Der Unternehmensverbund im Europäischen Kartellrecht [1 ed.] 9783428494026, 9783428094028

Unternehmen können sich mit höchst unterschiedlicher Intensität mit anderen Unternehmen verbinden. Für das Kartellrecht

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Der Unternehmensverbund im Europäischen Kartellrecht [1 ed.]
 9783428494026, 9783428094028

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PETRA POHLMANN

Der Untemehmensverbund im Europäischen Kartellrecht

Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Herausgegeben im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster durch die Professoren Dr. Hans-Uwe Erichsen Dr. Helmut Kollhosser Dr. Jürgen Welp

Band 123

Der Untemehmensverbund im Europäischen Kartellrecht

Von

Petra Pohlmann

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Pohlmann, Petra:

Der Unternehmensverbund im europäischen Kartellrecht I . von Petra Pohlmann. - Berlin: Duncker und Humblot, 1999 (Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft; Bd. 123) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Habil.-Schr., 1997 ISBN 3-428-09402-6

Alle Rechte vorbehalten

© 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5383 ISBN 3-428-09402-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

e

Meinem Mann

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1997 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster als Habilitationsschrift angenommen. Herr Professor Dr. Helmut Kollhosser hat die Arbeit betreut. Ihm danke ich für die vielfältige fachliche und persönliche Förderung, die ich bereits in Studienzeiten, dann als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin sowie als Habilitandin von ihm erfahren durfte. Herr Professor Dr. Wolfram Timm erstattete das Zweitgutachten zu der Arbeit. Das Land Nordrhein-Westfalen förderte die Habilitation durch ein LiseMeitner-Stipendium. Herr Professor Dr. Karsten Schmidt begutachtete das Konzept der Arbeit für den Stipendiumsantrag. Die Herausgeber der Münsterisehen Beiträge zur Rechtswissenschaft, die Herren Professoren Dres. HansUwe Erichsen, Helmut Kollhosser und Jürgen Welp nahmen die Arbeit in die Schriftenreihe der Fakultät auf. Ihnen allen, die mich gefördert und begleitet haben, danke ich. Die Arbeit fiel in eine Zeit wichtiger Gesetzesänderungen sowohl im europäischen als auch im deutschen Recht. Sie ist jetzt auf dem Stand der Gesetzgebung vom 1. 1. 1999. Rechtsprechung, Literatur und Verwaltungsentscheidungen wurden soweit wie möglich bis Ende 1998 eingearbeitet. Meinen Mitarbeitern, Herrn Assessor Jörg Degenhardt, Maitre en Lettres, Frau Rechtsreferendarin Susanne Kerfs und Herrn Assessor Christoph Schnipper danke ich für ihren Einsatz bei der Aktualisierung der Arbeit. Düsseldorf, im März 1999 Petra Pohlmann

Inhaltsübersicht Einleitung .............................. .... ........ ....................................................................... 29 1. Teil: Grundlagen .................................................................................................. 32 A. Überblick über die Wettbewerbsregeln des europäischen Rechts ............. 32

B. Der Unternehmensbegriff ........................................... .. .......................... 35 C. Der Unternehmensverbund ..................................................................... 65 D. Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle ............................. 76 2. Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes als Gegenstand der Marktstrukturkontrolle und der Marktverhaltenskontrolle ...................................... 88 A. Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle als verschiedene

Bereiche kartellbehördlicher Kontrolle ................................................... 88

B. Die DefInition von Konzentrationssachverhalten in Art. 3 Abs. 1, 3,4

FKVO .................................................................................................. 107

C. Die Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 FKVO fUr die Definition von Konzentrationssachverhalten ................................................................ 205 D. Anwendbarkeit des Art. 85 EGV aufKonzentrationssachverhalte ......... 216

E. Keine Marktstrukturkontrolle nach Art. 86 EGV .................................. 245 F. Ergebnisse des 2. Teils ......................................................................... 256 3. Teil: Das Verhältnis von Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle bei der Entstehung des Unternehrnensverbundes ......................................... 258 A. Problemstellung ................................................................................... 258

B. Konkurrenzverhältnis der FKVO zu Artt. 85,86 EGV .......................... 259 C. Beurteilung von VerhaltenskoordinationennachArt. 3 Abs. 2 FKVO a. F ........................................................................................... 267 D. Die Novelle der FKVO ........................................................ .. ............... 272 E. Die Rechtslage seit dem 1. 3. 1998 ....................................................... 286 F. Ergebnisse des 3. Teils ....................... .. .... .. .......................................... 298

10

Inhaltsübersicht

4. Teil: Der bestehende UnternehmensverbWld in der Marktstrukturkontrolle Wld in der Marktverhaltenskontrolle ................................................................. 301 A. Die ZurechnWlg von Umsätzen gemäß Art. 5 Abs. 4, Abs. 5 FKVO ...... 302

B. Die Zurechnung nach den VerbWldklauseln der GVOs ......................... 345 C. Die ZurechnWlg von Verhalten bei Artt. 85,86 EGV ............................ 354 D. Die ZurechnWlg von Marktanteilen Wld wirtschaftlicher Macht bei der Prognose gemäß Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO .................................. 381 E. Die "negative ZurechnWlg" bei den sogenannten konzerninternen VereinbarWlgen .................................................................................... 395 F. Weitere ZurechnWlgsfragen .................................................................. 419 G. Ergebnisse des 4. Teils ......................................................................... 420

Schluß ..................................................................................................................... 422 Literaturverzeichnis ................................................................................................ .429 Rechtsquellen .......................................................................................................... 450 Sachverzeichnis ...................................................................................................... .453

Inhaltsverzeichnis Einleitung ........... ............ ........................ ................................................ ................. 29 1. Teil Grundlagen A. Überblick über die Wettbewerbsregeln des europäischen Rechts .......................... 32 B. Der UntemehmensbegrijJ .................................................................................... 35 I.

Unternelunen im Sinne von Artt. 85, 86 EGV .............................................. 35 1. Unternehmen als Tätigkeit ............................................................. ....... 35 2. Unternehmen als Objekt.. ...................................................................... 35 3. Unternehmen als Subjekt ...................................................................... 36 a) Meinungsstand ................................................................................. 36 b) Lösung von Rechtsfragen verbundener Unternehmen über den UnternehmensbegritT........................................................................ 37 aal Anwendung der Gruppenfreistellungsverordnungen, die fllr Vereinbarungen zwischen zwei Unternehmen gelten .................. 38 bb) Marktbeherrschende Stellung verbundener Unternehmen ......... .40 cc) Zurechnung von Handlungen ..................................................... 41 dd) Konzerninterne Vereinbarungen ............................................... .43 ee) Konzerninterne Lieferungen ................... .. .. .............................. .45 tT) Rechtsnachfolge ........................................................................ 46 gg) Ergebnis zu b) ........................................................................... 48 4. Eigene Lösung ................................................................ .. .... .... .. .... ..... .49 a) Unternehmensträger als Unternehmen ........ .... ................................. .49 b) Anteilseigner als Unternehmen ......................................................... 52 c) Sonstige Einflußinhaber als Unternehmen ........................................ 56 5. Ergebnis zu I............................................................................ ............. 57

n.

Unternehmen im Sinne der FKVO .............................................................. 57 1. Meinungsstand ............................... ....................................................... 57 2. Unternehmen als Tätigkeit .................................................................... 58 3. Unternehmen als Objekt .......................................... .. ............................ 58

Inhaltsverzeiclrnis

12

4. Unternehmen als Subjekt ...................................................................... 60 a) Unternehmensträger als Unternehmen ....... .. .............................. .. ..... 60 b) Anteilseigner als Unternehmen .................................. ......... ... .... ....... 61 c) Sonstige Einflußinhaber als Unternehmen ........................................ 64 5. Ergebnis zu Ir......................... ...... ............ .......... .... .......... ...... ............... 65 C. Der Untemehmensverbund ........... .. ........................ ........ .... .... .. .. ..... ...... .. ............ 65

1.

Die Verbundklauseln ................................................. .................. ............... 66 I. 2. 3. 4. 5.

Die Verbundklauseln als Zureclrnungsnorrnen ............ ...... ...... ............... 66 Der Aufbau der Verbundklauseln .......................................................... 67 Die Entstehungsgeschichte der Verbundklauseln ............. .. .................... 67 Die Verbundklauseln des geltenden Rechts ........................................... 69 Zusammenfassung ................................................ ............ ..................... 73

Ir.

Der Zusammenschlußbegriff des Art. 3 FKVO ............................................ 73

IIl.

Die wirtschaftliche Einheit.. ..................................... ........ .. ...... ................... 74

D. Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle ......................................... 76

L

Marktstruktur, Marktverhalten, Marktergebnisse und sonstige Wettbewerbsdeterrninanten ................................................................................ 76

Ir.

Marktverhalten ........................................................................................... 77 1. Begriffsbestimmungen .............................................. ...... ...................... 77 2. Marktverhaltensmerkrnale ..................................................................... 78

IIl.

Marktstruktur............................. .. ... ................ ............ ........ ........................ 79 1. Begriffsbestimmungen ............................ .......... .................................... 79 2. Marktstrukturmerkmale ........................................................................ 80

IV. Kontrollgegenstand und Gegenstand des kartellbehärdlichen Eingriffs ........ 83 V.

Ausläser der Kontrolle ............................................................................... 85

VI. Ergebnis zu D.................................................. .......................................... 86

2. Teil Die Entstehung des Unternehmensverbundes als Gegenstand der Marktstrukturkontrolle und der Marktverhaltenskontrolle A. Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle als verschiedene Bereiche kartellbehärdlicher Kontrolle .............................................................................. 88

I.

Systematik von Wettbewerbsbeschränkungen und wettbewerbstheoretische Beurteilung ................................................................................................. 88

Inhaltsverzeichnis

13

II.

Abgrenzung von Marktverhaltenskoordination und Marktstrukturänderung ................... ... .. ......... .. .. .......... .... .. .. . .. .... .. ............................... .... 91

ill.

Deiinition reiner Konzentrationssachverhalte ........................................... 94 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

8 9. 10. 11. 12.

Zusammenfassung von Ressourcen unter einheitlichem Einfluß ............. 95 Verlust von Handlungsfreiheit... ............................................................ 95 Unentziehbarkeit des Einflusses ................................................... ......... 97 Vermögensverfügung oder Wettbewerbsbeschränkung ........................... 98 Übergang von Verfügungsmacht über unternehmerische Ressourcen ...... 99 Tatsächliche Irreversibilität des geschatlenen Zustands ......................... 99 Exklusivität.. ..................................................................................... 100 Zweck ........................... ...... ................ ........................................... 100 Dauer.. ............................................................................................... 101 Wirtschatlliche Selbständigkeit, insbesondere selbständige Unternehmensplanung ................................................................................ 101 Träger des unternehmerischen Risikos ...................... .......................... 102 Ergebnis zu rn. .................................................................................... 103

IV.

Wettbewerbspolitische Möglichkeiten ............................... . ...................... 103

v.

Das Konzept des europäischen Kartellrechts - Thesen..... ... ............. .

.104

1. Rechtslage bis zum 28. 2. 1998........... ........ ..... ............... .......... 105 2. Rechtslage ab dem 1. 3. 1998 .............................................................. 106 B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten in Art. 3 Abs. 1, 3, 4 FKVO .... 107 1.

Überblick über den Tatbestand .................................................................. 107

TI.

Sinn und Zweck des Art. 3 FKVO ............................................................. 108

rn.

Fusion voneinander unabhängiger Unternehmen ........................................ 109 1. Fusion ................................................................................................. 109 a) Fusion im gesellschaftsrechtlichen SilUle ........................................ 109 b) Fusion im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO - Meinungsstand ... 110 c) Stellungnahme ................................................................................ 112 2. Voneinander unabhängige Unternehmen ............................................. 115 3. Änderung des Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO de lege ierenda........ .... ...... ... 117

IV.

Erwerb von Kontrolle ....................... ......................................................... 119 1. Kontrollgegenstand ............................................................................. 119 a) Tätigkeit eines Unternehmens ........................................................ 119 b) Gesamtheit oder Teile eines Unternehmens .................................... 121 2. Möglichkeit bestimmenden Einflusses................................................. 125 a) Terminologie .................................................................................. 125

Inhaltsverzeichnis

14

b) Möglichkeit ............................. ....................................................... 126 c) Bestimmender Einfluß .................................................................... 128 aa) Die maßgeblichen Entscheidungen .......................................... 128 bb) Grad des Einflusses ................................................................. 129 d) Dauerhaftigkeit des Einflusses ......................... ............................... 131 3. Erwerb ................................................................................................ 133 V.

Überblick über die Kontrollmittel ............................................................. 135

VI.

Rechtliche Kontrollmittel .......................................................................... 136 1. Rechte am Objekt Unternehmen .......................................................... 136 a) Eigentumsrechte ............................................................................. 136 b) Nutzungsrechte ............................... ...... ................ .... ...................... 137 2. Rechte am Untemehmensträger ........................................................... 141

a) Stimmrechte ................................................................................... 141 b) Stimmrechte mit mitgliedschaftlichen Sonderrechten ...................... 148 c) Stimmrechtsminderheit mit Rechten aus Stimmbindungsverträgen ........................................................................................ 150 d) Unternehmensverträge .................................................................... 152 aa) bb) cc) dd) ee) fl)

Beherrschungsvertrag .............................................................. 153 Gewinnabführungsvertrag ................................................ ........ 154 Geschäftsführungsvertrag ........................................................ 155 Gleichordnungsvertrag .............. .. .. .. .. .. .. .... .. .......... .. ................ 155 Gewinngemeinschaft ............................................................... 155 Teilgewinnabführungsvertrag ...... .. ...... .... ................................ 156

e) Eingliederung ............................................................... .. ................ 157 f) Stille Gesellschaft .......................................................................... 157 3. Rechte am Unternehmensanteil ........................................................... 158 a) Nießbrauch am AnteiL .................................................................. 158 b) Unterbeteiligung ............................................................................. 158 4. Treuhandverhältnisse .......................................................................... 159 a) Vollmachts- oder Ermächtigungstreuhand ................ .. .... .... ...... ....... 159 b) Vollrechtstreuhand ......................................................................... 162 c) Streichung des Art. 3 Abs. 4 FKVO de lege ferenda .......... ........ ...... 165

vrr.

Tatsächliche Kontrollmitte1 ....................................................................... 166 1. Tatsächliche Einflüsse ......................................................................... 167 a) In Betracht kommende Erscheinungsformen.................................... 167 b) Meinungsstand ............................................................................... 167

Inhaltsverzeiclmis

15

c) d) e) f) g) h) i)

Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 FKVO .................................................. 170 Entstehungsgeschichte .................................................................... 170 Zuammenschlußspezifische Vorteile? ............................................. 170 Verlust von Handlungsfreiheit ........................................................ 171 Fehlen einer Handlung der Beteiligten ........... .. ............................... 171 Rechtsunsicherheit ......................................................................... 173 Systematik ...................................... .......... ...................................... 173 j) Der Fall Gillette/Wilkinson ............................................................ 174 2. Kombination rechtlicher und tatsächlicher Einflüsse ............................ 176 3. Umgehungsfälle: Tatsächliche Übereinkunft anstelle von rechtlicher Bindung .............................................................................................. 178 4. Der Fall KLMlAir UK ......................................................................... 182 5. Ergebnis zu VII. .................................................................................. 183 VIII. Gemeinsame Kontrolle .............................................................................. 183 1. Problemstellung .................................................................................. 183 2. Gemeinsame Kontrolle als Nebeneinander von Kontrollmöglichkeiten einzelner.. ................................................................................. 185 a) Meinungsstand ............................................................................... 185 b) Stellungnahme ................................................................................ 186 3. Gemeinsame Kontrolle ohne Blockadeposition des Einzelnen? ............ 188 a) Meinungsstand ............................................................................... 188 b) Stellungnahme ................................................................................ 190 4 . Fallgruppen gemeinsamer Kontrolle ............................................. .. ..... 194 a) b) c) d) e) f)

Mehrheitserfordernisse ................................................................... 194 Besondere Einstimmigkeitserfordernisse und Vetorechte ................ 196 Pool und Holding ............................................................................ 196 Tatsächlich zu erwartende Übereinstimmung .................................. 197 Einigungsverfahren......................................................................... 198 Gleichordnungsvertrag .................................................................... 198 aa) Meinungsstand ........................................................................ 200 bb) Stellungnahme ........................................................................ 201

g) Kombination von nicht paritätischer Überkreuzverflechtung und Gleichordnungsvertrag .................................................................... 203 IX.

Ergebnisse zu B ........................................................................................ 204

C. Die Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 FKVO für die Definition von Konzentra-

tionssachverhalten ............................................................................................ 205 L

Die Fassung des Art. 3 Abs. 2 FKVO bis zum 28.2. 1998 ......................... 206 1. Art. 3 Abs. 2 S. 1 FKVO ..................................................................... 206

16

Inhaltsverzeichnis a) Kehrseite des Zusammenschlußtatbestandes ................................... 207 b) Negatives Tatbestandsmerkmal ...................................................... 207 2. Art. 3 Abs. 2 S. 2 FKVO ..................................................................... 208 a) Verhältnis zu Art. 3 Abs. I FKVO ................................................... 208 b) Kehrseite des Zusammenschlußtatbestandes und negatives Tatbestandsmerkmal. .... " ., ................................................................... 209 c) Art. 3 Abs. 2 S. 2 FKVO als Präzisillrung des Zusammenschlußtatbestandes .................................................................................... 209 II.

Änderung des Art. 3 Abs. 2 FKVO zum 1. 3. 1998 .................................... 209

1I1.

Die Vollfunktionalität des GU ................................................................... 210 1. Alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit .............. 210 2. Beispie1sfälle ...................................................................................... 212 3. Dauer .................................................................................................. 215

IV. Ergebnis zu C ........................................................................................... 215 D. Anwendbarkeit des Art. 85 EGV aufKonzentrationssachverhalte ....................... 216 I.

Art. 85 EGV als Nonn der Marktverhaltenskontrolle und der Marktstrukturkontrolle ....................................................................................... 216

II.

Meinungsstand zur Anwendung des Art. 85 EGV auf Konzentrationssachverhalte .............................................................................................. 217

lI1.

Unanwendbarkeit des Art. 85 EGV auf reine Konzentrationssachverhalte .............................................................................................. 218 1. Wortlaut. .......................... ................................................................... 218 2. Entstehungsgeschichte ......................................................................... 219 3. Rechtsfolgen ....................................................................................... 220 4. Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 85 EGV ........................ 221 a) Meinungsstand ............................................................................... 222 b) Stellungnahme ................................................................................ 224 aa) Drittbeeinträchtigung nicht ausreichend ................................... 225 bb) Abnahme des Interesses an Wettbewerb nicht ausreichend ....... 227 cc) Beschränkung der Handlungsfreiheit eines Beteiligten und Drittbeeinträchtigung erforderlich............................................ 227 5. Ergebnis zu

m..................................................................................... 230

IV. Anwendbarkeit des Art. 85 EGV aufkonzentrative Sachverhalte mit kooperativen Elementen ............................................................................ 230

1. Das Philip Morris-Urteil - Die wesentlichen Aussagen des EuGH ....... 231 2. Anwendbarkeit des Art. 85 Abs. 1 EGVaufwettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, die mit einem Anteilserwerb verbunden sind ........ 232

Inhaltsverzeichnis

17

3. Anwendbarkeit des Art. 85 Abs. 1 EGV auf den Erwerb alleiniger Kontrolle ............................................................................................ 233 4. Anwendbarkeit des Art. 85 EGV auf den Erwerb gemeinsamer Kontrolle ............................................................................................. 234 a) Neugrülldung eines Gemeinschaftsunternehmens ............................ 234 b) Erwerb von Mitkontrolle über ein bestehendes Unternehmen.......... 238 aa) Vereinbarung oder abgestimmtes Verhalten ............................. 238 bb) Wettbewerbsbeschränkung bezweckt oder bewirkt................... 239 c) Besonderheiten bei Netzen von Gemeinschaftsunternehmen? .......... 240 aa) Netze von Gemeinschaftsunternehmen mit paralleler Anteilseignerschaft ............................................................................. 240 bb) Netze von Gemeinschaftsunternehmen mit teilweise verschiedenen Partnern ................................................................ 240 5. Anwendbarkeit des Art. 85 Abs. 1 EGV auf den Erwerb von Minderheitsbeteiligungen ............................................................................... 241 6. Anwendbarkeit des Art. 85 Abs. 1 EGV auf den Erwerb wechselseitiger Beteiligungen ......................................................................... 242

V.

Ergebnis zu D .......................................................................................... 244

E. Keine Marktstrukturkontrolle nach Art. 86 EOV. ........ .... ... ................................ 245

1.

Art. 86 EGV als Marktverhaltenskontrolle ................................. .. ............. 245

n.

Art. 86 EGV als Marktstrukturkontrolle? .... ...... .. ...................................... 246 1. 2. 3. 4. 5.

Wortlaut, Sinn und Zweck ................................................................... 246 Entstehungsgeschichte .................................................. ....................... 248 Rechtsfolgen ....................................................................................... 248 Zwischenergebnis .............................................................................. 248 Continental Can-Urteil ............................................. .. .. ....................... 249 a) Wesentliche Aussagen des EuGH ........................ .. ........................ 249 b) Stellungnahme ............................................................................... 250

Ill.

Marktverhaltenskontrolle nach Art. 86 EGV bei Konzentrationssachverhalten ................................................................................................... 252 1. Reine Konzentrationssachverhalte ............. .... ........................ .. ............ 253 2. Andere Konzentrationssachverhalte .................................................... 254

IV.

Ergebnis zu E ............................................. .. ............................. .. .............. 256

F. Ergebnisse des 2. Teils .................................................................... .. ................ 256

2 Pohlmann

Inhaltsverzeichnis

18

3. Teil Das Verhältnis von Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle bei der Entstehung des Unternehmensverbundes A. Problemstellung ....... ......................................................................................... 258 B. Konkurrenzverhältnis der FKVO zu Artt. 85, 86 EGV. ....................................... 259 1.

Keine Konkurrenz zu Art. 86 EGV .................. .. ........................................ 259

TI.

Konkurrenz zu Art. 85 EGV ................. .............. ....................................... 260 1. Grundsatz ................................................................ ........................... 260 2. Fallgruppen von Konkurrenzsachverhalten ........ .. ....... ....... .. ............... 260 a) b) c) d)

Wesenselemente des Zusammenschlusses ....................................... 261 Nebenabreden ................................................................................ 262 Verhaltenskoordination im Sinne von Art. 2 Abs. 4 FKVO ............. 265 Abtrennbare Sachverhalte ............................................................... 265

C. Beurteilung von Verhaltenskoordinationen nach Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. ......... 267 1.

Anwendungsbereich .................................................................................. 267

TI.

Integrierte Prüfung des Art. 85 Abs. 1 EGV? ............................................. 267 I. Wortlaut. ........................ ..................................................................... 267 2. Sinn und Zweck .................................................................................. 268 3. Welche Tatbestandsmerkmale des Art. 85 EGV waren zu prüfen? ....... 269 a) Kommissionspraxis ........................................................................ 269 b) Die Beurteilung des sogenannten GruppenetTekts ....... .. ..... ..... .. ...... 270 c) Eigene Ansicht ............................................................................... 271 4. Bindungswirkung der Entscheidung nach Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F.. .... 271

D. Die Novelle der FKVO ....................................................................................... 272

1.

Kritik an der Regelung des Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F ................................. 272 I. 2. 3. 4.

TI.

Fehlende wettbewerbstheoretische Rechtfertigung? ............................. 272 Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Vertahrensart ............................... 273 Doppelte normative Anknüptlmg identischer Sachfragen ..................... 274 Defizite bei der VO 17 ........................................................................ 275

Änderungsvorschläge ..................................................... .. .......... .. ............. 275 1. Grünbuch über die Revision der FKVO ............................................... 276

2. 3. 4. 5.

Vorschlag des Wirtschafts- und Sozialausschusses ............................... 277 Vorschlag der Kommission flir eine Änderung der FKVO .................... 277 Literatur .............................................................................................. 277 Stellungnalune .................................................................................... 279

Inhaltsverzeichnis a) b) c) d) e) 1)

19

Rechtspolitische Möglichkeiten ...................................................... 279 Einheitsbetrachtung ........................................................................ 279 Sonderbetrachtung ....................... .. .... .. ........................................... 280 Doppe1kontrolle .............................................................................. 280 Alternativbetrachtung ..................................................................... 2 82 Umsetzung einer Doppelkontrolle ........... ........................................ 284

E. Die Rechtslage seit dem 1. 3. 1998 .............. .... .. .. ....................................... .. ..... 286 I.

Überblick .................................................................................................. 286

II.

Änderung des Art. 3 Abs. 2 FKVO .................. ...... .. ........................ .. ........ 287

IIl.

Der neue Art. 2 Abs. 4 FKVO ................................................................... 287 1. Bedeutung ........................................................................................... 287 2. Der Tatbestand .................................................................................... 289 3. Bedeutung des Erwägungsgrundes 5 der VO 1310/97 .......................... 289

IV.

Die Entscheidung der Kommission .......................... .................................. 289

V.

ÄnderungdesArt.22Abs.1FKVO .......................................................... 290

VI.

Verhaltenskoordination durch Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens ................................................................................................... 291 1. GlÜndung eines Gemeinschaftsunternehmens ...................................... 291 2. Verhaltenskoordination im Verhältnis Gründer - Gemeinschaftsunternehmen ....................................................................................... 291 a) Die Rechtslage bis zum 28.2. 1998 .................... ...... ...... ................ 292 aa) Meinungsstand ...................................... .................................. 292 bb) Stellungnahme ........................................................................ 294 (1) Argument aus Art. 3 Abs. 2 S. 1 FKVO a. F ...................... 294 (2) Beschränkung der Handlungsfreiheit zwischen Gründer und Gemeinschaftsunternehmen möglich ........................... 2 94 (3) Wann beschränkt die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens die Handlungsfreiheit zwischen Gründer und Gemeinschaftsunternehmen? ............................................. 295 b) Die Rechtslage seit dem 1. 3.1998 .................................. .. .... ......... 296 3. Verhaltenskoordination im Verhältnis Gründer - Gründer.. .................. 296 4. Verhaltenskoordination im Verhältnis mehrerer Gemeinschaftsunternehmen zueinander ..................................................................... 298

F Ergebnisse des 3. Teils ...... ............ .... ................................................................ 298

2*

llinaltsverzeichrUs

20

4. Teil Der bestehende Unternehmensverbund in der Marktstrukturkontrolle und in der Marktverhaltenskontrolle A. Die Zurechnung von Umsätzen gemäß Art. 5 Abs. 4, Abs. 5 FKVO .................... 302

1.

Sinn Wld Zweck der Umsatzschwellen Wld der VerbWldklauseln ............... 302

II.

Verschiedene Maßstäbe in Art. 3 Abs. 3 Wld Art. 5 Abs. 4 FKVO? ........... 303 1. 2. 3. 4.

MeinWlgsstand .................................................................................... 304 Wortlaut. ............................................................................................. 305 Entstehungsgeschichte ......................................................................... 306 Sinn Wld Zweck des Zusarnrnenschlußtatbestandes Wld der VerbWldklausel ................................................................................................ 306 5. Vorläufiges Zwischenergebnis ............................................................. 307

m.

Die verbWldbegrilndenden Einflußmittel ................................................... 307 1. 2. 3. 4. 5.

Mehrheitlicher Besitz von Kapital oder Betriebsvennögen .................. 307 Stirnrnrechtsmehrheit .......................................................................... 31 0 Mehrheit bei Personalentscheidungen.................................................. 311 Recht zur Geschäftsfilhrung ................................................................. 312 Andere Einflußmittel - Analoge Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 4 lit. b, 1. - 4. Spiege1strich FKVO ......................................................... 313 6. Ergebnis zu m..................................................................................... 315

IV.

Die dem VerbWld angehörenden Unternehmen - Meinungsstand ............... 315 1. Die beteiligten Unternehmen ............................................................... 315 a) Allgemeines ................................................................................... 315 b) Beteiligung bei der GründWlg eines GemeinschaftsWlternehmens ... 317 c) BeteiligWlg beim Kontrollerwerb durch ein GemeinschaftsWlternehmen ............. '" .......................................................................... 318 2. Art. 5 Abs. 4 litt. b, e, Abs. 5 FKVO: Tochtergesellschaften, insbesondere GemeinschaftsWlternehmen .................................................... 320 3. Art. 5 Abs. 4lit. c FKVO: Muttergesellschaften .................................. 322 4. Art. 5 Abs. 41it. d FKVO: Schwestergesellschaften ............................. 323 5. Mehrstufige Verbindungen ........................................... ....................... 323 6. ZusarnrnenfassWlg des MeinWlgsstandes .. '" ........................................ 324

V.

Die dem VerbWld angehörenden Unternehmen - StellWlgnahrne ................ 325 1. Beteiligte Unternehmen im Sinne von Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO ......... 325 a) Selbständigkeit des Beteiligtenbegritfs gegenüber dem Zusarnrnenschlußtatbestand ............................................................................. 325 b) Lösung der Problemfälle ................................................................. 326 aa) Neugründung eines Gemeinschaftsunternehmens, in das beide Mütter Unternehmensbereiche einbringen ............................... 327

Inhaltsverzeichnis

21

bb) Neugrilndung eines Gemeinschaftsunternehmens, in das nur eine Mutter Unternehmensbereiche einbringt .......................... 329 cc) AnteilselWerb an bestehendem Gemeinschaftsunternehmen ..... 330 dd) Zwei Unternehmen elWerben ein anderes Unternehmen .......... 330 ee) Ein Gemeinschaftsunternehmen erwirbt ein anderes Unternehmen ................................................................................... 331 2. Mit dem beteiligten Unternehmen verbundene Unternehmen ............... 334 a) Das Mehrheitsprinzip des Art. 5 Abs. 4 FKVO ............................... 334 b) Lösung der Problemfälle ................................................................. 337 aa) Zurechnung des Umsatzes von Gemeinschaftsunternehmen eines Beteiligten mit Dritten.................................................... 337 bb) Zurechnung des Umsatzes der Mütter beteiligter Gemeinschaftsunternehmen ................................................................. 338 cc) Zurechnung des Umsatzes von Schwester-Gemeinschaftsunternehmen ........................................................................... 339 dd) Zurechnung des Umsatzes, wenn zwei Unternehmen, die bereits ein Unternehmen kontrollieren, ein Unternehmen erwerben ................................................................................. 340 VI. Anpassung des Verbundtatbestandes an den Kontrolltatbestand de lege ferenda ...................................................................................................... 340 1. Übernahme des materiellen Maßstabs ............. .................................... 340 2. Aufgabe des Mehrheitsprinzips? ......................................................... 341 Vll. Ergebnis zu A. .......................................................................................... 344 B. Die Zurechnung nach den Verbundklauseln der GVOs ....................................... 345 I.

Zurechnungsgegenstand, Zurechnungszweck, Zurechnungsgrund und Zurechnungssubjekt .................................................................................. 345

II.

Der sachliche Umfang der Zurechnung ...................................................... 346

ill.

Die Wirkung der Zurechnung .......................... ............. ............ ................. 347

IV.

Die Voraussetzungen der Zurechnung ....................................................... 347 l. Zurechnung bei alleiniger Kontrolle ..................... ............................... 347 2. Zurechnung bei Gemeinschaftsunternehmen ........................................ 348

a) Gemeinschaftsunternehmen zwischen den beteiligten Unternehmen .......................................................................................... 348 b) Gemeinschaftsunternehmen zwischen einem beteiligten Unternehmen und Dritten ........................................................................ 352 c) Gemeinschaftsunternehmen als beteiligtes Unternehmen ...... .......... 352 V.

Ergebnis zu B ........................................................................................... 353

C. Die Zurechnung von Verhalten bei Artt. 85, 86 EGV. .... ....................... ...... ........ 354

22

Inhaltsverzeichnis

I.

Verwaltungsrechtliche, ordnWlgswidrigkeitsrechtliche und zivilrechtliche ZurechnWlg ............................................................................................... 354

II.

Tatbestandlicher Anknüpfungspunkt ........ .............................. ............ ....... 355

I1I.

MeinWlgsstand .......................................................................................... 356 1. Kommission, EuG Wld EuGH .............................................................. 356 2. Literatur .............................................................................................. 362

IV.

Stellungnahme .................................................................. ...... .................. 363 1. ZurechnWlg von Verhalten, nicht von Verschulden ................. .. ........... 363 2. Dogmatische Ansätze .......................................................................... 363 3. ZurechnWlg bei WlverbWldenen Unternehmen ...................................... 364

a) Täterschaft Wld Teilnahme im europäischen Kartellrecht.. .............. 364 b) Tatbestandsmäßigkeit von Mittäterschaft Wld Teilnahme ................ 367 4. VerbWldspezifische ZurechnWlg (ohne GemeinschaftsWlternehmen) ... 369 a) In Betracht kommende Sachverhalte ............................................... 369 b) GleichbehandlWlg mit dem EinheitsWlternehmen als ZurechnWlgszweck ............................................................................................. 372 c) Konsequenzen ................................................................................ 372 aa) Verantwortlichkeit jedes Unternehmensträgers für sein Verhalten ...................................................................................... 372 bb) ZurechnWlg bei Tatbestandsdefiziten, die durch AufgabenverteilWlg im VerbWld entstehen ............................................. 373 cc) Voraussetzungen für die ZurechnWlg ....................................... 375 dd) BeteiligWlg am Wettbewerbsverstoß durch Unterlassen? ......... 376 5. ZurechnWlg bei GemeinschaftsWlternehmen ........................................ 377 a) Im Verhältnis des GemeinschaftsWlternehmens zum einzelnen MuttefWlternehmen ........................................................................ 378 b) Im Verhältnis des GemeinschaftsWlternehmens zur Gesamtheit der Mütter ...................................................................................... 378 c) EinordnWlg der Kommissionspraxis bei GemeinschaftsWlternehmen .......................................................................................... 379 V.

Ergebnis zu C .......................................................................................... 380

D. Die Zurechnung von Marktanteilen und wirtschaftlicher Macht bei der Prognose gemäß Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO ........................................................... 381

I.

Das Problem ............................................................................................. 381

11

Lösungsansätze ..................................... .. .................................................. 382 1. Art. 5 Abs. 4, Abs. 5 FKVO ................................................................ 382 2. VerbWldklauseln der GVOs ................................................................ 383 3. Regeln über die sogenannten "konzerninternen VereinbarWlgen" ......... 383

lnhaJtsverzeichrris

23

4. Art. 3 Abs. 3 FKVO ............................................................................ 383

m.

Stellungnahme .......................................................................................... 385 1. Abzulehnende Ansätze ........................................................... .. ........... 385 2. Gesamtanalogie zu den Verbundklauseln............................................. 385 a) Interessenlage bei der Zurechnung nach den Verbundklauseln ........ 385 b) Interessenlage bei Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO ............................... 386

IV.

Fallgruppen in der Kommissionspraxis ...................................................... 387 1. 2. 3. 4. 5.

Zurechnung bei alleiniger positiver Kontrolle ...................................... 387 Zurechnung bei gemeinsamer Kontrolle .............................................. 388 Zurechnung bei alleiniger negativer Kontrolle ..................................... 392 Zurechnung bei Schwesterunternehmen............................................... 393 Zurechnung ohne Kontrolle ................................................................. 393

V.

Keine Durchbrechung des Mehrheitsprinzips de lege ferenda ....... .. ........... 393

VI.

Ergebnis zu D ........................................................................................... 394

E. Die "negative Zurechnung" bei den sogenannten konzern internen Verein-

barungen ............................................... ............................................................ 395

I.

Inununität im Rahmen von Art. 85 EGV, nicht von Art. 86 EGV ............... 395

II.

KonzernbegritT als Verengung des Problemkreises .................................... 396

m.

Anknüpfung des Problems an den Tatbestand des Art. 85 EGV ................. 396 1. Unternehmen ................................................................ .. .. .................. 396 2. Vereinbarung oder Verhaltensabstimmung .......................................... 397 3. Wettbewerbsbeschränkung: Fehlende Handlungsfreiheit zwischen den beteiligten Unternehmen? ............................................................. 399

IV.

Meinungsstand .......................................................................................... 399 1. Verhältnis des Mutterunternehmens zum Tochterunternehmen ............ 399 2. Verhältnis des Mutterunternehmens zum Gemeinschaftsunternehmen ............................................................................................... 403 a) Kommission ............................ ....................................................... 403 b) Literatur .............................. ................................... ........................ 405 c) Zwischenergebnis .......................................................................... .405 3. Verhältnis zwischen Unternehmen, die einheitlicher Kontrolle unterliegen .......................................................................................... 406 4. Verhältnis des Minderheitsbeteiligten zum Unternehmen ................... .407

V.

Stellungnahme ............................. ............................................................ .408 1. Untaugliche Kriterien ......................... .............. .. ................................ .408 a) Aufgabenverteilungszweck ......................... .. .......... .. .......... .. ......... .408

24

Inhaltsverzeichnis b) Tatsächliche Einflußnahme ............................................................ .408 c) 1000/0ige Anteilseignerschaft .......................................................... 409 d) Rechtliche Unabhängigkeit der Verwaltung des Tochterunternehmens ......................................................................................... 41 0 2. Erforderlicher Einflußgrad ................................................................. .411 a) Art. 3 FKVO als Maßstab filr das Fehlen von Handlungsfreiheit? ... 411 b) Gesamtanalogie zu den Verbundklauseln ........................................ 412 VI. Anwendung auf die einzelnen Fallgruppen ................................................ 414 1. Verhältnis des alleinigen Kontrollinhabers zum Unternehmensträger .................................................................................................. 415 2. Verhältnis des Gemeinschaftsunternehmens zum einzelnen Mutterunternehmen ....................................................................................... 415 3. Verhältnis des Inhabers alleiniger negativer Kontrolle zum Unternehmensträger ..................................................................................... 417 4. Verhältnis zwischen Unternehmen, die einheitlicher Kontrolle unterliegen .......................................................................................... 417 5. Verhältnis zwischen Unternehmen ohne Kontrollbeziehung ................ .418 Vll. Ergebnis zu E ............................................................................................ 418

F. Weitere Zurechnungs/ragen ........ ........................................................... .. ......... .419 G. Ergebnisse des 4. Teils ...................................................................................... 420

Schluß .............................................................................................. ...................... 422 Literaturveneichnis ........ ......................... ...... ........... ....... ... ............ ...... ................ 429 Rechtsquellen .................... ....................... ..................... ............... .. ...................... .450 Sachveneichnis ......... .......................... .................... .............................................. 453

Abkürzungsverzeichnis a.A.

anderer Ansicht

a.a. O.

am angegebenen Ort

a. E.

am Ende

ABI.

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften

Abs.

Absatz

AG

Aktiengesellschaft; Die Aktiengesellschaft

Ak1G

Aktiengesetz

Arun.

Arunerkung

Antitrust Bull.

The Antitrust Bulletin

Art.

J\rtikel(Singular)

Artt.

J\rtike1 (Plural)

AT

Allgemeiner Teil

Auf1

Au1lage

AWD

Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters

BB

Betriebs-Berater

Bd.

Band

BDI

Bundesverband der Deutschen Industrie

Bek.

Bekanntmachung

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBI.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BKartA

Bundeskartellamt

BT-Drs.

Bundestagsdrucksache(n)

bzw.

beziehungsweise

CMLRep.

Conunon Market Law Reports

CMLRev.

Conunon Market Law Review

26

Abkürzungsverzeichnis

dass.

dasselbe

DB

Der Betrieb

ders.

derselbe

dies.

dieselbe

DNotZ

Deutsche Notar-Zeitschrift

Dok.

Dokumentation

ECLR

European Competition Law Review

ECU

European Currency Unit

EG

Europäische Gemeinschaften

EGKSV

Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft filr Kohle und Stahl

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

EIPR

European Intellectua1 Property Review

EuG

Gerichtshof erster Instanz der Europäischen Gemein-schaften

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

EuR

Europarecht

EuZW

Europäische Zeitschrift filr Wirtschaftsrecht

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EWiV

Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung

EWS

Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht

f

folgende (Singular)

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

tI

folgende (Plural)

FIW

Forschungsinstitut filr Wirtschaftsverfassung und Wett-bewerb

FKVO

Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (Fusionskontrollverordnung)

Fn.

Fußnote

Fordham Int.L.Rev. Fordham International Law Review FS

Festschrift

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GmbHG

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung

GRURInt.

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil

GU

Gemeinschaftsunternehmen

AbkÜIZungsverzeichnis GVO

Gruppenfreistellllllgsverordnllllg

GVOs

Gruppenfreistellllllgsverordnllllgen

G'h'B

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Harv.L.Rev.

Harvard Law Review

h.hl

herrschende Meinllllg

HG

Hauptgutachten

HOB

Handelsgesetzbuch

Hrsg.

Herausgeber

hrsg.

herausgegeben (von)

HS

Halbsatz

i. S. v.

im Sinne von

i. V m.

in Verbindung mit

JZ

Juristenzeitung

KG

Kammergericht; Kommanditgesellschaft

Kom.

Kommentar

lit.

litera (Singular)

litt.

litera (Plural)

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

MCR

Merger Control Reporter

Minn.L.Rev.

Minnesota Law Review

MK

Monopolkommission

MlN

Montanunionsvertrag (siehe EGKSV)

n. F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NT.

Nummer

Nm.

Nummern

OHG

Otfene Handelsgesellschaft

OLG

Oberlandesgericht

ORDO

Jahrbuch filr die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft

OWiG

Ordnungswidrigkeitengesetz

RegE

Regierllllgsentwurf

RIW

Recht der internationalen Wirtschaft

27

28 Rn.

Abkürzungsverzeichnis Randnummer

S

Seite

SG

Sondergutachten

s. o.

siehe oben

Sec.

Section

Slg.

Sammlung

str.

streitig

TB

Tätigkeitsbericht

Tz.

Textzitler

u. a.

unter anderem; und andere

Unterabs.

Unterabsatz

UmwG

Umwandlungsgesetz

US, USA

United States (of America)

v.

vom

vgL

vergleiche

va

Verordnung

Vorb.

Vorbemerkung

Vorbell.

Vorbemerkung

WB

Wettbewerbsbericht

WiB

Wirtschaftsrechtliche Beratung

WuW

Wirtschaft und Wettbewerb

WuWIE

Wirtschaft und Wettbewerb, Entscheidungssammlung

z. B.

zum Beispiel

ZEuP

Zeitschrift filr Europäisches Privatrecht

ZfRV

Zeitschrift filr Rechtsvergleichung

ZGR

Zeitschrift filr Unternehmens- und Gesellschaftsrecht

ZHR

Zeitschrift filr das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht

Zitr

ZitTer

ZIP

Zeitschrift filr Wirtschaftsrecht (bis 1982: Zeitschrift filr Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis )

ZRP

Zeitschrift filr Rechtspolitik

ZVersWiss

Zeitschrift filr die gesamte Versicherungswissenschaft

Einleitung Das EG-Kartellrecht richtet sich an Unternehmen. Regelungen, die den Besonderheiten verbundener Unternehmen Rechnung tragen, gibt es nur punktuell. So enthalten die Gruppenfreistellungsverordnungen Normen, nach denen unter bestimmten Voraussetzungen verbundene Unternehmen wie ein Unternehmen zu behandeln sind. Außerdem haben Kommission, EuG und EuGH sowie die Literatur Regeln zur Beurteilung verbundener Unternehmen entwikkelt. Der dogmatische Ansatzpunkt ist unterschiedlich. Einige sehen die Lösung der Problematik verbundener Unternehmen in der Bestimmung des Unternehmensbegriffs. Andere wollen die Rechtsfigur der wirtschaftlichen Einheit heranziehen. Ein weiterer Versuch geht dahin, Zurechnungsregeln zu entwickeln. Unabhängig vom dogmatischen Ansatz gehen die Ansichten darüber auseinander, inwieweit man im Wirtschaftsrecht den gesellschaftsrechtlichen Besonderheiten der jeweiligen Unternehmensverbindung Rechnung zu tragen hat. Einerseits betonte schon 1962 der EuGH, daß es "wegen des vielgestaltigen und wechselnden Charakters des Wirtschaftslebens" nicht möglich sei, "sämtliche Unterschiede zu berücksichtigen, die in der Struktur der der Hohen Behörde unterstehenden Wirtschaftseinheiten bestehen können, da die Tätigkeit dieser Behörde sonst behindert würde und ihre Wirksamkeit verlöre"!. Andererseits heißt es in der Literatur im Hinblick auf den Konzern als gesellschaftsrechtlich definierte Form eines Unternehmensverbundes, er sei keineswegs überall im Wirtschaftsrecht eine wirtschaftliche Einheit, die dem Einheitsunternehmen gleichzustellen see. Die Behandlung des Unternehmensverbundes im Kartellrecht hängt untrennbar mit einer anderen Fragestellung zusammen: mit der Bedeutung der Unterscheidung von Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle. Der Unterscheidung liegt, vereinfacht gesagt, die These zugrunde, bestimmte Unternehmensverbindungen seien als marktstrukturändernde Sachverhalte einer besonderen Beurteilung zu unterziehen. Erkenntnisse darüber, welche Sachverhalte das sind, könnten auch für die Beurteilung bestehender Unternehmensverbindungen nutzbar sein. ! 2

EuGH. 13. 7. 1962 -Klöckner Wld HoeschIHohe Behörde, Slg. 1962, 652, 686. Rittner, Wirtschaftsrecht, § 8 Rn. 26.

30

Einleitung

Im europäischen Kartellrecht besteht Anlaß, den genannten Fragestellungen nachzugehen. Seit 1990 existiert neben den Artikeln 85, 86 EGV die Fusionskontrollverordnung. Sie definiert bestimmte Sachverhalte als Konzentrationsvorgänge und enthält Regelungen zur Abgrenzung von Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle sowie zum Verhältnis beider Bereiche zueinander. Hinsichtlich der letztgenannten Punkte hat die erste Novelle der FKVO mit Wirkung vom l. März 1998 die zuvor aufgrund erheblicher Rechtsunsicherheit unbefriedigende Rechtslage geändert. Weiterer Anlaß für die Untersuchung ist, daß die Gruppenfreistellungsverordnungen zunehmend immer umfangreichere Zurechnungsregeln fiir den Unternehmensverbund enthalten. Das wirft die Frage auf, inwieweit diese Regelungen verallgemeinerungsfahig oder Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes sind. Angesichts der Bedeutung, welche die wirtschaftliche Tätigkeit von Konzernen hat, fragt sich, ob ein fiir das Kartellrecht so zentrales Thema in der Literatur nicht umfassend abgehandelt ist. Zu erwähnen ist hier die Arbeit von Harms, Konzerne im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (1968), die sich in erster Linie auf das deutsche Recht stützt, insbesondere in ihrer zentralen These, der Konzern sei eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Eine jüngere Untersuchung von Klippert, Wettbewerbsrechtliche Beurteilung von Konzernen (1984), betrifft allein das deutsche Recht, ebenso wie die Arbeit von Fischer, Wettbewerbliche Einheit und Fusionkontrolle (1986), die sich zudem nur auf die Fusionskontrolle bezieht. Teilbereiche der hier erörterten Problematik sind in der Literatur behandelt worden, so etwa die Gleichordnungskonzerne z. B. von Gromann (1979) und Jacob (1995) und die konzerninternen Abreden z. B. von Mulert (1970), Grandpierre (1972) und Potrafke (1991). Die jüngeren Arbeiten gehen auch auf das EG-Recht ein. Zur Bedeutung der Unterscheidung von Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle ist die Abhandlung von Vogel, Droit de la Concurrence et Concentration Economique (1988), hervorzuheben. Eine spezielle Ausprägung dieses Problems, die Gemeinschaftsunternehmen, ist in zahlreichen Arbeiten behandelt worden. Soweit ersichtlich fehlt eine Untersuchung zum Unternehmensverbund im europäischen Kartellrecht. Diese Arbeit soll klären, ob eine bestimmte Art des Unternehmensverbundes einer kartellrechtlichen Sonderbehandlung als Einheit bedarf und welche Art des Unternehmensverbundes das ist. Hierbei soll auch untersucht werden, in welchen Zusammenhängen des Kartellrechts sich hinsichtlich des Unternehmensverbundes dieselben Fragen stellen. Daß der Unternehmensverbund immer wieder dieselben Fragen aufwirft, wird insbesondere bei Gemeinschaftsunternehmen deutlich. Die durch sie geschaffene Unternehmensverbindung ist in vielfältigen Zusammenhängen schwer zu beurteilen. Untersucht werden soll auch der Zusammenhang zwischen der Behandlung des Unternehmensverbundes und der Unterscheidung zwischen Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle.

Einleitung

31

Der Gang der Darstellung ist wie folgt: Im 1. Teil werden als Grundlagen für die folgenden Teile der Unternehmensbegriff, die Regelungen über den Unternehmensverbund sowie die Begriffe der Marktstrukturkontrolle und der Marktverhaltenskontrolle behandelt. Im 2. Teil wird zunächst untersucht. ob und inwieweit aus wettbewerbstheoretischer Sicht Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle unterschiedliche Bereiche kartellbehördlicher Kontrolle darstellen. Im Anschluß wird erörtert, ob und inwieweit das EGKartellrecht diese Bereiche trennt. Das ist für die Frage von Bedeutung, welchen Normen die Entstehung eines Unternehmensverbundes unterfallt. Im 3. Teil wird der Frage nachgegangen, in welchem Verhältnis Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle zueinander stehen. Im 4. Teil wird untersucht, wie ein bestehender Unternehmensverbund in der Marktstrukturkontrolle und der Marktverhaltenskontrolle zu behandeln ist. Dort wird sich zeigen, ob die im 2. Teil gefundenen Ergebnisse auch Schlußfolgerungen für die Behandlung des bestehenden Unternehmensverbundes zulassen. Zudem wird sich zeigen, ob es einen Tatbestand des Unternehmensverbundes gibt, der übergreifend bei verschiedenen kartellrechtlichen Fragestellungen eine besondere Behandlung, insbesondere eine Gleichstellung mit einem Einheitsunternehmen, rechtfertigt.

1. Teil

Grundlagen A. Überblick über die Wettbewerbsregeln des europäischen Rechts Kern der europäischen Wettbewerbsregeln sind neben den hier nicht behandelten Regeln des EGKS-Vertrages vier materiell-rechtliche Grundvorschriften: Artt. 85, 86 und 90 EGV sowie Art. 2 FKVO. Die drei erstgenannten Vorschriften sind primäres Gemeinschaftsrecht und gelten seit dem 1. 1. 19581• Art. 2 FKVO ist sekundäres Gemeinschaftsrecht auf der Grundlage von Artt. 87, 235 EGV und ist gemäß Art. 25 Abs. 1 FKVO seit dem 21. 9. 1990 in Kraft. Art. 90 EGV, der Maßnahmen der Mitgliedstaaten in bezug auf öffentliche Unternehmen betrifft, ist hier nicht zu untersuchen. Art. 85 EGV verbietet Vereinbarungen, Beschlüsse und abgestimmte Verhaltensweisen, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken. Art. 85 Abs. 3 EGV enthält einen Befreiungsvorbehalt. Unter den dort bestimmten Voraussetzungen kann eine nach Absatz 1 verbotene Maßnahme für zulässig erklärt werden. Hier sind Freistellungen einzelner Vereinbarungen - praktisch selten - und Freistellungen von Gruppen von Vereinbarungen möglich, allerdings immer nur befristet. Der Rat hat die Kommission bisher in fünf Verordnungen zum Erlaß von Gruppenfreistellungsverordnungen ermächtigt. Zwei davon betreffen den Sonderbereich Verkehr2 ; die Kommission hat zwei GVOs auf dieser Grundlage erlassen3 . Auf der Grundlage der anderen drei Ermächtigungsverordnungen4 sind derzeit acht GVOs in Kraft5 .

Siehe flir Deutschland BGBl. 1958 n 1. VO 3976/87, VO 479/92. 3 VO 1617/93, VO 870/95. 4 VO 19/65, VO 2821/71, VO 1534/91. 5 VO 1983/83, VO 1984/83, VO 4087/88, VO 1475/95, VO 240/96, VO 417/85, VO 418/85, VO 3932/92. 1

2

A. Überblick über die Wettbewerbsregeln

33

Das Verfahren zur Anwendung des Art. 85 EGV ist in der VO 17/626 geregelt. Für den Verkehrssektor gilt gemäß VO 141/62 nicht die VO 17. Es gibt dort besondere Durchführungsverordnungen7 . Die Kommission kann nach der VO 17 Zuwiderhandlungen gegen Art. 85 EGV feststellen (Art. 3 Abs. 1 VO 17), die Beteiligten verpflichten, die festgestellte Zuwiderhandlung abzustellen (Art. 3 Abs. 1 VO 17), befristete Freistellungen erklären (Artt. 6 Abs. 1,8 Abs. 1 VO 17) und schuldhafte Verstöße mit einer Geldbuße ahnden (Art. 15 Abs. 2 lit. a VO 17). Sieht die Kommission keinen Anlaß für ein Einschreiten, kann sie nach Art. 2 VO 17 ein Negativattest erteilen. Fristen gelten für alle diese Verfahren nicht. Die VO 17 regelt im übrigen weitere Befugnisse der Kommission im Verfahren. Neben den in der VO 17 vorgesehenen Wegen teilt die Kommission wegen ihrer erheblichen Arbeitsüberlastung8 in den weitaus meisten Fällen den Beteiligten in einfachen Verwaltungsschreiben (sogenannten comfort letters) mit, daß sie gegen ihre Vereinbarungen nicht vorzugehen gedenke. Zivilrechtliche Folge eines Verstoßes gegen Art. 85 Abs. 1 EGV ist nach Art. 85 Abs. 2 EGV die Nichtigkeit der betreffenden Vereinbarungen oder Beschlüsse. Allerdings tritt nach der Rechtsprechung des EuGH die Nichtigkeitsfolge nur ein, soweit der Kommission ein Instrumentarium für die in Art. 85 Abs. 3 EGV vorgesehene Freistellung vom Verbot des Absatzes 1 zur Verfügung stehe. Danach muß in einer Durchfuhrungsverordnung gemäß Art. 87 EGV ein Verfahren für die in Art. 85 Abs. 3 EGV vorgesehene Freistellung vorgesehen sein, damit Art. 85 Abs. 2 EGV Wirksamkeit entfaltet. Diese Rechtsprechung könnte heute deshalb Bedeutung erlangen, weil die FKVO die Durchfuhrungsverordnungen zu Artt. 85, 86 EGV für bestimmte Zusammenschlüsse außer Kraft setzt. Art. 86 EGV verbietet die mißbräuchliche Ausnutzung marktbeherrschender Stellungen durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen kann. Das Verbot wirkt unabhängig von der Existenz einer Durchfuhrungsverordnung, weil eine Freistellung nicht möglich ist. Für das Verfahren zur Anwendung des Art. 86 EGV gelten die geschilderten Vorschriften der VO 17, mit Ausnahme derjenigen, die die Freistellung betreffen.

6

Im folgenden VO 17.

VO 1017/68, VO 4056/86, VO 3975/87. Vgl. Rittner, JZ 1996, 377, 378 (Fn. 10). 9 EuGH, 6. 4. 1962 - Bosch, WuWfE EWGIMUV 48, 50 f; 30. 4. 1986 - Asjes, Slg.1986, 1425, 1469f (Nm.60ff.); 11.4.1989 -Ahmed Saeed, WuWfE EWGIMUV 841, 842 f (Nm. 5,20 f); Mestmäcker, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 18 14, S. 262. 7

8

3 Pohlmann

L Teil: Grundlagen

34

Nach Art. 2 Abs. 3 FKVO sind Zusammenschlüsse, die eine marktbeherrschende Stellung begründen oder verstärken, durch die wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert würde, für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt zu erklären. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist der Zusammenschluß für vereinbar mit dem gemeinsamen Markt zu erklären, Art. 2 Abs. 2 FKVO. Art. 2 FKVO gilt nur für Zusammenschlüsse im Sinne von Art. 3 FKVO, welche die Umsatzschwellen des Art. 1 Abs.2, 3 FKVO überschreiten. Die Zusammenschlußkontrolle ist präventiv. Zusammenschlüsse sind also vor ihrem Vollzug anzumelden. Die Kommission kann Zusammenschlüsse untersagen, genehmigen oder unter Auflagen oder Bedingungen genehmigen, Art. 8 Abs. 2, Abs. 3 FKVO. Untersagte Zusammenschlüsse, die bereits vollzogen sind, können entflochten werden, Art. 8 Abs. 4 FKVO. Die FKVO enthält weitere zahlreiche Regeln, die den Verfahrensregeln der VO 17 entsprechen. Ein wesentlicher Unterschied liegt jedoch in der Fristgebundenheit der Entscheidungen nach Art. 10 FKVO. Weitere Verfahrensvorschriften enthält die VO 447/98. Zu den Vorschriften des EG-Kartellrechts nimmt die Kommission außer in den jährlichen Wettbewerbsberichten in Mitteilungen und Bekanntmachungen Stellung, die ihre Verwaltungspraxis wiedergebenlO ; insbesondere zur FKVO hat sie mehrere Mitteilungen und Bekanntmachungen erlassen, wie z. B. die Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, die Mitteilung über die Berechnung des Umsatzes oder die Bekanntmachung über Nebenabreden. Die Mitteilungen und Bekanntmachungen sind zum Teil äußerst umfangreich und in ihrer Kasuistik schlecht zu überschauenli. Ob sie deshalb die erhoffte Rechtssicherheit hinsichtlich der Verwaltungspraxis bringen, kann bezweifelt werden, zumal die Kommission sich über ihre Bekanntmachungen auch hinwegsetzt l2 . Neben den Mitteilungen und Bekanntmachungen gibt es vereinzelt Stellungnahmen anderer Art, wie etwa die gemeinsame Protokollerklärung von Rat und Kommission zur FKVO\3.

Siehe die Nachweise im Literaturverzeichnis. Etwa die Bekanntmachung über kooperative Gemeinschatl:sunternehmen. 12 Etwa über die erste Abgrenzungsbekanntmachung, die dann durch eine der Praxis entsprechende ersetzt wurde; siehe dazu unten 3. Teil C 11 3, S. 269 fr 13 Abgedruckt in WuW 1990, 240 - 244. 10 11

B. Der Unternehmensbegriff

35

B. Der UnternehmensbegrifT Einen feststehenden Rechtsbegriff des Unternehmens gibt es nicht!. Es ist für jedes Rechtsgebiet und innerhalb eines Rechtsgebiets für jede Rechtsnorm zu untersuchen, welche Sachverhalte das Tatbestandsmerkmal "Unternehmen" in die Anwendung der betreffenden Norm einbeziehen und welche es ausschließen soll. Maßgeblich hierfür sind insbesondere Sinn und Zweck der jeweiligen Regelung. Auch dem Europäischen Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen liegt kein einheitlicher Unternehmensbegriff zugrunde. Der Unternehmensbegriff entscheidet über den Adressatenkreis der Artt. 85,86 EGV (sogleich I). Die FKVO greift ein, wenn ein oder mehrere Unternehmen oder eine oder mehrere Personen, die mindestens ein Unternehmen kontrollieren, die Kontrolle über die Gesamtheit oder über Teile eines oder mehrerer Unternehmen erwerben, Art. 3 Abs. I FKVO (sogleich 11).

I. Unternehmen im Sinne von Artt. 85, 86 EGV 1. Unternehmen als Tätigkeit In Artt. 85 und 86 EGV beschreibt der Unternehmensbegriff den Bereich der wirtschaftlichen Tätigkeit. Dieser tätigkeitsbezogene Unternehmensbegriff! grenzt den Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln in dreierlei Hinsicht ab. Er nimmt den privaten Verbrauch, das rein hoheitliche Handeln3 sowie die abhängige Tätigkeit von Arbeitnehmern4 von der Anwendung der Wettbewerbsregeln aus. Für hoheitliches Handeln können die Wettbewerbsregeln aber über Art. 90 EGV greifen. Unternehmerisch handelt damit jeder, der im Wettbewerb tätig ise.

2. Unternehmen als Objekt EuGH, EuG und Kommission haben in verschiedenen Zusammenhängen das Unternehmen definiert als die organisatorische Zusammenfassung von personellen und sachlichen (materiellen und immateriellen) Mitteln, mit

Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 7; K. Schmidt, Handelsrecht, § 4 I 1 a. Überwiegend spricht man vom fimktionalen Unternehmensbegriff, siehe z. B. GleissIHirsch, Art. 85 Rn. 9. 3 Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 21 und 29 ff.; zu letzterem s. etwa Slot, FS Everling, S. 1413 ff; Benicke, EWS 1997,373 ff. 4 So zu § 1 GWB Immenga, in: ImmengalMestmäcker, § 1 Rn. 37. 5 Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 9. I

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1. Teil: Grundlagen

denen ein wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird 6, oder - so das EuG - die an einem Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln beteiligt sein können7 . Hiermit ist das Unternehmen als Sachgesamtheit, als Objekt unternehmerischen Handelns, gemeint. Ob diese Sachgesamtheit Unternehmen im Sinne von Artt. 85,86 EGV ist, hängt davon ab, ob man die Sachgesamtheit als handlungs- oder gar rechtsfähiges 8 Gebilde ansieht. Kommission und EuGH sehen in einigen Entscheidungen die Sachgesamtheit als Unternehmen im Sinne von Artt. 85,86 EGVan9 Damit wäre das Objekt Unternehmen zugleich das in Artt. 85, 86 EGV gemeinte Subjekt Unternehmen. Ob dieser Ansicht zu folgen ist. wird unten (S. 46 ff. und S. 49 ff.) näher untersucht. Das Objekt Unternehmen ist nach der Rechtsprechung des EuGH immer einem bestimmten rechtsfähigen Subjekt zuzuordnen lO . Urngekehrt gilt, daß sich das Handeln eines solchen Subjekts immer auf ein bestimmtes Objekt Unternehmen bezieht. 3. Unternehmen als Subjekt a) Meinungsstand

Das Subjekt näher zu beschreiben, dem man die unternehmerische Tätigkeit zurechnet, stößt auf Schwierigkeiten. Sie resultieren daher, daß der Unternehmensbegriff, den Kommission, EuG und EuGH verwenden, uneinheitlich und zum Teil widersprüchlich ise I. SO wird einmal der rechtsfähige Unternehmensträger als Unternehmen bezeichnet, ein andermal eine nicht rechtsfähige Gesamtheit verbundener Unternehmen und wieder ein andermal ein nicht rechtsfähiger Betriebsteil oder Geschäftszweigl2 . In anderem Zusammenhang heißt es, ein rechtsfähiges konzernzugehöriges Unternehmen sei mangels wirt6 Kommission, Erste AbgrellZllllgsbekanntrnachllllg, Nr. 8 (zusätzlich verlangt die Kommission noch Dauerhaftigkeit der Zweckverfolgllllg); EuGH, 13. 7. 1962 - Klöckner Illld HoeschIHohe Behörde, Slg. 1962, 653, 687; 13. 7.1962 -MarmesmannlHohe Behörde, Slg. 1962,717,750; 22. 3. 1961 - SNUPATlHohe Behörde, Slg. 1961, 109, 164. 7 EuG, 17.12. 1991-EnichemlKommission, Slg. 1991 II 1623 (Ne. 235). 8 So z. B. Th. Raiser, Das Unternehmen als Organisation, S. 116 tI, 166 fr, wonach in Teilbereichen des deutschen Rechts das Unternehmen de lege lata Rechtssubjek1: sei; diese Ansicht hat sich nicht durchgesetzt, siehe Th. Raiser, Grundgesetz, S. 35. Y Siehe die Nachweise Illlten, S. 46 fr 10 EuGH, 13. 7. 1962 - Klöckner Illld HoeschIHohe Behörde, Slg. 1962, 653, 687; 13 7. 1962 -MannesmannlHohe Behörde, Slg. 1962, 717, 750; 22.3.1961 -SNUPAT/ Hohe Behörde. Slg. 1961, 109, 164. 11 CookiKerse (1. Autl.), S.47 sprechen dem Unternehmensbegriff chamäleonähnliche Qualitäten zu. J:~ Besonders anschaulich Kommission, 13. 7. 1994 - Cartonboard, ABI. 1994 L24311,45(NLI40).

B. Der UnternehmensbegritT

37

schaftlicher Selbständigkeit kein Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsregeln13 . Dieser sogleich zu untersuchenden Praxis entspricht das Meinungsspektrum in der Literatur. So ist umstritten, ob die Wettbewerbsregeln mit dem Subjekt Unternehmen nur ein rechtsfahiges Subjekt meinen. Die Literatur bejaht das zum Tei1 14 . Andere meinen, Verbotsadressat sei nicht der rechtsfahige Unternehmensträger, sondern die tatsächlich handelnde wirtschaftliche Einheit, auch wenn sie nicht rechtsfahig sei 15. Erst für die Rechtsdurchsetzung sei der rechtsfähige Unternehmensträger zu ermitteln, dem der Verstoß zuzurechnen sei l6 Nach einer anderen Ansicht ist Unternehmen der Unternehmensträger, der nicht rechtsfahig zu sein brauche, sondern nur in der Lage sein müsse, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Letzteres treffe insbesondere auf nicht rechtsfahige, unternehmenstragende Personenvereinigungen ZUI7 . Ebenfalls umstritten ist, ob Unternehmen im Sinne von Artt. 85,86 EGV nur wirtschaftlich selbständige Einheiten sind. Zum Teil wird verlangt, ein Unternehmen müsse wirtschaftlich selbständig sein, um Unternehmen im Sinne von Artt. 85, 86 EGV sein zu können l8 . Andere halten wirtschaftliche Selbständigkeit nicht für erforderlich19. b) Lösung von Rechtsfragen verbundener Unternehmen über den Unternehmensbegriff

Untersucht man die geschilderte Entscheidungspraxis von Kommission und Gerichten näher, so stellt man fest, daß nahezu alle Aussagen über den UnterNachweise folgen sogleich. Schröter, in: von der GroebenfThiesinglEhlennann, Vorbem. zu den Art. 85 bis 89 Rn. 12; Bunte, in: LangenlBunte, Art. 85 Rn. 6; Goyder, S. 87; BeliamylChild, Rn. 2-003. 15 Emmerich, § 34, 1 a, S. 523; Fine, Rn. 6-006; Generalanwalt Slynn, Schlußanträge zu EuGH, 30. 1. 1985 -BNlC/Clair, Slg. 1985, 392, 395 tT.; wohl auch Bleckmannl Pieper, in: Lenz (Hrsg.), Handbuch, S. 685. 16 GleisslHirsch, Art. 85 Rn. 47 und 11, 12; RitterlBraun/Rawlinson, S. 31; Bos/ Stuyck/Wytinck, Rn. 3-023 (das Unterne1unen als Rechtssubjekt sei vom Unternehmen als Wettbewerbssubjekt zu unterscheiden); Bömer, in: HuberlBörner, S. 185. 17 Potrafke, S. 178 f, 181 tT.; ähnlich Karl, S. 76 f: es korrune nicht auf die Rechtsiahigkeit an, sondern darauf, ob die betretTende wirtschaftliche Einheit nach nationalem Recht einen solchen Organisationsgrad habe, daß sie Träger von Rechten und Ptlichten sein könne. 18 Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 49 f; Bunte, in: LangenlBunte, Art. 85 Rn. 9; Koch. in: GrabitzlHilt~ Art. 85 Rn. 16. 19 Mailänder, in: Gemeinschaftskorrunentar, Art. 85 Rn. 4 unter gg); BosIStuyck/Wytinck, Rn. 3-025; Schröter, in: von der GroebenfThiesinglEhlennann, Art. 85 Abs. 1 Rn. 89 und Vorbem. zu Art. 85 - 89 Rn. 15; Karl, S. 77 f 13

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l. Teil: Grundlagen

nehmensbegriff dazu dienen, Rechtsfragen im Zusammenhang mit verbundenen Unternehmen zu lösen, einschließlich der mit Umstrukturierungen von Konzernen verbundenen Fragen der Rechtsnachfolge. Im folgenden soll gezeigt werden, welche Rechtsfragen über den Unternehmensbegriff gelöst werden. Es wird jeweils untersucht, ob der Unternehmensbegriff der richtige Ansatzpunkt für die Lösung ist20 . aa) Anwendung der Gruppenfreistellungsverordnungen, die für Vereinbarungen zwischen zwei Unternehmen gelten Im Fall HydrothennlCompact21 hat der EuGH zwei Gesellschaften und den sie kontrollierenden Gesellschafter als ein Unternehmen bezeichnet. Die drei hatten mit einem Vertriebsunternehmen eine Alleinvertriebsvereinbarung geschlossen. Die damals einschlägige GVO galt, wie alle auf die Ermächtigungsverordnung 19/65 gestützten GVOS 22 , nur für Vereinbarungen zwischen zwei Unternehmen23 . Der EuGH sah diese Voraussetzung als erfüllt an. Im Wettbewerbsrecht sei ein Unternehmen eine im Hinblick auf den jeweiligen Vertragsgegenstand bestehende wirtschaftliche Einheit, auch wenn sie aus mehreren, natürlichen oder juristischen, Personen gebildet werde. Drei Sätze später heißt es jedoch, die GVO finde auch Anwendung, wenn auf einer Seite mehrere rechtlich selbständige Unternehmen beteiligt seien, sofern sie im Hinblick auf die Vereinbarung eine wirtschaftliche Einheit bildeten. Das ist widersprüchlich. Erst bezeichnet der EuGH die beiden Gesellschaften und den herrschenden Gesellschafter zusammen als ein Unternehmen. Dann bezeichnet er sie als mehrere rechtlich selbständige Unternehmen, die eine wirtschaftliche Einheit bilden24 . Der EuGH verwendet damit zwei ver20 Die Versuchung, Sachfragen über den Unternehmensbegriff zu lösen, ist im Kartellrecht anscheinend besonders groß. Ein anderes Beispiel dafür fmdet sich im Sportrecht. Dort wird von einigen angenommen, nicht die einzelnen Sportvereine seien Unternehmen, sondern die ganze Liga (dazu Fleischer, WuW 1996, 463, 477). In der Sache geht es hier darum, wie man der Besonderheit Rechnung trägt, daß die Wettbewerber (= die Vereine) auf die Existenz genügend anderer Wettbewerber angewiesen sind. 21 EuGH, 12. 7. 1984, Slg. 1984,2999, 3016 (Nm. 11 und 12). 22 VO 1983/83, VO 1984/83, VO 4087/88, VO 1475/95, VO 240/96. 23 Art. 1 Abs. 1 VO Nr. 67/67 der Kommission vom 22. 3. 1967 über die Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von Alleinvertriebsvereinbarungen (ABI. 1967, 869/67); jetzt ersetzt durch die VO Nr. 1983/83 der Kommission vom 22. 6. 1983 über die Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von Alleinvertriebsvereinbarungen (ABI. 1983 L 173/1). 24 Ähnlich die Kommission in ihrer Bekanntmachung zu den Alleinvertriebs- bzw. Alleinbezugs-GVOs, Nr. 13: "Mehrere Unternehmen, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, sind wie ein einziges Unternehmen zu behandeln".

B. Der Unternehmensbegriff

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schiedene Unternehmensbegriffe: einmal einen wirtschaftlichen Unternehmensbegriff, der wirtschaftliche Einheiten unabhängig von der Zahl der unternehmenstragenden juristischen und natürlichen Personen erfaßt, ein andermal einen Unternehmensbegriff, der sich mit dem der unternehmenstragenden juristischen oder natürlichen Person deckt. Schon wegen dieser Widersprüchlichkeit kann die Entscheidung nicht zur Herausbildung eines Unternehmensbegriffs beitragen. Sie kann es aber auch deshalb nicht, weil die Frage, um die es geht, nicht durch einen im Vorhinein bestimmten Unternehmensbegriff zu lösen ist. Die betreffende GVO ist auf Vereinbarungen zwischen zwei Unternehmen beschränkt, um die wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen auf die vertikale Ebene zu begrenzen. Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen zwischen mehreren Lieferanten oder Händlern sollen nicht freigestellt werden. Solche Wettbewerbsbeschränkungen würden eintreten, gäbe es die Beschränkung der GVO auf zwei Unternehmen nicht. Wären auf der einen Seite einer Alleinvertriebsvereinbarung z. B. mehrere Lieferanten beteiligt, die dem Händler Alleinvertriebsrechte für verschiedene räumliche Märkte gäben, so wäre dies zusätzlich zu der vertikalen Wettbewerbsbeschränkung eine von der GVO nicht gedeckte horizontale Marktaufteilung. Die Fragestellung hätte daher nicht lauten müssen, ob mehrere Unternehmen ein Unternehmen im Sinne der GVO sein können. Es war vielmehr zu klären, ob die GVO analog anwendbar ist, wenn auf der einen Seite einer Vereinbarung mehrere untereinander verbundene Unternehmen beteiligt sind. Das hängt davon ab, ob zwischen den verbundenen Unternehmen die horizontalen WeUbewerbsbeschränkungen überhaupt eintreten können, die die ZweiUnternehmens-Klausel verhindern soles. Das richtet sich nach den Grundsätzen über konzerninterne Vereinbarungen26 . Würde nach diesen Grundsätzen das gemeinsame Vorgehen der verbundenen Unternehmen beim Vertragsabschluß mit dem Händler nicht unter Art. 85 EGV fallen, wäre die GVO entsprechend anwendba~7. Das folgt auch daraus, daß die beiden Gesellschaften und der sie beherrschende Gesellschafter auch je einzeln mit dem Händler hätten kontrahieren

2S Der EuGH stellt im Ralunen seiner widersprüchlichen Unternehmensdefmition im übrigen selbst darauf ab, daß Wettbewerb zwischen den drei auf Lieferantenseite Beteiligten unmöglich sei, EuGH. 12.7. 1984 - Hydrotherrn und Compact, Slg. 1984, 2999,3016 (Nr. 11 a. E.). 26 Dazu unten 4. Teil E, S. 395 ff. 27 Man könnte methodisch auch die Zwei-Unternehmens-Klausel teleologisch reduzieren und nicht anwenden, wenn auf einer Seite der Vereinbarung verbundene Unternehmen beteiligt sind. In Voraussetzungen und Rechtsfolgen macht das keinen Unterschied gegenüber der Analogie zu der Gesamtnonn.

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1. Teil: Grundlagen

können2~. Der Tatbestand des Art. I VO 67/67 wäre dann jeweils erfüllt gewesen. Die vorherigen Absprachen zwischen den Konzernunternehmen oder die entsprechenden Weisungen des herrschenden Unternehmens wären als Konzerninterna nicht unter Art. 85 EGV gefallen.

bb) Marktbeherrschende Stellung verbundener Unternehmen Kommission und EuG behandeln bei der Prüfung der Marktbeherrschung gemäß Art. 86 EGV unter bestimmten Voraussetzungen Mutter- und TochlerUilternehmen als ein Unternehmen im Sinne von Art. 86 EGV29 . Der EuGH dagegen prüft in diesen Fällen, ob Art. 86 EGV auf mehrere Unternehmen oder auf eine Gruppe von Unternehmen anwendbar iseo. Letzterem ist zu folgen. Art. 86 EGV erfaßt auch die Marktbeherrschung durch mehrere Unternehmen3l . Zwar ist im Wortlaut der Vorschrift nur der Mißbrauch durch mehrere Unternehmen ausdrücklich erwähnt. Der Mißbrauch durch mehrere Unternehmen setzt aber notwendig die Marktbeherrschung durch mehrere Unternehmen voraus, weil nur derjenige, der eine marktbeherrschende Stellung hat, sie mißbrauchen kann. Ob mehrere Unternehmen gemeinsam eine marktbeherrschende Stellung haben, hängt unter anderem davon ab, ob zwischen ihnen, also im Innenverhältnis. Wettbewerb bestehe2 . Auch bei der Prüfung, ob verbundene Unternehmen gemeinsam marktbeherrschend sind, muß daher entscheidend sein, ob zwischen ihnen Wettbewerb besteht. Diese Frage ist nicht mit Hilfe des Unternehmensbegriffs zu lösen. 2~ Siehe auch Kommission, Bekanntmachung zu den Alleinvertriebs- bzw. Alleinbezugs-GVOs (Nr. 14). 29 Kommission, 24. 7. 1991 - Tetra Pak II, ABI. 1992 L 72/1, 19 (Nr. 99); 22. 12. 1987 - Eurofix-BaucolHilti, ABI. 1988 L 65/19, 30 und 34 (Nm. 54 und 66 tf); 8. 12. 1977 - HuginILiptons, ABI. 1978 L 22/23,30; 14. 12. 1972 - ZojalCSCICI, ABI. 1972 L 299/51, 54; EuG, 10. 3. 1992 - Societa Italiana VetrolKommission, Slg. 1992 II 1403, 1548 (Nr. 358). 30 EuGH, 8. 6. 1971 - Deutsche GrammophonIMetro, Slg. 1971, 487, 501 (Nr. 17); 5. lO. 1988 - AIsatellNovasam, Slg. 1988, 6005, 6010 (Nr. 20); 22. 1. 1974 - ICICSClKommission, Slg. 1974, 223, 255; 11. 4. 1989 - Ahmed Saeed, WuWIE EWGIMUV 841,845 (Nr. 35 a. E.); 4. 5. 1988 - BodsonIPompes fUllt!bres, Slg. 1988, 2479, 2513 (Nr. 21); 22.10.1986 -MetrolKommission, Slg.1986, 3074, 3092 (Nm. 79 tI). 31 Unstreitig, siehe nur Dirksen, in: LangenIBunte, Art. 86 Rn. 59; Bellamy/Child, Rn. 9-037; aus der jüngeren Kommissionspraxis siehe Kommission, 1. 4. 1992 - French-West African Shipowners Committees, ABI. 1992 L 134/1, 17 (Nm. 55 tI). 32 Unstreitig: Dirksen, in: LangenlBunte, Art. 86 Rn. 59; Schröter, in: von der GroebenlThiesinglEhlermann. Art. 86 Rn. 65; Kommission, 19.4. 1977 - ABG/ Niederländische Mineralölgesellschatlen. ABI. 1977 L 117/1, 9.

B. Der UnternehmensbegritT

41

cc) Zurechnung von Handlungen Die Kommission bezeichnet auch bei der Prüfung, wer die gegen Artt. 85,86 EGV verstoßenden Handlungen vorgenommen hat, unter bestimmten Voraussetzungen33 mehrere Konzernunternehmen als ein Unternehmen im Sinne von Artt. 85, 86 EGV34 . Wegen der fehlenden Rechtsfähigkeit der Gesamtheit VOn Konzerngliedern ist die Kommission dann aber gezwungen, in einem zweiten Schritt einen rechtsfähigen Adressaten der Entscheidung festzustellen 35 . Sie wählt hier teils die Konzernmutter36 , teils Mutter und Töchter37 , und, seltener, nur die Tochter38 . Das Gericht erster Instanz hat diesen Zweischritt gebilligt39. Der EuGH entscheidet zwar im Ergebnis nicht anders, setzt aber nicht beim Unternehmensbegriff an, sondern zum Teil bei der wirtschaftlichen Einheit40 . Zum Teil stellt der EuGH darauf ab, ob der Muttergesellschaft das Verhalten der Tochter zuzurechnen ist41 . Die Lösung der Kommission und des EuG packt gleich ein ganzes Bündel von Sachfragen in den Unternehmensbegriff und verschleiert sie dadurch. Dazu ooten4. Teil C, S. 35411 Kommission, 21. 12. 1988 - LDPE, ABI. 1989 L 74/21, 37 (Nr. 55); 21. 12. 1988 - PVC, ABI. 1989 L 7411, 15 (Nr. 45); 21. 12. 1988 - Decca Navigator System, ABI. 1989 L 43/27, 39 (Nr. 82); 22. 12. 1987 - Eurofix-BaucolHi1ti, ABI. 1988 L 65119, 30 (Nr. 54); 23.11.1984, -Peroxyd-Produkte, ABI. 1985 L35/1, 14 (NI. 49); 8.12.1977 -Huginl Liptons, ABI. 1978 L22/23 (in diesem Punkt nicht beanstandet in: EuGH, 31. 5.1979 -HuginlKommission, Slg. 1979,1869); 14.12.1972 -ZojalCSC-ICI, ABI. 1972 L299/51, 54; hierher gehören auch die Fälle, in denen die Kommission den Konzern zwar nicht ausdrücklich als Unternehmen bezeichnet, aber ooter einheitlicher Bezeichnoog als denjenigen nennt, der den Wettbewerbsverstoß begangen hat: Kommission, 16. 12. 1985 - Sperry New Holland, ABI 1985 L 376/21 (insbesondere NI. 3 a. E.); 14. 12. 1984 - lohn Deere, ABI 1985 L 35/58 (insbesondere Nr. 2 a. E.); 9.6. 1976 - Hoffinann-La Roche, ABI. 1976 L 223/27. 35 Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, wer bußge1dptlichtig ist. Das macht die Kommission von den konkreten Verursachoogsbeiträgen abhängig, siehe z. B. Kommission, 23.7.1984 -Bene1ux Flachglas, ABI. 1984 L212/13, 21 f. (Nm. 52 ff); 6.8.1984 -Zinc Producer Group, ABI. 1984 L 220/27, 44 (Nr. 104). 36 So fur die in den vorhergehenden Fn. genannten Fälle Decca Navigator System, Eurolix-BaucolHi1ti, lohn Deere, Peroxyd-Produkte, Hoffinann-La Rache. 37 So fur die in den vorhergehenden Fn. genannten Fälle United Brands, HuginlLiptons, Zoja/CSC-ICL 38 Kommission, 16.12.1985 -Sperry New Holland, ABI 1985 L 376/21,26 (Nr.62) und 28 a. E. 39 EuG. 10. 3. 1992 - Shell International Chernical CompanylKommission, Slg. 1992 TI 757. 884 (NI. 311 (1). 40 EuGH, 22. 1. 1974 - ICI-CSClKommission, Slg. 1974,223,255 f 41 EuGH. 6.4. 1995 - BPB Industries ood British GypsumlKomrnission, Slg. 1995 I 865, 904 (Nr. 11) in Verbindoog mit 87011 (Nm. 20 - 31); 14.7. 1972 - ICIIKommission, - GeigylKorrunission, - SandozIKommission, Slg. 1972, 619, 665 fi~ (Nm. 1311145), 787, 838 (Nr 45), 845, 848 (Nr 13); siehe dazu auch Lipowsky, S. 15 t1, 47 11 33

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1. Teil: Grundlagen

Wenn mehrere Konzernunternehmen an einem Wettbewerbsverstoß beteiligt sind, ist für jedes einzeln zu prüfen, ob es gegen die Verbote der Artt. 85, 86 EGV verstoßen hat. Hier ist zu unterscheiden. Gegen die Wettbewerbsregeln verstößt, wer den Tatbestand erfüllt. Weil Rechtsnormen Rechte und Pflichten nur für Rechtsfähige begründen, kann nur ein rechtsfähiges Subjekt gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen. Im Konzern ist das jedes Unternehmen, das den Tatbestand erfüllt hat. Das kann die Tochter, aber auch die Mutter sein, wenn sie selbst sich wettbewerbswidrig verhalten hat. Ist so das rechtsfähige Subjekt ermittelt, das gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen hat, ist eine zweite Frage, ob neben diesem noch ein anderes Konzernunternehmen - insbesondere die Muttergesellschaft - an dem Verstoß aktiv beteiligt ist. Es gilt also festzustellen, ob erstens das andere Konzernunternehmen den Verstoß initiiert oder gefördert hat und ob zweitens eine solche Beteiligung auch unter Artt. 85,86 EGV fällt42 • Mit dem Unternehmensbegriff hat das nichts zu tun. Die Zusammenfassung mehrerer Konzernunternehmen zu einem Unternehmen hat über die soeben genannten Fragen der Tatbestandserfüllung und der Beteiligung hinausgehend dazu gefiihrt, daß auch solche Unternehmen, die nicht zu dem konkreten Verstoß beigetragen hatten, zur Verantwortung gezogen wurden 43 . Die Kommission hat in den genannten Fällen jeweils die Holdinggesellschaft des Konzerns als Adressaten der Entscheidung gewählt, obwohl mehrere Tochtergesellschaften gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen hatten und eine Beteiligung der Konzernmutter nicht dargelegt war. Liegt kein eigener Tatbeitrag eines anderen Konzernunternehmens vor, so ist zu prüfen, ob es trotzdem fiir den Verstoß einstehen muß. Hier wäre zu erörtern, ob ein Unternehmen auch durch Unterlassen gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen kann. Weiter wäre zu erörtern, ob ein Unternehmen allein aufgrund seiner Einflußmöglichkeiten auf ein anderes Unternehmen fiir dessen Wettbewerbsverstöße in der Weise einzustehen hat, daß es Adressat der Untersagungsverfügung und der Bußgeldentscheidung ist. Bejaht man das - wie die Kommission in den genannten Entscheidungen - dann käme man zu einer kartellrechtlichen "Konzernzustandshaftung". Allein das Bestehen bestimmter Einflußmöglichkeiten, deren Ausmaß im übrigen zu erörtern wäre, würde zu der wettbewerbsrechtlichen Verantwortlichkeit der Konzernmutter fuhren. Es 42 Auch Schroeder, WuW 1988, 274, 282, weist darauf hin, daß es auf die ordnungswidrigkeitsrechtlichen Kategorien des Handelns und der Beteiligung ankomme. Näher dazu unten 4. Teil. C, S. 354 ff. 43 Kommission, 21. 12. 1988 -PVC, ABI. 1989 L 74/1,15 (Nr. 45); 21. 12. 1988 - LDPE, ABI. 1989 L 74/21, 37 (Nr. 55).

B. Der UnternehmensbegritT

43

liegt auf der Hand, daß man derartig weitreichende Folgen und die Erörterung ihrer Voraussetzungen nicht damit lösen kann, daß man den Konzern als ein Unternehmen bezeichnet44 . Bedenken bestehen auch hinsichtlich einer finanziellen Haftung für Bußgelder. Dem finanziellen "Durchgriff' sind Schranken durch das Gesellschaftsrecht, hier insbesondere das Konzernrecht, gezogen, die man durch eine einfache Begriffsausdehnung im Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht umgehen darf. dd) Konzerninterne Vereinbarungen Rechtsprechung, Kommission und Literatur lösen die Frage, ob konzerninterne Absprachen gegen Art. 85 EGV verstoßen, zum Teil über den Unternehmensbegriff. Konzernzugehörige Unternehmen seien, sofern sie wirtschaftlich nicht selbständig seien, im Innenverhältnis zu den anderen Konzernunternehmen keine Unternehmen im Sinne von Art. 85 EGy45. Konzerninterne Vereinbarungen und konzernintern abgestimmte Verhaltensweisen verstießen daher nicht gegen Art. 85 EGV

44 Vgl. H. Wiedemann, Unternehmensgruppe, S. 5: Im Gesellschatlsrechts sei man sich einig, daß es sich um Zurechnungsprobleme handelt und nicht um eine "mystische Unternehmens- oder Wirtschatlseinheit". 45 Den·nger, Art. 85 Rn. 13 f; Fikentscher, Wirtschatlsrecht I, S. 588; Harms, Konzerne, S. 158; ihm tolgend Müller-Henneberg, in: Gemeinschatlskommentar § 1 GWB Rn. 15; MüllerlGießleriScholz § 1 GWB Rn. 41; RinckiSchwark, Rn. 251; Kommission, 16. l. 1991 - Ijsselcentrale, WuWfE EV 1596, 1597 f (Nm. 21 ff.) = ABI. 1991 L 28/32; 15. 5. 1991 - GosmelMartell-DMP, ABI. 1991 L 185/23 (die Kommission hat hier geprutl, ob die Mütter eines paritätischen GU und das GU selbständige Unternehmen im Sinne von Art. 85 EGV sind. Sie hat das bejaht, da keine der Mütter die alleinige Kontrolle über das GU habe); dies., Stellungnahme zu Ford I, wiedergegeben vom EuGH, 28.4. 1984 - Ford lIKommission, Slg. 1984, 1129, 1160 (Nr. 16: eine Absprache innerhalb der Fordgruppe sei keine Vereinbarung zwischen Unternehmen, kein Beschluß einer Unternehmensvereinigung und kein abgestimmtes Verhalten); EuG, 12. l. 1995 - ViholKommission, Slg. 199511 17, 35 (Nm. 50, 51, unklar Nm. 52, 53); 10. 3. 1992 - Societ8. Italiana Vetro, Slg. 1992 11 1403, 1547 (Nr. 357: es tehle an einer Vereinbarung zwischen Unternehmen, wenn diese eine wirtschatlliche Einheit bildeten); anderer Ansicht (Unternehmenseigenschatl ja, aber möglicherweise keine Wettbewerbsbeschränkung): Langer, S. 48 fI; Schroeder, WuW 1988, 274, 277; Gleissl Hirsch, Art. 85 Rn. 55; Bunte, in: LangenIBunte, Art. 85 Rn. 113; ähnlich EuGH, 11.4.1989 -Ahmed Saeed, WuWfE EWGIMUV 841,845 (Nr.35); 4.5.1988 - BodsonIPompes funebres, Slg. 1988, 2507, 2513 (Nr. 19); 3l. 10. 1974 - Centrafarm und De Peijper/Sterling Drug, Slg. 1974, 1147, 1168 (Nr. 41); 3l. 10. 1974 - Centrafarm und De Peijper/Winthrop, Slg. 1974, 1183, 1198 f (Nr. 32); etwas anders noch EuGH, 25. 11. 1971 - BeguelinlS.A.G.L., Slg. 1971, 949, 959: keine Wettbewerbsstörung, wenn die Tochter wirtschatllich nicht selbständig ist; Loewenheim, in: LoewenheimiBelke, § 1 Rn. 26.

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l. Teil: Grundlagen

Auch bei den Absatzmittlern wird zum Teil die Anwendbarkeit des Art. 85 EGV von der Unternehmenseigenschaft und diese wiederum von der wirtschaftlichen Selbständigkeit des Absatzmittlers abhängig gemacht46 . Was wirtschaftliche Selbständigkeit ist, wird nicht einheitlich beantwortet. Zum Teil versteht man darunter, daß ein Unternehmen ohne rechtlich verbindliche Weisungen über sein eigenes Marktverhalten entscheiden kann47 . Andere stellen darauf ab, ob sich der unternehmerische Erfolg oder Mißerfolg des Marktverhaltens unmittelbar bei dem Handelnden selbst niederschlägt; nur dann sei er Unternehmen48 . Nach Ansicht des EuG fehlt die Unternehmenseigenschaft, wenn die an einer Verhaltensabstimmung Beteiligten eine wirtschaftliche Einheit bilden49. Das Merkmal der wirtschaftlichen Selbständigkeit des Unternehmens soll dem Art. 85 EGV also Vereinbarungen zwischen solchen Rechtssubjekten entziehen, die wirtschaftlich in einem Lager stehen. Folgt man dieser Ansicht, dann wären Konzernunternehmen gegenüber anderen Konzernunternehmen in bestimmten Fällen keine Unternehmen. Das führt zu einem relativen Unternehmensbegriff, weil jedes Konzernunternehmen im Verhältnis zu Dritten ein Unternehmen im Sinne von Art. 85 EGV ist. Andernfalls könnten Konzerntöchter durch Vereinbarungen mit Dritten nie gegen Art. 85 EGV verstoßen. Verantwortlich müßte dann stets die Konzernmutter sein. Daß dieses Ergebnis den EG-Wettbewerbsregeln nicht entspricht, ergibt sich schon aus den Verbundklauseln der GVOs. Diese gehen alle davon aus, daß Adressat der Artt. 85,86 EGV auch unselbständige Tochtergesellschaften sein können. Gegen eine Relativität des Unternehmensbegriffs wäre zwar an sich nichts einzuwenden. Sie zeigt aber, daß der Anwendungsbereich des Art. 85 EGV nicht auf wirtschaftlich selbständige Einheiten beschränkt werden kann. Es geht in der Sache also nicht um den Unternehmensbegriff. Vielmehr geht es um die kartellrechtliche Bewertung von Konzerninnenbeziehungen und vergleichbaren Beziehungen, wie derjenigen zwischen Lieferant und Absatzmittler. Ob Vereinbarungen im Rahmen solcher Beziehungen aus dem Anwendungsbereich des Art. 85 EGV herausfallen, hängt davon ab, ob sie Wettbewerbsbeschränkungen im Sinne des Art. 85 EGV mit sich bringen können.

46 Str., siehe die Nachweise bei Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 51 sowie z. B. Kommission, 2. 1. 1973 - Suiker Unie, ABI. 1973 L 140/1 7,41. 47 Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 49, die allerdings im Ergebnis nicht hierauf abstellen, sondern auf die Risikotragung; wohl auch Koch, in: GrabitzfHilt: Art. 85 Rn. 16. 48 Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 49; Kommission, Bekanntmachung über Alleinvertriebsverträge mit Handelsvertretern vom 24. 12. 1962 unter I. 49 EuG, 10.3. 1992 - Societll ltaliana Vetro, Slg. 1992 II 1403, 1547 (Nr. 357).

B. Der Unternehmensbegriff

45

Können sie das, ist es nicht gerechtfertigt, Konzernunternehmen im Verhältnis zueinander nicht als Unternehmen anzusehen. Können sie keine Wettbewerbsbeschränkungen mit sich bringen, schadet es nicht, die Konzernunternehmen als Unternehmen anzusehen, aber eine Wettbewerbsbeschränkung zu verneinen. Tatsächlicher Anknüpfungspunkt ist also nicht der Unternehmensbegriff, sondern das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung5o . ee) Konzerninterne Lieferungen Der EuGH hat im Zusammenhang mit Ausgleichszahlungen für konzerninterne Schrottlieferungen angenommen, zwei Konzernunternehmen seien zwei verschiedene Unternehmen, weil auf die Rechtssubjekte, das heißt die rechtsfahigen Unternehmensträger abzustellen sei 51 . Es war darüber zu befinden, ob konzerninterne Umsätze von einer geltenden Schrottumlage befreit waren. Die Schrottumlage galt für Fälle, in denen ein Unternehmen von einem anderen Unternehmen Schrott zukaufte. Der EuGH vertrat die Ansicht, Schrott, der von anderen Konzernunternehmen gekauft sei, sei kein Eigenaufkommen des erwerbenden Unternehmens, sondern von einem anderen Unternehmen zugekaufter Schrott. Unabhängig davon, ob man dem Ergebnis der Entscheidungen - Umlagepflicht - zustimmt52 , ist der methodische Ansatz falsch. Durch den Ansatz beim Unternehmensbegriff nimmt man unausgesprochen Wertungen vorweg, die offengelegt werden müßten. Im Kern ging es darum, ob konzerninterne Umsätze umlagepflichtig sein sollen. Das richtet sich aber nicht nach einem abstrakt vorbestimmten Unternehmensbegriff, sondern nach Sinn und Zweck der Schrottumlage53 . Deshalb können die Erwägungen des EuGH zum Unternehmensbegriff nicht verallgemeinert werden. Der Unternehmensbegriff ist hier nur für die Schrottumlagefalle passend geschneidert worden.

50 Zu der Ansicht, wonach das Tatbestandsmerkmal der Vereinbarung oder Verhaltensabstimmung über die Erfassung konzerninterner Vereinbarungen entscheidet, siehe unten 4. Teil E m2, S. 397. 51 EuGH, 13. 7. 1962 - Klöckner und HoeschIHohe Behörde, Slg. 1962, 653, 687; - MannesmannlHohe Behörde, Slg. 1962, 717, 750; 22. 3. 1961 - SNUPATlHohe Behörde, Slg. 1961, 109, 164 f. 52 Sehr kritisch Hanns, Konzerne, S. 97 ff. 53 Der EuGH weist hierauf in den Entscheidungen wenigstens ergänzend hin: Das Ergebnis werde auch vom Zweck der Schrottumlage gedeckt, jede Schrottbewegung zu erfassen. Kritisch zu den dahinterstehenden wirtschaftlichen Argumenten Hanns, Konzerne, S. 99 fI

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1. Teil: Grundlagen ff) Rechtsnachfolge

Kommission und EuG haben zum Unternehmensbegriff auch im Zusammenhang mit der Rechtsnachfolge bei der Umstrukturierung von Konzernen Stellung genommen. Werden nach einem Wettbewerbsverstoß die beteiligten Unternehmen umstrukturiert, so ist zu klären, wer für den früheren Wettbewerbsverstoß als Adressat der Untersagungs- und Bußgeldentscheidung einstehen muß. Hierbei sind sich Kommission, EuG und EuGH im Grundsatz einig, daß maßgeblich sei, welches Unternehmen wirtschaftlich und funktionell mit dem alten Unternehmen identisch sei oder sich als Fortsetzung dieses Unternehmens darstelle 54 . Es soll also die wirtschaftliche Nachfolge über die Bußgeldpflicht entscheiden. Kommission und EuG vertreten in diesem Zusammenhang einen weiten Unternehmensbegriff. Sie gehen davon aus, daß der Begriff des Unternehmens, der den Wettbewerbsregeln zugrundeliegt, sich nicht mit dem der Rechtspersönlichkeit nach dem innerstaatlichen Recht decke. Unternehmen könne jede wirtschaftliche Einheit sein, die gewerblich tätig sei55 . Diese Formel erfaßt neben den Konzernen auch nicht rechtsfähige Betriebe und Geschäftszweige als Unternehmen. So war in einigen Entscheidungen56 zu klären, wer für die Wettbewerbsverstöße eines Unternehmensträgers, der inzwischen aufgelöst worden war, einzustehen hatte. Die dem Unternehmensträger gehörende Gesamtheit von Sachen und Rechten war von einem anderen Unternehmensträger übernommen worden. In einem Fall hatte der neue Unternehmensträger (Statoil) mit denselben Arbeitern und Angestellten bis hin zum obersten Management die Unternehmenstätigkeit fortgesetzt, und

54 Kommission, 2. 8. 1989 - Betonstahlmatten, ABI. 1989 L 260/1, 39 (Nr. 194); 21.12.1988 -LDPE, ABI. 1989 L74/21, 35 (Nr.49); 23.4.1986 -Polypropylen, ABI. 1986 L 230/1, 32 (Nr. 100); 21. 12. 1988 - PVC, ABI. 1989 L 74/1, 14 (Nr. 42 a. E.); diese Entscheidung wurde allerdings aus anderen Gründen vom EuGH filr nichtig erklärt, EuGH, 15.6. 1994 - KommissionlBASF u.a., Sig. 1994 12555; zur Rechtsnachfolge ähnlich wie die Kommission EuG, 17. 12. 1991 - Enichem AniclKommission, Sig. 1991 II 1623, 1695 (Nr. 237); EuGH. 16. 12. 1975 - Suiker UnielKommission, SIg.1975, 1663, 1951 (Nm. 84/87); 28.3.1984 -Cram und RheinzinklKommission, Sig. 1984, 1679, 1699 (Nr. 9). 55 EuG, 17.12.1991 -Enichem AniclKommission, SIg.1991 II 1623, 1695 (Nr. 235); Kommission, 13.7.1994 - Cartonboard, ABI. 1994 L 243/1,45 (Nr. 140); 2.8. 1989 - Betonstahlmatten, ABI. 1989 L 260/1,39 (Nr. 194); 21. 12. 1988 - LDPE, ABI. 1989 L 74/21,35 (Nr.49); 21. 12. 1988 -PVC, ABI. 1989 L 74/1,14 (Nr.42); diese Entscheidung wurde allerdings aus anderen Gründen vom EuGH filr nichtig erklärt, EuGH, 15.6. 1994 - KommissionIBASF u. a., Sig. 1994 12555. 56 Kommission, 21. 12. 1988 -LDPE, ABI. 1989 L 74/21,36 (Nr. 53); 23.4.1986 -Polypropylen, ABI. 1986 L230/1, 32 (Nr.100); 23.11.1984 -Peroxyd-Produkte, ABI. 1985 L 35/1,15 (Nr. 49).

B. Der Unternehmensbegriff

47

zwar als Abteilung in Fonn eines Profit Centers57 . Die Kommission vertritt die Ansicht, das Unternehmen, das den Verstoß begangen habe, habe zwar wegen der Integration in den Statoil-Konzern seine Rechtspersönlichkeit verloren, sei jedoch als Unternehmen bestehen geblieben. Es bestehe als getrenntes Gewinnzentrum immer noch als getrennte, identifizierbare Einheit fort. Da gegen diese Einheit jedoch keine Geldbuße verhängt werden könne, sei zum Zwecke der Rechtsdurchsetzung eine Einheit mit Rechtspersönlichkeit zu ermitteln. Diese Einheit sei die Gesellschaft Statoil58 . In einer anderen Entscheidung heißt es, der jetzige Eigentümer des Geschäftsunternehmens, das die Verstöße begangen habe, sei nach Übernahme des Vennögens und der wirtschaftlichen Ziele für die früheren Verstöße verantwortlich. Das Fortbestehen des Unternehmens gerade als getrennte Einheit wird nicht verlangt59. Ein Unternehmen kann nach dieser Praxis also auch ein Betrieb oder Geschäftszweig sein. Insbesondere auf diese Praxis stützt sich die eingangs zitierte Literaturansicht, Unternehmen im Sinne von Art. 85 EGV könne auch eine nicht rechtsfähige Einheit sein. Auch die Probleme der Rechtsnachfolge sind nicht mit Hilfe des Unternehmensbegriffs zu lösen. Gegen den Ansatz bei Unternehmensbegriff spricht zum einen, daß die Kommission so zu verschiedenen Unternehmensbegriffen kommt. Hat nämlich ein Unternehmensträger den Betrieb oder Geschäftszweig veräußert, in dem der Wettbewerbsverstoß geschehen ist, und erlischt der Unternehmensträger nicht, so soll dieser weiter haften, weil das Unternehmen, das den Verstoß begangen hat, fortbestehe 60 . Hier bedeutet "Unternehmen" also "Unternehmensträger". Dagegen ist in den erstgenannten Fällen, in denen der Unternehmensträger erloschen ist, "Unternehmen" der veräußerte Betrieb oder Geschäftszweig.

57 Kommission, 21. 12. 1988 -LDPE, ABI. 1989 L 74/21,36 (Nr. 53); 23.4.1986 - Polypropylen, ABI. 1986 L 230/1, 32 (Nr. 100); beide Entscheidtmgen betreffen in diesem Punkt denselben Sachverhalt. 58 Kommission, 21. 12. 1988 - LDPE, ABI. 1989 L 74/21, 36 (Nr. 53); 23.4. 1986 - Polypropylen, ABI. 1986 L 230/1, 32 (Nr. 100). 59 Kommission, -Peroxyd-Produkte, 23.11. 1984, ABI. 1985 L 35/1, 15 (Nr. 49); vgI. auch mit knapper Begründtmg (Übernahme der Aktiva eines fortbestehenden Unternehmensträgers) dies., 18. 3. 1992 - NewittIDtmlop Slazenger International u.a., ABI. 1992 L 131/32, 33 (Nr. 3) sowie 45; die Entscheidtmg wurde wegen unzureichender Begründtmg der Haftung ftlr nichtig erklärt von EuG, 28. 4. 1994 - All Weather Sports BeneluxIKornrnission, Slg. 1994 TI 211, 224 ff. (Nm. 26 ff.). 60 Kommission, 23. 4. 1986 - Polypropylen, ABI. 1986 L 230/1, 32 f. (Nr. 101); 21.12.1988 -LDPE, ABI. 1989 L74/21, 35f. (Nm. 50, 2. Abs., 51, 3. Abs.); 4. 11. 1982 - Navewa-Anseau, ABI. 1982 L 325/20.

48

1. Teil: Grundlagen

Außerdem werden durch die Begriffsbildung die Probleme verschleiert61 . Tatsächlich geht es darum, Rechtsnachfolgeregeln für die Rechte und Pflichten aus den Wettbewerbsregeln zu entwickeln. Hierbei ist zu prüfen, ob die Rechte und Pflichten des alten Unternehmensträgers kraft Gesetzes oder kraft Vereinbarung auf einen anderen Unternehmensträger übergegangen sind. Das kann sich aus dem EG-Recht oder aus nationalem Recht ergeben. Die Kommission hält nationales Recht wegen der gesellschaftsrechtlich und steuerrechtlich begründeten nationalen Besonderheiten der Rechtsnachfolge für unanwendbar62 . Im EG-Recht gibt es keine Regeln über die Rechtsnachfolge, die unmittelbare Wirkung zwischen einzelnen Unternehmen haben. Die Fusionsrichtlinie und die Spaltungsrichtlinie enthalten Rechtsnachfolgeregelungen für die Verschmelzung und Spaltung von Aktiengesellschaften und den vergleichbaren Gesellschaften der anderen Mitgliedsstaaten63 . Ob sich hieraus allgemeine Grundsätze für die Rechtsnachfolge im Kartellrecht herleiten lassen, bedürfte näherer Untersuchung64 . Insbesondere ist zu klären, ob die Rechtsnachfolge an den Übergang des Objekts Unternehmen anknüpfen kann. Diese Fragen sollen hier nur angerissen werden. Sie zeigen, daß die Probleme der Rechtsnachfolge nicht gelöst werden dürfen, indem man den Unternehmensbegriff in Artt. 85, 86 EGV auf Betriebe und Geschäftszweige ausdehnt. Es ginge die Rechtssicherheit verloren, die dadurch erreicht wird, daß die Rechtsordnung Rechte und Pflichten beim rechtsfähigen Unternehmensträger entstehen läßt. gg) Ergebnis zu b) Die nähere Untersuchung von Rechtsprechung und Kommissionspraxis zum Unternehmensbegriff hat ergeben, daß der Unternehmensbegriff zur Lösung verschiedener Sachfragen dient. Es handelt sich dabei vorwiegend um Probleme bei der Beurteilung verbundener Unternehmen, zum Teil auch um Rechtsnachfolgeprobleme. In allen Fällen war der Unternehmensbegriff nicht der richtige Ansatzpunkt für die Lösung. Vielmehr war zu klären, ob zwischen

61 Deutlicher zwar schon Kommission, 13. 7. 1994 - Cartonboard, ABI. 1994 L 24311,45 ff. (Nm. 140 ff.), aber immer noch unter dem Tatbestandsmerkmal Unternehmen. 62 Kommission, 13. 7.1994 - Cartonboard, ABI. 1994 L 243/1, 46 (NT. 144). 63 Art. 19 Abs. 1 der Dritten Richtlinie vom 9. 10. 1978 (Fusionsrichtlinie ), 78/855/EWG; Art. 17 Abs. 1 lit. a der Sechsten Richtlinie vom 17. 12. 1982 (Spaltungsrichtlinie) 82/891/EWG. 64 Ansätze für Grundsätze der Rechtsnachtolge finden sich bei Garzanitil Scassellati-SJorzolini, ECLR 1995, 348 ff.

B. Der Untemelunensbegriff

49

verbundenen Unternehmen Wettbewerbsbeschränkungen im Sinne von Art. 85 EGV eintreten können, ob zwischen ihnen Wettbewerb besteht oder ob dem einen Unternehmensträger die Handlungen des anderen zuzurechnen sind. Das erklärt auch, warum die Aussagen zum Unternehmensbegriff sich zum Teil widersprechen. Ein einheitlicher Unternehmensbegriff ist daher aus Kommissionspraxis und Rechtsprechung nicht hervorgegangen. 4. Eigene Lösung a) Unternehmensträger als Unternehmen

Das Fehlen allgemeiner Regeln über die Behandlung verbundener Unternehmen sowie über Rechtsnachfolgefragen sollte man nicht durch einen je nach Fragestellung anders schillernden Unternehmensbegriff kompensieren. Welches Subjekt die Artt. 85,86 EGV mit dem Unternehmen meinen, ist aus Sinn und Zweck der Vorschriften und insbesondere aus Sinn und Zweck des Tatbestandsmerkmals Unternehmen zu entnehmen. Die Wettbewerbsregeln gehen auf zwei der wesentlichen Elemente einer Marktwirtschaft zurück. Planträger in einer Marktwirtschaft sind die einzelnen Wirtschaftssubjekte. Diese Planträger haben die Verfügungsmacht65 über die Produktionsfaktoren. Hieraus erwächst die Gefahr, daß die Planträger ihre Macht zum Schaden des Wettbewerbs einsetzen. Sollen die Wettbewerbsregeln dieser Gefahr gegensteuern, dann müssen sie sich an diejenigen richten, die über die Produktionsfaktoren verfügen. Juristisch ausgedrückt sind das diejenigen, die aus eigenem Recht am Objekt Unternehmen (Eigentums- oder Nutzungsrecht) darüber bestimmen, wie das Objekt Unternehmen am Markt einzusetzen ist. Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsregeln ist danach der Unternehmensträger, also derjenige, dem als Rechtssubjekt die Rechte und Pflichten zuzuordnen sind, die das Unternehmen als Objekt betreffen. Unternehmensträger sind zum Beispiel der Einzelkaufmann, die juristische Person, der ein Unternehmen gehört, aber auch der Pächter eines Unternehmens. Die Voraussetzung des Tätigwerdens aus eigenem Recht am Unternehmen nimmt aus dem Adressatenkreis des Art. 85 EGV alle heraus, die nicht als Unternehmensträger das Marktverhalten des Unternehmens beeinflussen, seien es die Organe des Untemehmensträgers oder Dritte, die nicht Träger eines ihnen gehörenden Unternehmens sind, wie z. B. der Verpächter eines Unternehmens. 65 Verfügungsmacht ist hier nicht im Sinne des deutschen bürgerlichen Rechts gemeint; s. auch unten 2. Teil A m 4, 5, S. 98 f 4 Pohlmann

1. Teil: Grundlagen

50

Für die Annahme, Unternehmen im Sinne von Artt. 85,86 EGV sei der Unternehmensträger, spricht weiter, daß man nur so zu einern einheitlichen Unternehmensbegriff im materiellen Kartellrecht und im Kartellverfahrensrecht kommt. Denn im Verfahrensrecht ist, darüber besteht Einigkeit, ein Unternehmen ein rechtsfähiges Subjekt. So ist beteiligtes Unternehmen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 VO 17/62 und Unternehmen im Sinne von Art. 15 Abs. 1 VO 17/62 das rechtsfähige Subjekt, dem der Verstoß zuzurechnen ist. Weicht man im materiellen Recht hiervon ab, wird man zu dem Zweischritt von Kommission und EuG genötigt, erst bei Artt. 85,86 EGV das Unternehmen als Wettbewerbssubjekt zu bestimmen und dann, im Verfahrensrecht, das verantwortliche Rechtssubjekt. Für diesen Zweischritt und damit für einen unterschiedlichen Unternehmensbegriff in Artt. 85, 86 EGV einerseits und in der aufgrund von Art. 87 EGV ergangenen Durchführungsverordnung andererseits gibt es aber keine sachliche Notwendigkeit. Man kann gleich das rechtsfähige Subjekt als den Adressaten der Artt. 85, 86 EGV ansehen und Zurechnungsfragen dort lösen, wo sie hingehören: im materiellen Verbotstatbestand. Als weiteres Argument dafür, daß in Artt. 85,86 EGV der Unternehmensträger gemeint ist, läßt sich die Rechtssicherheit anführen. Für die Rechtsverhältnisse des Unternehmens nach außen, das heißt für die Privatrechtsverhältnisse, aber auch für die Rechtsverhältnisse gegenüber den Kartellbehörden und -gerichten, bedarf es einer klaren Zuordnung der Rechte und Pflichten, die aus den Wettbewerbsregeln entstehen. Eine klare Zuordnung ist aber nur möglich, wenn man an eine rechtsfähige Einheit anknüpft. Auch die Gegenansicht muß das bei der Durchsetzung der Rechtsnormen schließlich tun.

Der Gleichsetzung des Unternehmens mit dem Unternehmensträger könnte der Einwand entgegengehalten werden, sie werde der wirtschaftlichen Wirklichkeit nicht gerecht. Die Besonderheiten des Wettbewerbsrechts erforderten es, könnte es heißen, im Wege einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise nicht auf das Rechtssubjekt, sondern auf das Wettbewerbssubjekt abzustellen66 . Damit würde jedoch verkannt, daß die wettbewerbspolitische und damit wirtschaftliche Zielsetzung der Wettbewerbsregeln mit der Rechtsordnung zwingend zusammenhängt. Erst die marktwirtschaftliche Eigentumsordnung, in der auch privates Eigentum und private Verfügungsrechte67 an unternehmerischen Ressourcen bestehen kann, macht es erforderlich, die Ausübung der aus dem Eigentum und den Verfügungsrechten fließenden Macht zu kontrol-

So die Terminologie von Bos/StuycklWytinck, Rn. 3-025. Am Beispiel der Unternehmenspacht sieht man, daß letztlich nicht das Eigentum, sondern das Verfügungsrecht entscheidend ist, vgl. Woll, S. 74. 66 67

B. Der Unternehmensbegriff

51

lieren68 . Dann ist es nur konsequent, die Regeln gegen Wettbewerbsbeschränkungen an die Inhaber der Eigentums- oder Verfügungsrechte zu richten und nicht an wirtschaftliche Einheiten. Außerdem hat die nähere Untersuchung der Fälle, in denen man meinte, auf eine wirtschaftliche, nicht rechtliche Einheit zurückgreifen zu müssen, ergeben, daß die jeweiligen Probleme mit anderen Mitteln als einem wirtschaftlichen Unternehmensbegriff zu lösen sind. Ein Einwand gegen den hier favorisierten Unternehmensbegriff könnte noch lauten, man könne Wettbewerbsverstöße nicht rechtsfähiger Vereinigungen wie Gesellschaften bürgerlichen Rechts 69 oder nicht rechtsfähiger Anstalten öffentlichen Rechts nicht erfassen. Dem ist zu entgegnen, daß man, wie oben geschildert, für die Rechtsdurchsetzung unstreitig eine rechtsfähige Einheit braucht, der das Verhalten der nicht rechtsfähigen Einheit zuzurechnen ist. Das wären z. B. bei nicht rechtsfähigen Vereinigungen die Mitglieder, bei nicht rechtsfähigen Anstalten die Anstaltsträger. Diesen Schritt kann man dann bereits auf der Ebene des materiellen Rechts tun. Eine andere Frage ist, ob es in manchen Fällen unpraktikabel ist, auf die Mitglieder einer nicht rechtsfähigen Vereinigung abzustellen. Dann wäre daran zu denken, de lege ferenda oder im Wege der Rechtsfortbildung solchen Vereinigungen eine kartellrechtliche und kartellverfahrensrechtliche Teilrechtsfähigkeit zuzusprechen. Entgegen einer Ansicht in der Literatur70 kann de lege lata eine solche Teilrechtsfähigkeit nicht angenommen werden. Die Annahme der Teilrechtsfähigkeit ist aus dem GWB entwickelt und auf das EG-Recht übertragen worden. Das ist deshalb nicht möglich, weil das GWB, anders als das EG-Recht, eine kartellverfahrensrechtliche Teilrechtsfähigkeit nicht rechtsfähiger Personenvereinigungen kennt, § 77 GWB. Als Zwischenergebnis bleibt daher festzuhalten, daß das Tatbestandsmerkmal Unternehmen in Artt. 85, 86 EGV neben der unternehmerischen Tätigkeit auch ein Subjekt meint. Dieses Subjekt, der Adressat der Wettbewerbsregeln, ist der rechtsfähige Unternehmensträger. Unternehmensträger ist das Rechts-

68 Vgl. Woll, S. 277; Stobbe, S. 509 ff.; daß auch die Macht des Staates aufgrund seiner Verlligungsrechte über unternehmerische Ressourcen nach den Wettbewerbsregeln kontrolliert wird, ist hierzu kein Widerspruch. Erst die Existenz privater Unternehmensträger führt zu Wettbewerb. In diesen ist dann auch der Staat mit seinen unternehmerischen Aktivitäten eingebunden. 69 Es würde zu weit fi1hren, hier die umstrittene Rechtsnatur der Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu erörtern. Sieht man die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als rechtstahigen Unternehmensträger an, gilt das für juristische Personen Gesagte entsprechend. Sieht man die Gesamthänder als Unternehmensträger an, wären sie in ihrer Gesamtheit Unternehmen im Sinne von Artt. 85, 86 EGY. 70 Potrafke, S. 178 f., 181 ff. 4*

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1. Teil: Grundlagen

subjekt, dem die Rechte und Pflichten zugeordnet werden, die das Objekt Unternehmen betreffen. Zu klären bleibt noch, ob Unternehmen auch der Anteilseigner eines Unternehmensträgers sein kann. b) Anteilseigner als Unternehmen

Ist nicht eine natürliche, sondern eine juristische Person UnternehmensträgeL so fragt sich, ob auch die Anteilseigner als solche Unternehmen im Sinne von Artt. 85, 86 EGV sein können. Diese Frage stellt sich, darauf sei zur Klarstellung hingewiesen, solange nicht wie ein Gesellschafter neben seiner Beteiligung am Unternehmensträger in anderer Weise unternehmerisch tätig ist. Hinsichtlich dieser Tätigkeit ist er selbst Unternehmensträger und damit Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsregeln. Hierher gehören auch die Fälle, in denen ein Gesellschafter zwar noch nicht außerhalb des Unternehmens der Gesellschaft tätig ist, aber möglicherweise tätig werden kann. Hinsichtlich dieser Tätigkeit ist er potentielles Unternehmen. Wenn ihm in einem Wettbewerbsverbot im Gesellschaftsvertrag die potentielle unternehmerische Tätigkeit untersagt wird, kann die Vereinbarung nach Art. 85 EGV verboten sein, weil der Gesellschafter selbst potentielles Unternehmen und damit Unternehmen im Sinne des Art. 85 EGV ise 1 . Nach einer Ansicht ist ein Anteilseigner Unternehmen, wenn er selbst auf Dauer einen bestimmten wirtschaftlichen Zweck verfolgt72. Andere stellen darauf ab, ob er über die reine Beteiligungsverwaltung hinaus planend und lenkend die Leitung des Unternehmens beeinfluße 3 . Hierbei verweist die Literatur auf drei Entscheidungen der Kommission74 : ReuterlBASF, Vaessenl Moris und NutricialDe Rooig. Die Entscheidung ReuterlBASF betrifft jedoch nicht die Frage, ob allein aus der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung die Unternehmenseigenschaft folgt. Denn hier war dem Gesellschafter ein Wettbe"I Im Ergebnis ebenso Kommission, 26.7. 1976 - ReuterlBASF, ABI. 1976 L 254/40, 45, wenn auch mit unzutreffender Begründung: Der das Unternehmen veräußernde Gesellschafler, dem ein Wettbewerbsverbot auferlegt war, sei Unternehmen, weil er noch andere unternehmerische Tätigkeiten ausübe. Darauf kommt es jedoch nicht an; entscheidend ist vielmehr, daß der Gesellschafler hinsichtlich der ihm verbotenen Tätigkeiten potentielles Unternehmen war. Er wäre auch dann Unternehmen, wenn er nicht noch andere unternehmerische Tätigkeiten ausübte. Zu § 1 GWB ebenso Huber/Baums, in: Frankfurter Kommentar, § 1 Rn. 50. "2 Schröter, in: von der GroebenfThiesing/Ehlermann, Vorbem. zu Art. 85 - 89 Rn. 13. "3 GleisslHirsch, Art. 85 Rn. 27; Bunte, in: LangenlBunte, Art. 85 Rn. 7; Bel/amyl ('hi/d, Rn. 2-008 (mit Fn. 22). - 4 Kommission, 26. 7. 1976 - ReuterlBASF, ABI. 1976 L 254/40, 45; 10. 1. 1979 - VaessenIMoris, ABI. 1979 L 19/32; 12. 12. 1983 - NutricialDe Rooig und Nutricia/Zuid Hollandse Conservenfabriek, ABI. 1983 L 376/22.

B. Der Unternehmensbegriff

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werbsverbot auferlegt worden, so daß es allein darauf ankam, ob die untersagte Tätigkeit eine unternehmerische war. Der Fall VaessenIMoris betraf unser Problem. Der Patentinhaber Moris hatte sein Patent über seine Gesellschaft Almo verwertet. Zwischen ihm und seiner Gesellschaft einerseits und einem Kunden der Gesellschaft andererseits waren gegen Art. 85 EGV verstoßende Vereinbarungen getroffen worden. Die Kommission sah nicht nur die Gesellschaft Almo, sondern auch Herrn Moris als Unternehmen an. Er verwerte seine Erfindung über seine Gesellschaft und sei daher unternehmerisch tätig. Die Untersagungsentscheidung war an die Gesellschaft und an den Gesellschafter gerichtet. Die Gesellschaft Almo hatte eine unserer deutschen GmbH vergleichbare Gesellschaftsform. Hier hat die Kommission also allein aus der Tatsache, daß der Gesellschafter über die Gesellschaft unternehmerisch tätig war, auf seine Unternehmenseigenschaft geschlossen75 . Ebenso entschied die Kommission im Fall NutricialDe Rooig. Die Muttergesellschaft hatte alle Anteile an ihrer IOO%igen Tochter an eine natürliche Person verkauft. Im Kaufvertrag hatte sich die Muttergesellschaft gegenüber dem Erwerber verpflichtet, auf dem Tätigkeitsgebiet der Tochter nicht aktiv zu werden. Eine Vereinbarung zwischen Unternehmen, so die Kommission, liege vor, da auch der Erwerber als künftiger Eigentümer des Unternehmens selbst Unternehmen see 6 . Die Literatur zum GWB ist in dieser Frage uneins. Zum Teil bejaht man die Unternehmenseigenschaft jedenfalls der persönlich haftenden Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft77 . Zum Teil hält man Allein- oder Mehrheitsgesellschafter zumindest dann für Unternehmen, wenn sie sich im eigenen Namen verpflichten, ihr Unternehmen zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen78 • Man will damit Schutzlücken im GWB vermeiden. Andere dagegen wollen allein aus der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung am Unternehmensträger nicht die Unternehmenseigenschaft im Sinne von § 1 GWB herleiten79. Im weitesten Sinne könnte man diese Fragestellung als "Durchgriffsproblematik" bezeichnen. Denn es geht darum, ob Adressat der Artt. 85, 86 EGV immer nur der Unternehmensträger ist oder ob und unter welchen VorKommission, 10. 1. 1979 - VaessenIMoris, ABI. 1979 L 19/32, 34 (NT. 12). Kommission, 12. 12. 1983 - NutricialDe Rooig und Nutricia/Zuid Hollandse Conservenfabriek, ABI. 1983 L 376/22, 25 (NT. 23). 77 Immenga, in: Immenga/Mestmäcker § 1 Rn. 70; RinckiSchwark, Rn. 250. 78 Huber/Baums, in: Frankfurter Kommentar § 1 Rn. 85. 79 K. Schmidt, Kartellverbot, S. 74; im Grundsatz ebenso Huber/Baums, in: Frankfurter Kommentar, § 1 Rn. 50, allerdings mit der soeben genannten Ausnahme Rn. 85. 75

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1. Teil: Grundlagen

aussetzungen auch die hinter dem Unternehmensträger stehenden natürlichen oder juristischen Personen gegen Artt. 85, 86 EGV verstoßen können. Um einen Durchgriff in dem Sinne, daß man den Unternehmensträger dabei übergeht, geht es hier allerdings nicht. Es ist vielmehr eine Frage des Anwendungsbereichs der Artt. 85, 86 EGV, ob auch die hinter dem Unternehmensträger stehenden Rechtssubjekte erfaßt werden80 . Der Wortlaut von Artt. 85, 86 EGV läßt offen, ob auch Anteilseigner Unternehmen sein können. Es ist anzunehmen, daß das Problem, anders als beim Kontrollbegriff der Fusionskontrolle nach der FKVO (Art. 3 Abs. 1 lit. b, l. Spiegelstrich FKV081 ) und dem EGKSV (Art. 3 der Entscheidung 24/54 der Hohen Behörde), nicht gesehen wurde. Dafür spricht auch, daß in der VO 17/62 Maßstab für die Geldbuße der Umsatz des Unternehmensträgers ist und für die Berechnung einer Geldbuße eines Anteilseigners keine Regelungen existieren. Sinn und Zweck der Artt. 85, 86 EGV sprechen dafür, daß auch Anteilseigner Unternehmen sein können. Die Wettbewerbsregeln sollen den wettbewerbsbeschränkenden Einsatz von Verfugungsmacht über Unternehmen (im Sinne von Objekten) verhindern. Diese Verfugungsmacht hat aber nicht nur ein Unternehmensträger kraft seines unmittelbaren Rechts am Unternehmen, sondern mittelbar auch der Anteilseigner kraft seines Rechts am Unternehmensträger82 . Nach seinem Sinn und Zweck muß das Kartellrecht auch den Gefahren wettbewerbsbeschränkenden Einsatzes mittelbarer Verfugungsmacht über Unternehmen begegnen. Das wird deutlich an folgendem Beispiel. X ist Mehrheitsgesellschafter einer GmbH. Geschäftsführer ist G. X bespricht mit einem Wettbewerber der GmbH die künftige Preispolitik. Beide setzen übereinstimmend die Preise fest, die sie künftig auf dem Markt verlangen wollen. X verpflichtet sich, dafür zu sorgen, daß G diese Preisliste anwendet (vgl. § 46 Nr. 6 GmbHG). G weiß von nichts. Die unternehmenstragende GmbH hat hier selbst keinen Wettbewerbsverstoß begangen. Man kann auch nicht der GmbH das Verhalten ihres Mehrheitsgesellschafters zurechnen. Der Gesellschafter hat weder als Vertreter noch als Organ der GmbH gehandelt83 . Sinn und Zweck des Art. 85 Abs. 1

80 Zu den Nonnanwendungsproblemen im - unpassenden - Kleid einer allgemeinen Durchgriffsproblematik siehe K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 9 rn 2. 81 Kritisch zu diesem praktisch wohl kaum relevanten Tatbestand Zachmann,

Tz. 1.010.

Vgl. Woll, S. 74. Etwas anderes gilt allenfalls in Fällen, in denen die Trennung zwischen unternehmenstragender juristischer Person und Anteilseigner mißbraucht wird. Vgl. dazu K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 9 IV 6 und 9 rn 3. 82 83

B. Der Unternehmensbegriff

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EGV erfordern es daher, X aufgrund seiner mittelbaren Einflußmöglichkeiten als Unternehmen anzusehen. X hat im Beispielsfall daher gegen Art. 85 EGV verstoßen, sofern die weiteren Voraussetzungen dafür vorliegen. Es bleibt die Frage, welchen Grad die Einflußmöglichkeiten haben müssen, um die Unternehmenseigenschaft bejahen zu können. Ausreichend ist sicherlich die alleinige Kontrolle über ein Unternehmen. Fraglich ist, ob der Einfluß genügt, der bei gemeinsamer Kontrolle über ein Unternehmen besteht. Würde in dem genannten Beispiel die Vereinbarung des X mit dem Wettbewerber gegen Art. 85 EGV verstoßen, wenn X und Y paritätisch an der GmbH beteiligt wären und X sich verpflichtet, seinen Einfluß dahingehend zu nutzen, daß die abgesprochenen Preise angewendet werden? Das ist nach Sinn und Zweck des Art. 85 Abs. I EGV zu bejahen. X ist Träger unternehmerischer Verfiigungsmacht über Ressourcen, weil in der GmbH ohne seine Zustimmung keine Entscheidungen getroffen werden können. Bindet er sich in seiner unternehmerischen Verfiigungsfreiheit gegenüber Dritten, so liegt darin eine für Art. 85 EGV erhebliche Beschränkung unternehmerischer Handlungsfreiheit. Diese besteht schon in der Bindung gegenüber Dritten, ohne daß es darauf ankäme, ob X die Preise in der GmbH im Ergebnis durchsetzen kann. Letzteres würde dafür sprechen, daß auch der Einfluß eines Minderheitsbeteiligten ohne Sonderrechte die Unternehmenseigenschaft begründet. Allerdings ist die Gefahr, daß der Minderheitsgesellschafter das Marktverhalten bestimmend beeinflußt, etwa als "Zünglein an der Waage", so gering, daß man Minderheitsgesellschafter ohne Sonderrechte generell aus dem Unternehmensbegriff herausnehmen kann. Dagegen sind solche Gesellschafter, die, etwa durch besondere Vetorechte, an bestimmten unternehmerischen Entscheidungen beteiligt sind, insofern auch Unternehmen. Vereinbart etwa ein Minderheitsgesellschafter, der über Änderungen des Unternehmensgegenstandes mitentscheiden kann, mit einem Wettbewerber, einer Ausdehnung der Tätigkeit auf ein bestimmtes Gebiet nicht zuzustimmen, kann darin ein Verstoß gegen Art. 85 EGV liegen. In den bisher erörterten Beispielen waren natürliche Personen Anteilseigner des Unternehmensträgers. Das Gesagte gilt auch für juristische Personen als Anteilseigner. Wenn diese die Entscheidungen des Unternehmensträgers über den Einsatz des Objekts Unternehmen nach ihrem Willen beeinflussen können, sind auch sie Unternehmen. Es gibt keinen Grund, natürliche und juristische Personen insofern unterschiedlich zu behandeln. Zum Teil heißt es zwar in der Literatur, Holdinggesellschaften seien keine Unternehmen, da sie nicht am geschäftlichen Verkehr teilnähmen, zumindest wenn sie sich auf das Hal-

1. Teil: Grundlagen

56

ten der Beteiligung beschränkten und nicht aktiv auf die Geschäftspolitik des Beteiligungsunternehmens einwirkten84 . Auf eine eigene unmittelbare Teilnahme am geschäftlichen Verkehr kommt es jedoch nicht an, weil nach Sinn und Zweck der Wettbewerbsregeln auch die mittelbare Teilnahme über eine dazwischengeschaltete juristische Person erfaßt werden soll. Auf die generelle tatsächliche Ausnutzung von Einflußmöglichkeiten kommt es nach Sinn und Zweck ebensowenig an; entscheidend ist allein, ob der Gesellschafter im Einzelfall eine gegen Artt. 85,86 EGV verstoßende Handlung vornimmt. Das hier gefundene Ergebnis, daß ein Anteilseigner als solcher Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsregeln sein kann, bedeutet aber nicht, daß der Anteilseigner für Wettbewerbsverstöße des Unternehmensträgers immer verantwortlich ist. Das hängt von seinem eigenen Tatbeitrag sowie davon ab, ob ihm das Verhalten des Unternehmensträgers zuzurechnen ist85 . Festzuhalten bleibt daher, daß auch der Anteilseigner eines Unternehmensträgers Unternehmen im Sinne von Artt. 85, 86 EGV ist, soweit er das Marktverhalten des Unternehmensträgers beeinflussen kann. Unternehmen im Sinne der Artt. 85, 86 EGV muß dann aber auch deIjenige sein, der aufgrund eines Rechtes am Unternehmensanteil die Rechte des Anteilsinhabers ausüben kann. c) Sonstige Einflußinhaber als Unternehmen

Bisher wurden Rechtssubjekte als Unternehmen angesehen, soweit sie durch ein Recht am Unternehmen, am Unternehmensträger oder am Unternehmensanteil das Marktverhalten des Unternehmensträgers beeinflussen können. Die Wettbewerbsregeln könnten jedoch umgangen werden, indem bewußt auf die rechtlich verbindliche Begründung des Einflusses verzichtet wird. Eine solche Umgehung kommt insbesondere in Betracht, wenn der Einfluß auf das Unternehmen durch einfache vertragliche Vereinbarung, etwa die Treuhand, begründet werden kann. In solchen Umgehungsfällen ist die Unternehmenseigenschaft schon zu bejahen, wenn der Einfluß aufgrund tatsächlicher Übereinkunft besteht86 .

84

Albath, S. 91.

tr

Dazu unten 4. Teil C, S. 354 Näher zu solchen UmgehungstlHlen unten, 2. Teil B VII 3, S. 178 tI, im Zusammenhang mit dem KontrollbegritT der FKVO. Dort liegt die praktische Relevanz solcher Sachverhalte. 85

86

B. Der UnternelunensbegritT

57

5. Ergebnis zu I. Der Begriff Unternehmen kann dreierlei bezeichnen: eine Tätigkeit, ein Subjekt, das diese Tätigkeit ausübt und ein Objekt, mittels dessen die Tätigkeit ausgeübt wird. In Artt. 85, 86 EGV hat der Unternehmensbegriff zweierlei Bedeutung. Zum einen soll er den Bereich unternehmerischer Tätigkeit beschreiben und damit das private und hoheitliche Handeln sowie das Handeln abhängiger Arbeitnehmer aus dem Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln herausnehmen. Zum anderen soll er ein Subjekt, den Adressaten der Wettbewerbsregeln, bezeichnen. Adressat der Wettbewerbsregeln ist in jedem Fall der rechtsfähige Unternehmensträger. Das ist derjenige, der aus eigenem Recht am Objekt Unternehmen unternehmerisch tätig ist. Die herrschende Meinung, wonach Unternehmen im Sinne von Artt. 85, 86 EGV eine wirtschaftliche Einheit sei, Unternehmen im Sinne des Verfahrensrechts aber ein Rechtssubjekt, ist abzulehnen. Neben dem Unternehmensträger ist Adressat der Wettbewerbsregeln und damit Unternehmen auch ein Anteilseigner, soweit er aus eigenem Recht am Unternehmensträger dessen Marktverhalten beeinflussen kann. Unternehmen ist weiter, wer aus eigenem Recht am Unternehmensanteil einen solchen Einfluß eines Anteilsinhabers ausüben kann. In Umgehungsfällen, in denen bewußt auf die rechtlich verbindliche Begründung des Einflusses verzichtet wird, genügt der Einfluß aufgrund tatsächlicher Übereinkunft. Der Unternehmensbegriff wird vielfach weiter gefaßt als hier. Damit sollen verschiedene Rechtsfragen gelöst werden, die der Unternehmensverbund im Kartellrecht aufwirft. Dieser begriftliche Ansatz verschleiert jedoch die Probleme. Zudem führt er zu verschiedenen Unternehmensbergiffen im materiellen Recht und im Verfahrensrecht. Vorzuziehen ist es, Regeln für die Behandlung verbundener Unternehmen zu entwickeln.

11. Unternehmen im Sinne der FKVO 1. Meinungsstand Im Rahmen der FKVO ist das Meinungsbild zum Unternehmensbegriff ähnlich bunt wie bei Artt. 85, 86 EGV. Die Kommission setzt das Unternehmen teils mit der Rechtsperson87 , teils mit dem Konzern88 , teils mit dem Ob87 88

Kommission, Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternelunen, Nr. 12. Kommission, a. a. O. Nr. 14 (Tochtergesellschaft ist Teil eines Unternehmens).

58

1. Teil: Grundlagen

jekt Unternehmen89 , teils mit der Gesellschaft90 und teils mit dem Anteilseigner91 gleich. Die Literatur versteht den Unternehmensbegriff in der FKVO überwiegend wie in Artt. 85, 86 EGV. Die Vertreter dieser Ansicht fassen den Unternehmensbegriff in Artt. 85,86 EGV weit auf, so daß er jede wirtschaftliche Einheit unabhängig von ihrer Rechtsfähigkeit und ihrer Zuordnung zu einem Unternehmensträger erfassen soll; das soll auch für die FKVO gelten92 . Anderen genügt jede selbständige wirtschaftliche Tätigkeit93 . Wieder andere gehen auf alle drei Unternehmensbegriffe (Unternehmen als Tätigkeit, als Objekt und als Subjekt) ein und sehen als Unternehmen diejenigen an, die auf dem Markt tätig sind, die Mittel dazu haben und rechtsfähig sind94 . Im folgenden soll untersucht werden, ob der zu Artt. 85, 86 EGV gefundene Unternehmensbegriff auch im Rahmen der FKVO gilt. Das ergibt sich nicht bereits daraus, daß die FKVO auf Art. 87 EGV gestützt ist. Denn ein über die Grundsätze der Artt. 85, 86 EGV hinausgehender Regelungsgehalt95 wäre dadurch gerechtfertigt, daß die FKVO auch auf Art. 235 EGV gestützt ist. 2. Unternehmen als Tätigkeit Auch in der FKVO soll der Unternehmensbegriff all diejenigen erfassen, die im Wettbewerb tätig sind. Ausgeschlossen sind, wie in Artt. 85, 86 EGV, privat, hoheitlich oder als abhängige Arbeitnehmer Handelnde. 3. Unternehmen als Objekt Anders als in Artt. 85, 86 EGV wird in der FKVO an vier Stellen das Unternehmen als Objekt angesprochen. Das Objekt Unternehmen ist, wie bereits oben ausgeführt, die Gesamtheit von Mitteln, mit denen ein wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird. 89 Kommission, a. a. O. Nr. 14 (einzelne Geschäftsbereiche sind Teil eines Unternehmens). 90 Kommission, a. a. O. Nm. 19,20. 91 Kommission, a. a. O. Nm. 30, 31, 34 fr. 92 Bellamy/Child, Rn. 6-006; Lä.lJler, in: LangenIBllllte, Art. 3 FKVO Rn. 3; Portwood, S. 20. 93 Mestmäcker, in: ImmengaJMestmäcker, Vor § 23 Rn. 118. 94 SedemundIMontag, in: Dauses, H I, Rn. 257; wohl auch Bos/Stuyck/Wytinck, Rn. 4-035, die zwar die Rechtsfähigkeit nicht ausdrücklich erwähnen, aber voraussetzen, daß Unternehmen nur ist, wer auch Vennögenswerte erwerben lllld Produkte oder Dienstleistllllgen verkaufen kann. All das setzt aber Rechtsfähigkeit voraus. 95 Nicht aber ein Artt. 85,86 EGV widersprechender Rege1llllgsgehalt.

B. Der Unternehmensbegriff

59

In Art. 3 Abs. I lit. b FKVO bezeichnet "Unternehmen" zum einen den Kontrollerwerber (2. Spiegelstrich am Anfang), zum anderen den Gegenstand, über den Kontrolle erworben wird (2. Spiegelstrich am Ende). Mit diesem Kontrollgegenstand ist das Objekt Unternehmen gemeint. Denn der Zusammenschlußtatbestand soll die Sachverhalte erfassen, in denen sich die Zuordnung von unternehmerischen Mitteln in der Weise ändert, daß andere Unternehmensträger über den Einsatz der unternehmerischen Ressourcen auf dem Markt entscheiden. Die Fusionskontrolle knüpft an eine Veränderung der Verfügungsrnacht über Ressourcen im Wettbewerb an. Diese Verfügungsrnacht kann unmittelbar in der Form von Eigentum oder Nutzungsrechten an der Sach- und Personengesamtheit Unternehmen erworben werden. Sie kann auch mittelbar über den Einfluß auf einen Unternehmensträger erworben werden. Entscheidend ist immer, daß die Zuordnung des Objekts Unternehmen sich ändert. Unternehmen im Sinne von Art. 3 Abs. I lit. b, 2. Spiegelstrich a. E. FKVO ist daher das Unternehmen als Objekt96 . In einem Formulierungsvorschlag, der im Gesetzgebungsverfahren vom Europäischen Parlament gemacht wurde, wird auch deutlich, daß hier das Objekt Unternehmen gemeint ist. In der dem früheren Art. 3 Abs. 2 FKVO vergleichbaren Regelung heißt es dort: "Maßnahmen, die zu einer Kontrolle über die für die Herstellung von Erzeugnissen oder für die Dienstleistungen verwendeten Aktiva führen, sind ein Zusammenschluß im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO, sofern die Kommission ... nicht entscheidet, daß diese Maßnahmen in erster Linie eine Koordination des Verhaltens der Unternehmen ... bezwecken,,97. Ebenso ist in Art. 3 Abs. 3 FKVO vor lit. a das Unternehmen als Objekt gemeint. Zwar soll sich der bestimmende Einfluß auf die Tätigkeit des Unternehmens beziehen, was als Marktverhalten des Unternehmensträgers zu verstehen sein könnte. Aber diese Auslegung würde die Fälle nicht erfassen, in denen ein Unternehmensträger einen Betrieb erwirbt. Denn hier wird nicht Einfluß auf die Tätigkeit eines Unternehmensträgers erworben, sondern Einfluß darauf, wie das erworbene Objekt Unternehmen auf dem Markt eingesetzt wird. Da ein Objekt nicht tätig sein kann, paßt der Wortlaut hier nur bei weiter Auslegung. Entscheidend ist, ob Einfluß darauf erworben wird, wie ein Objekt Unternehmen auf dem Markt eingesetzt wird. Die englische Textfassung ist in diesem Punkt zutreffender: erforderlich ist danach "decisive influ-

96 Vgl. zum Unternehmen als Objekt Langer, S. 204 ff. (ftlr das GWB verneinend, daß Unternehmen im Sinne der Fusionskontrollvorschriften das Objekt sein könne). 97 Europäisches Parlament, ABl. 1988 C 309/49, 52 (zu Art. 3).

60

1. Teil: Grundlagen

ence on an undertaking"98. Ebenso ist auch die deutsche Textfassung zu verstehen, wobei "Unternehmen" das Objekt Unternehmen meint. Aus dem Gesagten folgt, daß in Art. lAbs. 2 FKVO und in Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO das beteiligte Unternehmen auch das Objekt Unternehmen sein kann. Das ist etwa der Fall, wenn ein Unternehmensträger Vermögensteile auf einen anderen Unternehmensträger überträgt. Beteiligte Unternehmen im Sinne von Art. lAbs. 2, Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO sind dann der Erwerber sowie das übergegangene Objekt Unternehmen.

4. Unternehmen als Subjekt a) Unternehmensträger als Unternehmen Wie bei Artt. 85, 86 EGV fragt sich, ob das in der FKVO angesprochene Subjekt der rechtsfähige Unternehmensträger oder eine nicht rechtsfähige wirtschaftliche Einheit ist, deren Verhalten man dann einem rechtsfähigen Subjekt zurechnet. Viele Vorschriften der FKVO deuten darauf hin, daß die FKVO sich grundsätzlich an rechtsfähige Subjekte richtet. Im einzelnen: Nach Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO liegt ein Zusammenschluß vor, wenn zwei oder mehrere voneinander unabhängige Unternehmen fusionieren. Würde man hier als Unternehmen nicht rechtliche Einheiten ansehen, sondern jede wirtschaftliche Einheit genügen lassen, wäre der Tatbestand konturenlos. Wirtschaftliche Einheiten können auf vielerlei Art verschmelzen. Denkbar sind die Übertragung eines Betriebes auf einen anderen Unternehmensträger, die Gründung einer OHG durch zwei bisher allein tätige Einzelunternehmer oder die Übernahme aller Anteile eines Unternehmensträgers durch einen anderen Unternehmensträger. Art. 3 Abs. I lit. b FKVO würde - möglicherweise abgesehen vom 1. Spiegelstrich99 - bedeutungslos, wenn man Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO so weit faßte. Im übrigen fehlt es in Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO an Kriterien dafür, wann eine neue wirtschaftliche Einheit entsteht. Hier müßte auf Art. 3 Abs. 3 FKVO zurückgegriffen werden, der sich aber nur auf Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO bezieht. Die Systematik des Gesetzes spricht daher gegen eine so weite Auslegung des Unternehmensbegriffs. Auch die Verbundklausel des Art. 5 Abs. 4 FKVO paßt nur für rechtsfähige Einheiten. Denn nur diese können den Verbundtatbestand von Art. 5 Abs.4 lit. b FKVO erfüllen. In Art. 5 Abs. 1 FKVO sind als beteiligte Unternehmen 98 Wie die deutsche Fassung dagegen die italienische und französische: "attivita, activite". 99 Zu diesem sogleich b, S. 61 ff.

B. Der UnternehmensbegritT

61

ebenfalls nur rechtsfähige Einheiten gemeint. Das ergibt sich im Umkehrschluß aus Art. 5 Abs. 2 S. 1 FKVO, der für Unternehmensteile ausdrücklich sagt, daß es auf deren Rechtspersönlichkeit nicht ankommt. Nicht eindeutig sind Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO und Art. 3 Abs.3 FKVO. Sie gehen davon aus, daß Unternehmen Rechte erwerben und Verträge schließen können. Allerdings erfassen sie auch den Kontrollerwerb in sonstiger Weise und die Kontrollausübung durch sonstige Mittel. Hiermit könnten auch die rechtlich nicht abgesicherten Einflußmöglichkeiten erfaßt sein, die nicht Rechtsfahigkeit voraussetzen. Für das Verfahren nach der FKVO ist es erforderlich, die verantwortliche rechtsfahige Einheit festzustellen. Denn nur gegenüber rechtsfähigen Einheiten können die Anmeldepflicht nach Art. 4 Abs. 1 FKVO, die Auskunftspflicht nach Art. 11 FKVO und die Duldungspflicht bei Durchsuchungen nach Art. 13 FKVO durchgesetzt sowie Geldbuße und Zwangsgelder nach Artt. 14, 15 FKVO verhängt werden. Unnötige Begriffsunterschiede im materiellen Recht und im Verfahrensrecht sollten jedoch vermieden werden. Adressaten der FKVO sind nach alledem die rechtsfahigen Unternehmensträger. Wirtschaftlich selbständig muß ein Unternehmensträger nicht sein, um Unternehmen im Sinne der FKVO sein zu können. Auch abhängige Tochterunternehmen können die Kontrolle über ein Unternehmen erwerben. Ein relativer Unternehmensbegriff, wie er zu Artt. 85, 86 EGV vertreten wird, macht in der FKVO keinen Sinn. Ein anzeigepflichtiger Zusammenschluß kann zwischen Mutter und Tochter nicht stattfinden, weil keine Kontrolle mehr erworben werden kann; man muß nicht die Ullternehmenseigenschaft der Tochter verneinen. Im übrigen ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO ("voneinander unabhängige Unternehmen") sowie aus der Verbundklausel, daß auch abhängige Unternehmen Unternehmen im Sinne der FKVO sind. b) Anteilseigner als Unternehmen

Die Frage, ob auch die Anteilseigner eines Unternehmensträgers Unternehmen sein können, wurde für Artt. 85, 86 EGV bejaht. Die FKVO enthält in Art. 3 Abs. I lit. b, 1. Spiegelstrich FKVO eine ausdrückliche Regelung. Auch Personen, die bereits mindestens ein Unternehmen kontrollieren, können Kontrolle über ein (weiteres) Unternehmen erwerben und dadurch den Zusammenschlußtatbestand erfüllenlOo . Sinn und Zweck des Art. 3 Abs. 1 lit. b, 1. Spiegelstrich FKVO ist es, alle zu erfassen, die über den Einsatz unterneh100 Vgl. zum UnternehmensbegritT des GWB Langer, S. 234 tT: Beherrschungsmöglichkeit begründet Untemehmenseigenschaft.

62

1. Teil: Grundlagen

merischer Ressourcen (mit)bestimmen können. Denn enverben sie die Kontrolle über weitere Ressourcen, liegt ein Konzentrationsvorgang vor. Die Regelung ist in zweifacher Hinsicht unklar. Erstens läßt sie offen, ob sich die Kontrolle auf das Unternehmen im Sinne eines Objekts oder im Sinne eines Subjekts erstrecken muß. Bejahte man ersteres I 01 , so wäre "Person" im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b, 1. Spiegelstrich FKVO jeder Unternehmensträger, aber auch jeder, der einen Unternehmensträger kontrolliert. Unternehmensträger fallen aber ohnehin unter Art. 3 Abs. 1 lit. b, 2. Spiegelstrich FKVO. Denn auch natürliche Personen können Unternehmensträger sein; einer besonderen Regelung bedarf es hierfür nicht. Insoweit hätte der 1. Spiegelstrich gegenüber dem 2. Spiegelstrich nur klarstellende Bedeutung. Kontrolle über ein Unternehmen als Objekt kann aber auch mittelbar durch den Enverb der Kontrolle über den Unternehmensträger envorben werden. Der 1. Spiegelstrich soll gerade solche Personen erfassen, die nicht selbst Unternehmensträger sind, sondern einen Unternehmensträger kontrollieren. Der Gesetzgeber sah Personen, die einen Unternehmensträger kontrollieren, offensichtlich nicht als Unternehmen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b, 2. Spiegelstrich FKVO an. Aus dem Zusammenspiel zwischen dem 1. und 2. Spiegelstrich ergibt sich daher, daß der 1. Spiegelstrich Personen erfassen soll, die einen Unternehmensträger kontrollieren. Die zweite Unklarheit des Art. 3 Abs. 1 lit. b, 1. Spiegelstrich FKVO besteht darin, ob Personen nur natürliche oder auch juristische Personen sind. Die Kommission schwankt lO2 . Wären auch juristische Personen erfaßt, dann ergibt sich eine Unstimmigkeit im Verhältnis zu Art. 3 Abs. 1 lit. a. FKVO. Denn die Verschmelzung von Holdings fiele dann nicht unter lit. a. Die Kommission subsumierte in einem solchen Fall aber zutreffend unter lit. a 103 . Damit einhergehen muß aber, daß man in Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO von einem weiteren Unternehmensbegriff ausgeht, der auch solche Rechtssubjekte erfaßt, die einen Unternehmensträger kontrollieren. Würde Art. 3 Abs. 1 lit. b, 1. Spiegelstrich FKVO nur natürliche Personen erfassen lO4 , so wäre einleuchtend, daß deren Verschmelzung nicht in Betracht 101 So im Ergebnis die Kommission, in den Fällen, in denen sie Art. 3 Abs. I lit. b, 1. Spiegelstrich FKVO auf den Staat und die Treuhandanstalt angewandt hat, Kommission, 5.10.1992 -Air France/Sabena, WuWfE EV 1948, 1950 (Nr. 11); 14.12.1993 - Kali + Sa1:zJMDKlTreuhand, ABI. 1994 L 186/38 f. (Nm. 4 ff.). 102 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses (Nr. 8: natürliche und juristische Personen); anders in der Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen (Nm. 51 f.), wo die Kommission nur auf die natürlichen Personen eingeht. 103 Kommission, 24. 10. 1991 - Bank America/Security Pacific, WuWfE EV 1772. 104 Dafür Bos/StuycklWytinck, Rn. 4-036.

