Max Weber-Gesamtausgabe, Band I/19: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Konfuzianismus und Taoismus: Schriften 1915-1920 316845382X, 9783168453826

Der vorliegende Band enthalt den ersten Teil der Studien Max Webers zur Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Vergleichen

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Max Weber-Gesamtausgabe, Band I/19: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Konfuzianismus und Taoismus: Schriften 1915-1920
 316845382X, 9783168453826

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
Einleitung
Anhang zur Einleitung: Dynastientafel
Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Vergleichende religionssoziologische Versuche. Einleitung; Konfuzianismus und Taoismus; Zwischenbetrachtung
Editorischer Bericht
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Konfuzianismus und Taoismus
I. Soziologische Grundlagen: A. Stadt, Fürst und Gott
II. Soziologische Grundlagen: B. Feudaler und präbendaler Staat
III. Soziologische Grundlagen: C. Verwaltung und Agrarverfassung
IV. Soziologische Grundlagen: D. Selbstverwaltung, Recht und Kapitalismus
V. Der Literatenstand
VI. Die konfuzianische Lebensorientierung
VII. Orthodoxie und Heterodoxie (Taoismus)
VIII. Resultat: Konfuzianismus und Puritanismus
Zwischenbetrachtung
Personenverzeichnis
Glossar
Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur
Personenregister
Sachregister
Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe, Abteilung I: Schriften und Reden

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Max Weber Gesamtausgabe Im Auftrag der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Herausgegeben von

Horst Baier, M. Rainer Lepsius, Wolfgang J. Mommsen, Wolfgang Schluchter, Johannes Winckelmannt

Abteilung I: Schriften und Reden Band 19

J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

Max Weber Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen Konfuzianismus und Taoismus Schriften 1915-1920

Herausgegeben von

Helwig Schmidt-Glintzer in Zusammenarbeit mit

Petra Kolonko

J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

Redaktion: Rita A l d e n h o f f - Karl-Ludwig A y Die Herausgeberarbeiten wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Werner-Reimers-Stiftung gefördert.

CIP-Kurztitelaufnahme Weber,

der Deutschen

Bibliothek

Max:

Gesamtausgabe / Max W e b e r . Im A u f t r . d. K o m m , für Sozial- u. Wirtschaftsgeschichte d. Bayer. A k a d . d. Wiss. hrsg. von Horst Baier . . . - T ü b i n g e n : M o h r A b t . 1, Schriften und R e d e n . N E : Baier, Horst [Hrsg.]; W e b e r , Max: [Sammlung] Bd. 19. Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen Konfuzianismus und Taoismus : S c h r i f t e n l 9 1 5 - 1 9 2 0 / hrsg. von Helwig Schmidt-Glintzer in Z u s a m m e n a r b e i t mit Petra Kolonko. - 1989 ISBN 3-16-845382-X G e w e b e ISBN 3-16-845384-6 Hldr. N E : Schmidt-Glintzer, Helwig [Hrsg.]

978-3-16-158141-0 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019

© 1989 J. C. B. M o h r (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen G r e n z e n des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. D a s gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz und Druck: Guide-Druck G m b H , Tübingen. Bindung von Heinrich Koch, Tübingen. Einbandgestaltung von A l f r e d K r u g m a n n , Freiberg a. N. Printed in Germany.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Siglen, Zeichen, Abkürzungen Einleitung Anhang zur Einleitung: Dynastientafel Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Vergleichende religionssoziologische Versuche. Einleitung; Konfuzianismus und Taoismus; Zwischenbetrachtung

-VI VII 1 26

31

Editorischer Bericht Texte Inhaltsverzeichnis Einleitung Konfuzianismus und Taoismus I. Soziologische Grundlagen: A. Stadt, Fürst und Gott II. Soziologische Grundlagen: B. Feudaler und präbendaler Staat . . III. Soziologische Grundlagen: C. Verwaltung und Agrarverfassung . IV. Soziologische Grundlagen: D. Selbstverwaltung, Recht und Kapitalismus V. Der Literatenstand VI. Die konfuzianische Lebensorientierung VII. Orthodoxie und Heterodoxie (Taoismus) VIII. Resultat: Konfuzianismus und Puritanismus Zwischenbetrachtung

31 75 75 83 128 128 180 227 256 285 332 370 450 479

Personenverzeichnis Glossar Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur Personenregister Sachregister

523 535 557 569 575

Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe, Abteilung I: Schriften und Reden

614

Vorwort

Der vorliegende Band enthält den ersten Teil der Studien zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen", an denen Max Weber im letzten Jahrzehnt seines Lebens gearbeitet hat. Er schließt damit unmittelbar an den Band 1/18 der MWG an, in dem die im Herbst des Jahres 1919 verfaßte „ V o r b e m e r k u n g " zu den „ G e s a m m e l t e n Aufsätzen zur Religionssoziologie" (vgl. unten, S. 46) abgedruckt ist, die sich auch auf die in dem vorliegenden wie in den beiden anschließenden Bänden der MWG enthaltenen Texte bezieht. Auf der Grundlage der von Max Weber selbst noch zum Druck gebrachten Fassung, wie sie im ersten Band der „Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie" im Jahre 1920 erschien, wird hiermit eine Textfassung für den ersten Teil „Konfuzianismus und Taoismus" sowie für die „Einleitung" zu dem gesamten Vorhaben und die zu der nachfolgenden Studie über „ H i n duismus und Buddhismus" (MWG I/20) überleitende „Zwischenbetracht u n g " vorgelegt, aus der auch frühere Fassungen bzw. Bearbeitungsstufen, soweit sie zu ermitteln waren, ablesbar sind. Entsprechend der Editionsweise der MWG wird der Text auf der Grundlage der Fassung „letzter Hand" vorgelegt. Daher verbot sich eine Vereinheitlichung der von Max Weber verwendeten Umschriften für das Chinesische. Wegen des schwierigen Umgangs mit Webers oft uneinheitlichen Umschriften sei der Benutzer auf die Anmerkungen des Herausgebers sowie ausdrücklich auf die im Anhang beigefügten Verzeichnisse aufmerksam gemacht, die zu einer standardisierten Umschrift hinführen. An dieser Stelle sei allen jenen gedankt, die zum Zustandekommen dieses Bandes beigetragen haben. Ausdrücklich zu nennen sind die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Bayerische Akademie der Wissenschaften, die über einen längeren Zeitraum die Arbeiten finanziell unterstützt haben. Zu danken habe ich vor allem aber Johannes Winckelmann, der mir als Studenten Webers China-Studie nachdrücklich ans Herz legte und der mich in den Herausgeberkreis einführte. Johannes Winckelmann und Franz Bonfig verdanke ich Einsicht in die von ihnen bearbeitete Verlagskorrespondenz. Wolfgang J. Mommsen, Düsseldorf, machte mir die in seinem Besitz befindlichen Überarbeitungshandschriften und Fahnen mit Korrekturen Webers zugänglich. Wolfgang Schluchter, Heidelberg, verdanke ich zahlreiche Hinweise zur Werkgeschichte. Rolf Trauzettel, Bonn, stellte mir großzügigerweise in Bonn eine studentische Hilfskraft für die Erstellung eines ersten Lesartenverzeichnisses zur Verfügung, das dann

Vili

Vorwort

von Renate Öbicke angefertigt wurde. Für die Gewährung der Benutzung ihrer besonders reichhaltigen älteren Sinica-Bestände und für Überprüfung von Literaturlisten habe ich dem Seminar für Sprache und Kultur Chinas der Universität Hamburg und seinem Vorstand Hans Stumpfeidt, der Universitätsbibliothek Heidelberg und der Bayerischen Staatsbibliothek zu danken. Unverzichtbar war die Hilfe von Manfred Schön, Düsseldorf, bei der Entzifferung zahlreicher handschriftlicher Texte. Petra Kolonko, die über mehrere Jahre als meine Mitarbeiterin die Lesarten überprüfte, die Belegstellen aus der von Weber benutzten Literatur für den Kommentar ermittelte und den Kommentar sowie die Verzeichnisse und das Glossar vorbereitete, hat den größten Teil der Arbeiten für die Edition geleistet. Aufgrund anderer beruflicher Verpflichtungen stand sie in der letzten Phase der Editionsarbeiten nicht mehr zur Verfügung. Daher bin ich alleine für alle Fehler und Versehen verantwortlich. Frau Barbara Kuhn danke ich für ihren großen Einsatz bei der Vorbereitung und Erstellung der Register. Besonders hilfreich waren Rita Aldenhoff und Karl-Ludwig Ay von der Generalredaktion der MWG bei der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, dank deren geduldiger Betreuung und Beratung dieser Band überhaupt hat erscheinen können. Die Arbeiten an diesem Band möchte ich meinem Vater zum 75. Geburtstag am 7. 8. 1989 und dem Andenken meines Großvaters, des Pfarrers Helwig Schmidt (29. 5. 1 8 8 3 - 2 . 6. 1957), widmen. München, im August 1989

Helwig Schmidt-Glintzer

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

| [ ] ')2)3) 1, 2 , 3 a,b,c a a , b •b A, A,, B, Bi, C A A, B B, C A 1, A, 73, B 111, B, 111, C 237

Seitenwechsel nicht aufgelöste Blockade In Webers Druckfahnen (Fassung B, B,) Hinzufügung des Editors Indices bei Anmerkungen Max Webers Indices bei erläuternden Anmerkungen des Herausgebers Indices für Varianten oder textkritische Anmerkungen Beginn und Ende von Varianten oder Texteingriffen Siglen für die Textfassungen in chronologischer Folge Erstausgabe im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik Verbesserungen und Korrekturen von A Druckfahnen (vordem Umbruch) Korrektur in B Fassung letzter Hand Im 1. Band der „Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie" Seitenzählung In A, A,, B, B,, C

a.a.O. Abb. Abs. Abt. A.C. admln. a.E. Afd. Ak./Akad. Anc. Anm. Ann. annot. a.o. Prof. Apg. App.,Append. Arlthm. Art. As., Asiat. Aufl. Av.

am angegebenen Ort Abbildung Absatz Abteilung Avant Christ adminlstration am Ende Afdeeling, Abteilung Akademie Anclent Anmerkung Annales annote, annotated außerordentlicher Professor Apostelgeschichte Appendix Arithmetical Artikel Asiatlque Auflage avant

bayer. Bd./Bde. Berl. bes. betr.

bayerisch Band, Bände Berliner besonders betreffend

X

Siglen, Zeichen

Abkürzungen

Bl. Br. BSB Bull. bzw.

Blatt Branch Bayerische Staatsbibliothek Bulletin beziehungsweise

ca. can. cf. ch., Ch., Chin., chin., chines. ch., chap. Chr. civil. Cl. Congr.

circa canon confer, vergleiche chinesisch, Chinese, chinois

d. das. dass. d.D. Dec. ders. d.h. Diss. d.J. Dr. dt.

der; die daselbst dasselbe dieses Datum December derselbe das heißt Dissertation dieses Jahres Doktor deutsch

ebd. Ec. ed. elg. elngel. Engl. enl. eod. Erg.-Heft erl. etc. ev. Ew. Ext., Extr.

ebenda Economics; Ecole edlteur; edition eigentlich eingeleitet Englisch enlarged eodem, ebenda Ergänzungs-Heft erläutert et cetera eventuell Euer Extrême

f., ff. f. fr., franç. Frhr.

folgend(e) für française Freiherr

g G.d.Ö., G.d.S.Ö, G S Ö géogr.

Gramm Grundriß der Sozialökonomik géographique

chapitre, chapter Christus; Chronik (Bibel) civilisation Classe congress

Siglen, Zeichen

Abkürzungen

ges. Gesch. gest. gewerbl. ggfgriech. Gründl.

gesamt Geschichte gestorben gewerblich gegebenenfalls griechisch Grundlagen

H „ Hist., hist. h.a. ha, Ha hebr. Hg., hg., hrsg.

histoire, history huius anni Hektar hebräisch Herausgeber, herausgegeben

ill. Impr., impr. intern.

illustré Imprimatur international

J., Journ. Jahrh. Jg. Jh.

Journal Jahrhundert Jahrgang Johannes-Evangelium

Kaiserl. Kap. kg Kg. Kgl. komm. Kon.

Kaiserlich Kapitel Kilogramm Buch der Könige (Bibel) Königlich kommentiert Koninklijke

lat. I.e. letterk. Lk.

lateinisch loco citato letterkunde Lukas-Evangelium

m M. masch. Matth., Mt. Mem., Mem. Mill. Mk. mm Mo.BI. mongol.-tibet. Msc., Mscr. Mus. m.W. MWG

Meter Mark; Monsieur maschinenschriftlich Matthäus-Evangelium Memoirs, Mémoires Millionen Markus-Evangelium Millimeter Morgenblatt mongolisch-tibetisch Manuskript Museum meines Wissens Max Weber-Gesamtausgabe

N., Nouv.

Nieuwe, Nouveau; North

XII

Siglen, Zeichen

Abkürzungen

NB n.Chr. NF NI. No., Nr. Not. Nov. N.Y.

nota bene nach Christi Geburt Neue Folge Nachlaß Number, Numéro, Nummer Notations November New York

o.J. Okt. o.Prof. Or. österr.

ohne Jahr Oktober ordentlicher Professor Orlental österreichisch

P. p. pers. Prof. Proleg. prov. pubi.

Pater, Père; Partie page, pagina persisch Professor Prolegomena province publié, publication

R. reg. Rel., Rellg., relig. rev. Rev. RGG, RGG 1

Royal, Royaume regierte Religion, religious revised Reverend; Review Die Religion In Geschichte und Gegenwart. Hg. von F.M. Schiele und L. Zscharnak [1. Aufl.], 5 Bände. - Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Slebeck) 1 9 0 9 - 1 9 1 3 . Russisch

Russ. S „ St. S. s. s.a. Schluchter, Rekonstruktion

Sér. Sinol., Sinolog. S.J. Skt. s.o. Soc. sog. Soziol. Sp. Staats w. Stud.

Sankt Seite siehe siehe auch Schluchter, Wolfgang, Max Webers Religionssoziologie. Eine werkgeschlchtilche Rekonstruktion, in: ders. (Hg.), Max Webers Sicht des antiken Christentums. Interpretation und Kritik. - Frankfurt am Main: Suhrkamp 1985, S. 5 2 5 - 5 6 0 . Sèrie Sinologiques Socletas Jesu Sanskrit siehe oben Society sogenannt Soziologie Spalte Staatswesen, Staatswissenschaft Studles

Siglen, Zeichen Abkürzungen

XIII

Syst. s.Z.

System seinerzeit

T.,tom.

Teil; T o m e

Tl. trad. transi. Ts.

Transliteration traduit; traditionell translated Transkription

u. u.a. u.ä. übers., Übers. übertr. Univ.

und und andere; unter anderem und ähnliches übersetzt, Übersetzer übertragen Universität

u.ö. usw.

und öfter und so weiter

v. VA Var. v.Chr. vergl., vgl. Verh.

von Verlagsarchiv Variétés vor Christi G e b u r t vergleiche, vergleichend Verhandlungen, Verhandelingen

Veröff. Vol. Völkerk.

Veröffentlichungen Volume Völkerkunde

Weber, Agrarverhältnisse im A l t e r t u m 1 , 2 , 3

Weber, Max, Agrarverhältnisse im Altertum, in: H a n d w ö r t e r buch der Staatswissenschaften, 2. S u p p l . - B a n d , 1897, S . 1 - 1 8 ;

Weber, Marianne, Lebensbild 3 Wetensch. Wiss., W i s s e n s c h , wörtl. WuG1

Z. z.B. Zeitschr. zit. ZStA z.Z.

dass. in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften 1 2 , 1898, S . 5 7 - 8 5 ; dass. in: H a n d w ö r t e r b u c h der Staatswissenschaften 1 3 , 1909, S . 5 2 - 1 8 8 (MWG I/6). Weber, Marianne, Max Weber. Ein Lebensbild, 3. Aufl. - Tübing e n : J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1984. Wetenschapen Wissenschaft wörtlich Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft (Grundriß der Sozialö k o n o m i k , III. Abteilung), Lieferungen 1 - 4 . - T ü b i n g e n : J . C . B . Mohr (Paul Siebeck) 1921 - 1 9 2 2 ( M W G I/22). Zeile z u m Beispiel Zeitschrift zitiert Zentrales Staatsarchiv zurZeit

Einleitung

1. Das Interesse an den Weltreligionen am Vorabend des Ersten Weltkriegs und das Problem der Wirtschaftsethik Max Webers Arbeiten zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen" müssen einerseits in ihrem werkgeschichtlichen Zusammenhang gesehen werden, 1 sie lassen sich aber andererseits nur verstehen vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen und politischen Strömungen jenes „Zeitalters des Imperialismus", innerhalb derer Max Weber dezidierte eigene Positionen eing e n o m m e n und die er durch neue Einsichten bereichert hat. Vorbereitet durch die Romantik und die Anerkennung anderer Völker und ihrer Religionen als Erscheinungen eigenen Rechts und eigenen Wertes hatte in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die Verunsicherung über die Gewißheit der eigenen abendländischen Kultur und ihrer Entwicklungsrichtung zu einer Relativierung aller religiösen Erscheinungen und schließlich zur Herausbildung derjenigen theologisch-religionswissenschaftlichen Bewegung geführt, die als „Religionsgeschichtliche Schule" auftrat und der Max Weber nahestand. 2 Die Horizonte hatten sich wohl auch infolge der Expansion der europäischen Mächte im späten neunzehnten Jahrhundert erweitert, und die Geschichte außereuropäischer Völker und ihre Religionen wurden als Teil der Kultur der Gegenwart und nicht m e h r a l s außerhalb der Weltgeschichte stehend betrachtet. Dabei war China nicht erst seit G. W. F. Hegels „Vorlesungen über die Philosophie der Geschicht e " 3 in ganz besonderem Maße in das allgemeine Bewußtsein gedrungen. Bereits seit dem 17. Jahrhundert, gefördert vor allem durch die von den jesuitischen Missionaren in Europa über China verbreiteten Nachrichten

1 Siehe hierzu Schluchter, Wolfgang, Max Webers Religionssoziologie. Eine werkgeschichtliche Rekonstruktion, In: ders. (Hg.), Max Webers Sicht des antiken Christentums. Interpretation und Kritik. - Frankfurt am Main: Suhrkamp 1985, S. 5 2 5 - 5 6 0 [hinfort zitiert als: Schluchter, Rekonstruktion]; siehe auch unten, S. 31 - 6 0 . 2 Siehe den Artikel von Martin Rade: „Religionsgeschichte und Religionsgeschichtliche Schule", in: R G G \ Band 4,1913, Sp. 2 1 8 3 - 2 2 0 0 ; zu diesem Zusammenhang auch W. R. Ward, Max Weber und die Schule Albrecht Ritschis, In: Mommsen, Wolfgang J., und Schwentker, Wolfgang (Hg.), Max Weber und seine Zeitgenossen. - Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht 1988, S . 2 9 6 - 3 1 2 ; sowie Graf, Friedrich Wilhelm, Fachmenschenfreundschaft. Bemerkungen zu , Max Weberund Ernst Troeltsch', ebd., S . 3 1 3 - 3 3 6 . 3 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Werke in zwanzig Bänden, Band 12: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. - Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970.

