumutbare Alternative für Anbieter liegt und der räumliche Beschaffungsmarkt daher auch ausländische Nachfrager erfassen kann. Diese Frage hängt wesentlich damit zusammen, inwieweit man eine logische Verknüpfung von Beschaffungs- und Absatzmarkt vornehmen möchte. Das Bundeskartellamt schließt die Berücksichtigung von Exportmöglichkeiten insbesondere deswegen aus, weil sich der Anbieter durch den Export auf einen anderen räumlichen Absatzmarkt begibt.106 Damit versucht das Bundeskartellamt, den Beschaffungsmarkt und den Absatzmarkt aneinander zu koppeln und grenzt den Beschaffungsmarkt damit abhängig vom nachgelagerten Absatzmarkt ab.107 Diese Methodik kann jedoch nicht überzeugen und führt zu Widersprüchen, wie insbesondere die Marktabgrenzung im Lebensmitteleinzelhandel zeigt. Auch dort werden, nach bisheriger Praxis, die nachgelagerten Absatzmärkte regional nach „Clustern“ abgegrenzt und nicht wie der Beschaffungsmarkt bundesweit. Der Anbieter begibt sich 105 BKartA, Beschluss vom 30. August 2007 – B9-52463-Fa-59/07 (Tz. 47), Rewe/toom,

(Stand: 27. 02. 2014); ähnlich auch BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B2-47250-Fa52/10 (S. 117), Edeka/trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014). 106 Vgl. BKartA, Beschluss vom 30. August 2007 – B9-52463-Fa-59/07 (Tz. 47), Rewe/ toom, (Stand: 27. 02. 2014); BKartA, Beschluss vom 30. Juni 2008 – B2-333/07 (S. 102), Edeka/ Tengelmann, (Stand: 27. 02. 2014); BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B247250-Fa-52/10 (S. 117), Edeka/trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014); Hölzler/Satzky, S. 85; Kirschner, S. 83. 107 Gleichzeitig führt das Bundeskartellamt regelmäßig aus, dass Absatz- und Beschaffungsmarkt nicht notwendigerweise deckungsgleich abzugrenzen sind. Im Hinblick auf die Praxis zur räumlichen Marktabgrenzung ist dies nicht widerspruchsfrei.

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demnach immer dann auf einen anderen räumlichen Absatzmarkt, wenn er einen Nachfrager in einem anderen „Cluster“ beliefert. Es kann im Rahmen der räumlichen Abgrenzung von Beschaffungsmärkten nicht darauf ankommen, dass der Anbieter einen jeden Verbraucher auf dem nachgelagerten Absatzmarkt des Nachfragers erreichen kann.108 Anderenfalls müsste man zu dem Ergebnis kommen, dass Beschaffungs- und Absatzmarkt räumlich stets identisch abzugrenzen sind. Dies ist jedoch mit dem Zweck der Marktabgrenzung, der Ermittlung der Wettbewerbsbeziehungen, nicht vereinbar, würde es doch zu einer völlig unzutreffenden Darstellung der Wettbewerbsverhältnisse führen. Der grundsätzlichen Aussage, dass die Beschaffungsmärkte des Lebensmitteleinzelhandels bundesweit abzugrenzen sind, kann daher nicht gefolgt werden. Der räumlich relevante Markt wird schließlich im Wesentlichen dadurch bestimmt, dass weitgehend homogene Wettbewerbsbedingungen vorherrschen, die sich von denen auf benachbarten Märkten unterscheiden.109 Sofern Marktzutrittsschranken fehlen, liegt der Schluss grundsätzlich nahe, dass auch ausländische Nachfrager Wettbewerbsdruck auf inländische Nachfrager ausüben und damit deren Verhaltensspielraum beschränken.110 Im Hinblick darauf, dass in der Europäischen Union Handelshindernisse immer weiter abgebaut werden, spricht einiges für eine Einbeziehung ausländischer Abnehmer in den Markt bei der Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung eines Unternehmens als Nachfrager.111 Zwar mag der Export in vielen Fällen eine weniger attraktive Möglichkeit sein, dies mindert jedoch in erster Linie seine quantitative Bedeutung für das Marktvolumen.112 Der Export steht den Herstellern aber nicht nur theoretisch offen, sondern wird von diesen auch tatsächlich, wenn auch oft nur in geringem Ausmaß, genutzt. Da allein auf die Ausweichmöglichkeiten der Anbieter abzustellen ist, ist es auch nicht von Bedeutung, dass exportierte Waren im Inland nicht zur Verfügung stehen. Genauso wie auf Angebotsmärkten der Import dem Marktvolumen hinzuzurechnen ist, gehören auf Beschaffungsmärkten die Exporte zum Marktvolumen.113 Die praktischen Schwierigkeiten, die mit einer solchen Einbeziehung verbunden sind,114 können die dogmatische Notwendigkeit nicht überwinden. Es ist somit im Einzelfall genau zu untersuchen, ob Anbietern der Export als Ausweichmöglichkeit offen-

108

In diese Richtung argumentiert aber Kirschner, S. 85. Mäger, BB 2001, 1105 (1106 m.w.N.). 110 So Mäger, BB 2001, 1105 (1107, 1110), bezüglich der regionalen Abgrenzung von Angebotsmärkten. Im Hinblick auf die spiegelbildliche Betrachtung von Beschaffungsmärkten drängt sich ein Umkehrschluss somit auf. 111 So bereits Kirschner, S. 84; Heidenhain, AG 1987, 117 (119 – 120); Köhler, Nachfragewettbewerb und Marktbeherrschung, S. 57 f. 112 Ruppelt, WuW 2012, 27 (34 f.). 113 Ruppelt, WuW 2012, 27 (35). 114 Vgl. Hölzler/Satzky, S. 85. 109

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steht.115 Eine stärkere Berücksichtigung von Exportmöglichkeiten bei der Abgrenzung von Beschaffungsmärkten ist daher, entgegen der bisherigen Praxis des Bundeskartellamts, angebracht. dd) Zusammenfassung Der Aussage des Bundeskartellamtes, dass sich der räumliche Beschaffungsmarkt oft mit dem Angebotsmarkt der Hersteller decke,116 ist nur bedingt zuzustimmen. Auch die pauschale Aussage, dass als räumlich relevanter Beschaffungsmarkt des Lebensmittelhandels das gesamte Bundesgebiet anzusehen sei,117 ist kritisch zu sehen. Für die räumliche Marktabgrenzung ist die Reichweite des Angebots der entscheidende Faktor. Relevant sind dabei allein die Ausweichmöglichkeiten der Anbieter. Die Beschaffungspolitik der Nachfrager ist nicht zu berücksichtigen. Regionen, in denen der Anbieter seine Waren oder Leistungen zu zumutbaren Konditionen anbieten kann, sind Teil des räumlichen Marktes. Während Beschränkungen der Transportmöglichkeiten zu regional eng abzugrenzenden Märkten führen können, ist bei leicht zu transportierenden Gütern der Markt regelmäßig nicht auf das Bundesgebiet zu beschränken, sondern erfasst auch ausländische Beschaffungsmärkte. Insbesondere im Hinblick auf zunehmend homogene Wettbewerbsbedingungen in der Europäischen Union und die Abnahme von Handelshindernissen wird in Zukunft ein immer weiterer europäischer Markt Bedeutung erlangen. c) Zeitliche Marktabgrenzung Die zeitliche Marktabgrenzung spielt lediglich eine untergeordnete Rolle und kann ergänzend berücksichtigt werden, um eine bessere Erfassung des dynamischen Marktgeschehens zu ermöglichen. Eine zeitliche Marktabgrenzung kann insbesondere erforderlich sein, wenn aufgrund der Beschaffenheit der Produkte oder des Marktes zeitliche Marktschranken bestehen.118 In der bisherigen Praxis hat sich das 115 Wenn Anbieter tatsächlich ausländische Nachfrager bedienen, spricht dies für die grundsätzliche Berücksichtigung von Exportmöglichkeiten. 116 BKartA, Beschluss vom 30. August 2007 – B9-52463-Fa-59/07 (Tz. 47), Rewe/toom,

(Stand: 27. 02. 2014); ähnlich bereits Benisch, WuW 1977, 619 (629). 117 BKartA, Beschluss vom 30. August 2007 – B9-52463-Fa-59/07 (Tz. 47), Rewe/toom,

(Stand: 27. 02. 2014); BKartA, Beschluss vom 30. Juni 2008 – B2-333/07 (S. 102), Edeka/ Tengelmann, (Stand: 27. 02. 2014); BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B247250-Fa-52/10 (S. 117), Edeka/trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014); Hölzler/Satzky, S. 85; Kirschner, S. 83. 118 Hölzler/Satzky, S. 85; Kirschner, S. 85, der insbesondere die Verderblichkeit von Waren oder den Beschaffungsmarkt im Zusammenhang mit Messen nennt.

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Bundeskartellamt mit der zeitlichen Abgrenzung von Beschaffungsmärkten noch nicht auseinander gesetzt. 4. Ergebnis zur Abgrenzung von Beschaffungsmärkten Der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit bedeutet bei der Abgrenzung von Beschaffungsmärkten, dass als Ausgangspunkt die Sichtweise eines verständigen Anbieters gewählt werden muss. Von diesem ausgehend sind die Angebotsumstellungsflexibilität und die Möglichkeiten bei der Wahl des Vertriebsweges zu berücksichtigen und Gruppen von Nachfragern zu bilden, die das Absatzinteresse des Anbieters befriedigen können. Diese Nachfragergruppen stehen, sofern der Anbieter auch in räumlicher Hinsicht an sie liefern kann, im Wettbewerb um die Beschaffung der Waren. Da es bei der Abgrenzung von Beschaffungsmärkten weder auf die sachliche noch auf die räumliche Abgrenzung des nachgelagerten Absatzmarktes ankommt, können grundsätzlich auch ausländische Nachfrager unmittelbaren Wettbewerbsdruck ausüben und damit Teil des relevanten Marktes sein. Je nachdem, ob ein Angebots- oder ein Beschaffungsmarkt abgegrenzt werden soll, können sich für ein einzelnes Gut schließlich ganz unterschiedliche kartellrechtliche Märkte ergeben.119

II. Marktbeherrschende Stellung auf dem Beschaffungsmarkt 1. Nachfrageseitige Marktbeherrschung in der bisherigen Entscheidungspraxis Wann ein Unternehmen als Nachfrager marktbeherrschend im Sinne von § 18 GWB ist, wurde in der deutschen Anwendungspraxis und auch im Schrifttum lange Zeit kontrovers diskutiert. Die Entwicklung des Marktbeherrschung auf Beschaffungsmärkten soll im Folgenden kurz skizziert werden. a) Von der Unverzichtbarkeitsthese zum tradierten Marktbeherrschungsbegriff Als Reaktion auf die fortschreitende Konzentration auf der Handelsebene hat das Bundeskartellamt in den frühen 1980er Jahren zur Untersagung von Zusammenschlüssen auf einen eigenständigen Marktbeherrschungsbegriff für Nachfrager zurückgegriffen.120 Ausgangspunkt der Bemühungen des Bundeskartellamts, eine 119

Hölzler/Satzky, S. 84 m.w.N. So spricht auch das Kammergericht davon, dass das Bundeskartellamt es offenbar eine neue Variante der Marktbeherrschung durch Kombination der Tatbestände des § 18 und des § 20 Abs. 1 GWB einführen wollte, KG, Beschluss vom 5. November 1986 – Kart. 15/84, WuW/E OLG 3917 (S. 3927), Coop/Wandmaker. 120

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bessere Kontrolle von Nachfragemacht zu ermöglichen, war die Unverzichtbarkeitsthese, die eine Vertikalisierung des Marktbeherrschungsbegriffes propagierte. Danach ist ein Unternehmen marktbeherrschend, sofern es für die Marktgegenseite als Handelspartner unverzichtbar ist. Hierzu führt das Bundeskartellamt aus: „Die aus der Sicht der Hersteller unverzichtbaren Abnehmer haben als Nachfrager Verhaltensspielräume, die nicht durch wesentlichen Wettbewerb anderer Nachfrager begrenzt werden.“121

Das Bundeskartellamt hat die Unverzichtbarkeitsthese dabei sowohl zum Nachweis fehlenden Binnenwettbewerbs im Oligopson als auch zum Nachweis von Einzelmarktbeherrschung herangezogen.122 Im Falle der Einzelmarktbeherrschung ist insbesondere zu bedenken, dass nach der Logik der Unverzichtbarkeitsthese alle unverzichtbaren Nachfrager gleichzeitig marktbeherrschend im Sinne von § 18 GWB sind.123 Die Unverzichtbarkeitsthese hat jedoch weder in der Literatur große Unterstützung gefunden124 noch ist sie von der Rechtsprechung als mit dem Marktbeherrschungsbegriff vereinbar angesehen worden. Wie selbstverständlich führt das Kammergericht in dem Beschluss Hussel/Mara dazu aus: „Auf das Merkmal der Verzichtbarkeit oder Unverzichtbarkeit eines Nachfragers für die Marktgegenseite […] stellt die Vorschrift des § 22 Abs. 1 Nr. 1 GWB [a.F.] nicht ab.“125 Marktbeherrschung sei ein einheitlich auszulegender Rechtsbegriff, eine Abkehr vom Marktkonzept ausgeschlossen und „die Bewertung der Stellung von Nachfragern [verträgt] keine Abweichungen.“126 Nach dem tradierten Marktbeherrschungsverständnis wird die Macht des Unternehmens im Wege einer wertenden Gesamtschau 121

BKartA, Beschluss vom 23. März 1982 – B9-712068-U-2002/82, WuW/E BKartA 1970 (S. 1979), Coop/Supermagazin; BKartA, Beschluss vom 20. Juni 1983 – B9-712000-U-2056/ 82, WuW/E BKartA 2060 (S. 2065), Metro/Kaufhof; BKartA, Beschluss vom 14. August 1984 – B9-712068-U-2006/84, WuW/E BKartA 2161 (S. 2168), Coop/Wandmaker. 122 BKartA, Beschluss vom 29. Juni 1981 – B8-712046-U-159/80, WuW/E BKartA 1897 (S. 1905), Hussel/Mara. 123 Köhler, Nachfragewettbewerb und Marktbeherrschung, S. 75; Möschel, in: Immenga/ Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 72. 124 Bergmann, S. 75 ff.; Götting, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 19 GWB, Rdnr. 30; Köhler, Nachfragewettbewerb und Marktbeherrschung, S. 75; Monopolkommission, 7. SG – Nachfragemacht, Rdnr. 201 f.; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 72. 125 KG, Beschluss vom 24. April 1985 – Kart. 34/81, WuW/E OLG 3577 (S. 3589), Hussel/ Mara. Für die Bestimmung der Marktmacht greift das KG dann in erster Linie auf einen Marktergebnistest zurück und versucht, von der Durchsetzbarkeit besserer Konditionen auf die marktbeherrschende Stellung zu schließen. Bereits in der Entscheidung Coop/Wandmaker wurde dieser Ansatz jedoch nicht wieder aufgegriffen, siehe KG, Beschluss vom 5. November 1986 – Kart. 15/84, WuW/E OLG 3917, Coop/Wandmaker. Kritisch zu Recht auch Bergmann, S. 78; Köhler, Nachfragewettbewerb und Marktbeherrschung, S. 77 ff. 126 KG, Beschluss vom 5. November 1986 – Kart. 15/84, WuW/E OLG 3917 (S. 3927), Coop/Wandmaker.

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ermittelt, wobei die Marktstruktur-, Unternehmensstruktur- und Marktverhaltenskriterien des § 18 Abs. 2 GWB im Vordergrund der Untersuchung stehen. Die Aufgabe der Unverzichtbarkeitsthese und die Zuwendung zum klassischen Marktbeherrschungsbegriff, wie er auf Angebotsmärkten seit jeher zur Anwendung kommt, bedeuteten einen starken Rückgang der Entscheidungspraxis.127 Die Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite haben durch die 5. GWB-Novelle zwar als Marktbeherrschungskriterium Einzug in das Gesetz gehalten, die Unverzichtbarkeitsthese ist aber in Bezug auf Beschaffungsmärkte nicht wieder reaktiviert worden.128 b) Möglichkeit paralleler Einzelmarktbeherrschung „pivotaler“ Nachfrager Jüngst hat das Bundeskartellamt im Hinblick auf Angebotsmärkte aber einen Begründungsansatz für die Feststellung von Marktbeherrschung herangezogen, der stark an die Unverzichtbarkeitsthese erinnert. So sollen auf dem Erstabsatzmarkt für Strom mindestens die drei führenden Stromerzeuger jeweils für sich unabhängig voneinander marktbeherrschend sein, weil ihre Absatzmengen für die Befriedigung der Gesamtnachfrage „pivotal“ bzw. „unverzichtbar“ seien.129 Die marktbeherrschende Stellung ergebe sich zumindest im Erstabsatzmarkt für Strom nicht nach dem klassischen Konzept der Berücksichtigung von Marktstruktur-, Unternehmensstruktur- und Marktverhaltenskriterien, sondern vielmehr aus einem Rückgriff auf den Residual Supply Index (RSI).130 Ein Unternehmen verfüge danach über Marktmacht, sofern es für die Deckung der Gesamtnachfrage unverzichtbar sei.131 Mit Verweis auf die Rechtsprechung des BGH und EuGH führt das Bundeskartellamt weiter aus, dass es anerkannt sei, „dass im Einzelfall auch mehrere Unternehmen 127

Das von der Monopolkommission favorisierte Konzept der Nachfragebegrenzung hat sich ebenso wenig durchsetzen können wie das von Köhler entwickelte Konzept der Marktbehauptung, siehe Monopolkommission, 14. SG – Konzentration im Lebensmittelhandel, Rdnr. 212 und Köhler, Nachfragewettbewerb und Marktbeherrschung, S. 79 ff.; zusammenfassende Darstellung zudem bei Bergmann, S. 79 ff., 81 ff. 128 Auch wenn sich das Bundeskartellamt etwas missverständlich genau so ausdrückt, erfolgt die Prüfung der Marktbeherrschung entsprechend der Praxis zur angebotsseitigen Marktbeherrschung, siehe BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B2-47250-Fa-52/10 (S. 101 ff.), Edeka/trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014). 129 Unter Rückgriff auf die geläufige Marktbeherrschungsdefinition führt das BKartA weiter aus: „Diese Unabhängigkeit […] kann sich auch darin ausdrücken, dass ein Unternehmen für die Marktgegenseite unverzichtbar ist.“ – BKartA, Beschluss vom 8. Dezember 2011 – B8-94/11 (Tz. 54), RWE/Stadtwerke Unna, (Stand: 27. 02. 2014). 130 Der RSI bildet ab, in welchem Zeitraum die Kapazität eines Anbieters für die Befriedigung der Gesamtnachfrage erforderlich ist. Das Bundeskartellamt will Marktbeherrschung annehmen, wenn der RSI in mehr als 5 % der beobachteten Zeiträume unter dem Wert von 1,0 liegt, Bundeskartellamt, Sektoruntersuchung Stromerzeugung Stromgroßhandel, S. 98. 131 Bundeskartellamt, Sektoruntersuchung Stromerzeugung Stromgroßhandel, S. 96.

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individuell marktbeherrschend sein können […].“132 Auch wenn das Bundeskartellamt diesen Ansatz bislang allein auf Strommärkte angewandt hat, hat es doch eine Übertragung auf andere Märkte nicht ausgeschlossen. Insbesondere Füller hält nunmehr ebenfalls die parallele Einzelmarktbeherrschung abseits der Strommärkte für möglich bei geringer Elastizität von Angebot und Nachfrage und der Unmöglichkeit kurzfristiger Kapazitätserhöhungen.133 Wenn die Unverzichtbarkeit für die Marktgegenseite als Kriterium für die Marktbeherrschung in den Vordergrund gestellt und die damit einhergehende Möglichkeit paralleler Einzelmarktbeherrschung akzeptiert wird, könnte auch in Bezug auf die nachfrageseitige Marktbeherrschung die Unverzichtbarkeitsthese eine überraschende Wiederbelebung erfahren.134 Die Ausführungen des Bundeskartellamts in der Sektoruntersuchung Stromerzeugung Stromgroßhandel und im Beschluss RWE/Stadtwerke Unna sind im Schrifttum jedoch auf weitgehende Ablehnung gestoßen und mit dem tradierten Marktbeherrschungsbegriff unvereinbar. So lässt der Wortlaut des § 18 Abs. 1 und 2 GWB die parallele Marktbeherrschung kaum zu. Die Machtstellung des Unternehmens muss schließlich gerade im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern bestehen und auch die Kriterien des § 18 Abs. 3 GWB setzen weitgehend einen Horizontalvergleich voraus.135 Auch die Herleitung der Möglichkeit paralleler Einzelmarktbeherrschung unter Rückgriff auf die Entscheidungspraxis des EuGH und BGH kann nicht überzeugen.136 Die Reisestellenkarte-Entscheidung des BGH, die sich auf die Entscheidung des EuGH in Sachen Magill stützt, beschränkt sich zum einen auf einen Fall, in dem die Normadressateneigenschaft eines Unternehmens aus einer markt-

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Bundeskartellamt, Sektoruntersuchung Stromerzeugung Stromgroßhandel, S. 96; ähnlich BKartA, Beschluss vom 15. Dezember 2011 – B7-66/11 (S. 107 Fn. 253), LGI/Kabel BW,

(Stand: 27. 02. 2014). Zitiert werden dabei die Entscheidungen EuGH, Urteil vom 6. April 1995 – Rs. C-241/91 und C-242/91, Slg. 1995, I-743, Magill und BGH, Urteil vom 3. März 2009 – KZR 82/07, NJW-RR 2010, 392, Reisestellenkarte. 133 Füller, in: Festschrift für Franz Jürgen Säcker zum 70. Geburtstag, 669 (671). 134 Eine spiegelbildliche Übertragung auf Beschaffungsmärkte würde bedeuten, dass ein jeder Nachfrager marktbeherrschend ist, dessen Nachfragevolumen zur Abnahme der gesamten Angebotsmenge erforderlich ist. Danach wäre auf einem Käufermarkt nahezu jeder Nachfrager marktbeherrschend. Im Hinblick darauf, dass der Hersteller über die Kapazitäten entscheidet, wäre das ein unsinniges Ergebnis, welches zudem der Rollenverteilung zwischen Produktion und Handel nicht gerecht wird. 135 Stadler, in: Kartellrecht in Theorie und Praxis, 441 (448); zu den einzelnen Kriterien siehe unten 2. Teil A. II. 2. c). 136 Drozella/Krebs, S. 68 ff., die zu Recht darauf hinweisen, dass die bisherige Entscheidungspraxis des EuG/EuGH die Möglichkeit von paralleler Einzelmarktbeherrschung auch bei geringen Marktanteilen zumindest auf Angebotsmärkten kaum stützt. Die Unverzichtbarkeit von Handelspartnern ist nach der bisherigen Praxis mehr als Folge hoher Marktanteile gesehen worden als als Grundlage der beherrschenden Stellung. Inwieweit die Unverzichtbarkeit im Sinne eines „partenaire obligatoire“ für den Nachweis einer beherrschenden Stellung ausreichend sein kann, wird unten 3. Teil C. I. erläutert.

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beherrschenden Stellung auf einem vorgelagerten Markt hergeleitet wird.137 Zum anderen greift der BGH auf Art. 102 AEUV zurück, dem anders als das deutsche Kartellrecht in § 18 und § 20 Abs. 1 GWB eine Unterscheidung zwischen Marktbeherrschung und relativer Marktmacht fremd ist. c) Zwischenergebnis zur nachfrageseitigen Marktbeherrschung Der Ansatz des Bundeskartellamts zur Ermittlung einer marktbeherrschenden Stellung unter Bezugnahme auf die Unverzichtbarkeit eines Anbieters zur Befriedigung der Gesamtnachfrage kann nicht überzeugen. Eine Übertragung auf Beschaffungsmärkte, wenn auch theoretisch möglich, würde eine Rückkehr zur Unverzichtbarkeitsthese bedeuten und ist daher abzulehnen. Für die Bestimmung von Marktbeherrschung im Sinne von § 18 GWB ist damit auch weiterhin auf eine wertende Gesamtschau der Wettbewerbsverhältnisse auf dem relevanten Markt abzustellen.138 Dazu sind insbesondere die Kriterien des § 18 Abs. 3 GWB zu berücksichtigen. Da die Marktbeherrschung im Sinne des § 18 GWB auf die Stellung am Markt abstellt, also auf alle Wettbewerber auf Nachfrageseite und auf die gesamte Marktgegenseite, kann auf einem Markt stets nur ein einziges Unternehmen eine einzelmarktbeherrschende Stellung aufweisen.139 2. Einzelmarktbeherrschung von Nachfragern Nach dem Wortlaut des § 18 Abs. 1 GWB gibt es drei verschiedene Formen der Marktbeherrschung.140 Ist ein Unternehmen „ohne Wettbewerber“ gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 GWB, so ist es als Monopol oder Monopson marktbeherrschend. Auch kann ein Unternehmen marktbeherrschend sein, wenn es keinem „wesentlichen Wettbewerb“ gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 GWB ausgesetzt ist oder aufgrund einer „überragender Marktstellung“ gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 3 GWB. Da die überragende Marktstellung die niedrigste Eingriffsschwelle hat und für die Erfassung von

137 Stadler, in: Kartellrecht in Theorie und Praxis, 441 (445). Auch in der Sache Magill wurde eine marktbeherrschende Stellung allein auf dem vorgelagerten Markt angenommen und daraus die Missbrauchsmöglichkeit auf einem nachgelagerten Markt hergeleitet, EuGH, Urteil vom 6. April 1995 – Rs. C-241/91 und C-242/91, Slg. 1995, I-743 (Tz. 46 ff.), Magill. 138 Eilmansberger, in: Münchener Kommentar, Art. 82 EG, Rdnr. 78; Stadler, in: Kartellrecht in Theorie und Praxis, 441 (447). 139 Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 729 ff.; Möschel, in: Immenga/ Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 72; Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 338; Stadler, in: Kartellrecht in Theorie und Praxis, 441 (449). 140 Teilweise wird lediglich zwischen der überragenden Marktstellung und dem Fehlen wesentlichen Wettbewerbs differenziert. Dies beruht darauf, dass das Fehlen jeglichen Wettbewerbs einen Extremfall des Fehlens wesentlichen Wettbewerbs darstellt. Siehe Ruppelt, in: Langen/Bunte, § 19 GWB, Rdnr. 44.

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Nachfragemacht am ehesten geeignet erscheint, konzentriert sich die Darstellung auf diese.141 a) Vollmonopson gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 GWB Zunächst erfasst § 18 Abs. 1 Nr. 1 GWB das Vollmonopson. Ein Unternehmen ist demnach marktbeherrschend, wenn es ohne Wettbewerber ist. Dies setzt voraus, dass auf dem zuvor abgegrenzten Beschaffungsmarkt keine weiteren Nachfrager tätig sind. Zu betrachten ist dabei allein die Situation auf dem abgegrenzten Beschaffungsmarkt; ob auf dem nachgelagerten Absatzmarkt Wettbewerb besteht, ist hingegen unbeachtlich.142 Weder im Verhältnis des Handels zu den Herstellern noch im Verhältnis der Zulieferer zur Industrie spielte § 18 Abs. 1 Nr. 1 GWB bislang eine Rolle.143 b) Teilmonopson gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 GWB Das Fehlen wesentlichen Wettbewerbs auf einem Beschaffungsmarkt erfordert zunächst mindestens zwei rechtlich und wirtschaftlich selbstständige Unternehmen, die in einem Wettbewerbsverhältnis miteinander stehen.144 Muss ein Unternehmen auf das Wettbewerbsverhalten seiner Mitbewerber auf dem Beschaffungsmarkt keine Rücksicht mehr nehmen, so besteht zwischen den Unternehmen kein wesentlicher Wettbewerb.145 Dies erfordert insbesondere, dass der Machtvorsprung des Unternehmens derart gesichert ist, dass eine Erosion unmöglich erscheint und die Dynamik des Wettbewerbsgeschehens und die Steuerfunktion des Wettbewerbs aufgehoben sind.146 Wesentlicher Wettbewerb zwischen Nachfragern kann insbesondere dann fehlen, wenn ein Nachfrager das Beschaffungsvolumen des Marktes zum weit überwiegenden Teil auf sich vereinigt.147 Können Konkurrenten durch ein abweichendes 141

Vgl. Hölzler/Satzky, S. 89; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 52. Kessen, S. 64. Wenn auch in der Praxis bisher die Frage nachfrageseitiger Marktbeherrschung mit der Beherrschung der nachgelagerten Absatzmärkte eng verknüpft wurde. Keine Wettbewerber auf dem Beschaffungsmarkt, aber intensiver Wettbewerb auf dem Absatzmarkt ist insbesondere dann möglich, wenn die Beschaffungsmärkte regional abzugrenzen sind, die Absatzmärkte hingegen national. Auf jedem regionalen Beschaffungsmarkt kann es dann einen Monopsonisten geben, auf dem Absatzmarkt hingegen herrscht reger Wettbewerb. 143 Bergmann, S. 86; Kessen, S. 65. 144 Ruppelt, in: Langen/Bunte, § 19 GWB, Rdnr. 47. 145 Köhler, Nachfragewettbewerb und Marktbeherrschung, S. 93. 146 Vgl. Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 180. 147 Ruppelt, in: Langen/Bunte, § 19 GWB, Rdnr. 55. Bei einem Marktanteil von 47 % und ansonsten zersplitterter Nachfrage hat das Kammergericht zumindest nicht ausgeschlossen, dass wesentlicher Wettbewerb nicht mehr besteht KG, Urteil vom 8. Dezember 1959-5 U Kart 1153/59, WuW/E OLG 307 (S. 309), Allgemeine Ortskrankenkasse; in einer späteren Entscheidung wurde ein nicht genauer ermittelter Marktanteil zwischen 25 % und 40 % als ausreichend angesehen, da der nächstgroße Wettbewerber lediglich einen Marktanteil von 2,5 % 142

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Marktverhalten die Unternehmensstrategie eines Wettbewerbers nicht beeinflussen, so ist er als marktbeherrschend anzusehen.148 Dabei ist jedoch zu beachten, dass der unmittelbare Einfluss von Nachfragern auf Wettbewerber in einer Käufermarktlage grundsätzlich geringer ist und sich weniger deutlich zeigt als auf Verkäufermärkten.149 Dies beruht regelmäßig jedoch mehr auf gegenseitigen Abhängigkeiten als auf dem Fehlen wesentlichen Wettbewerbs. Notwendig ist daher die Durchführung eines umfassenden Marktstruktur-, Marktergebnis- und Marktverhaltenstests.150 Dabei ist auf die Kriterien des § 18 Abs. 1 Nr. 3 GWB zurückzugreifen. In der Praxis ist die Bedeutung des § 18 Abs. 1 Nr. 2 GWB jedoch gering. Der Nachweis des Fehlens von wesentlichem Wettbewerb kann nur selten von den Kartellbehörden erbracht werden.151 Bedeutung hatte die Vorschrift ursprünglich noch für die Nachfragetätigkeit der öffentlichen Hand. Mit der Abschaffung der Nachfragemonopole in den Bereichen Bahn, Post und öffentlicher Energieversorgung ist diese jedoch stark zurückgegangen.152 Aufgrund der geringeren Eingriffsschwelle spielt in der Praxis § 18 Abs. 1 Nr. 3 GWB die weitaus größere Rolle. c) Überragende Marktstellung gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 3 GWB Die überragende Marktstellung muss gerade im Verhältnis zu den Wettbewerbern bestehen, wie sich aus dem Wortlaut des § 18 Abs. 1 Nr. 3 GWB eindeutig ergibt. Eine überragende Marktstellung kann daher auf einem bestimmten Markt ebenfalls immer nur ein einziges Unternehmen haben. Mehrere Unternehmen mit einer überragenden Marktstellung im Verhältnis zu den Wettbewerbern sind nur im Oligopol denkbar.153 Die überragende Marktstellung definiert die Rechtsprechung als „einen überragenden (einseitigen) Verhaltensspielraum bei der Entwicklung von Marktstrategien oder auch beim Einsatz einzelner Aktionsparameter.“154 Auch bei Vorliegen wesentlichen Wettbewerbs kann ein Unternehmen daher eine überragende Markt-

aufwies, LG Berlin, Urteil vom 24. April 1967-69/65, WuW/E LG/AG 277 (S. 281), Theaterplätze. 148 Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 735. 149 Vgl. Bergmann, S. 35; Veranneman-Watervliet, S. 19; Wecker, S. 199. 150 Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 342 f. 151 Kessen, S. 65. Diese Schwierigkeit versuchte das Bundeskartellamt über die Unverzichtbarkeitsthese zu lösen. Siehe hierzu oben 2. Teil A. II. 1. a). 152 Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 340. 153 Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 338; a.A. Füller, in: Festschrift für Franz Jürgen Säcker zum 70. Geburtstag, 669 (669 ff.), siehe bereits oben 2. Teil A. II. 1. a). 154 BGH, Beschluss vom 3. Juli 1976 – KVR 4/75, WuW/E BGH 1435 (S. 1439), Vitamin B-12.

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stellung innehaben.155 Anderenfalls bliebe kein eigener Anwendungsbereich für § 18 Abs. 1 Nr. 3 GWB. Für die Feststellung einer überragenden Marktstellung ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, bei der die einzelnen gesetzlichen Merkmale des § 18 Abs. 3 GWB zu berücksichtigen sind.156 Ein abgeschlossenes Konzept, welche Prüfkriterien mit welchem Gewicht bei der Bestimmung von Marktbeherrschung auf Beschaffungsmärkten herangezogen werden müssen, ist der kartellrechtlichen Praxis bisher nicht zu entnehmen.157 Im Hinblick darauf, dass die einzelnen gesetzlichen Merkmale für angebots- und nachfrageseitige Marktbeherrschung grundsätzlich gleich auszulegen sind, soll im Folgenden daher untersucht werden, inwieweit die Merkmale tatsächliche Rückschlüsse auf das Vorliegen nachfrageseitiger Marktbeherrschung zulassen. Dabei ist der Grundsatz zu beachten, dass jeden Markt nur ein Unternehmen beherrschen kann. Auslegungstendenzen der einzelnen Merkmale, welche diesem Grundsatz zuwider laufen, sind mit der Systematik des GWB und der Unterscheidung zwischen Marktbeherrschung, relativer Marktmacht und überlegener Marktmacht nicht zu vereinbaren. Im Vordergrund der Untersuchung nachfrageseitiger Marktbeherrschung muss daher stehen, ob einzelne Indikatoren zu einem größeren Handlungsspielraum im Vergleich zu Mitnachfragern führen.158 aa) Marktanteil gemäß § 18 Abs. 3 Nr. 1 GWB Bei dem Nachweis von Marktbeherrschung spielt der Marktanteil in der Praxis des Bundeskartellamts auch auf Beschaffungsmärkten eine wichtige Rolle.159 Gleichzeitig wird die Bedeutung des Marktanteils für die Feststellung von Nachfragemacht noch immer kontrovers diskutiert.160 Der für die Feststellung von 155 BGH, Beschluss vom 16. Dezember 1976 – KVR 2/76, WuW/E BGH 1445 (S. 1449), Valium. 156 Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 344. 157 BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B2-47250-Fa-52/10 (S. 104), Edeka/ trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014); BKartA, Beschluss vom 14. August 1984 – B9-712068-U2006/84, WuW/E BKartA 2161, Coop/Wandmaker; BKartA, Beschluss vom 20. Juni 1983 – B9-712000-U-2056/82, WuW/E BKartA 2060, Metro/Kaufhof. 158 Vgl. Köhler, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Kontrolle der Nachfragemacht, S. 47, im Hinblick auf das Merkmal Marktanteil. 159 Zuletzt BKartA, Beschluss vom 22. Februar 2013 – B7-70/12 (Tz. 270 ff.), Kabel Deutschland/Tele Columbus, (Stand: 27. 02. 2014); BKartA, Beschluss vom 15. Dezember 2011 – B7-66/11 (Tz. 269 ff.), LGI/Kabel BW, (Stand: 27. 02. 2014); BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B2-47250-Fa-52/10 (S. 120 ff.), Edeka/trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014). 160 Vgl. bereits Bergmann, S. 88 f. Diese Kontroverse beruht allerdings in erster Linie auf den Schwierigkeiten, die mit der Definition von Nachfragemacht verbunden sind. Wenn dem

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nachfrageseitiger Marktbeherrschung relevante Marktanteil ist dabei allein derjenige auf dem relevanten Beschaffungsmarkt.161 Die Marktstellung auf dem nachgelagerten Absatzmarkt ist erst im Rahmen des Merkmals „Zugang zum Absatzmarkt“ zu berücksichtigen.162 Die Höhe des Marktanteils bestimmt sich allein anhand einer horizontalen Betrachtungsweise.163 Die theoretische Begründung, weshalb ein Unternehmen mit einem großen Marktanteil über Marktmacht verfügt, liefert das Cournot-Modell. Allerdings gilt dieses Modell in erster Linie auf Angebotsmärkten mit homogenen Gütern.164 Bei einer Knappheitslage kann das Cournot-Modell in entsprechender Anwendung auch auf Beschaffungsmärkten als Erklärungsansatz für die Bedeutung des Marktanteils zur Bemessung von Marktmacht herangezogen werden. Eine Übertragung auf Beschaffungsmärkte ist jedoch immer dann schwierig, wenn sich der Preis nicht auf dem Markt, sondern im Wege bilateraler Verhandlungen bildet.165 In einem solchen Fall vermag das Cournot-Modell nicht zu erklären, weshalb der absolute Marktanteil erhebliche Verhaltensspielräume eröffnet. Auf Beschaffungsmärkten, die durch eine Käufermarktlage geprägt sind und auf denen der Preis im Rahmen bilateraler Verhandlungen ausgemacht wird – ein Marktpreis, der für alle Marktteilnehmer gleichermaßen gilt, daher nicht existiert – muss die Bedeutung des Marktanteils anders hergeleitet werden. (1) Bedeutung des Marktanteils Während die Bedeutung des Marktanteils auf Beschaffungsmärkten homogener Güter, auf denen die Angebotsseite fragmentiert ist und das Gesetz des einheitlichen Preises gilt, mit dem klassischen Monopsonmodell zu erklären ist, wird noch immer kontrovers diskutiert, ob der Marktanteil auch dann von Bedeutung ist, wenn die Angebotsseite ebenfalls stark konzentriert ist, Preise im Wege bilateraler VerhandMarktanteil für den Nachweis von Nachfragemacht nur eine sehr geringe Bedeutung beigemessen wird, ist dies oftmals damit zu erklären, dass Nachfragemacht rein verhandlungstheoretisch erklärt wird ohne unmittelbaren Bezug zur Marktbeherrschung. Auch die Forderung deutlich niedrigerer Schwellenwerte für möglicherweise marktbeherrschende Nachfrager ist eng mit dieser Sichtweise verknüpft. Vgl. Inderst, WuW 2008, 1261 (1264 ff.). 161 Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 883. 162 Auch wenn, gerade im Bereich des Handels, die Marktanteile regelmäßig korrelieren. Denn ein Handelsunternehmen wird nicht nachfragen, was es nicht absetzen kann. 163 Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 890. Die Ausführungen von Leo zu einer im Einzelfall möglichen vertikalen Betrachtungsweise bereits im Rahmen des Merkmals Marktanteil in Rn. 891 – 892.3 können im Hinblick auf die Berücksichtigung der Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite an späterer Stelle nicht überzeugen. Mit ähnlicher Argumentation Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 345. 164 Inderst/Wey, Die Wettbewerbsanalyse von Nachfragemacht aus verhandlungstheoretischer Sicht, S. 9. 165 Der so abgegrenzte Markt im kartellrechtlichen Sinne ist damit gerade kein Markt nach Cournot, denn dieser zeichnet sich insbesondere durch einen einheitlichen Preis aus.

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lungen festgesetzt werden und vielfältige bilaterale Abhängigkeitsverhältnisse bestehen.166 Im Hinblick darauf, dass der Marktanteil eines Unternehmens auf dem Beschaffungsmarkt regelmäßig in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Marktanteil auf dem Angebotsmarkt steht, plädiert Bergmann dafür, dem Marktanteil nur eine untergeordnete Rolle bei der Beurteilung der überragenden Marktstellung beizumessen.167 Auch Paschke hält den Marktanteil für weniger bedeutsam, begründet dies allerdings in erster Linie mit den Schwierigkeiten, diesen im Einzelfall korrekt zu ermitteln.168 Tatsächlich gestaltet sich die Ermittlung des Marktanteils auf Käufermärkten schwierig. Schließlich kann bei einem Kapazitätsüberhang auf Anbieterseite ein Nachfrager sein Nachfragevolumen und damit seinen Marktanteil unabhängig von Konkurrenten erhöhen, indem er zusätzliche Mengen ordert.169 Der steigende Marktanteil ist in diesem Fall kaum ein zuverlässiger Indikator dafür, dass auch die Marktmacht des Nachfragers auf dem Beschaffungsmarkt anwächst. Wecker hingegen misst dem Marktanteil auch bei der Beurteilung einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Beschaffungsmarkt des Handels erhebliche Bedeutung bei, vor allem weil die Abnahmemenge bei der Gewährung von Konditionen honoriert werde und diese unmittelbar mit dem Marktanteil zusammenhänge.170 Die Konditionen richten sich jedoch in erster Linie nach der individuellen Machtstellung gegenüber einzelnen Anbietern, welche regelmäßig nicht auf der absoluten Höhe des Marktanteils beruhen, sondern auf der relativen Höhe der Abnahmemenge im Verhältnis zum Gesamtumsatz des Anbieters.171 Daher kann dies nicht vollends überzeugen. Der Marktanteil ist jedoch aus einem anderen Grund von besonderer Bedeutung. Er hat auf Beschaffungsmärkten, auf denen vielfältige bilaterale Abhängigkeitsverhältnisse bestehen, für die Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung eine Auslesefunktion. Bei Unternehmen, die aufgrund hoher relativer Bezugsanteile zwar 166

Wey, S. 5 ff. Die Bedeutung des Marktanteils wird im Schrifttum daher oft sehr branchenspezifisch beurteilt. Zum Beschaffungsmarkt des Handels vgl. Bergmann, S. 88 ff.; Wecker, S. 203. 167 Bergmann, S. 91 – 92. 168 Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 346. 169 Köhler, Nachfragewettbewerb und Marktbeherrschung, S. 61 – 62. Freilich kann dies zu einem Absatzproblem für den Nachfrager auf dem nachgelagerten Markt führen, auf den Wettbewerb unmittelbar auf dem Beschaffungsmarkt hingegen muss sich dies nicht auswirken. 170 Wecker, S. 203; ähnlich Köhler, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Kontrolle der Nachfragemacht, S. 47. Konsequenz einer solchen Betrachtungsweise ist jedoch, dass von einem bestimmten Marktergebnis – günstigen Konditionen – auf Marktmacht geschlossen wird. Ein solcher Ansatz ist jedoch abzulehnen. Auch ein Monopsonist strebt schließlich möglichst günstige Einkaufskonditionen an, ohne dass er Wettbewerb ausgesetzt wäre. Ebenso bereits Hermes, S. 17; Wendland, WuW 1983, 357 (361 f.); a.A. Gröner/Köhler, BB 1982, 257 (258). 171 Und insbesondere dem Wert der Abbruchoptionen, vgl. Inderst/Wey, Die Wettbewerbsanalyse von Nachfragemacht aus verhandlungstheoretischer Sicht, S. 9 ff.

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erheblichen Einfluss auf die Marktgegenseite ausüben können, deren absoluter Marktanteil jedoch vergleichsweise gering ist oder sich zumindest nicht maßgeblich von dem der nächsten Konkurrenten unterscheidet, kann eine Einzelmarktbeherrschung regelmäßig ausgeschlossen werden.172 Schließlich haben solche Unternehmen im Horizontalverhältnis gerade keine die Wettbewerber überragende Marktstellung. Geringe Marktanteile sind somit in erster Linie ein sinnvoller Indikator für fehlende Marktmacht, bei hohen Marktanteilen ist hingegen im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu ermitteln, ob tatsächlich eine überragende Stellung besteht.173 Allein ein Vorsprung gegenüber den Wettbewerbern reicht für die Feststellung von Marktbeherrschung i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 3 GWB nicht aus, sofern nicht auch ein erweiterter Verhaltensspielraum gegenüber der Marktgegenseite besteht. (2) Höhe des Marktanteils Während die Entscheidungspraxis zur notwendigen Marktanteilshöhe im Hinblick auf angebotsseitige Marktbeherrschung äußerst umfangreich ist,174 ist sie für nachfrageseitige Marktbeherrschung sehr übersichtlich.175 Inwieweit sich die notwendige Höhe des Marktanteils bei der angebotsseitigen Marktbeherrschung gegenüber der nachfrageseitigen Marktbeherrschung unterscheidet, wird seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Die im Schrifttum teilweise vertretene These, dass nachfrageseitige Marktbeherrschung bereits bei deutlich niedrigeren Marktanteilen vorliegen könne als auf Angebotsmärkten,176 wurzelt in der Unverzichtbarkeitsthese und der damit verbundenen Vertikalisierung des Marktbeherrschungstatbestandes.177 Im Hinblick auf die horizontale Ausrichtung des Marktbeherrschungsbegriffes des GWB und den Grundgedanken, dass es auf einem Markt stets nur einen Einzelmarktbeherrscher geben kann, ist sie jedoch abzulehnen.178 Damit sind grundsätzlich 172 So hat das Bundeskartellamt das Entstehen einer beherrschenden Stellung auf dem Beschaffungsmarkt für Rechte an Pay-TV Spartenprogrammen trotz eines Marktanteils von über 30 Prozent ausgeschlossen, weil Wettbewerber ähnlich hohe bzw. noch höhere Marktanteile besaßen, BKartA, Beschluss vom 22. Februar 2013 – B7-70/12 (Tz. 274), Kabel Deutschland/Tele Columbus, (Stand: 27. 02. 2014). 173 Vgl. Friederiszick, in: Recht und Ökonomie im Europäischen Wettbewerbsrecht, 29 (38). 174 Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 855 ff. m.w.N. 175 Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 77 m.w.N. 176 So zuletzt Bontrup, WRP 2006, 225 (232); Ruppelt, in: Langen/Bunte, § 19 GWB, Rdnr. 57. Eine umfangreiche Auflistung findet sich bei Bergmann, S. 90 in Fußnote 97. Auch der BGH hat sich dahingehend geäußert, dass „Marktmacht auf Nachfrageseite in der Regeln schon bei geringeren Konzentrationsgraden erreicht wird.“ BGH, Urteil vom 23. Februar 1988 – KRZ 17/86, WuW/E BGH 2483 (S. 2489), Sonderungsverfahren. In der Entscheidung kam es darauf jedoch nicht weiter an und es ist bei dieser pauschalen Aussage geblieben. 177 Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 76; Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 346. 178 So im Ergebnis auch: Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 76.

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vergleichbare Marktanteile wie auf Angebotsmärkten notwendig und im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen.179 Erforderlich ist somit sowohl ein erhebliches Marktanteilsgefälle als auch, dass das beherrschungsverdächtige Unternehmen den größten Marktanteil aufweist.180 Als Richtwert für die Höhe kann die Vermutungsregel des § 18 Abs. 4 GWB herangezogen werden, nach der ein Marktanteil von mindestens 40 % erforderlich ist.181 Jedoch können bereits geringere absolute Marktanteile ausreichen, wenn der Vorsprung zur Konkurrenz erheblich ist und weitere Indikatoren für eine überragende Marktstellung sprechen.182 (3) Berechnung des Marktanteils Der Marktanteil bestimmt sich nach dem Gesamtvolumen der für den verständigen Durchschnittsanbieter austauschbaren Absatzmöglichkeiten auf dem abgegrenzten Beschaffungsmarkt.183 Ob dem Marktvolumen die Menge der abgesetzten Produkte oder deren Wert zugrunde gelegt wird, ist je nach Marktgeschehen zu beurteilen.184 Bestehen auf dem Markt bilaterale Abhängigkeitsverhältnisse und werden die Preise im Rahmen von Verhandlungen festgesetzt, ist die mengenmäßige Bestimmung grundsätzlich besser geeignet. Die Bezieher großer Mengen erhalten schließlich oft bessere Konditionen als Abnehmer kleinerer Mengen, und eine Ausgabe in Umsatzgrößen würde die tatsächliche Marktstärke des Unternehmens nicht adäquat wiedergeben.185 179 Im Zusammenschlussverfahren LGI/Kabel BW hat das Bundeskartellamt zuletzt Marktanteile von 25 – 35 % bei geringem Abstand zu Wettbewerbern und niedrigen Marktzutrittsschranken als nicht ausreichend betrachtet, BKartA, Beschluss vom 15. Dezember 2011 – B7-66/11 (Tz. 269 ff.), LGI/Kabel BW, (Stand: 27. 02. 2014). 180 BKartA, Beschluss vom 30. November 1989 – B2-685300-U-75/89, WuW/E BKartA 2428 (S. 2431 – 2432), Nordfleisch – CG Hannover; Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 898 – 899; Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 346. 181 Siehe im Hinblick auf die Schwelle von einem Drittel, die bis zur 8. GWB-Novelle bestand: BGH, Urteil vom 23. Februar 1988 – KRZ 17/86, WuW/E BGH 2483 (S. 2489), Sonderungsverfahren; Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 488, 900. Die Vermutungsregel hat das Bundeskartellamt im Hinblick auf ein mögliches Oligopson bei der Beschaffung von Getränken im Zusammenschlussfall Edeka/Trinkgut ebenfalls ausdrücklich angewandt, BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B2-47250-Fa-52/10 (S. 131), Edeka/ trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014). 182 KG, Beschluss vom 22. März 1983 – Kart. 17/81, WuW/E OLG 2862 (S. 2863 ff.), Rewe – Florimex; Götting, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 19 GWB, Rdnr. 32. 183 Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 346. 184 Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 887 i.V.m. 844. 185 Vgl. BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B2-47250-Fa-52/10 (S. 121), Edeka/ trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014).

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(4) Zwischenergebnis Marktanteile sind auch bei der Bestimmung nachfrageseitiger Marktbeherrschung von besonderer Bedeutung.186 Ob hohe Marktanteile als Indiz für Marktbeherrschung angesehen werden können oder nicht, hängt maßgeblich davon ab, ob der Markt durch eine Käufer- oder durch eine Verkäufermarktlage geprägt ist. Auf Verkäufermärkten reicht ein besonders hoher Marktanteil regelmäßig als alleiniges Indiz für eine marktbeherrschende Stellung aus. Aufgrund der Knappheit des nachgefragten Gutes bildet sich der Preis eher nach Cournot und ein überragender Marktanteil erweitert die Verhaltensspielräume des Unternehmens im Horizontalwie auch im Vertikalvergleich erheblich. Auf Käufermärkten hingegen kommt dem Marktanteil in erster Linie eine Auslesefunktion hat. Überragend im Verhältnis zu den Wettbewerbern kann eine Marktstellung schließlich nur sein, sofern das Unternehmen den größten Marktanteil auf sich vereint. Daneben ist der Marktanteil noch aufgrund der Korrelation zum relativen Abnahmevolumen des Normadressaten von Bedeutung. bb) Finanzkraft gemäß § 18 Abs. 3 Nr. 2 GWB Unter Finanzkraft wird die „Gesamtheit der finanziellen Mittel und Möglichkeiten eines Unternehmens“ verstanden.187 Überragende Finanzkraft muss dabei gerade im Verhältnis zu den Wettbewerbern bestehen.188 Dies setzt voraus, dass das Unternehmen einen wesentlichen Ressourcenvorsprung vor seinen Wettbewerbern besitzt.189 Der Finanzkraft wird Bedeutung in erster Linie aufgrund der sogenannten Abschreckungstheorie beigemessen: Durch hohe Finanzkraft werden die „vorhandenen und potentiellen Konkurrenten entmutigt und von einer aggressiven Wettbewerbspolitik [abgeschreckt]“, was den Unternehmen Verhaltensspielräume verschafft.190 Erforderlich ist somit die Erwartung, dass der Normadressat seine überragende Finanzkraft beispielsweise zur Durchführung von Kampfpreisstrategien nutzt oder seine Wettbewerber anderweitig behindert.191 Dies kann durch den Einsatz von Finanzkraft unmittelbar auf dem Beschaffungsmarkt, beispielsweise durch die Androhung der Rückwärtsintegration gegen186 Und mit dieser hohen Bedeutung einher geht die Notwendigkeit, die Marktabgrenzung nach klaren Kriterien durchzuführen. Marktanteile sind schließlich nur dann aussagekräftig, wenn die Marktabgrenzung auch tatsächlich zu einer angemessenen Abbildung der Wettbewerbskräfte geführt hat. 187 Siehe auch Unterrichtung des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) vom 13. Juni 1976 zur 2. GWB Novelle, BT-Drucks. 7/786 S. 6; zu den Ermittlungsschwierigkeiten ausführlich Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 267 ff. 188 Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 266. 189 Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 920. 190 BGH, Beschluss vom 25. Juni 1985 – KVR 3/84, WuW/E BGH 2150 (S. 2157), Edelstahlbestecke; Götting, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 19 GWB, Rdnr. 33; Wecker, S. 203. 191 Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 956.

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über Lieferanten und Herstellern geschehen.192 Das Insolvenzrisiko und Liquiditätsprobleme sind bei finanzstarken Nachfragern geringer, weshalb sie im Vergleich zu Wettbewerbern für die Anbieter attraktivere Abnehmer sind.193 Weiterhin kann hohe Finanzkraft eine aggressive Expansionspolitik begünstigen und daher Verhaltensspielräume gegenüber Wettbewerbern eröffnen.194 Außerdem kann die Finanzkraft auf Märkten mit geringer Wertschöpfung auf dem nachgelagerten Absatzmarkt eingesetzt werden, um dort Marktanteile auszubauen und dadurch mittelbar die Stellung auf dem Beschaffungsmarkt zu verbessern.195 Durch eine hohe Finanzkraft mögliche Behinderungen sind jedoch unwahrscheinlich auf Beschaffungsmärkten, auf denen eine Käufermarktlage vorherrscht.196 Zwar ist es dem nachfragenden Unternehmen in einem solchen Fall möglich, durch eine Erhöhung der Nachfrage seinen Marktanteil zu steigern, aufgrund der Überkapazitäten der Anbieter ist dies regelmäßig jedoch nicht mit negativen Auswirkungen auf Wettbewerber verbunden. In diesem Fall ergibt sich aus überragender Finanzkraft ein erweiterter Verhaltensspielraum nicht notwendigerweise. Auf Verkäufermärkten führt eine überlegene Finanzkraft hingegen regelmäßig zu einem erweiterten Verhaltensspielraum. Einem Käufer mit überragender Finanzkraft ist es mitunter möglich, das knappe Gut aufzukaufen, Wettbewerber vom Bezug abzuhalten und damit langfristig seine Marktmacht auf dem Beschaffungsmarkt zu festigen. Dadurch kann auch die Marktstellung auf dem nachgelagerten Absatzmarkt verbessert werden, insbesondere, wenn die Märkte geografisch deckungsgleich sind. Daher kann überragende Finanzkraft auf Verkäufermärkten selbst dann für den Nachweis einer marktbeherrschenden von Bedeutung sein, wenn der Marktanteil des fraglichen Unternehmens vergleichsweise gering ist. cc) Zugang zu den Absatzmärkten197 gemäß § 18 Abs. 3 Nr. 3 GWB Insbesondere im Handel ist der Zugang zu nachgelagerten Absatzmärkten ein gewichtiges Kriterium für den Nachweis einer marktbeherrschenden Stellung. Denn die Stellung beim Einkauf bestimmt sich nach den Absatzmöglichkeiten auf dem 192

Bergmann, S. 93. Köhler, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Kontrolle der Nachfragemacht, S. 48. 194 Bergmann, S. 94. 195 Bergmann, S. 94. 196 Hölzler/Satzky, S. 89 f.; Köhler, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Kontrolle der Nachfragemacht, S. 48. 197 Der Gesetzesbezug auf den Zugang zu den Beschaffungsmärkten ist bei der Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Beschaffungsmarkt nur eingeschränkt zu berücksichtigen, BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B2-47250-Fa-52/10 (S. 139 f.), Edeka/trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014); Bergmann, S. 95 – 98; Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 960, 981, der seine zuvor geäußerte Gegenansicht (Leo, WRP 1972, 1 (10)) ausdrücklich aufgibt. 193

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nachgelagerten Markt.198 Verfügt der Nachfrager permanent und monopolistisch über bestimmte Absatzpotentiale, so erweitert dies seinen Verhaltensspielraum.199 Das mögliche Absatzvolumen eines Unternehmens begrenzt schließlich das unternehmerisch sinnvolle Einkaufsvolumen als Nachfrager. Die nachgefragte Menge wirkt sich, insbesondere bei Angebotsüberhang und sinkenden Stückkosten, entscheidend auf die Einkaufskonditionen aus.200 Überragender Zugang zu den nachgelagerten Absatzmärkten bedeutet in diesem Fall besonders hohes Absatzpotential und damit einhergehend hohes Einkaufspotential. Verhaltensspielräume ergeben sich dann aus den Markterschließungsleistungen des Nachfragers.201 Damit ist die Gatekeeper-Funktion von Unternehmen gemeint, aufgrund derer sie Wettbewerbsvorteile bei der Beschaffung gegenüber Konkurrenten haben.202 Die Berücksichtigung des Zugangs zum Absatzmarkt lässt daher die Wettbewerbsverhältnisse auf dem nachgelagerten Markt auf den untersuchten Beschaffungsmarkt ausstrahlen.203 Im Hinblick auf die sich zwar oft überschneidenden, jedoch selten deckungsgleich abzugrenzenden Beschaffungs- und Absatzmärkte ist dabei aber Vorsicht geboten. Schließlich können Unternehmen durchaus jeweils für sich marktbeherrschend auf regionalen Absatzmärkten sein, ohne dass sie eine überragende Marktstellung auf dem weiter abzugrenzenden Beschaffungsmarkt innehaben.204 Im Rahmen der Gesamtbetrachtung ist diesem Umstand daher angemessen Rechnung zu tragen, insbesondere bei der Fusionskontrolle.205 Ein überragender Zugang zum Beschaffungsmarkt ist hingegen insbesondere dann von Bedeutung, wenn ein Nachfrager rückwärtig integriert ist und eine Käufermarktlage besteht. Er kann Behinderungsstrategien dann noch wirkungsvoller und 198

Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 76. Kerber, S. 596. 200 Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 985. 201 Hölzler/Satzky, S. 90. 202 Das Bundeskartellamt hat diese Gatekeeper-Funktion im Beschluss Edeka/trinkgut erneut nicht im Hinblick auf das Kriterium „Zugang zu den Absatzmärkten“, sondern unter dem Punkt der „Unverzichtbarkeit“ geprüft, vgl. BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B247250-Fa-52/10 (S. 132 ff., 139), Edeka/trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014). Im Hinblick auf die historische Belastung des Begriffes der Unverzichtbarkeit und den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, damit verbundene Wertungen im Rahmen des Merkmals „Zugang zu den Absatzmärkten“ zu erfassen, ist dies ein klarer Schritt zurück. 203 Bergmann, S. 97. 204 Ein solcher Fall ist insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel zu beobachten. Während die Absatzmärkte regional nach dem Sortimentsmarktprinzip abzugrenzen sind und in bestimmten Gegenden Monopolstellungen zu beobachten sind, wird der Beschaffungsmarkt in ständiger Praxis nach Produktgruppen bundesweit abgegrenzt. Sofern in bestimmten Gegenden ein Unternehmen daher eine marktbeherrschende Stellung auf dem Absatzmarkt innehat, erlaubt dies keinen unmittelbaren Schluss auf die Stellung auf dem Beschaffungsmarkt für bestimmte Produktgruppen. 205 Vgl. Bergmann, S. 97 f. 199

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weniger kostenintensiv einsetzen und sich dadurch am Markt behaupten.206 Auch langfristige Verträge oder genossenschaftliche Eingliederungen in die Absatzorganisation können eine überragende Beschaffungsbasis und damit die starke Marktstellung im Horizontalverhältnis sichern.207 dd) Verflechtungen mit anderen Unternehmen gemäß § 18 Abs. 3 Nr. 4 GWB Das Merkmal „Verflechtungen mit anderen Unternehmen“ weist große Überschneidungen insbesondere mit den Merkmalen Finanzkraft und Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten auf.208 Mit Blick auf die Nachfragemarktbeherrschung sind keine Besonderheiten ersichtlich.209 Verflechtungen können weiterhin positive wie negative Auswirkungen auf den Handlungsspielraum eines Nachfragers haben.210 Damit ist das Kriterium von geringer Bedeutung in der Rechtsanwendungspraxis geblieben.211 ee) Marktzutrittsschranken gemäß § 18 Abs. 3 Nr. 5 GWB Die Berücksichtigung von Marktzutrittsschranken als Marktbeherrschungskriterium beruht darauf, dass bei hohen Marktzutrittsschranken die disziplinierende Entmachtungswirkung durch potentiellen Wettbewerb fehlt.212 Hohe Marktzutrittsschranken erhöhen daher insbesondere die Aussagekraft von Marktanteilen.213 Überschneidungen ergeben sich mit den Merkmalen Finanzkraft und Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten.214 Marktzutrittsschranken können sich dabei aus rechtlichen und tatsächlichen Faktoren ergeben.215 Marktzutrittsschranken können sowohl den Eintritt in den Beschaffungsmarkt als auch den Eintritt in den nachgelagerten Absatzmarkt erschweren. Inwieweit Letztere bei der Beurteilung der Machtstellung eines Unternehmens auf einem Beschaffungsmarkt relevant sind, ist dem Gesetz nicht eindeutig zu entnehmen. Im Hinblick darauf, dass der Wortlaut der Norm einen klaren Marktbezug erkennen lässt, spricht 206

Vgl. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 66. BKartA, Beschluss vom 30. November 1989 – B2-685300-U-75/89, WuW/E BKartA 2428 (S. 2432 – 2433), Nordfleisch – CG Hannover. 208 Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 65. 209 Hölzler/Satzky, S. 90; Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 1007. 210 Köhler, Nachfragewettbewerb und Marktbeherrschung, S. 67 f. 211 Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 993. 212 Bergmann, S. 100. 213 Bergmann, S. 100. Auf dieser grundsätzlichen Annahme fußt auch die besondere Bedeutung von Marktanteilen und Marktzutrittsschranken in der US-amerikanischen Praxis zu Section 2 Sherman Act. Siehe unten 4. Teil A. II. 214 Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 1009. 215 Jickeli, S. 154 ff., 162 ff. 207

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dies zunächst dafür, nur Zutrittsbarrieren unmittelbar in dem zuvor abgegrenzten und der Beherrschung verdächtigten Markt zu berücksichtigen.216 Andererseits beruht die Berücksichtigung von Marktzutrittsschranken auf der Entmachtungswirkung durch potentiellen Wettbewerb. Dieser geht zwar nur von konkurrierenden Nachfragern aus, doch setzt konkurrierende Nachfrage in den meisten Fällen auch ein Absatzpotential auf dem nachgelagerten Markt voraus.217 Sind erhebliche Marktzutrittsschranken auf dem nachgelagerten Absatzmarkt auszumachen, so wirken sich diese gleichermaßen als Zutrittsschranken auf den Beschaffungsmarkt aus. Treffend führt Bergmann dazu aus: „Ein Handelsunternehmen, das ausschließlich einkauft, ist nicht konzipierbar.“218 Das Bestehen von Marktzutrittsschranken ist daher im Einzelfall sowohl unmittelbar auf dem Beschaffungs- als auch auf dem Absatzmarkt zu berücksichtigen.219 Während, wie im Bereich des Handels, unmittelbare Marktzutrittsschranken auf Beschaffungsseite regelmäßig gering sind,220 können erhebliche Marktzutrittsschranken die Bedeutung potentiellen Wettbewerbs auf dem Absatzmarkt so stark reduzieren, dass ein Wettbewerbsdruck durch potentielle Konkurrenten auch auf dem Beschaffungsmarkt entfällt.221 Marktzutrittsschranken sind in Bezug auf Beschaffungsmärkte daher ebenso zu beachten wie auf Angebotsmärkten.222 Der allgemeinen Aussage, dass die Relevanz in Missbrauchsfällen gering sei,223 kann dabei so nicht zugestimmt werden. Insbesondere in Fällen, in denen der Beschaffungsmarkt räumlich weiter abgegrenzt wird als der nachgelagerte Absatzmarkt, gestaltet sich der Marktzutritt regelmäßig schwierig. Ein Newcomer kann kaum die gleichen Markterschließungsleistungen für 216 Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, S. 1016. Ahnlich wohl auch Köhler, Nachfragewettbewerb und Marktbeherrschung, S. 69 f. 217 Eine Ausnahme zu diesem Grundsatz stellt beispielsweise die Beschaffung des Staates dar. 218 Bergmann, S. 101. 219 Vgl. BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B2-47250-Fa-52/10 (S. 138 f.), Edeka/ trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014). mit Verweis auf das Scheitern von Walmart und Intermarché im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels. 220 Zutreffend Köhler, Nachfragewettbewerb und Marktbeherrschung, S. 69 f., der darauf hinweist, dass ein Anbieter sich grundsätzlich über jeden neuen Abnehmer freut. Auch dürfen fehlende Marktzutritte nicht mit dem Bestehen von Marktzutrittsschranken gleichgesetzt werden, siehe Markert, in: Wettbewerbsbeschränkungen in der Nachfrage, 61 (64). 221 So ist der Marktzutritt von Walmart und Intermarché nicht an Problemen bei der Beschaffung gescheitert, sondern vielmehr, weil Einkaufs- und Absatzpotential der Unternehmen zu stark divergierten. Als ernsthafte Wettbewerber auf dem Beschaffungsmarkt für die etablierten Lebensmitteleinzelhändler konnten sich diese Unternehmen nicht etablieren, da sie auf Absatzseite notwendige Marktanteile nicht gewinnen konnten. Vgl. BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B2-47250-Fa-52/10 (S. 138 f.), Edeka/trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014). 222 Vgl. Jickeli, S. 247, 257 f. 223 Jickeli, S. 270; Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 1010; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 70.