B. Der Unternehmensbegriff

63

kommt l 05. Nicht einleuchtend wäre aber die Beschränkung der Regelung des 1. Spiegelstrichs auf natürliche Personen. Auch juristische Personen können Unternehmensträger kontrollieren, ohne selbst Unternehmensträger zu sein. Auch der Kontrollerwerb durch eine Holding muß nach Sinn und Zweck der FKVO erfaßt sein. Faßt man die Holding unter den 2. Spiegelstrich, so muß man den Unternehmensbegriff dort auf juristische Personen erstrecken, die einen Unternehmensträger kontrollieren. Dann ist wieder unstimmig, daß natürliche Personen mit derselben Position nicht erfaßt sind. Art. 3 Abs. I lit. a FKVO und Art. 3 Abs. I lit. b, l. und 2. Spiegelstrich FKVO ergänzen sich also nicht zu einer sinnvollen Regelung. Wie unten l06 gezeigt werden wird, ist Art. 3 Abs. I lit. a FKVO auch aus anderen Gründen eine unstimmige Regelung. Daher sollte man eher die Unstimmigkeit des Art. 3 Abs. 1 lit. b, l. Spiegelstrich FKVO im Verhältnis zu lit. a in Kauf nehmen und als "Person" im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b, l. Spiegelstrich FKVO juristische und natürliche Personen ansehen, als den 1. Spiegelstrich auf natürliche Personen zu beschränken.

Dann wäre die Regelung der beiden Spiegelstriche insofern stimmig, als der 1. Spiegelstrich die Anteilseigner eines Unternehmensträgers und der 2. Spiegelstrich die Unternehmensträger erfaßt. Aber auch gegen diese Auslegung bestehen Bedenken. Man käme zu verschiedenen Unternehmensbegriffen in Art. 3 Abs. I lit. b, 2. Spiegelstrich FKVO und in Art. 5 Abs. 4 FKVO. In Art. 5 Abs. 4 FKVO, der Verbundklausel, ist nur von den beteiligten Unternehmen, nicht von den beteiligten Personen die Rede. Es müssen jedoch die Umsätze der Unternehmen, die eine zusanunenschlußbeteiligte Person kontrolliert, ebenso erfaßt werden wie die Umsätze von Unternehmen, die ein beteiligter Unternehmensträger kontrolliert l07 . Man müßte also den Unternehmensbegriff in Art. 5 Abs. 4 FKVO anders auslegen als in Art. 3 Abs. 1 FKVO oder man müßte die Vorschriften analog auf Personen anwenden, die ein Unternehmen kontrollieren. Meines Erachtens sollte man diese Komplikationen vermeiden. Man sollte den Unternehmensbegriff in Art. 3 Abs. I lit. b, 2. Spiegelstrich FKVO am Anfang genauso auslegen wie in Artt. 85,86 EGV. Er umfaßt dann neben den Unternehmensträgern auch natürliche und juristische Personen, die einen Un-

105 Für möglich halten das Bos/StuycklWytinck, Rn. 4-036, z. B. wenn natürliche Personen ihre wirtschaftlichen Aktivitäten verschmelzen. 106 2. Teil B III, S. 109 ff. 107 So auch Kommission, Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen, Nr. 51 a. E.; de lege ferenda sind Bos/StuycklWytinck, Rn. 4-036 für eine Ergänzung von Art. 1 Abs. 2, 5 Abs. 4 FKVO um die "persönliche Dimension".

64

1. Teil: Grundlagen

ternehmensträger kontrollierenlO8 . Art. 3 Abs. I lit. b, 1. Spiegelstrich FKVO hat dann nur klarstellende Bedeutung. Auch ohne diese Regelung fallen die einen Unternehmensträger kontrollierenden Personen unter Art. 3 Abs. I lit. b, 2. Spiegelstrich FKVO am Anfang. De lege ferenda sollte Art. 3 Abs. I lit. b, I. Spiegelstrich FKVO gestrichen werden. Zu erwägen ist, ob man den Unternehmensbegriff am Anfang der FKVO legaldefiniert. Notwendig ist das nicht, weil bereits die Auslegung des Art. 3 FKVO klare Ergebnisse bringt. Der so verstandene Unternehmensbegriff weicht in einem Punkt von dem der Artt. 85,86 EGV ab. Unternehmen im Sinne von Artt. 85, 86 EGV kann nach dem oben Gesagten auch ein Minderheitsbeteiligter sein, soweit er das Verhalten des Unternehmensträgers in einzelnen Punkten bestimmen kann. In der FKVO genügt das nicht. Erst bestimmender Einfluß auf das gesamte Unternehmen begründet die Unternehmenseigenschaft. Das ergibt sich aus der notwendigen Spiegelbildlichkeit von Kontrollbegriff und Unternehmensbegriff, wie sie auch in Art. 3 Abs. 1 lit. b, 1. Spiegelstrich FKVO zum Ausdruck kommt. Setzt der Zusammenschluß Kontrollerwerb voraus, kann nur ein Kontrollinhaber Adressat der FKVO sein. Würde man hier nicht spiegelbildlich entscheiden, würde man gleiche Fälle ungleich behandeln. Denn dann wäre der Zusammenschlußtatbestand erfiillt, wenn ein Minderheitsbeteiligter Kontrolle über ein Unternehmen erwürbe, im umgekehrten Fall aber nicht. Das bedeutet auch, daß man, wenn man die Fusionskontrolle de lege ferenda auf Minderheitsbeteiligungen ausdehnen will, auch den Unternehmensbegriff der FKVO ändern müßte. c) Sonstige Einflußinhaber als Unternehmen Aus denselben Gründen wie bei Artt. 85, 86 EGV sind Unternehmen auch diejenigen, die unter bewußtem Verzicht auf rechtsverbindliche Begründung ihres Einflusses nur aufgrund tatsächlicher Übereinkunft Einfluß auf ein Unternehmen haben. Welche Sachverhalte das im einzelnen sind, ist wie beim Kontrolltatbestand zu entscheidenl09 . Eine Lücke läßt der Zusammenschlußtatbestand der FKVO. Erwirbt eine natürliche oder juristische Person, die bisher noch kein Unternehmen kontrolliert, zwei bisher voneinander unabhängige Unternehmen, liegt ein konzentrativer Sachverhalt vor. Denn die bisher den unabhängigen Unternehmen gehörenden Ressourcen stehen von da an unter einheitlicher Kontrolle. Trotzdem ist der Tatbestand des Art. 3 Abs. I FKVO nicht erfüllt, weil der Erwer108 Bos/Stuyck/Wytinck. Rn. 4-036 meinen dagegen, der Unternehmensbegriff in Art. 3 Abs. 1 lit. b, 1. Spiegelstrich FKVO weiche von der bisherigen Praxis ab illld sei wegen der illlsicheren Basis in Art. 235 EGV zweifelhaft. 109 Siehe unten 2. Teil B VII, S. 166 ff.

C. Der Untemehmensverbund

65

ber kein Unternehmen ist. Das ist etwa der Fall, wenn mehrere Unternehmensträger ein GU gründen, in das sie ihre Unternehmen einbringen. Erwirbt nach den Entscheidungsstrukturen im GU kein Gesellschafter die Kontrolle über das GU, liegt nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. I FKVO kein Zusammenschluß vor. In diesem Fall ist Art. 3 Abs. I lit. a FKVO nach Sinn und Zweck entsprechend anwendbar. 5. Ergebnis zu 11.

Der Unternehmensbegriff der FKVO beschreibt in den meisten Vorschriften den Bereich unternehmerischer Tätigkeit. Zugleich meint er als Adressaten der FKVO den Unternehmensträger sowie jedes Rechtssubjekt, soweit es aufgrund eines eigenen Rechts am Objekt Unternehmen, am Unternehmensträger oder am Unternehmensanteil das Marktverhalten des Unternehmens bestimmend beeinflussen kann. In Umgehungsfällen ist Unternehmen auch ein tatsächlicher Einflußinhaber. In Art. 3 Abs. I lit. b a. E. FKVO sowie in Art. 3 Abs. 3 vor lit. a FKVO ist, weil der Zusammenschlußtatbestand den Übergang unternehmerischer Ressourcen erfassen soll, das Objekt Unternehmen gemeint. Unter Art. lAbs. 2 FKVO, Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO kann auch das Objekt Unternehmen fallen. Vom Unternehmensbegriff der Artt. 85, 86 EGV unterscheidet sich derjenige der FKVO darin, daß zum Teil auch das Objekt Unternehmen gemeint ist, und auch darin, daß Einflußinhaber unterhalb der Kontrollschwelle keine Unternehmen sind.

C. Der Unternehmensverbund Entstehung und Bestehen eines Unternehmensverbundes können im europäischen Recht gegen Wetlbewerbsbeschränkungen unter verschiedenen Aspekten von Bedeutung sein. Seine Entstehung kann die Marktstrukturkontrolle auslösen, möglicherweise aber auch die Marktverhaltenskontrolle. Sein Bestehen kann dazu führen, daß die am Verbund beteiligten Unternehmen aus wettbewerbsrechtlicher Sicht wie ein Unternehmen zu behandeln sind. Wann ein Unternehmensverbund solche Folgen auslöst, soll in dieser Arbeit untersucht werden. Daher wird der Begriff des Unternehmensverbundes hier zunächst als offener Begriff verwendet. Erst am Ende der Arbeit wird feststehen, unter welchen Voraussetzungen die Entstehung und das Bestehen eines Unternehmensverbundes kartell- und fusionskontrollrechtlich relevant sind. Es wird also nicht eine bestimmte, gesellschaftsrechtliche Verbindung - wie etwa der Konzern - auf ihre kartellrechtliche Bedeutung untersucht, sondern es wird untersucht, welcher Unternehmensverbund kartellrechtlich eine besondere Behandlung erfordert. 5 Pohlmann

1. Teil: Grundlagen

66

An dieser Stelle soll zunächst ein Überblick über die Regelungen gegeben werden, die im EG-Kartellrecht einen Unternehmensverbund charakterisieren. Normiert sind solche Regelungen an zwei Stellen: in den Verbundklauseln (sogleich I) und im Zusarnmenschlußtatbestand der FKVO (11)1. Verwaltung und Rechtsprechung haben daneben die Rechtsfigur der "wirtschaftlichen Einheit" entwickelt. Sie soll helfen, die mit verbundenen Unternehmen einhergehenden Probleme zu lösen (III).

I. Die Verbundklauseln 1. Die Verbundklauseln als Zurechnungsnormen

Das Europäische Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen enthält an verschiedenen Stellen sogenannte Verbundklauseln. Ihre Notwendigkeit ergibt sich daraus, daß die anderen Normen des Kartell- und Fusionskontrollrechts den Besonderheiten, die sich aus der Verbundenheit mehrerer Unternehmen ergeben, regelmäßig nicht Rechnung tragen2 . Die Verbundklauseln lösen Rechtsfragen, die sich bei der Anwendung des Kartell- und Fusionskontrollrechts aus der Verbundenheit von Unternehmen ergeben. Will man das wettbewerbsrechtlich relevante Verhalten eines verbundenen Unternehmens beurteilen, stellt sich die Frage, ob man bei dieser Beurteilung das einzelne Unternehmen allein betrachtet oder ob man es selbst und die mit ihm verbundenen Unternehmen als Gesamtheit einer Bewertung unterzieht. Stellt man bei Umsatz-IMarktanteilsschwellen auf die UmsätzelMarktanteile des einzelnen oder aller verbundenen Unternehmen ab? Bezieht man Rechtshandlungen, tatsächliches Verhalten oder bestimmte Eigenschaften verbundener Unternehmen in die Bewertung mit ein? Fragen dieser Art stellen sich, weil Adressaten der Wettbewerbsregeln nicht die verbundenen Unternehmen in ihrer Verbundenheit sind, sondern die einzelnen rechtsfähigen Unternehmensträge2. Nur deshalb ist es überhaupt klärungsbedürftig, ob und inwieweit Sachverhalte, die bei einem Rechtssubjekt verwirklicht sind, zulasten oder zugunsten eines anderen Rechtssubjekts berücksichtigt werden dürfen4 . Die Rechtsfigur, mittels derer man zu Lasten I

Einen Überblick über andere Verbundtatbestände des europäischen Rechts gibt

Neye, ZGR 1995,191,196 ff.

2 Das ist im deutschen GWB nicht anders. Man denke z. B. nur an die umständliche Behandlung der Fälle konzerninterner Umstrukturierungen in der Fusionskontrolle, siehe Ebel/Sacre. in: FS Trinkner, S. 111 fI 3 S. o. B, S. 35 ff. 4 VgL R. Bork, ZGR 1994,237,243.

C. Der Unternehmensverblllld

67

oder zugunsten eines Rechtssubjekts solche Sachverhalte, die bei einem anderen Rechtssubjekt verwirklicht sind, berücksichtigt, ist die Rechtsfigur der Zurechnung5 . Mit der Zurechnung können verschiedene Zwecke verfolgt werden. Häufig wird Zweck der Zurechnung sein, bestimmte Rechtsnormen vor Umgehungen zu schützen6 . Dieser Zweck trifft auch auf die Verbundklauseln zu. Die Funktionsaufspaltung im Unternehmensverbund soll nicht zu Umgehungen des Kartellrechts führen. Umgekehrt soll sie aber auch nicht zu kartellrechtlicher Schlechterstellung der verbundenen Unternehmen gegenüber dem Einheitsunternehmen führen. Insgesamt besteht der Zweck der Verbundklauseln also darin, soweit erforderlich die Gleichbehandlung des Unternehmensverbundes mit dem Einheitsunternehmen zu gewährleisten. Auch die Gründe, die zur Zurechnung führen, können vielfältiger Art sein7 . In den Verbundklauseln ist Zurechnungsgrund der bestehende Unternehmensverbund. 2. Der Aufbau der Verbundklauseln Alle Verbundklauseln des Europäischen Rechts weisen einen einheitlichen Aufbau auf. Sie bestehen aus zwei Elementen. Zum einen wird definiert, was verbundene Unternehmen sind. Zum anderen wird eine Rechtsfolge angeordnet, die sich aus diesem Unternehmensverbund ergibt. Die Rechtsfolge besteht darin, daß einem Unternehmen des Verbundes die Verhältnisse der anderen verbundenen Unternehmen zugerechnet werden. Hier bedarf es genauer Prüfung, welchem Unternehmen zugerechnet wird, wer also das Zurechnungssubjekt ist, und welche Merkmale oder Verhaltensweisen zuzurechnen sind, was also Gegenstand der Zurechnung ist (Zurechnungsobjekt). Eine Generalzurechnung in der Weise, daß immer alle verbundenen Unternehmen wie ein Unternehmen zu behandeln sind, gibt es in den Verbundklauseln der GVOs nicht. 3. Die Entstehungsgeschichte der Verbundklauseln Die erste Verbundklausel findet sich in der Bagatellbekanntmachung der Kommission von 19708 . Bagatellfälle lagen nach der Bekanntmachung nur 5 R. Bark, ZGR 1994, 237, 238, defmiert Zureclmung als "die Gesamtschau ("Addition") tatbestandsre1evanter Verhältnisse llllter gleichzeitiger Zuordnung zu einem Rechtssubjekt". 6 R. Bark, ZGR 1994, 237, 239. 7 Zur Unterscheidung von Zureclmllllgsgrund lllld Zureclmllllgszweck siehe R. Bark, ZGR 1994, 237, 240; ähnlichH. Wiedemann, Unternehmensgruppe, S. 28. 5*

1. Teil: Gnmdlagen

68

vor, wenn die Beteiligten eine bestimmte Umsatzschwelle nicht überschritten. Bei der Umsatzberechnung wurden dem an einer Vereinbarung, einem Beschluß oder einer abgestimmten Verhaltensweise beteiligten Unternehmen (Zurechnungssubjekt) die Umsätze (Zurechnungsobjekt) verbundener Unternehmen zugerechnet. Ein zurechnungsbegründender Unternehmensverbund wurde angenommen, wenn das beteiligte Unternehmen in einem anderen Unternehmen oder ein anderes Unternehmen in dem beteiligten Unternehmen - unmittelbar oder mittelbar mindestens 25% des Kapitals oder des Betriebsvermögens besitzt - mindestens über die Hälfte der Stimmrechte verfügt - mindestens die Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrats oder der zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organe bestellen kann - das Recht hat, die Geschäfte des Unternehmens zu führen 9 . Eine Verbundklausel gleichen Inhalts - Umsatzzurechnung bei gleicher Definition des Unternehmensverbundes - wurde in die GVO fiir Spezialisierungsvereinbarungen aufgenommenlO . Beide Verbundklauseln wurden 1977 geändert. Der Zurechnungsgegenstand wurde insofern erweitert, als neben den Umsätzen auch die Marktanteile der verbundenen Unternehmen zugerechnet wurdenlI. Die Kommission definierte in einer Auflagenentscheidung den Untemehmensverbund ebenso wie in der Bagatellbekanntmachung und in der GVO für Spezialisierungsvereinbarungen. Zurechnungsgegenstand war hier der Erwerb von Beteiligungen. Die vertragsschließenden Unternehmen waren verpflichtet, den Erwerb von Beteiligungen an dem jeweils anderen anzuzeigen. Das galt auch für den Erwerb durch und an verbundenen Unternehmen l2 . 1982 änderte die Kommission den Verbundtatbestand der GVO fiir Spezialisierungsvereinbarungen. Der erste Spiegelstrich knüpfte nun nicht mehr an den 25%igen Anteilsbesitz, sondern an den mehrheitlichen Anteilsbesitz an13 . 8

Kommission, Bagatellbekanntmachtmg 1970, ABI. 1970 C 64/1, 2.

Diese Klausel hat mit ihren fonnalisierten Zurechntmgstatbeständen ihren Ursprtmg im angelsächsischen Recht, vgI. H. Wiedemann, Unternehmensgruppe, S. 27. 10 Kommission, Verordntmg (EWG) Nr. 2779n2 vom 21. 12. 1972 über die Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen, ABI. 1972 L 292123, 24. 11 Kommission, Verordnung (EWG) Nr. 2903n7 vom 23. 12. 1977 zur Verlängerung und Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2779n2 über die Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen, ABI. 1977 L 338/14 f.; dies., Bagatellbekanntmachung 1977, ABI. 1977 C 313/3 f 12 Kommission, 23. 12. 1971 - Henkel/Colgate, ABI. 1972 L 14114, 18. 13 Kommission, Verordnung (EWG) Nr. 3604/82 vom 23. 12. 1982 über die Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen, ABI. 1982 L 376/33. 9

C. Der Unternehmensverbtmd

69

Kurz vorher, ebenfalls 1982 änderte die Kommission den Entwurf für die späteren GVOs 1983/83 und 1984/83, der zunächst auch an die 25%-Schwelle angeknüpft hatte l4 , dahingehend ab, daß die Zurechnung Mehrheitsbesitz erforderte l5 . In die Bagatellbekanntmachung übernahm die Kommission im Jahre 1986 den Mehrheitsbesitz anstelle des 25%-igen Besitzes l6 . Eine weitere Änderung des Verbundtatbestandes erfolgte 1983. Die GVOs 1983/83 und 1984/83 enthielten dabei als erste eine Mehrmütterklausel. Der Verbundtatbestand wurde auf konzerninterne Gemeinschaftsunternehmen sowie auf Gemeinschaftsunternehmen zwischen den beteiligten Unternehmen ausgedehnt. Auch der Zurechnungsgegenstand ist neu. Den beteiligten Unternehmen werden nicht nur Umsätze, sondern auch Verhaltensweisen verbundener Unternehmen zugerechnet. Als Hersteller von bestimmten Waren ist das beteiligte Unternehmen nicht nur dann zu behandeln, wenn es selbst die Waren herstellt, sondern auch dann, wenn ein mit ihm verbundenes Unternehmen die Waren herstellt. In der Folgezeit wurden weitere GVOs mit Verbundklauseln erlassen. Der Verbundtatbestand wurde weder in den bestehenden noch in den neuen GVOs geändert l7 . Erweitert wurden jedoch die Zurechnungsgegenstände. Diese Erweiterungen werden im Rahmen der Schilderung der heutigen Rechtslage dargestellt.

4. Die Verbundklauseln des geltenden Rechts Im Europäischen Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen gibt es heute an mehreren Stellen gesetzlich nonnierte Verbundklauseln. Art. 5 Abs. 4 FKVO sowie sieben Gruppenfreistellungsverordnungen enthalten Verbundklauseln 18. Darüber hinaus findet sich auch in der neuen Bagatellbekanntmachung der Kommission eine Verbundklausel19 . Daneben gibt es in Bekanntmachungen

14 G. Wiedemann, Bd. 1I, Art. 4 GVO 1983/83 Rn. 2; der Entwurf (Arbeitsdokument IVI167/80-DE) ist nicht im Amtsblatt veröffentlicht. 15 Kommission, Entwurf einer Verordntmg über die Anwendtmg von Art. 85 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von Alleinvertriebsvereinbarungen, ABi. 1982 C 172/3, 5. 16 Kommission, Bagatellbekanntmachtmg 1986, ABi. 1986 C 231/2. 17 Ausnahme: Fehlen der Mehrmütterklausel in der VO 1475/95. 18 Art. 4 VO 1983/83 tmd VO 1984/83; Art. 10 Nr. 14 VO 240/96; Art. 7 VO 417/85; Art. 9 VO 418/85; Art. 16 VO 3932/92; die Klausel über Gemeinschaftsunternehmen fehlt in Art. 10 Nr. 8 VO 1475/95; keine Verbtmdklausel enthalten die VO 4087/88 sowie die GVOs auf dem Verkehrssektor, VO Nr. 1617/93, VO 870/95 und VO Nr. 3652/93 der Kommission. Auch die Ratsverordntmgen Nr. 1017/68 tmd Nr. 4056/86 enthalten keine VerbtmdklauseIn. 19 Kommission, Bagatellbekanntmachtmg, ABI. 1997 C 372/13 ff (Nr. 12).

1. Teil: Grundlagen

70

der Konunission20 vereinzelt etwas versteckte Verbundklauseln, die für eng begrenzte Fälle der Existenz eines Unternehmensverbundes Rechnung zu tragen versuchen. Auch in Entscheidungen definiert die Konunission immer wieder den Unternehmensverbund, für den bestimmte Auflagen ebenso gelten sollen wie für die beteiligten Unternehmen21 . Das eine Element der Verbundklauseln, die Bestimmung des Unternehmensverbundes, ist, abgesehen von kleinen Unterschieden in der Formulierung, in nahezu allen Verbundklauseln identisch. Zum Unternehmensverbund gehören danach: a) das beteiligte Unternehmen, b) die Unternehmen, in denen das beteiligte Unternehmen unmittelbar oder mittelbar entweder - mehr als die Hälfte des Kapitals oder des Betriebsvermögens besitzt oder - über mehr als die Hälfte der Stimmrechte verfugt oder - mehr als die Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrats oder der zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organe bestellen kann oder - das Recht hat, die Geschäfte des Unternehmens zu führen,

c) die Unternehmen, die in dem beteiligten Unternehmen die unter Buchstabe b) bezeichneten Rechte oder Einflußmöglichkeiten haben, d) die Unternehmen, in denen ein unter Buchstabe c) bezeichnetes Unternehmen die in Buchstabe b) bezeichneten Rechte oder Einflußmöglichkeiten hat,

20 Kommission, Bekanntmachung über kooperative GU (Nr. 15, 1. Spiegelstrich, kOIlZeminterne GU-Gründungen); dies., Bekanntmachung zu den Alleinvertriebs- bzw. Alleinbezugs-GVOs (Nr. 16: Die GVO deckt auch Verpflichtungen der Vertragspartner, dafilr Sorge zu tragen, daß die von ihnen übernommenen Verpflichtungen auch von den mit ihnen verbundenen Unternehmen beachtet werden). Siehe auch die frühere VO 3652/93, die in Art. 2 lit. g den Begriff des Mutterluftfahrttmternehmens definierte und dabei auf die Kontrolle eines anderen Unternehmens abstellte; der Kontrollbegriff war in Art. 2 lit. h) VO 3652/93 sehr ähnlich wie in der FKVO definiert. Ebenso erfaßte der in lit. f definierte Begriff des Systemverkäufers auch dessen Tochterunternehmen (vgl. MartinekIHabenneier, ZHR 158 [1994],107,117). 21 Z. B. Kommission, 23.12.1971 -Henkel/Colgate, ABI. 1972 L 14114, 18; 29.5.1991 -Magneti Marelli/CEAc, ABI. 1991 L222/38, 41; 28.4.1992 -Accor/ Wagon-Lits, ABI. 1992 L 20411, 12.

C. Der Unternehmens verbund

71

e) die Unternehmen, in denen mehrere der unter den Buchstaben a) - d) genannten Unternehmen jeweils gemeinsam die in Buchstabe b) bezeichneten Rechte oder Einflußmöglichkeiten haben22 . Von der Verbundklausel erfaßt sind danach Mutter-, Tochter- und Schwesterunternehmen des beteiligten Unternehmens. Da jeweils auch der mittelbare Einfluß auf ein Unternehmen erfaßt ist, gehören auch über mehrere Stufen miteinander verbundene Unternehmen zu dem Verbund, wie z. B. Enkelgesellschaften. GU sind nur Teil des Verbundes, wenn das GU entweder ein konzerninternes GU oder ein GU zwischen den Beteiligten ist. Das zweite Element einer jeden Verbundklausel sind die Rechtsfolgen des bestehenden Unternehmensverbundes. Sie sind in den verschiedenen Verbundklauseln höchst unterschiedlich. Am allgemeinsten und daher am weitreichendsten sind die VerbundklauseIn der Art. 9 Abs. 1 VO 418/85 und Art. 16 Abs. 1 VO 3932/92. Sie rechnen folgende Merkmale den Vertragspartnern zu, wenn sie bei Unternehmen vorzufinden sind, die mit ihnen verbunden sind: Marktanteile, Rechtshandlungen und Verhaltensweisen, Art. 9 Abs. 1 S. 2 VO 418/85 und Art. 16 Abs. 1 S. 2 VO 3932/92. Außerdem gelten nach Art. 9 Abs. 1 S. 1 VO 418/85 und Art. 16 Abs. 1 S. 1 VO 3932/92 die Vorschriften der Verordnungen auch dann, wenn Vertragspartner Rechte und Pflichten für die mit ihnen verbundenen Unternehmen begründen23 . Es fragt sich, was im letztgenannten Fall eigentlich zugerechnet wird (Zurechnungsgegenstand) und wem hier etwas zugerechnet wird (Zurechnungssubjekt). Ziel der Regelung ist es, verbundene Unternehmen zu behandeln wie einen einheitlichen Vertragspartner. Ein Unternehmen kann Rechte und Pflichten für mit ihm verbundene Unternehmen nur als Vertreter des Unternehmens begründen. Denn verpflichtet es sich selbst, ein verbundenes Unternehmen zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen, ist es selbst Vertragspartner. Die GVO gilt dann ohnehin24 . Verpflichtet sich z. B. ein Vertragspartner einer Forschungs- und Entwicklungsvereinbarung, während der Durchführung des Forschungs- und Entwicklungsprogramms im Programmbereich weder selbst noch durch seine

22 Art. 4 Abs. 2, Abs. 3 VO 1983/83 und 1984/83; Art. 10 Nr. 14 VO 240/96; Art. 7 V0417/85; Art. 9 Abs. 2, Abs. 3 V0418/85; Art. 16 Abs. 2, Abs. 3 VO 3932/92; die Klausel über Gemeinschaftsunternehmen fehlt in Art. 10 Nr. 8 VO 1475/95 sowie in den Verbundklauseln, welche die Kommission in ihren Entscheidungen selbst formuliert hat. 23 Eine Regelung derselben Art enthält Art. 6 Nr. 3 VO 240/96. 24 So auch Kommission, Bekanntmachung zu den Alleinvertriebs- bzw. AlleinbezugsGVOs (NI. 16).

72

1. Teil: Grundlagen

Tochterunternehmen selbständige Forschung und Entwicklung durchzufiihren, ist das nach Art. 4 Abs. llit. a VO 418/85 zulässig. Tritt das Unternehmen als Vertreter seiner Tochtergesellschaft auf, so sagt die Zurechnungsklausel zunächst nur Selbstverständliches, wenn sie die GVO auf die Vereinbarung zwischen Vertretenem und Vertragspartner für anwendbar erklärt. Auch diese Vereinbarung kann von der Freistellung erfaßt sein. Bedeutung erlangt die Zurechnungsklausel dann, wenn erst die Summe der Vereinbarungen zwischen dem Vertragspartner und verschiedenen verbundenen Unternehmen den Tatbestand einer Gruppenfreistellung erfüllt. So ist es z. B. nach Art. 2 lit. c VO 418/85 erforderlich, daß jeder Vertragspartner die Ergebnisse der gemeinsamen Forschung und Entwicklung selbständig verwerten kann. Wird dieses Verwertungsrecht nicht für den Vertragspartner, sondern für ein Unternehmen begründet, das mit ihm verbunden ist, führt die Zurechnung nach Art. 9 Abs. 1 S. 1 VO 418/85 dazu, daß das gesamte Vertragswerk freigestellt ist. Hier findet eine Zurechnung in doppelter Richtung statt. Jedem der verbundenen Unternehmen werden die Vereinbarungen zugerechnet, die die anderen mit ihm verbundenen Unternehmen getroffen haben. Zurechnungsgegenstand ist nach dem Wortlaut die Rechts- und Ptlichtenstellung der verbundenen Unternehmen. Allerdings haben Art. 9 Abs. 1 S. 1 VO 418/85 und Art. 16 Abs. 1 S. 1 VO 3932/92 gegenüber dem jeweiligen Satz 2 der Vorschrift, der die Rechtshandlungen verbundener Unternehmen zurechnet, in den meisten Fällen keine selbständige Bedeutung. Die anderen Verbundklauseln haben weniger weitreichende Rechtsfolgen. Meist werden Merkmale zugerechnet, die einen Ausschnitt aus den Merkmalen der umfassenden Verbundklauseln darstellen. So werden Marktanteile25 oder bestimmte VerhaltensweisenlTätigkeiten26 der verbundenen Unternehmen den Beteiligten zugerechnet. Die Zurechnung von Rechten und Pflichten wird zum Teil weniger umfassend angeordnee 7 . Aber auch andere Merkmale werden zugerechnet. Dazu gehören Umsätze28 und Besitz29 .

25

Art. 3 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 lit. a i. V. m. Art. 7 VO 417/85.

Artt. 3, 4 VO 1983/83 und VO 1984/83; Art. 10 Nr. 7 i. V. ffi. Art. 3 Nr. 3, Art. 6 Abs. 1 Nm. 6, 7, 10 - 12 und Art. 8 Nr. 3 VO 1475/95. 27 Art. 5 Abs. 1 NI. 3 VO 240/96; siehe aber den umfassenderen Art. 6 NI. 3 VO 240/96. 28 Art. 5 Abs. 4 FKVO; Art. 5 Abs. 3 VO 1983/83 und 1984/83; Art. 3 Abs. 1 lit. b, Abs. 21it. b, Artt. 6,7 VO 417/85. 29 Art. 4 Abs. 2 lit. b VO 240/96. 26

C. Der Unternehmensverbund

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In der Literatur hat diese Vielfalt an Verbundklauseln für den Bereich der GVOs den Vorschlag angeregt, eine allgemeine GVO "vor die Klammer zu ziehen", die diese - und andere - Fragen der GVOs regeleo. 5. Zusammenfassung Die Verbundklauseln rechnen verschiedene Merkmale wie Umsätze, Marktanteile oder Verhaltensweisen eines Unternehmens einem mit ihm verbundenen Unternehmen zu. Der Unternehmensverbund umfaßt alle Unternehmen, die durch mehrheitliche Beteiligung, Stimmrechtsmehrheit, Organbestellungsmehrheit oder Geschäftsführungsrecht miteinander verbunden sind. Außerdem umfaßt er konzerninterne GU sowie GU zwischen den an einer Vereinbarung oder einem Zusammenschluß Beteiligten.

11. Der Zusammenschlußbegriff des Art. 3 FKVO Mit dem Zusammenschlußtatbestand enthalten die EG-Wettbewerbsregeln eine weitere Norm, die einen Unternehmensverbund charakterisiert. Rechtsfolge des Unternehmensverbundes ist bei Erreichen der Schwellenwerte das Eingreifen der Fusionskontrolle. Anders als die Verbundklauseln, die eine einheitlich zu beurteilende Gesamtheit von Unternehmensträgern beschreiben sollen, soll der Zusammenschlußtatbestand einen konzentrativen Sachverhalt definieren. Ein Zusammenschluß liegt nach Art. 3 FKVO vor, wenn zwei voneinander unabhängige Unternehmen fusionieren oder wenn ein oder mehrere Unternehmen oder eine oder mehrere Personen, die bereits mindestens ein Unternehmen kontrollieren, die Kontrolle über die Gesamtheit oder Teile eines oder mehrerer anderer Unternehmen erwerben. Die Kontrolle wird nach Art. 3 Abs.3 FKVO durch Mittel begründet, welche die Möglichkeit gewähren, einen bestimmenden Einfluß auf die Tätigkeit des Unternehmens auszuüben. Anders als die Verbundklauseln knüpft dieser Verbundtatbestand nicht an eine formale Einflußposition an, sondern an eine materielle Einflußposition. In der Literatur finden sich Ansichten, wonach bestimmte mit verbundenen Unternehmen einhergehende Rechtsfragen anhand des Begriffs der Kontrolle in Art. 3 Abs. 3 FKVO gelöst werden sollen. So schlägt G. Wiedemann vor, die Auslegung der Verbundklauseln am Kontrollbegriff zu orientieren31 . AI-

30 31

Siehe schon G. Wiedemann, Bd. I, AT; MartinekIHabenneier, ZHR 158 (1994), 107 ff G. Wiedemann, Bd. I, AT Rn. 126.

74

1. Teil: Grundlagen

lerdings geht Wiedemann dabei davon aus, daß die Kontrolle immer zur Begründung einer wirtschaftlichen Einheit zwischen den beteiligten Unternehmen führe mit der Folge der wechselseitigen Zurechnung aller Merkmale. Ob das bei gemeinsamer Kontrolle der Fall ist, ist jedoch zweifelhaft. Andere stellen fest, Art. 3 Abs.3 FKVO habe Einfluß auf die Auslegung der Verbundklausel des Art. 5 Abs. 4 FKV032 . Wieder andere wollen den Kontrollbegriff heranziehen, wenn es um die Beurteilung der sogenannten konzerninternen Vereinbarungen geht. Wenn ein Unternehmen ein anderes kontrolliere, sei Art. 85 EGV auf eine Koordination des Verhaltens dieser beiden Unternehmen nicht anwendbar33 . Ob der Zusammenschlußtatbestand und dort insbesondere der Kontrollbegriff den Unternehmensverbund beschreibt, der z. B. zu einer wechselseitigen Zurechnung von Merkmalen und zur Nichtanwendung des Art. 85 EGV führt, bedarf näherer Untersuchung. Zu klären ist dabei auch, ob die verschiedenen Rechtsfragen, die der Unternehmensverbund aufwirft34 , sich mit einer einheitlichen Definition des Unternehmensverbundes lösen lassen.

III. Die wirtschaftliche Einheit Der Begriff der wirtschaftlichen Einheit35 war bis zum Erlaß der FKVO in den Wettbewerbsregeln nicht enthalten. Kommissionspraxis, Rechtsprechung und Literatur haben diesen Begriff, der sich auch in anderen Rechtsgebieten wie insbesondere dem Steuerrecht findet, für das Kartellrecht entdeckt und weiterentwickelt. Verwendet wird der Begriff der wirtschaftlichen Einheit im Zusammenhang mit der Behandlung von Konzernunternehmen. Man faßt mehrere konzernzugehörige Unternehmensträger unter bestimmten Voraussetzungen zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammen und löst auf diese Weise verschiedene Rechtsfolgen aus.

Löffler, in: Langen/Bunte, Art. 5 FKVO Rn. 9. Kleinmann, RIW 1990, 605, 610; GleissIHirsch, Art. 85 Rn. 197; wohl auch Bunte, in: LangenlBunte, Art. 85 Rn. 113; Bellamy/Child, Rn. 2-051 ff, 2-054; RitterlBraun/Rawlinson, S. 34 ("control-relationship"); MontagIDohms, WuW 1993, 93, 95; offen lassend MontagIHeinemann, ZIP 1992, 1367, 1369; zwn deutschen Recht ähnlich HuberlBaums, in: Frankfurter Kommentar, § 1 Rn. 241 ff; andere halten diese Parallele nicht filr zwingend, so z. B. Venit, CMLRev. 1990, 7, 43; Röhling, ZIP 1990, 1179, 1182 f; Mestmäcker, in: Inunenga/Mestmäcker, Vor § 23 Rn. 135. 34 Siehe oben unter B, S. 35 ff, zwn Unternehmensbegriff 35 Zum Teil ist auch, gleichbedeutend, von wettbewerblicher Einheit die Rede, siehe z. B. zwn deutschen Recht Steindoif.!, Wettbewerbliche Einheit. 32 33

C. Der Unternehmensverbund

75

So rechnet man auf diese Weise das Handeln eines Konzernunternehmens einem anderen Konzernunternehmen ZU36, rechnet die Marktanteile von Konzernunternehmen zusammen3 ?, begründet die Unanwendbarkeit des Art. 85 EGV auf konzerninterne Absprachen38 und rechtfertigt im Rahmen der GVOs, daß mehrere Konzernunternehmen wie ein Unternehmen behandelt werden39 . Diese Fragen decken sich mit denjenigen, die auch innerhalb des Unternehmensbegriffs erörtert werden. Der Begriff der wirtschaftlichen Einheit wird zum Teil auch gleichbedeutend mit dem des Unternehmens verwendet40 . Wann eine wirtschaftliche Einheit vorliegt, ist im einzelnen ungeklärt; bejaht wird es regelmäßig für den Fall, daß eine Muttergesellschaft das Marktverhalten ihrer lOO%igen Tochter im einzelnen bestimmt4 !. Grund für die fehlende Definition der wirtschaftlichen Einheit ist, daß für jede der genannten Fragestellungen gesondert zu untersuchen ist, wann mehrere Unternehmensträger als Einheit zu behandeln sind. Selbst wenn sich dabei ergeben sollte, daß die Voraussetzungen für die einheitliche Behandlung von verbundenen Unternehmen stets oder häufig dieselben sind, ist zu beachten, daß der Begriff der wirtschaftlichen Einheit diese Voraussetzungen nicht vorgibt. Die Voraussetzungen sind vielmehr durch Auslegung der Wettbewerbsregeln zu entwickeln42 . Die so ermittelten Voraussetzungen, unter denen verbundene Unternehmen als Einheit zu behandeln sind, werden durch den Begriff der wirtschaftlichen Einheit nur zusammenfassend beschrieben. Der Begriff der wirtschaftlichen Einheit ist daher ein Blankettbegrift3 . Er bezeichnet die Gesamtheit mehrerer Unternehmensträger, die - unter bestimmten, für jeden Ein-

36 Kommission, 14.12.1972 -Zoja/CSC-ICL ABI. 1972 L299/51, 54; EuGH, 22.1. 1974 -ICI-CSClKornmission, Slg. 1974,223, 255 f (Nm. 36 - 41); Schröter, in: von der GroebenfThiesinglEhlennann, Vorbem. zu Artt. 85 - 89, Rn. 15 ff und Art. 85 Abs. 1 Rn. 89. 37 Kommission, 14.12.1972 -Zoja/CSC-ICL ABI. 1972 L299/51, 54; EuGH, 22. 1. 1974 - ICI-CSClKornmission, Slg. 1974, 223, 255 f (Nm. 36 - 41). 38 EuGH, 4. 5. 1988 - BodsonIPompes funebres, Slg. 1988, 2479, 2513; Schröter, in: von der GroebenfThiesinglEhlennann, Vorbem. zu Artt. 85 - 89, Rn. 15 ff und Art. 85 Abs. 1 Rn. 89; vgl. auch Kommission, 2. 8. 1989 - Betonstahlmatten, ABI. 1989 L 260/1, 37 (Nr. 178, allerdings ohne Erwähnung des Begriffs der wirtschaftlichen Einheit). 39 EuGH, 12.7. 1984 -HydrothermlCompact, Slg. 1984,2999,3016 (Nr. 12). 40 Kommission, 14.12.1972 -Zoja/CSC-ICL ABI. 1972 L299/51, 54; dagegen GleisslHirsch, Art. 85 Rn. 3; einen engen Begriff der wirtschaftlichen Einheit verwendet Huber, ZHR 131 (1968),231 (nur bei fusionsähnlichem Tatbestand). 41 Z. B. EuGH, 4. 5. 1988 - BodsonIPompes funebres, Slg. 1988,2507,2513 (Nr. 19).

42 Ausfilhrlich zur Untauglichkeit eines außerrechtlichen Begriffs der wettbewerblichen Einheit zur Lösung kartellrechtlicher und fusionskonlrollrechtlicher Fragen Steindorff. Wettbewerbliche Einheit; zuversichtlicher Fischer, S. 184 ff. 43 Ganz gegen die Verwendung des gleichbedeutenden Begriffs der wettbewerblichen Einheit daher Steindorff. Wettbewerbliche Einheit, S. 65 ff

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1. Teil: Grundlagen

zelfall zu klärenden Voraussetzungen - nach den Wettbewerbsregeln nur in ihrer Gesamtheit zutreffend beurteilt werden können. Inzwischen hat die wirtschaftliche Einheit in Art. 3 Abs. 2 FKVO auch in das Gesetz Eingang gefunden. Voraussetzung für das Vorliegen eines konzentrativen GU ist, daß das GU auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllt. Auch der 12. Erwägungsgrund zur FKVO nennt die wirtschaftliche Einheit. Bei der Berechnung des Umsatzes öffentlicher Unternehmen ist danach der Umsatz der mit autonomen Entscheidungsbefugnissen ausgestatteten wirtschaftlichen Einheit zugrundezulegen. Was in den erstgenannten Fällen mit wirtschaftlicher Einheit gemeint ist, soll an anderer Stelle untersucht werden (2. Teil C III 1, S. 210 ff.).

D. Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle I. Marktstruktur, Marktverhalten, Marktergebnisse und sonstige Wettbewerbsdeterminanten Marktverhalten, Marktstruktur und Marktergebnis sind Begriffe aus der Wettbewerbstheorie. Sie umfassen bestimmte tatsächliche Erscheinungen auf Märkten. Man versucht, mit Hilfe dieser Begriffe die Elemente, die das Geschehen auf Märkten ausmachen, zu systematisieren. Die Begriffe sind geprägt worden in dem Bemühen, die Erscheinung "Wettbewerb" zu beschreiben!. Die vielfältigen Auffassungen darüber, was Wettbewerb ist, fließen daher in die Definition dessen, was Marktverhalten, Marktstruktur und Marktergebnisse sind, ein. Trotzdem ist die Tauglichkeit dieser Trias zur - zumindest teilweisen - Systematisierung der Elemente des Marktes in der Wettbewerbstheorie anerkannt2. Neben den Marktverhaltens-, -struktur- und -ergebnismerkmalen wird der Wettbewerb von zahlreichen anderen Faktoren mitbestimmt. Hierzu gehören z. B. Saison-, Konjunktur-, Geschmacks- und Einkommensentwicklungen3, Geldmarkt-, Kapitalmarkt- und Arbeitsmarktpolitik4, Steuern und Subventio-

! Zu den Ursprüngen des Verhalten-Struktur-Ergebnis-Paradigmas s. Zachmann, Tz. 3.020 fT. 2 Lebhaft umstritten sind dagegen Kausalbeziehungen zwischen den verschiedenen Marktelementen. 3 Bartling, Leitbilder, S. 36. 4 Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 54 f., der diese Determinanten "Nebenvariable" nennt.

D. Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle

77

nen, internationale Handelsregeln, Preiskontrollen, Regulationen, Kartellrecht und Versorgung mit Informationen5 . Im folgenden wird untersucht, wie die Wettbewerbstheorie Marktverhalten und Marktstruktur definiert. Außerdem werden die Elemente des Marktes zusammengestellt, die jeweils dem Marktverhalten und der Marktstruktur zuzuordnen smd. Die Kategorie der Marktergebnisse erfaßt die Marktelernente, die etwas über die Effizienz des Marktprozesses aussagen6 , wie z. B. die Güterverfügbarkeit 7 oder die Produktivitäts. Im vorliegenden Zusammenhang spielt die Kategorie der Marktergebnisse keine Rolle, so daß nicht näher auf sie eingegangen wird.

11. Marktverhalten 1. Begriffsbestimmungen Nach Poeche9 beschreibt das Marktverhalten Zielsetzungen, Geschäftspraktiken, Verhaltensweisen und Taktiken der Unternehmen zueinander und zum Markt. Nach StockinglO beschreibt das Marktverhalten die Verfahrensweisen und Strategien, zu denen die Firmen bei Gestaltung ihrer Beziehungen untereinander und bei ihrer Konfrontation mit dem Markt greifen. Nach Sosnickll meint das Marktverhalten Tätigkeiten, Geschäftspraktiken oder Taktiken der Unternehmen. Nach Bartlingl2 erfaßt der Begriff Marktverhalten die Zielsetzungen, Strategien und Taktiken sowie die unmittelbaren Aktionen und Reaktionen der Wettbewerber. Andere Autoren nennen, ohne den Begriff zu bestimmen, Charakteristika des Marktverhaltens: die Möglichkeit kurzfristiger Änderung, die Abhängigkeit des Verhaltensspielraums von der Marktstruktur l3 und die Subjektivitätl4 . S. 5. FIW-Dok. I, S. 18; Stocking, Antitrust Bull. 1959, 375, 388; Bartling, Leitbilder, S. 22. 7 I. Schmidt, S. 56; Poeche, FIW-Dok. I, S. 18 f. 8 Bain, FIW-Dok. I, S. 35. 9 Poeche, FIW-Dok. I, S. 18. \0 Stocking, Antitrust Bull. 1959, 375, 388. II Sosnick, FIW-Dok. I, S. 154. 12 Bartling, Leitbilder, S. 22. 13 Kantzenbach, AG 1986, 185. 14 Bartling, Leitbilder, S. 24 f; Woll, S. 297 f.; hiennit ist die Abhängigkeit des Marktverhaltens von subjektiven Faktoren gemeint, wie z. B. Zielsetzungen, Risikoneigung, Präferenzen fil.r bestimmte Kunden oder Lieferanten, Neigungen zum 5 Scherer/Ross,

6 Poeche,

78

I . Teil: Grundlagen

2. Marktverhaltensmerkmale Zum Marktverhalten gehören, wie sich aus den oben genannten Definitionen ergibt, zunächst einmal alle denkbaren Verhaltensweisen der Unternehmen auf dem Markt. Dazu zählt insbesondere der Einsatz der Aktionsparameter Preis, Rabatte, Konditionen, Menge, Qualität (dazu gehören Investitionen und Forschung und Entwicklung), Service und Werbung15 . Zum Teil werden verschiedene Arten von Wettbewerb als Marktverhalten bezeichnet, so Austauschwettbewerb, Parallelwettbewerb (angebotsseitig~ aktuell oder potentiell), Produktewettbewerb (neue, differenzierte, substituierende Produkte), Sortimentswettbewerb, Informations- und Werbewettbewerb, Nebenleistungswettbewerb, Zugabewettbewerb und Zusatznutzenwettbewerb16 . Als Bestandteile des Marktverhaltens werden auch Unternehmensinterna und "Charaktereigenschaften" eines Unternehmens angesehen wie spirit of competition17 , Zeithorizont, insbesondere lang- oder kurzfristige Gewinnüberlegungen18 sowie sonstige Zielsetzungen und Verhaltensmaximen der Unternehmen l9 . Außerdem werden bestimmte wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen oder solche, die möglicherweise wettbewerbsbeschränkend sind, als Elemente des Marktverhaltens angesehen, so Parallelverhalten20 , Formen der kooperativen und konzentrativen Zusammenarbeit21 , Sperren, Boykott, Diskriminierungen, Preisfuhrerschaft, Ausbeutungs- und sonstige Zwangsmaßnahmen22 und Maßnahmen zum Schutz von Marktvorteilen (z. B. Patente) und zur Kontrolle von Marktkräften23 .

Kampt~ zur Vergeltung oder zur Nachgiebigkeit, Rücksichtnalune auf Sitte und Tradition sowie der in der Regel unvollständigen Kenntnis der Marktsituation. 151. Schmidt, S. 56; einzelne dieser Merkmale werden genannt bei Poeche, FIWDok. I, S. 18; RujJner, Funktionale Konkretisierung, S. 200; Zachmann, Tz. 3.032. 16 RujJner, Funktionale Konkretisierung, S. 200. 17 Bartling, Leitbilder, S.21; 1. Schmidt, S.56; am besten zu übersetzen mit "Kampfgeist", der Rivalität und Risikobereitschaft umfaßt. 18 Poeche, FIW-Dok. I, S. 18; Bartling, Leitbilder, S. 21; Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 181. 19 Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 181. 20 Poeche, FIW-Dok. I, S. 18; Attorney General's National Committee to Study the Antitrust Laws - Report, FIW-Dok. I, S. 256. 21 Poeche, FIW-Dok. I, S. 18; konzertierte Aktionsparameter nennt auch die Schweizerische Kartellkommission als Verhaltensrnerkmale (siehe die Aufrählung bei RujJner, Funktionale Konkretisierung, S. 198). 22 Poeche, FIW-Dok. I, S. 18. 23 Stocking, Antitrust Bull. 1959, 375, 388.

D. Marktstrukturkontrolle ood Marktverhaltenskontrolle

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Eine Systematisierung wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen findet sich bei Herdzina24 , der fünf Gruppen wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens unterscheidet: kollektives Marktverhalten, Bindungen, Behinderungen, Ausbeutung und Zusammenschlüsse25 .

IH. Marktstruktur 1. Begriffsbestimmungen

Das Wort Struktur wurzelt im Lateinischen. "Structura" bedeutet Bauart, Bauwerk, Ordnuni6 . Es bezeichnet die Anordnung der Teile eines Ganzen zueinander27 . Eine andere Begriffsbestimmung beschreibt die Struktur als den inneren Aufbau, das Bezugs- und Regelsystem einer komplexen Einheit, in dem alle Elemente innerhalb dieses Ganzen eine je eigene Aufgabe erfüllen28 . Für die Marktstruktur finden sich im wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum unterschiedlich weite Definitionen. Nach Poeche29 werden unter Marktstruktur die Formen, der Zustand und die Art und Weise der Zusammensetzung eines Marktes verstanden. Nach Stocking30 ist die Marktstruktur die Art und Weise der Zusammensetzung eines Industriezweiges. Bei Gabler31 wird die Marktstruktur definiert als Zusammensetzung und Gefüge eines Marktes, u. a. bestimmt durch die Zahl der Marktteilnehmer, die Organisation der Beschaffungs- und Absatzwege, die Produktqualität, subjektive Präferenzen, Markttransparenz, Markteintrittsschranken, Konzentrationsgrad und Marktphase. Nach Sosnick32 sind diejenigen Eigenschaften des Marktes die Marktstruktur, die seine Formen, seinen Zustand und seine Zusammensetzung ausmachen. Nach Bart1in~3 zählen zur Marktstruktur solche Umstände des Wettbewerbsprozesses, die außerhalb der kurzfristigen Kontrolle der einzelnen Marktteilnehmer stehen und entsprechend Rahmendaten für die Wettbewerbs-

24

Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 69.

25 Die beiden letztgenannten Verhaltensweisen seien nur in Verbindoog mit be-

stimmten Marktstrukturen problematisch, Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 69. 26 Jantsch, in: SeiffertlRadnitzky (Hrsg.), S. 326 rechte Spalte. 27 Duden, Fremdwörterbuch, Stichwort "Struktur". 28 Brockhaus, Stichwort "Struktur", S. 246. 29 Poeche, FIW-Dok. I, S. 17. 30 Stocking, Antitrust BuH. 1959,375,387. 31 Gabler, Wirtschaftslexikon, "Marktstruktur", S. 2214. 32 Sosnick, FIW-Dok. I, S. 154. 33 Bartling, Leitbilder, S. 21.

80

I. Teil: Grundlagen

aktionen sind. Herdzina34 definiert die Marktstruktur eng35 . Unter der Struktur emes Ganzen sei die Zahl und die Häufigkeitsverteilung seiner Teile zu verstehen. Sie müsse in Quoten und Koeffizienten meßbar sein. Zur Marktstruktur gehören danach die Anzahl der Marktteilnehmer und ihre Marktanteile, also die absolute und relative Konzentration, sowie der vertikale und diagonale Konzentrationsgrad36 . Charakteristika der Marktstruktur sollen sein, daß Änderungen nur langfristig erfolgen (mit Ausnahme von Unternehmenszusammenschlüssen)37, Objektivitäe8 und bestimmender Einfluß auf den kurzfristigen Verhaltensspielraum der Unternehmen39 . 2. Marktstrukturmerkmale

Welche Merkmale als Marktstrukturmerkmale in Betracht kommen, hängt davon ab, ob man den Begriff der Marktstruktur eng oder weit versteht. Im folgenden soll zunächst von einem weiten Strukturbegriff ausgegangen werden. Die darunter erörterten Strukturmerkmale sind zahlreich. Es werden daher verschiedene Versuche zur Systematisierung der Marktstrukturrnerkmale unternommen. Eine der gängigeren Unterscheidungen ist diejenige zwischen markt- und unternehmensbezogenen Marktstrukturmerkmalen40 . Auch weitergehende Differenzierungen mögen möglich sein41 . Jedoch werfen alle derartigen Systematisierungen um so mehr Klassifizierungsprobleme auf, je ver34 Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 52 ff.; ders., Möglichkeiten Wld Grenzen, S. 9 f. 35 Er stellt neben Marktverhalten Wld Marktergebnisse noch die Wettbewerbsdetenninanten, zu denen die Marktstruktur gehört. Elemente, die nach überwiegender Ansicht zur Marktstruktur gehören, zählt er zu den Wettbewerbsdeterminanten. 36 Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 52 tT.; ders., Möglichkeiten und Grenzen, S. 9 f; zwar erörtert Herdzina (Wettbewerbspolitik, S. 75, 78, 79, 105 Wlter 11.) auch andere sogenannte Strukturmerkmale wie z. B. den Grad der Produktdifferenzierung, den DiversifIkationsgrad, den Grad der Marktoffenheit, das Kontrollsystem des Unternehmens (Eigentümer oder Manager) Wld sein Organisationssystem (funktional oder divisional). Von seiner engen Definition der Marktstruktur werden diese Merkmale jedoch nicht erfaßt. 37 Kantzenbach, AG 1986, 185, 186. 38 Bartling, Leitbilder, S. 25; Woll, S. 297. 39 Kantzenbach, AG 1986, 185, 186. 40 Ebenso BGH, 2l. 2. 1978 - Sachs/GKN, WuWIE 1501, 1507. 41 So unterscheidet Sosnick, FIW-Dok. I, S. 190 ff. wie folgt: l. Veränderbare Struktunnerkmale (durch die öffentliche Politik beeinflußbar), 2. eigentliche Struktunnerkmale (Situationen, die durch die Natur, die Technik, starre Institutionen, abgelaufene Vorgänge oder den Zufall bestimmt werden), dazu gehören a) Produkteigenschaften, b) Produktionseigenschaften, c) absatzbezogene Merkmale Wld d) organisatorische Aspekte.

D. Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle

81

ästelter sie sind. Daher werden im folgenden die Marktstruktunnerkmale nur danach unterschieden, ob sie sich auf den Markt, die Unternehmen oder die Produkte beziehen. Sinn dieser Einteilung ist nur die bessere Überschaubarkeit. Andere Folgen knüpfen sich nicht daran, so daß man über die ein oder andere zweifelhafte Einordnung hinwegsehen mag. Marktbezogene Marktstrukturrnerkmale sind: horizontaler Konzentrationsgrad (Zahl und Marktanteile der auf dem Markt tätigen Unternehmen42 ), vertikaler Konzentrationsgrad (Zahl und Marktanteile von mehrstufigen Unternehmen auf dem betreffenden Markt), konglomerater Konzentrationsgrad (Zahl und Marktanteile von Mehrproduktunternehmen auf dem betreffenden Markt), Makrokonzentration (Zahl und Größenverteilung der selbständigen Unternehmen in einer Volkswirtschaft, z. B. Anteil der größten 10, 100, 500 Unternehmen an der volkswirtschaftlichen Aktivität)43, Struktur der Marktgegenseite44, Marktzutrittsschranken45, Marktaustrittsschranken46, Marktphase 47, zeitliche und räumliche Ausdehnung des Marktes48 , Markttransparenz49 , potentieller Wettbewerb50 , Exportwettbewerb51 , Zugang zu den Absatz- und Beschaffungsmärkten52 , Anpassungsflexibilität von Angebot und Nachfrage 53 ,

42 Siehe auch § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB; Kantzenbach, AG 1986, 185; BGR, 21. 2. 1978 - Sachs/GKN, WuWIE BGH 1501, 1507: Abstand von der Konkurrenz und deren Zersplitterung; Mestmäcker, AG 1986,181,183;1. Schmidt, S. 52; Woll, S. 297. 43 Rerdzina, Wettbewerbspolitik, S. 74 f. 44 Struktunnerkmale der Schweizerischen Karte1lkommission, aufgezählt bei Ruffner, Funktionale Konkretisierung, S. 200; 1. Schmidt, S. 52. 45 Vgl. § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB; was Marktzutrittsschranken sind, ist umstritten. Die weite DefInition von Marktzutrittsschranken faßt nahezu alle Elemente des Marktgeschehens, die einen Marktzutritt verhindern können, als Marktzutrittsschranken auf (z. B.: economies ofscale, absolute Kostenvorteile u.a., siehe z. B. Bartling, Leitbilder, S. 130 ff.; Ruffoer, Funktionale Konkretisierung, S. 200). Die extreme Gegenposition der Chicago School und ihrer Anhänger sieht als Marktzutrittsschranken im wesentlichen nur staatliche Vorschriften an, die den Marktzutritt erschweren. Dagegen sollen die meisten der üblicherweise als Zutrittsschranken bezeichneten Zustände oder Verhaltensweisen nur eine Ausprägung des Wettbewerbs sein (ausführlich hierzu Schultze, S. 88 ff.). 46 1. Schmidt, S. 52 f. 47 Markert, AG 1986,173, 178; BGR, 21. 2.1978 -Sachs/GKN, WuWIE 1501, 1507. 48 Woll, S. 297; Poeche, FlW-Dok. I, S. 17 f. 491. Schmidt, S.52f.; BGR, 21.2.1978 -Sachs/GKN, WuW1E1501, 1507; Kantzenbach, AG 1986,185,186,191. 50 Emmerich, § 24, 4 c, S. 390, 12 d, S. 411; 1. Schmidt, S. 52 f 51 BGR, 2. 12. 1980 - KlöcknerlBecorit, WuWIE 1749, 1756. 52 Siehe § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB; Emmerich, AG 1986, 345, 350. 53 Siehe § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB; 1. Schmidt, S. 52 f. 6 Pohlrnann

82

1. Teil: Grundlagen

Substitutionswettbewerb54 , Ausweichmöglichkeiten von Anbietern und Nachfragern 55 , Grad der Produktdifferenzierung56, Preiselastizitäten, Einkommenselastizitäten der Nachfrage 57 , konjunkturelle Lage58 , Marktaufteilungen (durch Kartellei9 , Existenz von Absprachen zwischen Marktteilnehmern60, Organisationsgrad bei Kartellen61 , und speziell beim Oligopol: Binnen- und Außenwettbewerb62 sowie Stärkeverhältnis zwischen den Oligopolisten63 . Unternehmensbezogene Marktstrukturmerkmale sind: Finanzkraft64 , Unternehmensfonnl-verfassungl-aufbaul-organisation65 , Unternehmensgröße66, Grad der Diversifizierung67 , personelle oder finanzielle Verflechtungen68 , Beteiligungen, vertragliche Beziehungen zu Wettbewerbern, Abnehmern und Lieferanten, technologische Vorsprünge, Besitz von Schutzrechten69, Ansehen von Firma und Warenzeichen, Fähigkeit des Managements70, Stand des organisatorischen und technischen Wissens7\ Kostenfunktionen72, economies of scale (Größenvorteile)73, Unternehmertypus (initiativ/aktiv - konservativ/reaktiv)74 sowie Kapazitäten und Grad ihrer Auslastung75 . 54 Emmerich, § 24, 4 c, S. 390 (mit Einschränkungen), 12 d, S. 411. 55 Siehe § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB; I. Schmidt, S. 52 f; Mason, Harv. L. Rev., Vol. 62 (1949), 1265, 1267 f; Ruffner, Funktionale Konkretisierung, S. 200. 56 Zachmann, Tz. 3.029, S. 165.

Barlling, Leitbilder, S. 21. I. Schmidt, S. 52 f 59 Strukturmerkmale der Schweizerischen Karte1lkommission, aufgezählt bei Ruffner, Funktionale Konkretisierung, S. 198. 60 Mason, Harv. L. Rev., Vol. 62 (1949), 1265, 1277. 61 Strukturmerkmale der Schweizerischen Kartellkommission, aufgezählt bei RufJner, Funktionale Konkretisierung, S. 198. 62 Ruffner, Funktionale Konkretisierung, S. 200. 63 Emmerich, AG 1986, 345, 350. 64 Siehe auch § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB; Emmerich, AG 1986, 345, 350; BGH, 21. 2. 1978-Sachs/GKN, WuWIEBGH 1501, 1507; Mestmäcker, AG 1986, 181, 183. 65 Barlling, Leitbilder, S. 36; I. Schmidt, S. 52 f.; Woll, S. 297; Poeche, FIW-Dok. I, S. 17 f; Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 180 f 66 Ruffner, Funktionale Konkretisierung, S. 200; Barlling, Leitbilder, S. 21; Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 75; I. Schmidt, S. 52 f 67 I. Schmidt, S. 52 f; Woll, S. 297. 68 Siehe § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB; BGH, 21. 2.1978 - Sachs/GKN, WuWIE 1501, 1507;1. Schmidt, S. 52 f; Woll, S. 297; Sosnick, FIW-Dok. I, S. 190. 69 /. Schmidt, S. 52 f 70 Emmerich, AG 1986, 345, 350. 71 Poeche, FIW-Dok. I, S. 17 f 72 Barlling, Leitbilder, S. 21. 73 BGH, 21. 2.1978 - Sachs/GKN, WuWIE 1501, 1507. 74 Barlling, Leitbilder, S. 36; I. Schmidt, S. 52 f 57

58

D. Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle

83

Produktbezogene Marktstrukturmerkmale sind: Produktbeschaffenheie 6 , Produktdifferenzierung77 , die besondere Technologie, Innovationsgrad und Innovationspotential 78 .

IV. Kontrollgegenstand und Gegenstand des kartellbehördlichen Eingriffs Mit den Begriffen der Marktstruktur- und Marktverhaltenskontrolle unterscheidet man verschiedene Arten der wettbewerbsrechtlichen Kontrolle nach ihrem Kontrollgegenstand. Gegenstand der kartellbehördlichen Überprüfung ist in dem einen Fall die Marktstruktur, in dem anderen Fall das Marktverhalten. Die Kartellbehörden überprüfen bei der Marktstrukturkontrolle, welche Wettbewerbsbeschränkungen durch einen Zustand79 - die Marktstruktur im oben genannten weiten Sinne - eintreten. Bei der Marktverhaltenskontrolle überprüfen sie, welche Wettbewerbsbeschränkungen durch eine Maßnahme das Marktverhalten80 - eintreten. Diese Abgrenzung bedeutet nicht, daß bei der Marktstrukturkontrolle nicht auch Elemente des Marktverhaltens zu berücksichtigen sind und bei der Marktverhaltenskontrolle nicht Elemente der Marktstruktur. Da die Wirkung eines Marktverhaltens oder einer Marktstruktur nur unter Berücksichtigung aller Gegebenheiten des Marktes beurteilt werden kann, können und müssen bei der Marktverhaltenskontrolle auch Marktstrukturmerkmale und bei der Marktstrukturkontrolle auch Marktverhaltensmerkmale eine Rolle spielen. Bei der Kontrolle von Marktverhalten müssen z. B., um die wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen des Verhaltens zu bewerten, auch die Marktanteile der beteiligten Unternehmen herangezogen werden. So untersagen sowohl die deut-

751.

Schmidt, S. 52 f.; Smith, FIW-Dok. I, S. 143 f.; Ruffoer, Funktionale Konkreti-

sierung, S. 200.

76 Emmerich, § 24, 12 d, S.411; Ruffoer, Funktionale Konkretisierung, S.200; Smith, FIW-Dok. I, S. 143 f; Woll, S. 297. 77 Markert, AG 1986, 173, 178; RujJner, Funktionale Konkretisierung, S. 200;

BGH, 2l. 2.1978 -Sachs/GKN, WuWfE 1501,1507. 78 Emmerich, § 24, 12 d, S. 41l. 79 Nach der Terminologie von K. Schmidt, BB 1990, 719, 720, die von derjenigen von BorchardtiFikentscher, S. 3011, abweicht (siehe dazu auch Sandrock, Grundbegriffe, S. 232 ff.); diese hatten den Mißbrauch marktbeherrschender Stellungen als Wettbewerbsbeschränkung durch Zustand angesehen. § 19 GWB und Art. 86 EGV verbieten jedoch ein Verhalten, wenn auch nur unter der Voraussetzung einer bestimmten Marktstruktur. Kontrollgegenstand ist nicht die Struktur, sondern das Verhalten. 80 Wiederum nach der Terminologie von K. Schmidt, BB 1990, 719, 720.



84

1. Teil: Grundlagen

sche als auch die europäische Kartellbehörde unter bestimmten Voraussetzungen Vereinbarungen nicht, die Unternehmen mit sehr niedrigen Marktanteilen treffen8 !. Denn die Wirkungen von Kartellverstößen hängen auch von der Marktstruktur ab 82 . Umgekehrt können auch bei der Marktstrukturkontrolle Verhaltensaspekte einfließen83 , z. B. bei der Marktabgrenzung84 oder bei den Marktzutrittsschranken85 . Der Kontrollgegenstand ist zu unterscheiden von dem Gegenstand des kartellbehördlichen Eingriffs. Eine Rechtsordnung kann den Kartellbehörden vielfältige Eingriffsbefugnisse geben. Kartellbehörden können die Befugnis haben, Marktstrukturveränderungen zu untersagen oder anzuordnen und ebenso ein bestimmtes Marktverhalten anzuordnen oder zu untersagen. Der Gegenstand des kartellbehördlichen Eingriffs muß mit dem Kontrollgegenstand identisch sein. Das heißt, die Marktstrukturkontrolle kann nur Marktstruktureingriffe und die Marktverhaltenskontrolle nur Marktverhaltenseingriffe zur Folge haben. Will die Kartellbehörde in eine Marktstruktur eingreifen, muß sie diese zuvor untersuchen und bewerten, also zum Gegenstand der Kontrolle machen. Dasselbe gilt für Marktverhaltenseingriffe. Ein scheinbares Gegenbeispiel aus der europäischen Fusionskontrollpraxis drängt sich hier auf. Die Kommission genehmigt zum Teil Zusammenschlüsse unter bestimmten Auflagen für das künftige Marktverhalten der Beteiligten86 . Daraus läßt sich jedoch nicht schließen, die Marktstrukturkontrolle könne zu Marktverhaltenseingriffen führen. Der Verhaltenseingriff beruht auf der Prüfung, welche Verhaltensweisen bei der neuen Marktstruktur wettbewerbsbeschränkend wären. Es findet also neben der Strukturkontrolle eine Verhaltenskontrolle statt. Ob diese mit den Regeln des EG-Rechts vereinbar ist, ist eine andere Frage87 • 8! Kommission, Bagatellbekanntmachung (Nr. 9); BKartA, Bagatellbekanntmachung, unter II; ausflihrlich dazu Vogel, S. 34 ff. 82 Lenel, in: Amdt (Hrsg.), S. 201 ff.; Bartling, Leitbilder, S. 78. 83 Vgl. Alpert, WuW 1984, 566; im deutschen Recht ist umstritten, ob bei der Prognose nach § 36 Abs. I GWB (= § 24 Abs. I GWB a. F.) das Marktverhalten berücksichtigt werden darf, vgl. Markert, AG 1986, 173, 175 ff.; Kantzenbach, AG 1986, 185 ff.;Mestmacker, AG 1986,181,183. 84 Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 197,202 f; Scherer/Ross, S. 178 f 85 Ru.fJner, Neue Wettbewerbstheorie, S. 191 f 86 Vgl. Kommission, 2. 12. 1991 - TNT/Canada Post u. a., WuWIE EV 1754 (Nr. 51); 4.9.1992 - Elf Aquitaine-ThyssenIMinol, WuWIE EV 1878 (Nr. 12); 15.3.1994 - Unilever France/Ortiz Miko II, MCR B197 (Nr. 41 lit. e); zur Problematik der Verhaltensauflagen in der Fusionskontrolle Fuchs, WuW 1996,269,274 ff. 87 Dagegen spricht zweierlei: Die Kommission wendet der Sache nach Artt. 85, 86 EGV auf künftiges Verhalten an, was an sich schon zweifelhaft ist. Außerdem setzt Art. 86 EGV eine marktbeherrschende Stellung voraus, bei deren Entstehung durch einen Zusammenschluß dieser und nicht der drohende Mißbrauch der marktbeherrschen-

D. Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle

85

Eine Selbstverständlichkeit ist die Feststellung, daß der Eingriff der Kartellbehörde sich nicht auf alle von ihr kontrollierten Marktelemente erstreckt. Bei der Marktstrukturkontrolle etwa sehen die wettbewerbspolitischen Empfehlungen der verschiedenen wettbewerbstheoretischen Auffassungen ganz überwiegend nur Eingriffe in die Marktstruktur im engeren Sinne vor88 . Das heißt, die oben genannte Vielzahl von Marktstrukturelementen wird zwar bei der Beurteilung der Marktstruktur berücksichtigt; ein korrigierender Eingriff ist aber nur hinsichtlich der horizontalen, vertikalen und konglomeraten Konzentration vorgesehen. Eine Ausnahme ist die Möglichkeit von Auflagen, die andere Marktstrukturelemente, z. B. die Marktzutrittsschranken, betreffen. Über den engen Marktstrukturbegriff hinausgehend wird der Marktstrukturkontrolle auch die Kontrolle von Verflechtungen zwischen Unternehmen zugeschlagen. Solche Verflechtungen lassen zwar die Selbständigkeit der beteiligten Unternehmen häufig unberührt, so daß eine Konzentration im Sinne einer Verringerung der Zahl der Marktteilnehmer nicht vorliegt89. Aber Verflechtungen erweitern den Einfluß der Unternehmen über unternehmerische Ressourcen, so daß auch sie zu einer Zunahme wirtschaftlicher Macht führen.

v. Auslöser der Kontrolle Stehen damit der Gegenstand der Kontrolle und des folgenden kartellbehördlichen Eingriffs fest, bleibt noch zu klären, welche Sachverhalte welche Art von Kontrolle auslösen. Die Annahme, die Marktstrukturkontrolle werde durch Marktstrukturänderungen oder bestimmte bestehende Marktstrukturen ausgelöst und die Marktverhaltenskontrolle durch ein bestimmtes Marktverhalten, ist - noch ohne Blick auf eine bestimmte Rechtsordnung - nicht zwingend. Zu vielfaltig sind die wettbewerbstheoretischen Positionen und die aus ihnen folgenden politischen Empfehlungen. So zeigt etwa die oben geschilderte Praxis der Kommission, bei der Zusammenschlußkontrolle zugleich das künftige Verhalten der Unternehmen zu kontrollieren, daß eine Marktstrukturänderung eine Marktverhaltenskontrolle auslösen kann. Bei den Regeln über den Mißbrauch von Marktmacht löst ein Marktverhalten erst in Verbindung mit einer bestimmten Marktstruktur die

den Stellung zu untersagen ist. Dagegen auch Fuchs, WuW 1996, 269, 274 ff., der auf die fehlende Eignung von Verhaltensauflagen zur Abwendung struktureller Gefahren für den Wettbewerb hinweist. 88 Weitergehend aber z. B. Barlling, Leitbilder, S. 130 ff.; ders., WuW 1993, 16, 21 und 23 ff. 89 Vgl. Knöpfte, Problematik, S. 69.

86

1. Teil: Grundlagen

Verhaltenskontrolle aus. Umgekehrt will etwa Bartling als Vertreter eines modifizierten systhemtheoretischen Ansatzes auf strukturell bedingte wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen mit der Kontrolle der Marktstruktur reagieren90 . Hier löst erst das Marktverhalten zusammen mit der Marktstruktur die Strukturkontrolle aus. Eine ähnliche Möglichkeit findet sich z. B. im Antitrustrecht der USA91 • Die Begriffe Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle treffen daher ohne den Blick auf eine bestimmte Rechtsordnung keine Aussage darüber, ob Auslöser der Kontrolle eine Marktstrukturänderung, eine bestehende Marktstruktur oder ein Marktverhalten ist.

VI. Ergebnis zu D. Marktstruktur und Marktverhalten sind Begriffe aus der Wettbewerbstheorie, mit Hilfe derer man die Elemente des Marktgeschehens zu systematisieren sucht. Zum Marktverhalten gehören alle Verhaltensweisen der Unternehmen, die ihre Tätigkeit im Wettbewerb ausmachen. Zur Marktstruktur gehört nach der überwiegenden Terminologie eine Vielzahl von Elementen, aus denen sich der Markt zusammensetzt. Ein enger Marktstrukturbegriff umfaßt nur die Anzahl der Marktteilnehmer und ihre Marktanteile, also die absolute und relative horizontale Konzentration, sowie die vertikale und konglomerate Konzentration. Häufig werden auch Verflechtungen zu der Marktstruktur im engeren Sinne gerechnet. Die Begriffe Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle unterscheiden verschiedene Arten wettbewerbsrechtlicher Kontrolle nach ihrem Kontrollgegenstand. Bei der Marktstrukturkontrolle wird ein Zustand, die Marktstruktur, auf seine wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen hin untersucht, bei der Marktverhaltenskontrolle eine Maßnahme, das Marktverhalten. Auslöser der Marktstrukturkontrolle kann ein Marktverhalten, aber auch eine bestimmte Marktstruktur oder eine Marktstrukturveränderung sein. Auslöser der Marktverhaltenskontrolle kann jegliches Marktverhalten, aber auch eine bestimmte Marktstruktur oder ein marktstrukturändernder Sachverhalt sein. Die Terminologie hat insofern keine Festlegung zum Inhalt.

90 Bartling, Leitbilder, S. 108 ff.; ablehnend z. B. Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 238 ff.; /. Schmidt, S. 140 f., sofern die Marktstruktur durch internes Wachstum entstanden sei. 91 /. Schmidt, S. 140; Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 183.

D. Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle

87

Der Gegenstand des kartellbehördlichen Eingriffs deckt sich mit dem der Kontrolle insoweit, als Marktstrukturkontrolle nur zu Struktureingriffen, Marktverhaltenskontrolle nur zu Marktverhaltenseingriffen führen darf. Marktstruktureingriffe werden ganz überwiegend nur hinsichtlich der Marktstruktur im engeren Sinne diskutiert.

2. Teil

Die Entstehung des Unternehmensverbundes als Gegenstand der Marktstrukturkontrolle und der Marktverhaltenskontrolle In diesem Teil soll untersucht werden, ob die Entstehung eines Unternehmensverbundes im EG-Kartellrecht der Marktstrukturkontrolle und der Marktverhaltenskontrolle unterfallen kann. Dazu soll zunächst der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle aus wettbewerbstheoretischer Sicht als verschiedene Bereiche darstellen (A). Im Anschluß wird untersucht, wie das EG-Kartellrecht diese Bereiche ausgestaltet und welche Arten von Unternehmensverbindungen den einzelnen Bereichen zuzuordnen sind (B - E).

A. Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle als verschiedene Bereiche kartellbehördlicher Kontrolle I. Systematik von Wettbewerbsbeschränkungen und wettbewerbstheoretische Beurteilung In der Wettbewerbstheorie gibt es keine allgemein anerkannte Systematik von Wettbewerbsbeschränkungen1 . Trotz der unterschiedlichen Systematisierungsversuche läßt sich weitgehend ein Konsens über die Unterscheidung von vier möglichen Quellen von Wettbewerbsbeschränkungen feststellen: die horizontale, also zwischen Wettbewerbern erfolgende Koordination von Marktverhalten, die vertikale Bindung oder Koordination hinsichtlich des Marktverhaltens, der Mißbrauch von Marktmacht und die Marktstruktur, hervorgerufen durch internes oder externes Unternehmenswachstum.

1 Siehe z. B. die Systematisierungsversuche von Bartling, Leitbilder, S. 1, von Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 69 oder von /. Schmidt, S. 112 tI; wie hier Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, § 5 Rn. 52.

A. Bereiche kartellbehärdlicher Kontrolle

89

Die wettbewerbstheoretische Beurteilung dieser möglichen Quellen von Wettbewerbsbeschränkungen steht allerdings auf unterschiedlich festem Fundament. Bei der horizontalen Ex-ante-Koordination von Marktverhalten ist man sich über alle wettbewerbstheoretischen Ansätze hinweg einig, daß sie wegen der Beschränkung von Handlungsfreiheit auf dem Markt wettbewerbsbeschränkend sein kann. Denn durch die Beschränkung der Handlungsfreiheit der Beteiligten werden die Marktergebnisse, wie z. B. Preise oder Marktanteile, nicht im Wettbewerb entdecke, sondern von den Beteiligten z. B. durch Preisabsprachen oder Quoten im Vorhinein festgelegt. Das führt in der Regel zu schlechteren Marktergebnissen als denjenigen, die im freien Wettbewerb zustandegekommen wären. Allerdings gibt es neben diesen Fällen kollusiver Koordination Fälle, in denen die horizontale Ex-ante-Koordination bessere Marktergebnisse mit sich bringen kann. Bei vertikalen Bindungen oder Verhaltensabstimmungen gilt im Grundsatz dasselbe, wobei aber wettbewerbsf6rdernde Aspekte eher in Betracht kommen3 . Hinzu kommt, daß insbesondere bei der vertikalen Bindung die Abgrenzung zwischen wettbewerblichem und wettbewerbsbeschränkendem Marktverhalten schwierig ist, weil jeder normale Vertragsschluß, wie z. B. ein Kaufvertrag, die Handlungsfreiheit einschränkt. Bei dem Mißbrauch von Marktmacht ist die Identifikation wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens unsicherer, wie man z. B. an der Diskussion über den Ausbeutungsmißbrauch sieht4• Am wenigsten sicher ist das wettbewerbstheoretische Fundament bei der Marktstrukturkontrolle. Die umstrittene Kernfrage, ob und wie bestimmte Marktstrukturen sich auf den Wettbewerb auswirken, ist weit von jeglicher Klärung entfernt. So halten die Vertreter der workable competition5, sowie skeptischer - der industrial organization6, aber auch Vertreter eines modifizierten systemtheoretischen Ansatzes7 bestimmte Marktstrukturen für wettbewerbsbeschränkend. Andere Vertreter eines modifizierten systemtheoretischen Ansatzes nehmen an, es gebe wettbewerbsgefährdende Marktstrukturen, in

Grundlegend von Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren. So erklärt sich auch, daß viele GVOs vertikale Absprachen betreffen und z. B. das GWB vertikale Absprachen nur in Sonderfallen verbietet (§ 14 GWB), im übrigen aber einer Mißbrauchsaufsicht unterwirft (§ 16 GWB). 4 Siehe nur Schmidtchen, ORDO 30 (1979), 273 ff.; ders., Property Rights, S. 32, 57. 5 Zum Beispiel Kantzenbach, Funktionsfahigkeit, S. 48 f.; ders., WuW 1994,294 ff. 6 Zum Beispiel Scherer/Ross, S. 4 ff., 199 ff. (für das Oligopol). 7 Bartling, WuW 1993, 16, 24. 2

3

2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

')0

denen erstens wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen - wie horizontale und vertikale Koordination und der Mißbrauch von Marktmacht - eher vorkommen können und in denen zweitens bestimmte ansonsten unbedenkliche Verhaltensweisen eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung haben können8 . Nach diesen Ansichten muß Bestandteil einer umfassenden Wettbewerbspolitik eine Marktstrukturkontrolle sein. Dagegen sehen Vertreter des strengen systemtheoretischen Ansatzes in der Marktstruktur nur "eine Momentaufnahme des Marktprozesses" , die durch Wettbewerb entstehe, diesen aber nicht beeinflusse9 . Im Ergebnis ähnlich, aber mit anderem Ausgangspunkt, lehnt die Chicago-School das Bestehen wettbewerbsbeschränkender Marktstrukturen ab. Da mit Ausnahme staatlicher Marktzutrittsschranken der Marktzutritt frei sei, also keine weiteren Marktzutrittsschranken bestündenlO, bilde sich im Wettbewerb immer die effizienteste Marktstruktur herauslI. Nach diesen Ansichten verbieten sich grundsätzlich wettbewerbsbehördliche Eingriffe in die Marktstruktur. Bei der Marktstrukturkontrolle ist aber nicht nur umstritten, wie bestimmte Marktstrukturen wirken. Umstritten ist auch, wie verschiedene Arten von Marktstrukturänderungen als solche, also noch ohne Blick auf die entstehende Marktstruktur, zu bewerten sind. Die Marktstruktur kann sich durch internes oder externes Wachstum ändern. Ersteres wird überwiegend als vorteilhaft angesehen, weil es neue Kapazitäten schafftl2 . Zudem würde ein Eingriff in intern gewachsene Unternehmensstrukturen erfolgreiche Unternehmen bestrafen und damit unternehmerische Aktivitäten bremsen13 . Bei externem Wachstum durch Unternehmenszusammenschlüsse nimmt man überwiegend an, daß es wegen der Synergieeffekte und der Größenvorteile geeignet ist, bessere Marktergebnisse mit sich zu bringenl4 . Zusammenschlüsse können aber auch, abgesehen von marktstrukturellen Wirkungen, Nachteile mit sich bringen, etwa wenn die optimale Unternehmensgröße überschritten wird oder die Größe des Unternehmens zu (anderen) Ineffizienzen führt15. Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 187 ff.; älmlichPortwood, S. 8. Hoppmann, Fusionskontrolle, S. 52; Schmidtchen, Wettbewerbspolitik als Aufgabe, S. 191 f. 10 Einen der Chicago-School nahestehenden Begriff der Marktzutrittsschranken vertritt Schultze, S. 64 tI, 88 ff. 11 Z. B. R. H. Bork, S. 178 ff. mit Einschränkungen bei sehr hoher Konzentration, S. 217 ff., 221; siehe dazu auch SchmidtIRittaler, S. 48. 12 Z. B. Mäschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Rn. 710. 13 1. Schmidt, S. 140. 14 Z. B. Mäschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Rn. 709; Pathak, ECLR 1991, 171; siehe auch den Vergleich der Wirkungen konzentrativer und kooperativer GD bei TanugilEncaona/Winckler/SiragusaIBrunet, S. 259 ff. 15 1. Schmidt, S. 132. 8 9

A. Bereiche kartellbehördlicher Kontrolle

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11. Abgrenzung von Marktverhaltenskoordination und Marktstrukturänderung Die Abgrenzung zwischen Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle wird in der Wettbewerbstheorie nur im Hinblick auf die Abgrenzung von horizontaler und vertikaler Marktverhaltenskoordination einerseits und Marktstrukturänderung andererseits problematisiertl6 . Ob die Koordination von Marktverhalten und die Änderung der Marktstruktur sich überhaupt voneinander unterscheiden lassen, wird bezweifelt. Immer wieder wird betont, daß die Grenze zwischen beidem fließend sei 17. Kooperation und Konzentration unterschieden sich, so heißt es, nicht in ihrer Natur, sondern in ihrem Grad, weil in beiden Fällen die Zahl der Entscheidungszentren auf dem Markt abnehme 18. In beiden Fällen würden gleichermaßen die Möglichkeiten zu unabhängigem Parametereinsatz reduziert und die Wahl- und Betätigungsmöglichkeiten Dritter beeinträchtigt19. Zum Teil wird vorgeschlagen, Kartelle und Zusammenschlüsse nach denselben Maßstäben zu beurteilen20 ; die Unterscheidung zwischen Kartell und Zusammenschluß sei "one of the most provocative anomalies of law,,21. Auch die von der Kommission im Vorfeld des Konzentrationsmemorandums beauftragte Professorengruppe kam mehrheitlich zu dem Ergebnis, daß Koordination und Konzentration dieselben wirtschaftlichen Wirkungen haben können22 . Außerdem wird das Bestehen von Kartellabsprachen ebenso wie der Konzentrationsgrad als Element der Marktstruktur angesehen23 . Trotz dieser Zweifel an einer Abgrenzbarkeit von Koordination und Konzentration hält man in der Wettbewerbstheorie an dieser Unterscheidung fest. Als Grenze zwischen beidem wird zum Teil der Verlust wirtschaftlicher Selb-

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Vgl. Herdzina. Wettbewerbspolitik, S. 146 f

17 Kommission. Konzentrationsmemorandum, unter mAl; Vogel. S. 261 (Nr.288);

Herdzina. Wettbewerbspolitik, S. 146 f 18 Vogel. S. 261 (Nr. 288); Lohse. S. 62. 19 Satzky, S. 58. 20 R. H. Bork. S. 17; Hoppmann, Fusionskontrolle, S. 62 fI; 86 fI 21 Ja.IJelTobn·ner, Harv. L. Rev., Vol. 45 (1932),1164; siehe auch Benisch, FS Rittner, S. 17: Zusammenschluß und Verhaltenskoordination können gleichermaßen wettbewerbsschädlich und wettbewerbsförderlich sein. 22 Kommission, Konzentrationsmemorandum, m B 3. 23 Strukturmerkma1e der Schweizerischen Kartellkommission, aufgezählt bei Ru.IJner. Funktionale Konkretisierung, S. 198; Mason, Harv.L.Rev., Vol. 62 (1949), 1265, 1277.

2.Teil: Die Entstehung des Untemehmensverbundes

ständigkeit angesehen24 , zum Teil die Mehrheitsbeteiligung sowie jede andere Art der konzernrechtlichen Beherrschung eines Unternehmens 25 . Sieht man jeweils die eindeutigen Fälle von Marktverhaltenskoordination und Marktstrukturänderung, scheinen beide grundsätzlich unterschiedlich zu sein. Die Preisabsprache zwischen Wettbewerbern und die Fusion zweier Wettbewerber sind insofern grundsätzlich unterschiedlich, als die Preisabsprache eine Wettbewerbsbeschränkung bereits verwirklicht, weil sie die Handlungsfreiheit der Beteiligten beschränkt. Dagegen gibt die Fusion der fusionierten Einheit lediglich die Möglichkeit, die Preise einheitlich zu erhöhen26 . Andererseits sind die Wirkungen auf die Marktstruktur insofern gleich, als Kartell und fusionierte Einheit wie ein Anbieter auftreten. Bei der Beurteilung der wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen von Kartellabsprachen ist daher auch die Marktstruktur zu berücksichtigen27 • Das gilt zum einen für die Erlaubnis von Kartellabsprachen, für die die Marktstruktur mitentscheidend sein muß (vgl. auch Art. 85 Abs. 3 EGV sowie die Marktanteilsschwellen der GVOS28 ). Zum anderen sieht die kartellbehördliche Praxis häufig Marktanteilsschwellen vor, unterhalb derer die Koordinierung als vernachlässigbar angesehen wird29 . Die Tatsache, daß bei der Koordination von Marktverhalten auch die Marktstruktur zu berücksichtigen ist, macht die Kontrolle aber noch nicht in jedem Fall zur Marktstrukturkontrolle. Im Vordergrund steht beim typischen Kartell, daß die Koordination von Marktverhalten als konkret wettbewerbsbeschränkend gilt, weil sie die Handlungsfreiheit der Beteiligten beschränkt und weil dadurch die Marktergebnisse nicht im Wettbewerb entdeckt, sondern von den Beteiligten im Vorhinein festgelegt werden. Die mit dem Kartell verbundene Verschlechterung der Marktstruktur ist demgegenüber nur ein sekundäres Bewertungselement.

Scherer/Ross, S. 167 ff. Kantzenbach, Funktionsfähigkeit, S. 117. 26 Vgl. Mäschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Rn. 709; für grundsätzliche Unterschiedlichkeit auch Kommission, Grünbuch über die Revision der FKVa, Nr. 105. 27 Bartling, S. 78; Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft, Gutachten zum Wettbewerbsproblem, BT-Drs. IV/617, S.91; Lenel, in: H. Arndt (Hrsg.), S. 201 ff.; Lutz, FS Quack, S. 633,634 ff. 28 Art. 3 Abs.2, Abs. 3 va 418/85; Art. 3 Abs. 1 lit. a, Abs.2 lit. a va 417/85; Art. 11 Abs. llit. a, Abs. 2, 4. Spiegelstrich va 3932/92; Artt. 5 Abs. 2 Nr. 1, 7 Nr. 1 va 240/96. 29 Kommission, Bagatellbekanntmachung, Nr. 9 (nicht mehr als 5% Marktanteil bei horizontaler, 10% bei vertikaler Koordination); Bundeskartellumt, Bagatellbekanntmachung, Ir. (nicht mehr als 5% Marktanteil). 24

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Bei der Fusion dagegen wird allein die geschaffene Marktstruktur kontrolliert. Denn eine Wettbewerbsbeschränkung in Fonn der Beschränkung der Handlungsfreiheit der Beteiligten durch Ex-ante-Koordination des Verhaltens liegt nicht vor. Es ändert sich nur der Träger der unternehmerischen Handlungsfreiheit. Hinsichtlich der Marktergebnisse geht man in der Wettbewerbstheorie bis zur Erreichung einer bestimmten Machtposition, zum Teil sogar in jedem Fall, davon aus, daß die Fusion nicht notwendig schlechtere Marktergebnisse mit sich bringt, sondern daß insbesondere wegen der Synergieeffekte und Größenvorteile möglicherweise auch bessere Marktergebnisse erzielt werden können 30 . Zwischen den beiden Extrempunkten der punktuellen Verhaltenskoordination und der Fusion gibt es eine Vielzahl von Formen der Zusammenarbeit. Mit zunehmender Intensität der Zusammenarbeit nimmt dabei die Bedeutung der Verschlechterung der Marktstruktur zu. Je fusionsähnlicher die Zusammenarbeit wird, um so mehr können aber auch die potentiellen positiven Wirkungen der Zusammenarbeit zunehmen. Ein gutes Beispiel für die graduelle Steigerung der Zusammenarbeit ist der Fall Renault/Volv0 31 . Die beiden Unternehmen hatten eine Zusammenarbeit im PKW- und LKW-Bereich vereinbart. Im PKW-Bereich war eine wechselseitige Beteiligung von 25% geplant, im LKW-Bereich von 45%. Weiter war geplant, in beiden Bereichen bei Forschung und Entwicklung, Beschaffung, Produktion sowie - trotz getrennter Marketing- und Vertriebsaktivitäten - bei den strategischen Entscheidungen in Marketing und Vertrieb zusammenzuarbeiten. In beiden Fällen war die Zusammenarbeitsvereinbarung mit einer "escape clause" versehen, die bei Nichteinigung ein unabhängiges Vorgehen ennöglichte. Im LKW-Bereich war aufgrund der geplanten engeren wirtschaftlichen Verflechtung der Zusammenarbeit (Spezialisierung mit Nutzung der gemeinsamen Komponenten) nicht zu erwarten, daß die "escape clause" praktisch werden würde, weil die Intensität der Zusammenarbeit deren Aufkündigung wirtschaftlich sinnlos erscheinen ließ. Die Kommission hat die Vereinbarung hinsichtlich des PKW-Bereichs als Verhaltenskoordination, hinsichtlich des LKW-Bereichs als Konzentration angesehen. Der Sachverhalt verdeutlicht, daß eine scharfe Grenze, diesseits derer die Gefahren für den Wettbewerb eher denen einer Kartellvereinbarung ähneln und jenseits derer sie eher denen eines Zusammenschlusses ähneln, 30 Vgl. etwa Kantzenbach, Funktionsfahigkeit, S. 40 tI, 48 f., 139 ff. als Vertreter der workable competition; R.H.Bork, S. 217 ff., 221 als Vertreter der Chicago School; Hoppmann, Fusionskontrolle, S. 62 ff., 86 ff. (zum Teil seine ursprüngliche Auffassung einschränkend ders., Wirtschaftswoche 1981, 65). 31 Kommission, 7. 1l. 1990 - Renault1Volvo, WuWfE EV 1542 ff.; dazu Basedowl Jung, S. 185 ff.

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nicht zu ziehen ist. Auch in dem comfort letter, der für den PKW-Bereich aufgrund von Art. 85 EGV erteilt wurde, war die Existenz anderer starker Wettbewerber, also die Marktstruktur, ein wesentliches Kriterium32 . Die Abgrenzung von Marktstrukturänderung und Marktverhaltenskoordination ist des weiteren in Sachverhalten problematisch, in denen ein und derselbe Sachverhalt konzentrative Wirkungen in einem Bereich und kooperative Wirkungen in einem anderen Bereich hat (Beispiel: GU auf einem Markt führt zu Kooperation auf einem vorgelagerten Markt). Hier fragt sich aber, ob es überhaupt um die Abgrenzung zweier Sachverhalte geht - entweder Kooperation oder Konzentration - oder um das Verhältnis zweier Aspekte desselben Sachverhalts zueinander. Sieht man in diesen Kombinationssachverhalten ein Abgrenzungsproblem, kommt man nicht umhin, danach zu entscheiden, wo der Schwerpunkt des Sachverhalts liegt33. Festzuhalten bleibt daher, daß die Abgrenzung zwischen Marktstrukturänderung und Marktverhaltenskoordination durch die Wettbewerbstheorie nicht in der Weise vorgegeben ist, daß alle in Betracht kommenden Sachverhalte durch eine scharfe Trennlinie in Marktverhaltenskoordination und Marktstrukturänderung eingeordnet würden. Es könnte aber möglich sein, Sachverhalte zu definieren, die eine reine Marktstrukturänderung zum Inhalt haben. Das wären solche Sachverhalte, die keinerlei kooperative Elemente enthalten. Für solche Sachverhalte ließe sich annehmen, daß für sie die wettbewerbstheoretischen Bewertungen von Marktstrukturänderungen einschlägig sind. Die Wettbewerbstheorie kennzeichnet, wie dargelegt, die Grenze zur Marktstrukturänderung zum Teil mit dem Verlust der wirtschaftlichen Selbständigkeit, mit der Mehrheitsbeteiligung oder mit der konzernrechtlichen Beherrschung. Im folgenden soll näher untersucht werden, ob und wie sich reine Konzentrationssachverhalte definieren lassen.

III. Definition reiner Konzentrationssachverhalte Ausgangspunkt einer Definition reiner Konzentrationsvorgänge muß ihre wettbewerbstheoretische Bewertung sein. Warum Konzentrationsvorgänge trotz des fließenden Übergangs zu den Marktverhaltenskoordinationen anders behandelt werden als diese, wurde bereits oben dargelegt. Die Zusammenle32 Daß dies ein wesentliches Kriterium fur die Erteilung des COInfort letter war, wurde Basedow/Jung aufgrund von Gesprächen mit den zuständigen Sachbearbeitern bekannt (S. 187). 33 So die sogenannte "Schwerpunkttheorie" zur Beurteilung von GU, z. B. Knöpfte, BB 1980, 654, 658 ff.; ähnlich Satzky, S. 128 ff.

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gung von Ressourcen kann höhere Effizienz mit sich bringen. Auch bringt sie keine Ex-ante-Koordination von Marktverhalten gegenüber Wettbewerbern oder Marktpartnern mit sich. Die Ungewißheit, wie Konkurrenten, Abnehmer und Lieferanten sich verhalten werden, bleibt; umgekehrt bleiben diese im Ungewissen, wie die neue Einheit sich verhält. Die Annahme, es träten schlechtere Marktergebnisse ein, läßt sich auf Konzentrationsvorgänge daher nicht übertragen. Es fragt sich, ob sich hieraus Kriterien für die Abgrenzung rein konzentrativer Sachverhalte ergeben. 1. Zusammenfassung von Ressourcen unter einheitlichem Einfluß Effizienzvorteile in der Form von Größenvorteilen oder Synergieeffekten können nur eintreten, wenn Ressourcen unter einheitlichem Einfluß zusammengefaßt werden. Das ist der Fall, wenn ein Unternehmensträger die alleinige Verfiigungsbefugnis über weitere Ressourcen erlangt. Es ist weiter der Fall, wenn zwei oder mehr Unternehmensträger ihre Tätigkeiten zusammenlegen, indem sie sie vollständig auf ein von ihnen gegründetes GU oder ein anderes Unternehmen übertragen. Im ersten Beispiel entsteht die Konzentration durch Unterordnung, im zweiten Beispiel durch Gleichordnung. Erwirbt ein Unternehmen (A) 50% der Anteile an seinem bisher allein dem B gehörenden Wettbewerber, werden keine Ressourcen unter einheitlichem Einfluß zusammengefaßt. Allerdings ist auch in diesem Fall denkbar, daß Synergieeffekte und economies of scale eintreten. Denn A nimmt auf beide Unternehmen Einfluß und wird eine über dem Einzelinteresse stehende Perspektive beziehen. Dennoch ist wegen des Einflusses des B und des möglicherweise überwiegenden Interesses des A, sein eigenes Unternehmen voranzubringen, der Eintritt positiver Wirkungen keineswegs sicher. Dasselbe gilt erst recht, wenn A nur eine Minderheitsbeteiligung mit bestimmten Mitwirkungsrechten erwirbt. Das Kriterium der Zusammenfassung von Ressourcen unter einheitlichem Einfluß ist aber allein nicht zur Abgrenzung reiner Konzentrationsvorgänge geeignet. Denn es sagt nichts darüber, welchen Umfang der einheitliche Einfluß haben muß. So stehen etwa bei einem hoch organisierten Kartell die Ressourcen der Kartellmitglieder in großem Umfang unter einheitlichem Einfluß. Es bedarf also eines Kriteriums, das den Umfang des einheitlichen Einflusses beschreibt. 2. Verlust von Handlungsfreiheit Dieses Kriterium könnte der Verlust von unternehmerischer Handlungsfreiheit an den neuen Einflußinhaber sein. Denn nach dem oben Gesagten sind

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Konzentrationsvorgänge durch das Fehlen einer Ex-ante-Koordination von Marktverhalten charakterisiert. Die Ex-ante-Koordination von Marktverhalten beschränkt die Beteiligten in ihrer unternehmerischen Handlungsfreiheit, weil sie ihre Wettbewerbsparameter nicht mehr unabhängig voneinander einsetzen. Besteht zwischen den Beteiligten aufgrund der zu beurteilenden Transaktion aber keine unternehmerische Handlungsfreiheit mehr, kann auch keine Marktverhaltenskoordination mehr eintreten. Insofern könnte der Verlust von Handlungsfreiheit an den neuen Einflußinhaber Voraussetzung eines reinen Konzentrationsvorganges sein34 . Verlust von Handlungsfreiheit bedeutet, daß hinsichtlich der gesamten von der Vereinbarung betroffenen Ressourcen die unternehmerische Handlungsfreiheit auf den Erwerber übergehen muß. Im Unterordnungsverhältnis ist das unproblematisch zu bejahen, wenn ein Unternehmensträger allein ein anderes Unternehmen erwirbt. Im Gleichordnungsverhältnis ist das ebenfalls unproblematisch zu bejahen, wenn alle Beteiligten ihre gesamten Tätigkeiten auf ein GU übertragen. Das gilt unabhängig davon, welche Mitentscheidungsrechte der einzelne im GU hat. Schwierig zu beurteilen sind dagegen Fälle, in denen die Tätigkeiten zweier Unternehmen nur vertraglich koordiniert werden. Denn möglicherweise läßt der Vertrag dem einzelnen bestimmte Entscheidungsbefugnisse. Hier ist es erforderlich, daß die unternehmensleitenden Entscheidungen von dem neuen Einflußinhaber - sei es einem Unternehmen, sei es mehreren Unternehmen verbindlich für die Gesamtheit der Unternehmen getroffen wird. Die Betriebswirtschaftslehre unterscheidet bei den unternehmerischen Führungsaufgaben zwischen Unternehmensplanung, Durchführung und Kontrolle. Bei der Unternehmensplanung wird, anders als bei der Durchführung und der Kontrolle, über die künftige Tätigkeit des Unternehmens entschieden. In die langfristige unternehmenspolitische Rahmenplanung ist die ebenfalls langfristig ausgerichtete strategische Planung und in diese die organisatorische Planung eingebunden35 . Die Planung umfaßt die Finanzplanung, die Personalplanung sowie die Planung der einzelnen Unternehmensfunktionen wie Beschaffung, Produktion und Absatz. DeIjenige, dem die planenden Entscheidungen obliegen, 34 Teile der Literatur sehen den vollständigen Verlust von Handlungsfreiheit als Grenze zwischen Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle an; diese Grenze wird zum Teil mit derjenigen zwischen Konzern und Kartell gleichgesetzt; siehe Harms, Konzerne, S. 197 (Voll- oder Teilgemeinschaft); BKartA, TB 1973, BT-Drs. 7/2250, S. 98, 99; Mestmäcker, FS Hallstein, S. 322, 327; vgl. auch K. Schmidt, FS Rittner, S.561, 578 (einheitliche Leitung); Benisch, S. 303 f; vgl. auch Koch, in: GrabitzlHilf, nach Art. 86 Rn. 7 a. E., der darauf abstellt, ob die Qualität des Planungs- und Entscheidungsprozesses beeinträchtigt wird (dann Verhaltenskoordination) oder ob die Quantität der Planungs- und Entscheidungszentren sich verändert (dann Marktstrukturänderung); ähnlich z. B. BKartA, TB 1968, BT-Drs. V/4236, S. 45 (Verhaltensabstimmung zwischen Wettbewerbern oder Wegfall eines Wettbewerbers). 35 Gabler, Stichwort "Unternehmensplanung", II I, S. 3407.

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entscheidet also über den Einsatz der unternehmerischen Ressourcen im Wettbewerb. Besteht dagegen nur die Möglichkeit, einzelne unternehmensleitende Entscheidungen zu beeinflussen, sind zusammenschlußtypische Vorteile nicht zu erwarten36 . Im Gleichordnungsverhältnis kann das Vorliegen eines vollständigen Verlustes von Handlungsfreiheit hinsichtlich des betroffenen unternehmerischen Bereichs außerdem dann schwierig festzustellen sein, wenn Unternehmen nur Teile ihrer Tätigkeit zusammenlegen. Denn dann können von der Ressourcenzusammenlegung andere, nicht zusammengelegte Ressourcen der Beteiligten betroffen sein. Dann können zwar im Bereich der Ressourcenzusammenlegung zusammenschlußtypische Vorteile eintreten; diese werden jedoch durch Verhaltenskoordinationen auf anderen, mitbetroffenen Gebieten möglicherweise aufgehoben. Auch in Unterordnungssachverhalten ist es nicht ganz auszuschließen, daß sie zugleich eine Verhaltenskoordination bewirken. So ist es denkbar, daß der Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung eine Verhaltenskoordination zwischen dem Mehrheitsbeteiligtem und einem Minderheitsbeteiligten auf Gebieten außerhalb des betreffenden Unternehmens bewirkt. In solchen Fällen läßt sich der rein konzentrative Charakter der Transaktion nur negativ definieren. Ein vollständiger Verlust von Handlungsfreiheit hinsichtlich des gesamten betroffenen unternehmerischen Bereichs liegt nur vor, wenn in diesem Bereich keine Verhaltenskoordination bewirkt wird. Ob das der Fall ist. hängt von der - schwierigen - Bestimmung des unternehmerischen Bereichs ab. der von der Transaktion betroffen ise 7 . 3. Unentziehbarkeit des Einflusses Erwirbt ein Unternehmen 100% der Anteile eines anderen Unternehmens, so wird dadurch ein unentziehbarer Einfluß des Erwerbers begründet. Das Zielunternehmen kann sich seinem Einfluß nicht entziehen. Bei Kartellabreden dagegen können sich die Beteiligten durch ordentliche und außerordentliche Kündigungsrechte dem Einfluß der anderen entziehen. Darin sieht man in der Literatur einen wesentlichen Unterschied zwischen Konzern und Karte1l 38 . Zur Beschreibung reiner Konzentrationssachverhalte taugt dieses Kriterium nicht. Denn es steht mit dem Grund der Privilegierung von ZusammenschlüsSo auch Martens, S. 115: vgl. auch Piraino, Minn.L.Rev. 1991, I, 7. Vgl. auch McGrath, WuW 1985, 364, 370: tUr die Zulässigkeit von GU sei entscheidend, ob die vom GU getragene, gewinnbringende Einheit von anderen Marktbereichen, auf denen die Mütter Wettbewerber sind, gänzlich getrennt sei. 38 Hanns, Konzerne, S. 192 f.; vgl. auch BGH, 19. 1. 1993 - WAZffKZ, ZIP 1993, 858, 860 f.: Abhängigkeit im Sinne des Zusammenschlußtatbestandes setzt voraus, daß sich das abhängige Unternehmen dem Einfluß nicht entziehen kann. 36 37

7 Pohlmann

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sen nicht in Zusammenhang. So findet z. B. eine - zusammenschlußtypische Vorteile mit sich bringende - Zusammenfassung von Ressourcen auch statt, wenn ein Unternehmensträger ein anderes Unternehmen pachtet. Denn der Pächter kann jetzt auch über die Ressourcen des gepachteten Unternehmens verfügen. Trotzdem ist der Einfluß des Pächters nicht unentziehbar, weil die Pacht wie eine wirksame Kartellvereinbarung aus ordentlichen oder außerordentlichen Gründen kündbar ist. Dasselbe gilt bei gleichordnenden Sachverhalten wie z. B. der Übertragung aller Aktivitäten der Beteiligten auf eine paritätische Holding. Auch dort können die zusammenschlußtypischen Vorteile angenommen werden, obwohl es rechtliche Mittel zur Lösung der Bindung gibt. Versteht man die Unentziehbarkeit des Einflusses aber so, daß die einflußbegründende Abrede bis zu ihrer Aufhebung Bestand haben und solange auch ein alleiniges Vorgehen ausschließen muß, so ist das zweifellos Voraussetzung für das Vorliegen einer Marktstrukturänderung. Denn andernfalls bliebe die Handlungsfreiheit der Beteiligten bestehen. Zur Abgrenzung gegenüber der Marktverhaltenskoordination taugt die Unentziehbarkeit des Einflusses aber auch in diesem Sinne nicht. Denn auch zulässige Kartellabreden schließen im Bereich der Absprache ein alleiniges Vorgehen ohne Aufhebung der Absprache aus. 4. Vermögensverfügung oder Wettbewerbsbeschränkung In der Literatur hält man zum Teil für das entscheidende Abgrenzungskriterium, ob Schwerpunkt der Vereinbarungen eine Vermögensverfügung ist (dann Marktstrukturkontrolle) oder eine Wettbewerbsbeschränkung (dann Marktverhaltenskontrolle)39. Auch die Kommission hält eine eigentumsmäßige Verbindung für zusammenschlußtypisch40 . Dagegen ist einzuwenden, daß der Begriff der Vermögensverfügung oder der eigentumsmäßigen Verbindung auf einen dinglichen Tatbestand hinzudeuten scheinen; Verfügungsmacht über unternehmerische Ressourcen kann aber auch durch schuldrechtliche Vereinbarungen wie z. B. die Pacht, übergehen 41 . Abgrenzungskriterium könnte allenfalls sein, ob im wirtschaftswissenschaftlichen Sinne Verfügungsrnacht

3Y Miersch, S. 109; Knöpfle, BB 1980,654,658 tl; ähnlich Portwood, S. 3 (Wechsel in der Kontrolle oder in der Entscheidungsmacht über Eigentum). 40 Kommission, Konzentrationsmemorandum, III A 1. 41 Für zu t!ng hält auch Vogel, S. 260 (Nr. 287) einen solcht!1l Zusamrnt!nschlußbegritr

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über Ressourcen, also die Macht, unternehmerische Ressourcen im Wettbewerb einzusetzen42, übergegangen ist. 5. Übergang von Verfügungsmacht über unternehmerische Ressourcen Beim typischen Zusammenschluß gelangen vorher getrennte Ressourcen unter einheitliche Verfügungsmacht. Die Tatsache, daß die Ressourcen künftig einheitlich eingesetzt werden, rechtfertigt die Annahme zusammenschlußtypischer Vorteile. Der Übergang unternehmerischer Verfügungsmacht ist nichts anderes als die Kehrseite dessen, daß unternehmerische Handlungsfreiheit hinsichtlich des gesamten betroffenen unternehmerischen Bereichs verloren gehen muß. Das Kriterium verdeutlicht, daß ein vollständiger Verlust von Handlungsfreiheit nur vorliegt, wenn nicht nur ein bestimmtes Verhalten des Zielunternehmens verlangt werden kann, sondern wenn verlangt werden kann, das Verhalten des Zielunternehmens selbst zu bestimmen. Juristisch ausgedrückt darf nicht nur ein Anspruch auf ein bestimmtes Verhalten des Zielunternehmens gegeben sein, sondern ein Recht, das Verhalten des Zielunternehmens selbst zu bestimmen. 6. Tatsächliche Irreversibilität des geschaffenen Zustands Zum Teil wird das Vorliegen eines Konzentrationsvorgangs damit begründet, der geschaffene Zustand sei aus wirtschaftlicher Sicht tatsächlich irreversibel, etwa weil eine Aufspaltung der gemeinsamen Aktivitäten große Nachteile im Wettbewerb mit sich brächte43 . Umgekehrt wird das Fehlen eines Konzentrationsvorgangs damit begründet, daß der geschaffene Zustand jederzeit reversibel sei44 . Die Irreversibilität ist kein typisches Merkmal von Konzentrationssachverhalten45. Denn auch Spezialisierungsabreden zwischen selbständig bleibenden Wettbewerbern können aus wirtschaftlicher Sicht irreversibel sein, weil ihre Beendigung erhebliche Nachteile mit sich brächte. Bei Gleichordnungsverhältnissen können tatsächliche Hindernisse für die Rückgängigmachung des geschaffenen Zustandes aber ein Indiz dafür sein, daß die Beteiligten ihre 42 Woll, S. 79; vgl. auch die Bedeutung des BegritTs der VertUgung in der Theorie der VertUgungsrechte, siehe Gabler, Stichwort "Property Rights Theorie", 11 1, S.2697. 43 Kommission, 7.11. 1990 -Renault/Volvo, WuWfE EV 1542, 1544 (Nr. 5, 3. Spiegel strich); zustimmend PljnackeriHordijk, Case Note zu RenaultiVolvo, MCR, S. 7: auch BKartA, TB 1968 BT-Drs. V/4236, S. 45. 44 Kommission, 6. 2. 1991 - Baxter/NestIe/Salvia, WuWfE EV 1579, 1581 (Nr. 6). 45 So auch Vogel, S. 260 f. (Nr. 287).

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Handlungsfreiheit im vergemeinschafteten Bereich ganz aufgegeben und nicht nur beschränkt haben. 7. Exklusivität Harms 46 nennt die Exklusivität der Bindung als ein Charakteristikum des Konzerns, das beim Kartell fehle. Ein Unternehmen könne unzählige Kartellabsprachen treffen, aber nur einem Konzern zugehören. Diese Überlegung beruht auf der Annahme, ein Unternehmen könne nicht von mehr als einem einheitlichen unternehmerischen Willen abhängig sein47 . Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht ist dem zumindest für das deutsche Recht inzwischen wohl nicht mehr zu folgen. Aus kartellrechtlicher Sicht ist die 'Exklusivität der Bindung nur die Kehrseite der Voraussetzung, daß die unternehmerische Handlungsfreiheit in vollem Umfang auf den neuen Einflußinhaber übergehen muß. Das Kriterium der Exklusivität hat daher keine selbständige Bedeutung. Es grenzt zudem Konzentrationsvorgänge nicht durchgängig von Kooperationsvorgängen ab. Denn auch die Zugehörigkeit zu einem hoch organisierten Kartell schließt parallele Bindungen aus. 8. Zweck

Als wirtschaftswissenschaftliches Abgrenzungskriterium zwischen Kartellen und Unternehmenszusammenschlüssen hält man zum Teil die unterschiedlichen Zwecke für maßgeblich. Das Kartell habe den Zweck, direkt auf die Preisgestaltung am Markt einzuwirken. Dagegen habe ein Zusammenschluß den Zweck, die innerbetrieblichen Kosten zu senken und damit die Gewinne zu maximieren48. Gewinnmaximierung durch Kostensenkung sei nur zu erwarten, wenn die Zusammenschlußbeteiligten ein gemeinsames Interesse daran hätten, die zusammengelegten Faktoreinsatzmengen verhältnismäßig zu verringern und dadurch die Stückkosten zu senken49 . Als Abgrenzungskriterium ist der Zweck jedoch nicht geeignet. Es ist zum einen zweifelhaft, ob die beiden unterschiedlichen Zwecke in ihrer Reinform

Hanns, Konzerne, S. 199 1'. Nach der damals herrschenden Ansicht im Konzemrecht war es ausgeschlossen, daß ein Unternehmen von mehreren Unternehmen abhängig war; anders später BGH, 4. 3. 1974 - Seitz, BGHZ 62, 193, 196 tr und die heute herrschende Meinung im Aktienrecht, siehe statt aller Koppensteiner, in: Kölner Kommentar, § 17 Rn. 70 und 18 Rn. 15. 4~ Krimphove, S. 150 1'.; Vetter, S. 68 tr, 78 tr 4~ Vetter. S. 68 tr, 78 tr 46

4-

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überhaupt vorkommen50 . Auch typische Verhaltenskoordination kann Rationalisiemngszwecke verfolgen. Zum anderen wäre, da die Unternehmen den Kartellbehörden ihre wettbewerbsbeschränkenden Zwecke kaum freimütig darlegen werden, der Zweck anhand objektiver Umstände nachzuweisen. Dabei wäre man auf Kriterien wie die bisher genannten und die noch folgenden verwiesen, so daß der Zweck als eigenständiges Kriterium bedeutungslos bliebe. So ist etwa Vetter, der zahlreiche Sachverhalte anhand des ZweckKriteriums "durchdekliniert", gezwungen, in bestimmten Grenzfallen auf das Kriterium des Einflusses auf die Geschäftspolitik abzustellen51 . 9. Dauer Zum Teil hält man die Dauer der geplanten Verbindung für ein Kriterium, anhand dessen die kurzfristige Verhaltenskoordination und die langfristige Konzentration unterschieden werden können52 . Daß die Dauer kein durchgängiges Merkmal von Konzentrationssachverhalten ist, sieht man aber schon an der Unternehmenspacht, die nicht zu einem dauerhaften Übergang von unternehmerischen Ressourcen führt. Aber auch bei anderen Konzentrationssachverhalten wie etwa dem IOO%igen Anteilserwerb vertritt niemand die Ansicht, erst die Garantie, der Zustand werde mindestens 5, 10 oder 15 Jahre anhalten, führe zu einer Marktstrukturändemng. Das Kriterium der Dauer ist daher nicht geeignet, Konzentrationssachverhalte von Marktverhaltenskoordinationen abzugrenzen 53 . Es kann jedoch ein Indiz dafür sein, daß wirklich eine Zusammenlegung von Ressourcen gewollt ist. 10. Wirtschaftliche Selbständigkeit, insbesondere selbständige Unternehmensplanung Die Grenze zwischen Konzentration und Koordination soll nach zum Teil vertretener Ansicht dort verlaufen, wo durch die Vereinbarungen eine neue wirtschaftliche Einheit entsteht oder, anders formuliert, die Beteiligten ihre wirtschaftliche Selbständigkeit aufgeben54 . Wie bereits oben dargelegt wur50 Dagegen mit Beispielen Harms, Konzerne, S. 176 f; Lenel, in: Amdt (Hrsg.), S. 201,206 f 51 Z. B. Vetter, S. 101. 52 Siehe nur Art. 3 Abs. 2 S. 2 FKVO sowie Kommission, Zweite AbgrellZUflgsbekanntmachung, Nr. 16: dies., 7. WB (1977), Nr. 30; BKartA, TB 1973 BT-Drs. 7/2250, S. 98,99. 53 Im Ergebnis ebenso Gromann, S. 101 f; Harms, Konzerne, S. 191 1'.; K. Schmidt, FS Rittner, S. 561,580; siehe auch Sonnenberger, WuW 1971, 162, 164. 54 Kommission, 7. WB (1977), Nr. 30; Lohse, S. 63; K. Schmidt, FS Rittner, S. 561, 577; Benisch, S. 303 f.: vgl. auch Scherer/Ross, S. 167 tI

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de,55 ist der Begriff der wirtschaftlichen Einheit nicht etwa ein feststehender Begriff der Wirtschaftswissenschaften56 ; dasselbe gilt für die wirtschaftliche Selbständigkeit. Um festzustellen, ob ein Unternehmen seine wirtschaftliche Selbständigkeit aufgegeben hat, müssen also weitere Kriterien herangezogen werden, die sich zum Teil mit den bisher genannten decken. Ein bisher nicht erörtertes Kriterium ist die Selbständigkeit der Unternehmensplanung. Eine Marktstrukturänderung soll vorliegen, wenn die beteiligten Unternehmen zu einer Planungseinheit zusammengefaßt werden57 . Eine Planungseinheit soll vorliegen, wenn nicht mehr die Einzelinteressen der beteiligten Unternehmen verfolgt werden, sondern das Interesse der neuen Einheit der Orientierungspunkt für die Planung ist58 . Erfaßt ein Sachverhalt die unternehmerischen Tätigkeiten der Beteiligten ganz, so liegt ein konzentrativer Sachverhalt schon deshalb vor, weil die gesamte unternehmerische Handlungsfreiheit des ursprünglichen Unternehmensträgers in dem betroffenen Bereich wegfällt. Das zusätzliche Kriterium der Planungseinheit ist hier entbehrlich. In den problematischen Fällen, in denen nur vertikale oder horizontale Teilbereiche der unternehmerischen Tätigkeit der Beteiligten gleichgeordnet werden, ist das Kriterium der Planungseinheit zur Abgrenzung nicht geeignet. Es ist ausgeschlossen, daß die Beteiligten im vergemeinschafteten Bereich ihre Eigeninteressen außer acht lassen und sich bei der Planung nur an dem Interesse des vergemeinschafteten Bereichs orientieren59 . 11. Träger des untemehmerischen Risikos Ein Kriterium zur Abgrenzung der Konzentration von der Marktverhaltenskoordination soll es sein, wenn die Beteiligten hinsichtlich der gleichgeordneten Tätigkeiten einen internen Ausgleich der wirtschaftlichen und finanziellen Risiken vorsehen60 . Eine Aufteilung von Gewinn und Verlust gibt es 55 1. Teil C m, S. 74 ff. 56 Siehe nur Gabler, Stichwort "Wirtschaftliche Einheit", S. 3782. 57 Miersch, S. 78 f; Marchand, S. 19 f jeweils m. w. N.; Kerstin Schmidt, S. 154 f 58 Miersch, S. 78 f; Gromann, S. 105; ähnlich K. Schmidt, FS Rittner, S. 561, 577: nicht mehr Wahrnehmung von Partikularinteressen, sondern wirtschaftliche Vereinigung; K. Schmidt hält aber letztlich andere Kriterien fll.r erforderlich, anhand derer man das Bestehen einer wirtschaftlichen Einheit feststellen kann. 59 Anschaulich Bömer, in: HuberlBörner, S. 179, 197 filr GU: "Bei ihren Entscheidungen können aber die Aufsichtsratsrnitglieder oder die Gesellschafter die Interessen der Mütter nicht sozusagen vergessen und sich ausschließlich an einem Eigeninteresse der Tochter ausrichten"; ihm folgend Lohse, S. 35 f 60 Kommission, 7. WB (1977), Nr. 30; BKartA, TB 1968 BT-Drs. V/4236, S.45; vgl. auch Geßler, WuW 1971,159,160.

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jedoch auch in Fällen der Marktverhaltenskoordination, wie zum Beispiel bei den Syndikaten61 . Sie ist daher nicht geeignet, Marktstrukturveränderungen durchgängig von der Marktverhaltenskoordination zu unterscheiden62 . Allerdings wird, wenn eine gemeinsame einheitliche Leitung des vergemeinschafteten Bereichs gegeben ist, in der Regel auch eine gemeinsame Risikotragung vorliegen. 12. Ergebnis zu m. Ein rein konzentrativer Sachverhalt liegt unter zwei Voraussetzungen vor. Erstens müssen unternehmerische Ressourcen unter einheitlichem Einfluß zusammengefaßt werden. Das setzt voraus, daß die unternehmerische Handlungsfreiheit hinsichtlich der betroffenen unternehmerischen Ressourcen auf den Einflußerwerber übergeht. Sind verschiedene unternehmerische Bereiche von der Zusammenarbeit betroffen, kann zwar hinsichtlich eines Bereichs eine Ressourcenzusammenfassung unter einheitlichem Einfluß gegeben sein. In einem anderen Bereich kann aber Verhalten koordiniert werden. Ein rein konzentrativer Sachverhalt liegt dann nicht vor. Daher setzen rein konzentrative Sachverhalte zweitens - negativ - voraus, daß keine Verhaltenskoordination bewirkt wird. Damit ist der Bereich reiner Konzentrationssachverhalte sehr eng. Er erfaßt nur den Erwerb mehrheitlichen Einflusses (Unterordnung) sowie die Gleichordnung zuvor getrennter Ressourcen unter einheitlichem Einfluß, vorausgesetzt, es wird nicht zugleich Verhalten koordiniert.

IV. Wettbewerbspolitische Möglichkeiten Es fragt sich, wie eine Wettbewerbsordnung auf den unter I. und 11. geschilderten wettbewerbstheoretischen Befund reagieren kann. Probleme bereitet es hier insbesondere, dem fließenden Übergang zwischen Konzentration und Kooperation Rechnung zu tragen. Hier sind zwei Wege denkbar. Eine Wettbewerbsordnung kann einen einheitlichen Kontrollrnaßstab für alle Fälle vom Kartell bis zur Fusion vorsehen63 . Es wäre dann jeweils im Einzelfall zu Siehe Immenga, in: hnmengalMestmäcker, § 1 Rn. 103. So im Ergebnis auch Huber, ZHR 131 (1968), 193,247 f; Benisch, S. 303; anders fUr den Gleichordnungskonzem, bei dem aber ohnehin definitionsgemäß die einheitliche Leitung gegeben ist (§ 18 Abs. 2 AktG), K. Schmidt, FS Rittner, S. 561,579. 63 So interpretiert Vogel, S. 244, das US-amerikanische System. Angesichts der speziellen Regeln der Sec. 7 Clayton Act fiir den Anteils- und Vermögenserwerb gilt das nur cum grano salis. 61

62

104

2.Teil: Die Entstehung des Unternelunensverbundes

prüfen, ob der Sachverhalt eher der positiveren Bewertung von reinen Konzentrationsvorgängen oder eher der negativen Bewertung von reinen Verhaltenskoordinationen zu unterwerfen ist. Ein anderer Weg wäre es, zwei verschiedene, auf die Extremtypen abstellende Kontrollrnaßstäbe vorzusehen, die sich in der Mitte annähern. Dabei wäre es denkbar, jeweils beide Grundnormen oder nur eine von ihnen so auszugestalten, daß sie dem fließenden Übergang zwischen einem Überwiegen des Marktverhaltensaspekts und einem Überwiegen des Marktstrukturaspekts Rechnung tragen. Gestaltet man nur eine Grundnorm flexibel aus, könnte man zum Beispiel in der anderen, der unflexiblen Grundnorm, den Bereich reiner Marktstrukturänderungen erfassen. Welchen Weg man bevorzugt, hängt von der wettbewerbstheoretischen Grundposition ab. Zieht man in Übereinstimmung mit den systemtheoretischen Ansätzen gesetzliche per-se-Verbote aufgrund einer wirtschaftswissenschaftlichen a-priori-Beurteilung vor, die dann vorwiegend juristischer Beurteilung unterliegen und demzufolge zu höchstmöglicher Rechtssicherheit führen, wird man sich für zwei gesetzlich fixierte Kontrollrnaßstäbe entscheiden. Folgt man wohlfahrtsökonomischen Ansätzen, wird man den per-seVerboten die rule of reason, der wirtschaftswissenschaftlichen a-prioriBeurteilung die ad-hoc-Beurteilung, der juristischen Entscheidung die wirtschaftswissenschaftliche Entscheidung64 und der Rechtssicherheit die Einzelfallgerechtigkeit vorziehen. Dann wird man für einen einheitlichen Kontrollrnaßstab mit großem Entscheidungsspielraum plädieren65 .

v. Das Konzept des europäischen Kartellrechts - Thesen Es fragt sich, inwieweit in den Wettbewerbsregeln der EG Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle als unterschiedliche Bereiche der Kontrolle ausgestaltet sind. Hier sollen anhand eines ersten Blicks auf den Wortlaut der drei Grundnormen des europäischen Wettbewerbsrechts Thesen aufgestellt werden. Diese gilt es dann zu überprüfen. Ob eine wettbewerbsrechtliche Norm der Marktstrukturkontrolle oder der Marktverhaltenskontrolle dient, läßt sich nach dem oben (1. Teil D, S. 76 ff.) 64 Damit zieht man auch eine Besetzung der Kartellbehörden mit VolkswirtschatlswissenschatUern derjenigen mit Juristen vor, vgl. Hoppmann, in: Hoppmann/ Mestmäcker, S. 13. 6) Zu den beiden Idealtypen wettbewerbstheoretischer Ansätze siehe Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 114; die wirklich vertretenen Autlassungen sind vielfältige Mischungen bei der Grundpositionen, vgl. nur die Kurzcharakterisierungen bei Ru.fJner, Neue Wettbewerbstheorie, S. 36,47,73,84, 108, 140,234.

A. Bereiche kartellbehördlicher Kontrolle

105

Gesagten nur am Gegenstand der Kontrolle, nicht dagegen an ihrem Auslöser erkennen. Denn sowohl Marktstrukturkontrolle als auch Marktverhaltenskontrolle können durch Marktverhalten, durch bestehende Marktstrukturen oder durch Marktstrukturänderungen ausgelöst werden. Daher soll der erste Blick auf die drei Grundnormen der EG-WeUbewerbsregeln dem Kontrollgegenstand gelten, so wie er sich nach dem Wortlaut der Normen darstellt. Da die FKVO mit Wirkung zum 1. 3. 1998 in dem hier entscheidenden Punkt geändert worden ist, wird zunächst die alte, dann die neue Rechtslage vorgestellt. 1. Rechtslage bis zum 28. 2. 1998

Bei Art. 2 FKVO a. F. ist der Kontrollgegenstand eindeutig. Art. 2 FKVO a. F. ist eine Norm zur Kontrolle von Marktstrukturen. Nach Art. 2 Abs. I S. 2 lit. a FKVO hat die Kommission bei der Prüfung, ob eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird, insbesondere die Struktur aller betroffenen Märkte sowie den tatsächlichen und potentiellen Wettbewerb zu berücksichtigen. Sämtliche der unter Art. 2 Abs. 1 S. 2 lit. b FKVO genannten Kriterien, anhand derer die Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung zu prüfen ist, sind Marktstrukturmerkmale im oben genannten Sinne6 ',. Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. hielt zudem die Prüfung von Verhaltenskoordinationen eindeutig aus dem Anwendungsbereich der FKVO heraus. Bei Art. 86 EGV ist Gegenstand der Kontrolle, ob ein Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung mißbräuchlich ausnutzt. Gegenstand der Kontrolle ist damit, ob eine bestimmte Verhaltensweise als mißbräuchlich anzusehen ist. Das spricht dafür, daß Art. 86 EGV eine Norm der Marktverhaltenskontrolle ist. Auch die Regelbeispiele des Art. 86 S. 2 EGV betreffen allesamt das Marktverhalten. Das mißbräuchliche Verhalten ist verboten, ein Eingriff in die mißbräuchlich ausgenutzte Marktstruktur ist aber nicht vorgesehen. Bei Art. 85 EGV ist nach Absatz I Gegenstand der Kontrolle, ob Vereinbanmgen, Beschlüsse oder abgestimmtes Verhalten eine Wettbewerbsbeschränkung bewirken oder bezwecken. Nach diesem Wortlaut ist jedenfalls Marktverhalten Gegenstand der Kontrolle; das ergibt sich auch aus den Regelbeispielen des Art. 85 Abs. I EGV Der Wortlaut läßt aber offen, ob nur Marktverhalten oder auch die Marktstruktur kontrolliert wird. Art. 85 Abs. 3 EGV nennt Kriterien für eine Freistellung vom Verbot des Abs. 1. Diese Kriterien entsprechen zum Teil de~enigen des Art. 2 Abs. I S. 2 lit. b FKVO. In Art. 85 Abs. 3 lit. b EGV wird die Freistellung zudem an die Voraussetzung geknüpft, daß den Unternehmen keine Möglichkeit eröffnet wird, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.

(,6

I. Teil 0

m2, S. 80 tr

106

2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

Dieses Kriterium hat in erster Linie eine PIiifung der Marktstruktur zum Inhalt67 . Es ähnelt zudem demjenigen des Art. 2 Abs.2, Abs.3 FKVO, daß wirksamer Wettbewerb nicht erheblich behindert werden darf. Daher erscheint Art. 85 EGV als schillernde Norm, die sowohl das Marktverhalten als auch die Marktstruktur zum Gegenstand kartellbehördlicher Kontrolle macht68 . 2. Rechtslage ab dem 1. 3. 1998 Mit Wirkung zum 1. 3. 1998 ist die FKVO durch die VO 1310/97 geändert worden69 . Art. 3 Abs. 2 FKVO nimmt Verhaltenskoordinierungen nicht mehr aus dem Anwendungsbereich der FKVO heraus. Art. 2 Abs. 4 FKVO sieht vor, daß die Kommission Verhaltenskoordinierungen, die mit einem Zusammenschluß verbunden sind, nach Art. 85 Abs. I und 3 EGV beurteilt. Diese Neuregelung hat in erster Linie verfahrensrechtliche Bedeutung7o . Sie ändert jedenfalls unmittelbar nichts daran, daß der materiell-rechtliche Prüfungsmaßstab für Verhaltenskoordinationen Art. 85 EGV ist, für Konzentrationen Art. 2 FKVO. Ob möglicherweise beide PIiifungsmaßstäbe sich angleichen werden, ist eine andere Frage71 . Es bleibt daher auch nach der Novelle festzuhalten: Eine erste Untersuchung des Wortlauts der Wettbewerbsregeln ergibt also, daß Art. 2 FKVO Norm der Marktstrukturkontrolle und Art. 86 EGV Norm der Marktverhaltenskontrolle ist, und daß Art. 85 EGV Elemente von Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle vereint. Berücksichtigt man nun noch, welche Sachverhalte nach den Tatbeständen jeweils die Kontrolle auslösen, lassen sich folgende Thesen aufstellen: Art. 3 FKVO erfaßt mit den Zusammenschlüssen bestimmte Konzentrationssachverhalte ohne kooperative Elemente (unten B., C.). Art. 85 EGVerfaßt Fälle des fließenden Übergangs zwischen Konzentration und Kooperation bis

67 VgI. GleisslHirsch, Art. 85 Rn. 1950 fT. (Marktanteil), Rn. 1954 tT. (Marktverhältnisse ), Rn. 1963 (Struktur der Marktgegenseite ); zur Bedeutung der lit. b im Rahmen einer europarechtsfreundlichen Auslegung des § 102 GWB siehe Kollhosser, ZVersWiss 1991, 105, 114 f. 68 Vgl. auch Schröter, in: von der GroebenfThiesinglEhlermann, Art. 85 FallgruppenRn. 144. 69 VO (EG) Nr.1310/97 vom 30.6. 1997 zur Änderung der VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABI. 1997 L 180/1. 70 So auch Idot, La Semaine Juridique, Edition Entreprises 1997, 389, 390 (unter 12.). 71 Siehe dazu unten 3. Teil E, S. 286 ß:

B. Die Detinition von Konzentrationssachverhalten

107

hin zur reinen Kooperation (unten D.). Art. 86 EGV erfaßt mißbräuchliches Verhalten injeder Form, ermöglicht aber keine Marktstrukturkontrolle (E.).

B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten in Art. 3 Abs. 1, 3, 4 FKVO I. Überblick über den Tatbestand Nach Art. 3 Abs. 1 FKVO wird ein Zusammenschluß entweder durch Fusion voneinander unabhängiger Unternehmen (lit. a) oder durch Kontrollerwerb (lit. b) herbeigeführt. Art. 3 Abs. 3 und Abs. 4 FKVO ergänzen den Tatbestand des Kontrollerwerbs. Art. 3 Abs. 2 FKVO stellt zusätzliche Voraussetzungen auf. unter denen die Gründung eines GU ein Zusammen schluß ist. Seine Bedeutung für die Definition reiner Marktstrukturänderungen wird unter C, seine Bedeutung für das Konkurrenzverhältnis zwischen Art. 85 EGV und FKVO im 3. Teil behandelt. Art. 3 Abs. 5 FKVO enthält spezielle Ausnahmen zu Art. 3 Abs. 1 FKVO für Finanzdienstleistungsunternehmen, Insolvenzverwalter und Beteiligungsgesellschaften. Der Tatbestand der Fusion ist nicht näher umschrieben. Der Tatbestand des Kontrollerwerbs ist auf drei Absätze verteilt. Art. 3 Abs. 1 lit. b, 1. und 2. Spiegelstrich FKVO regeln, wer als Erwerber der Kontrolle in Betracht kommt. Das sind ein oder mehrere Personen, die bereits mindestens ein Unternehmen kontrollieren, und ein oder mehrere Unternehmen. Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO nennt dann beispielhaft Tatbestände, mittels derer die Kontrolle erworben werden kann ("Erwerbstatbestände")l. Dazu gehört z. B. der Erwerb von Anteilsrechten oder von Vermögenswerten. Art. 3 Abs. 3 FKVO nennt die möglichen Kontrollmittel. Rechte, Verträge oder andere Mittel können Kontrollmittel sein. Beispielhaft zählen Art. 3 Abs. 3 litt. a, b FKVO einige Kontrollmittel auf. Diese Kontrollmittel überschneiden sich nicht mit den Erwerbstatbeständen 2 . Der Erwerbstatbestand meint den Erwerbsvorgang, also z. B. den Kauf und die Abtretung von Gesellschaftsanteilen oder den Kauf und die Übereignung von Vermögensgegenständen. Die Kontrollmittel bezeichnen die nach Vollendung des Erwerbstatbestands bestehende Rechtsposition, z. B. das Anteilsrecht oder das Eigentum. Die Kontrollmittel müssen nach Art. 3 Abs. 3 FKVO die Möglichkeit gewähren, einen bestimmenden Einfluß auf die Tätigkeit eines Unternehmens auszuüben. Der bestimmende Einfluß ist der Kern des Kontrollbegriffs. So1 2

VgL Bechtold, RIW 1990, 253, 255: "ErwerbsgrUnde" . Anderer Ansicht Bechtold, RIW 1990, 253, 255.

lü8

2. Teil: Die Entstehung des Untemelunensverbundes

wohl der Erwerbstatbestand als auch die Kontrollmittel sind so weit gefaßt, daß ihnen nur eine schwache Abgrenzungsfunktion zukommt. Denn als Kontrollerwerb reicht der Erwerb "in sonstiger Weise". Art. 3 Abs. I lit. b FKVO, und als Kontrollmittel jedes "andere Mittel", Art. 3 Abs. 3 FKVO. Verkürzt ließen sich Art. 3 Abs. I lit. b FKVO und Art. 3 Abs. 3 FKVO auch so lesen: "Ein Zusammenschluß wird dadurch bewirkt. daß - eine oder mehrere Personen, die bereits mindestens ein Unternehmen kontrollieren, oder - ein oder mehrere Unternehmen die Möglichkeit erlangen, mittelbar oder unmittelbar einen bestimmenden Einfluß auf die Tätigkeit eines Unternehmens auszuüben." Art. 3 Abs. 4 FKVO regelt, wen die FKVO als Kontrollerwerber ansieht. Das sind die Person(en) oder Unternehmen, die aus den in Art. 3 Abs. 3 FKVO genannten Rechten oder Verträgen selbst berechtigt sind (lit. a) oder die zu ihrer Ausübung befugt sind (lit. b).

n. Sinn und Zweck des Art. 3 FKVO Der Sinn und Zweck des Zusammenschlußtatbestandes folgt aus dem Sinn und Zweck der Fusionskontrolle3 . Nach Erwägungsgrund 3 ist Anlaß für den Erlaß der FKVO, daß es derzeit erhebliche Strukturveränderungen bei den Unternehmen, insbesondere durch Zusammenschlüsse, gibt. Außerdem ist in den Erwägungsgründen 5, 7 und 9 von Strukturveränderungen und von den Auswirkungen von Zusammenschlüssen auf die Wettbewerbs struktur die Rede, denen die FKVO begegnen soll. Hieraus ergibt sich, daß die Fusionskontrolle die wettbewerblichen Gefahren bekämpfen soll, die durch Zusammenschlüsse, also durch externes Unternehmenswachstum entstehen. Der Zusammenschlußtatbestand der FKVO soll daher Konzentrationsvorgänge durch externes Wachstum erfassen (vgl. die englische Textfassung: "concentration"). Mit dem Konzentrationsprozeß bezeichnet man den Vorgang, durch den die Verfügungsmacht4 einzelner Wirtschaftseinheiten über die Produktionsmittel wächst 5 . Konzentration durch externes Wachstum bedeutet, daß der Hinzugewinn von Verfügungsmacht über Produktionsmittel von außen kommt, also herbeigeführt wird, indem einer anderen Wirtschaftseinheit Verfügungsmacht

3 4

5

Vgl. zum deutschen Recht Paschke, S. 15 f Im wirtschattswissenschatUichen Sinne, s. o. I. Teil B 14 a, S. 49. Nagel, in: Gabler, Wirtschattslexikon, "Konzentration" L 3.

8. Die Detinition von Konzentrationssachverhalten

109

über Produktionsmittel genommen wird. Nach Erwägungsgrund 23 sind alle Handlungen, die zu einer Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens unabhängig bleibender Unternehmen führen. von der Anwendung der FKVO auszuschließen. Das spricht dafür. daß Art. 3 Abs. I FKVO die "reinen" Konzentrationssachverhalte im oben genannten Sinne erfassen soll, die dadurch gekennzeichnet sind, daß in dem gesamten von der fraglichen Vereinbarung betroffenen unternehmerischen Bereich ein Beteiligter seine Handlungsfreiheit ganz oder graduell verliert. so daß ihm im Verhältnis zu dem anderen Beteiligten keine Handlungsfreiheit mehr bleibt, die beschränkt werden kann. Für diese Annahme spricht weiter, daß Art. 3 Abs. 3 FKVO die Kontrolle als die Möglichkeit definiert, bestimmenden Einfluß auf die Tätigkeit eines Unternehmens auszuüben. Der Einfluß muß sich danach auf die Tätigkeit des Unternehmens in ihrer Gesamtheit beziehen. Das deutet darauf hin, daß die FKVO für die Abgrenzung der reinen Marktstrukturänderungen das oben gefundene Kriterium für maßgeblich hält. Auf diesem Hintergrund fragt sich nun, welche Sachverhalte im einzelnen Zusammenschlüsse im Sinne der FKVO sind.

III. Fusion voneinander unabhängiger Unternehmen 1. Fusion

a) Fusion im gesellschaftsrechtlichen Sinne

Die Fusion oder Verschmelzung ist ein vom Gesellschaftsrecht angebotener besonderer Weg, einem Rechtsträger Aufgaben zuzuweisen, die bisher zwei oder mehrere Rechtsträger erfüllten6 . Wichtigste Folge der Verschmelzung ist die Gesamtrechtsnachfolge. Eine Verschmelzung ist nur möglich, wenn sie ausdrücklich zugelassen ist 7 . In der Fusionsrichtlinie der EG finden sich Regeln für die Verschmelzung von Aktiengesellschaften. Danach sind zwei Arten der Verschmelzung zu unterscheiden. Eine Verschmelzung durch Aufnahme ist der Vorgang, durch den eine oder mehrere Gesellschaften ihre gesamten Aktiva und Passiva im Wege der Auflösung ohne Abwicklung auf eine andere Gesellschaft übertragen, und zwar gegen Gewährung von Anteilsrechten der übernehmenden Gesellschaft.

m 1. Vgl. die 3. Richtlinie der EG (Fusionsrichtlinie) vom 9. 10. 1978 (78/855/EWG); siehe auch § 1 Abs. 2 UmwG. 6

i

K. Schmidt. Gesellschaftsrecht, § 13

110

2.Teil: Die Entstehung des Unternelunensverbundes

Eine Verschmelzung durch Neugründung erfolgt ebenso, mit dem Unterschied, daß mindestens zwei Gesellschaften ihr Vermögen auf eine von ihnen neu gegründete Gesellschaft übertragen~. Diese Regeln finden sich in Umsetzung der Richtlinie im nationalen Recht wieder. Das nationale Recht kann auch darüber hinausgehende Regeln für die Verschmelzung von Rechtsträgern enthalten, wie z. B. das deutsche Umwandlungsgesetz. Natürliche Personen können in diesem engen Sinne nicht verschmelzen9 , ebensowenig der Staat als Unternehmensträger. b) Fusion im Sinne von Art. 3 Abs. 1 fit. a FKVO - Meinungsstand

Ob in Art. 3 Abs. I lit. a FKVO die Fusion im gesellschaftsrechtlichen Sinne gemeint ist, ist umstritten. In der Literatur wird zum Teil angenommen, Art. 3 Abs. I lit. a FKVO meine nur die gesellschaftsrechtliche Verschmelzung 10 . Andere wollen durch eine autonom wettbewerbsrechtliche Auslegung des Fusionsbegriffs dazu kommen, daß auch wirtschaftliche Verschmelzungen erfaßt seien. Das seien solche, in denen Unternehmensträger ohne Aufgabe ihrer Rechtspersönlichkeit ihre wirtschaftliche Selbständigkeit verlieren und eine neue Wirtschaftseinheit gründenIl . Einen etwas engeren Standpunkt vertritt

8 3. Richtlinie der EG (Fusionsrichtlinie) vorn 9. 10. 1978 (78/855/EWG), Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1. 9 Obwohl z. B. das deutsche UmwG in § 3 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 120 tr eine Beteiligung von natürlichen Personen an einer Versclunelzung für einen Sonderfall zuläßt. Eine Aktiengesellschaft kann mit dem Vermögen ihres Alleingesellschafters versclunolzen werden (siehe Überschrift vor § 120). Allein zeigt schon diese Terminologie, daß es sich auf der Seite des Alleingesellschafters nicht um eine Versclunelzung als Rechtsträger, sondern um eine Versclunelzung seines Vermögens mit der AG handelt. 10 Cook/Kerse, S. 27 tI; Niemeyer, Fusionskontrolle, S. 14 unter 3. a) und S. 15 f unter d), anders allerdings ders., BB 1991, Beilage 25, S.2; Veelken, in: Veelkenl KarllRichter, S. 16; Löffler, in: LangenlBunte, Art. 3 FKVO Rn. 4; Miersch, S.67, 78 f; Karl, S. 88 t1, 117; Dauses/Fugmann, ZfRV 1993,177, 179; Niederleithinger, EWS 1990, 73, 74; SedemundlMontag, in: Dauses, H I Rn. 258; Bechtold, RIW 1990, 253, 254; Ritter/Braun/Rawlinson, S. 342 f, die darauf hinweisen, daß aus Sicht des englischen Rechts die Terminologie in Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO unüblich ist: an sich sei im englischen Recht der Oberbegritf für alle Zusammenschlüsse "rnerger" , wogegen "legal merger" die Fusion im gesellschatlsrechtlichen Sinne meine. In der FKVO ist nun der - in dieser Bedeutung neue - Oberbegriff "concentration" gewählt worden; "rnerger" in Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO sei dann eng im Sinne von "legal merger" autzutassen. Zur englischen Terminologie siehe auch Fine, Rn. 4-006 in Fn. 23. 11 Bellamy/Child, Rn. 6-007 und 6-036; Schröter, in: von der Groebenl Thiesingl Ehlermann, Art. 87,2. Teil Rn. 261; Art. 85 Fallgruppen Rn. 159; Niemeyer, BB 1991, Beilage 25, S. 2 (anders allerdings ders., Fusionskontrolle, S. 15 f); Koch, EWS 1990, 65, 67; ders., in: GrabitzlHilt: nach Art. 86 Rn. 11; Bos/Stuyck/Wytinck, Rn. 4-027; Vetter, S. 117 f.; Jacob, S. 47.