2

Einleitung des Herausgebers

und Kenntnisse, galt China als das Gegenbild zu Europa, als der aufgeklärte Staat mit einer vorbildlichen Staatsweisheit und Herrschaftsausübung. 4 Auch wenn sich das Chinabild insbesondere seit dem Opiumkrieg 1 8 4 0 - 4 2 und nicht zuletzt infolge eines neuen Selbstverständnisses in Europa veränderte, stand China doch auch weiterhin zumeist am Anfang der Darstellungen außereuropäischer Kulturen, so auch in der aus dem Französischen übersetzten Reihe „Welt-Gemälde-Gallehe". 5 Die Ausdehnung der Horizonte und das Näherrücken bis dahin ferner Länder und Kulturen sowie eine allgemeine Tendenz zu systematisierender und verallgemeinernder Betrachtungsweise führten zur Berücksichtigung außereuropäischer Erscheinungen in sämtlichen Wissenschaftszweigen, darunter vor allem in den systematisierenden Disziplinen. 6 In diesem geistigen Klima hatte sich unter einigen jüngeren protestantischen Theologen, aus denen dann die „Religionsgeschichtliche Schule" hervorgehen sollte, in den 1880er Jahren die Überzeugung herausgebildet, daß infolge der Erkenntnisse der historischen Forschung eine strenge Trennung zwischen Christentum und nicht-christlichen Religionen nicht mehr aufrechtzuerhalten sei. So rief Martin Rade ( 1 8 5 7 - 1 9 4 0 ) , der 1886 die Zeitschrift „ D i e christliche Welt" begründet hatte und seither ihr Herausgeber war, bereits in jener Zeit zur Errichtung neuer Lehrstühle für Religionsgeschichte auf. Daraus entstand ein Konflikt innerhalb der Theologie, der um die Jahrhundertwende auch im Streit um die religionsgeschichtliche Methode einen Ausdruck fand. Einer der Wortführer war in diesem von Anhängern der Religionsgeschichtlichen Schule entfachten Disput Adolf Harnack, der sich am 3. Au4 Siehe Reichwein, Adolf, China und Europa. Geistige und künstlerische Beziehungen im 18. Jahrhundert.-Berlin: Österheld 1923; Dawson, Raymond, The Chinese Chameleon. An Analysis of European Conceptions of Chinese Civilization.-London: Oxford University Press 1967; Lach, Donald F., Asia in the Making of Europe, 5 Bände. - Chicago: Chicago University Press 1 9 6 5 - 1 9 7 0 ; Hudson, Geoffrey F., Europe and China. A Survey of their Relations from the Earliest Times to 1800. - Boston: Beacon 1961; Fu, Lo-shu, A Documentary Chronicle of Slno-Western Relations ( 1 6 4 4 - 1 8 2 0 ) 2 Bände. - Tucson, Arizona: University of Arizona Press 1966; Berliner Festspiele GmbH (Hg.), Europa und die Kaiser von China 1 2 4 0 - 1 8 1 6 . - Frankfurt am Main: Insel 1985; Walravens, Hartmut, China ¡llustrata. Das europäische Chinaverständnis Im Spiegel des 16. bis 18. Jahrhunderts. Weinhelm: Acta Humaniora 1987; Wolff, Christian, Oratio de Sinarum phllosophia practica. Rede über die praktische Philosophie der Chinesen, hg. von Michael Albrecht. - Hamburg: Meiner 1985. 5 Welt-Gemälde-Gallehe oder Geschichte und Beschreibung der Länder und Völker. Asien, 1. Band: M. G. Pauthier, China. - Stuttgart: Schweizerbart 1839. 6 Diese Entwicklung fand Ihren Niederschlag auch Im Bereich der Literatur, wo man von einer „Ostasien-Begeisterung" gesprochen hat. Siehe Schuster, Ingrid, China und Japan in der deutschen Literatur 1 8 9 0 - 1 9 2 5 . - Bern, München: Francke 1977; ferner Günther, Christiane C., Aufbruch nach Asien. Kulturelle Fremde In der deutschen Literatur um 1900. - München: ludicium 1988.

Einleitung

des

Herausgebers

3

gust 1901 in einer Rektoratsrede mit „ringsum laut gewordenen S t i m m e n " auseinandersetzte, die mit der Forderung an die Theologische Fakultät aufträten, „nicht als Facultät für christliche Theologie, sondern nur als Facultät für allgemeine Religionswissenschaft und -geschichte habe sie ein Recht auf Existenz. Nur in dem Maße als sie gleichmäßig auf alle Religionen eingehe, könne sie die eine Religion wirklich verstehen, und nur so könne sie Vorurtheile abstreifen, die sonst unbezwinglich seien; mindestens aber sei zu fordern, daß bei jeder theologischen Facultät ein oder mehrere Lehrstühle für allgemeine Religionsgeschichte errichtet w e r d e n . " 7 Dagegen wandte sich Harnack, indem er feststellte, „daß die Völker, welche die Erde jetzt auftheilen, mit der christlichen Civilisation stehen und fallen, und daß die Zukunft keine andere neben ihr dulden" werde, und zugleich einräumte, daß es für die Verkündigung des Evangeliums eine unerläßliche Vorbedingung zu sein scheine, daß die Christen „die Religionen der fremden Völker gründlich kennen l e r n e n " 8 Gleichwohl müsse man die jüdischchristliche Religion als einzigartiges Paradigma von Religion überhaupt bezeichnen, als diejenige Religion, die allein Geschichte gehabt habe. Und unter Anspielung auf Max Müllers ( 1 8 2 3 - 1 9 0 0 ) Wort: „Wer eine kennt, kennt keine", sagte Harnack: „Wer diese Religion nicht kennt, kennt keine, und wer sie sammt ihrer Geschichte kennt, kennt alle." 9 Wie sollte es da, angesichts des Umfangs und der Fülle innerhalb der christlichen Kirchengeschichte, „ d e n Kirchenhistoriker, auch wenn e r f ü r d i e Religion im weitesten Sinn des Worts lebendiges Interesse hat, locken, sich zu den Babyloniern, Indern und Chinesen oder gar zu den Negern oder Papuas zu b e g e b e n ? " 1 0 Harnack hielt es gleichwohl für wünschenswert, daß „kein Theologe die Universität verläßt, ohne eine gewisse Kenntnis mindestens einer außerchristlichen Religion". 1 1 Ansonsten solle das Studium anderer Religionen den einzelnen Philologien überlassen bleiben: „ U m so lebhafter aber ist unser Wunsch, daß der Indologe, der Arabist, der Sinologe etc. auch der Religion des Volkes, dem er sein Studium gewidmet hat, volle Beachtung schenke und die Ergebnisse seiner Arbeit in Vorlesungen und Büchern mittheile." 1 2 Trotz dieser seiner eigenen geradewegs entgegengesetzten Position bezeichnete Martin Rade Adolf Harnack im Jahre 1913 neben dem Alttesta-

7 Harnack, Adolf, Die Aufgabe der theologischen Facultäten und die allgemeine Religionsgeschichte. - Gießen: Ricker 1901, S. 6f.; zum Zusammenhang siehe auch R G G \ Band 4 , 1 9 1 3 , Sp. 2183ff. 8 Dass., S. 9. 9 Dass., S. 11. 10 Dass., S. 14. 11 Dass., S. 21. 12 Dass., S. 21.

4

Einleitung des Herausgebers

mentler Julius Wellhausen als „unfreiwilligen Schöpfer der religionswissenschaftlichen Schule", 1 3 der übrigens bei der Berufung eines Religionshistorikers, des Dänen Edvard Lehmann, auf einen Berliner theologischen Lehrstuhl im Jahre 1910 mitgewirkt habe. 14 So hatte, wenn auch später als in den meisten anderen nord- und westeuropäischen Ländern, die Religionsgeschichte schließlich doch Eingang auch an den deutschen Theologischen Fakultäten gefunden, die sich damit zumindest bis zu einem gewissen Grade einer allgemein verbreiteten Betrachtungsweise öffneten, bei der die Kenntnisse ferner und fernster Kulturerscheinungen in die allgemeine systematische Diskussion einbezogen wurden, wie etwa der melanesische Begriff „Mana", der in der vergleichenden Religionswissenschaft noch über Jahrzehnte die Diskussion über die Existenz der Vorstellung von einer unpersönlichen, übernatürlichen Macht bestimmen sollte und den auch Weber verwendete. 1 5 Die Entwicklung hin zu einer stärker systematisierenden Betrachtungsweise, mit der man nicht nur der zunehmenden Vielfalt der Erscheinungen Herr zu werden suchte, sondern die überhaupt erst eine Voraussetzung für die Erweiterung geistiger Horizonte schuf und die zur Begründung einer ganzen Reihe neuer Wissenschaftsdisziplinen führte, läßt sich ebenso wie in der Theologie auch in anderen Disziplinen wie etwa der Geschichte nachweisen. In der ersten Auflage der „Geschichte des Altertums" von Eduard M e y e r f i n d e t C h i n a n u r e i n e kurze Erwähnung. I n d e m i m Jahre 1893 erschienenen zweiten Band seines Hauptwerkes schreibt Meyer unter dem Abschnitt „Orient und Occident", in einer an Georg Wilhelm Friedrich Hegels Ausführungen über China in seinen „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte" erinnernden Formulierung: „Die Geschichte des Orients beginnt mit ausgereiften Kulturvölkern. Die geschichtlichen Denkmäler, welche diese geschaffen haben, bilden den Anfang des historischen Wissens überhaupt; wie sie diese Höhe erreicht haben, wie im Nilthal, am unteren Euphrat und ebenso am Hwangho menschliche Kultur zuerst entstanden ist, bleibt der geschichtlichen Erkenntnis verschlossen." 1 6

13 RGG 1 , Bd. 4, 1913, Sp. 2191. 14 RGG 1 , Bd. 4, 1913, Sp. 2186. 15 Siehe unten, S. 175; vgl. auch die Darstellung bei Widengren, Geo, Evolutionism and the Problem of the Origin of Religion, in: Ethnos 10,1945, S. 7 2 - 9 6 (auszugsweise auch in deutscher Übersetzung in: Lanczkowski, Günter (Hg.), Selbstverständnis und Wesen der Religionswissenschaft. - Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1974, S. 8 7 - 1 1 3 ) . Eine zusammenfassende Darstellung mit ausführlicher Bibliographie findet sich bei Elsas, Christoph (Hg.), Religion. Ein Jahrhundert theologischer, philosophischer, soziologischer und psychologischer Interpretationsansätze. - München: Chr. Kaiser 1975. 16 Meyer, Eduard, Geschichte des Altertums, 2. Band. - Stuttgart: J. G. Cotta 1893, S. 33.

Einleitung

des

Herausgebers

5

Seitdem aber hatte sich doch allmählich die Einsicht durchgesetzt, daß keines der Kulturgebiete der Erde bei einer Gesamtdarstellung fehlen dürfe. Und wie sehr China bereits als Teil der Weltkultur angesehen wurde, läßt sich an den zahlreichen Handbüchern und Nachschlagewerken ablesen, die seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert erschienen. Z u d e m erzwang das Bedürfnis nach umfassender und systematischer Betrachtung eine Einbeziehung auch bis dahin unberücksichtigter Erscheinungen; und die Erweiterung der Horizonte legte ihrerseits eine systematische Betrachtungsweise nahe. Der Tendenz zur Typisierung, die sich überhaupt in vielfältiger Ausprägung in nahezu allen Bereichen zeigte, konnte sich auch Eduard Meyer nicht entziehen, der 1907 in der zweiten Auflage seines Hauptwerkes „Geschichte des Altertums" mit dem ersten Halbband eine „Einleitung" vorlegte, die den Untertitel „Elemente der Anthropologie" trug. 1 7 Darin wird gelegentlich auch China genannt, insbesondere in vergleichender Absicht zusammen mit Ägypten, Babylonien und anderen alten Kulturen. Dieser umfassenden Kulturbetrachtung schließt sich Paul Hinneberg in seinem großen Sammelwerk „Kultur der Gegenwart. Ihre Entwicklung und ihre Z i e l e " 1 8 an, das in mehreren seiner Abteilungen auch China berücksichtigt. In der der „Allgemeinen Geschichte der Philosophie" gewidmeten Abteilung ist die „Orientalische (Ostasiatische) Philosophie" dem Teil „ D i e europäische Philosophie und die islamische und jüdische Philosophie des Mittelalters" vorangestellt. 1 9 Und ähnlich ist die Abfolge der Darstellung der „Allgemeinen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte". 2 0 In der den „außerchristlichen Religionen" gewidmeten Abteilung folgen auf die Kapitel über „ Die Anfänge der Religion und die Religion der primitiven Völker" und über „ D i e ägyptische Religion" die „asiatischen Religionen", und zwar die babylonisch-assyrische, die indische, die iranische, sodann die Religion des Islams, der Lamaismus, die Religionen der Chinesen und der Japaner. 2 1 Bei der Behandlung der Religionen mit China zu beginnen und dann über Indien und den Islam zum Judentum und Christentum fortzuschreiten, entsprach weit verbreitetem Brauch. So hatte schon Georg Wilhelm Fried-

17 Meyer, Eduard, Geschichte des Altertums, Band 1.1, 2. Aufl. - Stuttgart: J. G. Cotta 1907. 18 Erschienen im Verlag von B. G. Teubner, Berlin und Leipzig. 19 Die Kultur der Gegenwart. Ihre Entwicklung und ihre Ziele, hg. von Paul Hinneberg, Teil I, Abt. V . - L e i p z i g , Berlin: B. G. Teubner 1909. 2 0 Dass., Teil II, Abteilung 11,1: Allgemeine Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Erste Hälfte, 1911. 21 Dass., Teil I, Abt. III, 3: Die Religionen des Orients und die altgermanische Religion, 2

1913.

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Einleitung des Herausgebers

rieh Hegel in seinen „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte" mit der „orientalischen Welt" und dabei mit China, auf das dann Indien folgt, begonnen. 2 2 Auch Pierre Daniel Chantepie de la Saussaye stellt in allen Auflagen des von ihm herausgegebenen „Lehrbuchs der Religionsgeschichte" China an den Beginn des historischen Teils, dem nur die Behandlung der „sogenannten Naturvölker" vorangeht. 2 3 Wenn Max Weber die von ihm gewählte Reihenfolge seiner Studien zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen" mit „inneren Zweckmäßigkeitsgründen der Darstellung" 2 4 begründet und betont, daß damit keine Werthierarchie impliziert sein solle, 2 5 so ist die Reihenfolge offenbar doch auch nicht zufällig. Schon die Tradition, China an erster Stelle zu nennen, 2 6 legte es nahe, die Studien mit China zu beginnen, doch meinte Weber mit den „inneren Zweckmäßigkeitsgründen der Darstellung" auch den Umstand, der sich dann auch in seiner Begriffsreihe niederschlug, daß der, wie Weber es sah, weltbejahende Konfuzianismus im „stärksten Gegensatz" stand einerseits zum Puritanismus 2 7 und andererseits zur weltverneinenden religiösen Ethik, wie sie sich in der indischen Religiosität entwickelt hatte. 2 8 Daraus erklärt sich auch die in Aufzählungen immer wiederkehrende feste Folge, der auch eine Begriffsreihe entspricht, wie sie sich unter anderem in

22 Die gleiche Abfolge findet sich in seinen „Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie". 23 Chantepie de la Saussaye, Pierre Daniel, Lehrbuch der Religionsgeschichte, 2 Bände. - Freiburg i. Brsg.: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1887, 1888. - dass., 2. völlig neu gearbeitete Aufl., 2 Bände. - Freiburg i. Brsg., Leipzig: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1897. - dass., 3., vollständig neu bearbeitete Aufl., 2 Bände. - Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1905. - Auch Max Müller hatte in seinem Stammbaum der Religionen die turanische Religion, worunter er die vielfältigen Religionsformen der eurasischen Landmasse verstand, mit dem Zentrum in China an die erste Stelle gesetzt. Ihm erschien die Geschichte der Religionen als ein unbewußtes Fortschreiten zum Christentum. 24 Über die Abfolge seiner Aufsätze sagt Weber: „Die Reihenfolge der Betrachtung ist— um auch das zu bemerken - nur zufällig geographisch, von Ost nach West gehend. In Wahrheit ist nicht diese äußere örtliche Verteilung, sondern sind, wie sich vielleicht bei näherer Betrachtung zeigt, innere Zweckmäßigkeitsgründe der Darstellung dafür maßgebend gewesen." Siehe unten, S. 119, Anm. 3. 25 Daraus erklärt sich wohl, daß Weber in der „Einleitung" betont, er wolle „die wichtigsten der großen Religionen individuell betrachten". Siehe unten, S. 116. 26 Unter den Sprachwissenschaften, die als Hilfswissenschaften der Religionsgeschichte angesehen werden, wird von Vertretern der Religionsgeschichtlichen Schule selbst an erster Stelle die Sinologie genannt, die „eine Frucht jesuitischer Missionsarbeit in China" sei. Und von jener ersten Berührung mit dem Konfuzianismus heißt es, sie habe genügt, „daß schon im Deismus und besonders bei Voltaire die 300 Millionen Chinesen mit ihrer rein moralischen Religion der Christenheit eine siegreiche Konkurrenz machten." Siehe Martin Radein: R G G \ Band 4,1913, Sp.2194. 27 Siehe unten, S. 451. 28 Siehe unten, S. 479.

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der für sein Projekt der „Wirtschaftsethik der Weltreligionen" programmatischen Passage in „Wirtschaft und Gesellschaft" findet: „Will man die Schichten, welche Träger und Propagatoren der sog. Weltreligionen waren, schlagwörtlich zusammenfassen, so sind dies für den Konfuzianismus der weltordnende Bürokrat, für den Hinduismus der weltordnende Magier, für den Buddhismus der weltdurchwandernde Bettelmönch, für den Islam der weltunterwerfende Krieger, für das Judentum der wandernde Händler, für das Christentum aber der wandernde Handwerksbursche, sie alle nicht als Exponenten ihres Berufes oder materieller .Klasseninteressen', sondern als ideologische Träger einer solchen Ethik oder Erlösungslehre, die sich besonders leicht mit ihrer sozialen Lage vermählte."29 Diese Sequenz von Ost nach West, vom Konfuzianismus über den Hinduismus, den Buddhismus, den Islam und das Judentum zum Christentum, wird in der „Einleitung" zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen" wieder aufgenommen, allerdings sehr viel differenzierter und mit erheblichen Abweichungen in den Charakterisierungen der einzelnen Religionen. 30 Obwohl der Begriff der „Weltreligion" seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts durchaus geläufig war, verwendet Weber ihn doch erst nach anfänglichem Zögern. In der eben zitierten Stelle in dem Abschnitt „Religionssoziologie" spricht er von „sog. Weltreligionen" und an anderer Stelle von „Kulturreligionen", 3 1 ein Begriff, der ihm selbst näher gelegen zu haben scheint. So erwägt er noch während der Vorbereitungen der Sammelbände der religionssoziologischen Aufsätze den Titel „Gesammelte Aufsätze zur Soziologie der Kulturreligionen" 3 2 In der „Einleitung", die zuerst 1915 im Druck erschien, aber hatte er bereits formuliert: „Unter .Weltreligionen' werden hier, in ganz wertfreier Art, jene fünf religiösen oder religiös bedingten Systeme der Lebensreglementierung verstanden, welche besonders große Mengen von Bekennern um sich zu scharen gewußt haben. " 3 3

29 WuG1, S. 293. 30 Siehe unten, S.86f. 31 WuG1, S. 349. 32 Brief an Paul Siebeck vom 11. Sept. 1919, VA Mohr/Siebeck, DeponatBSB München, Ana 446.-Vgl. auch unten, S.44, sowie Wlnckelmann, Johannes, Erläuterungsband zu: Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, fünfte, revidierte Auflage. - Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1976, S.85f.; ders., Max Webers hlnterlassenes Hauptwerk.-Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Slebeck) 1986, S. 142; dieser Neigung zum Begriff „Kulturreligion" entspricht auch die Verwendung des Ausdrucks „Kulturländer" in der „Vorbemerkung" (Weber, Vorbemerkung, S.6) 33 Archiv für Sozlalwiss. und Sozialpolitik, Band 41, Heft 1 (September-Heft 1915), S. 1; vgl. unten, S.83.

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Der A u s d r u c k „Weltreligion" e n t s t a m m t der Religionswissenschaft 3 4 und w u r d e dort als E n t g e g e n s e t z u n g zu d e m Begriff „Volksreligion" gebraucht. A b r a h a m K ü n e n v e r w e n d e t ihn in s e i n e m W e r k „Volksreligion und Weltrelig i o n " , 3 5 der Jenaer Orientalist Karl Völlers schrieb ein Buch über „ D i e Weltreligionen in ihrem geschichtlichen Z u s a m m e n h a n g e " (1907), 3 6 und bei Wilhelm W u n d t ist der Begriff bereits etabliert. 3 7 Dabei w u r d e der A u s druck „Weltreligion" unterschiedlich und z u m e i s t w e r t e n d gebraucht, w a s s c h o n in der G e g e n ü b e r s t e l l u n g z u m Begriff „Volksreligion" z u m A u s d r u c k k o m m t . Der Begriff „ Kulturreligion", d e n W e b e r auch ins A u g e faßte, schien ihm, da er als G e g e n s a t z zu „Naturreligion" hätte v e r s t a n d e n w e r d e n können, jedenfalls nicht geeigneter zu sein, so daß er den Begriff „Weltrelig i o n " „in ganz wertfreier A r t " v e r w e n d e t e . Die H i n w e n d u n g zu anderen Religionen - Friedrich Michael Schiele schreibt im Vorwort z u m ersten Band des H a n d w ö r t e r b u c h s „ Die Religion in G e s c h i c h t e und G e g e n w a r t " v o n „ H a u p t r e l i g i o n e n " 3 8 - war in jener Zeit allgemein und b e z o g für China in erster Linie den Konfuzianismus, aber auch den T a o i s m u s mit ein. S o ließ Friedrich Michael Schiele, der seit d e m Jahre 1904 die „ R e l i g i o n s g e s c h i c h t l i c h e n V o l k s b ü c h e r " herausgab, in d e n Jahren 1912 und 1913 in dieser Reihe auch Darstellungen der Lehren des Lao-tzu und des Konfuzius e r s c h e i n e n . 3 9 Die mit ihrer s t r e n g e n historischphilologischen Orientierung für die religionswissenschaftliche Forschung jener Zeit s y m p t o m a t i s c h e Zeitschrift „ A r c h i v für Religionswissenschaft" hatte im Jahre 1910 erstmals einen Bericht über „ D i e religionswissenschaftliche Literatur über China seit 1 9 0 0 " v o n Otto Franke a u f g e n o m m e n

34 Zu den Begriffen Religionsgeschichte und Religionswissenschaft siehe Hardy, Edmund, Was ist Religionswissenschaft? Ein Beitrag zur Methodik der historischen Religionsforschung, in: Archiv für Religionswiss. 1, 1898, S . 9 — 4 2 ; abgedruckt in: Lanczkowski, Günter (Hg.), Selbstverständnis und Wesen der Religionswissenschaft (Wege der Forschung, Band 263). - Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1974, S. 1 - 2 9 . 35 Künen, Abraham, Volksreligion und Weltreligion. Fünf Hibbert Vorlesungen. - Leiden 1882, dt. Berlin: Reimer 1883. 36 Völlers, Karl, Die Weltreligionen in ihrem geschichtlichen Zusammenhange. - Jena: Diederichs 1907. 37 Siehe Wundt, Wilhelm, Elemente der Völkerpsychologie. Grundlinien einer psychologischen Entwicklungsgeschichte der Menschheit. - Leipzig: Alfred Kröner 1912, der allerdings „nur zwei Weltreligionen im eigentlichsten Sinne dieses Wortes" anerkennt, nämlich Buddhismus und Christentum. Vgl. ebd., S. 491 . - Z u m „religionswissenschaftlichen Hintergrund" allgemein siehe Küenzlen, Gottfried, Unbekannte Quellen der Religionssoziologie Max Webers, in: Zeitschr. für Soziologie, Jg. 7, Heft 3, 1978, 2 1 5 - 2 2 7 , hier S. 218ff.; wiederholt in: ders., Die Religionssoziologie Max Webers. Eine Darstellung ihrer Entwicklung. - Berlin: Duncker&Humblot 1980, S. 62ff. 38 RGG1, Band 1,1909, S. IX. 39 Zu den „Religionsgeschichtlichen Volksbüchern" siehe den Artikel von Friedrich Michael Schiele in: RGG1, Band 5,1913, Sp. 1721 - 1 7 2 5 .