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die Anbieter auf dem nachgelagerten Absatzmarkt erbringen wie etablierte Handelsunternehmen und wird daher nur geringen Wettbewerbsdruck ausüben können. Auch wenn sich damit starke Überschneidungen zu § 18 Abs. 3 Nr. 3 GWB ergeben, darf die Bedeutung von Marktzutrittsschranken auch für die Feststellung marktbeherrschender Stellungen von Nachfragern nicht unterschätzt werden. ff) Tatsächlicher oder potenzieller Wettbewerb gemäß § 18 Abs. 3 Nr. 6 GWB Das Kriterium des tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerbs durch innerhalb oder außerhalb des Geltungsbereichs des GWB ansässige Unternehmen dient nur der Klarstellung, dass bei der Prüfung der Marktbeherrschung auch wettbewerbliche Einwirkungen aus dem Ausland zu berücksichtigen sind.224 Bedeutung erlangt das Kriterium somit nur, wenn die räumliche Marktabgrenzung zu dem Ergebnis kommt, dass der relevante Markt sich über die Bundesgrenzen erstreckt. Ob dies auf Beschaffungsmärkten der Fall ist, muss einzelfallabhängig beurteilt werden. Die grundsätzliche Nichtberücksichtigung von Exportmöglichkeiten im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels durch das Bundeskartellamt ist jedoch, wie bereits dargestellt, kritisch zu sehen. gg) Umstellungsflexibilität gemäß § 18 Abs. 3 Nr. 7 GWB Das Merkmal der Umstellungsflexibilität wurde mit der 5. GWB-Novelle 1989 insbesondere auch eingefügt, um eine bessere Erfassung der Nachfragemacht des Handels zu ermöglichen.225 Während im Rahmen der Marktabgrenzung die Umstellungsflexibilität der Marktgegenseite, also der Anbieter, maßgeblich ist, kommt es bei der Beurteilung der Marktbeherrschung maßgeblich auf die Umstellungsflexibilität des Nachfragers im Rahmen der Beschaffung an.226 Der Aussage, dass die Umstellungsflexibilität bereits im Rahmen der Marktabgrenzung berücksichtigt wurde,227 ist daher nicht zuzustimmen. Der Zusammenhang zwischen Umstellungsflexibilität und Marktstärke beruht auf der Annahme, dass ein Nachfrager sich umso stärker unabhängig von der Marktgegenseite verhalten kann, je leichter er seine Nachfrage auf andere Güter oder

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Götting, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 19 GWB, Rdnr. 37. Begründung zum Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 30. Mai 1989, BT-Drucks. 11/4610 S. 17; Jickeli, WuW 1990, 481 (486). Im Vordergrund stand dabei jedoch nicht die Missbrauchsaufsicht, sondern die Möglichkeit besserer Kontrolle von Handelszusammenschlüssen, Möschel, in: Immenga/ Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 72; kritisch bzgl. der Aussagekraft des Kriteriums und der Praktikabilität in der Anwendungspraxis, Kirschner, WRP 1989, 73 (76). 226 Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 307, 348. 227 In diese Richtung Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 73. 225

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Leistungen umstellen kann.228 Damit ist jedoch nur das vertikale Machtverhältnis beschrieben. Für das im Rahmen der Marktbeherrschung im Mittelpunkt stehende Horizontalverhältnis kommt es im Besonderen darauf an, dass das Unternehmen sich auch gegenüber seinen Wettbewerbern durch eine größere Umstellungsflexibilität auszeichnet.229 Nur Vorsprünge gegenüber Wettbewerbern erweitern schließlich den Verhaltensspielraum ihnen gegenüber. So bestehen im Bereich des Handels Unterschiede in der Umstellungsflexibilität in erster Linie im Vertikalverhältnis, die gesamte Nachfrageseite zeichnet sich hingegen durch eine eher einheitliche Umstellungsflexibilität aus.230 Der Marktbeherrscher kann damit anhand dieses Kriteriums nicht bestimmt werden. Praktische Bedeutung hat das Kriterium der Umstellungsflexibilität für sich genommen daher in der Praxis noch keine erlangt.231 Jedoch ist die Umstellungsflexibilität als Marktbeherrschungsfaktor auch methodische kritisch zu bewerten, weil sich eine hohe Flexibilität des Nachfragers nicht positiv auf seine Marktstellung auswirken muss.232 Hohe Flexibilität geht oft einher mit Faktoren, die sich negativ auf die Marktstellung auswirkenden. So verlangt beispielsweise der für die Marktstellung wichtige Aufbau von Know-how langfristige Investitionen, welche sich wiederum negativ auf die Umstellungsflexibilität auswirken.233 Die Umstellungsflexibilität erlaubt damit nur im Verbund mit anderen Kriterien eine verlässliche Aussage über den Grad der Marktmacht des Nachfragers. hh) Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite gemäß § 18 Abs. 3 Nr. 8 GWB Das Merkmal „Möglichkeit der Marktgegenseite, auf andere Unternehmen auszuweichen“, beschreibt spiegelbildlich die Umstellungsflexibilität der Anbieter.234 Es wurde ebenfalls im Rahmen der 5. GWB-Novelle in das Gesetz eingefügt, um in Zukunft insbesondere in Fusionsfällen von Handelsunternehmen nachfrageseitige Marktbeherrschung besser erfassen zu können.235 Entscheidend sind nicht 228

Götting, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 19 GWB, Rdnr. 38. Eine derartige Vertikalisierung des Kriteriums erlaubt es jedoch nicht, eine überragende Marktstellung im Horizontalvergleich zu bestimmen. Schließlich können auch sehr kleine Nachfrager sich durch eine im Vergleich zur Marktgegenseite sehr hohe Umstellungsflexibilität auszeichnen. Auf einen im Verhältnis zu den Wettbewerbern erweiterterten Verhaltensspielraum lässt dies jedoch nicht schließen, insbesondere, wenn die Wettbewerber eine ähnliche Flexibilität bei der Beschaffung aufweisen. 229 Götting, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 19 GWB, Rdnr. 39. 230 Jickeli, WuW 1990, 481 (486). 231 Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 347. 232 Jickeli, WuW 1990, 481 (486). 233 Unter Rückgriff auf Erkenntnisse der Spieltheorie Jickeli, WuW 1990, 481 (486); zustimmend Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 349. 234 Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 350. 235 Begründung zum Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 30. Mai 1989, BT-Drucks. 11/4610, S. 17 f.

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unternehmensindividuelle Abhängigkeiten, sondern es muss „eine für den jeweiligen Markt erhebliche Zahl von Unternehmen keine ausreichenden und zumutbaren Absatz[alternativen]“236 besitzen. Unabhängig davon, dass diese Formel wenig praktikabel ist, zu Rechtsunsicherheit führt und mangelnde Ausweichmöglichkeiten einer erheblichen Anzahl der Anbieter nicht notwendigerweise auf horizontale Marktmacht schließen lassen,237 bestehen auch grundsätzliche Bedenken gegen die eigenständige Bedeutung der Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite als Marktbeherrschungskriterium. Denn diese sind als Ausgangspunkt der Marktabgrenzung bereits dort berücksichtigt worden. Sofern der Marktgegenseite daher keinerlei Ausweichmöglichkeiten zu dem Normadressaten offenstehen, ist dieser ohnehin als Monopsonist zu qualifizieren, und auf eine überragende Marktstellung käme es demnach nicht an. Ist im Rahmen der Marktabgrenzung hingegen festgestellt worden, dass eine Gruppe von Nachfragern den relevanten Beschaffungsmarkt ausmacht, da diese Ausweichmöglichkeiten für die Marktgegenseite darstellen, so verbietet sich eine andere Beurteilung im Rahmen der Marktbeherrschungsprüfung.238 Die Berücksichtigung der Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite als Marktbeherrschungskriterium kann sich auch nicht daraus ergeben, dass alternative Abnehmer kein vergleichbares Abnahmevolumen nachfragen können.239 Vielmehr wird die Größe der Nachfrager und damit ihr Nachfragevolumen bereits durch die Merkmale Marktanteil und Finanzkraft ausreichend berücksichtigt.240 Denkbar wäre zwar weiterhin, die Umstellungsflexibilität der Marktgegenseite im Verhältnis zu der Umstellungsflexibilität des vermeintlichen Marktbeherrschers zu betrachten, jedoch lässt sich auch daraus bloß vertikale, nicht aber horizontale Marktmacht ableiten. Weiterhin erlaubt ein solches Vorgehen nicht, ein einziges nachfragendes Unternehmen als Marktbeherrscher zu bestimmen. In der Praxis kommt diesem Marktstrukturmerkmal daher zu Recht keine nennenswerte Bedeutung zu.241

236 Begründung zum Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 30. Mai 1989, BT-Drucks. 11/4610 S. 17. 237 Jickeli, WuW 1990, 481 (487 – 489). 238 Diese Überschneidung zeigt sich auch in der Kommentarliteratur. So wird im Rahmen der Marktabgrenzung auf den Maßstab kaufmännischer Vernunft abgestellt, während es im Rahmen der Marktbeherrschung auf eine vernünftige kaufmännische Betrachtung ankommen soll, Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 477 bzw. 1107. 239 So aber ausdrücklich das Bundeskartellamt unter Rückgriff auf das Stichwort der „Unverzichtbarkeit“, BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B2-47250-Fa-52/10 (S. 132 ff.), Edeka/trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014). 240 Vgl. Kerber, S. 519. 241 Leo, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, Rdnr. 1110.

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d) Ergebnis zu den Marktbeherrschungskriterien des § 18 Abs. 3 GWB Im Wege der Gesamtbetrachtung sind die oben aufgeführten Merkmale umfassend bei der Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung zu würdigen.242 Auch eine überragende Marktstellung muss sich stets in Vorsprüngen gegenüber Wettbewerbern äußern. Kriterien, die allein vertikale Machtvorsprünge begründen, reichen für den Nachweis einer marktbeherrschenden Stellung nicht aus, sondern können horizontale Machtfaktoren lediglich ergänzen. Auch auf Beschaffungsmärkten ist der Marktanteil für die Ermittlung von Marktbeherrschung von großer Bedeutung, bildet er doch am deutlichsten die Marktstellung des Nachfragers im Vergleich zu Konkurrenten ab. Daneben ist, insbesondere auf Verkäufermärkten, die Finanzkraft des Nachfragers von großer Bedeutung. Auch der Zugang zu nachgelagerten Absatzmärkten und das Bestehen von Marktzutrittsschranken müssen im Rahmen der Gesamtbetrachtung gebührend gewürdigt werden. Bei offenen Märkten wird der Verhaltensspielraum der Nachfrager schließlich durch alternative Vertriebsstrategien der Hersteller begrenzt.243 Allerdings verstärken diese beiden Kriterien in erster Linie die Aussagekraft von Marktanteilen und lassen für sich genommen keinen sicheren Schluss auf eine Marktbeherrschung zu. 3. Marktbeherrschungsvermutung Die Marktbeherrschungsvermutung des § 18 Abs. 4 GWB gilt für Nachfrager wie für Anbieter gleichermaßen.244 Forderungen aus der Wissenschaft, die Marktanteilsschwelle für Nachfrager zu senken,245 ist der Gesetzgeber nicht nachgekommen. Vielmehr wurde die Schwelle im Rahmen der 8. GWB-Novelle auf 40 % gehoben. Besonderheiten im Hinblick auf Marktbeherrschung auf Beschaffungsmärkten bestehen grundsätzlich nicht. 4. Ergebnis zur marktbeherrschenden Stellung eines Nachfragers Im Vordergrund der praktischen Rechtsanwendung steht die überragende Marktstellung. Sie setzt voraus, dass ein Nachfrager einen deutlich größeren Verhaltensspielraum als seine Konkurrenten besitzt und dieser Verhaltensspielraum 242 KG, Beschluss vom 9. November 1983 – Kart. 35/82, WuW/E OLG 3124 (S. 3125), Milchaustauschfuttermittel. 243 Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, S. 266. 244 Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 91. 245 Teilweise wird gefordert, dass eine marktbeherrschende Stellung bereits bei einem Marktanteil von 5 Prozent vermutet warden sollte, Bontrup, WRP 2006, 225 (232); ebenso Bontrup/Marquardt, S. 152 f. Mit der Unzulässigkeit paralleler Einzelmarktbeherrschung ist eine solch niedrige Schwelle jedoch unmöglich in Einklang zu bringen, und auch im Hinblick auf die vom GWB vorgenommene Differenzierung zwischen Marktbeherrschung, relativer und überlegener Marktmacht kann eine solche Forderung nicht überzeugen.

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gegenüber allen oder zumindest den meisten Anbietern der Marktgegenseite besteht.246 Ausgeschlossen ist damit insbesondere, dass mehrere Unternehmen als Einzelmarktbeherrscher angesehen werden.247 Voraussetzung einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von § 18 GWB ist somit stets, dass der Nachfrager im Vergleich zu seinen Wettbewerbern einen überragenden Marktanteil hat. Daher ist nicht nur der absolute Marktanteil von Bedeutung, sondern auch der relative im Verhältnis zu den Wettbewerbern. Die im Mittelpunkt der deutschen Anwendungspraxis zur nachfrageseitigen Marktbeherrschungen stehenden Beschaffungsmärkte des Lebensmitteleinzelhandels weisen damit eindeutig eine Marktstruktur auf, die keine Rückschlüsse auf eine einzelmarktbeherrschende Stellung liefert. Dass ein Nachfrager Normadressat des § 19 GWB ist, wird daher, wie Schultes bereits 1983 feststellte, nur in absoluten Ausnahmefällen denkbar sein.248

III. Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung Von den den Missbrauch exemplarisch konkretisierenden fünf Einzeltatbeständen des § 19 Abs. 2 GWB sind im Hinblick auf die hier diskutierten Fälle des Preismissbrauchs durch Nachfrager insbesondere Nr. 2 als Verbot des Ausbeutungsmissbrauchs durch das Fordern niedriger Preise und Nr. 1 als Behinderungsverbot, welches auch auf Kampfpreise Anwendung findet, relevant. Da es sich beimVerbot passiver Diskriminierung gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB um einen nachfragespezifischen Tatbestand handelt, soll dieser ebenfalls kurz erläutert werden. 1. Ausbeutungsmissbrauch durch niedrige Einkaufspreise gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB Die Durchsetzung missbräuchlicher Preise durch marktbeherrschende Unternehmen steht im Vordergrund des Ausbeutungsmissbrauchs.249 Die im Hinblick auf die Durchsetzung missbräuchlich hoher Preise marktbeherrschender Anbieter entwickelten Prinzipien sind grundsätzlich auf die Nachfrageseite übertragbar.250 Von § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB ebenfalls erfasst ist die Durchsetzung missbräuchlich

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Köhler, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Kontrolle der Nachfragemacht, S. 60. Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 72; Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 71. EL Mai 2010, Rdnr. 338. 248 Schultes, WuW 1983, 731 (741). 249 Hölzler/Satzky, S. 95. Zu den ordnungspolitischen Bedenken gegen einen Ausbeutungsschutz, eingehend Jebens, S. 33 ff. Überhöhte Rabattforderungen haben preistheoretisch die gleichen Auswirkungen weshalb eine gesonderte Darstellung entbehrlich ist, vgl. Wilde, S. 86 ff. 250 Köhler, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Kontrolle der Nachfragemacht, S. 51; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 177 – 178. 247

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niedriger Einkaufspreise durch einen marktbeherrschenden Nachfrager.251 Ein Verstoß gegen das Missbrauchsverbot liegt vor, soweit der Preis missbräuchlich ist und kausal auf der Marktbeherrschung beruht.252 Um die Missbräuchlichkeit eines Einkaufspreises zu ermitteln, wird die Abweichung des gezahlten Preises von dem zu ermittelnden wettbewerbsanalogen Preis analysiert und untersucht, ob die Preisdifferenz sachlich gerechtfertigt ist oder allein auf der Ausübung von Marktmacht beruht. a) Ermittlung des wettbewerbsanalogen Preises Um zu ermitteln, ob ein Preis missbräuchlich ist, wird primär eine als-ob-Prüfung durchgeführt.253 Danach ist ein Preis missbräuchlich, wenn er erheblich von dem Preis abweicht, der bei wirksamem Wettbewerb bestünde. Somit stellt § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB auch für Fälle des Preishöhenmissbrauchs durch Nachfrager auf ein Vergleichsmarktkonzept ab.254 Alternativ kann versucht werden, den wettbewerbsanalogen Preis mittels einer Kosten- und Gewinnanalyse zu ermitteln.255 aa) Vergleichsmarktkonzepte Der wettbewerbsanaloge Preis wird, nunmehr im Gesetz ausdrücklich erwähnt, primär mithilfe des Vergleichsmarktkonzeptes ermittelt.256 Während das Vergleichsmarktkonzept bei Angebotsmärkten in Form einer räumlichen Vergleichsmarktbetrachtung noch eine gewisse Praktikabilität aufweist,257 ist auf Beschaffungsmärkten das Auffinden eines räumlichen Vergleichsmarktes selten möglich.258 Während Angebotsmärkte nämlich räumlich oft eng begrenzt sind, werden Beschaffungsmärkte regelmäßig bundesweit abgegrenzt, sodass sich im Bundesgebiet kein räumlicher Vergleichsmarkt finden lässt, welcher wettbewerblich geprägt ist. Dies zeigt sich besonders deutlich im Lebensmitteleinzelhandel: Während die Absatzmärkte der Lebensmitteleinzelhändler regional eng abgegrenzt und in sogenannte Cluster unterteilt werden, spricht das Bundeskartellamt von einem einheitlichen, bundesweiten Beschaffungsmarkt. Ein anderer räumlicher Markt wäre dementsprechend allein im Ausland zu finden. Inwieweit das Erfordernis der Ver251 Hölzler/Satzky, S. 95; Köhler, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Kontrolle der Nachfragemacht, S. 51; Leo/Knöpfle, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, 4. EL April 2001, Rdnr. 2158; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 175; Wecker, S. 203. 252 Leo/Knöpfle, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, 4. EL April 2001, Rdnr. 2159. 253 Wecker, S. 203. 254 Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 178. 255 Weyer, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 58. EL Oktober 2005, Rdnr. 1208. 256 Kuhn, WuW 2006, 578 (580). 257 Weyer, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 58. EL Oktober 2005, Rdnr. 1215; kritisch Jebens, S. 118 ff., 129 f. 258 Anderer Ansicht Palatzke, S. 30 f., zumindest im Hinblick auf mäßig spezialisierte Waren.

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gleichbarkeit durch einen solchen erfüllt werden kann, erscheint jedoch höchst fraglich. Ungleiche Unternehmensbesteuerung, divergierende Löhne und unterschiedliche Lohnnebenkosten in anderen Ländern bedeuten ein anderes Produktionsumfeld und damit fehlende Vergleichbarkeit.259 Anstatt daher einen anderen Markt als Vergleichsmaßstab heranzuziehen, können jedoch die Preise von Konkurrenten des Marktbeherrschers auf dem beherrschten Markt ein Anhaltspunkt für einen Vergleich bieten.260 Dies kann einschränkend aber nur auf Märkten gelten, auf denen Preise und Konditionen individuell ausgehandelt werden und sich nicht auf dem Markt bilden.261 Zwar weisen die meisten Beschaffungsmärkte eine differenzierte Preisbildung auf.262 Jedoch ist der Annahme, dass der Preis von Konkurrenten des Marktbeherrschers dem Wettbewerbspreis entspricht, weil diese untereinander in intensivem Wettbewerb stehen,263 insbesondere im Hinblick auf mögliche Wasserbetteffekte264 nicht ohne weiteres zuzustimmen. Weiterhin zeichnen sich die Beschaffungsmärkte der Industrie gegenüber Zulieferern durch eine sehr differenzierte Nachfrage nach hochspezialisierten Waren und Dienstleistungen aus.265 Bei solchen Waren ist es jedoch kaum möglich, einen wettbewerblichen Vergleichspreis zu finden.266 Und auch im Bereich des Handels gegenüber den Herstellern werden oft heterogene Güter nachgefragt, und die Wettbewerbsverhältnisse auf dem nachgelagerten Absatzmarkt wirken sich ebenso auf die individuell ausgehandelten Einkaufspreise aus.267 Berücksichtigt man, dass sich der Vergleich nicht auf einen bloßen Preisvergleich beschränken darf, sondern vielmehr die gesamten vertraglichen, den Preis beeinflussenden Bedingungen, insbesondere die Abnahmemenge, einbezogen werden müssen,268 ist daher auch das Heranziehen von Konkurrenzpreisen nur wenig zielführend wenn man den wettbewerbsanalogen Preis feststellen will.

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Kessen, S. 80. Kuhn, WuW 2006, 578 (582); Leo/Knöpfle, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, 4. EL April 2001, Rdnr. 2167, 2169.1. 261 Anderenfalls würde durch das einseitige Preissetzungsverhalten des Marktbeherrschers schließlich der Marktpreis für die gesamte Nachfrageseite gleich sein. 262 Hölzler/Satzky, S. 95. 263 So ausdrücklich Köhler, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Kontrolle der Nachfragemacht, S. 52 f. 264 Der Wasserbetteffekt beschreibt eine Situation, in der von mächtigen Nachfragern erlangte Preisreduzierungen zu einem Anstieg der Einkaufspreise von kleineren Nachfragern führen, Inderst/Valletti, Buyer Power and the „Waterbed Effect“, S. 1. Wann ein solcher Effekt erwartet werden kann und welche Konsequenzen dies für die Kartellrechtsanwendung haben könnte, erläutern ausführlich Inderst/Dobson, Wis. L. Rev. 2008, 331 (333 ff.). 265 Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 178. 266 Kessen, S. 79; Palatzke, S. 30. 267 Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 178. 268 Leo/Knöpfle, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, 4. EL April 2001, Rdnr. 2167. 260

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Das Argument, dass vergleichbare Märkte und damit der wettbewerbsanaloge Preis auf Beschaffungsmärkten leichter festzustellen seien,269 kann damit nicht überzeugen. Vielmehr gestaltet sich auch auf Beschaffungsmärkten das Auffinden vergleichbarer Märkte als außerordentlich schwierig und wenig praktikabel. bb) Gewinnbegrenzungskonzept Die gesetzliche Anerkennung des Vergleichsmarktkonzepts in § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB schließt nicht aus, dass andere Methoden zur Ermittlung des Wettbewerbspreises herangezogen werden.270 Anhaltspunkte für die Bestimmung des wettbewerbsanalogen Preises können sich insbesondere aus einer Kosten- und Gewinnanalyse der beteiligten Unternehmen ergeben.271 In bestimmten Fällen soll sogar eine Kosten- und Gewinnkontrolle an Stelle des Vergleichsmarktkonzeptes zulässig sein.272 Jedoch kann der Gewinn oft nur mit Hilfe buchhalterischer Größen ermittelt werden, und der relevante ökonomische Gewinn kann deutlich von dem so ermittelten abweichen.273 Auch können hohe Gewinne gerade aus einer wettbewerbspolitisch wünschenswerten, besonderen Leistungsfähigkeit resultieren.274 Neben berechtigen Zweifeln an der praktischen Durchführbarkeit einer Gewinnanalyse,275 ist bei vermeintlich missbräuchlichen Einkaufspreises noch folgendes, nachfragespezifisches Problem zu beachten: Besteht, wie dies zumindest im Handel der Fall ist, auf dem nachgelagerten Absatzmarkt intensiver Wettbewerb, so werden mitunter die niedrigen Einkaufspreise zum Teil an die Abnehmer und Verbraucher weitergegeben und wirken sich daher nicht auf den Gewinn des Handelsunternehmens aus. Eine Kosten- und Gewinnanalyse ist damit nicht zielführend. Nur wenn auch auf dem nachgelagerten Absatzmarkt erhebliche Wettbewerbsbeschränkungen vorliegen und Preisvorteile nicht weitergegeben werden müssen, kann 269

So ausdrücklich Hölzler/Satzky, S. 95; Ulmer, WuW 1978, 330 (336). Kuhn, WuW 2006, 578 (584); Monopolkommission, 5. HG – 1982/1983, Rdnr. 416; Weyer, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 58. EL Oktober 2005, Rdnr. 1209. 271 BKartA, Beschluss vom 21. März 1974 – B6-432190-T-56/73, WuW/E BKartA 1482 (S. 1490 ff.), Vitamin B-12; BKartA, Beschluss vom 16. Oktober 1974 – B6-432190-T-37/73, WuW/E BKartA 1526 (S. 1536 ff.), Valium-Librium; Weyer, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 58. EL Oktober 2005, Rdnr. 1226. 272 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. April 2004 – Kart. 2/02 (V), WuW/E DE-R 914 (S. 916 f.), Netznutzungsentgelte. Der Fall betraf das natürliche Monopol der Leitungsnetzbetreiber, bei dem sich zum einen keine wettbewerblichen Vergleichsmärkte finden lassen, zum anderen die besondere Gefahr der Quersubvention bestand. Auf die hier im Mittelpunkt stehenden Fälle der Nachfragemarktbeherrschung sind die Ausführungen des OLG daher nur bedingt übertragbar. 273 Kerber/Schwalbe, in: Münchener Kommentar, Einl., Rdnr. 1424. 274 Kerber/Schwalbe, in: Münchener Kommentar, Einl., Rdnr. 1424. 275 Kuhn, WuW 2006, 578 (585, 588 – 590); Monopolkommission, 5. HG – 1982/1983, Rdnr. 416; Möschel, S. 36 f.; Weyer, in: Frankfurter Kommentar, § 19 GWB, 58. EL Oktober 2005, Rdnr. 1228. 270

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eine Gewinnanalyse sinnvoll sein. Jedoch stellt sich in Fällen von Marktbeherrschung sowohl auf dem Beschaffungs- als auch auf dem nachgelagerten Absatzmarkt dann die Frage, wo genau die Gewinne erwirtschaftet werden, im Einkauf oder im Verkauf, und wer genau von der Ausbeutung betroffen ist. Auch dies ist im Einzelfall kaum zu ermitteln. Grundsätzlich erweist sich damit eine Gewinnanalyse im Falle mehrstufiger Distributionsketten als schwierig bis unmöglich. cc) Zusammenfassung Damit bleibt festzuhalten, dass auch die Ermittlung eines wettbewerbsanalogen Einkaufspreises praktisch kaum möglich ist.276 Weder Vergleichsmarktkonzepte noch Gewinnbegrenzungskonzepte gewährleisten im Regelfall eine vorhersehbare Ermittlung des wettbewerbsanalogen Preises. Damit werden sie dem Gebot der Rechtssicherheit nicht gerecht. b) Abweichung vom wettbewerbsanalogen Preis Ist trotz dieser Bedenken im Einzelfall die Bestimmung des wettbewerbsanalogen Preises möglich, so muss der Einkaufspreis von ihm abweichen. Auch der Umfang der Abweichung muss erheblich sein, und spiegelbildlich zum Missbrauchsaufschlag bei Verkaufspreisen ist ein Missbrauchsabschlag bei Einkaufspreisen erforderlich.277 Einkaufspreise variieren insbesondere im Handel oft stark, und eine Preisdifferenzierung kann schließlich auch aus Effizienzgesichtspunkten erklärbar sein.278 Weiterhin bestehen auch auf Beschaffungsmärkten große Unsicherheiten bei der Ermittlung des wettbewerbsanalogen Preises, was eine erhebliche Abweichung notwendig erscheinen lässt. Schließlich spricht das Wesen des Missbrauchs dafür, dass nicht bereits jede Abweichung ausreichen kann.279 Somit ist allein eine erhebliche Abweichung vom wettbewerbsanalogen Einkaufspreis missbräuchlich im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB. c) Sachliche Rechtfertigung Eine erhebliche Abweichung vom wettbewerbsanalogen Preis ist dann nicht zu beanstanden, wenn sie auf sachlichen Gründen beruht. Dies können insbesondere die 276

So bereits Möschel, JZ 1975, 393 (395 ff.). Insbesondere Ulmer argumentiert, dass bereits eine spürbare Abweichung vom wettbewerbsanalogen Preis ausreichend ist. Bei Unterbietung des wettbewerbsanalogen Preises durch einen marktbeherrschenden Nachfrager soll diesem der Nachweis obliegen, dass die Unterbietung auf der höheren eigenen Leistungsfähigkeit oder auf einer durch Wettbewerb gebotenen Reaktion gegenüber konkurrierenden Angeboten beruhe und nicht auf dem leistungsfremden Einsatz seiner Ressourcen zur weiteren Marktanteilsausdehnung, Ulmer, WuW 1978, 330 (337). Kritisch Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 178. 278 Wecker, S. 204. 279 Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 178. 277

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Wirtschaftlichkeit der Lieferbeziehung und sich daraus ergebende economies of scale sein.280 Auf einen Ausbeutungsmissbrauch durch Nachfrager hindeutende Geschäftspraktiken können nämlich aus Effizienzgesichtspunkten durchaus auch freiwillig und bewusst gewählt worden sein.281 Daher ist im Einzelfall stets genau zu prüfen, ob der erheblich vom Wettbewerbspreis abweichende Einkaufspreis tatsächlich auf einer Ausnutzung von Marktmacht beruht. Ein Eingriff würde sich sonst negativ auf die Effizienz der Wertschöpfung und die Konsumentenwohlfahrt auswirken und wäre im Endeffekt wettbewerbsschädlich.282 d) Zusammenfassung Die Preishöhenkontrolle der Einkaufspreise marktbeherrschender Nachfrager ist als Instrument der Missbrauchsaufsicht nur bedingt geeignet. Die Ermittlung des wettbewerbsanalogen Preises bereitet stets große Schwierigkeiten. Dies gilt für Beschaffungsmärkte ebenso wie für Angebotsmärkte. Weder die unterschiedlichen Ausprägungen des Vergleichsmarktkonzepts noch das Gewinnbegrenzungskonzept zeichnen sich dabei durch besondere Praktikabilität aus. Auch die Auswirkungen der Kontrolle von Einkaufspreisen sind höchst ambivalent. Eine effektive Preishöhenkontrolle auf Beschaffungsmärkten setzt voraus, dass die Kartellbehörden zulasten des Nachfragers Preise hoheitlich anheben und zugleich einen Abnahmezwang zum angeordneten Mindestpreisniveau anordnen müssten.283 Ohne die Anordnung eines Abnahmezwanges würde eine Preisanhebung die Anbieter schließlich nicht vor Ausbeutung schützen. Vielmehr könnten die Nachfrager ihren Bezug ganz einstellen, was noch verheerender für die Marktgegenseite wäre. Eine hoheitliche Preisanhebung wiederum kann zu einem Anstieg der Preise auf nachgelagerten Absatzmärkten führen und damit letztendlich zu höheren Preisen für den Verbraucher. Trotz des wettbewerbsorientierten Schutzzweckes des GWB ist das kein wünschenswertes Ergebnis. Ein höheres Preisniveau im Einkauf kann insbesondere auch die Dynamik des Wettbewerbs auf nachgelagerten Absatzmärkten schmälern.284 Schließlich ist es ein wesentlich größerer Eingriff in die unternehmerische Freiheit, einen Abnehmer zum Kauf bestimmter Waren zu verpflichten, als ihn zum 280

Köhler, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Kontrolle der Nachfragemacht, Rdnr. 54. Inderst/Wey, Die Wettbewerbsanalyse von Nachfragemacht aus verhandlungstheoretischer Sicht, S. 20. 282 Inderst/Wey, Die Wettbewerbsanalyse von Nachfragemacht aus verhandlungstheoretischer Sicht, S. 20; Kuhn, WuW 2006, 578 (589). 283 Kirschner, S. 198 – 199; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 176. Die Möglichkeit eines Ausbeutungsmissbrauchs durch Google als marktbeherrschenden Nachfrager diskutieren ausführlich Kersting/Dworschak, NZKart 2013, 46 (50 ff.). Die Annahme einer „umgekehrten Zwangslizenz“ sehen sie zu Recht ebenfalls sehr kritisch. 284 Ähnlich Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 177 m.w.N. 281

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Verkauf seiner Waren zu zwingen.285 Während der Verkauf zu einem wettbewerblichen Preis stets das Geschäft für das Unternehmen abschließt, geht mit der Abnahme zusätzlicher Waren die Notwendigkeit einher, diese auch gewinnbringend absetzen zu können. Die einen Kaufzwang begründenden Umstände müssen daher gewichtiger sein als die einen Lieferzwang auslösenden Umstände.286 Insgesamt bereitet die Preishöhenkontrolle damit auch bei marktbeherrschenden Nachfragern so große praktische Schwierigkeiten, dass ihr nicht mehr als die Funktion eines Notbehelfs zukommen kann287 und ein Einschreiten nur in „außergewöhnlichen Einzelfällen“ möglich erscheint.288 Entsprechend spielt die Höhenkontrolle potentiell missbräuchlicher Einkaufspreise marktbeherrschender Nachfrager in der Praxis bisher keine Rolle.289 2. Kampfpreisstrategien durch Nachfrager gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB Der Thematik der Kampfpreisüberbietung hat die deutsche Rechtswissenschaft bislang kaum Beachtung geschenkt.290 Missbrauchsfälle, die eine Kampfpreisüberbietung zum Gegenstand haben, hat es bis heute nicht gegeben. Kampfpreisstrategien spielen in der deutschen Kartellrechtspraxis bisher allein als gezielte Kampfpreisunterbietungen durch Anbieter eine – wenn auch geringe – Rolle. Im Hinblick auf die Weyerhaeuser-Rechtsprechung, welche zu einer Wiederbelebung der US-amerikanischen Nachfragemachtdiskussion geführt hat, soll die Kampfpreisüberbietung jedoch auch im Bezug zum GWB untersucht werden. Angesichts der allgemein propagierten Gleichstellung von Angebots- und Nachfragemacht im Rahmen des Missbrauchsverbots soll daher untersucht werden, inwieweit eine Übertragung der zur Kampfpreisunterbietung entwickelten Grundsätze auf die 285 BGH, Urteil vom 13. November 1990 – KZR 25/89, WuW/E BGH 2683 (S. 2686 f.), Zuckerrübenanlieferungsrecht; BGH, Beschluss vom 21. Februar 1995 – KVR 10/94 (KG), WuW/E BGH 2990 (S. 2995), Importarzneimittel; BGH, Urteil vom 14. Januar 1997 – KZR 30/ 95, WuW/E BGH 3104 (S. 3106 f.), Zuckerrübenanlieferungsrecht II; Taube, S. 45. 286 Taube, S. 46. 287 Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 178. 288 Monopolkommission, 7. SG – Nachfragemacht, Rdnr. 204; Markert, in: Schwerpunkte des Kartellrechts 1978/79, 87 (103 ff.). 289 Vgl. Kersting/Dworschak, NZKart 2013, 46 (51 f.). Kirschner führt dies dabei nicht auf das tatsächliche Fehlen ausbeuterischer Geschäftspraktiken zurück, sondern vielmehr auf die „mangelnde Operationalität und Justitiabilität des Missbrauchsbegriffs.“ – Kirschner, S. 199. 290 Kurze Erwähnung gefunden hat die Kampfpreisüberbietung zuletzt in: Bundeskartellamt, Nachfragemacht und Kartellrecht – Stand und Perspektiven, S. 13 Fn. 32; Inderst, WuW 2008, 1261 (1261 Fn. 4, 1263 Fn. 11); Wey, S. 10. Zudem wurde die Gefahr eines Inputforeclosure im Zusammenschlussverfahren Deutsche Milchkontor/Roseneiskrem-Gruppe ansatzweise erörtert. Dies allerdings nicht als Missbrauchsform, sondern im Rahmen des Marktbeherrschungskriteriums „Zugang zu den Beschaffungsmärkten“, BKartA, Beschluss vom 27. März 2013 – B2-113/12 (Tz. 150 ff.), Deutsche Milchkontor/Roseneiskrem-Gruppe, (Stand: 27. 02. 2014).

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Kampfpreisüberbietung möglich ist. Dafür wird zunächst kurz die deutsche Praxis zur Kampfpreisunterbietung dargestellt, um danach deren Übertragung auf Beschaffungsmärkte kritisch zu würdigen. a) Ermittlung von Kampfpreisen auf Angebotsmärkten Der Preissetzungsspielraum marktbeherrschender Anbieter wird „nach unten“ insbesondere durch das Verbot unzulässiger Behinderung gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB beschränkt.291 Danach ist ein Preissetzungsverhalten verboten, wenn es eine unbillige Behinderung anderer Unternehmen bewirkt. Dies ist dann anzunehmen, wenn es sich bei dem Verkaufspreis um einen missbräuchlichen Kampfpreis handelt. Die Feststellung, dass ein Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung zu einem Verdrängungswettbewerb mittels Kampfpreisen ausnutzt, beruht in der Praxis im Wesentlichen auf einer Zusammenschau objektiver und subjektiver Kriterien.292 aa) Kriterien zur Ermittlung von Kampfpreisen auf Angebotsmärkten Diese Kriterien sind erstens eine Verlustanalyse, bei der der Verkaufspreis in Relation zu den Kosten gesetzt wird, zweitens die Verdrängungsabsicht und drittens die Eignung der Preisstrategie, den Wettbewerb zu beschränken.293 (1) Verlustanalyse unter Heranziehung der Kosten Die Identifikation von Kampfpreisen erfolgt im deutschen Recht in erster Linie kostenabhängig im Rahmen einer Verlustanalyse. Hierfür ist zunächst die Kostenund Erlössituation des fraglichen Gutes zu ermitteln. Konkrete Kostengrenzen sind bisher jedoch weder vom Bundeskartellamt noch vom BGH aufgestellt worden. Eine Preisunterbietung ist vielmehr dann als Kampfpreis einzustufen, wenn sie den 291 Das Verbot des Verkaufs unter Einkaufspreis nach § 20 Abs. 3 S. 2 GWB, welches allein auf Anbieter anwendbar ist, unterscheidet sich insbesondere dadurch vom Verbot der Kampfpreisunterbietung, dass es weder Verdrängungs- noch Behinderungswirkung erfordert. Weiterhin bewirken Verkäufe unter Einkaufspreis insbesondere im Handel aufgrund von Mischkalkulationen regelmäßig eine Gewinnsteigerung und keinen Verlust wie Kampfpreise. Daneben wird für die Behandlung missbräuchlicher Niedrigpreisstrategien in Deutschland verstärkt auch auf das Lauterkeitsrecht zurückgegriffen. Aufgrund der kartellrechtlichen Ausrichtigung der Arbeit und insbesondere des fehlenden unmittelbaren Machtbezugs im UWG soll dies jedoch hier ausgeklammert bleiben. 292 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. März 2002 – Kart. 7/02 (V), WuW/E DE-R 867 (S. 869 ff.), Germania. 293 Auch wenn das Bundeskartellamt ausdrücklich nur auf eine Kostenanalyse und den Nachweis der Verdrängungsabsicht abstellt, wird Letztere im Regelfall aus der Eignung zur Verdrängung von Wettbewerbern abgeleitet. Vgl. BKartA, Beschluss vom 18. Februar 2002 – B9-144/01 (S. 14 ff.), DLH/Germania, (Stand: 27. 02. 2014); Bundeskartellamt, in: ICN Report on Predatory Pricing 2008, S. 3; ebenso Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 122 ff.; Sondermann, S. 258 ff.; Wurmnest, S. 482 ff.

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„Grundsätzen kaufmännischer Vernunft“ widerspricht.294 Dies ermöglicht eine flexible Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls, dürfte im Ergebnis aber zu ähnlichen Ergebnissen führen wie die an klareren Kostengrenzen orientierte Entscheidungspraxis des EuGH und der Kommission.295 Zuletzt sind die durchschnittlichen Gesamtkosten als Bezugsgröße herangezogen worden.296 Auch ein Rückgriff auf die durchschnittlichen variablen Kosten oder die marginalen Kosten hält das Bundeskartellamt jedoch, je nach untersuchtem Markt, für möglich.297 Damit bleibt festzuhalten, dass sich das Bundeskartellamt einzelfallspezifisch für einen als geeignet erscheinenden Kostenmaßstab298 entscheidet und diesen in Anlehnung an die europäische Entscheidungspraxis anwendet. (2) Verdrängungsabsicht Neben der Unterschreitung eines Kostenmaßstabs ist weiter die Verdrängungsabsicht des Unternehmens zu fordern. Diese muss darauf gerichtet sein, Wettbewerber vom Angebotsmarkt auszuschließen oder sie zumindest zu disziplinieren.299 Auf die Verdrängungsabsicht kann unmittelbar anhand direkter Beweise oder mittelbar daraus geschlossen werden, dass der dauerhaft geforderte Preis auf keiner kaufmännisch vertretbaren Kalkulationsgrundlage beruht.300 Der unmittelbare Nachweis einer Verdrängungsabsicht kann insbesondere anhand von Unternehmensinterna („smoking guns“) erfolgen, die eine Verdrängungsabsicht dokumentieren. Für den mittelbaren Nachweis der Verdrängungsabsicht wird insbesondere untersucht, ob die Verluststrategie nicht nur gelegentlich, sondern systematisch verfolgt wird, ob sie geeignet ist, Verdrängungswirkung zu entfalten und 294 BGH, Urteil vom 6. Oktober 1983 – I ZR 39/83, WuW/E BGH 2039 (S. 2042), BraunTengelmann; BGH, Beschluss vom 28. Februar 1985 – I ZR 174/82, WuW/E BGH 2187 (S. 2189), Abwehrblatt; BGH, Urteil vom 10. Dezember 1985 – KZR 22/85, WuW/E BGH 2195 (S. 2200 f.), Abwehrblatt II; BGH, Urteil vom 12. November 1991 – KZR 18/90, WuW/E BGH 2762 (S. 2767), Amtsanzeiger; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. März 2002 – Kart. 7/ 02 (V), WuW/E DE-R 867 (S. 869), Germania; Sondermann, S. 271. 295 Sondermann, S. 312; vgl. Bundeskartellamt, in: ICN Report on Predatory Pricing 2008, S. 1 ff.; zur Entscheidungspraxis zu Art. 102 AEUV siehe unten 3. Teil E. II. 296 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. März 2002 – Kart. 7/02 (V), WuW/E DE-R 867 (S. 873), Germania: Wird mit jeder zusätzlich verkauften Einheit ein Verlust erwirtschaftet, so ist ein Missbrauch indiziert. 297 Bundeskartellamt, in: Policy Roundtables: Predatory Foreclosure, 131 (134); ebenso möglich sei entsprechend der Kommissionsempfehlung [siehe unten 3. Teil E. II. 1. a) bb)] ein Rückgriff auf die durchschnittlichen vermeidbaren Kosten oder die average long run incremental cost, Bundeskartellamt, in: ICN Report on Predatory Pricing 2008, S. 4. 298 Die mit der konkreten Kostenermittlung verbundenen Schwierigkeiten sollen hier nicht näher erläutert werden. 299 Bundeskartellamt, in: ICN Report on Predatory Pricing 2008, S. 10; Schmitz, WuW 1992, 209 (224). 300 So die h.M. gemäß Leo/Knöpfle, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, 4. EL April 2001, Rdnr. 1781 m.w.N.

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gezielt gegen bestimmte Wettbewerber eingesetzt wird.301 Das Unterschreiten des maßgeblichen Kostenmaßstabs wird somit auch zum Nachweis der Unternehmensabsichten herangezogen. Diese Vorgehensweise beruht auf der Annahme, dass die Inkaufnahme von Verlusten nur dann eine rationale Unternehmensstrategie ist, wenn die Aussicht auf einen zukünftigen Gewinn bei erfolgreicher Verdrängung oder Disziplinierung besteht.302 Schwierigkeiten im Hinblick auf die Verdrängungsabsicht bestehen insbesondere, weil der Nachweis innerer Beweggründe stets mit Unsicherheiten verbunden ist. Ein unmittelbarer Nachweis durch „smoking guns“ ist nicht immer möglich. Gleichermaßen ist auch die Kostenermittlung mit Schwierigkeiten verbunden,303 und ein sicherer Schluss vom Unterschreiten einer Kostengrenze auf eine Verdrängungsabsicht ist im Hinblick darauf nicht immer praktikabel. Dennoch spielt in der Praxis der unmittelbare Nachweis der Verdrängungsabsicht eine geringe Rolle. Meist wird die Verdrängungsabsicht aus der Verlustanalyse abgeleitet. (3) Eignung zur Wettbewerbsbeschränkung Auch wenn die Eignung zur Wettbewerbsbeschränkung vom Bundeskartellamt nicht als eigenständiges Kriterium bezeichnet wird,304 spielt sie in der Praxis dennoch eine wichtige Rolle.305 Ist der Verlustpreis geeignet, den Wettbewerb zu beschränken, und wird er gezielt gegen Wettbewerber eingesetzt, so indiziert das die Verdrängungsabsicht des Normadressaten.306 Um die Eignung zur Wettbewerbsbeschränkung festzustellen, ist eine Marktstrukturanalyse durchzuführen und die zu erwartenden Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur zu untersuchen.307

301

BKartA, Beschluss vom 18. Februar 2002 – B9-144/01 (S. 17), DLH/Germania, (Stand: 27. 02. 2014); Rixen, in: Frankfurter Kommentar, § 20 GWB, 65. EL April 2008, Rdnr. 256; kritisch Leo/Knöpfle, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, 4. EL April 2001, Rdnr. 1785.2. 302 So bereits ausführlich in dem grundlegenden Aufsatz zum predatory pricing, Areeda/ Turner, 88 Harv. L. Rev. 697, 698 f. (1975); ebenso Pries, S. 142. 303 Ewald, WuW 2003, 1165 (1171). 304 Bundeskartellamt, in: ICN Report on Predatory Pricing 2008, S. 3. 305 Auch im Schrifttum wird die Verdrängungseignung als wichtiger Faktor bei der Beurteilung einer Niedrigpreisstrategie angesehen, Schmitz, WuW 1992, 209 (224). 306 BKartA, Beschluss vom 18. Februar 2002 – B9-144/01 (S. 18), DLH/Germania, (Stand: 27. 02. 2014). 307 BKartA, Beschluss vom 18. Februar 2002 – B9-144/01 (S. 18 – 21), DLH/Germania,

(Stand: 27. 02. 2014).

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bb) Zusammenwirken der einzelnen Kriterien Das Verhältnis, in dem diese drei Kriterien zueinander stehen, ist nicht immer eindeutig. Zweifelsfrei missbräuchlich ist eine Preispolitik nur, wenn der Normadressat in der nachgewiesenen Absicht, Konkurrenten zu behindern, unter Selbstkosten verkauft und dieses Verhalten geeignet ist, eine Beschränkung des Restwettbewerbs zu bewirken. Anderenfalls ist zu analysieren, inwieweit vom Vorliegen einzelner Voraussetzungen auf die anderen Kriterien geschlossen werden kann. (1) Fehlender unmittelbarer Nachweis der Verdrängungsabsicht Unterschreiten die Preise einen geeigneten Kostenmaßstab und ist die Preisunterbietung grundsätzlich dazu geeignet, eine Verdrängung zu bewirken, so wird in der deutschen Praxis auf die Verdrängungsabsicht geschlossen und damit ein Missbrauch angenommen.308 In diesem Fall ist es nicht erforderlich, die Absicht des Unternehmens, Wettbewerber mittels einer Kampfpreisstrategie vom Markt zu verdrängen, direkt nachzuweisen. (2) Fehlende Auswirkungsanalyse Gleichermaßen nimmt das Bundeskartellamt an, dass Verhaltensweisen eines Marktbeherrschers, welche in der Absicht durchgeführt wurden, Wettbewerber zu verdrängen, auch tatsächlich dazu geeignet sind, den Wettbewerb zu beschränken.309 Verkauft ein Anbieter daher systematisch unter Einstandspreis oder Selbstkosten und verfolgt er dabei die Absicht, Wettbewerber vom Markt zu verdrängen oder diese zumindest zu disziplinieren, so liegt ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB vor.310 In diesem Fall ist es nicht erforderlich, die tatsächlichen Auswirkungen der Kampfpreisstrategie auf den Wettbewerb darzulegen. Vielmehr wird von der Verlustpreisstrategie und der Absicht auf die Eignung zur Wettbewerbsbeschränkung geschlossen. (3) Fehlende Verlustanalyse Unklar ist, inwieweit bei nachgewiesener Absicht und Verdrängungseignung eine Verlustanalyse entbehrlich ist. Die Annahme eines Kampfpreises unabhängig von einer solchen Analyse hält das Bundeskartellamt zumindest in Ausnahmefällen für

308 BKartA, Beschluss vom 18. Februar 2002 – B9-144/01 (S. 17 f.), DLH/Germania,

(Stand: 27. 02. 2014); unterschreiten die Preise die durchschnittlichen variablen Kosten, muss eine Verdrängungswirkung nicht mehr nachgewiesen werden. Vielmehr muss der Normadressat darlegen, dass keine Kampfpreisunterbietung vorliegt. Vgl. International Competition Network, Report on Predatory Pricing, S. 13 f. 309 Bundeskartellamt, in: ICN Report on Predatory Pricing 2008, S. 11. 310 Götting, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 19 GWB, Rdnr. 67.

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möglich.311 Zudem sollen Preise oberhalb der Kosten keinen „safe harbour“ darstellen.312 Dies spricht für die theoretische Möglichkeit, Kampfpreise auch unabhängig von einer Verlustanalyse zu bestimmen. Allein der Rückgriff auf die Verdrängungsabsicht des Normadressaten kann dafür jedoch nicht genügen. So weist Möschel zu Recht darauf hin, dass dies zu sehr eine bestimmte Gesinnung sanktionieren würde und die Schwierigkeiten bei der Beurteilung subjektiver Einstellungen und Motivationslagen zu groß seien.313 Weiterhin können auch Verhaltensweisen, die keinerlei Eignung dazu haben, den Wettbewerb zu beschränken, in Verdrängungsabsicht ausgeführt werden. Eine Sanktionierung solcher Maßnahmen käme dann der Bestrafung eines untauglichen Versuches gleich.314 Lässt sich neben der Verdrängungsabsicht im Rahmen einer umfassenden Marktstrukturanalyse die tatsächliche Eignung der Kampfpreisstrategie, wettbewerbsschädliche Wirkungen zu entfalten, feststellen oder sind solche Auswirkungen ex post zu beobachten, dann muss dies zum Nachweis eines missbräuchlichen Kampfpreises genügen.315 Andernfalls könnten eindeutig wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen, denen eine klar wettbewerbsschädliche Absicht zugrunde liegt, allein aufgrund der Schwierigkeiten einer Verlustanalyse nicht ausreichend verfolgt werden. Eine Verlustanalyse muss daher entbehrlich sein, wenn der unmittelbare Nachweis der Verdrängungsabsicht möglich ist und die Eignung zur Wettbewerbsbeschränkung nachgewiesen werden kann. cc) Zusammenfassung Kampfpreisunterbietungen marktbeherrschender Anbieter sind gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB untersagt. Bei der Feststellung, ob die Preispolitik eines marktbeherrschenden Anbieters eine Kampfpreisstrategie darstellt, ist auf drei Kriterien abzustellen. Erstens ist zu untersuchen, ob der Verkauf zu Preisen unterhalb eines angemessenen Kostenmaßstabs erfolgt. Zweitens ob das Unternehmen die Preispolitik in der Absicht verfolgt, Konkurrenten zu verdrängen, zu disziplinieren oder abzuschrecken. Drittens ob die Preisstrategie geeignet ist, eine maßgebliche und langfristige Wettbewerbsbeschränkung zu bewirken. Die einzelnen Voraussetzungen ergänzen einander und müssen nicht kumulativ vorliegen. Vielmehr genügt der Nachweis von zwei Kriterien zum Nachweis eines Kampfpreises. Dies ist insbe311

Bundeskartellamt, in: ICN Report on Predatory Pricing 2008, S. 6. Bundeskartellamt, in: ICN Report on Predatory Pricing 2008, S. 9; Wurmnest, S. 491 f. 313 Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 122. 314 Wurmnest, S. 487 f. Zudem führen solche false-positive-Entscheidungen zu einer Beschränkung des Wettbewerbs. 315 Vgl. Bundeskartellamt, in: Policy Roundtables: Predatory Foreclosure, 131 (134); Wurmnest, S. 491 f.; kritisch hingegen Leo/Knöpfle, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, 4. EL April 2001, Rdnr. 1817. 312

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sondere im Hinblick auf die Ermittlungsschwierigkeiten sinnvoll und ermöglicht eine flexible Anwendung im Einzelfall. b) Übertragung auf Beschaffungsmärkte Eine konsequent spiegelbildliche Betrachtungsweise bedeutet im Hinblick auf Kampfpreisüberbietungen, dass eine Verlustanalyse durchgeführt wird, welche nicht kosten- sondern vielmehr einnahmenabhängig erfolgt,316 dass die Absichten des Unternehmens zu berücksichtigen sind und im Rahmen einer Marktstrukturanalyse die Auswirkungen des Verhaltens auf den Wettbewerb zu untersuchen sind. Im Folgenden soll daher die Eignung dieser drei Kriterien für die Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Preisüberbietung als Verdrängungsstrategie auf Beschaffungsmärkten untersucht werden. aa) Verlustanalyse unter Heranziehung des Verkaufspreises Im Hinblick auf die hohe Bedeutung der Verlustanalyse zur Bestimmung von Kampfpreisen auf Angebotsmärkten in der Praxis des Bundeskartellamts bietet sich zunächst ein spiegelbildliches Kriterium auch auf Beschaffungsmärkten an. Anknüpfungspunkt bei der Kampfpreisunterbietung sind die zu ermittelnden Kosten eines bestimmten Gutes. Diese sind in Relation zu dem Verkaufspreis zu setzen, der im Verdacht der Missbräuchlichkeit steht.317 Spiegelbildlich zu den Kosten eines Anbieters auf dem vorgelagerten Markt318 müsste daher auf den Verkaufspreis des Nachfragers auf dem nachgelagerten Markt abgestellt werden, auf dem der Nachfrager als Anbieter agiert.319 Dieser Verkaufspreis ist in Relation zum Einkaufspreis zu setzen, der im Verdacht der Missbräuchlichkeit steht. Sofern der Nachfrager für ein Wirtschaftsgut einen Einkaufspreis bezahlt, der im Hinblick auf den zu ermittelnden Verkaufspreis als so hoch anzusehen ist, dass er auf keiner kaufmännisch sinnvollen Kalkulationsgrundlage beruhen kann, würde dies einen Kampfpreis in Form der Kampfpreisüberbietung nahelegen. Wenn die Praxis zur Kampfpreisunterbietung unmittelbar auf die Kampfpreisüberbietung übertragbar 316 Die Einnahmen eines Nachfragers auf dem nachgelagerten Absatzmarkt sind das spiegelbildliche Gegenstück zu den Kosten eines Anbieters auf dem vorgelagerten Beschaffungsmarkt. Daher ist keine kostenabhängige Bestimmung geboten, sondern vielmehr eine einnahmenabhängige. 317 Die Kosten eines Produktes werden dabei als Datum betrachtet, welche es anhand eines geeigneten Maßstabs zu ermitteln gilt. Einfluss nimmt der Normadressat nur auf den Verkaufspreis. 318 Auf diesem vorgelagerten Markt agiert der Anbieter als Nachfrager von Waren, Arbeit und sonstigen Leistungen, die seine Kosten ausmachen. 319 Diese Einnahmen müssen jetzt spiegelbildlich als Datum angesehen werden. Der Nachfrager kann aufgrund seiner Machtstellung auf dem Beschaffungsmarkt schließlich nur Einfluss auf den Einkaufspreis nehmen. Siehe zum US-amerikanischen Recht unten 4. Teil A. III. 2.