B. Die Detinition von Konzentrationssachverhalten

111

die Kommission in ihrer Mitteilung zum Zusammenschlußbegriff 2 . Mit dem wirtschaftlichen Fusionsbegriff seien, so heißt es, solche Verbindungen zwischen Unternehmen erfaßt, in denen sich die Unternehmen gemeinsam einer einheitlichen Leitung unterstellen. Es seien also nur Gleichordnungssachverhalte Fusionen im wirtschaftlichen Sinne, nicht dagegen Unterordnungssachverhalte. Im deutschen Recht wären dies insbesondere Gleichordnungskonzerne l3 Die Kommission hat bisher Art. 3 Abs. I lit. a FKVO vorwiegend auf Fusionen im gesellschaftsrechtlichen Sinne angewandt '4 . Andererseits subsumiert sie in einigen Fällen die Fusion im gesellschaftsrechtlichen Sinne unter den Kontrollerwerb im Sinne von Art. 3 Abs. llit. b FKVO I5 . Verschmelzungen im von ihr definierten wirtschaftlichen Sinne hat die Kommission - zum Teil unter ausdrücklicher Bezeichnung als wirtschaftliche Fusion - bisher meist unter Art. 3 Abs. I lit. b FKVO subsumiert, indem sie annahm, daß die auf der Ebene der Gleichordnung verschmelzenden Unternehmen die gemeinsame Kontrolle über die neue wirtschaftliche Einheit erwerben solltenl6 . In ei-

12 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusarrunenschlusses (Nr. 7); dies., Mitteilung über den Begritf der beteiligten Unternehmen (Nr. 12); vgl. auch dies., Erste Abgrenzungsbekanntmachung (Nm. 26 und 41): GU-Gründung als Vollfusion und Gleichordnungskonzern als Fusion; kritisch hierzu, wenn auch im Ergebnis folgend Bos/Stuyck/Wytinck, Rn. 4-027. 13 Die Kommission weist in ihrer Mitteilung über den Begriff des Zusarrunenschlusses ausdrücklich auf die Gleichordnungskonzeme hin (Fn. 5), aber auch auf bestimmte "partnerships" und die französischen "Groupements d'Interets Economiques"; siehe auch Kommission, 7. 12. 1995 - RTZ/CRA, MCR B363 (Nm. 5, 8-10: eine sogenannte "dual listed company" als Fusion im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO); die EWiV scheidet als Grundlage einer Fusion im wirtschaftlichen Sinne aus, da sie darauf beschrä.nkt ist, HilfstUnktionen tür ihre Mitglieder wahrzunehmen. Sie kann daher diesen gegenüber keine Leitungsmacht haben (vgl. Rübesamen, S. 17 f.). Das schließt nicht aus, daß die EWiV auf ihrem Gebiet ein rechtlicher Teilzusarrunenschluß der Mitglieder sein kann. 14 Kommission, 5. 6. 1997 - Lyonnaise des EauxiSuez, MCR B542 (Nr. 6); 24. 10. 1991 - Bank AmericaiSecurity Pacitic, WuW/E EV 1772; 7. 3. 1991 - Kyowal Saitama, WuW/E EV 159l. 15 Kommission, 4.6.1997 - Wonns/Saint-Louis, MCR B541 (Nm. 1, 4); 17. 11. 1995 - Seagate/Conner, MCR B359 (Nr. 5). 16 Kommission, 2l. 1l. 1990 - Groupe AG/Amev, WuW/E EV 1547 (Nr. 2), aber es heißt zusätzlich, es liege eine wirtschaftliche Fusion vor; 7. 11. 1990 - RenaultiVolvo, WuWIE EV 1542, 1544 (Nr. 6), dort allerdings nur mit dem pauschalen Hinweis auf Art. 3 FKVO, obwohl der Sache nach Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO geprüft wurde; anders Kommission, 7. 12. 1995 - RTZ/CRA, MCR B363 (Nm. 5, 8-10: eine sogenannte "duallisted company" als Fusion im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO). In der Literatur wird die Entscheidung RenaultiVolvo teils als Beispiel tUr Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO genannt (Schröter, in: von der GroebenlThiesinglEhlennann, Art. 87,2. Teil, Rn. 261; Niemeyer, BB 1991, Beilage 25, S. 2; Bellamy/Child, Rn. 6-007, Fn. 15), teils als Beispiel tUr Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO (Montag/Heinemann, ZIP 1992, 1367, 1368; SedemundlMontag, in: Dauses, H. I. Rn. 258 und 265; Bellamy/Child, Rn. 6-029 nen-

112

2.Teil: Die Entstehung des Untemehmensverbundes

nem Fall hat die Kommission auch den Enverb der Anteilsmehrheit als Fusion im Sinne von Art. 3 Abs. llit. a FKVO angesehen!? c) Stellungnahme

Eine Stellungnahme zum Fusionsbegriff würde sich erübrigen, wenn die Abgrenzung zwischen Art. 3 Abs. 1 litt. a und b FKVO folgenlos bliebe. Sie hat jedoch zum einen Folgen für die Anmeldepflicht, zum anderen für das Eingreifen des Art. 3 Abs. 2 FKVO. Nach Art. 4 Abs. 2 FKVO haben bei einer Fusion alle Fusionsbeteiligten, beim Kontrollenverb aber nur die Kontrollerwerber den Zusammenschluß anzumelden. Weil die an einer Fusion Beteiligten nicht notwendig alle Kontrollerwerber sind, kommt man hier zu verschiedenen Ergebnissen. Art. 3 Abs. 2 FKVO regelt das Verhältnis von Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO zu Art. 85 EGV. Bezweckt oder bewirkt eine Handlung eine Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens voneinander unabhängiger Unternehmen, stellt sie nach Art. 3 Abs. 1 S. I FKVO keinen Zusammenschluß im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO dar. Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO kann, jedenfalls nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 S. 1 FKVO, trotz der Verhaltenskoordination eingreifen. Es ist daher nicht folgenlos, wie man die Anwendungsbereiche von Art. 3 Abs. I litt. a und b FKVO voneinander abgrenzt!8. Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO spricht zunächst einmal dafür, daß mit der Fusion die Fusion im gesellschaftsrechtlichen Sinne gemeint ist. Denn wenn ein juristischer terminus technicus wie "Fusion" in einem Gesetzestext auftaucht und in dieser Bedeutung auch sinnvoll ist, spricht das erst einmal dafür, daß der Begriff auch so gemeint ist. Das gilt um so mehr, als dem Gesetzgeber der Begriff der "wirtschaftlichen Einheit" bekannt war (siehe Art. 3 Abs. 2 S. 2 FKVO). Wäre es ihm darum gegangen, die Schaffung wirtschaftlicher, nicht rechtlicher Einheiten zu erfassen, so hätte er Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO entsprechend formulieren können. Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO spricht dafür, daß nur die gesellschaftsrechtliche Fusion gemeint ise 9 . Im ersten Entwurf nen den Erwerb von Überkreuzbeteiligungen als möglichen Fall von gemeinsamer Kontrolle ). 17 Kommission, 20.12.1995 -Elsag BaileylHartmann & Braun, MCR B367 (Nm. 1,5). 18 Entgegen Karl, S. 110 1'., läßt sich die Notwendigkeit einer Abgrenzung nicht damit begründen, daß Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO nachträglich als Sondertatbestand eingetUgt wurde. Entscheidend ist allein, ob sich an die Tatbestände unterschiedliche Rechtstolgen knüpfen. 19 So im Ergebnis auch Karl, S. 88 t1., 94, aufgrund der Annahme, lit. a solle intensivere Zusammenschlüsse erfassen als lit. b.

B. Die DefInition von Konzentrationssachverhalten

113

der FKVO war einziger Zusammenschlußtatbestand der Kontrollerwerb 20 . Der Wirtschafts- und Sozialausschuß hielt es in seiner Stellungnahme zum Entwurf für unklar, ob dieser Tatbestand auch die Fusion zweier unabhängiger Unternehmen zu einem neuen Unternehmen erfaßt2!. Damit war sehr wahrscheinlich die Fusion im gesellschaftsrechtlichen Sinne gemeint, und zwar die Fusion zur Neugriindung. Denn bei dieser kann man sich tatsächlich fragen, ob sie zum Kontrollerwerb durch ein Unternehmen fiihrt22 . Im Entwurf von 1988 war dann in Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO der Fusionstatbestand enthalten23 . Das spricht dafür, daß Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO klarstellen sollte, Fusionen im gesellschaftsrechtlichen Sinne seien auch Zusammenschlüsse im Sinne der FKVO. Für den gesellschaftsrechtlichen Fusionsbegriff spricht weiter, daß in Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO anders als in lit. b die natürlichen Personen nicht genannt sind. Bei natürlichen Personen ist eine wirtschaftliche Fusion im oben genannten Sinne aber möglich24 . Nicht dagegen können sie im gesellschaftsrechtlichen Sinne als Unternehmensträger miteinander verschmelzen. Die Nichterwähnung der natürlichen Personen in lit. a läßt sich nur damit erklären, daß die Fusion im gesellschaftsrechtlichen Sinne gemeint war. Gegen den wirtschaftlichen Fusionsbegriff wird in der Literatur eingewandt, er verwische die Grenze zwischen Strukturveränderungen und bloßer Verhaltenskoordinieruni5 . Dieses Argument erweist sich jedoch als petitio principii. Es unterstellt, daß Gleichordnungssachverhalte - die sog. wirtschaftlichen Fusionen - keine Strukturveränderungen seien. Bei der Auslegung des Art. 3 FKVO geht es jedoch gerade darum, zu klären, welche Sachverhalte als Strukturveränderungen im Sinne der FKVO anzusehen sind. Gegen den weiten wirtschaftlichen Fusionsbegriff von Teilen der Literatur spricht aber, daß er Art. 3 Abs. 1 lit. b, Abs.3, Abs.4 FKVO weitgehend überflüssig machen würde 26 . Denn nahezu jeder Kontrollerwerb fuhrt dazu, daß Unternehmensträger ohne Aufgabe ihrer Rechtspersönlichkeit ihre wirt-

20 Kommission, Vorschlag fiir eine VO (EWG) des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABI. 1973 C 92/1, 3, Art. 2 Abs. 1. 2! Wirtschafts- und Sozialausschuß, Stellungnahme zum Entwurf der FKVO, ABI. 1974 C 88/19,22 (zu Art. 2). 22 Näher dazu sogleich. 23 Kommission, Vorschlag fiir eine VO (EWG) des Rates über die Kontrolle von Untemehrnenszusammenschlüssen, ABI. 1988 C 130/4,6. 24 Bos/Stuyck/Wytinck, Rn. 4-036 kritisieren deshalb den Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO als unvollständig. 25 Kronast, S. 140; Niemeyer, Fusionskontrolle, S. 16; anders ders., BB 1991, Beilage 25, S. 2. 26 So auch Cook/Kerse, S. 29. 8 Pohlmann

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2.Teil: Die Entstehtmg des Unternehmensverbundes

schaftliehe Selbständigkeit verlieren und eine neue Wirtschaftseinheit gründen. Auch jede GU-Gründung kann wirtschaftlich eine Teilfusion der Mutterunternehmen sein27 . Beschränkt man deshalb, wie die Kommission, den wirtschaftlichen Fusionsbegriff auf Gleichordnungssachverhalte, so läßt sich dagegen wiederum einwenden, daß es keinen sachlichen Grund dafür gibt, gerade die gleichordnenden wirtschaftlichen Verschmelzungen unter Art. 3 Abs. I lit. a FKVO zu fassen, nicht aber die unterordnenden. Denn die Gleichordnung ist kein fusionsspezifisches Merkmal. Rechtfertigen ließe sich die Beschränkung auf die gleichordnenden Sachverhalte allenfalls, wenn gerade diese von Art. 3 Abs. I lit. b FKVO nicht erfaßt würden und die Lücke durch Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO zu schließen wäre. Das ist jedoch nicht der Fall. In den genannten Gleichordnungsbeziehungen erwerben die Parteien gemeinsame Kontrolle über die neu geschaffene Einheit. Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO ist dort entbehrlich. Nach alledem erfaßt Art. 3 Abs. I lit. a FKVO nur die Fusionen im gesellschaftsrechtlichen Sinne. Der Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO ist damit sehr eng. Werden die Wirkungen einer Verschmelzung auf anderem Wege herbeigeführt, z. B. indem zwei Unternehmensträger eine neue Gesellschaft gründen, ihre Unternehmen durch Übertragung der einzelnen Vermögensgegenstände in die Gesellschaft einbringen und später die ursprünglichen Gesellschaften auflösen, ist Art. 3 Abs. I lit. a FKVO nicht anwendbar. Die einzelnen Vorgänge, wie z. B. Übertragung aller Vermögensgegenstände, fallen unter Art. 3 Abs. I lit. b FKVO. Denn jedes der beteiligten Unternehmen erwirbt über die neue Gesellschaft die Kontrolle nicht nur über die von ihm, sondern auch über die von dem anderen eingebrachten Ressourcen. Ebenfalls nicht anwendbar ist Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO auf Transaktionen im Vorfeld von Verschmelzungen. So fällt z. B. der Erwerb der Anteilsmehrheit unter Art. 3 Abs. I lit. b FKVO, auch wenn ihm eine Verschmelzung nachfolgen so1l28. Allerdings hat die Kommission in einem Fall ein Übernahmeangebot als Fusion im Sinne von Art. 3 Abs. I lit. a FKVO angesehen 29 . Die Gesellschaft KNP hatte ein öffentliches Übernahmeangebot hinsichtlich aller Anteile an BT und VRG - an letzterer war sie bereits mehrheitlich betei27 VgI. Schröter, in: von der GroebenfThiesinglEhlermann, Art. 85 -FallgruppenRn. 167; Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, Vor § 23 Rn. 157 und Koch, in: GrabitzlHilt: Nach Art. 86 Rn. 19, die ein konzentratives Gemeinschatlsunternehmen als Teiltusion der Mütter ansehen; vgI. auch § 37 Abs. 1 Nr. 3 S. 3 GWB. 28 Kommission, 5.2. 1996 - Royal Bank 01' Scotland/Bank 01' Ire1and, MCR B385 (Nm. 7,8). 29 Kommission, 4. 5. 1993 - KNPIBT/VRG, ABI. 1993 L 217/35, 36 (Nm. 1, 7).

B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

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ligt - abgegeben. Nach der Sachverhaltsdarstellung der Kommission ist zu vermuten, daß der Übernahme eine Verschmelzung nachfolgen sollte, wenngleich das nicht ausdrücklich gesagt wird30 . Die Übernahme aller Anteile ist jedoch keine Verschmelzung im gesellschaftsrechtlichen Sinne. Denn die übernommene Gesellschaft bleibt bestehen3!. Übernahmeangebote fallen daher unter Art. 3 Abs. llit. b FKV032 . Eine spätere Verschmelzung der Unternehmensträger ist kein Fall des Art. 3 Abs. I lit. a FKVO Denn die verschmelzenden Unternehmensträger sind nicht mehr voneinander unabhängi~3.

Im Ergebnis bleibt daher festzuhalten, daß Art. 3 Abs. I lit. a FKVO sich auf die Verschmelzung von Unternehmensträgern im gesellschaftsrechtlichen Sinne bezieht. 2. Voneinander unabhängige Unternehmen Art. 3 Abs. I lit. a FKVO setzt voraus, daß die fusionierenden Unternehmen voneinander unabhängig sind. Wann das der Fall ist, ist umstritten. Gemeinsam ist allen Auslegungsversuchen, daß nicht die Unabhängigkeit, sondern die Abhängigkeit definiert wird, deren Fehlen Art. 3 Abs. I lit. a FKVO anwendbar macht. In der Literatur stellt man zum Teil auf den Konzernbegriff ab. Abhängig seien Unternehmen, die demselben Konzern angehören. Sie könnten nicht mehr den Tatbestand des Art. 3 Abs. Ilit. a FKVO erfüllen34 . Andere nennen die gemeinsame Konzemzugehörigkeit nur als Beispiel für Abhängigkeit.

30 Es ist häufiger die Rede von den Verpflichtungen der KNP, BT und VRG "bzw. des neuen Unternehmens", siehe Kommission, 4. 5. 1993 - KNPIBT/VRG, ABI. 1993 L 217/35, 44 (Nr. 66 unter 2. und 5.). 31 Zu diesem Unterschied zwischen Verschmelzung und Übernahme siehe den iruheren EG-Richtlinienvorschlag zu Übernahmeangeboten, Nr. 1 der Allgemeinen Begründung, 6., abgedruckt in ZIP 1989,606. 32 Kommission, 3.4.1995 -GEHE/AAH, WuWIE EV 2311; 19.9.1994 -AHP/ American Cyanamid, WuWIE EV 2225 (Nr. 6); 14. 3. 1994 - Newspaper Publishing, WuWIE EV 2185,2186 (Nr. 8); 5.4.1993 - GEHE/OCP, WuWIE EV 2017 (Nr. 6); 22.7. 1992 - Nesth!lPerrier, ABI. 1992 L 35611 (Nr. 4); 21. 5. 1992 - HSBClMidland, WuWIE EV 1863 (Nr.5); 28.4.1992 -AccorfWagons-Lits, ABI. 1992 L20411 (Nr. 4); 2. 3. 1992 - IFlNTIEXOR, WuWIE EV 1827 (Nr. 6); 19. 7. 1991 - Tetra Pak/Alfa-Laval, ABI. 1991 L 290/35; 21. 3. 1991 - Otto/Grattan, WuWIE EV 1605 (Nr. 3); 18.1. 1991 -AT&TINCR, WuWIE EV 1563 (Nr. 3); 10.1. 1991 -Matsu shita/MCA, WuWIE EV 1560 (Nr. 3). 33 Im KNPIBT/VRG-Fall fehlte von Anfang an die Unabhängigkeit der VRG, so daß auch insofern der Kommission nicht darin zu folgen ist, daß Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO anwendbar ist. 34 Bechtold, RIW 1990, 253, 254; Miersch, S. 67. 8·

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2.Teil: Die Entstehung des Unternelunensverbundes

Letztere könne auch aus anderen Gründen vorliegen. Diese werden nicht näher präzisiert35 . Ohne den Konzernbegriff kommen diejenigen aus, die darauf abstellen, ob zwischen den Unternehmen eine wirtschaftliche Einheit bestehe6 . Ob eine wirtschaftliche Einheit besteht, soll, so heißt es zum Teil, anhand der Verbundklausel des Art. 5 Abs. 4 FKVO zu entscheiden sein37 • Art. 5 Abs. 4 FKVO faßt für die Umsatzberechnung diejenigen Unternehmen zu einer Einheit zusammen, die durch Anteils-, Stimmrechts-, Vorstands- oder Aufsichtsratsmehrheit oder durch Geschäftsführungsrechte miteinander verbunden sind. Der Verbund ist nicht davon abhängig, ob die bestehenden Einflußmöglichkeiten auch tatsächlich genutzt werden. Zum Teil wird angenommen, Unternehmen seien voneinander abhängig, wenn sie unter efnheitlicher Kontrolle stünden38 . Nach Ansicht der Kommission kommt es für die Unabhängigkeit "unter anderem" auf die Kontrollverhältnisse im Sinne von Art. 3 Abs. 3 FKVO und Nm. 12 ff. der Mitteilung an39 . Was sich hinter "unter anderem" verbirgt, bleibt offen. Sinn und Zweck des Art. 3 Abs. I FKVO ist es, Sachverhalte zu erfassen, die zu einer Veränderung von Verfügungsmacht über Ressourcen führen. Ein Zusammenschluß setzt daher immer voraus, daß Ressourcen unter den Einfluß anderer Unternehmensträger gelangen. Bei Ressourcen, die bereits unter einheitlichem Einfluß stehen, kann eine Verschmelzung miteinander nicht mehr zu einer Änderung der Verfügungsmacht führen. Eben diese Sachverhalte soll das Tatbestandsmerkmal "voneinander unabhängig" von der Anwendung des Art. 3 Abs. 1 FKVO ausschließen. Die Verschmelzung von Unternehmen, die bereits unter einheitlicher Kontrolle stehen, ist kein Konzentrationsvorgang. Die Fusion von Mutter- und lOO%iger Tochtergesellschaft fällt daher nicht unter Art. 3 Abs. llit. a FKVO. Dasselbe gilt, wenn zwei lOO%ige Tochtergesellschaften derselben Mutter fusionieren. Zwar unterfieie der letztgenannte Fall nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO der Fusionskontrolle, weil die Tochtergesellschaften voneinander unabhängig sind. Nach Sinn und Zweck des Art. 3 Abs. llit. a FKVO sind aber auch Fusionen von Unterneh-

35 SedemundlMontag, in: Dauses, H I Rn. 258; Löffler, in: LangenlBunte, Art. 3 FKVO Rn. 4. 36 So wohl CookiKerse, S. 26; wohl auch Karl, S. 84 f.: vollständige wirtschaftliche Integration. 37 Mestmäcker, in: Inunenga/Mestmäcker, Vor § 23 Rn. 127. 38 Portwood, S. 20; Blaise, Revue trirnestrielle de droit europeen 1990, 743, 748; Pappalardo, Revue internationale de droit economique 1990, 3, I!. 39 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusanunenschlusses (Fn. 4).

B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

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men nicht erfaßt, die bereits unter einheitlicher Kontrolle stehen. Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO ist insofern teleologisch zu reduzieren. Fusionieren dagegen eine Muttergesellschaft eines GU und das GU, bleibt die FKVO anwendbar40 . Denn die Unternehmen stehen vor dem Zusammenschluß nicht unter einheitlicher Kontrolle, weil das GU nicht von der einen Muuergesellschaft allein kontrolliert wird. Eine Kontrollbeziehung zwischen den fusionierenden Unternehmen schließt daher nicht in jedem Fall die Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO aus. Entscheidend ist, ob die fusionierenden Unternehmen unter einheitlicher Kontrolle, das heißt unter der Kontrolle derselben Unternehmen stehen. Nicht der FKVO unterfieie beispielsweise die Fusion zweier GU derselben Mütter. Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO ist daher nicht anwendbar, wenn die fusionierenden Unternehmen bereits vor dem Zusammenschluß unter einheitlicher Kontrolle stehen. 3. Änderung des Art. 3 Abs. 1 Ht. a FKVO de lege ferenda De lege ferenda sollte Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO geändert werden. Die formale, gesellschaftsrechtliche Definition des Zusammenschlusses ist einerseits angesichts des umfassenden materiellen Zusammenschlußtatbestandes des Kontrollerwerbs weitgehend überflüssig. Andererseits reicht sie nicht aus, um die von lit. b nicht erfaßten Konzentrationssachverhalte der FKVO zu unterwerfen. Überflüssig ist Art. 3 Abs. I lit. a FKVO bei den meisten Verschmelzungen, weil Verschmelzungen in der Regel zu einem Kontrollerwerb im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO führen 41 . Denn bei der Verschmelzung, sei es durch Aufnahme oder durch Neugründung, erwirbt in der Regel je nach den Beteiligungsverhältnissen im aufnehmenden Unternehmen entweder ein Beteiligter die Kontrolle über zusätzliche Ressourcen42 oder es erwirbt jeder Beteiligte die Mitkontrolle über zusätzliche Ressourcen43 . Theoretisch denkbar, wenn auch praktisch selten, ist es allerdings auch, daß nach der Verschmelzung keiner der an der Verschmelzung Beteiligten die Kontrolle über das neue Unternehmen hat, z. B. wenn nach der VerschmelSo auch Kommission, 4. 6. 1997 - Worms/Saint Louis, MCR B541 (Nm. 5-7). Insofern waren die diesbezüglichen Zweifel des Wirtschafts- und Sozialausschusses unberechtigt (siehe Wirtschafts- und Sozialausschuß, Stellungnahme zum Entwurf einer FKVO, ABl. 1974 C 88/19,22, zu Art. 2). 42 So im Fall Kommission, 17. 11. 1995 - Seagate/Conner, MCR B359 (Nr. 5). 43 So zum Beispiel im Fall Kommission, 17. 3. 1993 - Matra/Cap Gemini Sogeti, WuWfE EV 2041 (Nm. 5,6). 40 41

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2.Teil: Die EntstehWlg des UnternehmensverbWldes

zung jeder mit 25% beteiligt ist und die unternehmensleitenden Entscheidungen mit einfacher Mehrheit getroffen werden. In dem Fall liegt zwar eine Zusammenballung von Ressourcen vor, weil die vorher unabhängigen Unternehmen jetzt in einem Unternehmen verschmolzen sind. An einem Kontrollerwerb fehlt es dennoch. Die einzelnen Beteiligten haben keine Kontrolle, und der neue Unternehmensträger wird erst durch die Verschmelzung zum Unternehmen. Hieruber hilft der Tatbestand des Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO hinweg. Wird dasselbe Ergebnis aber ohne Fusion erreicht, z. B. wenn vier Unternehmen ihre Tätigkeiten auf ein Unternehmen übertragen, an dem sie mit je 25% beteiligt sind, greift. Art. 3 Abs. llit. a FKVO nicht ein. Hier wäre an eine Analogie zu Art. 3 Abs. I lit. a FKVO zu denken. Dasselbe gilt in allen Fällen, in denen eine bisher nicht unternehmerisch tätige natürliche oder juristische Person gleichzeitig zwei bisher voneinander unabhängige Unternehmen erwirbt. Es liegt dann eine Zusammenballung von Ressourcen vor. An einem Kontrollerwerb durch ein Unternehmen oder durch eine ein Unternehmen kontrollierende Person fehlt es dagegen. Ebenfalls von Art. 3 FKVO nicht erfaßt ist folgender Sachverhalt: A, B, C und D, je mit 25 % und ohne Sonderrechte an X beteiligt, erwerben mit gleicher Beteiligungsstruktur Y und vereinbaren, X und Y einheitlich zu leiten. Auch hier liegen weder Fusion noch Kontrollerwerb durch ein Unternehmen vor. Die letzten drei Beispiele zeigen, daß - wie bereits oben kurz erwähnt - der Zusammenschlußtatbestand Sachverhalte nicht erfaßt, in denen vorher voneinander unabhängige Unternehmen zusammengefaßt werden, ohne daß ein oder mehrere Unternehmen die Kontrolle über die zusammengefaßte Einheit erlangen. Nach Sinn und Zweck des Art. 3 Abs. 1 FKVO, die Zusammenballung unternehmerischer Ressourcen zu erfassen, müßten solche Sachverhalte auch der FKVO unterfallen. Denn auch ohne Kontrolle durch ein schon vorhandenes Unternehmen werden die zusammengefaßten Ressourcen einheitlich auf dem Markt eingesetzt. Tatsächlich liegt darin eine Lücke des Zusammenschlußtatbestandes, und nicht, wie vom Wirtschafts- und Sozialausschuß angenommen, darin, daß Verschmelzungen nicht erfaßt wären. Der Fall der Verschmelzung ohne Kontrollerwerb eines Unternehmens ist nur einer der nicht erfaßten Sachverhalte; die meisten Verschmelzungen erfüllen im übrigen den Tatbestand des Kontrollerwerbs. Art. 3 Abs. I lit. a FKVO kann die geschilderte Lücke in direkter Anwendung nicht schließen. Das liegt daran, daß es bei dem Zusammenschlußtatbestand allein auf das Ergebnis der Umstrukturierung ankommt, nicht dagegen darauf, wie umstrukturiert wird. Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO sollte daher gestrichen werden. An seine Stelle sollte eine Regelung gesetzt werden, welche die oben beschriebene Lücke abdeckt. Da eine solche Regelung nur Auffangfunktion für den Fall hätte, daß kein Kontrollerwerb durch ein Unternehmen vor-

B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

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liegt, sollte erst in lit. a der Tatbestand des KontrolleIWerbs enthalten sein. Lit. b könnte dann den Auffangtatbestand enthalten, so daß Art. 3 Abs. 1 FKVO lauten würde: "Ein Zusammenschluß wird dadurch bewirkt, daß a) (=lit. b der heutigen Fassung) oder daß b) eine oder mehrere juristische oder natürliche Personen die Kontrolle über zwei oder mehrere bisher voneinander unabhängige Unternehmen eIWerben."

IV. Erwerb von Kontrolle Kontrolle ist nach Art. 3 Abs. 3 FKVO die Möglichkeit, bestimmenden Einfluß auf die Tätigkeit eines Unternehmens auszuüben. Sie kann nach Art. 3 Abs. 1 lit. b, 2. Spiegel strich FKVO durch den EIWerb von Anteilsrechten oder Vermögenswerten, durch Vertrag oder in sonstiger Weise eIWorben werden. 1. Kontrollgegenstand a) Tätigkeit eines Unternehmens Bereits im Rahmen des Unternehmensbegriffs wurde die Bedeutung des Tatbestandsmerkmals "Tätigkeit eines Unternehmens" erörtert44 . Es wurde dargelegt, daß nach Sinn und Zweck des Art. 3 FKVO der Kontrollgegenstand das Unternehmen als Objekt ist. Der Zusatz "Tätigkeit", der sich nicht in allen Textfassungen findet 45 , verdeutlicht lediglich, daß das Unternehmen im Wettbewerbsrecht allein im Hinblick auf sein Verhalten im Wettbewerb von Bedeutung ist46 . Dementsprechend beschreibt die Kommission die Tätigkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 3 FKVO als "strategisches Wirtschaftsverhalten", zum 1. Teil B II 3, S. 58 tr. So fehlt er in der englischen Fassung. Sie wurde nach dem letzten Entwurf vom 28. I. 1989, in dem es hieß "decisive int1uence on the activities 01' an undertaking", geändert, indem man "the activities ot" strich, s. Bos/StuycklWytinck, Rn. 4-037, S. 150; wie der deutsche Text lauten dagegen die französische und italienische Fassung. 46 Dementsprechend wird auch die englische Textfassung so interpretiert, daß der bestimmende Einfluß sich auf die Unternehmenstätigkeit beziehen muß (Bos/StuycklWytinck, Rn. 4-037, S. 150). Als Argument wird auf Nr. 9 der Abgrenzungsbekanntmachung von 1990 verwiesen, die Einfluß auf die Unternehmenstätigkeit voraussetzt. Allerdings lautet der vergleichbare Passus in der zweiten Abgrenzungsbekanntmachung von 1994 gerade in dem Punkt anders: Nr. 3 spricht von der Kontrolle über das Unternehmen, ohne diese näher zu definieren (WuW 1994,217,218). 44 45

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2.Teil: Die Entstehung des Untemehmensverbundes

Teil auch als "Marktverhalten" oder als "Verhalten im Wettbewerb,,47. Dieselben Definitionen finden sich in der Literatur48 . Das Tatbestandsmerkmal "Tätigkeit eines Unternehmens" verdeutlicht, daß sich der bestimmende Einfluß auf eine unternehmerische Tätigkeit in ihrer Gesamtheit beziehen muß. Es genügt nach dem Wortlaut nicht, wenn einzelne Aspekte einer unternehmerischen Tätigkeit, wie etwa die Preissetzung oder der Umfang der Produktion, beeinflußt werden können. Daß dieser Wortlaut vom Verordnungsgeber bewußt gewählt wurde, ergibt sich aus dem Unterschied zu dem Kontrollbegriff in der Entscheidung 24/54 der Hohen Behörde49 . Diese erging aufgrund von Art. 66 § 1 S. 2 EGKSV, der die Hohe Behörde ermächtigt, in einer Verordnung die Tatbestandsmerkmale der Kontrolle eines Unternehmens zu bestimmen. Die genannte Entscheidung war Vorbild für die Legaldefinition der Kontrolle in der FKV050 . In Art. 1 der Entscheidung wird als Kontrollgegenstand genannt "die Tätigkeit eines Unternehmens auf dem Gebiete der Erzeugung, der Preise, der Investierungen, der Versorgung, des Absatzes oder der Verwendung des Gewinns". Danach wäre bestimmender Einfluß auf eine dieser Unternehmensfunktionen ausreichend. Die nähere Umschreibung des Gegenstands der Kontrolle in Art. I der Entscheidung 24/54 ist, anders als die anderen Tatbestandsmerkmale des Art. 1, jedoch von Anfang an nicht in die FKVO übernommen worden. Angesichts der im übrigen beinahe wörtlichen Übernahme des Art. I der Entscheidung 24/54 kann man daraus schließen, daß es sich um eine bewußt gewollte Abweichung handelt. Allein daraus folgt jedoch nicht, daß nach dem Willen des Verordnungsgebers in der FKVO der Einfluß auf eine der in Art. 1 der Entscheidung 24/54 genannten Unternehmensfunktionen nicht für die Kontrolle ausreichen sollte. Denn der Rat mag auch deshalb von dem Vorbild abgewi47 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nm. 21, 23, 29: s. auch Nm. 14, 27, 42, 44, 45; beispielhaft seien folgende Entscheidungen der Kommission genannt: 30. 5. 1991 - Con Agra/IDEA, MCR B24 (Nm. 6, 11 in; 31. 7. 1991 - VartalBosch, ABI. 1991 L 320126 (Nr. 3); 20. 8. 1991 - KeltlAmerican Express, WuWIE EV 1719 f (Nr. 5); 9.12.1991 - LucaslEaton, WuWIE EV 1783, 1784 (Nm. 6 fl.); 18. 12. 1991 -Ingersoll-RandIDresser Industries, WuWIE EV 1791, 1792 (Nr. 8); 14.7.1992 - Thomas CookILTU/WestLB, WuWIE EV 1979, 1980 (Nr. 8); 29.10.1993 - McCormick/CPClRabobank/Ostmann, WuWIE EV 2157,2159 (Nm. 12 iI). 48 Goyder, S. 395; Jones/Gonzales-Diaz, S. 7; Bellamy/Child, Rn. 6-008 u. 6-030; Miersch, S.69; Krimphove, S.241; Gerwing, S. 10 f; Mestmäcker, in: Imrnenga/ Mestmäcker Vor § 23 Rn. 138. 49 Hohe Behörde, 6. 5. 1954, ABI. EGKS 1954, 345. 50 Vgl. Albers, CR 1990,444,445; Alexander, Cahiers de droit europeen 1990, 529, 558 sowie die Vorschläge tUr eine FKVO, ABI. 1973 C 92 1, 3 (Art. 2 Abs.2); ABI. 1988 C 130,4,6 (Art 3 Abs. 3); ABI. 1989 C 22,14,17 (Art. 3 Abs. 3).

B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

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chen sein, weil er die Aufzählung der in Betracht kommenden Unternehmensfunktionen fur zu eng hielt. Angesichts der Tatsache, daß für Art. 1 der Entscheidung 24/54 in der Literatur angenommen wird, der bestimmende Einfluß nur auf eines der genannten Teilgebiete reiche nicht aus 51 , ist das jedoch wenig wahrscheinlich. Einen Hinweis darauf, daß der Verordnungsgeber Teileinflüsse nicht als ausreichend ansah, gibt die Aufzählung der Kontrollmittel in Art. 3 Abs. 3 litt. a und b FKVO. Anders als in der Entscheidung 24/54 sind langfristige Lieferverträge als Kontrollmittel nicht genannt. Lieferverträge sind aber ein typisches Beispiel eines Teileinflusses. Für die Annahme, daß Einfluß auf Teilfunktionen des von der Vereinbarung betroffenen Bereichs nicht ausreicht, um einen Zusammenschluß herbeizuführen, spricht weiter, daß andernfalls die Grenze zur Verhaltenskoordination verwischt würde 52 . Denn die Verhaltenskoordination unterscheidet sich von der reinen Marktstrukturänderung gerade darin, daß die unternehmerische Handlungsfreiheit nur beschränkt wird, nicht aber wegfallt. Angesichts des in Erwägungsgrund 23 ausgesprochenen Zieles, Verhaltenskoordinationen ganz aus dem Anwendungsbereich der FKVO herauszuhalten, ist davon auszugehen, daß der Verordnungsgeber die Grenzen hier nicht verwischen wollte. Daß der bestimmende Einfluß sich immer auf eine unternehmerische Tätigkeit in ihrer Gesamtheit beziehen muß, bedeutet aber nicht, daß der Einfluß auf Teilfunktionen des Unternehmens nicht dessen gesamte Tätigkeit bestimmen kann. Denn bestimmte Unternehmensfunktionen, wie z. B. die Investitionen und die Finanzierung, sind von zentraler Bedeutung, so daß sie sich - je nach den Umständen des Einzelfalls - auf die gesamte Tätigkeit des Unternehmens auswirken können. Diese Frage betrifft aber nicht mehr den Kontrollgegenstand, sondern das Tatbestandsmerkmal des bestimmenden Einflusses. Dort ist zu untersuchen, welche Einflußmöglichkeiten ausreichen, um die Unternehmenstätigkeit als Ganze bestimmend zu beeinflussen.

b) Gesamtheit oder Teile eines Unternehmens Nach Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO a. E. liegt ein Zusammenschluß auch vor, wenn Kontrolle über Teile eines oder mehrerer Unternehmen erworben wird. Das Tatbestandsmerkmal des Unternehmensteiles bezieht sich auf das Objekt Unternehmen. Der Erwerb eines nicht kontrollbegründenden Teils der Anteile

51 Matthies, in: Bernini/JaegerlMatthies, S. 104; Kern, S. 53 ff., 55; s. auch Knöpfte, in: Gemeinschaftskommentar, EGKS Rn. 39; Krimphove, S. 123. 52 Kern, S. 53 tf., 55.

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2.Teil: Die Entstehung des Untemehmensverbundes

eines Unternehmensträgers fallt daher nicht darunter53 . Es fragt sich, wie sich Art. 3 Abs. I lit. b FKVO a. E. damit vereinbaren läßt, daß Art. 3 Abs. 3 FKVO Einfluß auf eine unternehmerische Tätigkeit in ihrer Gesamtheit verlangt. Bei Art. 3 Abs. I lit. b FKVO ist mit dem Unternehmensteil ein Teil des Unternehmens des Veräußerers gemeint. "Teil" bezieht sich also auf das dem Veräußerer gehörende Unternehmen. Dagegen bezieht sich Art. 3 Abs.3 FKVO auf das Unternehmen oder den Unternehmensteil, der übergegangen ist. Die unternehmerische Tätigkeit dieses Unternehmens oder Unternehmensteils muß ganz in die (Mit)kontrolle des Erwerbers übergehen. Andernfalls besteht immer die Möglichkeit, daß ein Verstoß gegen Art. 85 EGV vorliegt. Welche Mindestvoraussetzungen vorliegen müssen, damit man von einem Unternehmensteil sprechen kann, ist umstritten. Klar ist dagegen die Obergrenze für den Teilerwerb: Ein Teilerwerb kann auch gegeben sein, wenn nur em geringer Teil der unternehmerischen Aktivitäten des Veräußerers nicht mit übergeht, unabhängig davon, ob er seine Restaktivitäten fortsetzt, einstellt oder an Dritte überträgt54. In der Literatur wird hinsichtlich der Mindestvoraussetzungen vertreten, der Erwerb eines Unternehmensteiles erfülle nur dann den Zusanunenschlußbegriff, wenn der erworbene Teil seinerseits eine organisierte Gesamtheit sachlicher und persönlicher Mittel sei, mit der auf Dauer ein wirtschaftlicher Zweck verfolgt werde 55 . Der Teil des Unternehmens muß also nach dieser Ansicht selbst ein Unternehmen im Sinne eines Objekts sein, um die Fusionskontrolle auszulösen56 . Die Kommission hält den Erwerb von Vermögensteilen, wie z. B. den Erwerb von Marken oder Lizenzen für geeignet, den Zusanunenschlußtatbestand zu erfüllen. Sie verlangt aber, daß die erworbenen Vermögenswerte ein Geschäft bilden, dem sich eindeutig ein Marktumsatz zuweisen läße 7 . Letzteres 53 Vgl. auch EuG, 24.3.1994 -Air FrancelKommission, Slg. 1994 II 128, 169 (NT 100) zu Art. 5 Abs. 2 S. 1 FKVO. 54 So zu Art. 5 Abs. 2 S. 1 FKVO EuG, 24. 3. 1994 - Air FrancelKommission, Slg. 1994 II 128, 169 (Nm. 100 - 107). 55 Bos/StuycklWytinck, Rn. 4-037, S. 151; ähnlich CookiKerse. S.25; ähnlich die Rechtsprechung zum GWB (wirtschaftliche Funktionseinheit): BGH. 20. 11. 1975 - Zementmahlanlage I, WuWIE BGH 1377, 1379; 13. 3. 1979 - Kettenstichnähmaschinen, WuWIE BGH 1570, 1573; enger Knöpfte, NJW 1992, 472, der entgegen dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO die Kontrolle über Untemehmensteile wohl nicht ausreichen lassen will. 56 So ausdrücklich Quack, FS Traub, S. 321,323. 5i Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, NT 11; dies., Bekanntmachung über Nebenabreden, m A Nr. 1, wo die Kommission davon ausgeht, daß der Erwerb von Grundstücken, Gebäuden oder Maschinen den Zusammenschluß-

B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

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Erfordernis steht im Einklang mit Art. 5 Abs. 2 S. I FKVO, wonach für die Umsatzberechnung auf Veräußererseite nur der Umsatz des veräußerten Unternehmensteils maßgeblich ist58 . Was dagegen mit "Geschäft" gemeint ist, bleibt unklar. Das Erfordernis geht in dieselbe Richtung wie die Literaturansicht, die verlangt, daß der Unternehmensteil selbst ein Unternehmen ist. Die von der Kommission entschiedenen Fälle von Teilveräußerungen waren unproblematisch, weil die veräußerten Teile stets ganze Geschäftsbereiche mit allen dazugehörigen Vermögenswerten waren 59 Dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 lit. a FKVO ist nicht zu entnehmen, welcher Teil ausreichend ist, um den Zusammenschlußtatbestand zu erfüllen. Allerdings wollte der Gesetzgeber ausdrücklich auch den Kontrollerwerb über Unternehmensteile ausreichen lassen (Art. 3 Abs. I lit. b FKVO a. E.), so daß es seinem Willen zuwiderliefe, zu verlangen, beim Erwerb von Vermögensteilen (Art. 3 Abs. 3 lit. a FKVO) müßten diese Vermögensteile ihrerseits Unternehmen sein. Im übrigen müssen Sinn und Zweck des Zusammenschlußtatbestands über die Auslegung entscheiden. Der Zusammenschlußtatbestand soll Sachverhalte erfassen, in denen die Verfügungsrnacht über unternehmerische Ressourcen auf ein anderes Unternehmen übergeht. Daher kann der Erwerb einzelner Vermögensgegenstände ein Zusammenschluß sein. Daß trotzdem nicht jeder Kaufvertrag über Maschinen oder Betriebsgrundstücke ein Zusammenschluß im Sinne der FKVO ist, ergibt sich aus drei anderen Gründen. Die Fusionskontrolle soll erstens nach ihrem Sinn und Zweck nur den Erwerb solcher Vermögensteile erfassen, die geeignet sind, Marktrnacht zu begründen oder zu verstärken. Der Erwerb von Vermögensteilen, die keinen Einfluß auf die Marktposition haben, fällt daher nicht unter den Zusammenschlußbegritf°. Der Tatbestand des Art. 3 Abs. I lit. b FKVO a. E. ist insofern teleologisch zu reduzieren. Ein Indiz dafür, ob einzelne Vermögensgegenstände Marktrnacht vermitteln, ist das von der Kommission herangezogene und in Art. 5 Abs. 2 S. I FKVO erwähnte Kriterium des Marktumsatzes. Wenn sich einem Vermögensgegenstand ein bestimmter Marktumsatz in der Weise zuweisen läßt, daß der tatbestand erfüllen kann. Zum Problem des Teilerwerbs und der Zuweisung von Umsätzen beim Outsourcing siehe Fiebig, ECLR 1996, 123, 125 f. 58 Siehe zur Umsatzberechnung auch Kommission, Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen, Nr. 14; Mitteilung über die Berechnung des Umsatzes, Nr. 31. 59 Zum Beispiel Kommission, 2.4. 1993 - ZürichlMMl, WuWfE EV 2047 (Nr. 4); 27.5.1994 - ERCINRG Victory, WuWfE EV 2143 (Nr. 1); 2l. 5.1992 - VolvolLex, WuWfE EV 1865 (Nr. 5). 60 Vgl. auch Gugerbauer, Art. 3 Arun. 17.

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

Umsatz ohne die Innehabung des Vennögensgegenstandes nicht gemacht worden wäre, ist mit dem Gegenstand Marktmacht verbunden. Zweitens reicht es für einen Zusammenschluß nicht aus, wenn der Vennögensgegenstand übergeht. Übergehen muß vielmehr, wie sich aus dem Sinn und Zweck der Zusammenschlußkontrolle ergibt, auch die speziell mit dem Vennögensgegenstand verbundene Marktrnacht. Es ist also ein Verlust von Marktmacht auf Veräußererseite und ein Hinzugewinn gerade dieser Marktmacht aufErwerberseite erforderlich. Das bedeutet eine zweite teleologische Reduktion des Tatbestandes des Art. 3 Abs. I lit. b FKV061 . Wenn A eine Fertigungsstraße an B veräußert, mit der A ein Produkt hergestellt hat, und nach der Veräußerung die Produktion einstellt, kann - sofern die Umsatzschwellen erreicht sind - die Fusionskontrolle eingreifen62 • Anders ist es dagegen, wenn A die Fertigungsstraße veräußert und selbst eine neue erwirbt; dann hat kein Übergang von Ressourcen einschließlich der mit ihnen verbundenen Marktmacht stattgefunden. Ein Konzentrationsvorgang ist nicht gegeben. An einem Übergang von Ressourcen plus Marktmacht fehlt es auch dann, wenn die bisherige Nutzung des Gegenstandes völlig verändert wird, so z. B. wenn ein Maschinenbauunternehmen die Verkaufshallen eines Supermarktes kauft, um dort eine Fertigung aufzunehmen63 . Der dritte Grund, warum die Fusionskontrolle nicht sämtliche Kaufverträge über Vennögensteile erfaßt, sind die Umsatzschwellen. In nur wenigen Fällen werden sich einzelnen Vennögensgegenständen Umsätze zuweisen lassen, die die Schwellen des Art. I FKVO überschreiten. Im Ergebnis bleibt daher festzuhalten: Der Tatbestand des Art. 3 Abs. 3 lit. a FKVO ist, soweit er den Erwerb von Vennögensteilen erfaßt, zweifach teleologisch zu reduzieren. Die erworbenen Vennögensteile müssen geeignet sein, Marktrnacht zu begründen. Es dürfen nicht nur die Vennögensteile, sondern es muß auch die mit ihnen verbundene Marktmacht auf den Erwerber übergehen.

61 Vgl. auch die Literatur zum GWB, die zum Teil verlangt, daß unternehmerisch genutztes Vermögen übergehen muß (KleinmanniBechtold. § 23 Rn. 45; a. A. Mestmäcker. in: ImmengalMestmäcker § 23 Rn. 151). Gemeint ist wohl, daß mit dem Vermögen auch dessen unternehmerische Nutzung übergehen muß. 62 Ob die mit dem Eigentum an der Fertigungsstraße verbundene Marktmacht übergeht, hängt davon ab, inwieweit die Marktmacht von weiteren Faktoren - z. B. geschultes Personal, Absatzwege - beeinflußt wird. 63 Beispiel von KleinmanniBechtold. § 23 Rn. 45.

B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

125

2. Möglichkeit bestimmenden Einflusses Die Kontrolle setzt die Möglichkeit voraus, bestimmenden Einfluß auf das Unternehmen als Objekt zu nehmen. a) Terminologie

Im europäischen Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist der Begriff des bestimmenden Einflusses neu. Aus dem EG-Gesellschaftsrecht ist der beherrschende Einfluß bekannt, Art. 1 Abs. I lit. c, Abs. 2 lit. ader 7. Richtlinie (83/349/EWG) über den konsolidierten Abschluß. Der Entwurf einer Konzernrechtsrichtlinie von 1984 enthält in Art. 9 Nr. 1 den Terminus "bestimmender Einfluß" zur Kennzeichnung des faktischen Konzerns. Für das Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen können diese Begriffe weder maßgeblich sein, noch Auslegungshilfe geben. Die unterschiedlichen Zwecksetzungen von Gesellschaftsrecht und Wettbewerbsregeln erfordern eine jeweils autonome Auslegung64 . Sinn und Zweck der Richtlinie über den konsolidierten Abschluß ist es, Gesellschafter und Dritte durch Informationen über finanzielle Verflechtungen zu schützen65 . Der Entwurf einer Konzernrechtsrichtlinie soll Aktionäre, Gläubiger und Arbeitnehmer vor den gesellschaftsrechtlichen und mitbestimmungsrechtlichen Gefahren der Abhängigkeit schützen66 . Dagegen soll Art. 3 Abs. 3 FKVO Sachverhalte erfassen, in denen ein Unternehmensträger oder ein ihn kontrollierender Gesellschafter Einfluß auf ein Objekt Unternehmen erhält, das heißt Fälle, in denen sich die Verfügungsbefugnis über unternehmerische Ressourcen ändert. Es werden also nicht allein Einflußmöglichkeiten im Rahmen von Gesellschaften erfaßt. Aber selbst wenn in der FKVO Einflußmöglichkeiten in Gesellschaften zu prüfen sind, sind diese allein unter Berücksichtigung der wettbewerbsrechtlichen Zwecksetzung zu beurteilen. Das schließt nicht aus, daß man überwiegend zu denselben Ergebnissen kommt wie das Gesellschaftsrecht.

64 Anders für das deutsche Karte1lrecht Leipelt, S. 88 1T., die den aktienrechtlichen Beherrschungsbegriff als identisch mit dem des GWB ansieht. 65 BegrUndungserwägungen 1 und 3 zur Richtlinie 83/349/EWG. 66 BegrUndungserwägungen 12 - 15 zum Entwurf einer Konzemrechtsrichtlinie von 1984, abgedruckt in Lutter, S. 244 ff.; der außerdem in der Richtlinie vorgesehene Schutz derselben Personengruppen durch Offenlegung von Verflechtungen ist inzwischen durch die Richtlinie 88/627/EWG (Transparenzrichtlinie) erreicht worden, Lutter, S. 243.

126

2.Teil: Die Entstehung des Untemehmensverbundes

b) Möglichkeit

Ausreichend ist die Möglichkeit, bestimmenden Einfluß auszuüben. Das Tatbestandsmerkmal "Möglichkeit" ist nicht im Sinne von Eventualität zu verstehen, sondern im Sinne von Fähigkeit67 . Das Unternehmen muß die Fähigkeit erwerben, jederzeit bestimmenden Einfluß auszuüben. Ob es diesen Einfluß je einmal ausüben will, ist unerheblich68 . Der für reine Konzentrationsvorgänge erforderliche Wegfall von Handlungsfreiheit tritt schon mit dem Kontrollerwerb ein. Gesteht der Kontrollinhaber dem Zielunternehmen einen großen Handlungsspielraum zu, so ist diese Freiheit nur von dem Kontrollinhaber abgeleitet. Nach einer Mindermeinung in der Literatur genügt die Möglichkeit bestimmenden Einflusses für den Kontrollerwerb dann nicht, wenn evident ist, daß das Unternehmen seinen Einfluß nicht ausüben wird69 . Diese Ansicht stützt sich auf eine gleichlautende Aussage der Kommission70 . Die Kommission prüfte, ob die minderheitlich beteiligte Bank ihren aufgrund von Mitentscheidungsrechten bestehenden Einfluß auch tatsächlich ausüben werde. Die Kommission bejahte das unter anderem mit der Begründung, bei einem bloß finanziellen Engagement hätte die Bank sich nicht Mitentscheidungsrechte über das Marktverhalten einräumen lassen. Dieser Zirkelschluß zeigt, daß auch die Kommission letztlich allein die Möglichkeit der Kontrollausübung ausreichen läßt. Im übrigen lassen die Besonderheiten des Falles es nicht zu, die Stellungnahme der Kommission zu verallgemeinern. Es bestand der Verdacht, daß die Beteiligung der Bank das Ziel hatte, den Zusammenschluß über die Umsatzschwellen der FKVO zu heben7!. Im Grunde prüfte die Kommission also, ob die Mitentscheidungsrechte der Bank nur zum Schein bestanden. Das war nicht nachweisbar. Fraglich ist, ob die Fähigkeit zur Kontrolle auch schon dann erworben wird, wenn noch bestimmte Zwischenschritte erforderlich sind, um den Einfluß auf das Zielunternehmen herbeizuführen. Diese Frage stellt sich insbesondere im Ebenso Cook/Kerse, (1. Autl.) S. 18: "ability", nicht "possibility". Vgl. Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 9. 69 Vetter, S. 138 f. 70 Kommission, 29. 10. 1993 - McConnick/CPClRabobank/Ostmann, WuWfE EV 2157,2159 (Nr. 17); ebenso in einem Fall mit Banken als Minderheitsbeteiligten mit Vetorecht Kommission, 28.11. 1994 - SappiIDMJLB/UBSlWarren, MCR B259 (Nr. 13); zum letztgenannten Fall kritisch hinsichtlich der Annahme gemeinsamer Kontrolle Stockmann/Schultz, Rn. 725 f. 7! Das forum shopping schlug im genannten Fall fehl, weil die Kommission den Fall nach Art. 9 Abs. 3 FKVO an das BKartA verwies, Kommission, 29.10.1993 - McCormick/CPClRabobank/Ostmann, WuWfE EV 2157, 2163 tf (Nm. 41 ff.). 67

68

B. Die Defmition von Konzentrationssachverhalten

127

Hinblick auf den Erwerb von Vorkaufsrechten, von Optionen auf Anteile und von Wandelschuldverschreibungen. Rechtlich vermitteln die genannten Rechte nicht die Fähigkeit, bestimmenden Einfluß auszuüben72 . Denn es sind jeweils mehrere Zwischenschritte erforderlich, um den rechtlichen Einfluß herbeizuführen. Erst wenn diese Zwischenschritte erfolgt sind, geht die Verfügungsrnacht über die untemehmerischen Ressourcen über. Daher ist der Sachverhalt nach Sinn und Zweck der Fusionskontrolle erst dann von Art. 3 FKVO erfaßt 73 Art. 3 FKVO soll dagegen nicht Sachverhalte erfassen, in denen lediglich die Gefahr besteht, daß ein Konzentrationsvorgang eintritt. Daher kommt es entgegen der Ansicht der Kommission74 nicht darauf an, ob die Optionsausübung (der Eintritt des Konzentrationsfalles) wahrscheinlich ist. Es gibt jedoch Grenzfalle, in denen Rechte der genannten Art so ausgestaltet sind, daß sie schon Kontrolle begründen. Ein Beispiel hierfür ist der Fall Ford/Hertz75 . Ford wollte zu seinen 49% Anteilen an Hertz weitere 5% erwerben. Die Kommission nahm an, Ford habe schon vorher alleinige Kontrolle über Hertz gehabe 6 . Ford hatte im Board 4 von 9 Sitzen. Zugleich hatte Ford das Recht, ohne weitere Zahlungen und ohne Änderung der Beteiligungsverhältnisse bestimmte Anteile in andere Anteile umzutauschen, mit denen das Recht verbunden war, zwei zusätzliche Sitze im Board zu besetzen. Der Anteilsumtausch konnte innerhalb weniger Stunden vollzogen werden. Hier steht die an keinerlei Bedingungen geknüpfte Tauschoption einem Entsenderecht gleich. Denn sie ist nur der formale Weg, auf dem das Entsenderecht einge-

72 EuG, 19. 5. 1994 - Air FrancelKommission, Slg. 1994 II 323, 349 f. (Nm. 70 72); ebenso in demselben Fall Kommission, 27. 11. 1992 - British AirwaysfTAT, MCR B121 (Nr. 5); Bellamy/Child, Rn. 6-008; Karl, S. 179 ff. mit einer Ausnahme für dinglich abgesicherte Erwerbsoptionen; siehe auch Kommission, 30. 5. 1991 - Conagra/ldea, MCR B24 (Nm. 10ft), wo die Option nicht zur Beurteilung des Kontrollerwerbs herangezogen wurde; Fine, Rn. 2-055; TessinlRöhling, FS Quack, S. 681, 691 f.; Cook/Kerse, S. 32 f.; a. A. (ohne Begründung) Kommission, 11. 12. 1995 - GRS Holding: Kontrollerwerb durch den Erwerb der Berechtigung zum Anteilserwerb und durch den Erwerb von Vorkaufsrechten; siehe auch Kommission, 19. WB (1990), Nr. 65 - Ibrecobre/Ontokumpu: erst mit der Erklärung, die Option auf die Anteilsmehrheit werde ausgeübt, nahm die Kommission an, gegen Art. 85 EGV werde nicht verstoßen, und prüfte der Sache nach Art. 86 EGV; vgl. dazu Fine, Rn. 2-055, Fn. 114; zu § 23 Abs. 2 Nr. 5 GWB siehe Immenga, FS Odersky, S. 975,982. 73 Z. B. Kommission, 29. 4. 1991 - ElflErtoil, MCR B20 (Nr. 1). 74 Kommission, Mitteilung über den Begritf des Zusammenschlusses, Nr. 15, wo die Wahrscheinlichkeit der Optionsausübung als ein Indiz tm Kontrolle angesehen wird. 75 Kommission, 7. 3. 1994 - Ford/Hertz, MCR B192. 76 Kommission, 7. 3. 1994 - Ford/Hertz, MCR B192 (Nm. 6 -9); ähnlich der Fall vom 31. 5. 1996 - EmersoniCaterpillar, MCR B423 (Nr. 9): Ein Gesellschafter hatte das Recht, im Falle nicht beilegbarer Meinungsverschiedenheiten die Anteile des anderen Gesellschatlers zu erwerben.

2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

128

räumt wird. Bei der Tauschoption kommt es hier daher ebensowenig wie bei einem Entsenderecht darauf an, ob sie ausgeübt wird. Entgegen der Ansicht der Kommission war es daher nicht erforderlich, auf den tatsächlichen Einfluß von Ford abzustellen. Eine andere Frage ist, ob Gestaltungsrechte der genannten Art rein tatsächlich bestimmenden Einfluß vermitteln, weil die Gestaltungsmöglichkeit schon als Druckmittel eingesetzt werden kann77 • Dem wird unten nachgegangen78 . c) Bestimmender Einfluß

aa) Die maßgeblichen Entscheidungen Bereits oben wurde dargelegt, daß die Handlungsfreiheit eines Unternehmensträgers gegenüber demjenigen fehlt, der die Planungsentscheidungen im Unternehmen trifft. Kommission 79 und Literatur80 stimmen weitgehend darin überein, daß derjenige, in dessen Hand die sogenannten strategischen Planungsentscheidungen liegen, bestimmenden Einfluß hat. Von besonderer Bedeutung sind außerdem Entscheidungen, die sich auf die übergreifenden Unternehmensfunktionen wie die Finanzierung beziehen, sowie Entscheidungen über die Besetzung der Unternehmensleitung. Nach dem oben Gesagten~1 kommt es darauf an, ob die Entscheidungen über die Unternehmensplanung getroffen werden können. Auf welche Unternehmensfunktionen (Finanzen, Personal, Beschaffung, Absatz u.a.) sich die Planungsmacht erstrecken muß, hängt vom Einzelfall ab 82 . Alle Mitentscheidungsrechte sind in ihrer Gesamtheit zu untersuchen83 . Die Kommission grenzt negativ ab: Entscheidungsrechte, die weder die Geschäftspolitik noch die Strategie, die Finanzplanung oder den Geschäftsplan84 beträfen, gäben 77

CookiKerse, S. 32 f, sprechen vom "shadow effect" solcher Rechte.

7~ Vll, S. 166 tf

Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 23. Lä.fJler, in: LangenlBunte, Art. 3 FKVO Rn. 10 und 12 ff.; Jones/Gonzalez-Diaz, S. 6 tf; Bellamy/Child, Rn.6-008 und 6-012 ff; Gerwing, S. 10 f.; Bos/Stuyckl Wytinck, Rn. 4-048; a. A. etwa Nüßlein, S. 86 ff. für die konzemkonstituierende Leitung im Sinne des Gesellschafts- und Kartellrechts. 81 Am 2, S. 95 ff. 82 Zum Beispiel hängt die Bedeutung eines Mitentscheidungsrechtes über Investitionen davon ab, welche Bedeutung die Investitionen für die unternehmerische Tätigkeit haben. Vgl. etwa Kommission, 6. 8. 1997 - Norsk Alcaa/Elkem, MCR B570 (Nr. 8 79

80

a. E.).

Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 29. Enthält der Geschäftsplan nur Grundsatzerklärungen über die allgemeinen Geschätlsziele, kann allein ein Mitentscheidungsrecht hierüber keine Kontrolle begründen, siehe Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 26. 83

84

B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

129

keine (gemeinsame) Kontrolleg5 . Entscheidungsrechte hinsichtlich der Finanzplanung sollen jedoch in der Regel Kontrolle begründen86 . Sind für bestimmte, im maßgeblichen Zeitraum87 praktisch nicht relevante Sachverhalte (z. B. Investitionen in exzeptionellem Umfang) die Mitentscheidungsrechte besonders geregelt, ist diese Regelung für die Beurteilung der Kontrollverhältmsse unbeachtlich88 . Im Gegensatz zu den Rechten auf Mitwirkung an der Unternehmenspolitik sollen reine Schutzrechte stehen, wie sie Minderheitsgesellschaftern typischerweise zustehen. Diese begründeten keine Kontrolle89 . Dem ist zu folgen. Gegenstand der Sperrminoritäten von Minderheitsgesellschaftern sind Entscheidungen, die den Fortbestand der Gesellschaft, den Unternehmensgegenstand, das Grundkapital oder den Abschluß von Unternehmensverträgen betreffen. Solche Sperrminoritäten geben nicht die Möglichkeit, über die Tätigkeit des Unternehmens in ihrer Gesamtheit zu entscheiden. Ein Einfluß auf das Tagesgeschäft ist nach Ansicht der Kommission für die Begründung von Kontrolle weder erforderlich90 noch ausreichend91 . Einfluß auf das Tagesgeschäft ist kein bestimmender, da er nur aus der übergeordneten Unternehmensplanung abgeleitet ist. bb) Grad des Einflusses Das Tatbestandsmerkmal des bestimmenden Einflusses läßt dem Rechtsanwender Spielraum, welchen Einflußgrad er als ausreichend ansehen will. Es stellt sich die Frage, ob bestimmender Einfluß nur eine positive Gestaltungs-

Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 29. ~6 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 25; dies.,

85

15.9.1995 -ALBACOM, MCR B341 (Nm. 6 fI): Budget- und Personalhoheit bei British Telecom, aber Geschäftspläne bedurften der Zustimmung von BNL: trotzdem alleinige Kontrolle von British Telecom. 87 Dazu sogleich d), S. 131 t1 88 Kommission, 23.5. 1996 - HoechstIKlöckner-WerkelHartfolien, MCR B421 (Nm. 8,9). 89 Kommission, Mitteilung über den Begritl des Zusammenschlusses, Nr. 22; dies. 10. 6. 1997 - ClariantIHoechst, MCR B543 (Nr. 9); sehr ausführlich dies., 11. 8. 1997 - StinneslHaniel Reederei, MCR B574 (Nm. 7-17); recht weitgehend daher die Annahme gemeinsamer Kontrolle in Kommission, 23. 5. 1996 - HoechstIKloecknerWerkelHartfolien, MCR B421 (Nm. 7-9). 90 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 23. 91 Kommission, 30.7. 1991 - Eridania/lSI, MCR B40 (Nr. 4): Alleinige Kontrolle ergab sich nicht daraus, daß der Gesellschafter den Managing Director stellte. Denn im Board of Directors hatte der Gesellschafter keine Mehrheit und das Board entschied unter anderem über die Ernennung des Managing Directors sowie über Finanzierung und Investitionen; siehe auch Kommission, 23. 5. 1996 - HoechstIKloecknerWerkelHarttolien, MCR B421 (Nr. 9). 9 Pohlmann

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmens verbundes

macht ist92 oder ob auch die Macht, Entscheidungen über die Unternehmenstätigkeit zu verhindern, genügt93. Eine solche Verhinderungsmacht kann sich zum einen aus paritätischen Beteiligungsverhältnissen ergeben. Diese Fälle werden im Zusammenhang mit der gemeinsamen Kontrolle erörtert94 . Zum anderen kann eine Verhinderungsmacht einem Gesellschafter allein zustehen, wenn seine Stimmrechte zur positiven Beherrschung nicht ausreichen, ihm aber Vetorechte hinsichtlich der unternehmensleitenden Entscheidungen eingeräumt werden. Der Einfluß ist dann noch bestimmend im Wortsinn, weil das Zielunternehmen nur Strategien verfolgen kann, denen der Vetoberechtigte zugestimmt hat. Auch nach Sinn und Zweck der FKVO müssen solche Einflüsse für den Kontrollerwerb genügen. Die FKVO soll Konzentrationsvorgänge erfassen. Der Erwerb alleiniger negativer Kontrolle führt dazu, daß die Ressourcen des Erwerbers und des Zielunternehmens zwar nicht unter ganz einheitlichem Einfluß stehen, aber doch unter nahezu einheitlichem Einfluß. Der starke Einfluß des Erwerbers im Zielunternehmen rechtfertigt es, auch für diesen Fall den Eintritt zusammenschlußtypischer Vorteile und Gefahren anzunehmen. Hinzu kommt, daß die Gefahren aus dem erheblichen Hinzugewinn an Verfiigungsmacht über unternehmerische Ressourcen über Artt. 85, 86 EGV nicht hinreichend erfaßt werden können95 . Die FKVO geht in ihrem Anwendungsbereich damit über den Bereich reiner Konzentrationssachverhalte hinaus. Allerdings kann in Fällen der genannten Art eine Marktverhaltenskoordination zwischen Erwerber und anderen Anteilseignern vorliegen, z. B. wenn sowohl der Erwerber, als auch ein Minderheitsbeteiligter mit Informationsund Mitwirkungsrechten auf Märkten tätig sind, die denen des GU vor- oder nachgelagert sind. Liegt eine Verhaltenskoordination vor, ist diese gemäß Art. 2 Abs. 4 FKVO am Maßstab des Art. 85 EGV zu messen. Dagegen vermitteln Beteiligungen, bei denen wechselnde Mehrheiten zustande kommen können, keinen bestimmenden Einfluß 96 . Die Bestimmung der Unternehmenspolitik ist für den einzelnen Gesellschafter dann nur eine Möglichkeit, die ebensogut niemals eintreten kann.

n So Bos/StuycklWytinck, Rn. 4-040, S. 153; Stein, S. 179.

93 Dafür Kommission, Mitteilung über den Begritf des Zusammenschlusses, Nr. 39

(ebenso Nr. 19 zur gemeinsamen Kontrolle); dies., 25. 9. 1992 - CCIE/GTE, MCR BI12 (Nr. 8); Löffler, in: LangenlBunte, Art. 3 FKYO, Rn. 12. 94 Unten VIII, S. 183 tr 95 Siehe unten 0, E, S. 216,245 tr 96 yg l. Kommission, 29.11. 1995 -CEP/Groupe de la Cite, MCR B361 (Nr. 6): Anteilserwerb von 21,2%; 20. 12. 1995 - SBGlRentenanstalt, MCR B368 (Nr. 11): Beteiligung von 25%.

B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

131

Bestimmender Einfluß ist dem Einflußgrad nach daher positive Gestaltungsmacht ebenso wie die Macht, Entscheidungen zu verhindern. d) Dauerhaftigkeit des Einflusses

Nach dem oben Gesagten ist die Dauerhaftigkeit des geschaffenen Zustandes kein für reine Marktstrukturänderungen typisches Merkmal. Dennoch spielt nach der FKVO sowie nach der Kommissionspraxis die Dauer bei der Auslegung des Zusammenschlußtatbestandes eine Rolle. Nach Erwägungsgrund 5 soll die FKVO dauerhafte Schädigungen des Wettbewerbs durch Umstrukturierungen verhindern. Nach Erwägungsgrund 23 soll der Begriff des Zusammenschlusses so definiert werden, daß er nur dauerhafte Strukturveränderungen bei den Unternehmen erfaßt. Nach Art. 3 Abs.2 FKVO ist die Gründung eines GU nur dann ein Zusammenschluß, wenn das GU auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllt. Auch Art. 3 Abs. 5 litt. a, b FKVO nehmen vorübergehende Einflußpositionen von Banken und Insolvenzverwaltern von der Anwendung der FKVO aus. Die Kommission prüft bestimmte kurzfristige Strukturveränderungen nicht nach der FKVO. Erwerben zwei Unternehmen gemeinsame Kontrolle über ein Unternehmen, läuft jedoch nach höchstens drei Jahren die Mitkontrolle eines von ihnen aus - etwa weil Vetorechte befristet sind -, dann prüft die Kommission das Durchgangsstadium nicht nach der FKVO. Sie prüft sogleich den Erwerb alleiniger Kontrolle, mit der Begründung, eine dauerhafte Strukturveränderung liege hinsichtlich des Durchgangsstadiums nicht vor97 . In diesen Fällen stand das Auslaufen der gemeinsamen Kontrolle jeweils aufgrund rechtsverbindlicher Vereinbarung fest. Ebenso entschied die Kommission im umgekehrten Fall, daß nach kurzer Zeit aus alleiniger Kontrolle gemeinsame Kontrolle wurde98 . Bloße Pläne hinsichtlich zukünftiger Anteilsaufstockungen99 bleiben dagegen ebenso unberücksichtigt wie später ausübbare Ver-

97 Kommission, 28. 3. 1994 - Banco SantanderlBritish Telecommunications, WuWfE EV 2136,2139 (Nm. 20 f); 6.5.1994 -GEfENlINuovo Pignone II, MCR B205 (Nm. 8,9); 15.9.1995 -ALBACOM, MCR B341 (Nm. 14 ff., 19); Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 38. 98 Kommission, 13. 2. 1997 - Prudential Nominees Ltd./HSBC EquitylFinnish Chemicals Oy, MCR B508 (NI. 11); vgl. auch Kommission, 15. l. 1998 - MannesmanniOlivettilInfostrada, MCR B640 (NI. 13): Während eines Übergangsstadiums von 2 Y, Jahren hatte ein Gesellschafter das Recht zum Stichentscheid. 99 Kommission, 30.5.1991 -Conagra/IDEA, MCR B24 (Nr. 10); 24.6.1991 Appollinaris/Schweppes, WuWfE EV 1657 f. (Nr. 6). 9*

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

kaufsoptionen lOü . Auch wenn unabsehbar ist, ob geplante spätere Strukturveränderungen eintreten werden, etwa weil öffentliche Genehmigungen noch ausstehen, nimmt die Kommission trotz eventuell geringer Dauer einen Zusammenschluß an 101 • Die Kommission schränkt in ihren Entscheidungen, in denen sie Durchgangsstadien auch von mehreren Jahren nicht als Zusammenschluß ansieht, den Zusammenschlußtatbestand entgegen seinem Wortlaut ein. Kontrollerwerb und Fusion sind nach dieser Praxis nur Zusammenschlüsse, wenn sie nicht vorübergehend sind. Eine solche Einschränkung ist jedoch der FKVO nicht zu entnehmen. Erwägungsgrund 23 und Art. 3 Abs.2 FKVO beziehen sich auf das Verhältnis der FKVO zu Art. 85 EGV. Gemeinschaftsunternehmen werden nur als Zusammenschlüsse angesehen, wenn sie dauerhaft alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllen. Der Frage, ob das Erfordernis der Dauerhaftigkeit dort zur Abgrenzung taugt, wird unten nachgegangen102 . Die Dauerhaftigkeit in diesem Sinne war in den von der Kommission entschiedenen Fällen gegeben, weil das gegründete Unternehmen auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit wahrnehmen sollte. In den oben genannten Entscheidungen der Kommission hat die Dauerhaftigkeit aber eine andere Bedeutung. Dort fehlte es nicht daran, daß das gegründete Unternehmen auf Dauer alle Funktionen einer wirtschaftlichen Einheit wahrnahm. Es war nur die Gemeinsamkeit der Kontrolle über das Unternehmen befristet. Indem die Kommission diese Befristung zum Anlaß nahm, einen Zusammenschluß zu verneinen, hat sie eine zusätzliche Voraussetzung in den Zusammenschlußtatbestand aufgenommen: daß Strukturveränderungen keine Zusammenschlüsse sind, wenn sie nicht länger als drei Jahre dauern. Eine solche Einschränkung des Zusammenschlußtatbestandes läßt sich jedoch den eingangs genannten Erwägungsgründen sowie Art. 3 Abs. 2 FKVO nicht entnehmen. Art. 3 Abs. 2 FKVO und Erwägungsgrund 23 betreffen, wie dargelegt, einen anderen Fall. Erwägungsgrund 5 ist zu allgemein gehalten, als daß man ein Nichteingreifen der FKVO bei vorübergehenden Marktstrukturänderungen darauf stützen könnte. Art. 3 Abs. 5 litt. a und b FKVO nehmen die vorübergehenden Marktstrukturänderungen in Kauf, weil die Zwecke, denen diese Marktstrukturänderungen dienen, dem Schutz des Wettbewerbs \"orgehen. So soll Art. 5 Abs. 5 lit. a FKVO das Wertpapierhandelsgeschäft ](I('Kommission, 25.7.1996 -Meliua/Dow, MCR B447 (Nr. 11); 13.9.1996 - Schering/Gehe-Jenaphaffil, MCR B465 (Nr. 7). ]u] Kommission, 11. 12. 1996 - Bell Cable Media/Cable&Wireless/Videotron, MCR 8492 (Nr. 13). Ii.C Cill3 ,S.215.

B. Die Defmition von KOllZentrationssachverhalten

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und das Emissionsgeschäft der Banken von der Fusionskontrolle freistellen. Art. 3 Abs. 5 lit. b FKVO soll die Insolvenzvenvaltung und -abwicklung freistellen. Ein allgemeiner Grundsatz, daß vorübergehende Strukturveränderungen nicht der FKVO unterfallen, läßt sich daraus nicht herleiten. Ein Nichteingreifen der FKVO bei voIiibergehenden Strukturveränderungen stünde auch im Widerspruch zu Sinn und Zweck der FKVO. Die FKVO erfaßt Sachverhalte, die selbst nicht wettbewerbsbeschränkend, sondern wettbewerbsgefahrdend sind. Die Schaffung bestimmter Marktstrukturen kann untersagt werden, weil man davon ausgeht, in ihnen komme wettbewerbsbeschränkendes Verhalten eher vor und sei sonst wettbewerbskonformes Verhalten unter bestimmten Umständen wettbewerbsbeschränkend. VoIiibergehende Marktstrukturänderungen können diese Wirkungen ebenso haben wie dauerhafte. Weil sie voIiibergehend sind, steht lediglich fest, daß die Wirkungen wieder entfallen. Allein das rechtfertigt es nicht, voIiibergehende Zustände zu dulden. Ein Monopol etwa kann innerhalb von drei Jahren erhebliche Schäden für den Wettbewerb mit sich bringen. Der Kommission ist daher nicht darin zu folgen, daß kurzfristige Marktstrukturänderungen nicht der FKVO unterfallen. Ist man hier anderer Ansicht, sollte man zumindest den Zeitraum für die Kurzfristigkeit, den die Kommission auf höchstens drei Jahre festgelegt hat, überdenken. Näher läge es, die Jahresfrist des Art. 3 Abs. 5 Ht. a FKVO entsprechend anzuwenden. Die Interessenlage ist vergleichbar, weil auch bei Art. 3 Abs. 5 lit. a FKVO ein voIiibergehender bestimmender Einfluß geduldet wird. Bei den von der Kommission entschiedenen Sachverhalten ist außerdem zu beachten, daß die Unanwendbarkeit der FKVO auf das Durchgangsstadium gemeinsamer Kontrolle nichts daIiiber sagt, ob Art. 85 EGV auf dieses Stadium anwendbar ist. Es ist möglich, daß während des Durchgangsstadiums eine Verhaltenskoordination der GU-Mütter vorliegt. Diese ist ungeachtet ihres voIiibergehenden Charakters nach Art. 85 EGV zu prüfen. Denn beim Verbot der Verhaltenskoordination ist eine Einschränkung auf dauerhafte Verhaltenskoordination ebensowenig möglich wie eine entsprechende Einschränkung in derFKVO.

3. Enverb Art. 3 Abs. I lit. b FKVO setzt voraus, daß die Kontrolle durch den Enverb von Anteilsrechten oder Vermögenswerten, durch Vertrag oder in sonstiger Weise envorben wird. Das Tatbestandsmerkmal des Enverbs der Kontrolle hat eine doppelte Aufgabe.

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

Es nimmt zum einen konzerninterne Umstrukturierungen aus dem Anwendungsbereich der FKVO heraus103 . Insofern hat das Tatbestandsmerkmal dieselbe Funktion wie das Tatbestandsmerkmal "voneinander unabhängig" in Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO. Kontrolle kann nicht erworben werden, wo sie schon besteht. Ein Kontrollerwerb im Sinne der FKVO liegt außerdem nicht vor, wenn er zwischen Unternehmen stattfindet, die bereits vorher unter einheitlicher Kontrolle stehen. Da aber der Wortlaut des Art. 3 Abs. I lit. b FKVO diese Fälle erfaßt, ist Art. 3 Abs. I lit. b FKVO - wie Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO - teleologisch zu reduzieren. Findet jedoch durch den Zusammenschluß ein Übergang von gemeinsamer zu alleiniger Kontrolle statt, so liegt ein Zusammenschluß vor104 • Denn die Unternehmen des Erwerbers der alleinigen Kontrolle und das Zielunternehmen stehen vor dem Zusammenschluß nicht unter einheitlicher Kontrolle. Für den Erwerber bedeutet der Erwerb alleiniger Kontrolle einen Hinzugewinn von Verfügungsrnacht über Ressourcen. Fällt jedoch bei gemeinsamer Kontrolle einer mehrerer Kontrollinhaber weg, so führt dies nicht zu einem Kontrollerwerb der verbleibenden Kontrollinhaber 105 . Zwar ist der Einfluß eines jeden insofern stärker, als er sich mit einem Kontrollinhaber weniger einigen muß. Dieser Hinzugewinn von Macht ist jedoch so gering, daß er sich auf die MarktsteIlung kaum auswirken kann. Das Tatbestandsmerkmal des Erwerbs von Kontrolle hat zweitens die Aufgabe, die Marktstrukturkontrolle an eine Handlung anzuknüpfen, die den Beteiligten zuzurechnen ist 106 . Damit wird sichergestellt, daß die FKVO keine laufende Überwachung der Märkte ermöglicht, sondern stets eine den Beteiligten zurechenbare Marktstrukturänderung voraussetzt l 07. Deutlich wird diese Zielsetzung auch in Erwägungsgrund 23, wonach Zusammenschlüsse nur Handlungen sind, die zu einer Strukturveränderung der beteiligten Unternehmen führen. Aufgrund des weiten Wortlauts des Art. 3 Abs. I lit. b FKVO (Kontrollerwerb in sonstiger Weise) besteht jedoch die Gefahr, daß auch Handlungen, die ohne Zutun der Beteiligten zum Kontrollerwerb führen, als Zusammenschlüsse angesehen werden. Die Kommission hat in einem Fall einen Zusammenschluß Kommission. Mitteilung über den Begrifl des Zusammenschlusses, Nr. 8. Kommission. Mitteilung über den Begritl des Zusammenschlusses, Nm. 16,40; Mitteilung über den Begrifl der beteiligten Unternehmen, Nm. 30 t1.; dies .• 20. 10. 1994 - Avesta lIl, MCR B249 (Nm. 9 ft); 28. 11. 1990 - ICIfTioxide, WuWfE EV 1551 (Nr. 4). 105 Kommission. Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 38. 106 Eine Absicht des Kontrollerwerbs ist dagegen nicht erforderlich, Kommission, Mitteilung über den Begritl des Zusammenschlusses, Nr. 9. 107 Ebenso _ allgemein zum Begriff der Konzentration - Vogel, S. 371 (Nr. 385). I [13

104

B. Die Defmition von Konzentrationssachverhalten

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angenommen, in dem ein Gesellschafter die Kontrolle erwarb, weil ein anderer Gesellschafter seinen Anteil veräußert hatte l08 . Für diesen Fall ist der Kommission zuzustimmen. Denn die Kontrolle beruhte auf einer Anteilseignervereinbarung, nach der die unternehmensleitenden Entscheidungen von A und B und entweder C oder D zu treffen waren. Trotz Ausscheidens von D lief die Vereinbarung weiter, so daß jetzt stets die Zustimmung von C erforderlich war. Aufgrund der Vereinbarung war C der Kontrollerwerb zurechenbar. Würde dagegen ein Anteilseigner mit 40% der Anteile die faktische Hauptversammlungsmehrheit erlangen, weil ein großer Mitaktionär seine Anteile in Streubesitz überführt, wäre ihm der Kontrollerwerb nicht zurechenbarJ09 . Anders wäre zu entscheiden, wenn der verbleibende Anteilseigner der Veräußerung der Anteile zustimmen mußte llO . Ein zurechenbarer Erwerb von Kontrolle liegt auch nicht vor, wenn ein Unternehmen durch die wirtschaftliche Entwicklung oder aufgrund der Knappheit einer bestimmten Ressource in wirtschaftliche Abhängigkeit von anderen Unternehmen gerätIlI. Nähme man hier einen Zusammenschluß an, würde die Grenze zu einer ständigen Überwachung der Marktstruktur überschritten.

v. Überblick über die Kontrollmittel Art. 3 Abs. I lit. b FKVO unterscheidet die mittelbare und die unmittelbare Kontrolle über ein Unternehmen im Sinne eines Objekts. Unmittelbare Kontrolle über ein Unternehmen hat, wer Eigentums- oder Nutzungsrechte am Unternehmen hat. Mittelbare Kontrolle hat, wer über seine Anteile an einem Unternehmensträger die Kontrolle ausübt, aber auch jeder andere, der nicht unmittelbare Kontrolle hat. Die Kommission unterscheidet zwischen rechtlicher und faktischer Kontrolle112 sowie zwischen direkter und indirekter Kon-

108 Kommission, 9.6. 1994 -Avesta II (British SteellNCC/AGA), MCR B213 (Nr. 8); dies., Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen, Nr. 39. 109 Zu weit daher Kommission, Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen, Nr. 40: Kontrollerwerb infolge von Veränderungen in der Beteiligung. 11 0 Vgl. zur Problematik auch Kleinmann/Bechtold, § 23 Rn. 4 tI 111 Anderer Ansicht Miersch, S. 83 f, der in solchen Fällen aber annimmt, eine Geldbuße gemäß Art. 14 Abs. 1 lit. a FKVO wegen der Nichtanrneldung des Zusammenschlusses könne nicht verhängt werden. 112 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nm. 13, 14, 30 - 32.

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmens verbundes

trolle l\3. Mit indirekter Kontrolle ist diejenige über Mittelsmänner, insbesondere Treuhänder, gemeint. Im folgenden wird zwischen rechtlichen Kontrollmitteln (VI) und tatsächlichen Kontrollmitteln (VII) unterschieden. Alle potentiellen Kontrollmittel werden zunächst im Hinblick darauf untersucht, ob sie alleinige Kontrolle vermitteln. Die Besonderheiten bei gemeinsamer Kontrolle werden im Anschluß erörtert (VIII).

VI. Rechtliche Kontrollmittel Im folgenden werden die rechtlichen Einflußmittel untersucht, die bestimmenden Einfluß auf ein Unternehmen ermöglichen. Das geschieht auf dem Hintergrund der deutschen Rechtsordnung. Andere nationale Rechtsordnungen sehen andere Einflußmittel vor, die hier nicht mitbehandelt werden können 1l4 . Insofern haben die folgenden Ausführungen exemplarischen Charakter. Dennoch werden sie genügen, um die Reichweite des Zusammenschlußtatbestandes zu zeigen.

1. Rechte am Objekt Unternehmen a) Eigentumsrechte

Art. 3 Abs. 3 lit. a FKVO nennt als Kontrollmittel Eigentumsrechte am Vermögen des Unternehmens. Da nur ein Rechtssubjekt Vermögen haben kann, ist das Vermögen des Unternehmensträgers gemeint. Das Vermögen eines Unternehmensträgers ist die Gesamtheit seiner Güter, für die im Wirtschaftsverkehr ein Entgelt gezahlt wird 115. Dazu gehören neben dinglichen Rechten auch Rechte aus Schuldvertrag, Immaterialgüterrechte sowie nicht rechtlich verfestigte Positionen, wie z. B. die Kundenbeziehungen. Der Erwerb von Anteilen, die der veräußernde Unternehmensträger an anderen Unternehmensträgern hat, ist von Art. 3 Abs. 3 lit. a FKVO nicht erfaßt. Denn soweit Anteile erworben werden, ist zu prüfen, ob sich aus der Anteilsinhaberschaft die Möglichkeit ergibt, auf das Zielunternehmen bestimmenden 113

Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 10.

Die Kommission muß in jedem Fall anband des auf die Verbindung anwendbaren Rechts prüfen, ob die eingeräumten Rechte bestimmenden EinHuß vermitteln. In den meisten Fällen ist das zwar ohne tiefere Erörterung des nationalen Gesellschaftsrechts möglich, aber nicht immer, siehe z. B. Kommission, 29. 11. 1993 -Continental/ KalikolDGBanklBenecke, WuWIE EV 2129,2130 (Nr. 9). 115 Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, § 23 Rn. 151. 114

B. Die Detinition von Konzentrationssachverhalten

137

Einfluß auszuüben. Das ist aber kein Fall eines Rechts am Objekt Unternehmen. Aus der Weite des Vermögensbegriffs folgt, daß der Begriff "Eigentumsrecht" in Art. 3 Abs. 3 lit. a FKVO zu eng ist. Nicht an allen Vermögensgegenständen des Unternehmens kann Eigentum bestehen. Gemeint sind mit den Eigentumsrechten alle Arten von Rechtsinhaberschaft, die bei den verschiedenen Vermögensbestandteilen in Betracht kommen 1 16. b) Nutzungsrechte

Nutzungsrechte sind dingliche oder obligatorische Rechte zur Nutzung des Objekts Unternehmen. Als dingliches Nutzungsrecht am gesamten Vermögen des Unternehmensträgers kommt der Nießbrauch in Betracht. Dingliche Nutzungsrechte an Teilen des Unternehmensvermögens können der Nießbrauch, die Grunddienstbarkeit und die beschränkt persönliche Dienstbarkeit sein. Schuldrechtliche Nutzungsrechte am Unternehmen werden häufig innerhalb von Konzernen vereinbart. Diese Fälle sind für die FKVO jedoch bedeutungslos, da kein Kontrollerwerb mehr stattfinden kann, wenn bereits vorher Kontrolle besteht. Die folgenden Ausführungen gelten daher für schuldrechtliche Vereinbarungen außerhalb von Konzernen. Schuldrechtliche Nutzungsrechte am gesamten Vermögen können durch Betriebspacht oder Betriebsüberlassungsvertrag begründet werden. Bei der Betriebspacht erwirbt der Pächter bestimmenden Einfluß über das von ihm im eigenen Namen und für eigene Rechnung geführte Unternehmen des Verpächters. Beim Betriebsüberlassungsvertrag führt derjenige, dem der Betrieb überlassen ist, diesen im Namen des Überlassenden, aber auf eigene Rechnungll7 . Der Übernehmende haftet im Innenverhältnis für alle Verbindlichkeiten. Der Überlassende betreibt sein Unternehmen nicht mehr, sondern nimmt nur noch das Entgelt für die Überlassung entgegen. Durch eine solche Gestaltung erwirbt der Übernehmende ebenso wie bei der Pacht bestimmenden Einfluß auf das Unternehmen. Denn der Unternehmenseigner selbst begibt sich jeden Einflusses auf das Unternehmen. Er trägt allerdings weiter das Risiko der Haftung nach außen. Schuldrechtliche Nutzungsrechte an Vermögensteilen können erwachsen aus Pacht, Miete und Leasing.

116 Beispiele aus der Praxis sind die Fälle: Kommission, 2. 4. 1993 - ZürichIMMJ, WuWIE EV 2047; 27. 5. 1994 - ERCINRG Victory, WuWIE EV 2143; 21. 5. 1992 - VolvolLex, WuWIE EV 1865; 17. 8. 1992 - BTRlPirelli, WuWIE EV 2013; 15.7.1992 -GECC/Avis Lease, WuWIE EV 1998; 23.3.1992 -Henkel/Nobel, WuWIE EV 1829. 117 Mestmäcker. in: InunengaIMestmäcker, § 23 Rn. 215.

138

2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

Schwieriger zu beurteilen sind Betriebsführungsverträge (Managementverträge). Bei einem Betriebsführungsvertrag ist der Betriebsführer vom Unternehmensträger beauftragt, gegen Entgelt das Unternehmen für Rechnung des Unternehmensträgers zu führen. und zwar entweder in dessen Namen oder im eigenen Namen 1J8 . Einem Betriebsführungsvertrag kann aber auch eine Situation zugrunde liegen, in der der Betriebsführer ein starkes eigenes Interesse an der Betriebsführung hat, das über das Interesse am Entgelt hinausgeht. Ob Betriebsführungsverträge zum Erwerb von Kontrolle führen, hängt daher von ihrer Ausgestaltung im Einzelfall abll9 . Maßgebliches Kriterium ist, ob der Betriebsführer gegenüber dem Unternehmenseigner ein eigenes Recht zur Führung des Betriebes in seiner Gesamtheit hat. Nur dann verliert der Unternehmenseigner seine unternehmerische Handlungsfreiheit ganz oder graduell. Ob der Betriebsführer ein eigenes Recht zur Führung des Betriebes hat, hängt davon ab, in wessen Interesse, also vor allem für wessen Rechnung das Unternehmen geführt werden soll. Wird es für Rechnung des Eigentümers geführt, dann beschränkt sich der Betriebsführungsvertrag auf den Einkauf von Managementleistungen gegen Entgelt. Der Betriebsführer ist dann regelmäßig an Weisungen der Unternehmenseigner gebunden. Fehlt eine Weisungsbindung, ist der Vertrag jederzeit kündbar. Denn der Unternehmenseigner kann weder unwiderruflich eine Generalvollmacht erteilen, noch kann er einen anderen unwiderruflich ermächtigen, das Unternehmen für seine Rechnung zu führen I 20. Das gilt unabhängig davon, ob Unternehmensträger eine natürliche Person oder eine Personengesellschaft ise 21 • Weisungsbindung und

118 Zu unterscheiden ist der Betriebsführungsvertrag vom Geschäftsfilhrungsvertrag im Sinne von § 291 Abs. 1 S 2 AktG. Im Geschäftsfuhrungsvertrag verpflichtet sich ein Unternehmensträger, sein eigenes Unternehmen für Rechnung eines anderen zu filhren; dazu unten 2 d cc, S. 155. Eine andere Terminologie fmdet sich in Teilen des Schrifttums zu § 23 GWB a. F., so z. B. bei Ruppelt, in: LangenJBunte, § 23 Rn. 34, der unter Betriebstlihrungsverträgen die Geschäftsfilhrungsverträge im Sinne von § 291 Abs. 1 S. 2 AktG versteht. 119 Vgl. Martens, S. 27; zu § 23 Abs. 2 Nr. 5 GWB a. F. KleinmanniBechtold, § 23 Rn. 185; Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, § 23 Rn. 216; Frisch, AG 1995, 362, 366. 120 U. Huber, ZHR 152 (1988),1,16 ff. 121 1st Unternehmensträger eine Kapitalgesellschaft, so könnte gegen die Kündbarkeit des weisungsireien Betriebstlihrungsvertrages sprechen, daß die Kapitalgesellschatl jedenfalls einen Beherrschungsvertrag abschließen könnte und sich so der Leitung des Betriebstlihrers unterstellen könnte. Mit dem Beherrschungsvertrag wäre aber die Pflicht des herrschenden Unternehmens zum Verlustausgleich nach § 302 AktG verbunden. Damit würde sich die Zielsetzung des Betriebstlihrungsvertrages - Führung des fremden Unternehmens auf fremde Rechnung - in ihr Gegenteil verkehren (u. Huber, ZHR 152 [1988], 1, 27). Aus der Möglichkeit, einen Beherrschungsvertrag zu schließen, läßt sich also nicht herleiten, daß weisungsffeie BetriebsiUhrungsverträge bei Kapitalgesellschatlen nicht kündbar sind.

B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

139

jederzeitige Kündigungsmöglichkeit haben zur Folge, daß der Unternehmensträger seine Handlungsfreiheit im Verhältnis zum Betriebsführer nicht verliert. Der Betriebsführer hat gegenüber dem Unternehmenseigner also kein Recht auf Betriebsführung, wenn das Unternehmen nur im Interesse des Unternehmenseigners geführt wird. Der Betriebsführer ist daher in diesen Fällen auch nicht Träger eigener Handlungsfreiheit im Wettbewerb. Folglich ist er auch nicht Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsregeln 122 . Er kann also nicht selbst gegen Artt. 85, 86 EGV verstoßen. Diese fusionskontrollrechtliche und kartellrechtliche Beurteilung fällt auch nicht anders aus, wenn der Betrieb eines Wettbewerbers geführt wird. Solche Verträge sollen, so heißt es für das GWB 123 , als Zusammenschlüsse zu behandeln sein. Denn es sei wahrscheinlich, daß bei einer solchen Konstellation das Marktverhalten abgestimmt werde, wenn auch der Betriebsführer seine Vorstellungen nicht gegen den Unternehmensträger durchsetzen könne. Das ist aber ein typischer Fall des abgestimmten Verhaltens zwischen zwei Unternehmen nach Art. 85 EGV I24 . Die Unternehmenseigenschaft des Betriebsführers ergibt sich hier nicht aus seinem Einfluß auf das geführte Unternehmen, sondern daraus, daß er bezüglich seines Unternehmens Unternehmensträger ist. Sähe man ihn als Unternehmer hinsichtlich beider Unternehmen an, wäre im übrigen auch die Abstimmung von Marktverhalten mangels Beteiligung zweier Unternehmen nicht mehr denkbar. Allerdings wird ein Unternehmen seinen Betrieb tatsächlich nur dann von einem Wettbewerber führen lassen, wenn eine größere gemeinsame Strategie, möglicherweise eine umfassende Gleichordnungsvereinbarung, dahinter steht. Wann in solchen Fällen die Grenze zur reinen Marktstrukturänderung überschritten ist, wird unten näher untersucht 125 . Diese Beurteilung ist unabhängig davon, ob der Betriebsführer den Betrieb im eigenen oder im fremden Namen führt. Wer im Außenverhältnis haftet, ist für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung unerheblich. Auch eine Außenhaftung des Betriebsführers läßt die fortbestehenden Einflußmöglichkeiten des Unternehmenseigners - Weisungs- oder Kündigungsrecht - unberührt.

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Es sei denn, er ist selbst Träger eines anderen Unternehmens.

Frisch, AG 1995, 362, 368; allerdings ist der Zusammenschlußtatbestand hier auch weiter, da nach § 37 Abs. I Nr. 4 GWB (= § 23 Abs. 2 Nr. 6 GWB a. F.) wettbe123

werblich erheblicher EinHuß ausreicht. Der genannte Beispielsfall verdeutlicht, daß ~ 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB die Grenze zwischen Fusionskontrolle und Verhaltensabstim~ung verwischt. 124 Für das GWB anders (Zusammenschluß nach § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB: wettbewerblich erheblicher EinHuß) Frisch, AG 1995, 362, 368. 125

VIll4f,S.198fI

140

2.Teil: Die Entstehung des Untemehmensverbundes

Ein Vertrag, der auf die Betriebsführung im fremden Interesse gerichtet ist, Ist daher kein Zusammenschluß im Sinne von Art. 3 FKVO. Anders sind Betriebsführungsverträge zu beurteilen, bei denen der Betriebsführer ein über das Entgelt hinausgehendes eigenes Interesse an der Betriebsführung hat. Ein Beispiel ist der Fall Accor/Wagon-Lits 126 . Im Rahmen der Verbundklausel war zu prüfen, ob Accor Umsätze aus Betriebsführungsverträgen nach Art. 5 Abs. 4 lit. b, 4. Spiegelstrich FKVO zuzurechnen waren. Accor führt verschiedene Hotelunternehmen, an denen es minderheitlich beteiligt ist, unter dem Namen seiner Kette. Hierbei ist Accor weitgehend freie Hand gelassen, mit Ausnahme der Aushandlung von Tarifverträgen und der Entsendung von Accor-Personal. Die Betriebsführungsverträge sind im Durchschnitt auf zehn Jahre befristet127 . Da Accor minderheitlich beteiligt ist, führt es die Hotelunternehmen auch auf eigene Rechnung. Außerdem ist das Betriebsführungsrecht als Teil seiner gesamten Unternehmenspolitik von Bedeutung, da Accor durch dieses Recht seine Kette erweitern und damit attraktiver machen kann. Diese Umstände sprechen dafür, daß Accor einen Anspruch gegen das Hotelunternehmen auf Führung des Betriebs hat. Damit hat der Eigentümer des Hotels seine unternehmerische Handlungsfreiheit hinsichtlich des gesamten Unternehmens zumindest graduell verloren. Die Kommission nahm an, es bestehe gemeinsame Kontrolle des Betriebsführers und des Eigentümers l28 . Es fragt sich, ob Betriebsführungsverträge auch alleinige Kontrolle durch den Betriebsführer begründen können. Das würde voraussetzen, daß der Betriebsführer den Eigentümer aus seiner Einflußposition ganz verdrängt. Bei den Kapitalgesellschaften wäre eine solche Konstellation nicht mehr als Betriebsführungsvertrag, sondern als Beherrschungsvertrag anzusehen, mit der Folge der Verlustausgleichspflicht129 . Bei Personengesellschaften könnte ein solcher Einfluß aus gesellschaftsrechtlichen Gründen allenfalls dann begründet werden, wenn der Betriebsführer unmittelbar oder mittelbar an der Gesell-

Kommission, 28.4. 1992 - AccorlWagon-Lits, ABi. 1992 L 20411 (Nm. 6 t1'.). Der in der Kommissionsentscheidung wiedergegebene Sachverhalt läßt leider offen, welche Regelungen über Gewinnbeteiligung oder feste Rendite getroUen wurden. 128 Kommission, Mitteilung über die Berechnung des Umsatzes, NT. 40 unter Bezugnahme auf den Fall AccorlWagon-Lits; ablehnend Karl, S. 212 f , aufgrund eines engen Begritfs des Betriebsführungsvertrages; nach LouvergnelMaille, Revue de la concurrence et de la consommation, S. 22, zeigt der Fall AccorlWagon-Lits, daß Franchiseverträge im Normalfall nicht zu einem Kontrollerwerb des Franchisegebers fUhren. Letzteres sieht die Kommission ebenso, siehe Kommission, 9.7.1997 - UBSI Mister Minit, MCR B562 (Nm. 10-17). 129 Vgl. Windbichler, ZIP 1987, 825, 826; zu den Beherrschungsverträgen unten 2 d aa, S. 153. 126 127

B. Die Detinition von Konzentrationssachverhalten

141

schaft beteiligt ist 13 0. Auch dann kann man den Vertrag nicht mehr als Betriebsführungsvertrag ansehen. Der Übergang von Betriebsführungsverträgen als Einkauf von Managementleistungen gegen Entgelt über Gemeinschaftsunternehmen bis zur alleinigen Kontrolle eines Gesellschafters aufgrund von Sonderrechten oder Stimmbindungen ist nach alledem fließend. Festzuhalten bleibt, daß Betriebsführungsverträge die Mitkontrolle des Betriebsführers begründen können, wenn der Betnebsführer ein gegenüber dem Unternehmenseigner durchsetzbares Recht hat. das Marktverhalten des Unternehmens mitzubestimmen. Franchiseverträge vermitteln dem Franchisegeber zwar deutlich mehr Einfluß auf das Unternehmen des Franchisenehmers als etwa Pachtverträge. Dennoch ist im Normalfall des Franchising eine Kontrolle des Franchisegebers zu verneinen l31 . 2. Rechte am Unternehmensträger

Rechte am Unternehmensträger können mittelbar bestimmenden Einfluß auf das Objekt Unternehmen geben. a) Stimmrechte

Der praktisch häufigste Fall des Erwerbs von Kontrolle über ein Unternehmen ist der mit dem Anteilserwerb verbundene Erwerb von Stimmrechten. Stimmrechte sind Rechte im Sinne von Art. 3 Abs. 3 lit. b FKVO, die einen bestimmenden Einfluß auf die Zusammensetzung, die Abstimmungen l32 oder die Beschlüsse der Organe des Unternehmensträgers gewähren können. Da der Einfluß über das Stimmrecht vennittelt wird, kommt es nicht auf die Anteile, sondern auf die Stimmrechte an133 . In den meisten Fällen, die die Kommission zu entscheiden hatte, hatte der Erwerber alleiniger Kontrolle neben der absoluten Stimmrechtsmehrheit aber auch die Anteilsmehrheit zwischen 50 % plus eine Aktie und 100 %.

Vgl. EmmerichiSonnenschein, § 27 m. Kommission, 9.7.1997 - UBSlMister Minit, MCR B562 (Nm. 10-17); LouvergnelMaille, Revue de la concurrence et de la consorrunation, S. 22. 132 Die Übersetzung von "votings" mit "Beratungen" im deutschen Text der FKVO erscheint wenig treHend, Mestmäcker, in: ImmengalMestmäcker, Vor 23 Rn. 144; Mestmäcker schlägt daher "Stirrunabgabe" vor; hier wird aus sprachlichen Gründen "Abstirrunungen" vorgezogen. 133 Beispiel: Kommission, 20. 6. 1997 - ClariantJHoechst, MCR B543 (Nr. 9): AnteiI45%, Stimmrechte 10%. 130 131

142

2.Teil: Die Entstehung des Unternelunensverbundes

Wer die Mehrheit aller Stimmrechte hat (absolute Stimmrechtsmehrheit), hat bestimmenden Einfluß auf die Tätigkeit des Untemehmensträgers. Dabei ist die Intensität des Einflusses je nach Gesellschaftsform unterschiedlich. Der Mehrheitsgesellschafter einer GmbH kann über sein Weisungsrecht die Geschäftsführung direkt beeinflussen, § 46 Nr. 6 GmbHG. Der Mehrheitsaktionär einer AG kann das nicht. Er kann aber über die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder und ihre Abberufung die Wahl des Vorstands beeinflussen. Angesichts dessen, daß die Organmitglieder an ihrem Verbleiben im Amt sowie an ihrer Wiederwahl interessiert sind, ist sichergestellt, daß auch ohne Weisungsbefugnis beide Organe im Sinne des Mehrheitsgesellschafters handeln. Ob man den Einfluß als rechtlichen bezeichnet, weil er sich aus dem Stimmrecht ergibt, oder als faktischen, weil er sich aus der Folgebereitschaft der Organe ergibt l34 , ist im Ergebnis unerheblich. Da die mit der Beteiligung verbundenen Rechte das Mittel sind, mit dem die Folgebereitschaft der Organe erst ausgelöst wird, wird hier rechtlicher Einfluß angenommen. Auch ein Aktionär, der nur über eine Stimmrechtsminderheit verfügt, erlangt bestimmenden Einfluß, wenn seine Stimmrechte ihm angesichts einer niedrigen Hauptversammlungspräsenz eine gesicherte Mehrheit geben (relative Stimmrechtsmehrheit)135 Die Möglichkeit, solche tatsächlichen Elemente wie die Hauptversammlungspräsenz zu berücksichtigen, gibt ausdrücklich Art. 3 Abs. 3 FKVO. Die Kommission zieht die Hauptversammlungpräsenz der letzten drei bis fünf Jahre als Kriterium dafür heran, ob der Anteilserwerb eine Stimmrechtsmehrheit geben wird136 . Regelmäßig befinden sich, wenn eine relative Stimmrechtsmehrheit bejaht werden kann, die restlichen Anteile in breitem Streubesitz. So reichten nach Ansicht der Kommission für den Erwerb alleiniger Kontrolle z. B. aus: 39 % der Anteile (und Stimmrechte) bei Streubesitz unter 107.000 Aktionären, von denen alle unter 4% der Anteile und nur drei über 3 % der Anteile hielten137 ; 25,96 % der Anteile bei breitem Streubesitz138 . Als 134 Für taktischen Einfluß Kommission, 3. 8. 1993 - Socit!te Generale de Belgique/Generale de Banque (NT. 12); Purrucker, S. 70; ohne Einordnung als rechtlichen oder taktischen Eintluß Fischer, S. 143 f; für rechtlichen Eintluß Dierdorf, S. 154, weil die Beteiligung und nicht die tatsächlichen Umstände Beherrschungsgrundlage seien; etwas anders ders., S. 54: die Einflußmöglichkeiten beruhten auf tatsächlichen Umständen, allerdings erhielten diese Umstände erst durch die Rechte des Mehrheitsaktionärs das nötige Gewicht. 135 Kommission, Mitteilung über den Begritf des Zusammenschlusses, NT. 14, 3. Abs. 136 Für das GWB mit den starren Anteilsgrenzen von 25 und 50% wird jetzt de lege lerenda vorgeschlagen, auf die durchschnittliche Hauptversammlungspräsenz abzustellen, Mülbert, S. E 110m. w. N. 137 Kommission, 10. 12. 1990 - AIjomari-PriouxlWiggins Teape Appleton, WuWIE EV 1154 (Nr. 4).

B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

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nicht ausreichend wurde eine Beteiligung von 12,84 % bei einer zu erwartenden Hauptversammlungspräsenz zwischen 33,2 % und 41,24 % angesehen 139 . Die Entscheidung, ob ein Anteilserwerb eine relative Stimmrechtsmehrheit geben wird, ist eine Prognoseentscheidung. DrauziSchroeder140 halten den "Blick in die Zukunft" für eine neuere Weiterentwicklung der Kommissionspraxis, die erst durch die Entscheidung Societe de Generale Belgique/Generale de Banque eingetreten sei. In dem Fall wurde das Prognoseelement aber aufgrund der Besonderheiten des Falles (Erhöhung der Beteiligung von 20,94 auf 25,96 %) nur deutlicher als in den anderen Entscheidungen. Stimmrechte begründen auch dann bestimmenden Einfluß, wenn sie lediglich eine Blockadeposition vermitteln. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Höhe der Stimmrechte einem Gesellschafter zwar die Möglichkeit gibt, Entscheidungen zu blockieren, er jedoch alleine keine Entscheidungen durchsetzen kann141 . Eine Stimmrechtsmehrheit begründet nicht immer bestimmenden Einfluß. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Satzung für die unternehmensleitenden, insbesondere die personellen Entscheidungen eine höhere Mehrheit verlangt, als der Mehrheitsaktionär innehat. Durch solche Regelungen erhält auch der Minderheitsaktionär bestimmenden Einfluß, so daß möglicherweise gemeinsame Kontrolle vorliegt. Der Einfluß aufgrund einer Stimmenmehrheit kann auch durch Mehrheitserfordernisse im Aufsichtsrat vermindert werden l42 . Auch ein Stimmenpool, in dem der Mehrheitsgesellschafter keinen bestim-

138 Kommission, 3.8. 1993 - Societe Generale de Belgique/Generale de Banque (Nm. 6 - 11); siehe auch 23. 10. 1995 - CGER-Banque/SNCI (Nr. 5): 50% bei im übrigen gestreutem Anteilsbesitz nicht über 5%. 139 Kommission, 19. 12. 1991 - Mediobanca/Generali, MCR B65 (Nr. 7); weitere Beispiele, in denen Minderheitsbeteiligungen nicht für die alleinige Kontrolle ausreichten, sind: 29. 4. 1991 - ElflErtoil (Nm. 6 - 11): 20,5 % bei weiterem Aktionär mit 32,\ %; 30. 4.1992 - Solvay-LaportelInterrox, WuWIE EV 1847,1848 f (Nm. 9 - 13): 24,96 % der Stimmrechte gaben trotz weiten Streubesitzes - darunter nur ein größerer Teilhaber mit 6 % - nie mehr als 30 % der Stimmrechte in den Gesellschaiterversammlungen. 140 DrauziSchroeder, S. 37. 141 Beispiel: Mehrheitserfordernis laut Satzung 60%, ein Gesellschaiter hält 50%, fünf weitere je 10%. 142 Vgl. Kommission, 10.5. 1993 - DASAIFokker, WuWIE EV 2093,2094 (Nr. 8): Stimmrechtsmehrheit DASAs, im Aufsichtsrat hatte DASA aber nicht die tUr wichtige Entscheidungen erforderliche qualifizierte Mehrheit, sondern war auf die Zustimmung anderer Aufsichtsratsmitglieder angewiesen. Die Kommission na1Jm an, daß dies den Eintluß DASAs zwar verringere, dieser aber dennoch bestimmend bliebe. Ob das am Umlimg der einer qualifizierten Mehrheit bedürfenden Entscheidungen (s. Nr. 6 a. a. 0.) lag oder daran, daß eine Blockademöglichkeit ausreicht, blieb oUen.

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

menden Einfluß hat, schließt eine alleinige Kontrolle durch ihn aus l43 . Allerdings kann dann gemeinsame Kontrolle mit den anderen Poolmitgliedern bestehen. Einflußmindernd kann auch ein Stimmrechtsverzicht sein l44 . Schwieriger zu beurteilen ist, ob Entherrschungsverträge den bestimmenden Einfluß eines Mehrheitsaktionärs entfallen lassen. Entherrschungsverträge werden zwischen Mehrheitsaktionär und abhängigem Unternehmen geschlossen. um die Vermutung der Abhängigkeit nach § 17 Abs. 2 AktG zu widerlegen. Ein Entherrschungsvertrag könnte zur Folge haben, daß trotz Stimmrechtsmehrheit kein bestimmender Einfluß im Sinne von Art. 3 Abs. 3 FKVO vorliegt. Im folgenden soll zunächst der Entherrschungsvertrag mit einer AG erörtert werden. Auf die Besonderheiten bei der GmbH wird im Anschluß eingegangen. In einem Entherrschungsvertrag verpflichtet sich der Mehrheitsgesellschafter gegenüber der abhängigen Gesellschaft, sein Stimmrecht nicht oder nur in geringerem Umfang auszuüben l45 . Aktienrechtlich ist umstritten, ob Entherrschungsverträge zulässig sind 146 und ob die Hauptversammlung der abhängigen Gesellschaft 147 und, bei einer AG als herrschendem Unternehmen, deren Hauptversammlung zustimmen muß 148 . Unterstellt man den aktienrechtlich wirksamen Abschluß eines Entherrschungsvertrages, so fragt sich, ob aufgrund des Vertrages der bestimmende Einfluß im Sinne der FKVO entfällt. Denkbar ist auch, daß der Entherrschungsvertrag dazu führt, daß statt der alleinigen Kontrolle nur noch gemeinsame Kontrolle vorliegtl49. Im GWB wird diese Frage im Zusammenhang mit der Umsatzzurechnung nach § 23 Abs. 1 S. 2, l. Halbs., l. Fall GWB erörtert, wonach dem beteiligten Unternehmen der Umsatz herrschender und abhängiger Unternehmen zuzurechnen ist. Nach h. M. schließen Entherrschungsverträge die Umsatzzurechnung nach dieser Vorschrift nicht aus l50 . Denn zwischen den am Entherrschungsvertrag Beteiligten bestünde keine Privatautonomie. Die Umstände,

143 Vgl. flir das Aktiemecht Barz, FS Bännann, S. 185, 187. Kommission, 15. 1. 1996 - STRABAGlBank AustriaJSTUAG, MCR B381

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(NI. 9). 145 Barz, FS Bännann, S. 185, 192; ein dinglicher Verzicht wäre bei der AG wegen Verstoßes gegen § 134 Abs. 1 AktG unzulässig (Hentzen, ZHR 157 [1993], 65, 67). 146 Dagegen etwa Hüttemann, ZHR 156 (1992), 314, 324 fI; dafür die h. M., s. Koppensteiner, in: Kölner Kommentar, § 17 Rn. 89 rn. w. N. 147 Vgl. Hentzen, ZHR 157 (1993), 65, 70. 148 Vgl. Koppensteiner, in: Kölner Kommentar, § 17 Rn. 93 f

149 Beispiel: A hält 70% an einer AG, B 30%. A verpf1ichtet sich gegenüber der AG, sein Stimmrecht nur noch in Höhe von 30% auszuüben. 150 Ruppelt, in: LangenlBunte, § 23 Rn. 89 sowie die Nachweise in den folgenden Fußnoten; a. A. KleinmanniBechtold, § 23 Rn. 351 (ohne Begründung).

B. Die Defmition von Konzentrationssachverhalten

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aus denen sich die fehlende Privatautonomie ergebe, seien nicht disponibei lsl . Die Verträge beruhten auf der Abhängigkeit, die sie ausschließen sollten 152 . Abhängigkeitsverhältnisse seien gerade deshalb Gegenstand gesetzlicher Regelungen, weil sie die Voraussetzungen zerstörten, unter denen Verträge ein zureichendes Mittel des Interessenausgleichs seien153 . Außerdem würden Entherrschungsverträge nur auf Zeit geschlossen und seien aus wichtigem Grunde kündbarls4 . Zudem könnten sie jederzeit übereinstimmend aufgehoben werden155 • Außerdem wird auf die Gefahr hingewiesen, daß durch den Abschluß von Entherrschungsverträgen die Parteien über das Eingreifen der Umsatzschwellen und damit der Fusionskontrolle disponieren könnten ls6 . Die Gegenansiche s7 hält Entherrschungsverträge für geeignet, die Umsatzzurechnung nach § 23 Abs. I S. 2 GWB auszuschließen. Allerdings sei nicht allein der Vertragsinhalt entscheidend, sondern die tatsächliche Handhabung. Wenn entgegen dem Vertrag beherrschender Einfluß ausgeübt werde oder aufgrund anderer Tatsachen ein solcher Einfluß bestündelS8 , dürfe ein Wegfall des beherrschenden Einflusses nicht angenommen werden. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, daß bei Entherrschungsverträgen in erhöhtem Maße die Gefahr besteht, daß sie - nicht nur aus fusionskontrollrechtlichen, sondern auch aus konzernrechtlichen Gründen - nur zum Schein abgeschlossen werden. Im Raluuen des Zusammenschlußtatbestandes des Art. 3 Abs. 3 FKVO könnten Entherrschungsverträge in zweifacher Hinsicht von Bedeutung sein. Zum einen fragt sich, ob der Erwerb der Stimmrechtsmehrheit dann nicht zum Erwerb (alleiniger) Kontrolle führt, wenn zugleich mit dem Stimmrechtserwerb ein Entherrschungsvertrag wirksam werden soll. Zum anderen kann ein bestehender Entherrschungsvertrag dazu führen, daß der Erwerb einer Minderheitsbeteiligung durch einen Dritten Kontrolle begründet.

Monopolkommission. HG I, Tz. 869. Mestmäcker. in: Immenga/Mestmäcker, § 23 Rn. 49; s. auch Möschel. Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Rn. 810: Entherrschungsvertrag als Planungsinstrument des herrschenden Unternehmens. IS3 Monopolkommission. HG I, Tz. 869. 154 Monopolkommission. HG I, Tz. 869; Mestmäcker. in: ImmengaJMestrnäcker § 23 Rn. 49. IS5 Monopolkommission. HG I, Tz. 869; auf die leichte Abänderbarkeit verweist auch Steindorff, Wettbewerbliche Einheit, S. 29. 156 Monopolkommission. HG I, Tz. 869. 157 BKartA. TB 1974, S. 34; Harms. in: Gemeinschaftskommentar, § 24 Rn. 136. 158 Etwa Verflechtungen oder wirtschaftliche Abhängigkeiten, siehe H entzen. ZHR 157 (1993), 65, 72, der deshalb für einen wirksamen Entherrschungsvertrag die Entflechtung anderer Abhängigkeitspotentiale verlangt. 151

IS2

10 Pohlmann

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2.Teil: Die Entstehung des UnternelunensverbWldes

Anzusetzen ist bei dem Anteilserwerb ohne Entherrschungsvertrag. Das abhängige Unternehmen ist gegenüber dem Mehrheitsgesellschafter nicht Träger eigener Handlungsfreiheit im Wettbewerb. Ein Entherrschungsvertrag könnte dazu fUhren, daß der Unternehmensträger gegenüber dem Mehrheitsgesellschafter eigene Handlungsfreiheit erwirbt. Das setzt, ebenso wie der Zusammenschlußtatbestand, voraus, daß der Unternehmensträger gegenüber seinem Gesellschafter eine durchsetzbare Rechtsposition erlangt, das heißt ein diesem gegenüber bestehendes Recht, das Verhalten des Unternehmens unabhängig von ihm zu bestimmenI59 . Es müßte mit anderen Worten eine Umkehr des durch den Anteilserwerb erfiillten Zusammenschlußtatbestandes erfolgen. Die Kündbarkeit des Entherrschungsvertrages steht dem nicht entgegen. Denn solange kein Grund für die Kündigung vorliegt, hat das abhängige Unternehmen einen Anspruch gegen den Mehrheitsbeteiligten darauf, seine Stimmrechte nicht oder nicht in vollem Umfang auszuüben. Im übrigen ist die Unkündbarkeit kein durchgängiges Merkmal von reinen Marktstrukturänderungen l60 , so daß sie auch kein Merkmal rur die Rückgängigmachung einer solchen Marktstrukturänderung sein kann. Aus demselben Grunde hindert die Befristung des Entherrschungsvertrages nicht die Annahme, der Unternehmensträger erwerbe gegenüber dem Aktionär eigene Handlungsfreiheit161 . Auch die Tatsache, daß der Mehrheitsgesellschafter vertragswidrig abstimmen kann, bedeutet nicht, daß die abhängige Gesellschaft keine durchsetzbare Rechtsposition hätte. Zum einen dürfte die Stimmabgabe nicht zugelassen werden, zum anderen wäre ein solcher Beschluß anfechtbar l62 . Auch das Argument, die Fusionskontrolle werde disponibel, erkenne man den Entherrschungsvertrag an, trägt nicht. Kann man wirksam Herrschaftsmacht ausschließen, dann muß dieser Ausschluß auch das Nichteingreifen der FKVO zur Folge haben. Die Frage ist vielmehr, ob aus fusionskontrollrechtlicher Sicht durch einen Entherrschungsvertrag Herrschaftsmacht wirksam ausgeschlossen werden kann. Selbst wenn man der Ansicht folgt, daß zwischen den Parteien des Entherrschungsvertrages keine Privatautonomie besteht, schließt das nicht aus, daß die Gesellschaft durch den Vertrag Handlungsfreiheit erlangt. Zwar kann die beherrschte Gesellschaft bei Vertragsabschluß nicht unabhängig entscheiden, so daß der Entherrschungsvertrag tatsächlich ein Gestaltungsinstrument des 159 Das Recht hat der Vorstand zwar nach § 76 Abs. 1 AktG ohnehin, aber gesclunälert durch die oben geschilderten Einflußmäglichkeiten eines Mehrheitsaktionärs. 160 Siehe oben A m3, S. 97 f. 161 Siehe oben zur Dauerhaftigkeit A m 9, S. 1Ol. 162 Barz, FS Bärmann, S. 185, 197 f.

B. Die DefInition von Konzentrationssachverhalten

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herrschenden Gesellschafters ist163 . Dennoch kann die Gesellschaft durch diese Gestaltung Handlungsfreiheit erlangen. Ist das der Fall, dann steht auch die übereinstimmende Aufhebbarkeit des Vertrages dieser Wirkung nicht entgegen. weil die Aufhebung dann auf einer autonomen Entscheidung der Gesellschaft beruht. Es fragt sich also, ob die Gesellschaft während der Dauer des Entherrschungsvertrages unabhängig von dem Mehrheitsgesellschafter handeln kann. Rechtlich ist das der Fall, weil die Einflußmittel der §§ 101 Abs. 1, 103 Abs. 1 S. 1,84 Abs. 1, Abs.3 S. 1, S. 2 AktG dem Gesellschafter nicht mehr zur Verfügung stehen. Tatsächlich ist es jedoch möglich, daß Vorstand und Aufsichtsrat sich auch während der Vertragsdauer an dem Interesse des demnächst wieder herrschenden Gesellschafters orientieren, weil sie ein Interesse daran haben, auch nach Vertragsablauf wiedergewählt zu werden. Fällt die nächste Aufsichtsratswahl jedoch noch in den Vertragszeitraum, ist das nicht zu erwarten; vielmehr werden sich die Organe am Interesse der Hauptversammlung ohne den Mehrheitsaktionär orientieren. Daher wird in der Literatur vorgeschlagen, die Wirkungen des Entherrschungsvertrages trotz längerer Vertragsdauer als mit der letzten Aufsichtsratswahl in dieser Zeit als beendet anzusehen l64 . Die Aufsichtsratsmitglieder können zwar jederzeit abberufen werden, so daß sie bis zum Ende der Vertragslaufzeit im Interesse der jeweiligen Hauptversammlung zu handeln bestrebt sein werden. Aber es ist nicht auszuschließen, daß die künftige Herrschaft in diesem Zeitraum schon Vorwirkungen zeitigt. Insofern läßt sich die Annalune rechtfertigen, daß die Wirkungen des Entherrschungsvertrages mit der letzten Aufsichtsratswahl im Vertragszeitraum enden. Bedenken gegen die kontrollausschließende Wirkung von Entherrschungsverträgen bestehen noch aus einem anderen Grund. Bei Entherrschungsverträgen ist, ähnlich wie bei Treuhandverträgen, die Gefahr einer Umgehung der Zusanuuenschlußkontrolle groß. Es ist daher immer die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß sie nur zum Schein abgeschlossen sind. Das vom BKartA herangezogene Kriterium, ob nicht nur rechtlich, sondern tatsächlich auf den beherrschenden Einfluß verzichtet wird, kann bei der präventiven Zusammenschlußkontrolle keine Rolle spielen. Denn alle Prognosen, ob das herrschende Unternehmen sich an den Entherrschungsvertrag halten wird, hätten rein spekulativen Charakter. Aus aktienrechtlicher Sicht besteht ebenfalls die Gefahr einer Umgehung konzernrechtlicher Vorschriften. Daher verlangt man zum Teil für einen wirk-

163 Vgl. Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Rn. 810: Planungsinstrument. 164 Götz, S. 61.

10"

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

samen Entherrschungsvertrag, daß der Mehrheitsaktionär ein Interesse an dem Verzicht auf Herrschaft haben muß. Dieses soll sich insbesondere aus seiner wirtschaftlichen Situation ergeben können, so z. B. daraus, daß er das Beteiligungsunternehmen als unabhängigen Wettbewerber auf dem Markt agieren lassen will oder ein gutes Management nur bei Unabhängigkeit gewinnen kann l65 . Danach trüge der Mehrheitsaktionär die Beweislast dafür, daß kein Scheingeschäft vorliegt. Die Gegenansicht lehnt das ab. Detjenige, der sich auf die Nichtigkeit nach § 117 Abs. 1 BGB berufe, müsse beweisen, daß ein Scheingeschäft vorliege l66 . Hier kann offenbleiben, welcher Ansicht zu folgen ist. Ist aktienrechtlich der Entherrschungsvertrag wirksam, dann steht seine Wirksamkeit auch für die Fusionskontrolle fest. Auch bei der GmbH sind Entherrschungsverträge mÖglich167. Angesichts der weiterreichenden Einflußmöglichkeiten eines Mehrheitsgesellschafters auf die Tätigkeit des Unternehmens muß neben dem Verzicht auf Stimmrechte bei der Bestellung des Geschäftsführers auch darauf verzichtet werden, bei Entscheidungen über die laufende Geschäftspolitik mitabzustimmen. Im übrigen gelten die zur AG angestellten Überlegungen zum Zusammenschlußtatbestand entsprechend. Entherrschungsverträge können daher den bestimmenden Einfluß, der sich aus dem Erwerb einer Stimmrechtsmehrheit ergäbe, entfallen lassen. Der Zusammenschlußtatbestand greift nicht ein. Allerdings erwirbt dann im Zeitpunkt der Beendigung der Wirkungen des Entherrschungsvertrages der Mehrheitsgesellschafter die Kontrolle im Sinne von Art. 3 Abs. 3 FKVO. Bestehende Entherrschungsverträge können dazu führen, daß der Erwerb einer Minderheitsbeteiligung Kontrolle begründet. b) Stimmrechte mit mitgliedschaftlichen Sonderrechten

Minderheitsgesellschafter, die nicht über eine Stimmrechtsmehrheit oder eine sich aus den Stimmrechten ergebende Blockadeposition verfügen, können durch in Satzung oder Gesellschaftsvertrag eingeräumte Sonderrechte, die mit ihrem Anteil unentziehbar verbunden sind, bestimmenden Einfluß auf ein Unternehmen erlangen168 . Für Art. 3 Abs. 3 FKVO sind allein solche Sonderrechte von Bedeutung, die Einfluß auf die Entscheidungen des UnternehBarz, FS Bännann, S. 185, 196; Möhring, FS Westennann, S. 427,434. Koppensteiner, in: Kölner Kommentar, § 17 Rn. 91. 167 Emmerich, in: Scholz, Anhang Konzernrecht Rn. 38. 168 Vgl. die Definition des Sonderrechts bei K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 19 m 3 c bb; auch Mehrstimmrechte gehören hierzu; sie werden im folgenden jedoch nicht mehr untersucht, da bereits oben (a) darauf hingewiesen wurde, daß für den Kontrollerwerb nicht die Anteils- sondern die Stimmrechtsmehrheit maßgeblich ist. 165

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B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

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mensträgers über den Einsatz des Objekts Unternehmen auf dem Markt geben. Rein vennögensmäßige Sonderrechte bleiben außer Betracht. Kontrollbegrtindende Sonderrechte können in der Fonn von Alleinentscheidungsrechten bestehen, wie z. B. in dem Recht, die Organe eines Unternehmensträgers oder die Mehrheit der Organmitglieder zu bestellen169 oder die Geschäftspolitik zu bestimmen170 . Kontrollbegrtindende Sonderrechte können auch als Vetorechte bestehen, so z. B. wenn nur mit Zustimmung des Minderheitsgesellschafters die Gesellschaftsorgane bestellt oder die geschäftspolitischen Entscheidungen getroffen werden könnenl71 . Da nach dem oben Gesagten positiver und negativer Einfluß gleichennaßen kontrollbegrtindend wirken können, sollen Alleinentscheidungsrechte und Vetorechte im folgenden gemeinsam behandelt werden. Entscheidend ist nämlich nicht, ob ein mitgliedschaftliches Sonderrecht ein Alleinentscheidungsrecht oder ein Vetorecht ist, sondern welchen Inhalt es hat. Kontrollbegrtindende mitgliedschaftliche Sonderrechte sind insbesondere Organbestellungsrechte und Mitentscheidungsrechte bei bestimmten anderen Entscheidungen. Sie können unter Art. 3 Abs. 3 lit. b FKVO fallen. Nach Art. 3 Abs. 3 lit. b FKVO kann bestimmender Einfluß auf ein Unternehmen durch ein Recht erworben werden, das bestimmenden Einfluß auf die Zusammensetzung, die Abstimmungen oder die Beschlüsse der Organe des Unternehmens gibt. In lit. b taucht der bestimmende Einfluß also noch einmal auf. Auch für den bestimmenden Einfluß im Sinne von lit. b reicht nach dem Wortlaut die Möglichkeit der Einflußnahme aus. Außerdem muß ein negativer Einfluß genügen, der nur die Blockade personalpolitischer Entscheidungen oder die Blockade von Entscheidungen der Organe ennöglicht. Nach Sinn und Zweck des Zusammenschlußtatbestandes ist ein solcher Einfluß auch mindestens erforderlich. Denn bestimmend ist der Einfluß nur dann, wenn er sich auf die Entscheidungen des Organs und damit auf die Unternehmenstätigkeit auswirkt. Daher besteht bestimmender Einfluß auf die Zusammensetzung eines Organs nur, wenn mindestens eine solche Anzahl von Organmitgliedern bestellt werden kann, wie zur Blockade der Entscheidungen des Organs erforderlich ist.

169 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 14, 2. Abs. 170 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 14, 4. Abs. 171 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 39; dies., 25. 9. 1992 - CCIE/GTE (NT. 8); dieser Fall ist nicht mit dem zu vetwechseln, daß Vetorechte zu gemeinsamer Kontrolle über ein Unternehmen führen.

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2.Teil: Die Entstehung des Untemehmensverbundes

Auch dann folgt daraus noch nicht zwingend ein bestimmender Einfluß auf das Unternehmen172 . Dieser hängt vielmehr davon ab, ob das betreffende Organ die unternehmensleitenden Entscheidungen trifft. Welche Entscheidungen das sind, wurde oben dargelegt173. Mit dem bestimmenden Einfluß auf die Zusammensetzung eines Organs ist in der Regel auch bestimmender Einfluß auf die Abstimmungen und die Beschlüsse gegeben. Etwas anderes gilt nur, wenn bei den Entscheidungen des Organs ein Minderheitsgesellschafter Mitentscheidungsrechte hat, die ihm die alleinige Kontrolle geben. Solche Mitentscheidungsrechte können bestimmenden Einfluß auf die Abstimmungen und die Beschlüsse der Organe geben, z. B. wenn ein Gesellschafter ein Vetorecht bezüglich der unternehmensleitenden Entscheidungen hat174 . Praktisch häufiger führen .solche Rechte zu gemeinsamer Kontrolle. Auch das Recht zum Stichentscheid kann zum Kontrollerwerb führen175 . Erstreckt sich das Recht zum Stichentscheid jedoch nicht auf die unternehmensleitenden Entscheidungen, so führt es nicht zum Kontrollerwerb176 . c) Stimmrechtsminderheit mit Rechten aus Stimmbindungsverträgen

In einem Stimmbindungsvertrag verpflichtet sich ein Gesellschafter gegenüber Dritten oder gegenüber Mitgesellschaftem, sein Stimmrecht in einem bestimmten Sinne auszuüben. Sein Abstimmungsverhalten kann für einzelne Fragen inhaltlich festgelegt sein, es kann aber auch an die Weisungen oder an das Beispiel einer bestimmten Person gebunden sein. Eine Stimmbindung kann auch in Form eines Stimmenpools mehrere Gesellschafter verpflichten, ihre Stimmrechte einheitlich abzugeben. Der Stimmabgabe geht dann eine Abstimmung unter den Gesellschaftern voraus l77 . Stimmbindungen gegenüber Dritten sind in dem für die Fusionskontrolle erforderlichen sachlichen Umfang gesellschaftsrechtlich allenfalls dann zulässig, wenn der Dritte als Nießbraucher oder Treugeber besondere Rechte an

So auch Bos/StuyckIWytinck, Rn. 4-040. IV 2 c aa, S. 128 f. 174 Kommission, 25. 9. 1992 - CCIEIGTE, MCR B112 (Nr. 8). 175 Kommission, 15. 11. 1993 - Fortis/CGER, MCR B 174 (Nr. 11). 176 Vgl. Kommission, 28. 3. 1994 - Banco SantanderlBritish Telecommunications, WuWfE EV 2136,2137 (Nm. 7 und 10); 2.12.1994 - Thomson CSFIDASA, WuWfE EV 2295, 2296 (Nr. 8); 8. 2. 1996 - SiemenslLagardere (Matra Transport), MCR B386 (Nr. 10). )77 Zöllner, ZHR 155 (1991), 168, Fn. 1. 172 173

B. Die Defmition von Konzentrationssachverhalten

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dem Gesellschaftsanteil hatl78 . Kontrolle erwirbt der Dritte dann aber bereits durch die Vereinbarung von Nießbrauch oder Treuhand, so daß diese Fälle hier außer Betracht bleiben. Hier geht es nur darum, ob ein Minderheitsbeteiligter durch einen Stimmbindungsvertrag Kontrolle erwerben kann. Die Stimmrechtsbindung kann sich auf einzelne anstehende Entscheidungen beziehen (ad-hoc-Stimmbindung17~. Bestimmender Einfluß auf das Unternehmen im Sinne von Art. 3 Abs. 3 FKVO kann hierdurch nicht entstehen. Denn die Stimmbindung muß sich, um als Kontrollmittel in Betracht zu kommen, auf die unternehmensleitenden Entscheidungen im oben erörterten Sinne beziehen. Denkbar ist aber, daß ein Mehrheitsgesellschafter gegen Art. 85 EGV verstößt, wenn er sich gegenüber einem Dritten veIpflichtet, sein Stimmrecht in einem bestimmten Einzelfall so auszuüben, daß wettbewerbsbeschränkende Absprachen zwischen ihm und dem Dritten zum Tragen kommenl80 . Hat die Stimmrechtsbindung den erforderlichen sachlichen Umfang, so kann der Anspruch aus dem Stimmbindungsvertrag ein Recht im Sinne von Art. 3 Abs. 3 lit. b FKVO sein, das bestimmenden Einfluß auf die Abstimmungen und Beschlüsse der Organe des Unternehmens gewährtl81 . Zwar heißt es in der Literatur zum GWB vereinzelt, mit der Berücksichtigung von Stimmbindungen stelle man auf die tatsächliche Eitlflußmachtl82 oder das wirtschaftliche Ergebnis der Stimmrechtsbindungl83 ab. Dem ist nicht zu folgen. Der Stimmbindungsvertrag ist rechtlich bindend. Zwar hindert die Verpflichtung aus dem Stimmbindungsvertrag den gebundenen Gesellschafter nicht daran, anders abzustimmen als der Berechtigte. Der Beschluß ist wirk178 Flume, Juristische Person, § 7 VI, S.242; ders., Personengesellschaften, § 14 VI, S. 230; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 19 Ill4 b 179 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 II 4 a cc. 180 Nach Flume, Juristische Person, § 7 VI, S. 247, ist, wenn sich der Gesellschafter zu einer Handlung seiner Gesellschaft verpflichtet und zur Erfiillung der Verpflichtung mit seiner Mehrheit einen entsprechenden Beschluß herbeiführt, seine Stirnmabgabe nichtig. 181 Ebenso Mestmäcker, in: InunengaJMestmäcker, Vor § 23 Rn. 144; im Ergebnis auch Kommission, 23.9.1993 -ArviniSogefi, MCR B167 (Nr. 8); DrauzlSchroeder, S. 44; ein anderer Fall, bei dem die Existenz einer Stirnmrechtsbindung streitig war, ging bis zum EuGH (Kommission, 19. 12. 1991 - Mediobanca/Generali, (Nr. 8); EuG, 28. 10. 1993 - ZunislKommission, EWiR Art. 173 EGV 1/93, S. 1085 [Schroeder); E uGH, 11. 1. 1996 - ZunisIKommission, Slg. 1996 I 1, 25 ff.»; vgl. auch Kommission, 8. 12. 1995 - MontedisoniGroupe Vernes/SCI (Nr.3): unwiderrufliches Recht, die Stimmrechte eines eigenen Tochterunternehmens in einem anderen Unternehmen auszuüben; ebenso die Literatur zum GWB: Mestmäcker, in: InunengalMestmäcker, § 23 Rn. 163; noch zur Gesetzesfassung vor der 5. GWB-Novelle KleinmannIBechtold, § 23 Rn. 71;Immenga, NJW 1980, 1417, 1418 f.; zweifelnd K. Schmidt, ZRP 1979, 38,43. 182Immenga, NJW 1980,1417,1418. 183 KleinmannIBechtold, § 23 Rn. 71.

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

sam und, wenn nicht alle Gesellschafter am Stimmbindungsvertrag beteiligt sind, auch nicht anfechtbar l84 . Der Berechtigte kann aber im Vorhinein auf vereinbarungsgemäße Abstimmung klagen. Ob er, weil das im Regelfall zu lange dauern würde, eine einstweilige Verfügung erwirken kann, ist umstritten. Im Ergebnis ist das zu bejahen, weil andernfalls eine zulässige Stimmrechtsbindung im Nonnalfall niemals durchgesetzt werden könnte185 . Der Stimmbindungsvertrag gibt also unabhängig von praktischen Schwierigkeiten im Einzelfall186 ein durchsetzbares Recht, so daß auf seiten des Verpflichteten nicht nur tatsächlich, sondern rechtlich ein Verlust von Handlungsfreiheit vorliegt. Eine andere Frage ist, ob eine ohne zugrundeliegende verbindliche Vereinbarung zu erwartende gemeinschaftliche Stimmabgabe Kontrolle begründen kann187. Wer Kontrolle erwirbt, hängt von dem Inhalt der Vereinbarung ab. Sind die Stimmen in der Weise gepoolt, daß vor der Stimmabgabe im Pool über das einheitliche Stimmverhalten abgestimmt wird, sind die Mehrheitserfordernisse und -verhältnisse im Pool maßgeblich dafür, ob alleinige, gemeinsame oder gar keine Kontrolle erworben wird l88 . Verpflichtet sich ein Gesellschafter, nach dem Beispiel oder nach den Weisungen seines Mitgesellschafters abzustimmen, so kann der Berechtigte die alleinige Kontrolle erwerben l89 . Auch eine Stimmrechtsvereinbarung, in der ein Gesellschafter gegenüber einem anderen auf die Ausübung seines Stimmrechts verzichtet, kann zum Kontrollerwerb durch letzteren führen l90 . d) Unternehmensverträge

1m folgenden soll untersucht werden, inwieweit die im Aktiengesetz geregelten Unternehmensverträge bestimmenden Einfluß im Sinne der FKVO begründen. Die Betriebspacht und -überlassung wurden als unmittelbare Kontrollmittel bereits behandelt. Die Unternehmensverträge des § 291 AktG haben ihre praktische Bedeutung innerhalb von bereits bestehenden Abhängigkeitsverhältnissen. Sie sind für die europäische Fusionskontrolle dann nicht von Zutt, ZHR 155 (1991),190,194 ff. Zutt, ZHR 155 (1991),190,199 ff. 186 Z. B.: Der Verpflichtete stirrunt spontan anders ab als der Berechtigte. 187 Dazu unten vn 2, 3, S. 176 fT., 178 ff. 188 Näher dazu unten Vlll4 c, S. 196 f. 189 A. A. Kleinmann/Bechtold, § 23 Rn. 362 und 191: gemeinsame Kontrolle. Dem ist nicht zu folgen, weil der Verpflichtete nichts bestimmen kalUl. 190 Kommission, 15. 1. 1996 - STRABAGlBank AustriaJSTUAG, WuW/E EV 2399 (Nr. 9): Der Mehrheitsgesellschafter verzichtete auf die Ausübung des Stimmrechts aus der einen Aktie, die er mehr besaß als der andere Gesellschafter. Daher lag nicht alleinige Kontrolle, sondern gemeinsame Kontrolle vor. 184 185

B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

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Interesse, weil sie allenfalls zu einer Verstärkung bereits bestehender Kontrolle fuhren. Hier werden daher nur Unternehmensverträge zwischen unabhängigen Unternehmen untersucht. Im Konzernrecht ist im einzelnen umstritten, inwieweit die im Aktiengesetz aufgefuhrten Unternehmensverträge auch bei anderen Gesellschaftsformen als der AG und der KGaA zulässig sind. Diese Problematik soll hier nicht vertieft werden. Vielmehr gelten die folgenden, die AG betreffenden Ausfuhrungen entsprechend fiir alle wirksam abgeschlossenen Unternehmensverträge anderer Gesellschaften. Aus konzernrechtlicher Sicht kann es außerdem im Einzelfall schwierig sein, Verträge einem bestinunten Vertragstypus der §§ 291, 292 AktG zuzuordnen. Auch das ist nicht Gegenstand der folgenden Ausfiihrungen. Die Kriterien, die über die Anwendung der Fusionskontrolle entscheiden, werden anhand der gesetzlichen Vertragstypen entwickelt. Misch- und Grenzfalle sind nach denselben Kriterien zu lösen. aa) Beherrschungsvertrag In einem Beherrschungsvertrag unterstellt eine Gesellschaft die Leitung ihrer Gesellschaft einem anderen Unternehmen, § 291 Abs. 1 S. 1, 1. Fall AktG. Durch diesen gesellschaftsrechtlichen Organisationsvertrag191 wird der Vorstand weisungsabhängig (erst § 76 AktG, dann § 308 AktG) und eventuell vorgesehene Zustinunungen des Aufsichtsrates werden entbehrlich (erst § 111 Abs.4 S. 2 AktG, dann § 308 Abs. 3 AktG). Das herrschende Unternehmen kann wegen seiner Weisungsbefugnis gegenüber dem geschäftsfuhrenden Organ der Gesellschaft (§ 308 Abs. 1, Abs. 2 AktG) die Geschäftspolitik bestimmen. Das gilt trotz der bei der beherrschten Gesellschaft verbleibenden Personalautonomie. Denn diese verliert angesichts des Weisungsrechts an Bedeutung. Mit dem Beherrschungsvertrag verliert daher das beherrschte Unternehmen seine Handlungsfreiheit. Es kann nur handeln, soweit das beherrschende Unternehmen es duldet. Der Beherrschungsvertrag ist daher ein Vertrag im Sinne von Art. 3 Abs. 3 FKVO, der bestinunenden Einfluß auf die Beschlüsse eines Organs des Unternehmen, nämlich des Vorstandes, gewährt l92 .

191 EmmerichiSonnenschein, § 8 TI 1; Geßler, in: GeßlerlHefennehllEkardtlKropff, § 291 Rn. 20. 192 Will man Art 3 Abs. 3 lit. b FKVO eng auslegen, so daß nur die unmittelbare Teilnahme an der Beschlußfassung darunter fiele, dann wäre der Beherrschungsvertrag

ein "anderes Mittel" im Sinne von Art. 3 Abs. 3 FKVO.

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2.Teil: Die Entstehung des Unternelunensverbundes

bb) Gewinnabführungsvertrag In einem Gewinnabfühnmgsvertrag verpflichtet sich eine Gesellschaft, ihren gesamten Gewinn an eine andere Gesellschaft abzuführen, § 291 Abs. 1 S. 1,2. Fall AktG, ohne eine Gegenleistung zu erhaltenl93 . Ein Gewinnabführungsvertrag wird praktisch ohne einen Beherrschungsvertrag ("isolierter Gewinnabführungsvertrag") nur vorkommen, wenn deIjenige, der den Gewinn erhalten soll, bereits die Anteilsmehrheit hatl94 . Dann hat der Kontrollerwerb schon vorher durch Anteilserwerb stattgefunden, so daß der spätere Abschluß eines der genannten Verträge nicht mehr von der Fusionskontrolle erfaßt wird. Werden Beherrschungsvertrag und Gewinnabführungsvertrag zugleich geschlossen, liegt schon wegen des Beherrschungsvertrages ein Zusammenschluß vor. Auch wenn zwischen anderen Unternehmensträgern als denen des Aktiengesetzes die Gewinnabführung vereinbart wird, wird sie praktisch immer mit umfassenden Leitungsbefugnissen einhergehen. Sollte in bestimmten Konstellationen dennoch ein Gewinnabführungsvertrag zwischen unabhängigen Unternehmen möglich sein, so ist mit diesem Vertrag allein nicht zwingend rechtliche Leitungsmacht verbundenl95 . Zum Teil hält man das allerdings dann für möglich, wenn nach den Marktverhältnissen im Einzelfall Investitionen besonders wichtig seien. Dann gebe der Gewinnabführungsvertrag dem Berechtigten bestimmenden Einfluß, weil die Gesellschaft nicht mehr über ihre Investitionen entscheiden könne l96 . Dem ist in dieser Allgemeinheit nicht zu folgen. Wieviel Investitionsfreiheit ein Gewinnabführungsvertrag läßt, hängt vielmehr von dessen Inhalt ab197 . Im übriDelUl sonst würde nicht der gesamte GewilUl abgefilhrt. EmmerichiSonnenschein, § 9 III 3; G. Wiedemann, Bd. I, AT Rn. 150: bloßer Reflex einer aus anderen Gründen bestehenden Abhängigkeit. DalUl ist allerdings die konzernrechtliche Zulässigkeit des Vertrages zweifelhaft. Im Konzernrecht wird zwn Teil der isolierte Abschluß eines Gewinnabführungsvertrages bei der AG wegen Verstoßes gegen §§ 311 ff. AktG ftlr unzulässig gehalten, siehe dazu EmmerichiSonnenschein, § 9 II 2 ffi. W. N. in Fn. 12. Nach Ebenroth, Vermögenszuwendungen, S. 402 f. kommen isolierte GewilUlabführungsverträge auch bei abhängigen Unternelunen nicht vor. 195 So auch Karl, S. 209 f.; im Aktienrecht ist das streitig; daftlr Geßler, in: Geßler/ HefermehllEckardtlKropff, § 291 Rn. 72; Koppensteiner, in: Kölner Kommentar, § 291 Rn. 64 i. V. ffi. Rn. 62 f. ffi. w. N. ftlr die Gegenauffassung. 196 Miersch, S. 80; auch die Hohe Behörde sah GewilUlabführungsverträge als ffiöglicherweise kontrollbegrllndend an, Entscheidung 24/54, Art. 1 Nr. 4; in die FKVO ist diese Regelung aus unbekaIU1ten Gründen abweichend von den anderslautenden Entwürfen [ABI. 1989 C 22114, 17 (Art. 3 Abs. 3 lit. d); ABI. 1988 C 130/4, 6 (Art. 3 Abs.3 Nr. 4); ABI. 1973 C 9211,3 (Art. 2 Abs. 2 Nr. 4)] nicht übernommen worden. Bos/Stuyck/Wytinck, Rn. 4-040, S. 154, vermuten, daß Abgrenzungsschwierigkeiten zu Art. 3 Abs. 5 lit. a FKVO die Ursache daftlr waren. 197 Vgl. Harms, Konzerne, S. 260. 193

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B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

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gen werden die Fälle selten sein, in denen Einfluß auf die Investitionen bestimmenden Einfluß auf die gesamte Tätigkeit vermittelt l98 . cc) Geschäftsführungsvertrag Dem Gewinnabführungsvertrag wird in § 291 Abs. 1 S. 2 AktG der Geschäftsführungsvertrag gleichgestellt, in dem sich eine Gesellschaft verpflichtet, ihr Unternehmen unentgeltlich199 im eigenen oder im fremden Namen200 für Rechnung eines anderen Unternehmens zu führen, § 291 Abs. 1 S. 2 AktG. In ihren Wirkungen stehen sich beide Verträge gleich mit dem Unterschied, daß beim Gewinnabführungsvertrag der Gewinn zunächst bei dem verpflichteten Unternehmen entstehe0 1. Die Ausführungen zum Gewinnabführungsvertrag gelten daher entsprechend202 . dd) Gleichordnungsvertrag In einem Gleichordnungsvertrag im Sinne von § 291 Abs. 2 AktG stellen sich voneinander unabhängige Unternehmen unter einheitliche Leitung. Ein solcher Vertrag kann keine alleinige Kontrolle, sondern nur die gemeinsame Kontrolle mehrerer begründen, weil die beteiligten Unternehmen an der Willensbildung des Leitungsorgans teilhaben. Wäre eines von ihnen von der Willensbildung ausgeschlossen, läge insofern ein Beherrschungsvertrag vor. Der Gleichordnungsvertrag wird daher im Zusammenhang mit der gemeinsamen Kontrolle erörtert. Gleichordnungsverhältnisse können nicht nur durch Vertrag, sondern auch durch wechselseitige Beteiligungen, personelle Verflechtungen oder Gründung von Gemeinschaftsunternehmen entstehen. Auch diese Fälle werden mit dem Erwerb gemeinsamer Kontrolle behandelt. ee) Gewinngemeinschaft Bei der Gewinngemeinschaft nach § 291 Abs. 1 Nr. 1 AktG verpflichtet sich eine Gesellschaft, ihren Gewinn oder den Gewinn einzelner ihrer Betriebe 198 Vgl. Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 27: nur ein Indiz für Kontrolle. 199 So die h. M., Schulze-Osterloh, ZGR 1974, 427, 453; Koppensteiner, in: Kölner Kommentar, § 291, Rn. 59. 200 Koppensteiner, in: Kölner Kommentar, § 291 Rn. 58. 201

EmmerichiSonnenschein, § 9 V 1.

202 Zur Bedeutungslosigkeit von Geschäftsfilhrungsverträgen mit unabhängigen Unternehmen siehe Koppensteiner, in: Kölner Kommentar, § 291 Rn. 63.

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

ganz oder zum Teil mit dem Gewinn anderer Unternehmen oder einzelner Betriebe anderer Unternehmen zur Aufteilung eines gemeinschaftlichen Gewinns zusammenzulegen. Allein aus der Vergemeinschaftung des Gewinns folgt kein bestimmender Einfluß eines Beteiligten auf den anderen. Da die Beteiligten jedoch ein übereinstimmendes Interesse daran haben, einen möglichst hohen Gesamtgewinn zu erzielen, "drängt die Gewinngemeinschaft zur Verwaltungsgemeinschaft"203. Führt dies so weit, daß eine einheitliche Leitung der beteiligten Unternehmen erreicht wird, liegt ein Gleichordnungskonzern vor204 . Allerdings kann eine Gewinngemeinschaft auch zur Bildung eines Kartells dienen205 . Gewinngemeinschaften mit vergemeinschafteter Geschäftspolitik liegen daher im Grenzbereich zwischen Konzentration und Kooperation. fi) Teilgewinnabführungsvertrag Beim Teilgewinnabführungsvertrag verpflichtet sich eine Gesellschaft, einen Teil ihres Gewinns oder den Gewinn einzelner ihrer Betriebe an einen anderen206 abzuführen, § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG. Ein Teilgewinnabfuhrungsvertrag ist mit einem Aktionär nur wirksam, wenn er mit einer Gegenleistung des Aktionärs verbunden ist207 . Mit Nichtaktionären kommt ein Teilgewinnabführungsvertrag praktisch nur zustande, wenn eine Gegenleistung erfolgt, wie etwa die Überlassung von Produktionsmitteln zum Gebrauch, Dienstleistungen oder, als praktisch bedeutsamstem Falf08 , einer stillen Beteiligung. Der Teilgewinnabführungsvertrag begründet für sich genommen grundsätzlich keinen bestimmenden Einfluß auf die verpflichtete Gesellschaft209 . Denn er tangiert nicht per se die Geschäftspolitik des Unternehmens. Insbesondere ist hier noch weniger als beim Gewinnabführungsvertrag anzunehmen, die Teilgewinnabfuhrung nehme dem Unternehmen die freie Entscheidung über seine Investitionen.

203 Emmerich/Sonnenschein, § 11 TI 4 lit. b; ebenso Koppensteiner, m: Kölner Kommentar, § 292 Rn. 44; anders wohl Vetter, S. 117. 204 Geßler, in: GeßlerlHefermehllEckardtlKropff, § 292 Rn. 26. 205 Fikentscher, Interessengemeinschaft, S. 48 f. 206 Nach dem AktG muß das kein Unternehmen sein. Die Fusionskontrolle greift aber nur ein, wenn es sich um ein Unternehmen handelt. 207 HüjJer, § 292 Rn. 16; Emmerich/Sonnenschein, § 11 m3. 208 HüjJer, § 292 Rn. 15. 209 Aus konzernrechtlicher Sicht begründet der Gewinnabführungsvertrag allein keine Abhängigkeit, Geßler, in: GeßlerlHefermehllEckardtlKropft: § 292 Rn. 48; Harms, Konzerne, S. 260.