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und auch zu anderen asiatischen Ländern Berichte über die religionswissenschaftliche Literatur veröffentlicht. 4 0 So sehr in vielen der H a n d b ü c h e r und religionswissenschaftlichen A r b e i ten auch d e m Eigenwert der f r e m d e n Religionen R e c h n u n g getragen w u r de, blieb doch die Ü b e r z e u g u n g von der e i g e n e n Ü b e r l e g e n h e i t weithin v o r h e r r s c h e n d , wie dies auch Adolf Harnack in seiner e r w ä h n t e n Rektoratsrede unmißverständlich z u m A u s d r u c k gebracht hatte. So heißt es in d e m von Heinrich Julius Holtzmann für das Werk „Kultur der G e g e n w a r t " verfaßten Beitrag „ D i e Z u k u n f t s a u f g a b e n der Religion und die Religionswissens c h a f t " : „Hat sich sonach das Christentum bisher fähig e r w i e s e n , sich in den v e r s c h i e d e n s t e n A t m o s p h ä r e n zu akklimatisieren, i m m e r n e u e Kulturwerte zu verarbeiten, so ist nicht abzusehen, w a r u m bei fortgesetzter V e r folgung dieses W e g e s das nicht so w e i t e r g e h e n sollte. Das C h r i s t e n t u m ist überdies die einzige v o n allen Weltreligionen, die ihre G r e n z e n heute noch stets weiter hinausrückt; und was kulturlose Völker im Laufe der b e i d e n letzten J a h r h u n d e r t e an zivilisiertem W e s e n und h u m a n e r Gesittung e m p fangen haben, v e r d a n k e n sie fast ausnahmslos der christlichen Propaganda. " 4 1 Diese Sicht teilten allerdings viele Z e i t g e n o s s e n nicht; und mit d e m A u s b r u c h des Weltkriegs im Jahre 1914 nahm eine bereits b e s t e h e n d e E u r o p a m ü d i g k e i t 4 2 weiter zu. Ungeachtet der E r m a h n u n g Kaiser W i l h e l m s II. „Völker Europas, wahret eure heiligsten G ü t e r " , 4 3 stellte w ä h r e n d d e s Weltkriegs Paul Natorp fest: „ S o w e n d e t heute der s t e r b e n d e M e n s c h d e s

40 Archiv für Religionswissenschaft, Band 13,1910, S. 111 - 1 5 2 . Berichte von A. Wiedemann, Bonn, über die Ägyptische Religion, von H. Haas, Heidelberg, über die Religion der Japaner, von K. Th. Preuß, Berlin, über die Religionen der Naturvölker, von H. Oldenberg, Göttingen, über den indischen Buddhismus und von H. Jacobi, Bonn, über den Jainismus folgten im gleichen Band. Zu einigen dieser Länder sowie über einzelne Bereiche der Religionswissenschaft hatte es in früheren Jahrgängen bereits Berichte gegeben. - Neben dem seit 1900 bestehenden Archiv für Religionswissenschaft waren die anderen wichtigen religionswissenschaftlichen Zeitschriften die Revue de i'histoire des religions, seit 1880, und die seit 1886 erscheinende Zeltschrift für Missionskunde und Religionswissenschaft. 41 Die Kultur der Gegenwart, ihre Entwicklung und Ihre Ziele, herausgegeben von Paul Hinneberg, Teil I, Abteilung IV: Die christliche Religion. Mit Einschluß der israelitischjüdischen Religion. - Leipzig, Berlin: B. G. Teubner 1906, S. 722f. 42 Dazu gehörte auch die Stimmung, wie sie in den ersten Zeilen des 1913 erschienenen Gedichtzyklus' „Alaska" von Gottfried Benn zum Ausdruck kommt, wo es heißt: „Europa, dieser Nasenpopel/aus einer Konfirmandennase,/wir wollen nach Alaska gehn." Siehe Benn, Gottfried, Gedichte (Gesammelte Werkeln vier Bänden, hg. von Dieter Wellershoff, 3. Band.) - Wiesbaden: Limes 1960, S. 20. 43 Dies schrieb Kaiser Wilhelm II. im Jahre 1895 eigenhändig als Thema unter den Entwurf für ein Gemälde, das dann von Hermann Knackfuß ausgeführt wurde. Vgl. Glaser, Hermann, Die Kultur der Wilhelminischen Zeit. Topographie einer Epoche. - Frankfurt am Main: S. Fischer 1984, S. 15.

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Abendlandes seinen Blick zurück auf den Punkt des Aufgangs der geistigen Sonne, die wahre Geburtsstätte der Menschheit und all ihrer tiefen Träume von Gott und Seele: das Morgenland." 4 4 Allerdings hegte Natorp eigene, nationale Hoffnungen, wenn er meinte, durch die Zurückführung auf das „jetzt erst recht aktuell gewordene Problem von Okzident und Orient" werde er „die gehörige Weite des Umblicks g e w i n n e n " , um „die letzte, schicksalsschwere Frage erheben zu dürfen: wohinaus es denn mit dieser ganzen modernen Kultur des Abendlandes eigentlich will; [ . . . ] und - die wichtigste Frage für uns - welche besondere Aufgabe dabei eben uns, der Seele des Deutschen, vorbehalten ist. " 4 5 Der Weltkrieg als der Krieg der Europäer wurde in vielen außereuropäischen Ländern, ganz besonders in China, als Zeichen des moralischen Verfalls betrachtet, womit freilich nur bestätigt wurde, was manche schon vorher über die moralische und kulturelle Eigenart des Europäers gedacht hatten. Die Unterlegenheit des Europäers hatte etwa Ku Hung-mlng ( 1 8 5 7 - 1 9 2 8 ) in einem im Jahre 1911 in deutscher Übersetzung erschienenen Aufsatz folgendermaßen zum Ausdruck gebracht: „Fast will es mir scheinen, als ob der Geisteszustand des modernen Durchschnitts-Europäers, der nach China kommt und von Fortschritt und Reform redet, noch weit hoffnungsloser wäre, als selbst der unserer alten chinesischen Literaten. Es ist wahr, die chinesischen Literaten kennen keine andere Kultur außer ihrer eigenen, aber sie wissen wenigstens etwas von Ihrer eigenen Kultur. Der Durchschnitts-Engländer oder -Europäer auf der anderen Seite, der so gewandt von Fortschritt und Reform in China zu reden versteht, kennt nicht einmal seine eigene Kultur, ja er weiß nicht und kann nicht wissen, was

44 Natorp, Paul, Deutscher Weltberuf. Geschichtsphilosophische Richtlinien, Erstes Buch: Die Weltalter des Geistes. - Jena: Diederichs 1918, S. 27. - Ähnlich formulierte dies Paul Natorp auch an andererstelle; siehe ders., Deutscher Weltberuf. Geschichtsphilosophische Richtlinien, Zweites Buch: Die Seele des Deutschen. - Jena: Diederichs 1918, S. 38: „Im Osten tagte zuerst das L i c h t - d e r Menschheit. Gott wurde da geboren und die Seele; in ihrem Wechselverhältnis: Der Mensch. [ . . . ] Weit aufgeschlossen denken wir ihn uns, aufnehmend ohne Schranken, hingegeben, überwältigt. Jubel und Schmerz der rückhaltlosen Hingabe an das All, das unendliche, strömt überschwenglich sich aus in den Mythen der Veden, in den wortreich immer sich selbst übersteigernden Epen Alt-Indiens. Zuletzt aber, am nachhaltigsten, verbleibt vor allem - die dunkle Gegenseite, der völlige Verzicht der Selbstaufgabe, das Versinken in das Nirwana. Das ist es, was in mannigfacher Abwandlung über ganz Ostasien verbreitet, die beherrschende Form der Weltanschauung des Morgenlandes wurde und es in jahrtausendelangem Schlummer gebannt hielt. Erkennt darin die Seele des Deutschen sich wieder? Erkennt sie da ihren Gott? Ich glaube nicht. Wie der Mensch des Westens überhaupt, ohne gegen solche Urweltstimmung unempfänglich zu sein, sich doch niemals darin gefangen geben wird." 45 Natorp, Paul, Deutscher Weltberuf. Geschichtsphilosophische Richtlinien, Zweites Buch: Die Seele des Deutschen. - Jena: Diederichs 1918, S. 5f.

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Kultur überhaupt ist [.. , ] . " 4 6 - Im Gegensatz zu solchen Werturteilen über die eigene oder eine fremde Kultur enthielt sich Max Weber, ähnlich wie die Vertreter der Religionsgeschichtlichen Schule, 4 7 bewußt solcher Wertungen. Bereits in der spätestens im Jahre 1913 konzipierten und sicherlich erstmals auch niedergeschriebenen, im Jahre 1915 dann erschienenen „Einleitung" sprach Weber deutlich aus, was ihn bei der Untersuchung der „Wirtschaftsethik" interessierte, nämlich: „die in den psychologischen und pragmatischen Zusammenhängen der Religionen gegründeten praktischen Antriebe zum Handeln."48 Damit führte er methodisch weiter, was er in seinen Arbeiten zur Beziehung zwischen Protestantismus und Geist des Kapitalismus begonnen hatte. In der im Jahre 1919 verfaßten „Vorbemerkung" zu den „ G e s a m m e l t e n Aufsätzen zur Religionssoziologie" hat Weber dann noch deutlicher zum Ausdruck gebracht, worum es ihm im Unterschied zu den ProtestantismusStudien in den Studien zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen" ging. In jenen sei es ihm darum gegangen, „in einem wichtigen Einzelpunkt der meist am schwierigsten zu fassenden Seite des Problems näher zu kommen: der Bedingtheit der Entstehung einer .Wirtschaftsgesinnung': des ,Ethos', einer Wirtschaftsform, durch bestimmte religiöse Glaubensinhalte, und zwar an d e m Beispiel der Zusammenhänge des modernen Wirtschaftsethos mit der rationalen Ethik des asketischen Protestantismus." 4 9 Während er also dort „nur der einen Seite der Kausalbeziehung nachgegangen" sei, beschreibt er seine Absicht bei den Aufsätzen zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen" dagegen folgendermaßen: „Die späteren Aufsätze über die .Wirtschaftsethik der Weltreligionen' versuchen, in einem Überblick über die Beziehungen der wichtigsten Kulturreligionen zur Wirtschaft und sozialen Schichtung ihrer Umwelt, beiden

46 Ku H u n g - m i n g . Chinas Verteidigung g e g e n europäische Ideen. Kritische Aufsätze, hg. von Alfons Paquet. - Jena: Diederichs 1911, S. 25. 47 Friedrich Michael Schiele hatte in d e m die ersten sieben Hefte seiner „ R e l i g i o n s g e schichtlichen V o l k s b ü c h e r " vereinigenden S a m m e l b a n d als die ersten zwei von fünf G r u n d g e s e t z e n benannt: „ 1. Das Gesetz der moralischen Voraussetzungslosigkeit aller Wissenschaft. 2. Das Gesetz der Unverbrüchlichkeit der wissenschaftlichen Methode, die alle Weltgebiete nach ihrer Besonderheit ordnet, unter den g e m e i n s a m e n Regeln der V e r n u n f t . " Zitiert nach R G G \ Band 5 , 1 9 1 3 , Sp. 1723. 48 Siehe unten, S. 85. 49 Weber, V o r b e m e r k u n g , S. 12.

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Kausalbeziehungen soweit nachzugehen, als notwendig ist, um die Vergleichspunkte mit der weiterhin zu analysierenden okzidentalen Entwicklung zu finden. Denn nur so läßt sich ja die einigermaßen kausale Zurechnung derjenigen Elemente der okzidentalen religiösen Wirtschaftsethik, welche ihr im Gegensatz zu andern eigentümlich sind, überhaupt in Angriff nehmen." 5 0 Und um möglichen falschen Erwartungen an seine Arbeiten von vornherein zu begegnen, schreibt er im Anschluß daran: „ Die Aufsätze wollen also nicht etwa als - sei es auch noch so gedrängte - umfassende Kulturanalysen gelten. Sondern sie betonen in jedem Kulturgebiet ganz geflissentlich das, was im Gegensatz stand und steht zur okzidentalen Kulturentwicklung. Sie sind also durchaus orientiert an dem, was unter diesem Gesichtspunkt bei Gelegenheit der Darstellung der okzidentalen Entwicklung wichtig erscheint." 5 1

2. Die Anfänge Religionen

von Max Webers Beschäftigung

mit

außereuropäischen

Auch wenn, wie Wolfgang Schluchter festgestellt hat, 1909 Webers späteres „ religionssoziologisches Programm noch nicht zu erkennen" war 5 2 und er in den Jahren 1908/09 „hauptsächlich an den .Agrarverhältnissen im Altertum' und an der .Psychophysik der industriellen Arbeit'" arbeitete, 53 hatte Weber doch bereits lange vorher weit über den Bereich Europas hinaus geblickt. So beginnt er den ersten Abschnitt „Vorbemerkungen" seines im Jahre 1898, also nur ein Jahr nach der ersten Auflage in wesentlich überarbeiteter Form erschienenen Beitrages „Agrarverhältnisse des Altertums" mit den Worten: „ D e n Siedlungen des Occidents ist im Gegensatz zu denjenigen der ostasiatischen Kulturvölker gemeinsam [.. ,]." 5 4

50 Weber, Vorbemerkung, S. 12f. 51 Weber, Vorbemerkung, S. 13. 52 Schluchter, Rekonstruktion, S.530. 53 Weber, Agrarverhältnisse im Altertum3; die Arbeit „Zur Psychophysik der industriellen Arbeit" erschien in Fortsetzungen im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik in den Bänden 27 bis 29 in den Jahren 1908 und 1909 (MWG 1/11); siehe auch Schluchter, Rekonstruktion, S. 531. 54 Weber, Agrarverhältnisse im Altertum2, S. 57. In der ersten Auflage von 1897 spricht Weber nicht von „ostasiatischen", sondern von „asiatischen Kulturvölkern". Siehe Weber, Agrarverhältnisse im Altertum1, S. 1. In der 3. Auflage von 1909 ist der Abschnitt „Zur ökonomischen Theorie der antiken Staatenwelt" überschrieben, und der Text lautet: "Den Siedlungen des europäischen Occidents ist im Gegensatz zu denjenigen der ostasiatischen Kulturvölker gemeinsam [...]"; vgl. Weber, Agrarverhältnisse im Altertum3, S. 52;

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Sodann stellt er die Vieh-, insbesondere die Milchviehzucht im europäischen Okzident dem gartenmäßigen Ackerbau ohne Milchviehhaltung der ostasiatischen Kulturvölker gegenüber. Und auch die von ihm behandelten „Hauptgebiete der alten Kultur" umfassen in der zweiten Auflage seines Handwörterbuchartikels über die „Agrarverhältnisse im Altertum" bereits mehr als den Okzident im engeren Sinne, nämlich Mesopotamien, Ägypten und Altisrael und dann erst Griechenland, den Hellenismus, Rom und die römische Kaiserzeit. Der Blick nach Asien kommt zwar in der ersten Auflage schon deutlich zur Geltung, doch wird er erst in der zweiten Auflage durch Hinzufügung eines eigenen Kapitels über den Orient, den Weber in zwei Abschnitte über Ägypten und den asiatischen Orient unterteilt, differenzierend ausgeweitet. Hier bereits, also im Jahre 1898, zeigte sich, daß Weber die Eigenart des europäischen Okzidents durch Gegenüberstellung mit anderen, vornehmlich den asiatischen, Kulturvölkern tiefer zu verstehen trachtete. In den „Agrarverhältnissen" spricht er davon, daß bei „ d e n Asiaten" die „Erscheinungen primitiver Flurgemeinschaft, z.B. der occidentale Begriff von Mark und Allmende, f e h l e n . " 5 5 Und er fährt fort: „ D i e Flurgemeinschaftselemente in den orientalischen Dorfverfassungen zeigen daher, soweit sie nicht überhaupt modernen Ursprungs, z.B. aus der Steuerverfassung hervorgegangen sind, ein von den europäischen ganz abweichendes Gepräge. - Und der gleiche Gegensatz trägt noch weiter. Auch der Individualismus des Herdenbesitzes mit seiner scharfen ökonomischen und sozialen Differenzierung, - im Occident der primitive Ausgangspunkt des F e u d a l i s m u s - f e h l t den asiatischen Kulturvölkern." 5 6 Ostasien, insbesondere China, diente Weber in jener Zeit jedoch zu nicht mehr als einem Gegenbild, wie dies etwa in seiner im Jahre 1896 gedruckten Freiburger Rede über „Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken K u l t u r " 5 7 bereits zu Beginn zum Ausdruck kommt. Hier heißt es: „Für unsere heutigen sozialen Probleme haben wir aus der Geschichte des Altertums wenig oder nichts zu lernen. Ein heutiger Proletarier und ein antiker Sklave verständen sich so wenig wie ein Europäer und ein Chinese."

wiederabgedruckt in: Weber, Max, Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte.-Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1924, S. 1 (MWG I/6). 55 Weber, Agrarverhältnisse im Altertum 1 , S. 1; Agrarverhältnisse im Altertum 2 , S. 58; in der 3. Auflage, S.52, wird dieser Satz ergänzt durch den Halbsatz „oder doch einen anderen ökonomischen Sinn haben". 56 Weber, Agrarverhältnisse im Altertum 2 , S. 58. Diese Passage wurde nur unwesentlich gegenüber der ersten Auflage verändert. - In der 3. Auflage von 1909 veränderte Weber den letzten Satz zu: „Und auch der .Individualismus' des Herdenbesitzes mit seinen Folgen fehlt den ostasiatischen Völkern." 57 Erschienen in: Die Wahrheit. Halbmonatsschr. zur Vertiefung in die Fragen und Aufgaben des Menschenlebens, 6. Band, 1. Maiheft 1896, S. 5 7 - 7 7 (MWG I/6).