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wäre, würde dies bedeuten, dass ein Kampfpreis zumindest dann vorliegt, wenn für den Nachfrager der Bezug jeder zusätzlichen Einheit mit Verlusten verbunden ist. Um dies feststellen zu können, ist es erforderlich, den Einkaufspreis einer Ware oder Dienstleistung unmittelbar dem Verkaufspreis auf dem nachgelagerten Absatzmarkt zuzuordnen. Die Zurechnung der Kosten zu einer bestimmten Ware ist bereits bei Handelsunternehmen so problematisch, dass diese nur schwerlich Bezugsgröße für ein Verbot sein können.320 Wird die Ware nun nicht bloß weiterverkauft, sondern umfangreich veredelt oder anderweitig genutzt, erscheint es nahezu unmöglich, fixe und variable Kosten dergestalt dem Verkaufspreis eines Produktes zuzurechnen, dass ein bestimmter Einkaufspreis als missbräuchlich hoch identifiziert werden könnte.321 Wenn mit jeder verkauften Einheit ein Verlust erwirtschaftet wird, kann daraus noch nicht geschlossen werden, dass der Einkaufspreis eines bestimmten, knappen Inputs durch eine strategische Nachfrageerhöhung durch den Marktbeherrscher auf ein so hohes Niveau angehoben wurde, dass davon eine Verdrängungswirkung auf dem Beschaffungsmarkt ausgeht. Der Einkaufspreis eines bestimmten Inputs ist schließlich nur einer von vielen Faktoren, welche die Kosten eines Produktes ausmachen. Bereits die allgemeine Kostenbestimmung eines Produktes im Rahmen der Kampfpreisunterbietung ist mit erheblichen Praxisschwierigkeiten verbunden. Im Rahmen der Bestimmung von zu hohen Kampfpreisen wäre es jetzt jedoch notwendig, diese Kosten nicht nur allgemein zu bestimmen, sondern einem ganz konkreten Input, der für die Herstellung des Outputs notwendig ist, einen konkreten Kostenfaktor beizumessen. Dies mag, wie in der Weyerhaeuser Entscheidung geschehen, bei der nur geringfügigen Verarbeitung von Rohstoffen noch möglich erscheinen.322 Ist die Wertschöpfungstiefe hingegen substantiell, dürfte diese Aufgabe schlicht unmöglich sein. Eine unmittelbare Übertragung der zur Kampfpreisunterbietung entwickelten Methodik ist damit kaum möglich. Als Alternative könnte möglicherweise eine Verlustanalyse in Anlehnung an den von der Kommission vorgeschlagenen „sacrifice-test“ durchgeführt werden.323 Dabei ist zu untersuchen, ob der Normadressat durch die strategische Erhöhung des Einkaufspreises ein finanzielles Opfer erbringt. Ein solches liegt insbesondere dann vor, wenn der Einkaufspreis über dem Preis liegt, der sich bei wirksamem Wettbewerb auf dem Beschaffungsmarkt gebildet hätte.324 320 Vgl. im Hinblick auf die Ermittlung des Einstandspreises im Rahmen des § 20 Abs. 3 S. 2 GWB, Caspary, S. 184. 321 Im Bewusstsein dieser Schwierigkeit hat sich der Gesetzgeber beim Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis auch bewusst zu einer handelspezifischen Regelung entschieden, siehe Bechtold, § 20 GWB, Rdnr. 79. 322 Siehe hierzu unten 4. Teil A. III. 2. 323 Siehe hierzu unten 3. Teil E. II. 1. a) bb). 324 Ähnlich Lange/Pries, EWS 2009, 57 (62 f.), der zu Recht darauf hinweist, dass für die Ermittlung des Gleichgewichtspreises die Kosten aller Marktteilnehmer bekannt sein müssten, was in der Praxis kaum der Fall sein wird. Einen ähnlichen Ansatz hat auch der Court of Appeals hat im Weyerhaeuser Verfahren gewählt, Ross-Simmons Hardwood Lumber Co. v. Weyer-

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Jedoch ist auch die Ermittlung des wettbewerbsanalogen Preises mit großen Unsicherheiten verbunden.325 Insbesondere auf beiderseitig konzentrierten Märkten kann im Einzelfall der wettbewerbsanaloge Preis kaum ermittelt werden. Auch eine Verlustanalyse unter Bezugnahme auf den wettbewerbsanalogen Preis wirft damit in der Praxis kaum zu überwindende Schwierigkeiten auf. Die Durchführung einer Verlustanalyse zur Ermittlung missbräuchlich hoher Einkaufspreise kann daher weder unter Heranziehung des Verkaufspreises noch unter Berücksichtigung des wettbewerbsanalogen Preises überzeugen. bb) Verdrängungsabsicht Neben der Verlustanalyse wird zur Bestimmung von Kampfpreisen insbesondere auch die Verdrängungsabsicht des Marktbeherrschers berücksichtigt. Die Verdrängungsabsicht muss in Fällen der Kampfpreisüberbietung darauf gerichtet sein, Wettbewerber vom Bezug des knappen Gutes abzuhalten und sie damit vom Beschaffungsmarkt zu verdrängen oder ihr Wettbewerbsverhalten zu disziplinieren. Während bei der Kampfpreisunterbietung auf die Verdrängungsabsicht oft aus dem Unterschreiten eines bestimmten Kostenmaßstabs geschlossen wird, ist solch ein indirekter Nachweis aufgrund der kaum durchführbaren Verlustanalyse auf Beschaffungsmärkten praktisch ausgeschlossen.326 Der direkte Nachweis der Verdrängungsabsicht ist daher von größerer Bedeutung. Dieser kann insbesondere durch Unternehmensinterna, die einen Verdrängungsplan darlegen, erbracht werden. Nachfragespezifische Besonderheiten beim unmittelbaren Nachweis einer Verdrängungsabsicht sind nicht zu erwarten. Kann anhand unmittelbarer Beweise nachgewiesen werden, dass der Marktbeherrscher durch eine strategische Nachfrageerhöhung Wettbewerber vom Bezug abhalten möchte, ist dies ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen einer Kampfpreisstrategie auf dem Beschaffungsmarkt.327 Dies gilt umso mehr, wenn die Preiserhöhung gezielt gegen bestimmte Wettbewerber eingesetzt wird und die Absatzkapazitäten auf dem nachgelagerten Markt eine Nachfrageerhöhung nicht decken.328 Jedoch gilt es zu berücksichtigen, dass ein haeuser Co., 411 F.3d 1030, 1041 f. (9th Cir. 2005). Zu beachten ist schließlich, dass der ursprüngliche Marktpreis aufgrund der Marktmacht des Normadressaten niedriger liegen müsste als der wettbewerbsanaloge Preis. Ein Preisanstieg über den wettbewerbsanalogen Preis ist im Hinblick auf die Marktmacht des Normadressaten daher theoretisch nur mit einer Verdrängungsabsicht zu erklären. 325 Siehe hierzu die Ausführungen zum Ausbeutungsmissbrauch oben 2. Teil A. III. 1. a). 326 Für eine stärkere Berücksichtigung der Absichten im Allgemeinen im Rahmen des Art. 102 AEUV, Pries, S. 101 ff. 327 Der Court of Appeals hat beim Nachweis des Verdrängungsabsicht insbesondere auch auf die umfangreiche unternehmensinterne Dokumentation des Plans von Weyerhaeuser zurückgegriffen. Siehe unten 4. Teil A. III. 2. 328 Eine Nachfrageerhöhung ist schließlich nur dann ökonomisch rational, wenn das Unternehmen die nachgefragten Waren zeitnah verwenden und absetzen kann. Wenn dies nicht

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Verdrängungsplan in tatsächlicher Hinsicht völlig ungeeignet sein kann, den angestrebten Zweck zu fördern.329 Der Nachweis einer Verdrängungsabsicht allein kann daher für die Feststellung eines Kampfpreises nicht ausreichend sein. cc) Eignung zur Wettbewerbsbeschränkung auf dem Beschaffungsmarkt Wie bei der Kampfpreisunterbietung ist somit zu untersuchen, inwieweit sich eine Strategie zur Verdrängung oder Disziplinierung von Wettbewerbern eignet. Da ein Rückschluss auf die Eignung aus der Verlustanalyse und der nachgewiesenen Absicht nur selten möglich ist, ist eine umfassende Marktstrukturanalyse von entscheidender Bedeutung. Diese muss zu dem Ergebnis kommen, dass die vom marktbeherrschenden Unternehmen verfolgte Preisstrategie dazu geeignet ist, den Wettbewerb auf dem Beschaffungsmarkt zu beschränken, oder dies tatsächlich bewirkt hat. Dabei kommt es weniger darauf an, dass ein bestimmter Wettbewerber behindert wird, sondern entscheidend ist, dass eine negative Auswirkung auf den Wettbewerb und die Marktstruktur zu erwarten ist.330 Zu betrachten sind dabei primär die Auswirkungen auf den Beschaffungsmarkt. Nicht erforderlich ist insbesondere, ob durch das Preissetzungsverhalten des Nachfragers der Wettbewerb auf dem nachgelagerten Absatzmarkt negativ beeinflusst wird, ob die Verkaufspreise auf diesem Markt steigen oder den Verbrauchern aufgrund höherer Preise ein Schaden entsteht.331 Eine Wettbewerbsbeschränkung auf dem Beschaffungsmarkt ist aufgrund der hohen Kosten der Kampfpreisüberbietung in erster Linie dann zu erwarten, wenn das Unternehmen eine besonders hohe Finanzkraft aufweist. In einem solchen Fall ist die strategische Nachfrageerhöhung jedoch ein sehr probates Mittel zur Monopsonisierung von Beschaffungsmärkten.332 Kommt man bei der Marktstrukturanalyse daher zum Ergebnis, dass die Verdrängungsstrategie des Nachfragers dazu geeignet ist, den Wettbewerb auf dem relevanten Beschaffungsmarkt zu beschränken, oder ihn tatsächlich beschränkt hat, so muss dies auch ohne einen Rückgriff auf eine Verlustanalyse für den Nachweis kartellrechtswidriger Kampfpreise genügen.

möglich ist, kann die Erhöhung der Nachfrage als ein Indiz für die Verdrängungsabsicht angesehen werden. 329 Bei einem solchen untauglichen Versuch würde eine false-positive-Entscheidung der Kartellbehörden den Wettbewerb auf dem Beschaffungsmarkt beschränken. 330 Gloy, in: Festschrift für Alfred-Carl Gaedertz zum 70. Geburtstag, 209 (214). 331 Der Verbraucherschutz ist lediglich Reflex der wettbewerbsschützenden Zielsetzung des GWB. Wettbewerbsbeschränkungen auf Beschaffungsmärkten führen schließlich im Normfall zu niedrigeren Einkaufspreisen und bewirken damit notwendigerweise keinerlei Einschränkungen der Endverbraucherwohlfahrt. 332 Wey, S. 10.

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dd) Zusammenfassung Kampfpreisüberbietungen durch Nachfrager unterfallen als Kampfpreisstrategie ebenso dem Verbot des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB wie Kampfpreisunterbietungen. Sie sind grundsätzlich dazu geeignet, den Wettbewerb auf dem Beschaffungsmarkt zu beschränken und damit missbräuchlich. Die für die Kampfpreisunterbietung entwickelten Kriterien zur Ermittlung der Missbräuchlichkeit eines Verkaufspreises sind auch auf Einkaufspreise übertragbar. Doch bestehen Unterschiede in der praktischen Anwendbarkeit und Bedeutung. Während bei der Kampfpreisunterbietung die Verlustanalyse im Mittelpunkt der Untersuchung steht, eignet sich diese auf Beschaffungsmärkten nur selten als Ausgangspunkt. Vielmehr kommt es auf die Verdrängungsabsicht und die Eignung zur Wettbewerbsbeschränkung an. Wenn diese nachweisbar sind, ist eine Verlustanalyse entbehrlich. ee) Rechtfertigung einer Kampfpreisstrategie Ist ein Preis als missbräuchlich identifiziert worden, so ist im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung zu untersuchen, ob die Preissetzung ausnahmsweise einer Rechtfertigung zugänglich ist. Eine solche kann insbesondere darin liegen, dass das Unternehmen legitime Geschäftsinteressen verfolgt.333 Offensiv auf Marktanteilsausdehnung oder Marktabschottung gerichtete Maßnahmen werden dabei strenger beurteilt als rein defensive Maßnahmen, die in erster Linie auf die Erhaltung von Marktanteilen abzielen. Auch die tatsächlichen Auswirkungen der Preisstrategie auf den Markt sind schließlich zu berücksichtigen.334 Maßstab für die Abwägung ist stets die auf Freiheit des Wettbewerbs gerichtete Zielsetzung des GWB.335 Im Hinblick darauf, dass bei der Beurteilung von Kampfpreisüberbietungen die Verlustanalyse eine untergeordnete Rolle spielt und die Verdrängungsabsicht damit unmittelbar nachgewiesen werden muss, dürften die Rechtfertigungsmöglichkeiten gering sein. Das Verhalten eines Marktbeherrschers, das unmittelbar auf die Verdrängung von Wettbewerbern abzielt, ist schließlich kein lauteres Geschäftsgebaren.

333 Vgl. im Hinblick auf Angebotsmärkte, OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. März 2002 – Kart. 7/02 (V), WuW/E DE-R 867 (S. 869 ff.), Germania; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 GWB, Rdnr. 122 – 124. So können Verlustpreise insbesondere dadurch gerechtfertigt sein, dass die Einführung eines neuen Produktes auf einem Drittmarkt erleichtert werden soll oder der Abverkauf leicht verderblicher Ware erfolgt. Trotz wettbewerbsschädlicher Wirkungen kann ein solches Verhalten gerechtfertigt sein. Die Anforderungen sind jedoch bisweilen sehr streng, Wurmnest, S. 492 ff. 334 Leo/Knöpfle, in: Gemeinschaftskommentar, § 19 GWB, 4. EL April 2001, Rdnr. 1785.1; Wurmnest, S. 487 f. 335 BKartA, Beschluss vom 18. Februar 2002 – B9-144/01 (S. 21), DLH/Germania, (Stand: 27. 02. 2014); OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. März 2002 – Kart. 7/02 (V), WuW/E DE-R 867 (S. 873), Germania.

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c) Zusammenfassung Kampfpreisüberbietungen durch marktbeherrschende Nachfrager sind eine grundsätzlich missbräuchliche Verhaltensweise im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB. Für die Feststellung, ob die Preisstrategie eines Nachfragers missbräuchlich ist, kann auf die zur Kampfpreisunterbietung entwickelte Methodik zurückgegriffen werden. Während bei der Kampfpreisunterbietung der Schwerpunkt der Prüfung bei der Verlustanalyse liegt, eignet sich diese nicht gleichermaßen für die Ermittlung von Kampfpreisüberbietungen. Hierfür wäre eine Kostenzuordnung erforderlich, die in der Praxis Schwierigkeiten aufwirft, die nahezu unmöglich zu überwinden sind. Erforderlich ist somit der unmittelbare Nachweis einer Verdrängungsabsicht des marktbeherrschenden Unternehmens, der in Verbindung mit einer Auswirkungsanalyse zum Nachweis genügen sollte. Wenn eine Preisstrategie als Kampfpreisüberbietung identifiziert werden konnte, wird eine sachliche Rechtfertigung im Regelfall unmöglich sein, denn die Verfolgung legitimer Geschäftsinteressen und die unmittelbar nachgewiesene Verdrängungsabsicht schließen einander grundsätzlich aus. 3. Passive Diskriminierung gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB regelt den Missbrauch von Nachfragemacht durch das Fordern von sachlich nicht gerechtfertigten Vorteilen und damit unmittelbar die vieldiskutierte Problematik des „Anzapfens“.336 Auch wenn das Verbot der passiven Diskriminierung insbesondere im Hinblick auf die fortschreitende Konzentration im Handel eingefügt wurde, ist die praktische Bedeutung äußerst gering geblieben.337 Nach dem tradierten Verständnis schützt § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB in erster Linie den Wettbewerb auf dem Beschaffungsmarkt und die Wettbewerber des Nachfragers auf diesem Markt.338 Im Hinblick darauf, dass die Verhaltensweisen des § 19 Abs. 2 Nr. 5 nicht nur Behinderungs- und Diskriminierungs-, sondern auch Ausbeutungs336 Dass § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB allein auf Nachfrager anwendbar ist, ergibt sich dabei unzweifelhaft aus Entstehungsgeschichte und Normzweck. Statt aller Loewenheim, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 GWB, Rdnr. 114; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 254. Vgl. auch die Begründung zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. September 1978, BTDrucks. 8/2136, S. 24 f. 337 Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 250. Um einen besseren Schutz vor Nachfragemacht zu gewährleisten erstreckt sich das Verbot passiver Diskriminierung zudem nicht nur auf marktbeherrschende Unternehmen, sondern gemäß § 20 Abs. 2 GWB auch auf Unternehmen mit relativer Marktmacht. Größere Bedeutung hat die Vorschrift in der Praxis dennoch nicht erlangt. Im Hinblick auf die 2013 erschienene Dissertation zum Missbrauch von Nachfragemacht durch die passive Diskriminierung gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB erfolgt die Darstellung hier in gebotener Kürze. Ausführlich Analyse bei Wanderwitz, Der Missbrauch von Nachfragemacht nach § 20 III GWB – Auslegung, Stellung und Anwendung der Norm, Köln 2013. 338 Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 252.

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2. Teil: Deutsches Kartellrecht

charakter haben,339 greift ein solches Verständnis jedoch zu kurz. Zudem ist auch einem Nachfrager ohne Wettbewerber, der als marktbeherrschendes Unternehmen gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 GWB eindeutig Normadressat ist, die passive Diskriminierung verboten. Geschützt werden daher auch die Anbieter als Opfer der Diskriminierung.340 a) Tatbestandsmerkmale aa) Ausnutzen der Marktstellung Dass die Marktstellung von dem Nachfrager ausgenutzt wird, kann bereits dann vermutet werden, wenn der Anbieter der Macht des Nachfragers ausgesetzt ist.341 Eine besondere Druckausübung ist dazu nicht erforderlich.342 bb) Auffordern oder Veranlassen Während das Veranlassen eine tatsächliche Gewährung von Vorteilen voraussetzt, die auf einer Beeinflussung durch den Nachfrager kausal beruhen muss, greift das Merkmal des Aufforderns schon früher ein. Bereits das Einwirken auf den Anbieter, ihm konkrete, sachlich nicht gerechtfertigte Vorteile zu gewähren, reicht aus. Zu einer tatsächlichen Vorteilsgewährung muss es dann nicht kommen. In der Alternative des Veranlassens kann daher eine Anstiftungshandlung gesehen werden, in der Alternative des Aufforderns der Versuch einer Anstiftung.343 cc) Gewähren von Vorteilen Mit der 7. GWB Novelle wurde der Begriff „Vorzugsbedingung“ durch „Vorteil“ ersetzt.344 Ein Vorteil lässt sich allgemein definieren als eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage. Während im Schrifttum noch weitgehend gefordert wird, dass sich die Besserstellung in Bezug auf Wettbewerber äußern muss,345 kann ein solches 339

Wanderwitz, S. 38 ff. Köhler, WRP 2006, 139 (140); Loewenheim, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 GWB, Rdnr. 113; Emmerich, § 29 Rn. 79; ausdrücklich offengelassen BGH, Beschluss vom 24. September 2002 – KVR 8/01 (KG), WuW/E DE-R 984 (S. 990), Konditionenanpassung. 341 Emmerich, § 29 Rn. 82; Wanderwitz, S. 58. 342 Köhler, WRP 2006, 139 (141). 343 Wanderwitz, S. 88 ff. 344 Siehe Siebtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 7. Juli 2005, BGBl. I, 2005, 1954, 1957. Zu den Schwierigkeiten der Auslegung des Begriffs Vorzugsbedingungen Wanderwitz, S. 85 f. 345 Dass ein Bezug zu den Bedingungen von Wettbewerbern bestehen muss, war zumindest bei Vorzugsbedingungen noch allgemeine Ansicht, siehe BGH, Beschluss vom 24. September 2002 – KVR 8/01 (KG), WuW/E DE-R 984 (S. 986), Konditionenanpassung. Durch die Änderung des Wortlauts soll sich nach Teilen der Literatur an dieser Auslegung nichts geändert 340

A. Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gem. § 19 i.V.m. § 18 GWB

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Verständnis im Hinblick auf Systematik und Zweck der Änderung nicht überzeugen. Zum einen erfasst die passive Diskriminierung auch Monopsonfälle, in denen der Nachfrager keinerlei Wettbewerb ausgesetzt ist und entsprechend keine Wettbewerber auf dem relevanten Markt existieren. Zum anderen sollten die mit dem Begriff Vorzugsbedingungen verbundenen Auslegungsschwierigkeiten, die maßgeblich auf der Bezugnahme zu Bedingungen der Wettbewerber basierten, durch den Begriff Vorteil beseitigt werden.346 Ausreichend ist daher, dass die Besserstellung allgemein gegenüber der bisherigen Lage erfolgt.347 Ein Vorteil ist dabei im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB gewährt, wenn dieser tatsächlich an den Nachfrager geleistet wurde.348 dd) Ohne sachliche Rechtfertigung Sachlich nicht gerechtfertigt sind insbesondere solche Vorteile, die nicht leistungsgerecht sind.349 Insbesondere rückwirkende Vertrags- und Konditionenanpassungen wie etwa Hochzeitsrabatte,350 Absicherungsmechanismen zu Lasten konkurrierender Nachfrager, Verstöße gegen gesetzliche Regelungen des Leistungsaustausches und die Erzwingung des Verkaufs unter Kosten schließen eine sachliche Rechtfertigung regelmäßig aus.351 b) Zusammenfassung Die passive Diskriminierung durch marktbeherrschende Nachfrager ist eine Fallgruppe, die Elemente sowohl des Behinderungs- als auch des Ausbeutungsmissbrauchs in sich vereint. Auswirkungen einer passiven Diskriminierung können auf den Wettbewerb der Marktgegenseite wie unmittelbar auf dem Beschaffungshaben, siehe Emmerich, § 29 Rn. 86; Loewenheim, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 GWB, Rdnr. 119; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 262. 346 Siehe hierzu den Entschließungsantrag zur 7. GWB-Novelle, BT-Drucks. 15/5053, S. 4. 347 Ebenso Köhler, WRP 2006, 139 (141); Wanderwitz, S. 87. 348 Wanderwitz, S. 60. 349 Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 264. Der Begriff der Leistungsgerechtigkeit unterliegt dabei einem starken zeitlichen Wandel. Während Forderungen nach Regalmieten, Eintrittsgeldern, Werbekostenzuschüssen, Jubiläumsrabatten sowie die Verlagerung von Servicefunktionen wie Regalpflege, Preisauszeichnung und Inventurhilfe früher als klassisch leistungsfremde Vorzugsbedingungen angesehen wurden (Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, S. 280.), werden diese Praktiken mittlerweile oft als wettbewerbskonform betrachtet (Wecker, S. 207 ff. m.w.N.). 350 BGH, Beschluss vom 24. September 2002 – KVR 8/01 (KG), WuW/E DE-R 984 (S. 990 f.), Konditionenanpassung; zuletzt eingefordert von Edeka im Rahmen der Übernahme von Plus-Fillialen im Jahr 2009, siehe die Pressemitteilung des BKartA zur Abmahnung von Edeka vom 24. Juli 2013, (26. 07. 2013). Weshalb eine rückwirkende Konditionenanpassung stets sachlich ungerechtfertigt ist, erläuert Köhler anschaulich anhand der Wertungen des § 313 Abs. 3 S. 2 BGB, Köhler, WRP 2006, 139 (142 f.). 351 Ausführlich zu diesen „Rechtfertigungsausschlussgründen“, Wanderwitz, S. 63 ff.

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2. Teil: Deutsches Kartellrecht

markt auftreten. Die Schwelle, ab der ein Verhalten verboten ist, ist dabei aufgrund der Aufforderungsalternative des § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB im Vergleich zum Ausbeutungsmissbrauch niedriger. Die Bedeutung des Verbots passiver Diskriminierung ist in der Praxis jedoch gering geblieben, was in erster Linie Folge des Ross-undReiter-Problems ist.352 4. Ergebnis zu den missbräuchlichen Verhaltensweisen Die Ausbeutung der Marktgegenseite durch niedrige Einkaufspreise ist ebenso wie die Verdrängung von Wettbewerbern durch überhöhte Kampfpreise als Missbrauch untersagt nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 bzw. Nr. 1 GWB. Auch wenn die bisherige Praxis beide Fallgruppen in erster Linie auf Fälle angebotsseitiger Marktbeherrschung angewandt hat, lässt sich die dazu entwickelte Methodik weitgehend spiegelbildlich auf den Missbrauch von Nachfragemacht übertragen. Das Verbot der passiven Diskriminierung gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB ergänzt dabei den Schutz der Marktgegenseite ebenso wie der Wettbewerber des marktbeherrschenden Nachfragers. Im Hinblick darauf, dass sich das Bundeskartellamt mit der Feststellung nachfrageseitiger Marktmacht noch immer sehr schwer tut und das Ross-undReiter-Problem eine Offenlegung von Missbräuchen behindert, ist jedoch auch in Zukunft nicht damit zu rechnen, dass der Missbrauch von Nachfragemacht nach § 19 GWB eine größere Bedeutung erlangt.

B. Missbrauch relativer Marktmacht gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 GWB Das Verbot unbilliger Behinderung oder ungerechtfertigter Ungleichbehandlung des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB und das Verbot passiver Diskriminierung gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB wurden mit der 2. GWB-Novelle 1973 insoweit erweitert, als ihnen auch Unternehmen mit relativer Marktmacht unterworfen sind. Unternehmen haben nach der Legaldefinition des § 20 Abs. 1 S. 1 GWB relative Marktmacht, „soweit von ihnen kleine oder mittlere Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen in der Weise abhängig sind, dass ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf andere Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen.“353 352 Das sogenannte Ross-und-Reiter-Problem beschreibt das Dilemma von Herstellern und Lieferanten, dass sie sich gegen unberechtigte Forderungen regelmäßig kaum wehren können, ohne der Gefahr des völligen Geschäftsabbruchs ausgesetzt zu sein. Sofern sie sich bei den Wettbewerbsbehörden beschweren, droht ihnen vielmehr die Auslistung von künftigen Aufträgen, sobald ihr Name dem Beschwerdegegner bekannt wird, Küpper, BB 1997, 1105 (1107). Einen möglichen Lösungsansatz zu dieser Problematik entwickelt Wanderwitz, S. 165 ff. 353 Im Rahmen der passiven Diskriminierung müssen die abhängigen Unternehmen nicht zum Kreis kleiner oder mittlerer Unternehmen gehören.

B. Missbrauch relativer Marktmacht gem. § 20 Abs. 1 S. 1 GWB

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Der Wortlaut des § 20 Abs. 1 S. 1 GWB erfasst die Abhängigkeit von Anbietern wie von Nachfragern. Für die hier untersuchten Fälle von Nachfragemacht spielt allein die nachfragebedingte Abhängigkeit der Anbieter eine Rolle. Ein Unternehmen mit relativer Marktmacht beherrscht nicht den gesamten Markt, sondern kann auf dem Markt durchaus lebhaftem Wettbewerb ausgesetzt sein.354 Aufgrund von Abhängigkeiten verfügen jedoch auch Unternehmen mit relativer Marktmacht über Verhaltensspielräume, die nicht hinreichend vom Wettbewerb kontrolliert werden, weshalb eine Verhaltenskontrolle nach Maßgabe des § 19 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 5 GWB erfolgt.355 Diese erweiterten Verhaltensspielräume bestehen jedoch nur gegenüber den abhängigen Unternehmen der Marktgegenseite.356 Damit unterscheidet sich die relative Marktmacht dahingehend von der Marktbeherrschung, dass der erweiterte Verhaltensspielraum nicht notwendigerweise gegenüber Wettbewerbern besteht, sondern primär gegenüber der Marktgegenseite. Es kommt damit auf ein Machtungleichgewicht allein im Vertikalverhältnis an. Überlegene Verhaltensspielräume können daher nicht nur einem Unternehmen auf dem Markt offenstehen, sondern ein Markt kann geprägt sein von bilateralen Abhängigkeitsverhältnissen, welche zwischen diversen Unternehmen bestehen und relative Marktmacht begründen. Auch bei relativer Marktmacht ist in einem ersten Schritt der relevante Markt abzugrenzen, in einem zweiten Schritt die erforderliche Machtschwelle festzustellen und schließlich zu untersuchen, ob das Verhalten missbräuchlich im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 5 GWB ist.

I. Marktabgrenzung bei relativer Marktmacht Auch wenn relative Marktmacht im Vertikalverhältnis zwischen Unternehmen besteht, wird in ständiger Anwendungspraxis auch die relative Marktmacht auf einen konkreten Markt bezogen, der in sachlicher, räumlicher und evtl. zeitlicher Hinsicht abzugrenzen ist.357 Der Schwerpunkt der Prüfung liegt auch hier bei der sachlichen Marktabgrenzung. Nach überwiegender Ansicht erfolgt die Marktabgrenzung im Rahmen des § 20 Abs. 1 S. 1 GWB nach der gleichen Methodik wie zu § 18 GWB. Im Schrifttum werden jedoch vereinzelt noch andere Ansätze insbesondere bei der Abgrenzung von Beschaffungsmärkten erörtert, auf die hier kurz eingegangen werden soll.

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Westermann, in: Münchener Kommentar, § 20 GWB, Rdnr. 22. Westermann, in: Münchener Kommentar, § 20 GWB, Rdnr. 22. 356 Kerber, S. 506. 357 BGH, Urteil vom 23. Februar 1988 – KRZ 17/86, WuW/E BGH 2483 (S. 2486 – 2488), Sonderungsverfahren; Schulze, S. 173. Nach Kouker manifestiert sich die ökonomische Macht des fraglichen Unternehmens allein auf das abhängige Unternehmen, sodass eine Marktabgrenzung im Rahmen des § 20 Abs. 1 S. 1 GWB entbehrlich ist, Kouker, S. 86 f. Auch Kerber hält eine Marktabgrenzung für unnötig, Kerber, S. 492 Fn. 23. 355

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2. Teil: Deutsches Kartellrecht

Hölzler und Satzky wollen bei der Marktabgrenzung im Rahmen des § 20 Abs. 1 S. 1 GWB nicht auf die Sichtweise des abhängigen Unternehmens abstellen, sondern auf die des Unternehmens mit vermeintlich relativer Marktmacht. Im Fall von Nachfragemacht würde also der Angebotsmarkt abgegrenzt werden müssen. Dies begründen sie in erster Linie damit, dass im Rahmen der Zumutbarkeit die Wettbewerbsverhältnisse zwischen den Anbietern von besonderer Bedeutung seien und allein durch die Abgrenzung des Angebotsmarkts analysiert werden können. Weiterhin komme es bei bilateralen Abhängigkeiten gerade nicht auf die Position des Nachfragers im horizontalen Wettbewerb an.358 Dem kann jedoch aus mehreren Gründen nicht gefolgt werden: Zunächst widerspricht es der Methodik der Marktabgrenzung, diese aus Sicht des potentiell marktstarken Unternehmens durchzuführen. Weiter differenzieren Hölzler und Satzky nur unzureichend zwischen den unterschiedlichen Prüfungsschritten der Marktabgrenzung und der Zumutbarkeit von Ausweichmöglichkeiten für das möglicherweise abhängige Unternehmen. Die Marktabgrenzung dient schließlich gerade dazu, Ausweichmöglichkeiten abstrakt für die Marktgegenseite zu identifizieren. Inwieweit die Wettbewerbsfähigkeit durch die Inanspruchnahme dieser Ausweichmöglichkeiten eingeschränkt wird, ist eine davon zu unterscheidende Frage der Zumutbarkeit. Ohne Ausweichmöglichkeiten überhaupt identifiziert zu haben, ist eine wertende Betrachtung nicht möglich. Teilweise wird zudem gefordert, dass bei der Marktabgrenzung nicht auf die Sicht der Marktgegenseite insgesamt abzustellen sei, sondern auf die Sichtweise eines kleinen und mittleren Unternehmens.359 Weil die Marktabgrenzung aber dazu dient, die abstrakt bestehenden Ausweichmöglichkeiten der gesamten Marktgegenseite zu untersuchen, kann einer solchen Sichtweise ebenfalls nicht gefolgt werden. Zudem erhält allein durch die Berücksichtigung der Ausweichmöglichkeiten der gesamten Marktgegenseite das ansonsten im Rahmen des § 20 Abs. 2 GWB im Vordergrund stehende bilaterale Abhängigkeitsverhältnis seinen horizontalen Markt- und Wettbewerbsbezug.360 Es ist daher die gleichbleibende Methodik der Marktabgrenzung auf §18 und auf § 20 Abs. 1 S. 2 GWB anzuwenden.361 Insoweit kann hier auf die Ausführungen oben in Teil 2, A. I. 1. verwiesen werden.

358 Hölzler/Satzky, S. 111, 113. So scheinbar auch Rixen, in: Frankfurter Kommentar, § 20 GWB, 65. EL April 2008, Rdnr. 94, wobei es sich im Hinblick auf die weiteren Ausführungen um einen Schreibfehler handeln dürfte. 359 Rixen, in: Frankfurter Kommentar, § 20 GWB, 65. EL April 2008, Rdnr. 58; Westermann, in: Münchener Kommentar, § 20 GWB, Rdnr. 31. 360 Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, S. 276. 361 Ebenso Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 47; Schulze, S. 176; Taube, S. 36; Wecker, S. 209.

B. Missbrauch relativer Marktmacht gem. § 20 Abs. 1 S. 1 GWB

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II. Bestimmung von relativer Marktmacht gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 GWB Relative Marktmacht eines Nachfragers im Sinne von § 20 Abs. 1 S. 1 GWB setzt das Fehlen von Ausweichmöglichkeiten eines Anbieters von Waren oder Dienstleistungen im Verhältnis zu diesem Nachfrager voraus. Handelt es sich beim beanstandeten Verhalten um eine Diskriminierung oder Ungleichbehandlung im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB, so ist zudem erforderlich, dass der Anbieter zum Kreis kleiner oder mittlerer Unternehmen gehört. Das Verbot passiver Diskriminierung hingegen gilt unabhängig von der Unternehmensgröße.362 1. Kleine und mittlere Unternehmen i.S.v. § 20 Abs. 1 S. 1 GWB Die Abhängigkeit eines Unternehmens ist im Rahmen des § 19 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 S. 1 GWB nur dann relevant, wenn das abhängige Unternehmen dem Kreis kleiner oder mittlerer Unternehmen zuzuordnen ist. Ob ein Anbieter zum Kreis kleiner oder mittlerer Unternehmen gehört, kann mittels eines horizontalen Vergleichs mit Wettbewerbern, aber auch anhand eines vertikalen Vergleichs mit dem möglicherweise marktstarken Unternehmen ermittelt werden. Die Regierungsbegründung zur 5. GWB-Novelle erklärt in erster Linie den horizontalen Vergleich der Größe des behinderten oder diskriminierten Unternehmens zu seinen Wettbewerbern für maßgeblich.363 Nach Ansicht des BGH kann es dagegen auch auf das vertikale Verhältnis von Anbieter- und Nachfragergröße ankommen.364 Im Hinblick darauf, dass relative Marktmacht in vertikalen Marktbeziehungen ausgenutzt wird, sollte ein vertikaler Größenvergleich zumindest in Nachfragemachtkonstellationen maßgeblich sein. Die Schutzbedürftigkeit des Anbieters ergibt sich schließlich nicht aus einer Schwäche gegenüber Wettbewerbern, sondern vielmehr aus der Abhängigkeit von einem Nachfrager. Entscheidende Bedeutung kommt damit bei der nachfragebedingten Abhängigkeit dem vertikalen Größenverhältnis zu.365 Die Unternehmensgröße kann dabei nicht an einer festen 362 Siehe Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) vom 17. Oktober 2012, BT-Drucks. 17/11053, S. 24. 363 Begründung zum Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 30. Mai 1989, BT-Drucks. 11/4610, S. 22 i.V.m. S. 5 f.; so auch Westermann, in: Münchener Kommentar, § 20 GWB, Rdnr. 25, der lediglich in Fällen unternehmensbedingter Abhängigkeit verstärkt auf einen vertikalen Größenvergleich abstellt. 364 BGH, Beschluss vom 19. Januar 1993 – KVR 25/91, WuW/E BGH 2875 (S. 2878 f.), Herstellerleasing; BGH, Beschluss vom 24. September 2002 – KVR 8/01 (KG), WuW/E DE-R 984 (S. 987 f.), Konditionenanpassung; BKartA, Beschluss vom 26. Februar 1999 – B9-51100TV-133/98, WuW/E DE-V 94 (S. 95 f.), Metro/Allkauf. 365 Schulze, S. 177; Wecker, S. 180; differenzierend nach Art der Abhängigkeit noch Köhler, BB 1999, 1017 (1017); im Hinblick auf die nachfragebedingte Abhängigkeit dann zustimmend Köhler, WRP 2006, 139 (141).

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2. Teil: Deutsches Kartellrecht

Umsatzschwelle ausgemacht werden,366 sondern die Umsätze des abhängigen Unternehmens und des marktstarken Unternehmens auf dem relevanten Markt müssen in Relation gesetzt werden. Besteht ein großes Umsatzgefälle, so kann auch ein Unternehmen mit Millionenumsätzen ein kleines oder mittleres Unternehmen i.S.v. § 20 Abs. 1 S. 1 GWB sein. *

Exkurs: Kritik an der Begrenzung auf kleine und mittlere Unternehmen

Die Beschränkung auf kleine und mittlere Unternehmen ist nicht zielführend und die bisherige Anwendung nicht schlüssig.367 Wenn der BGH ausführt, dass abhängige Großunternehmen aufgrund ihrer Größe eben eher ausreichende und zumutbare Ausweichmöglichkeiten haben und sich deshalb besser gegenüber diskriminierenden oder behindernden Verhaltensweisen erwehren können, ist dies ein Zirkelschluss. Wenn Großunternehmen ausreichende und zumutbare Ausweichmöglichkeiten haben, sind sie nicht abhängig. Fehlen solche Ausweichmöglichkeiten, dann sind sie ebenso schutzbedürftig.368 Abhängige Anbieter, welche effizient arbeiten, haben unabhängig von der Unternehmensgröße im Diskriminierungsfall nur die Möglichkeit der Quersubvention, des schrittweisen Marktaustrittes und der Preiserhöhung gegenüber Nachfragern, von denen sie nicht abhängig sind. Während Ersteres zu einer Fehlallokation von Ressourcen führt, wirkt sich Letzteres negativ auf die Wettbewerbsverhältnisse auf dem Absatzmarkt aus und reduziert die Produktvielfalt.369 Beide Ergebnisse sind wettbewerbspolitisch nicht wünschenswert, unabhängig von der Unternehmensgröße. Dass bei Großunternehmen ein Ausweichen auf ganz andere Märkte möglich ist, mag zwar vereinzelt zutreffen, rechtfertigt aber ebenfalls nicht den fehlenden Schutz aller Großunternehmen. Es führt nur dazu, dass für einzelne Unternehmen möglicherweise auch andere Ausweichmöglichkeiten zumutbar sind. Zudem bewirkt die Begrenzung auf abhängige kleine und mittlere Anbieter, dass von marktstarken Nachfragern erzwungene Behinderungen seiner kleineren Wettbewerber durch große Anbieter Vorschub geleistet wird.370 Aber auch die Methodik der Größenbestimmung weist klare Defizite auf. So gilt es zu bedenken, dass ein in erster Linie horizontaler Vergleich dazu führen würde, dass es bei einer mittelständisch geprägten Anbieterstruktur zu keinen Abhängig366 Vgl. BKartA, Beschluss vom 26. Februar 1999 – B9-51100-TV-133/98, WuW/E DE-V 94 (S. 707), Metro/Allkauf; Köhler, BB 1999, 1017 (1017). 367 So auch Füller, in: Festschrift für Franz Jürgen Säcker zum 70. Geburtstag, 669 (678) m.w.N. 368 Ebenso Köhler, WRP 2006, 139 (141); Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 43, der zudem die Unbestimmtheit der Voraussetzung kritisiert; ähnlich auch Görgemanns, S. 151 f., der generell das Merkmal als eine qualitative Voraussetzung ansieht und in Zweifelsfällen für die Annahme eines kleinen oder mittleren Unternehmens eintritt. 369 Gayk, WRP 2012, Die erste Seite 2012, Nr. 3. 370 Vgl. im Hinblick auf den Tatbestand der passiven Diskriminierung, Köhler, WRP 2006, 139 (141).

B. Missbrauch relativer Marktmacht gem. § 20 Abs. 1 S. 1 GWB

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keitsverhältnissen kommen kann, selbst wenn die Nachfrageseite eng-oligopolistisch geprägt ist. Stärker als das Horizontalverhältnis müsste daher, unabhängig von der Art der Abhängigkeit, das Vertikalverhältnis berücksichtigt werden, denn durch die Erweiterung des Normadressatenkreises auf relativ marktstarke Unternehmen sollen schließlich gerade bilaterale Abhängigkeiten besser erfasst werden, denen ein Vertikalverhältnis zugrunde liegt. Im Hinblick darauf, dass sich Wettbewerb am besten entfalten kann, wenn er von klaren, verständlichen Regeln flankiert wird, welche so geringe Abgrenzungsschwierigkeiten wie möglich aufwerfen, ist eine Beschränkung auf kleine und mittlere Unternehmen daher wenig zielführend.371 Dass der Gesetzgeber auch im Rahmen der 8. GWB-Novelle die Beschränkung auf kleine und mittlere Unternehmen im Rahmen des § 19 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 S. 1 GWB nicht aufgehoben hat, ist daher bedauerlich. 2. Nachfragebedingte Abhängigkeit der Anbieter Ein Anbieter von Waren oder Dienstleistungen ist von einem Nachfrager abhängig im Sinne von § 20 Abs. 1 S. 1 GWB, wenn für ihn keine ausreichenden und zumutbaren Möglichkeiten bestehen, auf andere Nachfrager auszuweichen. Die Abhängigkeit kann dabei auf objektiven marktbezogenen Umständen wie auf der individuellen Beziehung der beteiligten Unternehmen beruhen.372 Es ist daher einzelfallbezogen zu analysieren, inwieweit bestehende Ausweichmöglichkeiten ausreichend und zumutbar sind für ein (kleines oder mittleres) Unternehmen als Anbieter von Waren oder Dienstleistungen. Im Mittelpunkt steht dabei die Zumutbarkeit. Gegenseitige Abhängigkeiten stellen die Abhängigkeit im Sinne des § 20 Abs. 2 GWB dabei nicht in Frage,373 können aber im Rahmen der sachlichen Rechtfertigung des fraglichen Verhaltens zu berücksichtigen sein. Die Abhängigkeit von Anbietern von der Marktgegenseite bestimmt sich nach den Ausweichoptionen, die ihnen offenstehen. Ausreichende und zumutbare Ausweichmöglichkeiten bestehen nicht schon dann, wenn auf dem Markt wesentlicher Wettbewerb herrscht. Andernfalls käme dem § 20 Abs. 1 S. 1 GWB keine eigenständige Bedeutung gegenüber der Marktbeherrschung i.S.v. § 18 Abs. 1 GWB zu.374 Ist es den Anbietern ohne besondere Nachteile im Wettbewerb möglich, im Geschäftsverkehr auf andere Nachfrager zu wechseln, so besteht keine Abhängigkeit.375 371 Gayk, WRP 2012, Die erste Seite 2012, Nr. 3; Köhler, WRP 2006, 139 (141); Schulze, S. 177. 372 Taube, S. 44. 373 Westermann, in: Münchener Kommentar, § 20 GWB, Rdnr. 35. 374 Kouker, S. 91 f. Dass überhaupt Ausweichmöglichkeiten bestehen müssen, ist hingegen keine Voraussetzung. Wenn für einen Anbieter keinerlei Ausweichmöglichkeiten bestehen, ist er erst recht abhängig von dem einzigen Nachfrager. 375 Westermann, in: Münchener Kommentar, § 20 GWB, Rdnr. 29.

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2. Teil: Deutsches Kartellrecht

Dies beurteilt sich danach, ob die bestehenden Ausweichmöglichkeiten ausreichend und zumutbar sind. a) Ausreichende Ausweichmöglichkeiten Relative Marktmacht setzt das Fehlen ausreichender Ausweichmöglichkeiten voraus. Ob Ausweichmöglichkeiten ausreichend sind, bestimmt sich nach allgemeiner Ansicht nach einer objektiv generalisierenden Betrachtungsweise.376 Diese Voraussetzung wirft jedoch in zweierlei Hinsicht Bedenken auf: Erstens wurden bereits im Rahmen der Marktabgrenzung die Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite abstrakt bestimmt. Inwieweit dem Merkmal des Ausreichens daher noch eigenständige Bedeutung zukommt, erscheint zweifelhaft. Zweitens ist fraglich, ob im Hinblick auf die Zumutbarkeit das Bestehen ausreichender Ausweichmöglichkeiten von Bedeutung sein kann. Wenn auf dem abgegrenzten Markt eine hinreichende Zahl alternativer Nachfrager zur Verfügung steht, welche die Bedürfnisse der kleinen oder mittleren Unternehmen in gleicher Weise befriedigen wie eine Geschäftsbeziehung zum vermeintlich marktstarken Nachfrager, liegen ausreichende Ausweichmöglichkeiten vor.377 Die Betrachtungsweise ist damit nur eingeschränkt objektiv generalisierend, stellt sie doch allein auf Ausweichmöglichkeiten von kleinen und mittleren Unternehmen ab und nicht auf die gesamte Marktgegenseite. Zudem wird nur der Absatz an andere Unternehmen im Rahmen des § 20 Abs. 1 S. 1 GWB berücksichtigt. Auch wenn der Direktabsatz an Verbraucher eine grundsätzlich bestehende Ausweichmöglichkeit für die Anbieter darstellen kann, ist dieses Absatzpotential nicht zu berücksichtigen.378 Aufgrund dieser Beschränkungen hat das Merkmal des Ausreichens eine eigenständige Bedeutung gegenüber der Marktabgrenzung. Zumindest das erste Bedenken kann damit entkräftet werden werden. Doch müssen die Ausweichmöglichkeiten, wenn sie denn ausreichend bestehen, auch zumutbar sein. Wenn keine ausreichenden Ausweichmöglichkeiten bestehen, bestehen erst recht keine zumutbaren. Sind die Ausweichmöglichkeiten jedoch unzumutbar, dann kommt es auf das Merkmal des Ausreichens ebenfalls nicht an.379 Die Bedeutung des Merkmals des Ausreichens ist daher äußerst gering.380 Wenn die 376

Kerber, S. 490; Taube, S. 60 m.w.N. Westermann, in: Münchener Kommentar, § 20 GWB, Rdnr. 32 m.w.N.; a.A. Kouker, S. 92, der auch im Rahmen des Ausreichens bereits auf die individuellen Besonderheiten des möglicherweise abhängigen Unternehmens abstellen will. Dann jedoch käme dem Merkmal der Zumutbarkeit keine eigenständige Bedeutung mehr zu. 378 Im Rahmen der Marktabgrenzung kann sich hingegen auch der Direktabsatz an Verbraucher als eine abstrakt bestehende Alternative darstellen, die daher dem Markt zuzurechnen ist. 379 Kouker, S. 97; Hölzler/Satzky, S. 113. 380 Kouker, S. 97; so wohl auch Köhler, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Kontrolle der Nachfragemacht, S. 65; a.A. Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 52. In der Praxis wird regelmäßig nicht genau differenziert und vielmehr auf bestimmte Fallgruppen 377

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Abgrenzung des Beschaffungsmarktes zum Ergebnis kommt, dass aus Anbietersicht mehrere Nachfrager Absatzalternativen darstellen, und die Anbieterstruktur durch kleine und mittelständische Unternehmen geprägt ist, bestehen stets ausreichende Ausweichmöglichkeiten. Dann gibt allein das Merkmal der Zumutbarkeit den Ausschlag b) Zumutbare Ausweichmöglichkeiten Ob eine Ausweichmöglichkeit zumutbar ist, ist nach Sicht und Interessenlage des potentiell abhängigen Unternehmens zu beurteilen,381 im Falle von Nachfragemacht also des Anbieters. Die Ausweichmöglichkeiten sind im Einzelfall unzumutbar, wenn mit dem Ausweichen auf andere Nachfrager unverhältnismäßige Belastungen oder ein zu großes oder unkalkulierbares Risiko für das Unternehmen verbunden wären.382 Wertungsmaßstab für die Zumutbarkeit ist unter Berücksichtigung der Zielsetzung des § 20 Abs. 1. S. 1 GWB der Wettbewerbsschutz.383 Die Inanspruchnahme der Ausweichmöglichkeiten darf die Wettbewerbsfähigkeit des Anbieters auf dem Absatzmarkt nicht gefährden.384 Im Rahmen der Zumutbarkeit ist somit eine Interessenabwägung vorzunehmen, bei der es subjektiv-individualisierend auf die Interessenlage des abhängigen Unternehmens ankommt. Nicht von Bedeutung ist dabei, ob die Unzumutbarkeit mitunter selbstverschuldet ist.385 Grund hierfür ist zum einen, dass § 20 GWB vom Wettbewerb nicht ausreichend kontrollierte Verhaltensspielräume erfassen soll und diese Verhaltensspielräume bei Abhängigkeitsverhältnissen unabhängig vom Verschulden bestehen.386 Zum anderen kann im Rahmen der Zumutbarkeit kaum sinnvoll beurteilt werden, welche Entscheidungen vernünftig oder unvernünftig, verschuldet oder unver-

abgestellt. Diese haben sich bislang jedoch allein im Hinblick auf die Abhängigkeit der Nachfrager von Anbietern gebildet, weshalb ein Rückgriff hier nicht ohne weiteres möglich ist. 381 Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 52; Rixen, in: Frankfurter Kommentar, § 20 GWB, 65. EL April 2008, Rdnr. 74; Westermann, in: Münchener Kommentar, § 20 GWB, Rdnr. 33; a.A. Kouker, S. 100 – 103. 382 Köhler, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Kontrolle der Nachfragemacht, S. 66; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 53; Westermann, in: Münchener Kommentar, § 20 GWB, Rdnr. 33. Eine existenzielle Bedrohung, wie von Dageförde, S. 96, gefordert, muss hingegen nicht vorliegen. 383 Köhler, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Kontrolle der Nachfragemacht, S. 66; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 53. 384 Westermann, in: Münchener Kommentar, § 20 GWB, Rdnr. 33. 385 So aber: Kouker, S. 106 – 108; Dageförde, S. 98. Ähnlich Rixen im Hinblick auf Newcomer bei der goodwill-bedingten Abhängigkeit, Rixen, in: Frankfurter Kommentar, § 20 GWB, 65. EL April 2008, Rdnr. 100. Auch Wecker lehnt eine Abhängigkeit dann ab, wenn die Absatzkonzentration des Herstellers auf einer Entscheidung beruht, die in seiner Sphäre liegt, Wecker, S. 210. 386 Köhler, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Kontrolle der Nachfragemacht, S. 66; Westermann, in: Münchener Kommentar, § 20 GWB, Rdnr. 34.