B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

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Die Teilgewinnabführung ist häufig ein Element umfassenderer Abreden über die Beteiligung an der unternehmerischen Tätigkeit eines anderen, vor allem in der Form einer stillen Gesellschaft. Unter welchen Voraussetzungen ein stiller Gesellschafter bestimmenden Einfluß auf das Unternehmen haben kann, wird unten (f) näher untersucht. e) Eingliederung

Die Eingliederung gemäß §§ 319, 320 AktG setzt voraus, daß die zukünftige Hauptgesellschaft mindestens 95 % des Grundkapitals der einzugliedernden Gesellschaft hält. Durch die Eingliederung wird daher keine Kontrolle mehr erworben, so daß ein Zusammenschluß nicht vorliegt. j) Stille Gesellschaft

Ein Unternehmensträger kann sich durch Vereinbarung mit einem anderen Unternehmensträger mit einer Einlage in der Weise an dessen Unternehmen beteiligen, daß er am Gewinn - und möglicherweise auch am Verlust - beteiligt ist, §§ 230, 231 HGB. Allein aus der stillen Beteiligung erhält der Beteiligte keine rechtlichen Einflußmöglichkeiten auf das Verhalten des Unternehmensträgers. Die stille Gesellschaft kann jedoch auch atypisch ausgestaltet sein. Der stille Gesellschafter kann etwa schuldrechtlich am Vermögen des Unternehmensträgers beteiligt sein. Dann entsteht auch ein Treuhandverhältnis zwisehen dem Unternehmensträger und dem Stillen, weil der Unternehmensträger auch im Interesse des Stillen zu handeln verpflichtet ist2lO . Der Stille kann auch an den unternehmensleitenden Entscheidungen beteiligt sein. Dabei sind abgestuft eine gleichberechtigte Mitentscheidungsbefugnis, ein Weisungsrecht oder ein alleiniges Geschäftsführungsrecht des Stillen denkbar211 . Bestimmenden Einfluß können solche Geschäftsführungsbefugnisse geben, wenn sie dem stillen Gesellschafter gegenüber dem Unternehmensträger einen durchsetzbaren Anspruch darauf geben, die unternehmensleitenden Entscheidungen (mit) zu treffen. Nicht ausreichend sind abgeleitete Geschäftsführungsbefugnisse, die vom Unternehmensträger ohne weiteres entzogen werden können. Ob das der Fall ist, hängt vom Einzelfall ab. Insbesondere bei den stillen Gesellschaften mit Treuhandcharakter ist zumindest mitbestimmender Einfluß des Stillen gegeben2l2 • Vgl. K. Schmidt. Gesellschaftsrecht, § 62 II 2 c aa (Treuhandelemente). Schulze-Osterloh. ZGR 1974, 427, 447, 450 ff.; K. Schmidt. Gesellschaftsrecht, § 62 II 2 c bb 212 Zur Treuhand siehe unten 4. 210 211

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2.Teil: Die Entstehung des Unternelunensverbundes

3. Rechte am Unternehmens anteil a) Nießbrauch am Anteil Der Nießbrauch an der Mitgliedschaft ist deren dingliche Belastung mit dem Recht des Begünstigten, die Nutzungen der Mitgliedschaft zu ziehen, §§ 1068, 1030 BGB. Ob der Nießbrauch bestimmenden Einfluß im Sinne von Art. 3 Abs. 3 lit. b FKVO begründet, hängt davon ab, ob der Nießbraucher eigene Mitwirkungsrechte, insbesondere ein eigenes Stimmrecht hat. In der Literatur ist umstritten, welche Mitwirkungsrechte der Nießbraucher hat. Überwiegend verneint man ein eigenes Stimmrecht des Nießbrauchers, zum Teil hält man den Nießbraucher für allein stimmberechtigt, soweit nicht die Substanz der Mitgliedschaft betroffen ist213 . Praktisch wird dem Nießbraucher häufig eine Stimmrechtsvollmacht erteilt. Denkbar sind auch Stimmrechtsbindungen zugunsten des Nießbrauchers. In allen Fällen ist aus fusionskontrollrechtlicher Sicht maßgeblich, ob der Nießbraucher gegenüber dem Anteilsinhaber ein durchsetzbares Recht zur Mitwirkung an den Entscheidungen des Unternehmensträgers hat. Eine Stimmrechtsvollmacht allein begründet kein solches Recht, sondern nur eine vom Anteilsinhaber abgeleitete Befugnis. Folgt man der Ansicht, die das Stimmrecht dem Nießbraucher zuweist und dem Anteilsinhaber nur die den Minderheitenschutz ausmachenden Rechte beläßt, dann hat der Nießbraucher ein eigenes Recht zur Mitwirkung, das den Inhaber des so belasteten Anteils verdrängt. Die Nießbrauchsbestellung fallt dann unter den Zusammenschlußbegriff. Das gilt auch dann, wenn man der genannten Ansicht nicht folgt, aber einen zwischen Nießbraucher und Anteilsinhaber geschlossenen Stimmbindungsvertrag für zulässig häle l4 , in dem der Anteilsinhaber sich verpflichtet, im Sinne des Nießbrauchers abzustimmen. b) Unterbeteiligung Bei der Unterbeteiligung beteiligt sich jemand als stiller Gesellschafter des Hauptbeteiligten an einem Gesellschaftsanteil215 . Ein Kontrollerwerb des Unterbeteiligten ist nur dann denkbar, wenn er ein gegenüber dem Hauptbeteiligten durchsetzbares Recht hat, die Mitgliedschaftsrechte, insbesondere das Stimmrecht, wahrzunehmen. Das kann erstens der Fall sein, wenn der Haupt213 Siehe zum Streitstand Bassenge, in: Palandt, § 1068 Rn. 3, 4; siehe für die einzelnen Gesellschaftsfonnen K. Schmidt, in: Schlegelberger (1986), Vorbem. (§ 230 n. F.) § 335 Rn. 16,22,26 m. W.N. 214 Dazu K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 114 ace. 215 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 63 I 1.

B. Die DefInition von Konzentrationssachverhalten

159

beteiligte den Anteil für den Unterbeteiligten hält und der Unterbeteiligte daher die wirtschaftlichen Risiken trägt. Dann liegt ein Treuhandverhältnis vor, für das die sogleich (4.) darzulegenden Regeln gelten. Zweitens kann der Unterbeteiligte auch die Kontrolle gemeinsam mit dem Hauptbeteiligten erwerben, wenn dieser den Anteil teils für eigene, teils für fremde Rechnung hält. 4. Treuhandverhältnisse Rechte am Objekt Unternehmen, Rechte am Unternehmensträger sowie Rechte am Unternehmensanteil können auch treuhänderisch ausgeübt werden. Insofern hätten die Treuhandverhältnisse jeweils als Unterpunkt der zuvor erörterten drei Fallgruppen 1 - 3 untersucht werden können. Die folgenden Ausführungen gelten für alle drei Fallgruppen. Inhaber der Kontrolle über das Zielunternehmen kann der Treuhänder oder der Treugeber sein. Bei den folgenden Überlegungen wird unterstellt, daß die Rechte, die Gegenstand der Treuhand sind, kontrollbegründend sind. a) Vollmachts- oder Ermächtigungstreuhand Der Rechtsinhaber kann einen Dritten bevollmächtigen oder ermächtigen, die kontrollbegründenden Rechte auszuüben. Nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 4 lit. b FKVO kann so die Kontrolle des Bevollmächtigten oder Ermächtigten (=Treuhänder) begründet werden. Sinn und Zweck des Zusammenschlußtatbestandes ergeben jedoch, daß Art. 3 Abs. 4 lit. b FKVO einschränkend auszulegen ist. Eine kontrollbegründende Befugnis, fremde Rechte auszuüben, liegt solange nicht vor, wie der Rechtsinhaber die Befugnis behält, durch Widerruf der Bevollmächtigung oder Ermächtigung oder durch Weisungen jederzeit auf das Verhalten des Treuhänders Einfluß zu nehmen. Denn solange hat der Treuhänder kein gegenüber dem Rechtsinhaber durchsetzbares Recht, die unternehmensleitenden Entscheidungen zu treffen. Der Rechtsinhaber verliert daher nicht seine Handlungsfreiheit. Der Treuhänder kann nur dann rechtlich begründete Kontrolle erwerben, wenn er ein gegenüber dem Rechtsinhaber durchsetzbares Recht zur Ausübung des Vollrechts hat. Dem sind allerdings materiell-rechtliche Schranken gesetzt. So kann sich z. B. ein Anteilseigner seiner Entscheidungsbefugnisse nicht durch eine verdrängende Vollmacht unwiderruflich begeben216 • Ebensowenig kann ein Rechtsinhaber, der die wirtschaftlichen Risiken des Vollrechts trägt, eine unwiderrufliche Vollmacht erteilen. Denn dann wäre die Vollmacht

216

Flume, Juristische Person, § 7 11 1, S. 201; ders., Personengesellschaft, § 14 VI,

S.230.

160

2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

in seinem Interesse erteilt. In einem solchen Fall kann die Vollmacht nur widerruflich sein217 . Fraglich ist, wann von dieser rechtlichen Bewertung aufgrund tatsächlicher Umstände abzuweichen ist. In der Literatur wird vorgeschlagen, trotz fonnaler Weisungsbindung des Treuhänders allein diesen als Kontrollinhaber anzusehen, wenn er allein über die fachliche Kompetenz verfüge und der Rechtsinhaber nur am Gewinn interessiert see18 . Dagegen spricht, daß der Treuhänder im Interesse des Rechtsinhabers zu handeln hat. Auch daß dieses ein rein finanzielles Interesse ist, ändert nichts daran, daß der Treuhänder nicht die Kontrolle erwirbt. Denn finanzielles und unternehmerisches Interesse lassen sich nicht trennen, wenn kontrollbegründende Rechte gehalten werden219 . Gegen die Annahme, der Treuhänder habe die alleinige Kontrolle, spricht auch, daß die damit zwingend verbundene Annahme, der Rechtsinhaber habe keine Kontrolle, nicht überzeugt. Denn Art. 3 Abs.3 FKVO läßt gerade die Möglichkeit bestimmenden Einflusses genügen, unabhängig davon, wie dieser Einfluß im Einzelfall geltend gemacht wird. Er kann auch so geltend gemacht werden, daß ein Bevollmächtigter oder Ennächtigter mit großem Handlungsspielraum die unternehmensleitenden Entscheidungen trifft. Es fragt sich, ob für die Stimmrechtsvollmachten der Banken etwas anderes gilt. Bei den nach § 135 AktG erteilten Stimmrechtsvollmachten ist die Situation in den meisten Fällen der oben geschilderten vergleichbar. Die fachlich kompetente Bank macht den Aktionären Abstimmungsvorschläge, § 128 Abs. 2 S. 1 AktG, denen nahezu alle Aktionäre zustimmen; lediglich etwa 2% der Aktionäre erteilen von den Vorschlägen abweichende Einzelweisungen220 . Rechtlich gesehen können die Stimmrechtsvollmachten den Banken keinen bestimmenden Einfluß vermitteln, weil die Vollmachten jederzeit widerruflich sind, § 135 Abs. 2 S. 2 AktG, die Banken weisungsabhängig sind und im Interesse der Aktionäre zu handeln haben, §§ 128 Abs. 2 S. 2, 135 Abs. 5 AktG. Tatsächlich ist es jedoch ausgeschlossen, daß die Banken ihren Abstimmungsvorschlägen jeweils das Interesse des einzelnen Aktionärs zugrunde legen. Eher werden sie ein übereinstimmendes Interesse aller Aktionäre zugrunde le-

217 RGH, DNotZ 1972, 229; Heinrichs, in: Palandt, § 168 Rn. 6; Flume, AT Bd. 2, § S3 I, S. 876 f. 218 Stockenhuber, S. 104. 219 Vgl. Kommission, 15.1. 1996 - STRABAGlBank AustriaJSTUAG, MCR B381

(Nm. 15, 16): 1000/0iger Antei1sbesitz führt zu Kontrolle, auch wenn mit dem Anteilsbesitz angeblich nur fmanzielle Interessen verfolgt werden; dementsprechend bezeichnet die Kommission nur nicht kontrollbegründende Minderheitsbeteiligungen als reine Finanzbeteiligungen, Kommission, 29.5. 1995 - Seagram/MCA, MCR B311 (Nr. 13); 13. 9. 1993 - British TelecommunicationslMCI, MCR B165 (Nm. 15 - 17). 220 WernerlPeters, BB 1976, 393, 395 m. w. N.

B. Die DefInition von Konzentrationssachverhalten

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gen, bei dem aber zweifelhaft ist, ob es das überhaupt gibe21 . Daraus könnte der Schluß gezogen werden, die Banken setzten die Vollmachtsstimmen im eigenen Interesse ein222 . Damit würde man den Banken aber einen Verstoß gegen § 128 Abs. 2 S. 2 AktG in den Fällen unterstellen, in denen Bankeninteresse und Aktionärsinteresse voneinander abweichen. Ob man die Vollmachtsstimmen den Banken zurechnet, hängt also davon ab, inwieweit tatsächlich die Banken die Vollmachtsstimmen ohne weiteres ihren eigenen Stimmen zuschlagen. Das scheint jedenfalls nicht selbstverständlich zu sein. Denn zumindest einige Banken trennen schon durch die Organisation klar zwischen Vollmachtsstimmen und Stimmen aus Eigenbesitz223 . Meines Erachtens sollte man daher de lege lata allein auf die rechtliche Situation abstellen und Vollmachtsstimmen nicht als kontrollbegründende Stimmen ansehen. De lege ferenda wäre nach umfassender Würdigung der Rechtstatsachen zu erwägen, ob man wegen der Besonderheiten des Vollmachtsstimmrechts (Kumulierung, Passivität der Aktionäre, fehlendes einheitliches Aktionärsinteresse) die Vollmachtsstimmen der Banken behandelt wie eigene Stimmen. Nicht praktikabel erscheint dabei der Vorschlag, für jede Bevollmächtigung im Einzelfall zu prüfen, ob die Bank eigenständig handelt oder nicht224 . Denn wenn ein Aktionär keine Weisungen erteilt, läßt sich daraus nicht schließen, daß er die Bank eigenständig handeln läßt; vielmehr kann das Nichtvorliegen von Weisungen auch über eine längere Zeit einfach darauf beruhen, daß der Aktionär mit den Vorschlägen der Bank einverstanden ist. Vorzuziehen wäre es, typisierend darauf abzustellen, wieviele Vollmachtsstimmen in der letzten Hauptversammlung ohne Weisungen vertreten wurden225 . Denkbar wäre es hier auch, auf die letzten drei Hauptversammlungen abzustellen, wie es die Kommission bei der Beurteilung der Hauptversammlungspräsenzen tut226 . Dagegen Purrucker, S. 100 ff. Unklar Purrucker, S. 100 ff., der aus dem fehlenden einheitlichen Aktionärsinteresse und der fehlenden Widerspruchsmöglichkeit des Aktionärs gegen weisungswidrig oder nicht in seinem Interesse abgegebene Stimmen schließt, die Banken seien "als die eigentlichen Träger des Einflußmitleis Vollmachtsstimmrecht anzusehen". 223 Vgl. Mülbert, S. E 41 f. 224 So de lege lata der Vorschlag von Stockenhuber, S. 107. 225 So zum GWB der Vorschlag de lege ferenda von Mülbert, S. E 109, m. w. N., allerdings unter Bezugnahme auf eine alte Fassung des GWB; richtig in der Zusammenfassung, S. E 117; ähnlich de lege lata Purrucker, S. 106 f.: beherrschender Einfluß im Sinne von § 23 Abs. 2 Nr. 5 GWB a.F. (jetzt § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB), wenn die Bank in den beiden letzten Hauptversammlungen aufgrund des Vollmachtsstimmrechts abzüglich der nach Weisung abgegebenen Stimmen über mehr als 25% des vertretenen Grundkapitals verfügt. 226 Kommission, 3. 8. 1993 - Societe Generale de Banque/Societe Generale de Belgique, MCR B 160 (Nm. 5 - 14). 221

222

11 Pohlmann

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

b) Vollrechtstreuhand

Bei der Vollrechtstreuhand ist der Treuhänder der Inhaber des Vollrechts, darf das Recht aber nur so ausüben, wie es im Treuhandvertrag vorgesehen ist. Hinsichtlich des ElWerbsvorgangs sind zu unterscheiden: die ElWerbstreuhand (Treuhänder erwirbt das Recht für den Treugeber), die Übertragungstreuhand (Treugeber überträgt das Recht auf den Treuhänder) und die Vereinbarungstreuhand (Rechtsinhaber verpflichtet sich, das Recht künftig treuhänderisch für den Treugeber zu halten)227. Im letzteren Fall erschöpft sich die Begründung der Treuhand also in einem schuldrechtlichen Rechtsgeschäft, das in den erstgenannten Fällen neben das dingliche Geschäft tritt. Bei der Übertragungstreuhand kann der übertragende Treugeber keine Kontrolle elWerben, sondern allenfalls seinen Einfluß verringern. Bei der Vereinbarungstreuhand gilt dasselbe für den Treuhänder. Im übrigen fragt sich unabhängig vom Erwerbsvorgang, wann eine Vollrechtstreuhand zum KontrollelWerb des Treuhänders, des Treugebers oder beider führt228. Für den Treuhänder enthielt der letzte Entwurf der FKVO in Art. 3 Abs. 4 lit. c FKVO eine Regelung. Es hieß dort, die Kontrolle werde für die Personen oder Unternehmen begründet, die als privatrechtliche Treuhänder Eigentümer von Vermögensgegenständen eines Unternehmens oder von Anteilsrechten an einem Unternehmen seien, und die Befugnis hätten, die sich daraus ergebenden Rechte auszuüben, es sei denn, daß ihre Befugnis jederzeit widerruflich sei oder daß sie an bestimmte Weisungen ihrer Machtgeber gebunden seien229 . Lit. c wurde dann aus unbekannten Gründen gestrichen. Ob man sie angesichts der lit. a oder als Spiegelbild der lit. b für überflüssig hielt230, kann offen bleiben. Auch ohne die ausdrückliche Regelung setzt ein bestimmender Einfluß des Treuhänders voraus, daß er das Recht hat, das Stimmrecht aus dem Anteil nach seiner Entscheidung wahrzunehmen. Lit. b paßt auf Treuhänder nicht, weil sie Vollrechtsinhaber und nicht nur ausübungsbefugt sind. Insofern ist lit. a einschlägig.

227

K. Schmidt, in: Schlegelberger, Vorbem. (§ 230 n. F.) § 335, Rn. 45.

228 Zu eng ist der Ansatz von Karl, S. 219 f, der nur prüft, ob die Treuhand zum

Kontrollerwerb im Verhältnis zwischen Treuhänder und Treugeber fUhrt. 229 Kommission, Geänderter Vorschlag für eine VO des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABi. 1989 C 22114, 17, Art. 3 Abs.4 lit. c; ähnlich (ohne den letzten Halbsatz) die Vorentwürfe, ABi. 1988 C 130/4, 6, Art. 3 Abs. 4 S. 3; ABi. 1973 C 9211, 3, Art. 2 Abs. 3 S. 3; siehe auch die engere Regelung in der Entscheidung 24/54 der Hohen Behörde, ABi. EGKS 1954, 345, 346 (Art. 3 Abs. 2): dem Treuhänder wird nicht zugerechnet, wenn Weisungsbindung, jederzeitige Widerruflichkeit und Offenlegungsbefugnis bestehen. 230 Für die zweite Möglichkeit RiesenkampjJ, WuW 1996, 5, 13.

B. Die DefInition von Konzentrationssachverhalten

163

Für den Treugeber hält die Kommission Art. 3 Abs. 4 lit. b FKVO für einschlägig231 . "Ausübung" meint jedoch die Wahrnehmung der Rechte nach außen, nicht die Entscheidung über ihre Ausübung im Innenverhältnis. Art. 3 Abs.4 lit. b FKVO paßt daher nach dem Wortlaut nur, wenn der Treugeber die Rechte auch nach außen wahrnimmt. Aber auch dann ergibt sich der bestimmende Einfh1ß nicht aus der Ausübungsbefugnis, weil diese allein regelmäßig keinen bestimmenden Einfluß begründen kann. Der bestimmende Einfluß eines Treugebers kann sich vielmehr aus der Treuhandabrede ergeben, so daß Art. 3 Abs. 4 lit. a FKVO einschlägig ist. Bei der eigennützigen Treuhand etwa in Form der Sicherungsübereignung von Vermögensteilen des Unternehmens erhält der Treuhänder keinen bestimmenden Einfluß, wenn, wie üblich, das Recht zur Nutzung des Gegenstandes beim Treugeber bleibt232 • Kontrollinhaber ist der Treugeber. Kontrollbegründend ist das Nutzungsrecht, Art. 3 Abs. 4 lit. a FKVO. Eines Rückgriffs auf Art. 3 Abs. 4 lit. b FKVO bedarf es auch hier nicht. Bei der fremdnützigen Treuhand hat der Treuhänder die kontrollbegriindenden Rechte für Rechnung des Treugebers inne. Ist der Treuhänder an die Weisungen des Treugebers gebunden, hat er trotz seiner formalen Rechtsstellung keinen bestimmenden Einfluß. Vielmehr hat aufgrund des Treuhandvertrages der Treugeber bestimmenden Einfluß. Das gilt unabhängig davon, ob er von seiner Weisungsbefugnis Gebrauch macht, da nach Art. 3 Abs. 3 FKVO die Möglichkeit bestimmenden Einflusses maßgeblich ist. Fremdnützige Treuhandverträge können aber auch die Klausel beinhalten, daß der im fremden Interesse handelnde Treuhänder die kontrollbegriindenden Rechte unabhängig vom Treugeber ausüben werde233 . Diese Klausel kann bedeuten, daß der Treuhänder zu weisungsfreiem Handeln befugt ist. Damit ist nicht gesagt, daß der Treugeber sich des bestimmenden Einflusses begibt. Es kommt vielmehr darauf an, ob der Treugeber das Recht behält, die Befugnisse des Treuhänders jederzeit einzuschränken. Ist das der Fall, bleibt sein bestimmender Einfluß bestehen. Denn der Treuhänder hat die Interessen des Treugebers zu berücksichtigen234 • Tut er das nicht, kann der Treugeber jederzeit einschreiten. Damit hat er die Möglichkeit bestimmenden Einflusses.

Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 10. Vgl. zum GWB KleinmannIBechtold, § 23 Rn. 35; Ruppelt, in: LangenJBunte, § 23 Rn. 12; a. A. fur die Sicherungsübereignung Klemp, DB 1987, 1573, 1574. 233 Siehe die entsprechende Klausel im Fall MetrolKaufhof I, abgedruckt bei: Monopolkommission, HG IV, Tz. 546 unter 7.; siehe auch die geplante Absprache zwischen Hochtief und der Commerzbank im Fall HochtiefIPhilipp Holzmann, FAl vom 23. Januar 1996, S. 17 (näher zur späteren Regelung sogleich). 234 Vgl. zu § 23 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 GWB Ruppelt, in: LangenJBunte, § 23 Rn. 17; BKartA, 13. 6.1983 - Klöckner/SEN, AG 1983, 314, 315. Bei § 23 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 231

232

11·

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2.Teil: Die Entstehung des UntemehmensverblUldes

Die Klausel, der Treuhänder werde die Rechte unabhängig vom Treugeber ausüben, kann aber auch bedeuten, daß der Treugeber sich gegenüber dem Treuhänder verpflichtet, keinen Einfluß zu nehmen. Bei einer solchen Verpflichtung ist fraglich, inwieweit sie rechtlich wirksam vereinbart werden könnte. Dem hier für alle in Betracht kommenden Treuhandgegenstände nachzugehen, würde zu weit führen. Unterstellt man, daß der das wirtschaftliche Risiko Tragende verbindlich und ohne jederzeitiges Widerrufsrecht auf Einflußnahme verzichten kann235 , dann könnte durch einen solchen "Entherrschungsvertrag" der Treugeber seinen bestimmenden Einfluß an den Treuhänder verlieren. Das würde aber voraussetzen, daß der Treuhänder auch nicht mehr verpflichtet ist, auf die Interessen des Treugebers Rücksicht zu nehmen. Diese Pflicht ist jedoch mit dem Treuhandvertrag untrennbar verbunden. Würde auch diese Pflicht entfallen, wäre kein Treuhandvertrag mehr gegeben. Vielmehr bestünde eine dem aktienrechtlichen Beherrschungsvertrag ähnliche Verbindung, bei der ein Dritter fremde Ressourcen in seinem Interesse einsetzen kann. Ist mit dem Treuhandvertrag die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Treugebers jedoch untrennbar verbunden, dann hat dieser immer bestimmenden Einfluß 236 . Folgt man dem nicht, sondern hält alleinigen bestimmenden Einfluß des Treuhänders für möglich, dann stellt sich die Frage, wie man der Gefahr vorbeugt, daß solche Treuhandverträge nur zum Schein vereinbart werden, um die Fusionskontrolle zu umgehen. Denn ein Verzicht des Treugebers auf Einfluß läßt sich leicht vereinbaren. § 37 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 GWB begegnet dieser Situation, indem er einem Unternehmen die Anteile zurechnet, die einem anderen Unternehmen für dessen Rechnung gehören. Die herrschende Meinung zu der wortgleichen Norm des früheren § 23 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 GWB faßt darunter auch Sachverhalte, in denen wirtschaftliches Risiko (Treugeber) und Leitungsmacht (Treuhänder) auseinanderfallen237 . GWB a.F. ist trotz des eindeutigen Wortlauts umstritten, ob allein die Tragoog des wirtschaftlichen Risikos die Zurechnung der Anteile rechtfertigt. 235 Etwa unter der Voraussetzung, daß er sich EntscheidlUlgen vorbehält, die denen vergleichbar sind, welche dem Veto eines Minderheitsaktionärs einer AG unterliegen. 236 Der Rückgriff auf eine faktische Kontrolle (so Riesenkamp./J. WuW 1996, 5, 12) erübrigt sich hier, weil aufgrlllld des Treuhandvertrages rechtliche Kontrolle besteht. 237 Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 23 Rn. 173; Mestmäcker, in: lrnrnengaJ Mestrnäcker, § 23 Rn. 180 lUld 254; Ruppelt, in: LangenJBlUlte, § 23 Rn. 17; BKartA, J3. 6. 1983 - Klöckner/SEN, AG 1983, 314, 315; a. A. Riesenkamp./J. WuW 1996, 5 ff.; er will dann danach differenzieren, ob das Treuhandverhältnis auf Dauer besteht oder nur vorübergehend. Bei dauerhafter Treuhand bestehe auch bei entgegenstehender Vereinbarung der Parteien Leitungsmacht des Treuhänders. Dagegen sei bei einer Treuhand als Durchgangsstadium weniger wahrscheinlich, daß der Treugeber Leitungsmacht anstrebe (a.a.O. S. 12).

B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

165

Dementsprechend könnte man elWägen, in die FKVO eine widerlegbare Vermutung aufzunehmen, wonach derjenige die Kontrolle hat, für dessen Rechnung das kontrollbegrtindende Recht gehalten wird. Dann trügen die Unternehmen die Beweislast dafür, daß im Einzelfall trotz Übernahme des wirtschaftlichen Risikos kein bestimmender Einfluß vorliegt. Hier wäre insbesondere darzulegen, daß der bestimmende Einfluß wirksam und nicht nur zum Schein auf den Treuhänder übertragen wurde. Der Verzicht auf Einfluß kann zum Beispiel dann ernst gemeint sein, wenn ein Unternehmen für die Dauer des Fusionskontrollverfahrens und eines möglichen anschließenden Gerichtsverfahrens Unternehmensanteile durch einen Treuhänder, z. B. die Hausbank, elWerben läßt und mit dem Verzicht auf Einflußnahme das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO wahren wilf 38 • Aber hier enthalten Art. 7 Abs. 3, Abs. 4 FKVO Spezialregelungen. Danach ist ein vor Genehmigung des Zusammenschlusses erfolgter AnteilselWerb nur bei öffentlichen Kauf- oder Tauschangeboten zulässig, sofern die Stimmrechte nicht ausgeübt werden. Die Kommission kann des weiteren Befreiungen von dem Verbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO erteilen. Treuhandverträge können auch so ausgestaltet sein, daß der Treuhänder das Recht im eigenen Interesse und im Interesse des Treugebers innehat. Dann kann der Treuhandvertrag die gemeinsame Kontrolle von Treuhänder und Treugeber begründen239 . c) Streichung des Art. 3 Abs. 4 FKVO de lege ferenda

De lege ferenda sollte Art. 3 Abs. 4 FKVO gestrichen werden. Es ist nicht erforderlich, den Tatbestand, der die Person des Kontrollinhabers bestimmt, von demjenigen zu trennen, der über den KontrollelWerb entscheidet. Art. 3 Abs. 4 lit. a FKVO ist überflüssig, weil sich schon aus Art. 3 Abs. 3 FKVO ergibt, daß der Inhaber der kontrollbegründenden Rechte auch Kontrollinhaber ist. Art. 3 Abs. 4 lit. b FKVO ist zu weit, da nach seinem Wortlaut jeder Bevollmächtigte Kontrollinhaber sein kann. Zur Erfassung von Treuhandkonstellationen ist Art. 3 Abs. 4 lit. b FKVO nicht geeignet240 . Im übrigen ist Art. 3 Abs. 4 lit. b FKVO überflüssig. Daß das kontrollbegründende Recht auch eine Ausübungsbefugnis sein kann, bedarf keiner Klarstellung.

238

S. 19.

Vgl. zum GWB den Fall HochtiefIPhilipp Holzmarm, FAZ vom 27.6.1996,

239 Kleinmann/Bechtold, § 23 Rn. 385 (fur § 23 Abs. 2 Nr. 5 GWB a. F.); Thumher. WuW 1994, 303, 304 und 310. 240 Siehe oben b, S. 162 tf.

166

2.Teil: Die EntstehWlg des UntemehmensverbWldes

VII. Tatsächliche Kontrollmittel Ein ungeklärtes Problem in Literatur und Praxis ist, ob auch tatsächlicher Einfluß Kontrolle im Sinne der FKVO begründen kann. Überwiegend wird diese Frage bejahe 41 • Die unter dem Stichwort des tatsächlichen Einflusses zusammengefaßten Sachverhalte sind vielfältiger Art. Gemeinsam ist ihnen, daß der bestimmende Einfluß sich nicht oder zumindest nicht allein aus einem Recht am Unternehmen, am Unternehmensträger oder am Unternehmensanteil ergibt. Als kontrollbegriindend werden vielmehr Umstände anderer Art angesehen, wie insbesondere Machtpositionen aus vertraglichen Beziehungen wie Liefer- oder Kreditbeziehungen, aber auch Machtpositionen aufgrund tatsächlicher Umstände. Im Hinblick auf die erstgenannten Beispiele könnte die Bezeichnung "tatsächlicher Einfluß" als unzutreffend erscheinen, weil Rechte aus Verträgen den Einfluß vermitteln. Sie ist aber deshalb zutreffend, weil diese vertraglichen Beziehungen ihrem Inhalt nach kein Recht begriinden, die Tätigkeit des betroffenen Unternehmens zu bestimmen242 . Selbst wenn ein umfassender, langfristiger Just-in-Time-Liefervertrag die Tätigkeit des Vertragspartners maßgeblich bestimme 43 , ist damit kein Recht verbunden, die unternehmerischen Entscheidungen des Vertragspartners zu bestimmen. Vielmehr werden diese Entscheidungen weiterhin von dem Unternehmensträger getroffen, wenn auch unter dem Einfluß der vertraglichen Bindung. Reicht dieser Einfluß tatsächlich aber so weit, daß der Vertragspartner die Unternehmenspolitik macht, könnte die Fusionskontrolle eingreifen. Im folgenden sollen drei Fallgruppen unterschieden werden, in denen der bestimmende Einfluß sich aus tatsächlichen Einflußpositionen ergeben könnte: die Fälle eines rein tatsächlichen Einflusses (1), Kombinationen rechtlicher und tatsächlicher Einflüsse (2) und Umgehungsfalle, in denen die rechtliche Bindung durch tatsächliche Übereinkunft ersetzt wird (3). Es wird sich zeigen, daß die Fallgruppe "tatsächlicher Einfluß" in Wirklichkeit verschiedene, unterschiedlich zu beurteilende Sachverhalte umfaßt.

Siehe die Nachweise sogleich. Tun sie das doch, ist die Grenze zum - in jedem Fall kontrollbegriindenden Beherrschungsvertrag überschritten, vgl. Dierdorf, S. 130 ff., 136 ff., 146 f, 149 fT. 243 Siehe etwa die von Nagel/Riess/Jheiss, DB 1989, 1SOS fT. geschilderten Beispiele. 241

242

B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

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1. Tatsächliche Einflüsse a) In Betracht kommende Erscheinungsformen

Jedes Unternehmen ist bei seiner Tätigkeit vielfältigen tatsächlichen Einflüssen von außen ausgesetzt. Das Verhalten der Wettbewerber, Abnehmer und Lieferanten bestimmt das eigene Verhalten mit. Von der FKVO können solche Sachverhalte allenfalls dann erfaßt werden, wenn der tatsächliche Einfluß sich auf das Unternehmen in seiner Gesamtheit erstreckt244 . Nur dann ist die Annahme zusammenschlußtypischer Vorteile gerechtfertigt. In der Literatur hält man es fiir möglich, daß ein externer Einfluß sich auf das gesamte Unternehmen erstreckt, wenn er zu einer existentiellen wirtschaftlichen Abhängigkeit des Unternehmens führt245. Am Beispiel der existentiellen Abhängigkeit soll im folgenden untersucht werden, ob tatsächlicher Einfluß unter Art. 3 Abs. 3 FKVO fallt. Ein Unternehmen ist existentiell von einem anderen abhängig, wenn dieses durch Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen die Existenz jenes Unternehmens vernichten oder zumindest ernstlich gefährden kann246. Unter welchen Voraussetzungen existentielle Abhängigkeit im einzelnen vorliegt, ist weitgehend ungeklärt247 . Maßgeblich muß sein, welche Entscheidungsspielräume das betroffene Unternehmen noch hat. Das hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, wie insbesondere den Ausweichmöglichkeiten des Unternehmens 248 und dem Angewiesensein auch des Vertragspartners auf die Verbindung249 . Aus aktienrechtlicher Sicht wird existentielle Abhängigkeit z. B. dann angenommen, wenn ein Gläubiger einen wesentlichen Teil des zur Aufrechterhaltung der Liquidität erforderlichen Kapitals zur Verfügung stellt und der Schuldner sich keinen Ersatzkredit beschaffen könnte25o . b) Meinungsstand

Die Stellungnahmen der Kommission zur Bedeutung tatsächlichen Einflusses sind nicht eindeutig. Einerseits verlangt die Kommission, daß der bestimmende Einfluß ein solcher der Unternehmenseigner ist251 . Andererseits sollen So auch zwn deutschen Recht Martens, S. 129. Martens, S. 132; Stockenhuber, S. 138; für die aktienrechtliche Abhängigkeit Dierdorf, S. 158 f., 173 f. 246 Ähnlich Martens, S. 139; etwas weiter ders., S. 10. 247 Aus aktienrechtlicher Sicht ausfilhrlich Dierdorf, S. 152 tT. 248 Dierdorf, S. 174. 249 Dierdorf, S. 164. 250 Dierdorf, S. 156 tT.; 171 f. 251 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 17. 244

245

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2.Teil: Die Entstehung des Untemelunensverbundes

auch wirtschaftliche Beziehungen wie Lieferverträge oder Lieferantenkredite entscheidend sein können, allerdings nur "in Verbindung mit strukturellen Verflechtungen,,252. Was mit strukturellen Verflechtungen gemeint ist, bleibt offen. Kapitalbeteiligungen gehören sicher dazu; ob auch andere Verflechtungen, wie z. B. personelle Verflechtungen in den Aufsichts- und Leitungsgremien ausreichen, sagt die Kommission nicht. In der Literatur wird die Frage, ob bestimmender Einfluß im Sinne der FKVO auch ohne Recht an Unternehmen, Unternehmensträger oder Unternehmensanteil begründet werden kann, zum Teil offen gelassen253 , zum Teil bejahe 54 und zum Teil verneint2SS • Zum Teil folgt man der Kommissionspraxis und hält fur möglich, daß die Kombination von wirtschaftlichem Einfluß und internem Einfluß Kontrolle begründet256 • In der Literatur zum GWB war umstritten, ob ohne gesellschaftsrechtliche Beteiligung257 beherrschender Einfluß (§ 23 Abs. 2 Nr. 5 GWB a. F.) bestehen

252 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 9; siehe auch dies., 25. 9. 1992 - CCIEIGTE, MCR B112 (Nm. 6 - 10): Keine Kontrolle von Siemens über EDIL, obwohl Siemens den Untemelunenskauf durch EDIL mit mehr als der Hälfte des Kaufpreises fmanziert hatte und damit als Gläubiger erheblichen tatsächlichen Einfluß hatte; dieser Einfluß war allerdings weder durch Beteiligung, noch durch Repräsentation im Board verstärkt. Allerdings prüfte die Konunission nach Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO, ob der Einfluß eine marktbeherrschende Stellung von Siemens begründete (Nm. 30 ff.). Da es hier schon an einem Zusammenschluß fehlte, durfte das nicht mehr geprüft werden. Die Abreden mit Siemens fallen nur unter Artt. 85, 86 EGV (zweifelnd auch Gräper, Case Note, MCR 900.1, 900.3); siehe auch Kommission, 27. 3. 1996 - Lockheed Martin CooperationJLoral Corperation, MCR B404 (Nm. 6 ff.): trotz stimmrechtsloser Kapitalbeteiligung (umwandelbar in eine Beteiligung mit 20% der Stimmrechte), personeller Verflechtung sowie Verbindung über Lizenzvergabe und Garantien keine Kontrolle; 3.6. 1991 - RVIlVSClHeuliez Bus, MCR B25 (Nr. 4): gesellschaftsrechtlicher Einfluß plus Exklusivlieferungsvertrag; 22.9. 1997 - KLMlAir UK, MCR B587 (Nm. 5-17). 253 BechtoLd, RIW 1990, 253, 255.; siehe auch zum bestimmenden Einfluß von Darlehnsgebem BeLLamy/Child, Rn. 6-009 (normalerweise kein bestimmender Einfluß). 254 Miersch, S. 80 und 83; Stockenhuber, S. 137 ff.; Mestmäcker, in: Immengal Mestmäcker, Vor § 23 Rn. 134; SedemundIMontag, in: Dauses, H I Rn. 264; Krimphove, S. 264; Thurnher, WuW 1994, 303, 310; Gugerbauer, Art. 3 Anm. 26; EbenrothlRösLer, RIW 1994, 533, 541 f 255 Röhling, ZIP 1990, 1179, 1180 (zweifelnd); HöLzLerlRohardt, FS Benisch, S. 399, 410 f; Niemeyer, Fusionskontrolle, S. 15; DeimeL, S. 114 f; EbenrothiParche, BB 1988, Beilage 18, S. 6; wohl auch Raybould/Firth, S. 362, die ohne Problematisierung der Frage nur rechtliche Kontrollmittel erwähnen und einen rechtlichen Kontrollerwerb voraussetzen. 256 KarL, S. 222 ohne Begründung. 257 Die Diskussion ist wegen der praktischen Bedeutung dieser Fälle meist auf den "nicht-gesellschaftsrechtlichen Einfluß" reduziert. Damit blendet man unnötig die Fälle

B. Die Defmition von Konzentrationssachverhalten

169

kann258 . Der BGH ließ diese Frage im Rahmen der Verbundklausel offen, verlangt jedoch für den beherrschenden Einfluß, daß sich das abhängige Unternehmen ihm nicht entziehen können dürfe. Offen konnte bleiben, ob sich letzteres auch aus tatsächlichen Umständen ergeben kann259 . Die Diskussion zu § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB n. F. bleibt abzuwarten. Dagegen ist man sich bei § 23 Abs. 2 Nr. 6 GWB a. F. (= § 37 Abs. 1 Nr.4 GWB n. F.) überwiegend einig, daß der wettbewerblich erhebliche Einfluß gesellschaftsrechtlich vermittelt sein muß 260 . Allerdings hat das BKartA ohne Erwähnung der Problematik im Fall Gillette/Wilkinson261 § 23 Abs. 2 Nr. 6 GWB bejaht, obwohl Gillette durch die fraglichen Vereinbarungen nur Wandelschuldverschreibungen erworben hatte262 und damit keinen gesellschaftsrechtlich vermittelten Einfluß erlangt hatte. Der Einfluß folgte vielmehr aus dem Umwandlungsrecht und zahlreichen weiteren Abreden wie z. B. Darlehensverträgen, Vorkaufsrechten und Vertriebsvereinbarungen263 .

aus, in denen Unternehmensträger eine natürliche Person ist. Auch natürliche Personen können unter den tatsächlichen Einfluß eines Dritten geraten. 258 Dafür Kleinmann/Bechtold, § 23 Rn. 181 f; Ruppelt, in: LangenJBunte, § 23 Rn. 41; Mestmäcker, in: Irnmenga/Mestrnäcker, § 23 Rn. 227 und 233 (ebenso für die Verbundklause1 des § 23 Abs. 1 S. 2 GWB, Rn. 44); Bählk, S. 99 f; Martens, S. 127, 133; Mäschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Rn. 755 unter Berufimg auf die Entstehungsgeschichte. In der Unterrichtung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des GWB, BT-Drs. 7/765, S. 7 heißt es, § 23 Abs. 2 Nr. 5 GWB solle sicherstellen, daß die Begründung von Leitungsmacht durch mehrere koordinierte Unternehmen, z. B. durch Stimmbindungsverträge, erfaßt werde. Auch entsprechende faktische Unternehmensverbindungen sollten erfaßt werden. Hieraus wird deutlich, daß man lediglich flir die Gemeinsamkeit eines rechtlich begründeten Einflusses tatsächliche Umstände ausreichen lassen wollte, nicht aber für den Einfluß selbst. Insofern kann man mit den Materialien nicht die weiterreichende Schlußfolgerung Mäschels begründen. - Gegen die Einbeziehung nicht gesellschaftsrechtlich vermittelter Einflußmöglichkeiten G. Wiedemann, ZHR 146 (1982), 296, 300; ebenso Regierungsbegründung 1989, BT-Drs. 11/4610, S. 20, wonach die neue NI. 6 des Zusammenschlußtatbestands in Anlehnung an NI. 5 nur gesellschaftsrechtlich vermittelten Einfluß erfassen soll; zur selben Problematik beim aktienrechtlichen Beherrschungsbegriff siehe Ulmer, ZGR 1978, 457, 465 ff. 259 BOH, 19. 1. 1993 - WAZIIKZ, ZIP 1993,858,860 f 260 So auch ausdrücklich die Regierungsbegrilndung 1989, BT-Drs. 11/4610, S. 20; ihr folgend Paschke, S. 59, 74, 78; Mestmäcker, in: Irnmenga/Mestmäcker, § 23 Rn. 246; Ruppelt, in: LangenIBunte, § 23 Rn. 47; Montag/Dohms, WuW 1993, 5, 8 f; Martinek, NJW 1990, 793, 797; Bechtold, BB 1990,357,360. 261 BKartA, 23. 7. 1992 - Gillette/Wilkinson, AG 1992, 363 ff. 262 Vgt. die ausführliche Sachverhaltsdarstellung in der Entscheidung der Kommission im selben Fall, Kommission, 10. 11. 1992 - Warner-LambertiGillette, ABt. 1993 L 116/21,23 fI 263 Die Kommission, 10. 11. 1992 - Warner-LambertiGillette, ABt. 1993 L 116/21, sah in den Vereinbarungen Verstöße sowohl gegen Art. 85 als auch gegen Art. 86 EGV. Die FKVO war aus zeitlichen Gründen noch nicht anwendbar.

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes c)

Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 FKVO

Ob der Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 FKVO diese Fälle erfaßt, ist nicht eindeutig. Danach wird die Kontrolle durch Mittel begründet, die unter Berücksichtigung aller tatsächlichen und rechtlichen Umstände die Möglichkeit gewähren, bestimmenden Einfluß auf die Tätigkeit eines Unternehmens auszuüben. Das spricht auf den ersten Blick dafür, daß auch tatsächliche Einflüsse ausreichen. Zwingend ist das jedoch nicht. Denn mit dem Wortlaut vereinbar wäre auch eine Auslegung, die rechtlich begründete Kontrollmittel verlangt, deren Einflußgrad jedoch auch aufgrund der tatsächlichen Umstände bewertet (Beispiele: Hauptversammlungspräsenz bei Stimmrechtsminderheit; Vetorecht in einem Bereich, der für das Unternehmen besonders wichtig ist). Denn es heißt nicht "rechtliche oder tatsächliche Mittel", sondern "Mittel, die unter Berücksichtigung aller tatsächlichen oder rechtlichen Umstände" bestimmenden Einfluß geben. d) Entstehungsgeschichte

In der EGKS-Fusionskontrolle können langfristige oder besonders umfangreiche Beschaffungs- und Absatzverträge zum Kontrollerwerb führen 264 • Die ersten beiden Entwürfe der FKVO haben eine solche Regelung noch enthalten265 , nicht mehr dagegen der dritte Entwurf 66 , in dem man diese Klausel durch die Generalklausel ersetzte, wonach jedes andere Mittel die Kontrolle begründet, das bestimmenden Einfluß auf die Tätigkeit eines Unternehmens gewährt. Daraus könnte man schließen, daß man die Klausel über Beschaffungs- und Absatzverträge für zu eng hielt - möglicherweise wegen der von ihr nicht erfaßten Dienstleistungen - und alle denkbaren Fälle wirtschaftlicher Abhängigkeit, wie z. B. auch aufgrund von Kreditbeziehungen, erfassen wollte 267 . Zwingend ist diese Schlußfolgerung jedoch nicht. e) Zuammenschlußspezijische Vorteile?

Gegen die Annahme, wirtschaftliche Abhängigkeit führe zu einem Zusammenschluß im Sinne der FKVO, spricht, daß für die wirtschaftliche Abhängigkeit nicht typisierend zusammenschlußtypische Vorteile angenommen werden können. Denn das tatsächlich bestimmende Unternehmen trägt das wirtArt. 1 NT. 5 der Entscheidung 24/54 der Hohen Behörde, ABi. EGKS 1954,345. ABi. 1973 C 9211, 3 (Art. 2 Abs. 2 Nr. 5); ABi. 1988 C 130/4, 6 (Art. 3 Abs. 3 Nr. 5). 266 ABi. 1989 C 22114,17 (Art. 3 Abs. 3lit. e). 267 So im Ergebnis Stockenhuber. S. 137 f.; a. A. Röhling. ZIP 1990, 1179, 1180: Streichung, da man diese Fälle nicht habe erfassen wollen. 264

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B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

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schaftliche Risiko des abhängigen Unternehmens nicht als eigenes. Daher besteht immer die Gefahr, daß das starke Unternehmen das wirtschaftlich abhängige ausnutzt und irgendwann fallenläßt oder zu übernehmen versuche 68 . Dann führt die wirtschaftliche Abhängigkeit jedenfalls zunächst nicht zu einer potentiell vorteilhaften Zusammenfassung von Ressourcen269 . j) Verlust von Handlungsfreiheit

Reine Konzentrationssachverhalte sind durch einen Verlust von Handlungsfreiheit bezüglich des gesamten Unternehmens gekennzeichnet27o . Existentielle Abhängigkeiten führen aber nur zur partiellen Beschränkung der Handlungsfreiheit. Denn Veränderungen der äußeren Umstände können ohne Zutun der Beteiligten den tatsächlichen Einfluß wieder entfallen lassen. Ein existentielllieferabhängiges Unternehmen kann durch den Marktzutritt eines neuen Lieferanten wieder Handlungsspielraum hinzugewinnen. Daß kein Verlust von Handlungsfreiheit vorliegt, zeigt auch die Tatsache, daß das abhängige Unternehmen die Entscheidung über die Fortsetzung oder Aufgabe seiner Tätigkeit unabhängig treffen kann. g) Fehlen einer Handlung der Beteiligten

Existentielle wirtschaftliche Abhängigkeit entsteht in der Regel nicht durch ein punktuelles Ereignis, sondern durch einen langfristigen Prozeß 271 . Ein Kunde kann von seiner kreditgebenden Bank dadurch abhängig werden, daß seine wirtschaftliche Lage sich verschlechtert. Die Bank erlangt dadurch tatsächlich mehr und mehr Einfluß auf seine unternehmerische Tätigkeit, bis der Kunde keinen Schritt mehr alleine tut. Ein Unternehmen kann von einem anderen abhängig werden, weil dessen letzter Wettbewerber wegfallt. Eine Handlung, die sich als Zusammenschluß qualifizieren ließe, fehlt. Art. 3 Abs. 3 FKVO setzt aber ein zurechenbares Verhalten der Beteiligten voraus272 • Verzichtet man auf ein konkretes Handeln der Unternehmen, so würde die Fu268 Aufschluß über die Risiken wirtschaftlicher Abhängigkeit geben die Auflagen, unter denen die amerikanische Kartellbehörde die Beteiligung von Gillette an Wilkinson genehmigte, insbesondere die Auflage, Eemland nicht in die Zahlungsunfarugkeit zu treiben. Die Auflagen sind in der Entscheidung der Kommission wiedergegeben, Kommission, 10. 11. 1992 - Warner-LambertlGillette, AB1.1993 Ll16121, 27 (Nr. 21). 269 hn Fall des EuGH. 22. 1. 1974 - ICI-CSClKommission, Slg. 1974, 223 tT., lag z. B. Lieferabhängigkeit der Zoja von der CSC-Gruppe vor. Zoja konnte ohne Belieferung mit Aminobutanol durch CSC kein Etambutol mehr herstellen und verschwand von diesem Markt. 270 Siehe oben A m2, S. 95 tT. 271 Martens. S. 133. 212 S. o. IV 3, S. 133 tT.

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2.Teil: Die Entstehung des Untemehmensverbundes

sionskontrolle zu einem Instrument ständiger Überwachung der Märkte273 . Damit würde die Grenze zwischen der Zusammenschlußkontrolle und der allgemeinen Kontrolle des Konzentrationsgrades überschritten. Schon deshalb wird daher in vielen Fällen die Entstehung tatsächlichen Einflusses nicht als Zusammenschluß erfaßbar sein. Für die Fusionskontrolle blieben daher nur Sachverhalte, in denen eine latent vorhandene Abhängigkeit durch eine bestimmte Handlung der Beteiligten zur existentiellen Abhängigkeit wird274 . Daß bei der Entstehung tatsächlicher Abhängigkeit eine Handlung der Beteiligten oft fehlt, wird etwa an dem Fall einer Minderheitsbeteiligung mit Verkaufsoption zu Lasten eines anderen Anteilseigners deutlich. Verkaufsoptionen können für den verkaufsberechtigten Minderheitsgesellschafter Einfluß auf den Unternelunensträger begründen, wenn der zum Kauf Verpflichtete ebenfalls Anteilseigner ist. Denn die drohende Verpflichtung, Anteile erwerben zu müssen, kann den verpflichteten Anteilseigner dazu bewegen, auf die Interessen des verkaufsberechtigten Anteilseigners Rücksicht zu nehmen. Das könnte dazu führen, daß beide zusammen den Unternehmensträger kontrollieren. Die Kommission geht davon aus, daß der tatsächliche Druck, den ein verkaufsberechtigter Minderheitsgesellschafter ausüben kann, Kontrolle begründen kann. Sie hat jedoch bisher im Einzelfall den tatsächlichen Druck immer als zu gering angesehen, um den Mitgesellschafter zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Minderheitsgesellschafters zu bewegen. In einem Fall begründete die Kommission den fehlenden Zwang zur Rücksichtnahme damit, daß der umsatzstarke Mehrheitsgesellschafter den vereinbarten Mindestkaufpreis ohne weiteres finanzieren konnte. Sollte der Anteilswert und damit der Kaufpreis höher sein, seien damit auch die Aussichten für das Unternehmen besser, was dem Mehrheitsgesellschafter wieder zugute käme275 . In einem anderen Fall war der Grund, daß angesichts der engen Voraussetzungen, unter denen die Verkaufsoption ausgeübt werden konnte, keine Rücksichtnahme der Mehrheitsgesellschafterin zu erwarten war276 . In einer älteren Entscheidung hat die Kommission den tatsächlichen Einfluß von Optionen gar nicht berücksichtigt, sondern die Optionen mit dem Hinweis außer Betracht gelassen, daß offen sei, ob sie ausgeübt würden277 . In einer jüngeren Entscheidung lehnt sie eine einflußbegründende Wirkung einer Ankaufsoption mit der Begründung 273 274

Vgl. Vogel, S. 371 fT.; 383 fT.

Daß ein vorher unabhängiges Unternehmen durch eine bestinunte Handlung

wirtschaftlich existentiell abhängig wird, wird praktisch nicht vorkommen. 275 Kommission, 28. 3. 1994 - Banco SantanderlBritish Telecommunications, WuWIE EV 2136, 2138 f. (Nr. 19). 276 Kommission, 15.9. 1995-ALBACOM, MCRB341 (Nr. 18). 277 Kommission, 27. 11. 1992 - British AirwaysrrAT, MCR BI21 (Nr. 5).

B. Die Detinition von Konzentrationssachverhalten

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ab, daß der aus der Option Verpflichtete in der Ausübung seiner Stimm- und Verwaltungsrechte frei und keinen Weisungen unterworfen sei278 . Der Kommission ist zuzugeben, daß eine solche Verkaufsoption im Einzelfall einen gewissen Einfluß auf die Entscheidungen des Mehrheitsgesellschafters haben kann. Dennoch läßt sich damit das Vorliegen eines Zusammenschlusses zwischen dem Minderheitsgesellschafter und dem Zielunternehmen nicht begründen. Denn der Minderheitsgesellschafter hätte keinen Einfluß darauf, ob er durch den Erwerb der Beteiligung Kontrolle erwürbe. Hätte z. B. im Zeitpunkt des Minderheitserwerbs der zum Kauf Verpflichtete genügend Mittel, den Kauf zu finanzieren, läge nach der Auffassung der Kommission kein Kontrollerwerb des Minderheitsbeteiligten vor. Der Erwerb unterfieIe nicht der Fusionskontrolle. Ändert sich die Lage später in der Weise, daß der Mehrheitsbeteiligte ein Interesse daran hätte, die Optionsausübung zu verhindern und deshalb Rücksicht auf den Minderheitsbeteiligten nähme, erwürbe der Minderheitsbeteiligte die Kontrolle. Es wäre daher auch hier eine Frage der zufälligen Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Dritten, ob der Erwerb der Minderheitsbeteiligung der FKVO unterfieIe oder nicht. h) Rechtsunsicherheit Tatsächlicher Einfluß ist in juristischen Kategorien schwer zu bewerten. Daher droht Rechtsunsicherheit, wenn man den Zusammenschlußtatbestand so weit faßt. Das wird im soeben erörterten Beispiel der Verkaufsoption deutlich. Denn das Interesse des Kaufverpflichteten an einer Nichtausübung der Option wird durch vielfältige Faktoren beeinflußt. Davon ist die Erschwinglichkeit des Erwerbes nur eines, das seinerseits kaum sicher zu beurteilen ist. Im übrigen ist es nicht zwingend, daß der Verkaufsberechtigte sich durch eine in seinem Interesse betriebene Unternehmenspolitik vom Verkauf abhalten lassen würde. Wäre das nicht der Fall, hätte der Kaufverpflichtete ebenfalls keinen Grund zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Minderheitsgesellschafters. Ebenso unsicher ist die Beurteilung existentieller wirtschaftlicher Abhängigkeit. i) Systematik

Die Systematik der Wettbewerbsregeln spricht dagegen, daß Sachverhalte der soeben genannten Art der FKVO unterfallen. Sie werden vielmehr ausreichend durch Artt. 85, 86 EGV erfaßt. Schließt ein Unternehmen mit einem wirtschaftlich von ihm abhängigen Unternehmen einen stark bindenden Ver278

Kommission, 26. 6. 1997 -FerrostaallDSD, MCR B555 (Nr. 7).

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2.Teil: Die Entstehung des Unternelunensverbundes

trag, kann ein Verstoß gegen Art. 86 EGV vorliegen, wenn die wirtschaftliche Abhängigkeit auf Marktbeherrschung oder relativer Marktmacht 279 beruht. Ist das nicht der Fall, können solche Vereinbarungen immer noch gegen Art. 85 EGV verstoßen. Das kann z. B. der Fall sein, wenn sie die Handlungsfreiheit durch Ausschließlichkeitsvereinbarungen beschränken. j) Der Fall GillettelWilkinson

Tatsächliche Einflüsse können nach alledem keinen bestimmenden Einfluß im Sinne der FKVO begründen. Dieses Ergebnis soll an einem Fall überprüft werden, der aufgrund der umfassenden tatsächlichen Einflußmittel im Grenzbereich von Fusionskontrolle und Verhaltenskontrolle lag: der Fall GillettelWilkinson. Gillette, marktbeherrschend auf dem Markt fiir Naßrasurartikel, erwarb das Naßrasurgeschäft des Wettbewerbers Wilkinson außerhalb der EG und den USA. Das Wilkinson-Geschäft in der EG und in den USA wurde von der eigens fiir die gesamte Transaktion gegründeten Eernland Holding übernommen. Anteilsinhaber von Eernland waren mit 96,3% der Stimmrechte verschiedene skandinavische Investoren. Gillette hatte Wandelschuldverschreibungen an Eernland erworben, die im Falle ihrer Umwandlung 22% der Anteile ausgemacht hätten. Auch hinsichtlich des übrigen Fremdkapitals war Gillette mit weit über 10 % einer der größten Fremdkapitalgeber von Eemland. Gillette hatte außerdem Vorkaufsrechte fiir Anteile und fiir das ganze Unternehmen sowie Optionen fiir Anteile. Mitgliedschaftliche Mitwirkungsrechte hatte Gillette jedoch niche so . Eernland und Gillette hatten vereinbart, daß Gillette keine WilkinsonArtikel in die EG und USA, Eernland keine Wilkinson-Artikel außerhalb dieser Märkte liefern werde. Entsprechend der Marktaufteilung wurden auch die Schutzrechte aufgeteilt. Eernland war verpflichtet, Wilkinson-Artikel, die außerhalb der EG vertrieben werden sollten, ausschließlich an Gillette zu liefern. Der Fall hat die deutsche, europäische und US-amerikanische Kartellbehörde beschäftigt. Das Bundeskartellamt sah in den Vereinbarungen einen Zusammenschluß gemäß § 23 Abs.2 Nr.6 GWB (wettbewerblich erheblicher 279 Art. 86 EGV ist auch anwendbar, wenn die Marktmacht relativ ist, sich also aus der Schwäche des Vertragspartners ergibt, Gleiss/Hirsch, Art. 86 Rn. 47; Schröter, in: von der GroebenfThiesinglEhierrnann, Art. 86 Rn. 62 f 280 Trotz des wirtschaftlichen Mischcharakters von Wandelschuldverschreibungen und Optionsanleihen (Zöllner, § 2 I 3 e; Hueck, DB 1963, 1347; Lutter, in: Kälner Kommentar, § 221 Rn. 92) ist rechtlich kein Mischcharakter gegeben. Mitgliedschaftsrechte sind mit den genannten Schuldverschreibungen nicht verbunden (Lutter, in: Kälner Kommentar, § 221 Rn. 3,92, 148).

B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

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Einfluß)281. Die Kommission nahm Verstöße gegen Artt. 85 und 86 EGV an282 . Die FKVO war aus zeitlichen Gründen nicht anwendbar283 . Nach der hier vertretenen Ansicht fuhren die tatsächlichen Einflußfaktoren auch in ihrer Gesamtheit nicht zu bestimmendem Einfluß im Sinne der FKVO. Vielmehr sind die Vereinbarungen auf ihre Zulässigkeit nach Artt. 85,86 EGV zu prüfen. Die Vorkaufs- und Optionsrechte zugunsten Gillettes behindern sowohl Eemland als auch die anderen Wettbewerber und verstoßen deshalb gegen Art. 86 EGV. Eemland ist die Möglichkeit genommen, sich ohne Zustimmung Gillettes mit anderen Wettbewerbern zusammenzuschließen, auch etwa in Form eines GD. Wettbewerbern von Gillette ist die Möglichkeit genommen, durch Zusammenschluß mit einem Konkurrenten ihre gegenüber dem Marktbeherrscher Gillette schwache Marktposition zu stärken. Angesichts der hohen Marktzutrittsschranken wird ihnen damit eines der wenigen Mittel entzogen, das geeignet wäre, ihre Marktanteile zu vergrößern284 . Die Marktaufteilungen und Exklusivliefervereinbarungen sind klare Verstöße gegen Art. 85 EGY. Darlehen und Wandelschuldverschreibungen können, je nach dem Inhalt der Gläubigerrechte - z. B. Informationsrechte oder nach der tatsächlich bewirkten Einflußnahme gegen Art. 85 EGV verstoßen. Hier ist aufgrund der Besonderheiten des Falles außerdem anzunehmen, daß die Gläubigerposition des Marktbeherrschers den Wettbewerber Eemland behindert und daher gegen Art. 86 EGV verstößf85 . Dieser Fall zeigt, daß die fließende Grenze zwischen Eigen- und Fremdkapital286 auch im Kartellrecht Abgrenzungsschwierigkeiten hervorruft. Der Einfluß eines Fremdkapitalgebers kann dem eines am Eigenkapital Beteiligten nahekommen. Diese Abgrenzungsschwierigkeiten erfordern es jedoch nicht, 281 BKartA, 23. 7. 1992 - GillettelWilkinson, AG 1992,363 f 282 Kommission, 10. 11. 1992 - Warner-LamberVGillette, ABl. 1993 L 116/21 tT. 283 Die Vereinbarungen datierten vom 20.12.1989, die FKVO trat am 21. 9.1990 in Kraft, Art. 25 Abs. 1 FKVO. 284 Kommission, 10.11. 1992 - Warner-LamberVGillette, ABI. 1993 L 116/21, 28 (NI. 26). 285 Besteht keine marktbeherrschende Stellung des Kreditgebers, sind Kredite auch unter Wettbewerbern solange unbedenklich, wie kein Verstoß gegen Art. 85 EGV vorliegt. VgI. auch Kommission, 25.9. 1992 - CCIEIGTE, MCR B112 (Nm. 10 und 30): Kredit unter Wettbewerbern bei geringer Konzentration. 286 Die Kommission, 10.11. 1992 - Warner-LamberVGillette, ABI. 1993 L 116/21, 25 (Nr. 13) bezeichnet die Wandelschuldverschreibungen als "Quasi-Eigenkapital". Beim BKartA, 23.7. 1992 - Gillette/Wilkinson, AG 1992, 363 f heißt es, daß Gillette Kapitalanteile an Eernland in Höhe von 22,9% erworben habe. Kapital im Sinne von § 23 Nr. 2 lit. b GWB a. F. ist jedoch das Eigenkapital. Daß die Schuldverschreibungen schon umgewandelt waren, ist nicht anzunehmen, weil andernfalls auch die Kommission in ihrer Entscheidung die Anteilseignerstellung von Gillette hätte zugrunde1egen müssen.

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehrnensverbundes

die Grenze zwischen Zusammenschlußkontrolle und Verhaltenskontrolle de lege lata zu verschieben. Zu etwägen wäre allenfalls, ob de lege ferenda dem Einfluß von Fremdkapitalgebern mit anderen Mitteln als den gegebenen oder mit einer Etweiterung der Wettbewerbsregeln zu begegnen ist. Dazu wäre zunächst rechtstatsächlich zu untersuchen, ob hier Regelungsbedarfbesteht. 2. Kombination rechtlicher und tatsächlicher Einflüsse Wie schon oben etwähnt, kann nach Ansicht von Kommission und Teilen der Literatur eine Verbindung rechtlicher Einflußmöglichkeiten mit tatsächlichen Einflußmöglichkeiten aufgrund wirtschaftlicher Macht die Kontrolle im Sinne von Art. 3 Abs. 3 FKVO begründen287 . Das entspricht der auch im GWB praktizierten Gesamtbetrachtung, die die Kombination verschiedener Herrschaftsinstrumente in ihrer Gesamtheit bewerten wi1l288 . Andererseits stellt die Kommission auch in Kombinationsfällen allein auf die mit einer Beteiligung verbundenen Mitspracherechte ab, wie z. B. im Fall Thomas Cook/LTUlWest-LB289 . Dort waren der kreditgebenden Bank trotz eines Kapitalanteils von nur 10% entscheidende Mitspracherechte eingeräumt worden. Das EuG nimmt an, daß vertragliche Beziehungen zwischen Anteilseigner und Unternehmensträger die Modalitäten der Kontrolle über das Unternehmen unberührt lassen29o . Nach dem bisher Gesagten begründet tatsächlicher Einfluß keine Kontrolle im Sinne der FKVO. Nichts anderes dürfte gelten, wenn zu diesem Einfluß, also z. B. zu einer Gläubigerstellung, eine Minderheitsbeteiligung hinzukommt. Ulmer drückt das, obwohl er letztlich doch externe Einflüsse berück-

287 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, NI. 9; dies., 3.6.1991 -RVIlVBClHeuliez, MCR B25 (NI. 4); ebenso Mestmäcker, in: Irrunenga/ Mestmäcker, Vor § 23 Rn. 134; so auch zum aktiemechtlichen BeherrschungsbegritT Ulmer, ZGR 1978,457,473 f.; Köhler, NJW 1978, 2473, 2476 f. 288 Mestmäcker, in: Irrunenga/Mestmäcker, § 23 Rn. 45; so auch für das Konzern· recht RGH, 26. 3. 1984 - BuM, BGHZ 90, 381, 397 (obiter dictum); allerdings hat der BGH eine solche Verstärkung gesellschaftsrechtlicher Einflußmöglichkeiten durch äußere Einflüsse bisher nur insoweit bejaht, als es um die tatsächlich zu erwartende Hauptversammlungspräsenz (RGH, 13. 10. 1977 - Veba/Gelsenberg, BGHZ 69, 334, 347) sowie um die Gemeinsamkeit eines gesellschaftsrechtlichen Einflusses (RGH, 4. 3. 1974, BGHZ 62, 193, 199) ging. Es ging also nicht um die Berücksichtigung verschiedener - rechtlicher und tatsächlicher - Herrschaftsinstrumente. 289 Kommission, 14.7.1992, WuWIE EV 1979, 1980 (NI. 8); siehe auch Kommission, 20. 8. 1991-KeltlAmericanExpress, WuWIEEV 1719. 290 EuG, 19. 5. 1994 - Air FranceIKomrnission, Slg. 1994 n 323, 347 (NI. 65): Es war zu klären, ob British Airways (BA) gemeinsame Kontrolle (mit TAT) oder alleinige Kontrolle über TAT EA erworben hatte. Das EuG prüfte, ob sich aus Vereinbarungen zwischen BA und TAT EA ergebe, daß TAT EA von BA allein kontrolliert werde.

B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

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sichtigen wilf 91 , bildhaft so aus, daß aus Birnen keine Äpfel werden, indem man ihnen Äpfel beimengt. Andererseits kann entgegen der Ansicht des EuG eine Vereinbarung zwischen Anteilseigner und Unternehmensträger die Modalitäten der Kontrollausübung durchaus beeinflussen. Ein Minderheitsaktionär, der zugleich Großgläubiger des Unternehmens ist, hat eine andere Stellung als ein einfacher Minderheitsaktionär. Dieses tatsächliche Einflußplus als solches ist aus den oben genannten Gründen zwar nicht geeignet, Kontrolle zu begründen. Es sind aber bei der Beurteilung des rechtlichen Einflusses alle tatsächlichen und rechtlichen Umstände heranzuziehen. Die mit einer Minderheitsbeteiligung verbundenen Mitentscheidungsrechte können auf dem Hintergrund, daß der Anteilsinhaber zugleich Großgläubiger ist, eine andere Bedeutung erlangen. Allerdings genügt für diese Feststellung nicht der Hinweis auf eine allgemeine tatsächliche Machtposition. Vielmehr ist hinsichtlich der einzelnen Mitspracherechte zu prüfen, wie diese sich auf dem Hintergrund der tatsächlichen Beziehungen auswirken. Es geht also nicht darum, ob der tatsächliche Einfluß Kontrolle vermittelt, sondern darum, den rechtlichen Einfluß aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten zutreffend zu beurteilen292 . Deutlich wird dieser Unterschied in dem bekannten "Zangenbeispiel"293. Ein lieferabhängiges Unternehmen könnte sich der wirtschaftlichen Macht des Lieferanten durch Produktionsumstellung entziehen, ist daran aber durch die Sperrminorität des Lieferanten bezüglich der Bestimmung des Unternehmensgegenstandes gehindert. Sollte tatsächlich einmal der Unternehmensgegenstand so eng formuliert sein, wäre zu prüfen, ob der Lieferant aufgrund seiner Sperrminorität bestimmenden Einfluß hat. Die Bedeutung der Sperrminorität wird durch die Lieferabhängigkeit erhöht. Das wäre auch der Fall, wenn ein Dritter der mächtige Lieferant wäre. Auch dann wäre die Zustimmung des Minderheitsgesellschafters zur Änderung des Unternehmensgegenstandes von besonderer Bedeutung für die Unternehmenstätigkeit. Ein weiteres Beispiel für kombinierten rechtlichen und tatsächlichen Einfluß soll sein, daß Mitspracherechte von Bankenvertretern in finanziellen Krisenzeiten tatsächlich größeres Gewicht bekommen294 . Auch hier kommt es darauf an, welche Bedeutung die Mitspracherechte auf dem Hintergrund der Kreditbeziehung haben. Dasselbe gilt für die anderen in der Praxis aufgetrete291 Aber nur, wenn die internen Einflußmöglichkeiten durch die externen verstärkt werden, nicht umgekehrt. Ob sich eine Kausalitätsrichtung hier jeweils feststellen läßt, erscheint jedoch zweifelliaft. 292 Dasselbe tut man z. B., indem man das Stimmrecht nach der tatsächlich zu erwartenden Hauptversammlungspräsenz beurteilt. 293 Zurückgehend auf Adler/Dün·ng/Schmaltz, Vorb. § 311 Anm. 32. 294 Ulmer, ZGR 1978,457,474. 12

Pohlmann

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2.Teil: Die Entstehung des Untemehmensverbundes

nen Fälle, in denen neben der Beteiligung Kooperationsvereinbarungen295 oder Ausschließlichkeitsabreden296 bestanden. Tatsächlich wird es die Ausnahme sein, daß sich die Kontrolle so begründen läßt. 3. Umgehungsfälle: Tatsächliche Übereinkunft anstelle von rechtlicher Bindung Kontrolle kann nach dem oben Gesagten auch durch bloße Vereinbarung, das heißt ohne Übertragung von Eigentum, Anteilen oder Besitz, erworben werden. Die wichtigsten Fälle dieser Art sind Treuhandvereinbarungen, Stimmbindungen und Vereinbarungen über die Gleichordnung oder Unterordnung von Unternehmen. Bei diesen Vereinbarungen besteht die Gefahr, daß die Fusionskontrolle umgangen wird, indem die rechtlich bindende Vereinbarung durch tatsächliche Übereinkunft ersetzt wird. Beispiele aus der deutschen Kartell- und Konzernrechtspraxis, die auf europäischer Ebene ebenso auftreten können, sind die folgenden. Ein Treuhandverhältnis mit bestimmendem Einfluß des Treugebers war im Fall HochtieflHolzmann nicht nachweisbar. Das Bundeskartellamt hatte Hochtief den Erwerb von Anteilen an Holzmann untersagt. Später hatte die Commerzbank Aktien von Holzmann übernommen und an Hochtief verkauft. Der Kaufpreis wurde gezahlt, aber die Anteile sollten erst nach erfolgreichem Abschluß des Fusionskontrollverfahrens an Hochtief übertragen werden. Das Bundeskartellamt sah in der Transaktion einen Verstoß gegen seine Untersagungsverfügung. Hochtief machte geltend, die Commerzbank trage das wirtschaftliche Risiko der Beteiligung und Hochtief nehme die Aktionärsrechte nicht wahr297 . Allerdings könnte die Zahlung des Kaufpreises ein Indiz dafür sein, daß doch Hochtief und nicht die Bank das Kursrisiko übernommen hatte 298 Eine Stimmbindung ist in Fällen mit Familienbeteiligung häufig nicht nachweisbar, so etwa wenn die Ehefrau mit 40%, der Ehemann mit 25% beteiligt ist299 oder bei enger wirtschaftlicher Verbindung zwischen Gesellschaf-

EuG, 19. 5. 1994 - Air FrancelKommission, Slg. 1994 II 323, 347 (Nr. 65). Kommission, 3.6. 1991 - RVI/VBClHeuliez, MCR B25 (Nr. 4). 297 FAZ vom 23. 1. 1996, S. 17; zur weiteren Entwicklung des Falles siehe FAZ vom 27. 6. 1996, S. 19; 4. 6. 1997, S. 19; 18. 12. 1997, S. 19; 27. 4. 1998, S. 25; 24. 9. 1998, S. 23. 29~ Vgl. auch den Sachverhalt im Fall T & NlKolbenschmidt, wiedergegeben von Held, in: FIW (Hrsg.), Schwerpunkte des Kartellrechts 1994/95, S. 23, 36. 299 BGH. 16.2.1981, BGHZ 80, 69, 72 f. 295

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B. Die Deftnition von Konzentrationssachverhalten

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tern 300 . Hier kann gemeinsame Kontrolle beider oder alleinige Kontrolle eines der beiden vorliegen. Eine vertragliche Gleich- oder Unterordnung kann ebenfalls in Fällen mit Familienbeteiligung schwer nachzuweisen sein. Ein Beispiel hierfür ist der schon mehrfach erwähnte Fall WAZIIKZ 30I . Zwei Gesellschafterstämmen gehört paritätisch ein Unternehmensverbund (WAZ-Konzem). Daran nicht beteiligte Verwandte erwarben, ebenfalls nach Stämmen paritätisch, ein anderes Unternehmen. Hier gab es deutliche Anhaltspunkte dafür, daß die Fusionskontrolle umgangen werden sollte und beide Unternehmen einheitlich geleitet werden sollten. Die Kommission will diese Fälle über die Figur der tatsächlichen Kontrolle lösen. Es reiche für den Kontrollerwerb aus, wenn jemand über eine vorgeschobene Person faktisch die Kontrolle ausübe302 . Die Kommission begründet ihre Ansicht mit dem Hinweis auf Art. 3 Abs. 4 lit. b FKVO. Danach wird die Kontrolle für die Personen oder Unternehmen begründet, die, obwohl sie aus den kontrollbegründenden Rechten und Verträgen nicht selbst berechtigt sind, die Befugnis haben, die sich daraus ergebenden Rechte auszuüben. Der Wortlaut ließe eine solche Auslegung zu. Zwar scheint "Befugnis" eher für eine Rechtsmacht zu sprechen, jedoch lautet z. B. die englische Fassung "power", die italienische "potere", die französische "pouvoir", was jeweils eher eine tatsächliche Macht erfaßt. Aus dem Wortlaut des Art. 3 Abs.4 lit. b FKVO ergibt sich daher die Lösung dieser Frage nicht. Bei gemeinsamer Kontrolle genügt nach Ansicht der Kommission und der Literatur die tatsächliche Erwartung, daß die Gesellschafter nicht gegeneinander handeln werden. Eine solche Erwartung könne sich insbesondere aus starken gemeinsamen Interessen ergeben303 . Auch im deutschen Recht geht man überwiegend davon aus, daß die tatsächliche Wahrscheinlichkeit gemeinsamen KG, 4. 12. 1987 - SpringerlKieler Zeitung, WuWfE OLG 4075,4076 fr BGH, 19. 1. 1993 - WAZffKZ, ZIP 1993, 858, 860 f.; dazu Brandes, FS Odersky, S. 945 tr m. w. N.; siehe auch den Fall BKartA, 23. 2. 1996 - Tukan/Deil, AG 1996, 477; zur Umgehungsmöglichkeit bei Gleichordnungsverhältnissen siehe auch Emmerich, AG 1996,529, 533. 302 Kommission, Mitteilung über den Begritf des Zusammenschlusses, Nr. 10. 303 Kommission, Mitteilung über den Begritf des Zusammenschlusses, Nm. 32 - 34; vgl. auch dies., 3.12.1993 -Philips/Grundig, WuWfE EV 2113,2114 (es sei zu erwarten, daß die drei mit je 20% beteiligten Banken einheitlich abstimmten; hier kam hinzu, daß sie den Geschäftsführer gemeinsam bestellten); dies., 22. 12. 1995 - Channel Five, MCR B375 (Nm. 12 fr), aber für diesen Fall im Ergebnis verneinend; dies., 7. 11. 1990 - RenaultIVolvo, WuWfE EV 1542, 1543 f (Nm. 5 und 6); wie die Kommission Gugerbauer, Art. 3 Anm. 36; Bellamy/Child, Rn. 6-032: bei fehlenden Vetorechten sei gemeinsame Kontrolle nur unter besonderen tatsächlichen Umständen gegeben, wie insbesondere konvergierenden wirtschaftlichen Interessen. 300 301

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmens verbundes

Vorgehens für die gemeinsame Kontrolle ausreicht. Eine solche Wahrscheinlichkeit könne sich insbesondere aus übereinstimmenden Interessen ergeben304 . Zwei Fragen sind in Fällen der genannten Art zu trennen: erstens, ob eine Übereinkunft zwischen den Beteiligten vorliegt und zweitens, ob diese Übereinkunft rechtsverbindlich sein muß, um die Fusionskontrolle auszulösen. Auch wenn man tatsächlichen Einfluß ausreichen läßt, ist man des Nachweises nicht enthoben, daß ein solcher EInfluß vorliegt30s. Daß der Ehemann sich in seinem Stimmverhalten nach seiner Frau richtet oder es stets mit ihr abstimmt, kann nicht einfach vorausgesetzt werden. Ebensowenig kann unterstellt werden, Banken stimmten immer einheitlich ab306 .. Möglicherweise lassen sich - vorsichti~o7 - Vermutungsregeln entwickeln. Für das Vorliegen von Übereinkünften zwischen persönlich oder wirtschaftlich eng verbundenen Personen können im übrigen verschiedene Indizien sprechen, wie etwa die Unwahrscheinlichkeit eines eigenen unternehmerischen Engagements eines Beteiligten (fehlende Ausbildung und Erfahrung), Finanzierung des Anteilserwerbs durch den anderen, geplante personelle Verflechtungen308 , Übernahme

304 Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, § 23 Rn. 55 ff.; KleinmannIBechtold, § 23 Rn. 193, 364 ff.; Ruppelt, in: LangenlBunte, § 23 Rn. 44; KG, 15. 1. 1988 - W + i VerlaglWeiss-Druck, WuWfE OLG 4095, 4097 ff.; KG, 4. 12. 1987 - SpringerlKieler Zeitung, WuWfE OLG 4075,4076 ff. 305 Vgl. die ausführliche Beweisführung für das Vorliegen einer Übereinkunft über die gemeinsame Ausübung der Stimmrechte in KG, 4. 12. 1987 - SpringerlKieler Zeitung, WuWfE OLG 4075,4076 ff., 4086. 306 Vgl. aber Kommission, 3.12. 1993 - Philips/Grundig, WuWfE EV 2113,2114. Allerdings gab es hier ein Indiz für eine Stimmbindung. Denn die Banken bestellten gemeinsam einen Geschäftsführer. Es wäre zu prüfen gewesen, ob jede der Banken zustimmen mußte. 307 So hat im Konzernrecht der BGH häufiger die unzureichenden tatsächlichen Feststellungen zum Treuhandverhältnis zwischen Familienmitgliedern gerügt und zurilckverwiesen, BGH, 20.2. 1989 - Tiefbau, ZIP 1989, 440, 441; 29. 3. 1993 - TBB, NJW 1993, 1200, 1203. - Im englischen Fusionskontrollrecht etwa werden "associated persons" wie eine Person behandelt, siehe dazu Wenz, S. 33. 308 Vgl. auch Kommission, Bekanntmachung über Konzentrations- oder Kooperationssachverhalte, Nr. 45; personelle Verflechtungen gehen regelmäßig mit Kapitalverl1echtungen einher (Kommission, Nr. 43; Gromann, S. 13; Mestmäcker, in: ImmengaJ Mestmäcker, § 23 Rn. 221). Dann ergibt sich schon aus diesen der Kontrollerwerb. Personelle Verflechtungen begründen als solche keinen bestimmenden Einfluß. Sie sind jedoch, wenn es sie in kontrollbegründendem Umfang gibt, ein deutliches Indiz dafür, daß zwischen den beteiligten Unternehmensträgern oder deren Anteilseignern vereinbart wurde, die Unternehmen einheitlich zu leiten. Dann liegt ein Zusammenschluß in Form eines Gleich- oder Unterordnungsverhältnisses vor.

B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

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von Kursrisiken, Initiative des anderen zum Anteilserwerb sowie gleichzeitiger Erwerb einer Beteiligung durch ihn309 . Keine Kriterien für gemeinsame Kontrolle sind entgegen der Ansicht der Kommission310, ob eine Unternehmensneugriindung vorliegt und ob jeder Beteiligte einen für das neue Unternehmen "lebenswichtigen" Beitrag erbringt. In beiden Fällen ist abgestimmtes Vorgehen der Gesellschafter nicht wahrscheinlicher als unabhängiges Vorgehen. Bei der Neugriindung gibt im übrigen der Gesellschaftsvertrag Aufschluß über die gewollte Machtverteilung. Sieht er kein Einstimmigkeitserfordemis vor, läßt sich kaum argumentieren, wegen der Interessenübereinstimmung würde faktisch nur einstimmig entschieden. Dem Angewiesensein auf die "lebenswichtigen Beiträge" wird durch Kündigungs- und Beendigungsvorschriften Rechnung getragen. Aus dem Angewiesensein läßt sich nicht schließen, man werde es entgegen dem Gesellschaftsvertrag nicht wagen, einen Gesellschafter zu überstimmen311 . Im Ergebnis hat die Kommission bisher noch nicht allein aufgrund der zuletzt genannten Kriterien gemeinsames Vorgehen der Beteiligten angenommen312 . Steht das Vorliegen einer Übereinkunft (Treuhand, Stimmbindung, Gleichoder Unterordnung) fest, fragt sich zweitens, ob auch deren Rechtsverbindlichkeit gegeben sein muß, damit die FKVO eingreift. Das ist nicht der Fall313 . Denn andernfalls ließe sich die FKVO durch den Verzicht auf Rechtsverbindlichkeit leicht umgehen. Wie bei dem Tatbestandsmerkmal der Vereinbarung 309 VgI. die Kriterien der Kommission. Mitteilung über den Begriff des Zusanunenschlusses, Nm. 32 - 34. 310 Kommission. Mitteilung über den Begriff des Zusanunenschlusses, Nr. 34. 311 Allerdings kann sich aus Mitentscheidungsrechten über lebenswichtige Beiträge Kontrolle ergeben, vgI. Kommission. 14. 7. 1986 - Optical Fibres, ABI.1986 L 236/30. 312 Siehe etwa Kommission. 22. 12. 1995 - Channel Five, MCR B375 (Nm. 12 17); dazu Hirsbrunner. EuZW 1996, 517, 518; Kommission. 14.3. 1995 - Nokia/SP Tyres, MCR B285 (Nr. 8); offengelassen in dies., 28. 7. 1992 - KoipeTabacalera/Elosua, MCR BIOI (Nr. 9); 20.7. 1995 - Swissair/Sabena, MCR B326 (Nm. 7 - 12); dort hat die Kommission das starke gemeinsame Interesse der Mütter ergänzend als Kriterium für gemeinsame Kontrolle aufgefilhrt. Es lag aber schon de jure gemeinsame Kontrolle vor. In das mit einfacher Mehrheit entscheidende Board of Directors entsandten eine Mutter sechs, die andere filnf und beide gemeinsam ein Mitglied. 1m Fall Kommission. 20. 9. 1995 - RTLNeronica/Endemol, ABI. 1996 L 134/32, 33 (Nr. 11) kam zu den Jeweils "lebenswichtigen Beiträgen" hinzu, daß grundsätzlich alle Entscheidungen gemeinsam zu treffen waren und nur bei fehlgeschlagenen Einigungsversuchen das Recht einer Mutter zum Stichentscheid gegeben war. m VgI. auch Kommission, 3. 12. 1993 - Philips/Grundig, WuW/E EV 2113, 2114: die Kommission verneinte das Vorliegen eines formalen Stirnmenpools. Die Umstände sprachen dafür, daß die Banken sich tatsächlich auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt hatten.

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2.Teil: Die Entstehung des Untemehmensverbundes

in Art. 85 EGV ist es daher ausreichend, daß ein tatsächlicher Druck besteht, sich an die Übereinkunft zu halten. Es fragt sich jedoch, ob die oben vorgebrachten Argumente gegen die Berücksichtigung tatsächlicher Einflüsse auch gegen die hier vorgeschlagene Ausnahme in Umgehungsfallen sprechen. Das ist nicht der Fall. Zusammenschlußspezifische Vorteile können bei den genannten Übereinkünften genauso angenommen werden, als wenn rechtlich verbindliche Abreden vorlägen. Auch eine Handlung der Beteiligten, an welche die Fusionskontrolle anknüpfen kann, liegt vor. Die Systematik der Wettbewerbsregeln steht der vorgeschlagenen Ausnahme ebenfalls nicht entgegen. Eine Übereinkunft, rechtliche Einflußmöglichkeiten nur noch nach den Vorgaben eines anderen wahrzunehmen, führt tatsächlich zum Verlust von Handlungsfreiheit hinsichtlich der gesamten betroffenen Ressourcen. Art. 85 EGV würde Sachverhalte der genannten Art daher nicht erfassen314 . Etwas anderes gilt möglicherweise, wenn die Übereinkunft dahin geht, nur noch übereinstimmend zu entscheiden. Dann ist nicht ausgeschlossen, daß zugleich eine Verhaltenskoordination hinsichtlich anderer unternehmerischer Tätigkeiten erfolgt. Art. 86 EGV wäre, solange die tatsächliche Übereinkunft nicht durch den Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung erzwungen wurde, nicht anwendbar315 . 4. Der Fall KLM/Air UK Die Kommission hatte zu klären, ob die niederländische Fluggesellschaft KLM bereits vor dem angemeldeten Erwerb von 55% der Anteile an der englischen Fluggesellschaft Air UK Kontrolle über dieses Unternehmen hatte 316 . Bereits vor dem angemeldeten Erwerb hatte KLM durch ein Geflecht von Verbindungen erheblichen Einfluß auf Air UK. Verständlich wird die von den Unternehmen gewählte Konstruktion nur auf dem Hintergrund, daß der englische Civil Aviation Act von 1982 einen Kontrollerwerb an Air UK durch Ausländer bis zum l. l. 1993 ausschloß. KLM, die Air UK insbesondere als Zubringer für eigene Flüge nutzen wollte, erwarb 1987 14,9% der Anteile an Air UK und entsandte ein Mitglied in das Board von Air UK. 1988 gab KLM Air UK über eine Mittelsperson ein Darlehen, für das als Sicherheit die restlichen 85,1 % der Anteile an Air UK dienten. Zugleich erhielt KLM über eine Mittelsperson eine ab 1. 1. 1993 ausSiehe unten D, S. 216 tr Siehe unten E, S. 245 tr 316 Kommission, 22. 9. 1997 - KLM/Air UK, MCR B587 (Nm. 5 - 17).

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übbare Kaufoption auf sämtliche restliche Anteile. Der Kaufpreis entsprach der Darlehenssumme. Eine vorzeitige Ausübung der Option war für den Fall vorgesehen, daß Air UK seine Geschäftspolitik wesentlich ändert oder seinen finanziellen Pflichten nicht nachkommt. 1995 erhöhte KLM durch Umwandlung eines Darlehens seine Beteiligung an Air UK auf 45%. KLM gab für Air UK verschiedentlich Garantieerklärungen ab. Außerdem hatte KLM faktisch Vetorechte bei allen strategischen Entscheidungen über die Geschäftspolitik; KLM besetzte zudem die Stelle des Managing Directors. Der Fall trägt alle Züge einer Umgehungsvereinbarung, wobei allerdings nicht die Umgehung des Kartellrechts, sondern des Civil Aviation Act beabsichtigt war. KLM war teilweise Kapitaleigner, teilweise aber nur Fremdkapitalgeber, allerdings gegen Hingabe aller fehlenden Anteile als Sicherheit. Es gab keine rechtlich verankerten, aber faktisch vereinbarte Vetorechte, deren Gewährung durch die Möglichkeit der Ausübung der Kaufoption sichergestellt war. Tatsächlich hatte KLM also gemeinsam mit der Muttergesellschaft der Air UK, der British Air Transport Holdings (BATH), Kontrolle über Air UK. Der Erwerb der restlichen 55% der Anteile führte also dazu, daß die gemeinsame Kontrolle durch BATH und KLM sich in alleinige Kontrolle durch KLM wandelte, mithin ein Zusammenschluß im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO vorlag.

5. Ergebnis zu vn. Tatsächlicher Einfluß, der sich nicht aus einem Recht am Unternehmen, am Unternehmensträger oder am Unternehmensanteil ergibt, kann grundsätzlich keine Kontrolle im Sinne von Art. 3 Abs. 3 FKVO begründen. Bei der Beurteilung des rechtlichen Einflusses eines Beteiligten sind tatsächliche Machtpositionen jedoch wie alle anderen tatsächlichen und rechtlichen Umstände zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob sie einem Beteiligten oder einem Dritten zustehen. In Fällen, in denen die Kontrolle durch einfache Vereinbarungen begründet werden kann (Treuhand, Stimmbindung, vertragliche Gleich- oder Unterordnung), ist die Rechtsverbindlichkeit der Vereinbarung jedoch ausnahmsweise nicht erforderlich. Es genügt ein tatsächlicher Druck, sich an die Vereinbarung zu halten.

VIII. Gemeinsame Kontrolle 1. Problemstellung Nach Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO können auch mehrere Personen oder mehrere Unternehmen die Kontrolle über ein Unternehmen erwerben. Hieraus er-

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2.Teil: Die Entstehung des UnternehmensverbWldes

gibt sich, daß die FKVO auch gemeinsamen Kontrollerwerb für möglich hält. Andere wollen das aus Art. 3 Abs. 3 FKVO - "einzeln oder zusammen" schließen317 • Der zitierte Passus bezieht sich aber auf die Kontrollmittel, nicht auf die Kontrollerwerber. Gemeinsame Kontrolle setzt zweierlei voraus. Erstens muß der gemeinsame Einfluß sich auf die Tätigkeit des Unternehmens in ihrer Gesamtheit erstrekken. Wann das der Fall ist, ist so zu beantworten wie bei der alleinigen Kontrolle. Als Kontrollmittel kommen alle oben Erörterten in Betracht, soweit sie ihrer Natur nach mehreren zustehen können. Praktisch wird gemeinsame Kontrolle ganz überwiegend durch gemeinsame Beteiligung am Unternehmensträger erworben. Diese Fälle stehen daher im folgenden im Vordergrund. Zweitens muß der bestimmende Einfluß mehreren zustehen. Wann das der Fall ist, wird im folgenden untersucht. Die Figur der Kontrolle mehrerer ist dogmatisch schwer zu erfassen. In der Literatur hält man sie gar für in sich widersprüchlich. Denn Leitungsmacht sei definitionsgemäß ausschließlich. Wer einen anderen fragen müsse, kontrolliere nicht318 . Kontrolle mehrerer kann nach dem Wortsinn zweierlei sein. Erstens kann damit gemeint sein, daß von mehreren Unternehmen jedes die Kontrolle über ein Unternehmen hat. Das ist möglich, da Kontrolle schon durch die Möglichkeit begründet wird, die unternehmensleitenden Entscheidungen zu blockieren319 • Haben in einem Unternehmen mehrere Unternehmen solche Blockaderechte, kann man von Kontrolle mehrerer sprechen. Jeder hat kraft seiner Rechtsstellung bestimmenden Einfluß, wird jedoch durch den Einfluß der oder des anderen beschränkt. Kontrolle mehrerer wäre danach das Nebeneinander von Kontrollmöglichkeiten einzelner. Zweitens kann mit der Kontrolle mehrerer gemeint sein, daß mehrere Unternehmen in ihrer Gesamtheit die Kontrolle über ein Unternehmen erlangen. Es wäre dann nicht erforderlich, daß jedes einzelne Mitglied der Gesamtheit Kontrolle erwirbt. Ausreichend wäre, daß die Gesamtheit als solche die Kontrolle erwirbt. Ob gemeinsame Kontrolle in Art. 3 FKVO im ersten, im zweiten oder im doppelten Sinne zu verstehen ist, ist ungeklärt. Deutlich wird diese Unklarheit an zwei Streitfragen im Zusammenhang mit der gemeinsamen Kontrolle. Erstens ist umstritten, ob Kontrolle mehrerer schon dann vorliegt, wenn Kontrollmöglichkeiten mehrerer nebeneinander bestehen (2). Zweitens ist umJones/Gonzalez-Diaz, S. 6. Koch, in: GrabitzlHilf, nach Art. 86 Rn. 12; siehe auch schon Knöpfle, in: Gerneinschaftskomrnentar, Art. 66 EGKSV Rn. 44; Harms, Konzerne, S. 271 für die Konzernabhängigkeit. 319 S. O. IV 2 c bb, S. 129 tT. 317

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stritten, ob gemeinsame Kontrolle ohne Blockadeposition des einzelnen vorliegen kann (3). 2. Gemeinsame Kontrolle als Nebeneinander von Kontrollmöglicbkeiten einzelner a) Meinungsstand

Nach überwiegender Ansicht in der Literatur und auch nach der Kommissionspraxis fuhren mehrere nebeneinander bestehende Blockadepositionen zu gemeinsamer Kontrolle320 . Danach fuhren z. B. nach Stimmrechten paritätische Beteiligungen zweier Mütter stets zur gemeinsamen Kontrolle321 . Die Gegenansicht hält das nicht fur ausreichend. Sie verlangt vielmehr, daß neben den Blockadepositionen ein Zusammenwirken der Mütter gewährleistet sein müsse. Denn auch bei paritätischen GU mit zwei Müttern sei es möglich, daß die Mütter gegeneinander operierten. Dann neutralisierten sich beide Einflußpositionen, so daß dem GU ein unabhängiges Vorgehen ermöglicht werde. Das könne einer gemeinsamen Kontrolle entgegenstehen322 . Im deutschen Kartellrecht wird diese Problematik im Zusammenhang mit dem Zusammenschlußtatbestand sowie mit der Verbundklausel erörtert. Frü320 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusanunenschlusses, Nr. 20; aus der Kommissionspraxis z. B. Kommission, 10.9.1991 -ABC/Generale des EauxiCana1+/W.H. Smith T.v., MCR B45 (Nm. 6, 7); 18.5. 1992 - EucomlDigital, WuWIE EV 1860, 1861 (Nr. 6); 17.2.1992 -BSN-Nestle/Cokoladovny, MCR B77 (Nr. 8); Mestmäcker, in: lmmenga/Mestmäcker, Vor § 23 Rn. 155; Vetter, S. 136; Bos/StuycklWytinck, Rn. 4-063; JonesiGonzalez-Diaz, S. 10; Gugerbauer, Art. 3 Anm. 35; Kerstin Schmidt, S. 167; im Ergebnis auch Karl, S. 245 f. 321 Das 50/50 GU wird oft als Sonderfall herausgestellt (z. B. DirkseniBarber, EWS 1992,98, 101). Entscheidend ist aber die paritätische Entscheidungsmacht, die nicht notwendig paritätische Anteilseignerstellungen voraussetzt. 322 Gerwing, S. 8; CookiKerse, S. 44; Köhler, EuZW 1992, 634, 637, der allerdings bei Parität annimmt, der Erwerber habe darzulegen, daß keine gemeinsame Kontrolle besteht; Jäger, EuZW 1995, 203, 204; siehe auch Kommission, 23. 4. 1997 -Deutsche Bank/Commerzbank/lM.Voith, MCR B529 (Nr. 5), wo die Kommission die gemeinsame Kontrolle nicht nur mit der paritätischen Beteiligungsstruktur, sondern auch mit dem gemeinsamen strategischen Interesse der beteiligten Banken begründet; ebenso zur Rechtslage vor Inkrafttreten der FKVO Wissel, in: FlW (Hrsg.), Gemeinschaftsunternehmen, S. 85, 88; vgl. auch die Argumentation der deutschen Rechtsprechung, nach der ein zwischen den Müttern bestehendes Spannungsverhältnis gemeinsamer Beherrschung entgegenstehen kann (z. B. KG, 15. 1. 1988 - W + ilWeiss Druck, WuWIE OLG 4095, 4100 zu § 23 Abs.2 Nr.5 GWB; BGH, 8.5.1979 - WAZ I, BGHZ 74,359, 367, KG, 4. 3. 1986 - Niederrheinische Anzeigenblätter, WuWIE OLG 3767, 3769, jeweils zu § 23 Abs. 1 S. 2 GWB); im Ergebnis wurde das jedoch, soweit ersichtlich, stets verneint; siehe auch G. Wiedemann, ZHR 146 (1982), 296, 304: eine von mehreren Gesellschaftern beherrschte Gesellschaft könne unabhängiger agieren als eine JOO%ige Tochter.

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2.Teil: Die Entstehung des Untemehmensverbundes

her setzte die Verbundklausel, § 23 Abs. I S. 2, 2. HS GWB a. F., anders als der Zusammenschlußtatbestand, voraus, daß mehrere Unternehmen aufgrund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise zusammenwirken; dann galt jedes als herrschendes Unternehmen. Daraus schlossen Rechtsprechung und Teile der Literatur, daß allein der aufgrund der jeweiligen Blockadeposition der paritätisch beteiligten Mütter bestehende Einigungszwang nicht zu gemeinsamer Beherrschung führe. Das sollte für den Zusammenschlußtatbestand ebenso gelten wie für die Verbundklausel 323 . Mit der Neufassung der Verbundklausel entfallt dieses Argument (siehe § 36 Abs. 2 S. 2 GWB). Insbesondere das Kammergericht sah ohnehin in der paritätischen Gestaltung des Gesellschaftsvertrages regelmäßig ein Indiz für das Zusammenwirken der Mütter. Indem beide einer paritätischen Ausgestaltung des GU zustimmten, erklärten sie inzidenter ihre Bereitschaft, die Geschäftspolitik gemeinsam festzulegen 324 . Andere nehmen allein aufgrund der Patt-Situation bei 50/50-GU, die jedem Gesellschafter die Macht zur Verhinderung unerwünschter Unternehmenspolitik gibt, beherrschenden Einfluß an325 . b) Stellungnahme Der Ansicht, wonach das Nebeneinander von Kontrollmöglichkeiten einzelner Unternehmen gemeinsame Kontrolle begründet, ist zu folgen. Bereits oben ist festgestellt worden, daß das Recht, die wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen zu blockieren, Kontrolle begründet. Schon dann nimmt die FKVO eine kontrollbedürftige Zusammenfassung von Ressourcen an, obwohl ein Inhaber einer Blockadeposition stets auf die Zustimmung anderer angewiesen ist, also über seine eigenen Ressourcen und die des Zielunternehmens nicht einheitlich entscheiden kann. Zwar ist der Einfluß des einzelnen geringer, wenn er nicht allein eine Blockadeposition hat, sondern eine solche 323 KleinmannlBechtold, § 23 Rn. 369 und 191; G. Wiedemann, ZHR 146 (1982), 296, 307 f; Steindorff, NJW 1980, 1921, 1924; ders., Wettbewerbliche Einheit, S. 42 11; BGH, 30.9.1986 -Mischguthersteller, WuWfE BGH 2321, 2322 f; 8.5. 1979 - WAZ, BGHZ 74, 359, 366 (die Urteile betreffen jeweils die VerbundklauseI); KG, 4. 3. 1986 - Niederrheinische Anzeigenblätter, WuWfE OLG 3767, 3769; siehe auch KG, 1. 7. 1983 - MorrislRothmans, WuWfE OLG 3051, 3066 ff.; fur das Konzernrecht ebenso Koppensteiner, in: Kölner Kommentar, § 17 Rn. 75; Marchand, S. 111 ff.; Emmerich/Sonnenschein, § 3 m 1. 324 KG, 15.1. 1988 - W + i Verlag/Weiss-Druck, WuWfE OLG 4095, 4099; 4.3. 1986 - Niederrheinische Anzeigenblätter, WuWfE OLG 3767, 3769; 10.7. 1985 - Mischguthersteller, WuWfE OLG 3663, 3665; 22. 3. 1983 - RewelFlorimex, WuWfE OLG 2862, 2868; 1. 7.1983 -MorrislRothmans, WuWfE OLG 3051, 306611; ebenso Paschke, in: Frankfi.rrter Kommentar, § 23 Rn. 145. 325 Mestmäcker, in: ImmengaJMestmäcker, § 23 Rn. 57 in Verbindung mit Rn. 235; Ruppelt, in: LangenIBunte, § 23 Rn. 94; tUr das Konzernrecht ebenso Säcker, NJW 1980, 801, 804.

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neben ihm noch anderen Gesellschaftern zusteht. Dennoch kann man in solchen Fällen noch zusammenschlußtypische Vorteile annehmen326 Hinzu kommt, daß Artt. 85, 86 EGV solche Sachverhalte nicht hinreichend erfassen32' . Haben mehrere Unternehmen jeweils ein Blockaderecht, kann man deshalb ihren Kontrollerwerb nur dann von der zusätzlichen Voraussetzung eines "Zusammenwirkens" abhängig machen, wenn Sinn und Zweck des Art. 3 FKVO es erfordern. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Voraussetzung des "Zusammenwirkens" beruht auf dem Gedanken, daß die dem Einzelnen durch seine Blockadeposition gegebene Macht durch dieselbe Macht des anderen Gesellschafters aufgehoben werden kann, wenn beide sich uneins sind. Ein Einigungsprozeß zwischen den Müttern ist aber auch erforderlich, wenn ein Zusammenwirken z. B. durch vorherige Vereinbarung oder durch Interessenparallelität gegeben ist. Eine Vereinbarung oder übereinstimmende Interessen führen allenfalls dazu, daß manche Interessengegensätze schon vorher verbindlich ausgeräumt sind oder erst gar nicht entstehen. Trotzdem kann es Blockadesituationen geben. Es ist daher nicht in rechtlichen Kategorien faßbar, ob und inwieweit die Einflußmöglichkeiten paritätisch Beteiligter sich gegenseitig aufheben und damit das Zielunternehmen unabhängig sein lassen. Die deutsche Rechtsprechung hält ein "Spannungsverhältnis" zwischen den Gesellschaftern für geeignet, die gemeinsame Beherrschung aufzuheben328 . Aber die Frage, wann ein solches Spannungsverhältnis besteht und wann es die gemeinsame Beherrschung ausschließt, ist ebensowenig justitiabe!. Bezeichnend ist, daß ein die gemeinsame Beherrschung ausschließendes Spannungsverhältnis soweit ersichtlich im Ergebnis nie bejaht wurde. Die Entscheidung, ob Kontrolle vorliegt, würde mit erheblicher Rechtsunsicherheit belastet, hielte man ein über die paritätische Beteiligung hinausgehendes Zusammenwirken für erforderlich. Hinzu kommt, daß paritätische Einflußmöglichkeiten so gut wie nie gegen den Willen eines Beteiligten entstehen. Schon die Parität gewährleistet daher in aller Regel ein "Zusammenwirken" der Mütter, wie es die Mindermeinung verlangt. Gegen die hier vertretene Ansicht läßt sich nicht einwenden, daß ohne Vereinbarung über ein "Zusammenwirken" die Mütter dem GU auch freie Hand

S. o. A rn I, S. 95. Siehe unten D, E, S. 216 tI, 245 fr 328 BGH, 8.5.1979 - WAZ I, BGHZ 74,359,367; KG, 15.1. 1988 - W + i/Weiss Druck, WuWfE OLG 4095, 4100; 4.3.1986 -Niederrheinische Anzeigenblätter, WuWfE OLG 3767, 3769. 326 327

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

lassen könnten und dieses dann unabhängig sei329 • Im Rahmen des Zusammenschlußtatbestands kommt es nicht darauf an, ob der bestimmende Einfluß ausgeübt wird. Entscheidend ist allein die Möglichkeit der Einflußnahme. Im übrigen können auch Mütter, die aufgrund einer Vereinbarung oder aufgrund übereinstimmender Interessen eine gemeinsame Unternehmenspolitik betreiben, jederzeit dem GU freie Hand lassen. Demnach bleibt festzuhalten, daß Kontrolle mehrerer vorliegt, wenn zwei oder mehr Unternehmen jeweils für sich die Möglichkeit haben, die wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen zu blockieren.

3. Gemeinsame Kontrolle ohne Blockadeposition des Einzelnen? Umstritten ist, ob gemeinsame Kontrolle auch dann vorliegen kann, wenn innerhalb der Gesellschaft oder innerhalb eines Stimmenpools mit wechselnden Mehrheiten abgestimmt werden kann. Haben z. B. A, B und C mit je 33,3% der Anteile gemeinsame Kontrolle, wenn alle Entscheidungen mit einfacher Mehrheit getroffen werden? Wie ist es, wenn A, B, C und D beteiligt sind und A, Bund C ihre Stimmen poolen und im Pool mit einfacher Mehrheit entschieden wird? a) Meinungsstand Die Praxis der Kommission sowie die Literatur schwanken. Zum Teil wird in solchen Fällen gemeinsame Kontrolle abgelehne 30 . Andererseits wird auch bei möglichen wechselnden Mehrheiten ohne weiteres der Kontrollerwerb bejahe 31 • Allerdings liege keine gemeinsame Kontrolle vor, wenn so viele Un329

Steindorff, NJW 1980, 1921, 1922; zustimmend G. Wiedemann, ZHR 146

(1982),296,308.

330 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusanunenschlusses, Nr. 35; dies., 28.2.1994 - RWEfMannesmann, WuWIE EV 2177, 2178 (NT. 7: Anteile 43, 21, drei Mal 10 und 6%, Mehrheitserfordernis 83%; gemeinsame Kontrolle nur der beiden großen Gesellschafter, weil nur sie nicht überstimmt werden können); dies., 18. 6. 1991 - ElfIBC/CEPSA, MCR B29 (Nr.4: Anteile zwei Mal 34% und kleinere Anteile, Mehrheitserfordernis 75%); dahin tendierend, aber im Ergebnis offen lassend dies., 28.7.1992 -Koipe-Tabacalera/Elosua, MCR B101 (Nm. 6 - 9: Stimmrechte 40,40, 20%); 27.4.1992 -Eureko, WuWIE EV 1844, 1845 (Nm. 6 - 11: Stimmrechte vier mal 25%, für die untemehmensleitenden Entscheidungen waren teils 50%, teils 75% der Stimmen erforderlich); vgl. die Schilderung der Kommissionspraxis bei Drauzl Schröder, S. 47 f.; Karl, S. 215 für den Pool; so ebenfalls die h. M. zu § 23 Abs. 2 Nr. 5 GWB, siehe Ruppelt, in: LangenlBunte, § 23 Rn. 44 m. w. N. 331 Kommission, 18. 1. 1993 - PhilipslThomsonlSagem, MCR B127 (NT. 10: Stimmrechte 80/1 0/1 0, Mehrheitserfordernis: mehr als 80%, Kontrolle aller drei Gesellschafter); 4. 9. 1992 - AvestalBritish SteellNCC/AGAlAxel Johnson, MCR Bll0 (Nm. 11 f.: Entscheidungen bedurften der Zustimmung von British Steel, NCC sowie

B. Die Defmition von Konzentrationssachverhalten

189

ternehmen beteiligt seien, daß mit einer Einflußnahme des einzelnen nicht mehr zu rechnen sei332 . Außerdem gehörten, so heißt es, zu den gemeinsam kontrollierenden Gesellschaftern nicht diejenigen, deren Stimmen niemals ausschlaggebend sein könnten333 . Ein Beispiel hierfiir wäre ein Gesellschafter mit 10% der Stimmrechte, wenn den anderen drei Gesellschaftern je 30% der Stimmrechte zustehen. Bei einfachem Mehrheitserfordernis kann die Stimme des 10%-Gesellschafters niemals den Ausschlag geben. Eine vermittelnde Auffassung nimmt trotz der Möglichkeit wechselnder Mehrheiten gemeinsame Kontrolle an, wenn zu erwarten sei, daß die Beteiligten nicht gegeneinander handeln. Indizien hierfiir sollen insbesondere starke gemeinsame Interessen sein334 .

Axel Johnson oder AGA); 2. 12. 1991 -lNT/Canada Post u.a, WuWfE EV 1754, 1755, (Nr. 12: Anteile in der Holding 30, 25, 18, 15, 12%, Mehrheitserfordernis 60%); 19.7.1993 -Costa Crociere/Chargeurs/Accor, MCR B159 (Nr. 6: Mehrheitserfordernis im Pool 80%, Anteile im Pool: ein Poolmitglied 27%, zwei andere zusanunen 19,8% sowie kleinere Anteile. Die Korrunission nahm an, die Zustimmung der drei großen Poolmitg1ieder sei stets erforderlich. Aus dem geschilderten Sachverhalt ergibt sich das jedoch nicht); 25. 3. 1997 -Birmingham International Airport, MCR B523 (Nm. 9, 10: sieben Gesellschafter, District Councils der British West Midlands, poolten ihre Stimmen; innerhalb des Pools wurde nach Beteiligungshöhe mit einfacher Mehrheit entschieden; zwei weitere Gesellschafter waren durch eine paritätische Zwischenholding beteiligt. Die Kommission nahm an, daß die sieben Gesellschafter sowie die zwei Gesellschafter gemeinsame Kontrolle über das Zielunternehmen hatten. Allerdings spricht der Wortlaut der Entscheidung dafür, daß die Korrunission die sieben "districts" nur in ihrer Gesamtheit als Kontrollinhaber ansah); Löffler, in: LangenlBunte, Art. 3 Rn. 22; Vetter, S. 136 f; ebenso zum deutschen Recht filr bestimmenden Einfluß über einen Stimmenpool KleinmanniBechtold, § 23 Rn. 362 (ebenso in Rn. 191 zu § 23 Abs. 1 S. 2 GWB); Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 23 Rn. 144, der zwar diesen Fall nicht erwähnt, aber gemeinsame Kontrolle aller Poolmitglieder sogar annimmt, wenn eines von ihnen immer überstimmt werden kann; a. A. G. Wiedemann, ZHR 146 (1982), 296, 305, der im Pool den gemeinsamen Einnuß ebenso wie in der Geselschaft direkt davon abhängig macht, daß gesicherte Eintlußmöglichkeiten bestehen. 332 Vetter, S. 137. 333 Vgl. Kommission, 23.9.1993 -ArvinlSogefi, MCR B167 (Nm. 8 f); a. A. zum deutschen Recht, wenn im Stimmenpool ein Mitglied stets überstimmt werden kann, KleinmanniBechtold, § 23 Rn. 362 (ebenso in Rn. 191 zu § 23 Abs. 1 S.2 GWB); Paschke, in: Frankfurter Kommentar, § 23 Rn. 144. 334 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nm. 32 - 34; vgl. auch dies., 3.12.1993 -Philips/Grundig, WuWfE EV 2113,2114 (es sei zu erwarten, daß die drei mit je 20% beteiligten Banken einheitlich abstimmten; hier kam hinzu, daß sie den Geschäftsführer gemeinsam bestellten); ebenso Bellamy/Child, Rn. 6-032: bei fehlenden Vetorechten sei gemeinsame Kontrolle nur unter besonderen tatsächlichen Umständen gegeben, wie insbesondere konvergierenden wirtschaftlichen Interessen.

190

2.Teil: Die Entstehung des Unternehmens verbundes

b) Stellungnahme

Es fragt sich, ob die Annahme gemeinsamer Kontrolle trotz der Möglichkeit wechselnder Mehrheiten damit begründet werden kann, jeder einzelne habe bestimmenden Einfluß. Für diejenigen bestimmenden Einfluß anzunehmen, die von Fall zu Fall überstimmt werden können, aber von Fall zu Fall auch die ausschlaggebende Stimme abgeben können, hieße, den Kontrolltatbestand in den Bereich der Minderheitsbeteiligungen auszudehnen. Mit der grundsätzliehen Ausgangsposition der Kommission, daß mindestens eine Blockadeposition bezüglich der unternehmensleitenden Entscheidungen gegeben sein muß, stimmt das nicht überein. Auch mit dem Wortlaut wäre diese Auslegung nur schwer vereinbar. Ein Einfluß, der nur im Einzelfall und unter Umständen sogar über lange Zeit gar nicht zum Tragen kommt, kann kaum als bestimmend bezeichnet werden. Auch der Adressatenkreis der FKVO würde erheblich erweitert. Adressaten der FKVO sind auch Personen, die ein Unternehmen kontrollieren (Art. 3 Abs. 1 lit. b, 1. Spiegelstrich FKVO). Nähme man an, Kontrolle liege trotz der Möglichkeit wechselnder Mehrheiten vor, würden unter Art. 3 Abs. 1 lit. b, 1. Spiegelstrich FKVO auch Minderheitsbeteiligte ohne jegliche Sonderrechte fallen 335 . Nach alledem ist de lege lata nicht anzunehmen, daß bei der Möglichkeit wechselnder Mehrheiten jedes beteiligte Unternehmen Kontrolle erlangt. Die Annahme gemeinsamer Kontrolle in diesen Fällen läßt sich aber möglicherweise damit begründen, daß zwar nicht jeder einzelne, aber die Gesamtheit aller Beteiligten als solche Kontrolle erwirbt. In dem eingangs gebildeten Beispiel (drei Gesellschafter mit je 33,3%) könnten also alle Gesellschafter gemeinsam Kontrolle haben. Dagegen spricht, daß die Gesellschafter in ihrer Gesamtheit identisch sind mit der unternehmenstragenden Gesellschaft. Eine daneben bestehende Gesamtheit anzunehmen, kann nicht überzeugen. Das wäre schon eher beim Pool denkbar, so etwa wenn im Beispiel neben A, Bund C noch D beteiligt ist, A, Bund C ihre Stimmen bündeln und im Pool mit einfacher Mehrheit abstimmen. Man kann jedoch den Poolfall nicht anders behandeln als das nur gesellschaftsvertragliehe Zusammenwirken der Gesellschafter. Liegt im Poolfall gemeinsamer Kontrollerwerb vor, dann muß erst recht die Begründung der

335 Z. B. die Minderheitsbeteiligten im Fall der Kommission, 18. 1. 1993 - Philips/ ThomsoniSagem, MCR B127; zur notwendigen Spiegelbildlichkeit von KontrollbegrifT und Unternehmensbegrifrs. o. 1. Teil B TI 4 b, c, S. 61,64 f.

B. Die Detinition von Konzentrationssachverhalten

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umfassenderen Machtposition für A, Bund C in der allein ihnen gehörenden Gesellschaft der Fusionskontrolle unterfallen336 . Der Kontrollenverb einer Gesamtheit mehrerer Unternehmen kann daher nur dann der FKVO unterfallen, wenn diese Gesamtheit als solche bereits anderweitig unternehmerisch tätig, also selbst Unternehmen ist. Denn andernfalls wäre die Gesamtheit von Unternehmen nicht Adressatin der FKVO. Erwirbt ein Nichtunternehmen - die Gesamtheit - die Kontrolle über Ressourcen, fallt dieser Vorgang nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 FKVO nicht unter die FKVO. Eine Zusammenballung von Ressourcen liegt nämlich nur vor, wenn zuvor getrennte Ressourcen zusammengefaßt werden. Bereits oben wurde aber gezeigt, daß der Zusammenschlußtatbestand der FKVO hier lückenhaft ist. Denn auch wenn ein Nichtunternehmen die Kontrolle über zuvor getrennte Ressourcen erwirbt, muß die FKVO nach ihrem Sinn und Zweck eingreifen. Dasselbe gilt, wenn mehrere Unternehmen in ihrer Gesamtheit Kontrolle über zuvor getrennte Unternehmen enverben. Beispiel hierfür ist der bereits oben envähnte Gleichordnungsfall. A, B, C und D sind jeweils ohne bestimmenden Einfluß mit 25 % an X beteiligt. Sie enverben mit derselben Beteiligungsstruktur Y und vereinbaren, beide Unternehmen einheitlich zu leiten. Durch diese Vereinbarung üben sie in ihrer Gesamtheit Kontrolle über X und Y aus. Ohne die Vereinbarung, nur bei paralleler Anteilseignerstruktur, läge kein Zusammenschlußsachverhalt vor. Praktisch sind Sachverhalte dieser Art ohne (rechtliche oder tatsächliche) Gleichordnungsvereinbarung kaum denkbar. Für Sachverhalte dieser Art wurde oben vorgeschlagen, Art. 3 FKVO um eine Variante zu enveitern und zugleich die überflüssige Variante der lit. a zu streichen. Mit eben dieser Lücke läßt sich die Annahme der Kommission erklären, gemeinsame Kontrolle liege auch bei wechselnden Mehrheiten vor. Deutlich wird das im Fall TNT/GD Net337 . TNT und GD Net gründeten ein GU, dem sie verschiedene Postdienste übertrugen. Die fünf Postvenvaltungen hielten ihre Anteile durch die Holding GD Net. An dieser waren sie mit 30, 25, 18, 15 und 12% beteiligt. Das Mehrheitserfordemis von 60% führte dazu, daß keine der Postvenvaltungen Entscheidungen in GD Net blockieren oder durchsetzen

336 Im Konzernrecht könnte dieser Erst-recht-Schluß deshalb nicht greifen, weil die Vorschritten über abhängige Unternehmen auch dem Minderheitenschutz dienen. Im Konzernrecht ist ebentalls umstritten, ob Pools mit Mehrheitsentscheidungen gemeinsamen beherrschenden Einfluß begründen; dafür etwa Koppensteiner, in: Kölner Kommentar, § 17 Rn. 74; dagegenSäcker, NJW 1980, 801, 805. 337 Kommission, 2. 12. 1991 - TNT/GD Net, WuWIE EV 1754.

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2.Teil: Die Entstehung des Untemehmensverbundes

konnte 338 . Dennoch nahm die Korrunission gemeinsame Kontrolle von TNT und den fünfPostverwaltungen an339 . Die Korrunission ging diesen Weg, weil GD Net, eigens für die Transaktion gegründet, nicht anderweitig unternehmerisch tätig, also kein Unternehmen im Sinne von Art. 3 Abs. I lit. b FKVO war. Die fünf Postverwaltungen waren zwar Unternehmen, hatten jede für sich aber keine Kontrolle erworben. Als Gesamtheit waren sie ebenfalls kein Unternehmen, da sie in dieser Gesamtheit nicht anderweitig unternehmerisch tätig waren340 . Allerdings wäre der Kommission der Weg geblieben, den Fall über den Kontrollerwerb von TNT zu erfassen. Wandelt man den Sachverhalt jedoch dahin ab, daß nur die fünf Postverwaltungen ein GU gründen -mit denselben Beteiligungsverhältnissen-, dann wäre die FKVO nach dem Wortlaut des Art. 3 FKVO nicht anwendbar. Meines Erachtens ist es gegenüber einer weiten Auslegung des Begriffs der Kontrolle vorzuziehen, den Zusammenschlußtatbestand wie oben vorgeschlagen zu ergänzen. Ein Zusammenschluß liegt danach auch vor, wenn ein Nichtunternehmen (GD Net) die Kontrolle über zuvor unabhängige Unternehmen (die eingebrachten Unternehmensbereiche der fünf Postverwaltungen) erwirbt. Diese Lösung hat den Vorteil, daß das Tatbestandsmerkmal der Kontrolle nicht in bestimmten EinzelfaIlen weiter ausgelegt werden muß als sonst. Man kann durchgängig für die Kontrolle mehrerer verlangen, daß jeder eine Blockadeposition hat. Das schließt nicht aus, daß in bestinunten Fällen eine Gesamtheit von Unternehmen als solche Kontrolle erwerben kann, wenn die Gesamtheit als solche Unternehmen ist. Das ist kein Fall des Kontrollerwerbs mehrerer, sondern die Gesamtheit als solche erwirbt die Kontrolle. Praktisch kommt das nur bei Gleichordnungsvereinbarungen in Betracht, bei denen die einheitliche Leitung nicht in einer Leitungsgesellschaft institutionalisiert ist. Daß die hier vertretene Lösung richtig ist, zeigt auch eine Abwandlung des Falles. Hätten sich an dem GU neben TNT über GD Net die fünf Postverwaltungen beteiligt, ohne selbst Unternehmensbereiche einzubringen, wäre der Zusanunenschlußtatbestand nicht erfüllt. Denn es werden nicht zuvor unabKommission, 2. 12. 1991 - TNT/GD Net, WuWIE EV 1754, 1755 (NI. 8). Kommission, 2. 12. 1991 - TNT/GD Net, WuWIE EV 1754, 1755 f. (Nr. 12). 340 Vgl. auch Kommission, 27. 3. 1995 - Onmitel, WuWIE EV 2303. Zwei Konsortien gründeten ein GU. Da die Konsortien nicht anderweitig unternehmerisch tätig waren (2304, Nr. 7), hätte der Kontrollerwerb durch sie den Zusammenschlußtatbestand nicht erfilllt. Die Kommission prüfte daher, wer innerhalb der Konsortien die Kontrolle hatte (2306, Nm. 13 f). Beide Konsortien wurden von bestimmten Unternehmen kontrolliert. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte die Kommission die weite Auffassung von Kontrolle wie in TNT/GD Net vertreten müssen, um zur Anwendbarkeit der FKVO zu kommen. 338

339

B. Die Deflnition von Konzentrationssachverhalten

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hängige Unternehmen zusammengefaßt. Der Einfluß der einzelnen Partner ist zu gering, um einen einheitlichen Einsatz eigener Ressourcen und derer von TNT zu erwarten. Dagegen kommt es im Ausgangsfall auf den Einfluß der einzelnen Partner nicht an, sondern nur darauf, daß ihre und TNT's Bereiche unter einheitlicher Kontrolle von TNT und GD Net zusammengefaßt sind. Oe lege lata wäre es gegenüber einer weiten und vor allem uneinheitlichen Auslegung des Kontrolltatbestandes vorzuziehen, bei Zusammenfassung mehrerer Unternehmen ohne Kontrollerwerb Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO analog anzuwenden. Allerdings lassen sich nicht alle genannten Entscheidungen der Kommission mit dieser Lücke im Zusammenschlußtatbestand erklären341 . Im Fall PhilipsffhomsonlSagem342 hatte Philips mit seinen 80% bei einem Mehrheitserfordernis von über 80% alleinige Kontrolle erworben, weil allein Philips' Zustimmung zwingend erforderlich war, wogegen nur entweder die Zustimmung von Thomson oder von Sagem mit je 10% der Anteile erforderlich war343 . Durch die Annahme, auch Thomson und Sagem hätten Kontrolle erworben, kam die Kommission zur Anwendung des Art. 3 Abs. 2 FKVO und konnte das GU als kooperativ in das Verfahren nach der VO 17 verweisen. Der Fall wäre bei Annahme alleiniger Kontrolle durch Philips nicht unter die FKVO gefallen, weil - soweit ersichtlich - nur Philips dem GU Unternehmensbereiche übertrug. Die konzerninterne Ausgründung einer Tochtergesellschaft mit anschließendem Erwerb einer Minderheitsbeteiligung durch Dritte ist kein Zusammenschluß. Die PIiifung im Wege der VO 17 hätte also ebenfalls offengestanden.

341 Im Fall Kommission, 4. 9. 1992 - AvestalBritish Steel/NCC/AGAlAxel Johnson (Nm. 11 f.) nahm die Kommission selbst in einer Folgeentscheidung implizit an, die beiden kleineren Anteilseigner hätten zuvor keine gemeinsame Kontrolle mit den beiden großen Anteilseignern gehabt, Kommission, 9. 6. 1994 - British SteelINCC/AGA, MCR B213 (NT. 8): Das Ausscheiden eines der beiden kleinen Gesellschafter führe zum Kontrollerwerb des anderen, da dieser erst dann ein stets zum Zuge kommendes Vetorecht habe. Erwerb gemeinsamer Kontrolle konnte die Kommission nur annehmen, wenn nicht schon zuvor gemeinsame Kontrolle vorlag, siehe Kommission, Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen, Nm. 38 f mit dem vergeblichen Versuch, den Avesta-Fall mit einer Änderung der Beschaffenheit der Kontrolle zu begründen. 342 Kommission, 18. 1. 1993 - PhilipslThomsonlSagem, MCR 8127. 343 Daran ändert auch nichts, daß Thomson und Sagem vereinbart haben, wenn einer von ihnen für Philips stimme, folge ihm der andere darin (so die Sachverhaltsschilderung von Drauz/Schroeder, S. 47 f.; aus der Kommissionsentscheidung geht dieser Aspekt nicht hervor). Anders wäre der Fall zu beurteilen, wenn Thomson und Sagem ihre Stimmen ftir jeden Fall gepoolt hätten und einstimmig über die Ausübung der Stimmrechte zu entscheiden hätten.

I3 Pohlman.

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmens verbundes

Allerdings zeigt dieser Fall, daß der Zusammenschlußtatbestand de lege ferenda möglicherweise doch auf Minderheitsbeteiligungen ausgedehnt werden sollte. Denn auch ein von Fall zu Fall bestehendes Blockaderecht kann, je nach Beteiligungsstruktur, erheblichen, wenn auch nicht bestimmenden Einfluß vermitteln. Eine solche Erweiterung des Zusammenschlußtatbestandes wäre Aufgabe des Verordnungsgebers. Festzuhalten bleibt, daß Kontrolle mehrerer stets, aber auch nur dann vorliegt, wenn zwei oder mehr Unternehmen jeweils die Möglichkeit haben, die unternehmensleitenden Entscheidungen zu blockieren. Kontrolle mehrerer ist damit ein Nebeneinander von Kontrollmöglichkeiten einzelner. Die Annahme, bei wechselnden Mehrheiten erwürben die Unternehmen in ihrer Gesamtheit Kontrolle, unterwirft nur die Fälle der FKVO, in denen die Gesamtheit bereits anderweitig unternehmerisch tätig ist. Ein Fall des Kontrollerwerbs mehrerer ist das nicht. Auch hier zeigt sich wieder, daß eine Ergänzung des Zusammenschlußtatbestandes erforderlich ist, wie sie bereits eingangs vorgeschlagen wurde. Ein Zusammenschluß liegt danach nicht nur beim Kontrollerwerb durch ein Unternehmen vor, sondern auch dann, wenn zuvor unabhängige Ressourcen unter einheitlicher Leitung zusammengefaßt werden, ohne daß ein Unternehmen die Kontrolle über die Ressourcen erwirbt. Weiter ist de lege ferenda zu erwägen, den Zusammenschlußtatbestand auf bestimmte Beteiligungen ohne bestimmenden, aber mit erheblichem Einfluß auszudehnen. 4. Fallgruppen gemeinsamer Kontrolle Kontrolle mehrerer Unternehmen setzt nach dem oben Gesagten voraus, daß jedes von ihnen die wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen verhindern kann344 . Es ist daher stets zu prüfen, welche Unternehmen den unternehmensleitenden Entscheidungen zustimmen müssen. Solche Zustimmungserfordernisse können sich aus verschiedenen Gestaltungen ergeben. a) Mehrheitserfordernisse

Die Mehrheitserfordernisse auf der Ebene der Gesellschafterversammlung können es bedingen, daß gegen den Willen bestimmter Gesellschafter keine Entscheidung getroffen werden kann.

344 Vgl. auch Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 18: der bestimmende Einfluß ist ein gemeinsamer, wenn die Beteiligten Übereinstimmung hinsichtlich der Ausübung des Eint1usses erzielen müssen.

B. Die Defmition von KOIlZentrationssachverhalten

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Das typische Beispiel hierfür ist das - oft als Sonderfall herausgestellte345 Stimmenpatt bei zwei paritätisch beteiligten Gesellschaftern. Ist für die unternehmensleitenden Entscheidungen die einfache Mehrheit erforderlich, tritt eine Pattsituation ein, wenn beide Gesellschafter 50% der Stimmrechte haben. Dieselbe Pattsituation tritt auf, wenn für die unternehmensleitenden Entscheidungen z. B. eine Mehrheit von 75% erforderlich ist und ein Gesellschafter 70% der Stimmrechte, der andere 30% haf 46 • Aber auch unter mehr als zwei Gesellschaftern können die Mehrheitserfordernisse die Zustimmung aller erzwingen. Das ist etwa der Fall, wenn drei Gesellschafter je 70,20 und 10% der Stimmrechte haben, unternehmensleitende Entscheidungen aber nur mit 95% der Stimmrechte getroffen werden können. Die Mehrheitserfordernisse können auch die Zustimmung bestimmter Gesellschafter erzwingen, ohne daß die Gesellschafter zusammen die erforderliche Mehrheit haben. Das ist etwa der Fall, wenn für die untemehmensleitenden Entscheidungen 83% der Stimmrechte erforderlich sind und die den Anteilen entsprechenden Stimmrechte 43%, 21%, dreimal 10% und einmal 6% betragen. Da ohne Zustimmung der beiden großen Gesellschafter nicht entschieden werden kann, haben diese gemeinsam bestimmenden Einfluß 347 . Dagegen kann jeder der kleinen Gesellschafter überstimmt werden. Auch die Mehrheitserfordernisse auf der Ebene der Organe können zur Kontrolle mehrerer führen. Das ist z. B. der Fall, wenn mehrere Gesellschafter ein oder mehrere Mitglieder in das geschäftsführende Organ oder das Aufsichtsorgan zu entsenden berechtigt sind, dort aber mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden muß. Hier sind vielfältige Gestaltungen denkb~48. 345 Z. B. Gerwing, S. 7; KleinmannIBechtold, § 23 Rn. 369; Mestmäcker, in: ImmengalMestmäcker, § 23 Rn. 57. 346 Ähnlich der Fall Kommission, 2. 4. 1997 - RSBffenexlFuel Logistic, MCR B524 (Nr. 4): Anteile 80% und 20%, Mehrheitserfordernis über 80%. 347 Kommission, 28.2.1994 - RWEIMannesmann, WuWfE EV 2177,2178 (Nr. 7); ebenso, wenn zwei Gesellschafter je 34% der Stimmrechte haben, die unternehmensleitenden Entscheidungen aber wegen eines Mehrheitserfordernisses von 75% nur mit Zustimmung der beiden Gesellschafter zustandekommen können, Kommission, 18. 6. 1991 - ElfIBC/CEPSA, MCR B29 (Nr.4); siehe auch Kommission, 2. 5. 1996 - BHF-BanklCredit Commercial de France, MCR B414 (Nm. 5 ff.). 348 Vgi. Kommission, 5. 10. 1992 - Air France/Sabena, WuWfE EV 1948, 1949 (3/4-Mehrheitserfordernis im Aufsichtsrat für unternehmensleitende Entscheidungen gibt auch dem Minderheitsaktionär, der 5 von 14 Aufsichtsratsmitgliedern ernennt, bestimmenden Einfluß); 9. 11. 1994 - MSG Media Service, ABi. 1994 L 364/1, 2 (Nr. 9: drei Gesellschafter entsenden je 2 Mitglieder in den sechsköpfigen Aufsichtsrat, der die unternehmensleitenden Entscheidungen mit 75o/o-Mehrheit treffen muß); 22.2. 1993 - CEA IndustrieIFrance TelecomIFinmeccanicalSGS-Thomson, WuWfE EV 2044, 2045 (Nr. 9: 5 und 3 Sitze, 314-Mehrheit); 6.4. 1995 - Havas Voyage/American Express, WuWfE EV 2318 f. (Nm. 7 - 9: 6 und 2 Sitze, 314-Mehrheit); 27. 3. 1995 - Omnitel, WuWfE EV 2303, 2306 (Nr. 12: 7 und 3 Sitze, Mehrheitserfor-

13·

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2.Teil: Die Entstehung des Untemehmensverbundes

b) Besondere Einstimmigkeitserjordernisse und Vetorechte

Auf der Ebene der Gesellschafterversammlung oder der Organe der Gesellschaft kann für unternehmensleitende Entscheidungen auch unabhängig von den sonstigen Mehrheitserfordernissen Einstimmigkeit erforderlich sein. Sind die unternehmensleitenden Entscheidungen von bestimmten oder allen Gesellschaftern in der Gesellschafterversammlung einstimmig zu treffen349, oder ist innerhalb der Organe der Gesellschaft Einstimmigkeit oder eine qualifizierte Mehrheit der von den Gesellschaftern entsandten Organmitglieder erforderlich35o , dann haben die betreffenden Gesellschafter gemeinsame Kontrolle. Technisch kann das Einstimmigkeitserfordernis auch als Vetorecht bestimmter Gesellschafter ausgestaltet sein. So können 'ein Mehrheitsgesellschafter und ein Minderheitsgesellschafter mit Vetorecht hinsichtlich unternehmensleitender Entscheidungen gemeinsame Kontrolle haben. Auch mehrere Minderheitsgesellschafter, deren jeder solche Vetorechte hat, können gemeinsame Kontrolle haben. c) Pool und Holding

Bereits oben wurde dargelegt, daß die Holding oder der Pool als Gesamtheit der beteiligten Gesellschafter als Kontrollerwerber nur in Betracht kommen, wenn sie selbst Unternehmen sind. Auch im übrigen gilt für den Kontrollerwerb des Pools oder der Holding dasselbe wie fur den alleinigen Kontrollerwerb Unabhängig davon, ob Pool oder Holding Unternehmen sind, können aber auch deren einzelne Mitglieder Kontrolle erwerben. Das setzt zweierlei voraus. Erstens müssen Pool oder Holding bestimmenden Einfluß auf das Zielunternehmen ausüben können. Das richtet sich nach denselben Kriterien wie bei der Kontrolle durch einen Anteilseigner. Zweitens muß das einzelne Mitglied dernis 8); 20. 7. 1995 - Swissair/Sabena, MCR 8326 (Nm. 7 - 12: 6 und 5 Sitze und ein gemeinsam zu besetzender Sitz, einfache Mehrheit). 349 Kommission, 22. l. 1992 - EricssonIKolbe, WuWIE EV 1779, 1780 (Nm. 7 f); 13. l. 1992 - Sunrise, WuWIE EV 1795, 1796 (Nr. 15); 8. 7. 1992 - EricssonlAscom, WuWIE EV 1995 f (Nm. 9 f); 29. 11. 1993 - ContinentallKalikolDG 8anklBenecke, WuWIE EV 2129 f (Nm. 7 fI); 20.8.1991 -KeltlAmerican Express WuWIE EV 1719 f (Nr. 5); 20. 3. 1995 - Securicor Datatrak, WuWIE EV 2300, 2301 (NT. 8); 6.4. 1995 - A1fred C. Toepfer/Champagne Cen!a1es, WuWIE EV 2315,2316 (Nr. 6). 350 So in folgenden Fällen: Kommission, 31. 1. 1994 - MannesmannlVa11ourec/llva, ABI. 1994 L 102/15, 16 (Nr. 6); 30.5.1994 - SidmarlKläckner Stahl, WuWIE EV 2221, 2222 (Nr. 7); 26. 9. 1994 - Rheinelektra/Cofrra/DEKRA, WuWIE EV 2228, 2229 f. (Nm. 10 - 14); 27. 3. 1995 - Omnitel, WuWIE EV 2303, 2306 (Nr. 13); 5. 5. 1995 - KirchlRichemontIMultichoicen'e1epiu, WuWIE EV 2326, 2327 (Nr. 10); 2. 7. 1997 - MedericlUrrpimmec/CRlIMunich Re, MCR 8559 (Nr. 7).

B. Die DefInition von Konzentrationssachverhalten

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auf die Entscheidungen im Pool oder in der Holding bestimmenden Einfluß ausüben können. Das richtet sich nach denselben Kriterien wie der Erwerb von Kontrolle durch einen Unternehmensträger. Ist ein Poolmitglied kein Unternehmen oder keine Person, die bereits ein Unternehmen kontrolliert, so kann trotzdem in den Personen der anderen Poolmitglieder der Zusammenschlußtatbestand erfüllt sein. Poolen z. B. die beiden Aktionäre A und B, die gemeinsam die Stimmenmehrheit besitzen, ihre Stimmen, und ist nur A noch anderweitig unternehmerisch tätig, so unterfällt der Kontrollerwerb des Ader Zusammenschlußkontrolle. Pool- oder holdinginterne Veränderungen können den Zusammenschlußtatbestand erfüllen. Wird ein Poolvertrag dahingehend geändert, daß ein Mitglied von nun an nicht mehr überstimmt werden kann, erwirbt es Kontrolle über das Zielunternehmen. Wird aus einem einstimmig entscheidenden Pool mit zwei Gesellschaftern ein solcher, in dem ein Gesellschafter immer abstimmt wie der andere, erwirbt letzterer alleinige Kontrolle. Verringert sich allerdings nur die Zahl der Poolmitglieder, die bestimmen können, ohne daß alleinige Kontrolle entsteht, liegt kein Kontrollerwerb vor351 . Denn die bestehende Kontrolle der im Pool verbleibenden Poolmitglieder ändert sich nur insofern, als ein potentieller Meinungsgegner weniger existiert. Dadurch wird die Position des Einzelnen lediglich verstärkt. Das erfüllt den Zusammenschlußtatbestand nicht352 , es sei denn, es entsteht alleinige Kontrolle353 . d) Tatsächlich zu erwartende Übereinstimmung

Bereits oben354 wurde dargelegt, daß allein eine tatsächlich zu erwartende Übereinstimmung zwischen zwei oder mehreren Minderheitsgesellschaftern nicht zu gemeinsamer Kontrolle führt. Erforderlich ist immer eine Übereinkunft, einheitlich und mit Zustimmung aller abzustimmen. Rechtsverbindlich muß die Übereinkunft aber nicht sein.

351 Vgl. Kommission, Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen, Nm. 38 und 39. 352 Anders die Kommission, 9.6.1994 - British Steel/NCC/AGA (=Avesta II), (Nr. 8); dies., Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen, Nr. 39: Das Ausscheiden eines von vier gemeinsam bestimmenden Gesellschaftern führe zum Kontrollerwerb eines von ihnen. Allerdings bestand hier vor Ausscheiden des Gesellschafters entgegen der Ansicht der Kommission keine gemeinsame Kontrolle aller vier Gesellschafter, sondern nur zweier Gesellschafter (British Stee1 und NCC), ohne deren Zustimmung nicht entschieden werden konnte; daneben war nur die Zustimmung eines der beiden kleineren Gesellschafter erforderlich. Mit Ausscheiden des einen kleinen Gesellschafters erlangte auch der andere Kontrolle. 353 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 16. 354 VII 3, S. 178 ff.

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2.Teil: Die Entstehung des Untemehmensverbundes

e) Einigungsverfahren

Zum Teil sehen Gesellschaftsverträge vor, daß zwar ein Gesellschafter den anderen überstimmen kann oder ein Recht zum Stichentscheid hat, daß aber vor Ausübung dieser Rechte besondere Einigungsverfahren zu durchlaufen sind. Es fragt sich, inwieweit solche Einigungsverfahren geeignet sind, trotz der Stimmenmehrheit eines Unternehmens oder seines Rechts auf Stichentscheid gemeinsame Kontrolle zu begründen. Nach Ansicht der Kommission ist das grundsätzlich möglich355 . Dem ist zu folgen. Häufig ist in Fällen dieser Art das Recht zum Stichentscheid nur vorgesehen, um eine andauernde gegenseitige Blockade und damit die Handlungsunfähigkeit der Gesellschafterversammlung zu verhindern. Das Letztentscheidungsrecht des einen Gesellschafters soll nur ausnahmsweise durchgreifen. Dann steht es einer gemeinsamen Kontrolle nicht entgegen. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Bestimmungen über das Einigungsverfahren materiell-rechtliche Regelungen darüber enthalten, daß bestimmte Positionen des oder der überstimmbaren Gesellschafter zwingend zu berücksichtigen sind. Entscheidet im Einigungsverfahren ein unabhängiger Dritter, liegt unproblematisch gemeinsame Kontrolle vor356 . Dasselbe gilt, wenn bei Erfolglosigkeit des Einigungsverfahrens beide Seiten die Beendigung der gemeinsamen Kontrolle verlangen können357 . j) Gleichordnungsvertrag

Gemeinsame Kontrolle kann möglicherweise auch entstehen, indem zwei oder mehrere Unternehmensträger vertraglich vereinbaren, daß sie ihre Unternehmen von nun an gemeinsam leiten werden. Solche Gleichordnungsverträge sind zu unterscheiden von gleichordnenden Maßnahmen, bei denen durch eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse gemeinsame Kontrolle entstehe 58 . Gleichordnung mit Veränderung der Ei355 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 37; dies., 11. 8. 1997 - Krupp HoeschfThyssen, MCR B573 (Nm. 7, 8); 13. 11. 1997 AlbacomIBTIENl, MCR B609 (Nr. 12); 2.4. 1997 - CereoI/Ösat-Ölmühle, MCR 8525 (Nr. 8); 10.6. 1991 - Sanofi/Sterling Drug, MCR B27 (Nr. 7 a. E.); 20. 9. 1995 - RTLlVeronicalEndemol, ABI. 1996 L 134/32, 33 (Nr. 11); im Ergebnis hätte die Konunission das olTen lassen können, s. Nr. 12); kritisch Gerwing, S. 8. 356 Kommission, 21. 12. 1995 - Lei"sure Plan, MCR B372 (Nr. 7). 357 Kommission, 29.4. 1997 - SiemenslHUF, MCR B532 (Nr. 5); 21. 5. 1996 - ThomsonIDaimler BeI1Z, MCR B419 (Nr. 8) 358 Sie sind außerdem zu unterscheiden von unterordnenden Verträgen wie z. B. dem Beherrschungsvertrag. Beim Gleichordnungsvertrag nehmen die gleichgeordneten

B. Die Defmition von Konzentrationssachverhalten

199

genturnsverhältnisse kann herbeigeführt werden, indem mehrere Unternehmensträger ihre Unternehmen auf einen neuen Unternehmensträger übertragen. den sie gemeinsam kontrollieren. Ein Kontrollerwerb liegt vor, da nach dem oben Gesagten jeder Kontrolle über die Unternehmen der jeweils anderen erwirbt. Möglich sind hier auch Konstruktionen mit einer oder mehreren Zwischenholdings359 . Auch wechselseitige Einräumung von Beteiligungen mit Blockaderechten kann zu gemeinsamer Kontrolle führen. Gemeinsame Kontrolle liegt auch vor, wenn Anteilseigner ihre Anteile an verschiedenen Unternehmen auf eine Dachgesellschaft übertragen, die sie gemeinsam kontrollieren. Diese Fälle sind unproblematisch als Zusammenschlüsse von der FKVO erfaßt solange erstens die Kontrollrechte den erforderlichen Umfang erreichen und solange zweitens sämtliche Unternehmen der beteiligten Unternehmensträger erfaßt werden. Bleiben die beteiligten Unternehmensträger neben ihrer Gleichordnung noch unabhängig voneinander als Träger eines oder mehrerer Unternehmen bestehen, so kann das Verhältnis zu Art. 85 EGV problematisch sein. Hier geht es nur um die Gleichordnung durch Vertrag. Mehrere Unternehmensträger vereinbaren vertraglich, daß sie ihre Unternehmen von nun an gemeinsam leiten werden. Regelmäßig werden solche Vereinbarungen zugleich eine Verpflichtung enthalten, Gewinne und Verluste in näher bestimmter Weise gemeinsam zu tragen. Die gemeinsame Leitung kann in Form eines Leitungsorgans oder einer Leitungsgesellschaft institutionalisiert sein. Beispiel für einen solchen Fall ist die Zusammenarbeit von Solvay und Laporte in den Gemeinschaftsunternehmen Interox. Von 1970 an verfolgten Solvay und Laporte ihre Interessen im Peroxyd-Sektor mit Hilfe mehrerer paritätischer GU namens Interox. Die GU verfügten weder über eigenes Personal noch über die Mittel zur Produktion oder zum Vertrieb. Produktion und Vertrieb wurden von den Muttergesellschaften durchgeführt, die Gewinne wurden geteilt. Die Unternehmenspolitik der GU wurde von einem Ausschuß, bestehend aus Solvay's und Laporte's Direktoren, festgelegt. Formelle Leitungsbefugnis hatte der Ausschuß nicht. Fragen des Marketing, der Finanzierung und

Unternehmen gemeinsam EinHuß auf die Unternehmenspolitik der einzelnen Unternehmen. Bei unterordnenden Verträgen unterstellt ein Unternehmen seine Leitung einem anderen Unternehmen (vgl. § 291 Abs. 1 S. 1 AktG). Im Fall WAZffKZ, BGH, 19. 1. 1993, ZlP 1993, 858, handelte es sich entgegen der Ansicht des BGH nicht um einen faktischen Gleichordnungskonzern. Denn das Unternehmen unterstellte sich der Leitung der WAZ-Konzernspitze. Ein Beherrschungsvertrag war allerdings nicht geschlossen worden, da zur Umgehung der Fusionskontrolle Familienangehörige eingeschaltet worden waren, die sich intormell geeinigt hatten. 359 Z. B. der Fall Kommission, 21. 11. 1990 - Groupe AG/Amev, WuWIE EV 1547 (Nm. 1 und 2).

200

2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

der Technik wurden fiir alle Interox-GU von einer bei den Muttergesellschaften angesiedelten Abteilung "Interox-Koordination" entschieden360. Der Sachverhalt zeigt, daß Gleichordnungsvereinbarungen in der Nähe zum hoch organisierten Kartell stehen361 . Denn es ist auch eine Kartellvereinbarung denkbar, die Produktion, Absatz, ja sogar die Markenpolitik der Beteiligten der gemeinsamen Bestimmung durch die Kartellmitglieder unterstelle62 , sowie Gewinn- und Verlustausgleich und eine rechtlich verbindliche Folgepfliche63 vorsieht. aa) Meinungsstand

Teile der Literatur und die Kommission wollen unter bestimmten Voraussetzungen auch Gleichordnungsverträge als Konzentrationssachverhalte ansehen364 . Ob es genügt, wenn sich die Unternehmen einheitlicher Leitung unterstellen, oder ob zusätzlich noch Dauer und Risikogemeinschaft vorliegen müssen, wird unterschiedlich gesehen. Die Kommission verlangte ursprünglich neben einheitlicher Leitung Dauerhaftigkeit und Risikogemeinschaft365 . Mittlerweile läßt sie die beiden erstgenannten Voraussetzungen genügen und sieht in der Risikogemeinschaft sowie in einer gemeinsamen Haftung nach außen weitere Kriterien dafiir, daß ein Zusammenschluß vorliegt366.

360 Kommission, 23. 11. 1984 - Peroxyd-Produkte, ABI. 1985 L 35/1, 2 (Nr. 3) und 14 (Nr. 49). 361 Siehe auch die Wertung der Kommission, 23. 11. 1984 - Peroxyd-Produkte, ABI. 1985 L 35/1, 14 (Nr. 49), die sich ausdrucklich vorbehält, die Anwendung des Art. 85 EGV auf die Interox-Vereinbarungen zu prüfen. - Im Jahre 1992 wurden die Interox-GU aufgespalten und die Bereiche den Müttern zUfÜckübertragen. Die Kommission, 30. 4. 1992 - Solvay-LaportelInterox, MCR B88 (Nm. 14 - 19) sah hierin zwei Zusanunenschlüsse. 362 Siehe das Beispiel bei Harms, Konzerne, S. 190. 363 Darauf, daß die Folgepflicht wegen Art. 85 Abs. 2 EGV unter Umständen erst durch Freistellung rechtlich verbindlich wird, kommt es nicht an; das ist Rechtsfolge der zu treffenden Einordnung als Verhaltenskoordination oder Zusanunenschluß. 364 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusanunenschlusses, Nr. 7; dies., 7. 12. 1995 - RTZICRA, MCR B363 (Nm. 5 - 10: eine "duallisted company" als Zusammenschluß); siehe auch dies., - IMlIHeiImann, 7. WB (1977), Rn. 30 (allerdings lag im letztgenannten Fall auch paritätische Kapitalverflechtung vor); Bechtold, WuW 1977,460,463; DeringerlHerrmann, BB 1966, 1157, 1159; Huber/Baums, in: Frankfurter Kommentar, § 1 Rn. 237; Huber, ZHR 131 (1968), 193,247 f.; BKartA, TB 1973, BT-Drs. 7/2250, S. 98 f.; K. Schmidt, FS Rittner, S. 561, 577 ff.; Karl, S.208. 365 Kommission, - IMlIHeilmann, 7. WB (1977), Rn. 30. 366 Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 7.