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Doch als ein eigener Forschungsgegenstand war für Weber zu jener Zeit Ostasien offenbar noch nicht in das Blickfeld gerückt. Dies geschah erst mehr als ein Jahrzehnt später. Inzwischen hatte ja auch die Sinologie begonnen, sich als akademisches Fach durchzusetzen, und Nachrichten aus China und über China erreichten Europa in zunehmendem Maße, was nicht zuletzt eine Folge des wirtschaftlichen Engagements und der kolonialen Interessen der europäischen Mächte war. Dieses verstärkte Interesse an China kommt auch in der Rede Otto Frankes auf der Plenarsitzung des Deutschen Kolonialkongresses im Jahre 1905 am Nachmittag des 7. Oktober über „Die politische Idee in der ostasiatischen Kulturwelt" zum Ausdruck. 5 8 In dieser Rede, die mit einer Resolution schloß, in der „ein tieferes Eindringen in die ostasiatische Kulturwelt und ein gründlicheres Verständnis ihres Wesens" sowie „die Errichtung von ordentlichen Professuren für wissenschaftliche Sinologie an deutschen Universitäten" gefordert wurde, 5 9 hatte Otto Franke betont: „Die verschiedenen fremden Religions-Systeme, die auf die ostasiatische Kulturwelt eingewirkt haben und heute noch einwirken, sind denn auch bisher nicht imstande gewesen, die Macht der confuzlanischen Ideen gerade über die aufgeklärtesten Geister zu brechen." 6 0 Und er hatte darauf hingewiesen, daß „der Geist des Abendlandes" „Ostasien so wenig wie die Welt des Islam bisher von seiner unbedingten Superiorität" habe überzeugen können. 6 1 Mit solchen und anderen Argumenten war die Aufnahme der Sinologie In die akademische Welt betrieben worden, und 1909 wurde schließlich Otto Franke als Professor an das Hamburger Kolonialinstitut berufen, das später mit den anderen hamburgischen Wissenschaftlichen Anstalten in der Universität Hamburg aufging; erst 1912 wurde In Berlin eine sinologische Professur eingerichtet, die dann mit dem Holländer J. J. M. de Groot besetzt wurde. 6 2 Die große Zahl der Publikationen über China seit dem Ausgang

5 8 A b g e d r u c k t in d e n V e r h a n d l u n g e n des Deutschen Kolonialkongresses 1 9 0 5 . - B e r l i n : Dietrich Reimer (Ernst Vohsen) 1906, S. 161 - 1 6 9 . - A m Vormittag d e s s e l b e n Tages war übrigens die zu Beginn eines Sektionsvortrages über „ D i e wirtschaftliche B e d e u t u n g des Y a n g t s e - G e b i e t s " von G e o r g W e g e n e r g e m a c h t e Mitteilung von d e m T o d e Ferdinand von Richthofens, des G e o g r a p h e n und Chinareisenden, mit „großer B e w e g u n g " v o n d e n Z u h ö r e r n a u f g e n o m m e n worden. Siehe ebd., S. 989; über Ferdinand von Richthofen und seine Erforschung Chinas z u s a m m e n f a s s e n d O s t e r h a m m e l , Jürgen, Forschungsreise und Kolonialprogramm. Ferdinand von Richthofen und die Erschließung Chinas im 19. Jahrhundert, In: Archiv für Kulturgesch., 69. Band, Heft 1 , 1 9 8 7 , S. 1 5 0 - 1 9 5 . 5 9 Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1905, S. 168f. 6 0 Ebd., S. 162f. 61 Ebd., S. 167. 6 2 Zur G e s c h i c h t e der Sinologie in Deutschland siehe den Überblick von Herbert Franke, Sinologie an d e u t s c h e n Universitäten. Mit e i n e m A n h a n g über Mandschustudlen. - W i e s baden: Steiner 1968. Vgl. auch Hänisch, Erich, Die Sinologie an der Berliner Friedrich-

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des 19. J a h r h u n d e r t s und in den ersten Jahren des 20. J a h r h u n d e r t s , 6 3 vor allem aber auch die z u m Teil schon länger b e s t e h e n d e n , z u m e i s t aber noch recht j u n g e n f ü h r e n d e n asienwissenschaftlichen und sinologischen Zeitschriften wie Journale A s i a t i q u e , 6 4 T ' o u n g Pao, 6 5 Bulletin de l'École Française d ' E x t r ê m e Orient, 6 6 Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprac h e n 6 7 s o w i e die Ü b e r s e t z u n g e n wichtiger Texte durch J a m e s Legge, Édouard Chavannes, Richard Wilhelm und andere und schließlich, aber nicht zuletzt die bereits erwähnte Berücksichtigung Chinas in Fachzeitschriften und H a n d b ü c h e r n trugen mit dazu bei, daß fundiertere religionssoziologische Ü b e r l e g u n g e n über China überhaupt erst in Angriff g e n o m m e n w e r d e n konnten. In nähere B e r ü h r u n g mit außereuropäischen Religionen war W e b e r einmal d u r c h seine B e z i e h u n g zu A n g e h ö r i g e n der von ihm selbst w i e d e r u m nicht unerheblich beeinflußten religionsgeschichtlichen S c h u l e sowie dann durch den Heidelberger Eranos-Kreis g e k o m m e n , in d e m unter a n d e r e m auch die alte c h i n e s i s c h e Religion thematisiert w o r d e n war. Einen Hinweis darauf, daß W e b e r in w e i t r e i c h e n d e r e m Maße aber erst nach 1 9 0 9 / 1 0 sein Blickfeld erweiterte und sich selbst e i n g e h e n d e r mit d e m Orient und a n d e ren Weltreligionen beschäftigte, gibt Marianne W e b e r im „ Lebensbild " . Sie berichtet hier, daß es W e b e r , als „ e r dann (etwa u m 1911) die religionssoz i o l o g i s c h e n Studien wieder aufnimmt, [ . . . ] in den Orient: nach China, Japan und Indien, dann z u m J u d e n t u m und d e m I s l a m " 6 8 g e z o g e n habe. Ein Niederschlag fand dieses neue Interesse W e b e r s bereits in d e m 1 9 1 3 e r s c h i e n e n e n Aufsatz „ Ü b e r einige Kategorien der v e r s t e h e n d e n Soziolog i e " , 6 9 in d e m sich, wie Wolfgang Schluchter festgestellt hat, in den A b Wilhelms-Universität in den Jahren 1889-1945, in: Studium Berolinense. - Berlin: de Gruyter 1960. - Zeitgenössische Berichte finden sich von W. Knappe unter dem Titel „Chinaforschung" in mehreren Fortsetzungen in: Asien. Organ der Deutsch-Asiatischen Gesellschaft, 7. Jg.-Berlin: Hermann Pätel 1908; Jacobi, E., Die sinologischen Studien in Deutschland, in: Zeitschr. für Kolonialpolitik, Kolonialrecht und Kolonialwirtschaft, Jg. 12, Heft 9, September 1910, S. 6 8 1 - 6 8 4 ; Franke, Otto, Die sinologischen Studien in Deutschland, in: ders., Ostasiatische Neubildungen. - Hamburg: C. Boysen 1911, S. 3 5 7 - 3 7 7 . 63 Eine Zusammenstellung der abendländischen Literatur über China findet sich in: Cordier, Henri, Bibliotheca Sinica. Dictionnaire bibliographique des ouvrages relatifs à l'empire Chinois, Vol. 1 - 4 , 2 . A u f l . - P a r i s : Guilmoto 1 9 0 4 - 1 9 0 8 ; Vol. 5 . - P a r i s : Geuthner 1924. 64 Seit 1822. 65 Seit 1890. 66 Seit 1900. 67 Seit 1898. 68 Weber, Marianne, Max Weber. Ein Lebensbild, 3. Aufl.-Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1984, S.346; hinfort zitiert als Weber, Marianne, Lebensbild 3 . 69 Erschienen in: Logos. Internationale Zeitschr. für Philosophie der Kultur, 4. Band, 3. Heft, 1913, S. 2 5 3 - 2 9 4 (MWG 1/12).

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schnitten I bis III, „ b e s o n d e r s unter II, B e z ü g e auf Resultate v e r g l e i c h e n d e r religionssoziologischer F o r s c h u n g e n " 7 0 finden. Damit ist unzweifelhaft, daß W e b e r im Jahre 1913 mit seinen religionssoziologischen Ü b e r l e g u n g e n nicht mehr in den A n f ä n g e n steckte. Z w i s c h e n Max W e b e r s Arbeiten z u m Protestantismus der Jahre 1904 bis 1906 und s e i n e n Studien zur „Wirtschaftsethik der W e l t r e l i g i o n e n " hatte offenbar eine „ E n t d e c k u n g " g e l e g e n . 7 1 Insofern sind diese Studien nicht nur eine Fortsetzung und Entfaltung, sondern, wie Wolfgang S c h l u c h t e r betont, eine Erweiterung von Thematik und Fragestellung. Von einer solchen „ E n t d e c k u n g " Webers, die sie in die Zeit z w i s c h e n 1909 und 1913 datiert, schreibt Marianne W e b e r : „ Für W e b e r b e d e u t e t e diese Erkenntnis der B e s o n d e r h e i t des okzidentalen Rationalismus und der ihm zugefallenen Rolle für die a b e n d l ä n d i s c h e Kultur eine seiner wichtigsten E n t d e c k u n g e n . Infolge davon erweitert sich seine ursprüngliche Fragestellung nach d e m Verhältnis von Religion und Wirtschaft nun zu der noch u m f a s s e n d e r e n , nach der Eigenart der ganzen abendländischen Kultur."72 Diese E n t d e c k u n g prägte fortan W e b e r s D e n k e n in vielfältiger Hinsicht. Und daraus erklärt sich auch die später v o n ihm selbst betonte e n g e Beziehung z w i s c h e n s e i n e n Arbeiten für „Wirtschaft und G e s e l l s c h a f t " und seinen v e r g l e i c h e n d e n religionssoziologischen Studien. Die N o t w e n d i g k e i t des interkulturellen Vergleichs aber beschränkte sich für W e b e r nicht auf die Religion und ihre Funktionen, s o n d e r n b e z o g sich auf alle gesellschaftswissenschaftliche Forschung. So betonte er etwa in e i n e m Brief an G e o r g v o n Below v o m 21. Juni 1914: „ I c h w e r d e w o h l im Winter anfangen, einen ziemlich u m f a n g r e i c h e n Beitrag z u m .Grundriß der Sozialwissenschaften' d r u c k e n zu lassen, der die Form der politischen V e r b ä n d e vergleichend und systematisch b e h a n d e l t " . Und es heißt im s e l b e n Brief weiter: „das, w a s der mittelalterlichen Stadt spezifisch ist, [ . . . ] ist d o c h nur d u r c h die Feststellung: was andern Städten (antiken, chinesischen, islamischen) fehlte, zu e n t w i c k e l n " . 7 3 Der Klärung dieser erweiterten Thematik und der damit v e r b u n d e n e n Fragestellungen d i e n e n die Arbeiten W e b e r s zu s e i n e m s y s t e m a t i s c h e n Werk „Wirtschaft und G e s e l l s c h a f t " e b e n s o wie die Studien zur „ W i r t -

70 Schluchter, Rekonstruktion, S. 531 f. 71 Schluchter, Rekonstruktion, S. 528. 72 Weber, Marianne, Lebensbild3, S.349. 73 Zitiert nach Below, Georg von, Der deutsche Staat des Mittelalters, 2. Aufl., 1. Band: Die allgemeinen Fragen. - Leipzig: Quelle und Meyer 1925, S.XXIVf. - Das Original Ist verschollen. Es existiert noch eine Abschrift von der Hand Marianne Webers in: ZStA Merseburg, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 30, Bd. 11, Bl. 78-79.

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schaftsethik der Weltreligionen" und sicherlich auch jene zur Soziologie der Musik je auf ihre Weise. Eine Mitteilung Marianne Webers weist darauf hin, daß Weber „etwa 1910" eine Untersuchung der Musik auf ihre rationalen und soziologischen Grundlagen unternahm 7 4 und daß es sich bei dieser Studie um die erste handelt, in der Weber seiner erweiterten Fragestellung nach „der Eigenart der ganzen abendländischen K u l t u r " 7 5 nachging. Im Jahre 1911 „ b e d e n k t " er, nach Marianne Webers Mitteilung, „seine musiksoziologische A b h a n d l u n g " . 7 6 Ein Blick auf die Werkpläne verdeutlicht den Zusammenhang der beiden Werkgruppen von „Wirtschaft und Gesellschaft" einerseits und „Wirtschaftsethik der Weltreligionen" andererseits, auf den Weber ja selbst hinweist, wenn er schreibt, daß diese Aufsätze „ n e b e n b e i auch bestimmt [waren], gleichzeitig mit der im .Grundriß der Sozialökonomik' enthaltenen Abhandlung über .Wirtschaft und Gesellschaft' zu erscheinen, den religionssoziologischen Abschnitt zu interpretieren und zu ergänzen (allerdings auch in vielen Punkten durch ihn interpretiert zu w e r d e n ) . " 7 7 Man muß davon ausgehen, daß von Webers religionssoziologischen Studien, die seit dem September 1915 im „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik" als „Religionssoziologische Skizzen" erschienen, zumindest diejenige zum Konfuzianismus tatsächlich, wie er selbst in der ersten Fußnote schreibt, „ s o wie sie vor zwei Jahren niedergeschrieben und Freunden vorgelesen" war, abgedruckt wurde. 7 8 Im Zusammenhang des Projektes „Wirtschaft und Gesellschaft" für den „Grundriß der Sozialökonomik" entstanden, haben seine Überlegungen zur Religionssoziologie ihrerseits die Konzeption dieses Projektes verändert, wie sich an der gegenüber dem Stoffverteilungsplan von 1909 veränderten Gliederung von 1914 ablesen läßt. 79

3. Max Webers Quellen Einen beträchtlichen Teil der von Weber benutzten Literatur machen die von Missionaren verfaßten Werke aus. Manche dieser Bücher gehören zu den

7 4 Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S.349. 75 Ebd. 7 6 Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S.507. 7 7 Siehe unten, S. 83f., Webers Anm. 1; vgl. Schluchter, Rekonstruktion, S. 529. 7 8 Zum Verhältnis der früheren und der späteren Fassung der Studie zum Konfuzianismus bzw. Konfuzianismus und Taoismus siehe ausführlicher im Editorischen Bericht, unten, S.52f. u n d 6 4 f . 7 9 Vgl. Schluchter, Rekonstruktion, S. 557; siehe auch unten, S. 32.

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zu jener Zeit in der westlichen Welt am meisten g e l e s e n e n Bücher über China, wie Arthur H. Smith, C h i n e s e Characteristics. 8 0 A n d e r e W e r k e sind inzwischen selbst für Sinologen zu „ Q u e l l e n " g e w o r d e n , da sie längst v e r g a n g e n e Z u s t ä n d e d o k u m e n t i e r e n , wie e t w a Wilhelm G r u b e s W e r k zur Pekinger V o l k s k u n d e . 8 1 Die von W e b e r zu Rate g e z o g e n e Literatur ist, w e n n auch mit oft u n g e nauen bibliographischen A n g a b e n , v o n W e b e r selbst w e i t g e h e n d aufgeführt w o r d e n . Freilich v e r w e n d e t er Sprache und gängige Begriffe seiner Zeit, deren Herkunft, w e n n sie ihm überhaupt selbst bewußt war, in der v o r l i e g e n d e n Edition n a c h z u w e i s e n als abwegig hätte e r s c h e i n e n m ü s s e n . Für eine spätere Beschäftigung mit d e m Werk Max W e b e r s ist j e d o c h eine Z e i c h n u n g des intellektuellen Hintergrundes und ein Nachweis der v o n ihm mehr oder w e n i g e r b e w u ß t a n g e t r e t e n e n geistigen Erbschaften äußerst w ü n s c h e n s w e r t . A u c h w e n n in der v o r l i e g e n d e n A u s g a b e in den A n m e r k u n g e n des H e r a u s g e b e r s eine große Zahl der Quellen Max W e b e r s namhaft g e m a c h t w e r d e n , so war es d o c h nicht die Aufgabe des Editors, W e b e r s A u s f ü h r u n g e n auf den W i s s e n s s t a n d seiner Zeit zu beziehen und lückenlos zu ermitteln, w o er sich der G e d a n k e n und Begriffe anderer bediente und w o er eigene W e g e ging, v i e l m e h r war es das Ziel, für Ü b e r l e g u n g e n in diese Richtung eine b e s s e r e Grundlage zu schaffen. 8 2 Bei der B e h a n d l u n g vieler Fragen folgt W e b e r ganz deutlich weit v e r b r e i teten Vorstellungen. So verweist er etwa, wie vor ihm Karl Marx und englis c h e Nationalökonomen, wiederholt auf die B e d e u t u n g der Wasserregulierung für die politische und gesellschaftliche Entwicklung Chinas. 8 3 Bei allem

80 Siehe Hayford, Charles W., Chinese and American Characteristics: Arthur H. Smith and His China Book, in: Barnett, Suzanne Wilson, und Fairbank, John King (Hg.), Christianity in China. Early Protestant Missionary Writings. - Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1985, S. 153-174. 81 Siehe Grube, Pekinger Volkskunde (vgl. das Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur, unten, S.557ff.) 82 Erste Überlegungen hierzu hat Küenzlen, Gottfried, Unbekannte Quellen der Religionssoziologie Max Webers, in: Zeitschr. für Soziologie, Jg. 7,1978, S. 215-227, angestellt; wiederholt in: ders., Die Religionssoziologie Max Webers. Eine Darstellung Ihrer Entwicklung. - Berlin: Duncker& Humblot 1980,. S. 58-76. 83 So auf den Seiten 154, 159, 165, 175, 185f„ 210f„ 244, 288. - Auf die „Geographischen Grundlagen der Weltgeschichte" und die Bedeutung der Talebenen für die Stiftung großer Staaten hatte schon G. W. F. Hegel In seinen „Vorlesung über die Philosophie der Geschichte" hingewiesen. - Karl August Wittfogel, der sich In den 20er Jahren mit Max Webers Studie über Konfuzianismus und Taoismus beschäftigt hatte (siehe unten, S. 25), bezieht sich in seinem zuerst im Jahre 1957 In Amerika in englischer Sprache unter dem Titel „ Oriental Despotism" erschienenen Werk, in dem er eine Theorie der „hydraulischen Gesellschaften" entwirft, auf Weber als einen seiner Vorläufer. Vgl. Wittfogel, Karl A., Die Orientalische Despotie. Eine vergleichende Untersuchung totaler Macht. - Köln, Berlin: Kiepenheuer&Witsch 1962, S.28. - Vgl. hierzu auch Zingerle,

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aber verkannte Weber nicht den durchaus provisorischen Charakter seiner Arbeiten, wenn er im Jahre 1919 in der „Vorbemerkung" schreibt: „Der Sinologe, Indologe, Semitist, Ägyptologe wird in ihnen natürlich nichts ihm sachlich Neues finden. Wünschenswert wäre nur: daß er nichts zur Sache Wesentliches findet, was er als sachlich falsch beurteilen muß. [ . . . ] Es ist ganz klar, daß jemand, der auf die Benützung von Übersetzungen und im übrigen darauf angewiesen ist, über die Art der Benutzung und Bewertung der monumentalen, dokumentarischen oder literarischen Quellen sich in der häufig sehr kontroversen Fachliteratur zu orientieren, die er seinerseits in ihrem Wert nicht selbständig beurteilen kann, allen Grund hat, über den Wert seiner Leistung sehr bescheiden zu denken. Um so mehr, als das Maß der vorliegenden Übersetzungen wirklicher .Quellen' (d.h. von Inschriften und Urkunden) teilweise (besonders für China) noch sehr klein ist im Verhältnis zu dem, was vorhanden und wichtig ist. Aus alledem folgt der vollkommene provisorische Charakter dieser Aufsätze, insbesondere der auf Asien sich beziehenden Teile. [ . . . ] Sie sind in einem ungleich stärkeren Maß und Sinn dazu bestimmt, bald .überholt' zu werden, als dies letztlich von aller wissenschaftlichen Arbeit gilt." 8 4

4. Zur Rezeption

des Werkes in der zeitgenössischen

Kritik

Erste Stimmen zu Webers Aufsätzen zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen" finden sich in den Nachrufen. So schreibt etwa Josef Schumpeter in seinem am 7. August 1920 erschienenen Nachruf mit dem Titel „Max Webers Werk" : „Das materielle Komplement zu diesen Leistungen sind dann seine Arbeiten: .Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus' und .Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen'. [...] Sie sind nicht nur die besten soziologischen Leistungen Deutschlands, sondern auch das Zentrum einer deutschen Soziologenschule und haben unendlich fruchtbar gewirkt. " 8 5 Emil Lederer, damals Redaktionssekretär des „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik", veröffentlichte einen Nachruf, 86 in dem er über die „Wirtschaftsethik der Weltreligionen" schreibt: Arnold, Max Weber und China. Herrschafts- und religionssoziologische Grundlagen zum Wandel der chinesischen Gesellschaft. - Berlin: Duncker& Humblot 1972, S. 5 9 - 6 4 . 8 4 Weber, Vorbemerkung, S. 13f. 8 5 In: Der österreichische Volkswirt, 12. Jg., 31. Juli 1920; zitiert nach König, René, und Winckelmann, Johannes (Hg.), Max Weber zum Gedächtnis (Kölner Zeitschr. für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderh. 7 ) . - Köln und Opladen: Westdeutscher Verlag 1963 [2. Aufl. 1985], S. 68. 8 6 Erschienen im Archiv für Sozlalwiss. und Sozialpolitik, 48. Band, 1920/21, Heft 1, 5. I —IV.