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schuldet waren.387 Insbesondere kann sich eine Entscheidung im dynamischen Marktgeschehen je nach Beurteilungszeitpunkt auch völlig unterschiedlich darstellen. c) Fallgruppen nachfragebedingter Abhängigkeit Bei der Beurteilung, wann das Ausweichen auf alternative Abnehmer für den abhängigen Anbieter unzumutbar ist, kann im Wesentlichen auf drei Fallgruppen abgestellt werden. Eine Fallgruppe ist die Konstellation, dass die Abhängigkeiten aufgrund hoher Umsatzanteile bestehen. Die zweite Konstellation ist, dass aufgrund hoher Investitionen oder Spezialisierungen durch die Anbieter Abhängigkeitsverhältnisse entstehen. Als dritte Fallgruppe können Abhängigkeiten schließlich aufgrund von Synergien oder goodwill bestehen.388 aa) Abhängigkeit aufgrund hoher Umsatzanteile Auf Käufermärkten können Abhängigkeiten insbesondere dann entstehen, wenn ein Abnehmer einen großen Anteil am Gesamtumsatz des Anbieters auf sich vereint.389 Durch den Angebotsüberhang ist es dem Anbieter nicht möglich, die Bezugsmenge des marktstarken Nachfragers anderweitig abzusetzen.390 Die entstehenden Überkapazitäten führen dabei zu starken Umsatz- und Gewinneinbußen. Getätigte Investitionen, die nicht nachfragerspezifisch erfolgten,391 amortisieren sich nicht und beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit des Anbieters. Ab welchem Umsatzanteil ein Anbieter von einem Nachfrager abhängig ist, hängt vom Einzelfall 387

Köhler, Wettbewerbs- und kartellrechtliche Kontrolle der Nachfragemacht, S. 67. Vgl. Kerber, S. 497 ff.; Taube, S. 46 f. 389 Auf einem Verkäufermarkt ist eine solche Abhängigkeit nicht zu erwarten, weil die knappe Ware beim Wegfall eines Nachfragers sogleich von anderen Nachfragern bezogen wird. Der Marktanteil des Nachfragers spielt hingegen nur eine geringe Rolle, vgl. BGH, Urteil vom 22. März 1994 – KZR 9/93, WuW/E BGH 2919 (S. 2921), Orthopädisches Schuhwerk. Trotz eines hohen Marktanteils kann ein Anbieter schließlich nur einen sehr geringen oder sogar gar keinen Anteil seines Umsatzes mit dem Marktbeherrscher tätigen. Zuverlässige Schlüsse auf die Abhängigkeit des Anbieters lassen sich daher aus dem Marktanteil nicht ziehen. Leider wird jedoch oftmals nicht klar zwischen Marktanteil und Umsatzanteil differenziert, vgl. Schulze, S. 179; BGH, Urteil vom 23. Februar 1988 – KRZ 17/86, WuW/E BGH 2483 (S. 2489), Sonderungsverfahren. 390 Der Anbieter befindet sich dabei nicht nur im Wettbewerb mit anderen Anbietern um den Erstabsatz an die Handelsstufe, sondern gleichermaßen im Wettbewerb um den Absatz auf dem nachgelagerten Markt an die Verbraucher. Bei einer Auslistung durch ein großes Handelsunternehmen droht dem Anbieter, dass er die Nachfrage der Verbraucher trotz ausreichender Kapazitäten nicht mehr ausreichend befriedigen kann, da er dafür auf die Absatzkapazitäten des marktstarken Händlers nicht verzichten kann. 391 Da die Investitionen nicht im Hinblick auf einen bestimmten Nachfrager getätigt wurden, sondern vielmehr unter Berücksichtigung der auf dem nachgelagerten Absatzmarkt insgesamt nachgefragten Menge, kann nicht von nachfragerspezifischen Investitionen oder Spezialisierungen gesprochen werden. Siehe unten 2. Teil B. II. 2. c) bb). 388

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ab. Maßgeblich kommt es auf die Umstellungsflexibilität des Anbieters an, die besonders hoch oder auch besonders niedrig sein kann. Je niedriger die Umstellungsflexibilität des Anbieters ist, desto höher sind die Abwanderungskosten und desto aussagekräftiger die Umsatzanteile.392 Allgemeine Richtwerte lassen sich nur schwer aufstellen. Im Handel wird bereits bei relativ geringen Abnahmeanteilen von 7,5 bis 10 % die Unzumutbarkeit von Ausweichmöglichkeiten angenommen.393 Diese Annahme beruht maßgeblich auf dem überragenden Zugang zum nachgelagerten Absatzmarkt, den viele Handelsunternehmen aufweisen. Dadurch kommt ihnen eine Gatekeeper-Position zu und bei einer Auslistung können entsprechend weite Teile der Konsumenten überhaupt nicht mehr erreicht werden.394 Erforderlich ist damit nicht nur die Berücksichtigung der Wettbewerbsbedingungen auf dem Beschaffungsmarkt, sondern es muss auch der nachgelagerte Absatzmarkt berücksichtigt werden. Von Bedeutung ist die Fallgruppe insbesondere im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels, der seit Jahren durch einen starken Angebotsüberhang gekennzeichnet ist und auf dem eine konzentrierte Beschaffungsseite einer stärker fragmentierten Anbieterstruktur gegenübersteht. bb) Abhängigkeit aufgrund von nachfragerspezifischen Investitionen oder Spezialisierungen Abhängigkeiten können zudem dadurch entstehen, dass ein Anbieter sein Angebot auf einen Nachfrager ausrichtet und nachfragerspezifische Investitionen tätigt.395 Solche Investitionen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie partnerspezifisch im Hinblick auf eine konkrete Geschäftsbeziehung unternommen werden. Bei deren 392

Vgl. Schulze, S. 181. BKartA, Beschluss vom 26. Februar 1999 – B9-51100-TV-133/98, WuW/E DE-V 94 (S. 707), Metro/Allkauf; Bontrup/Marquardt, S. 23; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 81; Rixen, in: Frankfurter Kommentar, § 20 GWB, 65. EL April 2008, Rdnr. 99; Wecker, S. 210; kritisch Nothdurft, in: Langen/Bunte, § 20 GWB, Rdnr. 76. Unzweifelhaft hat der BGH eine Abhängigkeit gegenüber dem Verband der Angestellten-Krankenkassen im Bereich therapeutischer Leistungen bei einem Abnahmeanteil von 48 und 42 % angenommen, BGH, Urteil vom 8. Mai 1990 – KZR 21/89 (Celle), WuW/E BGH 2665 (S. 2666), Physikalisch-Therapeutische Behandlung. Jedoch dürfen diese Werte nicht als absolute Größen verstanden werden. Anderenfalls könnte der Nachfrager durch eine – eventuell nur geringfügige – Reduzierung der Absatzmenge zu leicht aus dem Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 S. 1 GWB herauskommen, was nicht sinnvoll erscheint. Bei bestehenden Überkapazitäten auf dem Angebotsmarkt, wird es dem Hersteller dann schwer fallen, die Umsatzeinbußen durch Geschäftsbeziehungen mit anderen Abnehmern auszugleichen. Trotz einer Reduzierung der Abnahmemenge würde die Abhängigkeit damit verstärkt werden. Siehe Köhler, BB 1999, 1017 (1020). 394 BKartA, Beschluss vom 26. Februar 1999 – B9-51100-TV-133/98, WuW/E DE-V 94 (S. 707), Metro/Allkauf; Inderst/Wey, Die Wettbewerbsanalyse von Nachfragemacht aus verhandlungstheoretischer Sicht, S. 8. Überschneidungen ergeben sich folglich mit der sog. goodwill-bedingten Abhängigkeit, siehe unten 2. Teil B. II. 2. c) cc). 395 Bechtold, § 20 GWB, Rdnr. 24; Rixen, in: Frankfurter Kommentar, § 20 GWB, 65. EL April 2008, Rdnr. 97 f.; Schulze, S. 182. 393

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Abbruch führen diese Investitionen zu versunkenen Kosten in erster Linie bei den Anbietern, was den Wert der Abbruchoptionen zu ihren Ungunsten verschiebt. Zudem sind bereits getätigte Investitionen keine Opportunitätskosten mehr für den Anbieter, führen damit zu einer Senkung der Preisuntergrenze und erhöhen die Verhandlungsmacht des Nachfragers.396 Diese Abhängigkeit aufgrund von Spezialisierungen ist vergleichbar mit der unternehmensbedingten Abhängigkeit von Nachfragern.397 Anzutreffen ist sie besonders häufig im Verhältnis der Zulieferer zu industriellen Großabnehmern, etwa in der Automobilindustrie.398 cc) Goodwill-bedingte Abhängigkeit Die goodwill-bedingte Abhängigkeit beschreibt eine Situation, in der die Nichtaufnahme einer Ware in das Sortiment eines Nachfragers sich negativ auf das Image und den Gesamtabsatz eines Produktes auswirkt.399 Die goodwill-bedingte Abhängigkeit ist vergleichbar mit der sortimentsbedingten Abhängigkeit der Nachfrager von Anbietern.400 Basis der Abhängigkeit ist das Bestehen von Komplementaritäten und damit von Synergieeffekten: Während der sortimentsbedingt abhängige Händler von der positiven Ausstrahlung des Artikels auf das Gesamtsortiment profitiert, wirkt sich umgekehrt für den Hersteller der Vertrieb durch einen Abnehmer positiv auf das Markenimage und den Gesamtabsatz aus.401 Insbesondere bei Markenartikeln, die aufgrund ihrer Werbestrategie auf Ubiquität angewiesen sind, kann das Fehlen einer Ware im Sortiment eines Nachfragers zu einem Ansehensverlust und damit zu einer schlechteren Wettbewerbsfähigkeit des Anbieters führen.402 Zwar kommt es im Rahmen der goodwill-bedingten Abhängigkeit auf die Höhe der Bezugsanteile des Abnehmers nicht unmittelbar an, weshalb sie insbesondere auch für Newcomer relevant sein kann.403 Gleichzeitig ist das Absatzpo396 Kerber, S. 498. Kritisch hingegen Heuchert, der die Abhängigkeit als Folge selbstverschuldeter, nicht langfristig geplanter Geschäftsentscheidungen sieht und damit eine Schutzbedürftigkeit verneint, Heuchert, S. 129. Inwieweit Fragen des Verschuldens von Bedeutung sind, wurde oben 2. Teil B. II. 2. b) kurz erläutert. 397 Eine unternehmensbedingte Abhängigkeit besteht, wenn sich ein Unternehmen als Nachfrager, bspw. aufgrund langjähriger Geschäftsbeziehungen, derart auf einen Anbieter festgelegt hat, dass andere Anbieter keine ausreichende und zumutbare Ausweichmöglichkeit mehr darstellen. Unternehmensbedingte Abhängigkeiten bestehen insbesondere in Franchisesystemen und im Verhältnis von Kfz-Vertragshändlern zu den Herstellern, Westermann, in: Münchener Kommentar, § 20 GWB, Rdnr. 43 m.w.N.; vgl. Rixen, in: Frankfurter Kommentar, § 20 GWB, 65. EL April 2008, Rdnr. 97; Schulze, S. 182. 398 Klaue, ZIP 1989, 1313 (1314 f.); Reimann, WuW 1976, 541 (550). 399 Kerber, S. 497; Taube, S. 44. 400 Rixen, in: Frankfurter Kommentar, § 20 GWB, 65. EL April 2008, Rdnr. 100; Taube, S. 44. 401 Kerber, S. 497. 402 Schulze, S. 183. 403 BGH, Beschluss vom 21. Februar 1995 – KVR 10/94 (KG), WuW/E BGH 2990 (S. 2993 f.), Importarzneimittel; Rixen, in: Frankfurter Kommentar, § 20 GWB, 65. EL April

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tential der Nachfrager ein wesentlicher Grund dafür, dass Synergieeffekte aus der Zusammenarbeit entstehen und die für die Wettbewerbsfähigkeit des Anbieters kritische Absatzmenge erreicht wird.404 Während im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels aufgrund relativ homogener Vertriebsleistungen goodwill-bedingte Abhängigkeiten unwahrscheinlich sind,405 kann sie beispielsweise bei Herstellern hochpreisiger Parfüms im Verhältnis zu großen Kaufhäusern bestehen.406 3. Abhängigkeitsvermutung gemäß § 20 Abs. 1 S. 2 GWB Die Abhängigkeitsvermutung des § 20 Abs. 1 S. 2 GWB, die allein auf die nachfragebedingte Abhängigkeit anwendbar ist, wurde speziell für die bessere Kontrolle von Nachfragemacht im Bereich des Handels erlassen.407 Wenn ein Nachfrager regelmäßig besondere Vergünstigungen von einem Anbieter erlangt, die gleichartigen Nachfragern nicht gewährt werden, wird danach die Abhängigkeit vermutet. Während die oben diskutierten Fallgruppen der Abhängigkeit daher in erster Linie auf Markt- und Unternehmensstrukturkriterien abstellen, ist der Anknüpfungspunkt der Vermutungsregel ein bestimmtes Verhalten.408 Die Vermutung setzt voraus, dass ein Nachfrager über einen längeren Zeitraum wiederholt bei einem Anbieter eine besondere Vergünstigung enthält, die nicht Folge bestimmter Leistungen des Nachfragers ist. Besondere Vergünstigungen sind insbesondere solche, die unlauter im Sinne des UWG sind und die im „Sündenregister“ des BMWi, in der „Gemeinsamen Erklärung“ oder in anerkannten Wettbewerbsregeln im Sinne von § 24 Abs. 2 GWB als Verstoß gegen die Grundsätze des leistungsgerechten Wettbewerbs aufgeführt sind.409 Die Abhängigkeitsvermutung gilt im Schrifttum als weitgehend missglückt und hat keine nennenswerte praktische Bedeutung erlangt. 2008, Rdnr. 100; Schulze, S. 183. Dass auch Newcomer in den Schutzbereich des § 20 Abs. 1 S. 1 GWB fallen, ist mittlerweile weitgehend unbestritten, siehe BGH, Urteil vom 13. November 1990 – KZR 25/89, WuW/E BGH 2683 (S. 2686), Zuckerrübenanlieferungsrecht; Dageförde, S. 100 – 106; Kouker, S. 96; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 58. 404 Vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 1995 – KVR 10/94 (KG), WuW/E BGH 2990 (S. 2994), Importarzneimittel. 405 Zu Recht kritisch Schulze, S. 183, die eine Abhängigkeit im Lebensmittelhandel generell ausschließt. 406 Vgl. BkartA, Tätigkeitsbericht 1976, BT-Drucks. 8/704, S. 69 und Tätigkeitsbericht 1977, BT-Drucks. 8/1925, S. 63. 407 Bechtold, § 20 GWB, Rdnr. 28; Schulze, S. 184. 408 Schulze, S. 184. Die Argumentation von Kerber, dass damit die Machtschwelle des § 20 Abs. 1 S. 1 GWB faktisch wegfällt und damit das machtbedingte Diskriminierungsverbot sich einem allgemeinen Diskriminierungsverbot annähert, ist daher nicht von der Hand zu weisen, Kerber, S. 500 f. 409 Allgemeine Auffassung, siehe bspw. Kerber, S. 500; Loewenheim, in: Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff, § 20 GWB, Rdnr. 54; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 88.

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III. Verbotenes Verhalten Für Unternehmen mit relativer Marktmacht sind gegenüber den abhängigen Unternehmen Verhaltensweisen, die marktbeherrschenden Unternehmen gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 5 GWB verboten sind, ebenfalls untersagt. Auch Wettbewerber des Normadressaten, die zwar selbst nicht von ihm abhängig sind, durch den Einsatz von Macht gegenüber einem abhängigen Unternehmen jedoch mittelbar behindert oder diskriminiert werden, sind vom Schutzbereich erfasst.410 An dieser Stelle kann daher auf die vorherigen Ausführungen verwiesen werden.411

IV. Ergebnis zum Missbrauch relativer Marktmacht Die Erweiterung des Normadressatenkreises auf Unternehmen mit relativer Marktmacht ermöglicht insbesondere die bessere Erfassung bilateraler Abhängigkeitsverhältnisse, wie sie auch dem Verhandlungsmachtkonzept zugrunde liegen. Die Abhängigkeit der Anbieter von marktstarken Nachfragern bestimmt sich im Wesentlichen anhand der Zumutbarkeit von Ausweichoptionen. Das Merkmal des Ausreichens ist dagegen von geringerer Bedeutung. Auch wenn für die Feststellung der Zumutbarkeit als Wertungsmaßstab der Wettbewerbsschutz angeführt wird, eignet sich dieses abstrakte Kriterium in der Praxis nur bedingt, sodass der Rückgriff auf Fallgruppen zu begrüßen ist. Im Gegensatz zur Marktbeherrschung bilden die drei Fallgruppen bilaterale vertikale Abhängigkeitsverhältnisse ab, die ihre Ursachen in der Markt- oder Unternehmensstruktur der beteiligten Unternehmen haben können. Anknüpfungspunkt der Abhängigkeitsvermutung ist ein bestimmtes Marktverhalten, was als Kriterium zur Ermittlung von Marktmacht stets kritisch zu sehen ist. Die Abhängigkeitsvermutung ist daher aus gutem Grund vielfach kritisiert worden und spielt in der Praxis nur eine geringe Rolle.

C. Missbrauch überlegener Marktmacht gemäß § 20 Abs. 3 S. 1 GWB § 20 Abs. 3 S. 1 GWB erstreckt das Verbot mittelbarer oder unmittelbarer Behinderung auf Unternehmen, die lediglich im Vergleich zu ihren kleinen oder mittleren Wettbewerbern über eine überlegene Marktmacht verfügen. Streng genommen handelt es sich wie bei § 20 Abs. 1 S. 1 GWB lediglich um eine Erweiterung des Normadressatenkreises von § 19 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 GWB. Praktische Bedeutung hat die Vorschrift fast ausschließlich im Zusammenhang mit dem Verkauf unter Einstandspreis durch Anbieter mit überlegener Marktmacht nach § 20 Abs. 3 410 411

Taube, S. 48 f. Siehe oben 2. Teil A. III.

C. Missbrauch überlegener Marktmacht gem. § 20 Abs. 3 S. 1 GWB

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S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 GWB erlangt.412 Sie ist nach allgemeiner Ansicht413 aber auch auf Behinderungen kleiner und mittlerer Unternehmen durch Nachfrager mit überlegener Marktmacht auf dem Beschaffungsmarkt anwendbar und soll daher hier kurz untersucht werden.

I. Überlegene Marktmacht i.S.v. § 20 Abs. 3 S. 1 GWB Auch die überlegene Marktmacht bezieht sich stets auf einen konkreten Markt, der nach den bereits dargelegten Prinzipien abzugrenzen ist.414 Die überlegene Marktmacht muss im Rahmen des § 20 Abs. 3 GWB nicht gegenüber der Marktgegenseite oder allen Konkurrenten bestehen, sondern allein gegenüber einem Teil der kleinen und mittleren Wettbewerber des Unternehmens auf dem abgegrenzten Markt.415 Ob ein Unternehmen zum Kreis der kleinen oder mittleren Unternehmen gehört, bestimmt sich ausschließlich anhand eines horizontalen Größenvergleichs mit dem Normadressaten.416 Zumindest bei einem Umsatzverhältnis von zehn zu eins ist regelmäßig anzunehmen, dass es sich bei dem Unternehmen, unabhängig von der absoluten Umsatzhöhe, um ein kleines oder mittleres Unternehmen handelt.417 Auch der Machtbezug im Rahmen des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB weist, im Gegensatz zur relativen Marktmacht, primär eine horizontale Dimension auf. Er entspricht damit weitgehend der Marktbeherrschung, so dass zur Bestimmung überlegener Marktmacht auf die Kriterien des § 18 Abs. 3 GWB zurückgegriffen werden kann.418 412

Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 272; Westermann, in: Münchener Kommentar, § 20 GWB, Rdnr. 149. 413 Rixen, in: Frankfurter Kommentar, § 20 GWB, 65. EL April 2008, Rdnr. 328; Westermann, in: Münchener Kommentar, § 20 GWB, Rdnr. 143. 414 Caspary, S. 155 m.w.N.; Loewenheim, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 GWB, Rdnr. 132; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 283. Abzulehnen ist die Ansicht von Rixen, dass bei einem Anbieter mit überlegener Marktmacht auf den Beschaffungsmarkt, bei einem Nachfrager mit überlegener Marktmacht auf den Angebotsmarkt abzustellen sei, Rixen, in: Frankfurter Kommentar, § 20 GWB, 65. EL April 2008, Rdnr. 329. 415 Rixen, in: Frankfurter Kommentar, § 20 GWB, 65. EL April 2008, Rdnr. 335; Sondermann, S. 257. 416 Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 285; Westermann, in: Münchener Kommentar, § 20 GWB, Rdnr. 146. Ein Vergleich mit allen auf dem Markt tätigen Wettbewerbern ist hingegen nicht erforderlich. 417 Westermann, in: Münchener Kommentar, § 20 GWB, Rdnr. 146 m.w.N. 418 Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 286; Sondermann, S. 257. Das Marktanteilskriterium wird dabei jedoch oftmals eine geringere Aussagekraft haben als bei der Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung. Insbesondere, wenn Märkte regional eng begrenzt sind, kann schließlich auf einem regionalen Markt ein kleines Unternehmen, welches allein auf diesem einen Markt tätig ist, im Vergleich zum Normadressaten einen durchaus beachtlichen Marktanteil haben. Der überregional tätige Normadressat hat in einem solchen Fall aufgrund seiner Finanzstärke und den allein ihm offenen Ausweichmöglichkeiten dennoch

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Ausreichend ist jedoch, dass die überlegene Marktmacht gegenüber den kleinen oder mittleren Unternehmen besteht, die von der Behinderung betroffen sind.419 Auf dem relevanten Markt können damit auch mehrere Unternehmen parallel eine überlegene Marktmacht gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern aufweisen.420 Die Aussagekraft des Marktanteils muss daher eine andere sein als im Rahmen der Marktbeherrschung im Sinne von § 18 Abs. 1 GWB. Da es nicht auf die absolute Marktstellung ankommt, sondern auf einen relativen Größenvergleich mit kleinen und mittleren Wettbewerbern, muss das Verhältnis der Marktanteile von höherer Bedeutung sein als der absolute Marktanteil selbst. Auch ein Normadressat mit geringen Marktanteilen auf dem Beschaffungsmarkt kann Marktanteile aufweisen, die ein Vielfaches derjenigen von kleinen und mittleren Wettbewerbern ausmachen. Insbesondere im Bereich des Handels sind zudem die Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite im Sinne des § 18 Abs. 3 Nr. 8 GWB von besonderer Bedeutung. Sofern die Anbieter von dem Normadressaten in einem höheren Maße abhängig sind als kleine und mittlere Wettbewerber, wirkt sich dies unmittelbar auch auf die Machtstellung im horizontalen Vergleich aus.

II. Verbotene Verhaltensweisen Die Regelbeispiele des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 bis 3 GWB erfassen lediglich Fälle, in denen die überlegen Marktmacht auf dem Absatzmarkt besteht und sind daher für die vorliegende Untersuchung nicht relevant. Maßgeblich ist hier allein die Generalklausel des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB und damit die mittelbare oder unmittelbare unbillige Behinderung. Unter einer solchen „ist jede für das Wettbewerbsverhalten des betroffenen Wettbewerbers objektiv nachteilige Maßnahme [im horizontalen Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Normadressaten und dem Wettbewerber] zu verstehen.“421 Als einzig relevante Fallgruppe auf Beschaffungsmärkten hat sich eine diesem überlegene Marktmacht. Auch sehr geringe Marktanteile müssen daher, insbesondere im Hinblick auf die Dynamik des Wettbewerbsgeschehens, einer überlegenen Marktmacht nicht entgegenstehen. Vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Dezember 2001 – VI-Kart. 21/00 (V), WuW/E DE-R 781 (S. 786 ff.), Wal-Mart; bestätigt durch BGH, Beschluss vom 12. November 2002 – KVR 5/02, WuW/E DE-R 1042 (S. 1043 f.), Wal-Mart. 419 Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 284. Damit ist die überlegene Marktmacht der Marktbeherrschung ähnlicher als der relativen Marktmacht i.S.v. § 20 Abs. 1 S. 1 GWB. 420 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Dezember 2001 – VI-Kart. 21/00 (V), WuW/E DER 781 (S. 787), Wal-Mart. Auch im Schrifttum ist dies allgemeine Ansicht, Loewenheim, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 GWB, Rdnr. 133; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 287; Rixen, in: Frankfurter Kommentar, § 20 GWB, 65. EL April 2008, Rdnr. 333; Westermann, in: Münchener Kommentar, § 20 GWB, Rdnr. 145. 421 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. November 2000 – Kart. 16/00 (V), WuW/E DE-R 589 (S. 591 f.), Freie Tankstellen; statt aller Loewenheim, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 20 GWB, Rdnr. 136 m.w.N.

C. Missbrauch überlegener Marktmacht gem. § 20 Abs. 3 S. 1 GWB

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dabei die Rabattspreizung herauskristallisiert. Im Rahmen der Rabattspreizung ist erforderlich, dass der Nachfrager gezielt darauf hinwirkt, dass er besondere Konditionen erhält, während diese kleinen und mittleren Wettbewerbern vorenthalten werden.422 Praktische Bedeutung erlangt § 20 Abs. 3 S. 1 GWB in diesem Zusammenhang jedoch nur in den seltenen Fällen, in denen der Nachfrager nicht zugleich Normadressat des § 20 Abs. 2 i.V.m. § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB ist.423

III. Ergebnis zum Missbrauch überlegener Marktmacht Der mit der 5. GWB-Novelle verfolgte Zweck der Neufassung des § 26 Abs. 4 a.F./§ 20 Abs. 3 GWB n.F., mittelständischen Unternehmen ein wirksames Mittel an die Hand zu geben, um gegen überlegene Wettbewerber bestehen zu können,424 ist gesetzlich nicht erreicht worden. Weder das Bundeskartellamt noch kleine oder mittlere Unternehmen oder Verbände haben auf § 20 Abs. 3 S. 1 GWB in nennenswertem Maße zurückgegriffen.425 Von einer Mobilisierung der „Privatinitiative der Verletzten zum Schutz des Wettbewerbs“ kann daher kaum gesprochen werden.426 Auch wenn Unternehmen mit überlegener Marktmacht im Sinne von § 20 Abs. 3 S. 1 GWB diese im Regelfall nicht nur auf dem Absatz- sondern auch auf dem Beschaffungsmarkt haben werden, spielt die Norm für Nachfragemachtsachverhalte keine Rolle. Zum einen betreffen die Regelbeispiele nur angebotsseitige Marktmacht, zum anderen werden Fälle der Rabattspreizung gewöhnlich bereits von § 20 Abs. 2 i.V.m. § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB erfasst.

422 Westermann, in: Münchener Kommentar, § 20 GWB, Rdnr. 152. Auch sachlich gerechtfertigte Rabattformen, die an tatsächliche Kostenvorteile beim Anbieter anknüpfen, wie beispielsweise Mengenrabatte, unterfallen § 20 Abs. 3 GWB, sofern der Nachfrager den Anbieter dazu gezwungen hat, diese seinen kleinen und mittleren Wettbewerbern vorzuenthalten, Mees, in: Schwerpunkte des Kartellrechts 1988/89, 9 (19). 423 Markert, in: Immenga/Mestmäcker, § 20 GWB, Rdnr. 310; Westermann, in: Münchener Kommentar, § 20 GWB, Rdnr. 152. 424 Leo, in: Wettbewerb als Herausforderung und Chance, 347 (348). 425 Dies gilt gleichermaßen für den reinen Untersagungstatbestand des § 37a Abs. 3 GWB a.F., der ebenfalls einen Schutz kleiner oder mittlerer Wettbewerber vor Unternehmen mit überlegener Marktmacht bezweckte und lediglich in vier Verfahren zur Anwendung kam, Leo, in: Wettbewerb als Herausforderung und Chance, 347 (354). 426 So aber noch die Begründung zum Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 30. Mai 1989, BT-Drucks. 11/4610, S. 23.

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2. Teil: Deutsches Kartellrecht

D. Ergebnis zur Erfassung von Nachfragemachtmissbrauch durch das GWB Einseitige Verhaltensweisen von Nachfragern werden vom Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen nach den gleichen Grundsätzen beurteilt wie die von Anbietern. Missbräuche sind nach dem GWB dabei nur solchen Unternehmen untersagt, die über ein bestimmtes Ausmaß an Marktmacht verfügen. Die erforderliche Machtschwelle ist für marktbeherrschende Unternehmen dabei so hoch, dass sie von nachfragenden Unternehmen auf dem Beschaffungsmarkt nur selten erreicht wird. Dies beruht jedoch nicht auf einer unangemessenen Anwendungspraxis der Marktbeherrschungskriterien, sondern auf der Differenzierung zwischen Marktbeherrschung, relativer Marktmacht und überlegener Marktmacht. Für den auf dem Marktmachtkonzept basierenden Marktbeherrschungsbegriff verbietet sich daher eine Machtmessung anhand des Verhandlungsmachtkonzeptes. Dieses Konzept wird vielmehr im Rahmen der relativen Marktmacht im Sinne von § 20 Abs. 1 S. 1 GWB berücksichtigt. Auch die deutsche Anwendungspraxis konzentriert sich auf Fälle relativer Marktmacht und damit auf nachfragebedingte Abhängigkeiten. Nachfragern mit relativer Marktmacht sind die hier untersuchten Missbräuche durch das Fordern niedriger Preise oder das Zahlen von Kampfpreisen jedoch nicht untersagt bzw. schlicht nicht möglich. So verweist § 20 Abs. 1 S. 1 GWB eben nicht auf das Verbot des Ausbeutungsmissbrauchs nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB. Verdrängungswirkungen durch überhöhte Kampfpreise wiederum können nur dann entstehen, wenn der Nachfrager Einfluss auf den Marktpreis ausüben kann. Dies setzt jedoch eine marktbeherrschende Stellung im Sinne von § 18 GWB und damit sehr hohe Marktanteile, nicht bloß vertikale Abhängigkeiten oder eine überlegene Stellung gegenüber kleinen oder mittleren Wettbewerbern im Sinne von § 20 Abs. 3 S. 1 GWB voraus. Allein das Verbot der passiven Diskriminierung nach § 20 Abs. 2 i.V.m. § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB ist daher praktisch geeignet, auch preisbezogene Missbräuche von Nachfragemacht zu erfassen. Einer stärkeren Normdurchsetzung steht dabei jedoch das Ross-und-Reiter-Problem entgegen, aufgrund dessen Anbieter eine Anzeige von Missbräuchen unterlassen.

3. Teil

Europäisches Kartellrecht Eine Verhaltenskontrolle von Unternehmen mit Nachfragemacht findet im europäischen Kartellrecht allein im Rahmen des Missbrauchsverbots des Art. 102 AEUV statt. Dieser erfasst nicht nur Verhaltensweisen von marktbeherrschenden Anbietern, sondern auch den Missbrauch durch Nachfrager.427 Nachfragerspezifische Fallgruppen enthält Art. 102 AEUV dabei nicht, sodass sich die Darstellung auf den Ausbeutungsmissbrauch durch niedrige Preise und den Verdrängungsmissbrauch durch überhöhte Einkaufspreise beschränkt.

A. Missbrauch einer beherrschenden Stellung gemäß Artikel 102 AEUV Die Missbrauchskontrolle nach Art. 102 AEUV erfasst nur Unternehmen, soweit ihnen eine „beherrschende Stellung auf dem Binnenmarkt oder einem wesentlichen Teil desselben“ zukommt und soweit der Missbrauch dazu führen kann, „den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.“ Auch im Rahmen der Prüfung eines bestimmten Verhaltens nach Art. 102 AEUV ist es daher unerlässlich, zunächst den relevanten Beschaffungsmarkt abzugrenzen und sodann die Marktmacht des Nachfragers zu messen. Nur wenn dem Nachfrager auf dem Markt, der zudem ein wesentlicher Teil des Binnenmarktes sein muss, eine beherrschende Stellung zukommt, sind die Verhaltensweisen auf ihre Missbräuchlichkeit hin zu untersuchen. Die Entscheidungspraxis zum Missbrauch von Nachfragemacht ist auf europäischer Ebene aber sehr gering.428 Zudem wurden in den bisherigen Verfahren nach 427 EuG, Entscheidung vom 17. Dezember 2003 – T-219/99, Slg. 2003, II-5917 (Tz. 101), British Airways/Kommission: „Artikel 82 EG ist […] sowohl auf die Unternehmen anwendbar, deren möglicherweise beherrschende Stellung wie im vorliegenden Fall im Verhältnis zu ihren Lieferanten festgestellt wird, als auch auf die Unternehmen, die sich im Verhältnis zu ihren Kunden in einer solchen Position befinden könnten.“ 428 EuGH, Urteil vom 28. März 1985 – Rs. 298/83, Slg. 1985, 1117, CICCE; EuG, Entscheidung vom 17. Dezember 2003 – T-219/99, Slg. 2003, II-5917, British Airways/Kommission; EuGH, Urteil vom 15. März 2007 – Rs. C-95/04 P, Slg. 2007, I-2331, British Airways/ Kommission; Kommission, Bericht über die Wettbewerbspolitik 1973, Rdnr. 69 – Eisenbahnmaterial, Kommission, Bericht über die Wettbewerbspolitik 1989, Rdnr. 61 – Filtrona-Tabacalera; Kommission, Entscheidung vom 14. Juli 1999 – IV/D-2/34.780 (K(1999 1973), ABl. 2000 L 30/1, Virgin/British Airways.

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3. Teil: Europäisches Kartellrecht

Art. 102 AEUV die Fragen nach der korrekten Abgrenzung des Beschaffungsmarktes und nach den Voraussetzungen einer marktbeherrschenden Stellung durch einen Nachfrager nicht näher erläutert. Jedoch wurden Marktabgrenzung und Marktbeherrschung in einigen Fusionskontrollverfahren auch im Hinblick auf Beschaffungsmärkte in Ansätzen thematisiert. Im Hinblick auf das Gebot einer harmonischen Rechtsanwendung und -auslegung bietet sich damit ein Rückgriff auf diese Entscheidungen an.429 Sofern dies nicht möglich oder ertragreich ist, erfolgt ein Rückgriff auf die für angebotsseitige Marktbeherrschung entwickelten Prinzipien. Diese sollen nach allgemeiner Meinung spiegelbildlich auch auf Beschaffungsmärkten Anwendung finden.

B. Marktabgrenzung von Beschaffungsmärkten Die Kommission und der Gerichtshof haben in zahlreichen Entscheidungen die Grundsätze der Marktabgrenzung aufgestellt und entwickelt. Die Kommission hat schließlich diese Entwicklungen in ihrer Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes 1997 zusammengefasst und näher erläutert. Wenn jedoch von einer „langjährigen und umfassenden Fallpraxis der Kommission und des Gerichtshofs“430 gesprochen wird, bezieht sich dies unmittelbar nur auf die Abgrenzung von Angebotsmärkten. Auch die Ausführungen zur Angebotssubstituierbarkeit, welche bei der Abgrenzung von Angebotsmärkten ergänzend berücksichtigt werden soll, bei der Abgrenzung von Beschaffungsmärkten hingegen der entscheidende Faktor ist, beziehen sich lediglich auf Angebotsmärkte.431 In Verfahren nach Art. 102 AEUV hat es bisher kein Fall gegeben, in dem die Abgrenzung des Beschaffungsmarktes eingehend problematisiert wurde.432 Ein „geschlossenes Konzept für die Abgrenzung von Nachfragemärkten“ hat die europäische Praxis daher noch nicht entwickelt, und die Beschaffungsmarktabgrenzung kann zu Recht als „dogmatisch unterentwickelt“ bezeichnet werden.433 Zwar sind die Grundsätze der Abgrenzung von Angebotsmärkten nach allgemeiner Meinung weitgehend auf die Abgrenzung von Beschaffungsmärkten übertragbar. Wie dies jedoch genau aussehen soll, wird

429 Eilmansberger, in: Münchener Kommentar, Art. 82 EG, Rdnr. 44. Marktabgrenzung und Marktbeherrschung müssen schließlich „unter angemessener Berücksichtigung der nach der jeweils anderen Norm entwickelten Grundsätze“ ausgelegt werden. 430 Wessely, in: Frankfurter Kommentar, Art. 82 EGV Normadressaten, 57. EL April 2005, Rdnr. 23. 431 Kommission, Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft vom 9. Dezember 1997, ABl. 1997 C 372/05 (Tz. 20 – 23). 432 In den Fällen Rewe/Meinl und BA/Virgin wird die Methodik der Beschaffungsmarktabgrenzung gerade nicht näher erläutert. 433 Füller, in: Münchener Kommentar, Einl., Rdnr. 1694.

B. Marktabgrenzung von Beschaffungsmärkten

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insbesondere in der Kommentarliteratur nicht näher erläutert.434 Daher ist in einem ersten Schritt darzulegen, wie Angebotsmärkte in der europäischen Praxis abgegrenzt werden und in einem zweiten Schritt zu untersuchen, inwieweit diese Methodik auf Beschaffungsmärkte übertragen werden kann. Im Hinblick auf die umfangreichen Parallelen bei der Marktabgrenzung im europäischen und deutschen Kartellrecht stehen dabei die europarechtlichen Besonderheiten im Vordergrund.

I. Methodik auf Angebotsmärkten Auch im europäischen Kartellrecht erfolgt die Abgrenzung von Angebotsmärkten primär in sachlicher und räumlicher, ergänzend auch in zeitlicher Hinsicht. Die Abgrenzung des sachlichen Produktmarktes steht dabei im Mittelpunkt. 1. Sachliche Marktabgrenzung Der sachliche Produktmarkt wird von der Kommission ähnlich wie im deutschen Recht umschrieben: „Der sachlich relevante Produktmarkt umfasst sämtliche Erzeugnisse und/oder Dienstleistungen, die von den Verbrauchern hinsichtlich ihrer Eigenschaften, Preise und ihres vorgesehenen Verwendungszweckes als austauschbar oder substituierbar angesehen werden.“435

Im Vordergrund steht damit die Austauschbarkeit eines Produktes oder einer Dienstleistung aus Sicht der Marktgegenseite.436 Ausgangspunkt der Marktabgrenzung ist folglich auch im europäischen Kartellrecht das Bedarfsmarktkonzept.437 Entsprechend wird auf die Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite – also die Nachfragesubstituierbarkeit – als entscheidenden Faktor zur Abgrenzung von Angebotsmärkten verwiesen.438 Während die Kommission auf das Prinzip der „subjektiven Äquivalenz“, der Gerichtshof hingegen auf das der „funktionalen Äquiva434 Vgl. Bechtold/Brinker/Bosch u. a., Art. 102 AEUV, Rdnr. 6 ff.; etwas ausführlicher Wessely, in: Frankfurter Kommentar, Art. 82 EGV Normadressaten, 57. EL April 2005, Rdnr. 56, und Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 71 f. Die Beschaffungsmarktabgrenzung wird dort in ein bzw. zwei Randnummern dargestellt. 435 Kommission, Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft vom 9. Dezember 1997, ABl. 1997 C 372/05 (Tz. 7). Auf diese Definition greift auch der EuG bei der Abgrenzung des Beschaffungsmarktes für Flugvermittlerdienstleistungen zurück, EuG, Entscheidung vom 17. Dezember 2003 – T-219/99, Slg. 2003, II-5917 (Tz. 91), British Airways/Kommission. 436 Emmerich, in: Dauses, Art. 102 AEUV, 31. EL Juli 2012, Rdnr. 15. 437 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 48. 438 Kommission, Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft vom 9. Dezember 1997, ABl. 1997 C 372/05 (Tz. 13, 15 ff.).

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3. Teil: Europäisches Kartellrecht

lenz“ abstellt, hat diese Differenzierung in der Praxis keine größere Bedeutung.439 Ergänzend wird die Angebotssubstituierbarkeit berücksichtigt. Wenn Anbieter bei Preiserhöhungen oder Mangellagen ihre Produktion umstellen können, um die fraglichen Produkte herzustellen und anzubieten, üben diese Unternehmen ebenfalls Wettbewerbsdruck auf das vermeintlich marktbeherrschende Unternehmen aus und sind ebenfalls Teil des sachlichen Marktes.440 Der Angebotsmarkt umfasst also sämtliche Erzeugnisse, die sich auf Grund ihrer Merkmale zur Befriedigung eines gleichbleibenden Bedarfs eignen und mit anderen Erzeugnissen nur in geringem Maß austauschbar sind. Als qualitatives Kriterium zur Bestimmung der Austauschbarkeit wird auf die Verwendbarkeit aus Sicht des Abnehmers abgestellt.441 Insbesondere der Gerichtshof stellt die spezifischen Charaktereigenschaften und nicht den Preis in den Vordergrund der Analyse.442 Sofern ermittelbar, ist das tatsächliche Marktgeschehen entscheidend.443 Anderenfalls ist auf die Sichtweise eines verständigen Verbrauchers abzustellen.444 Anders als im deutschen Kartellrecht wird im europäischen Kartellrecht im Hinblick auf den more economic approach, insbesondere von der Kommission, verstärkt auf ökonomische und quantitative Konzepte bei der Marktabgrenzung und der Feststellung von Substitutionsbeziehungen zurückgegriffen. Als ökonometrisches Instrument zur Prüfung der Wechselbereitschaft der Nachfrager wird auch in der Missbrauchsaufsicht auf die Kreuzpreiselastizität der Nachfrage und damit den „hypothetical monopolist test“ zurückgegriffen.445 Dieses auch als SSNIP-Test („small but significant and non-transitory increase in price – SSNIP“) bekannte Verfahren ermittelt, inwieweit der hypothetische Monopolist profitabel eine kleine Preiserhöhung von 5 bis 10 Prozent durchsetzen kann.446 Wenn Verbraucher bei einer signifikanten und dauerhaften Preiserhöhung auf andere Produkte ausweichen, besteht zwischen diesen Produkten ein Substitutionsverhältnis und beide Produkte sind Teil eines einheitlichen Marktes.447 In der Kommissionspraxis werden hierfür re439

Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 48. EuGH, Urteil vom 21. Februar 1973 – Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (Tz. 33), Continental Can; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 16 Rn. 22. 441 EuGH, Urteil vom 9. November 1983 – Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (Tz. 37), Michelin; Bechtold/Brinker/Bosch u. a., Art. 102 AEUV, Rdnr. 8. 442 Bechtold/Brinker/Bosch u. a., Art. 102 AEUV, Rdnr. 8. 443 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 49. 444 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 49. 445 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 50; kritisch Wessely, in: Frankfurter Kommentar, Art. 82 EGV Normadressaten, 57. EL April 2005, Rdnr. 36; Lademann, in: Schwerpunkte des Kartellrechts 1999, 67 (74 – 76). 446 Klein, WuW 2010, 169 (171 f.). 447 EuG, Urteil vom 15. 12. 2010 – T-427/08, Slg. 2010, II-5865 (Tz. 69 ff.), CEAHR/ Kommission; Kommission, Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft vom 9. Dezember 1997, ABl. 1997 C 372/05 (Tz. 17); Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 101 AEUV, Rdnr. 92. 440

B. Marktabgrenzung von Beschaffungsmärkten

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gelmäßig Kunden der betroffenen Produkte befragt.448 Der ursprünglich im Fusionskontrollverfahren zur Anwendung kommende SSNIP-Test wirft bereits dort umfangreiche Praxisschwierigkeiten auf,449 diese sind bei der Marktabgrenzung im Rahmen des Art. 102 AEUV jedoch noch evidenter. Zu zutreffenden Ergebnissen kann der SSNIP-Test nämlich nur dann kommen, wenn als Ausgangspreis der Wettbewerbspreis verwandt wird.450 Da im Fokus des Art. 102 AEUV jedoch grundsätzlich Unternehmen stehen, die bereits einen gewissen Grad an Marktmacht aufweisen, entspricht der Ausgangspreis oftmals nicht dem Wettbewerbspreis, sondern muss vielmehr erst ermittelt werden.451 Dies gestaltet sich in der Praxis oft problematisch. Auch wenn die praktische Anwendung des SSNIP-Tests sich in Missbrauchsfällen daher regelmäßig schwierig gestaltet, kann der Test dennoch zur Ermittlung der Kreuzpreiselastizität der Nachfrage beitragen.452 Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Besonderheiten des Marktes ausreichend berücksichtigt werden und der Wettbewerbspreis ermittelt und als Ausgangspunkt der Untersuchung verwendet werden kann. Die wachsende Bedeutung des SSNIP-Tests hat kürzlich auch der EuG im Fall „CEAHR/Kommission“ betont. Dort wurde ausdrücklich die fehlende Durchführung des SSNIP-Tests gerügt.453 In Zukunft ist daher ein verstärkter Rückgriff auf den hypothetischen Monopolistentest auch im Rahmen der Marktabgrenzung bei der Missbrauchsaufsicht zu erwarten. 2. Räumliche und zeitliche Marktabgrenzung Mittels der räumlichen Marktabgrenzung soll das Gebiet ermittelt werden, in dem das Unternehmen möglicherweise marktbeherrschend ist. Art. 9 Abs. 7 Satz 1 FKVO, der nach allgemeiner Ansicht eine Definition für den Begriff des räumlichen Marktes für das gesamte europäische Kartellrecht enthält,454 definiert diesen wie folgt: 448

Vgl. Friederiszick, in: Recht und Ökonomie im Europäischen Wettbewerbsrecht, 29 (31 m.w.N.). 449 Ausführlich Lademann, in: Schwerpunkte des Kartellrechts 1999, 67 (74 – 75 m.w.N.). 450 Anderenfalls kann es zu einer zu weiten Marktabgrenzung kommen. Dieses Problem wurde erstmals im US-amerikanischen Kartellrecht als „cellophan fallacy“ analysiert und soll daher auch erst dort näher erläutert werden. Siehe unten 4. Teil A. I. 1. a). 451 Wessely, in: Frankfurter Kommentar, Art. 82 EGV Normadressaten, 57. EL April 2005, Rdnr. 36. Die mit der Ermittlung des wettbewerbsanalogen Preises verbunden Schwierigkeiten sind bereits auf S. 61 ff. der Arbeit erörtert worden. 452 Vgl. Bishop/Baldauf, Theoretische Grundlagen und praktische Anwendung wettbewerbsökonomischer Methoden in Bezug auf die Abgrenzung des relevanten Marktes und Fragen zur praktischen Anwendbarkeit des Herfindahl-Hirschman Indexes zur Ermittlung des Konzentrationsgrades, S. 23 ff. 453 EuG, Urteil vom 15. 12. 2010 – T-427/08, Slg. 2010, II-5865 (Tz. 107), CEAHR/Kommission. 454 Füller, in: Münchener Kommentar, Einl., Rdnr. 1682; Schröter, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 82 EG, Rdnr. 146.

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3. Teil: Europäisches Kartellrecht

„Der räumliche Referenzmarkt besteht aus einem Gebiet, auf dem die beteiligten Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen auftreten, in dem die Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind und das sich von den benachbarten Gebieten unterscheidet; dies trifft insbesondere dann zu, wenn die in ihm herrschenden Wettbewerbsbedingungen sich von denen in den letztgenannten Gebieten deutlich unterscheiden.“

Entscheidend kommt es somit auf die Homogenität der Wettbewerbsbedingungen beim Absatz von Waren an.455 Homogene Wettbewerbsbedingungen lassen sich dabei insbesondere aus der Wechselbereitschaft der Abnehmer herleiten. Um diese in räumlicher Hinsicht zu ermitteln, kann ebenfalls auf den SSNIP-Test zurückgegriffen werden.456 Daneben sind die maßgeblichen Nachfragepräferenzen in besonderem Maße zu berücksichtigen.457 Auch wenn die räumliche Marktabgrenzung notwendig ist, da vom Missbrauchsverbot nur beherrschende Stellungen auf einem wesentlichen Teil des Binnenmarktes erfasst werden, spielt sie im Rahmen des Art. 102 AEUV lediglich eine untergeordnete Rolle.458 Da das Wettbewerbsgeschehen ständigen Veränderungen unterliegt, müssen auch zeitliche Faktoren der Nachfragesubstitution im Rahmen der Marktabgrenzung berücksichtigt werden.459 So können unterschiedliche Produkte zwar zur Befriedigung eines bestimmten Bedarfs gleichermaßen geeignet sein und daher zum sachlich gleichen Markt gehören. Aufgrund unterschiedlicher saisonaler Verfügbarkeit kann tatsächlicher Wettbewerb zwischen den Produkten jedoch ausgeschlossen sein, weshalb die Produkte zu unterschiedlichen Märkten gehören.

II. Übertragung auf Beschaffungsmärkte Ausgangspunkt der Abgrenzung von Beschaffungsmärkten muss in spiegelbildlicher Anwendung obiger Methodik die Austauschfähigkeit von Nachfragern aus Sicht der Anbieter sein. Diese kann zum einen anhand eines spiegelbildlichen Bedarfsmarktkonzepts ermittelt werden, zum anderen sollte ein quantitatives Modell vergleichbar mit dem SSNIP-Test Berücksichtigung finden.

455

Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 EG, Rdnr. 147. Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 65. 457 Kommission, Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft vom 9. Dezember 1997, ABl. 1997 C 372/05 (Tz. 46 ff.). 458 Füller, in: Münchener Kommentar, Einl., Rdnr. 1682. 459 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 68. 456

B. Marktabgrenzung von Beschaffungsmärkten

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1. Sachliche Marktabgrenzung a) Spiegelbildliches Bedarfsmarktkonzept Im Hinblick auf das Bedarfsmarktkonzept kann zunächst auf die Ausführungen zum deutschen Recht verwiesen werden. Nennenswerte Unterschiede zwischen deutschem und europäischem Kartellrecht sind hier nicht ersichtlich.460 Es ist folglich auf die Ausweichmöglichkeiten der Anbieter als Marktgegenseite abzustellen.461 Diese Ausweichmöglichkeiten lassen sich jedoch nicht in Substitutionsgütern erfassen, sondern beschreiben eine Gruppe von Nachfragern, die für die Hersteller Absatzalternativen darstellen. Diese Nachfragergruppe ergibt sich daraus, auf die Produktion welcher Produkte die Anbieter ausweichen können und welche Arten von Nachfragern sie damit bedienen können.462 Maßgeblich sind somit die 460 Müller, S. 76. Die Marktabgrenzung im British Airways-Fall deutet zwar auf ein anderes Verständnis der Kommission und des EuG bei der Abgrenzung von Beschaffungsmärkten hin. Jedoch liegt das Ergebnis der Marktabgrenzung in dem Verfahren in den Besonderheiten des Marktes für Luftverkehrsvermittlungsdienstleistungen begründet. Die Kommission bedient sich bei der Abgrenzung einer Art spiegelbildlichen Umdeutungsansatzes und kommt damit zu einem Begründungsansatz, der von der ansonsten angewandten Methodik stark abweicht. Auf Beschaffungsmärkte im Allgemeinen lässt sich dieser Ansatz jedoch kaum übertragen. Kommission, Entscheidung vom 14. Juli 1999 – IV/D-2/34.780 (K(1999 1973), ABl. 2000 L 30/1 (Tz. 69 ff.), Virgin/British Airways; bestätigt durch EuG, Entscheidung vom 17. Dezember 2003 – T-219/99, Slg. 2003, II-5917 (Tz. 89 ff.), British Airways/Kommission. Vgl. auch die fehlenden Nachweise in der Kommentarliteratur als Fall zur Abgrenzung von Beschaffungsmärkten: Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 71 f.; Füller, in: Münchener Kommentar, Einl., Rdnr. 1694 ff. 461 Siehe die ständige Praxis zur Marktabgrenzung von Beschaffungsmärkten in Zusammenschlussfällen: Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit vom 14. Januar 2011, ABl. 2011 C 11/01 (Tz. 198); Kommission, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen vom 5. Februar 2004, ABl. 2004/C 31/03 (Tz. 198); Kommission, Entscheidung vom 9. März 1999 – IV/M.1313, ABl. 2000 L 20/1 (Tz. 20), Danish Crown/Vestjyske Slagterier; Kommission, Entscheidung vom 3. Februar 1999 – K(1999) 228, ABl. 1999 L 274/1 (Tz. 76), Rewe/Meinl; Neveling, S. 199; Schröter, in: von der Groeben/ Schwarze, Art. 82 EG, Rdnr. 144; Traugott, WuW 1998, 929 (933). Die Austauschbarkeit verschiedener Produkte oder Hersteller aus Sicht der Nachfrager spielt hingegen allein bei der Feststellung von Marktmacht eine Rolle, Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 71. 462 Kommission, Entscheidung vom 3. Februar 1999 – K(1999)228, ABl. 1999 L 274/1 (Tz. 76, 79 – 80), Rewe/Meinl; Kommission, Entscheidung vom 17. 12. 2008 – COMP/M.5046 (Tz. 50 ff.), Friesland Foods/Campina, (Stand: 27. 02. 2014); Emmerich, in: Dauses, Art. 102 AEUV, 31. EL Juli 2012, Rdnr. 18; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 71. Einen einheitlichen Markt für das Sortiment des Lebensmitteleinzelhandels hat die Kommission hingegen noch im Verfahren Rewe/Billa angenommen. Jedoch war eine genaue Marktabgrenzung in dem Fall aufgrund der eindeutig wettbewerblichen Bedingungen auf dem Markt nicht weiter erforderlich, Kommission, Entscheidung vom 27. August 1996 – IV/M.803, ABl. 1996 C 306/4 (Tz. 10), Rewe/Billa.

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3. Teil: Europäisches Kartellrecht

Angebotsumstellungsflexibilität der Hersteller und ihre sich daraus ergebenden Absatzalternativen.463 Entscheidend ist, in welchem Maße die Anbieter die Möglichkeit haben, ihren Absatz an eine bestimmte Abnehmerart auf andere Arten der Nachfrage zu übertragen.464 b) Spiegelbildlicher SSNIP-Test Neben dem qualitativen Bedarfsmarktkonzept wird in der europäischen Kartellrechtspraxis vermehrt auf quantitative Methoden zur Analyse von Substitutionsbeziehungen bei der Abgrenzung von Angebotsmärkten zurückgegriffen. Eine konsequent spiegelbildliche Betrachtungsweise erfordert daher auch die Berücksichtigung eines quantitativen Modells zur Analyse von Substitutionsbeziehungen auf Beschaffungsmärkten. Als quantitatives Analysemodell zur Feststellung von Substitutionsgütern wird auf Angebotsmärkten primär auf die Kreuzpreiselastizität der Nachfrage abgestellt. Das Spiegelbild zu der Kreuzpreiselastizität der Nachfrage ist die Kreuzpreiselastizität des Angebots.465 Mittels der Kreuzpreiselastizität des Angebots lässt sich theoretisch feststellen, inwieweit zwei Güter aus Sicht eines Anbieters Komplementär- oder Substitutionsgüter sind.466 Während nach der Kreuzpreiselastizität der Nachfrage zwei Güter Substitutionsgüter sind, wenn die Elastizität positiv ist, sind zwei Güter nach der Kreuzpreiselastizität des Angebots dann Substitute, wenn die Elastizität negativ ist.467 Ziel der Berücksichtigung der Kreuzpreiselastizität des Angebots muss es daher sein, negative Elastizitätsbeziehungen zu identifizieren. Während zur Messung der Kreuzpreiselastizität der Nachfrage in erster Linie auf den SSNIP-Test zurückgegriffen wird, kann in Anlehnung an diesen Test auf Beschaffungsmärkten ein „hypothetischer Monopsonisten“-Test oder auch SSNDPTest („small but significant non-transitory decrease in Price“-Test) herangezogen werden.468 463

Kommission, Entscheidung vom 3. Februar 1999 – K(1999)228, ABl. 1999 L 274/1 (Tz. 76), Rewe/Meinl; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 72; Wessely, in: Frankfurter Kommentar, Art. 82 EGV Normadressaten, 57. EL April 2005, Rdnr. 56. 464 Neveling, S. 199. 465 Die Kreuzpreiselastizität des Angebots wird in der ökonomischen Literatur nahezu nicht behandelt, wie eine Untersuchung von Greco nahelegt. Bei der Auswertung von 51 Standardbüchern zur Mikroökonomie und Industrial Organization ist die Thematik lediglich in sieben aufgeführt, siehe Greco, 5 Journal for Economic Educators 2005, 1 (3). 466 Greco, 5 Journal for Economic Educators 2005, 1 (1). 467 Greco, 5 Journal for Economic Educators 2005, 1 (1): „However, the respective sign of the coefficient of the cross elasticity of supply are interpreted exactly the opposite as are the signs of the coefficients of the cross elasticity of demand.“ 468 Ein ähnlicher Ansatz wird bereits aufgeführt in Dobson Consulting, Buyer power and its impact on competition in the food retail distribution sector of the European Union, S. 30; Kommission, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsver-

B. Marktabgrenzung von Beschaffungsmärkten

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Anhand eines solchen Tests kann die Angebotsumstellungsflexibilität der Anbieter und die Kreuzpreiselastizität des Angebots anhand quantitativer Methoden analysiert werden. Wenn eine fünf- bis zehnprozentige Preisreduzierung des hypothetischen Monopsonisten für diesen profitabel – nicht notwendigerweise gewinnmaximierend469 – ist, weil die Anbieter auf eine Preissenkung nicht mit einer Umstellung der Produktion reagieren, gehören keine weiteren Produkte zu demselben Markt. Anderenfalls sind die Ausweichmöglichkeiten dem relevanten Markt hinzuzurechnen und der Test ist nochmals durchzuführen, bis die Marktaußengrenzen korrekt ermittelt wurden. Auch bei einem SSNDP-Test ist zu beachten, dass als Ausgangspreis ein Preis gewählt werden muss, der möglichst dem Wettbewerbspreis entspricht. Anderenfalls droht auch auf Beschaffungsmärkten der Cellophan-Trugschluss in spiegelbildlicher Art und Weise.470 Zwar ist in der bisherigen Entscheidungspraxis auf ökonometrische Modelle zur Abgrenzung von Beschaffungsmärkten noch nicht zurückgegriffen worden.471 Jedoch besteht dafür im Hinblick auf die gebotene Spiegelbildlichkeit durchaus eine methodische Notwendigkeit, und ein quantitatives Konzept wie der SSNDP-Test würde für wünschenswerte Rechtsklarheit sorgen. 2. Räumliche und zeitliche Marktabgrenzung Der räumlich relevante Beschaffungsmarkt ist ähnlich wie im deutschen Kartellrecht so abzugrenzen, dass die räumlichen Möglichkeiten der Anbieter, auf anordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen vom 5. Februar 2004, ABl. 2004/C 31/03 (Tz. 198); OECD, Monopsony and Buyer Power, S. 10; die Bezeichnung SSNDP-Test haben ebenfalls Kokkoris, 29 World Competition 139, 147 (2006) und Boshoff, Advances in Price-Time-Series Tests for Market Definition, S. 12, vorgeschlagen. Ebenfalls als SSNDP-Test bezeichnen Nelson und White einen ökonometrischen Test zur Ermittlung von Marktmacht in Monopolisierungsfällen nach Section 2 Sherman Act. Dieser Test zielt jedoch auf die Feststellung angebotsseitiger Monopolisierung ab und beschreibt daher ein grundlegend anderes Konzept, Nelson/White, Market Definition and the Identification of Market Power in Monopolization Cases: A Critique and a Proposal, S. 22 ff. Kritisch zu der Aussagefähigkeit eines hypothetischen Monopsonistentestes äußert sich dagegen Lademann, insbesondere bezüglich der Abgrenzung der Beschaffungsmärkte des Handels. Aufgrund der Käufermarktlage sei die 10 Prozent Schwelle zu niedrig angesetzt, um Wettbewerbsbeziehungen darzustellen, Lademann, in: Schwerpunkte des Kartellrechts 1999, 67 (76). Dem kann jedoch entgegnet werden, dass der SSNDP-Test nicht dazu herangezogen werden soll, Wettbewerbsbeziehungen unmittelbar darzustellen, sondern vielmehr, um Substitutionsbeziehungen abzubilden, auf denen Wettbewerbsbeziehungen lediglich mittelbar basieren. 469 Vgl. im Hinblick auf Angebotsmärkte Lenßen, S. 214. 470 Dobson Consulting, Buyer power and its impact on competition in the food retail distribution sector of the European Union, S. 31. 471 Die Kommission hat sich mit der Abgrenzung von Beschaffungsmärkten bislang überhaupt nicht näher auseinander gesetzt. Die fehlende Berücksichtigung ökonometrischer Modelle ist daher nicht auf eine grundsätzliche Ablehnung im Hinblick auf Beschaffungsmärkte zurückzuführen, sondern vielmehr auf eine bislang fehlende Notwendigkeit.

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3. Teil: Europäisches Kartellrecht

dere Abnehmer auszuweichen, adäquat wiedergegeben werden.472 Aufgrund der gebotenen spiegelbildlichen Betrachtungsweise ist dabei allein die Anbietersicht maßgeblich.473 Für die Ermittlung der räumlichen Substitutionsbeziehungen kann, vergleichbar mit dem SSNIP-Test auf Angebotsmärkten, auf den hypothetischen Monopsonisten-Test ergänzend zurückgegriffen werden. Für die Bestimmung der area of effective competition spielen auch im europäischen Kartellrecht die Transportkosten eine besondere Rolle.474 Diese sind entscheidend dafür, in welchen Regionen ein Anbieter wettbewerbsfähig auftreten und damit Nachfrager erreichen kann. In der bisherigen Entscheidungspraxis wurden die Beschaffungsmärkte meist national abgegrenzt.475 Ausländische Absatzmöglichkeiten sind weitgehend unberücksichtigt geblieben. Die Nicht-Berücksichtigung von Exportmöglichkeiten begründet die Kommission insbesondere mit unterschiedlichen Konsumgewohnheiten auf den nachgelagerten Absatzmärkten und einer häufigen Sättigung der nationalen Märkte, was Marktzutritte erheblich erschwert.476 Dadurch ist es Anbietern regelmäßig nur schwer möglich, neben inländischen auch ausländische Abnehmer zu erreichen. Letztere stellen für die Anbieter folglich keine geeigneten Ausweichmöglichkeiten dar. 472

Füller, in: Münchener Kommentar, Einl., Rdnr. 1696. Vgl. Kommission, Entscheidung vom 20. November 1996 – IV/M.784, ABl. L 110/53 (Tz. 37), Kesko/Tuko: „Hinsichtlich dieser Waren ist es angezeigt, die räumlichen Märkte unter Bezugnahme auf die Möglichkeit der Anbieter zu definieren, auf andere Vertriebswege zurückgreifen zu können […].“ Ähnlich Kommission, Entscheidung vom 3. Februar 1999 – K (1999)228, ABl. 1999 L 274/1 (Tz. 82 ff.), Rewe/Meinl. Auf das Einzugsgebiet, in dem die Nachfrager Waren beziehen und damit auf die Sichtweise der Nachfrager hat die Kommission hingegen in dem Fall Danish Crown abgestellt, Kommission, Entscheidung vom 9. März 1999 – IV/M.1313, ABl. 2000 L 20/1 (Tz. 53), Danish Crown/Vestjyske Slagterier. In diese Richtung geht ebenfalls Kommission, Entscheidung vom 17. 12. 2008 – COMP/M.5046 (Tz. 63 ff.), Friesland Foods/Campina, (Stand: 27. 02. 2014). 474 Kommission, Entscheidung vom 17. 12. 2008 – COMP/M.5046 (Tz. 64 ff.), Friesland Foods/Campina, (Stand: 27. 02. 2014); Kommission, Entscheidung vom 9. März 1999 – IV/ M.1313, ABl. 2000 L 20/1 (Tz. 50), Danish Crown/Vestjyske Slagterier. 475 Markt für die Beschaffung von Rohmilch: Kommission, Entscheidung vom 17. 12. 2008 – COMP/M.5046 (Tz. 53, 63 ff.), Friesland Foods/Campina, (Stand: 27. 02. 2014). Die von der Kommission vorgenommene Begrenzung auf das Staatsgebiet der Niederlande hängt jedoch stark mit den Besonderheiten bei der Beschaffung von Milch, insbesondere den Rohmilchquoten zusammen, siehe Tz. 56; Beschaffungsmärkte unterschiedlicher Produkgruppen des Lebensmitteleinzelhandels: Kommission, Entscheidung vom 3. Februar 1999 – K(1999)228, ABl. 1999 L 274/1 (Tz. 83), Rewe/Meinl; Beschaffung von lebenden Schlachtschweinen: Kommission, Entscheidung vom 9. März 1999 – IV/M.1313, ABl. 2000 L 20/1 (Tz. 65), Danish Crown/Vestjyske Slagterier; Lebensmitteleinzelhandel in Österreich: Kommission, Entscheidung vom 27. August 1996 – IV/M.803, ABl. 1996 C 306/4 (Tz. 14), Rewe/Billa. 476 Kommission, Entscheidung vom 3. Februar 1999 – K(1999)228, ABl. 1999 L 274/1 (Tz. 85), Rewe/Meinl. 473

C. Beherrschende Stellung eines Nachfragers

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Die zeitliche Marktabgrenzung kann auch auf Beschaffungsmärkten dann von Bedeutung sein, wenn unterschiedliche Nachfrager für die Anbieter aufgrund saisonaler Nachfrageschwankungen nicht gleichbleibend tatsächliche Absatzmöglichkeiten darstellen. Die Bedeutung in der Praxis ist jedoch, wie auch auf Angebotsmärkten, als gering einzuschätzen.

III. Ergebnis Die Abgrenzung von Beschaffungsmärkten verfolgt den gleichen Zweck wie die Abgrenzung von Angebotsmärkten und erfolgt daher richtigerweise nach den gleichen Prinzipien. Der Ausgangspunkt des Bedarfsmarktkonzepts, das Abstellen auf die Sichtweise der Marktgegenseite, eignet sich auch für die Abgrenzung von Beschaffungsmärkten. Von einem Bedarfsmarkt zu sprechen ist hingegen unzutreffend, denn der Bedarf des Abnehmers ist irrelevant. Maßgeblich sind vielmehr die Umstellungsflexibilitäten des verständigen Anbieters im Hinblick auf Produktion und Vertriebsweg. Diese lassen sich auch anhand der Kreuzpreiselastizität des Angebots bestimmten. Eine stärkere Berücksichtigung ökonomischer Modelle kann durch die Durchführung eines hypothetischen Monopsonistentests oder auch SSNDP-Tests erreicht werden.