B. Die DefInition von Konzentrationssachverhalten

201

Die Gegenansicht nimmt an, Gleichordnungsverträge trügen immer kooperative Züge und seien grundsätzlich367 oder stets368 von den Privilegien konzentrativer Sachverhalte ausgenommen. bb) Stellungnahme Oben wurde dargelegt, daß entscheidendes Kriterium zur Abgrenzung von Konzentrationssachverhalten der Umfang des Freiheitsverlustes des oder der Beteiligten ist. Die Handlungsfreiheit muß hinsichtlich des gesamten betroffenen Unternehmens verloren gehen. Nur dann ist die typisierende Annahme zusanunenschlußspezifischer Vorteile gerechtfertigt. Bei Gleichordnung ist das möglich, wenn die gemeinsamen Entscheidungen für den einzelnen bindend sind. Allerdings ist im deutschen Gesellschaftsrecht umstritten, ob ein Verlust von Handlungsfreiheit durch Gleichordnungsvertrag überhaupt wirksam vereinbart werden kann. Ein Verlust von Handlungsfreiheit träte nur ein, wenn durch die Gleichordnung die Beteiligten an die Entscheidungen der gemeinsamen Konzernspitze gebunden wären. Nach einer Auffassung ist aber bestimmender Einfluß der Konzernspitze beim Gleichordnungsvertragskonzern gesellschaftsrechtlich ausgeschlossen. Die einzelnen Unternehmen eines Gleichordnungsvertragskonzerns seien von ihrem Leitungsorgan oder ihrer Leitungsgesellschaft nicht abhängig, da sie selbst an der Willensbildung mitwirkten369 . Insofern verbleibe den Unternehmen ein autonomer Bereich370 , aus kartellrechtlicher Sicht handele es sich immer um Kooperation371 . Vertreter dieser Ansicht kommen zum Teil zu dem Ergebnis, daß die Vorstände der gleichgeordneten Unternehmen weiterhin unabhängig von der gemeinsamen Leitung entscheiden372 . Dafür scheint insbesondere zu sprechen, daß § 291 Abs. 2 AktG den Gleichordnungsvertrag ausdrücklich nicht als Beherrschungsvertrag ansieht. Gesellschaftsrechtliche Konsequenz dieser Ansicht ist, daß auch die für Beherrschungsverträge geltenden Sicherungen - Zustimmung der Hauptversammlung, Nachteilsausgleich - nicht greifen.

367Immenga, in: InunengaJMestmäcker, § 1 Rn. 32 a. E.; Emmerich, § 5, 2 a, S. 56. 368 Harms, Konzerne S. 275; Gromann, S. 105 fI; Mestmäcker, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 429; Klippert, S. 75 fI; Gugerbauer, Art. 3 Anrn. 2; Jacob, S. 45 fI 369 Gromann, S. 49. 370 Klippert, S. 79. 371Immenga, in: InunengaJMestmäcker, § 1 Rn. 32 a. E.; zwn Teil wird das auch mit der jederzeitigen Kündbarkeit der Gleichordnungsvereinbarung begründet (Jacob, S. 56 f.); es sind jedoch nicht alle Gleichordnungsvereinbarungen jederzeit kündbar; gegen das Kriteriwn der Kündbarkeit schon oben A Ill3. 372 Gromann, S. 48 fI; Klippert, S. 79 fI

202

2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

Andere halten es für möglich, daß die gleichgeordneten Unternehmen von ihrer gemeinsamen Leitung abhängig sind373 . Der Beherrschungsvertrag ermögliche beherrschenden Einfluß durch ein Unternehmen, der Gleichordnungsvertrag beherrschenden Einfluß durch ein Nicht-Unternehmen374 . Ausgehend hiervon wird eine Weisungsbefugnis der gemeinsamen Konzernspitze bejaht375 • Damit muß jedoch einhergehen, daß die konzernrechtlichen Schutzmechanismen wie Zustimmung der Hauptversammlung sowie Ausgleichspflichten eingreifen376 . Letzterem ist zu folgen. Die Gegenauffassung stützt sich vor allem auf § 291 Abs. 2 AktG. Die Aussagekraft der Vorschrift ist jedoch begrenzt. Sie beruht auf dem Gedanken, daß die gleichgeordneten Unternehmen an der Willensbildung beteiligt sind377 . Damit berücksichtigte der Gesetzgeber nicht, daß durch den Gleichordnungsvertrag zugleich einem anderen Unternehmen beherrschender Einfluß auf das eigene Unternehmen gegeben wird. Das mag sich auch daraus erklären, daß der Gesetzgeber die Möglichkeit gemeinsamer Beherrschung noch nicht sah378 . Geht man jedoch nach heutigem Erkenntnisstand davon aus, daß gemeinsame Beherrschung möglich ist und sich qualitativ auch dann von der alleinigen Selbstbestimmung unterscheidet, wenn man selbst mitbeherrscht, so muß man auch den Gleichordnungsvertrag als Vertrag ansehen, der die Möglichkeit beherrschenden Einflusses gibt. Dafür, daß es gleichordnende Verträge mit bestimmendem Einfluß der gemeinsamen Leitung geben muß, spricht im übrigen auch der Vergleich mit dem Fall, daß zwei unternehmenstragende natürliche Personen ihre Unternehmen gleichordnen. Schließen sie einen Vertrag, in dem sie eine gemeinsame Leitung ihrer Unternehmen vereinbaren, so wird die Unternehmenspolitik künftig von der gemeinsamen Leitung bestimmt. Das ist gerade der Sinn der Vereinbarung379 . Es erwerben dann beide Unternehmensträger zusammen bestimmenden Einfluß auf beide Unternehmen380 . Es ist nicht ersichtlich, warum das bei unternehmenstragenden juristischen Personen anders sein soll, solange die gesellschaftsrechtlichen Schutzmechanismen gewahrt werden. K. Schmidt, FS Rittner, S. 561,574 ff.; ders., ZHR 155 (1991),417,424 ff. K. Schmidt, ZHR 155 (1991),417,427 f. 375 So auch, mit anderer Begründung, Koppensteiner, in: Kölner Kommentar, § 291 Rn. 77. 376 K. Schmidt, ZHR 155 (1991), 417, 425 ff.; auch schon Timm, S. 151 ff.; a. A. Koppensteiner, in: Kölner Kommentar, § 291 Rn. 78. 377 Begründung zum Regierungsentwurf, in: Kropff, S. 377. 378 Siehe dazu BGH, 4. 3. 1974 - Seitz, BGHZ 62, 193 ff. 379 Ähnlich Koppensteiner, in: Kölner Kommentar, § 291 Rn. 77, für den Gleichordnungsvertrag zwischen Aktiengesellschaften. 380 Harms, Konzerne, S. 157 nimmt das erst an, wenn die Sachgesamtheit Unternehmen auf die Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu Eigentum oder Nutzung übergeht. 373

374

B. Die Definition von Konzentrationssachverhalten

203

Demnach steht das deutsche Gesellschaftsrecht einem bestimmenden Einfluß der gemeinsamen Leitungsspitze nicht entgegen. Ob der Verlust von Handlungsfreiheit das ganze Unternehmen erfaßt, hängt vom Inhalt des Gleichordnungsvertrages ab. Im Fall Interox lag diese Voraussetzung nach den knappen Sachverhaltsangaben nicht vor. Dagegen ist die Dauerhaftigkeit des Gleichordnungsvertrages keine Voraussetzung für die Annahme eines Zusammenschlusses. Eine Risikogemeinschaft wird bei einheitlicher Leitung regelmäßig gegeben sein. Fehlt sie, kann das ein Indiz dafür sein, daß eine umfassende einheitliche Leitung in Wirklichkeit nicht gewollt ist. Dasselbe Abgrenzungsproblem wie bei Gleichordnungsverträgen stellt sich bei Gemeinschaftsunternehmen, in denen die Beteiligten Teile ihrer unternehmerischen Tätigkeit einer gemeinsamen Leitung unterstellen. Auch hier fragt sich, ob die nur vertragliche Begründung einer einheitlichen Leitung eine Verhaltenskoordination oder ein Zusammenschluß ist. Denn das GU ist im Hinblick auf die einer gemeinsamen Leitung unterstellten Unternehmen ein Teilgleichordnungskonzern zwischen den Gründern38 1. Allerdings ist in diesen Fällen nicht nur die Abgrenzung zu Art. 85 EGV problematisch, sondern auch das Verhältnis der FKVO zu Art. 85 EGV. Der letzten Frage wird im 3. Teil nachgegangen. g) Kombination von nicht paritätischer Überkreuzverjlechtung und Gleichordnungsvertrag

Häufiger als die rein vertragliche Gleichordnung ist die vertragliche Gleichordnung mit wechselseitiger Kapitalverflechtung. Führt die Kapitalverflechtung nicht zu paritätischen Entscheidungsstrukturen, begründet sie allein keine gemeinsame Kontrolle. Maßgeblich ist dann der Inhalt der Gleichordnungsvereinbarung. Beispiel für eine solche Konstellation ist der schon erwähnte Fall RenaultlVolvo 382 . Im PKW-Bereich beteiligten sich Renault und Volvo wechselseitig mit je 25%, im Nutzfahrzeugbereich mit je 45% aneinander. Bestimmender Einfluß ergab sich aus diesen Beteiligungen nicht. Er konnte sich aber aus weiteren Vereinbarungen ergeben. Die Beteiligten hatten jeweils ein Komitee für jeden der beiden Bereiche ins Leben gerufen, dessen Entscheidungen für die beteiligten Unternehmen bindend sein sollten. Allerdings war für den Fall, daß im Komitee keine Einigung erzielt werden konnte, vorgesehen, daß die Beteiligten unabhängig voneinander vorgehen sollten. Für den PKW-Bereich 381 382

Mestmäcker, Recht und ökonomisches Gesetz, S. 430. Kommission, 7. 11. 1990 - RenaultiVolvo, WuWfE EV 1542.

204

2.Teil: DIe Entstehung des Unternehmensverbundes

lehnte die Kommission daher gemeinsame Kontrolle ab. Für den Nutzfahrzeugbereich war zusätzlich verbindlich vereinbart worden, daß Entwicklung, Produktion, Beschaffung, Produkt- und Marktstrategien der Beteiligten Bestandteile eines übergeordneten Gesamtkonzepts werden sollten. Jeder sollte sich auf bestimmte Tätigkeiten spezialisieren, so daß ihre Tätigkeiten sich wechselseitig ergänzen sollten. In Verbindung mit der wechselseitigen Beteiligung begründe diese Vereinbarung, so die Kommission, ein starkes gemeinsames Interesse, so daß zu erwarten sei, daß im Komitee gemeinsame Entscheidungen getroffen würden. Es liege daher tatsächliche gemeinsame Kontrolle vor3~3. Die Lösungsklausel, die für den Nichteinigungsfall ein unabhängiges Vorgehen der Beteiligten ermöglicht, läßt zwar jedem der Beteiligten partiell Handlungsfreiheit, nämlich jeweils in dem Bereich, in dem keine Einigung erzielt wird. Sie steht daher grundsätzlich der Annahme entgegen, daß ein Zusammenschluß gegeben ist. Allerdings ist die Bedeutung der Lösungsklausel auf dem Hintergrund der sonstigen rechtlichen und tatsächlichen Umstände zu bewerten. Die verbindlich vereinbarte Integration aller Unternehmensbereiche im Nutzfahrzeugsektor mit wechselseitiger Spezialisierung und Ergänzung der Aufgaben führt dazu, daß ein unabhängiges Vorgehen der Partner ausgeschlossen ist. Würde z. B. Renault mittels der Lösungsklausel eine bestimmte Produktstrategie verfolgen wollen, wäre Renault aufgrund der Integration der Unternehmensbereiche auf die Mitwirkung von Volvo, z. B. bei der Fertigung von Vorprodukten, angewiesen384 . Die Lösungsklauselliefe insofern leer. Tatsächlich kann bei der Vollintegration aller Unternehmensbereiche die Lösungsklausel nur insofern zum Tragen kommen, als sie es ermöglicht, die gesamte Kooperation zu beenden. Die Möglichkeit der Beendigung der gesamten Verbindung schließt es jedoch nicht aus, einen Konzentrationssachverhalt anzunehmen. Hinzu kam hier, daß eine Beendigung tatsächlich nicht zu erwarten war.

IX. Ergebnisse zu B. Art. 3 Abs. I, Abs. 3 und Abs. 4 FKVO erfassen bestimmte Konzentrationssachverhalte. Ein Zusammenschluß nach Art. 3 Abs. 1 FKVO setzt voraus, 383 Kommission, 7. 11. 1990 - RenaultIVolvo, WuWIE EV 1542, 1543 f. (Nm. 5 und 6); befürwortend Pijnacker Hordljk, Case Note, MCR S. 7; Basedow/Jung, S. 187. 384 Dieser Aspekt spielte auch eine Rolle im Fall Kommission, 10. 6. 1991 - Sanoti/Sterling Drug, MCR B27 (NI. 7: Überkreuzverflechtung mit jeweils 55 und 45%; zusätzlich waren aber bestimmte Entscheidungen an die Zustimmung beider Partner gebunden).

C. Die Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 FKVO

205

daß die Unternehmen eine Marktstrukturänderung durch eine ihnen zurechenbare Handlung herbeiführen. Daher ist eine ständige Überwachung der Marktstrukturen aufgrund der FKVO nicht möglich. Der Tatbestand der Fusion in Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO ist mißglückt. Die "virkliche Lücke des Zusammenschlußtatbestandes liegt nicht bei den Verschmelzungen. Sie liegt vielmehr darin, daß die Zusammenfassung unabhängiger Unternehmen unter einheitlicher Leitung nicht erfaßt ist, wenn kein Unternehmen die Kontrolle über die zusammengefaßten Ressourcen erwirbt. Oben wurde ein Vorschlag für eine entsprechende Änderung des Zusammenschlußtatbestandes gemacht. Für den Kontrollerwerb reicht die Macht, die unternehmensplanenden Entscheidungen zu verhindern. Die FKVO geht daher über den Bereich reiner Konzentrationssachverhalte im oben genannten Sinne hinaus, bei denen Ressourcen unter einheitlichen Einfluß gelangen. Der bestimmende Einfluß muß grundsätzlich rechtlich begründet sein. Eine Ausnahme gilt für Fälle, in denen eine nur vertragliche Bindung zum Kontrollerwerb genügen würde (Treuhand, Stimmbindung, Gleich- und Unterordnung). Hier genügt die Feststellung, daß eine vergleichbare Bindung tatsächlich besteht, weil andernfalls die FKVO umgangen werden könnte. Tatsächliche Einflüsse anderer Art unterfallen allein Artt. 85, 86 EGY. Gemeinsame Kontrolle ist ein Nebeneinander von Kontrollpositionen einzelner. Jeder muß zumindest eine Blockadeposition haben. Ein Zusammenwirken der Beteiligten ist darüber hinaus nicht erforderlich. In Gleichordnungssachverhalten kann es vorkommen, daß eine Gesamtheit von Unternehmen als solche die Kontrolle über zuvor getrennte Ressourcen erwirbt. Das ist kein Erwerb gemeinsamer Kontrolle, da die Gesamtheit als solche den bestimmenden Einfluß erwirbt. Da die Gesamtheit kein Unternehmen ist, ist der Sachverhalt de lege lata nur analog Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO zu erfassen. Rechtspolitisch ist zu erwägen, den Zusammenschlußtatbestand auf Minderheitsbeteiligungen auszudehnen, die mit gewissem Einfluß verbunden sind, wie z. B. mit Informationsrechten oder Mitwirkungsrechten.

C. Die Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 FKVO für die Definition von Konzentrationssachverhalten Konzentrationssachverhalte werden in der FKVO nicht nur durch die Tatbestände der Fusion und des Kontrollerwerbs charakterisiert. Art. 3 Abs. 2 FKVO bestimmt, daß die Gründung eines GU, das auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllt, einen Zusammenschluß im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO darstellt. Nach seinem Wortlaut könnte

206

2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

Art. 3 Abs.2 FKVO ein eigener, selbständiger Zusammenschlußtatbestand neben Art. 3 Abs. 1 FKVO sein. Er könnte aber auch so zu verstehen sein, daß er zusätzliche Voraussetzungen fiir das Vorliegen eines Zusammenschlusses aufstellt. Als dritte Möglichkeit bleibt, Art. 3 Abs. 2 FKVO lediglich als Präzisierung des in Art. 3 Abs. 1 FKVO festgelegten Tatbestandes anzusehen. Nach der im folgenden näher zu begründenden Ansicht ist Art. 3 Abs. 2 FKVO im letztgenannten Sinne zu verstehen.

I. Die Fassung des Art. 3 Abs. 2 FKVO bis zum 28. 2. 1998 Art. 3 Abs. 2 FKVO ist im Zuge der ersten Novelle der FKVO grundlegend geändert worden. In der bis zum 28.2. 1998 geltenden Fassung hatte Abs. 2 neben der jetzigen Regelung weitere Regelungen enthalten, deren Rechtsfolgen die Verneinung (Art. 3 Abs.2 S. 1 FKVO a. F.) oder Bejahung (Art. 3 Abs. 2 S. 2 FKVO a. F.) des Zusammenschlußtatbestandes waren.

Art. 3 Abs. 2 S. 1 FKVO a. F. besagte, daß eine Handlung - einschließlich der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens -, die eine Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens voneinander unabhängig bleibender Unternehmen bezweckt oder bewirkt, keinen Zusammenschluß im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO darstellt. Art. 3 Abs. 2 S. 2 FKVO a. F. dagegen definierte positiv, daß die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens ein Zusammenschluß im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO ist, wenn erstens das GU auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllt und wenn es zweitens keine Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens der Gründer im Verhältnis zueinander oder im Verhältnis zu dem GU mit sich bringt. 1. Art. 3 Abs. 2 S. 1 FKVO Art. 3 Abs.2 S. I FKVO a. F. wurde als Ausnahme zu Art. 3 Abs. I FKV0 1 oder als negatives Tatbestandsmerkmal des Zusammenschlußtatbestandes aufgefaße. Die Stellung der Regelung in einem eigenen Absatz spricht eher dafiir, daß es sich um eine Ausnahme handelte. Für die Auslegung der Vorschrift machte es keinen Unterschied, wie man sich hier entschied. In beiden Fällen war zu prüfen, ob Art. 3 Abs. 2 S. 1 FKVO a. F. das Vorliegen eines Zusammenschlusses ausschließt. Art. 3 Abs. 2 S. 1 FKVO a. F. hatte dafiir in zweifacher Weise Bedeutung:

I

2

So Miersch, S. 91. Offen lassend Veelken, in: VeelkenIKarllRichter, S. 16.

C. Die Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 FKVO

207

a) Kehrseite des Zusammenschlußtatbestandes Zum einen war Art. 3 Abs.2 S. I FKVO a. F. die Kehrseite des Zusammenschlußtatbestandes. Nach dem oben Gesagten setzt ein Zusammenschluß den Verlust unternehmerischer Handlungsfreiheit an den Kontrollerwerber voraus. Solange es daran fehlt, liegt nur eine Koordination des Wettbewerbsverhaltens vor, die nicht der FKVO unterfaIlt. Art. 3 Abs. 2 S. I FKVO a. F. hatte insofern nur klarstellende Bedeutung für die Auslegung des Zusammenschlußtatbestandes3 . Durch den Wegfall des Art. 3 Abs. 2 S. I FKVO a. F. ändert sich daher insofern nichts. b) Negatives Tatbestandsmerkmal Zum anderen sollte Art. 3 Abs. 2 S. I FKVO a. F. Sachverhalte, die neben konzentrativen auch kooperative Wirkungen entfalten, der FKVO entziehen. Ein Beispiel hierfür ist der Erwerb alleiniger Kontrolle über ein Unternehmen, der zugleich eine Verhaltenskoordination zwischen Kontrollerwerber und einem Minderheitsgesellschafter auf einem anderen Gebiet mit sich bringt4. Dafür, daß Art. 3 Abs. 2 S. I FKVO a. F. auch solche Sachverhalte erfassen sollte, spricht das weit gefaßte Tatbestandsmerkmal "Handlung", aber auch das in Erwägungsgrund 23 zum Ausdruck gekommene Bestreben des Verordnungsgebers, jegliche Verhaltenskoordination - mit Ausnahme der Nebenabreden, Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2,2 - aus dem Anwendungsbereich der FKVO herauszuhalten. Damit verneinte Art. 3 Abs.2 S. I FKVO a. F., auch wenn nach Art. 3 Abs. I ein Konzentrationssachverhalt gegeben war, das Vorliegen eines Konzentrationssachverhaltes unter der Voraussetzung, daß zu der Konzentration eine Verhaltenskoordination hinzutritt. Art. 3 Abs. 2 S. I FKVO a. F. war daher ein negatives Tatbestandsmerkmal. das Art. 3 Abs. I ergänzte. Ein Zusammenschluß lag nur vor, wenn keine Verhaltenskoordination im Sinne von Art. 3 Abs. 2 S. I FKVO a. F. gegeben war. Damit entzog Art. 3 Abs.2 S. I FKVO a. F. Marktstrukturveränderungen. die zusätzlich kooperative Wirkungen haben, der Marktstrukturkontrolle. Art. 3 Abs.2 S. I FKVO a. F. enthielt also die negative Voraussetzung, die 3 Vgl. Kommission, Bekanntmachung über Nebenabreden, 11. Nr. 4: Die Kommission bezeichnet diese Vereinbarungen als "Wesense1emente des Zusammenschlusses", die den "eigentlichen Gegenstand" der fusionskontrollrechtlichen Beurteilung bilden; ebenso Bellamy/Child, Rn. 6-083 t1 4 So möglicherweise im Fall Kommission, 18. 1. 1993 - PhilipsfThomsoniSagem, MCR B127, wo die Kommission allerdings - nach hier vertretener Ansicht unzutreffend - gemeinsame Kontrolle annahm und über Art. 3 Abs. 2 S. 2 FKVO zur Nichtanwendung der FKVO kam (Nm. 12 f1).

208

2.Teil: Die Entstehung des Unternelunensverbundes

nach dem oben Gesagten5 auch aus wettbewerbstheoretischer Sicht ein Merkmal reiner Konzentrationssachverhalte ist. 2. Art. 3 Abs. 2 S. 2 FKVO a) Verhältnis zu Art. 3 Abs. I FKVO Bei Art. 3 Abs. 2 S. 2 FKVO a. F. war man sich uneins, ob die Norm ein selbständiger Zusammenschlußtatbestand war6 oder ob sie zusätzliche Voraussetzungen für die Bejahung des Zusammenschlußtatbestandes aufstellte7 • Im erstgenannten Falle wäre es möglich gewesen, auch ohne Kontrollerwerb das Vorliegen eines Zusammenschlußtatbestandes anzunehmen, indem man das TatbestandsmerkmallGemeinschaftsunternehmen" entsprechend weit faßte. Ein Gemeinschaftsunternehmen im Sinne von Art. 3 Abs.2 S.2 FKVO a. F. war jedoch nach einhelliger Auffassung ein Unternehmen, das von mehreren anderen Unternehmen gemeinsam kontrolliert wird8 . Danach wäre auch dann, wenn Art.3 Abs.2 S.2 FKVO a. F. als selbständiger Zusammenschlußtatbestand zu verstehen wäre, innerhalb des Tatbestands zu prüfen gewesen, ob mehrere Unternehmen die Kontrolle über das Zielunternehmen erworben haben9 • Dem ist zu folgen. Gemeinschaftsuntemehmen sind nur Unternehmen, die von mehreren anderen Unternehmen kontrolliert werden. Es wäre mit dem Konzept des Kontrollerwerbs nicht vereinbar, bei Gemeinschaftsunternehmen Zusammenschlüsse schon aufgrund von Minderheitsbeteiligungen anzunehmenlO . Es macht daher im Ergebnis keinen Unterschied, ob man Art. 3 Abs. 2 S. 2 FKVO a. F. als selbständigen Zusammenschlußtatbestand ansieht oder als Norm, die im Verhältnis zu Art. 3 Abs. I FKVO zusätzliche Voraussetzungen für den Kontrollerwerb aufstellt. Entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansichtll brauchte man auch bei der NeugTÜndung eines GU Art. 3 Abs. 2

m 2, S. 95 fT. So Beeser, S. 110 f.; KarI, S. 235. 7 Mestmäcker, in: IrrunengaJMestmäcker, Vor § 23 Rn. 147; wohl auch Koch, EWS 1990, 65, 68: Art. 3 Abs. 2 S. 2 als Sonderfall des Kontrollerwerbs im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b 8 Statt aller Kommission, Zweite Abgrenzungsbekanntmachung Nr. 3. 9 In der zweiten Abgrenzungsbekanntmachung verwies die Kommission im Zusammenhang mit dem Begriff des GU auf den Kontrollbegriff (Nr. 3, Fn. 3); die erste Abgrenzungsbekanntmachung sagte ausdrücklich, daß Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO heranzuziehen sei (Nr. 7). 10 Anders im GWB, wO bereits der Erwerb von 25% der Anteile oder der Stimmrechte ein Zusammenschluß ist. 11 Karl, S. 233 ff. 5A

6

C. Die Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 FKVO

209

S.2 FKVO a. F. nicht als selbständigen Zusammenschlußtatbestand. Denn auch bei der Neugriindung eines GU liegt ein Kontrollerwerb über eiu Unternehmen vor, wenn man als Unternehmen in Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO a. E. zutreffend das Objekt Unternehmen ansieht. b) Kehrseite des Zusammenschlußtatbestandes und negatives Tatbestandsmerkmal

Art. 3 Abs. 2 S. 2 FKVO a. F. enthielt wie Art. 3 Abs.2 S. 1 FKVO a. F. das Tatbestandsmerkmal der Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens, allerdings aufgrund der anderen Fassung des Tatbestandes negativ formuliert und speziell auf die GU-Situation bezogen. Hierzu gilt dasselbe wie zu Art. 3 Abs. 2 S. 1 FKVO a. F. Auch Art. 3 Abs. 2 S. 2 FKVO a. F. war zum einen die Kehrseite des Zusammenschlußtatbestandes und definierte zum anderen Marktstrukturänderungen aus dem Anwendungsbereich der FKVO heraus, weil sie eine Verhaltenskoordination mit sich brachten. c) Art. 3 Abs. 2 S. 2 FKVO als Präzisierung des Zusammenschlußtatbestandes

Art. 3 Abs.2 S.2 FKVO a. F. setzte, insofern übereinstimmend mit der Neufassung, weiter voraus, daß das GU auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllen muß. Dieses Tatbestandsmerkmal präzisiert nach der sogleich (III.) darzulegenden Ansicht nur den Tatbestand des Kontrollerwerbs für den Fall der Gründung eines GD. Es enthält nichts, was nicht schon im Tatbestandsmerkmal des Kontrollerwerbs über ein Unternehmen enthalten wäre. Daher hat das Tatbestandsmerkmal nur klarstellende Bedeutung.

11. Änderung des Art. 3 Abs. 2 FKVO zum 1. 3. 1998 Art. 3 Abs. 2 FKVO wurde durch die Novelle der FKVO grundlegend geändert. Das Ziel, kooperative GU aus dem Anwendungsbereich der FKVO hinauszudefinieren, war mit der Vorschrift zwar erreicht worden, aber nur unter Inkaufnahme erheblicher Rechtsunsicherheit bei der Abgrenzung kooperativer und konzentrativer GU. Da diese Abgrenzung über das Verfahren entschied (schnelle FKVO oder langsame VO 17/62), war die Vorschrift des Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. heftig kritisiert worden. Da dieses Problem das Verhältnis von Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle betrifft, wird es näher unten im 3. Teil behandelt. Hier bleibt das Tatbestandsmerkmal zu erörtern, das von der Novelle unberührt blieb: die Vollfunktionalität des GU. 14 Pohlmann

210

2.Teil: Die EntstehWlg des UnternehmensverbWldes

IH. Die Vollfunktionalität des GU 1. Alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit Nach Art. 3 Abs. 2 FKVO muß das GU alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllen, es muß ein sogenanntes "VollfunktionsGU,,12 sein. Nach Teilen der Literatur sowie einigen Kommissionsentscheidungen bedeutet das, daß das GU seine Geschäftspolitik unabhängig von den Müttern betreiben können müssel3 . In dieser Bedeutung stünde das Tatbestandsmerkmal jedoch im Widerspruch zu der Voraussetzung des Art. 3 Abs. 1 lit. b, daß die Mütter die Kontrolle über das GU erwerben müssen14. Zum Teil versucht man zwar, zwischen der Kontrolle der Mütter und der Möglichkeit des GU zu unterscheiden, seine eigene Geschäftspolitik zu betreiben l5 . Kontrolle als Möglichkeit, die Untemehmenstätigkeit zu bestimmen, ist aber nichts anderes als die Möglichkeit, die Geschäftspolitik zu bestimmen. In der Literatur wird daher zum Teil versucht, das Tatbestandsmerkmal unabhängig von den gesellschaftsrechtlichen Einflußmöglichkeiten der Mütter auszulegen. So heißt es, das GU müsse die Möglichkeit haben, sich unabhängig von den Müttern am freien Markt die erforderlichen Ressourcen für seine Tätigkeit zu beschaffen, soweit sie ihm von den Müttern nicht übertragen wurden l6 . Andere meinen, das Tatbestandsmerkmal sei ohne Bezug zu Sinn und Zweck des Kartell- oder Zusammenschlußtatbestandes und daher nicht abgrenzungstauglich 17. Die Kommission stellt in ihrer zweiten Abgrenzungsbekanntmachung darauf ab, ob das GU alle Funktionen ausübt, die von Unternehmen in dem betreffenden Markt üblicherweise ausgeübt werden. Zur Aus-

12 Kommission, Mitteilung über den Begritl des VollfunktionsGU, Nr. 11.

Montag/Heinemann, ZIP 1992, 1367, 1370; Fine, Rn. 4-037; z. B. Kommission, 4.1. 1991 - MitsubishilUCAR, WuWfE EV 1557,1558 (Nr. 5). 14 RitterlBraun/Rawlinson, S. 349 unter (ii) a. E.; Bellamy/Child, Rn. 6-035; Gerwing, S. 30 f.; Kleinmann, RIW 1990, 605, 608; Broberg, World Competition 1995, Vol. 19 No. 1, S. 5, 8; Zachmann, Tz. 1.136; Cohen-Tanugi/Encaoua/Winckler/ Siragusa/Brunet, S. 26. 15 Montag/Heinemann, ZIP 1992, 1367, 1370; Karl, S. 330; vgl. Kommission, 4. 1. 1991 - MitsubishifUCAR, WuWfE EV 1557, 1558 (Nr. 5), wo die Selbständigkeit des GU damit begründet wird, daß es für seine eigene Geschäftspolitik zuständig sei; andererseits war die gemeinsame Kontrolle damit begründet worden, daß die Mütter die geschäftsführenden Organe besetzen. 16 Gerwing, S. 39, ähnlich Alexander, Cahiers de droit europeen 1990, 529, 560 1'. 17 Lohse, S. 34 tI; siehe auch die von Lohse vorgeschlagene Neufassung des Art. 3 Abs. 2, wo dieses Tatbestandsmerkmal fehlt, S. 269; vgl. auch Knöpfte, BB 1980, 654, 655: der Eintluß der Mütter auf das GU sei für die Anwendung des Kartellverbots irrelevant. 13

C. Die Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 FKVO

211

übung dieser Funktionen müßten dem GU die notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden l8 . Die letztgenannte Voraussetzung ergibt sich schon daraus, daß die GUMütter Kontrolle über ein Unternehmen erwerben müssen. Stehen dem GU weder aufgmnd von Eigentumsrechten noch von Nutzungsrechten Ressourcen zur Verfügung, können auch die GU-Mütter keine Kontrolle über ein Unternehmen erwerben. Ansatzpunkt für die Auslegung muß im übrigen zunächst der Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 FKVO sein. Er verlangt nicht, daß das GU eine selbständige wirtschaftliche Einheit ist, sondern deren Funktionen ausübt. Die Bedeutung dieses Tatbestandsmerkmals erschließt sich aus Sinn und Zweck des Art. 3 Abs. 2 FKVO. Die Norm soll GU-Gründungen, die keine reinen Konzentrationssachverhalte sind, vom Anwendungsbereich der FKVO ausnehmen. Nach dem oben Gesagten setzen reine Konzentrationssachverhalte voraus, daß die früheren Einflußinhaber ihre unternehmerische Handlungsfreiheit hinsichtlich des gesamten betroffenen unternehmerischen Bereichs an den Erwerber verlieren. Bei einer GU-Gründung muß sich also die gemeinsame Kontrolle auf die gesamte unternehmerische Tätigkeit erstrecken. Nur dann können zusammenschlußspezifische Vorteile angenommen werden l9 . Es dürfen keine Funktionen des betroffenen Unternehmens bei den Müttern verbleiben. Denn bleiben Restfunktionen bei den Müttern, liegt nur ein partieller Verlust von Handlungsfreiheit vor. Die typisierende Annahme zusammenschlußspezifischer Vorteile ist dann nicht gerechtfertigt. Das Tatbestandsmerkmal der Erfüllung aller Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit soll daher sicherstellen, daß in den vergemeinschafteten Bereichen die Mütter keine partielle Handlungsfreiheit mehr behalten. Damit wird auch klar, daß mit der selbständigen wirtschaftlichen Einheit nur ein Vergleichsmaßstab, nämlich das typische Unternehmen auf dem Markt gemeint iseo. Art. 3 Abs. 2 FKVO ließe sich daher auch so lesen: "Die Gründung eines GU. das auf Dauer alle Funktionen eines Unternehmens erfüllt.". Selbständige wirtschaftliche Einheit bedeutet hier daher etwas ganz anderes als in dem oben21 erörterten Sinne. Dort ging es damm, wann mehrere 18 Kommission, Mitteilung über den Begriff des VollfunktionsGU, Nr. 12; siehe auch dies., 22. 12. 1995 - Röhm/Ciba-Geigy-TFL, MCR B379 (Nr. 7); ähnlich Scheif. AG 1992, 245, 249; Brown, ECLR 1996, 240, 244; Immenga, in: ImmengaJ Mestrnäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Band I, Art. 3 FKVO Rn. 80; Gugerbauer, Art. 3 Anm. 41, anders aber in Anm. 46. 19 Daß auch GU zusammenschlußtypische Vorteile haben können, ist unstreitig. SieheetwaPathak, ECLR 1991, 171, 172. 20 So im Ergebnis auch die Kommission, Mitteilung über den Begriff des VollfunktionsGU, Nr. 12. 21 1. Teil C S. 74

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

Unternehmen aus kartellrechtlicher Sicht als Einheit zu behandeln sind. In Art. 3 Abs. 2 FKVO geht es darum, ob eine vollständige unternehmerische Tätigkeit ausgeübt wird. Damit enthält das Tatbestandsmerkmal der Vollfunktionalität gegenüber Art. 3 Abs. I lit. b nichts Neues. Schon bei der Frage, ob gemeinsame Kontrolle über ein Unternehmen erworben wird, ist zu prüfen, ob die Kontrolle die zusammengelegten unternehmerischen Tätigkeiten in ihrer Gesamtheit erfaße 2 . Allerdings macht Art. 3 Abs.2 FKVO deutlich, daß das Problem bei der Rechtsanwendung die Feststellung ist, welche unternehmerischen Tätigkeiten sich zur Vollfunktionalität ergänzen und welche außerhalb stehen. Das Tatbestandsmerkmal der Vollfunktionalität hat demzufolge keine Bedeutung, wenn ein GU durch den nachträglichen Anteilserwerb an einem bestehenden Unternehmen entsteht. Aus dem Gesagten folgt auch, daß ein Zusammenschluß auch bei einer GUGründung nicht den Übergang dinglicher Verfügungsrnacht über Ressourcen voraussetzt. Es genügt, wenn dem GU die Ressourcen auf schuldrechtlicher Basis, etwa Pacht, zur Verfügung gestellt werden23 . Erforderlich ist nur, daß die gemeinsame Kontrolle die jeweils alleinige verdrängt; es muß also ein Anspruch des GU gegen die Mütter auf Überlassung der Ressourcen gegeben sem. 2. Beispielsfälle24 Verdeutlichen läßt sich die soeben dargelegte Ansicht an dem Fall PasteurMerieuxlMerck25 . Pasteur-Merieux und Merck gründeten ein GU, dessen Ziel eine Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung, Zulassung, Fertigung und Vertrieb von Impfstoffen und anderen Produkten war. Die Mütter wollten dem GU Ressourcen für Forschung und Entwicklung sowie Produktion weder übertragen noch in der Weise zur Nutzung überlassen, daß jede Mutter sich der gemeinsam im GU beschlossenen Nutzung hätte fügen müssen. Insbesondere wurden dem GU keine Kapazitäten reserviert. Auch Immaterialgüterrechte wurden dem GU nicht in dem Umfang zuerkannt, der dem GU bestimmenden Einfluß auf Forschung und Entwicklung sowie Produktion gegeben 22S.o.BIV1,S.119ff VgI. Kommission, 19. 7. 1995 - Nordic Satellite Distribution, ABI. 1996 L 53120, 24 (Nr. 38). 24 Andere Beispiele erörtern kritisch Berlin/Calvet, Revue trimestrielle de droit europeen 1997, 521, 534 ff.; s. auch Kommission, 25. 3. 1996 - GeneralilUnicredito, MCR B402 (Nm. 11 ff.); 2.4. 1997 - RSBffenexIFuel Logistic, MCR B524 (Nm. 5 ff.); 1. 10. 1997 - Preussag/Voest-Alpine, MCR B590 (Nm. 8 ff). 25 Kommission, 5.7. 1993 - Pasteur-MerieuxIMerck, MCR B158. 23

C. Die Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 FKVO

213

hätte. Lediglich für den Vertrieb sollten dem GU Beteiligungen an Vertriebsgesellschaften Pasteur-Merieux' übertragen werden. Merck wollte das GU soweit wie möglich in eigene Vertriebsvereinbarungen mit Dritten eintreten lassen. Nach Ansicht der Kommission nahm das GU in diesem Fall nicht alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit wahr26 • Nach der hier vertretenen Ansicht wäre zunächst zu prüfen, ob die GUMütter gemeinsame Kontrolle über ein Unternehmen (im Sinne eines Objekts) erwerben sollten. Dem GU standen nach den Vereinbarungen nur begrenzt Ressourcen für Forschung und Entwicklung sowie Produktion zur Verfügung. Lediglich hinsichtlich des Vertriebs war die Situation möglicherweise anders. Insofern fehlt es bei Forschung und Entwicklung sowie Produktion schon daran, daß die Mütter gemeinsame Kontrolle über ein Unternehmen erwerben. Sie unterstellen diese Bereiche nicht ihrer gemeinsamen, für den einzelnen verbindlichen Leitung. So heißt es auch bei der Kommission, daß das GU keine "physische oder finanzielle Kontrolle" über die für den Markt so wichtige Forschung und Entwicklung oder über die Entwicklung der bestehenden Produktmärkte haben sollte27 . Ob die Beteiligung an den Vertriebsgesellschaften gemeinsame Kontrolle gab, wäre im einzelnen zu prüfen gewesen. Bejahendenfalls wäre dann zu prüfen gewesen, ob das GU alle Funktionen eines selbständigen Handelsunternehmens wahrnehmen sollte28 . War das nicht der Fall, hätte es am Erwerb der Kontrolle über ein Unternehmen in seiner Gesamtheit gefehlt. Andernfalls wäre weiter zu prüfen gewesen, ob der gemeinsame Vertrieb eine Verhaltenskoordination bei Forschung und Entwicklung oder Produktion erwarten ließ. Ein anderer Fall, an dem sich die hier vertretene Ansicht verdeutlichen läßt, ist der Fall Flachglas/Vegla29 . Die zwei führenden Flachglashersteller gründeten eine Gesellschaft, die in Deutschland ein flächendeckendes Netz zum Sanuneln, Sortieren und Aufbereiten von Flachglasscherben aufbauen und neue Anwendungsbereiche für die Recyclate erforschen sollte. Aus den Vereinbarungen ergab sich jedoch, daß das GU das Netz nicht selbst aufbauen, sondern die bereits am Markt vorhandenen Unternehmen als Subunternehmer einschalten sollte. Der Gesellschaft sollten Finanz- und Personalmittel übertragen werden, die zu 75 - 83% für die Beauftragung von Subunternehmern verwendet werden sollten. Die GU-Mütter sind selbst Anbieter von Flachglasscherben und Nachfrager von Flachglasrecyclaten.

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Kommission, 5.7. 1993 - Pasteur-MerieuxlMerck, MCR B158 (Nm. 13 Kommission, 5. 7. 1993 - Pasteur-MerieuxlMerck, MCR B 158 (Nm. 31 tI.). 28 Siehe die Kriterien der Kommission, Mitteilung über den Begriff des VollfunktionsGU, Nr. 14. 29 Kommission, 13.4. 1992 - Flachglas/Vegla, WuWfE EV 1832. 26

27

214

2.Teil: Die Entstehllllg des Unternehmensverblllldes

Nach Ansicht der Kommission erfiillte das GU nicht alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit, weil seine sachliche Ausstattung gering sei und sein Ziel sei, die Tätigkeit der bisher unabhängigen Sammel- und Recyclingunternehmen zu koordinieren3o . Meines Erachtens werden hier mehrere Fragen vermischt. Zunächst ist zu fragen, ob die GU-Mütter überhaupt die Kontrolle über ein Unternehmen erworben haben. Für den angeblichen Unternehmensgegenstand, selbst Flachglasscherben zu sammeln und aufzubereiten sowie Forschung und Entwicklung zu betreiben, standen dem GU keine Ressourcen zur Verfügung. Insofern fehlt es schon an dem Erwerb der Kontrolle über ein Unternehmen. Geht man jedoch davon aus, daß in Wirklichkeit das GU die Aufgabe hatte, über Subunternehmer tätig zu werden, so fragt sich, ob ihm hierfür genügend Ressourcen zur Verfügung gestellt wurden, um anzunehmen, das GU und damit seine Mütter hätten Kontrolle über ein Unternehmen erlangt. Das ist nach dem Sachverhalt wohl zu bejahen; für die bloße Beauftragung von Subunternehmern reichte die finanzielle und personelle Ausstattung aus. Weiter wäre zu fragen gewesen, ob das GU alle Funktionen eines Handelsunternehmens wahrnehmen sollte oder nur als gemeinsame Einkaufsstelle (für Recyclate) und Verkaufsstelle (für Flachglasscherben) fungieren sollte. Letzteres lag nach dem Inhalt der Vereinbarungen näher. Aber selbst wenn das GU alle Funktionen eines selbständigen Handelsunternehmens ausübte, bestand unter Umständen trotzdem die Gefahr einer Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens der Mütter31 . Festzuhalten bleibt daher, daß Art. 3 Abs.2 FKVO mit dem Tatbestandsmerkmal der Vollfunktionalität kein gegenüber Art. 3 Abs. 1 lit. b neues Kriterium zur Abgrenzung reiner Marktstrukturänderungen aufstellt. Das Tatbestandsmerkmal verdeutlicht nur, was die Auslegung des Zusammenschlußtatbestandes bereits ergibt: ein Zusammenschlußsachverhalt liegt nur vor, wenn das GU die Kontrolle über die betroffene unternehmerische Tätigkeit in ihrer Gesamtheit erwirbt. bei den Müttern also keine Restfunktionen bleiben. Das Problem, wie man zusammengehörende Unternehmensfunktionen bestimmt, löst Art. 3 Abs. 2 FKVO nicht.

30 Kommission, 13.4. 1992 - FlachglaslVegla, WuWfE EV 1832, 1834 f. (Nm. 16 tT.). 31 Die Kommission stellte darauf ab, daß die Tätigkeit der bereits am Markt befindlichen Recycling-Unternehmen koordiniert wurde. Im Rahmen von Art. 3 Abs. 2 FKVO kommt es jedoch nur auf die Koordiniefllllg zwischen den Zusammenschlußbeteiligten an. Ob diese später mit Dritten kooperieren lllld das zulässig ist, beurteilt sich unabhängig von der GU-Gründung nach Art. 85 EGV, Gonzalez-Diaz, Case Note zu FlachglaslVegla, in: MCR, S. 724.11, 724.12. (Nr. 5,2. Spiege1strich).

C. Die Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 FKVO

215

3. Dauer Nach Art. 3 Abs. 2 FKVO muß das GU auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit ausüben. Die Kommission interpretiert dieses Merkmal so, daß das GU auf eine gewisse Dauer angelegt sein müsse. Hierbei reichten schon Fristen von 6 l/2 Jahren aus32 . Manchmal begründet die Kommission jedoch den konzentrativen Charakter eines GU mit der Irreversibilität der durch das GU geschaffenen Situation33 oder sie schließt umgekehrt aus der Reversibilität der Situation, daß kein Zusammenschluß vorliege34 . Irreversibilität zu verlangen, hieße Unmögliches vorauszusetzen. Kein Vorgang im Wirtschaftsleben ist irreversibel. Verlangte man für Art. 3 Abs. 2 FKVO Irreversibilität der Zusammenarbeit im GU, fiele kein GU unter die FKVO. Aber auch eine bestimmte Existenzdauer des GU verlangt Art. 3 Abs. 2 FKVO nach seinem Wortlaut nicht, sondern nur, daß das GU auf dauerhafte Vollfunktionalität angelegt ist. Für diese Auslegung sprechen auch Sinn und Zweck des Art. 3 Abs.2 FKVO. Denn die Dauerhaftigkeit ist kein für Konzentrationssachverhalte typisches Merkmal 35 . Das Tatbestandsmerkmal der Dauer bedeutet daher nur, daß das GU, solange es besteht - und seien das nur ein oder zwei Jahre -, ein Vollfunktions-GU sein muß.

IV. Ergebnis zu C. Das Tatbestandsmerkmal der Vollfunktionalität des GU in Art. 3 Abs.2 FKVO hat gegenüber Art. 3 Abs. I lit. b FKVO nur klarstellende Bedeutung. Es verdeutlicht, daß der Kontrollerwerb die Gesamtheit der betroffenen unternehmerischen Ressourcen erfassen muß, daß also die Handlungsfreiheit der früheren Einflußinhaber hinsichtlich aller betroffenen Ressourcen auf die neuen Einflußinhaber übergehen muß.

32 Kommission, 27. 11. 1992 - British AirwaysfTAT, MCR BI21 (Nr. 10); insofern unbeanstandet in BuG. 19. 5. 1994 - Air FrancelKommission, Slg. 1994 II 323. 33 Kommission, 7.11. 1990 -RenaultIVolvo, WuWfE EV 1542, 1544 (Nr. 5, 3. Spiegelstrich). 34 Kommission, 25.7.1995 -ATRlBAe, MCR B328 (Nm. 19,20); allerdings war hier entscheidend, daß die ersten beiden Phasen eine Zusammenarbeit der Mütter nur beim Vertrieb vorsahen und erst in der zweiten Phase die fmanziellen Risiken des Vertriebs vom GU selbst getragen werden sollten - und das auch nur teilweise. 35 Siehe oben A III 9, S. 101.

216

2.Teil: Die Entstehung des Untemehmensverbundes

D. Anwendbarkeit des Art. 85 EGV auf Konzentrationssachverhalte I. Art. 85 EGV als Norm der Marktverhaltenskontrolle und der Marktstrukturkontrolle Art. 85 EGV soll die Selbständigkeit des Marktverhaltens von Unternehmen sichernI. Art. 85 EGV ist damit ein Instrument der Verhaltenskontrolle. Das ist allerdings nicht so zu verstehen, daß das gesamte Marktverhalten der Unternehmen einer ständigen Überwachung unterläge2 . Vielmehr wird nur ein Merkmal wettbewerblichen Verhaltens, die Selbständigkeit der unternehmerischen Entscheidung, kontrolliert. Deutlich wird das auch in den Beispielstatbeständen des Art. 85 Abs. 1 litt. a - e EGV, die als Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Art. 85 Abs. 1 EGV nur Wettbewerbsbeschränkungen durch Absprachen über Marktverhalten nennen. Auch die Rechtsfolge der Nichtigkeit nach Art. 85 Abs. 2 EGV paßt auf Verhaltensabsprachen. Nach dem oben Gesagten verändern Marktverhaltensabsprachen immer auch die Marktstruktur. Die Existenz verhaltenskoordinierender Absprachen fuhrt dazu, daß die Zahl der Entscheidungsträger abnimmt. Der Unterschied zur Fusion oder zum Unternehmenserwerb besteht im wesentlichen darin, daß sich die Verringerung der Zahl der Entscheidungsträger auf einzelne unternehmerische Entscheidungen beschränkt. Art. 85 EGV ist daher ein Instrument sowohl der Marktverhaltenskontrolle als auch der Marktstrukturkontrolle. Marktverhaltenskontrolle und die Kontrolle der mit der Marktverhaltenskoordination verbundene Änderung der Marktstruktur lassen sich nicht trennen, sondern sind lediglich zwei Aspekte desselben Sachverhalts. Daher enthält Art. 85 Abs. 3 EGV fur die Freistellung von Kooperationen in lit. bauch ein strukturelles Kriterium. Freigestellt wird danach nur, wenn den beteiligten Unternehmen keine Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.

1 Zum sogenannten Selbständigkeitspostulat siehe EuGH, 16. 12.1975 - Suiker UnielKonunission, Slg. 1975, 1663, 1965 (Nm. 173 fl); 14.7.1981 -Züchnerl Bayerische Vereinsbank, Slg. 1981, 2021, 2031 (Nr 13 f.); Koch, in: GrabitzlHilf, Art. 85 Rn. 65; Fikentscher, Wirtschaftsrecht I, S. 598 f. 2 Von einem solchen Begriff der Marktverhaltenskontrolle geht Koch, in: GrabitzJHilf, Art. 85 Rn. 65, aus, der deshalb Art. 85 EGV nicht als Instrument der Marktverhaltenskontrolle ansieht.

D. Anwendbarkeit des Art. 85 EGV auf Konzentrationssachverhalte

217

11. Meinungsstand zur Anwendung des Art. 85 EGV auf Konzentrationssachverhalte Mindestens seit 1965 wird diskutiert, ob Art. 85 EGV die Kommission zur Marktstrukturkontrolle ennächtige. Das Stichwort, Wlter dem die Diskussion gefuhrt wird, ist jedoch weiter als ihr Gegenstand. Denn daß im Rahmen von Art. 85 EGVauch die strukturellen Wirkungen von Verhaltenskoordinationen zu beurteilen sind, steht außer Frage. Vielmehr kreist die Diskussion nur darum, ob bestimmte Marktstrukturänderungen aus dem AnwendWlgsbereich des Art. 85 EGV herausfallen. Wieder aufgeflammt ist die Diskussion 1987 durch das Philip Morris-Urteil des EuGH, wonach der Erwerb einer Minderheitsbeteiligung an einem Wettbewerber Wlter Art. 85 Abs. 1 EGV fallen kann4 . Mit Inkrafttreten der FKVO verlagerte sich die Diskussion auf die Frage, was jetzt von der Philip-Morris-Doktrin noch bleibe. Hier soll der in zwei jüngeren Monographien aktuell Wld ausführlich dargestellte Meinungsstand5 nur knapp referiert werden. Nach hier vertretener Ansicht ennöglicht Art. 85 EGV keine Kontrolle reiner Konzentrationssachverhalte (III). Es bleibt dann die Frage, inwieweit Art. 85 EGV geeignet ist, Sachverhalte Wlterhalb der Schwelle reiner Konzentrationsvorgänge zu erfassen (IV). Einige Stimmen in der Literatur halten nach dem Philip Morris-Urteil eine umfassende Marktstrukturkontrolle nach Art. 85 EGV für möglich, die sich nicht nur auf die im Fall gegebene Minderheitsbeteiligung, sondern auch auf den Kontrollerwerb und die Verschmelzung von Unternehmen erstrecken könne6 . Andere halten eine Marktstrukturkontrolle aufgrund von Art. 85 EGV nur für möglich, wenn nach dem AnteilselWerb noch zwei rechtlich selbständige Unternehmen bestehen bleiben? Überwiegend wird das Philip Morris-

Kommission, Konzentrationsmemorandum. EuGH, 17.11. 1987 - BAT und ReynoldslKommission, Slg. 1987,4566 ff.; siehe schon vorher Kommission, 12. 12. 1984 - MecaniverlPPG, ABi. 1985 L 35/54, 56 (Nm. 12 ff.): Prüfung eines Unternehmens verkaufs mit Zunlckbehaltung einer Minderheitsbeteiligung nach Art. 85 EGV; zur Geschichte der Fusionskontrolle s. Caspari/Schwarz, FS Benisch, S. 383 ff. 5 Kurz, S. 105 fr; Kronast, S. 25, 30 ff. 6 Z. B. Emmerich, FS Steindorff, S. 951, 958 ff., 962; Mestmäcker, EuR 1988,349, 369 (für den Kontrollerwerb). ? Mestmäcker, EuR 1988, 349, 368 ff.; Schödermeier, WuW 1988, 185, 187 ff.; Satzky, DB 1988, 379, 381; Blank, S. 121 - 189; Karl, S. 46 ff., 58; wohl auch Einseie, RIW 1992, Beilage 2, Rn. 25.; Blaise, Revue trimestrielle de droit europeen 1989,471, 475 f.; siehe aus der Literatur vor Philip Morris Hefermehl, FS Nipperdey, Band TI, S. 771, 774 ff., der rechtliche und wirtschaftliche Selbständigkeit verlangt. Dann scheiden nicht nur Fusionen, sondern auch Konzernbildungen aus dem Anwendungsbereich des Art. 85 EGVaus. 3

4

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2.Teil: Die Entstehung des Unternelunensverbundes

Urteil jedoch nicht als Freibrief fiir eine Marktstrukturkontrolle aufgefaßt8 . Die schon vorher in der Diskussion vorgebrachten Einwände gegen eine Marktstrukturkontrolle nach Art. 85 EGV seien durch die Entscheidung nicht ausgeräumt. Tatsächlich habe der EuGH gar keine Marktstrukturkontrolle vorgenommen, sondern einen marktstrukturändernden Sachverhalt nach den Maßstäben der Marktverhaltenskontrolle geprüft. Die Kommission ist nach dem Urteil nur vereinzelt gegen Zusammenschlüsse eingeschritten, allerdings kam es nie zu einer förmlichen Untersagung9 .

IH. Unanwendbarkeit des Art. 85 EGV auf reine Konzentrationssachverhalte 1. Wortlaut

Der Wortlaut deutet bereits darauf hin, daß Art. 85 EGV nicht der Kontrolle reiner Konzentrationssachverhalte im oben10 definierten Sinne dient. Der Beispielskatalog erwähnt als mögliche Wettbewerbsbeschränkungen weder den Erwerb von Anteilen noch den unmittelbaren Erwerb oder die Zusammenlegung unternehmerischer Ressourcen. Dem Wortlautargument wird zwar entgegengehalten, daß der Katalog nicht abschließend sei. Bei der gro8 Gleiss/Hirsch, Art.85 Rn. 588 ff.; Immenga/Fuchs, NJW 1988, 3052, 3059; KorahiLasok, CMLRev. 1988,333 ff.; K. Schmidt, BB 1990, 719, 722 f.; Schröter, in: von der GroebenfThiesinglEhlermann, Art.85 -Fallgruppen- Rn. 137 ff.; Kirchhoff, BB 1990, Beilage 14, S. 12 Fn.39; Vonnemann, DB 1990, 569, 570; Koch, in: GrabitzlHi1f, nach Art. 86 Rn. 7; Venit, CMLRev. 1990, 7, 35 ff.; Lesguillons, Revue de droit des affaires internationales 1989,373,378 ff.; Berlin, Tz. 100. 9 Kommission, - CamaudlSaci1or, 17. WB (1987), Nr. 70 und Pressemitteilung der Kommission vom 12. 1. 1988, WuW 1988, 222; - British AirwayslBritish Caledonian, 18. WB (1989), Nr. 81; -Air France/Air Inter-UTA, 20. WB (1991), Nr. 116; zu diesen Fällen Fine, Rn. 2-042 und 2-044. Nur im erstgenannten Fall stützte sich die Kommission ausdrücklich auf Art. 85 Abs. 1 EGV. Der 66,6%ige Erwerb von Camaud an Sofreb könne zu einer Kooperation zwischen Camaud und dem anderen Anteilseigner, Continental Can, führen. Die Parteien änderten daraufhin ihre Vereinbarungen. Die Literatur sieht in diesen Stellungnalunen weniger den Versuch einer systematischen Fusionskontrolle als die Androhung einer solchen für den Fall, daß die von der Kommission befilrwortete FKVO nicht in Kraft treten werde, Fine, Rn. 2-054; Kurz, S. 114. - Nach CookiKerse (l. Aufl.), S. 136, hat die Kommission nach Continental Can und Philip Morris im Jahr etwa 12 - 20 Zusammenschlüsse meist informell aufgrund von Artt. 85, 86 EGV geprüft. Siehe auch den Bericht von BumsidelMeyntfens, Brigham Young University Law Review 1990, 1373, 1380 ff. Vgl. auch Kommission und Ministerrat, Anmerkungen zur Verordnung (EWG) 4064/89 des Rates, Erklärung zum Ratsprotokoll, abgedruckt in WuW 1990, 240, 243: der EGV enthalte keine spezifischen Bestimmungen zur vorherigen Kontrolle von Zusammenschlüssen. 10 Am, S. 94 ff.

D. Anwendbarkeit des Art. 85 EGVaufKonzentrationssachverhalte

219

ßen Bedeutung, die eine Zusammenschlußkontrolle hat, ist jedoch anzunehmen, daß, hätte es sie geben sollen, dies auch erwähnt worden wärelI. Der Wortlaut setzt außerdem eine Vereinbarung zwischen Unternehmen, ein abgestimmtes Verhalten von Unternehmen oder einen Beschluß einer Unternehmensvereinigung voraus. Der Tatbestand knüpft damit nicht an eine Änderung der Verfügungsmacht über unternehmerische Ressourcen an. Zwar wird eine Änderung von Verfügungsmacht über Ressourcen häufig durch Vereinbarung zwischen Unternehmen herbeigeführt, aber nicht immer. So kann der Erwerb von Unternehmensanteilen an der Börse nur mit gewagten Konstruktionenl2 und der Erwerb von Unternehmensanteilen von Privaten gar nicht unter das Tatbestandsmerkmal "Vereinbarung zwischen Unternehmen" subsumiert werden13 . Das führt dazu, daß wirtschaftlich gleichwertige Konzentrationsvorgänge nicht gleichermaßen erfaßt werden. Das verstößt gegen das Gleichbehandlungsgebotl4 . Sollte Art. 85 Abs. 1 EGV reine Konzentrationssachverhalte systematisch erfassen, dann müßte der Tatbestand nicht an der Vereinbarung anknüpfen, sondern an dem Ergebnis, dem Übergang von Verfügungsmacht über Ressourcen. 2. Entstehungsgeschichte

Dem Spaak-Bericht ist zu entnehmen, daß man während der Entstehung des EWGV über eine Fusionskontrolle diskutierte I5. Es heißt dort: "Zu verhindern wäre: - die völlige oder teilweise Beherrschung des Marktes eines Produktes durch ein einziges Unternehmen". Es seien daher, so heißt es weiter, Bestimmungen in den EWGV aufzunehmen, die der Kommission den Erlaß von Durchfiihrungsverordnungen ermöglichen. Gegenstand dieser Durchfiih-

11 So auch Hefermehl, FS Nipperdey, Band II, S. 771, 780; dagegen Blank, S. 112: Die Väter des EWG-Vertrages hätten die Zusanunenschlußkontrolle wegen der damals niedrigen Konzentration für weniger wichtig gehalten und deshalb nicht erwähnt. Das bleibt bloße Spekulation, die angesichts der Erwähnung der Zusanunenschlußkontrolle im Spaak-Bericht (dazu sogleich 2.) auch wenig wahrscheinlich ist. 12 Vereinbarung zwischen dem Erwerber und seiner Bank als Vereinbarung im Sinne von Art. 85 Abs. 1 EGV, Blank, S. 149; a. A. Wissel, in: FlW (Hrsg.), Gemeinschaftsunternehmen, S.85, 87; Kommission, Konzentrationsmemorandum, unter C. ill. 13; Kronast, S. 78. 13 Insbesondere bei öffentlichen Übernaluneangeboten wird es häufig an einer Vereinbarung zwischen Unternehmen fehlen; im Ergebnis ebenso, aber schon das Vorliegen einer Vereinbarung verneinend, Raybold/Firth, S. 360. 14 Dieses ist eines der Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts, EuGH, 19. 10. 1977 - RuckdeschellHauptzollamt st. Annen, Slg. 1977, 1753, 1769 ff. (Nm. 7 ff.); Pemice, in: GrabitzJHilf, Art. 164 Rn. 63. 15 Spaak-Bericht, abgedruckt in: 1. Schwarz, Der Aufbau Europas, S. 277, 301.

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

rungsverordnungen solle u. a. die "Konkretisierung der Regeln über die Einrichtung einer Kontrolle der Zusammenschlüsse" sein. Diese Erwägungen sagen nichts darüber, ob man Artt. 85, 86 EWGV als Regeln über die Fusionskontrolle ansah l6 . Vielmehr fehlen im EGV gerade ausdrückliche Regeln einer Zusammenschlußkontrolle, die. wie der Bericht empfahl. nur noch durch Verordnungen konkretisiert werden müßten 17 . Im übrigen spricht auch die Abweichung des EWGV vom älteren EGKSV, der eine Zusammenschlußkontrolle vorsieht, dagegen, daß die Väter des EWGV auf so undeutlichem und unsystematischem Weg eine Zusammenschlußkontrolle einführen wollten l8 . Diese Abweichung spricht auch dagegen, daß eine Zusammenschlußkontrolle versehentlich nicht eingeführt wurde 19. Ein Indiz dafür, daß man sich bewußt gegen eine Zusammenschlußkontrolle entschied, geben die Erläuterungen der Bundesregierung anläßlich der Ratifizierung des EWG-Vertrages durch das Parlament. Dort wird ausgeführt, der EWG-Vetrag verzichte im Gegensatz zum EGKS-Vertrag auf eine präventive Zusammenschlußkontrolle und beschränke sich auf das Verbot des Mißbrauchs von Marktmacheo. 3. Rechtsfolgen

Die Rechtsfolgen des Art. 85 EGV passen nicht auf reine Konzentrationsvorgänge. Das grundsätzliche Verbot ist nicht damit zu vereinbaren, daß die wettbewerbstheoretische Bewertung von reinen Konzentrationsvorgängen unsicherer ist als die von Verhaltenskoordinationen und deshalb ein per-seVerbot nicht tragen kann. Auch die Nichtigkeitsfolge ist für reine Konzentrationsvorgänge wegen der mit ihr verbundenen Rechtsunsicherheit unangemessen21 . Bei reinen Konzentrationsvorgängen paßt auch nicht die in Art. 85 Abs. 3 lit. a EGV geforderte Prüfung, ob den betreffenden Unternehmen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung der po16 So aber Mestmäcker, EuR 1988, 349, 367, der dem Spaak-Bericht entnimmt, eine Fusionskontrolle habe auf der Grundlage von Art. 87 EGV eingerichtet werden können; schwankend Blank, S. 113 f. 17 Hefermehl, FS Nipperdey, Band 11, S. 771, 781 f.; Koch, in: GrabitzlHilf, nach Art. 86 Rn. 5; Kurz, S. 76. 18 So auch Kurz, S. 77; Lä.fJler, in: LangenlBunte, Vorbem. FKVO, Rn. 2; Koch, in: GrabitzlHilf, nach Art. 86 Rn. 5; lliopoulos, S. 171; Pappalardo, Revue internationale de droit economique 1990, 3, 4. 19 CookiKerse, S. 2. 20 Bundesregierung, Erläuterungen zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft sowie zu dem Abkommen über gemeinsame Organe ft1r die Europäischen Gemeinschaften vom 25. 3. 1957, BT-Drs. 11/3440, Anlage C, S. 126. 21 Kommission, Konzentrationsmemorandum, m. C. Nm. 11 und 6 ff.

D. Anwendbarkeit des Art. 85 EGV auf Konzentrationssachverhalte

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sitiven Ziele unerläßlich sind. Zusammenschlüsse erfassen die Wirtschaftsplanung des gesamten Unternehmens, so daß im einzelnen analysierbare Beschränkungen nicht vOrliegen 22 Ebenfalls unangemessen sind die Befristung und die Widerruflichkeit von Freistellungen, die in Art. 8 VO 17 vorgesehen sind. Hiergegen wird zwar zutreffend eingewandt, das Sekundärrecht könne den Anwendungsbereich des Art. 85 EGV nicht einengen, sondern sei dann selbst zu ändern23 . Allerdings verlangt Art. 87 Abs. 2 lit. c EGV, daß die Durchführungsverordnung in ihren Regeln über die Anwendung des Art. 85 Abs. 3 EGV "dem Erfordernis einer wirksamen Überwachung bei möglichst einfacher Verwaltungskontrolle Rechnung zu tragen" habe. Danach fordert das Primärrecht ein Instrumentarium zur Überwachung freigestellter Vereinbarungen. Diese Überwachung erstreckt sich aber nicht auf reine Konzentrationssachverhalte. Würde man Art. 85 Abs. 1 EGV und Art. 87 Abs. 2 lit. b EGV dahingehend auslegen, daß sich an einen Konzentrationsvorgang eine Verhaltenskontrolle der neu geschaffenen Einheit anschließen kann, so würde dies gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen. Denn die Wettbewerbsregeln des EGV geben keine Möglichkeit eine solche Verhaltenskontrolle an bestehende Marktstrukturen anzuknüpfen. Es gibt aber keinen sachlichen Grund dafür, neu geschaffene Marktstrukturen und bestehende Marktstrukturen hinsichtlich einer laufenden Verhaltenskontrolle unterschiedlich zu behandeln24 . 4. Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 85 EGV Weiter fragt sich, ob ein reiner Konzentrationssachverhalt eine Einschränkung, Behinderung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt. Die Unterscheidung dieser drei Arten von Wettbewerbsbeschränkungen spielt in der Praxis keine Rolle. Man geht zum Teil davon aus, daß "Verfälschung" der Oberbegriff ist, der die anderen beiden Formen erfaßt25 . Denn nach Art. 3 lit. g EGV ist der Schutz des Wettbewerbs vor "Verfälschungen" allgemeines Ziel. Andere sehen in der "Einschränkung" des Wettbewerbs den Oberbegriff26 . Hier wird als Oberbegriff für alle drei Varianten der in der Lite-

Mestmäcker, FS Hallstein, S. 322, 327. Kurz, S. 123. 24 Die Ungleichbehandlung neuer und alter Zusanunenschlüsse, die es seit Inkrafttreten der FKVO gibt, ist sachlich gerechtfertigt, da man bei der Entflechtung alter Zusanunenschlüsse in bestehende Rechtspositionen eingreifen würde. 25 Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 118; Bleckmann, Rn. 1854; Grill, in: Lenz (Hrsg.), Kommentar, Art. 85 Rn. 13. 26 Koch, in: GrabitzlHilf, Art. 85 Rn. 76. 22 23

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

ratur wie auch in der Wettbewerbstheorie vorwiegend benutzte Begriff der Wettbewerbsbeschränkung gewählt. a) Meinungsstand

Wann eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 85 EGV vorliegt, ist in der Literatur umstritten. Zwei Fragen sind hier zu unterscheiden. Die erste ist, ob gerade der Wettbewerb zwischen den an der Vereinbarung oder Verhaltensabstimmung Beteiligten beschränkt sein muß. Sie wird längst einhellig dahin beantwortet, daß es genüge, wenn der Wettbewerb zwischen einem Beteiligten und einem Dritten beeinträchtigt werde27 . Art. 85 EGV erfaßt damit auch vertikale Wettbewerbsbeschränkungen28 • Allerdings sucht man derzeit in Praxis und Wissenschaft nach Ansatzpunkten, die Anwendung des Art. 85 EGV über die geltenden GVOs einzuschränken29 . Die zweite Frage ist die Umstrittene. Man ist sich uneins, ob eine Wettbewerbsbeschränkung voraussetzt, daß die Handlungsfreiheit mindestens eines an der Absprache Beteiligten eingeschränkt wird und dadurch Dritte beeinträchtigt werden30, oder ob die Drittbeeinträchtigung genügt3!. Zwischen beiden Positionen bewegt sich in einigen Entscheidungen die Kommission. Sie nimmt insbesondere bei Gemeinschaftsuntemehmen an, eine Wettbewerbsbeschränkung liege bereits vor, wenn durch die GU-Gründung das Interesse der Beteiligten abnimmt, sich Wettbewerb zu machen32 . Rechtsprechung und 27 Grundlegend EuGH, 13.7. 1966 - Consten und Grundig/Kommission, Slg. 1966, 321,387; 13.7.1966 -ItalienlRat und Kommission, Slg. 1966,457,485; siehe auch EuGH, 8. 6. 1982 - Nungesser und EiseleIKommission, Slg. 1982, 2015, 2071 (Nr. 64); aus der Literatur statt aller Zäch, S. 26. 28 Das übersieht Kronast, S. 81 ff, der für Art. 85 EGV eine Vereinbarung zwischen Wettbewerbern verlangt. 29 Siehe Kommission, Grünbuch der EG über vertikale Beschränkungen des Wettbewerbs (KOM (96) 0721-C4-0053/97) sowie die Entschließung des Europäischen Parlaments hierzu, ABI. 1997 C 286/347, und die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialauschusses, ABI. 1997 C 296119; Adams, EIPR 1998, 1 ff.; BirolFletcher, ECLR 1998, 129 ff. 30 Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 136; Schröter, in: von der GroebenfThiesingj Ehlermann, Art. 85 I Rn. 70 fr.; Koch, in: GrabitzlHilf, Art. 85 Rn. 65 ff.; Kurz, S 97; Kerber, S. 251 unter Nr. 43; Vogel, S.86 (Nr. 88); Sandrock, AWD 1970,337, 339; Deringer, Art. 85 Rn. 26, 27; Funke, S. 70. 3! Bunte, in: LangenlBunte, Art. 85 Rn. 56; Emmerich, § 34,4 lit. c, S. 530; Mestmäcker, Europäisches Wettbewerbsrecht, S.223; wohl auch Bellamy/Child, Rn. 2056 ff. 32 Zum Beispiel Kommission, 20.10.1978 - WANO Scharzpulver, ABI. 1978 L 322/26, 31 (unter d); allerdings kamen dort noch andere Wettbewerbsbeschränkungen hinzu; in dieselbe Richtung gehen die Erwägungen des EuGH, 17. 11. 1987 - BAT und ReynoldsIKommission, Slg. 1987, 4566, 4579 (Nm. 48 ff).

D. Anwendbarkeit des Art. 85 EGVaufKonzentrationssachverhalte

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Kommission verfolgen im übrigen keine einheitliche Linie. Einmal stellen sie auf die Beeinträchtigung Dritter ab, ohne eine Beschränkung der Handlungsfreiheit eines Beteiligten zu verlangen33 , ein andermal stellen sie das Vorliegen beider Elemente fese 4 • Der EuGH nimmt an, daß bei staatlichem Zwang zu bestimmten Maßnahmen mangels Handlungsfreiheit der Unternehmen diese nicht gegen Art. 85 EGV verstoßen, wenn sie die angeordneten Maßnahmen ergreifen35 Welcher Ansicht man hier folgt, ist fiir die Abgrenzung des Anwendungsbereichs des Art. 85 EGV von Art. 2 FKVO, aber auch von Art. 86 EGV entscheidend. Stellt man allein auf die Beeinträchtigung Dritter ab, so fallen zum einen auch einseitige Maßnahmen - wie z. B. die Nichtzulassung von Händlern zum Vertriebsnetz - unter Art. 85 EGV, solange sie im Rahmen bestehender Vertragsbeziehungen erfolgen36 . Hier ist die Grenze zu Art. 86 EGV berührt, der einseitige Maßnahmen erst bei einer bestimmten Marktstruktur für veIboten erklärt.

33 EuGH, 12. 12. 1967 - De HaechtlWilkin und Janssen, SIg. 1967, 543, 556 (allerdings im Zusanunenhang mit der Bünde1theorie); 18.2. 1971 - SirenaJEda, SIg. 1971, 69,82 f; 25.10.1983 -AEGlKommission, SIg. 1983,3151,3194 ff. (NichtzuIassung von Händlern zum selektiven Vertriebssystem als Wettbewerbsbeschränkung); ebenso 21. 2. 1984 - Hasse1bladIKommission, Sig. 1984, 883, 909 f (Nm. 50 f); 282. 1991 - DelimitislHenninger Bräu, WuWfE EWGIMUV 911, 914 ff. (Nm. 10 - 27, hier prüft der EuGH zwar nur die Drittbeeinträchtigung, aber eine Beschränkung der Handlungsfreiheit eines Beteiligten lag in Form der Alleinvertriebspflicht vor); Kommission, Stellungnahme in EuGH, 30.6.1966 -LTMlMBU, Sig. 1966,281,289; 17. l. 1968 - SOCEMAS, ABI. 1968 L 20114, 6; 15. 12. 1986 - XlOpen Group, WuWfE EV 1239, 1241 f (Nm. 30 - 35); 10. 7. 1985 - EATE, ABI. 1985 L 219/35, 41 (Nr. 47). 34 EuGH, 25.10.1977 -MetrolKommission, Slg. 1977,1875,1914 (Nr.40); 30.6.1966 -LTMlMBU, Slg. 1966, 281, 304; 13.7.1966 -Consten und GrundigIKommission, Slg. 1966, 321, 387; 29. 10. 1980 - van Landewyck Särll Kommission, Slg. 1980,3125,3263 (Nr. 131) und 3267 (Nr. 146); 14.5.1975 -Kali und SalzlKommission, Slg.1975, 499, 521 (NI. 14); 2l. 2.1984 -Hasse1bladl Kommission, Slg. 1984, 883, 908 (Nr. 46); Kommission, 26. 7. 1988 - Tetra Pak I, ABI. 1988 L 272/27, 42 (Nr. 54); 20. 12. 1971 - SOPELEMlLangen, ABI 1972 L 13/47,48 (unter 11); 19.12.1974 -Duro-DynefEuropair, ABI. 1975 L29111, 12; 21. 12. 1976 - TheallWatts, ABI. 1977 L 39/19, 23f.; 23. 12. 1977 - Penneys, ABI. 1978 L 60/19, 24 ff. 35 EuGH, 7. 5. 1998 - Somaco SARLlKommission (Nm. 56 - 61); EuG (als Vorinstanz), 18.9.1996 -Asia Motor-FrancelKommission, Slg. 1996 11 961, 990 (Nm. 60 ff.). 36 Einseitige Maßnahmen können nach der Rechtsprechung des EuGH Vereinbarungen im Sinne von Art. 85 EGV sein, wenn sie innerhalb bestehender Vertragsbeziehungen erfolgen, EuGH, 25. 10. 1983 - AEGlKommission, Slg. 1983, 3151, 3194 f; 21. 2. 1984 - HasselbladIKommission, Slg. 1984, 883, 909 f

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2.Teil: Die Entstehung des Untemehmensverbundes

Zum anderen fallen, wenn man allein auf die Drittbeeinträchtigung abstellt, auch rein konzentrative Sachverhalte wie z. B. der Erwerb alleiniger Kontrolle unter Art. 85 Abs. 1 EGV37 • Denn es ließe sich jeder durch Vereinbarung herbeigeführte Übergang von Verfiigungsmacht über Unternehmen unter Art. 85 Abs. 1 EGV subsumieren. Verlangte man dagegen eine Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit mindestens eines Beteiligten, so fiele der Erwerb alleiniger Kontrolle über ein Unternehmen als solcher nicht unter Art. 85 EGV Denn erwirbt z. B. Ul von U2 dessen gesamtes Unternehmen im Sinne eines Objekts, also alle Vermögensgegenstände, so wird dadurch U2 nicht in seiner unternehmerischen Handlungsfreiheit beschränkt, sondern gibt sie auf. Auch Ul wird in seiner Handlungsfreiheit nicht beschränkt. Dasselbe gilt, wenn Ul von U3 alle Anteile oder die Mehrheit der Anteile an dem Unternehmensträger U2 erwirbt. U3 gibt damit seine über U2 ausgeübte unternehmerische Handlungsfreiheit auf, eine Freiheitsbeschränkung liegt nicht vor. Die Handlungsfreiheit des Erwerbers Ul wird ebenfalls nicht beschränkt. Zu erwägen wäre, ob U2 in seiner Handlungsfreiheit beschränkt wird. Es kann aber keine Beschränkung der Handlungsfreiheit eines Unternehmensträgers sein, wenn die an ihm bestehenden Anteile in andere Hände übergehen. Denn der Unternehmensträger leitet seine Handlungsfreiheit von den Anteilsinhabern ab. Sie kann daher im Verhältnis zu ihnen nicht durch ihre interne Einflußnahme beschränkt werden. Im übrigen folgt dies auch daraus, daß der Erwerb mittelbaren Eigentums am Unternehmen mit demjenigen unmittelbaren Eigentums in dieser Hinsicht gleichzubehandeln ist. Ist Unternehmensträger eine natürliche Person, so kann eine Freiheitsbeschränkung des erworbenen Objekts Unternehmen nicht vorliegen. Die weite Auslegung des Tatbestandmerkmals der Wettbewerbsbeschränkung läßt also die Grenzen des Art. 85 EGV in zwei Richtungen hin - zu Art. 86 EGV einerseits, zu Art. 2 FKVO andererseits - verschwimmen. b) Stellungnahme

Der Wortlaut des Art. 85 EGV gibt keinen Aufschluß darüber, was eine Wettbewerbsbeschränkung ist. Entscheidend sind also Sinn und Zweck des Art. 85 EGV

37 Andeutungsweise auch von Winteifeld, RIW 1988, 958, 960: Der EuGH habe das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung im Philip Morris-Urteil weit ausgelegt.

D. Anwendbarkeit des Art. 85 EGVaufKonzentrationssachverhalte

225

aa) Drittbeeinträchtigung nicht ausreichend Ließe man eine Drittbeeinträchtigung für eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 85 EGV genügen, würden, wie gezeigt, die Grenzen zu Art. 86 EGV und zu Art. 2 FKVO verschwimmen. Das zeigt, daß man sich mit einer derartigen Auslegung außerhalb des wettbewerbspolitischen Konzepts 38 und damit außerhalb des von Sinn und Zweck des Art. 85 EGV vorgegebenen Anwendungsbereiches bewegen würde. Man würde sich damit zugleich von der wettbewerbstheoretischen Basis der Vorschrift lösen. Art. 85 EGV soll die Selbständigkeit des Marktverhaltens von Unternehmen gewährleisten39. Die Regelung beruht auf der wettbewerbstheoretischen Erkenntnis, daß die Ex-ante-Koordination von Marktverhalten zu Beschränkungen der Handlungsfreiheit der Beteiligten führt (z. B. bei der Preisgestaltung) und diese wiederum Beschränkungen der Wahlmöglichkeiten anderer Wirtschaftssubjekte (z. B. durch einheitliche Preise auf dem Markt) zur Folge haben40 . Weitere Folge ist, daß die Marktergebnisse (z. B. die Preise) nicht im Wettbewerb entdeckt, sondern von den Beteiligten festgelegt oder zumindest mitbestimmt werden41 . Das führt typischerweise zu schlechteren Marktergebnissen (z. B. höheren Preisen) als ein Marktverhalten ohne Ex-anteKoordination42. Dagegen beruht Art. 2 FKVO auf der wettbewerbstheoretischen Erkenntnis, daß die Wirkung rein konzentrativer Sachverhalte nicht unmittelbar wettbewerbsbeschränkend, sondern allenfalls wettbewerbsgefahrdend sind. Dementsprechend setzt Art. 2 Abs. 3 FKVO voraus, daß eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird. Eine marktbeherrschende Stellung besteht, wenn ein Unternehmen eine wirtschaftliche Machtstellung hat, die es ihm ermöglicht, sich seinen Wettbewerbern und Abnehmern und damit dem Verbraucher gegenüber unabhängig zu verhalten, also die Bedingungen des Wettbewerbs zu bestimmen oder zu beeinflussen43 . Entscheidend ist also der Verhaltensspielraum des Unternehmens, nicht die Wahrscheinlichkeit, daß es sich wettbewerbsbeschränkend verhalten wird. Art. 2 FKVO ist damit ein Gefahrdungstatbestand, der eine dem Wettbewerb gefährliche Situation verbietet, ohne daß es darauf ankommt, ob eine Wettbewerbsbeschränkung im Einzelfall Koch, in: GrabitzJHilt: Art. 85 Rn. 66. Siehe oben Fn. 473. 40 Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 96 f, 145 f 41 Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 146. 42 Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 96 fI. 43 Kommission, 19. 7. 1991 - Tetra Pak/Alfa-Laval, ABI. 1991 L 290/35, 42; 2. 10. 1991 - Aerospatiale-AleniaIDe Havilland, ABI. 1991 L 334/42. 60; zu Art. 86 EGV EuGH, 13.2. 1979 - Hoffinann-La RochelKonunission, Slg. 1979,461,520. 38

39

15 Pohlmann

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

konkret einzutreten droht. Denn es muß nicht feststehen, daß das marktbeherrschende Unternehmen seine Machtstellung auch ausnutzen wird. Die Untersagung nach Art. 2 Abs. 3 FKVO setzt zwar weiter voraus, daß durch die marktbeherrschende Stellung wirksamer Wettbewerb erheblich behindert würde. Die Bedeutung dieses zusätzlichen Tatbestandsmerkmals ist umstritten44 • Jedenfalls bedeutet es nicht, daß zu prüfen wäre, ob das marktbeherrschende Unternehmen seine Stellung in wettbewerbsbeschränkender Weise ausnutzen wird45 • Vielmehr spricht die Tatsache, daß der EuGH im Continental Can-Urteil ebenfalls auf eine wesentliche Behinderung des Wettbewerbs abgestellt hatte46, dafür, daß man auch in der FKVO mit dem Begriff der wesentlichen Behinderung des Wettbewerbs eine gegenüber dem Marktbeherrschungstatbestand des Art. 86 EGV höhere Eingriffsschwelle schaffen wollte. Das Tatbestandsmerkmal der wesentlichen Behinderung des Wettbewerbs ist also als Steigerung der Marktbeherrschung zu verstehen47 . Das bedeutet, daß 44 DrauziSchröder, S. 148 ff. prüfen dort die Struktur aller betroffenen Märkte und den tatsächlichen und potentiellen Wettbewerb (Art. 2 Abs. I S.2 lit. a FKVO), Jones/Gonzalez-Diaz, S. 166,MontagIHeinemann, ZJP 1992, 1367, 1378; Kommission, 2. 10. 1991 - Aerospatiale-AleniaJDe Havilland, ABi. 1991 L 334/42 prüfen dort, ob die marktbeherrschende Stellung von Dauer sein wird, d. h. auch den potentiellen Wettbewerb (ähnlich wohl auch Kommission, 9. 11. 1994 - MSG Media Service, ABI. 1994 L 36411, 15; Jones/Gonzalez-Diaz, S. 166 wollen zusätzlich noch Fälle von nur geringer Zunahme von Mar1ctmacht damit lösen. Alle diese Kriterien sind aber ohnehin im Ralunen der Marktbeherrschung zu prüfen. Miersch, S. 50 ff. will dort die Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts prüfen sowie die Folgen, die ein unterstelltes mißbräuchliches Verhalten des Marktbeherrschers hätte. Löffler, in: Langen/Bunte, Art. 2 FKVO Rn. 49, 80 und Deimel, S.33 messen dem Tatbestandsmerkmal gegenüber dem der Marktbeherrschung keine selbständige Bedeutung bei; die Kommission prüft Marktbeherrschung und Wettbewerbsbehinderung meist in einem, z. B. 8. 2. 1991 - Fiat GeotechIFord New Holland, MCR B12 (Nm. 27 und 32); 19. 12. 1991 - Courtaulds/SNlA, MCR B62 (Nr. 18); siehe auch Kommission, 9. 11. 1994 - MSG Media Service, ABI. 1994 L 364/1, 17 f und 20, wo zunächst nur die Marktbeherrschung geprüft und bejaht wird, in der Zusammenfassung aber auch die wesentliche Behinderung von Wettbewerb angenommen wird; DauseslFugmann, ZfRV 1993, 177, 180 f meinen, das Tatbestandsmerkmal betone die wettbewerbliehe Ausrichtung der Fusionskontrolle; offen lassend Koch, EWS 1990, 65, 69. Sir Leon Brittan, zur Zeit der Entstehung der FKVO Wettbewerbskommissar, hat 1990 in einer Rede in Cambridge gesagt, daß eine marktbeherrschende Stellung ftI.r eine Untersagung nicht ausreiche; es komme durch das Tatbestandsmerkmal der erheblichen Behinderung des Wettbewerbs ein neuer Test hinzu (Zitat nach Fine, Rn. 4-151, Fn. 385). 45 So auchMiersch, S. 50 ff. 46 EuGH, 21. 2. 1973 - Europemballage und Continental CanlKommission, Sig. 1973,215,246 (Nr. 26). 47 So wohl auch Bechtold, RlW 1990, 253, 257 ("quantitative" Steigerung); Venit, CMLRev.1990, 7,23 f.; van Gerven, CaseNotezuKommission, 18.1.1991-At&T/ NCR, MCR 52.1, 52.2; ähnlich Niederleithinger, EWS 1990, 73, 77: das Tatbestandsmerkmal konkretisiere dasjenige der Marktbeherrschung; a. A. Westermann, S. 135, 136; anders auch Janicki, WuW 1990, 195, 198, nach dessen Ansicht die Behinde-

D. Anwendbarkeit des Art. 85 EGVaufKonzentrationssachverhalte

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es nicht die Berücksichtigung zusätzlicher Kriterien verlangt und daher nichts an dem Charakter des Art. 2 Abs. 3 FKVO als Gefährdungstatbestand ändert. Nach alledem steht es mit Sinn und Zweck des Art. 85 EGV, die Selbständigkeit des Marktverhaltens zu gewährleisten, in Widerspruch, jede Drittbeeinträchtigung als Wettbewerbsbeschränkung ausreichen zu lassen. Art. 85 EGV wäre damit auf die wettbewerbstheoretisch ganz anders zu beurteilenden reinen Konzentrationssachverhalte anwendbar. Außerdem würde eine solche Auslegung zu erheblicher Rechtsunsicherheit über die Reichweite des Art. 85 EGV führen48 • Die Ansicht, wonach schon die Beeinträchtigung Dritter eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 85 Abs. I EGV ist, ist daher abzulehnen. bb) Abnahme des Interesses an Wettbewerb nicht ausreichend Es fragt sich dann, ob es - wie teilweise von der Kommission vertreten - für eine Wettbewerbsbeschränkung ausreicht, wenn das Interesse eines Beteiligten an der Ausübung seiner Handlungsfreiheit verändert, insbesondere verringert, wird und dadurch Dritte beeinträchtigt werden. Auch diese Auslegung würde Art. 85 EGV von dem ihm zugrundeliegenden wettbewerbspolitischen Konzept entfernen. Denn die Abnahme des Interesses, einem anderen Wettbewerb zu machen, läßt die wettbewerbliche Handlungsfreiheit unberührt49 . Hinzu kommt, daß das Interesse an der Ausübung von Handlungsfreiheit in vielfältiger Weise durch Vereinbarungen verschiedenster Art beeinflußt wird. Der Tatbestand des Art. 85 EGV bliebe damit ähnlich konturenlos wie wenn man die Drittbeeinträchtigung ausreichen ließe. cc) Beschränkung der Handlungsfreiheit eines Beteiligten und Drittbeeinträchtigung erforderlich Es bleibt danach die Ansicht zu erörtern, wonach eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 85 EGV nur vorliegt, wenn die Handlungsfreiheit mindestens eines Beteiligten beschränkt wird und dadurch Dritte beein-

rungsklause1 klarstellt, daß bei der Beurteilung der Marktbeherrschung der Marktverhaltensaspekt zu berücksichtigen sei, soweit er marktstrukturelle Bedeutung habe. Daß bei der Beurteilung der Marktbeherrschung auch bestehende Verhaltenskoordinationen wegen ihrer strukturellen Wirkungen zu berücksichtigen sind, ergibt sich aber schon daraus, daß die Marktstruktur umfassend zu würdigen ist; des zusätzlichen Tatbestandsmerkmals der Wettbewerbsbehinderung bedarf es dazu nicht. 48 Bedenken auch bei Koch. in: GrabitzJHilf, Art. 85 Rn. 75; Vogel. S. 89 f. (Nr. 94) im Zusammenhang mit konzerninternen Vereinbarungen. 49 So auch Koch. in: GrabitzJHilf, Art. 85 Rn. 71; U. Huber, WuW 1978,677,697. 15"

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

trächtigt werden. Es bedarf hier der Präzisierung, was unter der Beschränkung der Handlungsfreiheit zu verstehen ist. Versteht man darunter eine formale, nach den Rechtsnormen bestehende Freiheit zu bestimmtem Verhalten50, würde dies zu einem engen Begriff der Wettbewerbsbeschränkung fuhren. Wettbewerbsbeschränkungen wären nur rechtlich verbindliche Beschränkungen der Handlungsfreiheit. Das widerspräche dem Tatbestand des Art. 85 EGV, nach dem auch abgestimmtes Verhalten eine Wettbewerbsbeschränkung bewirken kann. Versteht man unter Handlungsfreiheit eine im Rahmen der Rechtsordnung tatsächlich bestehende Handlungsfreiheie l , würde dies zu einem weiteren, aber immer noch zu engen Begriff der Wettbewerbsbeschränkung führen 52 . Erfaßt wären dann zwar auch die bloß mit tatsächlichem Druck durchgesetzten Freiheitsbeschränkungen, nicht aber die Ex-ante-Koordination ohne Zwang53 . Diese hat jedoch aus wettbewerbstheoretischer Sicht dieselben Wirkungen wie eine rechtlich oder tatsächlich verbindliche Verhaltenskoordination54 . Dementsprechend läßt Art. 85 EGV auch das lediglich abgestimmte Verhalten genügen, das nicht auf Zwang beruhe 5 . Auch bei dem Verständnis der Handlungsfreiheit als tatsächlicher Handlungsfreiheit wäre daher der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung zu eng. Aus Sinn und Zweck des Art. 85 EGV, die Selbständigkeit unternehmerischen Marktverhaltens zu gewährleisten56, ergibt sich, daß die Handlungsfreiheit darin besteht, daß die Unternehmen in Unkenntnis der Aktionen und Reaktionen ihrer Wettbewerber und der Marktgegenseite über ihr Marktverhalten entscheiden können und ihrerseits die anderen Unternehmen in Unkenntnis über ihr Marktverhalten lassen können57 . Diese Freiheit entfällt schon durch Verhaltensabstimmung, das heißt schon dann, wenn Unternehmen sich im vorhinein zwanglos über ihr Verhalten informieren58 . Bereits darin liegt eine Vgl. 1. Schmidt, S. 111. Zum Teil auch Entschließungsfreiheit genannt, 1. Schmidt, S. 111; dem entspricht wohl auch das Verständnis von Handlungsfreiheit bei K. Schmidt, ZHR 142 (1978), 147, 155. 52 So auch zu § 1 GWB K. Schmidt, ZHR 142 (1978), 147, 155. 53 Siehe datUr das Beispiel bei Sandrock. Grundbegriffe, S. 251. 54 Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 147; 1. Schmidt, S. 117 unten. 55 Statt aller Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 97 f.: Fühlungnahme und praktische Zusammenarbeit anstelle der Risiken des Wettbewerbs. 56 S. o. Fn. 473. 57 Siehe auch EuGH, 16.12.1975 -Suiker UnielKommission, Slg. 1975, 1663, 1965 (Nm. 173/174). 58 Allerdings greift das Verbot des Art. 85 EGV erst, wenn die Verhaltensabstimmung auch praktiziert wird. Erst dann steht nach den Vorstellungen des Gesetzgebers fest, daß die Abstimmung tatsächlich die Selbständigkeit des Marktverhaltens be50

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D. Anwendbarkeit des Art. 85 EGV auf Konzentrationssachverhalte

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Beschränkung der Handlungsfreiheit im Sinne von Art. 85 EGV. In Vertikalverhältnissen gelten diese Überlegungen mit einer Einschränkung entsprechend. Hier liegt die Beschränkung der Handlungsfreiheit nicht in erster Linie in dem Verzicht auf die Unvorhersehbarkeit des eigenen Tuns, sondern in der mit oder ohne Zwang erfolgenden Einflußnahme auf fremdes Marktverhalten59 . Nach alledem bleibt festzuhalten, daß nach Sinn und Zweck des Art. 85 EGV eine Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, wenn die Handlungsfreiheit mindestens eines an der Vereinbarung, dem Beschluß oder der Verhaltensabstimmung Beteiligten beschränkt ist und dadurch Dritte beeinträchtigt werden. Die Handlungsfreiheit ist beschränkt, wenn ein Unternehmen sein künftiges Marktverhalten nicht mehr ohne Ex-ante-Einflußnahme eines anderen Unternehmens bestimmen kann. Der KlarsteIlung halber sei darauf hingewiesen, daß diese Ansicht mit dem alten Streit um Gegenstands-, Zweck- und Folgetheorie nichts zu tun hat60 . Im Rahmen von Art. 85 EGV gilt unstreitig nicht die Gegenstandstheorie ("bezwecken oder bewirken"). Es genügt also, wenn die Beschränkung der Handlungsfreiheit und die Beeinträchtigung Dritter Folge der Vereinbarung ist oder mit dieser bezweckt wird. Folgt man dem, würden reine Konzentrationssachverhalte als solche nicht unter Art. 85 EGV fallen. Sie können nicht zu einer Beschränkung von Handlungsfreiheit eines Beteiligten führen, weil sie durch den Verlust der unternehmerischen Handlungsfreiheit in Bezug auf das ganze betroffene Unternehmen gekennzeichnet sind. Eine partielle Beschränkung unternehmerischer Handlungsfreiheit, wie Art. 85 EGV sie voraussetzt, kann darin nicht liegen. Denkbar wäre hier noch der Einwand, wenn die Beschränkung der Handlungsfreiheit eines Beteiligten eine Wettbewerbsbeschränkung sei, müsse dies erst recht gelten, wenn seine Handlungsfreiheit durch den Kontrollerwerb ganz entfiele61 • Ein solcher Erst-recht-Schluß setzt voraus, daß Sinn und schränkt hat. Allerdings wäre auch eine Regelung denkbar, die allein die Abstimmung genügen läßt (so bereits de lege lata Koch, in: GrabitzlHilf, Art. 85 Rn. 28). Denn selbst, wenn die Unternehmen sich nicht alle abstimmungsgemäß verhalten, ist ihre Entscheidung doch nicht mehr so selbständig wie ohne Abstimmung. 59 Auch in Vertikalverhältnissen ist aufeinander abgestimmtes Verhalten möglich, Koch, in: GrabitzlHilf, Art. 85 Rn. 31; GleisslHirsch, Art. 85 Rn. 96; Steindorff, ZHR 137 (1973), 203, 228; praktisch kommt eine Verhaltensabstimmung ohne die Ausübung zumindest wirtschaftlichen Drucks in Vertikalverhältnissen nicht vor; anschaulich z. B. Kommission, 23. 11. 1972 - Pittsburg Coming, ABI. 1972 L 272/35. 60 Ebenso Sandrock, AWD 1970, 337, 339. 61 In diese Richtung gehen die Überlegungen des EuGH, wenn er im Philip MorrisUrteil darauf abstellt, beim Kontrollerwerb könne der Erwerber das Verhalten des Zielunternehmens beeinflussen.

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

Zweck der fraglichen Regelung (Art. 85 EGV) auf den nicht geregelten Fall (hier: Kontrollerwerb ) in noch höherem Maße zutreffen als auf den geregelten Fall (Verhaltensabstimmung zwischen Unternehmen). Der nicht geregelte Fall muß sich nach Sinn und Zweck der Norm als Steigerung gegenüber dem geregelten Fall darstellen. Der Kontrollerwerb ist nach dem oben Gesagten zwar eine Steigerung der marktstrukturändernden Verhaltenskoordination, weil die Intensität der Bindung größer ist. Das bedeutet aber nicht, daß Sinn und Zweck des Art. 85 EGV auf diesen Fall in noch höherem Maße zuträfen62 Denn durch die größere Intensität der Bindung kann man typisierend von dem Eintritt zusammenschlußspezifischer Vorteile ausgehen. Bei reinen Konzentrationssachverhalten rührt die Gefahr für den Wettbewerb nicht daher, daß das Zielunternehmen in seinem Marktverhalten, also im Einsatz seiner unternehmerischen Ressourcen, beschränkt wird. Eine Beschränkung von Handlungsfreiheit mit der Folge, daß Marktergebnisse bestimmt und nicht entdeckt werden, ist weder beim Erwerber noch beim Veräußerer gegeben. Vielmehr ist der Erwerber in seinem Marktverhalten frei. Die Gefahr für den Wettbewerb besteht darin, daß die unternehmerischen Ressourcen in die Verfugungsmacht eines anderen Unternehmens übergehen. 5. Ergebnis zu ill.

Nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck sowie Rechtsfolgen ist Art. 85 Abs. I EGV kein Instrument zur Kontrolle reiner Konzentrationssachverhalte.

IV. Anwendbarkeit des Art. 85 EGV aufkonzentrative Sachverhalte mit kooperativen Elementen Im Philip Morris-Urteil hat der EuGH die Anwendbarkeit des Art. 85 EGV auf den Erwerb von Beteiligungen unter bestimmten Voraussetzungen bejaht. Nach dem soeben gefundenen Ergebnis können reine Konzentrationssachverhalte nicht nach Art. 85 EGV kontrolliert werden. Dem Urteil des EuGH

62 Deshalb ist übrigens auch die Ansicht abzulehnen, wonach die Wettbewerbsbeschränkung eine niedrigere Eingriflsschwelle sei als die Marktbeherrschung (Bartling, WuW 1993, 16,26 ff.; Meessen, WuW 1993, 901, 907); beide lassen sich rein quantitativ nicht vergleichen. Zu der früheren rechtspolitischen Diskussion im deutschen Recht, ob der Maßstab der Wettbewerbsbeschränkung in der Fusionkontrolle zu bevorzugen ist, siehe Monopolkommission, HG II, 266 f1. mit abweichender Ansicht Kantzenbach, S. 270 f1'.; siehe auch BReg., Stellungnahme zum HG I der MK, BT-Drs. 81702, S. 12 unter NT. 54 a. E.

D. Anwendbarkeit des Art. 85 EGVaufKonzentrationssachverhalte

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könnte jedoch in den Fällen zu folgen sein, in denen ein Sachverhalt sich in dem Bereich des fließenden Übergangs zwischen Konzentration und Kooperation bewegt. In der Literatur wird das Urteil von einigen so interpretiert, daß nicht die Marktstrukturänderung als solche im Rahmen von Art. 85 EGV Kontrollgegenstand sein könne. Vielmehr sei Art. 85 EGV auf die Verhaltenskoordination für anwendbar erklärt worden, die ein konzentrativer Vorgang mit sich bringe63 . Das Schlagwort "Marktverhaltenskontrolle nach Art. 85 EGV bei Marktstrukturänderungen" ist vereinfachend. Es läßt außer acht, daß auch Marktverhaltenskoordination die Marktstruktur ändert, Art. 85 EGV mithin Norm der Marktverhaltenskontrolle und der Marktstrukturkontrolle ist. Bringt ein Sachverhalt daher Verhaltenskoordination und Konzentration mit sich, ist nach Art. 85 EGV auch die Marktstruktur zu prüfen.

1. Das Philip Morris-Urteil- Die wesentlichen Aussagen des EuGH Im Philip Morris-Fall erwarb Philip Morris (PM) durch Vereinbarung mit Rothmans Holding (RH) , der Muttergesellschaft der Rothmans International (RI), eine Beteiligung an RI, die 30,8% des Kapitals und 24,9% der Stimmrechte umfaßte64 . RI und PM stehen miteinander in Wettbewerb. Der EuGH prüfte, ob der Erwerb einer Minderheitsbeteiligung an einem Wettbewerber gegen Art. 85 EGV verstoßen kann. Der EuGH stellt zunächst fest, daß eine Vereinbarung zwischen unabhängigen Unternehmen vorliege, so daß Art. 85 eingreifen könne65 . Hiermit kann nur die Vereinbarung zwischen RH und PM gemeint sein. Der EuGH prüft weiter, ob die Vereinbarung eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfalschung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt. Ein Beteiligungserwerb an einem Wettbewerber sei zwar für sich genommen kein wettbewerbseinschränkendes Verhalten. Der Erwerb könne jedoch (I) als Mittel dienen, das geschäftliche Verhalten des betreffenden Unternehmens (gemeint ist RI) so zu beeinflussen, daß der Wettbewerb eingeschränkt oder verfälscht werde. Das sei insbesondere der Fall, (1) wenn der Erwerber rechtlich oder faktisch die Kontrolle über das geSiehe oben Fn. 480. Zuvor hatte PM 50% an RH erworben. Hierin hatte die Kommission Verstöße gegen Artt. 85, 86 EGV gesehen, so daß der Anteilserwerb rückgängig gemacht worden war. Gegen Rückgabe der Anteile an RH erhielt PM von RH die oben genannten Anteile an RI. 65 EuGH, 17. 11. 1987 - BAT und ReynoldslKommission, Slg. 1987, 4566, 4575 (Nr. 31). 63

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2.Teil: Die Entstehung des Untemehmensverbundes

schäftliche Verhalten des anderen Unternehmens erlange, (2) wenn die Vereinbarung eine geschäftliche Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen vorsehe. (3) wenn die Vereinbarung Strukturen schaffe, die einer solchen Zusammenarbeit förderlich sein könnten, oder (4) wenn die Vereinbarung dem Erwerber die Möglichkeit gebe, seine Position später zu stärken und so die Kontrolle über das andere Unternehmen zu erlangen. Der EuGH kommt zu dem Ergebnis, daß keine dieser Voraussetzungen vorliege66 . Er prüft im Anschluß noch, ob (11) die Beteiligung von PM an RI die beteiligten Unternehmen zwangsläufig veranlasse, bei der Festlegung ihrer Geschäftspolitik den Interessen des jeweils anderen Rechnung zu tragen. Auch das sei nicht der Fa1l67 . 2. Anwendbarkeit des Art. 85 Abs. 1 EGV auf wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, die mit einem Anteilserwerb verbunden sind Die Fallgruppe I 2 des Philip Morris-Urteils, in der die Vereinbarung über den Anteilserwerb auch eine Zusammenarbeit zwischen Erwerber und Zielunternehmen vorsieht, ist unproblematisch. Die Vereinbarung über die Zusammenarbeit fällt als Abrede über das Marktverhalten unter Art. 85 Abs. 1 EGy68. Ob der Anteilserwerb von der Nichtigkeitsfolge des Art. 85 Abs.2 EGV erfaßt wird, richtet sich nach den allgemeinen Regeln über die Abtrennbarkeit wettbewerbsbeschränkender Klauseln69 . Hier ist insbesondere zu berücksichtigen, daß nicht immer die Parteien der Vereinbarung über die Zusammenarbeit (Erwerber und Zielunternehmen) mit denjenigen identisch sein werden, die den Anteilserwerb vereinbaren (Erwerber und Veräußerer). Fälle, in denen das Zielunternehmen zugleich der Veräußerer ist, sind z. B. der Beteiligungserwerb nach Kapitalerhöhung und die Veräußerung eigener Anteile des Unternehmensträgers7o . Sind die Vertragsparteien nicht identisch, wie beim Anteilserwerb von einem Dritten, dann läßt die Kartellrechtswidrigkeit der Zusammenarbeitsvereinbarung zwischen Zielunternehmen und Erwerber den Anteilserwerb zwischen Veräußerer und Erwerber grundsätzlich unberührt. Das gilt nur dann nicht, wenn diese etwas anderes vereinbart haben, wenn sich aus den Umständen ergibt, daß der Erwerb mit der Zusammenar66 EuGH, 17. 11. 1987 - BAT und ReynoldslKommission, Slg. 1987, 4566, 4576 (Nm. 36 fT.). 67 EuGH, 17. 11. 1987 - BAT und ReynoldslKommission, Slg. 1987, 4566, 4579 (Nm. 48 ff.) 68 Eine Ausnahme gilt möglicherweise nach den Grundsätzen des konzemintemen Wettbewerbs, dazu unten 4. Teil E. 69 Dazu Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 1711. 70 Emmerich, FS Steindorff, S. 951, 961.

D. Anwendbarkeit des Art. 85 EGV aufKonzentrationssachverhalte

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beitsvereinbarung stehen und fallen sollte oder wenn die Zusammenarbeitsvereinbarung dem Veräußerer als verbundenem Unternehmen zuzurechnen ise l . Die Fallgruppe I 4 betrifft insbesondere einen mit dem Erwerb von Anteilen verbundenen Erwerb von Vorkaufsrechten oder Kaufoptionen. Es ist denkbar, daß Vorkaufsrechte oder Kaufoptionen dem Rechtsinhaber tatsächlichen Einfluß auf das Unternehmen geben. Das gilt aber unabhängig davon, ob der Rechtsinhaber zugleich schon Anteile an dem Zielunternehmen erwirbt. Zwar kann bereits bestehender oder zugleich entstehender Anteilsbesitz die Wirkungen der Vorkaufs- oder Optionsrechte verstärken. Dennoch entsteht die wettbewerbsbeschränkende Wirkung allein durch diese Rechte, weil der Anteilserwerb per se niemals wettbewerbsbeschränkend ist, wie der EuGH selbst sagt. Ob dann auch der Anteilserwerb von der Nichtigkeitsfolge des Art. 85 Abs. 2 EGV erfaßt wird, richtet sich wiederum nach den allgemeinen Regeln über die Abtrennbarkeit wettbewerbsbeschränkender Klauseln. Die Fallgruppe I 3 - Schaffung von Strukturen, die der Zusammenarbeit förderlich sind - ist unklar. Sind die Strukturen gemeint, die durch den Anteilserwerb selbst geschaffen werden, bedeutet das nichts anderes, als daß ein Anteilserwerb unter Art. 85 EGV fallt, wenn er der Zusammenarbeit förderlich ist; auf die unklare Bezugnahme auf "Strukturen" kann man verzichten. Ob dem zuzustimmen ist, wird unter 4. - 6. näher untersucht. Sind mit der Formel des EuGH jedoch Strukturen gemeint, die durch Absprachen geschaffen werden, die über den Anteilserwerb hinausgehen, dann können diese Absprachen unter Art. 85 EGV fallen. Ob der Anteilserwerb von der Nichtigkeitsfolge erfaßt wird, hängt wieder von der Abtrennbarkeit ab Auch hier ist grundsätzlich die Identität der Vertragsparteien Voraussetzung für die Gesamtnichtigkeit. Mit den Fallgruppen I 2 und I 4 hat der EuGH also keine Marktstrukturkontrolle nach Art. 85 Abs. 1 EGV etabliert, sondern nur klargestellt, daß mit einem Anteilserwerb wettbewerbsbeschränkende Absprachen verbunden sein können, die unter Art. 85 Abs. 1 EGV fallen können. 3. Anwendbarkeit des Art. 85 Abs. 1 EGV auf den Erwerb alleiniger Kontrolle Problematischer ist die Fallgruppe I 1. Der Tatbestand des Art. 85 Abs. I EGV soll erfüllt sein, wenn der Anteilserwerber durch den Erwerb oder durch mit dem Erwerb verbundene NebenklauseIn (z. B. Mehrstimmrechte, Vetorechte) die Kontrolle über das geschäftliche Verhalten des Zielunternehmens 71 Z. B. beim Anteilserwerb von einer lOO%igen Muttergesellschaft, die im Namen der Tochtergesellschatl: mit dem Erwerber eine Zusammenarbeitsvereinbarung tritn.

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2.Teil: Die Entstehung des Untemehmensverbundes

erlangt. Ob damit die alleinige oder auch die Mitkontrolle gemeint ist, bleibt offen. Hier soll zunächst nur der Frage nachgegangen werden, ob dem EuGH für den Erwerb alleiniger Kontrolle zuzustimmen ist. In der Literatur hält man, da inzwischen nach Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO der Kontrollerwerb die Zusammenschlußkontrolle auslöst, den die Kontrolle betreffenden Passus des Urteils für überholt; Art. 85 Abs. I EGV sei unanwendbarn . Es mag zutreffen, daß der EuGH sich heute in einem gleich gelagerten Fall nicht mehr auf Art. 85 EGV berufen würde; rechtlich gesehen kann jedoch das Sekundärrecht den Anwendungsbereich des Pritpärrechts nicht ändern. Deshalb enthebt die FKVO nicht von der Beantwortung der Frage, ob der Auslegung des EuGH zu folgen ist. Nach der hier vertretenen Ansicht kann der Kontrollerwerb über ein Unternehmen grundsätzlich nicht zu einer Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 85 EGV fUhren. Denn weder der Erwerber noch der Veräußerer noch das Zielunternehmen werden in ihrer Handlungsfreiheit beschränkt. Entgegen der Ansicht des EuGH liegt insbesondere in dem Einfluß des Kontrollerwerbers auf das Zielunternehmen keine Beschränkung der Handlungsfreiheit des Zielunternehmens.

Anders könnte der Fall liegen, wenn neben der Kontrollbeteiligung noch eine einflußreiche Minderheitsbeteiligung besteht. Dann könnte die Zusammenarbeit im Zielunternehmen zu einer Verhaltenskoordination zwischen Minderheitsgesellschafter und Kontrollinhaber hinsichtlich anderer Tätigkeiten - außerhalb des Zielunternehmens - führen73 . 4. Anwendbarkeit des Art. 85 EGV auf den Erwerb gemeinsamer Kontrolle Gemeinsame Kontrolle kann erworben werden durch Neugründung eines GU, in das Ressourcen eingebracht werden, sowie durch nachträglichen Erwerb von Mitkontrolle74 .

a) Neugründung eines Gemeinschaftsunternehmens Bei der Neugründung eines GU liegt eine Vereinbarung zwischen Unternehmen regelmäßig vor. Solange die GU-Mütter alle ihre Ressourcen auf das GU übertragen, kann darin keine Wettbewerbsbeschränkung liegen. Denn die

GleissIHirsch. Art. 85 Rn. 590. Dazu näher unten 5, S. 241 ff 74 Der gemeinsame Erwerb eines Unternehmens durch zwei oder mehrere andere ist zu behandeln wie die Neugründung. Er wird daher im folgenden nicht gesondert erörtert. 72 73

D. Anwendbarkeit des Art. 85 EGVaufKonzentrationssachverhalte

235

Handlungsfreiheit jeder einzelnen GU-Mutter fällt zugunsten der gemeinsamen Leitung weg, so daß eine Wettbewerbsbeschränkung nicht vorliegt75. Übertragen die Mütter (A und B) nur Teile ihrer Tätigkeiten auf das GU, so ist es möglich, daß die für sich betrachtet konzentrative GU-Gründung hinsichtlich der nicht zusammengelegten Tätigkeiten der Mütter eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 85 EGV bewirkt oder bezweckt. Eine Wettbewerbsbeschränkung liegt vor, wenn die Freiheit mindestens eines an der Vereinbarung beteiligten Unternehmens, sein Marktverhalten selbständig zu bestimmen, eingeschränkt wird und Dritte beeinträchtigt werden. Im vorliegenden Zusammenhang kommt es nur auf die erste Voraussetzung an. Es fragt sich also, ob eine Beschränkung der Freiheit von A oder B, ihr Marktverhalten selbständig zu bestimmen, durch die GU-Gründung bezweckt oder bewirkt wird. Eine Beschränkung der Handlungsfreiheit könnte darin liegen, daß A und B durch die Zusammenarbeit im GU gezwungen sind, dem Partner Einblick in ihre eigenen Ziele und Strategien außerhalb des GU zu geben. Das ist der Fall, wenn die Zusammenarbeit im GU als solche es mit sich bringt, daß dem Partner Einblick in die eigene, außerhalb des GU verfolgte Geschäftspolitik gegeben wird. Dann ist die Freiheit des betreffenden Unternehmens, im Wettbewerb selbständig zu handeln, eingeschränkt, weil ihm die Möglichkeit zu unvorhersehbarem Verhalten genommen wird 76 • Das ist z. B. dann der Fall, wenn beide GU-Mütter auf dem GU-Markt tätig bleiben. Dementsprechend nimmt die Kommission in diesen Fällen stets an, daß das GU kooperativ sei77 •

75 Nach einer von der Kommission in einigen älteren Entscheidungen vertretenen Ansicht soll die Notwendigkeit der Abstimmung im GU eine Wettbewerbsbeschränkung sein, Kommission, 25.7. 1977 - De LavaVStork, ABI. 1977 L 215111, 16 (Nr. 6); 20. 1. 1977 - Vacuum Interrupters I, ABI. 1977 L 48/32, 36 (Nr. 16); 20. 10. 1978 Wano Schwarzpulver, ABI. 1978 L 322/26, 30 (unter 11 2 lit. a) sowie die Nachweise bei Bechtold, RIW 1985, 442, 444; anders dies., 9. 11. 1994 - MSG Media Service, ABI. 1994 L 36411, 3: Die Zusammenarbeit im GU im Rahmen des Geschäftszwecks ist ein Kennzeichen jedes GU und vermag nicht dessen kooperativen Charakter zu begründen; noch anders Kretzer, S. 86 ff. (zu § 1 GWB): ein solches GU sei erst im Wege der teleologischen Reduktion aus dem Tatbestand des Kartellverbots ausgenommen. 76 VgI. auch DrauziSchroeder, S. 57; Schroeder, Case Note zu ElflEnterprise, MCR S. 281 f; Schröter, in: Gemeinschaftsunternehmen, S. 67, 74; ImmengaIFuchs, NJW 1988,3052,3054; Kommission, 25.7. 1977 - De LavaVStork, ABI. 1977 L 215111, 16 (Nr.6). 77 Z. B. Kommission, 13. 1. 1992 - Sunrise, WuWIE EV 1795, 1796 (Nm. 16 fT.); 28.7.1992 -Koipe-TabacalerealElosua, MCR B101 (Nm. 10fT.); 24.7.1991 -Elf Enterprise, WuWIE EV 1673, 1674 (Nr.6); 6.2. 1991 - Baxter/ Nestle/Salvia, WuWfE EV 1579,1580 (Nm. 6 fT.); 24.6.1991 -Apollinaris/Schweppes, WuWIE EV 1657 (Nm. 4fT.); 25.7.1977 -De LavaVStork, ABI. 1977 L215/1I, 16 (Nr.6) = WuWIE EV 715, 719 (allerdings mit zweifelhafter Annahme potentiellen Wettbe-

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

Da die GU-Gründung selbst das heißt qer Erwerb gemeinsamer Verfügungsbefugnis über die Ressourcen des GU, unmittelbar zu der Freiheitsbeschränkung fuhrt, ist diese auch im Sinne von Art. 85 EGV bewirkt. Für solche aus einer GU-Beteiligung resultierenden Wettbewerbsbeschränkungen wird auch die Bezeichnung "Gruppeneffekt" verwendet. Da diese Terminologie unklar und wenig hilfreich ist78, wird hier auf sie verzichtet. Eine GU-Gründung kann auch dann zu einer Beschränkung der Handlungsfreiheit fuhren. wenn nur eine Mutter auf dem GU-Markt tätig bleibt. Dann bringt die Zusammenarbeit im GU es mit sich, daß das Verhalten der einen Mutter außerhalb des GU mit dem der anderen Mutter im GU koordiniert wird. In Fällen, in denen die Mütter nicht auf dem GU-Markt, aber auf sachlich oder räumlich benachbarten, vorgelagerten oder nachgelagerten oder gänzlich anderen Märkten tätig sind, kann im Einzelfall auch ein Verzicht auf Unvorhersehbarkeit des eigenen Tuns und damit eine Freiheitsbeschränkung vorliegen. Allerdings ist im einzelnen nachzuweisen, inwiefern die Zusammenarbeit im GU zu einer Freiheitsbeschränkung bezüglich der anderen Bereiche fuhrt. Die allgemeine Feststellung, hier sei Verhaltenskoordination möglich, genügt nicht. Weiter könnte eine Beschränkung der Handlungsfreiheit auch darin liegen, daß A und B durch die Zusammenarbeit im GU die Möglichkeit haben, ihr Verhalten außerhalb des GU zu koordinieren. Das ist im Rahmen von Art. 3 Abs. 2 FKVO die häufigste Begründung der Kommission fur das Vorliegen eines kooperativen GU. Nun beschränkt aber die Möglichkeit, sein Verhalten später durch Vereinbarung oder Abstimmung zu koordinieren, selbst noch nicht die Freiheit zu selbständigem Handeln79 . Erst wenn von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, ist die Handlungsfreiheit beschränkt. Ob man Art. 85 Abs. 1 EGV auch anwenden kann, wenn die Freiheitsbeschränkung lediglich möglich erscheint, hängt davon ab, ob eine solche Freiheitsbeschränkung im Sinne von Art. 85 EGV bezweckt oder bewirkt ist. Eine Freiheitsbeschränkung ist bezweckt, wenn sie nach objektiver Betrachtung80 zur wirtschaftlichen Funktion der Absprache gehört81 . Liegen diese Voraussetzungen vor, dann kann auch eine nur möglich erscheinende Freiwerbs); s. dazu Lohse. S. 245 ff.; a. A. (keine Beschränkung der Handlungsfreiheit, da keine Aktionsparameter festgelegt seien) Schlewing. S. 61. 78 Siehe unten 3. Teil C n 3 b, S. 270 f. 79 Vgl. auchLohse. ZHR 159 (1995),164,205; Gerwing. S. 170 f. 80 Statt aller Kommission. 13. 12. 1989 - Bayo-n-ox, ABI. 1990 L 21/71, 76 (Nr. 45). 81 Gleiss/Hirsch. Art. 85 Rn. 148.

D. Anwendbarkeit des Art. 85 EGVaufKonzentrationssachverhalte

237

heitsbeschränkung den Tatbestand des Art. 85 Abs. I EGV erfüllen. Je wahrscheinlicher es ist, daß eine solche Freiheitsbeschränkung eintritt, desto eher ist die Annahme gerechtfertigt, daß sie auch bezweckt wurde 82 . Wann eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 85 Abs. I EGV durch eine Vereinbarung oder eine abgestimmte Verhaltensweise bewirkt ist, ist umstritten. Einig ist man sich zwar darüber, daß die Beeinträchtigung Dritter lediglich mögliche Folge der Vereinbarung oder des abgestimmten Verhaltens sein muß 83 ; die Grenze der Zurechenbarkeit von Folgen wird meist so charakterisiert, daß nur die adäquaten, die natürlichen und wahrscheinlichen Folgen zu berücksichtigen seien84 . Diejenigen Autoren, die eine Wettbewerbsbeschränkung nur annehmen, wenn die Handlungsfreiheit mindestens eines Beteiligten eingeschränkt wird. verlangen außerdem, daß diese Beschränkung der Handlungsfreiheit unmittelbar durch die Vereinbarung, den Beschluß oder die Verhaltensabstimmung eingetreten sein muß; es genüge nicht, wenn die Beschränkung der Handlungsfreiheit lediglich möglich erscheine85 . Sinn und Zweck des Art. 85 EGV, die Selbständigkeit unternehmerischen Verhaltens zu gewährleisten, sprechen dafür, daß erst der teilweise Verlust der Selbständigkeit eine "bewirkte" Beschränkung der Handlungsfreiheit ist86 . Auch die Abgrenzung zur Marktstrukturkontrolle spricht dafür, Beschränkungen der Handlungsfreiheit, die nicht bezweckt sind und nicht durch die Vereinbarung, den Beschluß oder das abgestimmte Verhalten unmittelbar herbeigeführt werden, nicht unter Art. 85 EGV zu subsumieren. Denn die bloße Gefahr, aufgrund einer bestimmten Änderung der Marktstruktur (=GUGründung) könne es besonders nahe liegen, später Wettbewerbsbeschränkungen herbeizuführen, gehört systematisch in die Marktstrukturkontrolle87 . Die Möglichkeit künftiger Verhaltenskoordination allein erfüllt daher nicht den Tatbestand des Art. 85 EGV

82 Vgl. die Kriterien fiir kooperative GU in der ersten Abgrenzungsbekanntmachung der Kommission unter 3. 83 Statt aller Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 158. 84 Sandrock, Grundbegriffe, S. 236 ff., 246; Schröter, in: von der GroebenJThiesing/Ehlennann, Art. 85 Abs. 1, Rn. 107; Bunte, in: LangenIBunte, Art. 85 Rn. 59; Kommission, 15.7. 1975 -lFTRA-Verpackungsglas, WuWfE EV 581,582 oben. 85 Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 155 tT.; Koch, in: GrabitzlHilf, Art. 85 Rn. 86; aber auch Bunte, in: LangenIBunte, Art. 85 Rn. 59. 86 Die Drittwirkungen treten dann bereits durch den Se1bständigkeitsverlust ein, weil die Marktstellung Dritter, insbesondere ihre Auswahlmöglichkeiten, schon von da an beschränkt sind, Koch, in: GrabitzlHilf, Art. 85 Rn. 83. 87 Vgl. auch Bechtold, RIW 1985, 442, 447.

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2.Teil: Die Entstehung des Unternelunensverbundes

Festzuhalten bleibt daher, daß die Neugriindung von GU unter Art. 85 EGV fallen kann. b) Erwerb von Mitkontrolle über ein bestehendes Unternehmen

Der Erwerb von Mitkontrolle über ein Unternehmen vollzieht sich meist im Wege des Anteilserwerbes. aa) Vereinbarung oder abgestimmtes Verhalten Bereits oben wurde dargelegt, daß Art. 85 EGV mit diesem Tatbestandsmerkmal nicht an den Übergang von Verfiigungsmacht über Ressourcen, sondern an die Koordination von Verhalten anknüpft. Konzentrative Sachverhalte werden daher nicht systematisch erfaßt. Das ist auch bei GU-Gründungen der Fall. Eine Vereinbarung zwischen Unternehmen gemäß Art. 85 Abs. I EGV liegt vor, wenn ein Alleingesellschafter 50% der Anteile des Unternehmensträgers an ein anderes Unternehmen verkauft. Eine Vereinbarung zwischen Erwerber und vorhandenem Anteilseigner liegt auch dann vor, wenn der Eintritt des Erwerbers in die unternehmenstragende Gesellschaft der Zustimmung der vorhandenen Gesellschafter bedarf, wie z. B. bei Personenhandelsgesellschaften des deutschen Rechts, oder wenn der Eintritt der Zustimmung der Gesellschaft bedarf, wie bei vinkulierten Anteilen im deutschen Recht nach §§ 68 Abs. 2 S. 1 AktG, 15 V GmbHG. Wie ist es aber, wenn ein Unternehmen Anteile an einem anderen Unternehmen an der Börse kauft88? Vereinzelt will man auf die Vereinbarung zwischen dem Erwerber und seiner Hausbank abstellen89 . Wenn, wie etwa im deutschen Recht, die Bank im Normalfall in indirekter Stellvertretung handelt90, also erst den Anteil selbst erwirbt und dann an den Erwerber überträgt, würde die Nichtigkeit von Kauf und Anteilsübertragung zur Unwirksamkeit des Anteilserwerbes führen. Allerdings ist dann fraglich, ob der Kausalzusammenhang zwischen dem Vertrag mit der Bank und der Wettbewerbsbeschränkung schon ein "Bewirken" im Sinne von Art. 85 EGV ist. Im übrigen bleiben die Fälle ungelöst, in denen ein Unternehmen die Anteile an einem Unternehmen von mehreren Nichtunternehmen (Minderheitsgesellschaftern) 88 Die von der Konunission bisher als kooperativ angesehenen GU sind in keinem Fall durch Beteiligungserwerb an der Börse entstanden. Die Unternelunen schützen sich regelmäßig vor einer aufgezwungenen Zusanunenarbeit mit anderen. 89 Blank, S. 149; a. A. Wissel, in: FlW (Hrsg.) Gemeinschaftsunternelunen, S.85, 87; Kommission, Konzentrationsmemorandum, C. 13; Deimel, S. 90 f. 90 Schönle, § 17 TI 1,2 (S. 237 f), § 18 m1,2, IV vor 1 (S. 254 f.).

D. Anwendbarkeit des Art. 85 EGVaufKonzentrationssachverhalte

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envirbt. Denn dann ist der Enverb keine Vereinbarung zwischen Unternehmen. Zum Teil gesteht man deshalb zwar zu, daß eine Vereinbarung fehle. Spätestens die Zusammenarbeit im GU führe aber zu einer Verhaltensabstimmung zwischen den Müttern auch im nicht vergemeinschafteten Bereich91 . Gegen diese Lösung spricht, daß sie, wenn der Beteiligungsenverb nicht durch eine Vereinbarung zwischen Unternehmen zustande kommt, nur begründen kann, daß ein der Beteiligung nachfolgendes abgestimmtes Verhalten unter Art. 85 fallt, nicht aber, daß der Beteiligungsenverb selbst es tut. Dann bleibt die Lösung, als "Vereinbarung" stets den Gesellschaftsvertrag des GU anzusehen92 . Der Vertrag könnte vom Zeitpunkt des Eintritts eines neuen Gesellschafters an gegen Art. 85 Abs. 1 EGV verstoßen. Nur auf diesem Weg ließen sich alle GU-Gründungen gleichermaßen unter das Tatbestandsmerkmal der "Vereinbarung" subsumieren. Allerdings müßte die Rechtsfolge des Art. 85 Abs. 2 auf den Beitritt des Gesellschafters beschränkt werden und müßte zudem mit gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen (z. B. ex-nuncWirkung) in Einklang gebracht werden. Tatbestand und Rechtsfolge des Art. 85 EGV würden dann im Ergebnis doch auf verschiedene Sachverhalte den Gesellschaftsvertrag einerseits, den Anteilsenverb andererseits - angewandt. bb) Wettbewerbsbeschränkung bezweckt oder bewirkt Erwirbt ein Unternehmensträger die Mitkontrolle über ein Unternehmen, indem er Anteile am Unternehmensträger erwirbt, liegt eine Beschränkung der Handlungsfreiheit des letzteren nicht vor. Denn der Unternehmensträger leitet seine Handlungsfreiheit von den Anteilseignern ab, so daß ein Wechsel der Anteilseigner keine Beschränkung der Handlungsfreiheit mit sich bringen kann. Daß der Enverber durch den Hinzugewinn an Einfluß nicht in seiner Handlungsfreiheit beschränkt wird, liegt auf der Hand. Denkbar ist es aber, daß die Handlungsfreiheit des anderen Gesellschafters beschränkt wird93 . Das ist der Fall, wenn die vereinbarte Zusammenarbeit im GU es als solche mit sich bringt, daß untemehmerisches Verhalten des Enverbers außerhalb des GU und das Verhalten des anderen Gesellschafters im GU abgestimmt werden. Das wird insbesondere zutreffen, wenn Enverber und GU auf demselben oder benachbarten Märkten tätig sind. 91 Kommission, Bekanntmachung über kooperative Gemeinschaftsunternehmen, Nm. 13,14; Schröter, in: FIW (Hrsg.) Gemeinschaftsunternehmen, S. 67,70. 92 Dagegen K. Schmidt, AG 1996, 385. 93 Dieser ist wegen seines Einflusses auf das GU Unternehmen, s. o. 1. Teil B I 4 b, S. 52 ff

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes c)

Besonderheiten bei Netzen von Gemeinschaftsunternehmen?

aal Netze von Gemeinschaftsunternehmen mit paralleler Anteilseignerschaft Der Erwerb von gemeinsamer Kontrolle könnte gegen Art. 85 EGV verstoßen. wenn dieselben Mutterunternehmen bereits an anderen GU beteiligt sind. Die Kommission sieht im Rahmen von Art. 3 Abs. 2 FKVO in der Möglichkeit, mehrere GU aufgrund paralleler Anteilseignerschaft einheitlich zu beeinflussen, ein kooperatives Element, da sachliche und räumliche Marktaufteilung drohe 94 . Solange die Mütter aber ihre Tätigkeiten außerhalb der gemeinsamen Töchter nicht koordinieren, ist diese Ansicht abzulehnen95 . Die koordinierende Einflußnahme der Mütter erfullt ebensowenig den Tatbestand des Art. 85 EGV wie die koordinierende Einflußnahme einer IOO%igen Muttergesellschaft auf das Verhalten ihrer Töchter. Denn durch den einheitlichen Einfluß wird weder die Handlungsfreiheit der Tochtergesellschaften im Verhältnis zueinander noch die Handlungsfreiheit der GU im Verhältnis zu den Müttern eingeschränkt. Vielmehr nutzen nur die Muttergesellschaften ihre Kontrollmöglichkeiten. Daß die Gründung mehrerer GU durch dieselben Mütter in diesen Fällen - das heißt, solange nicht Verhalten außerhalb des GU koordiniert wird - ein Konzentrationssachverhalt ist, ergibt sich auch daraus, daß es oft eine schlichte Frage der Praktikabilität und des Umfangs der Vergemeinschaftung ist, ob ein oder mehrere GU gegründet werden. bb) Netze von Gemeinschaftsunternehmen mit teilweise verschiedenen Partnern Etwas anderes gilt unter Umständen, wenn ein Gründer mit verschiedenen Partnern mehrere GU gründet. Die Kommission hatte vor Inkrafttreten der FKVO einen solchen Fall zu entscheiden96 . Ein Unternehmen (Corning) war an mehreren auf einem einheitlichen sachlichen Markt tätigen GU mit jeweils anderen Partnern beteiligt. Nach Ansicht der Kommission lag eine Wettbewerbsbeschränkung zwischen den Tochtergesellschaften vor, da Corning das Marktverhalten der GU beeinflussen könne97 .

94 Kommission, 6. 2. 1991 -BaxterlNestle/Salvia, WuWIE EV 1579, 1581 (Nr.9, 2. Spiegelstrich). 95 VgI. zu der Bedeutung von GU-Netzen bei kooperativen GU Kommission, Bekanntmachung über kooperative GU, Nr. 28. 96 Kommission, 14. 7. 1986 - Optical Fibres, ABI. 1986 L 236/30. 97 Kommission, 14. 7. 1986 - Optical Fibres, ABI. 1986 L 236/30, 37 (Nm. 48 fI.); kritisch zu dieser Annahme Pathak. ECLR 1991, 171, 178 f.

D. Anwendbarkeit des Art. 85 EGVaufKonzentrationssachverhalte

241

Der Kommission ist darin zu folgen, daß in solchen Fällen eine Wettbewerbsbeschränkung vorliegen kann. Ihre Begründung überzeugt jedoch nicht. Der einheitliche Einfluß Cornings beschränkt nicht die Handlungsfreiheit der GU im Verhältnis zueinander. Das gilt unabhängig davon, ob der Einfluß kontrollbegTÜndenden Umfang hatte oder nicht. Denn in jedem Fall nutzt nur die Muttergesellschaft ihre einheitlichen Kontrollmöglichkeiten. Die Tochtergesellschaften selbst begeben sich nicht der Möglichkeit, sich unabhängig voneinander zu verhalten. Beschränkt wird jedoch die Handlungsfreiheit der jeweiligen GU-Partner, wenn die Zusammenarbeit mit Corning es mit sich bringt, daß das Verhalten von Corning in einem GU und das Verhalten des GU-Partners im anderen GU abgestimmt werden. 5. Anwendbarkeit des Art. 85 Abs. 1 EGV auf den Erwerb von Minderheitsbeteiligungen Nach der oben so genannten Fallgruppe 11 des EuGH kann ein Anteilserwerb eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 85 I EGV mit sich bringen, wenn der Anteilserwerb die beteiligten Unternehmen zwangsläufig dazu veranlaßt, bei der Festlegung ihrer Geschäftspolitik den Interessen der jeweils anderen Partei Rechnung zu tragen. Unklar ist, ob der EuGH mit den beteiligten Unternehmen die Muttergesellschaften von RI (RH und PM), oder, wofür die Bezugnahme auf das klägerische Vorbringen spricht98 , PM und das Zielunternehmen RI meint. Der EuGH prüft dann aber erstens, ob die Firma Rembrandt (Muttergesellschaft von RH und RI) bei der Bestimmung der Geschäftspolitik von RI Rücksicht auf die Interessen von PM nehmen werde. Der EuGH verneint das mit der Begründung, die Machtposition von PM innerhalb von RI sei zu gering, um das Verhalten der Firma Rembrandt innerhalb von RI zu beeinflussen99 . Zweitens prüft der EuGH, ob PM in seinem Wettbewerbsverhalten gegenüber RI Rücksicht nehmen werde. Er verneint auch dies, weil es das oberste Bestreben von PM sei, seinen eigenen Marktanteil auszubauen und zu vergrößern100 . Der Erwerb einer Minderheitsbeteiligung kann für Art. 85 EGV nur von Bedeutung sein, wenn der Minderheitsbeteiligte eine über die reine Finanzbe98 EuGH, 17.11.1987 -BAT und ReynoldslKornmission, Slg. 1987,4566,4579 (Nr. 48) und 4575 (Nr. 32); austUhrlieh zu dieser Frage Kronast, S. 42, 52 ff. 99 EuGH, 17. 11. 1987 - BAT und ReynoldsIKornmission, Slg. 1987, 4566, 4579 (Nr. 49). 100 EuGH, 17. 11. 1987 - BAT und ReynoldsIKommission, Slg. 1987, 4566, 4580 (Nr. 50). 16 Pohlmann

242

2.Teil: Die Entstehung des Unternehmens verbundes

teiligung hinausgehende Stellung, also besondere Infonnations- oder Mitwirkungsrechte, hat lOl . Andernfalls ist es nicht denkbar, daß die Vereinbarung über die Beteiligung sich auf den Wettbewerb auswirkt. Im übrigen gelten beim Erwerb minderheitlichen Einflusses dieselben Grundsätze wie bei dem Erwerb gemeinsamer Kontrolle. Entsteht die Minderheitsbeteiligung infolge der Neugründung eines Unternehmens, also durch Vereinbarung der Gesellschafter des neuen Unternehmens, liegt eine Vereinbarung zwischen Unternehmen vor. Daß diese eine Wettbewerbsbeschränkung mit sich bringt, ist möglich lO2 . Zu betonen ist, daß nicht der Anteilserwerb als solcher, sondern die Vereinbarung über die Zusammenarbeit mittels Beteiligung den Sachverhalt dem Art. 85 EGV unterwirfe 03 . Eine Wettbewerbsbeschränkung kann vorliegen, wenn die Zusammenarbeit im betreffenden Unternehmen dazu fuhrt, daß das Verhalten der Beteiligten außerhalb des Unternehmens koordiniert wird oder daß das Verhalten eines Beteiligten außerhalb des Unternehmen und das Verhalten des anderen im Unternehmen koordiniert werden. Die bloße Tatsache, daß die Minderheitsbeteiligung eine Verhaltenskoordination ennöglichen oder entbehrlich machen kann104, genügt nicht. Beim nachträglichen Anteilserwerb kann zudem das Vorliegen einer Vereinbarung zwischen Unternehmen problematisch sein. Hierzu gilt das oben zu den GU Gesagte entsprechend. 6. Anwendbarkeit des Art. 85 Abs. 1 EGV auf den Erwerb wechselseitiger Beteiligungen Der Erwerb wechselseitiger Beteiligungen kann dazu fuhren, daß beide Zielunternehmen von beiden Erwerbern kontrolliert werden 105. Das ist der Fall, wenn paritätische, jeweils kontrollbegründende Entscheidungsstrukturen geschaffen werden, sei es durch die Höhe der Beteiligungen, sei es durch Vereinbarungen über die einverständliche Stimrnrechtsausübungl06 oder sonstige 101 Siehe z. B. Kommission, 20. 9. 1995 - RTLNeronicalEndemol, ABI. 1996 L 134/32,49 (Nm. 100 f). 102 Stein, S. 200 11; Immenga, FS Benisch, S. 327, 332; Steindorff, FS Rittner, S. 675,683. 103 Ebenso MontaglDohms, WuW 1993, 93, 97 f; Monopolkommission, SG 17, S. 29 f (Nr. 31). 104 So Harms, in Gemeinschaftskommentar § 24 Rn. 77. 105 Mestmäcker, Verwaltung S. 114 f; s. auch das von Großfeld, S. 101, genannte Beispiel Unilever (mittelbare wechselseitige Beteiligungen, personelle Verflechtungen und Gleichordnungsvertrag). 106 Mestmäcker, Verwaltung S. 1141'.; Koppensteiner, in: Kölner Kommentar, § 19

Rn. 3.

D. Anwendbarkeit des Art. 85 EGV aufKonzentrationssachverhalte

243

Mitentscheidungsrechte lo7 . Für diesen Fall gelten die Ausführungen zu oben 4 entsprechend. Beim Enverb wechselseitiger Minderheitsbeteiligungen ohne Kontrolle ist es zumindest theoretisch denkbar, wenn auch praktisch seltenl08 , daß dieser ohne entsprechende Vereinbarung der betroffenen Unternehmen zustand kommt. Dann ist Art. 85 EGV unanwendbar, weil keine Vereinbarung zwischen Unternehmen vorliegt oder weil keine Kausalität zwischen der Vereinbarung und der Wettbewerbsbeschränkung vorliegt. Beruht der wechselseitige Anteilsenverb auf einer Vereinbarung der betroffenen Unternehmen, greift Art. 85 EGV ein, wenn mit der Vereinbarung eine Wettbewerbsbeschränkung bewirkt oder bezweckt wird. So kann die Einräumung wechselseitiger Informationsrechte zu einer Beschränkung der Handlungsfreiheit führen. Häufig gehen mit dem Beteiligungsenverb ausdlÜckliche Kooperationsvereinbarungen einher l 09. Solange mit der Beteiligung selbst keine besonderen Informations- oder Mitwirkungsrechte verbunden sind, verstößt dann nur die Kooperationsvereinbarung gegen Art. 85 Abs. 1 EGY. Werden nur Minderheitsbeteiligungen ausgetauscht, mit denen keine über den typischen Minderheitenschutz hinausgehenden Informations- oder Mitwirkungsrechte verbunden sind, liegt ein Verstoß gegen Art. 85 EGV nicht vor. Zwar sind die möglichen wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen insofern stärker als bei einseitigen Beteiligungen, als beide Seiten motiviert sein könnten, im Wettbewerb auf den jeweils anderen Rücksicht zu nehmen11o . Allein deshalb, weil lediglich das Interesse abnimmt, dem anderen Wettbewerb zu machen, führt der Beteiligungsenverb jedoch nicht zu einer Beschränkung der Handlungsfreiheit. Hierdurch wird der Wettbewerb nicht im Sinne von Art. 85 EGV beschränke II .

107 A. A. Karl, S. 178, der gemeinsame Kontrolle schon annimmt, wenn die Nichtberücksichtigung der Interessen des jeweils anderen Gesellschafters zur Selbstschädigung führt. 108 Kerstin Schmidt, S. 44. 109 Kerstin Schmidt, S. 44. 110 AustUhrlich Kerstin Schmidt, S. 105 fr., 110 f. III S. o. m4 b bb, S. 227; a. A. Kerstin Schmidt, S. 149 tr. unter Berufung auf das Philip Morris-Urteil.

16*

244

2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

V. Ergebnis zu D. Art. 85 EGV ist nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck sowie Rechtsfolgen nicht dazu geeignet, reine Konzentrationsvorgäp.ge zu erfassen. Abgesehen von anderen problematischen Tatbestandsmerkmalen fehlt es in diesen Fällen an einer Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 85 EGV. Eine Wettbewerbsbeschränkung setzt voraus, daß die Handlungsfreiheit eines der an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen beschränkt wird. Das ist bei rein konzentrativen Sachverhalten nicht der Fall.

Dagegen erfaßt Art. 85 EGV unter bestimmten Voraussetzungen Sachverhalte aus dem fließenden Übergangsstadium zwischen Konzentration und Kooperation, wie den Erwerb gemeinsamer Kontrolle und den Erwerb minderheitlichen Einflusses. In beiden Fällen ist Art. 85 EGV aber nur anwendbar, wenn der Erwerb des Einflusses durch Vereinbarung zwischen den späteren Einflußinhabern erfolgt und wenn mindestens ein Beteiligter durch die Zusammenarbeit im Zielunternehmen in seiner unternehmerischen Handlungsfreiheit beschränkt wird. Das ist nur der Fall, wenn durch die vereinbarte Zusammenarbeit im Zielunternehmen als solche Tätigkeiten eines Beteiligten außerhalb des Zielunternehmens und das Verhalten eines anderen Beteiligten im Zielunternehmen koordiniert werden oder wenn nur Tätigkeiten außerhalb des Zielunternehmens koordiniert werden. Die Gefahr künftiger Verhaltenskoordination allein wird von Art. 85 EGV nicht erfaßt. Erforderlich ist, daß die Verhaltenskoordination bezweckt oder bewirkt wird. Ebensowenig fällt der Erwerb von Beteiligungen unter Art. 85 EGV, wenn die restlichen Anteile sich in nicht unternehmerischem Streubesitz befinden. Denn dann ist kein weiteres Unternehmen am Zielunternehmen beteiligt, mit dem Verhalten koordiniert werden könnte. Hieraus ergibt sich, daß Art. 85 EGV Sachverhalte zwischen Konzentration und Kooperation nur unzureichend erfaßt. Entsprechend seinem Sinn und Zweck erfaßt Art. 85 EGV nur Gefahren für den Wettbewerb, die aus vereinbartem oder abgestimmtem gemeinsamen Vorgehen entstehen. Gefahren aus dem Hinzugewinn an Verfügungsmacht über Ressourcen erfaßt Art. 85 EGV als solche nicht. Das spricht dafür, Sachverhalte im Grenzbereich zwischen Konzentration und Kooperation zusätzlich der Fusionskontrolle zu unterwerfen. Die Fusionskontrolle ist geeignet, Gefahren aus dem Hinzugewinn an Verfügungsmacht über Ressourcen, insbesondere Gefahren aus Anteilserwerb, zu erfassen. Derzeit erfaßt die FKVO mit dem Tatbestand des Kontrollerwerbs jegliche Art des Anteilserwerbs, die zur Entstehung von GU führt. Die materielle Bewertung nach Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 erlaubt es, auch die bloße Gefahr künftiger

E. Keine Marktstrukturkontrolle nach Art. 86 EGV

245

Zusammenarbeit zu berucksichtigen. Denn die Erleichterung von Kooperationen erweitert den Verhaltensspielraum der Beteiligten. Ob eine Kooperation wahrscheinlich oder weniger wahrscheinlich ist, ist im Rahmen von Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 unerheblich. Daß die FKVO diese Sachverhalte besser erfaßt als Art. 85 EGV, wird auch darin deutlich, daß die Kommission in ihrer Praxis den Anwendungsbereich der FKVO auf GU erheblich ausgedehnt hat. Aber auch um die vielfältigen Gefahren für den Wettbewerb zu erfassen, die aus Minderheitsbeteiligungen resultierenll2, ist die Fusionskontrolle der richtige Wegll3 . Es ist zu erwägen, den Zusammenschlußtatbestand der FKVO um die Minderheitsbeteiligungen zu erweitern, etwa mit einer dem § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB vergleichbaren Regelung. Dann müßte auch der Unternehmensbegriff der FKVO erweitert werden. Wenn ein Minderheitsbeteiligter ein Unternehmen erwirbt, müßte das ebenso kontrolliert werden wie der umgekehrte Fall. Inwieweit man den Erwerb von Minderheitsbeteiligungen für kontrollbedürftig hält, ist eine wettbewerbspolitische Frage.

E. Keine Marktstrukturkontrolle nach Art. 86 EGV I. Art. 86 EGV als Marktverhaltenskontrolle Das Verbot des Mißbrauchs marktbeherrschender Stellungen in Art. 86 EGV ist Instrument der Marktverhaltenskontrolle. Die Vorschrift beruht auf der wettbewerbstheoretischen Erkenntnis, daß bestimmte Verhaltensweisen erst in bestimmten Marktstrukturen wettbewerbsbeschränkend sind *. Die in Art. 86 EGV vorausgesetzte marktbeherrschende Stellung ist daher nicht selbst Gegenstand der Kontrolle, sondern nur Voraussetzung für die Verhaltenskontrolle.

112 Ausfilhrlich z. B. Fischer, S. 145 fT. sowie die Begründung des BKartA, 16. 9. 1977, AG 1978, 109, III f. 113 Vgl. oben B VIII, S. 183 ff zu den Ansätzen der Kommission, Minderheitsbeteiligungen als Kontrollerwerb anzusehen (z. B. durch Annahme gemeinsamer Kontrolle ohne Blockadeposition des einzelnen); siehe auch Niederleithinger, FS Quack, S. 645 , 649, der diese Entscheidungspraxis bereits 1991 prognostiziert hat. Gegen die Kontrollbedürftigkeit von Minderheitsbeteiligungen etwa Knöpfle, Problematik, S. 69

fT.

* Vgl. Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 204 ff.

246

2.Teil: Die Entstehung des Untemehmensverbundes

11. Art. 86 EGV als Marktstrukturkontrolle? Ob auch eine Veränderung der Marktstruktur ein mißbräuchliches Verhalten im Sinne von Art. 86 EGV sein kann, ist seit Jahrzehnten umstritten!. Der EuGH bejahte diese Frage in der Continental Can-Entscheiduni. Es schloß sich eine wenig schlagkräftige Zusammenschlußkontrolle durch die Kommission an3 . Da Art. 86 EGV als unmittelbares Verbot auch von nationalen Gerichten zu beachten ist, gab es vereinzelt auch nationale Fusionskontrollentscheidungen nach Art. 86 EGy4. In jüngster Zeit ist die Diskussion hierüber zur Ruhe gekommen. Mit Erlaß der FKVO trat die Frage in den Vordergrund, inwieweit neben der FKVO Art. 86 EGV noch anwendbar bleibt5 • Das hängt aber wiederum davon ab, ob und inwieweit man Art. 86 EGV auf Veränderungen der Marktstruktur für anwendbar hält. Nach hier vertretener Ansicht ermöglicht Art. 86 EGV keine Marktstrukturkontrolle.

1. Wortlaut, Sinn und Zweck Unter den Wortlaut des Art. 86 EGV lassen sich Konzentrationsvorgänge nur subsumieren, wenn mindestens ein marktbeherrschendes Unternehmen beteiligt ist und wenn man trotz des Tatbestandsmerkmals der "Ausnutzung" ! DafiIr z. B. Kommission, Konzentrationsmemorandwn, Nm. 16 - 27; dies., 9.12.1971 -Continental Can, WuWfE EV 353; Mestmäcker, FS Hallstein, S.322, 342 ff.; Schulte, S. 1 ff., 171 fT.; dagegen z. B. Hefermehl, FS Nipperdey Bd. II, S. 771 fT.; H. Axster, WuW 1971, 758 fT. 2 EuGH, 21. 2. 1973 - Europemballage und Continental Can, Slg. 1973, 215 ff. 3 Kommission, - FiatlKlöckner-Hwnboldt-Deutz, 5. WB (1975), Nr. 83; - GKN/ Sachs, 6. WB (1976), Nm. 181 f; -Miche1in1Actor, -AVEBEIKSH, -PSA PeugeotCitroeniChrysler, 8. WB (1978); - KaiserfEste1, - Coats Patons/Gütermann, - Fichte1 & Sachs/Hurek; 9. WB (1979), Nm. 131 - 133; -PilkingtonIBSN Gervais-Danone, Miche1in1Kleber-Colombes, - Baxter Travenol Laboratories/Smith KIine RlT, 10. WB (1980), Nm. 152 ff., 156, 157; - AmiconIFortia und Wright, 11. WB (1981), Nr. 112; - Eagle Star/Allianz Versicherung, - British SugarlBerisford, 12. WB (1982), Nm. 103 ff.; Berisford/Napier Brown, 13. WB (1983), Nr. 166; Ashland OiVCabot, Pont-a-MoussoniStanton & Stave1ey, 14. WB (1984), Nm. 109 f; - British Airways/British Caledonian, 18. WB (1988), Nr. 81; - Consolidated Golf FieldslMinorco, - CarnaudIMetal Box, 19. WB (1989), Nm. 68, 69; - Metaleurop, 20. WB (1990), Nr. 117; 10. 11. 1992 - Warner LambertlGillette und - BIC/Gillette, ABI. 1993 L 116, 21,27 fT. (Nm. 22 fT.); nach Cook/Kerse (1. Aufl.), S. 136 hat die Kommission jährlich etwa 12 - 20 Zusammenschlüsse nach Artt. 85,86 EGV geprüft. 4 Siehe das von Raybold/Firth, S. 358 erwähnte Beipie1 aus der schottischen Rechtsprechung. 5 Dagegen z. B. K. Schmidt, BB 1990, 719, 721 f; vorsichtiger Kurz, S. 86 ff.; ähnlich Miersch, S. 184; Schröter, in: von der GroebenfThiesingfEhlermann, Art. 86 Rn. 219 fr.; dafür Kögel, S. 40 f.; Deimel, S. 75 f, 116 fT.; Kerstin Schmidt, S. 163; Sauter, FS Deringer, S. 371, 376 fT.; Mestmäcker, FS Raisch, S. 441,454.