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„ W a s aber i n s b e s o n d e r e seine letzten großen Beiträge über die Wirtschaftsethik der Weitreligionen anlangt (vor vielen Jahren auf das Fruchtbarste durch die g r u n d l e g e n d e A b h a n d l u n g über „ D i e protestantische Ethik und den Geist d e s Kapitalismus" eingeleitet), so b e d e u t e n sie eine völlig neue Epoche, zumal für die soziologische Forschung. Es mag heute noch strittig sein, ob und w e l c h e G e s a m t a n s c h a u u n g für die M e n s c h h e i t s g e schichte aus d i e s e m m o n u m e n t a l e n W e r k e e r w a c h s e n wird - hier ist die ganze u n g e h e u r e Welt der transzendentalen Bildungen bewältigt, und der sozialen Einsicht erobert. Und damit ist diese selbst, ist Sozialwissenschaft im weitesten S i n n e In die Universalgeschichte des m e n s c h l i c h e n G e i s t e s eingegliedert. Und w e n n d i e s e m W e r k auch nicht die Absicht z u g r u n d e lag, den i m m a nent religiösen Sinn der Weltreligionen zu erschließen, so strömt d o c h aus dieser m ä c h t i g e n Arbeit, w e l c h e die Funktionalbeziehungen z w i s c h e n religiös g e f o r d e r t e n L e b e n s m a x i m e n und m e n s c h l i c h e r Sozietät enthüllt, ein unverhofftes Licht auf die tiefsten G e h e i m n i s s e noch u n e r s c h l o s s e n e r und wieder v e r s u n k e n e r Wahrheiten. " 8 7 In den Nachrufen kam auch s c h o n die Frage auf, ob „Wirtschaft und G e s e l l s c h a f t " oder aber die „ G e s a m m e l t e n Aufsätze zur Religionssoziolog i e " die wichtigere Hinterlassenschaft Max W e b e r s seien. Ernst Correll bezeichnet in s e i n e m Nachruf auf Max W e b e r die religionssoziologischen U n t e r s u c h u n g e n als „ d i e Hauptarbelt seiner letzten J a h r e " . 8 8 H e r m a n n Kantorowicz nennt in s e i n e m Nachruf die A b h a n d l u n g e n zur Religionssoziologie „ e p o c h e m a c h e n d " , „Wirtschaft und G e s e l l s c h a f t " aber „ d a s Hauptwerk".89 In den zahlreichen R e z e n s i o n e n zu den In den Jahren 1920 und 1921 e r s c h i e n e n e n drei B ä n d e n der „ G e s a m m e l t e n Aufsätze zur Religionssoziologie" wird die Studie zu „ K o n f u z i a n i s m u s und T a o i s m u s " nur am Rande gewürdigt. Dies hat z u m Teil s e i n e n G r u n d auch darin, daß, wie L e o p o l d Zscharnack In seiner B e s p r e c h u n g der drei Bände unter Hinweis auf die „ V o r b e m e r k u n g " 9 0 ausführte, „alles Orientalische W e b e r ja nur als Vergleichsobjekt und als G e g e n s a t z zur okzldentalen Kulturentwicklung interessierte und nur in dieser B e g r e n z u n g zur Darstellung g e l a n g e n s o l l t e " . 9 1 Doch auch v o n sinologischer Seite w u r d e die Arbeit W e b e r s nur w e n i g zur Kenntnis g e n o m m e n . Dies mag mit e i n e m Umstand z u s a m m e n h ä n g e n ,

87 Ebd.,S.III. 88 Erschienen in: Die Hochschule, 4. Jahrgang, 1920, 4. Heft; abgedruckt in: König und Winckelmann, Max Weber zum Gedächtnis (wie Anm. 85), S. 90-94, hier S. 92. 89 Erschienen in der Zeitschrift Logos, Band 11,1922; abgedruckt in: König und Winckelmann, Max Weber zum Gedächtnis (wie Anm. 85), S. 94-98, hier S. 94. 90 Weber, Vorbemerkung, S. 12f. 91 Zeitschr. für Kirchengesch., 40. Band, Neue Folge III, 1922, S.226.

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den Georg von Below in seiner Besprechung des ersten Bandes der „ G e sammelten Aufsätze zur Religionssoziologie" folgendermaßen kennzeichnet: „Die Zahl der wirklichen Sachkenner wird um so kleiner sein, als die vorhandenen Sinologen keineswegs sämtlich mit den philosophischen, theologischen und nationalökonomischen Fragestellungen, über die W[eber] verfügt, vertraut s i n d . " 9 2 Rezensionen erschienen auch in der Tagespresse. In der Vossischen Zeitung vom 19. Dezember 1920 heißt es u.a.: „ A m fruchtbarsten ist der große Aufsatz über die Wirtschaftsethik der Weltreligionen, weil er den Blick weitet nach jenem Osten, der die Wiege der Religionen war, dessen Rätsel zu lösen uns heute mehr denn je notwendig ist." In der Neuen Zürcher Zeitung, Nr. 2120 vom 22. Dezember 1920, 1. Mo.BI., und Nr. 2128 vom 23. Dezember 1923, 2. Mo.BI., bespricht Heinrich Sieveking „Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Konfuzianismus und Taoismus". In der Spalte: „Bücherecke" von „Die Furche", dem „Unterhaltungsblatt zur Fränkischen Tagespost", Neue Folge, 1. Jg., Nr. 128 vom 10. Dezember 1920, S . 5 1 2 , heißt es über Band 1 der „Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie" u.a.: „Wir sehen, wie das religiöse Wollen von einst wirtschaftliches Müssen von jetzt geworden ist. Diese eminent wichtige Erkenntnis müssen wir uns freilich sauer erkämpfen. Manches Wenn und Aber, Für und Wider ballt sich zu gefährlich langen Anmerkungen unterm Strich zusammen und erschwert dem an wissenschaftliche Lektüre nicht Gewöhnten Verständnis und Genuß dieses Buches. Dieser Umstand, dann die überreich verwendeten Fremdwörter und endlich der sehr hohe Preis des Werkes lassen das Buch für den Arbeiter von vornherein ausscheiden. Akademisch gebildete Genossen dagegen sollten sich seine Lektüre zur lohnenden Pflicht machen." In der Zeitschrift „Hochland", 18.Jg., Heft 6 vom März 1921, S . 7 4 6 - 7 4 8 , schreibt Alois Dempf unter dem Titel „Religionssoziologie" unter anderem, S . 7 4 7 : „Ich wüßte keine Darstellung der chinesischen Religion vor allem, die so umfassend deren innere Ausgestaltung und Entfaltung in und aus dem Kulturganzen darstellt wie die Webers." In der „Zeitschrift für Sozialwissenschaft", Neue Folge, 12. Jg., 1921, S. 211 - 2 1 3 , macht Georg von Below, unter Hinweis auf eine im vorausgegangenen Jahrgang der selben Zeitschrift erschienene Besprechung einiger der von Weber zuletzt veröffentlichten Schriften durch den ebenfalls im Jahre 1920 verstorbenen Wilhelm Hasbach (eine Rezension von der „Wichtigkeit eines geschichtlichen Dokuments"), Max Weber den Vorwurf, er habe sich bei seinem Eintritt für die Übernahme der Verfassung Englands, die „dort schon überwunden" sei, „in der politischen Praxis zu dem ober92 Zeitschr. fürSozialwiss., Neue Folge, 12. Jahrgang, 1921, S.213.

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sten Grundsatz der historischen Schule, daß auf ein Volk nicht die unter ganz anderen Verhältnissen erwachsene Verfassung eines fremden Volkes übertragen werden könne, in Gegensatz gestellt". Diese widerspruchsvolle Praxis sei um so bedeutungsvoller, als Weber wohl als „das wissenschaftliche Haupt der deutschen Demokratie angesehen w e r d e n " dürfe. - Über den Teil zur „Wirtschaftsethik der Weltreligionen" im ersten Band der „Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie" schreibt von Below dann, nach der Besprechung der ersten beiden Studien zur Protestantischen Ethik und zu den Protestantischen Sekten: „Die dritte, die umfangreichste, behandelt einen Stoff, für den sehr wenig Sachkenner zur Verfügung stehen. Nach einer allgemeinen Einleitung schildert sie den ,Konfuzianismus und Taoismus', welcher Schilderung dann noch eine kurze Zwischenbetrachtung angehängt ist: ,Theorie der Stufen und Richtungen religiöser Weltablehnung'." In Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche, Jg. 46, 1922, S. 251 - 2 5 8 , beschäftigte sich Otto Hintze - ebenso wie die meisten anderen Rezensenten - nur sehr allgemein mit den „ G e s a m m e l t e n Aufsätzen zur Religionssoziologie". Er nimmt fast ausschließlich auf die „Einleitung" und die „Zwischenbetrachtung" Bezug. HintzegreiftWebers in der „Vorbemerkung" geäußerte Ansicht auf, welche Rolle die Erfjqualitäten für die Klärung der Frage nach den unterschiedlichen Entwicklungen von Orient und Okzident spielen könnten, die Weber in dem Satz gipfeln läßt: „Vorerst scheint mir jene Voraussetzung zu fehlen und wäre die Verweisung auf .Erbgut' ein voreiliger Verzicht auf das heute vielleicht mögliche Maß der Erkenntnis und eine Verschiebung des Problems auf (derzeit noch) unbekannte Faktoren" (Weber, Vorbemerkung, S. 16). Otto Hintze schreibt dazu: „Es ist zwar sehr richtig, daß der Rekurs auf den National- oder Rassencharakter oft nur ein Ausdruck für soziologische Ignoranz, auch wohl für bequeme Gedankenlosigkeit ist; es gilt eben, möglichst viel von dem historisch gewordenen Charakter der Rassen und Nationen genetisch zu erklären durch die geistigen und materiellen Kulturfaktoren, die anerkanntermaßen im Laufe der Geschichte den Menschenschlag beeinflussen und fortbilden. [ . . . ] Aber wenn das Rassenproblem, wie es vielen modernen Soziologen beliebt, weiterhin beiseite geschoben wird, so würde das heutige Jgnoramus' nur gleich mit dem Jgnorabimus' verbunden werden können." (S. 2 5 7 - 5 8 ) . Ebenfalls in Schmollers Jahrbuch, im 48. Jg., 1924, S. 1 - 3 0 , setzt sich Ferdinand Tönnies in seinem Aufsatz „ Kulturbedeutung der Religionen" auf weiten Strecken, insbesondere S. 1 4 - 2 8 , mit Webers erstem Band der „ G e s a m m e l t e n Aufsätze" auseinander. In der „Literarischen Beilage" zur Augsburger Postzeitung, N r . 8 v o m 21. Februar 1922, geht Georg Wunderle am Schluß seiner Besprechung auf die Schilderung der konfuzianischen Lebensorientierung (vgl. unten,

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S. 332ff.) ein und schreibt: „Die folgende Schilderung der konfuzianischen Lebensorientierung ist allgemein kulturell ebenso interessant wie soziologisch; dazu dürfte vielleicht manche Ergänzung bieten das eben erschienene Büchlein von R. Eucken und Carsun Chang: ,Das Lebensproblem in China und Europa' (Leipzig 1922, bei Quelle u. Meyer). Die abschließende Vergleichung und Gegenüberstellung von konfuzianischer Orthodoxie und taoistischer Heterodoxie zeigt die seltene Fähigkeit Webers zu wissenschaftlicher Synthese. Die auf eindringlichste Kenntnis der Religionsgeschichte gestützte soziologische Untersuchung wird in ihren Ergebnissen veranschaulicht durch die Rückbeziehung auf den Puritanismus. Ich möchte dabei an eine fesselnde Parallele erinnern: Nathan Söderblom hat in seinem Buch über ,Das Werden des Gottesglaubens' (Leipzig 1916) die Idee des chinesischen Himmelsgottes, der ihm die charakteristischen Züge eines primitiven .Urheber'-Gotteszu tragen schien, fast vorbildlich sein lassen für den europäischen, genauer gesagt, englischen Deismus, und nun bringt Max Weber die chinesische Art der Rationalisierung des Lebens in vergleichende Beziehung gerade mit dem englischen Puritanismus, dessen prädestinierender Gott dem menschlichen Leben wahrlich nicht müßig zuschaut." Friedrich Kreis besprach den ersten Band der Gesammelten Aufsätze in Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie und Kultur, Band 10,1921 / 22, S. 2 4 4 - 2 4 7 , und die Theologischen Literaturberichte, Jg. 1922, Nr. 4 und 5, enthalten eine Besprechung des ersten Bandes der „Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie." 9 3 Im Schwäbischen Merkur vom 9. Dezember 1922 heißt es in einer .Kurzen Notiz' zu Beginn: „ M a x Webers Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie (3 Bände, Mohr, Tübingen) bedürfen heute keiner Empfehlung mehr; sie sind längst denen, die sich mit den beiden im Titel angedeuteten Gebieten beschäftigen, unentbehrlich geworden." Und in den Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik, 118. Band (63. Band der III. Folge), 1922, S. 4 7 4 - 4 8 1 , bespricht Paul Barth die drei Bände der „Gesammelten Aufsätze". In der Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 16. Band, 1922, Heft 3/4, S. 4 2 0 - 4 3 4 , bespricht E. Rothacker die 3 Bände der „Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie" sowie die ersten beiden Lieferungen von „Wirtschaft und Gesellschaft". In der Theologischen Literaturzeitung, 1923, Nr.24, Sp. 5 0 5 - 5 1 1 , heißt es in der von Andreas Walther verfaßten Besprechung der drei Bände „Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie", in Sp. 508: „Daß aber nun die Behandlung der orientalischen Religionen eine sinnge-

93 Gezeichnet: „Weber, B o n n " ; wahrscheinlich handelt es sich um den Systematiker Hans Emil Weber ( 8 . 3 . 1 8 8 2 - 1 3 . 6 . 1 9 5 0 ) .

24

Einleitung des Herausgebers

mäße Fortsetzung dieser Studien 9 4 wurde, wird aus der Erwägung verständlich, daß in der Tat keine noch so minutiöse Untersuchung der neuzeitlichen Entwicklung das Maß der religiösen Einwirkung gleich überzeugend veranschaulichen kann, wie die universalhistorische Gegenprobe: Warum entstand nirgends sonst in der Welt Kapitalismus In unserm Sinne?" Die erste ausführliche Auseinandersetzung mit Webers China-Studie ist die des Sinologen und Diplomaten Arthur von Rosthorn, den Weber gekannt und mit dem er korrespondiert hatte (vgl. unten, S . 4 2 f . ) . Der Beitrag von Rosthorns, der unter dem Titel „Religion und Wirtschaft in China" in der „Erinnerungsgabe für Max Weber" im Jahre 1923 erschien, 9 5 ist jedoch keine Auseinandersetzung mit der erweiterten, „Konfuzlanismus und Taoismus" betitelten, sondern mit der im „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik" erschienenen Fassung von 1915. Von Rosthorn Ist „der Meinung, daß der kausale Zusammenhang von Religion und Wirtschaft überhaupt" von Weber verkannt worden sei, und er will In seiner Darlegung diese Meinung begründen. 9 6 Schon die Grundthese vom Zusammenhang zwischen Glaubensvorstellungen und „ d e m Aufschwung des modernen Geschäftslebens und der kapitalistischen Produktion" lehnt von Rosthorn ab, 9 7 und er fragt, ob dieser Aufschwung nicht „vielmehr eine Folge der technischen Fortschritte und Erfindungen, der Erschließung großer Kontinente und des gesteigerten Verkehrs" gewesen sei, 9 8 und ob nicht „die maritime Lage der protestantischen Länder, ihre Tüchtigkeit als Seefahrer, Ihr Fleiß und ihre Zähigkeit als Folge eines schärferen Kampfes ums Dasein mit Ihrem Aufschwung mehr tun [hat] als Ihre religiöse oder moralische • E i n s t e l l u n g " 9 9 Dies führt ihn zu einem Hinweis auf die regionalen Unterschiede in China und Insbesondere zu dem Gegensatz zwischen Norden und Süden, In dem er „die Wurzeln des wirtschaftlichen Lebens aufgedeckt" zu haben glaubt. 1 0 0 Freilich sei „auch die geistige Disposition Im Norden und im Süden eine etwas verschiedene gewesen." Und von Rosthorns These gipfelt in den Sätzen: „ D e r nüchterne, weltbejahende und sittlich strenge Konfuzianer ist der Ausdruck der nordischen Denkungsart; der müde, weitabgewandte, kontemplative Taoismus entspricht mehr dem Naturell des Südländers. Aber sicherlich hat hier nicht die Religion die

9 4 Gemeint sind ,Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus' und ,Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus'. 9 5 Rosthorn, Arthur von, Religion und Wirtschaft in China, in: Hauptprobleme der Soziologie. Erinnerungsgabe für Max Weber, Band 2 . - München und Leipzig: D u n c k e r & H u m biot 1923, S. 2 1 9 - 2 3 3 . 9 6 Rosthorns Einlassungen zu einzelnen sachlichen Fragen und seine Kritik an Weber sind unter dem Gesichtspunkt wissenschaftsgeschichtlicher Fragestellung durchaus interessant, brauchen hier aber nicht aufgegriffen zu werden. 97 Ebd., S. 232. 98 Ebd. 99 Ebd. 100 Ebd.

Einleitung

des Herausgebers

25

Wirtschaft beeinflußt, sondern beide, Religion und Wirtschaft, sind die Produkte gemeinsamer Bedingungen: des Bodens, des Klimas und vielleicht auch der Mischung des B l u t e s ! " 1 0 1 Arthur von Rosthorns Kritik haben sich auf lange Zeit keine weiteren Besprechungen von sinologischer Seite beigesellt; jedoch ist Webers Studie über Konfuzianismus und Taolsmus von sinologischer Seite durchaus zur Kenntnis g e n o m m e n worden und hat einige Sinologen erheblich beeinflußt. Dies gilt im deutschen Sprachraum insbesondere für Stefan Baläzs, 1 0 2 und später dann für den angelsächsischen Bereich. Außerhalb der sinologischen Fachkreise hat die Kritik von Rosthorns sicherlich mit dazu beigetragen, daß die Studie Max Webers wenig Beachtung gefunden hat. Julius Braunthal zitiert in seinem In der „Sozialdemokratischen Monatsschrift" „ D e r Kampf" im Jahre 1925 erschienenen Artikel „ Ö k o n o m i s c h e und soziale Wurzeln des chinesischen Risorgimento" Webers Arbelt zwar häufig und lobt sie als „das weitaus Bedeutendste und Aufschlußreichste der über chinesische Wirtschaftsgeschichte vorliegenden Literatur", 1 0 3 doch erscheint Ihm auch die Lektüre der Abhandlung von Rosthorns „zur Korrektur [von] Webers Studie unumgänglich notwendig," 1 0 4 Karl August Wlttfogel bezeichnet in seinem Buch „ D a s erwachende C h i n a " 1 0 5 Max Webers Antwort auf die Frage, „ w a r u m China keinen selbständigen Industriekapitalismus hatte", als „ S a m m e l s u r i u m - L ö s u n g " , 1 0 6 und schreibt etwas später: „ D e r Hauptmangel des Buches liegt [ . . . ] in der undialektisch-unmarxlstlschen Methode, die trotz aller glänzenden Einzelheiten das Zustandekommen eines materialistischen Geschichtsbildes unmöglich macht. Das Buch ist ein Trümmerhaufen einzelner wertvoller Geschichtstatsachen, keine Geschichte. [ . . . ] Immerhin ist Weber der einzige bürgerliche Historiker, der überhaupt emsthaft die Frage aufgeworfen hat, warum China nicht selbständig zum industriellen Kapitalismus kam. Seine eklektisch-unmarxistische Methode hat Ihn dann allerdings gehindert, eine ausreichende Antwort auf die von ihm richtig als Kernproblem erkannte Frage zu f i n d e n . " 1 0 7

101 Ebd. 102 Siehe hierzu Trauzettel, Rolf, Stabilität und Kontinuität der chinesischen Gesellschaft. Bemerkungen zum Werk des Sinologen Etienne Baläzs ( 1 9 0 5 - 1 9 6 3 ) , in: Saeculum 18, 1967, S. 2 6 4 - 2 7 7 . 103 Braunthal, Julius, Ökonomische und soziale Wurzeln des chinesischen Risorgimento, in: Der Kampf. Sozialdemokratische Monatsschrift, Jg. 18, N u m m e r 8 / 9 (AugustSeptember 1925), S. 3 0 7 - 3 2 3 , hier S. 309, Anm. 6. 104 Ebd. 105 Wittfogel, Karl August, Das erwachende China. Ein Abriß der Geschichte und der gegenwärtigen Probleme Chinas. - Wien: Agis-Verlag 1926. 106 Ebd., S. 159, Anm. 1. 107 Ebd., S. 161.