C. Beherrschende Stellung eines Nachfragers Eine marktbeherrschende Stellung ist nach allgemeiner Meinung nicht nur auf Angebots- sondern auch auf Beschaffungsmärkten möglich.477 Da das europäische Recht den Begriff der marktbeherrschenden Stellung nicht definiert, ist die Entwicklung des Marktbeherrschungsbegriffs der Rechtsprechung des Gerichtshofs und der Entscheidungspraxis der Kommission überlassen. Damit bleibt zugleich Raum für eine dynamische Anpassung des Marktbeherrschungsbegriffs an die Entwicklung des Binnenmarkts und an die Besonderheiten von Nachfragemacht. Eigens definiert wurde die marktbeherrschende Stellung eines Nachfragers bislang nicht. Obgleich der Wortlaut des Art. 102 AEUV nicht zwischen angebots- und nachfrageseitiger Marktbeherrschung unterscheidet, weist allein die Angebotsmarktbeherrschung eine langjährige und gefestigte Praxis auf, während die Spruchpraxis zur Beschaffungsmarktbeherrschung sehr gering ist.478 Im Folgenden soll daher untersucht werden, inwieweit die für Angebotsmärkte aufgestellten Grundsätze zur Feststellung

477

Kommission, Bericht über die Wettbewerbspolitik 1973, Rdnr. 69 – Eisenbahnmaterial, Kommission, Bericht über die Wettbewerbspolitik 1989, Rdnr. 61 – Filtrona-Tabacalera; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 82. 478 Böni/Palzer, RIW 2012, 528 (528 f.).

108

3. Teil: Europäisches Kartellrecht

von Marktbeherrschung auf die Erfassung von Nachfragemacht auf Beschaffungsmärkten übertragbar sind.

I. Definition der beherrschenden Stellung i.S.v. von Art. 102 AEUV Die Definition der marktbeherrschenden Stellung von Anbietern hat in der Praxis eine langjährige Entwicklung durchlaufen. Während die Kommission zunächst vorrangig auf die Fähigkeit abstellte, „ohne größere Rücksichten auf Wettbewerber, Abnehmer oder Lieferanten zu handeln“,479 betonte der Gerichtshof die dem Unternehmen offenen Möglichkeiten zur Verhinderung wirksamen Wettbewerbs.480 In der Folge ergänzten Kommission und Gerichtshof ihre Definition um den jeweiligen Teil, was zu folgender Standardformulierung führte: „Eine beherrschende Stellung im Sinne von [Artikel 102 AEUV] ist eine wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens, die es in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Konkurrenten, seinen Kunden und letztlich den Verbrauchern gegenüber in nennenswertem Umfang unabhängig zu verhalten.“481

Die entscheidenden Machtelemente sind somit zum einen die Möglichkeit unabhängigen Verhaltens gegenüber Konkurrenten und zum anderen gegenüber Kunden und letztlich Verbrauchern, wobei eine Beschreibung als Marktgegenseite genauer wäre. Die zitierte Formel berücksichtigt damit sowohl horizontale als auch vertikale Marktmacht.482 Auch die beherrschende Stellung eines Nachfragers findet in der Fähigkeit zu unabhängigem Verhalten, vor allem gegenüber der Marktgegenseite, einerseits und der Möglichkeit zur Behinderung von Wettbewerbern andererseits Ausdruck.483 Die Bedeutung und das relative Gewicht der beiden Machtelemente sind noch nicht abschließend geklärt. Uneinigkeit herrscht insbesondere, ob sie alternativ oder kumulativ vorliegen müssen. Zwar besteht zwischen 479 Kommission, Entscheidung vom 9. Dezember 1971 – IV/26.811, ABl. 1972 L 7/25 (S. 35), Continental Can; Kommission, Entscheidung vom 2. Januar 1973 – IV/26.918, ABl. 1973 L 140/17 (S. 38), Europäische Zuckerindustrie. 480 EuGH, Urteil vom 18. Februar 1971 – Rs. 40/70, Slg. 1971, 69 (Tz. 16), Sirena. 481 EuG, Entscheidung vom 17. Dezember 2003 – T-219/99, Slg. 2003, II-5917 (Tz. 189), British Airways/Kommission; ähnlich bereits EuGH, Urteil vom 14. Februar 1978 – Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (Tz. 63/66), United Brands. Der unmittelbare Bezug auf Verbraucher erklärt sich dadurch, dass sich die Ausübung von Marktmacht stets negativ auf die Marktgegenseite auswirkt und bei Angebotsmacht schlussendlich die Verbraucher betrifft. Bei der Ausübung von Nachfragemacht fehlt es jedoch an dieser Beziehung, denn Verbraucher sind als Endabnehmer niemals Marktgegenseite von Nachfragern mit Marktmacht. Die Schwierigkeiten, die sich bei der spiegelbildlichen Anwendung von Definitionen zur Angebotsmacht auf Fälle von Nachfragemacht ergeben, zeigt daher bereits die Standardformulierung des Marktbeherrschungsbegriffes. 482 Füller, in: Festschrift für Franz Jürgen Säcker zum 70. Geburtstag, 669 (671). 483 Eilmansberger, in: Münchener Kommentar, Art. 82 EG, Rdnr. 119.

C. Beherrschende Stellung eines Nachfragers

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beiden Merkmalen häufig ein Zusammenhang, jedoch ist dieser nicht zwingend.484 Grundsätzlich wird man von einem Parallelitätsverhältnis ausgehen können, wobei die Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung in der Praxis ohnehin anhand quantitativer und qualitativer Kriterien erfolgt.485 Je geringer der Wettbewerbsdruck auf das möglicherweise marktbeherrschende Unternehmen daher ist, desto größer sind die Möglichkeiten zu unabhängigen Verhalten.486 Erforderlich ist nach bisheriger Praxis somit eine Marktstruktur-, Unternehmensstruktur- und Marktverhaltensanalyse. In einer umfassenden Gesamtwürdigung ist die Marktmacht dann zu ermitteln. *

Exkurs: Relative Marktmacht im Rahmen des Art. 102 AEUV

Ob die marktbeherrschende Stellung des Art. 102 AEUV auch Raum für eine Interpretation als vertikale Machtbeziehung im Sinne eines „partenaire obligatoire“ (unverzichtbarer Handelspartner) lässt, ist bislang in erster Linie für angebotsseitige Marktbeherrschung diskutiert worden, für nachfrageseitige Marktbeherrschung jedoch gleichermaßen relevant.487 Wenn vertikale Machtbeziehungen und damit Abhängigkeiten zwischen Handelspartnern für den Nachweis einer marktbeherrschenden Stellung allein ausreichend sein sollten, wäre der Kreis der Normadressaten des Art. 102 AEUV erheblich erweitert und große Nachfrager, die einer stark fragmentierten Anbieterstruktur gegenüberstehen, wären viel eher einer Verhal484 So mag die Abwesenheit wirksamer Wettbewerbszwänge und ein daraus resultierender Preisbildungsspielraum eine Folge der Behinderung oder Disziplinierung von Mitbewerbern sein. Ein Unternehmen kann sich in dieser vorteilhaften Position aber auch deshalb befinden, weil es von anderen Marktzutrittsschranken profitiert oder weil die Kunden aufgrund der überlegenen Qualität seiner Produkte oder Leistungen bereit sind, einen suprakompetitiven Preis zu bezahlen. Vgl. Eilmansberger, in: Münchener Kommentar, Art. 82 EG, Rdnr. 72. 485 Eilmansberger, in: Münchener Kommentar, Art. 82 EG, Rdnr. 73; Füller, in: Festschrift für Franz Jürgen Säcker zum 70. Geburtstag, 669 (671). 486 Kommission, Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen vom 24. Februar 2009, ABl. 2009 C 45/7 (Tz. 10). 487 Zustimmend: Eilmansberger, in: Münchener Kommentar, Art. 82 EG, Rdnr. 75; Emmerich, § 9 Rn. 23; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 85; Füller, in: Festschrift für Franz Jürgen Säcker zum 70. Geburtstag, 669 (671 f.); Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 16 Rn. 27; Nagel/Eger, S. 83 ff.; Nagel, WuW 1992, 818 (821 f.); Nagel, ZIP 1993, 987 (991); Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 EG, Rdnr. 76 f.; Schulze, S. 256. Einschränkend: Bechtold/Brinker/Bosch u. a., Art. 102 AEUV, Rdnr. 20 f., der zwar Abhängigkeitsverhältnisse grundsätzlich als ausreichend bezeichnet, gleichermaßen jedoch Marktbeherrschung stets nur für „ein einziges Unternehmen“ zulassen will; Wessely, in: Frankfurter Kommentar, Art. 82 EGV Normadressaten, 57. EL April 2005, Rdnr. 86 ff. hält die Berücksichtigung von vertikalen Machtungleichgewichten hingegen allein beim Ausbeutungsmissbrauch für möglich; von Bary hingegen will relative Abhängigkeitsverhältnisse nur im Rahmen der „sortimentsbedingten Spitzenstellungsabhängigkeit“ von Anbietern ausreichen lassen. Mit der nachfragebedingten Abhängigkeit setzt er sich nicht auseinander, Bary, S. 132 f., 135. Ablehnend: Bergmann, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art. 82 AEUV, Rdnr. 128; Ritter/Braun, S. 404; Schütz, in: Kölner Kommentar, Art. 2 FKVO, Rdnr. 164; Taube, S. 128 f.

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3. Teil: Europäisches Kartellrecht

tenskontrolle auch nach europäischem Kartellrecht unterworfen. Die Notwendigkeit, Abhängigkeiten als eigenständigen Beherrschungsindikator heranzuziehen, beruht dabei auf der Annahme, dass insbesondere der Ausbeutungsmissbrauch aber auch Diskriminierungen der Marktgegenseite im Sinne von Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV keine horizontale Macht erfordern.488 Auch wenn EuG und EuGH in mehreren Entscheidungen zur Angebotsmacht auf Abhängigkeiten als Marktmachtindikator verwiesen haben, wurde die Unverzichtbarkeit bestimmter Unternehmen dabei meist als Folge hoher Marktanteile und damit hoher horizontaler Marktmacht angesehen.489 Ob die Unverzichtbarkeit auch unabhängig von hohen Marktanteilen eine beherrschende Stellung zu begründen vermag, ist im Hinblick auf die bisherige Praxis schwer zu beurteilen. Problematische Fälle wurden bislang vielmehr durch eine besonders enge Marktabgrenzung gelöst, was zu hohen Marktanteilen führt und damit die Frage von Abhängigkeiten in den Hintergrund rücken lässt.490 Wenn dies jedoch bedeutet, dass die grundlegenden Prinzipien der Marktabgrenzung außer Acht gelassen werden und die Marktabgrenzung nicht mehr der Ermittlung der Wettbewerbsverhältnisse dient, sondern vielmehr der leichteren Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung, um ein bestimmtes Verhalten untersagen zu können, ist ein solches Vorgehen sehr kritisch zu sehen.491 Hohe Marktanteile auf einem Markt, der die tatsächlichen Wettbewerbsverhältnisse nur unzutreffend abbildet, sind genauso wenig mit dem klassischen Marktmachtkonzept vereinbar wie Marktbeherrschung und niedrigere Marktanteile aufgrund der Stellung als „partenaire obligatoire.“ Letzteres könnte aber zumindest auf klaren Kriterien aufbauen und damit auch dem Gebot der Vorhersehbarkeit besser gerecht werden. Zumindest in Zusammenschlussfällen von Handelsunternehmen hat die Kommission mehrfach betont, dass eine marktbeherrschende Stellung eines Nachfragers bereits bei deutlich niedrigeren Marktanteilen denkbar sei, weil auch Abhängigkeiten bereits bei niedrigeren Umsatzanteilen der Anbieter entstehen.492 Zumindest 488 Eilmansberger, in: Münchener Kommentar, Art. 82 EG, Rdnr. 73; Stadler, in: Kartellrecht in Theorie und Praxis, 441 (449). 489 Siehe insbesondere EuGH, Urteil vom 9. November 1983 – Rs. 322/81, Slg. 1983, 3461 (Tz. 56), Michelin; EuG, Urteil vom 23. Oktober 2003 – T-65/98, Slg. 2003, II-4662 (Tz. 154), Van den Bergh Foods; EuG, Entscheidung vom 17. Dezember 2003 – T-219/99, Slg. 2003, II5917 (Tz. 216 f.), British Airways/Kommission. Umfangreiche Nachweise bei Ritter/Braun, S. 402 ff. 490 Kommission, Entscheidung vom 8. Dezember 1977 – IV/29.132, ABl. 1978 L 22/23 (S. 30 f.), Hugin/Liptons; EuG, Entscheidung vom 17. Dezember 2003 – T-219/99, Slg. 2003, II-5917 (Tz. 89 ff.), British Airways/Kommission. Auch im Schrifttum wird dies insbesondere auch für Beschaffungsmärkte propagiert, vgl. Bergmann, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art. 82 AEUV, Rdnr. 131; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 EG, Rdnr. 145; Stadler, in: Kartellrecht in Theorie und Praxis, 441 (451 ff. m.w.N.). 491 Vgl. Stadler, in: Kartellrecht in Theorie und Praxis, 441 (446). 492 So nimmt die Kommission bei einem Umsatzanteil von 22 Prozent eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Anbieters an, da diesem keine ausreichenden Ausweichalternativen mehr zur

C. Beherrschende Stellung eines Nachfragers

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bei der Beurteilung von nachfrageseitiger Marktbeherrschung scheinen für die Kommission die absolute Höhe des Marktanteils und der Abstand zu den Wettbewerbern damit weniger aussagekräftig zu sein als das Bestehen von Abhängigkeiten. Bei einem Marktanteil von 22 Prozent auf einem konzentrierten Beschaffungsmarkt kann der Wettbewerbsvorsprung vor anderen Nachfragern schließlich so groß nicht sein. Vertikale Machtbeziehungen scheinen damit in den Vordergrund der Gesamtwürdigung bei der Analyse von Marktmacht, zumindest auf Beschaffungsmärkten, zu rücken. Mit den durch die primäre Berücksichtigung vertikaler Macht verbundenen Konsequenzen für den Marktbeherrschungsbegriff hat sich die Kommission jedoch noch nicht weiter auseinandergesetzt.493 Dabei würde eine solche die endgültige Abkehr der Marktformenlehre bedeuten.494 Erlaubt man nämlich die Reduzierung von Marktbeherrschung auf eine vertikale Machtbeziehung, so muss dies bedeuten, dass mehrere Unternehmen gleichzeitig den relevanten Markt beherrschen können.495 Abhängigkeiten, die ein Unternehmen für die Marktgegenseite als unverzichtbaren Geschäftspartner erscheinen lassen, können schließlich nicht nur gegenüber einem Unternehmen bestehen.496 Über Marktanteile von 22 Prozent können bis zu vier Unternehmen verfügen. Die Möglichkeit paralleler Einzelmarktbeherrschung im Rahmen des Art. 102 AEUV ist bislang nur vereinzelt im Hinblick auf die Magill-Entscheidung des EuGH diskutiert worden.497 Dass mehrere Unternehmen nebeneinander auf dem gleichen Markt als marktbeherrschend angesehen werden

Verfügung stehen. Nachfragemacht kann dann weitgehend unabhängig vom Marktanteil bestehen. Vgl. Kommission, Entscheidung vom 3. Februar 1999 – K(1999)228, ABl. 1999 L 274/ 1 (Tz. 98 – 102), Rewe/Meinl. 493 Auch im Schrifttum wird auf diese Konsequenz nicht näher eingegangen. 494 So auch Füller, in: Festschrift für Franz Jürgen Säcker zum 70. Geburtstag, 669 (669). 495 Die parallele Einzelmarktbeherrschung trotz Marktanteilen von unter 10 Prozent hat die Kommission in einem Verfahren gegen niederländische Ölgesellschaften während der Ölkrise 1974 zwar angenommen (Kommission, Entscheidung vom 19. April 1977-77/327/EWG, ABl. 1977 L 117/1 (S. 8 f.), Ölkrise), der EuGH hat sich der Sichtweise der Kommission jedoch nicht angeschlossen und die Frage der Marktbeherrschung vielmehr unbeantwortet gelassen, EuGH, Urteil vom 29. Juni 1978 – Rs. 77/77, Slg. 1978, 1513 (Tz. 16 – 18), B.P./Kommission. Eine allgemeine Praxis oder Akzeptanz lässt sich aus dieser Entscheidung, die noch dazu im Hinblick auf die besonderen Umstände während der Ölkrise erging, nicht herleiten. 496 Vgl. hierzu die Ausführungen zur relativen Marktmacht im Sinne von § 20 Abs. 1 S. 1 GWB auf S. 80 ff. 497 EuGH, Urteil vom 6. April 1995 – Rs. C-241/91 und C-242/91, Slg. 1995, I-743 (Tz. 47), Magill; auf Magill beruft sich auch: BGH, Urteil vom 3. März 2009 – KZR 82/07, NJW-RR 2010, 392 (S. 394), Reisestellenkarte. Beide Fälle betreffen genau genommen jedoch eine Konstellation, in der ein Unternehmen aufgrund einer marktbeherrschenden Stellung auf einem vorgelagerten Markt den Wettbewerb auf einem nachgelagerten Markt behindern konnten. Eingehend Füller, in: Festschrift für Franz Jürgen Säcker zum 70. Geburtstag, 669 (670 f.).

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3. Teil: Europäisches Kartellrecht

können, ist der Entscheidung unmittelbar jedoch nicht zu entnehmen.498 Als Fundament für die Möglichkeit paralleler Einzelmarktbeherrschung eignet sich die Entscheidung nicht. Entscheidend ist daher, ob die bisherige Praxis das primäre Abstellen auf vertikale Abhängigkeiten für die Begründung einer marktbeherrschenden Stellung und die damit verbundene Konsequenz paralleler Einzelmarktbeherrschung zulässt. Zumindest im Hinblick auf angebotsseitige Marktbeherrschung ist dies zu verneinen.499 Die wenigen Fälle nachfrageseitiger Marktbeherrschung hingegen deuten in eine andere Richtung.500 Ein Bruch ist damit unvermeidlich: Entweder wird das Gebot der spiegelbildlichen Betrachtungsweise von Nachfragemacht und Angebotsmacht aufgegeben oder das Gebot, dass es auf einem Markt stets nur einen Einzelmarktbeherrscher geben kann. Im Hinblick auf die umfangreichen Möglichkeiten von unverzichtbaren Nachfragern, die Marktgegenseite auszubeuten und kleinere Konkurrenten zu behindern, die Schwierigkeiten einer konsequent spiegelbildlichen Betrachtungsweise und den bisherigen Brüchen mit diesem Gebot sollte der letztere Weg eingeschlagen werden. Auch die enormen Unsicherheiten, die mit dem Nachweis eines Nachfrageoligopols verbunden sind,501 sprechen für einen neuen Weg. Dies bedeutet zudem keine völlige Abkehr von einer Marktbeherrschungsprüfung im Rahmen einer umfangreichen Gesamtwürdigung, sondern nur eine stärkere Akzentuierung der vertikalen Machtkomponente. Nachfrager mit bloß relativer Marktmacht gegenüber der Marktgegenseite können daher auch dann marktbeherrschend im Sinne des Art. 102 AEUV sein, wenn sie einen vergleichsweise geringen Marktanteil aufweisen. Im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung der Marktstruktur, der Unternehmensstruktur und des Marktverhaltens ist damit das Ergebnis möglich, dass mehr als ein nachfragendes Unternehmen beherrschend im Sinne des Art. 102 AEUV ist. 498

Siehe Drozella/Krebs, S. 59 ff.; Stadler, in: Kartellrecht in Theorie und Praxis, 441 (446). Einzig in einem Verfahren gegen niederländische Mineralölgesellschaften hat die Kommission eine parallele Einzelmarktbeherrschung bisher explizit berücksichtigen wollen (Kommission, Entscheidung vom 19. April 1977-77/327/EWG, ABl. 1977 L 117/1 (S. 8 f.), Ölkrise). Eine beständige Praxis hat sich daraus jedoch nicht entwickelt. 499 Ausführlich analysiert von Stadler, in: Kartellrecht in Theorie und Praxis, 441 (449 ff.). 500 Der Schwellenwert von 22 Prozent im Fall Rewe/Meinl wurde in einer neueren Entscheidung jüngst erneut herangezogen, Kommission, Beschluss vom 23. Juni 2008 – COMP/ M.5047 (Tz. 93 ff.), REWE/ADEG, (Stand: 27. 02. 2014); EuG, Urteil vom 7. Juni 2013 – T-405/08 (Tz. 233), Spar/Kommission, (Stand: 27. 02. 2014). In dem Verfahren gegen British Airways war ein Rückgriff auf die vertikale Machtbeziehung aufgrund der hohen Marktanteile von British Airways hingegen nicht erforderlich, Kommission, Entscheidung vom 14. Juli 1999 – IV/D-2/ 34.780 (K(1999 1973), ABl. 2000 L 30/1 (Tz. 88 ff.), Virgin/British Airways. 501 Siehe hierzu zum deutschen Recht, BKartA, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – B247250-Fa-52/10 (S. 142 ff.), Edeka/trinkgut, (Stand: 27. 02. 2014).

C. Beherrschende Stellung eines Nachfragers

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II. Kriterien zur Bestimmung von Einzelmarktbeherrschung durch Nachfrager Für die Feststellung einer beherrschenden Stellung ist auch auf Beschaffungsmärkten eine Markt- und Unternehmensstrukturanalyse durchzuführen, die um eine Marktverhaltensanalyse ergänzt werden kann. Auch wenn sich Markt- und Unternehmensstrukturkriterien kaum voneinander abgrenzen lassen, soll diese tradierte Unterscheidung im Folgenden beibehalten werden. 1. Marktstrukturkriterien Im Vordergrund der Marktstrukturanalyse steht der Marktanteil. Bei der Erfassung von Nachfragemacht spielen daneben jedoch, insbesondere aufgrund der oft vertikalen Ausrichtung der Marktmacht, weitere Marktstrukturkriterien eine ähnlich große Rolle. Insbesondere die Struktur der Marktgegenseite und der Zugang zum nachgelagerten Absatzmarkt sind für die Beurteilung von nachfrageseitiger Marktbeherrschung von Bedeutung. a) Marktanteil Nach einem primär auf horizontale Machtverhältnisse ausgerichteten Marktbeherrschungsbegriff müsste auch im Rahmen des Art. 102 AEUV der Marktanteil als der zentrale Indikator für die Marktmacht auch eines nachfragenden Unternehmens angesehen werden.502 Jedoch erfasst der europäische Marktbeherrschungsbegriff auch vertikale Macht, die weniger auf Marktanteilen beruht, sondern vielmehr verstärkt auf Umsatzanteilen bei einzelnen Unternehmen der Marktgegenseite. Je nachdem, ob die horizontale oder die vertikale Machtkomponente im Vordergrund steht, hat der Marktanteil damit eine unterschiedliche Bedeutung. aa) Bedeutung des Marktanteils Dem Marktanteil, der auf Angebotsmärkten das wichtigste Entscheidungskriterium im Rahmen der Marktstrukturanalyse ist,503 kommt auch auf Beschaffungsmärkten eine hohe Bedeutung zu.504

502 EuG, Entscheidung vom 17. Dezember 2003 – T-219/99, Slg. 2003, II-5917 (Tz. 210), British Airways/Kommission; Eilmansberger, in: Münchener Kommentar, Art. 82 EG, Rdnr. 120. 503 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 87. 504 EuG, Entscheidung vom 17. Dezember 2003 – T-219/99, Slg. 2003, II-5917 (Tz. 210), British Airways/Kommission; Eilmansberger, in: Münchener Kommentar, Art. 82 EG, Rdnr. 120.

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3. Teil: Europäisches Kartellrecht

Auf Beschaffungsmärkten begründet der Marktanteil insbesondere im horizontalen Vergleich einen Wettbewerbsvorsprung und erlaubt es dem Unternehmen, beim Einsatz seiner Wettbewerbsparameter das Verhalten von Konkurrenten unberücksichtigt zu lassen. Ein Unternehmen mit einem besonders hohen Marktanteil kann, geringe Elastizität der Nachfrage bei Konkurrenten vorausgesetzt, die gesamte nachgefragte Menge auf dem Markt einseitig beeinflussen. Dadurch kann das Unternehmen Einfluss auf den Einkaufspreis nehmen, damit den Wettbewerb der Marktgegenseite beeinflussen und letztlich auch den Verbrauchern schaden.505 Der Marktzutritt auf einen Beschaffungsmarkt gestaltet sich zudem oft noch schwieriger, was die Aussagekraft eines hohen Marktanteils zusätzlich erhöht.506 Gleichzeitig geht mit einem hohen Marktanteil im Regelfall einher, dass die Marktgegenseite einen großen Anteil ihres Absatzes mit dem Unternehmen tätigt und dadurch auch im Vertikalverhältnis Abhängigkeiten und damit Machtvorsprünge entstehen.507 Dies gilt umso mehr, als die unmittelbaren Wettbewerber nur geringfügige Marktanteile halten.508 Auch in Bezug auf die vertikale Machtkomponente kommt dem Marktanteil damit regelmäßig hohe Bedeutung zu. Jedoch ist zu beachten, dass auch ein Nachfrager mit geringen Marktanteilen aufgrund seiner Stellung auf einem nachgelagerten Markt für Anbieter unverzichtbar sein kann. Hohe Marktanteile sind damit keine Voraussetzung von Abhängigkeiten, wohl aber ein zuverlässiger Indikator. 505

Die Möglichkeit eines solchen Vorgehens hat die Kommission zuletzt im Zusammenschlussfall Friesland/Campina untersucht. Dabei ist die Kommission davon ausgegangen, dass das Unternehmen durch eine Senkung der nachgefragten Menge zum einen die Einkaufspreise senken kann, dadurch gleichzeitig jedoch auch die ausgebrachte Menge sinkt und damit die Verkaufspreise steigen, was zu einer Verbraucherschädigung führt. Siehe Kommission, Entscheidung vom 17. 12. 2008 – COMP/M.5046 (Tz. 98), Friesland Foods/Campina, (Stand: 27. 02. 2014). 506 Eilmansberger, in: Münchener Kommentar, Art. 82 EG, Rdnr. 120. Die hohen Marktzutrittsschranken beruhen in erster Linie darauf, dass nicht nur der Marktzutritt auf dem Beschaffungsmarkt erforderlich ist, sondern zudem auch die Güter auf dem (wettbewerblichen) Absatzmarkt zu wettbewerbsfähigen Konditionen angeboten werden müssen. 507 Auf einen Marktanteil von etwa 40 Prozent und die darauf beruhende Abhängigkeit der Anbieter von Flugvermittlungsdienstleistungen hat die Kommission auch ausdrücklich die marktbeherrschende Stellung von British Airways gestützt. Siehe Kommission, Entscheidung vom 14. Juli 1999 – IV/D-2/34.780 (K(1999 1973), ABl. 2000 L 30/1 (Tz. 86 ff.), Virgin/British Airways; EuG, Entscheidung vom 17. Dezember 2003 – T-219/99, Slg. 2003, II-5917 (Tz. 216), British Airways/Kommission. 508 EuG, Entscheidung vom 17. Dezember 2003 – T-219/99, Slg. 2003, II-5917 (Tz. 210), British Airways/Kommission; Kommission, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen vom 5. Februar 2004, ABl. 2004/C 31/03 (Tz. 61). Je größer die Unterschiede in der Abnahmemenge sind, desto schwieriger wird es für den Anbieter, auf einen anderen Nachfrager zu wechseln. Dies gilt umso mehr, je fragmentierter die Anbieter sind. Auch die Struktur der Marktgegenseite spielt damit für die Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung eine bedeutsame Rolle, vgl. Eilmansberger, in: Münchener Kommentar, Art. 82 EG, Rdnr. 121.

C. Beherrschende Stellung eines Nachfragers

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Weist ein Unternehmen als Nachfrager auf dem relevanten Markt einen hohen Marktanteil auf, kann daher allein aus diesem regelmäßig auf das Bestehen einer beherrschenden Stellung geschlossen werden. Im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Art. 102 AEUV auch auf vertikale Abhängigkeitsverhältnisse, die auf hohen Marktanteilen beruhen können, jedoch nicht müssen, sind niedrigere Marktanteile auf Beschaffungsmärkten kein gleichermaßen zuverlässiger Indikator für fehlende Marktmacht wie auf Angebotsmärkten.509 Andere Markt- und Unternehmensstrukturkriterien können dann, trotz niedrigerer Marktanteile, eine beherrschende Stellung begründen. bb) Höhe des Marktanteils Bei einem besonders hohen Marktanteil wird regelmäßig, ohne dass es auf andere Kriterien ankäme, eine beherrschende Stellung eines Anbieters angenommen.510 Ein über einen längeren Zeitraum gehaltener Marktanteil von mehr als 50 Prozent auf dem Absatzmarkt soll hierfür bereits, von besonderen Umständen abgesehen, ausreichen.511 Bei niedrigeren Marktanteilen, die noch immer erheblich sind, müssen gewichtige Gründe für eine Marktbeherrschung sprechen.512 Bei Marktanteilen von unter 40 Prozent hält die Kommission das Vorliegen erheblicher angebotsseitiger Marktmacht für unwahrscheinlich, wenn auch nicht für unmöglich.513 Diese für die

509 Vgl. im Hinblick auf Angebotsmärkte Kommission, Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen vom 24. Februar 2009, ABl. 2009 C 45/7 (Tz. 14). 510 Vgl. für Angebotsmärkte EuGH, Urteil vom 13. Februar 1979 – Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (Tz. 41), Hoffmann-La Roche/Kommission: „Wenn die Bedeutung der Marktanteile auch von einem Markt zum anderen unterschiedlich sein kann, so kann man doch zu Recht annehmen, daß besonders hohe Anteile – von außergewöhnlichen Umständen abgesehen – ohne weiteres den Beweis für das Vorliegen einer beherrschenden Stellung liefern.“ Besonders hoch ist zumindest ein Marktanteil zwischen 70 und 80 Prozent, EuG, Urteil des Gerichts vom 26. Juni 2010 – T-66/01, Slg. 2010, II-2631 (Tz. 257 m.w.N.), Imperial Chemical Industries Ltd/ Kommission; EuG, Urteil vom 23. Oktober 2003 – T-65/98, Slg. 2003, II-4662 (Tz. 154), Van den Bergh Foods; kritisch Kokkoris, 29 World Competition 139, 148 (2006). 511 Siehe zuletzt EuG, Urteil des Gerichts vom 26. Juni 2010 – T-66/01, Slg. 2010, II-2631 (Tz. 256), Imperial Chemical Industries Ltd/Kommission. 512 EuGH, Urteil vom 14. Februar 1978 – Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (Tz. 107), United Brands; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 92 f. 513 Kommission, Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen vom 24. Februar 2009, ABl. 2009 C 45/7 (Tz. 14). Auch wenn die Kommission sich in der Prioriätenmitteilung explizit nicht auf die angebotsseitige Marktbeherrschung beschränkt, sind die Angaben eindeutig auf diese ausgerichtet. Dies ergibt sich zumindest durch die unmittelbare Bezugnahme auf Nachfragemacht als ein die Angebotsmacht einschränkender Faktor. Unter besonderen Umständen sollen bereits Marktanteile von 10 Prozent ausreichend sein, siehe EuGH, Urteil vom 22. Oktober 1986 – Rs. 75/84, Slg. 1986, 3021 (Tz. 86), Metro/ Kommission.

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3. Teil: Europäisches Kartellrecht

angebotsseitige Marktbeherrschung entwickelten Schwellenwerte sind jedoch auf Fälle der Nachfragemacht nicht ohne weiteres übertragbar. Zwar sind auch auf Beschaffungsmärkten besonders hohe Marktanteile ein zuverlässiger Indikator für eine beherrschende Stellung.514 Niedrigere Marktanteile sind jedoch auf Beschaffungsmärkten weniger dazu geeignet, Marktbeherrschung auszuschließen. So hat auch die Kommission mehrfach betont, dass Marktbeherrschung durch Nachfrager bereits bei deutlich niedrigeren Marktanteilen anzunehmen ist, sofern einzelne Nachfrager einen hohen Anteil am Gesamtumsatz der Anbieter auf sich vereinen und deshalb für diesen unverzichtbar sind.515 Das Ausreichen niedrigerer Schwellenwerte beruht dabei auf der stärkeren Akzentuierung des zweiten Elements der Marktbeherrschung (Unabhängigkeit gegenüber der Marktgegenseite). Sofern eine stark konzentrierte Nachfrage auf eine stark fragmentierte Anbieterstruktur trifft, entstehen bereits bei deutlich geringeren Marktanteilen Abhängigkeiten und damit erweiterte Verhaltensspielräume im Vertikalverhältnis. Vereint der Nachfrager einen besonders hohen Umsatzanteil des Anbieters auf sich, so stehen dem Anbieter oftmals keine adäquaten Ausweichmöglichkeiten offen und es entsteht ein Machtungleichgewicht zu Lasten des Anbieters. Bei Marktanteilen von über 20 Prozent ist auf Beschaffungsmärkten Marktbeherrschung damit bereits sehr wahrscheinlich, sofern die Marktstruktur das Bestehen von Abhängigkeiten begünstigt. Die weiteren Marktstrukturkriterien gewinnen daher eine höhere Bedeutung als in vergleichbaren Fällen angebotsseitiger Marktbeherrschung. b) Weitere Marktstrukturkriterien Die Bedeutung der anderen Indikatoren ist umso größer, je geringer der Marktanteil ist.516 Da sich Nachfragemacht häufig in fehlenden Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite äußert, die weniger auf Marktanteilen als auf Umsatzanteilen 514 Schließlich eignen sich Marktanteile sowohl zur Feststellung horizontaler als auch vertikaler Marktmacht. Auch die Marktanteile, bei denen die Kommission in Zusammenschlussfällen eine beherrschende Stellung auf dem Beschaffungsmarkt untersucht hat, sind vergleichsweise hoch: über 70 %, Kommission, Entscheidung vom 17. 12. 2008 – COMP/ M.5046 (Tz. 88), Friesland Foods/Campina, (Stand: 27. 02. 2014); zwischen 60 und 80 %, Kommission, Entscheidung vom 25. November 1998 – IV/M.1225, ABl. 1999 L 254/9 (Tz. 84), Enso/Stora; etwa 76 %, Kommission, Entscheidung vom 9. März 1999 – IV/M.1313, ABl. 2000 L 20/1 (Tz. 121, 128), Danish Crown/Vestjyske Slagterier. 515 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 3. Februar 1999 – K(1999)228, ABl. 1999 L 274/1 (Tz. 98 – 102), Rewe/Meinl; Kommission, Beschluss vom 23. Juni 2008 – COMP/M.5047 (Tz. 93), REWE/ADEG, (Stand: 27. 02. 2014). Auch der EuG ist dieser Sichtweise zumindest nicht entgegen getreten, EuG, Urteil vom 7. Juni 2013 – T-405/08 (Tz. 233), Spar/Kommission, (Stand: 27. 02. 2014). 516 Böni/Palzer, RIW 2012, 528 (529).

C. Beherrschende Stellung eines Nachfragers

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beruhen,517 gewinnen andere Marktstrukturkriterien damit an Bedeutung. Die Beurteilung von Ausweichmöglichkeiten kann anhand eines Vergleichs der Abwanderungskosten der beteiligten Unternehmen geschehen. Wenn die Abwanderungskosten für den Anbieter wesentlich höher sind als für den Nachfrager, begünstigt dies die Machtstellung des Nachfragers.518 Insbesondere die Anbieterstruktur519 und die Marktstellung auf nachgelagerten520 oder Nebenmärkten521 ist dabei für das Bestehen von Ausweichoptionen von entscheidender Bedeutung.522 2. Unternehmensstruktur Die Unternehmensstrukturanalyse, die nicht trennscharf von der Marktstrukturanalyse abgegrenzt werden kann, berücksichtigt diejenigen Faktoren, die dem potentiell beherrschenden Unternehmen unmittelbar anhaften. Wichtige Faktoren sind dabei insbesondere die Innovations-, Wirtschafts- und Finanzkraft, der Grad der Rückwärtsintegration und andere strukturbedingte Vorteile und Verflechtungen mit anderen Unternehmen.523 Bei Nachfragern sind zudem die Umstellungsflexibilität und die Möglichkeiten der Rückwärtsintegration von Bedeutung.524 Unterschiede bei der Bedeutung und Auslegung der einzelnen Faktoren zum deutschen Recht ergeben sich dabei nicht, sodass auf obige Ausführungen verwiesen werden kann.525 3. Marktverhalten Unterstützend zur Markt- und Unternehmensstrukturanalyse kann eine Marktverhaltensanalyse herangezogen werden. So kann insbesondere eine Einkaufspolitik, die bei fehlenden Abhängigkeiten oder wirksamem Wettbewerb nicht möglich wäre, 517 Kommission, Entscheidung vom 20. November 1996 – IV/M.784, ABl. L 110/53 (Tz. 150), Kesko/Tuko; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 EG, Rdnr. 100. 518 Kommission, Entscheidung vom 3. Februar 1999 – K(1999)228, ABl. 1999 L 274/1 (Tz. 102 ff.), Rewe/Meinl; Kommission, Entscheidung vom 9. März 1999 – IV/M.1313, ABl. 2000 L 20/1 (Tz. 126), Danish Crown/Vestjyske Slagterier. 519 Kommission, Entscheidung vom 3. Februar 1999 – K(1999)228, ABl. 1999 L 274/1 (Tz. 89 ff.), Rewe/Meinl; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 EG, Rdnr. 100. 520 Kommission, Entscheidung vom 14. Juli 1999 – IV/D-2/34.780 (K(1999 1973), ABl. 2000 L 30/1 (Tz. 91 ff.), Virgin/British Airways. 521 EuG, Entscheidung vom 17. Dezember 2003 – T-219/99, Slg. 2003, II-5917 (Tz. 212), British Airways/Kommission. 522 Da diese Faktoren bereits im Rahmen der Darstellung von § 18 Abs. 2 und § 20 Abs. 1 S. 1 GWB ausführlich erörtert wurden, soll an dieser Stelle auf eine erneute Untersuchung verzichtet werden. Siehe oben 2. Teil A. II. 2. c). 523 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 102 ff.; Schröter, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 82 EG, Rdnr. 107 ff.; jeweils mit umfangreichen weiteren Nachweisen. 524 Eilmansberger, in: Münchener Kommentar, Art. 82 EG, Rdnr. 121 f. 525 Siehe oben 2. Teil A. II. 2. c) bb) – hh).

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3. Teil: Europäisches Kartellrecht

Indiz für eine marktbeherrschende Stellung sein. Bedeutung hat das Marktverhalten somit in erster Linie in Fällen des Ausbeutungsmissbrauchs oder der Diskriminierung der Marktgegenseite.526 Dabei ist jedoch Vorsicht geboten, denn das Merkmal des Missbrauchs darf nicht zur Ausfüllung der Voraussetzung der Marktbeherrschung herangezogen werden.527 Ein bestimmtes Verhalten kann schließlich sowohl Ausdruck von Machtausübung bei beschränktem Wettbewerb als auch von Vorstößen bei intensivem Wettbewerb sein.528 4. Ergebnis Die Ermittlung einer beherrschenden Stellung erfolgt auch bei nachfrageseitiger Marktbeherrschung anhand einer Gesamtwürdigung von Marktstruktur-, Unternehmensstruktur- und Marktverhaltenskriterien. Die bisherige Praxis greift dabei weithin auf die zur angebotsseitigen Marktbeherrschung entwickelten Maßstäbe zurück. Geht man beim Begriff der Marktbeherrschung von einem normativen Zweckbegriff aus, der den Punkt umschreibt, ab dem die Neutralisierung wirtschaftlicher Macht nicht mehr dem Markt überlassen werden darf,529 so lässt insbesondere im Hinblick auf die nachfrageseitige Marktbeherrschung Art. 102 AEUV Raum für eine Interpretation als relative Marktmacht. Diese äußert sich weniger in horizontalen Machtungleichgewichten und stärker in vertikalen Abhängigkeitsbeziehungen. Der Marktanteil verliert dann an Bedeutung und es treten andere Marktund Unternehmensstrukturmerkmale in den Vordergrund.

D. Wesentlicher Teil des Binnenmarktes Da das Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV in erster Linie die Wirtschaftsordnung des Binnenmarktes schützen soll, muss die Wettbewerbsbeschränkung Binnenmarktdimension aufweisen. Sachverhalte, die allein lokale oder regionale Märkte betreffen, sind damit vom Anwendungsbereich des Art. 102 AEUV ausgeschlossen. Der räumlich relevante Markt und damit die marktbeherrschende Stellung müssen einen wesentlichen Teil des Binnenmarktes umfassen.530 Entscheidend ist 526

Eilmansberger, in: Münchener Kommentar, Art. 82 EG, Rdnr. 123. Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 108 ff.; Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 AEUV, 50. EL Mai 2013, Rdnr. 107. Treffend formulieren Böni/Palzer, RIW 2012, 528 (529): „[D]er Schluss von einem bestimmten Verhalten auf eine marktbeherrschende Stellung, um sodann dieses Verhalten dem Verdikt der Missbräuchlichkeit zu unterstellen, [gerät] nur allzu leicht in die Nähe einer Tautologie.“ 528 Vgl. Emmerich, in: Dauses, Art. 102 AEUV, 31. EL Juli 2012, Rdnr. 44; Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 AEUV, 50. EL Mai 2013, Rdnr. 107. So kann die Preissenkung eines Nachfragers zum einen Ausdruck von Monopsonmacht sein, zum anderen eine Reaktion auf Wettbewerbs- und Preissenkungsdruck durch Konkurrenten. 529 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 77. 530 Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 AEUV, 50. EL Mai 2013, Rdnr. 56. 527

E. Missbräuchliche Verhaltensweisen

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dabei die wirtschaftliche Bedeutung des Marktes für den Binnenmarkt.531 Während nationale Märkte stets einen wesentlichen Teil des Binnenmarktes darstellen, können bereits wirtschaftlich bedeutende Regionen dem Kriterium genügen.532 Bei der Beurteilung, ob ein Markt als wesentlich angesehen wird, sind Unterschiede im Vergleich zur angebotsseitiger Marktbeherrschung nicht ersichtlich.

E. Missbräuchliche Verhaltensweisen Typische Formen missbräuchlicher Verhaltensweisen umfassen insbesondere die Ausbeutung der Marktgegenseite und die Behinderung von Wettbewerbern.533 Nachfragespezifische Sonderregelungen enthält Art. 102 AEUV nicht, sodass sich die folgende Darstellung auf den Ausbeutungsmissbrauch durch niedrige Einkaufspreise gemäß Art. 102 lit. a) AEUV und den Behinderungsmissbrauch durch Kampfpreisüberbietungen gemäß Art. 102 S. 1 AEUV beschränkt.

I. Ausbeutungsmissbrauch durch niedrige Einkaufspreise gemäß Art. 102 lit. a AEUV Die Fallgruppe des Ausbeutungsmissbrauchs zielt insbesondere auf den Schutz vor- und nachgelagerter Wirtschaftsstufen sowie der Verbraucher und ermöglicht auch eine Preiskontrolle über marktbeherrschende Unternehmen.534 Verboten ist gemäß Art 102 lit. a) AEUV die „Erzwingung von unangemessen Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen.“ Der Bezug auf Einkaufspreise und -bedingungen stellt unmissverständlich klar, dass auch vom Nachfrager durchgesetzte Bedingungen einen Missbrauch darstellen können. Fälle zum Ausbeutungsmissbrauch sind jedoch selten geblieben.535 Die Erzwingung unangemessener Einkaufspreise setzt voraus, dass die Preise einseitig vom Marktbeherrscher

531

Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 AEUV, 50. EL Mai 2013, Rdnr. 58. Kommission, Entscheidung vom 14. Juli 1999 – IV/D-2/34.780 (K(1999 1973), ABl. 2000 L 30/1 (Tz. 85), Virgin/British Airways; Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 AEUV, 50. EL Mai 2013, Rdnr. 59. 533 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 168 ff.; 199 ff. 534 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 168. Beim Missbrauch von Nachfragemacht ist lediglich die vorgelagerte Wirtschaftsstufe der Anbieter vom Missbrauch unmittelbar betroffen. 535 EuGH, Urteil vom 28. März 1985 – Rs. 298/83, Slg. 1985, 1117 (Tz. 22), CICCE; im weiteren Sinne hatte auch der Eisenbahnmaterial-Fall einen Ausbeutungsmissbrauch durch Nachfrager zum Gegenstand, Kommission, Bericht über die Wettbewerbspolitik 1973, Rdnr. 69. Einen möglichen Ausbeutungsmissbrauch durch Automobilhersteller gegenüber Zulieferern diskutiert Nagel, WuW 1992, 818 (823); Nagel/Eger, S. 85 ff. 532

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3. Teil: Europäisches Kartellrecht

auferlegt sind und in einem Missverhältnis zum wirtschaftlichen Wert der Ware oder Dienstleistung stehen.536 Der EuGH führt dazu aus: „Es ist also zu prüfen, ob der Inhaber einer solchen [beherrschenden] Stellung die sich daraus ergebenden Möglichkeiten benutzt hat, um geschäftliche Vorteile zu erhalten, die er bei einem normalen und hinreichend wirksamen Wettbewerb nicht erhalten hätte.“537

Für die Feststellung, ob der Preis einer Ware seinem wirtschaftlichem Wert nicht in angemessener Weise entspricht, wird im europäischen Kartellrecht grundsätzlich auf zwei Ansätze zurückgegriffen, die jedoch in erster Linie im Hinblick für unangemessene Verkaufspreise entwickelt wurden: das Konzept der Gewinnspannenbegrenzung und das Vergleichsmarktkonzept. Im Folgenden soll erörtert werden, inwieweit sich diese Konzepte zur Ermittlung unangemessener Einkaufspreise eignen. 1. Gewinnspannenbegrenzungskonzept Bei der Ermittlung angemessener Preise hat der EuGH zunächst auf das Konzept der Gewinnspannenbegrenzung zurückgegriffen. Die Unangemessenheit eines Preises kann demnach „durch einen Vergleich des Verkaufspreises des fraglichen Erzeugnisses mit den Gestehungskosten“ ermittelt werden. Wenn die Gewinnspanne zu groß ist, sei demnach der Preis unangemessen.538 Betrachtet wird die Gewinnspanne des marktbeherrschenden Unternehmens. Bei der entsprechenden Anwendung auf Beschaffungsmärkte sollte das theoretisch nicht anders sein. Jedoch setzt dies voraus, dass die Kosten bei der Beschaffung eindeutig einem bestimmten Gewinnanteil beim Weiterverkauf zugeordnet werden können und dass der unangemessene Gewinn aus der marktbeherrschenden Stellung auf dem Beschaffungs- und nicht auch auf dem Absatzmarkt resultiert.539 Außer im Bereich des Handels, bei dem eine Weiterverarbeitung und damit Wertsteigerung der nachgefragten Ware beim marktbeherrschenden Unternehmen weitgehend unterbleibt, ist dies jedoch so gut wie unmöglich.540 Daher hat die Kommission, bestätigt vom EuGH, einen anderen Ansatz gewählt. Nicht auf die Gewinnspanne des Marktbeherrschers, sondern vielmehr auf die Gewinnspanne des möglicherweise ausgebeuteten Anbieters 536 EuGH, Urteil vom 13. November 1975 – Rs. 26/75, Slg. 1975, 1367 (Tz. 11/12), GMC; EuGH, Urteil vom 14. Februar 1978 – Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (Tz. 248/257), United Brands; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 174 f.; ausführlich im Hinblick auf Verkaufspreise Weiser, S. 140 ff. 537 EuGH, Urteil vom 14. Februar 1978 – Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (Tz. 248/257 (Tz. 249 in der englischen Fassung)), United Brands. 538 EuGH, Urteil vom 14. Februar 1978 – Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (Tz. 248/257), United Brands. 539 Ist der marktbeherrschende Nachfrager auch auf dem nachgelagerten Absatzmarkt dem Missbrauchsverbot unterworfen, so ist im Hinblick auf die Praxis der Kommission, insbesondere solche Verhaltensweise zu verfolgen, die zu einem unmittelbaren Verbraucherschaden führen, ein Missbrauch der Stellung als Anbieter naheliegender. 540 Siehe oben 2. Teil A. III. 2. b) aa).

E. Missbräuchliche Verhaltensweisen

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komme es an.541 Sofern dem Anbieter nicht einmal Gewinne in Höhe der Kapitalkosten ermöglicht werden, sei danach der Einkaufspreis missbräuchlich.542 Inwieweit ein solches Konzept zur Feststellung unangemessener Einkaufspreise geeignet ist, erscheint jedoch fraglich. Bereits die Ermittlung der Gewinnspanne des marktbeherrschenden Unternehmens, welches im Mittelpunkt des Verfahrens steht, ist mit großen praktischen Unsicherheiten verbunden und bedingt eine sehr statische Analyse.543 Eine Gewinnanalyse der gesamten Marktgegenseite, die nicht notwendigerweise stark konzentriert ist und deren Unternehmen unterschiedlich effizient sind, ist kaum praktikabel. Ist die Anbieterseite durch eine geringe Effizienz gekennzeichnet und dadurch nicht in der Lage, Gewinne zu erwirtschaften, kann es nicht Aufgabe des Kartellrechts sein, diese zu schützen. Es gibt schließlich keine Garantie für den Erfolg am Markt, und auch ohne wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen können Unternehmen Verluste machen.544 Auch ermöglicht das Abstellen auf die Gewinnspanne der Anbieter keineswegs eine Aussage, ob der durchgesetzte Einkaufspreis des Nachfragers nicht dem Wettbewerbspreis entspricht, also eine Beschränkung des Wettbewerbs nahelegt. Die gewichtigen Zweifel, die am Konzept der Gewinnspannenbegrenzung allgemein bestehen,545 sind daher noch größer im Hinblick auf die derzeitige Anwendungspraxis auf Einkaufspreise. 2. Vergleichsmarktkonzept Die mit dem Konzept der Gewinnspannenbegrenzung verbundenen Unsicherheiten führten in der Anwendungspraxis zu einer stärkeren Berücksichtigung von Vergleichsmarktkonzepten.546 Verglichen werden können die Preise desselben Unternehmens auf anderen, wettbewerblich geprägten Märkten oder auf demselben Markt zu einem anderen Zeitpunkt.547 Auch ein Vergleich mit den Preisen anderer Unternehmen auf demselben oder einem vergleichbaren Markt ist grundsätzlich möglich.548 Die Schwierigkeiten, die sich mit Vergleichsmarktkonzepten im Allgemeinen und im Hinblick auf Beschaffungsmärkte im Speziellen ergeben, ent541 Vgl. EuGH, Urteil vom 28. März 1985 – Rs. 298/83, Slg. 1985, 1117 (Tz. 25), CICCE. Das Schrifttum hat sich diesem Ansatz weitgehend angeschlossen: Eilmansberger, in: Münchener Kommentar, Art. 82 EG, Rdnr. 215; Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 82 AEUV, Rdnr. 174. 542 Eilmansberger, in: Münchener Kommentar, Art. 82 EG, Rdnr. 215. 543 Vgl. allgemein Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 176 ff. 544 Palatzke, S. 30. 545 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 176 ff.; Hoppmann, WuW 1974, 763 (763 f.); Monopolkommission, 2. HG – 1976/77, Rdnr. 383 ff. 546 Die von der Kommission vorgeschlagene Methode, mittels eines Vergleichsmarktes unangemessene Preise zu bestimmen, hat der EuGH erstmals im Urteil Deutsche Grammophon Gesellschaft bestätigt, EuGH, Urteil vom 8. Juni 1971 – Rs. 78/70, Slg. 1971, 487 (Tz. 19), Deutsche Grammophon Gesellschaft. 547 Eilmansberger, in: Münchener Kommentar, Art. 82 EG, Rdnr. 217 ff. 548 Eilmansberger, in: Münchener Kommentar, Art. 82 EG, Rdnr. 221 ff.

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3. Teil: Europäisches Kartellrecht

sprechen dabei den bereits im Teil zum deutschen Kartellrecht aufgezeigten.549 Die zentrale Schwierigkeit, vergleichbare Märkte zu finden, ergibt sich auch im europäischen Recht, insbesondere bei der Heranziehung anderer nationaler Märkte.550 Dass kein einheitlichen Konzept existiert, welches dem Ausgleich von Strukturunterschieden durch Zu- oder Abschläge dient, führt jedoch zu noch größeren Praxisschwierigkeiten.551 3. Zusammenfassung Die Möglichkeiten, den Wert einer Ware für einen Nachfrager in justitiabler Weise zu bestimmen, sind damit sehr beschränkt. Weder das Konzept der Gewinnspannenbegrenzung noch unterschiedliche Vergleichsmarktkonzepte können überzeugen. Die Kontrolle von Einkaufspreisen und -bedingungen gestaltet sich auch nach europäischem Kartellrecht so schwierig, dass die fehlende Praxis kaum verwundert. Damit kommt dem Ausbeutungsmissbrauch durch marktbeherrschende Nachfrager auch nach europäischem Recht nicht mehr als die oben beschriebene Notbehelfsfunktion zu.552

II. Kampfpreisstrategien Die Kampfpreisunterbietung kann als „prototypische Fallgruppe missbräuchlicher Behinderung“ bezeichnet werden und zählt zu den ältesten Problemfeldern des Kartellrechts.553 Kampfpreisunterbietungen beschreiben jedoch lediglich eine Anbieterstrategie. Eine nähere Auseinandersetzung mit Kampfpreisstrategien durch marktbeherrschende Nachfrager ist im europäischen Kartellrecht bisher unterblieben.554 Vielmehr scheint das Bewusstsein dafür, dass es spiegelbildlich zum predatory pricing auch ein predatory buying oder bidding geben kann, weitgehend zu fehlen.555 Auch wenn Kampfpreisstrategien durch marktbeherrschende Nachfrager in der europäischen Kartellrechtspraxis und -literatur nicht erwähnt werden, soll hier im Hinblick auf den US-amerikanischen Präzedenzfall Weyerhaeuser, der jenseits 549

Siehe bereits Weiser, S. 281 ff. und die Ausführungen oben auf S. 61 ff. Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 181. Wobei die wettbewerbliche Preisbildung dann auch auf anderen räumlichen Märkten regelmäßig nicht wesentlich besser funktioniert. 551 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 AEUV, Rdnr. 182. 552 Siehe oben 2. Teil A. III. 1. d). 553 Paul, S. 172. 554 In dem Zusammenschlussfall Friesland/Campina hat die Kommission zumindest die grundsätzliche Möglichkeit eines Behinderungsmissbrauchs durch Abschottung des Beschaffungsmarktes durch einen marktbeherrschenden Nachfrager in Ansätzen diskutiert, ohne jedoch eine Parallele zu Kampfpreisen zu ziehen, vgl. Kommission, Entscheidung vom 17. 12. 2008 – COMP/M.5046 (Tz. 104 ff.), Friesland Foods/Campina, (Stand: 27. 02. 2014). 555 Vgl. Pries, S. 10, der Kampfpreisstrategien definiert als Niedrigpreisstrategien ohne auf die Begrenzung auf die Anbieterseite hinzuweisen. 550

E. Missbräuchliche Verhaltensweisen

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des Atlantiks die Nachfragemachtdiskussion in den vergangenen Jahren entscheidend geprägt hat, eine kurze Darstellung erfolgen. Aufgrund der spiegelbildlichen Betrachtungsweise von Angebots- und Nachfragemachtmissbrauch sollen die Grundsätze zu Kampfpreisüberbietungen durch Nachfrager aus der bestehenden Praxis und Literatur zu Kampfpreisunterbietungen durch Anbieter hergeleitet werden. Hierfür ist zunächst eine kurze Darstellung zur Kampfpreisunterbietung durch marktbeherrschende Anbieter erforderlich. 1. Kampfpreisunterbietungen durch marktbeherrschende Anbieter Bei der Feststellung, ob von einem marktbeherrschenden Unternehmen festgesetzte Preise missbräuchliche Kampfpreise sind, greifen Gerichte und Kommission auf eine Zusammenschau objektiver und subjektiver Kriterien zurück. Während in objektiver Hinsicht eine Verlustanalyse durchgeführt wird, wird in subjektiver Hinsicht auf die Verdrängungsabsicht des Marktbeherrschers abgestellt. Ergänzend werden zudem die tatsächlichen Auswirkungen der Preisstrategie auf den Wettbewerb berücksichtigt. a) Verlustanalyse unter Heranziehung der Kosten Die Kosten- bzw. Verlustanalyse dient dem Zweck, die Einkünfte aus dem Verkauf mit den Kosten für Herstellung und Beschaffung in Relation zu setzen. Während der Verkaufspreis dabei als Datum betrachtet wird, sind die Kosten anhand eines geeigneten Maßstabs zu ermitteln. Kosten oberhalb der Einnahmen sind ein starkes Indiz für Kampfpreise. Die Ermittlung der Kosten und die Anwendung des richtigen Kostenmaßstabs sind jedoch von Fall zu Fall unterschiedlich beurteilt worden, und es hat sich entsprechend eine umfangreiche Praxis entwickelt. aa) Praxis des EuGH In der grundlegenden AKZO-Entscheidung stellte der EuGH den Grundsatz auf, dass Preise unter den durchschnittlichen variablen Kosten per se missbräuchlich sind, weil ein „beherrschendes Unternehmen […] nur dann Interesse [daran hat], derartige Preise zu praktizieren, wenn es seine Konkurrenten ausschalten will, um danach unter Ausnutzung seiner Monopolstellung seine Preise wieder anzuheben […].“556 Preise unterhalb der durchschnittlichen Gesamtkosten sind hingegen nur dann missbräuchlich, wenn die Preissetzung im Rahmen eines Verdrängungsplans er556 EuGH, Urteil vom 3. Juli 1991 – Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (Tz. 71), AKZO; zuletzt EuGH, Urteil vom 27. März 2012 – C-209/10 (Tz. 27), Post Danmark A/S, (Stand: 27. 02. 2014).