E. Keine Marktstrukturkontrolle nach Art. 86 EGV

247

der marktbeherrschenden Stellung keine Kausalität zwischen Marktbeherrschung und Mißbrauch verlangt6. Nach seinem Sinn und Zweck ist Art. 86 EGV keine Norm zur Kontrolle von Marktstrukturen. Art. 86 EGV soll Verhaltensweisen erfassen, die nur deshalb wettbewerbsbeschränkend oder in gesteigerter Weise wettbewerbsbeschränkend sind, weil sie innerhalb bestimmter Marktstrukturen vorgenommen werden? Dieser Sinn und Zweck deckt keine Marktstrukturkontrolle. Denn diese darf nicht auf die vor der Marktstrukturänderung bestehenden Marktstrukturen abstellen, sondern allein auf die entstehenden Marktstrukturen. Die Entstehung einer bestimmten Marktstruktur ist nicht deshalb besonders wettbewerbsgefährdend, weil sie unter Beteiligung eines Marktbeherrschers erfolgt. Für die Beurteilung der Marktstruktur ist es unerheblich, ob zwei nicht marktbeherrschende Unternehmen mit je 40% Marktanteil sich zusammenschließen oder ob ein Marktbeherrscher mit 60% Marktanteil den nächstgrößten Wettbewerber mit 20% Marktanteil erwirbt. Eine Marktstrukturkontrolle nach Art. 86 EGV würde daher gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, weil sie nur marktbeherrschende Unternehmen träfe. Denn es gibt keinen sachlichen Grund dafür, einem marktbeherrschenden Unternehmen einen Erwerb wegen der entstehenden Marktstruktur zu untersagen, einem Unternehmen knapp unterhalb der Beherrschungsgrenze einen zu derselben Marktstruktur führenden Erwerb dagegen zu gestatten8 . Dagegen läßt sich nicht einwenden, dann sei Art. 86 EGV eben analog anzuwenden, wenn ein nicht marktbeherrschendes Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung erwirbt9 . Denn mit dieser Analogie würde man sich von der wettbewerbstheoretischen Basis des Art. 86 EGV vollständig lösen.

6 So Bellamy/Child, Rn. 9-045; Mestmäcker, FS Raisch, S. 441, 457 f; für den Beispielstatbestand des Art. 86 S. 2 lit. c Gleiss/Hirsch, 3. Aufl., Art. 86 Rn. 57; a. A. (Kausalität immer erforderlich) Kurz, S. 69 f; Koch, in: GrabitzlHilf, Art. 86 Rn. 45 f; im Grundsatz einen Zusammenhang zwischen beherrschender Stellung und Mißbrauch verlangen der EuGH, 14.11.1996 -Tetra PaklKommission (=Tetra Pak 11), Slg. 1996 I 5951,6006 tT. (Nm. 21 - 33), allerdings mit Zugeständnissen bei verbundenen Märkten. Siehe dazu Artlvan Liedekerke, CMLRev. 1997, 895, 930 f; Korah, ECLR 1997, 98 ff 7 S. o. AI, S. 88 ff. S VgI. K. Schmidt, BB 1990, 719, 721 f, der hierin vor allem ein rechtspolitisches Defizit sieht; rechtspolitische Bedenken hat auch Kurz, S. 83 ff.; die Kommission hat eine Fusionskontrolle auch in Fällen erwogen, aber abgelehnt, in denen keiner der Zusammenschlußbeteiligten vorher eine marktbeherrschende Stellung innehatte, z. B. Kommission, 26. 6. 1990 - Metaleurop, ABI. 1990 L 179/41,42 f 9 Gegen eine Anwendung des Art. 86 EGV in diesen Fällen auch Monopolkommission, SG 17, S. 27 (Nr. 27,1. Spiegelstrich).

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

Nach Sinn und Zweck des Art. 86 EGV kann ein Mißbrauch daher nicht in der Schaffung einer bestimmten Marktstruktur gesehen werden. 2. Entstehungsgeschichte Für die Entstehungsgeschichte gelten hinsichtlich des Spaak-Berichts die oben zu Art. 85 EGV gemachten Ausführungen für Art. 86 EGV gleichermaßen. Der ältere EGKSV enthält im übrigen Kartellverbot (Art. 65), Verbot des Machtmißbrauchs (Art. 66 § 7) und Zusammenschlußkontrolle (Art. 66 §§ I 6), so daß nicht anzunehmen ist, die vertragsschließenden Parteien hätten im EGV die Marktstrukturkontrolle über Art. 86 EGV in den Vertrag aufnehmen wollen. 3. Rechtsfolgen Auch die Rechtsfolgen, die eine Marktstrukturkontrolle nach Art. 86 EGV zur Folge hätte, sind unpassend. Eine wegen der Schwierigkeiten der Entflechtung von Zusammenschlüssen einzig sinnvolle Präventivkontrolle ist nicht möglich1o, das Opportunitätsprinzip bei Art. 86 EGV wäre ein Einfallstor industriepolitischer Marktstrukturkontrollell , das ausnahmslose Verbot des Art. 86 EGV ist zu weitreichend l2 und das Negativattest nach Art. 2 VO 17 wird wegen des fehlenden Legalisierungseffektes dem Interesse der Zusammenschlußbeteiligten an Rechtssicherheit nicht gerecht l3 . Außerdem fehlen Entflechtungsregeln. 4. Zwischenergebnis Art. 86 EGV ermöglicht nach Wortlaut, Sinn und Zweck, Enstehungsgeschichte und Rechtsfolgen keine Marktstrukturkontrolle. Das bedeutet nicht, daß marktstrukturändernde Sachverhalte nicht unter anderen Aspekten dem Art. 86 EGVunterfallen können l4 .

Näher zur Unmöglichkeit einer Präventivkontrolle nach der VO 17 Kurz, S. 81 Kurz, S. 85. 12 Generalanwalt Roemer im Continental Can-Fall, Slg. 1973, 252, 257. 13 Generalanwalt Roemer im Continental Can-Fall, Slg. 1973, 252, 256. 14 S. unten III, S. 252 t1 10 11

tr

E. Keine Marktstrukturkontrolle nach Art. 86 EGV

249

5. Continental Can-Urteil a) Wesentliche Aussagen des EuGH

Im Continental Can-Fall erwarb Continental Can (CC) über eine Tochtergesellschaft die Mehrheit an dem Wettbewerber Thomassen & DrijverVerblifa (TDV). Die Kommission sah hierin einen Verstoß gegen Art. 86 EGV. Der EuGH folgte ihr darin, daß Art. 86 EGV anwendbar sei. Er hob die Entscheidung dennoch wegen Mängeln bei der Marktabgrenzung und bei dem Nachweis des Fehlens potentiellen Wettbewerbs auf. Nach Ansicht des EuGH kann ein mißbräuchliches Verhalten vorliegen, wenn ein Unternehmen in beherrschender Stellung diese derart verstärkt, daß der erreichte Beherrschungsgrad den Wettbewerb wesentlich behindert, daß also nur noch Unternehmen auf dem Markt bleiben, die in ihrem Marktverhalten von dem beherrschenden Unternehmen abhängen15 . In diesem Fall komme es auf die Kausalität zwischen der Marktbeherrschung und dem Mißbrauch nicht an16 . Zur Begründung fuhrt der EuGH an, daß (1) die Unterscheidung von Struktur- und Verhaltenskontrolle nicht zwingend sei l7 ,

(2) man nicht unterstellen könne, der Vertrag habe in Art. 85 EGV den Wettbewerb beeinträchtigende Verhaltensweisen verbieten, in Art. 86 aber den Wettbewerb ausschließende Zusammenschlüsse erlauben wollen; eine nach Art. 85 EGV unzulässige Wettbewerbsbeeinträchtigung könne nicht dadurch zulässig werden, daß sie zu einem Zusammenschluß fiihre 18 , (3) Art. 3 lit. g EGV19 fordere, daß der Wettbewerb innerhalb des gemeinsamen Marktes nicht ausgeschaltet werden dürfe; dasselbe ergebe sich aus Art. 85 Abs. 3 lit. b EGV20,

15

EuGH. 21. 2.1973 - Europemballage Wld Continental Can, Slg. 1973,215,246

16

EuGH. 21. 2.1973 -Europemballage Wld Continental Can, Slg. 1973,215,246

17

EuGH. 21. 2. 1973 - Europemballage Wld Continental Can, Slg. 1973, 215, 244

18

EuGH. 21. 2.1973 -Europemballage Wld Continental Can, Slg. 1973,215,245

(Nr. 26). (Nr. 27). (Nr.21).

(Nr. 25).

Damals Art. 3 lit. fEGV. EuGH. 21. 2. 1973 - Europemballage und Continental Can, Slg. 1973, 215, 244 f (Nm. 23 - 25) 19

20

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2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

(4) Art. 86 S. 2 litt. c und d EGV auch Eingriffe in die Struktur des tatsächlichen Wettbewerbs erfaßten21 .

b) Stellungnahme

Die Argumentation des EuGH ist schon methodisch unklar. Die Grenzen zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung verschwimmen. Unterstellt man, wofür einige Passagen in den Urteilsgründen sprechen, der EuGH wolle bereits durch Auslegung des Art. 86 EGV zur Marktstrukturkontrolle kommen, so können die Argumente des Gerichts nicht überzeugen. Die fehlende Notwendigkeit, Strukturkontrolle und Verhaltenskontrolle zu unterscheiden, wird damit begrundet, daß Strukturveränderungen VOn Unternehmen sich ebenso auf die Marktverhältnisse auswirken könnten wie Verhaltensweisen22 . Diese These ist aus wettbewerbstheoretischer Sicht jedenfalls für reine Konzentrationssachverhalte wie den hier in Rede stehenden Mehrheitserwerb falsch. Gerade in ihren Auswirkungen auf die Wettbewerbsverhältnisse können sich reine Konzentrationssachverhalte vom Marktverhalten unterscheiden. Bei einem reinen Konzentrationssachverhalt ist die Verschlechterung des Wettbewerbs nur eine Möglichkeit, während der Mißbrauch von Marktmacht den Wettbewerb immer beeinträchtigt23. Auf demselben Mißverständnis von den Gefahren durch Konzentration und durch Kooperation beruht das zweite Argument, wonach die Ausschaltung VOn Wettbewerb durch einen Zusammenschluß als Steigerung gegenüber der Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 85 EGV angesehen wird. Die Ausschaltung VOn Wettbewerb durch Zusammenschluß ist nach Sinn und Zweck des Art. 85 EGV nicht ein Mehr, sondern ein Aliud gegenüber der Wettbewerbsbeschränkung24 . Der Erst-recht-Schluß des EuGH greift daher nicht. Auch die Verallgemeinerung VOn Art. 85 Abs.3 lit. b EGV trägt nicht. Art. 85 Abs. 3 lit. b EGV ermöglicht es zwar, marktstrukturelle Aspekte zu berucksichtigen. Die Regelung bezieht sich aber nur auf die Freistellung an sich verbotener Vereinbarungen über Marktverhalten. Daß hierbei auch die Marktstruktur in die Beurteilung einfließt, ist kein Argument dafür, daß Art. 86 EGV eine Marktstrukturkontrolle ermöglicht. Der vom EuGH be-

21 EuGH, 21. 2. 1973 - Europemballage und Continental Can, Slg. 1973, 215, 246

(Nr.26).

22 EuGH, 21. 2.1973 -Europemballage und Continental Can, Slg. 1973,215,244 (Nr.21). 23 Ähnlich Generalanwalt Roemer zum Fall Continental Can, Slg. 1973,252, 256. 24 Siehe oben D m4 b cc, S. 227 ff.

E. Keine Marktstrukturkontrolle nach Art. 86 EGV

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hauptete Widerspruch, der angeblich zwischen Artt. 85 und 86 EGV bestünde, ließe man wettbewerbsausschließende Zusammenschlüsse ZU25, existiert nicht. Ebensowenig vermag das Argument zu überzeugen, daß Art. 86 in S. 2 litt. c und d Eingriffe in die Wettbewerbsstruktur erfasse. Lit. c sieht in der Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen einen möglichen Mißbrauch, lit. d in Koppelungsgeschäften. Selbst wenn man annimmt, daß z. B. Koppelungsgeschäfte tatsächlich die Marktstruktur verändern, weil sie jemanden zum Nachfrager eines Gutes machen, das er sonst nicht nachfragen würde oder weil er als Nachfrager für andere Anbieter wegfällt, bedeutet das nicht, daß nach Art. 86 EGV die veränderte Marktstruktur der Kontrolle unterfi.ele. Für die Mißbräuchlichkeit ist der Marktanteil, den die Koppelung erfaßt, allenfalls hinsichtlich der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung von Bedeutung; außerdem wiegt ein umfassender Mißbrauch schwerer. Die Mißbräuchlichkeit selbst und damit das Verbot hängen von dem Grad der Marktstrukturänderung nicht ab 26 . Es bleibt als letztes das Argument aus Art. 3 lit. g EGV. Art. 3 lit. g EGV ist zwar nicht nur bloßer Programmsatz27 , sondern Auslegungs- und Anwendungsmaßstab für alle Vorschriften des EGV28 . Eine Auslegung, die ein Hinwegsetzen über die wettbewerbspolitische Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine Marktstrukturkontrolle zum Inhalt hat, läßt sich mit Art. 3 lit. g EGV aber nicht begründen. Dem EuGH ist also nicht darin zu folgen, daß die Auslegung des Art. 86 EGV ergibt, die Norm könne Grundlage einer Marktstrukturkontrolle sein. Nach dem hier unter 4?9 gefundenen Ergebnis kann es sich bei der Entscheidung des EuGH nur um Rechtsfortbildung handeln. Möglicherweise war aus damaliger Sicht eine Lückenfiillung im Wege der Analogie zu Art. 86 EGV möglich. Fraglich ist jedoch, ob der EGV aus damaliger Sicht überhaupt lückenhaft war. Da die Vertragsparteien des EGV bewußt keine Marktstrukturkontrolle vorgesehen haben, liegt eine anfangliche planwidrige Lücke nicht vor. Aber auch eine nachträgliche Lücke des Vertrages kann man nicht annehmen. Denn das setzt voraus, daß aufgrund der tatsächlichen Entwicklung Fragen auftau25 E uGH, 21. 2. 1973 - Europemballage und Continental Can, Slg. 1973, 215, 245 f. (Nr. 25). 26 Das ist bei Art. 85 EGV anders, wo über Verbot oder Freistellung die Marktstruktur mitentscheidet. 27 Grabitz, in: GrabitzlHilf, Art. 3 Rn. 1; Schulte, S. 94 fI. 28 EuGH, 22. 1. 1974 - ICI-CSClKommission, Slg. 1974, 223, 254 (Nr. 32); Grabitz, in: GrabitzlHilf, Art. 3 Rn. 2. 29 Siehe S. 248.

252

2.Teil: Die Entstehung des Unternehmensverbundes

ehen, die nach dem Gesetzeszweck der Regelung bedürften, die der Gesetzgeber aber noch nicht gesehen hat. Der europäische Gesetzgeber hat sich jedoch bewußt gegen eine Marktstrukturkontrolle entschieden. Eine nachträgliche Lücke des EGV läßt sich daher nicht damit begründen, daß zur Zeit der Entstehung des EGV die Problematik der Unternehmenskonzentration noch nicht so brisant war und erst die fortschreitende Konzentration das Fehlen einer Marktstrukturkontrolle in den Wettbewerbsregeln spürbarer werden ließ. Die zunehmende Konzentration ließ den EGV vor Erlaß der FKVO insofern nur aus rechtspolitischer Sicht als verbesserungsbedürftig erscheinen. Als letzte Möglichkeit bleibt die über den Vertrag hinausgehende Rechtsfortbildung. Diese findet ihre Grenze jedoch dort, wo es um die politische Gestaltung der in Artt. 2, 3 EGV genannten Vertragsziele geht; diese obliegt nicht dem EuGH30 . Diese Grenze läßt sich nicht ganz mit der Grenze gleichsetzen, die den Zuständigkeitsbereich nationaler Gerichte gegenüber dem nationalen Gesetzgeber z. B. in Deutschland trennt. Denn wegen der Schwerfälligkeit und Kompliziertheit des Rechtssetzungsverfahrens in der EG kann der EuGH weiter in den Bereich der Gesetzgebung eingreifen. Dennoch konnte der EuGH die rechtspolitische Entscheidung für eine Marktstrukturkontrolle nicht treffen. Eine wettbewerbstheoretischen Erkenntnissen sowie dem wettbewerbspolitischen Willen der Mitgliedsstaaten entsprechende, systematische und dem Gleichheitsgrundsatz genügende Marktstrukturkontrolle bedurfte detaillierter Regelungen. Sie zu etablieren setzte Informationen voraus, die der EuGH nicht hatte. Eine so weitgehende Rechtsfortbildung war unzulässig. Aber selbst wenn man hier anderer Ansicht ist und eine solche Rechtsfortbildung etwa auf der Grundlage der Artt. 86, 85 Abs. 3 lit. b, 3 lit. g EGV für zulässig hält, wäre dieser Rechtsfortbildung mit Erlaß der FKVO die Grundlage entzogen. Denn es gibt damit eine gesetzliche Regelung, so daß die Rechtsfortbildung durch den EuGH gegenstandslos wird. Das gilt auch für Zusammenschlüsse unterhalb der Umsatzschwellen der FKVo. Denn hier hat der Verordnungsgeber sich bewußt gegen eine Marktstrukturkontrolle entschieden; Raum für Rechtsfortbildung besteht nicht mehr.

IH. Marktverhaltenskontrolle nach Art. 86 EGV bei Konzentrationssachverhalten Die Frage, ob Art. 86 EGV eine Marktstrukturkontrolle ermöglicht, ist nicht zu verwechseln mit der Frage, ob Art. 86 EGV eine Marktverhaltens30 Pernice, in: GrabitzlHilf, Art. 164 Rn. 22; siehe auch von Winteifeld, RIW 1988, 958,961 (zu Philip Morris und Continental Can).

E. Keine Marktstrulcturkontrolle nach Art. 86 EGV

253

kontrolle bei Konzentrationssachverhalten ennöglicht. Im letztgenannten Fall geht es darum, ob eine Marktstrukturänderung wegen der Art und Weise ihres Zustandekommens, nicht wegen der von ihr geschaffenen Marktstruktur, gegen Art. 86 EGV verstößt. 1. Reine KODZentrationssachverhalte Bei reinen Konzentrationssachverhalten, wie dem Erwerb eines Unternehmens, kann es mißbräuchlich sein, wenn der Erwerber mittels seiner Marktmacht Konditionen durchsetzt, die fiir den Veräußerer nachteilig sind. Das kann z. B. durch Drohungen mit Verdrängungswettbewerb geschehen. Praktisch sind solche Fälle, soweit ersichtlich, noch nicht geworden. Theoretisch denkbar wäre es auch, daß ein Unternehmen seine Macht auf dem Markt für Unternehmensbeteiligungen mißbräuchlich einsetzt. Allerdings wird es hier Marktbeherrschung nicht geben. Eine andere Frage ist es, ob ein Zusammenschluß deshalb mißbräuchlich sein kann, weil er durch mißbräuchliches Verhalten im Vorfeld des Zusammenschlusses herbeigeführt wurde. Keine Zweifel bestehen daran, daß ein solches Verhalten im Vorfeld eines Zusammenschlusses gegen Art. 86 EGV verstoßen kann, wie z. B. Verdrängungswettbewerb mittels Preiskämpfen, der den Verdrängten zu einer Fusion zwinge!. Ob das Verbot dieser Verhaltensweisen sich dann auf den Zusammenschluß erstreckt, ist ungeklärt. In der Literatur will man zum Teil den Zusammenschluß selbst nicht als Mißbrauch ansehen32 . Andere wollen das Mißbrauchsverbot auch auf den Zusammenschluß erstrecken33 . Praktisch geworden sind solche Fälle soweit ersichtlich bisher nie. Aggressive Praktiken zur Verdrängung von Wettbewerbern sind deshalb mißbräuchlich, weil sie die Wettbewerber in ihrer Tätigkeit auf dem Markt 31 Kommission, Konzentrationsmemorandum, Nr. 25; dies., 14. 12. 1985 - ECS/ Akzo I1, ABI. 1985 L 374/1, 21 (Nr. 80); siehe auch dies., 15. WB (1985), Nr. 82; Generalanwalt Roemer im Continental Can-Urteil, Slg. 1973, 252, 254 f.; K. Schmidt, BB 1990, 719, 722; Koch, in: GrabitzlHilf, Art. 86 Rn. 79 a. E.; Kurz, S.80; ZU § 22 GWB Mäschel, in: hnmenga/Mestrnäcker, § 22 Rn. 186; Kleinmannl Bechtold, § 22 Rn. 249 ff.; BaurlWeyer, in: Frankfurter Kommentar, § 22 Rn. 534. 32 RitterlBraunlRawlinson, S. 361; Hefennehl, in: FS Nipperdey, Bd. n, S.771, 793 f.; wohl auch Kurz, S. 80; Koch, in: GrabitzlHilf, Art. 86 Rn. 79. Zu § 22 GWB offenIassend Monopolkommission, HG I, S. 961; sie schlägt vor, gesetzlich eine spezielle Untersagungsmäglichkeit für Zusammenschlüsse vorzusehen, die durch mißbräuchliches Verhalten herbeigeführt wurden, und macht einen Formulierungsvorschlag; offen1assend auch KG, 12. 1. 1976 - Weichschaum, WuWIE OLG 1637, 1638. 33 Zu § 22 GWB Mäschel, Oligopolmißbrauch, S. 160 f[ (§ 22 GWB würde nicht an die Verhaltensweise "Zusammenschluß" anknüpfen, sondern an den Machtmißbrauch); KleinmannIBechtold, § 22 Rn. 252 ff.; Schulte, S. 202.

254

2.Teil: Die Entstehung des Unternelunensverbundes

behmdern (sogenannter Behinderungsmißbrauch im Gegensatz zum Ausbeutungsmißbrauch, der auf die Marktgegenseite zielt). Die Übernahme eines Wettbewerbers ist als solche keine Behinderung dieses Wettbewerbers, weil dieser aus dem Markt ausscheidet. Ebensowenig liegt in der Übernahme eine Behinderung der anderen Wettbewerber oder eine Ausbeutung der Marktgegenseite. Inwieweit die neue Marktstruktur solche Verhaltensweisen ermöglicht, ist nicht Gegenstand der Marktverhaltenskontrolle. Es fragt sich, ob etwas anderes gilt, wenn die Übernahmemöglichkeit erst durch Verdrängungspraktiken geschaffen wurde. Für ein Verbot des Erwerbes spricht, daß der Erwerber mit der Übernahme die Früchte seines mißbräuchlichen Tuns erntet. Sieht man die Übernahme als verboten an, müßte die Kommission nach Art. 3 Abs. 1 VO 17/62 die Rückgängigmachung des Erwerbs anordnen. Das würde zwar nichts daran ändern, daß das zu veräußernde Unternehmen selbständig nicht mehr existieren kann; nur scheidet der Marktbeherrscher, der das Unternehmen übernahmereif gemacht hat, als Erwerber aus. Zu vermeiden wäre dann allerdings nicht, daß ein anderes, ebenfalls marktbeherrschendes Unternehmen es erwirbt. Sollte sich kein Erwerber finden, würde das Unternehmen untergehen und die Marktanteile würden unvermeidbar zum Teil dem Marktbeherrscher zuwachsen. All dies zeigt, daß nur ein Eingreifen nach Art. 86 EGV im Vorfeld des Zusammenschlusses den Gefahren einer solchen Situation gerecht wird. Zu betonen ist, daß es sich in diesen Fällen nicht um Marktstrukturkontrolle handelt. Denn nicht das Ergebnis der Marktstrukturänderung, sondern die Art und Weise ihres Zustandekommens sind Gegenstand der Kontrolle. Mit der hier erörterten Frage, ob Art. 86 EGV eine Marktstrukturkontrolle ermöglicht, hat diese Fallgruppe nichts zu tun.

2. Andere Konzentrationssachverhalte Sachverhalte, die sich auf der Skala zwischen Konzentration und Kooperation bewegen, also insbesondere GU-Gründungen und Minderheitsbeteiligungen, können gegen Art. 86 EGV verstoßen. Das kann z. B. der Fall sein, wenn ein Beteiligter durch Ausnutzung seiner Marktmacht den anderen zu der fraglichen Zusammenarbeit zwingt34. Ein solches Verhalten ist unabhängig von der durch die Zusammenarbeit entstehenden Marktstruktur verboten, solange die Wettbewerbsbeschränkung spürbar ist. Zu beachten ist in diesen Fällen, daß man nicht in dem konzentrativen Aspekt des Sachverhalts, also in dem Hinzugewinn an Ressourcen als solchem, einen Mißbrauch sehen kann. Denn dann stellt man wieder allein auf 34 Art. 86 EGV ist dann neben Art. 85 EGV anwendbar, EuGH. 1l. 4. 1989 - Aluned Saeed, WuWfE EWGIMUV 841, 846 (Nr. 37).

E. Keine Marktstrukturkontrolle nach Art. 86 EGV

255

die entstehende Marktstruktur ab, was nach dem oben Gesagten von Art. 86 EGV nicht gedeckt ist.

es.

Ein Beispiel hierfür ist der Fall Tetra Pak Der Marktbeherrscher Tetra Pak erwarb 1986 einen Wettbewerber, Liquipak. Liquipak hatte zuvor von einem Dritten eine ausschließliche Lizenz für ein Abfüllverfahren für Getränke erworben. Der Lizenzgeber war mit dem Übergang der Lizenz auf Tetra Pak einverstanden. Ende 1987 verzichtete Tetra Pak auf die Ausschließlichkeit der Lizenz. Nach Ansicht der Kommission verstieß die Lizenz zugunsten von Tetra Pak gegen Art. 85 Abs. 1 EGV. Die Freistellung nach der VO 2349/84 wäre, so die Kommission, wegen der marktbeherrschenden Stellung von Tetra Pak widerruflich gewesen. Tetra Paks Verzicht auf die Ausschließlichkeit machte eine solche Entscheidung entbehrlich. Daneben sah die Kommission in dem Erwerb der ausschließlichen Lizenz mittels des Erwerbs von Liquipak einen Verstoß gegen Art. 86 EGV 6 . Sie stützte sich auf die Continental Can-Doktrin. Danach verstößt der Erwerb eines Wettbewerbers gegen Art. 86 EGV, wenn auf dem Markt nur noch Unternehmen verbleiben, die in ihrem Marktverhalten von dem beherrschenden Unternehmen abhängen. Die Kommission führt aus, der Lizenzerwerb sei durch die Übernahme bewirkt worden und sei zudem einer Übernahme gleichwertig. Zuzustimmen ist der Kommission darin, daß die Lizenz gegen Art. 85 EGV verstieß, solange sie Tetra Pak ausschließlich erteilt war. Die Ausschließlichkeitsklausel beschränkte den Lizenzgeber in seiner Freiheit, weitere Lizenzen zu erteilen. Die Gruppenfreistellung war wegen der mit der ausschließlichen Lizenz einhergehenden Verschlechterung der Marktstruktur rücknehmbar, Art. 9 Nr. 2 VO 2349/84 i. V. m. Art. 7 VO 19/65. Mit dem Verzicht Tetra Paks auf die Ausschließlichkeit entfiel diese Möglichkeit. Ein Verstoß gegen Art. 86 EGV lag entgegen der Ansicht der Kommission nicht vor. Die mit dem Erwerb von Liquipak verbundene MarktstrukturändeKommission, 26. 7. 1988 - Tetra Pak I, ABI. 1988 L 272/27. Zustinunend Generalanwalt Kirschner, Schlußanträge zu EuG, 10. 7. 1990 Tetra Pak Rausing/Kommission, SIg. 199011 312, 330 ff., allerdings mit etwas anderer Begründung (Ausschließlichkeit der Lizenz sei unverhältnismäßig, da eine nicht ausschließliche Lizenz für die Ziele von Tetra Pak genügt hätte). Das EuG mußte hierzu 3S

36

nicht Stellung nehmen, weil die Klägerin den Gegenstand ihrer Klage später beschränkte, siehe Nm. 11 - 13 des Urteils sowie Nr. 59 der Schlußanträge des Generalanwalts. Das EuG mußte nur entscheiden, ob eine GruppenfreisteIlung nach Art. 85 Abs. 3 EGV die Anwendung des Art. 86 EGV ausschließt. Es verneinte das und billigte hierbei inzident die Auffassung der Kommission, daß der Lizenzerwerb gegen Art. 86 EGV verstoßen konnte.

256

2.Teil: Die Entstehllllg des Unternelunensverblllldes

nmg wird nach dem oben Gesagten nicht im Rahmen von Art. 86 EGV kontrolliert37 . Zu erwägen wäre noch, ob die Lizenz zugunsten von Tetra Pak als solche gegen Art. 86 EGV verstößt. Artt. 85 und 86 EGV sind nebeneinander anwendbar38 . Ein Verstoß gegen Art. 85 EGV kann zugleich den Tatbestand des Art. 86 EGV erfüllen, wenn ein Unternehmen durch Ausnutzung seiner marktbeherrschenden Stellung ein anderes Unternehmen dazu bringt, eine gegen Art. 85 EGV verstoßende Vereinbarung zu treffen39 . Dafür bestehen im Tetra Pak-Fall jedoch keine Anhaltspunkte.

IV. Ergebnis zu E. Art. 86 EGV kann entgegen der Ansicht des EuGH im Continental CanUrteil nicht Grundlage einer Marktstrukturkontrolle sein. Wortlaut, Sinn und Zweck, Entstehungsgeschichte und Rechtsfolgen des Art. 86 EGV sprechen dagegen. Auch eine lückenfiillende Rechtsfortbildung dahingehend, daß Art. 86 EGV Rechtsgrundlage einer Marktstrukturkontrolle sein kann, ist nicht möglich, da der EGV nicht lückenhaft ist. Eine über den Vertrag hinausgehende Marktstrukturkontrolle rechtsfortbildend zu etablieren, überschritt die Kompetenzen des EuGH. Aber selbst wenn man diese Rechtsfortbildung für zulässig hielte, wäre ihre Grundlage, das Fehlen einer gesetzlichen Regelung, mit Inkrafttreten der FKVO entfallen. Das bedeutet nicht, daß marktstrukturändernde Sachverhalte, insbesondere der Erwerb von Unternehmen und Anteilen an Unternehmensträgern, der Verhaltenskontrolle nach Art. 86 EGV entzogen sind.

F. Ergebnisse des 2. Teils Das Verbot von Verhaltenskoordination in Art. 85 EGV, das Verbot des Mißbrauchs marktbeherrschender Stellungen in Art. 86 EGV und die Untersagungsmöglichkeit nach der FKVO für Zusammenschlüsse, die eine marktbeherrschende Stellung begründen oder verstärken, beruhen jeweils auf einer unterschiedlichen wettbewerbstheoretischen Basis. Dabei ist aus wettbe37 Der Sachverhalt würde heute wohl den Zusammenschlußtatbestand der FKVO errullen. Selbst wenn Tetra Pak nicht Liquipak, sondern nur die Lizenz von Liquipak erworben hätte, wäre die FKVO wahrscheinlich anwendbar, weil Kontrolle über einen Teil eines Unternelunens erworben wurde, Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO a. E. sowie oben B IV 1 b, S. 121 ff. 38 EuGH, 11. 4. 1989 - Aluned Saeed, WuWIE EWGIMUV 841,846 (Nr. 37). 39 EuGH, 11. 4.1989 -Aluned Saeed, WuWIE EWGIMUV 841,846 (Nr. 37).

F. Ergebnisse des 2. Teils

257

werbstheoretischer Sicht die Grenze zwischen Konzentration (FKVO) und Kooperation (Art. 85 EGV) fließend. Jedoch lassen sich reine Konzentrationssachverhalte definieren. Das sind solche, bei denen eine Gesamtheit unternehmerischer Ressourcen unter einheitlicher Leitung zusammengefaßt wird. Das setzt voraus, daß der oder die ursprünglichen Einflußinhaber ihre Handlungsfreiheit hinsichtlich der Gesamtheit der betroffenen Ressourcen an den oder die neuen Einflußinhaber verlieren. Außerdem ist erforderlich, daß die Zusammenlegung der Ressourcen keine Verhaltenskoordination auf anderen Gebieten bewirkt. Unter den genannten Voraussetzungen kann typisierend angenommen werden, daß der Konzentrationsvorgang Effizienzvorteile (Synergieeffekte, economies of scale) mit sich bringt und die Marktergebnisse nicht notwendig verschlechtert, wie es für die Ex-ante-Koordination von Marktverhalten typisierend angenommen wird. Art. 3 FKVO erfaßt zum einen diese reinen Konzentrationssachverhalte. Allerdings erfassen die Tatbestände der Fusion und des Kontrollerwerbs Gleichordnungssachverhalte unzureichend. De lege lata ist dem nur durch eine analoge Anwendung des Fusionstatbestandes zu begegnen; de lege ferenda ist die FKVO zu ändern wie oben im einzelnen vorgeschlagen. Zum anderen erfaßt Art. 3 FKVO bestimmte Sachverhalte, die nicht reine Konzentrationssachverhalte sind. Es sind dies die Fälle, in denen ein Unternehmensträger nicht die alleinige, sondern nur die Mitkontrolle über Ressourcen erlangt, ohne daß ein Gleichordnungssachverhalt im oben genannten Sinne gegeben ist. Hier fehlt es an der Voraussetzung, daß die betroffenen Ressourcen unter einheitlichem Einfluß zusammengefaßt werden. Auch Verhaltenskoordination ist in diesen Fällen nicht ausgeschlossen. Art. 85 EGV ist auf reine Konzentrationssachverhalte nicht anwendbar. Auf Sachverhalte aus dem Bereich des fließenden Übergangs zwischen Konzentration und Kooperation, so insbesondere auf den Erwerb von Mitkontrolle und von Minderheitseinfluß, aber auch auf den Erwerb von Mehrheitseinfluß, kann Art 85 EGV unter bestimmten, oben dargelegten Voraussetzungen anwendbar sein. Art. 85 EGV erfaßt, wie oben gezeigt wurde, diese Sachverhalte nur unzureichend. Die Fusionskontrolle ist hierfür besser geeignet. Das spricht dafür, die FKVO de lege ferenda auf Minderheitseinflüsse unterhalb der Kontrollschwelle, aber von gewisser Bedeutung, auszudehnen. Art. 86 EGV ist kein Instrument zur Kontrolle von Marktstrukturänderungen. Das schließt nicht aus, daß marktstrukturändernde Sachverhalte im Einzelfall ein Mißbrauch im Sinne von Art. 86 EGV sein können. Allerdings kann der Mißbrauch nicht in der Herbeiführung einer bestimmten Marktstruktur liegen. 17 Pohlmann

3. Teil

Das Verhältnis von Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle bei der Entstehung des Unternehmensverbundes A. Problemstellung Die Kontrolle nach Artt. 85, 86 EGV kann nach dem oben Gesagten auch von Sachverhalten ausgelöst werden, die zugleich Marktstrukturänderungen im Sinne der FKVO sind. Dann ist zu klären, ob beide Normenkomplexe - Art. 85 oder Art. 86 einerseits!, die FKVO andererseits - im Falle eines Zusammentreffens nebeneinander anwendbar sind oder ob ein Normenkomplex den anderen ausschließt. Denn beide Regime können im materiellen Ergebnis unterschiedliche Rechtsfolgen haben (z. B. befristete Freistellung nach Art. 85 Abs. 3 EGV, endgültige Genehmigung nach Art. 8 Abs. 2 FKVO, ausnahmsloses Verbot nach Art. 86 EGV) und weisen Verfahrensunterschiede auf (insbesondere fehlen bei Artt. 85, 86 EGV die Fristen der FKV02). Der Verordnungsgeber hatte das Problem ursprünglich in vier Vorschriften zu lösen versucht. In Art. 3 Abs. 2 FKVO hatte er Sachverhalte, die Verhaltenskoordinationen mit sich bringen, aus dem Anwendungsbereich der FKVO ausgeschlossen, indem er sie vom Zusammenschlußbegriff ausnahm. In Art. 22 Abs. 1 und Abs. 2 FKVO hatte er die Anwendung der Artt.85, 86 EGV einschließlich ihrer Durchführungsverordnungen für Zusanunenschlußsachverhalte ausgeschlossen. In Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2 FKVO hatte er die fusionskontrollrechtliche Entscheidung auf Nebenabreden zum Zusammenschluß erstreckt.

I Das Verhältnis von Art. 85 EGV zu Art. 86 EGV bedarf hier nicht der näheren Erörterung. Die Nonnen sind grundsätzlich nebeneinander anwendbar, EuGH, 11. 4. 1989 - Ahrned Saeed, WuWfE EWGfMUV 841, 846 (Nr. 37); siehe auch EuG, 10. 3. 1992 - Societ.a Italiana Vetro u. a./Kommission, Sig. 1992 II, 1403, 1548 (Nr. 360). 2 Wenn auch die Kommission intern eine Zwei-Monatsfrist für die erste Prüfungsphase bei kooperativen Gemeinschaftsunternehmen struktureller Art bestimmt hat, vgJ. Kommission, Grünbuch, S. 29 (Nr. 104).

B. Konkurrenzverhältnis der FKVO zu Artt. 85, 86 EGV

259

Mit der Novellierung der FKVO zum 1. 3. 1998 sind diese Regelungen mit Ausnahme des Art. 8 Abs.2 Unterabs.2 S.2 FKVO geändert worden. Zusammenschlüsse in der Fonn von GU, die eine Verhaltenskoordination unabhängig bleibender Unternehmen mit sich bringen, unterfallen jetzt der FKVO. Sie werden gemäß Art. 2 Abs. 4 FKVO im Verfahren der FKVO anhand des materiellen Maßstabes des Art. 85 Abs. 1 und 3 EGV geprüft. Zusammenschlüsse sind nach Art. 3 Abs. 2 FKVO jedoch weiterhin nur solche GU, die auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllen. Art. 22 Abs. 1 FKVO faßt jetzt die früheren Absätze 1 und 2 zusammen. Anders als in Art. 22 Abs. 2 FKVO a. F. setzt Art. 22 Abs. 1, 2. HS FKVO die Durchfiihrungsverordnungen zu Artt. 85, 86 EGV allerdings für kooperative GU unterhalb der Schwellen nicht mehr außer Kraft. Diese Änderung ist zwingende Folge des geänderten Zusammenschlußbegriffes. Denn ohne sie gäbe es wegen des neuen weiten Zusammenschlußbegriffes für kooperative GU unterhalb der Schwellen keine Durchfiihrungsverordnung mehr. Im folgenden soll zunächst untersucht werden, bei welchen Sachverhalten ein Konkurrenzproblem zwischen Artt.85. 86 EGV und der FKVO auftritt (B.). Im Anschluß werden für den rechtlich problematischsten Konkurrenzfall, die Verhaltenskoordination im Sinne von Art. 2 Abs. 4 FKVO, die Rechtslage vor der Novelle (C.), die Hintergründe der Novelle (0.) und dann die nur auf diesem Hintergrund verständliche heutige Rechtslage untersucht (E.).

B. Konkurrenzverhältnis der FKVO zu Artt. 85, 86 EGV I. Keine Konkurrenz zu Art. 86 EGV Ein Konkurrenzverhältnis zwischen zwei Nonnen liegt nur vor. wenn sie denselben Sachverhalt regeln. Die FKVO steht danach zu Art. 86 EGV nicht in einem Konkurrenzverhältnis. Zwar kann Auslöser der Kontrolle ein und derselbe Vorgang, ein Zusammenschluß, sein. Untersucht werden jedoch ganz unterschiedliche Sachverhalte. Im Rahmen der FKVO wird die durch den Zusammenschluß geschaffene Marktstruktur untersucht. Im Rahmen von Art. 86 EGV wird der Zusammenschlußvorgang daraufhin untersucht, ob in ihm ein mißbräuchliches Verhalten liegt. Die entstehende Marktstruktur ist nach dem oben Gesagten' nicht Gegenstand der Kontrolle. Demnach betreffen Art. 86 EGV einerseits und die FKVO andererseits nicht denselben Sachverhalt. Die Tatsache. daß Art. 86 EGV keine Marktstrukturkontrolle ennöglicht, schließt ein Konkurrenzverhältnis zur FKVO von vornherein aus. Demzufolge

1

17'

2. Teil E, S. 245 fI

260

3.Teil: Verhältnis von Marktstruktur- Wld -verhaltenskontrolle

sind die soeben unter A. genannten Regelungen der FKVO für Art. 86 EGV bedeutungslos.

11. Konkurrenz zu Art. 85 EGV 1. Grundsatz Art. 85 EGV erfaßt, wie oben dargelegt2, Verhaltenskoordinationen einschließlich ihrer marktstrukturellen Wirkungen. Umgekehrt erfaßt die FKVO jedenfalls in ihrer neuen Fassung (siehe Art. 2 Abs. 4 FKVO), möglicherweise aber auch in ihrer alten Fassung (siehe Art. 8 Abs. 2 Uriterabs. 2 S. 2 FKVO a. F.) Marktstrukturänderungen einschließlich ihrer kooperativen Elemente, so daß ein Konkurrenzverhältnis besteht. 2. Fallgruppen von Konkurrenzsachverhalten Sowohl durch die FKVO selbst, als auch durch die Kommissionspraxis haben sich vier verschiedene Fallgruppen von Konkurrenzsachverhalten herausgebildet. Nicht hierzu gehören - das sei zur Klarstellung gesagt - die Sachverhalte, die zwar den Tatbestand des Art. 3 Abs. I FKVO erfüllen, aber nicht den des Art. 3 Abs. 2 FKVO. Solche Fälle nicht dauerhaft vollfunktionaler GU fallen aus dem Anwendungsbereich der FKVO heraus, da sie keine Zusammenschlüsse im Sinne der FKVO sind. Durch diese definitorische Lösung wird ein Konkurrenzverhältnis von vornherein ausgeschlossen. Wie bereits oben dargelegt3 ergibt sich das Erfordernis der Vollfunktionalität bereits aus Sinn und Zweck des Zusammenschlußtatbestandes. Ein Zusammenschluß und damit ein Konkurrenzverhältnis zwischen Art. 85 EGV und der FKVO liegt bei fehlender Vollfunktionalität des GU schon nach Sinn und Zweck der Fusionskontrolle nicht vor. Art. 3 Abs. 2 FKVO betrifft also nicht das Konkurrenzverhältnis von Art. 85 EGV und FKVO, sondern die Abgrenzung beider Regime voneinander. Die vier Fallgruppen von Konkurrenzsachverhalten unterscheiden sich danach, wie eng die jeweilige Verhaltenskoordination mit dem Zusammenschluß zusammenhängt. Am engsten hängen mit ihm die sogenannten Wesensmerkmale des Zusammenschlusses zusammen. Es folgen auf der Skala die Nebenabreden im Sinne von Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2 FKVO sowie an dritter : 2. Teil D, S. 216 ff. 3 2. Teil C III. S. 210 tf

B. Konkurrenzverhältnis der FKVO zu Artt. 85, 86 EGV

261

Stelle die Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens im Sinne von Art. 2 Abs. 4 FKVO (früher geregelt in Art. 3 Abs. 2 S. 1 und 2 FKVO a. F.). Die vierte Fallgrnppe sind die vom Zusammenschluß abtrennbaren Verhaltenskoordinationen. Im folgenden soll untersucht werden, wie diese Fallgrnppen vor der Änderung der FKVO zu beurteilen waren und wie sie heute zu beurteilen sind.

a) Wesenselemente des Zusammenschlusses Der bloße Kontrollerwerb als solcher ist keine Verhaltenskoordination4 . Die Kommission bezeichnet die den Kontrollerwerb ausmachenden Vereinbarungen als "Wesenselemente des Zusammenschlusses", die den "eigentlichen Gegenstand" der fusionskontrollrechtlichen Beurteilung bilden. Umstritten ist, ob Wettbewerbsverbote zulasten der Gründer solche Wesenselemente des Zusammenschlusses sind oder ob sie nach den Regeln für Nebenabreden, also Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2 FKVO zu beurteilen sind5 . Solche Wettbewerbsverbote können auf zwei Wegen zustandekommen. Erstens können die GU-Mütter vereinbaren, auf dem Gebiet des GU nicht mehr tätig zu werden. Zweitens können die Mütter sich jeweils gegenüber dem GU verpflichten, diesem keinen Wettbewerb zu machen. Beides ist in seinen Auswirkungen auf den Wettbewerb gleichbedeutend. Die Mütter nehmen sich dadurch ihre Freiheit, auf bestimmten Märkten tätig zu werden. Die Kommission nimmt an, die Wettbewerbsverbote seien Bestandteil des Zusammenschlusses jedenfalls insoweit, als sie Ausdruck des endgültigen Rückzugs der Gründer aus dem Markt seien6 . Die Kommission sieht diese Verbote also als Wesenselemente des Zusammenschlusses an. Danach wären sie zulässig, ohne daß die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2 FKVO vorliegen müssen. Auch die Literatur hält solche Wettbewerbsverbote unabhängig davon für zulässig, ob die Voraussetzungen einer Nebenabrede vorliegen7 • Denn es bestehe insofern keine Betätigungsfreiheit der Gründer mehr8 bzw. kein Wettbewerbsverhältnis zwischen ihnen9 . Dem ist für den Fall zu folgen, daß die 4 Vgl. Kommission, Bekanntmachung über Nebenabreden, Ir. Nr. 4; Bellamy/Child, Rn. 6-083 tT. 5 Siehe die Nachweise sogleich. 6 Kommission, Bekanntmachung über Nebenabreden, V. A. 7 Kleinmann, RIW 1990, 605, 608; Gerwing, S. 100; auch schon U. Hilber,

WuW 1978, 677, 68l. 8 Kleinmann, RIW 1990,605,608. 9 U. Huber, WuW 1978,677, 68l.

262

3.Teil: Verhältnis von Marktstruktur- und -verhaltenskontrolle

Gründer keine potentiellen Wettbewerber mehr sind, etwa deshalb, weil sie alle entsprechenden Vermögensbestandteile auf das GU übertragen haben und eine eigene Neuinvestition objektiv ausgeschlossen erscheint. Im Regelfall werden Gründer, die Teilbereiche ihrer Tätigkeit zusammengelegt haben, keine potentiellen Wettbewerber mehr sein. Wie ist aber zu entscheiden, wenn ein erneuter Marktzutritt eines Gründers objektiv möglich istlO , durch ein Wettbewerbsverbot aber ausgeschlossen wird? Der potentielle Wettbewerb wird dann durch das Wettbewerbsverbot beschränkt. Das Wettbewerbsverbot könnte deshalb unter Art. 85 EGV fallen11. Dennoch läßt sich das Wettbewerbsverbot als Wesenselement des Zusammenschlusses ansehen, denn es stellt sicher, daß das Objekt Unternehmen einschließlich seiner Marktanteile auf das GU übergeht. Könnten die potentiellen Wettbewerber dem GU jederzeit Konkurrenz machen, wäre der Übergang der Marktanteile der Mütter auf das GU nicht gesichert. Eine Zusammenballung von Ressourcen liegt aber in der GU-Gründung nur, wenn die eingebrachten Unternehmensbereiche einschließlich ihrer Marktanteile übergehen sollen. Im Ergebnis macht es jedoch keinen Unterschied, ob man auf die Wettbewerbsverbote Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2 FKVO anwendet oder nicht. Denn aus den soeben genannten Gründen wären die Wettbewerbsverbote immer im Sinne von Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2 FKVO mit der Durchführung des Zusammenschlusses unmittelbar verbunden und für sie notwendig. Damit wären sie auch als Nebenabreden zulässig. Reichen die Wettbewerbsverbote weiter als erforderlich ist, um dem GU die Marktanteile zu sichern, so sind sie nach beiden Auffassungen daraufhin zu überprüfen, ob sie zulässige Nebenabreden sind. Diese Beurteilung der Wesenselemente eines Zusammenschlusses hat durch die Novellierung der FKVO keine Änderung erfahren. b) Nebenabreden

Nach Erwägungsgrund 25 ist die Anwendung der FKVO nicht ausgeschlossen, wenn die beteiligten Unternehmen sich Einschränkungen unterwerfen, die 10 Bei der Annahme potentiellen Wettbewerbs zwischen GU-Gründern ist eine realistische Betrachtungsweise an den Tag zu legen. Es ist im Normalfall nicht anzunehmen, daß die Gründer, die dem GU die erforderlichen Ressourcen übertragen haben, neben dem gemeinsamen Engagement wieder auf eigene Faust neu investieren. Ausführlich zum potentiellen Wettbewerb zwischen GU-Gründern, Gerwing. S. 87 fr, 141 tr. II Die Kommission sieht zum Teil in der Vereinbarung eines Wettbewerbsverbots ein Indiz dafür, daß potentieller Wettbewerb besteht, 28.4. 1992 - HerbalIRR, WuWIE EV 1977,1978 (Nr. 10,4. Spiegelstrich).

B. Konkurrenzverhältnis der FKVO zu Artt. 85, 86 EGV

263

mit der Durchführung des Zusammenschlusses unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind. Nach der unverändert gebliebenen Regelung des Art. 8 Abs.2 Unterabs. 2 S. 2 FKVO erstreckt sich die Entscheidung über die Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit dem gemeinsamen Markt nach Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 1 FKVO auch auf die mit seiner Durchfiihrung unmittelbar verbundenen und für sie notwendigen Einschränkungen. Art. 8 Abs.2 Unterabs.2 S.2 FKVO und Erwägungsgrund 25 betreffen "Einschränkungen" zwischen den am Zusammenschluß Beteiligten. Das Tatbestandsmerkmal "Einschränkungen" ist gleichbedeutend mit dem der Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs (hier kurz: Wettbewerbsbeschränkung) in Art. 85 EGY. Alle Wettbewerbsbeschränkungen, die mit dem Zusammenschluß verbunden und für ihn notwendig sind, erfahren in Art. 8 Abs.2 Unterabs.2 S.2 FKVO eine Sonderregelung. Als Oberbegriff für solche Wettbewerbsbeschränkungen hat sich die Bezeichnung "Nebenabreden" oder, wegen des englischen Ursprungs dieser Rechtsfigur12 auch in der deutschen Rechtssprache, "ancillary restraints", eingebürgert13 • Nicht damit gemeint sind solche Regelungen, die den Zusammenschluß selbst ausmachen, wie z. B. Vereinbarungen über den Kontrollerwerb l4 . Art. 8 Abs.2 Unterabs.2 S.2 FKVO war lex specialis zu Art. 3 Abs.2 FKVO a. F. Verhaltenskoordinierende Nebenabreden sollten der Erfüllung des Zusammenschlußtatbestandes nicht entgegenstehen. Sie schlossen daher die Anwendung der FKVO nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 FKVO aus l5 .

Es fragt sich, ob Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2 FKVO die Anwendung des Art. 85 EGV ausschließen soll. Eine materiell-rechtliche Regelung, die Nebenabreden für zulässig erklärt, weil der Zusammenschluß, den sie begleiten, zulässig ist, wäre wegen des Vorrangs des Primärrechts des Art. 85 EGV wirkungslos l6 . Ob Verstöße gegen Art. 85 EGV vorliegen, kann die FKVO nicht entscheiden. Nebenabreden zu Zusammenschlüssen sind nur dann zulässig, wenn sich ihre Zulässigkeit aus Art. 85 EGV ergibt. Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2 FKVO könnte jedoch als verfahrensrechtliche Nonn Wirkung entfalten. Dafür spricht insbesondere der Wortlaut, der sich

12 Zu diesem Mäschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkilllgen, Rn. 18.

Kommission, Bekanntmachilllg über Nebenabreden, I. NT. 1. Kommission, Bekanntmachilllg über Nebenabreden, II. Nr. 4. 15 Unklar ist der dogmatische Ansatz von Bos/Stuyck/Wytinck, Rn. 4-250, wonach Verhaltenskoordinationen zwischen den GU-Müttern gTillldsätzlich den Zusammenschlußtatbestand ausschließen, auch wenn sie Nebenabreden sind. Andererseits machen die Autoren dann so unfangreiche Ausnahmen von ihrem Grundsatz, daß dieser selbst in Frage steht. 16 An der Wirksamkeit des Art. 8 Abs.2 Unterabs.2 S.2 FKVO zweifeln Bos/ Stuyck/Wytinck, Rn. 4-250. 13

14

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3.Teil: Verhältnis von Marktstruktur- Wld -verhaltenskontrolle

auf den Entscheidungsumfang bezieht. Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 S.2 FKVO weist Nebenabreden dem Verfahren nach der FKVO zu. Die Kommission entscheidet über solche Wettbewerbsbeschränkungen zusammen mit dem Zusammenschluß. Gegen diese Verfahrenszuweisung bestehen keine Bedenken. Denn insofern kann die FKVO auch Durchfiihrungsverordnung zu Art. 85 EGV seinl7 . Eine dem Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2 FKVO entsprechende Verfahrenszuweisung findet sich für die erste Phase der kartellbehördlichen Prüfung seit der Novellierung in Art. 6 Abs. I lit. b S. 2 FKVO. Früher wandte man Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2 FKVO analog an18 . Materiell-rechtlich muß die Kommission, trotz dieser Verfahrenszuweisung, Art. 85 EGV prüfen. Nur aus Art. 85 EGV kann sich die Zulässigkeit von Nebenabreden ergeben. Ansatzpunkt dafür ist eine teleologische Reduktion des Tatbestandsmerkmals der Wettbewerbsbeschränkungl9 . Hier bietet sich eine Parallele zum deutschen Kartellrecht an. So ist das Kartellverbot des § 1 GWB nach der herrschenden "Immanenztheorie" nach Sinn und Zweck einschränkend auszulegen. Es erfaßt solche Wettbewerbsbeschränkungen nicht, die zur Erreichung eines kartellrechtsneutralen Hauptzwecks erforderlich sind 20 • Da der Hauptzweck, einen Zusammenschluß herbeizuführen, das Kartellverbot nicht berührt, läßt sich hiermit begründen, daß Nebenabreden zum Zusammenschluß keine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 85 EGV zur Folge haben21 . Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2 und Art. 6 Abs. 1 lit. b S. 2 FKVO normieren mit den Voraussetzungen der unmittelbaren Verbindung mit dem Zusammenschluß und der Notwendigkeit der Abreden inhaltlich die genannte Einschränkung des Art. 85 EGV. Festzuhalten bleibt daher, daß Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2 und Art. 6 Abs. 1 lit. b S. 2 FKVO bestimmte, dem Art. 85 EGV unterfallende Sachverhaltselemente, die sogenannten Nebenabreden, in das Verfahren nach der FKVO verweisen. Über die materiell-rechtliche Zulässigkeit entscheidet allein Art. 85 EGV. Vgl. ErwägWlgsgrWld Nr. 8. Bos/Stuyck/Wytinck, Rn. 4-252; Kommission, 10. 6. 1991 - Sanoft/Sterling Drug, MCR B27 Wlter V. 19 Vgl. Gerwing. S. 95; Koch, in: GrabitzlHilt: nach Art. 86 Rn. 52, allerdings ohne Anknüpfung an ein Tatbestandsmerkrnal. 20 So - zur alten Fassung des § 1 GWB - Immenga. in: lmmenga/Mestmäcker, § 1 Rn. 164 m. w. N.; Fuchs, BB 1993, 1893 tI; kritisch zur BezeichnWlg "lmmanenztheorie" Kretzer, passim. 21 Für die NichtanwendWlg des Art. 85 EGV aufWettbewerbsverbote zu Lasten des Unternehmensveräußerers EuGH, 11. 7. 1985 - Remia/Kommission, Slg. 1985, 2545, 2571; für eine eingeschränkte AuslegWlg des Tatbestandsmerkrnals der WettbewerbsbeschränkWlg auch Fritzsche, ZHR 160 (1996), 31, 51 tI, 56. 17

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B. Konkurrenzverhältnis der FKVO zu Artt. 85, 86 EGV

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c) Verhaltenskoordination im Sinne von Art. 2 Abs. 4 FKVO

Zu erörtern sind weiter die Fälle, in denen ein Zusammenschluß eine Verhaltenskoordination im Sinne von Art. 2 Abs.4 FKVO herbeiführt. Vor der Novelle waren das die Fälle, die Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. erfaßte. Diese Fallgruppe von Konkurrenzsachverhalten ist diejenige, die von der Novellierung der FKVO betroffen ist. Die frühere Rechtslage, die Novellierung sowie die neue Rechtslage werden unten (e. - E.) behandelt.

d) Abtrennbare Sachverhalte Verhaltenskoordinationen, die vom Zusanunenschluß abtrennbar sind, schließen die Anwendung der FKVO auf die Marktstrukturänderung nicht aus. Sie sind als selbständige Sachverhalte nach Art. 85 EGV zu bewerten22 . Es fragt sich, unter welchen Voraussetzungen Verhaltenskoordinationen abtrennbar vom Kontrollerwerb sind. Nach Ansicht der Kommission fallen Abreden, die keine "unmittelbare wirtschaftliche Verbindung" zum Zusammenschluß haben, aus dem Anwendungsbereich der FKVO heraus 23 • In der Abgrenzungsbekanntmachung stellt sie darauf ab, ob eine "losgelöste" Betrachtung möglich ist24 • Vereinzelt stellt sie umgekehrt ohne Begründung fest, daß mehrere Erwerbsvorgänge "integrierender Bestandteil" einer Vereinbarung seien25 . Fälle eindeutiger Abtrennbarkeit waren in der Kommissionspraxis solche, in denen der Kontrollerwerber oder eine seiner Tochtergesellschaften unabhängig vom zu prüfenden Kontrollerwerb schon länger an möglicherweise kooperativen GU beteiligt war26 . Als abtrennbar sah die Kommission auch neben der GU-Gründung getroffene Abreden an, die das GU berechtigten, sich an 22 Kommission, Zweite Abgrenzungsbekanntmachung, Nr. 17 a. E.; Bekanntmachung über Nebenabreden, Nr. 4; dies., 3. 2. 1992 - SparlDansk Supennarked, WuWfEEV 1810 (Nr. 8); 29. 9.1992 -Ahold/Jeronimo Martins, MCR B114 (Nr. 8); 6.11. 1990 - RenaultIVolvo, WuWfE EV 1542 (Nr. 1), (im letztgenannten Fall hat die Konurussion die Trennbarkeit der Abreden filr den Nutzfahrzeug- und filr den PKWBereich allerdings nicht begründet, vgl. CookiKerse, S. 41); Gerwing, S. 18; vgl. auch Kommission, 14. 10. 1991 - Metallgesellschaft/Feldmühle Nobel, WuWfE EV 1749, 1751f. (Nr.19); 13.9.1991 -Delta Air Lines/Pan Am, MCR B46 (Nr.24); 19.12.1991 - Campsa, MCRB63 (Nm. 24 und 31). 23 Kommission, Bekanntmachung über Nebenabreden, Nr. 4. 24 Kommission. Zweite Abgrenzungsbekanntmachung, Nr. 17. 25 Kommission, 4. 9. 1992 - Elf Aquitaine-ThyssenlMinol, WuWfE EV 1878 (Nr. 2). 26 Kommission, 14. 10. 1991 - MetallgesellschafllFeldmühle Nobel, WuWfE EV 1749, 1751 f (Nr. 19); 13. 9.1991 -Delta Air LineslPan Am, MCR B46 (Nr. 24); 19.12. 1991-Campsa, MCR B63 (Nm. 24 und 31).

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3.Teil: Verhältnis von Marlctstruktur- Wld -verhaltenskontrolle

Einkaufskooperationen der Mutter mit Dritten zu beteiligen27 . Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen mit Dritten, nicht am Zusammenschluß Beteiligten, unterliegen immer einer selbständigen Beurteilung nach Art. 85 EGV. Bei Einschränkungen, welche die Beteiligten untereinander vereinbaren, ist tUr die Abtrennbarkeit nicht der Parteiwille maßgeblich28 . Denn ob ein Sachverhalt insgesamt als Zusammenschluß oder als Zusammenschluß plus selbständiger Kooperation zu beurteilen ist, ist objektivanhand der Wirkungen auf dem Markt zu beurteilen29• Insofern gilt dasselbe wie bei der Frage, ob ein GU kooperative Wirkungen hat. Auch dort entscheidet nicht der Parteiwille darüber, ob das GU kooperativ ist. Es kommt vielmehr darauf an, ob die nach dem Willen der Parteien getroffenen Vereinbarungen sich auf dem Markt als Verhaltenskoordination auswirken30 . Im RegelfaH werden zusätzlich zum KontroHerwerb getroffene Vereinbarungen, die keine Nebenabreden sind, aus objektiver, an den Marktwirkungen orientierter Sicht, abtrennbare Sachverhalte sein. Die Beteiligten müssen, solange die Vereinbarungen nicht die Voraussetzungen von Nebenabreden ertUHen, nicht vor der Last zweier Verfahren geschützt werden.

27 Kommission, 3.2. 1992 - SparlDansk Supennarked, WuWIE EV 1810 (Nr. 8)~ 29. 9. 1992 -AholdlJeronimo Martins, MCR B114 (Nr. 8). 28 Gegen den Parteiwillen als maßgebliches Kriterium auch Markert, Case Note zu Kommission, 4. 9. 1992 - Elf Aquitaine-ThyssenJMinol, WuWIE EV 1878, in: MCR, S.872.1. 29 VgL zum objektiven Maßstab bei der Frage der Teilnichtigkeit nach Art. 85 Abs. 2 EGV GleisslHirsch, Art. 85 Rn. 1712. Zur Abtrennbarkeit kooperativer Vereinbarungen beim Erwerb alleiniger Kontrolle siehe Kommission, 1. 12. 1993 - UAPIVlNCI, MCR B176 (Nr.15); 15.3.1994 - Uni lever France/Ortiz Miko II, MCRBI97(Nr. 39)~ 14. 3. 1994-BMWlRover, WuWIEEV2188, 2191 (Nr. 20). 30 Die Kommission hat in einem Fall (27.4. 1992 - Eureko, WuWIE EV 1844, 1846 [Nr. 16]) den kooperativen Charakter des GU unter anderem aus den Vereinbanmgen gefolgert, die ausdrücklich "Kooperation" Wld "Austausch von know-how" vorsahen. Da sich diese Klauseln jedoch nur auf den Tätigkeitsbereich des GU bezogen, konnte man entgegen der Ansicht der Kommission daraus nicht auf die Zusanunenarbeit in anderen Bereichen schließen. Diese ergab sich vielmehr aus der Tatsache, daß die Mütter zumindest potentielle Wettbewerber des GU waren.

C. Verhaltenskoordinationen nach Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F.

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C. Beurteilung von Verhaltenskoordinationen nach Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. I. Anwendungsbereich Art. 3 Abs.2 FKVO a. F. hatte seinen Hauptanwendungsbereich bei den Gu. Denn beim Erwerb alleiniger Kontrolle ist eine mit dem Kontrollerwerb einhergehende Verhaltenskoordination kaum denkbar l . Ausgeschlossen ist sie allerdings nicht. Wird Kontrolle z. B. durch eine Mehrheitsbeteiligung erworben, so kann eine Verhaltenskoordination zwischen dem weiterhin eine Minderheitsbeteiligung haltenden Veräußerer und dem Erwerber auf Gebieten außerhalb des Zielunternehmens gegeben sein. Das setzt aber Mitwirkungsrechte oder Informationsrechte des Minderheitsbeteiligten voraus. Andernfalls ist keine Zusammenarbeit im GU gegeben, die eine Verhaltenskoordination bewirken könnte. Wegen der praktisch dominierenden Bedeutung der GU stehen diese im folgenden im Vordergrund. Welche Bedeutung Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. in diesen Fällen hatte, soll nachfolgend kurz erörtert werden.

11. Integrierte Prüfung des Art. 85 Abs. 1 EGV? Es fragt sich, ob und inwieweit im Rahmen von Art. 3 Abs. 2 FKVO schon zu prüfen war, ob der Zusammenschluß gegen Art. 85 EGV verstößt, weil er auf anderen Gebieten zu einer Verhaltenskoordination führt. 1. Wortlaut Der Wortlaut sowohl des Art. 3 Abs. 2 S. I FKVO a. F. als auch des Art. 3 Abs. 2 S. 2 FKVO a. F. sprachen dafür, Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. wie Art. 85 EGVauszulegen. Art. 3 Abs.2 S. I FKVO a. F. wies dabei die deutlicheren Parallelen zu Art. 85 EGVauf. Der "Handlung" entsprechen die "Vereinbarungen, Beschlüsse ... und abgestimmten Verhaltensweisen", der "Koordinierung" die "Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs" und die Tatbestandsmerkmale "bezweckt oder bewirkt" sind identisch. Bei Art. 3 Abs. 2 S. 2 FKVO a. F. war die Parallele wegen der negativen Fassung des Tatbestandsmerkmals nicht so deutlich. Eine GU-Gründung war daI Dementsprechend behandelte die Kommission in ihrer zweiten Abgrenzungsbekanntmachung auch nur die GU, obwohl sie ausdrücklich feststellte, daß Art. 3 Abs. 2 S. 1 FKVO nicht auf GU beschränkt ist (Zweite Abgrenzungsbekanntmachung NI. 7).

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3.Teil: Verhältnis von Marktstruktur- und -verhaltenskontrolle

nach ein Zusammenschluß, wenn sie keine Verhaltenskoordinierung mit sich brachte. Denn schon das Fehlen einer Verhaltenskoordination schloß die Anwendung des Art. 85 EGV aus; es mußte nicht zusätzlich feststehen, daß die Beteiligten eine Koordinierung nicht bezweckt oder bewirkt hatten. 2. Sinn und Zweck

Auch Sinn und Zweck des Art. 3 Abs.2 FKVO a. F. sprachen dafür, das Tatbestandsmerkmal der Verhaltenskoordination in Anlehnung an Art. 85 EGV auszulegen. Erwägungsgrund 23 zeigt, daß das Tatbestandsmerkmal der Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens die Sachverhalte von der FKVO ausnehmen sollte, die unter Artt. 85 und 86 EGV fallen. Zwar wird hier neben Art. 85 EGV auch Art. 86 EGV genannt. Aus dem Begriff der Verhaltenskoordinierung ergibt sich jedoch, daß Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. in erster Linie die dem Art. 85 EGV unterfallenden Vereinbarungen und Verhaltensabstimmungen der FKVO entziehen sollte. Mit Art. 86 EGV kann in solchen Fällen eine Kollision nur entstehen, wenn eine Verhaltenskoordination neben dem Tatbestand des Art. 85 EGV auch den des Art. 86 EGVerfüllt, z. B. weil ein marktbeherrschendes Unternehmen ein anderes zur Kooperation zwingt oder weil zwei marktbeherrschende Unternehmen ihr Marktverhalten im GU abstimmen. Die Erwähnung des Art. 86 EGV in Erwägungsgrund NT. 23 trägt daher der Tatsache Rechnung, daß eine dem Art. 85 EGV unterfallende Verhaltenskoordinierung zugleich den Tatbestand des Art. 86 EGV erfüllen kann2 . Art. 3 Abs.2 FKVO a. F. sollte also die Anwendungsbereiche des Art. 85 EGV und der FKVO als einander nicht überschneidende Kreise gestalten. Das sprach dafür, innerhalb des Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. die Anwendbarkeit des Art. 85 EGV zu prüfen3 . Die Vorschriften verhielten sich wie kommunizierende Röhren. Wurde Art. 85 EGV weit ausgelegt, war der Anwendungsbereich der FKVO kleiner, wurde Art. 85 EGV eng ausgelegt, war er größer. Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens im Sinne von Art. 3 Abs.2 FKVO a. F. war daher nicht nur horizontale Verhaltensabstimmung ("Kar-

2 Vgl. zu dieser Möglichkeit EuGH, 11.4.1989 -Ahmed Saeed, WuWIE EWGIMUV 841,846 (Nr. 37); filhren allerdings erst Verhaltensabsprachen im Sinne von Art. 85 EGV zu einer gemeinsamen marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 86 EGV, dann kann der Mißbrauch im Sinne von Art. 86 EGV nicht in eben diesen Verhaltensabsprachen gesehen werden, EuG, 10.3. 1992 - Societa Italiana Vetro u. a./Kommission, Slg. 199211 1403, 1548 (Nr. 360). 3 So auch die h. M. in der Literatur sowie die Kommissionspraxis, Kommission, Zweite Abgrenzungsbekanntrnachung, Nr. 6; Mälzer, WuW 1992, 705, 713; Riesenkamp./J. in: FS Rittner, S. 491, 501 f.; Gerwing, S. 102 f., 107.

C Verhaltenskoordinationen nach Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F.

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tell"), sondern auch vertikale Verhaltensabstimmung4 . Denn weil Art. 85 EGV auch vertikale Wettbewerbsbeschränkungen erfaßt, war auch Art. 3 Abs.2 FKVO a. F. entsprechend auszulegen. Auch vertikale Zusammenarbeit kann sich auf der Grenze zwischen Art. 85 EGV und Art. 3 FKVO bewegen5 .

3. Welche Tatbestandsmerkmale des Art. 85 EGV waren zu prüfen? Schon aus dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. ergab sich, daß weder das Vorliegen einer Vereinbarung zwischen Unternehmen, eines Beschlusses oder einer Verhaltensabstimmung noch die Zwischenstaatlichkeitsklausel des Art. 85 EGV zu prüfen waren. Fraglich ist jedoch, inwieweit zu prüfen war, ob eine Wettbewerbsbeschninkung bezweckt oder bewirkt wurde. a) Kommissionspraxis

Die Kommission prüfte nicht ausdrücklich, ob der Zusammenschluß eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt oder bewirkt. Sie prüfte allein, ob eine Verhaltenskoordination der Beteiligten wahrscheinlich ist6 . Inhaltlich allerdings unterlag die Kommissionspraxis hierzu einem Wandel. Zunächst wollte die Kommission an die vorfusionskontrollrechtliche Praxis anknüpfen und GU in den überwiegenden Fällen nicht der FKVO, sondern dem Art. 85 EGV unterwerfen, indem sie eine durch die Marktstrukturänderung bedingte Verhaltenskoordination unter großzügigen Voraussetzungen annahm? Nach und nach ging die Kommission dazu über, diese nur unter engeren Voraussetzungen zu bejahenM. Damit wurde der Anwendungsbereich der FKVO größer, der Unklar Veelken, in: VeelkenlKarllRichter, S. 16. Vgl. die Zusammenarbeit von Corning mit ihren Abnehmern in verschiedenen GU im "Optical Fibres"-Fall, Kommission, 14. 7. 1986, ABl. 1986 L 236/30. 6 Z. B. Kommission, 18. 1. 1993 - PhilipsfThomsoniSagem, MCR B 127 (Nm. 15 ff.). 7 Kommission, erste Abgrenzungsbekannmachung, Nm. 20 ff.; vor Inkrafttreten der FKVO glich man mit der weiten Auslegung des Art. 85 EGV das Fehlen einer Fusionskontrolle aus, vgl. Bechtold, RlW 1990, 253, 256; Gerwing, S. 104; Weitbrecht, EuZW 1993, 687, 688; Steindorff, BB 1988, Beilage 1, S. 4; andere Mittel dazu waren, die Voraussetzungen ftlr - zulässige - konzerninterne Wettbewerbsbeschränkungen eng zu fassen sowie dem Konzentrationsgrad bei Art. 86 EGV mehr Bedeutung zuzumessen, Bos/StuycklWytinck, Rn. 1-003. - In ihren ersten Entscheidungen zu GU lag die Kommission mehr auf der heute wieder aktuellen Linie, s. lliopoulos, S. 208 ff.; Steindorff, BB 1977, 1613 ff.; Harms, in: FIW (Hrsg.), Schwerpunkte 1978/79, S. 121, 125 f. 8 Der Wandel wird deutlich in dem Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Abgrenzungsbekanntmachung. Ausführlich zur Kommissionspraxis Lohse, ZHR 1995, 164 ff.; Pappalardo, Revue internationale de droit economique 1996,299, 312 ff.; ders., Revue du Marche unique europeen 1995,101,105 ff. Zur Praxis vor der 4

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3.Teil: Verhältnis von Marktstruktur- und -verhaltenskontrolle

des Art. 85 EGV kleiner. Gegen letzteres bestanden keine Bedenken, solange sich die Kommission innerhalb der möglichen Auslegungsgrenzen des Art. 85 EGV bewegte9 b) Die Beurteilung des sogenannten Gruppeneffekts

Der soeben dargestellte Schwenk in der Kommissionspraxis zeigt, daß die Beurteilung der zusammenschlußbedingten Verhaltenskoordination - des sogenannten GruppeneffektslO - erheblichen Unsicherheiten unterliegt. Grund dafür ist zum einen. daß in der Diskussion nicht ganz klar ist, über welche Sachverhalte eigentlich gesprochen wird. Zwar unterscheidet man den engen und weiten Gruppeneffekt, je nachdem, ob sich das erwartete gruppensolidarische Verhalten auf den GU-Markt oder andere Märkte beziehtlI. Der Begriff Gruppeneffekt wird aber nicht einheitlich benutzt. Zum Teil werden nur Verhaltenskoordinationen, die automatisch12 oder unvermeidbar13 oder zumindest wahrscheinlich14 eintreten, als Gruppeneffekt bezeichnet. Im folgenden wird der Begriff im weitesten Sinne verwendet. Gemeint ist damit jegliche Verhaltenskoordination, die sich aus einem Zusammenschluß, insbesondere aus einer gemeinsamen Beteiligung an einem GU, hinsichtlich der nicht vergemeinschafteten Tätigkeiten der Beteiligten ergeben kann. Tatsächlich ist der "Gruppeneffekt" kein besonderes Phänomen, sondern nur eine Sammelbezeichnung für zusammenschlußbedingte Beschränkungen der Handlungsfreiheit im Sinne von Art. 85 EGVI5 . Grund für die Unsicherheiten bei der Beurteilung des Gruppeneffekts ist zum anderen, daß die herrschende Meinung das Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsbeschränkung in Art. 85 EGV weit auslegtl6. Das ermöglicht es, auch Sachverhalte, die spätere Verhaltenskoordinationen möglich erscheinen

zweiten Bekanntmachung siehe z. B. Vogel, La Semaine Juridique Edition Entreprises 1993, 254 ff. 9 VgI. Gerwing, S. 195 f. 10 Zurückgehend auf die Tenninologie der Hohen Behörde, 25. 4. 1962 - SIDMAR I, 11. Gesamtbericht EGKS (1963), NT. 349; inhaltlich schon genauso, aber ohne den Begriff des Gruppeneffekts, Hohe Behörde, 27. 9. 1961 - Rasselstein, 10. Gesamtbericht EGKS (1962), Nr. 278; dazu auch lliopoulos, S. 96 ff. \1 Benner, S. 45; G. Wiedemann, Gemeinschaftsunternehmen, S. 42 m.w.N. 12 U. Huber, in: HuberlBömer, S. 20. \3 Hohe Behörde, 25.4. 1962 - SIDMAR I, 11. Gesamtbericht EGKS (1963), NT. 349. 14 Hohe Behörde, 8. 3. 1967 - SIDMAR IIl, ABI. 1967, 717, 719. 15 VgI. auch Ritter/Overbury, CMLRev. 1977, 601, 636: GU seien kein Mysterium; vielmehr gehe es um die Anwendung des Art. 85 EGY. 16 Siehe oben 2. Teil D IIl4 a, S. 222 ff.

C. Verhaltenskoordinationen nach Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F.

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lassen, unter Art. 85 EGV zu subsumieren. Der Gruppeneffekt kann in einer Rechtsordnung, die ein derart weites Kartellverbot und eine Fusionskontrolle kennt, theoretisch innerhalb beider Regime in die Bewertung einfließen17. Fehlt eine Fusionskontrolle, wird die Bereitschaft höher sein, den Gruppeneffekt dem Kartellverbot zu unterstellen. Eben das ist die Erklärung für den - zeitlich etwas verzögerten - Schwenk der Kommission von der vorfusionskontrollrechtlichen Praxis zur heutigen. c) Eigene Ansicht

Nach der hier vertretenen Ansicht liegt eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 85 EGV nur vor, wenn die Handlungsfreiheit mindestens eines Beteiligten beschränkt wird und hierdurch Dritte beeinträchtigt werden l8 . Der sogenannte Gruppeneffekt unterfällt daher nur Art. 85 EGV, wenn diese Voraussetzungen vorliegen. Im Rahmen von Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. war allerdings nur die Beschränkung der Handlungsfreiheit, nicht die Drittbeeinträchtigung zu prüfen. Denn das Fehlen einer Drittbeeinträchtigung führt nicht zum Wegfall der Verhaltenskoordination, sondern zu deren kartellrechtlicher Unbedenklichkeit. Im Rahmen von Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. war daher nur zu prüfen, ob der Zusammenschluß eine Beschränkung der Handlungsfreiheit mindestens eines Beteiligten bezweckte oder bewirkte. Eine Verhaltenskoordination lag daher nicht allein deshalb vor, weil es möglich erschien, daß die Beteiligten später ihr Verhalten abstimmen würden.

4. Bindungswirkung der Entscheidung nach Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. Nach Auffassung der Kommission hatte die Entscheidung darüber, daß eine Koordinierung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. vorlag, keinerlei materiell-rechtliche Bedeutung für die Anwendung des Art. 85 EGVI9 . Insbesondere war danach nicht bindend entschieden, ob eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 85 EGV vorlag. Die Wirkung der Entscheidung war daher, abgesehen von der materiell-rechtlichen Verneinung des Zusammenschlußtatbestandes, eine rein verfahrensrechtliche. Der Sachverhalt wurde dem Verfahren nach der VO 17 oder nach einer der Sonderverordnungen für den Transportsektor zugewiesen20 . Hierdurch entstand das Problem, daß eine Prüfung des Art. 85 EGV später ergeben konnte, der Tatbestand des Art. 85 EGV sei nicht erfüllt. Wurde der Vgl. Mestmäcker, in: ImmengafMestmäcker, Vor § 23 Rn. 150 ff. 2. Teil D m 4 b, S. 224 ff. 19 Kommission, Bekanntmachung über kooperative GU, NI. 11. 20 Kommission, Bekanntmachung über kooperative GU, Nr. 11. 17

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3.Teil: Verhältnis von Marktstruktur- und -verhaltenskontrolle

Tatbestand verneint, weil keine koordinierenden Wirkungen des Zusammenschlusses zu erwarten waren, wäre der Zusammenschluß durch die Maschen des Gesetzes geschlüpft. Das ist zum einen ein weiteres Argument dafür, die Auslegung des Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. ("Koordinierung bezweckt oder bewirkt") und des Art. 85 EGV ("Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt") zu harmonisieren. Zum anderen war deshalb eine Bindungswirkung der Entscheidung der Kommission nach Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. anzunehmen, soweit das Vorliegen einer Verhaltenskoordination bejaht worden war.

D. Die Novelle der FKVO Die soeben dargestellte Regelung des Art. 3 Abs. 2 FKVO ist schon bald auf starke Kritik gestoßen, die verschiedene Änderungsvorschläge hervorgerufen und schließlich zur Neufassung des Art. 3 Abs. 2 FKVO und des Art. 2 Abs. 4 FKVO geführt hat.

I. Kritik an der Regelung des Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. Art. 3 Abs.2 FKVO a. F. ist in der Literatur ganz überwiegend heftiger Kritik ausgesetzt gewesen1.

1. Fehlende wettbewerbstheoretische Rechtfertigung? In der Literatur wird die Ansicht vertreten, wettbewerbstheoretisch sei die ausschließliche Anwendung der FKVO auf Zusammenschlußsachverhalte nicht zu rechtfertigen2. Denn damit könne man nicht flexibel genug die Sachverhalte erfassen, in denen wettbewerbsgefährdende Machtstellungen entstehen können3 . Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. erreichte durch die enge Zusammenschlußdefinition, daß eine Doppelkontrolle nach FKVO und Art. 85 EGV ausgeschlossen war; nur bei Nebenabreden gab es eine Doppelkontrolle im Verfahren nach der 1 Siehe die Nachweise sogleich; Zustimmung erhält die Regelung von Quack, GRUR Int. 1996,549, 550. 2 Karl, S.38, 57, 260, 284, 343; in diese Richtung geht auch die Kritik von Portwood, S. 14. 3 Karl, S. 38.

D. Die Novelle der FKVO

273

FKVO. Aus wettbewerbstheoretischer Sicht bestehen hiergegen aber keine Bedenken. Nach dem oben Gesagten kann eine Wettbewerbsordnung dem fließenden Übergang zwischen Konzentration und Kooperation auf verschiedene Weise Rechnung tragen. Erforderlich ist nur, daß es zwnindest eine Nonn gibt, die dem fließenden Übergang dadurch gerecht wird, daß sie es ennöglicht, konzentrative und kooperative Elemente zu kontrollieren. Diese Nonn ist nach dem Konzept der Wettbewerbsregeln Art. 85 Abs. 3 EGY. Ein anderer wettbewerbstheoretischer Kritikpunkt war, Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. sei systemwidrig, weil ein GU den Wettbewerb weniger beschränke als ein Zusammenschluß und deshalb besser zu behandeln sei als dieser4 . Dieser Erst-recht-Schluß greift nichtS. Denn die Annahme zusammenschlußtypischer Vorteile ist bei Sachverhalten mit kooperativen Elementen wegen der vermuteten schlechteren Marktergebnisse bei Kooperation nicht gerechtfertigt; die Wettbewerbsbeschränkung ist daher nicht geringer. Vielmehr war Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. wettbewerbstheoretisch sogar klar begrtindbar. Die kartellrechtliche Ungleichbehandlung von Konzentrationssachverhalten gegenüber der Verhaltenskoordination beruht - neben der Zusammenlegung von Ressourcen - gerade auf dem Fehlen bloß koordinierender Elemente. Das nahm Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. auf. Aus wettbewerbstheoretischer Sicht spricht daher nichts dagegen, den Zusammenschlußtatbestand so eng zu fassen. Eine andere Frage ist, ob Art. 85 EGV den Sachverhalten des fließenden Übergangs gerecht wird.

2. Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Verfahrensart Die Abgrenzung von Konzentrationssachverhalten mit Verhaltenskoordination und Konzentrationssachverhalten ohne Verhaltenskoordination ist in Wissenschaft und Praxis insbesondere wegen der fehlenden Rechtssicherheit kritisiert worden6 • Die tUr die Unternehmen entscheidende Frage, ob nach der FKVO oder der VO 17 verfahren wird, war im Vorhinein schwer zu beantworten. Zwei Beispiele aus der damaligen Abgrenzungsbekanntmachung der HawkIHuser, CMLRev. 1993, 1155, 1158; dies., S. 65. dem umgekehrten Erst-recht-Schluß, daß der Wegfall von Handlungsfreiheit erst recht unter Art. 85 EGV fallen müsse, weil die Beschränkung der Handlungsfreiheit den Tatbestand erfülle, siehe oben 2. Teil D III 4 b cc, S. 227 ff. 6 Beispielhaft Heidenhain, NJW 1995, 1879, den "der Scharfsinn und der Zeitaufwand" zur Abgrenzung der kooperativen von den konzentrativen GU nicht überzeugen; BDI, Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission, März 1996, S.6 (siehe auch Handelsblatt v. 30./31. 3.1996, S. 9); Portwood, S. 14; HawklHuser, CMLRev. 1993, 1155, 1162; Kögel, S. 368; BumsidelMackenzie Stuart, ECLR 1995, 138; Brown, ECLR 1996, 240, 249; besonders anschaulich werden die Abgrenzungsprobleme bei Montag, RIW 1994, 918 ff. 4

S Zu

18 Pohlmann

274

3.Teil: Verhältnis von Marktstruktur- und -verhaltenskontrolle

Kommission seien genannt. Sind die Gründeruntemehmen in einem dem GUMarkt sachlich benachbarten Markt tätig, sei - so die Kommission - eine Koordinierung wahrscheinlich, wenn der Nachbarmarkt, gemessen an dem des GU, von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sei7 . Sind die Gründer auf demselben räumlichen und sachlichen Markt tätig, das GU aber auf einem anderen räumlichen Markt, sei Koordinierung zu erwarten, wenn die GUTätigkeit im Verhältnis zu der anderen Tätigkeit der Gründer von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sei und zwischen den Märkten eine Wechselwirkung bestehe oder sich entwickeln werde8 . Wann die Kommission eine relativ erhebliche wirtschaftliche Bedeutung oder Wechselwirkungen bejahen würde, war kaum voraussehbar. Im übrigen bleibt unklar, warum in diesen beiden Fällen das Geringfiigigkeitskriterium mit gegensätzlichen Folgen in die Waagschale fiel. Diese Rechtsunsicherheit hinsichtlich des Vorliegens einer Freiheitsbeschränkung bliebe zwar auch bestehen, wenn nur im Rahmen von Art. 85 EGV zu entscheiden wäre, ob eine Beschränkung der Handlungsfreiheit vorliegt. Sie wog jedoch hier besonders schwer, weil sie darüber entschied, welches von zwei sehr unterschiedlichen Verfahren eingriff. 3. Doppelte normative Anknüpfung identischer Sachfragen Die Anwendbarkeit der FKVO hing nach Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. davon ab, ob eine Beschränkung der Handlungsfreiheit im Sinne von Art. 85 EGV vorlag. War die FKVO aus diesem Grunde unanwendbar, war im Rahmen von Art. 85 EGV erneut zu prüfen, ob eine Beschränkung von Handlungsfreiheit vorlag. Ein und dieselbe Sachfrage war also innerhalb zweier unterschiedlicher Normen in zwei verschiedenen Verfahren zu klären. Dadurch wurde die Herausbildung einheitlicher Bewertungskriterien erschwert. Deutlich werden diese Gefahren bei der nach altem Recht gegebenen Möglichkeit, daß im Rahmen von Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. eine Verhaltenskoordination bejaht, im Rahmen von Art. 85 EGV dann eine Beschränkung der Handlungsfreiheit verneint werden konnte. Ein weiteres Beispiel für die Gefahren unterschiedlicher normativer Anknüpfung derselben Sachfrage ist die Beurteilung von Bagatellfällen. Nach Ansicht der Kommission führten kooperative Elemente, die im Verhältnis zur Marktstrukturänderung nur von geringer Bedeutung waren, nicht zur Anwendung des Art. 85 EGy9. Im Rahmen von Art. 85 EGV kann der Bagatellcha7 Kommission, Zweite Abgrenzungsbekanntmachung, Nr. 18, 7. Spiegelstrich; vgl. auch Gerwing. S. 49 f. 8 Kommission, Zweite Abgrenzungsbekalliltmachung, Nr. 19,2. Spiegelstrich. 9 Kommission, Zweite Abgrenzungsbekanntmachung, Nr. 20.

D. Die Novelle der FKVO

275

rakter aber nur dann zur Nichtanwendung des Art. 85 Abs. 1 EGV führen, wenn die Kooperation im Hinblick auf die Marktverhältnisse von geringer Bedeutung ist10 . Eine Abwägung, ob die Vorteile der GU-Gründung (Marktstrukturänderung) oder ihre Nachteile (Kooperation) überwiegen, kann allenfalls im Rahmen von Art. 85 Abs. 3 EGV erfolgen.

4. Def'IZite bei der VO 17 Das Verfahren der VO 17 ist für bestimmte Sachverhalte aus dem Bereich des fließenden Übergangs zwischen Konzentration und Kooperation nicht geeignet. Das gilt vor allem, wenn Ressourcen übertragen werden sollen. Denn die Verfahrensdauer nach der VO 17 verträgt sich schlecht mit der Planung einer Umstrukturierung, die eine Verfügung über Ressourcen zum Gegenstand hat und häufig auch der raschen Erschließung neuer Märkte dient. Das neue beschleunigte Verfahren rur strukturelle GUll half der Ungleichbehandlung nur teilweise ab. Ebenfalls ungeeignet ist in solchen Fällen die Erteilung eines Negativattests, weil es nicht genug Rechtssicherheit bietet.

11. Änderungsvorschläge De lege lata konnte der Situation - nur in Nuancen - abgeholfen werden, indem man die Auslegungsspielräume nutzte, die Art. 3 .Abs. 2 FKVO a. F. ließ l2 . Eine enge Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Verhaltenskoordination sicherte der FKVO einen größeren Anwendungsbereich. Ein anderer Vorschlag de lege lata ging dahin, durch Auflage nach Art. 8 Abs. 2 Unterabs.2 S. 1 FKVO die nachfolgende Prüfung nach Art. 85 EGV vorzuschreiben l3 . Das hätte verfahrensrechtlich keine Erleichterung gebracht und wäre zudem mit Art. 3 Abs. 2 S. 2 FKVO a. F. und Art. 22 Abs. 2 FKVO a. F. nicht vereinbar gewesen. Angesichts der fehlenden Abhilfemöglichkeit de lege lata wurden de lege ferenda zahlreiche Verbesserungsvorschläge gemacht.

10

Kommission, Bagatellbekanntmachung, Nm. 2,9 fT.

Siehe unter D. der Einleitung zum früheren Formular NB, Anhang zur VO 3385/94, ABI. 1994 L 377128, 34 f. 12 Dafilr z. B. HawkIHuser, S. 64 ff.: weite Auslegung des Begriffs des konzentratiyen GU. 13 Karl, S. 345 f. 11

IS'

276

3.Teil: Verhältnis von Marktstruktur- und -verhaltenskontrolle 1. Grünbuch über die Revision der FKVO

Anfang 1996 hat die Kommission ein Grünbuch über die Revision der FKVO vorgelegt. Sie hat dort verschiedene Möglichkeiten zur Diskussion gestellt, wie man die Regelung für Gemeinschaftsunternehmen ändern könnte14 . Die Vorschläge betreffen zum Teil das Verfahrensrecht, zum Teil das materielle Recht. Im Verfahrensrecht wurde vorgeschlagen, eine Gleichbehandlung kooperativer Vollfunktions-GU mit den konzentrativen GU herbeizuführen, indem man a) für kooperative Vollfunktions-GU ein neues, beschleunigtes Verfahren vorsieht oder b) sie der FKVO unterwirft oder c) die GVOs auf sie ausdehntlS und für Bereiche ohne GVO eine neue GVO schafft16 . . Der erste Weg hätte zwar zu einer verfahrensmäßigen Gleichstellung kooperativer und konzentrativer GU geführt, er hätte aber ihre Unterscheidung auf der Ebene des Verfahrensrechts nicht entbehrlich gemacht. Denn die Kommission hätte entscheiden müssen, ob sie nach der FKVO oder nach der neuen Verfahrensordnung verfahrt. Materiell-rechtlich wären GU weiterhin entweder nach Art. 85 EGV oder nach der FKVO zu beurteilen gewesen. Der zweite Weg hätte dazu geführt, daß für die Verfahrensart nur noch entscheidend gewesen wäre, ob ein Vollfunktions-GU vorliegt. Für die materiellrechtliche Bewertung wäre weiter zu prüfen gewesen, ob ein kooperatives GU vorliegt (dann Art. 85 EGV) oder nicht (dann FKVO)17. Der dritte Weg hätte nur eine Verbesserung innerhalb der Geltungsbereiche der GVOs mit sich gebracht. Im materiellen Recht schlug man vor Art. 3 Abs.2 FKVO a. F. dahingehend zu ändern, daß entweder a) alle Vollfunktions-GU unabhängig von kooperativen Wirkungen der FKVO unterfallen oder b) alle GU-Gründungen mit Ausnahme von Kartellen der FKVO unterfallen. Der erste, Gesetz gewordene Weg, führt dazu, daß Art. 2 FKVO auch auf Marktstmkturänderungen mit kooperativen Wirkungen anwendbar ist. Der zweite Weg hätte dieselben Konsequenzen gehabt, allerdings für eine größere Gruppe von GU. Er hätte es zudem erforderlich gemacht, Kartelle im GUKleid näher zu beschreiben. Kommission, Grünbuch über die Revision der FKVO, S. 30 fI., Nm. 107 fI. So in kleinen Ansätzen schon geschehen durch die VO 151/93, ABI. 1993 L 21/8 fI.; kritisch dazu Jung, EuZW 1993, 690, 693 fI. 16 Ähnlich ein tiiiherer Vorschlag des BDI, Stellungnahme zum Entwurf einer Bekanntmachung der Kommission: Leitlinien fiIr die Beurteilung der kooperativen Gemeinschaftsunternehmen, 20. 3. 1992, S. 3. 10 Kommission, Grunbuch über die Revision der FKVO, S. 31, Nr. 114. 14

15

D. Die Novelle der FKVO

277

2. Vorschlag des Wirtschafts- und Sozialausschusses Der Wirtschafts- und Sozialausschuß schlug· in seiner Stellungnahme zum Grünbuch vor, daß man sich vorläufig auf eine Verfahrensänderung beschränken solle, die eine beschleunigte Beurteilung von kooperativen VollfunktionsGU sicherstelle. Für materiell-rechtliche Änderungen fehle es bisher insbesondere an einer brauchbaren Definition der sogenannten kooperativen Vollfunktions-GU I8 . 3. Vorschlag der Kommission für eine Änderung der FKVO Die Kommission hat am 10.7. 1996 einen Vorschlag zur Änderung der FKVO angenonunenl9 . Er deckt sich weitgehend mit der letztlich umgesetzten Novelle. Er sah vor, daß alle Vollfunktions-GU unabhängig von zusätzlichen kooperativen Wirkungen in den Anwendungsbereich der FKVO fallen. Zu diesem Zweck waren die bereits oben kurz dargestellten Änderungen vorgesehen, die zu einer Prüfung des Art. 85 EGV im Verfahren der FKVO führen. Das Europäische Parlament hat den Vorschlag der Kommission gebilligt20. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß dagegen kritisierte die Anwendung zweier unterschiedlicher Maßstäbe auf ein und denselben Sachverha1t21 . 4. Literatur . Von seiten der US-amerikanischen Literatur wird für das europäische Recht angeregt, die Unterscheidung zwischen Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle aufzugeben. Stattdessen sollen GU einheitlich daraufhin untersucht werden, inwieweit sie den Wettbewerb zwischen den Müttern beschränken22 .

18 Wirtschafts- und Sozialausschuß, Stelhll1gnahme zum "Grünbuch über die Revision der FKVO", ABI. 1996 C 295/17, 22, Nm. 8.3.1. - 8.3.5. 19 Kommission, Vorschlag fur eine VO (EG) des Rates zur Ergänzung der VO des Rates (EWG) Nr. 4064/89 vom 21. Dezember 1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, KOM (96) 313 endg., 9610224 (CNS). 20 Europäisches Parlament, ABI. 1996 C 362/130. 21 Wirtschafts- und Sozialausschuß, ABI. 1997 C 56/71. 22 Hawk, Fordham Int. L. J. 15 (1991 - 92), 303, 323 f; Venit, World Competition, Vol. 14 No. 3 (1991), 5, 31; siehe dazu auch O. Axster, FS Gaedertz, S. 1,161'. (im US-amerikanischen Antitrustrecht sei eine solche Gesamtbetrachtung möglich, weil es dort eine voll ausgebildete rule 01' reason - also Grundsätze über die Abwägung der Vor- und Nachteile einer wettbewerbsrelevanten Handlung - gebe); ähnlich Zachmann, Tz. 1.234.

278

3.Teil: Verhältnis von Marktstruktur- und -verhaltenskontrolle

Andere wollen den Bereich konzentrativer GU erweitern und kooperative Elemente getrennt überprüfen23 . Vorgeschlagen wird auch, alle GU mit deutlichen strukturellen Wirkungen allein der FKVO zu unterwerfen24 . Weitergehend will man alle GU mit Ausnahme der versteckten Kartelle der FKVO zuschlagen25 . Weiter findet sich der Vorschlag, GU gegenüber Art. 85 Abs. 1 EGV und der FKVO einem dritten Beurteilungsmaßstab zu unterstellen, der Verhaltensund Strukturkontrolle miteinander verbindet26 . Dieser Maßstab sei aus der bisherigen Praxis zur Abgrenzung und Beurteilung kooperativer und konzentrativer GU zu entwickeln. Manche befürworten eine GVO für strukturelle (marktstrukturändernde) Vollfunktions-GU27 • Weiter wjrd von einem Vorschlag aus der Praxis berichtet, wonach kooperative GU in einem dem Fusionskontrollverfahren nachgebildeten Verfahren geprüft werden sollten28 . Vereinzelt hält man -langfristig, nach weiterer Entwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts - gesellschafisrechtlich gefaßte Zusammenschlußtatbestände für sinnvolf9 • Ein ähnlicher Ansatz ist es, einen formalen Zusammenschlußtatbestand zu schaffen, nach dem Anteilserwerbe von mehr als 25% der FKVO unterfallen sollen30 . Die Autoren halten diese Lösung auch schon de lege lata durch weite Auslegung des Kontrollbegriffs für gangbar.

23 Kögel, S. 368 ff. (Prüfung des engen Gruppeneffektes im Rahmen der Fusionskontrolle; im übrigen parallele Anwendung der Kartell- und Fusionskontrollvorschriften in einem Verfahren); Hanns, FS Pfeiffer, S. 501,514 (fur das GWB: Prüfung des Gruppeneffektes im Rahmen der Fusionskontrolle, Prüfung überschießender Nebenabreden nach dem Kartellverbot); Scherf, AG 1992, 245, 257; die von Scherf angesprochenen kooperativen Elemente (Bsp.: wettbewerbsbeschränkende know-how-Vereinbarung, die keine Nebenabrede ist) sind nach der hier vertretenen Ansicht abtrennbare Sachverhalte. 24 Broberg, ECLR 1996, 289, 292 (aber zweifelnd hinsichtlich der Ausschaltung des Art. 85 EGV). 25 Pathak, ECLR 1991, 171, 183; ähnlich Hösch, EWS 1997, 5, 8 f. 26 Meessen, WuW 1993, 901, 908 f.; ähnlich fitr das US-amerikanische Antitrustrecht Piraino, Minn. L. Rev. 1991, 1, 24 ff., der bei allen GU in erster Linie darauf abstellen will, welchen Zweck die Mütter mit dem GU verfolgen. 27 Bumside/Mackenzie Stuart, ECLR 1995, 138, 146. 28 Dirksen, Schwerpunkte des Kartellrechts 1990/91, S. 119, 129. 29 Karl, S. 337 ff. 30 HawklHuser, CMLRev. 1993, 1155, 1173.

D. Die Novelle der FKVO

279

5. Stellungnahme a) Rechtspolitische Möglichkeiten

Auf die Tatsache, daß reine Marktstrukturänderungen und Verhaltenskoordination miteinander einhergehen können, kann man hinsichtlich des materiellen Rechts31 rechtspolitisch aufviererlei Weise reagieren. Erstens kann man, wie von US-amerikanischer Seite vorgeschlagen, auf die Unterscheidung zwischen Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle ganz verzichten. Dann würde man alle Sachverhalte, die bloße Verhaltenskoordination, die reine Marktstrukturänderung und die Mischfälle, anhand eines Maßstabes beurteilen (Einheitsbetrachtung). Zweitens kann man die Mischsachverhalte einem besonderen, von dem der Marktstrukturkontrolle und der Marktverhaltenskontrolle verschiedenen Maßstab unterwerfen (Sonderbetrachtung). Drittens kann man die Mischsachverhalte stets nur einem der beiden Kontrollregime unterwerfen (Alternativbetrachtung). Dabei kann man entweder alle Mischsachverhalte jeweils einem Regime unterstellen (so nach seinem Wortlaut Art. 3 Abs. 2 S. 2 FKVO a. F.: Mischsachverhalte unterfallen Art. 85 EGV), oder man kann bestimmte Mischsachverhalte dem einen, andere dem anderen Regime unterstellen. Viertens kann man Mischsachverhalte der Doppelkontrolle nach beiden Regimen unterstellen. Die vorgeschlagene gesellschaftsrechtliche Fassung der Zusanunenschlußtatbestände würde an dem Problem dagegen nichts ändern. b) Einheitsbetrachtung

Eine Einheitsbetrachtung, also ein Verzicht auf die Unterscheidung zwischen Marktstrukturkontrolle und Marktverhaltenskontrolle, würde eine völlige Neuorientierung des europäischen Wettbewerbsrechts bedeuten. Die durch die FKVO vorweggenommene positivere Bewertung reiner Marktstrukturänderungen entfiele. Es wären in jedem Einzelfall die Vor- und Nachteile einer wettbewerbsrelevanten Handlung abzuwägen (rule of reason). Diese Möglichkeit ist nicht sinnvoll. Die a-priori-Bevorzugung von Zusammenschlüssen hat sich in allen entwickelten Wettbewerbsordnungen, so insbesondere in den nationalen Wettbewerbsordnungen innerhalb der EU,

31

Zum Verfahrensrecht siehe unten bei f, S. 284 ff.

280

3.Teil: Verhältnis von Marktstruktur- und -verhaltenskontrolle

durchgesetze 2 . Hier auf EG-Ebene einen Rückschritt zu machen, wäre der wünschenswerten Rechtsvereinheitlichung nicht zuträglich. Zudem ist die mit der Einheitsbetrachtung verbundene Rechtsunsicherheit beträchtlich. Das gilt Ul1lS0 mehr, als die rule of reason in der EG bisher nur eine untergeordnete Rolle spielt und deshalb nur begrenzt auf gefestigte Grundsätze, etwa zu Art. 85 Abs. 3, zurückgegriffen werden kann. c)

Sonderbetrachtung

Eine Sonderbetrachtung der Mischfalle setzt zunächst die Entwicklung eines eigenen Standards für diese Fälle voraus. Das ist deshalb schwierig, weil die wettbewerbliche Beurteilung einerseits die Bevorzugung von Zusammenschlüssen, andererseits die ungünstigere Bewertung von Verhaltenskoordination berücksichtigen muß. Beides müßte in die Sonderbetrachtung einfließen. Dann ist es jedoch sinnvoller, beide Regime nebeneinander zur Anwendung kommen zu lassen. Abzulehnen ist es insbesondere, eine solche Sonderbetrachtung rechtstechnisch durch eine GVO für alle Vollfunktions-GU herbeizuführen. Zum einen erstreckt sich die Problematik nicht nur auf gemeinsam kontrollierte Unternehmen, sondern auf alle Unternehmen, auf die mehrere Unternehmen einen gewissen, nicht notwendig bestimmenden Einfluß haben. Denn auch bei diesen Unternehmen kann die Zusammenarbeit im Unternehmen eine Verhaltenskoordination auf anderen Gebieten mit sich bringen. Eine GU-spezifische GVO löste daher das Problem nur teilweise. Zum anderen wäre es nicht mit Art. 85 Abs. 3 EGV vereinbar. Wettbewerbsbeschränkungen nur deshalb freizustellen, weil sie durch ein Vollfunktions-GU eintreten. d) Doppelkontrolle

Eine Doppelkontrolle, wie sie jetzt Gesetz geworden ist, führt dazu, daß Art. 85 EGV und die VO 17 einerseits und die FKVO andererseits nebeneinemder anwendbar sind. Materiell-rechtlich ist der Sachverhalt nach Art. 85 Abs. I, Abs. 3 EGV und nach Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO zu prüfen. Innerhalb beider Regime ist jeweils der gesamte Sachverhalt zu prüfen. Es wären also nicht etwa die kooperativen Elemente nach Art. 85 EGV, die konzentrativen nach Art. 2 FKVO zu prüfen. Eine solche Trennung wäre künstlich und würde der Einheitlichkeit des Vorgangs nicht gerecht.

32 Zur Entwicklung in Europa siehe Dreher, AG 1993, 437 tr; zu der Entwicklung in den USA, in der EU und in Frankreich siehe Vogel, S. 401 tr

D, Die Novelle der FKVO

281

Läge ein Verstoß gegen Art, 85 Abs, 1 EGV vor, wäre nach Art, 85 Abs, 3 EGV zu prüfen, ob der betreffende Vorgang eine Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder eine Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts mit sich bringt, Das kann sich insbesondere aus der Zusammenlegung von Ressourcen, z. B. in einem GU, ergeben, So läßt die Kommission bei kooperativen Marktstrukturänderungen die Vorteile der Marktstrukturänderung - wie etwa effektivere und umfangreichere Produktion - in die Abwägung einfließen33 , Weiter müssen die Verbraucher an den Vorteilen angemesen beteiligt sein, Ob das der Fall ist, hängt insbesondere davon ab, wie intensiv der Wettbewerb auf dem betreffenden Markt ise 4 , also von der Marktstruktur, Des weiteren muß die Wettbewerbsbeschränkung zur Erreichung der genannten positiven Effekte unerläßlich sein. Da Konzentrationssachverhalte nur gegen Art. 85 EGV verstoßen, wenn der Konzentrationssachverhalt selbst eine Beschränkung der Handlungsfreiheit der Beteiligten bewirkt, wird die Unerläßlichkeit dann regelmäßig gegeben sein. Schließlich darf die Vereinbarung den Beteiligten nicht die Möglichkeit geben, den Wettbewerb auszuschalten. Ob das der Fall ist, richtet sich in erster Linie nach der Marktstruktur , Bei Art. 2 FKVO ist zu prüfen, ob eine marktbeherrschende Stellung eines Beteiligten ensteht oder verstärkt wird. Im Rahmen der Marktstrukturuntersuchung ist auch zu prüfen, welche Bedeutung die mit der Marktstrukturänderung verbundene Verhaltenskoordination hat. Denn diese erweitert den Verhaltensspielraum der Unternehmen. Eine dem Art. 85 Abs. 3 EGV vergleichbare Abwägung der Vor- und Nachteile von Konzentration und Kooperation ließe sich im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 lit. b FKVO a. E, vornehmen, Danach ist die Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts zu berücksichtigen, sofern sie dem Verbraucher dient und den Wettbewerb nicht behindert. Diese in ihrer Bedeutung umstrittene Klausel wäre geeignet, eine dem Art. 85 Abs, 3 EGV vergleichbare Abwägung zu ermöglichen. Danach würde die materiell-rechtliche Beurteilung nach der FKVO und nach Art. 85 Abs. 3 EGV regelmäßig zu übereinstimmenden Ergebnissen führen 35 . Insofern wäre eine Doppelkontrolle also unproblematisch. Auch führt Art. 85 Abs. 2 EGV, wenn ein Zusammenschluß die Verhaltenskoordination herbeiführt, in der Regel aus gesellschaftsrechtlichen Gründen nicht zur (bis zur Freistellung schwebenden) Unwirksamkeit des Zusammenschlusses, und, bei Ablehnung der Freistellung, nicht zur Nichtigkeit ex tunc, sondern nur zur 33 Kommission, Bekanntmachung über kooperative GU, Nm. 55, 57; dies., 21. 12.1992 -FiatIHitachi, ABI. 1993 L 20/10,12 (Nm. 25 ff.). 34 Gleiss/Hirsch, Art, 85 Rn. 1918, 35 VgI. zur Ähnlichkeit der beiden Regelungen auch Monopolkommission, SG 17, S, 73 tr (Nm. 109 tr),

282

3.Teil: Verhältnis von Marktstruktur- und -verhaltenskontrolle

künftigen Auflösbarkeie 6 Auch insofern unterscheiden sich beide Regime daher nicht. ~'erfahrensrechtlich gibt es Unterschiede hinsichtlich der Art der Entscheidungen. Die FKVO sieht bei Zulässigkeit des Vorhabens eine verbindliche Vereinbarkeitserklärung vor, die VO 17 Negativattest oder Freistellung. Nur letztere ist in ihren Wirkungen der Vereinbarkeitserklärung vergleichbar. Die VO 17 sieht aber, anders als die FKVO, in Art. 8 zwingend die Befristung der Entscheidung sowie ihre Widerruflichkeit auch für den Fall vor, daß sich die tatsächlichen Umstände ändern oder die Freistellung mißbraucht wird37 .

Ein weiterer Verfahrensunterschied sind die Fristen in Art. 10 FKVO, die ein schnelles Verfahren gewährleisten. Im Verfahren nach der VO 17 hat sich die Kommission nur selbst Fristen für kooperative GU auferlegt38. Entscheidet man sich für eine Doppelkontrolle, muß man also in erster linie die verfahrensrechtlichen Unterschiede ausgleichen39 . Sachgerecht wäre es, Fristen und Entscheidungsform der FKVO auf alle Zusammenschlüsse anzuwenden, unabhängig von ihren kooperativen Wirkungen. Denn die Zusammenlegung von Ressourcen erfordert ein schnelles Verfahren und eine verbindliche Entscheidung. Dagegen sind die zusätzlichen WiderrufsgfÜnde der VO 17 auch auf Zusammenschlüsse mit kooperativen Wirkungen anzuwenden. Denn Art. 87 Abs. 2 lit. b EGV verlangt eine wirksame Überwachung der freigestellten Vereinbarungen. Diese ist durch die Widerrufsmöglichkeit sicherzustellen. Daß die wirksame Überwachung darüber hinaus auch Befristung verlangt, ist nicht anzunehmen. Auch ohne regelmäßig wiederkehrende Freistellungsanträge kann die Kommission das Marktverhalten der Zusammenschlußbeteiligten beobachten.

e) Alternativbetrachtung Die Nachteile der jetzigen Alternativbetrachtung wurden bereits oben erörtert. Sie sind in erster Linie verfahrensrechtlicher Art. Materiell-rechtlich ist der enge Begriff des Zusammenschlusses, den Art. 3 Abs.2 FKVO a. F. bestimmte, durchaus vertretbar. Deshalb hätte man das Problem der Mischsachverhalte auch anders lösen können. Man hätte Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. unVgl. zum deutschen Recht K. Schmidt, AG 1987, 333, 338. Die anderen Widerrufsgrunde decken sich mit denen in Art. 8 Abs. 5 FKVO. 38 Kommission, Pressemitteilung lP (92) 1111 vom 23. 12. 1992, unter 3. 39 Vgl. auch Lindemann, in: FlW (Hrsg.), Umbruch, S. 87, 94: die frühere Rechtslage tlihrte in erster Linie verfahrensrechtlich zu einer Ungleichbehandlung von konzentrativen und kooperativen GU. 36 37

D. Die Novelle der FKVa

283

verändert lassen, aber die VO 17 ändern können, und zwar in der Weise, daß immer, wenn eine Marktverhaltenskoordination mit einem Zusammenschluß einhergeht, ein der FKVO entsprechendes Verfahren zur Anwendung käme. Daß für die Wahl der Verfahrensart zu prüfen ist, ob ein Zusammenschluß vorliegt, ist kein Nachteil dieser Lösung; das muß auch bei der FKVO geschehen. Damit würde man den Sachverhalten gerecht, in denen Ressourcen übertragen werden. Materiell-rechtlich bliebe Art. 85 Abs. 3 EGV anwendbar; die FKVO griffe wegen Art. 3 Abs.2 FKVO a. F. nicht. Art. 22 Abs. 1 FKVO a. F. wäre zu streichen gewesen; Art. 22 Abs. 2 FKVO a. F. wäre auf Art. 85 EGV zu beschränken gewesen und hätte Bedeutung nur insofern gehabt, als auf Nebenabreden zu Zusammenschlüssen die VO 17 sowie die anderen Durchführungsverordnungen40 nicht anwendbar sind41 . Hinsichtlich der Entscheidung wäre eine der FKVO vergleichbare Regelung vorzusehen gewesen, mit Ausnahme der durch Art. 87 Abs. 2 Iit. b EGV gebotenen, erweiterten Widerrufsmöglichkeit der VO 17. Diese Lösung hätte den Vorteil, daß materiell-rechtlich auf Mischf,ille nur Art. 85 Abs. 3 EGV, nicht Art. 85 Abs. 3 EGV und Art. 2 FKVO zur Anwendung kämen. Das wäre nur dann vertretbar, wenn Art. 85 Abs.3 EGV und Art. 2 Abs.2, Abs.3 FKVO in den Konkurrenzsachverhalten materiellrechtlich zu denselben Ergebnissen kommen. Ob das tatsächlich - wie hier angenommen - durchgängig der Fall ist, sollte allerdings zunächst durch die Erfahrungen mit einer Doppelkontrolle geklärt werden. Diese Lösung würde also den gesamten Bereich der Mischfälle Art. 85 EGV überlassen, in einem der FKVO ähnlichen Verfahren. Diese Lösung hätte gegenüber der Doppelkontrolle den Vorteil, daß Mischfälle über und unter den Schwellen verfahrensmäßig gleich behandelt würden. Das hat jedoch den Nachteil wesentlich höherer Verwaltungskosten, weil in mehr Fällen als bisher das schnellere Verfahren zur Anwendung käme, also erheblicher Personalbedarf entstünde. Würde man deshalb die Verfahrenserleichterung auf Verhaltenskoordinationen beschränken, die mit Zusammenschlüssen oberhalb der FKVOSchwellen einhergehen, wäre das Ergebnis ähnlich wie bei der Doppelkontrolle, nur ohne Anwendung von Art. 85 Abs. 3 EGV und Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO nebeneinander.

40 va 1017/68 (Sonderregeln für den Eisenbalm-, Straßen- und Binnenschitlsverkehr), va 4056/86 (Sonderregeln für den Seeverkehr) und va 3985/87 (Sonderregelungen tUr die Luftfahrt). 41 Näher zur Bedeutung der Art. 22 Abs. 1, Abs. 2 FKVa a. F. sogleich f, S. 284 t1

284

3.Teil: Verhältnis von Marktstruktur- und -verhaltenskontrolle j) Umsetzung einer Doppelkontro/le 42

Eine materielle Doppelkontrolle wird erreicht, wenn man Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. ganz oder soweit wie in der Novelle geschehen streicht. Zusammenschlüsse im Sinne der FKVO liegen dann auch vor, wenn sie Verstöße gegen Art. 85 EGV mit sich bringen. Entgegen dem jetzt Gesetz gewordenen Kommissionsvorschlag sollte Art. 3 Abs. 2 FKVO auch nicht insoweit beibehalten werden, als er nur Vollfunktions-GU als Zusammenschlüsse definiert. Die Voraussetzung der Vollfunktionalität soll sicherstellen, daß die GUMütter in dem vergemeinschafteten Bereich keine partielle Handlungsfreiheit mehr behalten. Das ist aber im Rahmen des Kontrollerwerbs ohnehin zu prüfen 43 Verfahrensrechtlich ist die Anwendung der FKVO auch für die kooperativen Wirkungen des Zusammenschlusses anzuordnen. Die Außerkraftsetzung der VO 17 und der anderen Durchführungsverordnungen ist dafür ein möglicher Weg. Man müßte dann aber, wie mit der Novelle geschehen, eine Ausnahme für GU unterhalb der FKVO-Schwellen machen, um diese nicht jeglicher Kontrolle zu entziehen. Eine andere Möglichkeit zur Umsetzung einer Doppelkontrolle wäre es, in die Durchführungsverordnungen eine Regelung aufzunehmen, die Verstöße gegen Art. 85 EGV der FKVO zuweist, wenn zugleich ein schwellenüberschreitender Zusammenschluß vorliegt. In der FKVO könnte - klarstellend geregelt werden, daß ihr Verfahren für mögliche Verstöße gegen Art. 85 EGV gilt, die mit einem Zusammenschluß einhergehen. Stimmig ist hier nur nicht, daß Zusammenschlüsse unterhalb der Schwellen der Verfahrensvorteile der FKVO nicht teilhaftig werden 44 . Wegen der zwingenden Regelung des Art. 87 Abs. 2 lit. b EGV wäre die FKVO im übrigen um eine Widerrufsmöglichkeit entsprechend Art. 8 Abs. 3 litt. a, d VO 17 zu ergänzen. Die Kommission hatte die Widerrufsmöglichkeit in ihrem Vorschlag etwas enger gefaßt, was mit Art. 87 Abs. 2 lit. b EGV vereinbar war. Dagegen enthält der endgültige Gesetzestext nun kein demjenigen der VO 17 vergleichbares Widerrufsrecht mehr.Außerdem wäre die Regelung des Art. 22 Abs. 1 FKVO a. F. zu streichen gewesen. Sinn dieser in Art. 22 Abs. 1, 1. HS FKVO n. F. nun beibehaltenen Regelung ist es, im Interesse der Rechtssicherheit und -klarheit die Doppelkontrolle von Zusammenschlüssen nach der FKVO und nach Artt. 85,

42

Zur Umsetzung einer Doppelkontrolle 1m deutschen Recht de lege lata

43

Siehe oben 2. Teil C III 1, S. 210 tr Was nicht zuletzt eine Kostentrage ist, siehe soeben e, S. 282 f

Wertenbrnch, S. 11 44

tr

D. Die Novelle der FKVO

285

86 EGV auszuschließen45 . Für Art. 85 EGV soll aber gerade eine Doppelkontrolle eingeführt werden. Für Art. 86 EGV lief Art. 22 Abs. 1 FKVO a. F. ohnehin seit jeher leer. Zweifelhaft ist schon, ob Art. 22 Abs. 1 FKVO a. F. die Anwendung des Art. 86 EGV ausschließen kann (siehe sogleich); nach hier vertretener Auffassung will er das nicht einmal. Nach überwiegender Ansicht konnte Art. 22 Abs. 1 FKVO a. F. (=Art.22 Abs. L 1. HS FKVO n. F.) die Anwendung der Artt. 85, 86 EGV nicht ausschließen. Denn keine der Ennächtigungsgrundlagen für die FKVO, weder Art. 87 noch Art. 235 EGV, ennöglichten es der FKVO, den Anwendungsbereich der Artt. 85, 86 EGV zu ändern. Nach dieser Ansicht bleibt Art. 22 Abs. 1 FKVO a. F. (=Art. 22 Abs. 1, 1. HS FKVO n. F.) wirkungslos 46 . Andere meinen, soweit die FKVO auf Art. 87 EGV beruhe, könne sie zumindest oberhalb der Schwellen des Art. 1 FKVO den Vorrang der FKVO wirksam begründen47 • Nach anderer Ansicht ennöglicht Art. 235 EGV es dem Verordnungsgeber, die Artt. 85, 86 EGV punktuell zu modifizieren und zu durchbrechen; nach dieser Ansicht ist die Ausschließlichkeitsklausel des Art. 22 Abs. 1 FKVO a. F. (=Art. 22 Abs. 1, 1. HS FKVO n. F.) ober- und unterhalb der Umsatzschwellen wirksam48. Welcher Ansicht zu folgen ist, kann offen bleiben. Denn der Verordnungsgeber wollte mit Art. 22 Abs. 1 FKVO a. F. (=Art.22 Abs. 1, 1. HS FKVO n. F.) ein Nebeneinander von Marktstrukturkontrolle nach Art. 86 EGV (im Sinne von Continental Can) und von Marktstrukturkontrolle nach der FKVO ausschließen49 . Ein Nebeneinander von Marktverhaltenskontrolle nach Art. 86 EGV und von Marktstrukturkontrolle nach der FKVO wollte er nicht ausschließen. Art. 22 Abs. 1 FKVO a. F. (=Art. 22 Abs. 1, 1. HS FKVO n. F.) 45 Vgl. Erwägungsgrund 7; Kommission und Rat, Gemeinsame Erklärung zum Ratsprotokoll vom 19.12.1989, WuW1990, 240, 243f (unter 11. b); Löffler, in: LangenlBunte, Art. 22 FKVO Rn. 2. 46 Schröter, in: von der GroebenfThiesing/Ehlermann, Art. 87 Abs. 2 Rn. 258; Veelken, in: VeelkenIKarllRichter, S.32; Röhling, ZIP 1990, 1179, 1185; Bolze, Hommage a Roblot, S. 83,91 f.; Dauses/Fugmann, ZfRV 1993,177,184; Niemeyer, RlW 1991,448,449; Schröck, WiB 1995, 539, 543; Schmittmann/Vonnemann, Antitrust Bull. 1992, 1025, 1043; Krimphove, S. 353; Emmerich, § 37, 7, S. 602 f; Mestmäcker, in: hnmengalMestmäcker, Vor 23 Rn. 114; Blank, S.9; Weitbrecht, EuZW 1990,18,21; Tilmann, FS Garnm, S. 663, 664; Kirchhoff, BB 1990, Beilage 14, S. 12; Vonnemann, DB 1990, 569, 570; Einseie, RlW 1992, Beilage 2, Rn. 24; im Ergebnis auch Geiger, Art. 86 Rn. 19. 47 Löffler, in: LangenlBunte, Art. 22 FKVO Rn. 5; Fine, Rn. 4-226, Fn. 579; ähnlich Müller-Graff, in: HailbronnerlKleinlMagieraIMüller-Graff, Art. 85 Rn. 17. 48 Ausfllhrlich Kurz, S. 183-271; dahin tendierend Niederleithinger, EWS 1990, 73, 75; wohl auch Raybold/Firth, S.372, aber zweifelnd hinsichtlich der Wirkung des Art. 22 Abs. 2 (S. 365). 49 So im Ergebnis wohl auch O. Axster, FS Quack, S. 569,577.

286

3.Teil: Verhältnis von Marktstruktur- und -verhaltenskontrolle

soll also den Geist von "Continental Can" bannen. Da nach dem oben Gesagten eine Marktstrukturkontrolle nach Art. 86 EGV ohnehin nicht möglich ist, ist diese Regelung überflüssig. Darauf, ob die FKVO das Primärrecht ändern kann, kommt es nicht an, da sie es nicht ändern will.

E. Die Rechtslage seit dem 1. 3. 1998 I. Überblick Mit der ersten Novelle der FKVO hat man das Verhältnis von Fusionskontrolle und Art. 85 EGV neu geregelt. Wie sich aus Erwägungsgrund 5 zur VO 1310/97 ergibt, ist Ziel der Novelle, mit der FKVO alle Sachverhalte zu erfassen, die eine dauerhafte Veränderung der Struktur der beteiligten Unternehmen mit sich bringen. Insbesondere sollen alle Vollfunktions-GU in den Anwendungsbereich der FKVO fallen. Soweit sie eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 85 EGV mit sich bringen, sollen sie nicht nur am Maßstab des Art. 2 FKVO, sondern auch an dem des Art. 85 Abs. 1 und 3 EGV gemessen werden!. Art. 85 Abs. 1 EGV soll aber, so heißt es in Erwägungsgrund 5 weiter, nicht anwendbar sein, wenn die Wirkungen eines Vollfunktions-GU auf dem Markt in erster Linie struktureller Art sind. Zur Umsetzung dieses Konzepts sind die Artt. 2, 3, 8 und 22 FKVO geändert worden. Der Zusammenschlußbegriff erfaßt jetzt auch kooperative GU, denn Art. 3 Abs. 2 FKVO verlangt nicht mehr die Abwesenheit von Verhaltenskoordinationen, sondern nur noch die Vollfunktionalität. Art. 2 Abs. 4 FKVO regelt, daß Art. 85 EGV der Maßstab für die kooperativen Aspekte einer GU-Gründung ist, und nennt beispielhaft zwei Beurteilungskrlterien. Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 1, Abs. 3 FKVO stellen klar, daß die Entscheidung der Kommission auf der Grundlage der Art. 2 Abs. 2 und 3 FKVO und der Art. 85 Abs. 1 und 3 EGV erfolgt. Art. 22 Abs. 1 FKVO erklärt allein die FKVO für anwendbar auf Zusammenschlüsse und setzt die anderen Durchführungsverordnungen zu Artt. 85, 86 EGV weitgehend außer Kraft.

! Bis Ende 1998 hatte die Kommission rund zehn Fälle im Wege der Doppelkontrolle entschieden. Von diesen Entscheidungen war bis Ende 1998 noch keine veröffentlicht.

E. Die Rechtslage seit dem 1. 3. 1998

287

11. Änderung des Art. 3 Abs. 2 FKVO Nach dem neuen Zusammenschlußtatbestand fallen alle Vollfunktions-GU unter die FKVO. Diese Änderung hat in erster Linie verfahrensrechtliche Bedeutung2 . Kooperative Vollfunktions-GU, die die Umsatzschwellen der FKVO erreichen, unterliegen nun dem schnellen Verfahren der FKVO. Organisatorisch werden diese Fälle wie folgt behandelt: Gibt es Anhaltspunkte dafür, daß es sich um ein kooperatives GU handelt, zieht die Merger Task Force ein Mitglied der für Artt. 85, 86 EGV zuständigen Abteilung hinzu. Ist entschieden, daß das GU kooperativ ist, übernimmt die für den betreffenden Bereich des Art. 85 EGV zuständige Abteilung den Fall. Sie bewertet dann auch die Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit Art. 2 FKVO, allerdings unter Hinzuziehung eines Mitglieds der Merger Task Force3 . Die Änderung des Art. 3 Abs. 2 FKVO führt dazu, daß Vollfunktions-GU oberhalb der Schwellen deutlich besser behandelt werden als GU unterhalb der Schwellen; diese unterliegen dem langen Verfahren nach der VO 17/62. Diese Ungleichbehandlung wird in der Literatur vielfach kritisiert4 • Sie wird dadurch abgemildert, daß die Kommission kooperative Vollfunktions-GU in einem schnelleren Verfahren behandelt, wenn auch nur aufgrund einer dahingehenden Selbstverpflichtung und nicht genauso schnell wie nach der FKV05 . Allerdings werden solche Fälle häufig ohnehin nach nationalem Recht zu beurteilen sein6 .

111. Der neue Art. 2 Abs. 4 FKVO 1. Bedeutung Art. 2 Abs.4 S. 1 FKVO greift die Formulierung des alten Art. 3 Abs.2 FKVO auf. Soweit eine GU-Gründung die Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens unabhängig bleibender Unternehmen bezweckt oder bewirkt, ist sie Idot, La Semaine Juridique, Edition Entreprises, 1997,389,390. Über dieses Verfahren berichten AhlbomITumer, ECLR 1998, 249, 252. 4 Niewarra, EWS 1998, 113, 115 f.; Baron, WuW 1997, 579, 587; Immenga, in: lmmengalMestrnäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Ergänzungsband, Art. 2 FKVO Rn. 11 ff.;Pohlmann,EWS 1997,181,184. 5 Siehe unter D. der Einleitung zwn Fonnular AlB, Anhang zur VO 3385/94, ABI. 1994 L 377/28, 34 f. 6 Nach Immenga, in lmmengalMestrnäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Ergänzungsband, Art. 2 FKVO Rn. 13, hat die Kommission in einer Protokollerklärung zugesagt, Vollfunktions-GU unter den Schwellen möglichst weitgehend mit denjenigen, die die Schwellen erreichen, gleichzubehandeln. 2

3

288

3. Teil: Verhältnis von Marktstruktur- und -verhaltenskontrolle

nach Art. 85 Abs. I und 3 EGV zu beurteilen. Es fragt sich, inwieweit dieser Tatbestand mit dem des Art. 85 Abs. I EGV identisch ist. Oben war zu Art. 3 Abs.2 FKVO a. F. die Ansicht vertreten worden, daß diese Formulierung horizontale und vertikale Wettbewerbsbeschränkungen erfaßt und daß im Rahmen des Art. 3 Abs.2 FKVO a. F. nur zu prüfen war, ob der Zusammenschluß die Handlungsfreiheit mindestens eines Beteiligten beschränkt. Die Drittbeeinträchtigung war erst im Rahmen des Art. 85 Abs. I EGV zu prüfen. Bei der Auslegung des Art. 2 Abs. 4 FKVO ist die Situation insofern anders, als die Vorschrift den betreffenden Zusammenschluß nicht einem bestimmten Verfahren zuweist (FKVO oder VO 17), sondern materiell-rechtlich regelt, wie solche Verhaltenskoordinationen, die mit einem Zusammenschluß einhergehen, zu beurteilen sind. Dabei kommt Art. 2 Abs. 4 FKVO hinsichtlich dieser materiell-rechtlichen Frage nur deklaratorische Bedeutung zu. Denn welche Sachverhalte Art. 85 EGV erfaßt, kann die FKVO als Sekundärrecht nicht regeln. Sie kann nur, wie in Art. 3 FKVO geschehen, regeln, welche Sachverhalte (auch) ihrem Regime unterfallen. Die verfahrensrechtliche Konsequenz der Neuregelung, daß auch Verstöße gegen Art. 85 EGV im Fusionskontrollverfahren geprüft werden, ergibt sich in erster Linie aus Art. 22 Abs. 1,2. HS FKVO, wonach die VO 17/62 sowie die anderen Durchführungsverordnungen für Zusammenschlüsse im Sinne von Art. 3 FKVO nicht gelten, sondern nur die FKVO anwendbar ist. Mittelbar ergibt sich diese verfahrensrechtliche Folge auch aus Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 1, Abs. 3 FKVO sowie aus Art. 2 Abs. 4 FKVO. Für die Auslegung des Art. 2 Abs. 4 FKVO hat die Erkenntnis, daß die Vorschrift materiell-rechtlich nur deklaratorische Bedeutung hat, zur Folge, daß die Frage nach der Deckungsgleichheit von Art. 2 Abs. 4 FKVO mit Art. 85 Abs. I EGV an Bedeutung verliert. Hält man Art. 2 Abs. 4 FKVO für weiter als Art. 85 Abs. I EGV7, so bliebe das materiell-rechtlich folgenlos, denn die materielle Prüfung am Maßstab des Art. 85 Abs. I EGV muß ohnehin erfolgen und ergäbe dann eben möglicherweise keinen Verstoß gegen Art. 85 Abs. I EGV Hält man Art. 2 Abs. 4 FKVO für enger als Art. 85 Abs. I EGV, so bliebe das materiell-rechtlich ebenfalls folgenlos, da Art. 85 EGV umfassend zu prüfen ist und nicht etwa teilweise außer Kraft gesetzt werden kann. Daß diese Prüfung, auch soweit Art. 2 Abs. 4 FKVO sie nicht erfaßt, im Verfahren der FKVO zu erfolgen hat, ergibt sich aus Art. 22 Abs. I und 3 FKVO, wonach für Zusammenschlüsse keine andere Durchführungsverordnung als die FKVO gilt.

7

So etwaAhlbom/Tumer, ECLR 1998,249,252 (in Fn. 19).

E. Die Rechtslage seit dem 1. 3. 1998

289

Art. 2 Abs. 4 FKVO hat also als materiell-rechtliche Regelung nur deklaratorische Bedeutung. Verfahrensrechtlich folgt aus ihr mittelbar, daß Verstöße gegen Art. 85 EGV im Verfahren der FKVO geprüft werden.

2. Der Tatbestand Aus dem oben Gesagten folgt, daß Art. 2 Abs.4 FKVO möglichst dekkungsgleich mit Art. 85 EGV auszulegen ist. Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens ist damit jede Beschränkung der unternehmerischen Handlungsfreiheit, die - sofern die weiteren Voraussetzungen des Art. 85 EGV vorliegen - unter das Verbot des Art. 85 Abs. 1 EGV fällt. Die beispielhaft in Art. 2 Abs. 4 S. 2, 1. und 2. Spiegelstrich FKVO angegebenen Kriterien für die Beurteilung nach Art. 85 Abs. 1 und 3 EGV sind für die Beurteilung nach Art. 85 EGV insofern bedeutungslos, als sie diese nicht präjudizieren können8 .

3. Bedeutung des Erwägungsgrundes 5 der VO 1310/97 Wie bereits kurz angesprochen, heißt es in Erwägungsgrund 5 der VO 1310/97, daß auf Vollfunktions-GU, die sich primär strukturell auf den Markt auswirken, Art. 85 EGV nicht anwendbar sein soll. Die Literatur schließt aus diesem Erwägungsgrund in Verbindung mit Art. 2 Abs. 4 FKVO überwiegend, daß eine Abwägung stattzufinden habe, ob das GU überwiegend strukturell sei. Bejahendenfalls soll dann nur Art. 2 Abs. 1 - 3 FKVO, nicht aber Art. 85 EGV anwendbar sein9 . Eine solche Abwägung ist aber nur insofern zulässig, als sich aus Art. 85 EGV das Erfordernis und damit zugleich die Zulässigkeit einer Abwägung ergibtlO .

IV. Die Entscheidung der Kommission Die Kommission entscheidet einheitlich über den Zusammenschluß. Die Entscheidung kann, auch wenn Art. 85 Abs. 3 EGV zur Anwendung kam, nicht wie nach Art. 8 Abs. 1 VO 17/62 befristet werden. Auch ein Widerruf ist nur aus den in Art. 8 Abs. 5 FKVO genannten Gründen zulässig. Ursprüng8 Ähnlich auch Immenga, in: IrnmengaJMestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Ergänzungsband, Art. 2 FKVO Rn. 5. 9 Lüder, S. 54, 108; Hirsbrunner, EuZW 1998,69,73; zweifelnd Zonnekeyn, ECLR 1998,414,420. 10 Zur früheren Rechtslage siehe Kommission, Zweite Abgrenzungsbekanntmachung, NI. 20; Hirsbrunner, EuZW 1997, 748, 750; Berlin/Calvet, Revue trimestrielle dedroiteuropeen 1997, 521, 551 f. 19 Pohlmann

290

3.TeiJ: Verhältnis von Marktstruktur- und -verhaltenskontrolle

lich war vorgesehen, die Widerrufsgriinde der FKVO zu erweitern. Die Kommission hätte eine Entscheidung widerrufen können, "wenn die Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens voneinander unabhängig bleibender Unternehmen im Sinne des Art. 2 Abs. 4 FKVO diesen Unternehmen die Möglichkeit eröffnet hätte, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten" 11 . Die Regelung wurde nicht Gesetz. Ob die FKVO als Verfahrensordnung ohne einen solchen Widerrufsgrund den Vorgaben des Art. 87 Abs. 2 lit. b EGV genügt, wonach eine wirksame Überwachung zu gewährleisten ist, ist zweifelhaft. Die Kommission verweist darauf, daß ein Widerruf nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen möglich seil2 .

V. Änderung des Art. 22 Abs. 1 FKVO Art. 22 Abs. 1, 1. HS FKVO nimmt die frühere Regel des Art. 22 Abs. 1 FKVO auf und erklärt auf Zusammenschlüsse im Sinne von Art. 3 FKVO allein die FKVO fiir anwendbar. Außerdem werden in Art. 22 Abs. 1, 2. HS FKVO die Durchfiihrungsverordnungen zu Artt. 85, 86 EGV für Zusammenschlüsse im Sinne von Art. 3 FKVO, also fiir Zusammenschlüsse ober- und unterhalb der Schwellen, außer Kraft gesetzt. Eine Ausnahme ist für kooperative GU unterhalb der Schwellen vorgesehen, weil andernfalls für diese keine Durchführungsverordnung mehr existierte. Für kooperative GU unterhalb der Schwellen gelten also die Durchführungsverordnungen weiter. Diese Regelung hätte nicht auf GU beschränkt werden sollen. Ein GU ist ein Unternehmen, das von mehreren Unternehmen gemeinsam kontrolliert wird. Aber auch Zusammenschlüsse, die nicht zur Entstehung eines GU führen, können die Folge haben, daß mehrere Anteilseigner des Unternehmensträgers ihr Verhalten außerhalb des Unternehmens koordinieren l3 . Das ist etwa denkbar, wenn ein alleinige Kontrolle erwerbender Anteilseigner und ein Minderheitsgesellschafter mit Informations- und Beteiligungsrechten auf dem Markt des Beteiligungsunternehmens tätig sind. Daher hätten unterhalb der Schwellen die VO 17/62 und die anderen Durchführungsverordnungen für alle Zusammenschlüsse mit kooperativen Wirkungen, nicht nur - wie geschehen - fiir GU, anwendbar

11 So der Vorschlag der Kommission zu einer Änderung der FKVO, ABI. 1996 C 350/8, 13. 12 So berichtet Baron, WuW 1997, 579, 586; siehe auch Immenga, in: Immenga/ Mestrnäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Ergänzungsband, Art. 2 FKVO Rn. 7. 13 VgI. Kommission, 18. I. 1993 - Philips/ThomsonlSagem, MCR 8127 (Nm. 15 ff.): die Kommission nahm hier allerdings gemeinsame Kontrolle an, obwohl weder Thomson noch Sagem die unternehmenspolitischen Entscheidungen blockieren konnten.

E. Die Rechtslage seit dem 1. 3. 1998

291

bleiben müssen. Nach der jetzigen Regelung können solche Kooperationen von der Kommission nicht mehr wirksam verhindert werden.

VI. Verhaltenskoordination durch Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens Im folgenden soll näher untersucht werden, wann eine GU-Gründung zu einer Verhaltenskoordination und damit zur Doppelkontrolle führt.

1. Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens Eine Doppelkontrolle kommt nach Artt. 3 Abs. I und 2,22 Abs. 1,2 Abs. 4 FKVO nur in Betracht bei der Gründung eines GU. Damit ist nicht nur die Neugründung gemeint, sondern jede Art der Entstehung eines Gu. Einer Doppelkontrolle unterfallen daher neben den gemeinsamen Neugründungen l4 die Einbringung gemeinsamer Unternehmen in eine schon bestehende Gesellschaftl5 , der gemeinsame Erwerb eines Unternehmens durch mehrere Unternehmenl6 , der nachträgliche Anteilserwerb an einem bestehenden Unternehmen durch ein anderes Unternehmen, durch den gemeinsame Kontrolle entstehtl ? und das Auswechseln eines bisher mitkontrollierenden Gesellschafters l8 .

2. Verhaltenskoordination im Verhältnis GründerGemeinschaftsunternehmen Eine Doppelkontrolle könnte dann erforderlich sein, wenn im Verhältnis Gründer - GU Wettbewerbsverhalten koordiniert wird. Da Art. 22 Abs. 1 FKVO und Art. 2 Abs. 4 FKVO die Formulierung des früheren Art. 3 Abs. 2 FKVO aufgenommen haben, könnten sich aus der früheren Rechtslage Anhaltspunkte dafür ergeben, welche Verhaltenskoordinationen der Doppelkontrolle unterfallen.

Kommission, 31. 7. 1991 - Varta/Bosch, ABI. 1991 L 320/26. Kommission, 6. 1. 1994 - HoechstlSchering, MCR B182. 16 Kommission, 2.10.1991 -Aerospatiale-Alenia/de Havilland, ABI. 1991 L 334/ 14

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42.

Kommission, 5. 10. 1992 - Air France/Sabena, WuWIE EV 1948. Kommission, 13.2. 1992 - James RiverlRayne, WuWIE EV 1873; vgl. zu allen genannten Fällen die Zusammenstellung bei DrauziSchroeder, S. 41. I?

18

19·

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3.Teil: Verhältnis von Marktstruktur- und -verhaltenskontrolle

a) Die Rechtslage bis zum 28. 2. 1998 Nach Art. 3 Abs. 2 S. 2 FKVO a. F. war ein GU nur dann ein Zusammenschluß, wenn es im Verhältnis der Gründer zum GU keine Verhaltenskoordination mit sich brachte. Danach ging die FKVO davon aus, daß Verhaltenskoordinationen im Verhältnis Gründer - GU die FKVO unanwendbar machen. aa) Meinungsstand Die Kommission nahm entgegen dem Wortlaut des Art. 3 Abs.2 S.2 FKVO a. F. an, daß Verhaltenskoordinationen zwischen Gründer und GU die FKVO nicht unanwendbar machen. Sie führte in ihrer zweiten Abgrenzungsbekanntmachung aus, daß das Tatbestandsmerkmal der fehlenden Koordinierung zwischen Gründern und GU einschränkend auszulegen sei. Es sei für die Unterscheidung zwischen konzentrativen und kooperativen GU nur insofern von Bedeutung, als die Koordinierung zwischen GU und Gründern ein Instrument für die Koordinierung zwischen den Gründern seil9 . Zuvor war sie nur vereinzelt zu dem Ergebnis gekommen, daß die Koordination zwischen den Müttern und dem GU den Zusammenschlußtatbestand ausschloß 20 ; in den meisten Fällen lag neben der Koordination zwischen GU und Gründern auch eine solche zwischen den Gründern vor21 • Im übrigen hatte sie in den häufigen Fällen, in denen eine Mutter im GU-Markt verblieb und "industrielle Führerin" des GU war, eine Koordination verneint. Die industrielle Führung des GU schloß es nach ihrer Ansicht aus, daß zwischen GU und führender Mutter Wettbewerb beschränkt werden konnte22 • In einer jüngeren Entscheidung prüfte die Kommission die Gefahr einer vertikalen Verhaltenskoordination einer Mutter mit dem GU nur im Rahmen von Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO, nicht im Rahmen von Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. 23 .

19 Kommission, Zweite Abgrenzungsbekanntmachung, Nm. 8 und 17; anders noch dies., Bekanntmachung über Nebenabreden, V. vor A. 20 Z. B. Kommission, 17. 2. 1992 - BSN-Nestlc9Chokoladovny, MCR B77 (Nm. 14 - 16). 21 Z. B. Kommission, 13.9. 1993 - British Te1ecomIMCI, MCR B165 (Nm. 8 fT.); 26.4. 1994 - Rheinelektra/Cofrra/DEKRA, WuWfE EV 2228,2230 (Nm. 15 fT.). 22 Kommission, 22. 1. 1992 - EricssonIKolbe, WuWfE EV 1779 (Nr. 13); 23.10.1991 -ThomsonIPilkington, WuWfE EV 1724 (Nr. 12); 28.9.1992 - LindelFiat, WuWfE EV 1989, 1990 (Nr. 8); anders jetzt - entsprechend der zweiten Abgrenzungsbekanntmachung - Kommission, 21. 12. 1994 - Mannesmann Demag/ DeLaval Stork, MCR 8265 (Nr. 12). 23 Kommission, 20. 9. 1995 - RTL/VeronicaJEndemol, ABI. 1996 L 134/32 (Nm. 100,101 und 13).

E. Die Rechtslage seit dem 1. 3. 1998

293

In ihrer Bekanntmachung über kooperative GU geht die Kommission davon aus, daß zwischen Mutter und GU beschränkbarer Wettbewerb vorliegen kann24 . Allerdings weist sie darauf hin, daß sich Wettbewerbsbeschränkungen zwischen GU und GlÜlldern stets auf das Verhältnis der Gründer untereinander auswirkten und daher von Wettbewerbsbeschränkungen zwischen den GlÜlldern nicht zu trennen seien25 . Das Meinungsspektrum in der Literatur entsprach den wechselvollen Stellungnahmen der Kommission. Nach einigen Autoren stand die Koordination zwischen Gründer und GU der Annahme eines Zusammenschlusses nicht entgegen, weil es sich um ein konzeminternes Verhältnis handele26 . Konzerninterne Vereinbarungen unterfallen nach herrschender Meinung nicht dem Kartellverbot27 • Andere meinten, daß nur im Einzelfall ein konzeminternes Verhältnis bestehe, so bei GU ohne Marktzugani8 oder wenn alle Tätigkeiten der Mütter im GU vergemeinschaftet seien29 . Andere wollten den Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 S. 2 FKVO a. F. nicht einschränken. Verhaltenskoordinationen zwischen Gründer und GU schlossen danach die Anwendung der FKVO aus und konnten gegen Art. 85 EGV verstoßen30 . Eine Ausnahme wurde zum Teil rur die Fälle industrieller Führerschaft gemaCheI. Vereinzelt wurde vertreten, aus Art. 3 Abs. 2 S. 1 FKVO a. F. ergebe sich, daß Verhaltenskoordinationen zwischen GU und GlÜllder den Zusammenschlußtatbestand nicht ausschließen32 • Nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 FKVO a. F. müßten die Unternehmen in der Zeitspanne vor dem Zusarnmenschluß unabhängig gewesen sein (" .. unabhängig bleibender Unternehmen.. "). Dieses Tatbestandsmerkmal sei in Art. 3 Abs. 2 S. 2 FKVO a. F. hineinzulesen. Mutter und GU seien in der Zeitspanne vor dem Zusammenschluß aber nicht unab-

Kommission, Bekanntmachung über kooperative GU, Nm. 21, 22, 32. Kommission, Bekanntmachung über kooperative GU, NI. 21. 26 Bos/Stuyck/Wytinck, Rn. 1-010; Venit, CMLRev. 1990, 7, 42 f; Gugerbauer, Art. 3 Anrn. 51; vgl. auch 0. Axster, FS Gaedertz, S. 1, 11 f.: Grundung eines GU, an dem nur ein auf dem GU-Markt tätiges Unternehmen beteiligt ist, sei konzentrativ; zur deutschen Fusionskontrolle KleinmanniBechtold, Ein!. Rn. 119. 27 Näher dazu 4. Teil E, S. 395 ff. 28 Gerwing, S. 86 f, 94. 29 Hanns, Konzerne, S. 273. 30 Kindler, EWS 1995, 321, 325; U. Huber, FS Rowedder, S. 191, 203 ff; Karl, S. 329 f; Lohse, S. 80 f, 168 ff. sowie der Vorschlag für eine Neufassung des Art. 3 Abs. 2 FKVO auf S. 269; Bechtold, EuZW 1994, 653, 655; im Ergebnis wohl auch Portwood, S. 13, der Wettbewerb zwischen GU und einzelner Mutter für möglich hält; zweifelnd hinsichtlich der Vereinbarkeit der Kommissionspraxis mit dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 S . 2 FKVO a. F. BurnsidelMackenzie Stuart, ECLR 1995, 138, 142. 31 U. Huber, FS Rowedder, S. 191,206 II; Sedemund, FS Deringer, S. 379, 384. 32 Gerwing, S. 83,86 f , 196. 24

25

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3.Teil: Verhältnis von Marktstruletur- und -verhaltenskontrolle

hängig gewesen. Denn entweder sei das GU neu gegründet worden oder eine neue Mutter sei in ein GU eingetreten. Auch im letztgenannten Fall sei das GU vor dem Zusammenschluß nicht unabhängig gewesen, weil es von seiner bis dahin alleinigen Mutter abhängig gewesen see3 . Deshalb liege im Verhältnis Mütter - GU keine Koordinierung vor, die den Zusammenschlußtatbestand ausschließe34 . Dann sei auch Art. 85 EGV so auszulegen, daß in dem Fall keine Wettbewerbsbeschränkung vorliege35 . bb) Stellungnahme (1) Argument aus Art. 3 Abs. 2 S. 1 FKVO a. F. Der zuletzt genannten Ansicht ist nicht zu folgen. Sie übersieht das Tatbestandsmerkmal "voneinander" in Art. 3 Abs. 2 S. 1 FKVO a. F. 36 . Nach Art. 3 Abs.2 S. 1 FKVO a. F. schloß nur die Koordination zwischen voneinander unabhängig bleibenden Unternehmen den Zusammenschlußtatbestand aus. Erwirbt ein Unternehmen eine kontrollbegründende Beteiligung an einem bestehenden GU, dann wäre eine Koordinierung zwischen neuer Mutter und Tochter eine solche zwischen zuvor voneinander unabhängigen Unternehmen und könnte entgegen der genannten Ansicht doch unter Art. 3 Abs.2 S. 1 FKVO a. F. fallen. Entscheidend ist aber allein, ob die Unternehmen nach dem Zusammenschluß voneinander unabhängig bleiben. (2) Beschränkung der Handlungsfreiheit zwischen Gründer und Gemeinschaftsunternehmen möglich Die übrigen Ansichten haben gemeinsam, daß sie fiir maßgeblich halten, ob zwischen Gründer und GU Wettbewerbsbeschränkungen nach Art. 85 EGV möglich sind oder ob ein konzerninternes Verhältnis vorliegt. Der Problematik der konzerninternen Verhältnisse wird unten im 4. Teil nachgegangen. Hier sei vorweggenommen, daß zwischen GU und Gründer kein konzerninternes Verhältnis vorliegt, das Art. 85 EGV unanwendbar machen würde. Hiervon ist entgegen der Ansicht der Kommission auch bei industrieller Führung eines Gründers keine Ausnahme zu machen. Die industrielle Führung äußert sich in der Regel in der Führung der Tagesgeschäfte. Die unterGenlling, S. 83. Genlling, S. 86 f. 3S Genlling, S. 196. 36 Es fehlt zwar z. B. in der französischen, englischen und italienischen Fassung, wird aber z. B. von der französischen Literatur hineininterpretiert (vgl. Karl, S. 80 Fn. 39, S. 84). Auf die Unabhängigkeit von jeglichem Unternehmen kann es nicht ankommen, weil Fusionen von Tochterunternehmen sonst nie erfaßt würden. 33 34

E. Die Rechtslage seit dem 1. 3. 1998

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nehmensleitenden Entscheidungen, wie insbesondere die lang- und mittelfristigen Planungen, werden jedoch von beiden Gründern getroffen; andernfalls läge keine gemeinsame Kontrolle vor. Der industriell ftihrende Gründer ist daher immer von den Entscheidungen der gemeinsam kontrollierenden Gründer abhängig. Die industrielle Führung ist daher nicht ein solches "Mehr" gegenüber der gemeinsamen Kontrolle, das es rechtfertigen würde, die einzelne Mutter und das GU als Einheit zu betrachten37 . Besteht demnach zwischen GU und Gründer kein konzerninternes Verhältnis, können Beschränkungen der Handlungsfreiheit und damit Wettbewerbsbeschränkungen zwischen ihnen vorliegen. (3) Wann beschränkt die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens die Handlungsfreiheit zwischen Gründer und Gemeinschaftsunternehmen?