26

Anhang zur Einleitung Dynastientafel Hsia Shang Chou

21. J h . - 1 6 . Jh. v.Chr. 16. J h . - 1 1 . Jh. v.Chr. 11. J h . - 2 5 6 v . C h r .

Westl. Chou Östliche Chou Ch'un-ch'iu-Periode Chan-kuo-Periode Die Teilstaaten Chln Ch'i Ch'u Ch'in Cheng Lu Wu Chao Yüeh Han Wei

11. J h . - 7 7 1 v.Chr. 7 7 0 - 2 5 6 v.Chr. 7 7 0 - 4 7 6 v. Chr. 4 8 1 - 2 2 1 v.Chr. 858-376 850-221 847-223 844-221 806-375 855-250 585-473 517-222 475-222 424-230 424-225

Ch'in Han

2 2 1 - 2 0 6 v.Chr. 206v.Chr.-220n.Chr

Frühere (Westl.) Han Interregnum des Wang Mang Spätere (Östl.) Han

206 v . C h r . - 8 n.Chr. 9 - 23 n.Chr. 2 5 - 2 2 0 n. Chr. 2 2 1 - 2 8 0 n.Chr.

San-kuo (Drei Reiche) Wu

2 2 2 - 2 8 0 n.Chr. 2 2 0 - 2 6 5 n.Chr. 2 2 1 - 2 6 3 n.Chr.

Wei Shu(Han)

2 6 5 - 3 1 6 n.Chr. 3 1 7 - 4 2 0 n.Chr. 4 2 0 - 5 8 1 n.Chr.

Westl. Chin Östl. Chin Südl. und Nördl. Dynastien Süden Sung Südl. Ch'i Llang Ch'en

(420-479) (479-502) (502-557) (557-589)

Norden Nördl. (T'oba) Wei Östl. Wei Westl. Wei Nördl. Ch'i Nördl. Chou

(386-534) (534-550) (534-556) (550-577) (557-581)

Anhang

zur Einleitung des

Sui T'ang Fünf Dynastien (Wu-tai) SpätereLiang Spätere T'ang SpätereChin Spätere Han SpätereChou

5 8 9 - 6 1 8 n.Chr. 6 1 8 - 9 0 7 n. Chr. 9 0 7 - 9 6 0 n. Chr.

907-923n.Chr. 923-936n.Chr. 936-946n.Chr. 9 4 7 - 9 5 0 n.Chr. 951-960n.Chr.

Liao (Kitan) Westliche Liao Hsi-hsia

960-1126n.Chr. 1127-1279n.Chr.

Chin (Jurchen)

Sung Nördl. Sung Südl.Sung

27

Herausgebers

9 1 6 - 1 1 2 4 n.Chr. 1 1 2 5 - 1 2 0 1 n.Chr. 1 0 3 2 - 1 2 2 6 n.Chr.

9 6 0 - 1 2 7 9 n.Chr.

Yüan (Mongolen) Ming Ch'ing (Manchu) Republik China (seit 1949 auf Taiwan) Volksrepublik China

1 1 1 5 - 1 2 3 4 n.Chr. 1 2 8 0 - 1 3 6 7 n.Chr. 1 3 6 8 - 1 6 4 4 n.Chr. 1 6 4 4 - 1 9 1 2 n.Chr. 1912 — 1949-

28

Soziologie. Soziologie. Dr. M A X W E B E R , Professor in München, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie (vorläufig 2 Bände im Druck). Die hier gesammelten Aufsätze sind fast alle im »Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik« erschienen, aber nicht nur durchgesehen, sondern durch beträchtliche Einschiebungen und Beibringung von Belegen ergänzt. An der Spitze steht der viel diskutierte Aufsatz über »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus«. Weiter folgen noch eine Skizze über »Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus« (Umarbeitung eines Aufsatzes aus der »Christi. Welt«), die Aufsätze über »Wirtschaftsethik der Weltreligionen«, erweitert durch eine kurze Darstellung der ägyptischen und mesopotamischen und der zarathustrischen religiösen Ethik, namentlich aber durch eine der Entstehung der sozialen Eigenart des Okzidents gewidmeten Skizze der Entwicklung des europäischen Bürgertums in der Antike und im Mittelalter. Die Darstellung des Judentums reicht bis zum Beginn der Makkabäerzeit. Ein dritter Band wird die Darstellung des Urchristentums, des talmudischen Judentums, des Islam und des orientalischen Christentums enthalten, ein Schlußband das Christentum des Okzidents behandeln. Gegenstand ist überall die Behandlung der Frage: Worauf die ökonomische und soziale E i g e n a r t des Okzidents beruht, wie sie entstanden ist und insbesondere in welchem Zusammenhang sie mit der Entwicklung der religiösen Ethik steht.

Aus: Neuigkeiten aus dem Verlag von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) und der H. Laupp'schen Buchhandlung, Nr. 3, 25. Oktober 1919, S. 11.

29

3 >«"* " k e i n e s der anderen Elemente spezifisch m o d e r n e n Ratio• f u M - , I nalismus, welche für die Kultur des Westens konstitutiv waren, i zur Seite, weder konkurrierend noch unterstützend. Sie blieb aufgepfropft auf eine Unterlage, welche im Westen schon mit | der Entwicklung der antiken Polis im wesentlichen überwunden \ war. Es kann also die von ihr getragene Kultur annähernd ¿^t,.1 als ein Experiment gelten: welche Wirkung rein von sich aus j?jtz jder p r a k t i s c h e Rationalismus der Herrschaft einer Büroj]* v _ losophie in allen ihren Gegepsätzen ist in etwa dem gleichen Zeitraum wie d i e ^ n t i k e entwickelt worden. Seit der Konsolift^y^ti/ dierung der Einheit, etwa mit dem Beginn unsrer Zeitrechnung, ist eii^selbständiger Denker nicht mehr aufgetreten. *»¥ > 4

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Der Konfuzianismus war, ebenso wie der Buddhismus, nuft Ethik (»Tao«, darin 7 ) entsprechend dem indischen »Dhamrna«). Aber) ^y?*4* ¿ j ¿Zig. er war im schärfsten Gegensatz zum Buddhismus ausschließlich ( ™ W nnerweltliche L a i e n Sittlichkeit. Und in noch schärferem Kon- ^ » y ^ rast zu ihm war er Anpassung an die Welt, ihre Ordnungen und) iLJ^er Ausdruck vieldeutig,eigentlich wie wir noch Konventionen, ja,istletztlich nursehen ein werden. ungeheurer Ko-1 iex von politischen Maximen und gesellschaftlichen Anstand^/

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Die Wirtschaftsetl ik der Weltreligionen. (Zw e ti er Artikel.) Von

MAX W E B E R . Der Konfuzianisn us III, IV. (Schluß). III. O r t h o d o x i e u n d H e t e r < d o x i e i n i h r e n s o z i a l e t h i s c h e n W i r k u n g e n . Lehre, Kult und Erlösu jgsreligion im antiken Occident und in China S- 335- — Die Mystik Laotses S. 340. - Der Taoismus und seine Stellung zur WirtSchaftsethik S, 345. — Die ethischen nd ökonomischen Wirkungen des Konfuzianismus S. 35 t. — Konfuzianismus u:1 1Urstandslehre. Die Kriterien der Heterodoxie S, 361. — Die Toleranz und ihre Schranken im Konfuzianismus S. 364. — IV. Z u s a m m e n f a s s u n g . K o n u z i a n i s m u s u n d P u r i t a n i s m u s . S. 372.

ii Der offizielle chinesische Staatskult diente, wie überall, nur den Gemeinschaftsinteiessen, der Ahnenkult Interessen der Sippe. Rein individuelle Interessen blieben bei beiden außer Spiel. Die Weitgehende Verunpersönlichung der großen Naturgeister, die Reduktion ihres Kultes auf das amtliche Ritual, die Entleerung dieses Rituals von allen emotionalen Elementen, endlich seine Gleichsetzung mit bloßen gesellschaftlichen Konventionen: — Alles das Werk der vornehm gebildeten Intellektuellenschicht, — ließen die typischen religiösen Bedürfnisse der Massen ganz beiseite. Der stolze Verzicht auf das Jenseits % und 5 1 ) Vgl. zum Taoismus die Quellen bei de H a r l e « und L e g g e . — Allgemein vor allem die schon zitierte vorzügliche; posthume Schrift von W. G r u b e , Religion und Kultur der Chinesen. g^—Hr . r-^v.^ 1 t • riffln fvr Yfirn r, • . ¡r*

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iafer. «!46 ( ' 9 T 5 — r 9 ) in Einzelteilen; die ersten Partien unverändert so, wie sie zwei Jahre vorher niedergeschrieben und Freunden vorgelesen waren. Einziehung zum Dienst machte es damals unmöglich, den wissenschaftlichen »Apparat«, wie beabsichtigt, beizufügen; an seiner Stelle wurden kurze Hinweise auf die Literatur bei Beginn jedes Abschnittes beigegeben. Daher auch die verschieden eingehende Behandlung der einzelnen Gebiete. Wenn die Aufsätze trotzdem damals gedruckt wurden, so lag der Grund darin, daß es unmöglich schien, nach dem Ende des Krieges, der für jeden eine Lebensepoche bedeutete, auf Gedankenreihen früherer Zeit zurückzukommen. Die Aufsätze waren nebenbei auch bestimmt, gleichzeitig mit der im »Grundriß der Sozialökonomik« enthaltenen Abhandlung über »Wirtschaft und Gesellschaft« zu erscheinen, den religionssoziologischen Abschnitt zu interpretieren und zu ergänzen (allerdings auch in vielen Punkten durch ihn interpretiert zu werden). Dieser Aufgabe aber schienen sie auch in ihrem damaligen Zustand dienen zu können. Was ihnen infolge ihres notgedrungen skizzenhaften Charakters und der ungleichmäßigen Ausführlichkeit der Darstellungen an Eigenwert abging, werden sicherlich künftig die Arbeiten anderer wesentlich besser bringen, als es mir möglich gewesen wäre. Denn in irgend einem Sinn ein »Abschluß« zu sein, hätten ja auch in ihrer fertigen Form solche Abhandlungen nie beanspruchen dürfen, bei welchen der Verfasser auf übersetzte Quellen angewiesen ist. Auch in ihrer jetzigen Form können sie aber vielleicht zur Ergänzung der Problemstellungen der Rtligions- und hie und da wolil auch der Wirtschafts-Soziologie in einigen Punkten nützlich sein. Ich habe bei der jetzigen gesammelten Herausgabe gesucht, neben der Beseitigung einiger kleinerer Versehen auch die starken Unvollkommenheiten der Darstellung, namentlich der chinesischen Verhältnisse, soweit zu bessern, aU es dem Nichlfachmann nach Lage des ihm zugänglichen Materials möglich ist und die Quellenzitate etwas vervollständigt.

Titelseite der Fassung von 1920 (C 237).

III.

A 1 C 237

Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. b

Vergleichende religionssoziologische Versuche 1 ). b

Einleitung. 5 Unter „Weltreligionen" werden hier, in ganz wertfreier Art, jene fünf religiösen oder religiös bedingten Systeme der Lebensreglementierung verstanden, welche besonders große Mengen von Bekennern um sich zu scharen gewußt haben: die konfuzianische, hinduistische, A 2 C 238 buddhistische, christliche, islamitische religiöse Ethik. Ihr tritt als ') E r s c h i e n e n im Jaffeschen Archiv für Sozialwissenschaft Bd. 41-46 (1915-19) in A 1 C 237 Einzelteilen; die ersten Partien unverändert so, wie sie zwei Jahre vorher niedergeschrieben und Freunden vorgelesen waren. c Einziehung zum Dienst machte es damals 0 1 unmöglich, den wissenschaftlichen „Apparat", wie beabsichtigt, beizufügen; an seiner Stelle wurden® kurze Hinweise auf die Literatur bei Beginn jedes Abschnittes beigegeben.' Daher auch 9 die verschieden eingehende Behandlung der einzelnen Gebiete. h Wenn die Aufsätze trotzdem damals gedruckt wurden, so lag der Grund darin, daß es unmöglich schien, nach dem Ende des Krieges, der für jeden eine Lebensepoche bedeutete, auf Gedankenreihen früherer Zeit zurückzukommen." Die' Aufsätze waren nebenbei auch a Fehlt in A. Mit d e n Ziffern I. und II. w e r d e n im Band 1 der G e s a m m e l t e n Aufsätze zur Religionssoziologie die beiden a n d e r e n darin enthaltenen Arbeiten W e b e r s („ Protestantische Ethik 2 " und „ Protestantische S e k t e n " ) bezeichnet. b A: Religionssoziologische

Skizzen 1 ) von Max Weber. c A: Die nachstehenden Darlegungen erscheinen unverändert so wie sie vor zwei Jahren niedergeschrieben und Freunden vorgelesen waren. d Fehlt in A. e A: sind f In A folgt: Ebenso war es unmöglich, mehr als die notdürftigsten stilistischen Glättungen vorzunehmen, überhaupt die Aufsätze nochmals durchzuarbeiten. g Fehlt in A. h A: Wenn die Aufsätze trotzdem jetzt gedruckt werden, so liegt der Grund darin, daß es nach dem Ende des Krieges vollends unmöglich sein würde, dies alles nachzuholen. Denn dieser Einschnitt ist so stark, daß er es ausschließt oder doch unverhältnismäßig erschwert, Gedankenreihen aus der Zeit vorher wieder aufzunehmen. Andere seitdem übernommene Arbeiten werden dann dringlicher sein. i A: Diese 1 A m 2. A u g u s t 1914, einen Tag nach d e m A u s b r u c h des Ersten Weltkriegs, m e l d e t e W e b e r sich als Premler-Lieutnant der Reserve freiwillig beim G a r n i s o n s k o m m a n d o in Heidelberg und w u r d e als Militärisches Mitglied in der Heidelberger Reserve-Lazarettk o m m i s s i o n eingesetzt. A m 30. S e p t e m b e r 1915 w u r d e die R e s e r v e - L a z a r e t t k o m m i s s i o n aufgelöst, woraufhin W e b e r auf eigenes G e s u c h hin aus d e m militärischen Dienst entlassen w u r d e . Vgl. Editorischer Bericht, oben, S. 35ff.

84

Die Wirtschaftsethik

der

Weltreligionen

sechstek mitzubehandelnde Religion das Judentum hinzu, sowohl weil es für jedes Verständnis der beiden zuletzt genannten Weltreligionen entscheidende1 geschichtliche Voraussetzungen enthält, als wegen seiner teils wirklichen, teils angeblichen historischen Eigenbedeutung für die Entfaltung der modernen Wirtschaftsethik des 5 Okzidentes, die in neuester Zeit mehrfach erörtert wurde"1.2 "Andere Religionen werden nur soweit herangezogen, als für den historischen Zusammenhang unentbehrlich ist." Für das Christentum wird °zunächst auf die früher erschienenen, in dieser Sammlung vorangestellten, Aufsätze" 3 Bezug genommen, deren Kenntnis vorausge- 10 setzt werden muß. p bestimmt, gleichzeitig mit der im „Grundriß der Sozialökonomik" enthaltenen Abhandlung über „Wirtschaft und Gesellschaft" zu erscheinen, den religionssoziologischen Abschnitt zu interpretieren und zu ergänzen (allerdings auch in vielen Punkten durch ihn interpretiert zu werden). q Dieser Aufgabe aber schienen sie auch in ihrem damaligen Zustand dienen zu können. "Was ihnen infolge ihres notgedrungen skizzenhaften Charakters und der ungleichmäßigen Ausführlichkeit der Darstellungen an Eigenwert abging r , werden sicherlich künftig die Arbeiten anderer wesentlich besser bringen, als es mir möglich gewesen wäre. Denn in irgend einem Sinn ein „Abschluß" zu sein, hätten j a s auch in ihrer fertigen Form solche* Abhandlungen nie beanspruchen dürfen, bei welchen der Verfasser auf übersetzte Quellen angewiesen ist. Auch in ihrer jetzigen Form können sie aber vielleicht zur Ergänzung der Problemstellungen der Religions- und hie und da wohl auch der Wirtschafts-Soziologie in einigen Punkten nützlich sein. "Ich habe bei der jetzigen gesammelten Herausgabe gesucht, neben der Beseitigung einiger kleinerer Versehen auch die starken Unvollkommenheiten der Darstellung, namentlich der chinesischen Verhältnisse, soweit zu bessern, als es dem Nichtfachmann nach Lage des ihm zugänglichen Materials möglich ist und die Quellenzitate etwas vervollständigt." \

k A: sechste, wenigstens teilweise I Fehlt in A. m A: worden ist n Fehlt in A. O A: hier auf die früher in diesem Archiv (Band24) erschienenen Aufsätze 4 p In A folgt: Es wird nachstehend nur zum Vergleich herangezogen und soll nur am Schluß 5 kurz in der Eigenart seiner Entstehungs- und Wirkungsbedingungen charakterisiert werden. q A: Dieser Aufgabe werden sie wohl auch in ihrem jetzigen Zustand dienen können, wenn auch in unvollkommener Weise. r A: abgeht s Fehlt In A. t A: diese u Fehlt In A.

2 W e b e r bezieht sich hier w o h l vor allem auf die Arbelten v o n W e r n e r Sombart, Die d e u t s c h e Volkswirtschaft Im 19. Jahrhundert (Das 19. Jahrhundert In Deutschlands Entw i c k l u n g VII). - Berlin: G. Bondi 1903, und ders., Die J u d e n und das Wirtschaftsleben. Leipzig: D u n c k e r & H u m b l o t 1911. 3 G e m e i n t sind: Weber, Protestantische Ethik 1,2 , und Weber, Protestantische Sekten. 4 G e m e i n t sind die im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik in d e n Bänden 2 0 (1904) und 21 (1905) e r s c h i e n e n e n Aufsätze. S i e h e Weber, Protestantische Ethik 1 . 5 S i e h e unten, S. 4 5 0 - 4 7 8 , mit den textkritischen A n m e r k u n g e n .

Einleitung

85

Was unter „Wirtschaftsethik" einer Religion verstanden ist, ergibt hoffentlich die Darstellung selbst in ihrem Verlaufe zunehmend deutlich. Nicht die ethische Theorie theologischer Kompendien, die nur als ein a (unter Umständen allerdings wichtiges) a Erkenntnismittel dient, sondern die in den psychologischen und pragmatischen Zusammenhängen der Religionen gegründeten bpraktischen Antriebe zum Handelnb sind das, was in Betracht kommt. So skizzenhaft die nachfolgende Darstellung ist, so wird sie doch erkennen lassen, welch ein kompliziertes Gebilde eine konkrete Wirtschaftsethik c und wie überaus vielseitig sie bedingt zu sein pflegt. d Es wird sich ferner auch hier zeigen, daß äußerlich ähnliche ökonomische Organisationsformen mit einer sehr verschiedenen Wirtschaftsethik vereinbar sind und je nach deren Eigenart dann sehr verschiedene historische Wirkungen zeitigen. Eine e Wirtschaftsethik ist keine einfache „Funktion" wirtschaftlicher' Organisationsformen, ebensowenig wie sie umgekehrt diese eindeutig aus sich heraus prägt. 9 Keine Wirtschaftsethik ist jemals nur religiös determiniert gewesen. Sie besitzt selbstverständlich ein im höchsten Maß durch wirtschaftsgeographische und geschichtliche Gegebenheiten bestimmtes Maß von reiner Eigengesetzlichkeit gegenüber allen durch religiöse oder andere (in diesem Sinn:) „innerliche" Momente bedingten Einstellungen des Menschen zur Welt. Aber allerdings: 9 Zu den Determinanten der Wirtschaftsethik gehört als eine - wohlgemerkt: nur eine - auch die religiöse Bestimmtheit der Lebensführung. Diese selbst aber ist natürlich h wiederum innerhalb gegebener geogra-

a In A nicht in Klammern . b In A nicht hervorgehoben. c Zu ergänzen wäre: zu sein pflegt d In A folgt: Mit solchen Abstraktionen wie z.B.: „Erwerbstrieb", i s t - w a s erstaunlicherweise noch nicht überall erkannt wird6 - historisch und soziologisch ganz und gar nichts anzufangen. e A: Die f A: der wirtschaftlichen g Fehlt in A. h Fehlt in A.

6 Weber bezieht sich hier auf Werner Sombart, der in seinem Buch: Der moderne Kapitalismus, Band 1 . - L e i p z i g : Duncker& Humblot 1902, im Abschnitt „Die Genesis des kapitalistischen Geistes", S. 3 7 8 - 3 9 7 , „Das Erwachen des Erwerbstriebes" und „Die Entstehung des ökonomischen Rationalismus" nebeneinanderstellt. Vgl. auch Werner Sombart, Der kapitalistische Unternehmer, In: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik,-Band 29, Heft 3,1909, S. 696 und 752, sowie ders., Der Bourgeois. Zur Geistesgeschichte des modernen Wirtschaftsmenschen. - München, Leipzig: Duncker & Humblot 1913, das Sombart Max Weber mit einer auf den 29. 11. 1913 datierten Widmung persönlich zukommen ließ.