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3. Teil: Europäisches Kartellrecht

folgt.557 Kann eine Verdrängungsabsicht nicht nachgewiesen werden, so kann nach einem neuen Urteil in der Rechtssache Post Danmark dennoch ein Missbrauch vorliegen, wenn das fragliche Verhalten bestimmte Verdrängungswirkungen entfaltet hat.558 Damit berücksichtigt der EuGH nunmehr auch im Rahmen des Kampfpreismissbrauchs verstärkt einen wirkungsbasierten Ansatz, ohne dabei seine bisherige Rechtsprechung aufzugeben.559 bb) Prioritätenmitteilung der Kommission Diesen bisherigen Analyserahmen zur Kampfpreisunterbietung hat die Kommission im Jahre 2009 in ihrer Prioritätenmitteilung zum Behinderungsmissbrauch präzisiert und weiter verfeinert. Danach liegt eine Kampfpreisunterbietung vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen bewusst kurzfristige Verluste oder Gewinneinbußen in Kauf nimmt, um vorhandene oder potentielle Wettbewerber vom Markt auszuschließen, um seine Marktmacht zu erhalten oder auszubauen.560 Die kostenabhängige Bestimmung von Kampfpreisen erfolgt nach der Prioritätenmitteilung der Kommission anhand eines sogenannten „sacrifice-Tests“.561 Ein Unternehmen erbringt danach ein „Opfer“, sofern es während des relevanten Zeitraums für zumindest einen Teil seiner Produktion den Preis senkt und dadurch vermeidbare Verluste erzielt. Ob Verluste vermeidbar sind, beurteilt sich grundsätzlich anhand der durchschnittlichen vermeidbaren Kosten (average avoidable costs – AAC). Preise unterhalb dieser Kosten sind nach Ansicht der Kommission ein klares Indiz für Kampfpreise.562 Bei bestimmten Gütern, die hohe Investitionen

557

EuGH, Urteil vom 3. Juli 1991 – Rs. C-62/86, Slg. 1991, I-3359 (Tz. 72), AKZO; zuletzt EuGH, Urteil vom 27. März 2012 – C-209/10 (Tz. 27), Post Danmark A/S, (Stand: 27. 02. 2014). 558 EuGH, Urteil vom 27. März 2012 – C-209/10 (Tz. 44), Post Danmark A/S, (Stand: 27. 02. 2014); Fritzsche/Marquier, EuZW 2012, 536 (537). 559 Fritzsche/Marquier, EuZW 2012, 536 (539). 560 Kommission, Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen vom 24. Februar 2009, ABl. 2009 C 45/7 (Tz. 63). 561 Auf diesen Test ist der EuGH in der letzten Entscheidung zur Kampfpreisunterbietung jedoch nicht näher eingegangen, siehe EuGH, Urteil vom 27. März 2012 – C-209/10, Post Danmark A/S, (Stand: 27. 02. 2014). 562 Kommission, Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen vom 24. Februar 2009, ABl. 2009 C 45/7 (Tz. 64). Die stärkere Berücksichtigung der vermeidbaren Durchschnittskosten anstelle der durchschnittlichen variablen Kosten ist nach Paul insbesondere auch unter ökonomischen Gesichtspunkten wünschenswert, Paul, S. 195; ähnlich Schuhmacher, ZWeR 2007, 352 (368). Die Überlegenheit relativiert sich jedoch an-

E. Missbräuchliche Verhaltensweisen

125

voraussetzen, wird alternativ auf die langfristigen durchschnittlichen Grenzkosten (long-run average incremental cost – LRAIC) abgestellt.563 Bei Preisen oberhalb der durchschnittlichen Kosten müssen die Preise zu einem niedrigeren Nettoertrag führen, als er bei einem vernünftigen Alternativverhalten erzielt worden wäre.564 Die Wahl der relevanten Kostenuntergrenze hat dabei stets mit Blick auf die Besonderheiten des Falles zu erfolgen.565 cc) Zusammenfassung Auch im europäischen Kartellrecht wird der Kostenmaßstab weitgehend flexibel an den Besonderheiten des Einzelfalls ausgerichtet. Lediglich bei Preisen unterhalb der durchschnittlichen variablen Kosten kann ein Missbrauch per se angenommen werden. Ansonsten ist, wie auch im deutschen Recht, der Nachweis einer Verdrängungsabsicht oder von Verdrängungswirkungen zu erbringen. b) Verdrängungsabsicht Bei Preisen oberhalb der im Einzelfall anwendbaren Kostengrenze sind zudem kostenunabhängige Faktoren zu berücksichtigen. Die Bestimmung von Kampfpreisen kann dann kostenunabhängig über den Nachweis der Verdrängungsabsicht566 und von Verdrängungswirkungen erfolgen.567 Insbesondere die Verdrängungsabsicht bzw. ein Verdrängungsplan kann ein gewichtiges Indiz für eine Kampfpreisstrategie sein.568 Ein solcher Plan kann anhand direkter oder indirekter Beweise nachgewiesen werden.569 Für den direkten Nachweis einer Verdrängungsabsicht greift die Praxis insbesondere auf Unternehmensinterna wie Schriftstücke oder dokumentierte Erklärungen zurück.570 Kann anhand direkter Beweise nachgewiesen werden, dass das dogesichts der Ermittlungsprobleme, Brand, in: Frankfurter Kommentar, Art. 102 AEUV, 77. EL Oktober 2012, Rdnr. 324; Pries, S. 117 – 118. 563 Kommission, Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen vom 24. Februar 2009, ABl. 2009 C 45/7 (Tz. 26). 564 Kommission, Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen vom 24. Februar 2009, ABl. 2009 C 45/7 (Tz. 65). 565 Wurmnest, S. 447 ff. 566 Pries, S. 41 ff., 120 ff. 567 Fritzsche/Marquier, EuZW 2012, 536 (538 f.). 568 Kommission, Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen vom 24. Februar 2009, ABl. 2009 C 45/7 (Tz. 66). 569 Pries, S. 121 ff. 570 EuG, Urteil vom 30. Januar 2007 – T-340/03, Slg. 2007, II-117 (Tz. 199 ff.), France Télécom SA/Kommission; Pries, S. 138.

126

3. Teil: Europäisches Kartellrecht

minante Unternehmen eine Kampfpreisstrategie mit der Absicht durchgeführt hat, Wettbewerber vom Markt auszuschließen, so ist ein Rückgriff auf kostenabhängige Nachweise entbehrlich.571 Der indirekte Nachweis einer Verdrängungsabsicht kann insbesondere anhand der Dauer oder Selektivität der Niedrigpreispolitik geführt werden.572 Auch wenn die Selektivität einer Preisgestaltung für sich allein noch keinen Missbrauch begründet,573 kann sie im Einzelfall als Indiz für eine Verdrängungsabsicht von Bedeutung sein. Widerspricht das Preissetzungsverhalten des beherrschenden Unternehmens jeder kaufmännischen Vernunft und sind keine anderen Erklärungen als ein Verdrängungsplan denkbar, reicht dies für den indirekten Nachweis der Verdrängungsabsicht ebenfalls aus.574 Überkostenpreise können folglich auch dann missbräuchlich sein, wenn das Unternehmen einen besonders hohen Grad an Marktmacht aufweist und die Preissetzung im Rahmen eines Verdrängungsplans in Verbindung mit anderen wettbewerbsschädlichen Verhaltensweisen erfolgt.575 c) Auswirkungen auf den Wettbewerb Sofern bei Preisen oberhalb der durchschnittlichen variablen Kosten aber unterhalb der durchschnittlichen Gesamtkosten eine Verdrängungsabsicht weder direkt noch indirekt nachgewiesen werden kann, muss das Preissetzungsverhalten zudem auf Verdrängungseffekte untersucht werden.576 Dem marktbeherrschenden Unternehmen gebührt schließlich eine besondere Verantwortung für die Wettbewerblichkeit des Marktes und ein Verstoß gegen das Missbrauchsverbot kann schon darin liegen, dass sich bestimmte Handlungen zum Ausschluss von ebenso effizienten Wettbewerbern eignen.577 Für den Nachweis von Verdrängungseffekten ist das Ausmaß der Marktbeherrschung zu berücksichtigen und eine genaue Analyse der 571

Kommission, in: Policy Roundtables: Predatory Foreclosure, 231 (234 f.). European Commission, in: ICN Report on Predatory Pricing 2008, S. 6 f.; Dittert, EuR 2012, 570 (575): Wenn Diskriminierungen als Regelbeispiele des Missbrauchs gelten, spricht vieles dafür, sie zumindest als gewichtiges Indiz für nicht wettbewerbskonformes Verhalten anzusehen. Ebenso Pries, S. 145; Lange, ZHR 2005, 495 (505 f.). 573 EuGH, Urteil vom 27. März 2012 – C-209/10 (Tz. 30), Post Danmark A/S, (Stand: 27. 02. 2014). 574 Kommission, in: Policy Roundtables: Predatory Foreclosure, 231 (235). 575 Kommission, in: Policy Roundtables: Predatory Foreclosure, 231 (234 f.); Pries, S. 101 ff.; Wurmnest, S. 467 ff. 576 EuGH, Urteil vom 27. März 2012 – C-209/10 (Tz. 44), Post Danmark A/S, (Stand: 27. 02. 2014); Fritzsche/Marquier, EuZW 2012, 536 (537); für einen verstärkt auswirkungsorientierten Ansatz ebenso Lange, ZHR 2005, 495 (506); Krah, EuZW 2012, 207. 577 Weber, in: Just/Schulte, Art. 102 AEUV, Rdnr. 49 f. 572

E. Missbräuchliche Verhaltensweisen

127

Wettbewerbsverhältnisse auf dem relevanten Markt unerlässlich.578 Lassen sich auf dem relevanten Markt daher tatsächliche Verdrängungseffekte beobachten und auf eine Niedrigpreisstrategie des marktbeherrschenden Anbieters zurückführen, so ist es grundsätzlich möglich, Kampfpreise auch ohne den Nachweis einer Verdrängungsabsicht zu bestimmen. d) Zusammenfassung Auch im europäischen Recht erfolgt die Beurteilung von Kampfpreisen damit anhand von drei Kriterien: Es wird erstens eine Kostenanalyse durchgeführt, zweitens wird die Absicht des Unternehmens untersucht und drittens werden die Auswirkungen der Preispolitik auf den Wettbewerb analysiert. Auch wenn in der bisherigen Praxis die Verlustanalyse eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung von missbräuchlich niedrigen Preisen durch marktbeherrschende Anbieter spielt, kann unter besonderen Umständen auch ein auswirkungsorientierter Ansatz in Verbindung mit dem direkten Nachweis einer Verdrängungsabsicht für den Nachweis eines Kampfpreises genügen. 2. Kampfpreisüberbietung Auch bei der Ermittlung missbräuchlich hoher Einkaufspreise, die von einem marktbeherrschenden Nachfrager bei einer Knappheitslage zur Verdrängung schwächerer Wettbewerber eingesetzt werden, kommt es somit auf eine umfassende Gesamtwürdigung an. Zu berücksichtigen sind dabei, in konsequenter spiegelbildlicher Anwendung der oben genannten Grundsätze die Verluste, die mit dem Einkauf gemacht werden, die Absichten des Unternehmens und die Auswirkungen auf den Restwettbewerb. a) Verlustanalyse zur Bestimmung missbräuchlicher Kampfpreise Ein Vergleich der Einnahmen, die mit dem Verkauf eines Produktes erzielt werden, mit dem Preis, der für den Erwerb des Produktes oder eines notwendigen Vorproduktes gezahlt wurde, entspricht zwar einer spiegelbildlichen Analyse, ist in der Praxis jedoch wenig zielführend.579 Während im Bereich des Handels ein Vergleich von Einstands- und Verkaufspreis noch grundsätzlich möglich erscheint, ist eine klare Zuweisung bei hoher Wertschöpfungstiefe praktisch unmöglich. Dem Gebot der zuverlässigen Handhabbarkeit wird eine Verlustanalyse bei der Bestimmung missbräuchlich hoher Kampfpreise auf Beschaffungsmärkten daher kaum gerecht. Wenn bereits die zuverlässige Ermittlung der Kosten kaum möglich er-

578

Fritzsche/Marquier, EuZW 2012, 536 (537). Siehe hierzu oben 2. Teil A. III. 2. b). Kritisch bereits im Hinblick auf die Kampfpreisunterbietung Lange, ZHR 2005, 495 (500 ff.). 579

128

3. Teil: Europäisches Kartellrecht

scheint,580 gilt dies erst recht für die Zuweisung von Einnahmen zu diesen Kosten. Die Verlustanalyse ist somit, wie bereits zum deutschen Recht festgestellt,581 kein geeignetes Mittel zur Ermittlung von Kampfpreisen. b) Bestimmung von Kampfpreisen unabhängig von einer Verlustanalyse Aufgrund der Schwierigkeiten bei der Bestimmung von Kampfpreisen durch Nachfrager mittels einer Verlustanalyse müssen die kostenunabhängigen Faktoren stärker berücksichtigt werden. Grundsätzlich wird im europäischen Kartellrecht bei der Bestimmung von Kampfpreisen auch eine Bestimmung unabhängig von einer Kosten- oder Verlustanalyse als möglich angesehen.582 Insbesondere bei einem hohen Grad an Marktmacht und einer selektiven Preissetzung kann eine solche Preisstellung schließlich wettbewerbsschädlich sein.583 Zwar sind Nachweise innerer Einstellung stets misslich.584 Andererseits dürften Verhaltensweisen, die in wettbewerbsschädlicher Absicht begangen werden und sich auch zur Beschränkung des Wettbewerbs eignen, nicht nur deswegen erlaubt sein, weil eine Verlustanalyse praktisch undurchführbar ist. Wenn ein ökonomisch plausibles Verdrängungsszenario dokumentiert werden kann und Verdrängungswirkungen tatsächlich eingetreten sind, sollte dies daher für den Nachweis einer Kampfpreisstrategie genügen.585 Kann dem marktbeherrschenden Unternehmen unmittelbar eine Verdrängungsabsicht nachgewiesen werden und lassen sich auf dem Markt konkrete Verdrängungswirkungen beobachten, die auf eine Hochpreisstrategie des Marktbeherrschers zurückzuführen sind, muss dies für den Nachweis der Kampfpreisüberbietung grundsätzlich ausreichen.

580

Schmidt/Voigt, WuW 2006, 1097 (1100 f.). Siehe oben 2. Teil A. III. 2. b) aa). 582 European Commission, in: ICN Report on Predatory Pricing 2008, S. 5, 7. Die Kommission beantwortet die Frage nach der grundsätzlichen Möglichkeit von Kampfpreisen oberhalb der durchschnittlichen Gesamtkosten zwar mit „normally not“ und geht auf Situationen, die eine Ausnahme darstellen könnten nicht weiter ein. Gleichzeitig lehnt sie einen „safe harbour“ für Preise oberhalb der durchschnittlichen Gesamtkosten eindeutig ab. Dittert, EuR 2012, 570 (574). 583 Wurmnest, S. 468 ff. 584 Brand, in: Frankfurter Kommentar, Art. 102 AEUV, 77. EL Oktober 2012, Rdnr. 324; zudem bedeutet die Absicht nicht gleichzeitig die Eignung zur Wettbewerbsbeschränkung, Sondermann, S. 105. Dass der Nachweis der Absicht in der Praxis zudem leichter fällt, als gemeinhin angenommen, verdeutlichen die Verfahren gegen AKZO, Tetra Pak, Wanadoo, Deutsche Post und Compagnie Maritime Belge Transports SA, siehe Pries, S. 133 m.w.N. 585 Paul, S. 195. Aufgrund der Ähnlichkeiten bei der Ermittlung von Kampfpreisen nach Art. 102 AEUV und § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB kann hier auf die Ausführungen oben 2. Teil A. III. 2. b) verwiesen werden. 581

E. Missbräuchliche Verhaltensweisen

129

3. Rechtfertigung missbräuchlicher Kampfpreise Sollte es legitime wirtschaftliche Gründe für Kampfpreise geben, können Kampfpreise im Einzelfall gerechtfertigt sein.586 Eine offensiv auf Marktausdehnung ausgerichtete Preisstrategie erzeugt dabei ein höheres Rechtfertigungsbedürfnis als eine rein defensive Strategie.587 Liegen legitime wirtschaftliche Gründe für eine Kampfpreisstrategie vor, so wird es regelmäßig an der Verdrängungsabsicht fehlen, denn die Verfolgung legitimer wirtschaftlicher Interessen und die gezielte Strategie zur Verdrängung von Wettbewerbern schließen einander aus.588 Da bei der Ermittlung missbräuchlich hoher Verdrängungspreise durch Nachfrager ein direkter Nachweis der Verdrängungsabsicht im Regelfall erforderlich ist, wird eine Rechtfertigung meist ausgeschlossen sein. 4. Zusammenfassung Die Kampfpreisüberbietung stellt grundsätzlich auch nach europäischem Recht eine Fallgruppe des Behinderungsmissbrauchs dar und kann nach Art. 102 AEUV sanktioniert werden. Ein auswirkungsorientierter Ansatz in Verbindung mit einer stärkeren Betonung der subjektiven Voraussetzung der Verdrängungsabsicht ermöglicht die Erfassung von überhöhten Kampfpreisen durch Nachfrager, ohne mit der bisherigen Praxis zu klassischen Fällen der Kampfpreisunterbietung brechen zu müssen. Doch sind die Voraussetzungen, unter denen ein Unternehmen überhaupt mit der Strategie einer Kampfpreisüberbietung Wettbewerber vom Beschaffungsmarkt verdrängen kann, sehr hoch, so dass die fehlende Fallpraxis nicht überrascht. Im Hinblick darauf, dass die Kommission sich auf diejenigen Fälle des Behinderungsmissbrauchs konzentriert, bei denen der Schaden für Verbraucher am größten ist,589 die Kampfpreisüberbietung den Verbrauchern jedoch nicht unmittelbar schadet, wird die praktische Relevanz dieser Fallgruppe daher auch in Zukunft gering bleiben.

586

EuGH, Urteil vom 14. Februar 1978 – Rs. 27/76, Slg. 1978, 207 (Tz. 184/194), United Brands; Lange, ZHR 2005, 495 (507); Wurmnest, S. 470 ff. m.w.N. Diese Gründe müssen von dem Normadressaten nachgewiesen werden, Dittert, EuR 2012, 570 (578). 587 Pries, S. 194. Als offensive Preisstrategien bezeichnet Pries dabei Werbemaßnahmen und solche, die auf Effizienzgewinne und Folgeeinnahmen abzielen. Defensiv sind hingegen solche Strategien, die als Abwehrreaktion angewandt werden, dem Abbau von Überkapazitäten dienen oder die drohende Unverkäuflichkeit eines Produktes verhindern sollen. 588 Vgl. Wurmnest, S. 470 f. 589 Kommission, Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen vom 24. Februar 2009, ABl. 2009 C 45/7 (Tz. 5).

130

3. Teil: Europäisches Kartellrecht

F. Zwischenstaatlichkeitsklausel Der Missbrauch muss zudem objektiv geeignet sein, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen. Dies setzt nicht voraus, dass der Missbrauch sich unmittelbar auf ein zwischenstaatliches Geschäft bezieht. Es sind vielmehr die Auswirkungen auf den Binnenmarkt zu untersuchen.590 Diese müssen die Grenzen eines Mitgliedstaates überschreiten.591 Maßnahmen, die den Markteintritt erschweren oder zu einer Abschottung nationaler Märkte führen, sind grundsätzlich ausreichend.592 An einem zwischenstaatlichen Bezug fehlt es hingegen regelmäßig, wenn die Beschaffungsmärkte regional eng begrenzt sind und auch die Marktgegenseite regional tätig ist.593 Die Zwischenstaatlichkeitsklausel weist jedoch keine nachfragespezifischen Besonderheiten auf, weshalb eine vertiefte Auseinandersetzung hier nicht erfolgen soll.

G. Ergebnis zur Erfassung von Nachfragemachtmissbrauch durch Art. 102 AEUV Eine Verhaltenskontrolle von Unternehmen mit Nachfragemacht erfolgt nach europäischem Kartellrecht allein anhand des Art. 102 AEUV. Normadressaten des Missbrauchsverbots sind dabei nicht nur Nachfrager mit horizontaler Marktmacht, sondern auch solche, die für die Marktgegenseite einen unverzichtbaren Handelspartner im Sinne eines „partenaire obligatoire“ darstellen. Die Erweiterung der Normadressatenstellung hat für die hier diskutierten Fälle des Preismissbrauchs jedoch theoretische Bedeutung. Kampfpreisüberbietungen lassen sich nur von Nachfragern durchführen, die unmittelbaren Einfluss auf den Marktpreis ausüben können und damit auch über horizontale Monopsonmacht verfügen. Die Möglichkeit zu unabhängigen Verhalten allein gegenüber der Marktgegenseite genügt hierfür nicht. Zwar können unverzichtbare Nachfrager die Anbieter ausbeuten und damit gegen Art. 102 lit. a) AEUV verstoßen, jedoch ist eine Preishöhenkontrolle wenig praktikabel und nur in Ausnahmefällen anwendbar. 590

Weiß, in: Calliess/Ruffert, Art. 102 AEUV, Rdnr. 70. Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 AEUV, 50. EL Mai 2013, Rdnr. 360. 592 In dem Verfahren gegen British Airways hat die Kommission den zwischenstaatlichen Bezug aus der Abschottungswirkung der Bonusregelungen abgeleitet, mit denen British Airways seine Stellung als marktbeherrschender Nachfrager nach Flugvermittlungsdienstleistungen abgesichert hat, und zudem berücksichtigt, dass viele Flugleistungen grenzüberschreitend erfolgen. Auch der nachgelagerte Markt für Flugleistungen ist daher von der Kommission beachtet worden, Kommission, Entscheidung vom 14. Juli 1999 – IV/D-2/34.780 (K(1999 1973), ABl. 2000 L 30/1 (Tz. 112 f.), Virgin/British Airways. 593 Im Bereich des Lebensmittelhandels ist der Anwendungsbereich des Art. 102 AEUV daher auf flächendeckend tätige Handelsunternehmen beschränkt, Schulze, S. 256. Im Hinblick auf die zumindest nationale Abgrenzung des Beschaffungsmarktes kommen jedoch sowieso nur solche Unternehmen als Normadressaten in Betracht. 591

4. Teil

US-amerikanisches Kartellrecht Die kartellrechtliche Kontrolle von Einzelunternehmen erfolgt im US-amerikanischen Kartellrecht in erster Linie anhand des Monopolisierungsverbots des Section 2 Sherman Act. Zudem enthält der Clayton Act, ergänzt durch den Robinson-Patman-Act (RPA), ein Diskriminierungsverbot, welches in Section 2(f) ein nachfragespezifisches Verbot enthält und daher ebenfalls behandelt wird. Da die Regelungen des Federal Trade Commission Act von 1914 weitgehend mit den Sherman und Clayton Acts übereinstimmen, soll auf eine gesonderte Darstellung ebenso verzichtet werden wie auf eine Berücksichtigung von Sondergesetzen für bestimmte Industrien.594

A. Monopsonisierung nach Section 2 Sherman Act Die wichtigste Vorschrift im US-amerikanischen Kartellrecht gegen einseitiges Verhalten ist Section 2 Sherman Act.595 Der entscheidende Absatz lautet: „Every person who shall monopolize, or attempt to monopolize, or combine or conspire with any other person or persons, to monopolize any part of the trade or commerce among the several States, or with foreign nations, shall be deemed guilty of a felony […].“596

Missbräuche von Marktmacht werden durch Section 2 Sherman Act nicht nur im Hinblick auf die angebotsseitige Monopolisierung erfasst, sondern auch im Hinblick auf die Monopolisierung von Beschaffungsmärkten, die auch als Monopsonisierung bezeichnet wird.597 594 Zu nennen ist dabei insbesondere der sehr spezielle Packer & Stockyards Act (PSA, 7 U.S.C. § 192 [2000]) im Agrarsektor, der auf Nachfragemachtkonstellationen anwendbar ist. Zum PSA ausführlich im Hinblick auf Nachfragemacht, Taylor, 53 Antitrust Bull. 455 (2008). 595 Elhauge, S. 178. Die Bedeutung von Section 2 Sherman Act beruht auch darauf, dass private Parteien bei einer Verletzung mitunter sehr hohe Schadenersatzbeträge erstreiten können. Diese Möglichkeit ist jedoch zugleich Ursache für die sehr restriktive Entscheidungspraxis der Kartellbehörden. 596 15 U.S.C. § 2. 597 Roberta Todd v. Exxon Corp., 275 F.3d 191, 201 (2nd Cir. 2001): „The Sherman Act, however, also applies to abuse of market power on the buyer side – often taking the form of monopsony or oligopsony.“ Ein Überblick zu Entscheidungen des Supreme Courts mit Bezug zu Beschaffungsmärkten findet sich bei Rosenfelt, 20 Loy. Consumer L. Rev. 402, 404 (2008) und bei Naughton, 18 Antitrust 81, 84 ff. (2004).

132

4. Teil: US-amerikanisches Kartellrecht

Der Tatbestand der Monopolisierung hat nach ständiger Rechtsprechung des U.S. Supreme Court zwei Elemente, die üblicherweise als Monopolmacht auf einem bestimmten Markt und als wettbewerbsbeschränkendes oder -ausschließendes Verhalten umschrieben werden.598 Die Prüfung der Monopolmacht auf einem bestimmten Markt erfolgt dabei ebenfalls zweistufig.599 Während auf einer ersten Stufe der Markt in sachlicher und räumlicher Hinsicht abgegrenzt wird, erfolgt auf zweiter Stufe die Feststellung, ob Marktmacht im Sinne von Monopol- bzw. Monopsonmacht vorliegt. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden im Folgenden daher, wie bereits zum deutschen und europäischen Recht, zunächst die Marktabgrenzung, dann die Marktmacht und schließlich das wettbewerbsbeschränkende Verhalten behandelt.

I. Marktabgrenzung Da bei der Bestimmung von Monopolmacht in besonderem Maße auf Marktanteile zurückgegriffen wird, ist die korrekte Abgrenzung des relevanten Marktes auch in Verfahren nach Section 2 Sherman Act von essentieller Bedeutung.600 Dies hat auch der Supreme Court mehrfach betont: „In § 2 cases, the search for ,the relevant market‘ must be undertaken and pursued with relentless clarity.“601

In Monopsonisierungsfällen ist der abzugrenzende Markt nicht der, auf dem Anbieter um Nachfrager konkurrieren, sondern vielmehr der Beschaffungsmarkt, auf dem sich Nachfrager im Wettbewerb miteinander befinden.602 Im Mittelpunkt muss dabei stehen, ob und wo Verkäufer alternative Abnehmer finden können.603

598 United States v. Grinnel Corp., 384 U.S. 563, 570 f. (1966): „The offense of monopoly under § 2 of the Sherman Act has two elements: (1) the possession of monopoly power in the relevant market and (2) the willfull acquisition or maintenance of that power as distinguished from growth or development as a consequence of a superior product, business acumen, or historic accident.“ 599 Areeda/Solow/Hovenkamp, Antitrust Law Band 2B, Rdnr. 575: „Monopsony power can be estimated in the conventional antitrust way by defining a relevant buyers’ market and then estimating the defendant’s share of it.“; ebenso Blair/Harrison, S. 217. 600 Walker Process Equipment, Inc v. Food Machinery and Chemical Corp, 382 U.S. 172, 177 (1965): „Without a definition of that market there is no way to measure Food Machinery’s ability to lessen or destroy competition.“; siehe auch Elhauge, S. 192; Evans, in: Research Handbook on the Economics of Antitrust Law, 53; Melischek, S. 31. 601 United States v. Grinnel Corp., 384 U.S. 563, 587 (1966), Justice Fortas dissenting. 602 Roberta Todd v. Exxon Corp., 275 F.3d 191, 202 (2nd Cir. 2001): „In such a case, ,the market is not the market of competing sellers but of competing buyers. This market is comprised of buyers who are seen by sellers as being reasonably good substitutes.‘“ 603 Carstensen, 53 Antitrust Bull. 2008, 271 (277): „The focus must necessarily be on whether and where the seller can turn to find buyers in both a geographic and product sense.“

A. Monopsonisierung nach Section 2 Sherman Act

133

Während die Abgrenzung von Angebotsmärkten maßgeblich durch Entscheidungen des U.S. Supreme Court geprägt wurde,604 fehlt es an höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Abgrenzung von Beschaffungsmärkten. Auch in der US-amerikanischen Kartellrechtsliteratur wird die Abgrenzung von Beschaffungsmärkten regelmäßig nicht gesondert thematisiert.605 Im Hinblick auf die grundsätzliche Gleichstellung von Monopol und Monopson in Fällen nach Section 2 Sherman Act müssen für die Abgrenzung von Beschaffungsmärkten die für Angebotsmärkte aufgestellten Prinzipien spiegelbildlich Anwendung finden.606 Im Folgenden soll daher zunächst die Rechtslage zur Abgrenzung von Angebotsmärkten dargestellt werden. Danach werden die Prinzipien der Angebotsmarktabgrenzung dann spiegelbildlich auf die Abgrenzung von Beschaffungsmärkten übertragen. 1. Methodik der Abgrenzung von Angebotsmärkten Im US-amerikanischen Kartellrecht wird bei der Abgrenzung von Angebotsmärkten unterschieden zwischen der sachlichen Marktabgrenzung, die den Produktmarkt bestimmt, und der räumlichen Marktabgrenzung. a) Sachlicher Markt Auf Angebotsmärkten erfolgt auch in Monopolisierungsfällen nach Section 2 Sherman Act die Abgrenzung im Wesentlichen anhand der Austauschbarkeit des Wirtschaftsgutes aus der Sicht der Marktgegenseite.607 Entscheidend ist, ob ein bestimmtes Gut ein angemessenes Substitut für das Gut des vermeintlichen Monopolisten ist.608 Hierzu hat der Supreme Court in der Leitentscheidung zur Marktabgrenzung bereits 1956 ausgeführt: „In considering what is the relevant market for determining the control of price and competition, no more definite rule can be declared than that commodities reasonably interchangeable by consumers for the same purposes make up that ,part of the trade or commerce‘ monopolization of which may be illegal.“609

604 Insbesondere United States v. E.I. du Pont de Nemours & Co., 351 U.S. 377 (1956); Brown Shoe Co., Inc v. United States, 370 U.S. 294 (1962); United States v. Grinnel Corp., 384 U.S. 563 (1966). 605 Statt vieler Broder, S. 87 ff.; Elhauge, S. 183 ff. 606 So im Hinblick auf die Marktabgrenzung Roberta Todd v. Exxon Corp., 275 F.3d 191, 202 (2nd Cir. 2001): Gerügt wurde vom Second Circuit, dass „the district court’s ,equation‘ is not a complete ,mirror image‘ of the traditional seller-side market analysis.“ Im Umkehrschluss ergibt sich daraus die Notwendigkeit der exakt spiegelbildlichen Betrachtungsweise von Beschaffungsmärkten. 607 Broder, S. 87; Wurmnest, S. 333 ff. 608 Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3B, Rdnr. 802b; Sagers, S. 70. 609 United States v. E.I. du Pont de Nemours & Co., 351 U.S. 377, 395 (1956).

134

4. Teil: US-amerikanisches Kartellrecht

Aus dem Wechselverhalten der Nachfrager leitete der Supreme Court im Fall E.I. du Pont de Nemours im Jahre 1956 eine hohe Kreuzpreiselastizität der Nachfrage ab,610 was zu einem außerordentlich weiten Markt führte, der andere flexible Verpackungsmaterialien ebenfalls erfasste. Dies führte im Ergebnis zu einem niedrigen Marktanteil des beklagten Unternehmens. Nicht beachtet hat die Mehrheitsmeinung des Supreme Court dabei, dass der Preis von Cellophan bereits erheblich über dem Preis lag, der sich unter Wettbewerbsbedingungen gebildet hätte, was zu einer vielfach kritisierten Marktabgrenzung aufgrund des sogenannten Cellophan-Trugschlusses führte.611 Diese starke Fokussierung auf die Kreuzpreiselastizität der Nachfrage wurde jedoch bereits in der Rechtssache Brown Shoe 1962 relativiert: „The boundaries of such a submarket may be determined by examining such practical indicia as industry or public recognition of the submarket as a separate economic entity, the product’s peculiar characteristics and uses, unique production facilities, distinct customers, distinct prices, sensitivity to price changes, and specialized vendors.“612

Damit hat der Supreme Court klargestellt, dass es für die Marktabgrenzung auf eine Gesamtschau des Marktgeschehens ankommt, die Kreuzpreiselastizität der Nachfrage nicht allein maßgeblich ist, sondern vielmehr neben den Bedürfnissen der Nachfrager auch die jeweiligen Wettbewerbsbedingungen berücksichtigt werden müssen.613 Bei der Ermittlung der Austauschbarkeit greifen die Gerichte nunmehr auf eine Kombination aus ökonomischer Theorie, empirischen Daten und pragmatische Erwägungen zurück.614 Ergänzend werden zudem unter gewissen Umständen marktnahe Akteure berücksichtigt. 610 „If a slight decrease in the price of cellophane causes a considerable number of customers of other flexible wrappings to switch to cellophane, it would be an indication that a high cross-elasticity of demand exists between them; that the products compete in the same market.“ – United States v. E.I. du Pont de Nemours & Co., 351 U.S. 377, 400 (1956). Auch wenn der Fall du Pont gewöhnlich als Leitentscheidung zur Marktabgrenzung und Kreuzpreiselastizität angesehen wird, wird das Konzept der Kreuzpreiselastizität der Nachfrage bereits im Urteil TimesPicanyune Pub. Co. v. United States, 345 U.S. 594, 612 Fn. 32 (1953) erwähnt. 611 United States v. E.I. du Pont de Nemours & Co., 351 U.S. 377, 395 ff. (1956). Als cellophane fallacy wurde das Ergebnis der Marktabgrenzung der Mehrheitsmeinung berühmt; die dem Ergebnis zu Grunde liegenden Prinzipien sind jedoch noch immer Leitlinien der Marktabgrenzung im US-amerikanischen Antitrust-Recht. Zur cellophane fallacy bereits vor dem Urteil des Supreme Court vgl. Stocking/Mueller, 45 Am. Econ. Rev. 29 (1955). Aufschlussreich sind insbesondere die Ausführungen von Chief Justice Warren in seiner Minderheitsmeinung United States v. E.I. du Pont de Nemours & Co., 351 U.S. 377, 414 (1956), und die Darstellung bei Lenßen, S. 222 ff. und Werden, 76 Marq. L. Rev. 1992, 123 (138 f.). 612 Brown Shoe Co., Inc v. United States, 370 U.S. 294, 325 (1962). Auch wenn die Entscheidung einen Zusammenschlussfall betraf, gelten die Ausführungen zumindest seit der Leitentscheidung Grinnel auch für Fälle nach Section 2 Sherman Act: „We see no reason to differentiate between ,line‘ of commerce in the context of the Clayton Act and ,part‘ of commerce for purposes of the Sherman Act“ – United States v. Grinnel Corp., 384 U.S. 563, 573 (1966); Werden, 76 Marq. L. Rev. 123, 166 m.w.N. (1992). 613 Wurmnest, S. 298 – 299. 614 Sagers, S. 70.

A. Monopsonisierung nach Section 2 Sherman Act

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Als ökonomie-theoretische Grundlage spielt dabei die Kreuzpreiselastizität der Nachfrage trotz ihrer Defizite noch immer eine wichtige Rolle.615 Zur Ermittlung der Kreuspreiselastizität der Nachfrage wird insbesondere auf den hypothetischen Monopol-Test/SSNIP-Test zurückgegriffen.616 Führt eine geringe Preiszunahme zu einer Abwanderung der Nachfrage auf andere Produkte, so besteht zwischen diesen Produkten tendenziell ein hoher Grad der Austauschbarkeit.617 Die Aussagekraft über die Substitutionsfähigkeit von Gütern anhand der Kreuzpreiselastizität ist jedoch erheblich eingeschränkt, wenn der Ausgangspreis nicht dem Wettbewerbspreis entspricht, wie im Fall E.I. du Pont de Nemours. Ein Gut wird eine höhere Kreuzpreiselastizität zu anderen Gütern aufweisen, sofern der Monopolist den Preis bereits auf ein bestimmtes, suprakompetitives Niveau angehoben hat. Daraus lässt sich jedoch nicht auf die Austauschbarkeit unter Wettbewerbsbedingungen schließen, welche allein für die kartellrechtliche Marktabgrenzung relevant ist. Als Ausgangspreis für die Beurteilung der Kreuzpreiselastizität muss daher ein dem Wettbewerbspreis angenäherter Preis dienen.618 Pragmatisch fragen die Gerichte, inwieweit Nachfrager in subjektiver Hinsicht Produkte für austauschbar erachten.619 Dabei kommt es entscheidend darauf an, wie unterschiedlich die Produkte im Hinblick auf ihre Eigenschaften und ihren Verwendungszweck sind.620 Dafür wird verstärkt auch auf empirische Daten zurückgegriffen. Im Detail hat sich der Supreme Court in der Entscheidung Grinnel621 mit der Frage der subjektiven Austauschbarkeit beschäftigt. Zu entscheiden war, inwieweit unterschiedliche Sicherheitssysteme miteinander im Wettbewerb stehen. Obwohl der Supreme Court einen grundsätzlich einheitlichen Zweck – „the protection of property“622 – angenommen hat, hat er unterschiedliche Märkte für von Versicherungen zertifizierte und nicht zertifizierte Alarmsysteme und damit enge

615 United States v. E.I. du Pont de Nemours & Co., 351 U.S. 377, 394 ff. (1956); Elhauge, S. 192. 616 Dazu ausführlich oben 3. Teil B. I. 1. 617 Elhauge, S. 192; Sagers, S. 71; ursprünglich noch anders herum argumentiert der Supreme Court in United States v. E.I. du Pont de Nemours & Co., 351 U.S. 377, 400 (1956). „If a slight decrease in the price of cellophane causes a considerable number of customers of other flexible wrappings to switch to cellophane, it would be an indication that a high cross-elasticity of demand exists between them; that the products compete in the same market.“ 618 Dobson Consulting, Buyer power and its impact on competition in the food retail distribution sector of the European Union, S. 30; Sagers, S. 72. 619 United States v. Grinnel Corp., 384 U.S. 563, 572 ff. (1966); Sagers, S. 70. 620 United States v. E.I. du Pont de Nemours & Co., 351 U.S. 377, 393 (1956): „Determination of the competitive market for commodities depends on how different from one another are the offered commodities in character or use, how far buyers will go to substitute one commodity for another.“ 621 United States v. Grinnel Corp., 384 U.S. 563 (1966). 622 United States v. Grinnel Corp., 384 U.S. 563, 572 (1966).

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Teilmärkte angenommen.623 Auch wenn das Ergebnis des Supreme Court auf Kritik gestoßen ist,624 stellen die zu Grunde gelegten Prinzipien noch immer die Grundlage der Marktabgrenzung dar. Es kommt daher oft zu relativ engen Teilmärkten. Schließlich wird auch im US-amerikanischen Kartellrecht bei der Abgrenzung von Angebotsmärkten ergänzend die Angebotsumstellungsflexibilität marktnaher Anbieter berücksichtigt, wenn von diesen ein nicht unerheblicher Wettbewerbsdruck ausgeht. Hier waren die Gerichte bisher jedoch außerordentlich streng und haben eine Erweiterung des Produktmarktes nur angenommen, wenn die Anbieter bereits sehr ähnliche Produkte führen und über vergleichbare Produktions- und Absatzmöglichkeiten verfügen.625 b) Räumlicher Markt Ziel der räumlichen Marktabgrenzung im Monopolisierungsverfahren nach Section 2 Sherman Act ist es zu ermitteln, in welchem Gebiet die Anbieter miteinander im Wettbewerb stehen, wie weit sich die area of effective competition erstreckt. „[T]he area of effective competition in the known line of commerce must be charted by careful selection of the market area in which the seller operates, and to which the purchaser can practicably turn for supplies.“626

Entscheidend ist dabei ebenfalls die Sicht der Marktgegenseite. Der räumliche Markt entspricht daher grundsätzlich der Region, in welcher der Nachfrager seinen Bedarf deckt und die Angebote von Anbietern als austauschbar erachtet.627 Daneben ist auch die Reichweite des Angebots der Anbieter zu berücksichtigen. Von besonderer Bedeutung sind somit Mobilität der Abnehmer und Transportkosten der Anbieter. Zur Bestimmung der räumlichen Ausweichmöglichkeiten der Abnehmer kann ebenfalls auf den hypothetischen Monopolistentest zurückgegriffen werden.628 Im Ergebnis kann dies zu lokal, regional, national oder international abzugrenzenden Märkten führen.629

623 United States v. Grinnel Corp., 384 U.S. 563, 574 (1966): „What defendants overlook is that the high degree of differentiation […] means that, for many customers, only central station protection will do.“; United States v. Grinnel Corp., 384 U.S. 563, 575 (1966): „The accredited, as distinguished from nonaccredited, service is a relevant part of commerce.“ 624 United States v. Grinnel Corp., 384 U.S. 563, 590 ff. (1966), Justice Fortas dissenting; Wurmnest, S. 299 f. 625 Wurmnest, S. 308 f. 626 Tampa Elec. Co. v. Nashville Coal Co., 365 U.S. 320, 327 (1961). 627 United States v. Grinnel Corp., 384 U.S. 563, 588 (1966), Justice Fortas dissenting: „The purpose of the search for the relevant geographical market is to find the area or areas to which a potential buyer may rationally look for the goods or services that he seeks.“ 628 Sagers, S. 69, 74. 629 Joliet, S. 80 f.

A. Monopsonisierung nach Section 2 Sherman Act

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2. Übertragung auf Beschaffungsmärkte Die Abgrenzung von Beschaffungsmärkten erfolgt spiegelbildlich zur Abgrenzung von Angebotsmärkten. Eine Übertragung der zuvor dargestellten Methodik bedeutet zunächst, dass auch für die Abgrenzung von Beschaffungsmärkten eine Gesamtschau des Marktgeschehens und der auf dem Beschaffungsmarkt vorherrschenden Wettbewerbsbedingungen erforderlich ist. Entscheidend sind dabei die Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite, also der Anbieter.630 Dabei steht nicht die Abgrenzung bestimmter Produkte, sondern die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Einkäufer aus Sicht des Anbieters im Vordergrund.631 Die Bezeichnung eines Produktmarktes ist daher ungenau, weshalb im Folgenden vom sachlichen Markt gesprochen wird. Der Beschaffungsmarkt setzt sich somit zusammen aus denjenigen Nachfragern, die von der Marktgegenseite, also den Anbietern, als „resonably good substitutes“ angesehen werden.632 a) Sachlicher Markt Ziel der sachlichen Marktabgrenzung ist es, zu ermitteln, welche Nachfrager miteinander konkurrieren. Ausgangspunkt der Marktabgrenzung ist dabei die Marktgegenseite. Die unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten eines Wirtschaftsgutes bestimmen dabei, welche Nachfrager von den Anbietern bedient werden können und im Wettbewerb um das Gut stehen.633 Diese Nachfrager stellen schließlich für den Anbieter Ausweichmöglichkeiten dar und sind grundsätzlich miteinander austauschbar. Ob Nachfrager Ausweichmöglichkeiten für die Marktgegenseite darstellen, ist ebenfalls anhand ökonomischer Konzepte, empirischer Daten und pragmatischer Erwägungen zu ermitteln. Auch eine ergänzende Berücksichtigung marktnaher Akteure ist nicht prinzipiell ausgeschlossen. aa) Ökonomische Theorie Als Gegenstück zur Kreuzpreiselastizität der Nachfrage bei der Abgrenzung von Angebotsmärkten kann auch bei der Beschaffungsmarktabgrenzung auf die Kreuzpreiselastizität des Angebots zurückgegriffen werden.634 Diese kann anhand eines hypothetischen Monopsonistentests ermittelt werden.635 Auch wenn in bis630

Blair/Harrison, S. 62; Carstensen, 14 U. Pa. J. Bus. L. 775, 811 (2012). Vgl. Roberta Todd v. Exxon Corp., 275 F.3d 191, 202 (2nd Cir. 2001). 632 Roberta Todd v. Exxon Corp., 275 F.3d 191, 202 (2nd Cir. 2001). 633 Blair/Harrison, S. 62. 634 Vgl. Areeda/Solow/Hovenkamp, Antitrust Law Band 2B, Rdnr. 575. 635 Blair/Harrison, S. 63. Im Fall Weyerhaeuser haben weder der Court of Appeals noch der Supreme Court die Marktabgrenzung näher thematisiert. Ein ökonometrischer Test zur Ermittlung der Marktgrenzen ist daher gänzlich unterblieben. Dies ist im Hinblick auf den hohen 631

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herigen Entscheidungen zu Section 2 Sherman Act noch nicht angewandt, ist ein solches Verfahren zumindest in Zusammenschlussfällen, die im Verdacht standen, ein Monopson zu begründen, berücksichtigt worden.636 Auch die Federal Trade Commission weist bei der Abgrenzung von Beschaffungsmärkten in Zusammenschlussfällen in den im Jahre 2010 aktualisierten Horizontal Merger Guidelines auf dieses Verfahren hin und führt dort aus: „In defining relevant markets, the Agencies focus on the alternatives available to sellers in the face of a decrease in the price paid by a hypothetical monopsonist.“637

Die mit der Anwendung eines SSNDP-Tests verbundenen Schwierigkeiten sind bereits eingehend dargestellt worden und gelten für das US-amerikanische wie für das Europäische Kartellrecht gleichermaßen.638 Schlüsse auf mögliche Substitutionsverhältnisse lassen sich nur ziehen, wenn der Ausgangspreis dem Wettbewerbspreis entspricht. Bei Produkten, deren Grenzkostenkurve fallend ist, ist ein Rückgriff schwer möglich. bb) Pragmatische Erwägungen und empirische Daten Während auf Angebotsmärkten die Eigenschaften des Produkts und die Verwendungsmöglichkeiten durch Verbraucher zu berücksichtigen sind, sind bei Beschaffungsmärkten spiegelbildlich die Interessen der Anbieter maßgeblich. Maßgeblich ist damit primär das Interesse der Unternehmen an dem Absatz von Waren. Sofern den zu berücksichtigenden Interessen durch eine Produktionsumstellung oder eine Änderung des Absatzweges ausreichend Rechnung getragen wird, sind die dadurch erreichbaren Nachfrager Teil des relevanten Beschaffungsmarktes.639 Für die Beurteilung der Produktionsumstellungsflexibilität ist die tatsächliche Kapazität der Anbieter, ohne unzumutbare Verzögerungen, Risiken oder Kosten alternative Nachfrager zu beliefern, von besonderer Bedeutung.640 Die Umstellungsflexibilität kann dabei anhand von Erhebungen ermittelt werden. Bei hochspezialisierten Produkten ist der Beschaffungsmarkt regelmäßig sehr eng abzuErmittlungsaufwand, der mit solchen Tests einhergeht, jedoch nicht weiter verwunderlich. In Verfahren nach Section 2 Sherman Act steht die Marktabgrenzung regelmäßig nicht mehr im Vordergrund und auf die Durchführung umständlicher Testverfahren wird oftmals verzichtet, vgl. Wurmnest, S. 305 f. 636 U.S. v. Syufy Enterprises, 712 F.Supp. 1386, 1397 ff. (N.D. Cal. 1989); Departement of Justice, Statement of the Department of Justice Antitrust Division on its Decision to Close its Investigation of Smithfield Inc.’s Acquisition of Premium Standard Farms Inc. (S. 2), ; Blair/Harrison, 76 Cornell L. Rev. 297, 325 f. (1991). 637 Federal Trade Commission, Horizontal Merger Guidelines, S. 32 – 33. 638 Siehe hierzu die Ausführungen zum europäischen Kartellrecht oben 3. Teil B. II. 1. b). 639 Dies entspricht einem spiegelbildlichen Bedarfsmarktkonzept. Vgl. zum deutschen und europäischen Recht oben 2. Teil A. I. 3. und 3. Teil B. II. 1. a). 640 Carstensen, 53 Antitrust Bull. 271, 278 (2008).

A. Monopsonisierung nach Section 2 Sherman Act

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grenzen.641 Wenn der Hersteller seine Produktion hingegen flexibel an die Bedürfnisse unterschiedlicher Abnehmer anpassen kann und keine Marktzutrittsschranken den Eintritt in andere Märkte erschweren, besteht ein gemeinsamer Beschaffungsmarkt für unterschiedliche Produkte und alle potentiellen Abnehmer.642 cc) Marktnahe Akteure Spiegelbildlich zur Berücksichtigung der Angebotsumstellungskapazität von Herstellern bei der Abgrenzung von Angebotsmärkten sind auch bei der Abgrenzung von Beschaffungsmärkten marktnahe Nachfrager bereits im Rahmen der Marktabgrenzung zu berücksichtigen, wenn von ihnen ein erheblicher Wettbewerbsdruck ausgeht. Für diese Nachfrager muss die Umstellung auf die Beschaffung der zuvor ermittelten Produktgruppe kurzfristig möglich und lukrativ sein, und die nachgefragte Menge muss zumindest ein solches Volumen erreichen, dass es für Anbieter eine zumutbare Absatzalternative darstellt.643 Wie bei der Abgrenzung von Angebotsmärkten dürften marktnahe Nachfrager auch auf Beschaffungsmärkten jedoch meist erst bei der Prüfung von Marktmacht Bedeutung erlangen. b) Räumlicher Markt Bei der Ermittlung des räumlichen Marktes ist das Gebiet zu ermitteln, in welchem die Marktgegenseite wettbewerbsfähig Waren anbieten kann und unterschiedliche Nachfrager als Konkurrenten erreicht. Um dieses Gebiet zu ermitteln, sind im besonderen Maße Transportrisiken und -kosten der Anbieter zu berücksichtigen.644 Auch rechtliche Beschränkungen können für die räumliche Marktabgrenzung maßgeblich sein.645 Im Fall Weyerhaeuser wurde der räumliche Beschaffungsmarkt aufgrund der hohen Transportkosten für unverarbeitete Baum-

641 Carstensen, 53 Antitrust Bull. 271, 289 (2008). Für die Verkäufer der unverarbeiteten Holzstämme im Fall Weyerhaeuser war die Produktumstellung aus faktischen Gründen unmöglich. Der Verkauf von Holz erfordert Anbau und Aufzucht großer Waldflächen und eine kurzfristige Umstellung auf anderes Holz oder andere Produkte ist wirtschaftlich, technisch und rechtlich kaum möglich. Produktionsumstellungsmöglichkeiten sind daher im Fall Weyerhaeuser nicht berücksichtigt worden, vgl. Ross-Simmons Hardwood Lumber Co. v. Weyerhaeuser Co., 411 F.3d 1030, 1043, Fn. 47 (9th Cir. 2005). 642 Carstensen, 14 U. Pa. J. Bus. L. 775, 811 (2012). 643 Carstensen, 53 Antitrust Bull. 271, 295 (2008). 644 Carstensen, 53 Antitrust Bull. 271, 278 (2008); Carstensen, 14 U. Pa. J. Bus. L.775, 812 (2012). Hierüber kann insbesondere auch das tatsächliche Marktgegeschen Aufschluss geben. Wenn Anbieter bereits vermehrt in andere Regionen liefern, spricht dies für einen einheitlichen räumlichen Markt, vgl. Blair/Harrison, S. 63. 645 So können beispielsweise die Zulassungsvoraussetzungen von genmanipulierten Getreidesorten den räumlichen Markt trotz geringer Transportkosten auf einen Staat beschränken, vgl. Carstensen, 14 U. Pa. J. Bus. L. 775, 813 (2012).

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stämme beispielsweise auf die Region Pacific-Northwest der USA begrenzt.646 Maßgeblich ist auch bei der räumlichen Marktabgrenzung, ob Anbieter bei einer Preisreduzierung Nachfrager in anderen Regionen beliefern können.647 Auch für die räumliche Marktabgrenzung kann daher auf den SSNDP-Test zurückgegriffen werden.648 3. Ergebnis zur Marktabgrenzung Die Abgrenzung von Beschaffungsmärkten ist in der bisherigen Kartellrechtspraxis kaum thematisiert worden. Die grundsätzliche Methodik zur Abgrenzung von Angebotsmärkten kann jedoch auch auf Beschaffungsmärkte angewandt werden. Ausgangspunkt der Marktabgrenzung müssen stets die Ausweichmöglichkeiten der Marktgegenseite sein. Die Ausweichmöglichkeiten gilt es anhand ökonomischer Konzepte, empirischer Daten und pragmatischer Erwägungen zu ermitteln. Die Schwierigkeiten, die sich insbesondere bei der Berücksichtigung von Kreuzpreiselastizitäten und der Anwendung eines SSNDP-Tests bei der Marktabgrenzung ergeben, bestehen für Angebots- wie für Beschaffungsmärkte gleichermaßen. Zu beachten ist weiterhin, dass trotz spiegelbildlicher Anwendung der Angebotsmarkt mit dem Beschaffungsmarkt weder sachlich noch räumlich deckungsgleich sein muss.649

II. Monopsonmacht 1. Methodik zur Bestimmung von Monopsonmacht Die Monopolisierung von Beschaffungsmärkten nach Section 2 Sherman Act setzt weiterhin Monopol- bzw. Monopsonmacht auf dem zuvor abgegrenzten Markt voraus.650 Explizit hat sich der Supreme Court bisher nicht mit den Voraussetzungen von Monopsonmacht auseinander gesetzt. Jedoch nimmt er eine „close theoretical connection between monopoly and monopsony“651 an und leitet es dieser Ähnlichkeit ab, dass „similar legal standards […] apply to claims of monopolization and to 646 Ross-Simmons Hardwood Lumber Co. v. Weyerhaeuser Co., 411 F.3d 1030, 1043, Fn. 47 (9th Cir. 2005). 647 Blair/Harrison, S. 62. 648 Vgl. für einen Zusammenschlussfall, Department of Justice, Statement of the Department of Justice Antitrust Division on its Decision to Close its Investigation of Smithfield Inc.’s Acquistion of Premium Standard Farms Inc. (S. 2), . 649 Carstensen, 14 U. Pa. J. Bus. L. 775, 813 (2012). 650 Der kartellrechtliche Begriff der Monopolmacht ist dabei nicht gleichzusetzem mit dem ökonomischen Monopolverständnis. Ein Monopolist im kartellrechtlichen Sinne wird im ökonomischen Sprachgebrauch vielmehr als dominantes Unternehmen bezeichnet, vgl. Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3B, Rdnr. 801. 651 Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber Co., 549 U.S. 312, 321 (2007).

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claims of monopsonization.“652 Dazu führt das Gericht weiter aus, dass eine asymmetrische Behandlung von Monopol und Monopson einer ökonomischen Grundlage entbehre.653 Monopsonmacht ist daher für den Beschaffungsmarkt, was Monopolmacht für den Angebotsmarkt ist.654 Die für die Feststellung von Monopolmacht entwickelten Grundsätze gelten nach Ansicht des Supreme Court daher uneingeschränkt auch für das Monopson.655 Regelmäßig findet nicht einmal eine genaue sprachliche Unterscheidung zwischen Monopol und Monopson statt und das Monopson wird oft schlicht als Nachfragemonopol bezeichnet.656 Die Anwendung der für Angebotsmacht entwickelten Grundsätze erfolgt daher gleichermaßen auf Nachfragemachtkonstellationen. Monopolmacht wiederum wird vom Supreme Court definiert als „the power to control prices or exclude competition.“657 Maßgeblich für die Feststellung, ob ein Nachfrager auf dem zuvor abgegrenzten Markt Monopsonmacht besitzt, ist folglich die Fähigkeit des Unternehmens, die (Einkaufs-)Preise einseitig zu bestimmen oder Konkurrenten vom Wettbewerb auszuschließen. Die Fähigkeit zu einem solchen Verhalten wird jedoch nicht aus bestimmten Marktverhaltensmerkmalen hergeleitet, sondern vielmehr anhand der Marktstruktur mittels des sogenannten market share proxy-Tests. Dieses auf den Marktanteil als absolut entscheidendes Kriterium abstellende Verfahren ist auch für die Feststellung von Marktmacht von Nachfragern anwendbar.658 Anhand einer Analyse der Marktanteile ist somit zu ermitteln, ob das Unternehmen über „substantial market power“ auf dem zuvor angegrenzten Beschaffungsmarkt verfügt. 652

Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber Co., 549 U.S. 312, 322 (2007). Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber Co., 549 U.S. 312, 322 (2007), zitiert Noll, 72 Antitrust L.J. 588, 591 (2005): „Because asymmetric treatment of monopoly and monopsony has no basis in economic analysis, tolerance of anticompetitive behavior on the demand side of the market must rely on arguments about distributive justice.“ 654 Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber Co., 549 U.S. 312, 320 (2007); Hammer/Sage, 71 Antitrust L.J. 949, 963 (2004). 655 Da diese, anders als im Rahmen der Marktabgrenzung, nicht spiegelbildlich herangezogen werden müssen, gestaltet sich die Übertragung deutlich einfacher und eine vorherige Auseinandersetzung mit Monopolmacht auf Angebotsmärkten ist entbehrlich. 656 Ebenso findet keine Unterscheidung zwischen den Begriffen market power und monopoly power statt. Vielmehr werden sie, insbesondere auch vom Supreme Court, synonym verwendet. Siehe auch Krattenmaker/Lande/Salop, 76 Geo. L.J. 241, 246 (1987 – 1988). 657 United States v. E.I. du Pont de Nemours & Co., 351 U.S. 377, 391 (1956); United States v. Grinnel Corp., 384 U.S. 563, 571 (1966); Krattenmaker/Lande/Salop, 76 Geo. L.J. 241, 249 (1987 – 1988): „The core concept underlying the notion of market power or monopoly power is a firm’s ability to increase profits and to harm consumers by charging prices above competitive levels.“ 658 Piraino, 56 Hastings L.J. 1121, 1125 (2005). Der Heranziehung eines identischen Verfahrens zu Ermittlung von Marktmacht auf Beschaffungsmärkten hat sich die Federal Trade Commission zumindest im Hinblick auf Zusammenschlussfälle ebenfalls ausdrücklich angeschlossen Federal Trade Commission, Horizontal Merger Guidelines, S. 32 f.: „To evaluate […] market power on the buying side of the market, the Agencies employ essentially the framework […] for evaluating […] market power on the selling side of the market.“ 653

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2. Marktanteil und Monopsonmacht Hat das Unternehmen „substantial market power“, so ist es einer Verhaltenskontrolle nach Section 2 Sherman Act unterworfen.659 Der erforderliche Grad an Marktmacht hängt davon ab, welches wettbewerbswidrige Verhalten dem beklagten Unternehmen zur Last gelegt wird. Vielmehr ist ein genereller Standard für das notwendige Machtniveau anzulegen.660 Die Feststellung von Monopolmacht erfolgt theoretisch auch im US-amerikanischen Kartellrecht anhand von Struktur- und Verhaltensmerkmalen.661 Praktisch ist die Höhe des Marktanteils, in Verbindung mit dem Bestehen von Marktzutrittsschranken, das absolut entscheidende Kriterium.662 Die Frage, ab welchem Marktanteil Monopol- oder Monopsonmacht prima facie angenommen werden kann, ist gerichtlich nie abschließend geklärt worden.663 Ein Marktanteil von 90 Prozent oder mehr wird jedoch grundsätzlich ausreichend sein.664 Bei geringeren Marktanteilen ist auch nach US-amerikanischem Kartellrecht eine umfassendere Abwägung vorzunehmen.665 Bei Marktanteilen oberhalb von 70 bis 75 Prozent über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren und ausreichenden Marktzutrittsschranken spricht nach Ansicht des Schrifttums ebenfalls vieles für die Annahme substantieller Marktmacht. Marktanteile unterhalb von 50 Prozent sollen hingegen für die Annahme von Monopol- oder Monopsonmacht nicht ausreichen.666 Diese Schwelle beruht auf der Annahme, dass ein so kleiner Anbieter die Preise nicht lukrativ anheben und den Output reduzieren kann.667 Auch wenn in der Wissenschaft ein erhöhter Preissetzungsspielraum von Nachfragern und damit Monopsonmacht teilweise schon bei geringeren Marktanteilen von 40 bis 50 Prozent angenommen wird,668 ist im Hinblick auf die sehr restriktive Entscheidungspraxis zur Monopolisierung eine Aufweichung dieser hohen Schwellenwerte nicht zu erwarten. Bereits die erforderliche Höhe der Marktanteile 659

Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3B, Rdnr. 801. Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3B, Rdnr. 802e. 661 Elsing, S. 206 f.; Schmidt, S. 221. 662 Siehe Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3B, Rdnr. 801a, die auch ausführlich auf alternative Konzepte zur Messung von Marktmacht eingehen, wie bspw. den Lerner-Index, diese jedoch aus praktischen Erwägungen als ungeeignet für die Kartellrechtspraxis abtun. Ähnlich Elhauge, S. 192 und Schmidt, S. 221. Kritisch hingegen Evans, in: Research Handbook on the Economics of Antitrust Law, 53 (67 f.). Die Konzentration ist in erster Linie in Zusammenschlussfällen nach Clayton Act Section 7 von Bedeutung, Blair, 55 Antitrust Bull. 689, 691 ff. m.w.N. (2010); Sagers, S. 77. 663 Broder, S. 90. 664 United States v. Aluminum Co. of America, 148 F.2d 416, 425 (2d Cir. 1945). 665 Broder, S. 90 f. 666 Vgl. Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3B, Rdnr. 801a. Bei Marktanteilen unter 50 Prozent werden antitrust claims regelmäßig „as a matter of law“ abgewiesen. 667 Sagers, S. 182 f. 668 Carstensen, 53 Antitrust Bull. 271, 315 (2008); Piraino, 56 Hastings L.J.1121, 1174 (2005); vgl. allgemein Lande, Market Power Without a Large Market Share, S. 2 ff. 660

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bedingt daher, dass auf einem Markt stets nur ein Unternehmen über für Section 2 Sherman Act ausreichende Marktmacht verfügen kann. Die Anforderungen an das notwendige Ausmaß an Marktmacht sind daher für die Monopolisierung sehr hoch und dürften nur in den wenigsten Fällen tatsächlich zu erfüllen sein. Neben der absoluten Höhe des Marktanteils werden Marktzutrittsschranken noch in einem besonderen Maße berücksichtigt, denn geringe Marktzutrittsschranken beschränken die Aussagekraft von Marktanteilen. Dies beruht auf der Annahme, dass auch bei hohen Marktanteilen das Fordern von suprakompetitiven Preisen schnell Konkurrenten zum Markteintritt bewegen wird, wenn die Marktzutrittsschranken gering sind.669 Neben dem Marktanteil und dem Ausmaß von Marktzutrittsschranken finden weitere Marktstruktur- und Marktverhaltensfaktoren lediglich ergänzend Berücksichtigung.670

III. Anticompetitive oder exclusionary conduct Neben dem Bestehen von Marktmacht auf einem abgegrenzten Markt setzt Section 2 Sherman Act weiter die „willful acquisition or maintenance of that power as distinguished from growth or development as a consequence of a superior product, business acumen, or historic accident“ voraus.671 Auch wenn die Formulierung „willful“ auf ein subjektives Element („intent“) hindeutet und in der deutschen Literatur regelmäßig von Monopolisierungsabsicht gesprochen wird,672 hat der Supreme Court mehrfach betont, dass damit kein unmittelbar subjektiver Vorsatz gemeint ist. Vielmehr schreibt der Supreme Court: „To read the passage as demanding any ,specific‘ intent makes nonsense of it, for no monopolist monopolizes unconscious of what he is doing.“673 Willful bedeutet damit nicht im subjektiven Sinne Vorsatz, sondern ist objektiv zu verstehen als Ziel des Unternehmens, das sich aus dem Verhalten am Markt herleiten lässt.674 Subjektiver Vorsatz wird in der Praxis jedoch dann berücksichtigt, wenn es um die Interpretation zweideutigen Verhaltens geht.675 Ausschlaggebend sind jedoch die objektive Beurteilung des Verhaltens und dessen Auswirkungen.676 669

Sagers, S. 75. Elsing, S. 207. 671 United States v. Grinnel Corp., 384 U.S. 563, 570 f. (1966). 672 Günther, S. 38 ff.; Schmidt, S. 207. 673 American Tobacco Co. v. United States, 328 U.S. 781, 814 (1946); so bereits United States v. Aluminum Co. of America, 148 F.2d 416, 432 (2d Cir. 1945). Auch im US-amerikanischen Schrifttum ist dies allgemeine Meinung, statt aller Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3B, Rdnr. 805a: „[I]t is in fact clear that no such showing of unlawful intent is necessary.“ 674 Vgl. Elhauge, S. 226: „[I]ts references to intent do not refer to subjective intent, but rather to the objective intent that can be inferred from the firm’s conduct.“; Hovenkamp, 61 Ohio St. L.J. 1035, 1037 f. (2000). 675 Elhauge, S. 226. 670

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4. Teil: US-amerikanisches Kartellrecht

Es müssen somit die Verhaltensweisen untersucht werden, mittels derer das Unternehmen Marktmacht erlangt, aufrechterhalten oder verstärkt hat.677 Erforderlich ist eine kausale Verbindung zwischen dem beanstandeten Verhalten und der Monopsonmacht.678 Nicht jedes Verhalten, welches zu einer Monopsonstellung geführt hat, ist schließlich nach Section 2 Sherman Act verboten.679 Vielmehr setzt ein Verstoß gegen Section 2 Sherman Act ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten voraus.680 Dieses Element soll den Interessenkonflikt lösen, dass Marktmacht einerseits sehr kritisch gesehen wird, es andererseits begrüßt wird, dass Unternehmen durch besonders innovative Produkte, große Effizienz und besonderen Erfolg im Wettbewerb ihre Stellung auf dem Markt verbessern.681 Das bloße Bestehen von Monopsonmacht reicht daher für einen Verstoß gegen das Monopolisierungsverbot nicht aus.682 Das hat der Supreme Court im Jahre 2003 erneut bestätigt: „To safeguard the incentive to innovate, the possession of monopoly power will not be found unlawful unless it is accompanied by an element of anticompetitive conduct.“683

Entscheidend ist somit, ob eine bestimmte Verhaltensweise als anticompetitive zu qualifizieren ist. Dies wird für ein Verhalten bejaht, „when it tends to exclude competition on some basis other than efficiency.“684 Wichtigstes Abgrenzungskriterium ist somit, ob durch eine bestimmte, nicht allein auf Effizienz beruhende Verhaltensweise Konkurrenten vom Markt ausgeschlossen werden.685 Während dies insbesondere auch durch vertikale und horizontale Vereinbarungen geschehen kann, woraus sich Überschneidungen mit dem Kartellverbot des Section 1 Sherman Act ergeben,686 sollen hier allein einseitige Verhaltensweisen untersucht werden.