Fraglich ist allerdings, wann die GU-Gründung selbst zu einer Beschränkung der Handlungsfreiheit zwischen Gründer und GU führt. Das wurde bereits oben im Zusammenhang mit Art. 85 EGV erörtert. Am Beispiel, daß ein Unternehmen sich zu 50% an einem Wettbewerber beteiligt, seien die Ergebnisse kurz in diesen Zusammenhang gestellt. Eine Freiheitsbeschränkung zwischen GU und im selben Markt tätigen Gründer könnte dadurch bezweckt oder bewirkt sein, daß die Beteiligungsstruktur im GU ein unabhängiges Vorgehen von GU und Gründer ausschließt. Die Tatsache, daß die einzelne GU-Mutter ihren Einfluß auf das GU und ihre sonstigen Tätigkeiten koordinieren wird, führt aber nicht zu einer Beschränkung der Handlungsfreiheit des GU. Denn der interne Einfluß kann die Handlungsfreiheit des GU nicht beschränken, weil diese sich von derjenigen der Mütter ableitet. Ebensowenig wird die Handlungsfreiheit des GU dadurch beschränkt, daß die ursprünglich alleinige Mutter ihren Einfluß verringert. Freiheitsbeschränkungen zwischen GU und Gründer können durch die GUGründung z. B. bewirkt werden, wenn der Gründer hinsichtlich seines Verhaltens außerhalb des GU verpflichtet ist, auf das GU Rücksicht zu nehmen, etwa aufgrund gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten. In diesen Fällen liegt jedoch in erster Linie eine Freiheitsbeschränkung gegenüber der anderen GUMutter vor, weil die im GU erfolgte Bindung ihr gegenüber zur Rücksichtnahme zwingt38. Das erklärt auch, daß die Kommission bisher in nahezu allen 37 Gerwing, S. 70 tT.; Lohse, ZHR 159 (1995), 164, 193 f.; Kind/er, EWS 1995, 321, 325; anders Sedemund, FS Deringer, S. 379, 384 f. (es seien geringere Anforderungen an gemeinsame Kontrolle zu stellen). 38 Vgl. in allgemeinem Zusammenhang Kommission, Bekanntmachung über kooperative GU, NT. 21: Wettbewerbsbeschränkungen zwischen Gründer und GU seien von denjenigen zwischen den Gründern nicht trennbar.

296

3.Teil: Verhältnis von Marktstruktur- und -verhaltenskontrolle

Entscheidungen auf die Freiheitsbeschränkungen zwischen den GIiindern abgestellt hat. Festzuhalten bleibt also, daß entgegen der Kommissionspraxis zu Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. Verhaltenskoordinationen zwischen GU und GIiinder unter Art. 85 EGV fallen können und daher nach der fIiiheren Rechtslage die FKVO unanwendbar machten. b) Die Rechtslage seit dem 1. 3. 1998

Während fIiiher die Bejahung verhaltenskoordinierender Zwecke oder Wirkungen zur Unanwendbarkeit der FKVO führte, führt sie heute zur Doppelkontrolle im Verfahren der FKVO. Während fIiiher die Ablehnung einer Verhaltenskoordination den Anwendungsbereich der FKVO erweiterte, ist heute unabhängig von der Ablehnung oder Annahme einer Verhaltenskoordination die FKVO auf alle Zusammenschlüsse anwendbar. Deshalb ist zu erwarten, daß die Kommission ihre soeben (a, aa) geschilderte restriktive Haltung aufgeben wird und eine Verhaltenskoordination im Sinne von Art. 22 Abs. I und Art. 2 Abs. 4 FKVO eher annehmen wird, als eine Verhaltenskoordination im Sinne von Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F. 39 . Diese Prognose ist nicht allein eine tatsächliche Erwartung; ein entsprechendes Vorgehen der Kommission ist auch rechtlich zwingend. Da Art. 22 Abs. I FKVO die Durchführungsverordnungen für alle schwellenüberschreitenden Zusammenschlüsse außer Kraft setzt, sind Verstöße gegen Art. 85 EGV, die durch einen Zusammenschluß herbeigeführt werden, nur im Verfahren der FKVO durchsetzbar. Dann muß die Kommission aber auch alle denkbaren Verstöße gegen Art. 85 EGV prüfen. Dazu gehören auch alle Verhaltenskoordinationen im Verhältnis GIiinder Gu.

3. Verhaltenskoordination im Verhältnis Gründer - Gründer Bereits oben wurde dargelegt, daß eine GU-GIiindung zu einer Beschränkung der Handlungsfreiheit zwischen den GIiindern führen kann40 . Nach der hier vertretenen Ansicht genügt nicht die bloße Möglichkeit einer späteren Verhaltenskoordinierung. Diese gehört systematisch allein zur FKVO. Die Kommission nahm nach dem bereits geschilderten Schwenk in ihrer Praxis zu Art. 3 Abs. 2 FKVO a. F., kooperative Wirkungen vorwiegend dann an, wenn mehr als ein GIiinder auf dem GU-Markt verblieb 41 . Aber auch in

39

So auch AhlbomlTumer, ECLR 1998,249,252 f

41

Kommission, Zweite Abgrenzungsbekanntmachung, Nr. 18,3. Spiegelstrieh.

4° 2. Teil D IV 4, S. 234 tI

E. Die Rechtslage seit dem I. 3. 1998

297

anderen Fällen, wie insbesondere GU auf Märkten, die denen der Mütter voroder nachgelagert oder räumlich oder sachlich benachbart waren, oder GU auf Segmenten der Märkte der Mütter, hielt die Kommission kooperative Wirkungen je nach den Umständen des Einzelfalles fiir möglich42 . Kooperative Wirkungen sollten zum Teil wegen der Geringfügigkeit der koordinierungsgefährdeten Tätigkeiten nicht zu erwarten sein43 . Außerdem sollten Verhaltenskoordinationen, die im Verhältnis zum gesamten Vorhaben geringfügig sind, der Annahme eines Zusammenschlusses nicht entgegenstehen44 . Die umfangreiche, in der früheren Abgrenzungsbekanntmachung festgehaltene Kasuistik, soll hier nicht im einzelnen untersucht werden45. Die Kommission stellt in den verschiedenen Fallgruppen der Abgrenzungsbekanntmachung ganz überwiegend darauf ab, ob eine Verhaltenskoordination wahrscheinlich oder nicht wahrscheinlich ist. Allein die Wahrscheinlichkeit einer Verhaltenskoordination genügt allerdings in keinem Fall fiir die Feststellung, die GU-Gründung bezwecke oder bewirke eine Beschränkung der Handlungsfreiheit außerhalb des GU. Die Wahrscheinlichkeit einer Verhaltenskoordination kann jedoch ein Indiz dafiir sein, daß eine Beschränkung der Handlungsfreiheit bezweckt war. Bewirkt ist eine Beschränkung der Handlungsfreiheit nicht bereits dadurch, daß die Beteiligten wahrscheinlich später durch weitere Vereinbarungen oder Verhaltensabstimmungen ihre Handlungsfreiheit beschränken werden. Vielmehr muß im einzelnen festgestellt werden, inwieweit die Zusammenarbeit im GU die Handlungsfreiheit auf anderen Gebieten beschränkt. Art. 2 Abs. 4 Unterabs. 2, 1. Spiegelstrich FKVO spiegelt diese frühere Kommissionspraxis wieder. Insgesamt ist zu erwarten, daß die Kommission ihre Entscheidungspraxis in diesem Punkt beibehält. Insbesondere gebietet Art. 85 EGV hier nicht - anders als bei den Verhaltenskoordinationen zwischen GU und Gründer - , in größerem Umfang eine Verhaltenskoordination zu bejahen.

42 Kommission, Zweite Abgrenzungsbekanntmachung, Nr. 18,4.,6. und 7. Spiege1strich, Nr. 19,2. Spiegelstrich. 43 Kommission, Zweite Abgrenzungsbekanntmachung, Nr. 18, 2. Spiege1strich (Gründertätigkeit auf GU-Markt geringfügig); 4. Spiegelstrich (Spezialisierung zwischen den Gründern in geringfügigen Segmenten des Produktmarktes). 44 Kommission, Zweite Abgrenzungsbekanntmachung, Nr. 20; dieses quantitative Kriterium fmdet sich schon in der EGKS-Praxis der 60er Jahre, siehe Iliopoulos, S. 105 ff. 45 Siehe die ausführliche Darstellung bei Lohse, ZHR 159 (1995), 164, 184 ff.; zur Praxis vor Erlaß der FKVO siehe Iliopoulos, S. 235 ff.

298

3.Teil: Verhältnis von Marktstruktur- Wld -verhaltenskontrolle

4. Verhaltenskoordination im Verhältnis mehrerer Gemeinschaftsunternehmen zueinander

Sind dieselben GU-Mütter an mehreren GU beteiligt, stellt sich die Frage, ob eine Koordinierung des Verhaltens der Mütter in den verschiedenen GU und das damit verbundene einheitliche Verhalten der GU eine Verhaltenskoordinierung im Sinne von Artt. 2 Abs. 4, 22 Abs. 1 FKVO, 85 EGV sein kann. Dieselbe Frage stellt sich, wenn eine Mutter oder mehrere Mütter mit jeweils anderen Partnern an verschiedenen GU beteiligt sind. Auch dann können diese Mütter das Verhalten der GU einheitlich beeinflussen. Allerdings wird auch ihr Einfluß durch den Einfluß der verschiedenen Partner beschränkt. Bereits oben wurde festgestellt, daß die Kommission im Rahmen des Art. 3 Abs.2 FKVO a. F. in beiden genannten Fällen in der Möglichkeit, das Verhalten mehrerer GU einheitlich zu beeinflussen, ein kooperatives Element sah 46 . Oben wurde ebenfalls festgestellt, daß der Kommission für den Fall identischer Anteilseignerstrukturen nicht zu folgen ist. Die Existenz mehrerer GU kann jedoch die Wahrscheinlichkeit erhöhen, daß auf anderen Gebieten eine Verhaltenskoordination stattfindet47 . Für den Fall nicht identischer Anteilseignerstrukturen gelten ebenfalls die Ausführungen oben entsprechend48 .

F. Ergebnisse des 3. Teils Das Verhältnis der FKVO zu Artt. 85, 86 EGV ist nur dort zu klären, wo beide Regime denselben Sachverhalt regeln. Zu Art. 86 EGV steht die FKVO nicht in einem Konkurrenzverhältnis. Denn nach der FKVO wird die Marktstruktur kontrolliert. die durch einen Zusammenschluß entsteht. Art. 86 EGV ermöglicht eine solche Marktstrukturkontrolle entgegen der Ansicht des EuGH nicht. Ein Zusammenschluß kann nach Art. 86 EGV nur im Hinblick auf das Verhalten bei der Herbeifiihrung und bei der Durchführung des Zusammenschlusses untersucht werden. Art. 86 EGV und die FKVO sind daher unproblematisch nebeneinander anwendbar. Zu Art. 85 EGV besteht zum einen hinsichtlich der unmittelbar mit dem Zusammenschluß verbundenen und für ihn notwendigen Nebenabreden ein 46 Kommission, 6.2. 1991 - BaxterlNestlt!/Salvia, WuWfE EV 1579, 1581 (Nr.9, 2. Spiegelstrieh); dies., Zweite AbgrenzungsbekanntmachWlg, Nr. 18,5. Spiegelstrieh, jeweils zu Art. 3 Abs. 2 FKVO; dies., 14. 7. 1986 - Optical Fibres, ABI. 1986 L 236/30,37 (Nm. 48 tT.) zu Art. 85 EGV, 47 VgI. Kommission, 13. 1. 1992 - Sunrise, WuWfE EV 1795, 1798 (Nr. 34). 48 2. Teil D IV 4 c bb, S. 240 f.

F. Ergebnisse des 3. Teils

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Konkurrenzverhältnis. Diese Nebenabreden werden durch Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2, Art. 6 Abs. 1 lit. b S. 2 FKVO dem Verfahren der FKVO zugewiesen. Materiell-rechtlich ist Art. 85 EGV anwendbar. Nach teleologischer Reduktion des Art. 85 EGV - "Immanenztheorie" - sind Wettbewerbsbeschränkungen, die zur Erreichung eines kartellrechtsneutralen Hauptzwecks erforderlich sind, nicht nach Art. 85 EGV verboten. Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2, Art. 6 Abs. 1 lit. b S. 2 FKVO normiert mit seiner Definition der Nebenabreden die sich aus Art. 85 EGV ergebenden Voraussetzungen für die Einschränkung des Art. 85 EGY. Hinsichtlich der anderen mit einem Zusammenschluß verbundenen Verhaltenskoordinationen schloß der bis zum 28. 2. 1998 geltende Art. 3 Abs. 2 FKVO ein Konkurrenzverhältnis zwischen FKVO und Art. 85 EGVaus, indem er kooperative GU nicht der FKVO unterwarf. Diese Regelung führte dazu, daß die äußerst schwierige Einordnung eines GU als kooperativ oder konzentrativ über das anzuwendende Verfahren (FKVO oder va 17/62) entschied. Dagegen warf die materiell-rechtliche Bewertung (entweder nach Art. 2 FKVO oder nach Art. 85 Abs. 1, 3 EGV) keine besonderen Probleme auf. Seit dem 1. 3. 1998 gibt es nun eine Doppelkontrolle, das heißt die Prüfung eines Zusammenschlusses erfolgt sowohl anhand von Art. 2 FKVO als auch von Art. 85 EGY. Das überzeugt auch auf wettbewerbstheoretischem Hintergrund: Auslöser der Kontrolle ist bei Art. 2 FKVO der Zusammenschluß, also die Marktstrukturänderung; bei Art. 85 EGV ist Auslöser der Kontrolle das Marktverhalten. Gegenstand der Kontrolle ist bei Art. 2 FKVa die Marktstruktur, bei Art. 85 EGV das Marktverhalten und die Marktstruktur. Insofern überschneiden sich also beide Regime. Das erfordert und rechtfertigt eine Doppelkontrolle. Die neuen Regelungen der Doppelkontrolle haben zur Folge, daß die Kommission ihre Praxis, zusammenschlußbedingte Verhaltenskoordination nur sehr restriktiv anzunehmen, aufgeben muß. Da Art. 22 Abs. 1 FKVO die Durchführungsverordnungen zu Artt. 85, 86 EGV für alle Zusammenschlüsse außer Kraft setzt, müssen nun alle potentiellen Verstöße gegen Art. 85 EGV im Rahmen der FKVO geprüft werden. Stärkster Kritikpunkt an der Neufassung ist, das Vollfunktions-GU unterhalb der Schwellen schlechter behandelt werden als diejenigen, die die Schwellen erreichen. Kein Konkurrenzverhältnis zwischen Art. 85 EGV und FKVO besteht hinsichtlich der vom Zusammenschluß abtrennbaren Wettbewerbsbeschränkungen. Diese sind getrennt nach Art. 85 EGV und der va 17 zu untersuchen. Über die Abtrennbarkeit entscheidet nicht der Parteiwille, sondern es entscheiden die Marktverhältnisse.

300

3.Teil: Verhältnis von Marktstruktur- lllld -verhaltenskontrolle

Für Zusammenschlüsse unterhalb der Schwellen sollte die VO 17 idealerweise hinsichtlich der Fristen und der Art der Entscheidung der FKVO angeglichen werden. Allerdings wäre dies mit erheblichen Kosten, insbesondere für Personal, verbunden. Auf lange Sicht sollte angestrebt werden, die materiell-rechtlichen Regelungen der FKVO in den EGV aufzunehmen. Dem sachlichen Rang der materiellen Regelungen der FKVO sollte auch ihr normativer Rang entsprechen. Das Argument, die FKVO könne als Sekundärrecht das Primärrecht nicht ändern, erschwert die Entwicklung einer harmonischen Wettbewerbsordnung. Das Verfahren sollte in einer einheitlichen Verfahrensordnung geregelt sein. Diese sollte angesichts der zahlreichen parallelen Regelungen in VO 17 und FKVO I einen allgemeinen Teil enthalten. Daneben wären in besonderen Teilen Vorschriften für die Fusionskontrolle und für Artt. 85, 86 EGV aufzunehmen.

I Vgl. Art. 11 VO 17 - Art. 11 FKVO; Art 13 VO - Art. 13 FKVO; Art. 16 VO 17 - Art. 15 FKVO; Art. 17 VO 17 - Art. 16 FKVO; Art. 10 VO 17 Art. 17 FKVO; Art. 19 VO 17 - Art. 18 FKVO; Art. VO 17 -Art. 21 FKVO.

17 - Art. 12 FKVO; Art 14 VO 17 Art. 15 VO 17 - Art. 14 FKVO; Art. 19 FKVO; Art. 20 VO 17 21 VO 17 - Art. 20 FKVO; Art. 9

4. Teil

Der bestehende Unternehmensverbund in der Marktstrukturkontrolle und in der Marktverhaltenskontrolle Im folgenden wird untersucht, welche Rechtsfolgen sich an das Bestehen eines Unternehmensverbundes in der Marktstrukturkontrolle und in der Marktverhaltenskontrolle anknüpfen. Hierbei geht es im Kern immer darum, unter welchen Voraussetzungen man den Unternehmensverbund als Einheit anzusehen hat und wann man trotz des Verbundes die Unternehmen wie einzelne Unternehmen zu behandeln hat. Diese Frage stellt sich im Rahmen der Marktstrukturkontrolle bei der Zurechnung von Umsätzen gemäß Art. 5 Abs. 4, Abs. 5 FKVO (sogleich A.) und bei der Zurechnung von Marktanteilen und Ressourcen im Rahmen der Prognose gemäß Art. 2 Abs.2, Abs.3 FKVO (0.). Die Behandlung des Unternehmensverbundes als Einheit kommt in der Marktstrukturkontrolle außerdem bei den sogenannten konzerninternen Umstrukturierungen in Betracht. Bei der Fusion müssen die fusionierenden Unternehmen zuvor voneinander unabhängig gewesen sein (Art. 3 Abs. I lit. a FKVO). Die Kontrolle im Sinne von Art. 3 Abs. 3 FKVO muß envorben werden, so daß vorher bestehende Kontrolle die Anwendung der FKVO ausschließen kann (Art. 3 Abs. I lit. b FKVO). Unter welchen Voraussetzungen Umstrukturierungen konzernintern sind und daher nicht der FKVO unterfallen, wurde bereits oben erörtert! . Im Rahmen der Marktverhaltenskontrolle stellt sich die Frage nach der Behandlung des Unternehmensverbundes bei der Zurechnung nach den Verbundklauseln der GVOs (B.), bei der Zurechnung von Verhalten im Rahmen von Artt. 85, 86 EGV (e.) sowie bei der Behandlung der sogenannten konzerninternen Vereinbarungen (E.). Zurechnungsfragen stellen sich über die hier behandelten Fälle noch in anderen Zusammenhängen, von denen hier nur auf einzelne knapp eingegangen wird (F.).

1

2. Teil B III 2, S. 115 ff., IV 3, S. 133 tf.

302

4. Teil: Der bestehende Unternehmens verbund

A. Die Zurechnung von Umsätzen gemäß Art. 5 Abs. 4, Abs. 5 FKVO Die FKVO greift gemäß Art. 1 Abs. 2 FKVO ein, wenn alle beteiligten Unternehmen mehr als 5 Mrd. ECU und mindestens zwei beteiligte Unternehmen jeweils mehr als 250 Mio. ECU umsetzen, Art. 1 Abs.2 litt. a, b FKVO. Zudem dürfen die beteiligten Unternehmen nicht jeweils mehr als 2/3 ihre Umsatzes in einem Mitgliedsstaat erzielen2 . Gemäß Art. 1 Abs.3 FKVO findet die FKVO außerdem Anwendung, wenn alle beteiligten Unternehmen weltweit mehr als 2,5 Mrd. ECU umsetzen (lit. a) und zudem die weiteren Umsatzschwellen der litt. c - d überschritten sind. Die Umsatzschwellen sind Untergrenzen für das Eingreifen der FKVO. Bei der Berechnung der Umsätze sind die Umsätze verbundener Unternehmen im Sinne von Art. 5 Abs.4 FKVO einzubeziehen.

I. Sinn und Zweck der Umsatzschwellen und der Verbundklauseln Die Umsatzschwellen der FKVO haben den Sinn, den Anwendungsbereich der FKVO auf bedeutsame Strukturveränderungen zu begrenzen, deren Auswirkungen auf den Markt die Grenzen eines Mitgliedsstaats überschreiten3 . Die Umsatzschwellen sollen also die Bedeutung des Zusammenschlusses für den Wettbewerb im gemeinsamen Markt indizieren. Mit dem Umsatz erfaßt man die wirtschaftliche Macht der beteiligten Unternehmen4 • An der Eignung der Umsatzschwellen zur Beurteilung von wettbewerblich erheblicher Macht werden Zweifel geäußert, weil ihnen der Marktbezug fehle. Auch umsatzschwache Unternehmen können einen Markt beherrschen6 . Die GVO für Spezialisierungsvereinbarungen enthält daher neben den Umsatzschwellen auch Marktanteilsschwellen (20%)7. In der FKVO wird der Markt-

2 Gemäß Art. 1 Abs. 3 FKVO fmdet die FKVO außerdem Anwendung, wenn alle beteiligten Unternehmen weltweit mehr als 2,5 Mrd. ECU umsetzen (lit. a) und zudem die weiteren Umsatzschwellen der litt. c - d überschritten sind. 3 Erwägungsgründe 9 und 10 zur FKVO. 4 Kommission. Änderung eines Vorschlags filr eine Verordnung des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABI. 1982 C 36/3, 5 unter IIl. b. 5 VgI. Wirlschafts- und Sozialausschuß. Stellungnahme zum ersten Entwurf der FKVO, ABI. 1974 C 88/19,22 (zu Art. 1 unter 2.). 6 Vgl. Kommission. Grünbuch über die Revision der FKVO, Nm. 31 ff. 7 Art. 3 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 lit. a VO 417/85.

A. Die Zurechmmg von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

303

anteil erst im Rahmen der materiell-rechtlichen Prüfung berücksichtigt8. Nach ElWägungsgrund Nr. 15 zur FKVO ist ein Marktanteil von bis zu 25% ein Indiz dafür, daß der Zusammenschluß nicht geeignet ist, wirksamen Wettbewerb zu behindern. Geringer Umsatz sowie geringe Marktanteile führen im übrigen in bestimmten Fällen zu einer erleichterten Form der Anmelduni. Das Kriterium der Umsatzes führt daher dazu, daß man nicht nur die marktbezogene Konzentration, sondern die gesamtwirtschaftliche Konzentration in die Bewertung einfließen läßtlO . Unabhängig von dieser Kritik, die vor allem rechtspolitische Bedeutung hat, bleibt aber festzuhalten, daß die Umsatzschwellen die wirtschaftliche Bedeutung der Beteiligten messen sollen. Hieraus erschließen sich auch Sinn und Zweck der Verbundklauseln. Sie dienen dazu, die wirtschaftliche Bedeutung der beteiligten Unternehmen zutreffend zu erfassen. Die wirtschaftliche Macht eines Unternehmens läßt sich nur beurteilen, wenn man alle Ressourcen berücksichtigt, die dem Unternehmen mittelbar oder unmittelbar zur Verfügung stehenlI.

11. Verschiedene Maßstäbe in Art. 3 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 4 FKVO? Art. 3 Abs.3 FKVO soll, wie oben dargelegt, den Übergang der Verfügungsrnacht über unternehmerische Ressourcen auf ein anderes Unternehmen erfassen. Es liegt daher nahe, im Rahmen von Art. 5 Abs. 4 FKVO bei der 8 Anders noch der erste Entwurf einer FKVO, der in Art. 1 Abs. 2, 2. Spiegelstrich als Aufgreifkriterium einen Marktanteil von mehr als 25% vorsah (Kommission, ABI. 1973 C 9211,2). Wegen der mit der Markabgrenzung verbundenen Rechtsunsicherheit (Kommission. Änderung eines Vorschlags filr eine Verordnung des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABI 1982 C 36/3, 4 f. unter n. c und m. a) wurde das Marktanteilskriterium im geänderten Entwurf in die materielle Bewertung verlagert. Es wurde als widerlegliche Vermutung ausgestaltet, nach der bei Marktanteilen unter 20% ein Zusammenschluß mit dem gemeinsamen Markt vereinbar sei (Kommission. ABI. 1982 C 36/3, 5, Art. 1 Abs. 1 S. 3). hn letzten Entwurf von 1989 war das Marktanteilskriterium - jetzt wieder mit der 25%-Grenze - nur noch in Erwägungsgrund 15 enthalten (Kommission, ABI. 1989 C 22114, 15). 9 Siehe Formblatt CO unter C. und Abschnitt 6 m. a., b. 10 Siehe auch die Diskussion um die absoluten Größenkriterien der Marktbeherrschungsvermutungen des § 23 a Abs. 1 Nr. 2 GWB, Mestmäcker, in: lmmenga/ Mestmäcker, § 23 a Rn. 32 tr. 11 Jones/Gonzalez-Diaz, S. 19; Kommission, Bekanntmachung zu den Alleinvertriebs- bzw. Alleinbezugs-GVOs, Nr. 22; G. Wiedemann,Bd. I, AT Rn. 123; zu den Umsatzschwellen des deutschen Rechts siehe Mestmäcker. in: lmmenga/Mestmäcker, § 23 Rn. 32; KleinmanniBechtold, Rn. 347; Mäschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Rn. 808; Begründung zum RegE, BT-Drs. VI 2520, S. 26.

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4. Teil: Der bestehende Unternelunensverbund

Frage, über welche unternehmerischen Ressourcen ein Unternehmen verfügen kann, auf den Zusammenschlußtatbestand zurückzugreifen. Ob Art. 3 Abs. 3 FKVO und Art. 5 Abs. 4 FKVO den Einfluß auf unternehmerische Ressourcen mit zweierlei Maß messen, ist umstritten.

1. Meinungsstand Nach herrschender Ansicht in der Literatur ist der in Art. 5 Abs.4 FKVO beschriebene Unternehmensverbund zu unterscheiden von der in Art. 3 Abs. 3 FKVO beschriebenen Kontrollbeziehung. Es handele sich um verschiedene Maßstäbe l2 . Der Tatbestand des Art. 5 Abs. 4 FKVO wird als der engere angesehen. Zum Teil will man aus Gründen der Rechtssicherheit Art. 5 Abs. 4 FKVO anders auslegen als Art. 3 Abs. 3 FKV0 13 • Denn Art. 5 Abs. 4 FKVO müsse den Unternehmen klare Maßstäbe an die Hand geben, anhand derer sie erkennen können, ob eine Anmeldung aufgrund der überschrittenen Umsatzschwellen erforderlich ist. Die Kommission trennt nicht immer klar zwischen Art. 3 Abs. 3 und Art. 5 Abs.4 FKVO I4 . Im übrigen hält sie den tatsächlichen Nachweis der "Kontrolle" im Sinne von Art. 5 Abs. 4 FKVO für einfacher, weil er "aufgrund von Sachverhalten" (gemeint ist wohl: bestehenden Einflußmöglichkeiten) erfolgen könne. Dagegen erfordere die Kontrolle im Sinne von Art. 3 Abs. 3 FKVO eingehendere Untersuchungen, weil kein Zusammenschluß vorliege, wenn nicht tatsächlich Kontrolle begründet würde l5 . Es ist unklar, was die Kommission hierrnit sagen will. Jedenfalls dürfte nicht gemeint sein, daß bei der Prüfung des Art. 5 Abs. 4 FKVO geringere Sorgfalt aufzuwenden ist. Denn sowohl das Erreichen der Umsatzschwellen als auch der Zusammenschlußtatbestand können für die Zulässigkeit des Vorhabens entscheidend sein. Richtig ist aber, daß die Feststellung bestehender Kontrollbeziehungen einfacher sein kann als die Prognose, ob bestimmte Vereinbarungen zum 12 Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, Vor § 23 Rn. 121, 129; MontaglDohms, WuW 1993, 5, 7; Lä.fJler, in: LangenlBunte, Art. 5 FKVO Rn. 9; Bellamy/Child, Rn. 6008, Fn. 16; Bos/StuycklWytinck, Rn. 4-019; Jones/Gonzalez-Diaz, S.27; Portwood, S.24 Fn.32; Gugerbauer, Art. 5 Anm.9, 11; Immenga, FS Everling, S. 541, 543; Broberg, Nordic Journal of International Law 1994, 17, 58 fT.; Canenbley, FS Lieberknecht, S. 277,287 ff. 13 Jones/Gonzalez-Diaz, S. 27. 14 Siehe Kommission, Fonnblatt CO, 3. Abschnitt, Fn.21 und Leitfaden II. zum Fonnblatt CO, B. II. a.; vgl. dazu Bos/StuycklWytinck, Rn. 4-019 und 4-021; CohenTanugi/EncaoualWinckler/SiragusaIBrunet, S. 34 f; kritisch HawklHuser, S. 99 fI 15 Kommission, Mitteilung über die Berechnung des Umsatzes, Nr. 42; diese Aussage bezieht sich nach der Fonnulierung zwar nur auf den 4. Spiegelstrich. Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich jedoch, daß die Kommission den gesamten Tatbestand des Art. 5 Abs. 4 FKVO mit dem des Art. 3 Abs. 3 FKVO vergleicht.

A. Die Zurechnung von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

305

Kontrollerwerb führen. Das bedeutet jedoch nicht, daß Art. 3 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 4 FKVO hinsichtlich der einflußbegrundenden Kriterien unterschiedlich auszulegen sind. Es bedeutet nur, daß bei Art. 3 Abs. 3 FKVO der Einfluß im Einzelfall leichter feststellbar sein kann. 2. Wortlaut Für die herrschende Ansicht spricht der Wortlaut des Art. 5 Abs. 4 FKVO. Er setzt in lit. b voraus, daß ein Unternehmen jeweils mehr als die Hälfte des Kapitals, des Betriebsvermögens oder der Stimmrechte hat oder mehr als die Hälfte der Mitglieder der Leitungsorgane bestellen kann oder das Recht zur Führung der Geschäfte hat. Das sind Fälle alleiniger positiver Kontrolle. Art. 3 Abs. 3 FKVO erfaßt jedoch auch die alleinige negative Kontrolle und die gemeinsame Kontrolle. Alleinige negative Kontrolle fallt nach dem Wortlaut nicht unter Art. 5 Abs. 4 FKVO. Dagegen erfaßt Art. 5 Abs. 4 FKVO die Gu. In lit. e heißt es, auch die Umsätze solcher Unternehmen seien hinzuzurechnen, in denen jeweils mehrere der unter litt. a - d genannten Unternehmen gemeinsam die in lit. b genannten Einflußmöglichkeiten haben. Danach fallt auch gemeinsame Kontrolle unter Art. 5 Abs.4 FKVO. Nach dem Wortlaut gilt das erstens, wenn zwei Unternehmen derselben Gruppe, z. B. Mutter- und Tochterunternehmen, ein GU zusammen mehrheitlich kontrollieren. Es gilt aber nach dem Wortlaut auch, wenn ein Unternehmen der einen beteiligten Unternehmensgruppe und ein Unternehmen der anderen beteiligten Unternehmensgruppe gemeinsam ein GU beherrschen. Für den letztgenannten Fall enthält Art. 5 Abs. 5 FKVO zur Vermeidung von Doppelanrechnungen eine ergänzende Regelung. Danach sind die Umsätze von GU zwischen mehreren beteiligten Unternehmen den beteiligten Unternehmen zu gleichen Teilen zuzurechnenl6 . Umsätze eines GU des beteiligten Unternehmens mit Dritten werden dagegen nicht hinzugerechnet. Art. 5 Abs. 4 lit. e, Abs. 5 FKVO erfassen daher die Einflußmöglichkeiten auf ein GU nur bei konzerninternen GU sowie bei GU zwischen den beteiligten Unternehmen. Nach alledem fallt jedenfalls nach dem Wortlaut nicht jede von Art. 3 Abs. 3 FKVO erfaßte Art von Kontrolle unter Art. 5 FKVO.

16 Vgl. Kommission, Mitteilung über die Berechnung des Umsatzes, Nr. 39 Fn. 10; Jones/Gonzalez-Diaz, S. 30 unter 2.4.2.4. 20 P()hlmann

306

4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbund

3. Entstehungsgeschichte Die Entstehungsgeschichte des Art. 5 Abs.4 FKVO spricht dafür, daß Kontrolle im Sinne von Art. 3 Abs. 3 FKVO und Unternehmensverbund nach Art. 5 Abs. 4 FKVO etwas verschiedenes sind. So enthielt der erste Entwurf einer FKVO in Art. 5 Abs. 1 FKVO fiir die Berechnung des Umsatzes noch eine andere Verbundklausel. Danach waren zusammenzuzählen a) die Umsätze der beteiligten Unternehmen, b) die Umsätze der Unternehmen oder Unternehmensgruppen, welche die beteiligten Unternehmen im Sinne von Art. 2 FKVO (heute Art. 3 FKVO) kontrollieren, c) die Umsätze der Unternehmen oder Unternehmensgruppen, die von den beteiligten Unternehmen kontrolliert werden17. Im Entwurf von 1988 gab es dann schon die dem Art. 5 Abs. 4 FKVO entsprechende Verbundklausel. Eine dem Art. 5 Abs. 5 FKVO entsprechende Regelung gab es auch im letzten Entwurf von 1989 noch nicht. Aus der Änderung der Verbundklausel ergibt sich, daß man bewußt nicht mehr am Kontrollbegriff anknüpfen wollte. Die Gründe dafiir sind unklar. Es erscheint jedoch wahrscheinlich, daß die Problematik der GU zu der Rechtsänderung fiihrte. Nach der alten Verbundklausel hätte gemeinsame Kontrolle stets zur Umsatzzurechnung gefiihrt. Die neue Regelung dagegen sieht bei gemeinsamer Kontrolle eine Umsatzzurechnung nur bei konzerninternen GU und bei GU zwischen den Beteiligten vor. Außerdem ist zu vermuten, daß man die Verbundklausel parallel zu den Verbundklauseln der GVOs formulieren wollte, um auf den dazu vorhandenen Erkenntnisstand zurückgreifen zu können. Auch die Entstehungsgeschichte spricht daher dafür, daß Art. 3 Abs. 3 FKVO von Art. 5 Abs. 4 FKVO abweicht. 4. Sinn und Zweck des Zusammenschlußtatbestandes und der Verbundklausel Die Verbundklausel soll alle den beteiligten Unternehmen zur Verfiigung stehenden Ressourcen erfassen. Auch Art. 3 Abs. 3 FKVO charakterisiert die Verfiigungsmacht über Ressourcen. Es fragt sich, ob der Sinn und Zweck der Verbundklausel eine von Art. 3 Abs. 3 FKVO abweichende Auslegung rechtfertigt oder ob er vielmehr eine übereinstimmende Auslegung verlangt. 17 Kommission, Vorschlag einer Verordnung des Rates über die Kontrolle von Untemehmenszusammenschlüssen, ABI. 1973 C 9211, 4.

A. Die ZurechnWlg von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

307

Die Verbundklausel dient der Beurteilung wirtschaftlicher Macht, die sich aus der Verfugungsbefugnis über Unternehmen (im Sinne von Objekten) ergibt. Der Zusammenschlußtatbestand soll Sachverhalte definieren, die Verfugungsbefugnis über Unternehmen geben. Allerdings entscheidet er nur über das Eingreifen der Fusionskontrolle. Er trifft nach seinem Sinn und Zweck keine Aussage darüber, ob mit Erfüllung des Zusammenschlußtatbestandes der Kontrollerwerber über das Zielunternehmen so verfugen kann, daß ihm alle Ressourcen zuzurechnen sindl8 . Vielmehr wäre auch ein Zusammenschlußtatbestand denkbar, der bereits beim lO%igen Anteilserwerb anknüpft l9 . Daher müssen Kontrolltatbestand und Art. 5 Abs.4, Abs.5 FKVO nicht zwingend parallel laufen. 5. Vorläufiges Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, daß Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck des Art. 5 Abs. 4 FKVO dafür sprechen, daß Art. 5 Abs. 4 FKVO andere Maßstäbe für den Unternehmensverbund enthält als Art. 3 Abs. 3 FKVO.

111. Die verbundbegründenden Einflußmittel Art. 5 Abs. 4 lit. b FKVO nennt in vier Spiegelstrichen die Einflußmittel, die zu einem die Umsatzzurechnung rechtfertigenden Unternehmensverbund fuhren. Die vier Spiegelstriche gelten nicht nur für lit. b (Tochtergesellschaften), sondern auch für lit. c (Muttergesellschaften), lit. d (Schwestergesellschaften) und lit. e (GD). Die vier Spiegelstriche schließen sich nicht gegenseitig aus. Sobald einer der vier Tatbestände erfüllt ist, wird zugerechnet20 . 1. Mehrheitlicher Besitz von Kapital oder Betriebsvermögen

Eine Umsatzzurechnung soll erfolgen bei den Unternehmen, in denen das beteiligte Unternehmen mehr als die Hälfte des Kapitals21 oder des Betriebs-

Näher dazu Wlten Dm 1, S. 385. Eine dahingehende AnregWlg gab es einmal in einer früheren deutschen Retormdiskussion. 20 Cook/Kerse, S. 75. 21 Bei Kapitalgesellschaften, G. Wiedemann, Bd. I, AT Rn. 131. 18

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4. Teil: Der bestehende Untemehmensverbund

vermögens22 besitzt. Nicht unter diese Fallgruppe gehört nach Auffassung der Kommission das Eigentum eines Franchisegebers an der Ausstattung des Franchiseunternehmens, weil der Franchisenehmer die Kontrolle über den Einsatz dieser unternehmerischen Mittel habe23 . Die Beteiligungsmehrheit geht allerdings nicht notwendig einher mit der Möglichkeit, die wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen zu treffen. Beispiele für derartige Fälle wurden bereits oben im Rahmen des Kontrollbegriffs erörtert. Die Stimmrechte können trotz Anteilsmehrheit unterhalb der Mehrheitsschwelle liegen24 . Ebenso ist denkbar, daß ein anderer Anteilsinhaber wichtige Vetorechte innehat, die dem Mehrheitsgesellschafter die alleinige Entscheidungsgewalt nehmen. Weiter ist denkbar, daß der Mehrheitsgesellschafter gegenüber seinen Mitgesellschaftern ganz oder teilweise auf die Ausübung seiner Stimmrechte verzichtet hat oder daß ein Entherrschungsvertrag zwischen dem Mehrheitsgesellschafter und dem Unternehmen besteht. Möglich ist auch, daß der Inhaber der Anteilsmehrheit seine Leitungsbefugnisse einem anderen Gesellschafter überträgt25. Es fragt sich, ob auch in diesen Fällen rein formal auf den Kapitalanteil abzustellen ist. Zwei Fälle sind hier zu unterscheiden. Hat der Mehrheitsgesellschafter aus einem der genannten Gründe nur eine Stimmrechtsminderheit, die keinerlei nicht einmal gemeinsame - Kontrolle über das Unternehmen begründet, dann ist Art. 5 Abs. 4 lit. b, 1. Spiegel strich FKVO teleologisch zu reduzieren. Nach seinem Sinn und Zweck soll er Mehrheitsbeteiligungen, die keine Kontrolle über das Marktverhalten des Unternehmens vermitteln, nicht erfassen26 . Denn Art. 5 Abs. 4 FKVO soll die wirtschaftliche Macht eines Unternehmens erfassen, die sich aus der Verfügungsbefugnis über unternehmerische Ressourcen ergibt. Ist eine solche Verfügungsbefugnis mit einer Mehrheitsbeteiligung nicht verbunden, so findet keine Umsatzzurechnung statt. Ist die Anteilsmehrheit aber mit einer Stimmrechtsmehrheit verbunden, ist zuzurechnen. Für dieses Ergebnis spricht auch, daß der Grund, auf dem die Einführung formaler Kriterien beruht, bei der Umsatzberechnung nach der FKVO nicht ausschlaggebend sein sollte. Den formalen Kriterien liegt der Gedanke zu22 Bei Personenhandelsgesellschaften, G. Wiedemann, Bd. I, AT Rn. 131. Allerdings hat hier das Eigentum an der Mehrheit des Betriebsvermögens nicht unbedingt eine Stimmrechtsmehrheit zur Folge (vgl. § 119 Abs. 2 HGB). Es entscheidet dann das Stimmrecht, siehe sogleich. 23 Kommission, 9. 7. 1997 - UBSlMister Minit, MCR B562 (Nm. 10 ff., 14) 24 Hat ein Unternehmen die Anteilsmehrheit, ein anderes die Stimmrechtsmehrheit, wären nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 4 FKVO beide Unternehmen mit dem betroffenen Unternehmen verbunden (dafür CookiKerse, S. 75). 25 So im Fall Kommission, 21. 12. 1992 - Waste Management International/SAE, MCR B123 (Nr. 8). 26 Ebenso für die Verbundklause1n der GVOs G. Wiedemann, Bd. I, AT Rn. 132.

A. Die Zureclmung von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

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grunde, daß bei ihnen leichter feststellbar ist, ob ihr Tatbestand erfüllt ise 7 . Ihr Vorliegen ist daher für die Kartellbehörden leichter zu überprüfen, und für die Unternehmen geben sie mehr Rechtssicherheit. Der Rechtssicherheit wird daher gegenüber der Einzelfallgerechtigkeit der Vorrang eingeräumt. Im Bereich der FKVO sollte die Rechtssicherheit gegenüber der Einzelfallgerechtigkeit jedoch zurücktreten. Die Umsatzberechnung und damit die Bestimmung des Unternehmensverbundes entscheidet nämlich über die Anwendbarkeit der FKVO und damit unter Umständen auch über die Zulässigkeit eines Vorhabens. Man gäbe den Unternehmen Steine statt Brot, stellte man aus Rechtssicherheitsgründen auf formale Kriterien ab und ließe die FKVO eingreifen, obwohl mit dem formal gegebenen Einfluß kein entsprechender materieller Einfluß einhergehe8 . Eine solche Überschätzung des Einflusses ist zu vermeiden. Eine Unterschätzung des Einflusses eines Unternehmens droht durch die formalen Kriterien dagegen nicht. Denn jeder bestimmende Einfluß ist entweder über die vier Spiegelstriehe oder in Analogie zu ihnen erfaßt. Das Rechtssicherheitsargument wiegt demgegenüber nicht so schwer. Denn die beteiligten Unternehmen wissen am besten, welche Unternehmen sie kontrollieren. Und der Kommission wäre durch die Maßgeblichkeit des materiellen Einflusses die Möglichkeit nicht genommen, die in den Unternehmensbilanzen genannten Beteiligungen daraufhin zu überprüfen, ob sie materiellen Einfluß vermitteln. Hat der Mehrheitsgesellschafter eine Position, die ihm nur die gemeinsame Kontrolle mit einem anderen Mitgesellschafter ermöglicht, dann fragt sich, ob diese Einflußposition von Art. 5 Abs. 4 lit. b, 1. Spiegelstrich FKVO erfaßt sein soll. Die Frage, ob die Spiegelstriche des Art. 5 Abs. 4 FKVO auch die gemeinsame Kontrolle erfassen, soll unten29 für alle Varianten gemeinsam untersucht werden. Es bleibt festzuhalten, daß Art. 5 Abs. 4 lit. b. 1. Spiegelstrich FKVO teleologisch zu reduzieren ist. Mehrheitsbeteiligungen führen entgegen seinem Wortlaut dann nicht zur Umsatzzurechnung, wenn sie keine Kontrolle im Sinne von Art. 3 Abs. 3 FKVO begründen. Auch die oben30 erwähnte Ansicht der Kommission, das Eigentum des Franchisegebers falle nicht unter Art. 5 Abs. 4 lit. b. 1. Spiegelstrich FKVO, ist nichts anderes als eine teleologische Reduktion der Verbundklausel. Ob die teleologische Reduktion auch die Fälle

Broberg, World Competition 1995, Vol. 19 No. 1, S. 5, 14. Man kann nicht davon ausgehen, daß die nationale Fusionskontrolle, die dann möglicherweise anwendbar wäre, in jedem Fall ungünstiger für die Unternehmen ist als die europäische Fusionskontrolle. 29 IV 2, 3, S. 320 fT; V 2, S. 334 tr 30 Bei Fn. 23. 27

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4. Teil: Der bestehende UnternehmensverbWld

erfaßt, in denen eine Mehrheitsbeteiligung nur zu gemeinsamer Kontrolle führt, soll hier noch offen bleiben.

2. Stimmrechtsmehrheit Art. 5 Abs. 4 lit. b, 2. Spiegelstrich FKVO wirft die vom Kontrollerwerb bekannte Frage auf, ob nur die absolute Stimmenmehrheit zur Umsatzzurechnung führt oder ob die Stimmenmehrheit in der Haupt- oder Gesellschafterversammlung genügt. Die Kommission bejaht bei regelmäßigen Hauptversammlungsmehrheiten trotz absoluter Stimmrechte unter 50% den Tatbestand des Art. 5 Abs. 4 lit. b, 2. Spiegelstrich FKV031 . Zum Teil subsumiert sie dann auch unter Art. 5 Abs. 4 lit. b, 3. Spiegelstrich FKVO (Personalhoheit)32 oder spricht nur allgemein von Kontrolle im Sinne von Art. 5 Abs. 4 FKV033 . In der Regel werden die Tatbestände des 2. und 3. Spiegelstriehs gleichzeitig erfüllt sein. Gegen den Standpunkt der Kommission, es komme auf die Hauptversammlungsmehrheit an, werden zwei Argumente vorgebracht. Erstens führe es zu Rechtsunsicherheit für die betroffenen Unternehmen, wenn man auf defacto-Mehrheiten abstelle und nicht auf de-iure-Mehrheiten. Zweitens widerspreche dieser Weg den meisten Bilanzrechten, die eine Konsolidierung des Umsatzes nur vorsähen, wenn eine de-iure-Mehrheit bestünde34 . Der Kommission ist darin zuzustimmen, daß es auf die Hauptversammlungsmehrheiten und nicht auf die absoluten Stimmrechtsmehrheiten ankomme 5 . Wie bereits oben dargelegt, ist hier der Einzelfallgerechtigkeit gegenüber der Rechtssicherheit der Vorrang einzuräumen. Daher muß entscheidend sein, ob der Stimmberechtigte das Marktverhalten des Zielunternehmens bestimmen kann. Das ist bereits dann der Fall, wenn er über gesicherte Hauptversammlungsmehrheiten verfügt. Das Argument drohender Rechtsunsicherheit für die Betroffenen überzeugt deshalb nicht, weil die an einem Zusam31 Kommission, 18. 12. 1991 - EurocomIRSCG, MCR B60 (Nr.5): Stimmenanteil von 44,25% gab in den letzten drei Jahren HauptversammlWlgsmehrheiten von 69,5% bis zu 77,5%; dies., 12. 2. 1996 - ElektrowattlLandis & Gyr, MCR B388 (Nr. 6). 32 Kommission, 10. 12. 1990 - Atjomari-PriouxlWiggins Teape Appleton, WuWfE EV 1554 f. (Nm. 5 - 7), im Ergebnis wurde der bestimmende Einfluß angesichts von HauptversammlWlgstimmrechten von ca. 45% verneint. Kritisch dazu Scott, Case Note, in: MCR, S. 24.1., der die formale BetrachtWlgsweise der Kommission kritisiert und angesichts der Macht eines Inhabers von 45% der Stimmrechte Kontrolle bejahen will. 33 Kommission, 30.7. 1991 - EridaniaJISI, MCR B40 (Nr. 6). 34 Jones/Gonzalez-Diaz, S. 29. 35 So auch die überwiegende Literatur, siehe statt aller Gugerbauer, Art. 5 Anm.IO.

A. Die Zurechnung von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

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menschluß beteiligten Unternehmen am besten wissen, welche Unternehmen sie kontrollieren. Im übrigen ist die nach Ansicht der Kommission maßgebliche Hauptversammlungsmehrheit der letzten drei Jahre ein hinreichend sicheres Kriterium. Anders liegt der Fall, in dem jemand zwar sichere Hauptversammlungsmehrheiten hat, aber aufgrund von Sonderrechten anderer die wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen nur blockieren oder gar nicht verhindern kann. Art. 5 Abs.4 lit. b, 2. Spiegelstrich FKVO ist dann teleologisch zu reduzieren. Die Stimmrechtsmehrheit führt nicht zur Zurechnung, wenn sie aufgrund von Sonderrechten anderer Gesellschafter keine alleinige Kontrolle im Sinne von Art. 3 Abs. 3 FKVO vermittelt. Ob die teleologische Reduktion auch die Fälle erfaßt, in denen eine Stimmrechtsmehrheit nur zu gemeinsamer Kontrolle führt, soll hier noch offen bleiben36 . Noch zu klären ist, welche Bedeutung Stimmbindungsverträge haben. Liegt eine Stimmenmehrheit im Sinne von Art. 5 Abs. 4 lit. b, 2. Spiegelstrich FKVO auch vor, wenn das beteiligte Unternehmen durch Stimmbindungsverträge über die Mehrheit der Stimmrechte verfügt? Wenn der Stimmbindungsvertrag das Unternehmen berechtigt, über die Stimmen der Gebundenen zu verfügen, z. B. weil sie sich verpflichtet haben, im selben Sinne abzustimmen, ist das unzweifelhaft der Fall. Handelt es sich jedoch um einen Stimmenpool, in dem einstimmig über die Stimmabgabe zu entscheiden ist, liegt, gemessen an Art. 3 Abs.3 FKVO, allenfalls gemeinsame Kontrolle vor. Ob dann eine Umsatzzurechnung in Betracht kommt, wird unten erörtert37 • Die Kommission hat das in einem Fall bejaht, in dem erst ein solcher Stimmenpool zu einer Mehrheit führte 38 • Stimmbindung oder Stimmrechtsverzicht können dazu führen, daß jemand trotz Innehabung der Stimmrechtsmehrheit keine Kontrolle hat. Dann greift die Verbundklausel nach Sinn und Zweck nicht ein39 . 3. Mehrheit bei Personalentscheidungen Der 3. Spiegelstrich begründet die Zurechnung, wenn das beteiligte Unternehmen in einem anderen Unternehmen mehr als die Hälfte der Mitglieder des Unten IV 2, 3, S. 320, 322 f.; V 2, S. 334 tT. IV 2, 3, S. 320, 322 f.; V 2, S. 334 tT. 38 Kommission, 2.3. 1992 - IFINTIEXOR, WuWIE EV 1827, 1828 (Nr. 10); kritisch dazu Pathak. Case Note, in: MCR, S. 702.3. Allerdings lag möglicherweise aus anderen Gründen (Hauptversammlungsmehrheit, Personalhoheit) Kontrolle vor. Aus der Kommissionsentscheidung ist hierzu jedoch außer unklaren Andeutungen nichts zu entnehmen. 39 G. Wiedemann, Bd. I, AT Rn. 138. 36 37

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4. Teil: Der bestehende Untemehrnensverbund

Aufsichtsrats oder des Vertretungsorgans bestellen kann. Die Kommission löst hierüber zum Teil die Fälle relativer Stimmrechtsmehrheit40 • Dem ist zu folgen. Auch hier reicht, wie im 2. Spiegelstrich, für das Recht zur Ernennung der Aufsichtsrats-Norstandsmehrheit die Stimmrechtsmehrheit in der Hauptversammlung41 Der Wortlaut des 3. Spiegelstrich verlangt nicht ausdrücklich ein "Recht" zur Besetzung der Mehrheit der Posten ("kann"). Andererseits knüpfen sonst alle Spiegelstriche an eine Rechtsstellung an, so daß auch der 3. Spiegelstrich so zu verstehen ist. Zwar scheint die Kommission in einigen Fällen auf die tatsächliche Macht zur Ernennung der Organmitglieder abzustellen. So heißt es etwa, ein Unternehmen habe trotz einer Stimmrechtsminderheit (45,48%) die Macht, die Mehrheit des "boards" zu ernennen42 . Woraus sich diese Macht ergab, wurde nicht ausgeführt. Vermutlich war eine Mehrheit in der Hauptversammlung gegeben. Zum Teil schließt die Kommission aus der tatsächlichen Besetzung der Posten, daß auch eine entsprechende Macht besteht43 . Angesichts der Tatsache, daß die Organmitglieder üblicherweise zurücktreten, wenn sich die Herrschaftsverhältnisse in der Gesellschaft ändern, ist dieser Beweisführung zu folgen. 4. Recht zur Geschäftsführung Auch der Umsatz von Unternehmen, in denen das beteiligte Unternehmen das Recht hat, die Geschäfte zu führen, ist zuzurechnen. Nicht unter Art. 5 Abs. 4 lit. b, 4. Spiegelstrich fallen Geschäftsfiihrungsbefugnisse, die von den Unternehmenseignern abgeleitet sind und gegenüber diesen kein Eigenrecht am Unternehmen begründen. Wer als Minderheitsgesellschafter oder gar als Außenstehender geschäftsführungsberechtigt ist, ohne gegenüber dem Unternehmensträger einen Anspruch auf Führung des Unternehmens zu haben, muß sich darum nicht die Umsätze des von ihm geleiteten Unternehmens zurechnen lassen 44 . Das gilt insbesondere auch für die sogenannten Betriebsführungsverträge (Managementverträge), die eine Geschäftsführung im fremden 40 Kommission, 10. 12. 1990 - Arjomari-PriouxIWiggins Teape Appleton, WuWIE EV 1554 f. (Nm. 5 - 7). 41 Dafür auch G. Wiedemann, Bd. I, AT Rn. 143. 42 Kommission, 19. 12. 1991 - Coutaulds/SNlA, MCR B62 (Nr. 2) sowie weitere Fälle unter Beteiligung von SNlA, zuletzt 3. 2. 1994 - Rhöne PoulencSNIAlNordfaser, MCR B186 (Nr. 4). 43 Kommission, 2. 3. 1992 - IFINTIEXOR, WuWIE EV 1827 f. (Nr. 8); 30.7. 1991 - Eridania/lSI, MCR B40 (Nr. 6). 44 Vgl. Kommission, 20. 7. 1991 - Eridania/lSI, MCR B40 (Nr. 4): Geschäftsftihrungsbefugnisse eines Minderheitsgesellschafters begliinden keine alleinige Kontrolle im Sinne von Art. 3 Abs. 3 FKVO, wenn er im Aufsichtsorgan keine Mehrheit hat.

A. Die Zurechnung von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

313

Interesse vorsehen und daher einen Einkauf von ManagementIeistungen darstellen. Allerdings ist hier die Grenze zu den Betriebsführungsverträgen, die eine Betriebsführung auch im Eigeninteresse des Betriebsführers vorsehen, fließend. Möglich ist auch eine gemeinsame Kontrolle durch den Betriebsführer und den Unternehmensinhaber. Ob dann eine Zurechnung nach Art. 5 Abs. 4 lit. b FKVO in Betracht kommt, wird unten erörtert45 Geschäftsführungsverträge im Sinne von § 291 Abs. 1 AktG fallen als solche nicht unter den 4. Spiegelstrich. Sie verpflichten einen Unternehmensträger, sein Unternehmen für Rechnung eines anderen Unternehmens zu führen. Die Führung des eigenen Unternehmens für fremde Rechnung hat aber in der Regel zur Folge, daß das Unternehmen, für dessen Rechnung die Geschäfte geführt werden, durch mit dem Geschäftsführungsvertrag verbundene Rechte bestimmenden Einfluß auf das andere Unternehmen erwirbt. Dann sind ihm dessen Umsätze analog Art. 5 Abs. 4 lit. b, 4. Spiegelstrich FKVO - oder, wenn die Voraussetzungen vorliegen, nach den anderen Spiegelstrichen - zuzurechnen, nicht dagegen dem geschäftsführenden Unternehmen. Von Art. 5 Abs.4 lit. b, 4. Spiegelstrich FKVO sind Verträge erfaßt, die dem Geschäftsführungsberechtigten eine Anspruch gegen den Unternehmensträger geben, das Unternelunen zu führen. Ein Beispiel hierfür ist der bereits im Zusanunenhang mit Art. 3 FKVO ausführlich erörterte Fall AccorlWagons Lits46 , in dem eine Betriebsführung (auch) im eigenen Interesse vorlag. Andere Sachverhalte, die die Kommission unter den 4. Spiegelstrich subsumierte, waren die Übertragung von Leitungsbefugnissen eines Gesellschafters auf den anderen47 sowie das Recht eines GU, die Geschäfte deIjenigen Tochtergesellschaften einer Mutter zu führen, an denen die Muttergesellschaft die Kapitalmehrheit behielt48 . 5. Andere Einflußmittel - Analoge Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 4 lit. b, 1. - 4. Spiegelstrich FKVO Außer den in Art. 5 Abs. 4 FKVO genannten Einflußrnittein sind noch andere denkbar, die zu Verfügungsmacht über unternehmerische Ressourcen führen und damit eine Umsatzzurechnung rechtfertigen würden. Es fragt sich, IV 2,3, S. 320,322 1'.; V 2, S. 345 ff. Kommission, 28. 4. 1992 - Accor/Wagons Lits, ABI. 1992 L20411, 2 (Nr. 6). 47 Kommission, 25. 9. 1992 - CCIE/GTE, MCR B112 (Nr. 7). 48 Kommission, 21. 12. 1992 - Waste Management InternationallSAE, MCR B123 (Nr. 8); das ist ein weiterer Fall, in dem trotz Kapitalmehrheit kein bestimmender Einfluß auf das Unternehmen besteht und daher die Umsätze jedenfalls nicht wegen der Kapitalmehrheit zuzurechnen sind (aber eventuell über das GU und dessen Geschäftsführungsbefugnisse ). 45

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4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbund

inwieweit die Spiegelstriche des Art. 5 Abs. 4 lit. b FKVO dann analog anwendbar sind. Hat das beteiligte Unternehmen das Recht, ein anderes Unternehmen zu nutzen (Betriebspacht, Betriebsüberlassung), dann bedarf es keiner Zurechnung nach Art. 5 Abs. 4 lit. b FKV0 49 . Denn der Umsatz, den das beteiligte Unternehmen mit dem gepachteten/ihm überlassenen Betrieb erzielt, ist eigener Umsatz des beteiligten Unternehmens und daher schon nach Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO zu berücksichtigen. Dasselbe gilt im Falle des Nießbrauchs an der Mitgliedschaft, wenn mit ihm ein eigenes Stimmrecht des Nießbrauchers verbunden ist. Beherrschungsverträge geben dem herrschenden Unternehmen das Recht, die Leitung des beherrschten Unternehmen durch Weisungen zu beeinflussen, § 308 AktG. Damit kann das herrschende Unternehmen zwar nicht die Geschäfte des beherrschten Unternehmens führen 50, aber es kann dessen Geschäftsführung bestimmend beeinflussen, so daß Art. 5 Abs.4 lit. b, 4. Spiegeistrich FKVO analog anwendbar ist. Übt jemand bestimmenden Einfluß auf ein Unternehmen über einen Treuhänder aus, so sind die vier Spiegelstriche des Art. 5 Abs. 4 lit. b FKVO direkt anwendbar. Denn nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 4 lit. b FKVO führt auch die mittelbare Innehabung der in den Spiegelstrichen genannten Einflußpositionen zu einer Zurechnung des Umsatzes. Schwierigkeiten bei der Umsatzzurechnung machen die Sachverhalte, in denen die zu beurteilende Einflußposition keine aus einem Recht am Unternehmen oder am Unternehmensträger fließende Position, sondern nur eine tatsächliche Machtposition ist. Hier gilt wie im Zusammenhang mit dem Kontrolltatbestand, daß tatsächliche Einflußpositionen nur ausnahmsweise ausreichen, um eine Verfügungsbefugnis über die Ressourcen des Zielunternehmens anzunehmen51 • Ausnahmen sind solche Fälle, in denen das Einflußmittel ein rein vertragliches (Treuhandvertrag, Stimmbindungsvertrag, Gleichordnungsoder Unterordnungsvertrag) ist, das an sich ein Recht am Unternehmen, Unternehmensträger oder Unternehmensanteil begründen würde, bei dem aber auf eine rechtliche Bindung bewußt verzichtet wurde, um die Fusionskontrolle zu umgehen. G. Wiedemann. Bd. I, AT Rn. 149. A. A. G. Wiedemann. Bd. I, AT Rn. 147: mittelbares Recht zur Geschäftsführung. 51 Ablehnend gegenüber der Zurechnung aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeit auch G. Wiedemann. Bd. I, AT Rn. 144, es sei denn, eine Kombination aus schuldrechtlicher und organisationsrechtlicher Verbindung vennittele Kontrolle; gegen die Zurechnung von Umsätzen und Marktanteilen aufgrund von Familienangehörigkeit Mestmäcker. in: ImmengalMestmäcker, § 23 Rn. 33, zur Verbundklausel der deutschen Fusionskontrolle. 49

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A. Die Zureclmung von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

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6. Ergebnis zu In. Art. 5 Abs.4 FKVO führt nach seinem Wortlaut zur Umsatzzurechnung, wenn formal ein mehrheitlicher Einfluß vorliegt. In der Praxis sowie zum Teil in der Literatur werden die formalen Tatbestände des Art. 5 Abs. 4 lit. b, 1. 4. Spiegel strich FKVO jedoch so ausgelegt, daß die formale Mehrheitsposition allein nicht genügt. sondern auch ein entsprechender materieller Einfluß im Sinne von alleiniger Kontrolle gemäß Art. 3 Abs. 3 FKVO hinzukommen muß. Dem ist aus den oben dargelegten Gründen zu folgen. Ebenfalls möglich ist eine analoge Anwendung der vier Spiegelstriche, wenn alleiniger bestimmender Einfluß aufgrund anderer Mittel besteht.

IV. Die dem Verbund angehörenden Unternehmen - Meinungsstand 1. Die beteiligten Unternehmen

Zunächst sind die Umsätze der beteiligten Unternehmen zu berücksichtigen, Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO. a) Allgemeines

Der Begriff der beteiligten Unternehmen in Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO ist zu unterscheiden von dem verfahrensrechtlichen Begriff der Beteiligung im Sinne des Art. 11 lit. b der Durchführungsverordnung zur FKV052 . Beteiligter im letztgenannten Sinne ist z. B. nicht der anmeldepflichtige Kontrollerwerber, da er bereits unter Art. 11 lit. a Durchfuhrungsverordnung fällt. Bei Art. 5 Abs. 4 FKVO ist der Umsatz des Kontrollerwerbers dagegen selbstverständlich zu berücksichtigen. Umgekehrt ist Beteiligter im Sinne von Art. 11 lit. b Durchführungsverordnung auch der Veräußerer, der jedoch nicht beteiligtes Unternehmen im Sinne von Art. 5 Abs. 4 FKVO ist53 . Ebenfalls zu unterscheiden ist der Begriff der beteiligten Unternehmen in Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO von demjenigen in Art. 4 Abs. 2 S. 1 FKVO. An der Begründung gemeinsamer Kontrolle sind im Sinne der letztgenannten Vorschrift nur die Mütter beteiligt, nicht das Zielunternehmen (arg. e Art. 4

52 Kommission, VO (EG) Nr. 447/98 über die Anmeldungen, über die Fristen sowie über die Anhörung nach der VO (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABI. 1998 L 61/1). 53 Dazu sogleich, S. 316.

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4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbund

Abs.2 S.2 FKVO)54. Dessen Umsatz ist, außer bei einer Neugründung, im Rahmen von Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO aber zu berücksichtigen. Wer beteiligtes Unternehmen im Sinne von Art. 5 Abs.4 lit. a FKVO ist, erschließt sich aus dem Sinn und Zweck des Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 FKVO. Die Umsatzschwellen sollen die Bedeutung des Zusammenschlusses für den Wettbewerb im gemeinsamen Markt indizieren, wie in den Erwägungsgründen 9 - 11 deutlich wird. Es geht also darum, die wirtschaftliche Bedeutung des Unternehmensverbundes zu beurteilen, der durch den Zusammenschluß geschaffen werden soll55. Daraus folgt für das Tatbestandsmerkmal des beteiligten Unternehmens, daß es nur solche Unternehmen erfaßt, die dem durch den Zusammenschluß geschaffenen Verbund unmittelbar56 angehören. In einem früheren Wortlaut der FKVO wurde das deutlich. Es hieß in der dem Art. 1 Abs. 2 lit. b FKVO vergleichbaren Regelung: "Ein Zusammenschluß hat gemeinschaftsweite Bedeutung, a) wenn mindestens zwei der Unternehmen, die den Zusammenschluß durchjühren 57 , ihren wesentlichen Tätigkeitsbereich innerhalb der Gemeinschaft jeweils in einem anderen Mitgliedsstaat haben,,58. Deshalb ist z. B. bei der Veräußerung einer Tochtergesellschaft der Veräußerer nicht beteiligtes Unternehmen im Sinne von Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO, sondern nur die veräußerte Tochtergesellschaft und der Erwerber59 . Denn der Veräußerer gibt seine Kontrolle über das veräußerte Unternehmen auf und ist daher an der Zusammenballung von Ressourcen nicht beteiligt. Aus demselben Grunde ist, wenn nur ein Unternehmensteil in Form bestimmter Vermögensgegenstände veräußert wird, dieser Unternehmensteil beteiligtes Unternehmen im Sinne von Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO, nicht dagegen der Veräußerer6o . Die fehlende Rechtsfähigkeit schadet hier nicht, da es nur um die Erfassung der Umsätze geht, die diesem Unternehmensteil (=Unternehmen im Sinne eines Objekts) zuzuordnen sind.

54 Im Ergebnis auch Miersch, S. 118 f. 55 Allerdings im Unterschied zu Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO noch ohne Markt-

bezug. 56 Die mittelbar dem Verbund angehörenden Unternehmen werden von Art. 5 Abs. 4 litt. b - e FKVO erfaßt. 57 Hervorhebung von der Verfasserin. 58 Kommission, Geänderter Vorschlag fiir eine VO (EWG) des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABi. 1988 C 130/4, 5, Art. 1 Abs. 2 lit. a. 59 Ohne Begründung ebenso Kommission, Mitteilung über den BegritI der beteiligten Unternehmen, Nr. 8. 60 Kommission, Mitteilung über den BegritI der beteiligten Unternehmen, Nm. 14 und 46 t1.

A. Die Zurechnung von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

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Beteiligte Unternehmen im Sinne von Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO sind also immer die Unternehmen, die sich zusammenschließen. Um keine Abgrenzungsschwierigkeiten zu dem verfahrensrechtlichen Begriff der beteiligten Unternehmen aufzuwerfen, wäre der Wortlaut des Art. 5 Abs.4 lit. a FKVO besser so zu fassen: "..... a) aller Unternehmen, die sich zusammenschließen". b) Beteiligung bei der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens

Orientiert man sich an der Richtschnur, daß beteiligte Unternehmen nur die sind, die dem neuen Unternehmensverbund angehören werden, lösen sich aber nicht alle Zweifelsfragen unproblematisch. Auch hier bereiten die Gemeinschaftsunternehmen Schwierigkeiten. Nach Ansicht und Praxis der Kommission gilt folgendes: Wird ein neues GU gegründet, sind beteiligte Unternehmen die beiden Müttei l . Erwerben mehrere Unternehmen ein bestehendes Unternehmen, sind beteiligte Unternehmen im Sinne von Art. 5 Abs. 4 FKVO die Erwerber und das Zielunternehmen62 . Erwirbt jemand einen die gemeinsame Kontrolle begründenden Anteil an einem bestehenden Unternehmen, waren nach der Praxis und der früheren Bekanntmachung der Kommission über den Begriff der beteiligten Unternehmen Beteiligte der Erwerber, das oder die bisher und künftig (mit)kontrollierende(n) Unternehmen und das Zielunternehmen, unabhängig davon, ob es vor dem Zusammenschluß unter alleiniger oder gemeinsamer Kontrolle stand63 . In ihrer neuen Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen sieht die Kommission das Zielunternehmen nicht mehr als beteiligt an, rechnet seinen Umsatz aber dem Mutterunternehmen ZU64 Das steht in Widerspruch zu Nm. 44, 45 derselben Mitteilung, die auch das Zielunternehmen als beteiligt nennen65 . In der Literatur wird die Annahme der Kommission, die Mütter eines GU seien beteiligte Unternehmen, für den Fall kritisiert, daß das GU konzentratiyen Charakter hat. Dadurch fielen GU, die wegen des geringen Umfangs des vergemeinschafteten Bereichs unbedeutend seien, nur wegen der Bedeutung 61 Kommission, Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen, Nr.21; dies., 25.2. 1991 - AerospatialelMBB, WuWfE EV 1587 (Nr.4); 30. 5. 1991 - Con Agra/Idea, MCR B24 (Nr. 16); 28.6.1991 -DrägerIlBMIHMP, WuWfE EV 1635 (NI. 3). 62 Kommission, Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen, Nr.22; dies., 2. 10. 1991 - Aerospatiale-Alenia/De Havilland, ABi. 1991 L334/42, 43 (Nr. 6). 63 Kommission, Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen, Nr. 23 und NI. 44; dies., 12 5. 1997 - Warner Bros./Lusomundo/Sogecable, MCR B536 (Nm. 9, 10); 22.10. 1993 - SynthomerlYule Catlo, MCR BI72 (Nm. 14,15). 64 Kommission, Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen, Nr. 23. 65 Beide AufTassugen können dort zu verschiedenen Ergebnissen fUhren, wo es auf die Umsätze der einzelnen Unternehmen ankommt (siehe Art. 1 Abs.2 lit. b, Abs. 3 litt. c, d FKVO).

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4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbund

ihrer Muttergesellschaften in den Anwendungsbereich der FKVO. Das widerspreche dem in Art. 5 Abs. 2 S. I FKVO zum Ausdruck gekommenen Gedanken, daß detjenige, der sich des Einflusses auf ein Unternehmen begebe, nicht Beteiligter sei66 . Allerdings haben bei konzentrativen GU, anders als bei der Veräußerung von Unternehmen, die Mütter weiterhin bestimmenden Einfluß. Die Kommission ermöglicht bei GU mit geringem Umsatz oder geringen Vermögenswerten (unter 100 Mio. ECU) ein vereinfachtes Anmeldeverfahren67 . c) Beteiligung beim Kontrollerwerb durch ein Gemeinschaftsunternehmen

Ein anderes Problem bei der Feststellung, welche Unternehmen beteiligt sind, ist der Erwerb der Kontrolle durch ein GD. Hier kann die Bestimmung der beteiligten Unternehmen über die Anwendbarkeit der FKVO entscheiden. Der typische Beispielsfall ist folgender. Zwei Unternehmen mit jeweils mehr als 250 Mio. ECU gemeinschafisweitem Umsatz und zusammen mehr als 5 Mrd. ECU Gesamtumsatz gründen eine paritätische Holding. Mittels dieser wollen sie ein anderes Unternehmen mit weniger als 250 Mio. ECU Umsatz erwerben. Sieht man die Holding und das Zielunternehmen als beteiligte Unternehmen, dann wird die Umsatzschwelle des Art. lAbs. 2 lit. b FKVO nicht erreicht. Denn selbst wenn man der Holding die Umsätze der Mütter zurechnet68 , überschreitet nur sie die 250 Mio.-Schwelle. Dagegen bleibt das Zielunternehmen darunter, so daß die Voraussetzung des Art. lAbs. 2 lit. b FKVO, daß zwei beteiligte Unternehmen mehr als 250 Mio. ECU gemeinschaftsweit umsetzen, nicht erfüllt ist. Die Kommission löst diese Fälle über die Figur des "transparenten Vehikels,,69. Sie will den "Schleier des zwischengeschalteten Unternehmens lüften" 70 und die Mütter des GU als beteiligte Unternehmen ansehen, wenn das GU lediglich als Werkzeug für den Erwerb durch die Mütter diene. Das soll insbesondere der Fall sein, wenn das GU eigens für den Kontrollerwerb gegründet worden sei7J , nicht tätig sei, keine Rechtspersönlichkeit besitze oder kein VollfunktionsGU sef 2 . 66 Stuyck, S. 22 f; Bos/StuycklWytinck, Rn. 4-022; Jones/Gonzalez-Diaz, S. 20 unter 2.3.2.2.; Koch, in: GrabitzlHilf, nach Art. 86 Rn. 23; Portwood, S. 35. 67 Kommission, Formblatt CO, Einleitung C. 68 Dazu unten 3. 69 Kommission, 18.5.1992 -EucomlDigital, WuWIE EV 1860, 1862 (Nr.12); 2. 12. 1991 -1NT/Canada Post u. a., WuWIE EV 1754,1755 (Nr. 10 f). 70 Kommission, Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen, Nr. 26. 71 Kommission, Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen, Nr.28. Das ist der häufigste Fall des Durchgriffs auf die Mütter: Kommission, 2. 12. 1991 -TNT/Canada Post u.a., WuWIE EV1754, 1755 (Nrn.lOf); 17.2.1992 -BSN-

A. Die Zurechnung von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

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In einigen Entscheidungen ist die Kommission über diese Regel noch hinausgegangen. Sie hat erstens auch dann, wenn das kontrollerwerbende GU ein bestehendes VollfunktionsGU war, die Mütter als beteiligte Unternehmen im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. b FKVO angesehen73 . In einem Fall war das auch entscheidend für das Eingreifen der FKVO. Denn das zu erwerbende Unternehmen hatte gemeinschaftsweite Umsätze von unter 250 Mio. ECU. Hätte man nur dieses Unternehmen und das kontrollerwerbende GU als beteiligte Unternehmen angesehen, wäre die FKVO nicht anwendbar gewesen74 . Zweitens hat die Kommission in einem Fall, in dem das kontrollerwerbende Unternehmen eine Holding war, die bereits mindestens ein anderes Unternehmen kontrollierte, die Mütter als beteiligte Unternehmen angesehen. Wie hoch der Umsatz der Holding selbst war, wird in der Entscheidung nicht erwähnes. Dieser Fallpraxis entsprechend vertritt die Kommission in ihrer Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen die Ansicht, daß auch dann die Mütter die beteiligten Unternehmen seien, wenn "anhand bestimmter Elemente nachgewiesen werden kann, daß die Muttergesellschaften die eigentlichen Unternehmen sind, die das Vorhaben betreiben" 76 . Ein Element dieser Art soll vor allem die aktive Beteiligung der Mütter an dem Erwerb (Organisation, Finanzierung) sein. Ein weiterer Hinweis darauf, daß die Mütter die eigentlichen Akteure seien, soll es sein, wenn das GU durch den Neuerwerb seine Tätigkeit wesentlich diversifiziere, also ein auf anderen Märkten tätiges Unternehmen erwerbe77 . In der Literatur hält man den Durchgriff auf die Mütter für zulässig, wenn es sich um GU handelt, die eigens zum Kontrollerwerb gegründet werden und sonst keine anderen Funktionen wahrnehmen oder wenn das GU in Umge-

NestWCokoladovny, MCR B76 (Nr. 7); 11. 11. 1991 - UAPffransatlantic/Sunlife, MCR B54 (Nr. 19); 10.9.1991 -ABC/Generale des EauxlCanal+/ W.H. Smith TV, MCR B45 (NT. 4); 16.5.1991 -ASKO/Jacobs/ADIA, WuWIE EV 1625, 1626 (Nr. 5); 20.8.1991 -Ke1t1Arnerican Express, WuWIE EV 1719 (Nr.4); 2.10.1991 -Aerospatiale-Alenia/De Havilland, ABI. 1991 L334/42,43 (Nr. 6). 72 Kommission, Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen, Nr. 28. 73 Kommission, 19.4.1993 -Ahold!Jeronirno Martinsllnova~ao, MCR B144 (NT. 11; siehe dazu die Entscheidung über die Gründung des konzentrativen GU vorn 29.9.1992 -Ahold! Jeronimo Martins, MCR Bl14 (Nm. 3 ff.)); dies., 21. 12. 1992 - SextantlBGT-VDO, MCR B 125 (Nr. 19). 74 Kommission, 19.4. 1993 - Ahold!Jeronirno Martinsllnova~ao, MCR B144 (Nr. 11). 75 Kommission, 18.5.1992 - EucornlDigital, WuWIE EV 1860, 1862 (Nm. 10 und 12). 76 Kommission, Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen, Nr. 28. 77 Kommission, Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen, Nr. 28.

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4. Teil: Der bestehende Untemehrnensverbund

hungsabsicht eingesetzt wird 78 . Umgekehrt heißt es, das GU sei dann selbst beteiligtes Unternehmen, wenn es ein VollfunktionsGU see 9 . Im übrigen ist auch der umgekehrte Fall problematisch. Erwirbt Unternehmen U1 (Umsatz über 250 Mio. ECU) alle Anteile an der Holding H (Umsatz unter 250 Mio. ECU), die ihrerseits gemeinsam mit X das Unternehmen U2 (Umsatz über 250 Mio. ECU) kontrolliert, scheint es für das Eingreifen der FKVO darauf anzukommen, ob U2 Beteiligter ist. Die Kommission hat in einem Fall dieser Art angenommen, die Holding sei nur ein Vehikel zum Kontrollerwerb über das GD. Beteiligt sei daher das GU. So war dessen gesamter Umsatz zu berücksichtigen80 . Man könnte aber auch der Holding den Umsatz von U2 analog Art. 5 Abs. 4 lit. b, 2. Spiegelstrich FKVO zurechnen81 . 2. Art. 5 Abs. 4 litt. b, e, Abs. 5 FKVO: Tochtergesellschaften, insbesondere Gemeinschaftsunternehmen Zu den Umsätzen der beteiligten Unternehmen sind die Umsätze ihrer Tochtergesellschaften hinzuzurechnen. Es fragt sich, ob Art. 5 Abs. 4 lit. b FKVO auch Fälle erfaßt, in denen das beteiligte Unternehmen nicht allein, aber gemeinsam mit einem anderen Unternehmen die in den vier Spiegelstrichen genannten Einflußpositionen innehat. Wenn also z. B. zwei Gesellschafter zusammen 80% der Stimmrechte besitzen, könnte, wenn einer der Gesellschafter an einem Zusammenschluß beteiligt ist, diesem Gesellschafter der Umsatz des GU (ganz oder anteilig) zuzurechnen sein. Art. 5 Abs. 4 FKVO regelt in lit. e, daß auch die Umsätze der Unternehmen zu berücksichtigen sind, in denen mehrere der unter litt. a) - d) genannten Unternehmen jeweils gemeinsam die in lit. b) bezeichneten Rechte oder Einflußmöglichkeiten haben. Zu berücksichtigen sind also einmal die Umsätze konzerninterner GU, aber auch die Umsätze von GU zwischen mehreren beteiligten Unternehmen. Zum Teil wird lit. e) so verstanden, daß nur konzerninterne GU gemeint seien82 . Das ist jedoch weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der Vorschrift zu entnehmen. Es steht auch nicht im Einklang mit den Verbundklauseln der GVOs, in denen die Vorschrift über GU

78 DrauziSchroeder, S.3 unten; Löffler, in: LangenlBunte, Art. I Rn. 21; Gugerbauer, Art. I Anm. 6. 79 Cook/Kerse, S. 74, 81 ff. 80 Kommission, 8. 12. 1995 - MontedisonlGroupe Vemes/SCI, MCR 8364 (Nm. 5, 9). 81 Dazu sofort 2. 82 Kommission, Mitteilung über die Berechnung des Umsatzes, Nr.38; Jones/Gonzalez-Diaz, S. 30 unter 2.4.2.4.

A. Die Zurechnung von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

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nach ihrem zum Teil eindeutigeren Wortlaut für beide Fälle gilt83 . Da diese Verbundklauseln Vorbild für Art. 5 Abs.4 FKVO waren, ist nicht anzunehmen, daß hier abgewichen werden sollte. In Art. 5 Abs. 4 FKVO bot sich angesichts der Nennung des beteiligten Unternehmens in lit. a) an, in der GUKlausel zu verweisen, ohne, wie in einigen GVOs erforderlich, die beteiligten Unternehmen noch einmal ausdrücklich zu benennen. Für GU zwischen mehreren Beteiligten enthält Art. 5 Abs. 5 FKVO eine Sonderregelung hinsichtlich der Berechnung des Umsatzes. Sie soll die Anrechnung interner Umsätze sowie die Doppelanrechnung des GU-Umsatzes bei beiden Müttern vermeiden. Letzteres geschieht dadurch, daß der GU-Umsatz den Müttern zu gleichen Teilen - nicht entsprechend der Kapitalanteile - zugerechnet wird84 . In den GVOs fehlen ausdrückliche Regelungen, die eine Doppelanrechnung vermeiden sollen. Durch teleologische Reduktion kommt man jedoch auch dort dazu, daß die Doppelanrechnung vermieden wird. Man rechnet den Müttern den GU-Umsatz entsprechend ihrer Kapitalanteile zu8S . In einer GVO wird die Doppelanrechnung vermieden, indem das GU als beteiligtes Unternehmen fingiert wird und nicht, wie in den anderen GVOs, als mit jeder Muttergesellschaft verbundenes Unternehmen86 • Aus den Vorschriften des Art. 5 Abs. 4 lit. e, Abs. 5 FKVO folgt, daß der Verordnungsgeber eine Umsatzzurechung bei GU mit Dritten weder ganz noch anteilig vornehmen wollte. Die Kommission will den beteiligten Unternehmen dennoch den Umsatz von GU mit Dritten entsprechend der Anrechnungsregel des Art. 5 Abs. 5 FKVO anteilig nach Köpfen zurechnen87 . Sie hat bei gemeinsamer Kontrolle eines beteiligten Unternehmens und eines Dritten dem beteiligten Unterneh-

83 Art. 4 Abs. 3 VO 1983/83 und VO 1984/83; wie Art. 5 Abs. 4 lit. e FKVO aber Art. 7 Abs. 2 V0417/85. 84 Entscheidungserheblich war die Zurechnung nach Art. 5 Abs. 4 lit. e, Abs. 4 lit. b FKVO z. B. im Fall Kommission, 27. 11. 1995 - McDermottlETPM, MCR B360 (Nr. 18); siehe auch Cook/Kerse, S. 84 f.: Sind A, Bund C paritätische Mütter eines GU, so soll, wenn A und B an einem Zusanunenschluß beteiligt sind, jedem der halbe Umsatz zuzurechnen sein. 8S G. Wiedemann, Bd. I, AT Rn. 170; ihm folgend Windhagen, S. 132. 86 Art. 7 Abs. 2 V0417/85; ebenso die Verbundklause1 in der Bagatellbekanntmachung der Kommission, Nr. 9 a. E. 87 Kommission, Mitteilung über die Berechnung des Umsatzes, Nr. 40; die Kommission verweist in der Mitteilung auf den Fall AccorlWagon Lits (vgI. Kommission, 28. 4. 1992 - AccorlWagon Lits, ABI. 1992 L20411); anders noch dies., Formblatt CO a. F., Leitfaden ill., B. II. e: "GU, die zwischen einem der beteiligten und dritten Unternehmen bestehen, werden nicht berücksichtigt, es sei denn, diese sind bereits bei einer der Mütter konsolidiert". Lit. e ist inzwischen gestrichen worden. 21 Pnhlmann

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4. Teil: Der bestehende Unternehmens verbund

men aber auch schon den gesamten GU-Umsatz zugerechnet88 . Die Literatur geht überwiegend davon aus, daß Art. 5 Abs.4, Abs.5 FKVO eine Zurechnung bei GU mit Dritten nicht gestatten89 . 3. Art. 5 Abs. 4 lit. c FKVO: Muttergesellschaften Nach Art. 5 Abs. 4 Iit. c FKVO sind die Umsätze von Unternehmen zuzurechnen, die in dem beteiligten Unternehmen die in Art. 5 Abs. 4 lit. b FKVO genannten Einflußmöglichkeiten haben. Unter diese Regelung fallen unproblematisch all diejenigen Muttergesellschaften, die in dem beteiligten Unternehmen die alleinige Kontrolle ausüben. Umgekehrt sind die Umsätze solcher Unternehmen nicht zuzurechnen, die in dem beteiligten Unternehmen keinen bestimmenden Einfluß ausüben können. Selbst wenn einer der Tatbestände des Art. 5 Abs. 41it. b, 1.-4. Spiegelstrich FKVO erfüllt ist, findet dann keine Umsatzzurechnung statt. Die oben erörterte teleologische Reduktion der Tatbestände der vier Spiegelstriehe muß im Rahmen von Art. 5 Abs. 4 Iit. c FKVO ebenso erfolgen wie in Iit. b. Wie schon bei Art. 5 Abs. 4 Iit. b FKVO werfen auch hier die Gemeinschaftsunternehmen Probleme auf. Es ist umstritten, ob nach lit. c auch die Umsätze von Unternehmen zuzurechnen sind, die gemeinsam ein anderes Unternehmen kontrollieren. Die Kommission rechnet auch bei Mehrmütterherrschaft die Umsätze der Muttergesellschaften zu90 . Sie führt für diese Auslegung den in Iit. c verwendeten Plural an (lider Unternehmen, die .... ")91. Eine Zurechnung des Umsatzes der Mütter eines GU ist nur dann erforderlich, wenn die Mütter nicht selbst beteiligte Unternehmen sind. Sind sie selbst beteiligt, ist ihr Umsatz bereits nach Art. 5 Abs. 4lit. a FKVO maßgeblich92 .

88 Kommission, 2. 3. 1992 - IFlNTIEXOR, WuWIE EV 1827, 1828 (Nr. 10); kritisch deshalb Pathak, Case Note zu IFlNTIEXOR, in: MCR, S. 702.3. 89 Jones/GonzaleziDiaz, S.31 vor 2.5.; fiir die GVOs G. Wiedemann, Bd. I, AT Rn. 159; offen lassend DrauziSchroeder. S. 26. 90 Kommission, Mitteilung über die Berechnung des Umsatzes, Nr. 38 unter 3); dies., 12. 5. 1997 - Warner Bros./Lusomundo/Sogecable, MCR B536 (Nr. 10, siehe dort Fn. I); 21. 2. 1994 - CWB/Goldman SachslTarkett, MCR B 189 (Nr. 9); 91 Kommission, Mitteilung über die Berechnung des Umsatzes, Nr. 38 unter 3). 92 SO Z. B. in den Entscheidungen Kommission, 2.10.1991 -AerospatialeAlenia/de Havilland, ABI. 1991 L334/42; 25. 2. 1991 - AerospatialelMBB, WuWIE EV 1587; 28.6.1991 - DrägerlIBMIHMP, WuWIE EV 1635.

A. Die Zurechnung von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

323

Die Literatur folgt zum Teil der Kommission93 . Andere bezweifeln die Eindeutigkeit des Wortlauts von lit. c. Denn lit. c weiche im Wortlaut von lit. e ab, der GU erfassen soll und dabei von Unternehmen spricht, in denen "mehrere ... Unternehmen jeweils gemeinsam" die Einflußmöglichkeiten der vier Spiegelstriche haben94 . Der Plural in lit. c beziehe sich eher auf Gestaltungen, bei denen das nach lit. c beherrschende Unternehmen wiederum von einem anderen Unternehmen beherrscht werde95 . Zum Teil will man auf die formale Erfüllung der Tatbestände der vier Spiegelstriche abstellen. Wenn etwa ein Mutterunternehmen die Kapitalmehrheit halte, ein anderes dagegen die Stimmrechtsmehrheit, seien die Umsätze beider Mütter zuzurechnen96 • 4. Art. 5 Abs. 4 lit. d FKVO: Schwestergesellschaften Nach Art. 5 Abs. 4 lit. d FKVO sind die Umsätze von Unternehmen zuzurechnen, in denen ein Mutterunternehmen des beteiligten Unternehmens die in lit. b genannten Einflußmöglichkeiten hat. Bei alleiniger Kontrolle ist die Anwendung von lit. d unproblematisch. Der Umsatz der Schwestergesellschaften ist zuzurechnen. Folgt man dagegen der Kommission darin, daß unter lit. b in Verbindung mit Abs. 5 auch GU mit Dritten fallen und daß Muttergesellschaften im Sinne von lit. c auch GU-Mütter sind, ergibt sich fiir lit. dein weiter Anwendungsbereich. Wird z. B. ein beteiligtes Unternehmen von zwei Müttern kontrolliert, ist ihm nach lit. c der Umsatz dieser Mütter zuzurechnen. Nach lit. d wäre dann auch der Umsatz (anteilig) hinzuzuzählen, den die jeweilige Mutter in GU mit Dritten erzielt. 5. Mehrstufige Verbindungen Der Umsatz von Enkelunternehmen der beteiligten Unternehmen ist nach Art. 5 Abs. 4 lit. b FKVO dem beteiligten Unternehmen zuzurechnen, wenn es diese mittelbar alleine kontrolliert. Lit. b läßt ausdrücklich auch mittelbare Einflußmöglichkeiten ausreichen. Dagegen steht in litt. c, d und e nicht ausdrücklich, daß auch mittelbare Einflußmöglichkeiten zur Zurechnung führen. In den Verbundklauseln der GVOs werden die Tatbestandsmerkmale "mittel-

93 Jones/Gonzalez-Diaz. S. 30 (unter 2.4.2.1.); unklar Lö.fJler. in LangenlBunte, Art. 5 Rn. 14, der die Frage der Umsatzzurechnung mit derjenigen vennengt, wer die beteiligten Unternehmen sind. 94 Röhling. ZIP 1990, 1179. 95 DrauziSchroeder. S. 21; CookiKerse. S. 83; BumsidelMackenzie Stuart. ECLR 1995, 138, 144. 96 Bellamy/Child. Rn. 6-055, Fn. 32; CookiKerse. S. 75.

21*

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4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbund

bar oder unmittelbar" im Gegensatz dazu stets wiederholt97 . Dennoch läßt auch der Wortlaut des Art. 5 Abs. 4 litt. c - e FKVO die Erfassung der Umsätze entfernter verbundener Gesellschaften ZU98. Denn der Verweis in litt. c - e auf die in lit. b bezeichneten Einflußmöglichkeiten umfaßt auch das Tatbestandsmerkmal "mittelbar oder unmittelbar" vor dem ersten Spiegelstrich. Daher sind entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht99 auch die Umsätze von Tochtergesellschaften eines GU mit Dritten zuzurechnen, vorausgesetzt, man stimmt der Prämisse zu, daß der Umsatz des GU zuzurechnen ist. Allerdings sind dann die Umsätze zwischen dem GU und dessen Tochter nicht zu berücksichtigen, Art. 5 Abs. 5 lit. a FKVO. Denn die GU-Tochter ist mit dem beteiligten Unternehmen im Sinne von Art. 5 Abs. 4 FKVO verbunden lOo Auf der Enkel- und Großmutterebene stellen sich im übrigen dieselben Fragen im Zusammenhang mit GU wie auf der Ebene davor. Sind die Umsätze eines GU zuzurechnen, das von einer Tochter eines Beteiligten und einem Dritten kontrolliert wird? Sind die Umsätze der Unternehmen zuzurechnen, von denen die Muttergesellschaft eines Beteiligten gemeinsam kontrolliert wird? Diese Fragen sind auf der Ebene der entfernteren "Generation" zu beantworten wie bei Mutter- und Tochtergesellschaften. 6. Zusammenfassung des Meinungsstandes Im Rahmen von Art. 5 Abs. 4 FKVO die Beteiligteneigenschaft und die Verbundzugehörigkeit eines Unternehmens festzustellen, bereitet Schwierigkeiten, wenn GU betroffen sind. Denn bei GU paßt Art. 5 Abs. 4 FKVO deshalb schlecht, weil die Zurechnung grundsätzlich voraussetzt, daß die Unternehmen unter einheitlichem Einfluß stehen. Nach dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 4 lit. e, Abs. 5 FKVO wird bei GU der Umsatz nur zugerechnet, wenn es sich um konzerninterne GU oder GU zwischen den Beteiligten handelt. Die Kommission dagegen legt unter weitgehender Zustimmung in der Literatur die Verbundtatbestände so aus, daß im Ergebnis Mitkontrolle immer zur Umsatzzurechnung führt. Sie erreicht das, indem sie:

97 Art. 16 Abs. 2, Abs. 3 va 3932/92; Art. 10 Nr. 14 va 240/96; Art. 7 Abs. 1, AbS.2 va 417/85; Art. 10 Nr. 8 b va 1475/95; Art. 4 AbS.2 va 1983/83 und 1984/83; Art. 9 Abs. 2, Abs. 3 va 418/85. 98 Im Ergebnis ebenso Kommission, Mitteilung über die Berechnung des Umsatzes, Nr. 38,2). 99 DrauziSchroeder, S. 26. 100 A. A. DrauziSchroeder, S. 26: Die GU-Tochter sei drittes Unternehmen im Sinne von Art. 5 Abs. 5 lit. b FKVa.

A. Die Zurechmmg von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

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1. GU-Mütter als beteiligte Unternehmen im Sinne von Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO ansieht, wenn GU gegründet werden oder wenn GU ein Unternehmen erwerben, 2. beteiligten GU den Umsatz der Mütter nach Art. 5 Abs.4 lit. c FKVO zurechnet. 3. beteiligten Unternehmen den Umsatz von GU mit Dritten analog Art. 5 Abs. 5 FKVO zurechnet. Zusammen mit der materiellen Auslegung der formalen Verbundtatbestände führt das dazu, daß die Kommission und die überwiegende Literatur Art. 5 Abs. 4 FKVO im Ergebnis so auslegen, daß die in den vier Spiegelstriehen genannten Einflußmöglichkeiten den in Art. 3 Abs. 3 FKVO Genannten entsprechen.

V. Die dem Verbund angehörenden Unternehmen - Stellungnahme Bisher offen geblieben sind die Fragen der Umsatzberechnung, die sich im Zusammenhang mit GU stellen. Es geht hier zum einen darum, wer beteiligtes Unternehmen im Sinne von Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO ist, zum anderen darum, unter welchen Voraussetzungen bei GU der Unternehmensverbund im Sinne von Art. 5 Abs. 4 FKVO bejaht werden kann. 1. Beteiligte Unternehmen im Sinne von Art. 5 Abs. 4 Ht. a FKVO a) Selbständigkeit des Beteiligtenbegrifft gegenüber dem Zusammenschlußtatbestand Maßgeblich für die Auslegung des Beteiligtenbegriffs des Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO sind Sinn und Zweck des Art. 5 Abs. 4 FKVO. Art. 5 Abs. 4 FKVO ergänzt Art. 1 Abs. 2 und 3 FKVO. Art. 1 Abs. 2 und 3 FKVO legen Schwellen fest, anhand derer die wirtschaftliche Bedeutung des Zusammenschlusses gemessen werden soll. Die wirtschaftliche Bedeutung des Zusammenschlusses hängt von der Bedeutung der Ressourcen ab, die zusammengeschlossen werden. Fusionieren zwei kleine Unternehmen, so ist die wirtschaftliehe Bedeutung des Zusammenschlusses gering. Kauft ein großes Unternehmen ein kleines Unternehmen, ist die Bedeutung des Zusammenschlusses ebenfalls gering. Beiden Aspekten trägt Art. I FKVO Rechnung, indem er erstens einen bestimmten Gesamtumsatz der beteiligten Unternehmen verlangt und zweitens verlangt, daß mindestens zwei beteiligte Unternehmen einen bestimmten Umsatz erzielen. Art. 5 Abs.4 FKVO hat dabei die Aufgabe, die Ressourcen in die Berechnung einzubeziehen, die durch den neuen Unternehmensverbund zusammengefaßt werden.

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4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbund

Damit steht zum einen fest, daß beteiligtes Unternehmen im Sinne von Art. 5 Abs.4 lit. a FKVO auch das Objekt Unternehmen sein kann. Wenn z. B. ein Unternehmen einen Betrieb pachtet, sind beteiligte Unternehmen der Enverber und der Betrieb. Zum anderen folgt daraus, daß die Frage, in welchem Verhältnis eine Ressourcenzusammenballung vorliegt und wer an ihr beteiligt ist, nicht schon durch den Zusammenschlußtatbestand beantwortet ist. Art. 3 FKVO beschreibt die Zusammenfassung von Ressourcen als "Fusion" oder "Kontrollenverb". Damit werden aber nicht alle Fälle einer Zusammenfassung von Ressourcen erfaßt. Gründen z. B. zwei Unternehmen ein GU, dem sie Teile ihrer Ressourcen übertragen, dann führt dies in vertikaler Richtung insofern zu einem externen Zuwachs an Ressourcen, als jede Mutter Verfugungsmacht über die von der anderen Mutter in das GU eingebrachten Ressourcen erlangt. Aus vertikaler Sicht liegen also zwei Zusammenschlüsse (Kontrollenverb) vor. Aus horizontaler Sicht liegt aber ebenfalls eine Zusammenballung von Ressourcen vor, soweit die bisher getrennten Ressourcen der Mütter jetzt im GU zusammengefaßt werden lol . Der Kontrolltatbestand erfaßt diesen horizontalen Zusammenschluß seinem Wortlaut nach nicht, weil das neu gegründete GU erst durch den Zusammenschluß zum Unternehmen wird lO2 . Obwohl der Zusammenschlußtatbestand den horizontalen und den vertikalen Aspekt nicht unterscheidet, muß Art. 5 Abs. 4 FKVO nach seinem Sinn und Zweck, die wirkliche Ressourcenzusammenballung zu messen, zwischen der vertikalen und der horizontalen Ressourcenkonzentration differenzieren. Dementsprechend können bei einer GU-Gründungjeweils die einzelne Mutter und das GU Beteiligte sein, aber auch die jeweils in das GU eingebrachten Ressourcen. b) Lösung der Problemfälle

Auf diesem Hintergrund lassen sich auch die Problemfälle lösen. Die Beteiligteneigenschaft von GU oder ihren Müttern bereitet Probleme, wenn ein GU entsteht (sogleich aa. und bb.), Anteile an einem bestehenden GU envorben werden (ce.), zwei Unternehmen ein bestehendes Unternehmen enverben (dd.) und wenn ein GU ein anderes Unternehmen envirbt (ee.).

101 Vgl. zur Unterscheidung der Zusammenschlüsse jedes Gründers mit dem GU und des Zusammenschlusses der Gründer miteinander in der EGKS-Praxis Iliopoulos, S. 31 und 64 ff. 102 Näher zu den Lücken des Kontrolltatbestandes und ihrer Ergänzung oben, 2. Teil B m 3, S. 117 ff.

A. Die Zurechnung von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

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aa) Neugründung eines Gemeinschaftsunternehmens, in das beide Mütter Unternehmensbereiche einbringen Eine GU-Neugründung führt in einem solchen Fall in vertikaler Richtung zu einem externen Zuwachs an Ressourcen, weil jede Mutter Verfügungsrnacht über die von der anderen Mutter in das GU eingebrachten Ressourcen erlangt. Damit geht einher, daß jede Mutter hinsichtlich der zuvor ihr allein gehörenden Ressourcen von nun an weniger Einfluß hat. Aus vertikaler Sicht liegen also zwei Zusammenschlüsse vor. Stellt man hierauf ab, sind beteiligte Unternehmen im Sinne von Art. 5 Abs. 4lit. a FKVO zum einen MI und das GU sowie zum anderen M2 und das Gu. Die Umsatzschwellen des Art. lAbs. 2 lit. b FKVO zum Beispiel sind bei einer GU-NeugfÜndung daher immer dann erreicht, wenn mindestens eine GU-Mutter und das GU jeweils 250 Mio. ECU umsetzen. Der FKVO unterfallen wegen der tatsächlichen Untrennbarkeit der beiden vertikalen Zusammenschlüsse immer beide vertikalen Zusanunenschlüsse gemeinsam, also auch dann, wenn die eine Muttergesellschaft nicht die 250-Mio.-ECU-Schwelle überschreitet. Weil das neu zu gründende GU noch keinen Umsatz erzielt, ist auf den Umsatz der einzubringenden Bereiche abzustellen. Bei einem ganz neuen Tätigkeitsbereich ist der künftige Umsatz zu schätzen. Setzen dagegen nur die Muttergesellschaften, nicht aber das GU mehr als 250 Mio. ECU um, ist bei vertikaler Betrachtung die Umsatzschwelle des Art. lAbs. 2 lit. b FKVO nicht erreicht. Denn Art. lAbs. 2 lit. b FKVO soll, indem er einen bestimmten Umsatz mindestens zweier Beteiligter voraussetzt, eine Umsatzschwelle für die durch den Zusanunenschluß zusanunengefaßten Ressourcen festlegen. Die zwei beteiligten Unternehmen müssen also auf verschiedenen Seiten eines Zusanunenschlusses stehen103 . Auf horizontaler Ebene liegt eine Ressourcenzusanunenballung zwischen MI und M2 hinsichtlich der vergemeinschafteten Unternehmensbereiche vor. Die von ihnen eingebrachten Bereiche stehen in Zukunft unter der einheitli chen Kontrolle des GU. Dagegen findet hinsichtlich der restlichen unternehmerischen Tätigkeiten von MI und M2 keine Ressourcenzusanunenballung statt. Hier tritt allenfalls der oben erörterte Gruppeneffekt, also eine Verhaltenskoordination oder gar nur eine Rücksichtnahme auf GU-nahen Gebieten ein. Im erstgenannten Fall liegt nach Art. 3 Abs.2 FKVO kein Zusanunenschluß vor. Im zweitgenannten Fall ist die Verbindung zu schwach, um eine Umsatzzurechnung zu rechtfertigen.

103 Ebenso für die vergleichbare Regelung des GWB (§ 24 a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 a. F.) KleinmanniBechtold, Rn. 24.

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4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbund

Teile der Literatur l04 wollen entsprechend Art. 5 Abs. 2 Unterabs. I FKVO die GU-Mütter zumindest bei konzentrativen GU wie einen Veräußerer gar nicht mehr als Beteiligte ansehen. Angesichts der Schwelle des Art. I Abs. I lit. b FKVO würden danach nur noch GU unter die FKVO fallen, in die jede Mutter Unternehmensbereiche mit einem Umsatz von mindestens 250 Mio. ECU einbringtlOs . Dann bliebe jedoch der vertikale Aspekt des Zusammenschlusses unbeachtet. Denn anders als ein Veräußerer behalten die GU-Mütter Einfluß auf die von ihnen eingebrachten Ressourcen. Die Kommission nimmt, wie oben dargelegt, an, daß beteiligte Unternehmen die Muttergesellschaften sind. Es genügt danach, wenn die Muttergesellschaften, nicht aber das GU mehr als 250 Mio. ECU umsetzen. Die Beteiligung der Muttergesellschaften an dem Zusammenschluß ergibt sich aber nur aus der vertikalen Betrachtung. An jedem vertikalen Zusammenschluß ist, wenn das GU weniger als 250 Mio. ECU umsetzt, nur jeweils ein Unternehmen mit mehr als 250 Mio. ECU beteiligt. Und bei horizontaler Betrachtung schließen sich nicht die Mütter, sondern die in das GU einzubringenden Bereiche zusammen. Selbst wenn man, wie im deutschen Recht 106, annimmt, es liege ein Teilzusammenschluß der Mütter vor, an dem diese beteiligt sind, führt das bei rein horizontaler Betrachtung nicht zur Berücksichtigung ihrer gesamten Umsätze. Vielmehr sind analog Art. 5 Abs. 2 S. I FKVO die Umsätze der nicht in das GU eingebrachten Bereiche bei dem horizontalen Zusammenschluß nicht zu berücksichtigen. Denn keine Mutter hat Einfluß auf die nicht in das GU eingebrachten Ressourcen der anderen Mutter. Die FKVO greift hinsichtlich der horizontalen Komponente des Zusammenschlusses daher erst ein, wenn MI und M2 Unternehmensbereiche mit je 250 Mio. ECU Umsatz in das GU einbringen. Etwas anders könnte de lege ferenda gelte, wenn man Art. 3 Abs. 2 FKVO streicht. Dann würde die FKVO auch Zusammenschlüsse mit kooperativen Wirkungen erfassen. Dann könnten den Umsätzen des GU auch die Umsätze aus den koordinierten Bereichen zuzurechnen sein. Da horizontaler und vertikaler Zusammenschluß bei der GU-Gründung untrennbar verbunden sind, genügt es für das Erreichen der Umsatzschwellen des Art. lAbs. 2 lit. b FKVO, wenn entweder aus der vertikalen oder aus der horizontalen Sichtweise zwei Beteiligte mehr als 250 Mio. ECU umsetzen.

104 Bos/Stuyck/Wytinck, Rn. 4-022; Koch, in: GrabitzJHilf, nach Art. 86 Rn. 23; vgl. auch SiragusaiSubiotto, CMLRev. 1991, 877, 902 f; kritisch auch Stuyck, S. 22 fT.; Jones/Gonzalez-Diaz, S. 20 unter 2.3.2.2. lOS Zudem müßte der Gesamtumsatz des GU 5 Mrd. ECU überschreiten. 106 § 37 Abs. 1 Nr. 3 S. 3 GWB.

A. Die Zurechnung von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

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Es bleibt daher festzuhalten, daß bei der Neugründung eines GU Beteiligte im Sinne von Artt. 5 Abs. 4 lit. a, lAbs. 2 FKVO bei vertikaler Betrachtung jeweils die einzelne GU-Mutter und das GU sind und bei horizontaler Betrachtung nur die in das GU eingebrachten Bereiche (oder, wenn man dem nicht folgen will, die GU-Mütter, allerdings nur mit den in das GU eingebrachten Unternehmensbereichen, Art. 5 Abs. 2 S. 1 FKVO analog). Die Umsatzschwelle des Art. lAbs. 2 lit. b FKVO ist daher erreicht, wenn entweder mindestens das GU und eine Mutter über 250 Mio. ECU umsetzen oder wenn die in das GU einzubringenden Unternehmensbereiche bei mindestens zwei Müttern mehr als 250 Mio. ECU umsetzen. Entgegen der Ansicht der Kommission ist es nicht ausreichend, wenn nur die beiden GU-Mütter mehr als 250 Mio. ECU umsetzen. Die verfahrensrechtliche Sonderbehandlung, die die Kommission GU mit weniger als 100 Mio. ECU Umsatz angedeihen läßt, wäre nach dieser Lösung nicht erforderlich. Ebenso wäre eine materiell-rechtliche Bagatellregel, wie sie die Kommission in ihrem Grünbuch erörtert hat l07 , für diese Fälle entbehrlich. bb) Neugründung eines Gemeinschaftsunternehmens, in das nur eine Mutter Unternehmensbereiche einbringt Ein solches GU kann auf zweierlei Weise entstehen. Entweder erwirbt ein Unternehmen Anteile an einem bisher unter alleiniger Kontrolle stehenden Unternehmen, oder das unter alleiniger Kontrolle stehende Unternehmen wird auf ein neu gegründetes GU übertragen. Beide Fälle sind gleich zu behandeln. Eine Zusammenballung von Ressourcen findet hier in vertikaler Richtung insofern statt, als die neu hinzukommende Mutter Einfluß über die Ressourcen des bisher unter alleiniger Kontrolle stehenden Unternehmens erhält. Beteiligt sind also das erwerbende Unternehmen und das Zielunternehmen. Fraglich ist, ob auch der bisher alleinige Kontrollinhaber Beteiligter ist. Die Kommission nimmt das an 108 . Dagegen spricht, daß er keine Ressourcen hinzugewinnt. Insbesondere liegt ein Zusammenschluß zwischen ihm und der neuen GUMutter nicht vor. Die horizontale Komponente der GU-Gründung fehlt hier. Anders als im erstgenannten Fall findet auf horizontaler Ebene zwischen den Müttern keine Ressourcenzusammenballung statt. Denn die betroffenen Ressourcen standen bereits vor dem Zusammenschluß unter einheitlicher Kontrolle. Eine andere Frage ist, ob dem Zielunternehmen die Umsätze zuzurech-

Kommission, Grünbuch zur Revision der FKVO, Nr. BI. Kommission, Mitteilung über den Begriff des Zusammenschlusses, Nr. 23 und Nr. 44; dies., 22. 10. 1993 - SynthomerlYule Catto, MCR B 172 (Nm. 14, 15). 107

108

330

4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbund

nen sind, die der bisher alleinige Kontrollinhaber in anderen Bereichen erziele 09. Festzuhalten bleibt, daß bei Neugrtindung eines GU, in das nur eine Mutter Unternehmensbereiche einbringt, Beteiligte nur der Kontrollerwerber und das Zielunternehmen sind. Die Umsatzschwellen des Art. lAbs. 2 lit. b FKVO sind daher nur erfüllt, wenn Erwerber und Zielunternehmen mehr als 250 Mio. ECU umsetzen. Wenn nur der bisherige Unternehmensträger und der Erwerber jeweils mehr als 250 Mio. ECU umsetzen, greift die FKVO nicht ein. cc) Anteilserwerb an bestehendem Gemeinschaftsunternehmen Erwirbt ein Unternehmen kontrollbegrtindende Anteile an einem bestehenden GU, ohne neue Unternehmensbereiche einzubringen, dann gilt dasselbe wie soeben unter bb) erläutert. Entgegen der Ansicht der Kommission sind nur der Erwerber und das GU Beteiligte im Sinne von Art. lAbs. 2 lit. b FKVO und Art. 5 Abs. 4lit. a FKVO. Denn nur in diesem Verhältnis findet eine Ressourcenzusammenballung statt. Die anderen Mütter sind an einem Konzentrationsvorgang nicht beteiligt. Insbesondere liegt kein Zusammenschluß des Erwerbers mit den anderen Mutterunternehmen vor. Bringt der Anteilserwerber neue Unternehmensbereiche in das GU ein, so liegt auch ein horizontaler Zusammenschluß vor, an dem die vom Erwerber eingebrachten Bereiche (oder, wenn man dem nicht folgen will, der Erwerber mit den von ihm eingebrachten Bereichen) und das GU beteiligt sind. Zu berücksichtigen ist hier der Umsatz der eingebrachten Unternehmensbereiche des Erwerbers einerseits und der Umsatz des GU andererseits. dd) Zwei Unternehmen erwerben ein anderes Unternehmen Erwerben zwei Unternehmen ein anderes Unternehmen, so sind Beteiligte jeweils das erwerbende Unternehmen und das ZielunternehmenlID. Für das Erreichen der Umsatzschwelle des Art. lAbs. 2 lit. b FKVO zum Beispiel ist es erforderlich, daß mindestens eine Mutter und das GU mehr als 250 Mio. ECU umsetzen. Denn die beiden GU-Mütter sind nicht auf zwei Seiten eines Zusammenschlusses beteiligt. Ein horizontaler Zusammenschluß zwischen ihnen liegt nicht vor.

Siehe unten 2, S. 334 ff. So auch Kommission, Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen, Nr. 22. 109 110

A. Die Zureclmung von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

331

Erwerben zwei Unternehmen, die bereits ein Unternehmen gemeinsam kontrollieren, gemeinsam ein anderes Unternehmen, so sind aus vertikaler Sicht jeweils eine Mutter und das neue GU Beteiligte. Daneben werden aber auch die Ressourcen des alten und des neuen GU unter einheitlicher Leitung der Mütter zusammengefaßt, so daß auch hier eine Ressourcenzusammenballung vorliegt. Fälle dieser Art passen schlecht in das auf mehrheitliche Vertikalbeziehungen ausgerichtete System des Art. 5 Abs. 4 FKVO. Zwei Lösungen sind denkbar. Man könnte die GU-Mütter in ihrer Gesamtheit und das neue GU als Beteiligte eines ebenfalls vertikalen Zusammenschlusses ansehen. Den GU-Müttern könnte man den Umsatz des alten GU nur analog Art. 5 Abs. 4 lit. b FKVO zurechnen, denn Art. 5 Abs. 4 lit. e FKVO greift hier nicht einllI und Art. 5 Abs. 4 lit. b FKVO spricht nur von Unternehmen, in denen das beteiligte Unternehmen die Mehrheit hat. Der eigene, jeweils allein erzielte Umsatz jeder GU-Mutter wäre nach Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO nicht hinzuzurechnen, weil an dem Zusammenschluß nicht jede einzelne GU-Mutter, sondern nur beide gemeinsam beteiligt sind. Vorzuziehen ist der Weg, das alte und das neue GU als an der Gleichordnung Beteiligte anzusehen. Ihre Umsätze sind dann nach Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO erfaßt. Beide Lösungen führen zu demselben Ergebnis, daß im Hinblick auf die Ressourcenzusammenfassung der GU der Zusammenschluß nach Art. 1 Abs. 2 FKVO nur kontrollpflichtig ist, wenn beide GU die Schwellen des Art. 1 Abs. 2 lit. b FKVO überschreiten. Insgesamt ist auf den Erwerb eines Unternehmens durch zwei Unternehmen, die bereits ein anderes Unternehmen kontrollieren, die FKVO nach Art. 1 Abs. 2 FKVO daher anwendbar, wenn entweder eine Muttergesellschaft und das Zielunternehmen oder das Zielunternehmen und das alte GU jeweils die Schwellen des Art. 1 Abs. 2 lit. b FKVO überschreiten. ee) Ein Gemeinschaftsunternehmen erwirbt ein anderes Unternehmen Erwirbt ein GU ein anderes Unternehmen, so ist immer das Zielunternehmen Beteiligter im Sinne von Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO. Sein Umsatz muß aus den oben unter a) und d) getroffenen Erwägungen im Falle des Art. lAbs. 2 FKVO immer größer als 250 Mio. ECU sein. Liegt sein Umsatz darunter, so kann entgegen der Ansicht der Kommission auch nicht die Annahme, die umsatzstärkeren GU-Mütter seien Beteiligte, zur Erreichung der Schwellen des Art. 1 Abs. 2lit. b FKVO führen. Für die hier vertretene These, daß das Zielunternehmen im Falle des Art. 1 Abs. 2 FKVO immer die Schwelle des Art. 1 Abs. 2 lit. b FKVO erreichen 111

Siehe unten 2 a, 2. Beispiel (S. 335).

332

4. Teil: Der bestehende Untemehmensverbund

muß, spricht außer den oben genannten Argumenten, daß der Erwerb umsatzschwacher Unternehmen durch ein allein kontrolliertes Unternehmen auch nicht unter die FKVO fällt. Es gibt keinen Grund, der es rechtfertigen würde, den Unternehmenserwerb durch zwei Unternehmen hier anders zu behandeln. Ein solcher Grund könnte allenfalls sein, daß die Zusammenarbeit im GU zu einer Verminderung des Wettbewerbs auch außerhalb des vergemeinschafteten Bereichs führen kann. Erreicht diese Verminderung des Wettbewerbs den Grad einer Beschränkung der Handlungsfreiheit im Sinne von Art. 85 EGV, ist bei Nichterreichung der Schwellen der FKVO allein Art. 85 EGV anwendbar ll2 . Unterhalb dieses Grades ist die Abschwächung des Wettbewerbs nicht geeignet, eine Umsatzzurechnung und damit das Erreichen der Schwellenwerte zu begrunden. Das gilt auch dann, wenn zwei Unternehmen durch ein Netz umsatzschwacher GU verbunden sind ll3 , solange die Unternehmen auf den anderen Gebieten unabhängig vorgehen. Und der Gefahr einer scheibchenweisen Integration, bei der die einzelnen Schritte der Vergemeinschaftung die Umsatzschwellen nicht erreichen, wird mit Art. 5 Abs. 2 S. 2 FKVO begegnet. Hat das Zielunternehmen den erforderlichen Umsatz, so fragt sich weiter, ob neben dem Zielunternehmen das erwerbende GU oder auch seine Mütter Beteiligte sind. Das ist bei Art. 1 Abs.2 FKVO dann von Bedeutung, wenn das GU weniger als 250 Mio. ECU Umsatz hat. Bejaht man die Beteiligung der Mütter, dann müßte wie beim Unternehmenserwerb durch zwei Unternehmen mindestens eine Mutter mehr als 250 Mio. ECU umsetzen. Verneint man die Beteiligung der Mütter, wäre weiter zu fragen, ob dem GU die Umsätze der Mütter zumindest zuzurechnen sind. Würde man das bejahen, so würde sich weiter fragen, ob die Umsatzschwelle des Art. 1 Abs. 2 lit. b FKVO schon erreicht ist, wenn nur beide Mütter zusammen die 250 Mio. ECUSchwelle überschreiten, oder ob - wie beim Erwerb durch zwei Unternehmenmindestens eine Mutter allein diese Schwelle überschreiten muß. Hieran wird deutlich, daß "Beteiligung" nach Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO und "Zurechnung" nach Art. 5 Abs. 4 litt. b - e FKVO dasselbe Problem betreffen. Beteiligt sind die Kontrollerwerber und diejenigen, über die Kontrolle erworben wird. Sieht man als Beteiligte auch die mittelbaren Kontrollerwerber an, dann erfaßt der Beteiligtenbegriff auch die Unternehmen, für die an sich die Regeln der Art. 5 Abs. 4 litt. b -e FKVO gelten. Besonders deutlich wird das bei Fällen des alleinigen Kontrollerwerbs. Erwirbt ein Unternehmen durch seine umsatzschwache Tochtergesellschaft ein Unternehmen, kann man ent112 Auch die Durchfllhrungsverordnungen zu Art. 85 EGV müssen trotz des engen Wortlauts des Art. 22 Abs. 1,2. HS FKVO anwendbar sein. 113 Zur Problematik der Erfassung von GU-Netzen siehe Basedow/Jung, S. 22 und 106 fI.; Fuchs, ZEuP 1994,712,715.

A Die Zurechnung von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

333

weder die Tochter und die Mutter als am Kontrollerwerb Beteiligte ansehen oder der Tochter den Umsatz der Mutter zurechnen. Anders als bei den GU führt hier die Zurechnung oder die Annahme der Beteiligteneigenschaft nicht zu verschiedenen Ergebnissen. Die Kommission nimmt in bestimmten Fällen an, die GU-Mütter seien die Beteiligten, in anderen dagegen nicht. Gegen diese Kommissionspraxis spricht daß ihr eine abgrenzungstaugliche Beschreibung "transparenter Vehikel" nicht gelingt. Das liegt daran, daß ein bildhafter Ausdruck wie der des "transparenten Vehikels" oder der des "gelüfteten Schleiers" die Methode der Rechtsfindung sowie die dogmatische Grundlegung im Dunkeln läßt 11 4. Die komplizierten Fallgruppen, in denen die Kommission die Beteiligung der Mütter annimmt, sind in ihrer Summe so umfassend, daß kaum noch Raum für eine Beteiligteneigenschaft des GU bleibt. Nur wenn das GU ein Vollfunktions-GU ist, das ohne Eingreifen der Mütter ein auf seinem Markt tätiges Unternehmen erwirbt, wären die Mütter nicht Beteiligte. Da Unternehmenskäufe der Tochter in der Regel nur unter enger Führung der Mütter erfolgen, dürften diese Fälle praktisch kaum vorkommen. Im übrigen sind die Kriterien, die die Kommission in ihren Fallgruppen zugrundelegt, auch nicht zur Abgrenzung geeignet. Denn sie stehen nicht mit Sinn und Zweck der Artt. lAbs. 2 und 3, 5 Abs. 4 FKVO in Einklang. Die Kommission sieht in dem Betreiben des Erwerbs durch die Mutter ein Indiz dafür, daß die Mütter tatsächlich die Kontrolle über das neue Unternehmen ausüben wollen. Weiteres Indiz dafür soll es sein, wenn das GU seine Tätigkeit durch den Erwerb diversifiziere. Auch dann, wenn das erworbene Unternehmen nicht auf dem GU-Markt tätig wird, geht die Kommission davon aus, daß die Mütter die Kontrolle über das GU tatsächlich ausüben werden. Auf die tatsächliche Ausübung der Kontrolle durch die Mütter des erwerbenden GU kommt es für die Beteiligteneigenschaft aber nicht an. Beteiligte sind nach dem Sinn und Zweck der Artt. lAbs. 2 und 3, 5 Abs. 4 lit. a FKVO diejenigen, die zusammengeschlossen sind. Das sind diejenigen, die Verfügungsbefugnis über die betroffenen Ressourcen erlangen. Nicht entscheidend ist, ob sie diese Verfugungsbefugnis ausüben. Hinzu kommt, daß die Fallgruppen der Kommission die Klärung der Zuständigkeit mit materiellen Wertungen schwierigster Art belasten 115. Man sollte daher entweder die Beteiligteneigenschaft der Mütter immer bejahen oder immer verneinen. Würde man Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO weit interpretieren und die GU-Mütter als Beteiligte ansehen, so liefen die litt. b - e weitgehend leer. Denn ein Beteiligtenbegriff, der jeden Kontrollerwerb erfaßt,

114 115

VgJ. H. Wiedemann, S. 19. Kritik deshalb auch bei BurnsidelMackenzie Stuart, ECLR 1995, 138, 143.

334

4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbund

der durch zwischengeschaltete Unternehmensträger vermittelt wird, würde nahezu alle Fälle der litt. b - e erfassen. Beteiligt wären dann nicht nur GUMütter. sondern auch deren Mütter, die alleinige Mutter eines kontrollerwerbenden Unternehmens sowie alle "Generationen" vorher. Auf der anderen Seite des Zusammenschlusses wären nicht nur das Zielunternehmen, sondern auch seine Töchter sowie seine GU mit Dritten erfaßt sowie die folgenden "Generationen". Für die Zurechnung nach Art. 5 Abs. 4 litt. b - e FKVO blieben dann nur noch Fälle wie z. B. derjenige, in dem das kontrollerwerbende Unternehmen noch weitere Tochtergesellschaften hat. Da diese an dem Kontrollerwerb nicht beteiligt sind, wären sie nicht Beteiligte im Sinne von Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO, sondern ihr Umsatz wäre nach Art. 5 Abs. 4 lit. b FKVO zuzurechnen. Es ist aber nicht anzunehmen, daß Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO so weit gemeint ist, daß er von litt. b - d kaum noch etwas übrig läßt. Daher sind beim Kontrollerwerb durch ein GU grundsätzlich das GU und das Zielunternehmen die beteiligten Unternehmen. Die Mütter sind nur in einem Fall ausnahmsweise die beteiligten Unternehmen: wenn das GU kein Unternehmen im Sinne der FKVO ist, das heißt dann, wenn es außer der künftigen Kontrolle über das Zielunternehmen keine anderen unternehmerischen Tätigkeiten verfolgt1l6. Damit dürften übrigens auch die Umgehungsfälle erfaßt sein, in denen die GU-Mütter das GU zum Erwerb bewußt zwischengeschaltet haben. Eine andere Frage ist, ob dem GU die Umsätze der Mütter zuzurechnen sindli? . 2. Mit dem beteiligten Unternehmen verbundene Unternehmen a) Das Mehrheitsprinzip des Art. 5 Abs. 4 FKVO Art. 5 Abs. 4 FKVO sieht die Zurechnung in litt. b - d nur vor, wenn mehrheitlicher Einfluß besteht. Damit stellt Art. 5 Abs. 4 FKVO sicher, daß nur Umsätze von Unternehmen addiert werden, die unter einheitlicher Kontrolle stehen. Art. 5 Abs. 4 lit. e FKVO scheint dieses Prinzip jedoch zu durchbrechen. Danach werden Umsätze solcher Unternehmen zugerechnet, die unter der gemeinsamen Kontrolle mehrerer Beteiligter oder mit diesen verbundener Unternehmen stehen. Art. 5 Abs. 4 lit. e FKVO durchbricht jedoch bei näherer Betrachtung nicht das Mehrheitsprinzip. Bei konzerninternen GU, die stets unter lit. e fallen, ist das offensichtlich. Aber auch bei GU zwischen den Be-

116 Diese Ausnahme ist übrigens nicht GU-spezifisch. Erwirbt M durch eine neu gegründete Zwischenholding ein Unternehmen, so ist die Holding dann nicht (beteiligtes) Unternehmen, wenn sie bisher kein Unternehmen kontrolliert. Beteiligtes Unternehmen ist dann M. 117 Dazu unten 2 b bb, S. 338 f.

A. Die Zurechnung von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

335

teiligten ist das Mehrheitsprinzip gewahrt. Dazu zwei Beispiele, die sich auf die Umsatzschwellen des Art. 1 Abs. 2 FKVO beziehen: Erstes Beispiel: Erwirbt Ul (Umsatz 10 Mrd. ECU) U2 (Umsatz 200 Mio. ECU) und haben beide gemeinsam Kontrolle über ein GU A mit 200 Mio. ECU Umsatz, dann fällt der Zusammenschluß unter die FKVO, Art. 5 Abs.4 litt. b, e, Abs.5 FKVO. Bestünde das GU nicht zwischen UI und U2, sondern zwischen U2 und X, bliebe nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs.4 lit. e, Abs. 5 FKVO der Zusammenschluß kontrollfrei. Der Unterschied dieser Fälle liegt in folgendem. Im ersten Fall stehen die zuvor unter gemeinsamer Kontrolle befindlichen Ressourcen des GU A nach dem Zusammenschluß unter dem alleinigen Einfluß von UI. Diese Ressourcen stehen, den Wertungen der vier Spiegelstriehe entsprechend, der neu zusammengeschlossenen Einheit ganz zur Verfügung. Dagegen erlangt im zweiten Fall UI durch den Zusammenschluß im GU nur eine Position gemeinsamer Kontrolle mit X, die nach den Wertungen der vier Spiegelstriehe nicht zur Umsatzaddition führt. Diese Überlegungen greifen gleichermaßen dann, wenn UI im Beispielsfall nur 50% an U2 erwirbt. Auch dann stehen nach dem Zusammenschluß U2 und das GU A unter einheitlicher Kontrolle. Zweites Beispiel: Ul (Umsatz 200 Mio. ECU) und U2 (Umsatz 200 Mio. ECU) haben gemeinsam Kontrolle über das GU A mit 200 Mio. ECU Umsatz. Jetzt erwerben Ul und U2 gemeinsame Kontrolle über das Unternehmen B (Umsatz 5 Mrd. ECU). Der Zusammenschluß fällt nur unter die FKVO, wenn UI und U2 der Umsatz des GU A nach Art. 5 Abs. 4 lit. e FKVO zuzurechnen ist. Das ist jedoch nicht der Fall. Aus vertikaler Sicht sind UI und B sowie U2 und B an dem Zusammenschluß beteiligt, nicht dagegen Ul und U2. Das GU besteht daher nicht, wie Art. 5 Abs. 4 lit. e FKVO voraussetzt, zwischen den Beteiligten eines Zusammenschlusses. Eine weitere Ressourcenzusammenballung liegt - horizontal - darin, daß UI und U2 gemeinsam die Kontrolle über ein weiteres Unternehmen erwerben. Hier sind das GU A und das GU B die Beteiligtenll8 . Auch in diesem Fall ist also sichergestellt, daß Umsätze dann nicht zugerechnet werden, wenn die jeweiligen Unternehmen zum Teil unter alleiniger Kontrolle (UI, U2), zum Teil unter gemeinsamer Kontrolle (GU A, GU B) stehen.

118

Siehe oben I b dd, S. 330 f.

336

4. Teil: Der bestehende Unternelunensverbund

Gegen diese Auslegung ließe sich einwenden, man könne beide GU-Mütter und das neue GU als Beteiligte des horizontalen Zusammenschlusses ansehen. Art. 5 Abs. 4 lit. e FKVO führte dann nach seinem Wortlaut zur Zurechnung. Art. 5 Abs. 4 lit. e FKVO greift nach Sinn und Zweck dennoch nicht. Denn lit. e setzt voraus, daß das GU zwischen mehreren Beteiligten im Sinne von Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO besteht. Beteiligte im Sinne von Art. 5 Abs. 4 lit. a FKVO sind aber nach dem oben Gesagten die Unternehmen, die sich zusammenschließen. Ul und U2 schließen sich jedoch nicht miteinander zusammen. Denn sie sind nicht auf zwei Seiten eines Zusammenschlusses beteiligt, sondern gemeinsam auf einer Seite des Zusammenschlusses. Daher sind sie nicht mehrere Beteiligte im Sinne von Art. 5 Abs. 4 lit. e FKVO in Verbindung mit lit. a. Sie sind nur in ihrer Gesamtheit, verkörpert im GU A, an dem horizontalen Zusammenschluß beteiligt. Bei der Auslegung des Art. 5 Abs. 4 lit. e FKVO auf die einzelnen - vertikalen und horizontalen - Zusammenschlüsse abzustellen, wird auch durch die Entstehungsgeschichte der Mehrmütterklausel nahegelegt. Wie oben dargelegt, wurde die erste Mehrmütterklausel, nach deren Vorbild alle weiteren Mehrmütterklauseln einschließlich Art. 5 Abs. 4 lit. e FKVO formuliert wurden, in die VO 1983/83 und die VO 1984/83 aufgenommen. Diese GVOs gelten nur für Vereinbarungen zwischen zwei Unternehmen. Die Mehrmütterklausel wahrt dort das Mehrheitsprinzip. Alleinvertriebs- oder -bezugsvereinbarungen sind nur freigestellt, wenn sie nicht wechselseitig zwischen Wettbewerbern oder nicht wechselseitig zwischen Wettbewerbern ab einer bestimmten Umsatzhöhe geschlossen werden, Art. 3 litt. a, b VO 1983/83 und 1984/83. Grund dieser Einschränkung ist, daß horizontale Wettbewerbsbeschränkungen zwischen Konkurrenten verhindert werden sollen. Im Hinblick auf diese Einschränkung werden den Beteiligten die Herstellertätigkeit und die Umsätze aus der Tätigkeit verbundener Unternehmen einschließlich gemeinsamer GU zugerechnet. Das ist mit dem Mehrheitsprinzip vereinbar, weil die gemeinsame Wettbewerbsbeschränkung durch die Alleinvertriebs- oder bezugsvereinbarung und die Wettbewerbsbeschränkung durch das GU jeweils unter dem Einfluß derselben Unternehmen zustandekommen. Hier wird also gemeinsames Vorgehen den Beteiligten jeweils gemeinsam zugerechnet, nicht dagegen wird alleiniges und gemeinsames Vorgehen zugerechnet. Auch die Entstehungsgeschichte der Mehrmütterklausel spricht daher dafür, Art. 5 Abs. 4 lit. e FKVO im hier vorgeschlagenen Sinne eng auszulegen. Damit bleibt festzuhalten, daß in Art. 5 Abs. 4 FKVO durchgängig das Prinzip verwirklicht ist, daß nur die Umsätze zu addieren sind, die unter einheitlich mehrheitlicher Kontrolle stehen. Nicht nach dem Wortlaut, aber nach dem Sinn und Zweck des Art. 5 Abs. 4 FKVO müßten Umsätze aber auch dann zugerechnet werden, wenn mehrere Unternehmen unter einheitlicher gemeinsamer Kontrolle stehen. Ist ein GU an einem Zusammenschluß betei-

A. Die Zurechnung von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

337

ligt, müssen also z. B. die Umsätze von Schwester-GU zugerechnet werden, die unter der Kontrolle derselben Mütter stehen"9 . Das Mehrheitsprinzip des Art. 5 Abs. 4 FKVO ist der Grund dafür, daß die Beurteilung von GU Schwierigkeiten bereitet. Denn die gemeinsame Kontrolle als Minus gegenüber der alleinigen Kontrolle rechtfertigt es nach den Wertungen des Art. 5 Abs. 4 FKVO nicht, jedem Mutterunternehmen die Umsätze des GU voll zuzurechnen sowie umgekehrt dem GU die Umsätze beider Mutterunternehmen zuzurechnen. Andererseits macht es für die wirtschaftliche Bedeutung eines GU einen Unterschied, ob es umsatzstarke oder umsatzschwache Mütter hat. Ebenso macht es für die wirtschaftliche Bedeutung eines Unternehmens einen Unterschied, ob es ein umsatzstarkes oder umsatzschwaches GU mitkontrolliert. Diese Dilemma ließe sich auf dreierlei Weise lösen. Man kann einer Mutter eines GU dessen Umsatz ganz, anteilig (hier wiederum paritätisch oder nach Kapitalanteil) oder gar nicht zurechnen. Wenn man umgekehrt dem GU den Umsatz der Mutter zurechnen will, scheidet eine anteilige Zurechnung aus. Hier kann der Umsatz nur ganz oder gar nicht zugerechnet werden. Es fragt sich also, welche dieser Möglichkeiten de lege lata mit Art. 5 Abs. 4 FKVO vereinbar ist (sogleich b.) und welche dieser Möglichkeiten de lege ferenda in Erwägung zu ziehen wäre (unten VI.). b) Lösung der Problemfälle aa) Zurechnung des Umsatzes von Gemeinschaftsunternehmen eines Beteiligten mit Dritten

Bereits oben wurde dargelegt, daß der Verordnungsgeber eine Regelung für diesen Fall nicht vorgesehen hat. Die Kommission bejaht die Umsatzzurechnung analog Art. 5 Abs. 5 FKVO, die herrschende Lehre verneint sie. Allerdings ist die Literatur überwiegend der Ansicht, daß es einen zwingenden sachlichen Grund für die unterschiedliche Behandlung dieser Fälle nicht gebe '20 Gegen die Zurechnung spricht, daß der Verordnungsgeber die Umsatzzurechnung bei GU mit Dritten bewußt nicht vorgesehen hat. Das Problem wird zu den GVOs schon lange diskutiert, so daß anzunehmen ist, daß es dem Verordnungsgeber bekannt war. Hinzu kommt, daß es einen sachlichen Grund gibt, GU mit Dritten anders zu behandeln als GU zwischen den Beteiligten. Wie oben dargelegt, führt die Beschränkung der Zurechnung auf GU zwischen

Näher dazu unten b cc, S. 339 f G. Wiedemann, Bd. I, AT Rn. 159; wohl auch Jones/Gonzalez-Diaz, S. 31 unter 2.4.2.4. 119 120

22 Pohlmann

338

4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbund

den Beteiligten und auf konzeminterne GU dazu, daß das Mehrheitsprinzip des Art. 5 Abs. 4 FKVO gewahrt bleibtl21 . De lege lata ist daher der Umsatz von GU mit Dritten den Beteiligten entgegen der Kommissionspraxis nicht zuzurechnen. bb) Zurechnung des Umsatzes der Mütter beteiligter Gemeinschaftsunternehmen Ist an einem Zusammenschluß ein GU beteiligt, so sind ihm nach Ansicht der Kommission gemäß Art. 5 Abs. 4 lit. c FKVO die Umsätze seiner Mütter zuzurechnen. Die Literatur ist uneins. Der Wortlaut von lit. c erfaßt insofern die Mehrmütterherrschaft, als es heißt, "der Unternehmen, die in dem beteiligten Unternehmen die unter Buchstabe b) bezeichneten Rechte oder Einflußmöglichkeiten haben,,122. Andererseits ist lit. e, die eindeutig die Mehrmütterherrschaft erfassen soll, anders formuliert. Es heißt dort, "der Unternehmen, in denen mehrere der unter Buchstaben a) bis d) genannten Unternehmen jeweils gemeinsam die unter Buchstabe b) bezeichneten Rechte oder Einflußmöglichkeiten haben" 123. Die Mehrmütterherrschaft wird dort in der Formulierung also nicht nur durch den Plural gekennzeichnet. Hinzu kommt, daß sich der Plural in lit. c auch daraus erklären kann, daß alle Verbundtatbestände der litt. b - e im Plural formuliert sind oder daraus, daß nicht nur die unmittelbare Muttergesellschaft, sondern auch deren Muttergesellschaft sowie die davorliegenden "Generationen" bis hinauf zur Konzernspitze erfaßt seine sollen l24 . Nach alldem läßt sich dem Wortlaut der lit. c nicht eindeutig entnehmen, daß sie auch Mehrmütterherrschaft erfassen soll. Gegen eine Umsatzzurechnung bei Mehrmütterherrschaft spricht, daß alle anderen Verbundtatbestände einen einheitlichen Einfluß, sei es aufgrund alleiniger, sei es aufgrund gemeinsamer Kontrolle (lit. e), voraussetzen. Eine Addition von Umsätzen findet danach nicht statt, wenn ein Teil der Unternehmen unter alleiniger, ein anderer Teil unter gemeinsamer Kontrolle steht. Für eine Umsatzzurechnung spricht, daß ohne sie das Eingreifen der FKVO umgangen werden könnte, indem zwei erwerbswillige Unternehmen ein umsatzschwaches GU zwischenschalten. Andererseits ist das Umgehungsproblem schon wesentlich kleiner, wenn man sich vor Augen führt, daß ein nur zum Anteilserwerb gegründetes, nicht anderweitig tätiges GU kein Unternehmen 121 Siehe oben a, S. 334 ff. 122 Hervorhebungen von der Verfasserin. 123 Hervorhebungen von der Verfasserin. 124 Für letztere Auslegung DrauziSchroeder. S. 21.

A Die Zureclmung von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

339

im Sinne der FKVO ist. Dann sind die Mütter die beteiligten Unternehmen. Auch Umgehungsfälle, in denen das GU anderweitig tätig ist, lassen sich möglicherweise noch präziser erfassen, als es bisher die Kommission getan hat. Für die Zurechnung spricht, daß die wirtschaftliche Bedeutung des Zusammenschlusses unterschätzt wird, wenn man den Umsatz der GU-Mütter nicht berücksichtigt. Denn für die Stellung des GU auf dem Markt und damit für die Bedeutung seines Zusammenschlußvorhabens ist entscheidend, über welche Ressourcen seine Mütter verfügen. Dieses Argument spräche aber auch für eine Zurechnung der Umsätze, die ein Zusammenschlußbeteiligter in einem GU mit Dritten erzielt. Nach alldem muß man, wenn man bereits de lege lata einem GU die Umsätze der Muttergesellschaft zurechnen will, auch die Zurechnung bei GU mit Dritten erneut überdenken. Sieht man sich aber an das dem Art. 5 Abs. 4 FKVO zugrundeliegende Prinzip - Zurechnung nur bei einheitlichem Einfluß gebunden, so darf man einem GU nicht die Umsätze der Mütter zurechnen und muß sich bei Umgehungsfallen damit helfen, einen Umgehungstatbestand möglichst klar zu formulieren. Meines Erachtens kann man sich de lege lata nicht darüber hinwegsetzen, daß Art. 5 Abs. 4 FKVO die Zurechnung nur bei einheitlichem - jeweils alleinigem oder jeweils gemeinsamem - Einfluß vorsieht. Will man dem nicht folgen und die Zurechnung bejahen, so sind die Umsatzschwellen aber nicht dadurch erreicht, daß die Mütter des erwerbenden GU nur gemeinsam die 250-Mio.-ECU-Schwelle überschreiten. Denn würden die beiden Mütter das Zielunternehmen ohne Zwischenschaltung eines GU erwerben, wäre der Zusammenschluß nicht anmeldepflichtig. Es muß also mindestens eine Mutter mehr als 250 Mio. ECU umsetzen. Erreicht das GU schon allein die Umsatzschwellen, kommt es auf den Umsatz der Mütter nicht an. cc) Zurechnung des Umsatzes von Schwester-Gemeinschaftsunternehmen Ist an einem Zusammenschluß eine lOO%ige Tochtergesellschaft beteiligt, so sind ihr nach Art. 5 Abs. 4 litt. c, d FKVO die Umsätze der Muttergesellschaft und der Schwestergesellschaften zuzurechnen. Ist die Tochtergesellschaft ein paritätisches GU, so werden nach Art. 5 Abs. 4 FKVO weder die Umsätze der Mutterunternehmen noch des Schwester-GU zugerechnet. Hinsichtlich der Umsätze der Mutterunternehmen stimmt das mit dem Mehrheitsprinzip des Art. 5 FKVO überein, hinsichtlich der Umsätze der SchwesterGU nicht. Denn die Ressourcen beider GU stehen unter der einheitlichen Kontrolle derselben Mütter. Nach dem Grundgedanken des Art. 5 Abs.4 FKVO, daß Umsätze aus Ressourcen, die unter einheitlicher Kontrolle stehen, 22'

4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbund

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wechselseitig zuzurechnen sind, ist daher der Umsatz von Schwester-GU derselben Mütter den Schwestern wechselseitig zuzurechnen. dd) Zurechnung des Umsatzes, wenn zwei Unternehmen, die bereits ein Unternehmen kontrollieren, ein Unternehmen erwerben Der Fall, daß zwei Unternehmen, die bereits ein Unternehmen kontrollieren, ein Unternehmen erwerben, wurde bereits oben im Zusammenhang mit der Beteiligteneigenschaft kurz erörtert. UI (Umsatz 200 Mio. ECU) und U2 (Umsatz 200 Mio. ECU) haben gemeinsam Kontrolle über das GU A mit 200 Mio. ECU Umsatz. Jetzt erwerben UI und U2 gemeinsame Kontrolle über das Unternehmen B (Umsatz 5 Mrd. ECU). Beteiligte sind in vertikaler Sicht UI und B sowie U2 und B, in horizontaler Sicht A und B. Diese Lösung führt zu dem Ergebnis, daß der Erwerb des GU dann nach Art. 1 Abs. 2 FKVO der FKVO unterfällt, wenn entweder UI und B oder U2 und B oder A und B jeweils die Schwellen des Art. 1 Abs. 2 FKVO überschreiten. Nicht ausreichend ist es, wenn nur UI und U2 die Schwellen überschreiten.

VI. Anpassung des Verbundtatbestandes an den Kontrolltatbestand de lege ferenda Nach den bisherigen Ausführungen wird Art. 5 Abs. 4 FKVO bereits de lege lata in zweierlei Hinsicht so ausgelegt, daß er sich von dem formalen Mehrheitsprinzip entfernt. Zum einen wird nicht auf formale Mehrheiten abgestellt, sondern auf den materiellen Einfluß. Zum anderen rechnet die Kommission auch dann die Umsätze zu, wenn die sie erzielenden Unternehmen nicht unter einheitlicher Kontrolle stehen, wie z. B. im Falle eines GU zwischen einem Beteiligten und Dritten. Es fragt sich, inwieweit man Art. 5 Abs. 4 FKVO de lege ferenda an diese Praxis anpassen sollte. 1. Übernahme des materiellen Maßstabs

Bereits oben wurde dargelegt, daß der materielle Maßstab dem formellen der jetzigen Verbundklausel vorzuziehen ist125 . Als materieller Maßstab kommt derjenige der Kontrolle in Betracht126 . Allerdings erfaßt Art. 5 Abs. 4 FKVO mit Ausnahme des lit. e bisher nur den alleinigen mehrheitlichen Ein-

125

III, S. 307

tr

Zur Frage, ob der Kontrolltatbestand genügend Rechtssicherheit vennittelt, siehe sogleich unter 2. 126

A. Die Zurechnung von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

341

fluß. Will man dabei bleiben, dürfte nur die alleinige Kontrolle zur Zurechnung führen. Allerdings sollte man dem Sinn und Zweck des Art. 5 Abs. 4 FKVO entsprechend außerdem eine Zurechnung in dem Fall vorsehen, daß mehrere Unternehmen unter einheitlicher gemeinsamer Kontrolle stehen. Außerdem wäre die Regelung des Art. 5 Abs. 5 FKVO inhaltlich beizubehalten, aber in der Formulierung anzupassen. Eine entsprechende Vorschrift könnte lauten: Art. 5 (4) Der Umsatz eines beteiligten Unternehmens im Sinne des Artikels 1 Absatz 2 und 3 setzt sich unbeschadet des Absatzes 2 zusammen aus den Umsätzen: a) des beteiligten Unternehmens, b) der Unternehmen, die das beteiligte Unternehmen unmittelbar oder mittelbar allein kontrolliert, c) der Unternehmen, die das beteiligte Unternehmen unmittelbar oder mittelbar allein kontrollieren, d) der Unternehmen, die ein in Buchstabe c) genanntes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar allein kontrolliert, e) der Unternehmen, die von mehreren der in Buchstaben a) bis d) genannten Unternehmen unmittelbar oder mittelbar gemeinsam kontrolliert werden. (5) Haben an dem Zusammenschluß beteiligte Unternehmen gemeinsam die Kontrolle über ein Unternehmen, so gilt für die Berechnung des Umsatzes der beteiligten Unternehmen im Sinne von Artikel lAbsatz 2 und 3 folgende Regelung: (a) Nicht zu berücksichtigen sind die Umsätze zwischen dem Gemeinschaftsunternehmen und jedem der beteiligten Unternehmen oder einem Unternehmen, das mit diesem im Sinne von Absatz 4 b) bis e) verbunden ist. (b) Zu berücksichtigen sind die Umsätze zwischen dem Gemeinschaftsunternehmen und jedem dritten Unternehmen. Diese Umsätze sind den beteiligten Unternehmen zu gleichen Teilen zuzurechnen.

(6) Sind mehrere Unternehmen gemeinsam an einem Zusammenschluß beteiligt, so sind ihnen gemeinsam die Umsätze der Unternehmen zuzurechnen, die sie unmittelbar oder mittelbar gemeinsam kontrollieren. 2. Aufgabe des Mehrheitsprinzips? Weiter ist zu erwägen, ob man das Mehrheitsprinzip des Art. 5 Abs. 4 FKVO ganz aufgeben sollte und Art. 5 FKVO ganz dem Art. 3 Abs. 3 FKVO

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4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbund

angleichen sollte. Das hätte zur Folge, daß nicht nur einheitlicher alleiniger oder gemeinsamer Einfluß zur Zurechnung führen würde. Zusammenzurechnen wären dann - entsprechend der derzeitigen Tendenz der Kommissionspraxis - die Umsätze aller Unternehmen, die das beteiligte Unternehmen allein oder gemeinsam mit anderen kontrolliert. Die Kommission hatte, wie schon erwähnt, in ihren ersten Entwurf einer FKVO eine an den Kontrolltatbestand anknüpfende Verbundklausel aufgenommen127. Auch in Abschnitt 3 des Anhangs zur Ausführungsverordnung zur FKVO wird der für den Umsatz relevante Verbund mit dem Kontrollbegriff beschrieben. Sinn und Zweck der Zurechnung, die wirtschaftliche Bedeutung des Zusammenschlusses zu ermitteln, sprechen nicht eindeutig für eine Änderung des Art. 5 Abs.4 FKVO. Zwar wird die wirtschaftliche Macht eines Unternehmens durch die Nichtzurechnung unterbewertet. Andererseits wird die wirtschaftliche Macht durch die volle Zurechnung aber überbewertet, weil eine Kombination aus alleiniger und gemeinsamer Kontrolle behandelt wird wie alleinige Kontrolle. Gegen die Übernahme des Kontrollbegriffs in Art. 5 Abs. 4 FKVO könnte eingewandt werden, daß der Kontrolltatbestand zuviel Rechtsunsicherheit für die Unternehmen mit sich bringe128 . Ein Kontrollbegriff, der nach den oben im 1. Teil dargelegten Grundsätzen ausgelegt wird, bringt jedoch keine erhebliche Rechtsunsicherheit mit sich. Die Unternehmen wissen selbst am besten, welches Unternehmen sie kontrollieren. Zu berücksichtigen ist auch, daß der Tatbestand des Kontrollerwerbs durch die Praxis der Kommission inzwischen klarere Konturen erhalten hat. Außerdem vermittelt die derzeitige Kommissionspraxis, die sich über den Wortlaut des Art. 5 Abs.4 FKVO in vielfacher Weise hinwegsetzt und in Einzelfällen sogar widersprüchlich ist, alles andere als Rechtssicherheit. Auch die Mitteilung über die Umsatzberechnung ändert daran wenig, weil die Kommission sich selbst nicht immer an sie hält l29 . Indem die Kommission sich über Art. 5 Abs.4, Abs.5 FKVO hinwegsetzt, sichert sie der FKVO einen größeren Anwendungsbereich als vorgesehen. Nach alledem hängt die Entscheidung, die Umsatzzurechnung an den Kontrolltatbestand zu koppeln, davon ab, ob man es bevorzugt, die Macht der Unternehmen eher überzubewerten - dann Zurechnung nach dem Maßstab des Art. 3 FKVO - oder eher unterzubewerten - dann Zurechnung nach dem Maßstab des Art. 5 Abs.4 FKVO. Das wiederum hängt davon ab, ob man der 127 Kommission, Vorschlag einer va des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABi. 1973 C 92/1, 4. 128 Vgi. Jones/Gonzalez-Diaz, S. 27. 129 Wie z.B. bei der Frage, ob bei GU mit Dritten Art. 5 Abs. 5 entsprechend gilt.