86

Die Wirtschaftsethik

der

Weltreligionen

C 239 phischer, politischer, sozialer, nationaler Grenzen durch ökonomische und politische Momente tief beeinflußt. Es wäre ein Steuern ins A3 Uferlose, wollte man diese | Abhängigkeiten in allen' ihren Einzelheiten vorführen. In diesen Darlegungen kann es sich daher nur um den Versuch handeln, jeweils die richtunggebenden Elemente der 5 Lebensführung derjenigen sozialen Schichten herauszuschälen, welche die praktische Ethik der betreffenden Religion am stärksten bestimmend beeinflußt und ihr die charakteristischen - d.h. hier: die sie von anderen unterscheidenden und zugleich für die Wirtschaftsethik wichtigen - Züge aufgeprägt haben. Das muß nun durchaus k 10 nicht immer eine Schicht allein sein. Auch können im Lauf der Geschichte die', in jenem Sinne: 'maßgebenden Schichten wechseln. Und nie ist dieser Einfluß einer einzelnen Schicht ein exklusiver. Aber es lassen sich für die einzelnen gegebenen Religionen m doch meist™ Schichten angeben, deren Lebensführung wenigstens vor- 15 nehmlich bestimmend gewesen ist. Um einige solche Beispiele vorwegzunehmen, so war der Konfuzianismus die Standesethik einer literarisch gebildeten weltlich-rationalistischen Pfründnerschaft". Wer nicht zu dieser Bildungsschicht gehörte, zählte nicht mit. Die religiöse (oder wenn man will: irreligiöse) Standesethik dieser 20 Schicht hat die chinesische Lebensführung weit über jene selbst hinaus bestimmt. - Der ältere Hinduismus wurde dagegen getragen von einer erblichen Kaste literarisch Gebildeter, die, jedem Amt fremd, als eine Art ritualistischer Seelsorger der Einzelnen und der Gemeinschaften fungierten und, °als fester Orientierungsmittel- 25 punkt der ständischen Gliederung, die soziale Ordnung prägten. 0 Nur vedisch gebildete Brahmanen waren als Träger der Tradition der vollwertige religiöse Stand. Erst später trat ein nicht brahmanischer Asketenstand ihnen konkurrierend zur Seite, und noch später, im indischen Mittelalter, trat im Hinduismus die inbrünstige sakramen- 30 tale Heilands-Religiosität der unteren Schichten mit plebejischen Mystagogen auf den Plan. - Der Buddhismus wurde von heimatlos wandernden, streng kontemplativen und weltablehnenden Bettelmönchen propagiert. Im vollen Sinne waren nur sie Zugehörige der Gemeinde, alle andern blieben religiös minderwertige Laien: Objek- 35 i Fehlt in A. k Fehlt in A. I Fehlt In A. m A: immerhin n A: Bürokratie O A: in ihren einflußreichsten Gliedern asketisch der Welt entsagend, zugleich aber sie beherrschend, die soziale Ordnung trugen.

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te, nicht Subjekte der Religiosität. - Der Islam war in seiner ersten Zeit eine Religion welterobernder Krieger, eines Ritterordens von disziplinierten p Glaubenskämpfern, nur ohne die sexuelle Askese der christlichen Nachbildungen in der Kreuzzugszeit. Im islami- c 240 sehen Mittelalter aber erlangte der q kontemplativ-mystische t? Sufismus, und aus | ihm hervorwachsend das Bruderschaftswesen des A4 Kleinbürgertums nach Art der christlichen Tertiarier, nur weit universeller entwickelt, eine mindestens ebenbürtige Rolle, unter der Führung von plebejischen Technikern der Orgiastik. - Das Judentum war, seit dem Exil, die Religion eines bürgerlichen „Pariavolkes" - wir werden die prägnante Bedeutung des Ausdruckes seinerzeit kennen lernen 7 - und geriet im Mittelalter unter die Führung einer ihm eigentümlichen literarisch-ritualistisch geschulten Intellektuellenschicht, welche eine zunehmend proletaroide, rationalistisehe Kleinbürgerintelligenz repräsentierte. - Das Christentum endlich begann seinen Lauf als eine Lehre wandernder Handwerksburschen. Es war und blieb eine ganz spezifisch städtische, vor r allem: bürgerliche r , Religion in allen Zeiten seines äußeren und inneren Aufschwungs, in der Antike ebenso wie im Mittelalter und im Puritanismus. Die Stadt des Okzidentes in ihrer Einzigartigkeit gegenüber allen andern Städten und das Bürgertum in dem Sinne, in welchem es überhaupt nur dort in der Welt entstanden ist, war sein Hauptschauplatz, für die antike pneumatische Gemeindefrömmigkeit ebenso wie für die Bettelorden des hohen Mittelalters und für die Sekten der Reformationszeit bis zum Pietismus und Methodismus hin.

Nun ist es in gar keiner Weise etwa die These der nachfolgenden Darlegungen: daß die Eigenart einer Religiosität eine einfache Funktion der sozialen Lage derjenigen Schicht sei, welche als ihr 30 charakteristischer Träger erscheine, etwa nur deren „Ideologie" oder eine „Widerspiegelung" ihrer materiellen oder ideellen Interes-

p Fehlt in A .

q A : kontemplativ-asketische

r A : allem bürgerliche

7 Z u m Begriff des Pariavolkes siehe Weber, Hinduismus und Buddhismus 2 , S. 12: „Als Pariavolk in diesem spezifischen Sinn des Wortes soll also nicht einfach jeder v o m Standpunkt einer lokalen Gemeinschaft aus als .fremd', .barbarisch' oder .magisch unrein' geltende Arbeiterstamm gelten, sondern nur dann, wenn er zugleich ganz oder dem Schwerpunkt nach ein Gasivolk ist."

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senlage darstelle. Im Gegenteil wäre ein gründlicheres Mißverständnis des Standpunktes dieser Erörterungen kaum möglich als gerade eine solche Deutung. Wie tiefgreifend auch immer die ökonomisch und politisch bedingten sozialen Einflüsse auf eine religiöse Ethik im Einzelfalle waren, - primär empfing diese ihr Gepräge doch aus religiösen Quellen. Zunächst: aus dem Inhalt ihrer Verkündigung und Verheißung. Und wenn diese nicht selten schon in der nächsten Generation grundstürzend umgedeutet, weil den Bedürfnissen der Gemeinde angepaßt wurden, so doch eben s in aller Regel wiederum s zunächst: deren religiösen Bedürfnissen. Erst sekundär konnten anA 5 dere | Interessensphären, oft freilich recht nachdrücklich 'und zuweilen ausschlaggebend', einwirken. Wir werden uns überzeugen, daß c 241 zwar für jede Religion der Wandel der sozial aus|schlaggebenden Schichten tiefgreifende Bedeutung zu haben pflegte, daß aber andrerseits der einmal geprägte Typus einer Religion seinen Einfluß ziemlich weitgehend auch auf die Lebensführung sehr heterogener Schichten auszuüben pflegte. 3 Man hat die Zusammenhänge zwischen religiöser Ethik und Interessenlage in verschiedener Art so zu interpretieren gesucht, daß die erstere nur als eine „Funktion" der letzteren erschien. Nicht nur im Sinn des sog. historischen Materialismus, - was wir hier nicht erörtern, - sondern auch rein psychologisch. 8 Eine ganz allgemeine, gewissermaßen abstrakte, Klassengebundenheit der religiösen Ethik könnte aus der seit Friedrich] Nietzsches glänzendem Essay 9 bekannten, seitdem auch von Psychologen mit Geist 10 behandelten Theorie vom „Ressentiment" abgeleitet werden. Wenn die ethische Verklärung des Erbarmens und der Brüs Fehlt in A.

t Fehlt in A.

a A: pflegt. -

8 Zu den religionspsychologischen Strömungen jener Zelt siehe den Artikel „Religionspsychologie", In: RGG\ Band 4, 1913, Sp.2209ff. Weber dachte möglicherweise auch schon an die frühen Arbelten Max Schelers. 9 Weber bezieht sich auf Nietzsche, Genealogie, S. 16, wo von einem „ Sklavenaufstand in der Moral" die Rede Ist, der „mit den Juden" begonnen habe. Die folgenden Ausführungen zur Theodlzee des Glücks und des Leidens stellen eine Auseinandersetzung mit Nietzsches „Essay" dar. 10 Weber meint hier wahrscheinlich Ludwig Klages, der sich In seinen „Prinzipien der Charakterologie" auf Nietzsche und die Theorie des Ressentiment bezieht. Siehe Klages, Charakterologie, S. 9-13. Zugleich bezieht er sich wohl auf Max Scheler, Über Ressentiment und moralisches Werturteil. - Leipzig: Wilhelm Engelmann 1912, und ders., Zur Phänomenologie und Theorie der Sympathiegefühle. - Halle: Max Nlemeyer 1913.

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derlichkeit ein ethischer „Sklavenaufstand" der, sei es in ihren natürlichen Anlagen, sei es in ihren schicksalsbedingten Lebenschancen, Benachteiligten war, und also b die Ethik der „Pflicht" ein Produkt „verdrängter", weil ohnmächtiger, Rache-Empfindungen des zu Arbeit und Gelderwerb verdammten Banausen gegen die Lebensführung des pflichtfrei lebenden Herrenstandes, - dann ergäbe 0 dies offensichtlich für die wichtigsten Probleme in der Typologie der religiösen Ethik eine sehr einfache Lösung. Allein so glücklich und fruchtbar die Aufdeckung der psychologischen Bedeutung des Ressentiment an sich war, so große Vorsicht ist bei der Abschätzung seiner sozialethischen Tragweite geboten. Über die Motive, welche die Verschiedenen Arten ethischer d „Rationalisierung" der Lebensführung e rein als solche e bestimmten, wird später oft f zu sprechen sein. Sie hat mit Ressentiment 9 meist durchaus 3 nichts zu tun. Was aber h die Wertung des Leidens in der religiösen Ethik betrifft, so ist diese unzweifelhaft einem typischen Wandel unterworfen gewesen ', der, richtig verstanden, ein gewisses Recht jener von Nietzsche zuerst durchgeführten Theorie bedeutet'. Die urwüchsige Stellungnahme k zum Leiden k äußerte sich plastisch vor allem in der Behandlung derer, die durch Krankheit oder andere hartnäckige Unglücksfälle verfolgt waren, bei den religiösen Feiern der Gemeinschaft. Der dauernd Leidende, | Trauernde, Kranke oder sonst Un- C 242 glückliche war, je nach der Art seines Leidens, entweder von einem Dämon besessen oder mit dem Zorn eines Gottes belastet, den er beleidigt hatte. Ihn in ihrer Mitte zu dulden konnte für die kultische 1 Gemeinschaft Nachteile zur Folge haben. Jedenfalls durfte er an den Kultmahlen und Opfern nicht ""teilnehmen. Denn" 1 sein Anblick erfreute die Götter | nicht und konnte ihren Zorn erregen. Die A6 Opfermahle waren Stätten der Fröhlichen - selbst in Jerusalem in der Zeit der Belagerung. Mit dieser Behandlung des Leidens als eines Symptoms des Gottverhaßtseins und geheimer Schuld kam die Religion" psychologisch einem sehr allgemeinen Bedürfnis entgegen. Der Glückliche begnügt sich selten mit der Tatsache des Besitzes seines Glückes. Er hat b Fehlt in A. c A: ergibt d A: ethische g Fehlt in A. h Fehlt in A. i Fehlt in A. m A: teilnehmen, denn n In A folgt: nun aber

e A: überhaupt k Fehlt in A.

f Fehlt in A. I A: religiöse

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darüber hinaus das Bedürfnis: 0 auch noch ein Recht darauf zu haben. E r will überzeugt sein, daß er es auch „verdiene"; vor allem: im Vergleich mit andern p verdiene. Und er will p also auch glauben dürfen: daß dem minder Glücklichen durch den Nichtbesitz des gleichen Glückes ebenfalls nur geschehe, was ihm zukommt. q Das 5 Glück will'' „legitim" sein. Wenn man unter dem allgemeinen Ausdruck: „Glück" r alle Güter der Ehre, der Macht, des Besitzes und Genusses begreift, so ist dies die allgemeinste Formel für jenen Dienst der Legitimierung, welchen s die Religion dem äußeren und inneren Interesse aller Herrschenden, Besitzenden, Siegenden, Ge- 10 sunden, kurz: Glücklichen, zu leisten hatte': die Theodizee des Glückes. 1 1 Sie ist in höchst massiven ("pharisäischen") Bedürfnissen der Menschen verankert und daher leicht verständlich, wenn auch in ihrer Wirkung oft nicht genügend beachtet. Verschlungener sind dagegen die Wege, welche zur Umkehrung 15 dieses Standpunktes: 3 zur religiösen Verklärung des Leidens also, führten. Primär b wirkte die Erfahrung, daß das Charisma ekstatischer, visionärer, hysterischer, kurz: aller jener außeralltäglichen 0 Zuständlichkeiten, welche als „heilig" gewertet wurden und deren Hervorrufung deshalb Gegenstand der magischen Askese bildete, 20 geweckt oder doch begünstigt wurde durch zahlreiche Arten von Kasteiungen und Enthaltungen sowohl von der normalen Ernährung und vom Schlaf wie vom Sexualverkehr. Das Prestige dieser Kasteiungen war Folge der Vorstellung, daß gewisse Arten von Leiden und durch Kasteiung provozierten abnormen Zuständen Wege zur Erlan- 25 c 243 gung übermenschlicher: 01 magischer, Kräfte | seien. Die alten TabuVorschriften und die Enthaltungen im Interesse kultischer Reinheit: Konsequenzen des Dämonenglaubens, wirkten in gleicher Richtung. Dazu trat aber e dann 'als selbständiges und neues f die Entwicklung o A: Bedürfnis, p A: verdiene, und q A: Sein Glück soll s A: welche t A: hat a A: Standpunktes, b A: Zunächst d A: übermenschlicher, e Fehlt in A. f Fehlt in A.

r A: Glück c Fehlt in A.

11 Derauf den Brief des Paulus an die Römer (3.5) zurückgehende und von G.W. Leibniz aufgegriffene Ausdruck der Theodizee bezieht sich auf die Rechtfertigung Gottes gegen den Vorwurf, daß er angesichts seiner Allmacht auch für das Übel und das Böse In der Welt verantwortlich sei. - Der Begriff der Theodizee erfuhr in der religionsgeschichtlichen Schule eine Erweiterung und meinte dann „Antworten auf die Frage nach dem Grund, Sinn oder Zweck des Übels in der Welt" (RGG 5, Sp. 1177; siehe auch ebd., Sp. 1186); siehe auch unten, „Zwischenbetrachtung", S. 515ff.

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der „Erlösungs"-Kulte, welche dem individuellen Leiden gegenüber eine prinzipiell neue Stellung einnahmen. Der urwüchsige Gemeinschaftskult, vor allem derjenige der politischen | Verbände, ließ alle A 7 individuellen Interessen aus dem Spiel. Der Stammesgott, Lokalgott, Stadtgott, Reichsgott kümmerte sich nur um Interessen, welche die Gesamtheit angingen: Regen und Sonnenschein, Jagdbeute, Sieg über die Feinde. An ihn wendete sich also die Gesamtheit als solche im Gemeinschaftskult. Zur Abwendung oder Beseitigung von Übeln, die den Einzelnen betrafen, - 9 vor allem: Krankheit - , wendete dieser sich nicht an den Kult der Gemeinschaft, sondern als Einzelner an den Zauberer, den ältesten individuellen „Seelsorger". Das Prestige einzelner Magier und jener Geister oder h Götter, in deren Namen sie ihre Wunder taten, schuf ihnen' Zulauf ohne Rücksicht auf die lokale oder Stammeszugehörigkeit und dies' führte unter günstigen Umständen zu einer kvon den ethnischen Verbänden unabhängigen k „Gemeinde"-Bildung. Manche 1 - nicht: alle - „Mysterien" lenkten in diese Bahn ein. Errettung der Einzelnen als Einzelner aus Krankheit, Armut und allen Arten von Not und Gefahr war ihre Verheißung. Der Magier wandelte sich so zum Mystagogen: erbliche Dynastien von solchen oder aber eine Organisation geschulten Personals mit einem nach irgendwelchen Regeln bestimmten Haupt entwickelten sich, wobei dieses Haupt entweder selbst als Inkarnation eines übermenschlichen Wesens oder nur m als Verkünder und Vollstrecker seines Gottes n: als Prophet," gelten konnte. Damit war 0 eine religiöse Gemeinschaftsveranstaltung für individuelles „Leiden" als solches und für „Erlösung" davon entstanden. p Die Verkündigung und Verheißung wendete sich nun naturgemäß an die Massen derjenigen, welche der Erlösung bedurften. Sie und ihre Interessen traten in den Mittelpunkt des berufsmäßigen Betriebes der „Seelsorge", welche erst damit recht eigentlich entstand. Feststellung, wodurch das Leiden verschuldet sei: Beichten von „Sünden", d. h. zunächst: Verstößen gegen rituelle Gebote, und Beratung: durch welches Verhalten es beseitigt werden könne, wurden jetzt die typische Leistung von | Magiern und Priestern. Ihre c 244 materiellen und ideellen Interessen konnten damit in der Tat zunehg A: b e t r a f e n sen I A: Viele in A.

h A: und i In A folgt: nun m Fehlt in A. n Fehlt in A.

j Fehlt In A. k A: rein religiöo In A f o l g t : also p - p Fehlt

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mend in den Dienst spezifisch plebejischer Motive treten. p Einen weiteren Schritt auf dieser Bahn bedeutete es, wenn daraus q unter dem Druck typischer und immer wiederkehrender N o f eine „Heilands"-Religiosität sich entwickelte. Sie setzte einen Erlöser-Mythos, also eine (mindestens/ relativ) rationales Weltbetrachtung voraus, zu deren wichtigstem Gegenstand wiederum' das Leiden wurde. Ansatzpunkte dazu bot sehr häufig die primitive Naturmythologie. Die Geister, welche das Kommen und Gehen der Vegetation und den Gang der für die Jahreszeiten wichtigen Gestirne beherrschten, wurden die bevorzugten Träger der Mythen vom leidenden, sterbenden, wiederauferstehenden Gott, welcher nun auch den Menschen in der Not die Wiederkehr diesseitigen oder die Sicherheit jenseitigen Glückes verbürgte. Oder eine volkstümlich gewordene Gestalt aus der Heldensage - wie Krischna 12 in Indien - wurde, ausgestattet mit Kindheits-, Liebes- und Kampfmythen, zum Gegenstand eines brünstigen Heilandskultes. Bei einem politisch bedrängten Volk, wie den Israeliten, haftete der Heilands-(Moschuach-)Name zuerst an den A 8 von der Heldensage überlieferten Ret|tern aus politischer Not (Gideon, Jephtah) und bestimmte von da aus die „messianischen" Verheißungen . 13 a Bei diesem Volk, und in dieser Konsequenz a nur hier, wurde b - unter sehr besonderen Bedingungen - b das Leiden einer Volksgemeinschaft0, nicht das des Einzelnen, Gegenstand religiöser 0 Erlösungshoffnungen. e Die Regel war: daß der Heiland zugleich individuellen und universellen Charakter trug: das Heil für den Einzelnen und für jeden Einzelnen, der sich an ihn wendete, zu verbürgen bereit w a r . e - Die Gestalt des Heilands konnte verschiedener Prägung' sein. In der 9 Spätform d e r 3 zarathustrischen Religion, mit ihren zahlreichen Abstraktionen, übernahm eine rein konstruierte Figur in der Heilsökonomie die Rolle des Mittlers und

q Fehlt in A. r Fehlt in A. s In A nicht hervorgehoben. Hier, und b Fehlt In A. c In A nicht hervorgehoben. A. f A: H e r k u n f t g Fehlt In A.

t Fehlt In A. a A: d A: der e Fehlt In

1 2 Auf die Krlshna-Gestalt geht Weber in: Hinduismus und Buddhismus 2 , S. 191 f. und S. 336f., ausführlicher ein. 13 Als Messias (hebr.: Masuah, Gesalbter) werden weder Gideon noch Jephtah (hebr.: jiphtach), die beiden bedeutenden Richter (Richter 6ff.), bezeichnet. Jothams Fabel von der Salbung des Ölbaums (Richter 9 . 7 - 1 5 ) stellt die Salbung gerade in den Z u s a m m e n hang von Abimelechs, Gideons Sohn, Brudermord und Königtum.