676

Elhauge, S. 226. Wiedmann, S. 144. 678 Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3B, Rdnr. 806c. 679 Hovenkamp, 61 Ohio St. L.J. 1035, 1036 (2000); Salop, 72 Antitrust L.J. 669, 685 (2005). 680 Broder, S. 91. 681 Broder, S. 91. 682 Vgl. Hammer/Sage, 71 Antitrust L.J. 949, 957 (2004); Piraino, 56 Hastings L.J. 1121, 1172 (2005). 683 Verizon Communications, Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, L.L.P., 540 U.S. 398, 407 (2003). 684 Aspen Skiing Co. v. Aspen Highlands Skiing Corp., 472 U.S. 585, 605 (1985). 685 Standard Oil Co. of New Jersey v. United States, 224 U.S. 1, 75 (1911). („with the purpose of excluding others from the trade“); United States v. American Tobacco Co., 221 U.S. 106, 181 (1911). („by methods devised in order to monopolize the trade by driving competitors out of business“); United States v. Griffith, 334 U.S. 100, 107 (1948). („to foreclose competition, to gain a competitive advantage, or to destroy a competitor“); ebenso Eastman Kodak Co. v. Image Technical Services, Inc, 504 U.S. 451, 482 f. (1992). 686 Elhauge, S. 225. 677

A. Monopsonisierung nach Section 2 Sherman Act

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Auch gewünschte Maßnahmen, wie beispielsweise Effizienzsteigerungen und die Entwicklung neuer, überragender Produkte, können jedoch Konkurrenten vom Markt ausschließen, weshalb eine Abgrenzung im Einzelfall sehr schwierig sein kann.687 Klare Abgrenzungsstandards sind damit nur sehr schwer auszumachen und so stellt auch die US-amerikanische Kartellrechtspraxis in erster Linie auf konkrete Fallgruppen ab.688 Die Formen wettbewerbsschädlicher Verhaltensweisen sind dabei so vielfältig,689 dass im Folgenden allein auf diejenigen Fallgruppen eingegangen werden soll, die unmittelbar einen preisbezogenen Missbrauch zum Gegenstand haben und bereits in Teil 2 und Teil 3 zum deutschen bzw. europäischen Kartellrecht untersucht wurden. Dies sind zum einen die Ausbeutung der Marktgegenseite durch niedrige Einkaufspreise, zum anderen die Verdrängung von Konkurrenten durch überhöhte Kampfpreise. 1. Ausbeutungsmissbrauch durch Monopsonpreise Inwieweit durch Monopsonisten durchgesetzte, unter dem Wettbewerbspreis liegende, Einkaufspreise wettbewerbswidrig im Sinne von Section 2 Sherman Act sein können, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Lediglich in Entscheidungen von Court of Appeals wurden niedrige Einkaufspreise von Monopsonisten thematisiert, jedoch mit auf den ersten Blick unterschiedlichen Ergebnissen. Der Court of Appeals for the Ninth Circuit hat in der Kartell-Entscheidung bereits 1984 entschieden, dass das Fordern von Preisen unter dem Wettbewerbspreis nicht gegen Section 2 Sherman Act verstößt. Er führt dazu aus, ein Nachfrager sei „[…] entitled to use its market power to keep prices down.“690 Der Court of Appeals for the Fifth Circuit hat sich hingegen 1990 in In Re Beef Industry Litigation dieser Ansicht dem ersten Anschein nach nicht angeschlossen: „If IBP had monopsony power, it would take illegal advantage of that situation by reducing its purchases of fed cattle in order to reduce its costs and make a higher profit on each head of cattle processed.“691

Wenn die strategische Reduzierung der nachgefragten Menge in der Absicht, den Einkaufspreis zu senken, als illegal bezeichnet wird, deutet dies auf eine grundsätzliche Möglichkeit der Erfassung des Ausbeutungsmissbrauchs durch Nachfrager hin. Neben dieser generellen Aussage hat sich der Fifth Circuit jedoch nicht näher mit 687

Elhauge, S. 226 f. Elhauge, S. 228. 689 Caribean Broadcasting System, Ltd v. Cable &. Wireless PLC, 148 F.3d 1080, 1087 (D.C. Cir. 1998); Lepage’s, Inc v. 3M (Minnesota Mining and Manufacturing Co.), 324 F.3d 141, 152 (3rd Cir. 2003); ähnlich United States v. Microsoft Corp., 253 F.3d 34, 58 (D.C. Cir. 2001): „[T]he means of illicit exclusion, like the means of legitimate competition, are myriad.“ 690 Kartell v. Blue Shield of Massachusetts, 749 F.2d 922, 929 (5th Cir. 1984). 691 In re Beef Industry Antitrust Litigation, 907 F.2d 510, 516 (5th Cir. 1990). 688

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4. Teil: US-amerikanisches Kartellrecht

dem Fordern von Monopsonpreisen beschäftigt. Im Ergebnis lehnte das Gericht bereits das Vorliegen von Monopsonmacht ab und kam daher zu keiner genaueren Analyse eines möglicherweise wettbewerbswidrigen Verhaltens.692 Die Aussagekraft des Urteils ist damit grundsätzlich beschränkt. Im Hinblick auf die prinzipielle Gleichstellung des Supreme Court von Monopson und Monopol liegt jedoch auch bei Preisen ein Rückgriff auf die Rechtsprechung zu Monopolpreisen nahe.693 Das Fordern monopolistischer Preise ist nach Section 2 Sherman Act grundsätzlich kein wettbewerbswidriges Verhalten.694 Durch hohe Preise werden Wettbewerber schließlich nicht vom Markt verdrängt oder ausgeschlossen.695 Inwieweit in „special circumstances“ das Fordern nicht-kompetitiver Preise ein wettbewerbswidriges Verhalten im Sinne von Section 2 Sherman Act sein kann,696 ist im Hinblick auf die Entscheidung des Supreme Court in der Rechtssache Trinko sehr fraglich. Der Supreme Court führt dort aus: „The […] charging of monopoly prices, is not only not unlawful; it is an important element of the free-market system. The opportunity to charge monopoly prices – at least for a short period – is what attracts ,business acumen‘ in the first place; it induces risk taking that produces innovation and economic growth. To safeguard the incentive to innovate, the possession of monopoly power will not be found unlawful unless it is accompanied by an element of anticompetitive conduct.“697

Die Entscheidung weist damit eindeutig in die Richtung der per se Legalität von Monopolpreisen.698 Das beruht auf der Annahme, dass hohe Preise für potentielle Konkurrenten einen besonderen Anreiz zum Markteintritt darstellen und damit den 692

In re Beef Industry Antitrust Litigation, 907 F.2d 510, 514 ff. (5th Cir. 1990). Vgl. Blair/Harrison, 76 Cornell L. Rev. 1991, 297 (308); Mand, Buying Power and Section 2 of the Sherman Act, S. 34; ebenso Khan v. State Oil Co., 93 F3d 1358, 1361 (7th Cir. 1996): „This is a form of monopsony pricing, which is analytically the same as monopoly […] pricing and so treated by the law.“ 694 Verizon Communications, Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, L.L.P., 540 U.S. 398, 406 (2003); Naughton, 18 Antitrust 81 (2004); Sagers, S. 178. 695 Kauper, 93 Geo. L.J. 1623, 1624 (2004 – 2005). 696 Kartell v. Blue Shield of Massachusetts, 749 F.2d 922, 927 (5th Cir. 1984): „First, the antitrust laws interfere with a firm’s freedom to set even uncompetitive prices only in special circumstances […].“; Mand, Buying Power and Section 2 of the Sherman Act, S. 33 m.w.N., nennt als Ausnahme insbesondere die essential facility Doktrin. Diese möchte Piraino auf Beschaffungsmärkte übertragen. Sofern ein monopsonistischer Nachfrager Nadelöhr für die Anbieter ist, soll eine Preissenkung um vorgeschlagene zehn Prozent unter den Wettbewerbspreis in Verbindung mit dem Nachweis des Anbieters, dass diese Preissenkung zu langfristigen Gewinneinbußen führt, ein wettbewerbswidriges Verhalten im Sinne von Section 2 Sherman Act sein. Piraino, 56 Hastings L.J. 1121, 1176 ff. (2005). Im Hinblick auf die sich andeutende Abkehr von der essential facility Doktrin und die grundsätzlichen Bedenken des Supreme Court im Hinblick bezüglich der Kontrolle von Preisen kann dem jedoch nicht gefolgt werden. 697 Verizon Communications, Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, L.L.P., 540 U.S. 398, 406 (2003). 698 Vgl. Mand, Buying Power and Section 2 of the Sherman Act, S. 33. 693

A. Monopsonisierung nach Section 2 Sherman Act

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Wettbewerb langfristig beleben. Ihnen kommt damit keine „exclusionary“ Wirkung zu.699 Monopolpreise werden als ein wettbewerbliches Problem angesehen, welches damit, zumindest in der Theorie, dazu neigt, sich selbst zu lösen.700 Auch auf Beschaffungsmärkten können niedrige Einkaufspreise einen solchen Anreiz ausüben. Sind Einkaufspreise schließlich besonders niedrig, ist dies ein Anreiz dazu, die Ware ebenfalls zu beziehen, in den Markt einzutreten und damit Wettbewerbsdruck auszuüben. Weiterhin besteht die Möglichkeit, dass niedrige Einkaufspreise an nachgelagerte Wirtschaftsstufen und den Verbraucher weitergegeben werden, was sich letztlich positiv auf die Verbraucherwohlfahrt auswirkt.701 Dies bedeutet in konsequenter Übertragung auf Einkaufspreise ebenfalls die per se Zulässigkeit von Monopsonpreisen. Folglich ist das Fordern und Durchsetzen niedriger Einkaufspreise in keinem Fall anticompetitive conduct im Sinne von Section 2 Sherman Act. 2. Behinderung von Wettbewerbern durch Predatory Pricing Die Möglichkeit, dass ein Nachfrager mittels einer Kampfpreisüberbietung Konkurrenten auf dem Beschaffungsmarkt behindert und verdrängt, wurde bereits in der Beef Industry Antitrust Litigation ansatzweise erörtert.702 Ein Kampfpreis ist nach Ansicht des Gerichts „a price higher than that which would allow the packer[als Nachfrager] to make a profit.“703 Die Kläger haben jedoch nicht ausreichend darlegen können, dass solch ein Preis tatsächlich gezahlt wurde, weshalb sich der Court of Appeals for the Fifth District nicht näher mit der Thematik auseinandergesetzt hat.704

699

Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3 A, Rdnr. 720a. Blair/Harrison, S. 231; Gal, Antitrust Bull. 343, 355 f. (2004). 701 Piraino, 56 Hastings L.J. 1121, 1128 (2005). Das von den niedrigen Preisen möglicherweise nicht alle Nachfrager profitieren, sondern lediglich der Monopsonist, wird dabei ignoriert. Der Wasserbetteffekt, der mit dem Fordern niedriger Preise einhergehen kann, hat in der US-amerikanischen Kartellrechtspraxis bislang nur wenig Berücksichtigung gefunden. 702 In re Beef Industry Antitrust Litigation, 907 F.2d 510, 515 (5th Cir. 1990): „The cattlemen do contend that IBP attempted to drive its competitors out of the fed cattle procurement market by paying a higher price for fed cattle than the market suggested.“ Ebenfalls erwähnt wurde predatory bidding in der Supreme Court Entscheidung American Tobacco Co. v. United States, 328 U.S. 781 (1946). Dort stand jedoch die Monopolisierung des nachgelagerten Absatzmarktes und daher eine andere Thematik im Vordergrund. Ebenfalls um keinen Fall einseitiger Monopolisierung sondern um eine conspiracy to monopolize mit Bezug zur Kampfpreisüberbietung handelt es sich bei der Entscheidung Reid Brothers Logging Co. v. Ketchikan Pulp Co., 699 F.2d 1292 (9th Cir. 1983). 703 In re Beef Industry Antitrust Litigation, 907 F.2d 510, 515 (5th Cir. 1990). Das Gericht stellt somit, bereits vor der wegweisenden Brooke Group-Entscheidung des Supreme Court, auf einen reinen Einnahmen-Ausgaben-Vergleich ab. Inwieweit es recoupment für notwendig erachtet hätte, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. 704 In re Beef Industry Antitrust Litigation, 907 F.2d 510, 515 (5th Cir. 1990): „The cattlemen presented no evidence that IBP ever paid a predatory price […].“ 700

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4. Teil: US-amerikanisches Kartellrecht

Zu einer dezidierten Auseinandersetzung mit der Kampfpreisüberbietung ist es daher erstmals im Verfahren Ross-Simmons Hardwood Lumber v. Weyerhaeuser Co. vor dem Court of Appeals for the Ninth Circuit gekommen. Gegenstand des Verfahrens war eine Hochpreisstrategie des Unternehmens Weyerhaeuser auf dem regionalen Beschaffungsmarkt für Holzstämme. Weyerhaeuser als Marktführer in der Region Pacific-Northwest wurde vorgeworfen, durch eine gezielte Preisüberbietung kleinere Wettbewerber von der Beschaffung abgehalten und damit vom Markt verdrängt zu haben. Diese Verdrängungsabsicht wurde bei Weyerhaeuser umfangreich dokumentiert und hatte weitgehend Erfolg.705 In diesem Verfahren hat der Court of Appeals ausgeführt, dass eine Gleichbehandlung von Kampfpreisunter- und Kampfpreisüberbietung wegen der unterschiedlichen Auswirkungen auf die Konsumentenwohlfahrt abzulehnen sei.706 Der für die Behandlung von Kampfpreisunterbietungen entwickelte zweistufige Brooke Group-Test707 sei daher für die Ermittlung von Kampfpreisunterbietungen nicht heranzuziehen. Das Gericht stützt sich insbesondere auf die Annahme, dass „[c]onsumers don’t benefit from higher raw material prices, or logs rotting in the lumber yard. Nor is deliberately driving log prices up, simply to deprive competitors of logs, likely to be confused with legitimate competition.“708 Ausreichend für den Nachweis einer Kampfpreisüberbietung sei daher, „that Weyerhaeuser paid higher prices than necessary for sawlogs […].“709 Damit stützt sich der Court of Appeals in erster Linie auf einen hypothetischen wettbewerbsanalogen Preis, ohne jedoch näher darauf einzugehen, wie dieser korrekt ermittelt werden soll.710 Auch die umfangreichen Unternehmensunterlagen, die die Verdrängungsabsicht von Weyerhaeuser dokumentierten, wurden dabei berücksichtigt. Der Supreme Court hat sich der Ansicht des Court of Appeals jedoch ausdrücklich nicht angeschlossen. Vielmehr hat er entschieden:

705 Das Verfahren von Ross-Simmons Hardwood Lumber Co. gegen Weyerhaeuser Co. ist nicht das Einzige geblieben. Viele Unternehmen der mittelständisch orientierten Holzverarbeitungsbetriebe in der Region haben ebenfalls geklagt. Eine umfangreiche Darstellung findet sich unter: (Stand: 27. 02. 2014). 706 Ross-Simmons Hardwood Lumber Co. v. Weyerhaeuser Co., 411 F.3d 1030, 1037. (9th Cir. 2005): „However, an important factor distinguishes predatory bidding cases from predatory pricing cases: benefit to consumers and stimulation of competition do not necessarily result from predatory bidding the way they do from predatory pricing.“ 707 Brooke Group Ltd. v. Brown & Williamson Tobacco Corp., 509 U.S. 209 (1993); grundlegend zum predatory pricing bereits Areeda/Turner, 88 Harv. L. Rev. 1975, 697. 708 Wash. Alder LLC v. Weyerhaeuser Co., 2004 WL 1717650 (D.Or. 27. Juli 2004), zitiert nach: Ross-Simmons Hardwood Lumber Co. v. Weyerhaeuser Co., 411 F.3d 1030, 1037, Fn. 14 (9th Cir. 2005). 709 Ross-Simmons Hardwood Lumber Co. v. Weyerhaeuser Co., 411 F.3d 1030, 1035 (9th Cir. 2005). 710 Ross-Simmons Hardwood Lumber Co. v. Weyerhaeuser Co., 411 F.3d 1030, 1041 f. (9th Cir. 2005).

A. Monopsonisierung nach Section 2 Sherman Act

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„The general theoretical similarities of monopoly and monopsony combined with the theoretical and practical similarities of predatory pricing and predatory bidding convince us that our two-pronged Brooke Group test should apply to predatory bidding claims.“711

Die Entscheidung hat Zuspruch, aber auch Kritik erfahren.712 Im Hinblick auf die Bindungswirkung und den äußerst geringen Interpretationsspielraum der sehr deutlichen Entscheidung muss jedoch in Zukunft von deren Befolgung in der Kartellrechtspraxis ausgegangen werden. Bei einer Kampfpreisüberbietung durch Nachfrager ist daher ebenfalls auf die vom Supreme Court in Brooke Group aufgestellten Kriterien abzustellen. a) Der Brooke Group-Test In der grundlegenden Brooke Group-Entscheidung von 1993 hat sich der Supreme Court vertieft mit der Kampfpreisunterbietung auseinandergesetzt und klare Vorgaben für die kartellrechtliche Beurteilung gemacht. Eine Preisstrategie verstößt nach dem dort entwickelten Brooke Group-Test gegen das Monopolisierungsverbot, wenn (1) die geforderten Preise unterhalb der Kosten liegen, die anhand eines geeigneten Maßstabes in angemessener Art und Weise zu bestimmen sind, und (2) eine gefährliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass das Unternehmen nach erfolgreicher Verdrängung durch eine Erhöhung der Preise erlittene Verluste wird ausgleichen können (recoupment-Nachweis).713 Während die erste Stufe („first prong“) des Brooke Group-Tests dazu dient, Kampfpreise anhand eines bestimmten Kostenmaßstabs zu ermitteln, werden auf zweiter Stufe die Auswirkungen der Preisstrategie auf den Wettbewerb, insbesondere aber auf die Verbraucherwohlfahrt analysiert („second prong“). Während der Kampfpreisstrategie profitieren Verbraucher schließlich von niedrigeren Preisen, und nur wenn ein Preisanstieg bei erfolgreicher Verdrängung und damit eine Beeinträchtigung der Verbraucherwohlfahrt zu erwarten ist, liegt nach Ansicht des Supreme Court ein Verstoß gegen Section 2 Sherman Act vor.714 Der recoupment-Nachweis bezweckt damit im besonderen 711

Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber Co., 549 U.S. 312, 325 (2007). Zustimmend: Blair/Lopatka, 2 Utah L. Rev. 2008, 415 (458 ff.); differenzierend Hylton, 53 Antitrust Bull. 51, 52, 62 (2008), der zwar die von predatory bidding ausgehenden Gefahren für den Wettbewerb und die Verbraucherwohlfahrt als größer einschätzt als die von predatory pricing ausgehenden, insbesondere im Hinblick auf „error cost“-Erwägungen eine andere Handhabung jedoch ablehnt. Kritisch: Haglund, 53 Antitrust Bull. 411, 411 ff. (2008); Harrison, Complications in the Antitrust Response to Monopsony, S. 8, 18; Werden, Monopsony and the Sherman Act, S. 3 ff., 33; bereits vor der Entscheidung kritisch zur Anwendung des Brooke Group-Tests, Kirkwood, 72 Antitrust L.J. 625, 660 ff. (2005). Eine kritische Würdigung der Übertragung des Brooke Group-Tests auf Kampfpreisüberbietungen erfolgt unten 4. Teil A. III. 2. b) aa) (2). 713 Brooke Group Ltd. v. Brown & Williamson Tobacco Corp., 509 U.S. 209, 222 ff. (1993). 714 Während im Rahmen einer Kampfpreisunterbietung eine Beeinträchtigung der Verbraucherwohlfahrt im Sinne einer Ausbeutung durch das Fordern von Monopolpreisen erforderlich ist, wird das Verbot des Ausbeutungsmissbrauchs in den USA hingegen enorm kritisch 712

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4. Teil: US-amerikanisches Kartellrecht

Maße, Niedrigpreisstrategien aus dem Monopolisierungsverbot herauszunehmen, die sich aufgrund niedrigerer Preise positiv auf die Verbraucher auswirken. Die Ermittlung von Kampfpreisen erfolgt dabei allein kostenabhängig, und kostendeckende Preise sind per se nicht missbräuchlich.715 Als geeignetes Kostenkriterium wird in der Praxis insbesondere auf den Areeda-Turner-Test und damit auf die durchschnittlichen variablen Kosten, teilweise auch auf die durchschnittlichen Gesamtkosten zurückgegriffen.716 Diese strikten Voraussetzungen717 beruhen insbesondere auf der Annahme, dass niedrige Verkaufspreise die Verbraucherwohlfahrt unmittelbar erhöhen und regelmäßig Ausdruck besonders intensiven Wettbewerbs sind. „Low prices benefit consumers regardless of how those prices are set, and so long as they are above predatory levels, they do not threaten competition.“718

Weiter hält der Supreme Court „false positives“ für weit gefährlicher für den Wettbewerb als „false negatives“.719 Schließlich würden Verbraucher die auf einer fälschlicherweise untersagten Niedrigpreisstrategie beruhenden Konsequenzen in Form höherer Preise tragen müssen. Auch die Notwendigkeit der Kompensationsaussicht beruht auf der Zielsetzung des Sherman Act, unmittelbar die Verbraucherwohlfahrt zu erhöhen. Aufgrund dieser sehr hohen Beweisanforderungen sind Klagen gegen Kampfpreise sehr selten geworden und noch seltener erfolgreich. b) Übertragung auf Beschaffungsmärkte Eine Anwendung des Brooke Group-Tests auf Kampfpreisstrategien von Nachfragern bedeutet daher ebenfalls eine zweistufige Prüfung. Während auf erster Stufe anhand eines geeigneten Einnahmenmaßstabs zu ermitteln ist, ob es sich bei den Preisen um Verlust- und damit Kampfpreise handelt, ist auf zweiter Stufe zu analysieren, inwieweit eine gefährliche Wahrscheinlichkeit des recoupment besteht. Somit setzt eine Kampfpreisüberbietung voraus, dass das dominante Unternehmen in einer ersten Phase Verluste aufgrund nicht kostendeckender Preise einfährt und die gesehen. Siehe hierzu ausführlich Lyons, The Paradox of Exclusion of Exploitative Abuse, S. 4 ff. 715 Salop, 72 Antitrust L.J. 669, 703 (2005); Preise oberhalb der durchschnittlichen Gesamtkosten werden vielmehr als „safe harbor“ angesehen U.S. Federal Trade Commission and U.S. Departement of Justice, in: ICN Report on Predatory Pricing 2008, S. 6. 716 Fleischer, WuW 1995, 796 (799 f.). 717 Die von Zerbe und Mumford treffend als „heavy, perhaps impossible, burden“ bezeichnet werden, Zerbe/Mumford, 41 Antitrust Bull. 949, 983 (1996). 718 Brooke Group Ltd. v. Brown & Williamson Tobacco Corp., 509 U.S. 209, 223 (1993). 719 Salop, 72 Antitrust L.J. 669, 703 (2005). Eine false positive-Entscheidung ist dann gegeben, wenn eine Verhaltensweise, die tatsächlich nicht wettbewerbsschädlich ist, von den Wettbewerbsbehörden untersagt oder sanktioniert wird. Ein false negative ist hingegen gegeben, wenn ein tatsächlich wettbewerbswidriges Verhalten nicht sanktioniert wird.

A. Monopsonisierung nach Section 2 Sherman Act

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gefährliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass es diese Verluste bei einem Erfolg der Verdrängungsstrategie in der zweiten Phase ausgleichen wird.720 aa) Predation-Phase Im Hinblick auf die Predation-Phase muss der Nachweis erbracht werden, dass die Preise als missbräuchliche Kampfpreise anzusehen sind. Die Ermittlung von Kampfpreisen erfolgt nach Ansicht des Supreme Court dabei allein anhand einer Verlustanalyse. (1) Verlustanalyse zur Ermittlung von Kampfpreisen Inwieweit es sich bei Einkaufspreisen um Kampfpreise handelt, erfolgt anhand einer Analyse der Erlössituation des Nachfragers. Dazu führt der Supreme Court aus: „A plaintiff must prove that the alleged predatory bidding led to below-cost pricing of the predator’s outputs.“721

Der gezahlte Einkaufspreis muss folglich so hoch angesetzt worden sein, dass auf dem nachgelagerten Absatzmarkt, der in dem Fall wettbewerblich war, kein Gewinn erwirtschaftet werden kann.722 Dies wiederum erfordert nicht nur eine Berücksichtigung des Einkaufspreises des Inputs, sondern auch eine Berücksichtigung aller weiteren Kosten, die für die Herstellung des abgesetzten Produktes anfallen. Der mögliche Kampfpreis muss folglich dazu führen, dass die marginalen Kosten des Produktes den Verkaufspreis übersteigen.723 Während bei der Kampfpreisunterbietung die Preissenkung somit kausal für den Verlustpreis sein muss, muss bei der Kampfpreisüberbietung die Erhöhung des Einkaufspreises unmittelbar den Verlust bewirken.724 Der Supreme Court scheint damit bei der Kampfpreisüberbietung davon auszugehen, dass der Monopsonist auf dem nachgelagerten Absatzmarkt Preisnehmer ist. Anderenfalls könnte der Verlustpreis auch durch eine Senkung des Verkaufspreises entstehen und es gäbe unmittelbare Überschneidungen mit der Kampfpreisunterbietung. 720 Hylton, 53 Antitrust Bull. 51, 55 (2008); Rosch, Monopsony and the Meaning of „Consumer Welfare“, S. 13. 721 Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber Co., 549 U.S. 312, 325 (2007). 722 Sofern der Monopsonist auch auf dem nachgelagerten Absatzmarkt ein Monopol innehat, ist der Nachweis einer Kampfpreisüberbietung auf diesem Markt regelmäßig leichter zu erbringen. Insbesondere bei einer Kombination von steigenden Einkaufspreisen und sinkenden Verkaufspreisen kann auf dem Absatzmarkt eine Kampfpreisunterbietung leichter nachgewiesen werden. 723 Salop, 72 Antitrust L.J. 669, 703 Fn. 96 (2005). 724 „That is, the predator’s bidding on the buy side must have caused the cost of the relevant output to rise above the revenues generated in the sale of those outputs.“, Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber Co., 549 U.S. 312, 325 (2007). Anders noch Naughton, 18 Antitrust 81, 87 (2004).

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4. Teil: US-amerikanisches Kartellrecht

Einen konkreten Maßstab für die Zuordnung von Einnahmen zu einem bestimmten Einkaufspreis bei der Bestimmung von Kampfpreisen benennt der Supreme Court in Weyerhaeuser jedoch nicht. Areeda/Turner sehen es daher als notwendig an, „[to] look at the inputs in question, trace them through the production process, and compare the purchase price of the inputs against the revenue generated by the sale of the output produced from those inputs.“725 Wie genau eine solche Kostenzuordnung im Einzelfall möglich sein soll, haben jedoch weder der Supreme Court noch Areeda/Turner näher ausgeführt. Im Fall Weyerhaeuser machten die Kosten des Inputs etwa 75 Prozent der Gesamtkosten aus, sodass im konkreten Fall eine Kostenzuordnung zumindest möglich erscheint. Wie eine solche jedoch durchführbar sein soll, wenn der fragliche Input nur einen geringen Anteil an den Gesamtkosten des Endproduktes hat, ist offen geblieben.726 (2) Kritische Würdigung Die Gleichbehandlung von Kampfpreisunter- und Kampfpreisüberbietung und der alleinige Rückgriff auf eine kosten- bzw. erlösabhängige Bestimmung von Kampfpreisen führt in Fällen des predatory buying zu fast unüberwindbaren Schwierigkeiten in der Praxis. In Fällen der Kampfpreisunterbietung ist es grundsätzlich möglich, die Einnahmen aus dem Verkauf eines Produktes mit den Kosten dieses Produktes anhand eines der etablierten Kostenmaßstäbe zu vergleichen. Damit sind die für die Ermittlung eines Kampfpreises notwendigen Daten erhebbar. In Fällen der Kampfpreisüberbietung kann zwar ebenfalls der Verkaufspreis des Produktes ermittelt werden und regelmäßig ist es auch möglich, die anfallenden Kosten für die Herstellung und das Marketing für das Produkt zu ermitteln. Eine Zuordnung der einzelnen Kostenfaktoren zum endgültigen Erlös ist jedoch kaum möglich. Dass bei einer Ware, die aus mehreren Vorprodukten in umfangreichen Arbeitsschritten hergestellt wurde, die gezielte Preiserhöhung eines bestimmten, auf dem Markt knappen Inputs zu einem Verlust beim Absatz des Endproduktes führt, ist kaum jemals nachzuweisen. Dies gilt umso mehr, wenn aus dem Vorprodukt wie im 725

Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3 A, Rdnr. 747b2. Diese grundsätzliche Schwierigkeit ist bereits oben auf S. 72 ff. ausführlich besprochen worden und wurde auch im US-amerikanischen Schrifttum erkannt, vgl. Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3 A, Rdnr. 747b2. Kirkwood schlägt wegen dieser Schwierigkeiten vor, die Legalität einer bestimmten Verhaltensweise allein danach zu beurteilen, ob ein unmittelbarer Rückgang der Konsumentenwohlfahrt durch das fragliche Verhalten zu verzeichnen ist. Die Kampfpreisüberbietung wirkt sich jedoch in erster Linie negativ auf Konkurrenten aus und in der recoupment-Phase negativ auf die Marktgegenseite, also die Anbieter. Das bloße Abstellen auf die Verbraucherwohlfahrt kann daher auch nicht überzeugen. Ausführlich Kirkwood, 72 Antitrust L.J. 2005, 625 (655). Ähnlich hat sich auch FTC Commissioner Rosch ausgesprochen, der ein Eingreifen in Monopsonfällen nur dann für erforderlich hält, wenn gleichzeitig Monopolmacht auf dem nachgelagerten Absatzmarkt besteht, da nur in diesen Fällen negative Auswirkungen auf die Verbraucherwohlfahrt zu erwarten seien, Rosch, Monopsony and The Meaning of „Consumer Welfare“, S. 15 f.; ähnlich Naughton, 18 Antitrust 81, 87 (2004). 726

A. Monopsonisierung nach Section 2 Sherman Act

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Fall Weyerhaeuser dutzende unterschiedliche Produkte hergestellt werden, die auf völlig unterschiedlichen Absatzmärkten verkauft werden.727 Wenn der Monopsonist zudem auch rückwärtig integriert ist, wird eine konkrete Kostenzuordnung noch weiter erschwert. Die für den Brooke Group-Test bei der Kampfpreisüberbietung erforderlichen Daten sind daher im Regelfall nicht erhebbar. Ein reiner Kosten- bzw. Erlöstest ist somit kaum geeignet, Kampfpreisüberbietungen zu identifizieren. Vielmehr sollten im Rahmen einer Gesamtabwägung das Preissetzungsverhalten auf dem Markt, die tatsächliche Entwicklung des Wettbewerbs auf dem Markt und die Absicht des Unternehmens ausschlaggebend sein.728 bb) Recoupment-Phase (1) Recoupment-Erfordernis Während der Ninth Circuit in der Weyerhaeuser Entscheidung recoupment nicht als notwendig angesehen hat, ist dem der Supreme Court ausdrücklich nicht gefolgt. „A predatory-bidding plaintiff also must prove that the defendant has a dangerous probability of recouping the losses incurred in bidding up input prices through the exercise of monopsony power.“729

Um den recoupment-Nachweis zu erbringen, muss zunächst untersucht werden, ob die Preisstrategie zur Verdrängung oder Disziplinierung von Wettbewerbern geeignet ist. Dabei ist insbesondere auf Umfang und Dauer der Kampfpreisunterbietung abzustellen. Hierfür spielt auch die Finanzkraft des Normadressaten eine entscheidende Rolle. Kann das Unternehmen aufgrund seiner überlegenen Finanzkraft eine Verlustpreisstrategie solange aushalten, dass eine gefährliche Wahrscheinlichkeit für den Marktaustritt von Wettbewerbern besteht, ist zu untersuchen, ob der Normadressat durch eine Preisanhebung erlittene Verluste später wird ausgleichen können und damit den Verbrauchern schadet.730 Ein Monopsonist kann erlittene Verluste nach erfolgreicher Verdrängung insbesondere durch eine strategische Reduzierung der Einkaufsmenge und dadurch Senkung des Einkaufspreises ausgleichen. Wenn durch die Verdrängung auf dem 727 Vgl. Haglund, 53 Antitrust Bull. 411, 450 (2008); Brief for Respondent, Weyerhaeuser Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber, 549 U.S. 312, 41 (2007), (Stand: 27. 02. 2014); Werden, Monopsony and the Sherman Act, S. 31. 728 Brief for Respondent, Weyerhaeuser Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber, 549 U.S. 312, 41 ff. (2007), (Stand: 27. 02. 2014). 729 Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber Co., 549 U.S. 312, 325 (2007); ähnlich bereits Naughton, 18 Antitrust 81, 87 (2004); zustimmend Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3 A, Rdnr. 747b2. 730 Brooke Group Ltd. v. Brown & Williamson Tobacco Corp., 509 U.S. 209, 225 (1993).

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4. Teil: US-amerikanisches Kartellrecht

Beschaffungsmarkt auch Marktmacht auf dem nachgelagerten Absatzmarkt erlangt wurde, ist des Weiteren eine Kompensation durch Erhöhung des Verkaufspreises auf dem Absatzmarkt möglich.731 Fraglich ist jedoch, ob eine Kompensationsmöglichkeit auf dem Absatzmarkt ausreichend dafür ist, in predatory bidding-Fällen den recoupment-Nachweis zu erbringen. Hierfür kommt es entscheidend darauf an, auf welchem Markt recoupment erfolgen muss. Bereits der Brooke Group-Entscheidung liegt die Annahme zugrunde, dass die Kompensation auf dem Markt erfolgen muss, auf dem zuvor die Kampfpreisstrategie eingesetzt wurde und der gezielt monopolisiert werden sollte.732 Der Supreme Court führt dazu aus, dass der Angreifer durch seine Preisstrategie soviel Marktmacht auf dem relevanten Markt gewonnen haben muss, dass er im Nachhinein die Preise erfolgreich oberhalb des Wettbewerbspreises ansetzen kann.733 Die Berücksichtigung von vor- und nachgelagerten Märkten oder Drittmärkten schließt der Supreme Court damit aus. Dem ist unter anderem auch der District Court Kansas in United States v. AMR Corp. gefolgt.734 Auch wenn sich der Court of Appeals for the Tenth Circuit dem nicht vollumfänglich angeschlossen hat,735 wurde das Urteil des District Court aufrechterhalten. Explizit hat sich der Supreme Court im Bezug auf recoupment auf Beschaffungsmärkten in Weyerhaeuser nicht geäußert. Der Argumentation des Supreme Court liegt jedoch die Annahme zugrunde, dass der Nachfrager bei Erfolg einer Kampfpreisstrategie monopsonistische Profite einstreichen wird.736 Durch eine Reduzierung der nachgefragten Menge drückt der Monopsonist schließlich den Einkaufspreis unter den Wettbewerbspreis.737 Zur Kompensation führt Justice Thomas dann weiter aus, dass diese „through the exercise of monopsony power“ erfolgen müsse.738 731 Praktisch von Bedeutung ist diese Möglichkeit insbesondere dann, wenn ein Unternehmen einen national abzugrenzenden Absatzmarkt bereits beherrscht und durch eine Kampfpreisstrategie einen regional abzugrenzenden Beschaffungsmarkt monopolisieren will. Ein solches multi market recoupment-Szenario lag in ähnlicher Art und Weise in Bezug auf predatory pricing der Klage des U.S. Departement of Justice gegen American Airlines zugrunde, United States v. AMR Corp., 140 F.Supp.2d 1141 (D.Kan. 2001); bestätigt durch United States v. AMR Corp., 335 F.3d 1109 (10th Cir. 2003). 732 Wurmnest, S. 435. 733 Brooke Group Ltd. v. Brown & Williamson Tobacco Corp., 509 U.S. 209, 225 (1993). 734 United States v. AMR Corp., 140 F.Supp.2d 1141 (D.Kan. 2001); ausführlich besprochen in Ewald, WuW 2003, 1165 (1170). 735 United States v. AMR Corp., 335 F.3d 1109, 1114 ff. (10th Cir. 2003). 736 „[T]he predatory bidder will reap monopsonistic profits […].“ – Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber Co., 549 U.S. 312, 321 (2007). 737 Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber Co., 549 U.S. 312, 321 (2007): „[…] it will seek to ,restrict its input purchases below the competitive level,‘ thus ,reduc[ing] the unit price for the remaining input[s] it purchases.‘ The reduction in input prices will lead to a ,significant cost saving that more than offsets the profit[s] that would habe been earned on the output.‘“ 738 Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber Co., 549 U.S. 312, 325 (2007).

A. Monopsonisierung nach Section 2 Sherman Act

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Da die Ausübung von Monopsonmacht nur auf Beschaffungsmärkten erfolgen kann und auch monopsonistische Gewinne sich nur auf solchen erwirtschaften lassen, spricht dies dafür, dass nur solche Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen sind, die unmittelbar auf dem umkämpften Markt erfolgen. Nicht ausreichend ist damit, dass das Unternehmen hohe Einkaufspreise auf dem Beschaffungsmarkt durch eine Erhöhung des Verkaufspreises auf nachgelagerten Absatzmärkten langfristig wird ausgleichen können.739 Für eine solch enge Sichtweise spricht insbesondere auch, dass der Normadressat auf dem nachgelagerten Markt nicht über Marktmacht verfügen muss und daher nach dem ökonomischen Verständnis des Supreme Court als Preisnehmer fungiert. Als solcher besteht für ihn auch nicht die Möglichkeit, Preise oberhalb des Wettbewerbspreises zu fordern.740 Dass der recoupment-Nachweis unmittelbar auf dem Beschaffungsmarkt erbracht werden muss, entspricht auch dem Erfordernis, dass die Verlustpreise unmittelbar kausal mit der Erhöhung des Einkaufspreises zusammenhängen müssen. (2) Kritische Würdigung Im Hinblick auf die Zielsetzung des Sherman Act, die Verbraucherwohlfahrt zu steigern, ist auch der recoupment-Nachweis in der vom Supreme Court propagierten Form auf Beschaffungsmärkten kritisch zu sehen. Die Notwendigkeit, die gefährliche Wahrscheinlichkeit von recoupment allein auf dem Beschaffungsmarkt nachweisen zu müssen, ist nur auf den ersten Blick konsequent. Ein Nachfrager nutzt seine Monopsonmacht nach dem Verständnis des Supreme Court schließlich dadurch aus, dass er die nachgefragte Menge senkt und damit den Marktpreis reduziert. Unmittelbare Opfer einer solchen Preissetzung sind jedoch, anders als beim recoupment nach einer erfolgreichen Kampfpreisunterbietung, nicht die Verbraucher, sondern vielmehr die Anbieter als Marktgegenseite. Ob durch eine Reduzierung der nachgefragten Menge ein Schaden für die Verbraucher entsteht, hängt hingegen allein von den Wettbewerbsbedingungen auf dem nachgelagerten Absatzmarkt ab. Ist dieser wettbewerblich orientiert, wie im Fall Weyerhaeuser, ist ein Preisanstieg nicht zu erwarten. Der Kausalitätszusammenhang zwischen erfolgreicher Verdrängung und anschließender Verbraucherschädigung aufgrund von recoupment kann daher bei Kampfpreisüberbietungen nicht hergestellt werden. Opfer einer Verdrängungs739 Zwar führt Justice Thomas an anderer Stelle aus, dass der Nachfrager nicht notwendigerweise durch eine Erhöhung der Preise gegenüber den Verbrauchern auf dem nachgelagerten Markt Verluste ausgleichen muss („a predatory bidder does not necessarily rely on raising prices in the output market to recoup its losses.“, Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber Co., 549 U.S. 312, 324 (2007)). Nur auf den ersten Blick lässt sich daraus jedoch die Möglichkeit der Berücksichtigung von recoupment-Chancen auch auf nicht beherrschten Märkten ableiten. Vielmehr ist die Aussage dahingehend zu interpretieren, dass der Supreme Court seine klar an der Verbraucherwohlfahrt orientierte Auslegung des Sherman Act bekräftigt. A.A. Naughton, 18 Antitrust 81, 87 (2004). 740 Ist der Monopsonist hingegen gleichzeitig Monopolist auf dem nachgelagerten Absatzmarkt, so wird es sich im Regelfall zumindest um eine Kampfpreisunterbietung handeln, deren Nachweis leichter zu erbringen ist.

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4. Teil: US-amerikanisches Kartellrecht

strategie auf einem konkreten Markt sind schließlich während der Verdrängungsphase die Wettbewerber und bei erfolgreicher Verdrängung die Marktgegenseite. Verbraucher sind auf Beschaffungsmärkten weder das Eine noch das Andere. Während das recoupment-Erfordernis im Rahmen der Kampfpreisunterbietung daher noch mit der Zielsetzung des Verbraucherschutzes erklärt werden kann, ist diese Interpretation bei der Kampfpreisüberbietung nur schwerlich möglich. c) Kritische Würdigung der Gleichstellung Die vielfach kritisierte Gleichstellung von Kampfpreisunterbietungen und Kampfpreisüberbietungen durch den Supreme Court beruht im Wesentlichen auf der Annahme, dass von beiden Strategien die gleichen Auswirkungen auf die Verbraucherwohlfahrt zu erwarten sind, beide Verhaltensweisen ebenfalls Ausdruck intensiven Wettbewerbs sein können und zudem beide Strategien selten eingesetzt werden und noch seltener erfolgreich sind.741 Zugestimmt werden kann dem Supreme Court soweit, als höhere Einkaufspreise tatsächlich Ausdruck intensiven Beschaffungswettbewerbs sind. Dass Kampfpreisüberbietungen eine seltene Unternehmensstrategie darstellen, ist zwar zutreffend, jedoch kein rechtliches Argument für die Heranziehung eines bestimmten Standards. Daher muss es entscheidend darauf ankommen, ob von Kampfpreisüberbietungen tatsächlich die gleichen Auswirkungen auf die Verbraucherwohlfahrt ausgehen. Die sehr strengen Voraussetzungen für den Nachweis einer Kampfpreisunterbietung beruhen auf der Annahme des Supreme Court, gescheiterte Kampfpreisstrategien seien regelmäßig „a boon to consumers.“742 Nur eine erfolgreiche Kampfpreisunterbietung, bei der im Anschluss an die Predation-Phase recoupment der erlittenen Verluste durch eine Preiserhöhung möglich sei, gefährde letzten Endes die Verbraucherwohlfahrt. Von einer gescheiterten Kampfpreisunterbietung profitieren die Verbraucher hingegen aufgrund niedriger Preise. Die strengen Nachweisanforderungen bei der Kampfpreisunterbietung sind daher logische Folge der auf Erhöhung der Verbraucherwohlfahrt ausgerichteten Zielsetzung des Sherman Act. Auch bei Kampfpreisüberbietungen nimmt der Supreme Court während der Predation-Phase positive Auswirkungen auf die Verbraucherwohlfahrt an.743 Dabei geht er davon aus, dass sich durch das erhöhte Nachfragevolumen der Output auf dem nachgelagerten Absatzmarkt ebenfalls erhöht und die Preise während der Predation-

741

Werden, Monopsony and the Sherman Act, S. 7. Brooke Group Ltd. v. Brown & Williamson Tobacco Corp., 509 U.S. 209, 224 (1993). Während der Predation-Phase profitieren die Verbraucher schließlich von niedrigen Einkaufspreisen. 743 Kritisch Blair/Haynes, in: Research Handbook on the Economics of Antitrust Law, 246 (261). 742

A. Monopsonisierung nach Section 2 Sherman Act

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Phase daher für Verbraucher sinken.744 Zumindest im Fall Weyerhaeuser ist diese Aussage jedoch kritisch zu sehen. Das Angebot an „logs“ ist wenig elastisch und Anbieter können auf das erhöhte Nachfragevolumen nicht mit einer Angebotssteigerung reagieren.745 Die Gesamtabsatzmenge auf dem Markt für unverarbeitetes Holz ist damit weitgehend konstant geblieben, und die Annahme, dass auf dem nachgelagerten Absatzmarkt für weiterverarbeitetes Holz das Angebot steigt und damit die Preise sinken, ist ökonomisch wenig plausibel.746 Weiterhin ist zu bedenken, dass sinkende Preise auf dem nachgelagerten Absatzmarkt die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Verdrängungsstrategie weiter erhöhen. Je niedriger die Verkaufspreise, desto härter werden Wettbewerber schließlich von steigenden Einkaufspreisen getroffen. Unmittelbare Auswirkungen einer Kampfpreisüberbietung auf die Verbraucherwohlfahrt sind daher, anders als bei der Kampfpreisunterbietung, nicht zu beobachten. Wenn die Verdrängung erfolgreich ist, sind die Auswirkungen auf die Verbraucher ebenfalls ambivalent und während der recoupment-Phase nicht mit Sicherheit zu prognostizieren. Einerseits könnten die niedrigeren Einkaufspreise schließlich an die Verbraucher weitergegeben werden,747 gleichermaßen möglich und für den Monopsonisten rational ist es jedoch, dass sich der Verkaufspreis auf dem wettbewerblichen Absatzmarkt nicht durch Einflussnahme des Monopsonisten verändert.748 Festzuhalten bleibt daher, dass, anders als bei Kampfpreisunterbietungen, unmittelbare Auswirkungen auf Verbraucher weder während der Predation- noch der recoupment-Phase zu beobachten sind. Verbraucher sind von Kampfpreisüberbietungen vielmehr nur mittelbar betroffen und das möglicherweise auf einem völlig anderen, nachgelagerten Markt. Die primäre Berücksichtigung von Verbraucherinteressen liegt unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des Sherman Act zwar nahe,

744 Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber Co., 549 U.S. 312, 324 (2007). Warum Weyerhaeuser bei höheren Kosten auf dem nachgelagerten Markt günstiger verkaufen sollte, wird nicht näher erörtert. 745 Könnten die Anbieter die angebotene Menge problemlos erhöhen, da Überkapazitäten auf Angebotsseite bestehen und die Angebotselastizität hoch ist, würde eine Kampfpreisüberbietung ohnehin nicht funktionieren können. Vgl. Blair/Haynes, in: Research Handbook on the Economics of Antitrust Law, 246 (261). 746 Dass die Preise auf dem nachgelagerten Markt weitgehend konstant geblieben oder sogar leicht gesunken sind, dürfte zudem eher dem intensiven Wettbewerb auf dem nationalen Absatzmarkt geschuldet sein. Vgl. Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber Co., 549 U.S. 312, 316 (2007): „And from 1998 to 2001, the price of alder sawlogs increased while prices for finished hardwood lumber fell.“ 747 Wobei dann wiederum kein recoupment möglich wäre. Gibt es Monopsonist seine Monopsongewinne schließlich unmittelbar an nachgelagerte Wirtschaftsstufen weiter, findet keine Armotisation von Verlusten statt. Unter dieser Annahme droht dem recoupment-Erfordernis damit ein Zirkelschluss. 748 Vgl. Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber Co., 549 U.S. 312, 324 (2007).

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4. Teil: US-amerikanisches Kartellrecht

kann im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Brooke Group-Tests auf Kampfpreisüberbietungen jedoch nicht überzeugen. Auch wenn die Gleichstellung daher auf den ersten Blick einleuchten mag, argumentiert der Supreme Court nicht konsequent. Zwar betont er mehrfach die Ähnlichkeiten von predatory pricing und predatory bidding und das sich daraus ergebende Gebot rechtlicher Gleichbehandlung. Konsequenterweise müsste eine solche Gleichbehandlung jedoch bedeuten, dass es im Hinblick auf die Auswirkungen einer Kampfpreistrategie primär auf solche ankommt, die die Marktgegenseite betreffen.749 Dies sind jedoch bei der Kampfpreisüberbietung nicht die Verbraucher, sondern vielmehr die Anbieter, im Fall Weyerhaeuser die Verkäufer der unverarbeiteten Holzstämme („logger“). Auf möglicherweise negative Auswirkungen auf diese vorgelagerte Wirtschaftsstufe geht der Supreme Court leider nicht ein, handelt es sich bei ihnen doch nicht um Verbraucher, deren Interessen geschützt werden sollen.

IV. Ergebnis zur Monopsonisierung gemäß Section 2 Sherman Act Auch wenn Section 2 Sherman Act unzweifelhaft auch auf Nachfrager Anwendung findet, sind lässt sich Nachfragemacht durch das Monopolisierungsverbot nur sehr begrenzt kontrollieren. Bereits die Feststellung, dass ein Nachfrager überhaupt als Monopsonist Normadressat von Section 2 Sherman Act ist, erfordert einen sehr hohen Grad an Marktmacht und insbesondere einen sehr hohen Marktanteil. Selbst wenn die Normadressatenstellung festgestellt werden kann, sind preisbezogene Missbrauchshandlungen im Einzelfall kaum nachzuweisen oder, wie der Ausbeutungsmissbrauch, schlicht nicht untersagt.

B. Versuchte Monopsonisierung nach Section 2 Sherman Act Section 2 Sherman Act sanktioniert nicht nur die Monopolisierung, sondern auch den „attempt to monopolize.“ Die Voraussetzungen der versuchten Monopolisierung sind: (1) predatory anticompetitive conduct, (2) Monopolisierungsabsicht und (3) eine gefährliche Erfolgswahrscheinlichkeit der Monopolisierung.750 Als zu749 Vgl. Blair/Lopatka, 2 Utah L. Rev. 415, 442 ff. (2008); Hylton, 53 Antitrust Bull. 51, 68 f. (2008). 750 Spectrum Sports, Inc. v. McQuillan, 506 U.S. 447, 456 (1993): „The Courts of Appeals other than the Ninth Circuit have followed this approach. Consistent with our cases, it is generally required that to demonstrate attempted monopolization a plaintiff must prove (1) that the defendant has engaged in predatory or anticompetitive conduct with (2) a specific intent to monopolize and (3) a dangerous probability of achieving monopoly power.“ Grundlegend

B. Versuchte Monopsonisierung nach Section 2 Sherman Act

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sätzliches Element enthält die versuchte Monopolisierung daher die Voraussetzung der Monopolisierungsabsicht, reduziert sind im Gegenzug jedoch die Anforderungen an die Marktmacht.751 Das Verbot der versuchten Monopolisierung richtet sich gegen Verhaltensweisen, die darauf gerichtet sind Wettbewerber auszuschließen, und die bei erfolgreicher Durchführung Monopolmacht im Sinne des Section 2 Sherman Act begründen würden. Es gilt für Anbieter und Nachfrager gleichermaßen, und nachfragespezifische Besonderheiten sind nicht zu erkennen. Entsprechend erfolgt die Darstellung in gebotener Kürze.

I. Specific intent Während im Rahmen der Monopolisierung die Absicht des Normadressaten nicht von Bedeutung ist, sind die Voraussetzungen an den „intent“ bei der versuchten Monopolisierung zumindest nach klassischem Verständnis höher. Entsprechend wird in der Praxis wie im Schrifttum regelmäßig auf einen „specific intent“ abgestellt, der mehr als „the mere intent to do the act“ verlangt.752 Teilweise wird daher gefordert, dass eine eindeutige Absicht, durch eine wettbewerbswidrige Verhaltensweise im Wettbewerb zu bestehen, nachgewiesen werden muss.753 Die Supreme Court-Entscheidung Spectrum Sports weist jedoch in eine andere Richtung und lässt es ausreichen, die Absicht aus einem bestimmten Verhalten abzuleiten.754 Dem folgt auch das Schrifttum, und auch wenn der direkte Nachweis von Absicht nicht ausgeschlossen ist, wird diese im Regelfall vielmehr aus einem Verhalten hergeleitet, welches „substantial and grossly anticompetitive predatory or exclusionary conduct“ darstellt.755 Die Bedeutung des „specific intent“ ist daher auch im Rahmen der

bereits Judge Hand in United States v. Aluminum Co. of America (Alcoa), 148 F.2d 416, 431 (2d Cir. 1945). Ebenso Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3B, Rdnr. 804. 751 Elhauge, S. 179; Sagers, S. 217. 752 Siehe Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3B, Rdnr. 805a. mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechungspraxis. 753 Vgl. Swift & Co. v. United States, 196 U.S. 375, 396 (1905): „The plan may make the parts unlawful. […] Intent is almost essential to such a combination, and is essential to such an attempt. Where acts are not sufficient in themselves to produce a result which the law seeks to prevent, – for instance, the monopoly, – but require further acts in addition to the mere forces of nature to bring that result to pass, an intent to bring it to pass is necessary in order to produce a dangerous probability that it will happen.“ Weitere Nachweise bei Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3B, Rdnr. 805b. 754 Spectrum Sports Inc. v. McQuillan, 506 U.S. 447, 447 f. (1993): „Unfair or predatory conduct may be sufficient to prove the necessary intent to monopolize.“ Ebenso bereits Hiland Dairy, Inc v. Kroger Co., 402 F.2d 968, 975 (8th Cir. 1968): „The specific intent necessary to support an attempted monopolization under 2 must be shown by conduct or acts from which a wrongful intent can be inferred.“ 755 Sagers, S. 219; siehe auch Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3B, Rdnr. 805b; Elhauge, S. 179.

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4. Teil: US-amerikanisches Kartellrecht

versuchten Monopolisierung gering aufgrund der Objektivierung des Begriffes und der Möglichkeit des indirekten Nachweises.

II. Wettbewerbswidriges Verhalten Auch die versuchte Monopolisierung setzt eine Verhaltensweise voraus, die „exclusionary“ oder „anticompetitive“ ist. Dabei wird im Wesentlichen auf die im Rahmen der Monopolisierung bestehenden Fallgruppen zurückgegriffen.756 Verhaltensweisen, die auch Monopolisten bzw. Monopsonisten erlaubt sind, können erst recht nicht im Rahmen der versuchten Monopolisierung untersagt werden.757 Gleichermaßen sind Monopolisten verbotene Verhaltensweisen unter Umständen zulässig im Rahmen der „attempted monopolization.“758 Insbesondere die Kampfpreisüberbietung ist eine solche Fallgruppe. Auch wenn der District Court und der Court of Appeals im Fall Weyerhaeuser ihr Urteil noch auf die versuchte und die erfolgreiche Monopsonisierung gestützt haben,759 ist ein solches Vorgehen im Hinblick auf die vom Supreme Court angeordnete Gleichbehandlung von Kampfpreisunterbietungen und Kampfpreisüberbietungen nicht mehr möglich. Der recoupment-Nachweis kann schließlich nicht erbracht werden, wenn der Normadressat nicht tatsächlich über Monopsonmacht verfügt.760 Unmittelbar preisbezogene Monopolisierungsstrategien durch Nachfrager sind daher im Rahmen der versuchten Monopolisierung nicht denkbar.