A. Die Zurechnung von Umsätzen nach Art. 5 FKVO

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FKVO eher einen größeren oder einen kleineren Anwendungsbereich zugestehen will. Der sauberere Weg zur Erweiterung des Anwendungsbereichs der FKVO wäre eine weitere Absenkung der Schwellen. Der gegenwärtige Zustand, daß Art. 5 Abs. 4 FKVO gilt, die Kommission aber im Ergebnis Art. 3 FKVO anwendet, ist in jedem Fall unglücklich. Sollte man daher Art. 5 Abs. 4 FKVO ändern, so bliebe bei GU noch zu klären, ob den Müttern die GUUmsätze ganz oder anteilig (nach Köpfen oder nach Kapital- oder Stimmrechtsanteil) zuzurechnen sind. Gegen eine anteilige Zurechnung spricht, daß sie die Einflußmöglichkeiten der Mütter nicht zutreffend erfaßt. Denn es kann z. B. in einem paritätischen GU nicht jede Mutter über die Hälfte der Ressourcen verfügen, sondern es verfügen beide gemeinsam über alle Ressourcen. Die qualitativ geringere Verfügungsrnacht wegen des nur gemeinsamen Einflusses läßt sich quantitativ nicht messen. Daher sollte man, wenn man eine Umsatzzurechnung bejaht, diese im vollen Umfang vornehmen. Dagegen läßt sich nicht einwenden, daß Art. 5 Abs. 5 FKVO nur eine anteilige Zurechnung vorsieht. Art. 5 Abs. 5 FKVO betrifft den Sonderfall eines GU zwischen den Beteiligten. Hier muß eine volle Umsatzzurechnung ausscheiden, weil man sonst zu einer Doppelanrechung des Umsatzes käme. Dagegen ist es unschädlich, wenn der GU-Umsatz bei einem Zusammenschluß der einen GU-Mutter, bei einem anderen Zusammenschluß der anderen GUMutter zugerechnet wird. Würde man bei Art. 5 Abs. 4 FKVO an den Kontrollbegriff anknüpfen, könnte die entsprechende Vorschrift, ähnlich der Verbundklausel des EntwurfS I30 , so lauten: Art. 5 (4) Der Umsatz eines beteiligten Unternehmens im Sinne des Artikels 1 Absatz 2 und 3 setzt sich unbeschadet des Absatzes 2 zusammen aus den Umsätzen: a) des beteiligten Unternehmens, b) der UnternehmenJ31 , die das beteiligte Unternehmen mittelbar oder unmittelbar allein oder gemeinsam mit anderen gemäß Art. 3 Abs. 3132 kontrolliert,

130 Kommission. Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABi. 1973 C 92/1, 4, Art. 5 Abs. 1. 131 hn Entwurf hieß es weiter "und Unternehmensgruppen". Auf den unklaren Begriff der Gruppe kann jedoch verzichtet werden, weil über die mittelbare Kontrolle ohnehin der gesamte Konzern erfaßt wird. 132 hn Entwurfhieß es: Art. 2, weil dort der Zusammenschlußbegriff detiniert war.

344

4. Teil: Der bestehende Untemehmensverbund

c) der Unternehmen, die das beteiligte Unternehmen mittelbar oder unmittelbar allein oder gemeinsam mit anderen gemäß Art. 3 Abs. 3 kontrollieren, d) der Unternehmen, die von einem oder mehreren der unter c) genannten Unternehmen mittelbar oder unmittelbar allein oder gemeinsam mit anderen gemäß Art. 3 Abs. 3 kontrolliert werden. Art. 5 Abs. 5 sollte zur Vermeidung der doppelten Anrechnung des Umsatzes beibehalten werden, müßte aber in der Formulierung angepaßt werden. Hier kann dieselbe Formulierung gewählt werden wie oben unter 1. vorgeschlagen. Ob man eine solche Änderung des Art. 5 Abs. 4, Abs. 5 FKVO befürwortet, sollte auch davon abhängig gemacht werden, wie vergleichbare Fragestellungen in anderen Zusammenhängen des EG-Kartellrechts entschieden werden. Denn insoweit sollte die Einheit der Rechtsordnung gewahrt werden.

VII. Ergebnis zu A. Die Kommission durchbricht in zweierlei Hinsicht den Wortlaut des Art. 5 Abs. 4 FKVO. Erstens stellt sie nicht auf die formalen Mehrheiten ab, sondern auf den materiellen Einfluß. Dem ist zu folgen. De lege ferenda sollte allerdings der Wortlaut des Art. 5 Abs.4 FKVO dieser Praxis angepaßt werden. Ein Formulierungsvorschlag wurde oben gemacht. Zweitens legt die Kommission den Begriff des beteiligten Unternehmens und die Verbundtatbestände so aus, daß gemeinsame Kontrolle immer entweder zur Beteiligteneigenschaft beider GU-Mütter oder zur Umsatzzurechnung führt. Hierin ist der Kommission nicht zu folgen. Für die Beteiligteneigenschaft ist in den allein problematischen GU-Fällen bei der GU-Gründung zwischen dem oder den vertikalen Zusammenschlüssen und dem horizontalen Zusammenschluß zu unterscheiden. Zwei an einem dieser Verhältnisse Beteiligte müssen die Schwellen des Art. lAbs. 2 oder 3 FKVO überschreiten. Schließt ein GU sich mit einem anderen Unternehmen zusammen, ist grundsätzlich das GU beteiligtes Unternehmen. Etwas anderes gilt nur, wenn das GU selbst kein Unternehmen im Sinne der FKVO ist. Eine Umsatzzurechnung kommt de lege lata nur zwischen Unternehmen in Betracht, die unter einheitlicher alleiniger Kontrolle oder unter einheitlicher gemeinsamer Kontrolle derselben Mütter stehen. Diese Lösung bringt eine Unterbewertung der wirtschaftlichen Macht der Beteiligten mit sich, die Lösung der Kommission dagegen eine Überbewertung. Für welchen Weg man sich de lege ferenda entscheidet, sollte auch davon abhängig gemacht werden,

B. Die Zurechnung nach den Verbundklause1n der GVOs

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wie vergleichbare Fragestellungen in anderen Zusammenhängen des europäischen Kartellrechts gelöst werden. Soll die Kommissionslösung beibehalten werden, wäre Art. 5 Abs. 4 FKVO hinsichtlich der Umsatzzurechnung zu ändern. Ein entsprechender Formulierungsvorschlag wurde oben gemacht. Hinsichtlich der Beteiligteneigenschaft bedarf es keiner Textänderung, weil das Tatbestandsmerkmal des beteiligten Unternehmens genügend Auslegungsspielraum bietet.

B. Die Zurechnung nach den Verbundklauseln der GVOs I. Zurechnungsgegenstand, Zurechnungszweck, Zurechnungsgrund und Zurechnungssubjekt Bereits im 1. Teil wurde dargestellt, daß die Verbundklauseln der GVOs einen Flickenteppich von Zurechnungsnormen bilden. Zugerechnet werden bestimmte oder alle Verhaltensweisen rechtlicher oder tatsächlicher Art, Umsätze und Marktanteile. Umsatz und Marktanteile sind Kriterien, anhand derer sich die wirtschaftliche Macht eines Unternehmens bewerten läßt. Am Umsatz mißt man die Macht eines Unternehmens absolut, das heißt unabhängig von seiner Marktstellung. Am Marktanteil mißt man die Macht bezogen auf einen bestimmten Markt. Der Marktanteil wird regelmäßig nach dem Umsatz berechnet. Umsatzzurechnung und Marktanteilszurechnung sind daher nichts Verschiedenes. In beiden Fällen wird die wirtschaftliche Bedeutung des Unternehmens an den Erlösen, die für seine gewöhnliche Geschäftstätigkeit typisch sind, gemessen l . Nur beim Marktanteil wird dieser Wert bezogen auf einen bestimmten Markt ermittelt. Der Umsatz ist damit ein Maßstab, an dem man den Umfang unternehmerischer Tätigkeit mißt. Rechnet man Umsatz zu, rechnet man damit auch das diesen Umsatz herbeiführende Verhalten zu. Marktanteile werden zwar in AusnahmefaIlen auch nach anderen Kriterien als dem Umsatz berechnet, wie z. B. nach der Menge der umgesetzten Produkte oder nach anderen Kriterien (z. B. dem Auftragsbestand2). Das ändert aber nichts daran, daß damit der Umfang der typischen Geschäftstätigkeit des Unternehmens gemessen wird. 1 Vgl. die Definition der Nettoumsatzerlöse in Art. 28 der Vierten Richtlinie 78/6601EWG aufgrund von Artike154 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den lahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsfonnen (Bilanz-Richtlinie). 2 Kommission, 2. 10. 1991 - Aerospatiale-A1enia/de Havilland, ABI. 1991 L 334/42,47 (Nr. 21).

346

4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbund

Umsatz- und Marktanteilszurechnung sind daher nicht nur die Zurechnung abstrakter Zahlen, sondern setzen die Zurechnung der unternehmerischen Tätigkeit voraus, die diese Zahlen hervorbringt. Damit schließt sich der Kreis: Umsatz-, Marktanteils- und Verhaltenszurechnung sind nichts Verschiedenes. In allen drei Fällen wird die unternehmerische Tätigkeit zugerechnet. Gegenstand der Zurechnung nach den GVOs ist daher unternehmerisches Verhalten. Die Verhaltenszurechnung nach den GVOs soll gewährleisten, daß die Verteilung unternehmerischer Tätigkeit auf mehrere rechtlich selbständige Unternehmen bei der Anwendung der GVOs weder Nachteile noch Vorteile gegenüber einem Unternehmen mit sich bringt, dessen Tätigkeit nicht auf mehrere Unternehmensträger verteilt ist (Einheitsunternehmen). Ein Unternehmen soll z. B. bei den "schwarzen Klauseln" keinen Vorteil daraus ziehen, daß nicht es selbst, sondern sein Tochterunternehmen den Tatbestand einer schwarzen Klausel verwirklicht. Umgekehrt soll es keinen Nachteil erleiden, indem man seine Vereinbarungen und die seiner Töchter getrennt betrachtet. Zurechnungsgrund ist das Bestehen des in den Verbundklauseln definierten Verbundes. Zurechnungs subjekt ist der jeweils an der fraglichen Vereinbarung oder Verhaltensabstimmung Beteiligte.

11. Der sachliche Umfang der Zurechnung Der sachliche Umfang der Zurechnung ist durch den Anwendungsbereich der jeweiligen GVO begrenzt. Zugerechnet wird nur das Verhalten, das für die Anwendung der betreffenden GVO erheblich ist. Dazu gehören z. B. Verhaltensweisen, die unter eine schwarze Liste fallen, wie z. B. Vereinbarungen, die in Art. 6 VO 418/85 aufgezählt sind3 . Die Zurechnung wirkt in dem Fall zulasten der beteiligten Unternehmen. Zugerechnet werden weiter die in den weißen Listen genannten Vereinbarungen. Sie sind auch dann freigestellt, wenn sie nicht mit dem beteiligten Unternehmen, sondern mit einem mit ihm verbundenen Unternehmen vereinbart sind. Die Zurechnung erstreckt sich außerdem auf die Vereinbarungen, die eingegangen werden müssen, um die GVO anwendbar zu machen. Ist ein Teil der Vereinbarungen mit einem verbundenen Unternehmen des Vertragspartners getroffen worden, werden diese dem Vertragspartner zugerechnet. Die Zurechnung wirkt hier zugunsten der beteiligten Unternehmen.

3

G. Wiedemann, Bd. I, Art. 9 va 418/85 Rn. 6.

B. Die Zurechnung nach den Verbundklause1n der GVOs

347

IH. Die Wirkung der Zurechnung Die Zurechnung bewirkt, daß jedes an der Verhaltenskoordination beteiligte Unternehmen und die mit ihm verbundenen Unternehmen wie ein Unternehmen behandelt werden. Dagegen bewirkt die Zurechnung nicht, daß immer die Spitze des Unternehmensverbundes für das gesamte Tun des Verbundes verantwortlich ist. Denn die Aufspaltung der unternehmerischen Tätigkeit auf mehrere Rechtssubjekte wird insoweit nicht angetastet, als die Verantwortlichkeit des einzelnen Rechtssubjekts für sein Tun bestehen bleibt. Vereinbart z. B. eine Tochtergesellschaft eines Unternehmens, das an einer Vereinbarung im Sinne von Art. 2 lit. a VO 3932/92 beteiligt ist, mit einem anderen beteiligten Unternehmen, daß bei Prämienberechnungen die Nettoprämien zugrundezulegen seien, die Gegenstand der Verhaltenskoordination waren, so geht wegen der Zurechnung nach Art. 16 Abs. 1 VO 3932/92 zwar die Muttergesellschaft der Freistellung verlustig, Art. 4 VO 3932/92. Dagegen hat die Zurechnung nicht zur Folge, daß die Muttergesellschaft für den möglichen Wettbewerbsverstoß der Tochter herangezogen werden kann. Die Zurechnung nach Art. 16 Abs. 1 VO 3932/92 bezieht sich nur auf den Anwendungsbereich der GVO. Über die Verantwortlichkeit für Wettbewerbsverstöße verbundener Unternehmen nach Artt. 85, 86 EGV sagen die Zurechnungsnormen der GVOs nichts. Sie begründen insbesondere keine wettbewerbsrechtliche Konzernzustandshaftung. Adressat der GVOs bleibt also trotz der Zurechnung immer das jeweils handelnde Rechtssubjekt. Ihm ist das Verhalten des gesamten Verbundes zuzurechnen, soweit es für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung seines Handelns relevant ist. H. Wiedemann4 bezeichnet eine solche Zurechnung als allseitige Zurechnung.

IV. Die Voraussetzungen der Zurechnung 1. Zurechnung bei alleiniger Kontrolle

Die Verbundklauseln setzen in den vier Spiegelstriehen mehrheitlichen Einfluß voraus. Auch im Rahmen der GVOs sind der 1. und 2. Spiegelstrich der Verbundklauseln teleologisch zu reduzieren. Anteils- und Stimmrechtsmehrheit führen dann nicht zur Zurechnung, wenn sie nicht mit mehrheitli-

4

H. Wiedemann, Unternehmensgruppe, S. 23.

348

4. Teil: Der bestehende Unternelunensverbund

chem bestimmenden Einfluß verbunden sind5 . Ebensowenig wie bei Art. 5 Abs. 4 FKV06 läßt sich hier die zum Teil weitgehende Zurechnung von Verhalten aufgrund formal bestehender Mehrheitspositionen begründen. Allein das Argument der Verwaltungsvereinfachung - formale Mehrheiten sind leichter feststellbar - rechtfertigt es nicht, auf formale Einflußpositionen abzustellen. Auch in den GVOs sollten die Verbundklauseln daher de lege ferenda materiell formuliert werden. Ein Formulierungsvorschlag wurde oben gemache. Alleinige Kontrolle führt zur allseitigen Zurechnung zwischen allen Unternehmen, die durch das Band einheitlicher alleiniger Kontrolle verbunden sind (Mutter-, Tochter-, Schwesterunternehmen sowie alle weiteren "Generationen"). 2. Zurechnung bei Gemeinschaftsunternehmen

Gemeinsame Kontrolle führt nach den meisten Verbundklauseln zur Zurechnung, wenn das GU konzernintern ist oder zwischen den vertragsschließenden Parteien besteht. Problematisch ist allein der letztgenannte Fall (sogleich a.). Anders als bei der Verbundklausel des Art. 5 Abs.4 FKVO wird, soweit ersichtlich, bei den Verbundklauseln der GVOs nicht in Frage gestellt, daß in allen anderen Fällen mit GU-Beteiligung keine Zurechnung stattfindet. So wird de lege lata nicht in Erwägung gezogen, einem Beteiligten das Verhalten eines GU mit einem Dritten zuzurechnen (b.). Ebensowenig wird diskutiert, ob das Verhalten mehrerer oder einer von mehreren Muttergesellschaften einem beteiligten GU zuzurechnen ist (c.). a) Gemeinschaftsunternehmen zwischen den beteiligten Unternehmen

Nach den meisten Verbundklauseln sind jedem Beteiligten Verhaltensweisen von GU zuzurechnen, die zwischen den Beteiligten bestehen. Bei der entsprechenden Regelung der FKVO, Art. 5 Abs. 4 lit. e, wurde oben festgestellt, daß die Zurechnung des GU-Umsatzes mit dem Mehrheitsprinzip der Verbundklausel in Einklang steht. Denn Art. 5 Abs. 4 lit. e FKVO führt im Ergebnis nur hinsichtlich solcher Ressourcen zur Zurechnung, die durch den Zusammenschluß unter einheitliche alleinige Kontrolle oder einheitliche gemeinsame Kontrolle derselben Unternehmen gelangen.

5

138. 6 7

So auch ft1r die Verbundklauseln der GVOs G. Wiedemann, Bd. I, AT Rn. 132 und Siehe A m, S. 307 tT. A VI 1, S. 34l.

B. Die Zurechnung nach den Verbundklauseln der GVOs

349

Es fragt sich, wie sich die Zurechnung bei GU zwischen den beteiligten Unternehmen in den Verbundklauseln der GVOs dogmatisch erfassen läßt. Denn auch hier scheint sie im Widerspruch zu dem ansonsten geltenden Prinzip der vier Spiegelstriche zu stehen, nur Unternehmen unter einheitlicher Kontrolle wie ein Einheitsunternehmen zu behandeln. Denn kontrolliert ein beteiligtes Unternehmen mit dem anderen beteiligten Unternehmen ein GU, stehen das GU und jede seiner Muttergesellschaften nicht unter einheitlicher Kontrolle. Da keine Muttergesellschaft allein das Verhalten des GU bestimmen kann, beruhen das Verhalten des GU und das Verhalten der einzelnen Muttergesellschaft nicht auf der einheitlichen Ausübung von Handlungsfreiheit. Ebenfalls mit dem Mehrheitsprinzip unvereinbar wäre die Annahme, das GU sowie die Mütter hinsichtlich ihrer sonstigen, alleinigen oder gemeinsamen Tätigkeiten seien wie ein Einheitsunternehmen zu behandeln8 . Denn die Ressourcen stehen teils unter alleiniger, teils unter gemeinsamer Kontrolle. Mit dem Mehrheitsprinzip vereinbar wäre aber die Annahme, alle Mütter in ihrer Gesamtheit - also soweit sie auch außerhalb des GU gemeinsam unternehmerisch tätig sind - und das GU seien wie ein Einheitsunternehmen zu behandeln. Der Wortlaut der Verbundklauseln spricht dafür, daß jeweils jedes Mutterunternehmen und das GU als Einheit zu behandeln sind. Denn nach dem Wortlaut gilt das GU als "mit jedem" Vertragspartner verbunden, nicht als "mit beiden" Vertragspartnern verbunden9 . Ob die Mehrmütterklausel tatsächlich das Mehrheitsprinzip durchbricht, soll am Beispiel der Mehrmütterklausel des Art. 4 Abs. 3 VO 1983/83 überlegt werden. Nach Art. 3 lit. b VO 1983/83 sind Alleinvertriebsvereinbarungen nicht von Art. 85 Abs. 1 EGV freigestellt, wenn Hersteller gleicher oder gleichartiger Waren nicht wechselseitige Alleinvertriebsvereinbarungen untereinander treffen, es sei denn, mindestens ein Vertragspartner erzielt einen Umsatz von nicht mehr als 100 Mio. ECU. Grund der Regelung ist, daß die wettbewerbsfördernden Wirkungen, die man Alleinvertriebsverträgen zumißt, nicht zu erwarten sind, wenn diese Verträge zwischen Herstellern von Wettbewerbsprodukten geschlossen werden. Zudem besteht die Gefahr, daß die Hersteller über Alleinvertriebsverträge die Märkte unter sich aufteilen10.

8 Dafür Lipowsky, S. 127f.; OLG Manchen, 21. 9. 1989 -Rohrverbindungen, WuWfE OLG 4423 f. (zur VO 1983/83). 9 VgI. z. B. auch die englische Textfassung: "each of', nicht "both of'. 10 Bellamy/Child, Rn. 7-063; so z. B. im Fall Kommission, 18. 12. 1985 - Siemens/Fanuc, ABI. 1985 L 376/29,35 (Nm. 21 ff.).

350

4. Teil: Der bestehende Unternelunensverbund

Nach Art. 4 Abs. 1 VO 1983/83 gilt Art. 3 lit. b VO 1983/83 auch, wenn die genannten Waren von einem mit den vertragsschließenden Unternehmen verbundenen Unternehmen hergestellt werden. Gemeinsame GU der Vertragspartner gelten nach Art. 4 Abs. 3 VO 1983/83 als mit jedem Vertragspartner verbunden. Überläßt z. B. ein Hersteller (H) einem Alleinvertriebshändler (A) den Vertrieb seiner Produkte, kontrollieren aber H und A gemeinsam ein GU, das Wettbewerber von H ist, ist die Alleinvertriebsvereinbarung zwischen H und A nicht freigestelltlI. Ist A dagegen mit einem Dritten an einem GU beteiligt, das Hersteller von Wettbewerbsprodukten ist, so steht das der Zulässigkeit der Alleinvertriebsvereinbarung nicht entgegen. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, beide Sachverhalte hätten vom Verordnungsgeber auch ebensogut gleich behandelt werden können. Vermutlich habe man lediglich die schwierige Feststellung gemeinsamer Kontrolle auf das Verhältnis der Vertragspartner untereinander beschränken wollen l2 . Dem ist entgegenzuhalten, daß sich beide Sachverhalte in ihren Wirkungen unterscheiden. Ist ein GU zwischen den Vertragsparteien Hersteller, ist ausgeschlossen, daß Hund A einerseits und das GU andererseits sich hinsichtlich des Vertriebs der Produkte unabhängig voneinander verhalten. Der Vertrieb der Produkte des H über seinen Alleinvertriebshändler A und der Vertrieb der Produkte des GU können nur abgestimmt erfolgen, weil dieselben Personen darüber entscheiden. Eine horizontale Beschränkung der Handlungsfreiheit zwischen Herstellern, die Anlaß für die Ausnahme des Art. 3 lit. b VO 1983/83 war, liegt damit vor. Ist ein GU zwischen dem Alleinvertriebshändler und einem Dritten Hersteller, dann erfordert die Verhaltenskoordination zwischen dem Hersteller und dem GU immer die Mitwirkung des Dritten. Daher ist die Handlungsfreiheit des GU nicht schon durch die Alleinvertriebsvereinbarung zwischen seinem einen Mutterunternehmen und dem Hersteller beschränkt13 . Beschränkt wird jedoch die Handlungsfreiheit des Alleinvertriebshändlers im Rahmen des GU. Er ist durch seine Mitkontrolle über das GU Unternehmen im Sinne von Art. 85 EGVI4 . Durch die Alleinvertriebsvereinbarung ist ihm die Möglichkeit genommen, im GU unabhängig von der für H verfolgten Vertriebspolitik zu 11 Das Überschreiten der Umsatzschwelle des Art. 3 lit. b VO 1983/83 wird hier unterstellt. 12 G. Wiedemann, Bd. I, AT Rn. 159. 13 Zuzugeben ist allerdings, daß eine solche Konstellation zu weiteren Absprachen filhren kann, die der Verhaltenskoordination zwischen dem GU und H dienen. 14 s. O. 1. Teil B 14 b, S. 52 ff.

B. Die Zurechnung nach den Verbundklauseln der GVOs

351

entscheiden. Insofern wäre es vertretbar, auch hier dem Alleinvertriebshändler die Herstellereigenschaft des GU zuzurechnen l5 . Es erscheint jedoch sachgerechter, wegen des Einflusses des D und der Ungewißheit, ob sich die Koordination im Verhalten des GU niederschlagen wird, die Zurechnung zu verneinen. Auch im Rahmen von Art. 4 Abs. 3 VO 1983/83 wahrt daher die Verbundklausel das ihr zugrundeliegende Mehrheitsprinzip. Die Herstellereigenschaft des GU wird nur zugerechnet, soweit ein einheitliches Vorgehen zweier oder mehrerer Hersteller im Rahmen des GU einerseits und im Rahmen der Alleinvertriebsvereinbarung andererseits wegen der Identität der Beteiligten unvermeidbar eintritt. Für die Dogmatik der Zurechnung bei gemeinsamer Kontrolle bedeutet das, daß entgegen dem Wortlaut der Verbundklauseln den GU-Müttern nur in ihrer Gesamtheit die GU-Tätigkeit zugerechnet wird. Die Verbindung zu einer Gesamtheit ergibt sich aus der gemeinsamen Beteiligung an der nach der jeweiligen GVO zu prüfenden Verhaltenskoordination. Dieser dogmatische Ansatz rechtfertigt zugleich die Beschränkung der Zurechnung auf GU zwischen den Beteiligten. Das gilt nicht nur für Art. 4 Abs.3 VO 1983/83, sondern für alle Mehrmütterklauseln. Ein weiteres Beispiel soll das verdeutlichen. Zwei Versicherungsunternehmen UI und U2, sowie weitere Versicherungsunternehmen sind an einer Vereinbarung nach Art. 2lit. a VO 3932/92 beteiligt. Das GU von Ul und U2 vereinbart mit dem an der Kooperation beteiligten Versicherer X, daß bei neuen Versicherungsverträgen ausschließlich die Nettoprämien zugrundezulegen seien, die Gegenstand der Kooperation nach Art. 2 lit. a VO 3932/92 waren. Diese Vereinbarung ist den Muttergesellschaften zuzurechnen, so daß deren Kooperation nicht freigestellt ist, Art. 4 VO 3932/92 16 . Zwischen Ul und U2 als Partnern der Vereinbarung einerseits und ihrem GU andererseits besteht keine Handlungsfreiheit. Denn Ul und U2 haben die Kontrolle über das Verhalten des Gu. Wenn das GU freistellungshindernde Abreden trifft, tut es dies entweder auf Weisung von Ul und U2 oder in Ausübung der ihm von Ul und U2 zugestandenen Handlungsfreiheit. In dem Bereich der freigestellten Vereinbarung ist unabhängiges Vorgehen von Ul und U2 einerseits und dem GU andererseits nicht denkbar. Ist hingegen nur U2 gemeinsam mit Z an dem GU beteiligt, das mit X vereinbart, ausschließlich die genannten Nettoprämien seien zugrundezulegen,

15 Auch die Annahme, der Händler sei aufgrund seiner Beteiligung am GU Unternehmen, ist nichts anderes als Zurechnung. 16 Vgl. Kollhosser, in: Prölss, § 81 Anh. II Rn. 48 und 83.

352

4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbund

greifen diese Überlegungen nicht. Das Verhalten des GU einerseits und das Verhalten von Ul und U2 andererseits beruhen nicht auf der einheitlichen Ausübung von Handlungsfreiheit. Auch hier wird daher nur den GU-Müttern in ihrer Gesamtheit das Verhalten des GU zugerechnet. Die Zurechnung nach den Mehrmütterklauseln paßt im übrigen nicht immer. Setzt eine Norm ausdrücklich oder nach ihrem Sinn und Zweck unabhängiges Verhalten der Beteiligten voraus, wie z. B. Art. 2 lit. c VO 418/85 die unabhängige Verwertung der Forschungsergebnisse, dann kann das Verhalten gemeinsamer GU den Beteiligten nicht als jeweils eigenes Verhalten zugerechnet werden. Die Zurechnung nach der Mehrmütterklausel scheidet außerdem dann aus, wenn ein nicht an der Vereinbarung beteiligtes Unternehmen das GU mitkontrolliertl7 . b) Gemeinschaftsunternehmen zwischen einem beteiligten Unternehmen und Dritten

Bereits aus dem oben (a.) Gesagten ergibt sich, daß das Verhalten des GU in diesen Fällen nicht zuzurechnen ist. Angesichts des Mehrheitsprinzips der Verbundklauseln ist das konsequent. De lege ferenda ist wegen der oben dargestellten Koordinierungsgefahr zu erwägen, ob man nicht jedem Mutterunternehmen das Verhalten eines von ihm mitkontrollierten GU zurechnen sollte. Dann müßte man allerdings durchgängig die Zurechnung an die negative Kontrolle (Verhinderungsmacht) knüpfen. Das müßte auch Auswirkungen auf die Beurteilung konzerninterner Wettbewerbsbeschränkungen sowie auf die Zurechnung im Rahmen von Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO haben. c) Gemeinschaftsunternehmen als beteiligtes Unternehmen

Ist ein GU beteiligtes Unternehmen, fragt sich, ob dem GU das Verhalten seiner Muttergesellschaften zuzurechnen ist. Von dem Wortlaut der Verbundklauseln wäre auch der Einfluß mehrerer Muttergesellschaften erfaßt, weil die einschlägige Vorschrift im Plural formuliert ist: "Verbundene Unternehmen sind ... die Unternehmen, die in einem vertragsschließenden Unternehmen die .. , genannten Einflußmöglichkeiten haben". Ob dieser Plural indes die Mehrmütterherrschaft erfassen soll oder nur eine vertikal mehrfach gestufte Konzernstruktur, ist nicht eindeutigl8 . Daher ist entscheidend, ob Sinn und Zweck der Verhaltenszurechnung fiir eine Zurechnung auch bei Mehrmütterherrschaft sprechen. So wohl auch Windhagen. S. 131 (zu Art. 16 VO 3932/92). Für letzteres (im Rahmen der Verbundklausel der FKVO) DrauziSchroeder. S.21. 17 18

B. Die Zurechnung nach den Verbundklauseln der GVOs

353

Ist es z. B. einem GU, das mit dem Hersteller Hl eine Alleinvertriebsvereinbarung geschlossen hat, zuzurechnen, daß eine seiner Muttergesellschaften (H2) Hersteller von Konkurrenzprodukten ist? Art. 3 Abs. 1 lit. b VO 1983/83 soll horizontale Wettbewerbsbeschränkungen zwischen Herstellern verhindern, Art. 4 VO 1983/83 dehnt diesen Tatbestand auf verbundene Unternehmen aus, um Umgehungen zu verhindern. Die geschilderte Situation erfordert keinen solchen Umgehungsschutz. H2 hat zwar die Möglichkeit, sein Verhalten dem des GU und des Hl anzupassen. Ein abgestimmtes Vorgehen von Hl und GU einerseits und H2 andererseits folgt aus der Alleinvertriebsvereinbarungjedoch nicht. Denn H2 entscheidet nicht allein über die Tätigkeit des GU, sondern zusammen mit der anderen Muttergesellschaft. Dem GU ist daher die Tätigkeit des H2 ebensowenig zuzurechnen wie umgekehrt die Tätigkeit des GU dem H2. Das schließt nicht aus, daß im Verhältnis von Hl und GU einerseits und H2 andererseits horizontale Wettbewerbsbeschränkungen vorliegen. Ein Indiz dafür kann es z. B. sein, wenn im Verhältnis Hl - GU keine Geheimhaltungsvereinbarungen getroffen wurden. Einem beteiligten GU ist jedoch nach Sinn und Zweck der Verbundklausel die gemeinsame Tätigkeit seiner Mütter außerhalb des GU zuzurechnen. Folgendes Beispiel zeigt das: Ein Hersteller (H) läßt seine Produkte allein von A vertreiben. A ist ein GU von MI und M2. MI und M2 kontrollieren noch ein weiteres GU (U), das Wettbewerber von H ist. Hier steht die Tätigkeit von A unter demselben Einfluß wie die Tätigkeit von U. Es besteht insofern kein Unterschied zu dem Fall, daß A und U von einem Unternehmen kontrolliert werden. Daher muß A die herstellende Tätigkeit von U entsprechend der Klausel über Schwesterunternehmen, Art. 4 Abs.2 lit. c VO 1983/83, zugerechnet werden. Der Alleinvertriebsvertrag zwischen Hund A ist damit nicht freigestellt. Dafiir spricht auch, daß man andernfalls dem zunehmenden Problem der GU-Netze l9 nicht gerecht würde. Jedem GU ist daher das gemeinsame Vorgehen seiner Muttergesellschaften im anderen GU und damit auch das Verhalten des anderen GU zuzurechnen. Dagegen ist dem GU nicht das Verhalten der einzelnen Muttergesellschaften außerhalb ihrer gemeinsamen GU zuzurechnen.

v. Ergebnis zu B. Die Verbundklauseln der GVOs führen dazu, daß jedem Unternehmen das Verhalten - teils bestimmte Verhaltensweisen, teils alle Verhaltensweisen - der mit ihnen verbundenen Unternehmen zuzurechnen ist. Die Zurechnung führt 19

Zu den Gefahren schon Mestmäcker, in: MestmäckerlBlaiselDonaldson, S. 44.

23 Pohlmann

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4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbillld

so zu einer Gesamtbetrachtung des Unternehmensverbundes. Adressat der GVOs bleibt jedoch das jeweils an der fraglichen Verhaltenskoordination beteiligte Unternehmen. Zugerechnet wird, wenn die Unternehmen durch ein Band einheitlicher Kontrolle - alleinige Kontrolle oder gemeinsame Kontrolle jeweils derselben Mütter - miteinander verbunden sind. Zugerechnet wird auch das Verhalten von GU zwischen den Beteiligten. Dieses Verhalten wird jedoch nicht jeder einzelnen Muttergesellschaft zugerechnet, sondern den Muttergesellschaften in ihrer Gesamtheit. Das heißt, das Verhalten wird ihnen nur zugerechnet, soweit sie im Rahmen der nach den GVOs zu prüfenden Vereinbarung gemeinsam vorgehen. Grund der Regelung ist, daß im Anwendungsbereich der GVOs ein voneinander unabhängiges Verhalten der vertragsschließenden Unternehmen einerseits und des GU andererseits nicht denkbar ist.

C. Die Zurechnung von Verhalten bei Artt. 85, 86 EGV Artt. 85, 86 EGV enthalten im Gegensatz zu den auf Art. 85 Abs. 3 EGV beruhenden GVOs keine Regelungen über die Zurechnung von Verhalten. Die Verbundklauseln der GVOs sind also normierte Spezialregelungen zu einer nicht normierten Grundregel. An dieser Stelle geht es darum, die nicht normierten Grundsätze der Verhaltenszurechnung zu ermitteln. Es wird sich zeigen, ob die Verbundklauseln der GVOs diesen entsprechen.

I. Verwaltungsrechtliche, ordnungswidrigkeitsrechtliche und zivilrechtIiche Zurechnung Verstöße gegen Artt. 85, 86 EGV können Folgen verwaltungsrechtlicher Art (Untersagung), ordnungswidrigkeitsrechtlicher Art (Bußgeld) und zivilrechtlicher Art (Nichtigkeit, Schadensersatz) haben. In der Literatur wird deshalb die Ansicht vertreten, anders als bei der Zurechnung von Marktmacht, insbesondere Marktanteilen, richte sich die Zurechnung von Verhalten jeweils nach den Regeln von Verwaltungsrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht und Zivilreche. Nach der oben vertretenen Ansicht ist auch die Zurechnung von Marktmacht nichts anderes als die Zurechnung von Verhalten. Das spricht für eine Zurechnung nach einheitlichen Regeln. Außerdem ist Voraussetzung für 1

Hanns, FS Hartmann, S. 165, 173 f

C. Die ZurechnWlg von Verhalten bei Artt. 85, 86 EGV

355

den Eintritt verwaltungsrechtlicher, ordnungswidrigkeitsrechtlicher und zivilrechtlieher Folgen inuner die Erfilllung des Tatbestandes von Art. 85 oder Art. 86 EGV Der Bußgeldtatbestand des Art. 15 Abs. 2 lit. a VO 17 knüpft an die Erfüllung der Tatbestände der Artt. 85, 86 EGVan. Art. 85 Abs. 2 EGV knüpft die Nichtigkeitsfolge an das Verbot des Art. 85 Abs. 1 EGV Schadenseratzansprüche nach nationalem Recht, die an den Verstoß gegen Artt. 85, 86 EGV anknüpfen, erfordern ebenfalls, daß einer der Tatbestände erfilllt ist. Ob ein Unternehmen einen der Tatbestände der Wettbewerbsregeln erfüllt, ist fiir alle drei Gebiete einheitlich zu entscheiden. Dem steht nicht entgegen, daß z. B. das Ordnungswidrigkeitenrecht oder das nationale Deliktsrecht zusätzliche Voraussetzungen fiir die Verantwortlichkeit aufstellen können, wie z. B. das Verschulden, oder die Verantwortlichkeit auf nicht tatbestandsmäßig handelnde Gehilfen oder Anstifter ausdehnen können. Ist die Frage nach der Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens einheitlich zu beantworten, muß das auch fiir die Zurechnung gelten. Denn die Frage nach der Zurechnung fremden Verhaltens ist eine Frage der Tatbestandserfilllung. Tatbestandsdefizite eines Rechtssubjekts werden durch Handlungen anderer Rechtssubjekte ausgeglichen. Die Zurechnung von Verhalten ist daher unabhängig davon, ob die in Aussicht genonunenen Rechtsfolgen verwaltungsrechtlicher, ordnungswidrigkeitsrechtlicher oder zivilrechtlicher Art sind.

11. Tatbestandlicher Anknüpfungspunkt Wie bereits im 1. Teil erörtert2, werden Zurechnungsprobleme von der Kommission überwiegend dadurch gelöst, daß der gesamte Konzern als Unternehmen bezeichnet wird, das gegen Art. 85 Abs. 1 EGV oder Art. 86 EGV verstoßen hat. Dann wird als Adressat der Entscheidung und als Bußgeld- sowie Unterlassungsverpflichteter das verantwortliche Einzelunternehmen bestinunt. Zum Teil wird der Konzern nicht als Unternehmen, sondern als wirtschaftliche Einheit bezeichnet. Die Rechtsprechung des EuG liegt auf derselben Linie. Auch der EuGH spricht zum Teil von einer wirtschaftlichen Einheit, überwiegend aber erörtert er diese Fragen unter dem Stichwort der Zurechnung. Wo die Kommission nicht die Unternehmenseigenschaft des Konzerns anninunt, trennt sie die Frage der Tatbestandserfüllung zum Teil von derjenigen der Verantwortlichkeit nach Art. 15 VO 17. Als verantwortlich wird dann auch einmal ein Unternehmen angesehen, von dem zuvor nicht ge2

23'

1. Teil B I 3 b ce, S. 41 ff.

356

4. Teil: Der bestehende Unternehmens verbund

prüft wurde, ob es den Tatbestand von Artt. 85 oder 86 EGV erfülle. Bereits oben wurde dargelegt, daß der Unternehmensbegriff nicht der richtige Ansatzpunkt ist. Abzulehnen ist gleichennaßen eine Loslösung des Art. 15 VO 17 vom Tatbestand der Artt. 85, 86 EGV. Art. 15 Abs. 2 lit. a VO 17 stellt ausdrücklich auf die Zuwiderhandlung gegen Artt. 85, 86 EGV ab. Zu folgen ist dem Ansatz des EuGH, wonach es um die Zurechnung des Verhaltens anderer Unternehmensträger geht. Im folgenden soll die Praxis von Kommission und Gerichten unabhängig von ihrer tatbestandlichen Anknüpfung nur noch im Hinblick darauf untersucht werden, unter welchen Voraussetzungen sie im Ergebnis die Zurechnung von Verhaltensweisen bejaht.

IH. Meinungsstand

1. Kommission, EuG und EuGH Die Kommission hat in mehreren Fällen Untersagungs- und Bußgeldentscheidungen an die Mutterunternehmen gerichtet, ohne näher zu prüfen, ob die Muttergesellschaften selber aktiv an den Wettbewerbsverstößen ihrer Töchter beteiligt waren oder von diesen Verstößen zumindest Kenntnis hatten. Allerdings hatten in diesen Fällen mehrere Tochterunternehmen derselben Muttergesellschaft gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen, so daß der Verdacht nahe lag, die Muttergesellschaft habe das einheitliche Vorgehen initiiert. Die Kommission ging hierauf jedoch nicht ein4 . In anderen Fällen, in denen die Kommission die Muttergesellschaft zur Verantwortung zog, wurde dies damit begründet, daß die Mutter über das Verhalten der Tochter generell die Kontrolle ausübte 5 . Zum Teil kamen jedoch

3 Z. B. Kommission, 25.11. 1980 -Johnson & Johnson, ABi. 1980 L 377116, 23 (Nm. 28 ff) und 26 (Nr. 47). 4 Kommission, 13.7.1994 -Cartonboard, ABi. 1994 L 24311, 46f. (Nm. 147, 150);21.12. 1988-LDPE,ABi. 1989 L 74/21, 37 (Nm. 55,57);-PVC,ABi. 1989L 7411, 15 (Nr. 45); 20. 12. 1977 - Distillers, ABi. 1978 L 50116. 5 Kommission, 13. 7. 1994 - Cartonboard, ABi. 1994 L 24311, 47 f. (Nr. 153); 17.12.1975 - United Brands, ABi. 1976 L 9511,11; 9. 12. 1971 -Continental Can, ABi. 1972 L 7/25, 35 (Nr. 2) in Verbindung mit S. 39 (Art. 1 der Entscheidung); 21. 12. 1988 -Decca Navigator System, ABi. 1989 L 43/27, 39 (Nm. 81, 82); 23. 11. 1984 - Peroxyd-Produkte, ABi. 1985 L 3511, 14 (Nr. 49); 6. 8. 1984 - Zinc Producer Group, ABi. 1984 L 220/27, 44 (Nr. 104, hier ist nicht klar, ob tatsächliche Kontrolle oder Kontrollmöglichkeit als Zurechnungsgrund angesehen wurde); 14. 12. 1972 - Zoja/CSC-ICI, ABi. 1972 L 299/51,54; 25. 11. 1980 - Johnson & Johnson, ABi. 1980 L 377116, 26 (Nr. 47) bzgi. Johnson & Johnsons Verantwortlichkeit (in

C. Die Zurechnung von Verhalten bei Artt. 85, 86 EGV

357

weitere, von der Kommission nicht immer erörterte Aspekte hinzu, wie z. B. das - allerdings zum Teil nachträgliche - Wissen der Mutter von den Wettbewerbsverstößen der Töchter6, der kooperative Charakter des den Wettbewerbsverstoß begehenden GUs, das nicht unabhängig von den Müttern über den Wettbewerbsverstoß entschieden hatte7, die Tatsache, daß mehrere Töchter dieselben Wettbewerbsverstöße begangen hatten8 oder andere Indizien, die für eine Einflußnahme der Mutter sprachen9. In einem Fall stand sogar fest, daß die Mutter den Wettbewerbsverstoß initiiert und durch ihre eigens zu dem Zweck gegründete Tochtergesellschaft hatte ausfuhren lassenlO • In einem anderen Fall war die Muttergesellschaft mit derjenigen Tochtergesellschaft personell verflochten, die den Wettbewerbsverstoß einer anderen Tochtergesellschaft gekannt hatte und für deren Vertriebspolitik zuständig warlI. In einer jüngeren Entscheidung rechtfertigt die Kommission die Verantwortlichkeit der Muttergesellschaft damit, daß diese die Kontrolle über die Tochter ausübe und daß bei der kapitalarmen Tochter die Beitreibung der Geldbuße Schwierigkeiten bereitel2 . Die Muttergesellschaften waren auch Adressat der Kommissionsentscheidungen in Fällen, in denen die Mütter und die Töchter jeder für sich durch die Verwendung bestimmter Treueklauseln gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen hatten13 . Auch hier lag der Verdacht nahe, daß die Muttergesellschaft Urheber der Verhaltensweisen war, wenn auch die Kommission hierauf nicht einging. In anderen Fällen wurde festgestellt, daß die Mutter aktiv an dem Wettbewerbsverstoß der Tochter beteiligt war. Hier wurde die Entscheidung zum Teil an die Mutterl4 , zum Teil aber auch an Mutter und Tochter gerichtet l5 . Die den beiden letztgenannten Fällen war die Entscheidung an Mutter und Tochter gerichtet). 6 Kommission, 25.11.1980 -Johnson & Johnson, ABI. 1980 L 377/16, 25f. (Nm. 41 und 47); zusätzlich wurde hier deI Muttergesellschaft das Wissen einer 100%igen Tochtergesellschaft zugerechnet, die für das internationale Geschäft zuständig war. 7 Kommission, 23. 11. 1984 - Peroxyd-Produkte, ABI. 1985 L 35/1, 14 (NI. 49); 27. 10. 1992 - Distribution of package tours during 1990 World Cup, ABI. 1992 L 326/31, 37 (Nm. 65 ff.). 8 Kommission, 17.12.1975 - United Brands, ABI. 1976 L 95/1, 11; 25.11. 1980 - Johnson & Johnson, ABI. 1980 L 377/16, 26 (Nr. 47). 9 Kommission, 14. 12. 1972 - ZojalCSC-ICI, ABI. 1972 L 299/51,54. 10 Kommission, 9. 12. 1971 - Continental Can, ABI. 1972 L 7/25, 35 und 39. II Kommission, 27. 11. 1981 - Moet et Chandon, ABI. 1982 L 94/7 (Nr. 3) und 10 (Nr.20). 12 Kommission, 13. 7. 1994 - Cartonboard, ABI. 1994 L 243/1, 47 f. (Nr. 153). 13 Kommission, 9. 6. 1976 - HofTmann-La Roche, ABI. 1976 L 223/27. 14 Kommission, 14. 12. 1984-JohnDeere,ABI.I985L35/58,64.

358

4. Teil: Der bestehende UnternehmensverbWld

Kommission ließ auch einmal offen, ob die Mutter aktiv am Wettbewerbsverstoß beteiligt war, von diesem nur wußte oder nur generell das Marktverhalten der Töchter kontrollierte l6 . Zum Teil wurde nicht der Muttergesellschaft, sondern einer bestimmten Gesellschaft innerhalb des Konzerns das Verhalten mehrerer Konzernunternehmen zugerechnet, wenn diese Gesellschaft für die Koordinienmg der Tätigkeiten der anderen Unternehmen zuständig war. Hierbei mußte die verantwortliche Gesellschaft nicht notwendig auch gesellschaftsrechtlich Kontrolle über die von ihr koordinierten Unternehmen haben, so daß auch das Verhalten einer Schwestergesellschaft der anderen zugerechnet wurde l7 . In anderen Fällen wird eine Zurechnung des Verhaltens der Tochter auf die Muttergesellschaft nicht einmal erwogenl8 . In einem Fall verneint die Kommission die Zurechnung mit der Begründung, die Tochtergesellschaft habe stets als getrennte Einheit funktioniert, wobei aber nicht näher ausgeführt wird, unter welchen Voraussetzungen das der Fall sein so1l19. Inwieweit der Anteilsbesitz ein maßgebliches Kriterium für die Zurechnung ist, bleibt in den Kommissionsentscheidungen offen. Zugerechnet wurde bei Anteilsbesitzen der Muttergesellschaft an der Tochter von 50% + eine Aktie bis 100%20. In einer jüngeren Entscheidung hat die Kommission folgende Grundsätze aufgestellt: Grundsätzlich könne sie die Entscheidung immer an den Konzern richten. Um Streit über die Verantwortlichkeit der Muttergesellschaft zu vermeiden, habe sie die Entscheidung jedoch regelmäßig an die beteiligte Gesellschaft gerichtet. Nur wenn mehrere Konzernunternehmen beteiligt seien oder die Beteiligung der Mutter erwiesen sei, sei diese als verantwortlich angesehen worden21 . Dennoch hat die Kommission in dem Fall eine Muttergesellschaft 15 Kommission, 8.12.1977 -HuginILiptons, ABI. 1978 L 22123,30; 23.7.1984 -Benelux Flat Glass, ABl.1984 L 212/13, 49; 25.11.1980 -Johnson & Johnson, ABI. 1980 L 377/16, 21 (NT. 18) Wld 26 (NT. 47) bzgI. Cilag-SchafThausen. 16 Kommission, 22. 12. 1987 - Eurofix-BaucolHilti, ABI. 1988 L65/19, 30 (Nr. 54). 17 Kommission, 21. 12. 1988 -LDPE, ABI. 1989 L 74/21, 37 (NT. 56); -PVC, ABI. 1989 L 74/1, 15 (Nr. 46); 16. 12. 1985 - Sperry New Holland, ABI. 1985 L 376121 (Nm. 2, 3); 17.12.1975 - United Brands, ABI. 1976 L 95/1, 11 (daneben wurde aber auch die Muttergesellschaft als verantwortlich angesehen); 23.4. 1986 - Polypropylen, ABI. 1986 L 230/1, 33 (Nr. 102), bestätigt in EuG, 10. 3. 1992 - Shell1Kommission, Slg. 1992 TI 757,885 (Nr. 312). 18Z.B.Kommission, 12. 12. 1978-Kawasaki,ABI. 1979L 16/9,14. 19 Kommission, 23.4. 1986 - Polypropylen, ABI. 1986 L 230/1, 32 (NT. 99 a. E.). 20 VgI. Kommission, 21. 12. 1988 - Decca Navigator System, ABl. 1989 L 43127, 39 (NT. 82); 6.8.1984 -Zinc Producer Group, ABI. 1984 L 220127, 44 (NT. 104); 14. 12. 1972 - Zoja/CSC-ICI, ABl. 1972 L 299/51,54. 21 Kommission, 13. 7. 1994 - Cartonboard, ABI. 1994 L 243/1, 45 f. (NT. 143).

C. Die Zurechnung von Verhalten bei Artt. 85,86 EGV

359

aufgrund der allgemeinen Ausübung von Kontrolle sowie aufgrund der Kapitalschwäche der Tochter zur Verantwortung gezogen22 . Die Kommission hat sich außerdem mehrfach mit der Frage befaßt, ob den Müttern von GU das Verhalten der GU zuzurechnen ist. Das betraf zum einen Fälle, in denen die Mütter ganze GU-Netze hatten, zum anderen Fälle einzelnerGU. Die Kommission hatte z. B. in zwei Fällen über Wettbewerbsverstöße mehrerer GU zu entscheiden, die jeweils unter Kontrolle derselben Muttergesellschaften standen, ohne daß eine gemeinsame Dachgesellschaft existierte. In dem einem Fall verfUgten die GU weder über eigenes Personal noch über Produktions- oder Vertriebsmittel, sondern nutzten in allem die Einrichtungen der Muttergesellschaften. Die Geschäftspolitik der GU wurde von einem Ausschuß von Direktoren der Muttergesellschaften bestimmt23 . Demzufolge entschieden Organe und Angestellte der Muttergesellschaften selbst über die Wettbewerbsverstöße. Hier meinte die Kommission, daß die GU nach Weisungen der Mütter handelten und nicht so selbständig seien, daß die Verantwortung der Mütter entfiele. Ob die GU konzentrativ seien und nicht Art. 85 Abs. 1 EGV unterfielen, ließ die Kommission offen, weil es hierauf bei der Verantwortlichkeit fiir Wettbewerbsverstöße nicht ankomme24 . In dem anderen Fall waren die GU nicht bloßer Rahmen fiir Zusammenarbeit, sondern verfUgten über unternehmerische Ressourcen und entschieden weitgehend autonom. Hier stellte die Kommission fest, daß es in dem Konzern keine Dachgesellschaft gebe, die als Adressat der Entscheidung in Betracht käme. Daher wählte sie dasjenige GU als Adressaten aus, das fiir die Koordination und strategische Planung des vom Wettbewerbsverstoß betroffenen Bereichs zuständig war25 . Aber nicht nur GU-Netze, sondern auch einzelne GU haben die Kommission beschäftigt. In einem jüngeren Fall waren auf beiden Seiten einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung GU beteiligt. Das eine GU (COL), dessen Mütter Vereinigungen von Fußballverbänden (FIFA, FIGC) waren, hatte die Aufgabe, die Fußballweltmeisterschaft 1990 zu organisieren. Es handelte sich um ein rechtsfähiges, lokales Organisationskomittee. Auch die Organisation des Vertriebs der Entrittskarten oblag COL. COL vereinbarte mit dem Unternehmen "90 Tour Italia", daß dieses weltweit allein das Recht haben sollte, Eintrittskarten im Rahmen von Pauschalarrangements zu vertreiben. "90 Tour

Kommission, Kommission, 24 Kommission, 25 Kommission, 22 23

13. 23. 23. 21.

7. 1994 - Cartonboard, ABI. 1994 L 24311, 47 f. (Nr. 153). 11. 1984 - Peroxyd-Produkte, ABI. 1985 L 3511, 2 (Nr. 3). 11. 1984 - Peroxyd-Produkte, ABI. 1985 L 3511, 14 (Nr. 49). 12. 1988 - LDPE, ABI. 1989 L 74121,37 (Nr. 56).

360

4. Teil: Der bestehende Untemehmensverbund

Italia" war ein GD von zwei Reisebürounternehmen, welches diese speziell für die Vermarktung von Pauschalarrangements für die Weltmeisterschaft gegrundet hatten. Das Alleinvertriebsrecht für "90 Tour Italia" wurde in zwei Vereinbarungen festgehalten. Eine davon traf COL mit den Muttergesellschaften, die andere, nahezu inhaltsgleiche, mit dem GD "90 Tour Italia". Die letztgenannte Vereinbarung wurde von den Muttergesellschaften gegengezeichnet. Die Kommission hielt auf beiden Seiten der Vereinbarung sowohl die GD als auch die Mütter für verantwortlich für die Wettbewerbsverstöße. Die Begrundung lautet in beiden Fällen verschieden. Im Fall von "90 Tour Italia" stellte die Kommission darauf ab, daß sowohl das GD als auch die Mütter an den Vereinbarungen beteiligt waren26 . Im Fall von COL waren die Mütter, FIFA und FIGC, nicht an den Vereinbarungen beteiligt. Hier begIiindete die Kommission die Verantwortlichkeit der Mütter damit, daß diese die gesamte Tätigkeit von COL und insbesondere den Eintrittskartenvertrieb kontrolliert hatten. Woraus sich die gemeinsame Kontrolle ergab, bleibt jedoch unklar. Einerseits entsandte FIGC mehr Vertreter in das GD (9 von 11), andererseits hatte FIFA ein Letztentscheidungsrecht bei Grundsatzfragen, insbesondere beim Eintrittskartenvertrieb. Das EuG liegt weitgehend auf der Linie der Kommission. Es rechnet der Muttergesellschaft Verhalten der Tochter zu, wenn jene die tatsächliche Kontrolle über die Tochter ausübt. Hinzu kam in dem betreffenden Fall aber, daß die Tochtergesellschaft nur wenige eigene Waren, sondern überwiegend Waren von einer Schwestergesellschaft verkaufte. Letztere vertrieb nur die von ihr selbst hergestellten Produkte. Aus dieser Situation schloß das EuG, daß das mißbräuchliche Verhalten weder der einen noch der anderen Tochter, sondern der Muttergesellschaft zuzurechnen see7 . Ebenfalls für möglich hält es das EuG, das Verhalten mehrerer Tochterunternehmen einem anderen Tochterunternehmen zuzurechnen, das für die Koordination des Wettbewerbsverhaltens der Töchter zuständig ist28 Der EuGH hatte in den Farbstoffurteilen über Preisabsprachen zwischen Muttergesellschaften zu entscheiden, die von den Tochtergesellschaften auf dem Markt vollzogen wurden. Der EuGH rechnete den Müttern das Verhalten der Töchter zu. Eine Verhaltenszurechnung sei unter folgenden Voraussetzungen möglich: Mutter und Tochter müssen eine wirtschaftliche Einheit bilden, innerhalb derer die Tochter ihr Marktverhalten nicht wirklich autonom 26 Kommission, 27. 10. 1992 - Distribution of package tours during 1990 World Cup, ABi. 1992 L 326/31, 37 (Nm. 61 ff., 64). 27 EuG, 1. 4. 1993 - BPB lndustries und British GypsumIKomrnission, Slg. 1993 11 389,438 (Nm. 141 ff, insbesondere 151). 28 EuG, 10. 3. 1992 - ShelllKomrnission, Slg. 199211 757, 885 (Nr. 312).

C. Die ZurechnWlg von Verhalten bei Artt. 85,86 EGV

361

bestimmen könne. Dann sei unter bestimmten Umständen eine Verhaltenszurechnung möglich. Solche Umstände sollen vorliegen, wenn die Muttergesellschaft ihre Tochtergesellschaft durch Weisungen zu dem Wettbewemsverstoß veranlaßt hae9 . Letzteres ist unter Umständen schwer nachzuweisen. In drei Fällen lagen direkte Beweise fiir eine Einflußnahme der Muttergesellschaft nicht vor, so daß der EuGH aus anderen Umständen darauf schließen mußte. In einem der drei Fälle sprachen das einheitliche Vorgehen von Mutter und Tochter sowie die generelle Kontrollausübung durch die Muttergesellschaft dafür, daß die Muttergesellschaft Einfluß genommen hatte30 . Allerdings sah der EuGH hier Mutter und Tochtergesellschaft gemeinsam als verantwortlich an. Bei IOO%igen Töchtern hält der EuGH im zweiten Fall den Nachweis, daß die Mutter den Wettbewemsverstoß der Tochter veranlaßt hat, fiir entbehrlich. Denn eine IOO%ige Tochtergesellschaft verfolge zwangsläufig eine Politik, die von denselben satzungsmäßigen Organen festgelegt werde wie die Politik der Muttergesellschaft31 • Damit scheint der EuGH seinen Ausgangspunkt, daß der konkrete Wettbewerbsverstoß vom Mutterunternehmen veranlaßt sein muß, zu verlassen. Denn aus der Tatsache, daß die Mutter die Politik der Tochter festlegt, folgt noch nicht, daß die Mutter den Wettbewemsverstoß veranlaßt hat. Dafür sprach im AEG-Fall aber, daß auch andere Töchter denselben Wettbewemsverstoß begangen hatten und die Einflußnahme der Muttergesellschaft dort erwiesen war. Im dritten Fall waren konkrete Weisungen der Mutter an ihre IOOo/oige Tochter nicht direkt nachweisbar. Es stand lediglich fest, daß die Muttergesellschaft von dem Verhalten der Tochter wußte. Der EuGH ließ offen, ob seine Rechtsprechung zu lOO%igen Tochtergesellschaften hier einschlägig war. Er hielt es für erwiesen, daß die Mutter Weisungen hinsichtlich der Wettbewemsverstöße erteilt hatte. Allerdings ist diese Schlußfolgerung insofern gewagt, als aus der Kenntnis der Mutter auf die Existenz von Weisungen geschlossen wird32 . 29 EuGH. 14. 7. 1972 - GeigylKommission, Slg. 1972, 787, 838 (Nr.45); 14.7.1972 -IClIKommission, Slg. 1972, 619, 665 ff. (Nm. 135/141); 14.7.1972 - Sando:zJKommission, Slg. 1972, 845, 849 i. V. m. den Gründen der Entscheidung Geigy (s.o.), auf die verwiesen wird; ebenso EuGH. 21. 2. 1973 - Europemballage und Continental Can/Kommission, Slg. 1973,215,242 (Nm. 14 - 17). 30 EuGH. 22. 1. 1974 CSC-IClIKommission, Slg. 1974, 223, 255 f. (Nm. 36 - 41). 31 EuGH. 25.10.1983 -AEGlKommission, Slg. 1983,3151,3198 (Nm. 47 ff., 50). 32 EuGH. 6.4. 1995 - BPB Industries Wld British GypsumIKommission, Slg. 1995 I 865,904 (NT. 11) in Verbindung mit S. 871 f. (Nm. 20 - 31, insbesondere Nm. 28 und 29).

362

4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbund

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß die Kommission unter bestimmten Voraussetzungen das Verhalten von Tochtergesellschaften den Müttern oder einer insgesamt verantwortlichen Tochtergesellschaft zurechnet. Diese Voraussetzungen werden von der Kommission dogmatisch nicht eingeordnet. Im Ergebnis bejaht sie eine Zurechnung nur dann, wenn es zumindest Anhaltspunkte dafür gibt, die Muttergesellschaft oder die verantwortliche Tochtergesellschaft habe den konkreten Wettbewerbsverstoß aktiv mitherbeigeführt. Als geringsten Anhaltspunkt dafür läßt die Kommission es genügen, daß die Mutter tatsächlich die Kontrolle über das Marktverhalten der Tochter ausübt. Allerdings kamen in der Regel weitere Indizien dazu, die für eine Einflußnahme der Mutter auf den konkreten Wettbewerbsverstoß sprachen. Die Kontrollmöglichkeit allein genügt der Kommission nicht für eine Verhaltenszurechnung. Auf derselben Linie liegt die Rechtsprechung des EuG. Der EuGH hält eine Verhaltenszurechnung für möglich, wenn Mutter und Tochter eine wirtschaftliche Einheit bilden, innerhalb derer die Tochter ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmen kann, und wenn die Muttergesellschaft den Wettbewerbsverstoß veranIaßt hat. Allerdings ist der EuGH in der Annahme, die Muttergesellschaft habe den Verstoß veranIaßt, großzügig. Im Ergebnis besteht daher kein wesentlicher Unterschied zwischen Kommissionspraxis und Entscheidungspraxis von EuG und EuGH. 2. Literatur Die Literatur folgt zum Teil der geschilderten Praxis von Kommission und Gerichten33 . Andere wollen aufgrund eines bestehenden Konzernverhältnisses 34 oder aufgrund einer bestehenden wirtschaftlichen Einheit zurechnen35 oder stellen darauf ab, ob die Muttergesellschaft generell Einfluß auf die Tochtergesellschaft nimmt. Letzteres ergebe sich nicht allein aus lOO%igem Anteilsbesitz, sondern aus zusätzlichen Kriterien36 . Andere formulieren enger, daß zuzurechnen sei, wenn die Mutter durch die Tochter eine Zuwiderhandlung begehe37 oder wenn das herrschende Unternehmen auf das beanstandete Verhalten Einfluß genommen habe. Die Einflußnahme lasse sich z. B. durch

33 GleisslHirsch, Art. 85 Rn. 57; Lipowsky, S. 243 f.; BellamylChild, Rn. 12-091, 9-036; Harms, FS Hartrnann, S. 165, 173 f.; im Grundsatz zustimmend Danneckerl Fischer-Fritsch, S. 274 tT. 34 Koch, in: GrabitzlHilf, nach Art. 87 Rn. 41. 35 GleisslHirsch, Art. 85 Rn. 336 für den speziellen Fall der Zurechnung der Herstellertätigkeit; Rütsch, S. 25 tT., 54 tT., der die Kommissionspraxis so interpretiert, daß bereits die wirtschaftliche Einheit zur Zurechnung führt. 36 DanneckerIFischer-Fritsch, S. 265. 37 Sauter, in: LangenlBunte, VO 17, Art. 15 Rn. 4.

C. Die Zurechnung von Verhalten bei Artt. 85, 86 EGV

363

personelle Verflechtungen nachweisen38 . Zum Teil wird betont, daß eine Verantwortlichkeit und insbesondere eine Pflicht zur Zahlung einer Geldbuße nur bestehen könne, wenn tatbestandsmäßiges Verhalten vorliege. Daher sei insbesondere eine generelle Zurechnung bei lOO%igen Tochtergesellschaften abzulehnen. Es komme vielmehr auf die ordnungswidrigkeitsrechtlichen Kategorien des Handeins und der Beteiligung an 39 . Nach anderer Ansicht ist zuzurechnen, wenn die Voraussetzungen konzerninterner Vereinbarungen vorliegen4o .

IV. Stellungnahme 1. Zurechnung von Verhalten, nicht von Verschulden Kommission und Literatur differenzieren häufig nicht zwischen der Zurechnung von Verhalten und von Verschulden. Die Zurechnung tatbestandsrelevanten Verhaltens bedeutet jedoch nicht, daß gegen das Unternehmen, dem zugerechnet wird, eine Geldbuße wegen dieses Verhaltens verhängt werden kann. Art. 15 VO 17 setzt voraus, daß das betreffende Unternehmen schuldhaft gehandelt hat. Das Verschulden eines anderen Unternehmens wird nicht zugerechnet41 • Wendet z. B. ein gutgläubiges Tochterunternehmen auf Weisung der Mutter Preise an, welche diese mit Wettbewerbern abgesprochen hat, ist der Tochter möglicherweise die Verhaltensabstimmung durch die Mutter zuzurechnen. Eine Untersagungsverfügung wegen des Verstoßes gegen Art. 85 Abs. 1 EGV könnte dann gegen die Tochter ergehen. Ein Bußgeld kann gegen die Tochter jedoch nicht verhängt werden. 2. Dogmatische Ansätze Sind mehrere verbundene Unternehmen an einem Wettbewerbsverstoß beteiligt, so kann eine Verhaltenszurechnung auf unterschiedlicher dogmatischer Grundlage erfolgen. Die Zurechnung kann sich zum einen nach allgemeinen, für unverbundene und verbundene Unternehmen gleichermaßen geltenden, Regeln richten. Als solche kommen nach einer Ansicht Zurechnungsregeln in Betracht, die an das GleisslHirsch, 3. Aufl., Art. 86 Rn. 10. Schroeder, WuW 1988,274,282; ähnlich Hanns, FS Hartmann, S. 165,174. 40 Lipowsky, S. 191 ff., 206 ff. 41 Rütsch, S. 56 ff.; siehe auch Generalanwalt Verloren van Themaat, Schlußanträge zu EuGH, 16. 1l. 1983 -ThyssenIKommission, Slg. 1983, 3721, 3740: der Grundsatz "nulla poena sine culpa" gilt auch im europäischen Recht und auch für Geldbußen, sofern sie strafrechtlichen Charakter haben. 38

39

364

4. Teil: Der bestehende Unternelunensverbund

gemeinsame Vorgehen anknüpfen, also aufgrund von Mittäterschaft oder Teilnahme zur Zurechnung führen 42 . Allerdings könne, so heißt es, die sich hieraus ergebende Verantwortung durch den Unternehmensverbund verstärkt werden43 . Die Zurechnung kann zum anderen ihren Grund in der Existenz des Unternehmensverbundes haben. Das ist der Ausgangspunkt derjenigen, die bestehende Kontrollmöglichkeiten oder die Ausübung von Kontrolle als Voraussetzung der Zurechnung ansehen. Die Zurechnungsregeln wären danach verbundspezifische Regeln. Vereinzelt will man die Zurechnung damit begründen, daß sie die Unanwendbarkeit des Art. 85 EGV auf konzerninterne Vereinbarungen kompensieren müsse44 . Auch der EuGH setzt in einigen Entscheidungen die Zurechnung von Verhalten in Beziehung zu der Unanwendbarkeit des Art. 85 EGV, allerdings ohne den von ihm gesehenen Zusammenhang näher zu erläutern45. Im folgenden soll zunächst untersucht werden, ob das europäische Kartellrecht eine Zurechnung aufgrund von Mittäterschaft oder Teilnahme zwischen unverbundenen Unternehmen kennt. Ist das zu bejahen, ist die Anwendbarkeit dieser Regeln zwischen verbundenen Unternehmen zu prüfen. Gibt es keine Zurechnung aufgrund von Mittäterschaft oder Teilnahme, kommt für den Unternehmensverbund nur eine verbundspezifische Zurechnung in Betracht.

3. Zurechnung bei unverbundenen Unternehmen a) Täterschaft und Teilnahme im europäischen KarteI/recht

Täterschaft und Teilnahme an bestimmten Handlungen sind Rechtsfiguren, mittels derer man dem Betroffenen diese Handlungen als eigene zurechnet (Täterschaft, Mittäterschaft, mittelbare Täterschaft) oder ihn, weil er sie unterstützt hat (Anstiftung, Beihilfe), mitverantwortlich macht46 . Die Wettbewerbs42 Daftlr Schroeder, WuW 1988, 274, 282; Harms, FS Hartmann, S. 165, 174, aber zwischen der Verantwortlichkeit nach Straf-, Zivil- und Ordnungswidrigkeitenrecht unterscheidend. 43 Harms, FS Hartmann, S. 165, 174. 44 Lipowsky, S. 191 ff., 206 f1; dagegen Potrafke, S. 92, mit der Begründung, daß die Kommission bei Ablehnung der Zurechnung nicht immer die konzerninternen Vereinbarungen geprüft hat. Das widerlegt den dogmatischen Ansatz nicht, sondern besagt nur, daß jedenfalls die Kommission ihn nicht konsequent verfolgt. 45 EuGH, 6. 4. 1995 - BPB Industries und British Gypsum/Kommission, Slg. 1995 I 865, 873 (Nr.27) in Verbindung mit S. 904 (Nr. 11); 14.7.1972 ICIIKommission, Slg. 1972,619,665 ff. (Nm. 132/135). 46 Vgl. Wesseis, AT, Rn. 526 (der Gesamterfolg der Tat ist jedem Mittäter voll zuzurechnen), Rn. 536 (das Handeln des Tatrnittlers wird dem mittelbaren Täter wie ei-

C. Die Zureclmung von Verhalten bei Artt. 85, 86 EGV

365

regeln des EGV und die Durchführungsverordnungen enthalten keine Normen, die die Täterschaft und Teilnahme an Wettbewerbsverstößen regeln. Der Einheitstäterbegriff des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts (§ 14 Abs. 1 OWiG; s. auch § 830 Abs. 2 BGB), der auch im GWB Anwendung findet 47 , gilt im europäischen Kartellrecht nicht48 . Ebensowenig gibt es eine rechtsfortbildende, allgemein anerkannnte Lehre vom Tatbestand. Nach überwiegender Ansicht in der deutschen Literatur erfassen Artt. 85, 86 EGV die Teilnahme im Sinne von Anstiftung oder Beihilfe zu einem fremden Wettbewerbsverstoß daher nicht; dementsprechend sei die Teilnahme auch nicht nach Art. 15 VO 17 bußgeldbedroht49 . Das ergebe sich im Umkehrschluß aus Art. 66 § 6 EGKSV, wo die Teilnahme mit Geldbuße belegt sei 50. Die Kommission dagegen hat auch die Unterstützung eines Kartells als Verstoß gegen Art. 85 EGV angesehen. Im Fall "Gußglas Italien" 51 hatten drei Glashersteller eine umfangreiche Kartellabrede getroffen. Ein unabhängiges Unternehmen (FIDES) war damit betraut worden, die Einhaltung der Abrede zu überwachen. Die Kommission meinte, dieses Unternehmen habe an der Praktizierung des Kartells teilgehabt. Allerdings sah sie selbst, daß sie "bisher nie Entscheidungen an ein Unternehmen in einer derartigen Lage von Verantwortlichkeit gerichtet" habe und verhängte keine Geldbuße. Inwieweit es Mittäterschaft mit wechselseitiger Zurechnung bei Tatbestandsdefiziten gibt, ist ungeklärt52 . Nach der Kommissionspraxis gibt es bei Art. 85 Abs. 1 EGV in engen Grenzen eine mittäterschaftliche Zurechnung, die punktuelle Tatbestandsdefizite bei einem Beteiligten ausgleichen kann. So genes Handeln zugereclmet); auch die Teilnahme hat Zureclmungscharakter, wenn er auch weniger deutlich ist; der Unrechtsgehalt der Teilnahmehandlung leitet sich aus der verwirklichten Haupttat ab; a. A. Bork, ZGR 1994, 237, 252, wonach es bei Täterschaft und Teilnahme nur um die Haftung für eigenes Fehlverhalten geht. Das eigene Fehlverhalten allein erfüllt jedoch bei der Teilnahme nie und bei der Mittäterschaft häufig nicht den Haftungstatbestand. Mittäterschaft und Teilnahme erscheinen aber, insoweit ist Bork zu folgen, rechtsteclmisch nicht als Zureclmung, soweit sie als eigene Tatbestände formuliert sind. 47 Hennig, in: hnmengalMestmäcker, § 38 Rn. 12. 48 Auch wenn das BKartA europäisches Recht anwendet, gilt nichts anderes, weil das BKartA Bußgelder nicht verhängen darf (arg. e Art. 9 Abs. 3 VO 17, Klaue, in: hnmengalMestmäcker, § 47 Rn. 12) und das OWiG unanwendbar ist. 49 Koch, in: GrabitzlHilf, nach Art. 87 Rn. 46; Schröter/Jakob-Siebert, in: von der GroebenffhiesinglEhlermann, Art. 87 - Zweiter Teil Rn. 7; RUtsch, S. 23 f.; a. A. Harms, FS Hartmann, S. 165, 175; widersprüchlich Sauter, in: LangenlBunte, VO 17, Art. 15 Rn. 4 und 5: Mitwirkung an Zuwiderhandlung nicht sanktionierbar, aber jede tatsächliche Beteiligung an Zuwiderhandlung, auch durch passives Verhalten, reiche für einen Verstoß aus. 50 Gleiss/Hirsch, 3. Aufl., Art. 15 VO 17 Rn. 5. 51 Kommission, 17. 12. 1980 - Gußglas Italien, ABI. 1980 L 383/19. 52 Dafür wohl Harms, FS Hartmann, S. 165, 174.

366

4. Teil: Der bestehende UnternelunensverbWld

tragen bei Kartellabsprachen immer alle Unternehmen für den gemeinsamen Wettbewerbsverstoß die VerantwortungS3 . Es muß z. B. nicht jedes Kartellmitglied an jeder einzelnen Kartellzusammenkunft teilgenommen haben. Im übrigen werden echte Tatbestandsdefizite, die über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des Verhaltens entscheiden, durch diese Zurechnung jedoch nicht ausgeglichen. So fanden sich z. B. in einem Fall einer Verhaltensabstimmung bei einem Unternehmen keine Unterlagen, die auf ein auf der Abstimmung beruhendes Verhalten schließen ließen. Eine Zurechnung des Verhaltens der anderen Unternehmen wird in solchen Fällen nicht vorgenommen. Vielmehr hielt die Kommission ein auf der Abstimmung beruhendes Verhalten hier deshalb für erwiesen, weil das Unternehmen bei Quotenzuteilungen genannt war und an den Sitzungen teilgenommen hattes4 . Die Kommission schloß also aus der Abstimmung, daß ein auf ihr beruhendes Verhalten vorlag. Hier wird oft das Argument weiterhelfen, daß ein nicht auf der Abstimmung beruhendes Verhalten kaum denkbar ist55 . Jedes Unternehmen wird, wenn es nur irgendwie im Markt tätig ist, das bei der Verhaltensabstimmung erlangte Wissen nutzen, selbst wenn es sich nicht der Abstimmung gemäß verhält. Zudem können die anderen Unternehmen die von ihm zur Verfügung gestellten Informationen nutzen. Festzuhalten bleibt daher, daß die Mitwirkung an fremden Wettbewerbsverstößen nicht zur Zurechnung derselben nach Artt. 85, 86 EGV führt. Nur solche Handlungen, die den Tatbestand von Art. 85 oder Art. 86 EGV erfüllen, sind Wettbewemsverstöße56 . Daß diese Lücke kaum als schmerzlich empfunden wird, liegt daran, daß Artt.85, 86 EGV aufgrund ihrer Weite Mitwirkungshandlungen in vielen Fällen bereits erfassen. Grund dafür ist wiedenun, daß Art, 85 EGV eine Regelung ist, die darüber entscheidet, inwieweit man auf das Marktverhalten anderer Unternehmen Einfluß nehmen darf.

53 Kommission, 21. 12. 1988 -LDPE, ABI. 1989 L 74/21 ff. (Nr. 31); 23.4.1986 - Polypropylen, ABI. 1986 L 23011, 27. 54 Kommission, 21. 12. 1988 -LDPE, ABI. 1989 L 74/21 ff. (Nr. 33 bzgI. Monsanto). 55 VgI. zu § 25 GWB Bunte, in: LangenIBWlte, § 25 GWB Rn. 26. 56 Aus ordnWlgswidrigkeitsrechtlicher Sicht spricht filr die Richtigkeit dieses Ergebnisses auch der Grundsatz "nulla poena sine lege", der auch im europäischen Karte1lrecht gilt (DanneckerlFischer-Fritsch, S.265; GleissIHirsch, 3. Aufl., Art. 15 VO 17 Rn. 5).

C. Die Zurechnung von Verhalten bei Artt. 85, 86 EGV

367

b) Tatbestandsmäßigkeit von Mittäterschaff7 und Teilnahme Ansatzpunkt sind also allein die Tatbestände der Artt. 85, 86 EGV. Sind mehrere Unternehmen an einem Wettbewerbsverstoß beteiligt, fragt sich zunächst immer, wer mit welcher Handlung einen der Tatbestände erfiillt. Wer den Tatbestand erfiillt, hat gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen, egal, ob er mit seinem Wettbewerbsverstoß fremde Wettbewerbsverstöße veranlaßt, fordert oder an ihnen mitwirkt. Hierbei wird sich zeigen, daß Artt. 85, 86 EGV die meisten Mitwirkungshandlungen erfassen. Vereinbart etwa ein Hersteller mit seinem unabhängigen Händler, daß dieser Exportverbote in die Verträge mit seinen Abnehmern aufnehmen soll, liegt bereits darin ein Verstoß gegen Art. 85 Abs. 1 EGV58 • Denn der Händler ist in seiner Freiheit zur Gestaltung der Verträge mit seinen Abnehmern beschränkt. Darauf, daß das Exportverbot selbst eine Wettbewerbsbeschränkung ist und deshalb der Hersteller zu einem Wettbewerbsverstoß angestiftet hat, kommt es für die Tatbestandsmäßigkeit nicht an. Der EuGH erreicht außerdem durch eine weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Vereinbarung, daß Anstiftungshandlungen unter Art. 85 Abs. I EGV fallen. Nimmt etwa ein Hersteller einseitig Einfluß auf seine Vertragshändler, damit sie Exportverbote in ihre Verträge mit den Abnehmern aufnehmen, ist das nach der Rechtsprechung des EuGH eine Vereinbarung. Einseitige Maßnahmen des Herstellers seien Vereinbarungen, wenn sie im Rahmen eines Vertriebssystems getroffen würden, das solche Maßnahmen vorsehe 59 . Häufig nehmen sowohl EuGH als auch Kommission in solchen Fällen ein abgestimmtes Verhalten von Hersteller und Händlern an60 . Abgestimmtes Verhalten setzt aber sowohl Verhaltensabstimmung als auch ein auf der Abstimmung beruhendes, marktbezogenes Verhalten voraus. Regt ein Hersteller gegenüber seinen Vertragshändlern unverbindlich an, sie mögen Exportverbote in ihre Verträge aufnehmen, dann ist das nur eine Verhaltensabstimmung. Das zur Tatbestandserfüllung erforderliche Verhalten ist in der Auf57 Die mittelbare Täterschaft erlangt zwischen unverbundenen Unternehmen keine Bedeutung. S8 Spürbarkeit und Drittwirkung werden hier vorausgesetzt. S9 EuGH, 17.9.1985 - FordIKommission (Ford 11), Slg. 1985,2725,2743 (Nr. 21); zweifelnd Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 91. 60 Kommission, 23. 12. 1977 - BMW-Belgium, ABI. 1978 L 46/33; EuGH, 12.7. 1979 - BMW-BelgiumlKommission, Slg. 1979,2435; Kommission, 14. 12. 1979 -Pioneer, ABI. 1980 L 60/21,32 (Nr.60); EuGH, 7.6.1983 -Musique Diffusion Frans:aiselKommission, Slg. 1983, 1825, 1898 f (Nm. 75 - 79); Kommission, 2.12.1981 - Hasselblad, ABI. 1982 L 161/18, 26 (Nm. 42 ff.); EuGH, 21. 2.1984 - HasselbladIKommission, Slg. 1984, 883, 904 f (Nm. 28,29).

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4. Teil: Der bestehende Unternelunensverbund

nahme des Exportverbots in die Verträge mit Dritten zu sehen. Dieses Verhalten wird aber nur von den Händlern, nicht von dem Hersteller praktiziert. Bei vertikaler Verhaltensabstimmung muß das aber genügen, da diese typischerweise in einer einseitigen Bindung besteht61 . Im übrigen wird praktisch ein solcher Fall nur unverbindlicher Anregungen durch den Hersteller selten sein. In der Regel wird er fiir den Fall der Nichtbefolgung mit Sanktionen drohen; dann liegt eine Vereinbarung vor. Vereinbart ein Unternehmen mit einem anderen, daß dieses eine gegen Art. 86 EGV verstoßende Handlung vornehmen soll, verstößt diese Vereinbarung gegen Art. 85 EGV Wird der Verstoß gegen Art. 86 EGV nur unverbindlich angeregt, erfüllt das ihn begehende Unternehmen sowohl den Tatbestand des Art. 85 EGV (wegen der Verhaltensabstimmung) als auch den des Art. 86 EGV (wegen des Verhaltens). Der Anstifter verstößt gegen Art. 85 EGV Unterstützt ein Unternehmen den Wettbewerbsverstoß anderer, kann auch darin ein eigener Wettbewerbsverstoß liegen. Hätten im oben erwähnten Fall "Gußglas Italien" die Kartellmitglieder sich z. B. gegenüber FIDES verpflichtet, unternehmensinterne Informationen an FIDES zum Zwecke der Weitergabe an die Wettbewerber zu übermitteln, läge in dieser Vereinbarung mit FIDES eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung im Sinne von Art. 85 Abs. I EGV Denn die Unternehmen wären in ihrer Freiheit beschränkt, ohne Kenntnis anderer von ihrer Unternehmenspolitik auf dem Markt zu agieren. Wirkt ein Unternehmen an einer horizontalen Verhaltensabstimmung mit, ohne ein auf der Abstimmung beruhendes Verhalten an den Tag zu legen, erfüllt es nicht den Tatbestand des Art. 85 EGV2 . Allerdings sind Fälle, in denen ein der Abstimmung nachfolgendes Marktverhalten nicht auf dieser beruht, kaum denkbar. Denn das Unternehmen wird immer sein bei der Verhaltensabstimmung erlangtes Wissen über die Strategien der anderen berücksichtigen, wenn es auch von den Inhalten der Verhaltensabstimmung abweichen mag63 . Im Einzelfall kann die Herbeiführung oder Förderung eines fremden Wettbewerbsverstoßes auch gegen Art. 86 EGV verstoßen. Das wäre z. B. der Fall, wenn ein Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung dazu ausnutzt, andere Unternehmen zu Wettbewerbsverstößen zu zwingen. Art. 85 und Art. 86

61 Vgl. auch Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 96, die bei vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen durch AbstinurJung darauf abstellen, ob das Verhalten zum Gegenstand einer Vereinbarung hätte gemacht werden können. 62 Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 95. 63 Ebenso zu § 25 GWB a. F. Bunte, in: LangenIBunte, § 25 GWB Rn. 26.

c. Die Zureclmung von Verhalten bei Artt. 85,86 EGV

369

EGV können dann auf das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens parallel anwendbar sein64 . Festzuhalten bleibt daher, daß die Tatbestände der Art. 85, 86 EGV viele Handlungen aus dem Bereich von Teilnahme und Mittäterschaft ohne weiteres erfassen. Wem die verbleibenden Lücken - etwa im Fall FIDES oder bei unverbindlicher Anregung von Wettbewerbsverstößen ohne anschließendes Verhalten - zu groß erscheinen, der muß den Einheitstäterbegriff, der sich z. B. im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht findet, in das europäische Kartellrecht übernehmen. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß nur Verhaltensweisen Wettbewerbsverstöße sind, die einen der Tatbestände der Artt. 85, 86 EGV erfüllen. Die Mitwirkung an Wettbewerbsverstößen ist solange zulässig, bis sie selbst einen dieser Tatbestände erfüllt. Eine Zurechnung von Wettbewerbsverstößen zwischen unverbundenen Unternehmen aufgrund von Teilnahme und Mittäterschaft findet nicht statt. Das spricht dafür, daß die Zurechnung bei verbundenen Unternehmen eine verbundspezifische Zurechnung ist. 4. Verbundspezifische Zurechnung (ohne Gemeinschaftsunternehmen) a) In Betracht kommende Sachverhalte

Auch bei Wettbewerbsverstößen verbundener Unternehmen fragt sich, bevor man eine verbundspezifische Zurechnung in Erwägung zieht, inwieweit die Mitwirkung an Wettbewerbsverstößen im Unternehmensverbund schon als solche die Tatbestände der Artt. 85, 86 EGV erfüllen kann. Treffen z. B. mehrere Konzernmütter Vereinbarungen über ihre künftige, über Tochtergesellschaften zu praktizierende Preispolitik, liegt bereits darin ein Verstoß gegen Art. 85 Abs. I EGY. Denn die Muttergesellschaften beschränken sich in ihrer Handlungsfreiheit, die darin besteht, daß sie über das Marktverhalten ihrer Töchter entscheiden können. Das ist unabhängig davon, ob die Tochtergesellschaften die Preise hinterher anwenden oder nicht. Auf die Zurechnung fremden Verhaltens kommt es insoweit nicht an65 . Auch wenn die Töchter in Kenntnis der Absprache diese praktizieren, verstoßen sie damit gegen die Wettbewerbsregeln. Eine Zurechnung des Verhaltens der Mütter ist nicht erforderlich. Dagegen kommt Zurechnung in Betracht, wenn die Verteilung der unternehmerischen Tätigkeit auf mehrere verbundene Unternehmen zu Tatbe64

EuGH, 11. 4.1989 -Ahmed Saeed, WuWIE EWGIMUV 841,846 (Nr. 37).

Es sei denn, man bezeiclmet bereits die Frage, ob die Mütter wegen ihres Einflusses auf die Töchter Träger von Handlungsfreiheit im Wettbewerb und damit Unternehmen im Sinne von Art. 85 Abs. 1 sind, als Zureclmungsproblem. 65

24 Pohlmann

370

4. Teil: Der bestehende Untemehrnensverbund

standsdefiziten führt. Das ist z. B. der Fall, wenn eine Muttergesellschaft (M) ihre Tochter (T) anweist, mit Wettbewerbern Preise verbindlich festzulegen und wenn T das daraufhin tut. Ebenso denkbar ist, daß M die marktbeherrschende T anweist, eine gegen Art. 86 EGV verstoßende Handlung vorzunehmen und T das daraufhin tut. In beiden Fällen erfüllt die Einflußnahme von M nicht den Tatbestand des Art. 85 EGV, wenn die Voraussetzungen für konzerninterne Vereinbarungen vorliegen66 . Die Einflußnahme verstößt auch nicht gegen Art. 86 EGV. Die Einflußnahme selbst ist gegenüber der Tochter Ausübung von Leitungsmacht, nicht von Marktmacht. Und im Verhältnis zu Dritten liegt deshalb kein Machtmißbrauch vor, weil Art. 86 EGV ein Handeln auf dem Markt voraussetzt. Daher fragt sich, ob M der Wettbewerbsverstoß von T zurechenbar ist. Man könnte auch daran denken, daß die Verantwortlichkeit der handelnden Tochter möglicherweise deshalb entfällt, weil sie auf Weisung gehandelt hat. Das ist jedoch zu verneinen, weil weder das tatbestandsmäßige noch das schuldhafte Handeln aufgrund der Weisung entfällt67 . Eine Zurechnung kommt zum anderen in Betracht, wenn weder M noch T den Tatbestand von Art. 85 oder Art. 86 EGV voll erfüllen. In diesen Fällen kann die Zurechnung darüber entscheiden, ob der Wettbewerbsverstoß überhaupt geahndet werden kann. Sachverhalte dieser Art sind bei Art. 85 und Art. 86 EGV denkbar. Erstes Beispiel: Mehrere Muttergesellschaften haben sich bei der Preisgestaltung abgestimmt und die Tochtergesellschaften praktizieren das abgestimmte Verhalten. Dann haben weder Mutter noch Tochter allein gegen Art. 85 EGV verstoßen. Denn Art. 85 Abs. I EGV setzt in der Tatbestandsvariante "abgestimmtes Verhalten" sowohl eine Abstimmung als auch ein Verhalten auf dem Markt voraus68 . Die Mütter verstoßen daher nur gegen Art. 85 Abs. I EGV, wenn ihnen das Verhalten der Töchter zurechenbar ist, und die Töchter nur dann, wenn ihnen die Verhaltensabstimmung der Mütter zurechenbar ist. Zweites Beispiel: Vereinbaren die Mutterunternehmen ein Verhalten, das ihre Tochtergesellschaften später praktizieren, so erfüllen die Mutterunternehmen zwar selbst den Tatbestand des Art. 85 Abs. I EGV. Trotzdem stellen sich in zwei Richtungen Zurechnungsfragen. Erstens fragt sich, ob bei der Zu diesen unten E, S. 395 t1'. Aus ordnungswidrigkeitsrechtlicher Sicht ist eine solche Weisung immer unverbindlich (so im Ergebnis auch Steindo1.f, CMLRev. 1972, 502, 507; Lipowsky, S. 157). 68 Gleiss/Hirsch, Art. 85 Rn. 92, 96; allerdings könnte man bereits die abredegemäßen Anweisungen der Mutter an die Tochter als Verhalten ansehen. Dagegen spricht, daß die Ausübung von Handlungsfreiheit für den Wettbewerb erst relevant wird, wenn auf dem Markt gehandelt wird. Abgestimmtes Verhalten im Sinne von Art. 85 EGV muß marktbezogenes Verhalten sein. 66

67

c. Die Zurechnung von Verhalten bei Artt.

85, 86 EGV

371

Bemessung der Geldbuße zulasten der Mütter berücksichtigt werden darf, daß die Töchter das vereinbarte Verhalten praktiziert haben. Das setzt voraus, daß das Verhalten der Tochterunternehmen den Müttern zuzurechnen ist. Zweitens fragt sich, ob auch die Tochterunternehmen gegen Art. 85 Abs. I EGV verstoßen haben. Das ist nur der Fall, wenn man ihnen die Vereinbarung der Muttergesellschaften zurechnen kann. Drittes Beispiel: Mutter und Tochter sind marktbeherrschend. Auf Initiative der Mutter praktizieren sie Verhaltensweisen, die nur in ihrer Gesamtheit mißbräuchlich sind. Dann kommt es darauf an, ob man ihnen wechselseitig ihr Verhalten zurechnen kann. In den drei Beispielsfallen ist die Möglichkeit der Zurechnung also in beide Richtungen zu prüfen: vom Unternehmensträger auf den Anteilsinhaber und umgekehrt (allseitige Zurechnung69). Zurechnung kommt nach alledem in Betracht, wenn der gemeinsam begangene Wettbewerbsverstoß für ein oder gar alle beteiligten Unternehmen deshalb kein eigener Wettbewerbsverstoß ist, weil verbundintern die "Aufgaben" bei der Begehung des Verstoßes verteilt wurden. Zurechnung kommt außerdem bei Verhaltensweisen in Betracht, die unabhängig VOn der Tatbestandserfüllung bei der Bemessung der Geldbuße eine Rolle spielen können. So kann z. B. eine höhere Geldbuße verhängt werden, wenn ein Unternehmen als "Wiederholungstäter" immer wieder gegen die Wettbewerbsregeln verstößt. Diesem Erschwerungsgrund könnten verbundene Unternehmen dadurch entgehen, daß die Wettbewerbsverstöße durch verschiedene Rechtssubjekte begangen werden70 • Umgekehrt kann eine mildere Geldbuße verhängt werden, wenn das den Wettbewerbsverstoß begehende Unternehmen die Ermittlungen der Kommission unterstützt und nicht den Verstoß zu verdecken sucheI. Hier könnten unterstützende Handlungen verbundener Unternehmen zuzurechnen sein. Ein Milderungsgrund ist es auch, wenn das Unternehmen sein bisheriges verbotswidriges Verhalten sofort abstellt72 . Sorgt z. B. eine Muttergesellschaft dafür, daß ihre Töchter Wettbewerbsverstöße sofort beenden, könnte das auch zugunsten der Tochtergesellschaften in die Waagschale fallen 73 .

H. Wiedemann, S. 23. VgI. Kommission, 23.7.1984 -Flachglas Benelux, ABI. 1984 L 212113, 21 (Nr. 53), die hier die Zurechnung bejaht. 71 DanneckeriFischer-Fritsch, S. 327. 72 DanneckerlFischer-Fritsch, S. 327. 73 So im Ergebnis auch Kommission, 7. 12. 1982 - National Panasonic, ABI. 1982 L 354/28, 34 (Nm. 67 - 69). 69

70

24"

372

4. Teil: Der bestehende Untemelunensverbund

b) Gleichbehandlung mit dem Einheitsunternehmen als Zurechnungszweck

Unter welchen Voraussetzungen Verhalten zuzurechnen ist, hängt davon ab. warum die Zurechnung erforderlich ist. Artt. 85. 86 EGV gelten nach ihrem Wortlaut nur für den einzelnen Unternehmensträger. Der Möglichkeit, eine unternehmerische Tätigkeit auf verschiedene Rechtssubjekte zu verteilen, tragen sie nicht Rechnung. Diese Aufgabenteilung kann, wie gezeigt, zu Tatbestandsdefiziten führen. obwohl alle Handlungen zusammengenommen einen Wettbewerbsverstoß ergeben. Es sind also die durch Aufgabenteilung unter verbundenen Unternehmen entstehenden Tatbestandsdefizite. die eine Zurechnung erfordern. Die Zurechnung ist danach erforderlich, um eine sachlich unbegründete Ungleichbehandlung verbundener Unternehmen gegenüber Einheitsunternehmen zu vermeiden. In der Literatur dagegen begründet Lipowsky die verbundspezifische Zurechnung damit, daß verbundinterne Beziehungen und Beziehungen zwischen unabhängigen Unternehmen gleich zu behandeln seien. Die Zurechnung wird als Kompensation dafür verstanden, daß im Unternehmensverbund Art. 85 Abs. I EGV nicht anwendbar sei74 • Gegen diesen Ansatz spricht, daß es für die Ungleichbehandlung von Konzerninnenbeziehungen und Außenbeziehungen einen sachlichen Grund gibt: die einheitliche Ausübung von wettbewerblieher Handlungsfreiheit im Konzern. Man muß nicht erreichen, daß das interne Verhalten verbundener Unternehmen im Ergebnis ebenso erfaßt wird wie das Verhalten unverbundener Unternehmen. Man muß vielmehr erreichen, daß die Funktionsaufspaltung auf mehrere Rechtsträger gegenüber dem Einheitsunternehmen nicht zur sachlich unbegründeten Ungleichbehandlung im Außenverhältnis führt. Deshalb ist nicht zu fragen, ob bei unverbundenen Unternehmen Art. 85 EGV auf die Zusammenarbeit zwischen Mutter und Tochter anwendbar wäre. Es ist vielmehr zu fragen, ob das gemeinsame Verhalten von Mutter und Tochter nach außen zu bewerten ist wie das Verhalten eines Einheitsunternehmens. c) Konsequenzen

aa) Verantwortlichkeit jedes Unternehmensträgers für sein Verhalten Die Gleichbehandlung von Einheitsunternehmen und Unternehmensverbund erfordert es nicht, die Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Verbundunternehmen zugunsten einer Allverantwortlichkeit der Verbundspitze entfallen zu lassen. Verstößt ein Unternehmen gegen Artt. 85, 86 EGV, ohne daß mit ihm verbundene Unternehmen daran beteiligt waren, ist grundsätzlich, das heißt ohne Zurechnung, dieses Unternehmen allein verantwortlich. 74

Lipowsky. S. 206 t1

c. Die Zurechnung von Verhalten bei Artt. 85,86 EGV

373

Verbundene Unternehmen werden gegenüber Einheitsunternehmen weder bevorzugt noch benachteiligt, wenn man als Adressaten der Wettbewerbsregeln den jeweils handelnden Unternehmensträger und nicht immer ein und dasselbe Rechtssubjekt, etwa die Konzernspitze, ansieht. Eine Bevorzugung des Unternehmensverbundes liegt darin grundsätzlich nicht, weil es zulässig ist, Funktionen und Verantwortung auf mehrere Rechtsträger zu verteilen. Diese Aufteilung ist grundsätzlich zu respektieren. Anderes kann dann gelten, wenn ein Unternehmensträger eingesetzt wird, um die Haftung für Wettbewerbsverstöße zu beschränken. Praktisch ist ein solcher Fall allerdings kaum denkbar. Im übrigen wären dann die Voraussetzungen für eine Zurechnung gegeben (siehe sogleich). Zusätzlich könnten auch die nationalen gesellschaftsrechtlichen Durchgriffsregeln helfen. Auch Nachteile entstehen für den Unternehmensverbund nicht, wenn man die Verantwortlichkeit der einzelnen Unternehmen annimmt und nicht die der Konzernspitze. Daß unter Umständen mehrere Unternehmensträger eines Unternehmensverbundes tatbestandsmäßig handeln und damit - bei Verschulden - bußgeldpflichtig sind, wirkt sich auf die Bußgeldhöhe nicht aus. Denn das insgesamt zu entrichtende Bußgeld richtet sich nach der Bedeutung des Wettbewerbsverstoßes in seiner Gesamtheit. Grundsätzlich ist daher auch im Unternehmensverbund jeder Unternehmensträger selbst für sein Verhalten verantwortlich. bb) Zurechnung bei Tatbestandsdefiziten, die durch Aufgabenverteilung im Verbund entstehen Entstehen durch die Aufgabenverteilung im Verbund Tatbestandsdefizite, dann können, wie sich aus den unter a) geschilderten Sachverhalten ergab, verbundene Unternehmen dadurch gegenüber dem Einheitsunternehmen Voroder Nachteile erleiden, daß man ihr Verhalten jeweils isoliert betrachtet und nicht auch das Verhalten von Verbundmitgliedern berücksichtigt. Deutlichstes Beispiel für eine Bevorzugung des Unternehmensverbundes sind solche Fälle, in denen das Handeln jedes einzelnen Unternehmens nicht gegen die Wettbewerbsregeln verstößt, sondern erst ihr Zusammenwirken (Mutterunternehmen stimmen unverbindlich Preise ab, Tochterunternehmen verhalten sich auf dem Markt entsprechend). Die verbundinterne Funktionsaufspaltung darf den Unternehmensverbund nicht in dieser Weise gegenüber dem Einheitsunternehmen privilegieren. Daher sind etwa im genannten Beipielsfall die Verhaltensweisen wechselseitig zuzurechnen, so daß Mutter- und Tochterunternehmen gegen Art. 85 Abs. I EGV verstoßen haben. Es fragt sich, ob hierzu auch die Fälle rechnen, in denen das Tochterunternehmen auf Weisung der Muttergesellschaft einen voll tatbestandsmäßigen

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4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbund

Wettbewerbsverstoß begeht. Dagegen könnte sprechen, daß das Tochterunternehmen zur Verantwortung gezogen werden kann und eine zusätzliche Verantwortung des Mutterunternehmens nicht erforderlich ist. Andererseits darf die Muttergesellschaft nicht dadurch privilegiert werden, daß sie nicht durch eine Betriebsabteilung, sondern durch eine Tochter handelt. Für die Durchsetzbarkeit kartellbehördlicher Verfügungen können der Sitz des Unternehmens sowie dessen Kapitalkraft entscheidend sein. Hinzu kommt, daß es bei Wettbewerbsverstößen mehrerer Tochtergesellschaften effektiver ist, die Muttergesellschaft, die die Verstöße initiiert hat, zur Verantwortung zu ziehen. Gegen die Zurechnung in diesen Fällen spricht auch nicht, daß sie zu einer höheren Geldbuße führen könnte, weil die Geldbuße sich nach dem Umsatz richte 75 • Denn die Kommission legt nicht notwendig den Umsatz des Unternehmens zugrunde, das den Verstoß begangen hat, sondern den für den Wettbewerbsverstoß relevanten Umsatz 76 . Sie hat in einem Fall ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Verantwortlichkeit auch der Muttergesellschaft auf die Höhe der Geldbuße keinen Einfluß gehabt habe77 • Nicht nur im Mutter-Tochter-Verhältnis, sondern auch bei der Kooperation von Schwesterunternehmen kann die Gleichbehandlung mit dem Einheitsunternehmen eine Zurechnung erfordern. Stimmt ein Tochterunternehmen mit Wettbewerbern Preise ab, und wendet auf sein Betreiben hin auch ein weiteres Tochterunternehmen die Preise an, verstößt letzteres mangels Verhaltensabstimmung nicht gegen Art. 85 EGV. Denn mit den Wettbewerbern hat es sein Verhalten nicht abgestimmt und die Verhaltensabstimmung mit dem Schwesterunternehmen verstößt nicht gegen Art. 85 EGV78 . Ihm ist jedoch die Verhaltensabstimmung durch das Schwesterunternehmen zuzurechnen, so daß es durch die Anwendung der Preise einen Wettbewerbsverstoß begeht. Diese Zurechnung ändert nichts daran, daß jeder einzelne Unternehmensträger nur für seinen Tatbeitrag verantwortlich ist. So kann im letzten Beispielsfall der die Preise anwendenden Tochtergesellschaft allein dies untersagt werden. Ebenso kann einer Muttergesellschaft, die Wettbewerbsverstöße der Töchter initiiert hat, nur dies untersagt werden.

75 So das Argument der Rechtsmitte1filhrerinnen gegen die Zurechnung im Fall EuGH, 6. 4. 1995 - BPB Industries und British GypsumIKommission, Slg. 1995 1-865,

871 (Nr. 19 der Schlußanträge des Generalanwalts Leger). 76 So Dannecker/Fischer-Fritsch, S. 270; der dort erwähnten Entscheidung ist das nicht zu entnehmen: Kommission, 27. 11. 1981 - Moet et Chandon, ABI. 1982 L 94/7, 11. 77 Kommission, 25. 11. 1980 - Johnson & Johnson, ABI. 1980 L 377/16, 26 (Nr. 48); vgI. auch Lipowsky, S. 173. 78 Siehe unten E VI 4, S. 417 f.

c. Die Zurechnung von Verhalten bei Artt. 85, 86 EGV

375

cc) Voraussetzungen für die Zurechnung Es fragt sich, unter welchen Voraussetzungen ein Unternehmensverbund einem Einheitsunternehmen gleichzustellen ist. Man könnte hier, wie nach der hier vertretenen Ansicht in den Verbundklauseln der GVOs und der FKVO, darauf abstellen, ob die an dem Verstoß beteiligten Unternehmen einheitlicher Kontrolle im Sinne von Art. 3 Abs. 3 FKVO unterstehen. Enger wäre der Verbundtatbestand, wenn man darauf abstellte, ob die Verbundspitze das Verhalten der verbundenen Unternehmen durch Weisungen beeinflussen kann oder gar beeinflußt hat. Folgt man dem hier vertretenen Ausgangspunkt, daß jedes Verbundunternehmen nur für sein eigenes Verhalten verantwortlich ist und daß nur bei Tatbestandsdefiziten zuzurechnen ist, führt die erstgenannte Möglichkeit zu sachgerechten Ergebnissen. Denn dann kommen nur Unternehmen als Zurechnungssubjekte in Betracht, die durch irgendeine Handlung am Wettbewerbsverstoß beteiligt waren. Steht letzteres fest, dann kann bereits aufgrund der Tatsache, daß die Unternehmen einheitlicher Kontrolle im Sinne von Art. 3 Abs.3 FKVO unterstehen, angenommen werden, daß hinter den einzelnen Handlungen ein einheitlicher Plan steht, diese also zu behandeln sind wie Handlungen eines Einheitsunternehmens79 . Zuzugeben ist, daß diese Annahme verallgemeinernd ist; andererseits ist ein Fall kaum denkbar, in dem sich die Verhaltensweisen in diesem Sinne verbundener Unternehmen rein zufällig zu einem Wettbewerbsverstoß ergänzen. Verlangte man die Erteilung oder die Möglichkeit von Weisungen, käme man bei der Zurechnung zu rechtsformspezifischen Unterschieden. Denn z. B. bei der GmbH sind Weisungen herrschender Gesellschafter möglich, § 46 Nr. 6 GmbHG, bei der AG nicht, § 76 Abs. 1 AktG. Das ist angesichts der Tatsache, daß Konzerntöchter sich auch ohne rechtliche Weisungsmöglichkeiten der Mutter deren Willen fügen, nicht gerechtfertigt. Zudem spricht die Rechtssicherheit dafür, die Zurechnung nicht mit den Unterschieden der zahlreichen Gesellschaftsformen in der EG und gar - was unvermeidbare Folge wäre - mit der Ausgestaltung der einzelnen Gesellschaftsverträge, zu belasten. 79 Dagegen kann man nicht umgekehrt aus der generellen Ausübung von Kontrolle oder gar aus der Kontrollmöglichkeit schließen, daß das kontrollausübende Unternehmen oder das die Kontrollmöglichkeit innehabende Unternehmen einen Wettbewerbsverstoß des verbundenen Unternehmens bestimmend beeinflußt habe. Die generelle Ausübung von Kontrolle kann allenfalls ein Indiz dafür sein, daß auch das verbotene Marktverhalten unter der Kontrolle der Muttergesellschatl stattfand (vgl. auch Rehbinder, S. 497 ff., 501 ff.; bei "policy"-Delikten kommt nach Rehbinder eine Hatlung der Obergesellschatl in Betracht, wenn sie Einfluß auf den Verstoß der Untergesellschatl genommen hat. Nach seiner Terminologie sind die Verstöße gegen Artt. 85, 86 EGV wohl in der Regel "policy"-Delikte, weil der Wettbewerbsverstoß häufig auf einer geschätlspolitischen Entscheidung beruht.).

376

4. Teil: Der bestehende UntemehmensverbWld

dd) Beteiligung am Wettbewerbsverstoß durch Unterlassen? Nach dem bisher Gesagten kann nur ein am Wettbewerbsverstoß beteiligtes Unternehmen gegen Artt. 85, 86 EGV verstoßen. Fraglich ist, ob die Beteiligung auch darin bestehen kann, daß ein Wettbewerbsverstoß nicht verhindert wird. An die Stelle einer Beteiligungshandlung träte die Nichterfüllung der Pflicht zur Verhinderung des konkreten Wettbewerbsverstoßes. In der Literatur wird zum Teil ohne nähere Begründung angenommen, daß Wettbewerbsverstöße auch durch Unterlassen begangen werden können80 . Speziell bei verbundenen Unternehmen wird eine GarantensteIlung der Muttergesellschaft für den Fall für möglich gehalten, daß die Muttergesellschaft tatsächlich die Kontrolle über die Tochtergesellschaft ausübt81 . Auch der EuGH hat in einer Entscheidung von der Pflicht eines Unternehmens gesprochen, Wettbewerbsverstöße anderer Unternehmen zu verhindern82 . Die Firma Pioneer hatte ein Treffen ihrer Alleinvertriebshändler organisiert, bei dem die Verhinderung von Paralleleinfuhren erörtert werden sollte. In Folge diese Treffens nahmen Händler Exportverbote in ihre Verträge auf. Ob Pioneer hierzu aufgefordert hatte, war in einem Fall nicht nachweisbar. Der EuGH führte aus, Pioneer sei hier für die Verhaltensabstimmung verantwortlich, weil es das Treffen organisiert habe und die Vertriebspolitik der Händler insgesamt koordiniere. Deshalb habe Pioneer zumindest Vereinbarungen über Exportverbote verhindern müssen. Hier scheint der EuGH eine GarantensteIlung von Pioneer für die Vertriebshändler anzunehmen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß Pioneer durch Anberaumung des Treffens, dessen Thema die Problematik der Parallelimporte war, aktiv zum Wettbewerbsverstoß beigetragen hatte. Außerdem war erwiesen, daß Pioneer einen Händler zu dem Exportverbot aufgefordert hatte. Es gab also Indizien dafür, daß Pioneer auch den anderen Händler entsprechend beeinflußt hatte. Hinzu kommt ein Argument, daß die Kommission in einem vergleichbaren Fall einmal verwendet hat83 . Das Zusammenwirken mehrerer Händler zur Verhinderung von Parallelexporten läßt sich nur damit erklären, daß es auf einer übergreifenden Geschäftspolitik beruht. Denn der einzelne Händler hat kein Interesse daran, seinen Absatz durch Exportverbote gegenüber seinen Abnehmern zu schmälern. Er wird dazu nur bereit sein, DanneckerlFischer-Fritsch, S. 275. Lipowsky, S. 241 f., die ihre Ansicht auf Parallelen zur GarantensteIlung des Betriebsleiters stützt. 82 EuGH, 7.6. 1983 - Musique Diffusion Franyaise-PioneerlKommission, Slg. 1983, 1825, 1898 (Nm. 75,76). 83 Kommission, 25. 11. 1980 - Johnson & Johnson, ABI. 1980 L 377/16, 26 (Nr. 47). 80

81

c. DIe Zurechnung von Verhalten bei Artt. 85,86 EGV

377

wenn er dann gleichennaßen vor Parallelimporten geschützt ist. Nach alldem hätte der EuGH besser darauf abgestellt, daß er eine aktive Unterstützung durch Pioneer fiir erwiesen hielt, als einen Wettbewerbsverstoß durch Unterlassen anzunehmen. Unzweifelhaft ist, daß bestimmte Unterlassungen selbst Wettbewerbsverstöße sein können, wie z. B. die Nichtbelieferung durch einen Marktbeherrscher. Eine andere Frage ist, ob die Nichtverhinderung eines Verstoßes zu behandeln ist wie ein eigener Verstoß. Das setzt voraus, daß das Unterlassen wertungsmäßig einem Tun gleichsteht. Das wiederum ist nur der Fall, wenn eine Pflicht zur Verhinderung des Wettbewerbsverstoßes besteht. Im Unternehmensverbund kann eine solche Pflicht nur im Verhältnis des Kontrollinhabers zum kontrollierten Unternehmen bestehen. Denn nur in diesem Verhältnis kann Einfluß ausgeübt werden. Eine generelle Pflicht des herrschenden Unternehmens, Wettbewerbsverstöße des beherrschten Unternehmens zu verhindern, besteht nicht. Sie anzunehmen hätte zur Folge, daß das Kartellrecht eine punktuelle Pflicht zur Konzernleitung begründete, die zuInindest Init dem deutschen Gesellschaftsrecht nicht ohne weiteres vereinbar wäre84 . Eine solche Pflicht besteht auch dann nicht, wenn das herrschende Unternehmen die Kontrolle tatsächlich ausübt. Denn ist die Kontrolle intensiv, wird die Tochter die Mutter über alle Pläne infonnieren. Die Tochtergesellschaft macht durch die Einschaltung der Muttergesellschaft die Vornahme der wettbewerbsbeschränkenden Handlung von der Zustimmung der Muttergesellschaft abhängig. Dann liegt in der Billigung des Verhaltens der Tochterunternehmen aber ein der Weisung vergleichbares aktives Tun85 . Dieses führt zur Zurechnung des Verhaltens der Töchter. Ist die Kontrolle weniger intensiv, wird die Tochter die Mutter nicht inforInieren. Eine Pflicht der Mutter zur Überwachung der Tochter ist dann aus den genannten Gründen nicht anzunehmen. 5. Zurechnung bei Gemeinschaftsunternehmen Bei GU sind zwei Zurechnungsmöglichkeiten zu erörtern. Zum einen ist zu erwägen, ob im Verhältnis des GU zur einzelnen GU-Mutter Verhalten zuzurechnen ist. Zum anderen fragt sich, ob im Verhältnis des GU zu der Gesamtheit der Mütter Verhalten zuzurechnen ist. 84 Geßler, in: GeßlerlHefermehlJEckardtlKropff, § 308 Rn. 61; im Grundsatz a. A. Hommelhoff, Konzernleitungspt1icht, passim. 85 Für die allgemeine deliktische Haftung im deutschen Recht ebenso Rehbinder, S.503.

378

4. Teil: Der bestehende Dnternehrnensverbund

a) Im Verhältnis des Gemeinschaftsunternehmens zum einzelnen Mutterunternehmen

Zurechnung setzt nach dem oben Gesagten voraus, daß die Dnternehmensträger unter einheitlicher Kontrolle stehen. Das ist bei der einzelnen GDMutter und dem GD nicht der Fall. Deshalb scheidet es aus, sie wie ein Einheitsunternehmen zu behandeln. Vereinbart also eine Muttergesellschaft mit dem GU, daß es bestimmte wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen vornehmen solle, so sind der Mutter diese Maßnahmen nicht wie eigene zuzurechnen. Auch dem GD ist umgekehrt nicht ein Verhalten der einzelnen MuttergeseIlschaft zuzurechnen, welches diese im Zusammenhang mit einem Wettbewerbsverstoß des GU an den Tag legt. Dieses Ergebnis wird dadurch bestätigt, daß im Rahmen von Art. 85 Abs. I EGV das Verhältnis von GU und einzelner Mutter kein konzerninternes, also kein gegenüber Art. 85 Abs. I EGV immunes Verhältnis ist86 . b) Im Verhältnis des Gemeinschaftsunternehmens zur Gesamtheit der Mütter

Bestimmen beide (alle87 ) Mütter das GD zu einem Wettbewerbsverstoß, könnte den GU-Müttern in ihrer Gesamtheit das Verhalten des GD zuzurechnen sein. Ebenso könnte umgekehrt dem GD gemeinsames Verhalten der Mütter im Zusammenhang mit dem Wettbewerbsverstoß zuzurechnen sein. Sicher zu bejahen ist die Zurechnung, wenn zwei Muttergesellschaften mehrere GD kontrollieren. Das gemeinsame Vorgehen in dem einen GD und das Vorgehen in dem anderen GD stehen unter dem einheitlichen Einfluß der Mütter. Das Verhalten des einen GU ist dem anderen zuzurechnen. Denn die Situation ist der bei einem Einheitsunternehmen vergleichbar. Die Tätigkeit der GU dan nicht anders behandelt werden, als wenn die Mütter sie nicht auf mehrere GD verteilt, sondern einem GD übertragen hätten. Das führt dazu, daß GD-Netze derselben Mütter bei der Beurteilung von Wettbewerbsverstößen einer Gesamtbetrachtung zu unterziehen sind. Eine Zurechnung zwischen gemeinsamer Tätigkeit der Mütter und GU findet auch statt, wenn die Mütter gemeinsam eine Wettbewerbsverstoß begehen, für dessen Beurteilung auch das Verhalten des GU von Bedeutung ist. Denn auch hier ist ein unabhängiges Vorgehen der gemeinsam am Wettbewerbsverstoß beteiligten Mütter einerseits und des GD andererseits nicht denkbar. Stimmen z. B. A und B ihre Preise ab, wenden aber nicht nur A und B, sonS. unten E, S. 395 ff. hn folgenden wird als Beispiel ein paritätisches GD zweier Mütter gewählt. Die Ausftlhrungen geIten ebenso fiIr GD, die von mehreren Müttern kontrolliert werden. 86 87

C Die Zurechnung von Verhalten bei Artt. 85, 86 EGV

379

dem auch ihr gemeinsames GU diese Preise an, dann ist A und B das Verhalten des GU und dem GU das Verhalten von A und B zuzurechnen. c)

Einordnung der Kommissionspraxis bei Gemeinschaftsunternehmen

Es fragt sich, inwieweit die eingangs geschilderte Kommissionspraxis bei GU mit den gefundenen Ergebnissen übereinstimmt. Unproblematisch ist der Fall des GU "90 Tour Italia,,88. Hier waren die Mütter gemeinsam und das GU an der Vereinbarung über den Alleinvertrieb beteiligt, so daß man auch ohne Zurechnung zu einer Verantwortlichkeit aller Beteiligten kam. Dagegen war das auf der anderen Seite der Vereinbarungen stehende GU "COL" allein Vertragspartner, nicht seine Muttergesellschaften89 . Die Kommission rechnete den Müttern das Verhalten wegen ihrer gemeinsamen Kontrolle über das GU zu. Die gemeinsame Kontrolle führe dazu, daß das GU nicht unabhängig von seinen Muttergesellschaften habe handeln können. Eine echte gemeinsame Kontrolle im Sinne der FKVO hatten die FIFA und FIGC jedoch nicht. FIGC hatte im GU die Mehrheit, aber die FIFA hatte das Letztentscheidungsrecht über alle Grundsatzentscheidungen einschließlich des Eintrittskartenvertriebs. Kontrolle hatte damit allein die FIFA. Damit richtet sich die Zurechnung nicht nach den Regeln für GU, sondern nach den Regeln für alleinige Kontrolle. Der FIFA war das Verhalten von COL nur zuzurechnen, wenn sie selbst zu dem Wettbewerbsverstoß beigetragen hatte. Das war hier der Fall, weil die von COL mit 90 Tour Italia getroffene Vereinbarung über die Kartenverkaufspolitik erst durch die Genehmigung der FIFA wirksam wurde90 . FIGC dagegen hat keinen Wettbewerbsverstoß begangen. Das Verhalten von COL ist ihr nicht zurechenbar, weil FIGC keine Kontrolle über COL hatte. Ihre eigene Mitwirkung an der Vereinbarung über die Kartenverkaufspolitik erfüllt nicht den Tatbestand des Art. 85 oder des Art. 86 EGY. Ihre Mitwirkung stellt sich als reine Beihilfe zu den Wettbewerbsverstößen von FIFA und COL dar. Eine solche Beihilfehandlung ist kein Wettbewerbsverstoß. Im Fall "LDPE,,91 ließ sich die Zurechnung damit begründen, daß das Verhalten mehrerer GU derselben Mütter einer Gesamtbetrachtung zu unterziehen 88 Kommission, 27. 10. 1992 - Distribution of package tOUfS during 1990 World Cup, ABI. 1992 L 326/31, 37 (Nm. 61 ff.). 89 Kommission, 27. 10. 1992 - Distribution of package tOUfS during 1990 World Cup, ABI. 1992 L 326/31, 37 (Nm. 65 ff.). 90 Kommission, 27. 10. 1992 - Distribution of package tOUfS during 1990 World Cup, ABI. 1992 L 326/31, 37 (Nm. 72, 73). 91 Kommission, 21. 12. 1988 - LDPE, ABI. 1989 L 74/21,37 (Nr. 56).

380

4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbund

ist. Jedem GU. das an dem Wettbewerbsverstoß beteiligt ist, ist das Verhalten der anderen GU im Zusammenhang mit dem Wettbewerbsverstoß zuzurechnen. Dementsprechend konnte die Kommission dem GU. das für die Koordination zuständig war und mit dem Kartell in Verbindung gestanden hatte, das Verhalten der anderen GU zurechnen. Sie hätte auch den anderen GU das Verhalten des koordinierenden GU zurechnen können. Welches GU sie zur Verantwortung zog, lag 10 ihrem Verfolgungsermessen. Im Fall "Peroxyd"92 wird aus dem Sachverhalt nicht deutlich. ob die wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen im Namen der Interox-GU oder gemeinsam von deren Muttergesellschaften getroffen wurden. Beides läßt sich aufgrund der personellen Verflechtungen auch nicht trennen. Denn für die GU handelte ein Ausschuß, der aus Direktoren der Muttergesellschaften bestand. Daher waren sowohl die Mütter gemeinsam als auch die GU am Wettbewerbsverstoß beteiligt93. Die Kommission konnte sich darauf beschränken. nur die Mütter gemeinsam zur Verantwortung zu ziehen. Den Müttern war dann die Durchführung der wettbewerbsbeschränkenden Abreden durch das GU zuzurechnen, soweit sie nicht ohnehin selber darüber entschieden.

V. Ergebnis zu C. Die verbundinterne Verteilung von Aufgaben auf verschiedene Rechtsträger darf kartellrechtlich weder zur Bevorzugung noch zur Benachteiligung des Unternehmensverbundes gegenüber dem Einheitsunternehmen führen. Daher ist unter bestimmten Voraussetzungen einem Unternehmen das Verhalten mit ihm verbundener Unternehmen zuzurechnen. Diese Zurechnung findet, soweit es um die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens nach Artt. 85, 86 EGV geht, unabhängig davon statt, ob verwaltungsrechtliche, zivilrechtliche oder ordnungswidrigkeitsrechtliche Folgen des Wettbewerbsverstoßes in Betracht kommen. Die Voraussetzungen der Zurechnung ergeben sich aus ihrem Sinn, die Gleichbehandlung mit dem Einheitsunternehmen zu gewährleisten. Grundsätzlich haftet jeder Unternehmensträger auch dann für sein eigenes Tun, wenn er einem Unternehmensverbund angehört. Der Unternehmensverbund ist hierdurch gegenüber dem Einheitsunternehmen weder benachteiligt noch bevorzugt. Sind mehrere für einen Wettbewerbsverstoß relevante Verhaltenswei-

92

Kommission. 23. 11. 1984 - Peroxyd-Produkte, ABI. 1985 L 35/1, 14 (Nr. 49).

93 VgI. zur deliktischen Verantwortlichkeit der Obergesellschaft bei personeller

Vertlechtung (nach deutschem Recht) Rehbinder. S. 503.

D. Die Zurechnung bei der Prognose gemäß Art. 2 FKVO

381

sen jedoch auf mehrere Unternehmensträger des Verbundes verteilt, ist bei Tatbestandsdefiziten diesen ihr Verhalten allseitig zuzurechnen. Die Zurechnung findet zwischen Unternehmen statt, die durch ein Band einheitlicher alleiniger Kontrolle oder einheitlicher gemeinsamer Kontrolle derselben Mütter verbunden sind. Kontrolle ist hier im Sinne des Art. 3 Abs. 3 FKVO FKVO zu verstehen. Zwischen einem GU und seinen Mutterunternehmen in ihrer Gesamtheit findet außerdem Zurechnung statt, soweit die Mutterunternehmen außerhalb des GU gemeinsam - z. B. im Wege einer Kartellvereinbarung - vorgehen. Diese Zurechnungsregeln decken sich mit denjenigen der Verbundklauseln der GVOs. Letztere sind damit normierter Ausdruck eines Artt. 85, 86 EGV zugrundeliegenden Prinzips. Welchen von mehreren an einem Wettbewerbsverstoß beteiligten Unternehmensträgern die Kommission zur Verantwortung zieht, steht in ihrem Verfolgungsermessen. Am sinnvollsten ist es in der Regel, denjenigen Unternehmensträger zu wählen, der den gesamten Verstoß geplant hat und umsetzen ließ. Ein weiteres Kriterium für die Wahl des heranzuziehenden Unternehmensträgers ist die Durchsetzbarkeit der Entscheidung. Diese Zurechnungsregeln sind weiter als die Formel des EuGH, die ganz auf ein Mutter-Tochterverhältnis zielt. Sie sind enger als die Zurechnung in der Kommissionspraxis, da sie stets ein Mitwirken an dem zu beurteilenden Wettbewerbsverstoß voraussetzen.

D. Die Zurechnung von Marktanteilen und wirtschaftlicher Macht bei der Prognose gemäß Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO I. Das Problem Nach Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO ist zu prüfen, ob der Zusammenschluß eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt. Hierbei handelt es sich um eine Prognoseentscheidung. Es ist zu unterstellen, daß der geplante Zusammenschluß vollzogen sei. Die Marktmacht der zusammengeschlossenen Unternehmen auf dem Markt ist zu beurteilen. Art. 2 Abs. I lit. b FKVO nennt verschiedene Kriterien, anhand derer die Marktmacht zu bewerten ist. Einige der Kriterien sind unternehmensbezogen: die MarktsteIlung der beteiligten Unternehmen (womit insbesondere die Marktanteile gemeint sind), ihre wirtschaftliche Macht, ihre Finanzkraft sowie ihr Zugang zu den Absatz- und BeschaffungsmärktenI. Die wirtschaftliche Macht umfaßt als Oberbegriff die I Der Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 lit. b FKVO ist hier insofern nicht geglückt, als sich das Tatbestandsmerkmal ". ..ihren Zugang zu den Beschaffungs- und Absatzmärk-

382

4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbund

Finanzkraft, den Zugang zu den Absatz- und Beschaffungsmärkten sowie sonstige Elemente wie z. B. Kapazitäten und Fähigkeiten in Forschung und Entwicklung, Produktion und Vertrieb. Die Marktanteile sind ein Maßstab für das Bestehen wirtschaftlicher Macht. Bei der Beurteilung nach Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO ist zu klären, inwieweit den Beteiligten die Marktanteile und die wirtschaftliche Macht verbundener Unternehmen zuzurechnen sind. Diese Frage stellt sich zum einen hinsichtlich solcher Unternehmensverbindungen, die unabhängig von dem Zusammenschluß schon bestehen. So fragt sich z.8., ob einem zusammenschlußbeteiligten Unternehmen die Marktanteile seiner Muttergesellschaften zuzurechnen sind. Zum anderen ist zu erörtern, inwieweit der Zusammenschluß dazu führt, daß die Marktanteile und die wirtschaftliche Macht der beteiligten Unternehmen diesen wechselseitig zuzurechnen sind. Erwirbt z. B. ein Unternehmen ein anderes zu 100%, so bestehen keine Zweifel daran, daß die wirtschaftliche Macht beider Unternehmen zu addieren, das heißt wechselseitig zuzurechnen ist2 .

11. Lösungsansätze 1. Art. 5 Abs. 4, Abs. 5 FKVO Art. 5 Abs.4, Abs.5 FKVO gelten nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur für die Berechnung des Umsatzes eines beteiligten Unternehmen im Sinne von Art. lAbs. 2 und 3 FKVO. In Betracht kommt daher allenfalls eine analoge Anwendung von Art. 5 Abs. 4, Abs.5 FKVO im Rahmen von Art. 2 Abs. 2, Abs.3 FKVO. In der Literatur herrscht die Ansicht vor, die Zurechnung von Marktrnacht und Marktanteilen habe andere Voraussetzungen als Art. 5

ten" auf die unmittelbar zuvor erwähnten Lieferanten und Abnehmer zu beziehen scheint (Löffler, in: LangenJBunte, Art. 2 Rn. 154); etwas klarer, wenn auch nicht ganz eindeutig, sind der englische, franzäsiche und italienische Text. Daß es sich um ein Redaktionsversehen handeln muß, ergibt sich daraus, daß das Tatbestandsmerkmal andernfalls gegenüber demjenigen der Wahlmäglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer keine selbständige Bedeutung mehr hätte. Außerdem hat der Zugang der Beteiligten zu den Absatz- und Beschafttingsmärkten unzweifelhaft für ihre MarktsteIlung erhebliche Bedeutung (Kirchhof!. BB 1990, Beilage 14, 7). 2 Im letztgenannten Fall geht es zwar nicht um die Beurteilung eines bestehenden Unternehmensverbundes, sondern eines entstehenden Unternehmensverbundes (siehe die Überschrift zum 4. Teil). Bei Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 ist jedoch zu prüfen, wie die Marktstruktur aussähe, wenn der Zusammenschluß vollzogen wäre, also der Unternehmensverbund bestünde.

D. Die Zurechnung bei der Prognose gemäß Art. 2 FKVO

383

Abs. 4 FKV03 . Dagegen ist die Kommission der Auffassung, daß die Zurechnung der Umsätze einer Unternehmensgruppe parallel laufe mit der Zurechnung von Marktstellung, wirtschaftlicher Macht und Finanzkraft einer Unternehmensgruppe im Rahmen von Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKV04 . Die Kommission hält bei Art. 5 Abs. 4 FKVO wie bei Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO für entscheidend, daß eine wirtschaftliche Einheit vorliege. 2. Verbundklauseln der GVOs Die Verbundklauseln der GVOs könnten im Rahmen von Art. 2 Abs.2, Abs.3 FKVO ebenfalls nur entsprechend angewendet werden. Einige Verbundklauseln beziehen sich auch ausdrucklich auf die Zurechnung von Marktanteilen (Art. 9 Abs. I 2 VO 418/85; Art. 16 Abs. 12 VO 3932/92; Art. 7 VO 417/85 i. V. m. Art. 3 Abs. llit. a, Abs. 2lit. a VO 417/85). Da die Verbundtatbestände der Verbundklauseln der GVOs dem des Art. 5 Abs.4, Abs.5 FKVO bis auf einen alle entsprechen, führte dieser Weg zum selben Ergebnis wie die Analogie zu Art. 5 Abs. 4, Abs. 5 FKVO. Denkbar wäre auch eine Gesamtanalogie zu allen Verbundklauseln des EG-Kartellrechts. 3. Regeln über die sogenannten "konzerninternen Vereinbarungen" Ein Vorschlag in der Literatur geht dahin, die Regeln über konzerninterne Vereinbarungen heranzuziehen. Bildeten mehrere Unternehmen eine wirtschaftliche Einheit, innerhalb derer Art. 85 EGV unanwendbar sei, so sei die Marktstellung dieser Einheit insgesamt zu bewerten6 . 4. Art. 3 Abs. 3 FKVO Es fragt sich, ob sich möglicherweise schon aus dem Kontrolltatbestand des Art. 3 FKVO ergibt, daß die Marktstellung der beteiligten Unternehmen ihnen wechselseitig zuzurechnen ist. In der Literatur wird das zum Teil angenom-

3 Rozas Va/des, Case Note zu Kommission, 29.4. 1991 - ElflErtoil, in: MCR, S. 144.1 f.; Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, Vor § 23 Rn. 121; Röhling, ZIP 1990, 1179, 1182; vgI. auch DrauziSchroeder, S. 24 unten, wonach die Zurechnung von Umsätzen "ähnliche" Probleme wie der Kontrollerwerb und die Zurechnung von Marktanteilen mit sich bringe. 4 Kommission, Mitteilung über den Begriff der beteiligten Unternehmen, Nm. 9 und 10. s Kommission, 14.12.1993 -Kali+SalzlMdKffreuhand, ABI. 1994 L 186/38, 39 (Nr. 9). 6 Röhling, ZIP 1990, 1179, 1182.

384

4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbund

men. Der Kontrollerwerb im Sinne von Art. 3 FKVO führe regelmäßig dazu, daß die Zusammenschlußbeteiligten durch den Zusammenschluß zu einer wirtschaftlichen Einheit verschmolzen würden7 : andere Fälle seien kaum denkbar8 . Die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit führt zu voller wechselseitiger Zurechnung von wirtschaftlicher Macht. Man bewertet dann die Marktstellung der neuen zusammengeschlossenen Einheit. Daß aus dem Kontrollerwerb eine Zurechnung der Marktmacht folgt, ist jedoch nicht zwingend. Denkbar wäre es auch, bei der Prüfung, ob der Zusammenschluß eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt, danach zu unterscheiden, wie stark der bestimmende Einfluß ist. Im Falle eines IOO%igen Anteilserwerbs würde man dann zu dem Ergebnis kommen, daß Erwerber und Zielunternehmen als Einheit zu behandeln sind, mit wechselseitiger Zurechnung der MarktsteIlung. Beim Erwerb nur gemeinsamer Kontrolle würde man aber berücksichtigen, daß die Kontrolle nur in einer Blockadeposition besteht, also nicht jede GU-Mutter nach ihrem Gutdünken über den Einsatz der unternehmerischen Ressourcen entscheiden kann. Man würde daher nicht jede Mutter und das GU als Einheit bewerten. Man würde vielmehr für jedes beteiligte Unternehmen, also jede Mutter und das GU, einzeln prüfen, ob eines von ihnen durch den Kontrollerwerb eine marktbeherrschende Stellung erlangt. Dabei wäre im einzelnen zu untersuchen, welche Einflußmöglichkeitenjeder Beteiligte hat9 .

Kögel, S. 361; vgl. auch Zäch, S. 369. MontaglDohms, WuW 1993, 93, 95; ebenso die herrschende Meinung zu § 23 Abs. 2 Nr. 5 GWB, der dem Tatbestand des Art. 3 Abs. 1, Abs. 3 vergleichbar ist: Harms, in: Gemeinschaflskommentar, § 24 Rn. 160; Mestmäcker, in: Immenga/ Mestmäcker, § 24 Rn. 12; Fischer, S. 138 ff.; siehe auch Begründung zum RegE 1971, BT-Drs. W2520, S. 27: Marktanteilsaddition im Rahmen des alten § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 (Marktanteil als Aufgreifkriterium); einschränkend G. Huber, WuW 1975, 371, 376 f.; anderer Ansicht KleinmanniBechtold, § 24 Rn. 50. 9 Zu diesen beiden Wegen Ball/Wissel, WRP 1979, 609 ff.; Harms, in: Gemeinschaftskommentar, § 24 Rn. 70, der allerdings abweichend von der hier verwandten Terminologie die hier so genannten Fälle der Zurechnung mit dem Stichwort "Addition" kennzeichnet, die Fälle der Einze1betrachtung (die hier gerade eine Ablehnung der Zurechnung implizieren) mit dem Stichwort "Zurechnung". Vermutlich rührt Harms' Terminologie daher, daß er Konzernunternehmen im Verhältnis zueinander nicht als Unternehmen ansieht und deshalb die Rechtsfigur der Zurechnung in ihrem Verhältnis nicht anwenden kann. 7

8

D. Die Zurechnung bei der Prognose gemäß Art. 2 FKVO

385

IH. Stellungnahme 1. Abzulehnende Ansätze

Es bestehen Bedenken dagegen, die Zurechnungsfragen bei Art. 2 Abs. 2, Abs.3 FKVO nach den von Kommission, Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätzen des sogenannten konzerninternen Wettbewerbs zu lösen. Denn die Voraussetzungen, unter denen Wettbewerbsbeschränkungen im Unternehmensverbund nicht Art. 85 EGV unterfallen, sind nach dem gegenwärtigen Stand von Praxis und Literatur nicht als vollständig geklärt anzusehen. Es wären daher zunächst die Voraussetzungen zu klären, unter denen verbundinterne Vereinbarungen nicht unter Art. 85 EGV fallen. Weiter wäre zu prüfen, ob der Bereich konzerninternen Wettbewerbs zwingend mit dem der Zurechnung wirtschaftlicher Macht parallel laufen muß. Dem wird unter E nachgegangen. Auch der Ansicht, wonach jeder Kontrollerwerb nach Art. 3 FKVO zur Entstehung einer wirtschaftlichen Einheit und damit zur Zurechnung führt, ist nicht zu folgen. Art. 3 FKVO soll Sachverhalte beschreiben, die als Konzentrationsvorgänge der Zusammenschlußkontrolle unterfallen. Daß ein Konzentrationsvorgang vorliegt, sagt jedoch nichts darüber, ob die zusammengeschlossenen Unternehmen bei der Bewertung ihrer Marktmacht wie ein Unternehmen anzusehen sind. Das wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen führt, daß Art. 3 FKVO nicht nur die reinen Konzentrationssachverhalte erfaßt, bei denen Ressourcen unter einheitlichem Einfluß zusammengefaßt werden. Daher trifft Art. 3 FKVO nach seinem Sinn und Zweck keine Aussage darüber, ob den Zusammenschlußbeteiligten ihre Ressourcen wechselseitig zuzurechnen sind. 2. Gesamtanalogie zu den Verbundklauseln Es bleibt die Lösung, Art. 5 Abs. 4, Abs. 5 FKVO oder die Verbundklauseln der GVOs oder alle diese Regelungen in ihrer Gesamtheit im Rahmen von Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO analog anzuwenden. Am nächsten liegt meines Erachtens eine Gesamtanalogie zu allen Verbundklauseln des europäischen Kartellrechts. Eine solche Gesamtanalogie setzt voraus, daß die Interessenlage bei der Zurechnung im Rahmen von Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO derjenigen bei den Verbundklauseln entspricht. a) Interessen lage bei der Zurechnung nach den Verbundklauseln

Nach dem oben Gesagten wird in den Verbundklauseln unternehmerisches Verhalten zugerechnet. Damit findet eine Gesamtbetrachtung des Unterneh25 Pohlmann

4. Teil: Der bestehende Unternehmens verbund

386

mensverbundes statt. Sowohl die aus der unternehmerischen Tätigkeit fließende wirtschaftliche Macht der Beteiligten, die bei Umsatz- und Marktanteilsschwellen eine Rolle spielt, als auch konkrete Verhaltensweisen sind zuzurechnen. Dem liegt durchgängig der Gedanke zugrunde, daß die wirtschaftli che Macht sowie das Handeln eines Unternehmensverbundes nur zutreffend bewertet werden kann, wenn man Unternehmen, die unter einheitlicher Kontrolle stehen, ihre unternehmerische Tätigkeit allseitig zurechnet. Nur dann ist die erforderliche Gleichbehandlung mit dem Einheitsunternehmen gewährleistet. b) Interessenlage bei Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO

Auch bei Art. 2 FKVO soll die wirtschaftliche Macht der Unternehmen, so wie sie nach dem Zusammenschluß bestünde, gemessen werden. Die entscheidende "Machtschwelle" ist hier jedoch nicht in Umsätzen oder Marktanteilen festgelegtIO, sondern durch das Tatbestandsmerkmal der Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung. Hierfür sind die Marktanteile der Unternehmen jedoch eines der wichtigsten Kriterien. Neben dem Marktanteil gibt es eine Vielzahl anderer unternehmensbezogener Kriterien zur Bewertung der Marktmacht eines Unternehmens. Das sind die in Art. 2 Abs. 1 lit. b genannten Kriterien der Finanzkraft und des Zugangs zu den Absatzund Beschaffungsmärkten sowie weitere Kriterien wie Vorteile durch komplementäre Tätigkeit auf anderen MärktenIl , die Innehabung von Schutzrechten l2 , Anpassungsflexibilitätl3 , technologische Vorsprünge l4 sowie die weiteren oben im 1. Teil genannten unternehmensbezogenen Marktstrukturmerkmale l5 . Es geht also im Rahmen von Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO nicht anders als bei den Verbundklauseln um die Zurechnung unternehmerischen Verhaltens, sei es in Form der Zurechnung von Marktanteilen, sei es in Form der Zurechnung anderer Elemente unternehmerischer Tätigkeit. Auch bei Art. 2 Abs. 2, Abs.3 FKVO ist zu gewährleisten, daß die Verteilung unternehmerischer Funktionen auf mehrere Rechtssubjekte weder zu einer sachlich unbegründeten Bevorzugung noch zu einer sachlich unbegründeten Benachteiligung des Unternehmensverbundes gegenüber dem Einheitsunternehmen führt. 10 Siehe aber Erwägungsgrund 15: Marktanteil von bis zu 25 % ist ein Indiz dafiir, daß der Zusammenschluß nicht geeignet ist, wirksamen Wettbewerb zu verhindern. 11 DrauziSchroeder, S. 129 tT. 12 DrauziSchroeder, S. 125 (Marktzutrittsschranke). 13 Vgl. § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB; I. Schmidt, S. 52 f 14 I. Schmidt, S. 52 f 15 1. Teil D 2, S. 80 fT.

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D. Die Zurechnung bei der Prognose gemäß Art. 2 FKVO

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Das spricht dafür, daß die Interessenlage bei Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO deIjenigen bei den Verbundklauseln der GVOs vergleichbar ist. Die Verbundklauseln wären danach im Rahmen von Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO entsprechend anwendbar. Ob diese Gesamtanalogie im Ergebnis überzeugt, soll im folgenden anhand verschiedener Fallgruppen erörtert werden, die in der Kommissionspraxis zutage getreten sind.

IV. Fallgruppen in der Kommissionspraxis 1. Zurechnung bei alleiniger positiver Kontrolle Erlangt ein Unternehmen alleinige positive Kontrolle über ein anderes Unternehmen, dann führt das nach der Praxis der Kommission stets dazu, daß im Rahmen des Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO die wirtschaftliche Macht beiden Unternehmen wechselseitig zuzurechnen ist. Beide Unternehmen werden als Einheit behandelt. Die Kommission prüft nicht mehr im einzelnen, welche wirtschaftlichen Machtfaktoren des Zielunternehmens dem Erwerber zugute kommen könnten. Sie prüft auch nicht mehr, wie stark die Position des Kontrollerwerbers ist. Sie berücksichtigt z. B. nicht, ob ein starker Minderheitsgesellschafter existiertl6 , so daß Anteilserwerbe von 50% plus eine Aktie bis 100% gleich behandelt werden. Auch die unterschiedliche Intensität der alleinigen Kontrolle, die aus der Rechtsform des Unternehmensträgers folgt (Bsp.: Weisungsrecht bei der GmbH, Einfluß auf die Besetzung des Vorstands über die Wahl des Aufsichtsrats bei der AG), berücksichtigt die Kommission nicht. Die analoge Anwendung der Verbundklauseln würde zu anderen Ergebnissen führen, wenn man für sie an dem formalen Mehrheitsprinzip festhielte. Denn dann würde z. B. der Einfluß eines Inhabers der Kapitalmehrheit zur vollen Zurechnung führen, auch wenn er nur eine Stimmrechtsminderheit und damit keinen bestimmenden Einfluß hätte. Folgt man dagegen der oben für Art. 5 Abs. 4 FKVO und für die Verbundklauseln der GVOs vertretenen teleologischen Reduktion der Verbundklau16 Z. B. Kommission, 5.8. 1992 - Pepsico/General Mills, WuWIE EV 2006, 2007 (Nr. 7): 59,9% beim Kontrollerwerber und 40,5% plus besonderer Vetorechte beim Minderheitsgesellschafter; dies., 5. 4. 1993 - GEHE/OCP, WuWIE EV 2017, 2019 (Nr. 11): Kontrollerwerber 50,1 %, Minderheitsgesellschafter 49,9%; dies., 15. 3. 1993 - SanofIlYves Saint Laurent, WuWIE EV 2021, 2022 (Nr. 10): Kontrollerwerber 51,6%, Minderheitsgesellschafter mit 32,9% und 15,5%; dies., 11. 1. 1993 - Cn!dit Lyonnais/BFG-Bank, WuWIE EV 2024, 2025 (Nm. 11 ff.): Kontrollerwerber 50% plus eine Aktie, Minderheitsgesellschafter hielt den Rest. 25*

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4. Teil: Der bestehende Unternehmensverbund

seIn, nach der fonnale Mehrheiten ohne bestimmenden Einfluß nicht zur Zurechnung führen, würde die analoge Anwendung der Verbundklauseln zu denselben Ergebnissen führen wie die geschilderte Kommissionspraxis. Denn dann führt die alleinige Kontrolle stets zur vollständigen Zurechnung der unternehmerischen Tätigkeit. Inwieweit die Rechtsposition des alleinigen Kontrollinhabers durch tatsächlich erforderliche Rücksichtnahme auf einen Minderheitsgesellschafter geschmälert wird, spielt danach keine Rolle. Ohnehin ist diese Frage rechtlicher Bewertung kaum zugänglich. Und die gesetzlichen Vorschriften zum Minderheitenschutz ennöglichen der Minderheit gerade keinen bestimmenden Einfluß auf das Marktverhalten des Unternehmens l7 . Nach den VerbundklauseIn spielt ebenfalls keine Rolle, worauf der Einfluß beruht. In den vier Spiegelstriehen der Verbundklauseln werden die Einflußmöglichkeiten rechtsfonnunabhängig fonnuliert. Daß der Einfluß je nach Rechtsfonn des Zielunternehmens eine andere Intensität haben kann, ist danach unbeachtlich. Ebenfalls unerheblich ist, wie wahrscheinlich es im Einzelfall ist, daß die unter einheitlicher Kontrolle stehenden Ressourcen auch einheitlich eingesetzt werden. Das steht im Einklang mit Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO. Denn ob eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird, richtet sich nach dem Verhaltensspielraum des Unternehmens l8 . Ob es diesen Spielraum ausnutzt, ist unerheblich. Demnach führt die alleinige positive Kontrolle im Rahmen des Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO in entsprechender Anwendung der Verbundklauseln der FKVO und der GVOs immer zu einer Zurechnung von wirtschaftlicher Macht. Kontrollerwerber und kontrollierter Unternehmensträger werden als Einheit behandelt. 2. Zurechnung bei gemeinsamer Kontrolle Die Kommission folgt bei der Anwendung des Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO nicht der oben abgelehnten Ansicht, wonach jeder Kontrollerwerb materiellrechtlich zu einer Zurechnung wirtschaftlicher Macht und damit zu einer Bewertung von Kontrollinhaber und GU als Einheit führt. Vielmehr sieht sie in der gemeinsamen Kontrolle ein Minus gegenüber der alleinigen Kontrolle, das auch materiell-rechtlich zu anderer Bewertung zwingt.

17 Vgl. Kommission, 13. 9.1993 -British TelecomJMCI, MCR B165 (Nr. 15); Drauz/Schroeder, S. 44. 18 Vgl. Kommission, 2.10.1991 -Aerospatiale-Alenia/de HaviUand, ABI. 1991 L334/42, 52 (Nr. 34) und 60 (Nr. 72).

O. Die Zurechnung bei der Prognose gemäß Art. 2 FKVO

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Das wird z. B. darin deutlich, daß sie beim Wechsel von gemeinsamer zu alleiniger Kontrolle im Rahmen der materiell-rechtlichen Würdigung den Machtzuwachs bei der Muttergesellschaft prüft, der durch den Wegfall der Mitkontrolle entstehtl9 . Das wäre unnötig, wenn schon die gemeinsame Kontrolle zur vollen Zurechnung führen würde. Denn dann brächte der Übergang zur alleinigen Kontrolle keine Änderung des Einflusses mehr mit sich. Dementsprechend prüft die Kommission beim Erwerb gemeinsamer Kontrolle grundsätzlich nach der oben vertretenen Ansicht, welche Folgen der Kontrollerwerb für das GU und jede der Mütter hat. Bringen die Mütter ganze Unternehmensbereiche in das GU ein, wird die MarktsteIlung der neuen Einheit GU bewerteeO und daneben die Bedeutung des Kontrollerwerbs für die Marktstellung der Mütter. Zum Teil sagt die Kommission ausdrücklich, daß die gemeinsame Kontrolle nicht zu einer vollständigen Integration der Unternehmen jeweils einer Mutter und des GU führt21 • Oder es heißt, eine Mutter und das GU bildeten keine wirtschaftliche Einheit, solange auch die andere Mutter auf dem GUMarkt tätig sei22 . Die Kommission betont in einigen Entscheidungen, daß eine GU-Mutter wegen der fehlenden Mehrheit23 oder wegen der entgegenstehenden Interessen der anderen Mutte~4 das Verhalten des GU nicht allein nach ihren Interessen gestalten kann. Eine Ausnahme von dieser grundsätzlichen Berücksichtigung der schwächeren Qualität gemeinsamer Kontrolle gegenüber der alleinigen Kontrolle macht die Kommission, wenn eine Mutter im GU-Markt verbleibt, die andere aber ausscheidet. Die Kommission faßt dann die im Markt verbleibende Mutter und das GU zu einer Einheit zusammen. Sie bezeichnet sie teils ausdrück19 Kommission, 19.9.1994 - VAG/SAB, WuWIE EV 2257 (Nr.4); 5.5.1994 - VlAGlBayemwerk, WuWIE EV 2139, 2140 (Nr. 4); 3. 12. 1993 - Philips/Grundig, WuWIE EV 2113,2114 (B.); 30.4.1992 - Solvay-LaportelInterox, WuWIE EV 1847, 1848 (Nr. 33); 7. 2. 1992 -Grand MetropolitanlCinzano, WuWIE EV 1883 (Nm.lOtT.); 28. 1l. 1990 -IClffioxide, WuWIE EV1551, 1552 (Nr.13); weniger deutlich dies., 30. 6. 1993 - WestLBfThomas Cook, WuWIE EV 2087 (Nr. 5); 26.5. 1992-ABBIBREL, WuWIEEV 1867(Nr. 3). 20 Zum Beispiel: Kommission, 28.7. 1992 - Elf AtochemIRohm und Baas, WuWIE EV2001, 2005 (Nr. 17); 10.8.1992 -Rhöne-Poulenc/SNIA, WuWIE EV 1983,1986 (Nm. 7.1 tT.); 13. l. 1992 -Saab Ericsson Space, WuWIE EV 1871,1872 (unter V); 12.2.1992 -Steetleyffarmac, WuWIE EV1814, 1815f. (Nm.10ff.); 18.12.1991 - Ingersoll-RandIDresser, WuWIE EV 1791,1793 (Nm. 15 ff.). 21 Kommission, 5. 10. 1992 - Air France/Sabena, WuWIE EV 1948 tT. (Nr. 14). 22 Kommission, 26. 9. 1994 - Rheinelektra/CofuaIDekra, WuWIE EV 2228, 2230 (Nm. 18 f). 23 Kommission, 2. 12. 1991 - TNT/GONet, WuWIE EV 1754, 1759 (Nr. 38 i. V. m. Nm. 15 f.). 24 Kommission, 28. 2. 1994 - RWElMannesmann, WuWIE EV 2177,2178 (Nr. 9).

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4. Teil: Der bestehende Untemehmensverbund

lieh als wirtschaftliche Einheit25 und addiert die Marktanteile26 . Allerdings ist zu berücksichtigen, daß die Kommission häufig offen lassen konnte, ob die Marktanteile wirklich zu addieren waren, weil selbst addierte Marktanteile nicht zu einer marktbeherrschenden Stellung geführt hätten27 • Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, daß die Kommission bei der materiell-rechtlichen Bewertung gemeinsamer Kontrolle grundsätzlich keine Zurechnung vornimmt. Sie bewertet vielmehr die Marktposition des GU und jeder Mutter jeweils für sich und untersucht im einzelnen, welche Auswirkungen die Verbindung mit und in dem GU für die Beteiligten hat. Eine Ausnahme gilt für GU und Mutter, wenn diese Mutter als einzige auch im GU-Markt tätig ist. Dann faßt die Kommission beide zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammen. Wendet man die Verbundklauseln analog an, so würden Marktanteile und wirtschaftliche Macht nur solcher GU zugerechnet, die konzerninterne GU sind oder die zwischen den Beteiligten bestehen. Es fragt sich, welche Folgen diese Regelung im Rahmen von Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 FKVO hätte. Es ist hier zu unterscheiden zwischen GU, die vor dem Zusammenschluß bereits bestanden, und GU, die durch den Zusammenschluß erst entstehen. Bei bestehenden GU paßt die analoge Anwendung der Verbundklauseln. Die Beschränkung der Zurechnung auf GU zwischen den Beteiligten und konzerninterne GU stellt sicher, daß nur Marktanteile addiert werden, die von Unternehmen erreicht werden, die unter einheitlicher Kontrolle stehen28 . Zur Vermeidung von Doppelanrechnungen ist auch Art. 5 Abs. 5 FKVO entsprechend anzuwenden. In den anderen Verbundklauseln fehlt zwar eine solche Norm. Nur Art. 7 Abs. 2 der VO 417/85 vermeidet eine Doppelanrechnung, indem das GU als beteiligtes Unternehmen definiert wird29 . Dennoch wird auch für die anderen Verbundklauseln schon de lege lata angenommen, daß eine Doppelanrechnung nicht erfolgen