III. Gefährliche Erfolgswahrscheinlichkeit Das Element der „dangerous probability of success“ hat seinen Ursprung in zwei Entscheidungen des Supreme Court.761 Bereits 1905 hat der Supreme Court in Swift & Co. v. United States eine gefährliche Erfolgswahrscheinlichkeit der Monopolisierung gefordert762 und dies in American Tobacco Co. v. United States bestätigt.763 Ten756

Broder, S. 99; Sagers, S. 218. Siehe oben 4. Teil A. III. Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3B, Rdnr. 806d1. Insbesondere das Fordern missbräuchlich niedrigerer Einkaufspreise ist daher stets erlaubt, siehe auch Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3 A, Rdnr. 720 f. 758 Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3B, Rdnr. 806e. 759 Ross-Simmons Hardwood Lumber Co. v. Weyerhaeuser Co., 411 F.3d 1030, 1041, Fn. 38 (9th Cir. 2005). 760 Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3B, Rdnr. 806e4, 807j. 761 Broder, S. 100. 762 „But when that intent and the consequent dangerous probability exist, this statute, like many others and like the common law in some cases, directs itself against that dangerous probability as well as against the completed result.“, Swift & Co. v. United States, 196 U.S. 375, 396 (1905). 757

B. Versuchte Monopsonisierung nach Section 2 Sherman Act

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denzen der Aufweichung durch Instanzgerichte hat der Supreme Court in Spectrum Sports, Inc. v. McQuillan eine klare Absage erteilt.764 Für den Nachweis, ob eine gefährliche Wahrscheinlichkeit der Monopolisierung besteht, sind die gleichen Faktoren zu berücksichtigen, die für den Nachweis von Monopol- bzw. Monopsonmacht herangezogen werden.765 Ein hoher Marktanteil in Verbindung mit hohen Marktzutrittsschranken ist grundsätzlich als Beweis für eine gefährliche Erfolgswahrscheinlichkeit notwendig und ausreichend.766 Auch wenn keine allgemein gültigen Marktanteilsschwellen bestehen, wird grundsätzlich ein Marktanteil von 50 Prozent als gewöhnlich ausreichend, von 30 – 50 Prozent als ausnahmsweise ausreichend und von unter 30 Prozent als gewöhnlich unzureichend angesehen.767

IV. Ergebnis zur versuchten Monopsonisierung gemäß Section 2 Sherman Act Die Bedeutung der versuchten Monopolisierung hat in den vergangenen Jahren stark abgenommen, und aufgrund der Rechtsprechung des Supreme Court gibt es kaum noch Konstellationen, in denen der Versuch der Monopolisierung angenommen, die erfolgreiche Monopolisierung hingegen abgelehnt werden könnte.768 Aufgrund des recoupment-Erfordernisses ist insbesondere bei Kampfpreisstrategien die versuchte Monopolisierung nicht einschlägig.769 Da die Ausbeutung der Marktgegenseite durch niedrige Einkaufspreise durch den Sherman Act nicht un763 Die Jury-Anweisung zur Anwendung zu Section 2 Sherman Act „The phrase ,attempt to monopolize‘ means the employment of methods, means, and practices which would, if successful, accomplish monopolization, and which, though falling short, nevertheless approach so close as to create a dangerous probability of it, which methods, means, and practices are so employed by the members of and pursuant to a combination or conspiracy formed for the purpose of such accomplishment.“ wurde vom Supreme Court nicht beanstandet, American Tobacco Co. v. United States, 328 U.S. 781, 785 (1946). 764 „For these reasons, § 2 makes the conduct of a single firm unlawful only, when it actually monopolizes or dangerously threatens to do so.“ – Spectrum Sports, Inc. v. McQuillan, 506 U.S. 447, 459 (1993); zu den Aufweichungstendenzen der Instanzgerichte ausführlich Areeda/ Hovenkamp, Antitrust Law Band 3B, Rdnr. 807c. 765 Broder, S. 100. 766 AD/SAT, Inc v. Associated Press, 181 F.3d 216, 229 (2nd Cir. 1999); Günther, S. 44; Sagers, S. 220. Aufgrund der Bedeutung von Marktanteilen ist daher auch im Rahmen der versuchten Monopolisierung eine Marktabgrenzung unerlässlich, die nach den bereits dargestellten Prinzipien erfolgen muss. 767 M&M Medical Supplies and Service, Inc v. Pleasant Valley Hospital Inc, 981 F.2d 160, 168 (4th Cir. 1992); Sagers, S. 220. 768 Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3B, Rdnr. 804. Auch im Fall Weyerhaeuser hat der District Court Weyerhaeuser sowohl im Hinblick auf die versuchte als auch die erfolgte Monopolisierung schuldig gesprochen, Ross-Simmons Hardwood Lumber Co. v. Weyerhaeuser Co., 411 F.3d 1030, 1041, Fn. 38 (9th Cir. 2005). 769 Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3B, Rdnr. 804.

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4. Teil: US-amerikanisches Kartellrecht

tersagt ist, spielt in den hier untersuchten Konstellationen des Preismissbrauchs aufgrund von Nachfragemacht die versuchte Monopolisierung von Beschaffungsmärkten keine Rolle.

C. Preisdiskriminierungen nach Section 2 (f) Clayton Act (Robinson-Patman Act) Preisdiskriminierungen durch Nachfrager werden im US-amerikanischen Kartellrecht weiterhin vom allgemeinen Diskriminierungsverbot des Section 2 Clayton Act erfasst. Nach Section 2 (f) sind solche Verhaltensweisen eines Nachfragers untersagt, die eine Preisdiskriminierung durch einen Anbieter bewirken. Ebenso verboten ist das Akzeptieren unterschiedlicher Preise. Die entscheidende Section 2 (f) Clayton Act lautet: „It shall be unlawfull for any person engaged in commerce, in the course of such commerce, knowingly to induce or receive a discrimination in price which is prohibited by this section.“770

Im Unterschied zum Monopolisierungsverbot von Section 2 Sherman Act weist Section 2 Clayton Act weder einen unmittelbaren Markt- noch einen unmittelbaren Machtbezug auf. Vielmehr stellt die Norm allein auf ein bestimmtes Verhalten ab. Die Abgrenzung eines Marktes ist daher ebenso entbehrlich wie die Ermittlung von Marktmacht. Doch, wie sich aus der Entstehungsgeschichte und Anwendungspraxis des Robinson Patman Act ergibt, zielt auch dieser auf die Eindämmung von Monopolisierungstendenzen und die Bekämpfung von Macht im Wettbewerb. Ein Nachfrager kann schließlich einen Anbieter nur dann zu einer Diskriminierung anleiten, wenn er gegenüber diesem einen Machtvorsprung hat. Dieser Machtvorsprung muss jedoch nicht gegenüber Wettbewerbern oder der gesamten Marktgegenseite bestehen, sondern allein gegenüber dem Geschäftspartner. Anders als beim Monopolisierungsverbot leitet sich die Macht des Nachfragers daher im Rahmen des RPA ausschließlich aus einem Verhaltenselement ab.771

I. Entstehungsgeschichte Das Preisdiskriminierungsverbot wurde 1914 in Section 2 Clayton Act eingeführt, stand allerdings noch ganz unter dem Blickwinkel der Bekämpfung von Monopolisierungstendenzen auf der Angebotsseite.772 Ziel des Diskriminierungsverbots war insbesondere die Bekämpfung von Kampfpreisen.773 Da bereits nach dem Gesetz von 770 771 772 773

15 U.S.C. § 13(f). Günther, S. 77. Hölzler/Satzky, S. 55. Hovenkamp, Antitrust Law Band 14, Rdnr. 2361.

C. Preisdiskriminierungen nach Section 2 (f) Clayton Act

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1914 Preisdifferenzierungen leicht gerechtfertigt werden konnten, insbesondere Mengenrabatte als per se zulässig angesehen wurden, erwies sich das Verbot als nahezu wirkungslos.774 Das starke Wachstum des Handels, insbesondere in Form von Handelsketten und großen Versandhäusern, in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren und damit einhergehend die wachsende Bedeutung dieser Distributionsstufe, war entscheidender Impuls für die in den 1930ern einsetzenden Reformbestrebungen.775 Aus Furcht, dass größere Handelsketten zum Aussterben von Kleinunternehmen führen würden und den Markt monopolisieren könnten, verabschiedete der Kongress 1936 den Robinson-Patman Act als Novelle des Section 2 Clayton Act mit dem Ziel der „Wiederherstellung der Chancengleichheit“776. Der Individualschutz kleiner und mittlerer Unternehmen trat damit neben den ursprünglich bezweckten Schutz des Wettbewerbs als Institution.777 Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Wettbewerbschancen von kleinen Unternehmen auf dem Absatzmarkt unmittelbar mit den Einkaufsbedingungen auf dem vorgelagerten Beschaffungsmarkt zusammenhängen, sollte dieser Schutz insbesondere durch die Beschränkung der Ausübungsmöglichkeiten von Nachfragemacht erreicht werden. Dazu H. B. Teegarden, der als Berater am RPA mitwirkte: „The bill is based entirely upon the fact that large buyers, by the coercive use of their buying power, extract from the seller differentials greater than the cost difference between the two buyers warrant. That is the evil at which the bill is aimed.“778

Trotz dieser klaren Zielsetzung enthielt das Gesetzt in seiner ursprünglich im Senate und House of Representatives eingebrachten Form nur ein Verbot der Preisdiskriminierung durch Anbieter.779 Erstmals Erwähnung fand eine buyer liability clause in einer von Senator Copeland eingebrachten Änderung780, welche allerdings keine Zustimmung fand. Erst im Rahmen der finalen Debatte im Senate einigte man sich auf die endgültige Fassung des Section 2 (f) Clayton Act.781

774

Hölzler/Satzky, S. 55. McGee, S. 7 ff. 776 Hölzler/Satzky, S. 56; McGee, S. 90 ff. 777 Hölzler/Satzky, S. 56. 778 74th Cong., 1. Sess. 217 (1935), zitiert nach Hovenkamp, 68 Antitrust L.J. 125, 138 (2000). 779 Hovenkamp, Antitrust Law Band 14, Rdnr. 2361a; Rowe, S. 424. 780 „[E]ither directly or indirectly to offer or make or toinduce or receive a discrimination in price or terms of sale …“, S. 4024, 74th Cong., 2d Sess. (1936), zitiert nach Rowe, S. 424. Der wesentliche Unterschied zu der endgültigen Fassung beruht darin, dass Copeland Kenntnis des Nachfragers von einer Preisdiskriminierung des Anbieters nicht für erforderlich hielt. Die Einfügung des Tatbestandsmerkmals „knowingly“ führte schließlich nicht nur zur wegweisenden Supreme Court Entscheidung Automatic Canteen, sondern auch dazu, dass erfolgreiche Fälle nach Section 2 (f) Clayton Act stets die Ausnahme geblieben sind. 781 Rowe, S. 423. 775

164

4. Teil: US-amerikanisches Kartellrecht

II. Tatbestandsvoraussetzungen Der Tatbestand von Section 2 (f) Clayton Act lässt sich verkürzt auf zwei wesentliche Tatbestandsvoraussetzungen reduzieren: Erstens muss der Käufer eine nach Section 2 (a) Clayton Act verbotene Preisdiskriminierung erhalten oder induziert haben. Zweitens muss der Nachfrager Kenntnis von der Illegalität des Preises haben. 1. Vorliegen einer Anbieterdiskriminierung Das Verhalten eines Nachfragers kann nach Section 2 (f) Clayton Act nur dann sanktioniert werden, wenn der Anbieter seinerseits gegen das Diskriminierungsverbot in Section 2 (a) Clayton Act verstoßen hat.782 Dies ergibt sich aus dem Verweis auf „this section“.783 Damit ist für Section 2 (f) Clayton Act zunächst stets das Vorliegen einer nach Section 2 (a) verbotenen Anbieterdiskriminierung nachzuweisen.784 Ein prima facie Fall einer Anbieterdiskriminierung gemäß Section 2 (a) Clayton Act liegt vor, beim zwischenstaatlichen Handels das gleiche Gut an unterschiedliche Käufer zu unterschiedlichen Preisen veräußert wurde und dies mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs führt. Kann ein solcher Fall bewiesen werden, so ist es Sache des beklagten Anbieters nachzuweisen, dass die unterschiedlichen Preise einer Rechtfertigung („defense“) zugänglich sind. a) Zwischenstaatlicher Handel Zunächst muss der Anbieter nach der in commerce-Klausel zwischenstaatlichen Handel betreiben und die Diskriminierung muss mit diesem im Zusammenhang stehen.785 Dies setzt prinzipiell voraus, dass das fragliche Gut physisch die Grenze zwischen zwei Bundesstaaten überquert.786 b) Veräußerung von Waren zu unterschiedlichen Preisen Weiterhin muss es sich um eine Veräußerung von Waren gleicher Art und Qualität an zumindest zwei Käufer handeln.787 Diese müssen auch tatsächlich im Wettbewerb 782 Applebaum, 39 Antitrust L.J. 869, 871 (1969 – 1970); Hovenkamp, Antitrust Law Band 14, Rdnr. 2361b; Hölzler/Satzky, S. 57; Rowe, S. 421. 783 Applebaum, 39 Antitrust L.J. 869, 871 (1969 – 1970). 784 Hovenkamp, Antitrust Law Band 14, Rdnr. 2361b. 785 Hölzler/Satzky, S. 58. 786 Sagers, S. 250; Gulf Oil Corp. v. Copp Paving Co., Inc., 419 U.S. 186, 195 (1974). Damit sind die Anforderungen im Vergleich zu der „interstate commerce“-Voraussetzung des Sherman Act deutlich höher. 787 Hölzler/Satzky, S. 58.

C. Preisdiskriminierungen nach Section 2 (f) Clayton Act

165

zueinander stehen,788 weshalb Funktionsrabatte an Unternehmen mit unterschiedlicher Vertriebsorganisation, die auf unterschiedlichen Wirtschaftsstufen stehen, regelmäßig nicht dem Verbot unterfallen. Etwas anderes gilt, wenn ein Unternehmen eine Doppelfunktion einnimmt und auf unterschiedlichen Stufen gleichzeitig tätig ist.789 Auch wenn der RPA von Diskriminierungen spricht, erfasst er streng genommen eher unterschiedliche Bedingungen.790 Diese können sich insbesondere in unterschiedlichen Preisen, Rabatten und Zuschüssen niederschlagen.791 Rabattsysteme müssen allen Abnehmern nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch gleichermaßen zugänglich sein, um nicht dem Diskriminierungsverbot zu unterfallen.792 Verkaufsverweigerungen unterfallen dem RPA hingegen ebenso wenig wie Diskriminierungen im Bereich von Dienstleistungen.793 Diskriminierungen im Rahmen der Vergabe von Technologie-Lizenzen, im Servicebereich, bei der Miete oder zwischen Mutter- und Tochterunternehmen sind ebenfalls nicht erfasst.794 Auch die Veräußerung unterschiedlicher Waren zu gleichen Preisen kann keinen Fall von Section 2 (a) Clayton Act begründen.795 Der Anwendungsbereich des RPA ist damit einerseits sehr weit, erfasst er doch nahezu jede erdenkliche Art der Ungleichbehandlung. Andererseits werden nur Veräußerungen erfasst und damit insbesondere der gesamte Dienstleistungsbereich nicht geregelt. c) Wettbewerbsbeeinträchtigungen Ein Verstoß gegen Section 2 (a) Clayton Act setzt außerdem voraus, dass die Gefahr einer Wettbewerbsbeeinträchtigung besteht. Notwendig ist gemäß der Morton Salt Entscheidung des Supreme Courts nicht, dass bewiesen wird, dass „the discriminations must in fact have harmed competition“, sondern lediglich, „that there is a reasonable possibility that they ,may‘ have such an effect.“796 Wann die ausreichende Wahrscheinlichkeit einer Wettbewerbsbeeinträchtigung besteht, hängt davon ab, auf welcher Stufe des Wettbewerbs sich eine Preisdiskriminierung auswirkt. 788

Volvo Trucks North America, Inc. v. Reeder-Simco GMC, Inc., 546 U.S. 164, 165 (2006). Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, S. 116 ff. 790 Sullivan/Hovenkamp/Shelanski, Antitrust Law, S. 909; Texaco, Inc. v. Hasbrouck, 496 U.S. 543, 559 (1990): „a price discrimination within the meaning of § 2(a) ,is merely a price difference‘ […].“ 791 Broder, S. 168 f. 792 In der Entscheidung FTC v. Morton Salt Co., 334 U.S. 37, 42 (1948). wurde es nicht als ausreichend angesehen, „that these discounts [gestaffelte Mengenrabatte] are equally available to all, but functionally they are not.“ Ausführlich dazu, wann Rabatte Abnehmern zugänglich („available“) sind, Bruckmann, 68 Antitrust L.J. 253, 266 ff. (2000). 793 Bruckmann, 68 Antitrust L.J. 253 (2000); Hölzler/Satzky, S. 58. 794 Bruckmann, 68 Antitrust L.J. 253, 253 – 255 (2000). 795 Hölzler/Satzky, S. 58. 796 FTC v. Morton Salt Co., 334 U.S. 37, 46 (1948). 789

166

4. Teil: US-amerikanisches Kartellrecht

Wettbewerbsbeeinträchtigungen können zunächst auf der Stufe des diskriminierenden Anbieters im Wettbewerb zu anderen Anbietern auftreten (primary line discrimination), beispielsweise durch Preisnachlässe gegenüber denjenigen Abnehmern, die bisher von Wettbewerbern des beklagten Anbieters Waren bezogen haben. Diese Fälle werden nach dem gleichen Maßstab wie Kampfpreise beurteilt und es findet der Brooke Group-Test Anwendung.797 Aufgrund der hohen Beweisanforderungen spielt die primary line discrimination daher im Rahmen des Clayton Act keine nennenswerte Rolle mehr.798 Eine secondary line discrimination betrifft den Wettbewerb zwischen Nachfragern auf dem Beschaffungsmarkt oder dem nachgelagerten Absatzmarkt.799 Opfer der Diskriminierung sind nicht Wettbewerber des Anbieters, sondern Konkurrenten des bevorzugten Nachfragers.800 Wettbewerbsbeeinträchtigungen sind weiterhin zwischen den Abnehmern der unterschiedlich behandelten Unternehmen möglich (tertiary line discrimination).801 Auch bei ihr sind die Opfer der Diskriminierung primär auf Seiten der Abnehmer zu finden. Zusammenfassend kann daher auch von kundenbezogenen Diskriminierungen gesprochen werden.802 Diese haben in der Praxis das größte Gewicht, und eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs wird grundsätzlich dann angenommen, wenn durch die Preisdiskriminierungen die Möglichkeiten des benachteiligten Konkurrenten, sich am Preiswettbewerb auf dem nachgelagerten Absatzmarkt zu beteiligen, eingeschränkt sind und damit ein Nachteil für die Verbraucherwohlfahrt zu erwarten ist.803 Ob von einer kundenbezogenen Preisdifferenzierung wettbewerbsschädigende Wirkungen ausgehen, wird primär anhand der Höhe der Preisdifferenz beurteilt.804 Ist diese substantiell, so wird eine solche Wirkung vermutet.805 Dies gilt umso mehr, wenn der benachteiligte 797 Beard/Kaserman/Stern, 53 Antitrust Bull. 75, 77 ff. (2008). Unterschiede ergeben sich dabei jedoch im Hinblick auf die Beweisanforderungen zum recoupment-Nachweis. Während nach Section 2 Sherman Act eine dangerous probability erforderlich ist, genügt im Rahmen des RPA eine reasonable probability, siehe Wurmnest, S. 434 Fn. 275. 798 Bruckmann, 68 Antitrust L.J. 253, 264 (2000); Sagers, S. 255; Sullivan/Hovenkamp/ Shelanski, Antitrust Law, S. 917. Auch besteht kein unmittelbarer Zusammenhang mit der hier diskutierten Nachfragemachtproblematik. Unmittelbare Auswirkungen auf den Beschaffungsmarkt fehlen. Daher werden Wettbewerbsbeeinträchtigungen aufgrund einer primary line discrimination in der folgenden Darstellung nicht berücksichtigt. 799 Sagers, S. 255. 800 Sullivan/Hovenkamp/Shelanski, Antitrust Law, S. 917. 801 Falls City Indus., Inc v. Vanco Beverage, Inc., 460 U.S. 428, 436 (1983); Hölzler/Satzky, S. 59. 802 Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, S. 113. 803 Sagers, S. 254. 804 Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, S. 112. 805 FTC v. Morton Salt Co., 334 U.S. 37, 46 f. (1948): „[T]he competitive opportunities of certain merchants were injured when they had to pay respondent substantially more for their goods than their competitors had to pay.“ Ebenso Texaco, Inc. v. Hasbrouck, 496 U.S. 543, 559 (1990). Kritisch hierzu, insbesondere aufgrund des fehlenden Marktbezuges dieser Sichtweise, Beard/Kaserman/Stern, 53 Antitrust Bull. 75, 85 (2008).

C. Preisdiskriminierungen nach Section 2 (f) Clayton Act

167

Kunde nachweisen kann, dass er aufgrund der Diskriminierung Verkaufs- oder Gewinneinbußen hinnehmen musste.806 d) Verteidigungen Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist nach Section 2 (a) Clayton Act ein prima facie Fall gegeben und der beklagte Anbieter ist beweispflichtig für das Bestehen einer defense. Kann er eine solche nachweisen, so ist die Preisdiskriminierung nicht verboten gemäß Section 2 (a) Clayton Act. Die beiden wichtigsten defenses sind die „cost justification defense“ und die „meeting competition defense.“807 Die cost justification defense greift ein, wenn der Anbieter beweisen kann, dass die Preisunterschiede auf tatsächlich divergierenden Kosten beim Absatz an unterschiedliche Abnehmer beruhen. Kostenbasierte Preisunterschiede sind insbesondere solche, die aufgrund unterschiedlicher Herstellungs, Vertriebs- oder Transportkosten entstehen.808 Die meeting competition defense erlaubt es einem Anbieter, unterschiedliche Preise anzubieten, wenn er darlegen kann, dass dies in der Absicht geschah, mit den Preisen von Konkurrenten gleichzuziehen.809 Wenn in gutem Glauben getätigt, sind danach auch Preisunterbietungen zulässig.810 Diese in Section 2 (b) Clayton Act normierte defense ist auch deshalb notwendig, damit es zu keinen Widersprüchen mit Zielen des Sherman Act – Erhöhung des Preiswettbewerbs und der Preisflexibilität – kommt. 2. Kenntnis des Nachfragers von der Anbieterdiskriminierung Der Nachfrager ist nur bei positiver Kenntnis der Diskriminierung des Anbieters verantwortlich gemäß Section 2 (f) Clayton Act.811 Während der Kläger für Section 2 (a) Clayton Act daher lediglich die Voraussetzungen einer Anbieterdiskriminierung nachweisen muss, sind die Anforderungen in Fällen von Section 2 (f) Clayton Act umfangreicher. Neben dem Vorliegen einer Preisdiskriminierung durch den Anbieter muss auch noch die Kenntnis des beklagten Nachfragers von dieser Diskriminierung nachgewiesen werden. Hat der Käufer keine Kenntnis davon, dass der Anbieter gegen Section 2 (a) Clayton Act verstoßen hat, ist eine Verantwortlichkeit nach Section 2 (f) Clayton Act ausgeschlossen.812 Das gilt auch, wenn der Käufer keine Kenntnis davon hat, 806 807 808 809 810 811 812

Bruckmann, 68 Antitrust L.J. 253, 265 (2000). Foer, Mr. Magoo Visits Wal-Mart: Finding the Right Lens for Antitrust, S. 18. Broder, S. 172. Bruckmann, 68 Antitrust L.J. 253, 293 (2000). Great Atlantic & Pacific Tea Co., Inc. v. FTC, 440 U.S. 69, 82 f. (1979). Hovenkamp, Antitrust Law Band 14, Rdnr. 2361b. Hovenkamp, Antitrust Law Band 14, Rdnr. 2361c.

168

4. Teil: US-amerikanisches Kartellrecht

dass er einen niedrigeren Preis als sein Wettbewerber erhält. Damit ist ein Verstoß insbesondere ausgeschlossen, wenn der Käufer keine Kenntnis der Einkaufspreise von Wettbewerbern hat.813 Da der Kläger die Beweislast für die Kenntnis des Beklagten trägt814 und sich der Nachweis subjektiver Voraussetzungen im Einzelfall sehr schwierig gestaltet, sind Verfahren gegen Nachfrager wegen eines Verstoßes gegen Section 2 (f) Clayton Act selten geblieben. 3. Kenntnis des Nachfragers vom Vorliegen von defenses Auch in Fällen nach Section 2 (f) Clayton Act ist ein Rückgriff auf die cost justification defense und die meeting competition defense möglich und schließt bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Verstoß gegen den Clayton Act aus. Da sich diese Verteidigungsmittel stets auf die Anbieterdiskriminierung nach Section 2 (a) Clayton Act beziehen, kann hier nach oben verwiesen werden.815 Fraglich ist jedoch, inwieweit dem beklagten Nachfrager Kenntnis vom Fehlen einer defense nachgewiesen werden muss. Bei Section 2 (a) Clayton Act liegt die Beweislast für das Vorliegen der defenses beim beklagten Verkäufer. Daraus ließe sich zunächst schließen, dass auch bei Section 2 (f) Clayton Act der beklagte Käufer beweisen muss, dass die unterschiedlichen Preise auf unterschiedlichen Kostenstrukturen oder auf dem gutgläubigen Eintritt in Konkurrentenpreise basieren. Diese Ansicht hat auch die Federal Trade Commission früher vertreten. Wenn Kenntnis des Nachfragers von einem prima facie Fall des Section 2 (a) Clayton Act nachgewiesen werden konnte, hielt sie den beklagten Nachfrager für beweispflichtig für auf das Vorliegen einer defense.816 Dieser Auslegung der Section 2 (f) Clayton Act ist der Supreme Court in der bis heute wegweisenden Automatic Canteen Entscheidung entgegengetreten. Danach reicht es nicht aus, dass der Käufer von der unterschiedlichen Behandlung durch den Verkäufer weiß. Vielmehr muss für Section 2 (f) Clayton Act der Kläger darlegen, dass die unterschiedlichen Preise nicht aufgrund unterschiedlicher Kosten gerechtfertigt sind und der beklagte Nachfrager davon Kenntnis hat.817 Erforderlich ist positive Kenntnis, dass die Voraussetzungen einer defense nicht vorliegen. Dazu führt Justice Frankfurter aus:

813 Texas Gulf Sulphur Co. v. J. R. Simplot Co., 418 F.2d 793, Rdnr. 83 (9th Cir. 1969); Hovenkamp, Antitrust Law Band 14, Rdnr. 2361c. 814 Dabei wird regelmäßig stark auf Indizien wie Schriftstücke und Kenntnises über die allgemeinen Marktbedingungen zurückgegriffen, siehe Hovenkamp, Antitrust Law Band 14, Rdnr. 2361c m.w.N. 815 Siehe oben 4. Teil C. II. 1. d). 816 Rowe, S. 439 ff. 817 Automatic Canteen Co. v. FTC, 346 U.S. 61, 76 (1953).

C. Preisdiskriminierungen nach Section 2 (f) Clayton Act

169

„We therefore conclude that a buyer is not liable under § 2 (f) if the lower prices he induces are either within one of the seller’s defenses, such as the cost justification, or not known by him not to be within one of those defenses.“818

Denn es sei dem beklagten Nachfrager regelmäßig kaum möglich sei, die maßgebliche Kostenrechnung des diskriminierenden Verkäufers zu beurteilen.819 Mit dieser Beschränkung sollte vermieden werden, dass Preisdifferenzierungen aufgrund üblicher Verhandlungen auch bei fehlender Kenntnis zu einem Verstoß gegen den Clayton Act führen.820 Wettbewerbsbeschränkend seien Preisdifferenzierungen im Sinne von Section 2 (f) Clayton Act schließlich nur, wenn das die Diskriminierung anleitende nachfragende Unternehmen von dieser Differenzierung weiß.821 Diese sehr restriktive, streng am Wortlaut der Norm orientierte Auslegung führte dazu, dass die FTC für mehrere Jahre die Verfolgung möglicher Verstöße gegen Section 2 (f) Clayton Act eingestellt hat.822 Versuchen der FTC, diese strikte Akzessorität zu durchbrechen,823 ist der Supreme Court auch später entgegengetreten.824 Der Nachweis, dass ein Nachfrager positive Kenntnis davon hat, dass unterschiedliche Preise keiner Rechtfertigung durch den Anbieter zugänglich sind, ist in der Praxis kaum zu erbringen. Entsprechend gering ist die Bedeutung von Section 2 (f) Clayton Act in der US-amerikanischen Kartellrechtspraxis geblieben.

III. Ergebnis zur Preisdiskriminierung durch Nachfrager nach Section 2 (f) Clayton Act Auch wenn Section 2 (f) Clayton Act ausdrücklich mit der Intention verabschiedet wurde, Nachfragemacht besser zu erfassen und kleinere Nachfrager zu schützen, wird die Norm in ihrer jetztigen Auslegung diesem Ziel nicht gerecht. Die vom Supreme Court aufgestellte Beweislastregel, die zu Recht als verunglückt bezeichnet wird, macht ein Vorgehen gegen große nachfragende Unternehmen nahezu unmöglich.825 Die Ende der 1960er Jahre vom FTC Chairman gemachte Aussage, dass 818

Automatic Canteen Co. v. FTC, 346 U.S. 61, 74 (1953). Hovenkamp, Antitrust Law Band 14, Rdnr. 2361 f, der sich im Hinblick auf diese Argumentation jedoch kritisch zu einer Übertragbarkeit der Rechtsprechung auf die „meeting competition defense“ äußert. Im Hinblick darauf, dass der Supreme Court allgemein von defenses „such as the cost justification“ spricht, ist eine Beschränkung auf diese jedoch nicht naheliegend. 820 Hölzler/Satzky, S. 60. 821 Hovenkamp, 68 Antitrust L.J. 125, 142 (2000). 822 Applebaum, 39 Antitrust L.J. 869, 873 (1969 – 1970). 823 Kroger Co. v. FTC, 438 F.2d 1372 (6th Cir. 1971); Great Atlantic & Pacific Tea Co., Inc. v. FTC, 557 F.2d 971 (2nd Cir. 1977). 824 Great Atlantic & Pacific Tea Co., Inc. v. FTC, 440 U.S. 69, 70 (1979). 825 Schmidt, S. 304 – 305. In der Praxis wurde die Norm vielmehr gegen kleinere Unternehmen angewandt. 819

170

4. Teil: US-amerikanisches Kartellrecht

der Schwerpunkt des Clayton Act in Zukunft bei der Anwendung gegen sogenannte „power buyers“ liegen werde,826 hat sich damit nicht bewahrheitet. Vielmehr gilt noch immer, was Mestmäcker bereits 1984 zutreffend ausführte: „Es gehört zu den Besonderheiten des Gesetzes, dass es primär Diskriminierungen durch Anbieter verbietet, obwohl es bestimmt ist, den Missbräuchen von Nachfragern zu begegnen.“827

Es kann daher nicht überraschen, dass über die Abschaffung des Robinson-Patman-Act diskutiert wird.828 Eine wirksame Kontrolle von Nachfragemacht erlaubt Section 2 (f) Clayton Act zumindest nicht.

D. Ergebnis zur Erfassung von Nachfragemachtmissbrauch durch US-Recht Das US-amerikanische Kartellrecht beschränkt nur in einem sehr begrenzten Maße die Preissetzungsfreiheit von Nachfragern. Das Fordern niedriger Preise ist nach Section 2 Sherman Act per se zulässig, und die Fallgruppe des Ausbeutungsmissbrauchs ist dem Monopsonisierungsverbot fremd. Kampfpreisstrategien stellen zwar ein prinzipiell dem Monopsonisierungsverbot unterfallendes Verhalten dar, jedoch sind die Hürden für den Nachweis enorm hoch. Insbesondere das Erfordernis, eine gefährliche Wahrscheinlichkeit von recoupment nachweisen zu müssen, wird im Einzelfall kaum jemals erfüllt werden können. Das Diskriminierungsverbot für Nachfrager nach Section 2 (f) Clayton Act ist aufgrund der Auslegung des Supreme Court ebenfalls auf die hier diskutierten Fälle des Preismissbrauchs praktisch unanwendbar. Damit sind Nachfrager, zumindest in kartellrechtlicher Hinsicht, in ihrer Preisgestaltung unabhängig vom Grad der Marktmacht weitgehend frei und eine kartellrechtliche Kontrolle erfolgt nicht.

826 827 828

Applebaum, 39 Antitrust L.J. 869, 869 f. (1969 – 1970). Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, S. 109. Hovenkamp, 68 Antitrust L.J. 125, 143 (2000).

5. Teil

Vergleichende Zusammenfassung A. Marktabgrenzung Die Marktabgrenzung spielt in allen drei untersuchten Kartellrechtsordnungen eine entscheidende Rolle.829 Für die Feststellung der Machtstellung eines Nachfragers ist dabei allein der Beschaffungsmarkt maßgeblich und als relevanter Markt primär in sachlicher und räumlicher Hinsicht abzugrenzen. Als einheitlicher Grundsatz der Marktabgrenzung, der auch für die Abgrenzung von Angebotsmärkten gilt, dient in den Vergleichsländern im Ausgangspunkt die Sichtweise der Marktgegenseite. Die Angebotssubstitution ist damit der entscheidende Faktor für die Marktabgrenzung. Während diese auf Angebotsmärkten im Rahmen des Bedarfsmarktkonzeptes qualitativ anhand des Bedarfs eines verständigen Verbrauchers ermittelt werden kann, der sich im Hinblick auf die spezifischen Merkmale und Verwendungszwecke des fraglichen Wirtschaftsgutes konkretisieren lässt, muss auf Beschaffungsmärkten spiegelbildlich das Absatzinteresse des Anbieters maßgeblich sein. Dieses lässt sich konkretisieren durch die Möglichkeiten der Produktions- und Absatzwegeumstellung, die insbesondere durch vorhandene Produktionsmittel und Know-how begrenzt sind. Unterschiede zwischen den Vergleichsländern bestehen insbesondere im Hinblick auf die Berücksichtigung quantitativer Abgrenzungskriterien. Während diese in Deutschland bislang nahezu keine Beachtung fanden, ist der quantitative SSNIP-Test zumindest bei der Abgrenzung von Angebotsmärkten im europäischen und USamerikanischen Kartellrecht mittlerweile fest etabliert. Als spiegelbildliches Modell kann der SSNDP-Test dienen, der als quantitatives Abgrenzungskriterium für Beschaffungsmärkte angewandt werden kann. Kann ein hypothetischer Monopsonist die Preise über einen längeren Zeitraum signifikant reduzieren und ist diese Preissenkung gewinnbringend, so sind die Marktgrenzen korrekt ermittelt worden. Ist die Preissenkung hingegen nicht profitabel, weil Anbieter auf die Produktion anderer Wirtschaftsgüter umstellen oder andere Absatzwege erschließen, so sind diese Austauschmöglichkeiten in den Markt einzubeziehen und der Test ist zu wiederholen. Die Marktabgrenzung erfolgt damit in Europa und den USA weitgehend nach

829

Melischek, S. 30.

172

5. Teil: Vergleichende Zusammenfassung

der gleichen Methodik.830 Da im Rahmen des Bedarfsmarktkonzepts auf den verständigen Anbieter abgestellt wird, im Rahmen eines SSNDP-Tests hingegen der marginale Anbieter maßgeblich sein muss,831 kann die Heranziehung des SSNDPTests im Einzelfall zu weiter abgegrenzten Märkten führen als das Bedarfsmarktkonzept.

B. Marktmacht Die im Mittelpunkt der vorliegenden Darstellung stehenden Missbrauchsverbote von § 19 GWB, Art. 102 AEUV und Section 2 Sherman Act setzen allesamt einen gewissen Grad an Marktmacht voraus, die ein Nachfrager auf dem Beschaffungsmarkt haben muss.832 Gemeinsam ist allen Rechtsordnungen, dass allein das Bestehen von Marktmacht auf dem Beschaffungsmarkt ausreicht. Das Unternehmen kann auf dem nachgelagerten Absatzmarkt also durchaus intensivem Wettbewerb ausgesetzt sein. Jedoch ist der erforderliche Grad an Marktmacht unterschiedlich. Die höchsten Anforderungen an die Marktmacht stellt Section 2 Sherman Act. Zum einen wird im Rahmen des Monopolisierungsverbots fast ausschließlich der Marktanteil des Unternehmens betrachtet,833 zum anderen ist die erforderliche Höhe des Marktanteils im Vergleich zum deutschen und europäischen Recht besonders hoch. Auch wenn eine klare Marktanteilsschwelle bislang nicht festgelegt wurde, dürften im Regelfall Marktanteile von weniger als zwei Dritteln nicht für den Nachweis von Monopsonmacht genügen.834 Logische Konsequenz dieser Schwelle ist, dass nach Section 2 Sherman Act stets nur ein Unternehmen auf einem abgegrenzten Markt beherrschend sein kann.835 Eine dem deutschen Recht vergleichbare Rechtsfigur der relativen oder überlegenen Marktmacht ist dem US-amerikanischen Kartellrecht fremd.836 Das Diskriminierungsverbot von Section 2 (f) Clayton Act ist 830 Vgl. im Hinblick auf Angebotsmärkte Bloch/Kamann/Brown u. a., 7 Business Law International 136, 150 (2006). 831 Vgl. für Angebotsmärkte Klein, WuW 2010, 169 (174 f.). 832 Allein der Clayton Act erfordert keinen unmittelbaren Markt- und Machtbezug. Die nachfragespezifische Regelung des Section 2 (f) Clayton Act hat in der Praxis jedoch keine Bedeutung mehr. 833 Die Bestimmung von Marktmacht erfolgt nach Section 2 Sherman Act damit allein anhand eines horizontalen Vergleichs. 834 Auch im Verfahren gegen Weyerhaeuser hatte trotz entsprechender Marktanteile der Court of Appeals primär auf die versuchte Monopsonisierung abgestellt, die geringe Marktanteile genügen lässt. Aufgrund der Rechtsprechung des Supreme Court können Kampfpreisüberbietungen in Zukunft jedoch nicht mehr von der attempted monopolization erfasst werden. Selbst Marktanteile von 100 Prozent sind bei fehlenden Marktzutrittsbarrieren unter Umständen nicht ausreichend, Bloch/Kamann/Brown u. a., 7 Business Law International 136, 151 f. (2006). 835 In re Beef Industry Antitrust Litigation, 907 F.2d 510, 515 (5th Cir. 1990). 836 Die US-amerikanische Kartellrechtswissenschaft steht der Berücksichtigung von Abhängigkeitsverhältnissen grundsätzlich sehr skeptisch gegenüber, vor allem weil ein dem

B. Marktmacht

173

dagegen unabhängig vom Bestehen von Marktmacht anwendbar, hat in der Praxis jedoch keine Bedeutung mehr. Das US-amerikanische Kartellrecht erfasst Nachfragemacht somit nur, wenn sie auf Monopsonmacht nach dem klassischen Marktmachtverständnis beruht. Die kartellrechtliche Erfassung von Nachfragemacht im Sinne von Verhandlungsmacht ist nach Section 2 Sherman Act nicht möglich. Eine marktbeherrschende Stellung im Sinne von § 19 GWB weist ein Nachfrager dann auf, wenn er gemäß § 18 Abs. 1 GWB ohne Wettbewerber ist, keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder eine überragende Marktstellung im Vergleich zu seinen Konkurrenten innehat. Im Mittelpunkt der Anwendungspraxis steht dabei die überragende Marktstellung im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 GWB. Zwar zählt der Kriterienkatalog des § 18 Abs. 3 GWB ebenso vertikale Machtfaktoren auf, doch steht der horizontale Machtvergleich eindeutig im Vordergrund. Der Marktanteil spielt eine bedeutende Rolle bei der Feststellung nachfrageseitiger Marktbeherrschung, die erforderliche Höhe ist aber deutlich niedriger als in den USA. So greift auch die Beherrschungsvermutung für Einzelunternehmen gemäß § 18 Abs. 4 GWB bereits bei 40 Prozent ein. Zudem sind die weiteren Marktstruktur-, Unternehmensstruktur- und Marktverhaltenskriterien des § 18 Abs. 3 GWB zu berücksichtigen. Eine parallele Einzelmarktbeherrschung durch mehrere Nachfrager ist dem GWB jedoch ebenfalls fremd, und marktbeherrschend kann stets nur ein Einzelunternehmen sein.837 Auch wenn im Rahmen der überlegenen Marktstellung auch das Bestehen vertikaler Abhängigkeitsverhältnisse zu berücksichtigen ist, setzt eine marktbeherrschende Stellung grundsätzlich horizontale Marktmacht voraus und basiert damit auf dem klassischen Marktmachtverständnis. Der Nachweis nachfrageseitiger Marktbeherrschung gestaltet sich damit auch in Deutschland in der Praxis schwierig, und seit Aufgabe der Unverzichtbarkeitsthese hat das Bundeskartellamt ihn in keinem Verfahren erbringen können. Unter anderem um die Nachfragemachtproblematik besser erfassen zu können, erweitern § 20 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 und Abs. 3 S. 1 GWB den Anwendungsbereich von § 19 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 5 GWB auf Unternehmen mit relativer Machtmacht und überlegener Marktmacht gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern. Während sich Erstere in einem Abhängigkeitsverhältnis der Marktgegenseite äußert, zielt Letztere auf den Schutz kleiner und mittlerer Unternehmen und senkt die Schwelle, ab der Unternehmen eine überragende Marktstellung im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 3 innehaben. Die hier diskutierten Fallgruppen des Ausbeutungsmissbrauchs durch niedrige Einkaufspreise und der Kampfpreisüberbietung sind in Fällen relativer oder überlegener Marktmacht indes nicht von Bedeutung. Mit der kartellrechtlichen Erfassung Marktmachtkonzept vergleichbares ökonomisches Modell zur Erklärung von Abhängigkeiten und deren Auswirkungen auf den Wettbewerb noch nicht gleichermaßen etabliert ist, siehe Scheelings/Wright, 39 Akron L. Rev. 207, 235 f. m.w.N. (2006); Vogel, 19 ECLR 4, 9 (1998). 837 Siehe oben 2. Teil A. II. 1. b).

174

5. Teil: Vergleichende Zusammenfassung

relativer Marktmacht ist grundsätzlich jedoch auch eine Kontrolle von Nachfragern möglich, die lediglich über Verhandlungsmacht verfügen. Die niedrigsten Anforderungen an den Nachweis nachfrageseitiger Marktbeherrschung stellt Art. 102 AEUV auf. Zwar ist auch im Rahmen des Art. 102 AEUV der Marktanteil von Bedeutung für den Nachweis von Marktbeherrschung auf Beschaffungsmärkten. Nach hier vertretener Ansicht erlaubt Art. 102 AEUV jedoch im Hinblick auf Nachfrager neben dem klassischen Verständnis von Marktbeherrschung als horizontale Marktmacht auch eine Interpretation von Marktbeherrschung als vertikale Macht. In diesem Fall verliert der Marktanteil als Machtindikator an Bedeutung und andere Markt- und Unternehmensstrukturmerkmale treten in den Vordergrund. Marktanteile von knapp über 20 Prozent wurden bereits als ausreichend für den Nachweis einer marktbeherrschenden Stellung auf einem Beschaffungsmarkt erachtet und lassen die Möglichkeit zu, dass nicht nur ein Nachfrager auf einem bestimmten Markt Normadressat des Missbrauchsverbots ist. Während der klassische Marktbeherrschungsbegriff von Art. 102 AEUV sich weitgehend mit dem deutschen Marktbeherrschungsbegriff deckt, ergeben sich durch eine Interpretation von Marktbeherrschung im Sinne eines „partenaire obligatoire“ insbesondere auch Überschneidungen mit der relativen Marktmacht im Sinne von § 20 Abs. 1 S. 1 GWB. Möglich wird damit eine grundsätzliche Anwendung des Missbrauchsverbots des Art. 102 AEUV auch auf solche Nachfrager, die lediglich über vertikale Nachfragemacht im Sinne von Verhandlungsmacht verfügen. Die praktische Bedeutung einer solchen Erweiterung des Normadressatenkreises ist jedoch gering. Wenn Nachfragemacht nur im Rahmen einer vertikalen Machtbeziehung besteht, wird nur bei besonders großen, international tätigen Nachfragern im Regelfall ein wesentlicher Teil des Binnenmarktes betroffen sein und das Zwischenstaatlichkeitserfordernis erfüllt werden können. Zudem erlaubt bloß vertikale Macht nicht den Einsatz einer Kampfpreisstrategie zur Verdrängung von Wettbewerbern.

C. Missbrauch I. Ausbeutungsmissbrauch durch niedrige Preise Ein Ausbeutungsmissbrauch von Nachfragern zeigt sich im Fordern von Einkaufspreisen, die unter wettbewerblichen Bedingungen nicht zustande kommen würden. Die Ausbeutung der Marktgegenseite wird in Deutschland und Europa explizit in § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB bzw. Art. 102 lit. a) AEUV als missbräuchliches Verhalten aufgezählt. Dagegen ermöglicht Section 2 Sherman Act lediglich eine Verfolgung von Verhaltensweisen, die „exclusionary“ sind, nicht jedoch von „exploitative abuses.“ Dies wird oftmals als ein grundlegender Unterschied zwischen der europäischen und deutschen Missbrauchsaufsicht zum US-amerikanischen Monopolisierungsverbot bezeichnet.

C. Missbrauch

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Das deutsche wie das europäische Kartellrecht ermöglichen nicht bloß eine Verfolgung von „exclusionary“ sondern auch von „exploitative abuses“ von Marktmacht. Beiden Rechtsordnungen liegt dabei ein „als-ob“-Ansatz zugrunde. Die Wettbewerbsbehörden prüfen danach, ob das Marktverhalten von dominanten Unternehmen dem Verhalten entspricht, welches bei wirksamen Wettbewerb zu beobachten wäre. Entsprechend ähnlich erfolgt die Ermittlung kartellrechtswidriger Einkaufspreise sowohl nach Art. 102 lit. a) AEUV als auch nach § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB: In einem ersten Schritt wird der wettbewerbsanaloge Preis ermittelt, in einem zweiten Schritt wird die Abweichung von diesem Preis auf ihre Missbräuchlichkeit hin untersucht. Anwendungsschwierigkeiten ergeben sich dabei – für Einkaufspreise gleichermaßen wie für Verkaufspreise – insbesondere bei der Ermittlung des wettbewerbsanalogen Preises. Die in beiden Rechtsordnungen angewandten Vergleichsmarktkonzepte sind dabei genauso wenig praktikabel wie ein Gewinnspannenbegrenzungskonzept, bei dem der Wert des Wirtschaftsgutes in Relation zum Preis gesetzt wird. Insbesondere bei missbräuchlichen Einkaufspreises ist ein solcher Ansatz kaum möglich.838 Dem Einkauf einer bestimmten Ware kann schließlich kaum ein unmittelbarer Gewinn beim Nachfrager zugerechnet werden. Dies gilt bereits beim Einkauf zum Weiterverkauf, erst recht aber beim Einkauf zur Weiterverarbeitung. Angesichts der Schwierigkeiten bei der Rechtsanwendung kann die fehlende Fallpraxis daher nicht überraschen.839 Mit ausreichender Rechtssicherheit ist im Einzelfall kaum nachweisbar, dass ein Nachfrager seinen Lieferanten tatsächlich Einkaufspreise abverlangt, die als missbräuchlich anzusehen sind. Die Möglichkeit der Verfolgung missbräuchlich niedriger Einkaufspreise nach europäischen und deutschen Kartellrecht ist daher nicht mehr als eine theoretische. Der fundamentale Unterschied, der de iure zwischen dem deutschen, europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht im Hinblick auf den Ausbeutungsmissbrauch durch niedrige Einkaufspreise besteht, ist de facto bislang nahezu bedeutungslos.840 Der Ausbeutungsmissbrauch spielt in allen hier untersuchten Kartellrechtsordnungen nur eine untergeordnete Bedeutung, was im Hinblick auf die mit dem Einschreiten der Kartellbehörden verbundenen Konsequenzen begrüßenswert ist. Die hoheitliche Anhebung von Einkaufspreisen und die Anordnung eines Abnahmezwangs sind langfristig keine geeigneten Mittel, um die Anbieter vor Ausbeutung zu schützen und wettbewerbliche Strukturen zu fördern. Auch wenn teil838

Siehe oben 3. Teil E. I. 1. So bezeichnet Adams die Möglichkeiten der Preiskontrolle als „so difficult to use that it may sit upon the shelf gathering dust.“, Adams, 18 Vand. J. Transnat’l L. 1985, 1 (67). 840 So auch Schweitzer, Parallels and Differences in the Attitudes Towards Single-Firm Conduct: What are the Reasons?, S. 25. im Hinblick auf Verkaufspreise: „They [Autoren, die dem EU-Kartellrecht einen ordoliberalen Regulierungsansatz vorwerfen] allege an opposition between EU and US antitrust law which does not exist. Regulatory aspirations of EU competition law and its instrumentalization for non-economic goals are claimed where none can be found.“ Siehe auch Gal, Antitrust Bull. 2004, 343 (382). 839

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5. Teil: Vergleichende Zusammenfassung

weise ein härteres Eingreifen zum Schutz vorgelagerter Wirtschaftsstufen vor Nachfragemacht gefordert wird, ist das nach alledem kein geeignetes Mittel zur Bekämpfung von Nachfragemacht.

II. Kampfpreise Behinderungsmissbräuche in Form von Kampfpreisen werden dagegen sowohl vom Verbot des Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB und Art. 102 AEUV als auch durch das Monopolisierungsverbot in Section 2 Sherman Act erfasst.841 Da sich die bisherige Praxis auf Kampfpreisunterbietungen durch dominante Anbieter konzentriert, ist für die Frage, wie Kampfpreisüberbietungen kartellrechtlich zu handhaben sind, ein Rückgriff auf die für jene bestehenden Grundsätze erforderlich. Diesen Rückgriff auf bestehende Prinzipien hat der Supreme Court für Fälle nach Section 2 Sherman Act in der Weyerhaeuser-Entscheidung explizit angeordet. Für Deutschland und Europa ergibt sich die Erforderlichkeit eines Rückgriffs aus dem allgemein propagierten Spiegelbildprinzip. Für die Behandlung von Kampfpreisüberbietungen durch dominante Nachfrager nach Section 2 Sherman Act findet der Brooke Group-Test Anwendung. Eine Kampfpreisüberbietung liegt danach vor, wenn die Einkaufspreise so hoch angesetzt werden, dass auf nachgelagerten Märkten mit dem Verkauf der Ware kein Gewinn mehr erwirtschaftet werden kann. Allein Verlustpreise können daher der ersten Anforderung des Brooke Group-Tests genügen, und Überkostenpreise bedeuten stets, dass der Preis nicht missbräuchlich ist. Die Verdrängungsabsicht ist daher nicht von Bedeutung,842 und nicht kostenabhängige Methoden zur Ermittlung von Kampfpreisen spielen im US-Kartellrecht eine zu vernachlässigende Rolle.843 Als zweites Erfordernis setzt der Brooke Group-Test voraus, dass die gefährliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass das Unternehmen bei erfolgreicher Verdrängung seine Verluste durch eine Senkung des Einkaufspreises unmittelbar auf dem Beschaffungsmarkt wird ausgleichen können. Der Nachweis einer gefährlichen recoupment-Wahrscheinlichkeit muss damit in jedem Fall erbracht werden. Anders als bei der Kampfpreisunterbietung lässt sich dieses Erfordnis jedoch beim predatory buying, entgegen der Argumentation des Supreme Court, nicht unmittelbar mit dem Schutz der Verbraucherwohlfahrt als Gesetzeszweck erklären.844 Diese sehr hohen 841 So bereits im Hinblick auf den Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Anbieter, Schmidt, S. 225. 842 Siehe nur Taylor Pub. Co. v. Jostens, Inc., 216 F.3d 465, 471 (5th Cir. 2000): Obwohl direkte Beweise für die Verdrängungsabsicht des Marktführers Jostens vorgelegt wurden und auch die Jury Taylor Schadensersatz zugebilligt hat, hat der Berufsrichter die Klage „as a matter of law“ abgewiesen. Der Court of Appeals hat sich dem angeschlossen. 843 Areeda/Hovenkamp, Antitrust Law Band 3 A, Rdnr. 747b2. 844 Siehe oben 4. Teil A. III. 2. b) bb) (2).

C. Missbrauch

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Anforderungen können bereits in Fällen der Kampfpreisunterbietung kaum erfüllt werden, im Rahmen von Kampfpreisüberbietungen ist der Nachweis nahezu unmöglich. Während Kampfpreisstrategien daher de iure nach Section 2 Sherman Act untersagt sind, bedeutet der Brooke Group-Test de facto nahezu eine per se Legalität von Kampfpreisen.845 Deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht behandeln Kampfpreise im Wesentlichen identisch. Ausgangspunkt der Analyse von Kampfpreisen ist nach deutschem und europäischen Kartellrecht eine Verlustanalyse. Eine Festlegung auf einen bestimmten Kostenstandard ist dabei weder dem deutschen noch dem europäischen Kartellrecht zu entnehmen. Damit hören die Gemeinsamkeiten mit dem US-Kartellrecht jedoch weitgehend auf.846 Anders als in den USA spielt in Deutschland und Europa die Absicht des dominanten Unternehmens bei der Beurteilung der Preisstrategie eine entscheidende Rolle. Kampfpreisunterbietungen sind hier selbst bei Überkostenpreisen theoretisch möglich. Diese grundsätzliche Möglichkeit lässt die Bedeutung der Verlustanalyse in den Hintergrund treten. Das ist insbesondere für die Erfassung von Kampfpreisüberbietungen eine unabdingbare Anwendungsvoraussetzung, weil eine Kostenzuordnung im Einzelfall unmöglich ist.847 Nicht erforderlich ist nach § 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB wie nach Art. 102 AEUV, dass die gefährliche Wahrscheinlichkeit von recoupment nachgewiesen wird. Dieser Unterschied zum US-amerikanischen Recht beruht darauf, dass das Verbot von Kampfpreisen in Europa nicht auf ein bestimmtes Marktergebnis abzielt, sondern der Wettbewerbsprozess und die daran teilnehmenden Wettbewerber vor Verfälschungen geschützt werden sollen.848 Auch wenn die grundsätzliche Eignung der Preisstrategie zur Beschränkung des Restwettbewerbs von Bedeutung ist, muss ein unmittelbarer Schaden bei erfolgreicher Verdrängung nicht nachgewiesen werden. Die Anforderungen an den Nachweis einer Kampfpreisstrategie sind daher, in Bezug auf angebots- wie auf nachfrageseitige Kampfpreisstrategien, deutlich geringer als in den USA.849 Jedoch dürfte eine Marktstruktur, die eine Kampfpreisüberbietung als eine rationale Unternehmensstrategie für einen Nachfrager auf einem Beschaffungsmarkt 845 Evans/Padilla, Designing Antitrust Rules for Assessing Unilteral Practices, S. 29. Seit Brooke Group ist es daher in den USA auch zu keiner erfolgreichen Klage wegen Kampfpreisen gekommen. 846 Siehe zum europäischen und US-Recht Schweitzer, Parallels and Differences in the Attitudes Towards Single-Firm Conduct: What are the Reasons?, S. 30. 847 Siehe oben 2. Teil A. III. 2. a) aa). 848 Siehe im Hinblick auf Kamfpreisunterbietungen Schweitzer, Parallels and Differences in the Attitudes Towards Single-Firm Conduct: What are the Reasons?, S. 32. Zu Recht weist Schweitzer zudem darauf hin, dass dies nicht mit dem Schutz von (schwächeren) Wettbewerbern gleichzusetzen ist, sondern vielmehr den Schutz der individuellen Freiheiten der Wettbewerbsteilnehmer bedeutet, was Voraussetzung für die Entfaltung freien Wettbewerbs ist. 849 So bereits prognostiziert von Adams, 18 Vand. J. Transnat’l L. 1, 26 (1985).

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5. Teil: Vergleichende Zusammenfassung

erscheinen lässt,850 in Europa noch seltener vorzufinden sein als in den USA. So kann es nicht verwundern, dass der Thematik der Kampfpreisüberbietung – trotz des großen Echos auf die Weyerhaeuser-Entscheidung des Supreme Court in den USA – diesseits des Atlantiks noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Der Missbrauch von Nachfragemacht durch den Einsatz von Kampfpreisstrategien bleibt daher in erster Linie von akademischem Interesse.

850 Räumlich eng abgegrenzte Beschaffungsmärkte um ein knappes Gut und wettbewerblich geprägte nachgelagerte Absatzmärkte, auf denen der dominante Nachfrager keine Marktmacht besitzt.

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Stichwortverzeichnis Abhängigkeiten 88, 109 Abhängigkeitsvermutung 91 Anticompetitive Conduct 143 Ausbeutungsmissbrauch 19, 60, 119, 145, 174 Behinderungsmissbrauch 20, 66, 92, 94, 122, 147 Binnenmarkt 118 Brooke Group-Test 148, 149, 176 – Kritik 156 – Predation-Phase 151 – Recoupment-Phase 153 – Übertragung auf Beschaffungsmärkte 150 Cellophan-Trugschluss

134

Exclusionary Conduct

143

Gewinnbegrenzungskonzept

63, 120

Kampfpreise 20, 66, 122, 176 – Brooke Group-Test 148 – Ermittlung von Kampfpreisen 67, 123 – Predatory Buying 72, 122, 127, 147 – Rechtfertigung 76, 129 – Recoupment 149, 153 – Verdrängungsabsicht 74, 128 – Verdrängungswirkungen 75, 128 – Verlustanalyse 72, 127, 151 Kampfpreisüberbietung 72, 127, 147 Kampfpreisunterbietung 123, 148 Kleine und mittlere Unternehmen 83 Kreuzpreiselastizität 134 Marktabgrenzung 25, 98, 132, 135, 171 – Angebotsumstellungsflexibilität 138 – Beschaffungsmärkte 28, 137 – Exportmöglichkeiten 36 – Marktnahe Akteure 33, 139

– – – – – –

Methodik 26 Räumlich 34, 101, 105, 136, 139 Relative Marktmacht 81 Sachlich 29, 99, 103, 133, 137 Spiegelbildlicher SSNIP-Test 104 Spiegelbildliches Bedarfsmarktkonzept 103 – SSNDP-Test 104, 138, 171 – SSNIP-Test 100 – Umstellung des Absatzweges 32 – Umstellung des Angebots 30 – Zeitlich 38, 101, 105 Marktbeherrschung 39, 107 – Paralleler Einzelmarktbeherrschung 41 – Pivotale Nachfrager 41 – Teilmonopson 44 – Überragende Marktstellung 45 – Unverzichtbarkeitsthese 39 – Vollmonopson 44 Marktbeherrschungskriterien 113 – Ausweichmöglichkeiten 57 – Finanzkraft 51 – Marktanteil 46, 113 – Marktstrukturkriterien 113 – Marktverhalten 117 – Marktzutrittsschranken 54 – Tatsächlicher oder potenzieller Wettbewerb 56 – Umstellungsflexibilität 56, 117 – Unternehmensstruktur 117 – Verflechtungen 54, 117 – Zugang zu Absatzmärkten 52 Marktbeherrschungsvermutung 59 Marktmacht 172 Missbrauch 60, 143 Monopsonisierung 131 Monopsonmacht 140 – Bestimmung 140 – Market share proxy-Test 141 – Marktanteil 142 – Marktzutrittsschranken 143

Stichwortverzeichnis Nachfragemacht

17

Partenaire obligatoire 109, 174 Passive Diskriminierung 77 Preisdiskriminierungen 162 Recoupment 149, 153, 177 Relative Marktmacht 80 – Ausreichende Ausweichmöglichkeiten 86 – Europäisches Recht 109 – Goodwill-bedingte Abhängigkeit 90 – Investitionen oder Spezialisierungen 89 – Nachfragebedingte Abhängigkeit 85 – Umsatzanteile 88 – Zumutbare Ausweichmöglichkeiten 87 Robinson-Patman Act 162

193

Sherman Act

131

Teilmonopson

44

Überlegene Marktmacht 92 Unverzichtbarkeitsthese 39 Vergleichsmarktkonzepte 61, 121 Versuchte Monopsonisierung 158 Vollmonopson 44 Wettbewerbsanaloger Preis

64, 121

Zwischenstaatlichkeitsklausel

130