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Retters. Oder gerade umgekehrt: eine durch Wunder und visionäres Wiedererscheinen legitimierte historische Person stieg zum Heiland auf. T ü r die Realisierung der sehr verschiedenen Möglichkeiten waren rein historische Momente maßgebend. h Fast immer entstand 'aber aus den Erlösungshoffnungen' irgend eine Theodizee k des Leidens. | Die Verheißungen der Erlösungsreligionen blieben zwar zunächst c 245 nicht an ethische, sondern an rituelle Vorbedingungen geknüpft, wie etwa die diesseitigen und jenseitigen Vorteile der eleusinischen Mysten an rituelle Reinheit und das' Anhören der eleusinischen Messe. Aber die zunehmende Rolle, welche jene m Spezialgötter, in deren Obhut der Rechtsgang stand, mit zunehmender Bedeutung des Rechts spielten, verlieh diesen die Aufgabe des Schutzes der überlieferten Ordnung: der Bestrafung des Unrechtes und Belohnung des Gerechten. Und wo eine Prophetie die religiöse Entwicklung bestimmend beeinflußte, trat naturgemäß stets die „Sünde" n , nicht mehr nur als magischer Verstoß, sondern vor allem als": Unglaube gegen den Propheten und seine Gebote, °in der Rolle des Grundes von Unglück aller Art auf Nun war der Prophet selbst zwar keineswegs regelmäßig ein Sprößling oder ein Repräsentant gedrückter Klassen. Wir werden sehen, daß das Gegenteil nahezu p die Regel bildete. Und auch der Inhalt seiner Lehre entstammte keineswegs überwiegend ihrem Vorstellungskreis. Aber allerdings waren es in der Regel nicht die Glücklichen, Besitzenden, Herrschenden, welche eines Erlösers und Propheten bedurften, sondern die Bedrückten oder mindestens die von Not Bedrohten. q Eine prophetisch verkündete q Heilands-Religiosität hatte daher in der großen Mehrzahl der Fälle ihre dauernde Stätte vorzugsweise in den minder begünstigten sozialen Schichten, welchen sie die Magie 'entweder ganz r ersetzte oder doch s rational ergänzte. Und wo die Verheißungen des Propheten oder' Heilandes selbst" den Bedürfnissen der sozial minder Begünstigten nicht hinlänglich entgegenkamen, da entwickelte sich aus ihnen mit großer Regelmäßigkeit eine sekundäre Erlösungsreligiosität der Massen unterhalb der offiziellen Lehre. Der im Heilandsmy-

h Fehlt in A. n Fehlt In A. r Fehlt In A.

i A: daraus k A: Theodicee I Fehlt in A. o A: als G r u n d des Unglücks auf p Fehlt In A. s Fehlt In A. t A: und u Fehlt In A.

m A: die q A: D i e

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thos im Keime vorgebildeten rationalen Weltbetrachtung a aber fiel A 9 eben deshalb 3 in aller Regel die | Aufgabe zu, eine rationale Theodizee des Unglücks zu schaffen. b Zugleich aber versah sie das Leiden als solches nicht selten mit einem ihm ursprünglich ganz fremden positiven Wertvorzeichen. 0 5 Das freiwillig, durch Selbstkasteiung, geschaffene Leid hatte bereits mit der Entwicklung der ethischen, strafenden und belohnenden, Gottheiten seinen Sinn gewechselt. Wenn ursprünglich der magische Geisterzwang der Gebetsformel durch die Selbstkasteiung c 246 - als Quelle charismatischer Zustände - ge|steigert wurde, so blieb 10 dies in den Gebetskasteiungen und den kultischen Abstinenzvorschriften erhalten, auch nachdem aus der °magischen Geisterzwangsformel 0 eine Bitte d an einen Gott 0 um Erhörung geworden war. Dazu trat nun die Bußkasteiung als ein Mittel, durch Reue den Zorn der Götter zu beschwichtigen und die verwirkten Strafen durch 15 Selbstbestrafung abzuwenden. Auch jene zahlreichen Abstinenzen, welche der Totentrauer, anfänglich (besonders klar in China) zur Abwendung des Neides und Zornes des Toten, anhafteten, übertrugen sich e nun leicht 6 auf die Beziehungen zu den betreffenden' Göttern überhaupt, 9 und ließen Selbstkasteiung und schließlich auch 20 die Tatsache des ungewollten Entbehrens rein als solche als gottwohlgefälliger erscheinen, als den unbefangenen Genuß der Güter der Erde h , der die Genießenden dem Einfluß des Propheten oder Priesters unzugänglicher machte". Eine gewaltige Steigerung aber erfuhr die Macht dieser Einzelmo- 25 mente 'unter Umständen' durch das mit zunehmender Rationalität der Weltbetrachtung zunehmende Bedürfnis nach einem ethischen „Sinn" der Verteilung der Glücksgüter unter den Menschen. Die Theodizee stieß dabei mit zunehmender Rationalisierung der religiös-ethischen Betrachtung und Ausschaltung der primitiven magi- 30 sehen Vorstellungen auf steigende Schwierigkeiten. Allzu häufig war individuell „unverdientes" Leid. Und keineswegs nur nach einer „Sklavenmoral", 1 4 sondern auch an den eigenen Maßstäben der

a A: fiel demgemäß b Fehlt in A. c A: Zwangsformel d Fehlt e Fehlt In A. f Fehlt in A. g Fehlt In A. h Fehlt In A. i Fehlt in A.

in

A.

14 Mit dem Ausdruck „Sklavenmoral" bezieht sich Weber auf Nietzsche, Genealogie, S. 17 f.

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Herrenschicht gemessen, waren es allzu oft nicht die Besten, sondern die „Schlechten", denen es am besten geriet. Vorgetane individuelle Sünde des Einzelnen in einem früheren Leben (Seelenwanderung), oder Schuld der Vorfahren, die bis ins dritte und vierte Glied gerächt wird, oder - am prinzipiellsten - die Verderbtheit alles Kreatürlichen als solchen standen als Erklärungen des Leidens und der Ungerechtigkeit, Hoffnungen auf ein künftiges besseres Leben innerhalb der Welt für den Einzelnen (Seelenwanderung) oder für die Nachfahren (messianisches Reich) oder im Jenseits (Paradies) als Verheißungen zum Ausgleich zu Gebote. Die metaphysische Vorstellung über Gott und Welt, welche das unausrottbare Bedürfnis nach | der Theodizee A 10 hervorrief, vermochte gleichfalls nur wenige, - im ganzen, wie wir sehen werden, nur drei - Gedankensysteme zu erzeugen, welche rational befriedigende Antworten auf die Frage nach dem Grunde der Inkongruenz zwischen | Schicksal und Verdienst gaben: die indi- C 247 sehe Karmanlehre, den zarathustrischen Dualismus und das Prädestinationsdekret des Deus absconditus. 15 Diese rational geschlossensten k Lösungen aber traten nur ganz ausnahmsweise in reiner Form auf. Das rationale Bedürfnis nach der Theodizee 'des Leidens - und: des Sterbens - 'hat außerordentlich stark gewirkt. Es hat Religionen wie den Hinduismus, den Zarathustrismus, das Judentum, in gewissem Umfang auch das paulinische und spätere Christentum in wichtigen Charakterzügen geradezu geprägt. Noch 1906 antwortete von einer gegebenen (recht beträchtlichen) Zahl Proletariern auf die Frage nach dem Grunde ihres Unglaubens nur die Minderzahl mit Folgerungen aus modernen naturwissenschaftlichen Theorien, die Mehrzahl aber mit dem Hinweis auf die „Ungerechtigkeit" der diesseitigen Weltordnung, - freilich wohl wesentlich deshalb, weil sie m an den innerweltlichen revolutionären Ausgleich glaubten. 1 6

k A : geschlossenen

I Fehlt in A .

m In A folgt: noch

15 Auf diese „drei [...] als allein konsequent bezeichneten Arten der T h e o d l c e e " verweist W e b e r in der „ Z w i s c h e n b e t r a c h t u n g " (unten, S . 5 2 0 ) . Die Indische Lehre v o n der S e e l e n w a n d e r u n g und der zarathustrische Dualismus w e r d e n zu W e b e r s Zelt allgemein als einander entgegengesetzt und als „tiefsinnigster A u s d r u c k " bzw. „reinste A u s p r ä g u n g " d e s T h e o d i z e e p r o b l e m s g e s e h e n . Vgl. RGG 5, Sp. 1177f. 16 W e b e r bezieht sich hier auf die von Adolf Levenstein durchgeführte Umfrage, deren Ergebnisse In Adolf Levenstein, Die Arbeiterfrage. - M ü n c h e n : Ernst Reinhardt 1912,

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Die Theodizee des Leidens konnte durch Ressentiment gefärbt sein. Aber das Bedürfnis nach dem Ausgleich der Unzulänglichkeit des Diesseits-Schicksales nahm "nicht nur nicht immer, sondern" nicht einmal der Regel nach die Färbung des Ressentiments °als maßgebenden Grundzug 0 an. Der Glaube, daß es dem Ungerechten gerade deshalb gut in der diesseitigen Welt gehe, weil ihm die Hölle, den Frommen aber die ewige Seligkeit vorbehalten sei, und daß deshalb die immerhin auch von diesen gelegentlich begangenen Sünden im Diesseits abgebüßt werden müßten, lag p gewiß dem RacheBedürfnis besonders nahe. Aber man kann sich leicht überzeugen, daß selbst diese zuweilen auftretende Vorstellungsweise durchaus nicht immer durch Ressentiment bedingt, und daß sie vor allem keineswegs immer das Produkt sozial bedrückter Schichten war. Wir werden sehen, daß es nur wenige, darunter nur ein voll ausgeprägtes Beispiel einer wirklich durch Ressentiment in wesentlichen Zügen mitbestimmten Religiosität gegeben hat. Richtig ist nur, daß allerdings das Ressentiment als ein Einschlag (neben anderen) in dem religiös bestimmten Rationalismus der sozial minder begünstigten Schichten überall Bedeutung gewinnen konnte und oft gewonnen A 11 hat. Aber auch das, je | nach der Natur der Verheißungen der einzelnen Religion, in höchst verschiedenem, oft nur in verschwindendem, Grade. Gänzlich unrichtig wäre es jedenfalls 01 , die „Askec 248 se" allgemein aus diesen Quel|len ableiten zu wollen. 163 Das in den eigentlichen Erlösungsreligionen in aller Regel vorhandene Mißtrauen gegen Reichtum und Macht hatte seinen natürlichen r Grund vor allem in der Erfahrung der Heilande, Propheten und Priester: daß die in dieser Welt begünstigten und „satten" Schichten das Bedürfnis nach einer Erlösung - gleichviel welchen Charakters - im allgemeinen nur in geringem Maße besaßen, und daher minder „fromm" im Sinne jener Religionen waren. Und die Entwicklung rationaler religiöser Ethik gerade auf dem Boden der sozial minder gewerteten Schichten hatte ebenfalls zunächst positive Wurzeln in deren innerer Lage. Schichten im festbegründeten Besitz sozialer n A: keineswegs immer,

o Fehlt in A.

p A: liegt

q Fehlt in A.

r Fehlt In A.

veröffentlicht wurden. Die Antworten auf die Frage „Glauben Sie an einen lieben Gott oder sind Sie und aus welchen Gründen aus der Landeskirche ausgetreten?" werden auf den Seiten 326-353 ausgewertet. 16a Hier wendet sich Webergegen Nietzsche, Genealogie, III. 15.

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Ehre und Macht pflegen ihre ständische Legende in der Richtung einer ihnen innewohnenden besonderen Qualität, meist einer solchen des Blutes, zu bilden: ihr (wirkliches oder angebliches) Sein ist das, was ihrem Würdegefühl die Nahrung gibt. Sozial gedrückte 5 s oder ständisch negativ (oder doch: nicht positiv) gewertete s Schichten speisen dagegen' ihr Würdegefühl am leichtesten aus dem Glauben an eine ihnen anvertraute besondere „Mission": ihr Sollen uoder ihre (funktionale) Leistung verbürgt oder" konstituiert aihnen den eignen 3 Wert, der damit in ein Jenseits ihrer selbst, in eine ihnen von 10 Gott gestellte „Aufgabe", rückt. bSchon in diesem Sachverhalt als solchem0 lag eine Quelle der ideellen Macht ethischerc Prophetien zuerst0 bei den sozial minder Begünstigten, ohne daß es dabei des e Ressentiment als eines Hebels bedurfte. Das rationale Interesse an materiellem und ideellem Ausgleich an sich genügte vollkommen. 15 Daß die Propaganda der Propheten und Priester daneben, absichtlich oder nicht, auch das Ressentiment der Massen in ihren Dienst gestellt hat, ist nicht zu bezweifeln, aber keineswegs universell zutreffend. Vor allem war diese wesentlich negative Macht nirgends, so viel bekannt, die Quelle jener dem Wesen nach metaphysischen 20 Konzeptionen, welche einer jeden Erlösungsreligion ihre Eigenart verliehen. fUnd vor allem war die Art einer religiösen Verheißung, allgemein gesprochen, keineswegs notwendig oder auch nur überwiegend, lediglich Sprachrohr eines Klasseninteresses, sei es äußerlicher oder innerlicher Art. 'Von sich aus blieben die Massen, wie wir 25 sehen werden, überall in der massiven Urwüchsigkeit der Magie befangen, wo nicht eine Prophetie sie, mit bestimmten Verheißungen, in eine religiöse Bewegung ethischen Charakters | hineinriß. Im C 249 übrigen aber war die Eigenart der großen religiös-ethischen9 Systeme durch weit individuellere gesellschaftliche Bedingungen als durch 30 den bloßen Gegensatz von herrschenden und beherrschten Schichten bestimmt. | Es mögen, zur Ersparnis mehrfacher Wiederholungen, hier über A12 diese Verhältnisse noch einige Bemerkungen vorangeschickt werden. Die untereinander verschiedenen Heilsgüter, welche die Reli35 gionen hverhießen und boten h , sind für den empirischen Forscher s Fehlt in A. t Fehlt in A. u Fehlt in A. a A: ihren b A: In diesen Sachverhalten c In A nicht hervorgehoben. d Fehlt in A. e A:das f Fehlt in A. g A: religiösethischen h A: verheißen und bieten

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keineswegs nur und nicht einmal vorzugsweise als „jenseitige" zu 'verstehen. Ganz'abgesehen davon, daß ja durchaus nicht jede Religion, auch nicht jede Weltreligion, ein Jenseits als Stätte bestimmter Verheißungen überhaupt kannte. Mit der nur teilweisen Ausnahme des Christentums und weniger anderer spezifisch asketischer Bekenntnisse waren vielmehr die Heilsgüter aller, der urwüchsigen wie der kultivierten, prophetischen oder nicht prophetischen, 1 Religionen zunächst ganz massiv diesseitige: Gesundheit, langes Leben, Reichtum waren Verheißungen der chinesischen, vedischen, zarathustrischen k , altjüdischen, islamischen ganz in gleicher Art wie der phönikischen, ägyptischen, babylonischen und altgermanischen Religion und wie die Verheißungen für die frommen Laien des Hinduismus und Buddhismus. Nur der religiöse Virtuose: Asket, 1 Mönch, Sufi, Derwisch erstrebte ein, an jenen massivsten Diesseitsgütern gemessen, „außerweltliches" Heilsgut. Auch dieses außerweltliche Heilsgut war nun aber keineswegs ein nur ""jenseitiges. Auch m da nicht, wo es sich selbst als solches verstand. Vielmehr war, psychologisch betrachtet, gerade der "gegenwärtige, diesseitige," Habitus dasjenige, worum es den Heilsuchenden primär zu tun war. Die puritanische certitudo salutis: der unverlierbare Gnadenstand in dem Gefühl der „Bewährung" war das psychologisch allein 0 Greifbare an den Heilsgütern dieser asketischen Religiosität. Das akosmistische Liebesgefühl des seines Eingangs in Nirwana sicheren buddhistischen Mönches, das Bhakti (gottinnige Liebesglut) oder die apathische Ekstase der hinduistischen Frommen, 1 7 die orgiastische p Ekstase bei der Radjenie des Chlüsten 18 und beim tanzenden Derwisch, die Gottbesessenheit und der Gottbesitz, die Marien- und Heilandsminne, der jesuitische Herz-Jesu-Kult, die quietistische Andacht, die pietistische Zärtlichkeit für das Jesulein und dessen „Wundbrü-

i A: verstehen, ganz A. m A: jenseitiges, p A, C: orgiatische

j A: prophetischen k A: zoroastrischen I Fehlt in auch n A: gegenwärtige diesseitige o Fehlt in A.

17 Zu diesen und den folgenden Indien zuzuordnenden Fallbeispielen siehe Weber, Hinduismus und Buddhismus 2 . 18 Die von ihren Gegnern ,, Chlysten" (oder Chlüsten) genannte Sekte der „Gottesleute" (ljudi bozil) war im 18. und 19. Jahrhundert in Rußland verbreitet. Die Feier Ihres Gottesdienstes (radenje) beinhaltete ekstatische Tänze.

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h e " , 1 9 die sexuellen und halbsexuellen Orgien bei der Krischnaminne, die raffinierten Kultdiners | der Vallabhacharis q , 20 die gnosti- C 2 5 0 sehen onanistischen Kulthandlungen, 203 die verschiedenen Formen der unio mystica und des kontemplativen Untergehens im All-einen r : - alle diese Zustände wurden ja s doch unzweifelhaft®zunächst einmal um dessen willen gesucht, was sie selbst an | Gefühlswert dem A 13 Gläubigen unmittelbar boten. Sie standen in dieser Hinsicht durchaus dem dionysischen oder im Somakult erzeugten religiösen Alkoholrausch, den totemistischen Fleischorgien, den kannibalistischen Mahlzeiten, dem alten religiös geweihten Haschisch-, Opium- und Nikotingebrauch und überhaupt allen Arten magischen Rausches gleich. Um der psychischen Außeralltäglichkeit und des dadurch bedingten Eigenwertes der betreffenden Zuständlichkeit halber galten sie als spezifisch geweiht und göttlich. Und wenn auch erst die rationalisierten Religionen in jene spezifisch-religiösen Handlungen neben der unmittelbaren Aneignung des Heilsgutes eine metaphysische Bedeutung hineinlegten und so die Orgie zum „Sakrament" sublimierten', so fehlte doch schon der primitivsten Orgie eine Sinndeutung keineswegs gänzlich. Nur war sie rein magisch-animistisehen Charakters und enthielt nicht oder nur in leisen" Ansätzen die allem religiösen Rationalismus eigene Einbeziehung in eine universelle kosmische Heilspragmatik. Jedoch blieb es, auch nachdem dies geschehen, natürlich 3 dabei, daß das Heilsgut für den Frommen zunächst und vor allem psychologischen Gegenwartscharakter*3 c hatte. Das c heißt: daß es vor allem in jenem Zustand, dem Gefühlshabitus rein als solchem, bestand, welchen der spezifisch religiöse (oder magische) Akt oder die methodische Askese oder Kontemplation unmittelbar 0 hervorrief. q A: Vallabhakharis r A: All-einem s Fehlt in A. u Fehlt In A. a Fehlt in A. b In A nicht hervorgehoben. d Fehlt in A.

t A: sublimieren c A: hatte, das

19 Zum Begriff der „Wundbrühe" (Christi Blut) vgl. auch Weber, Hinduismus und Buddhismus 2 , S. 198. 20 Anhänger der Lehren des Vallabha (1479-1531), der eine besondere Form der Krishna-Orgiastik propagierte. Siehe auch Hinduismus und Buddhismus 2 , S. 346ff., und W u G \ S. 273. 20a Damit bezieht sich Weber auf den in den anti-häretischen Polemiken namentlich des Epiphanios von Salamis behaupteten Libertinismus der Gnostiker. Siehe auch unten, Anm. 28.

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Dieser Zustand konnte seinem Sinn nach ebenso, wie er es äußerlich war, ein außeralltäglicher Habitus nur vorübergehenden Charakters sein. So ursprünglich naturgemäß® durchweg. f Es gibt keinerlei Scheidung von „religiösen" und „profanen" Zuständlichkeiten anders als durch die ^wßeralltäglichkeit der ersteren.' Aber: 9 ein durch religiöse Mittel erreichter Sonderzustand konnte auch als ein in seinen Folgen bleibender, als ein den ganzen Menschen und sein Schicksal erfassender „Heilszustand" erstrebt werden. Der Übergang war flüssig. Von den beiden höchsten Konzeptionen der sublimierten religiösen Heilslehre: „Wiedergeburt" und „Erlösung", war die Wiedergeburt uraltes magisches Gut. Sie bedeutete die ErwerC 251 bung einer neuen Seele durch den orgiastischen Akt oder | durch planvolle Askese. Man erwarb sie vorübergehend in der Ekstase, aber sie konnte auch als dauernder Habitus gesucht und durch die Mittel der magischen Askese erreicht werden. Eine neue Seele mußte der Jüngling haben, der als ein Held in die Gemeinschaft der Krieger treten oder als Mitglied der Kultgemeinschaft an deren magischen Tänzen oder Orgien teilnehmen oder im Kultmahl mit A14 Göttern Gemeinschaft haben | h wollte. Uralt h sind daher die Helden- und Magier-Askese, die Jünglingsweihe und die sakramentalen Wiedergeburts-Bräuche bei wichtigen Abschnitten des privaten und Gemeinschaftslebens. Verschieden aber' waren außer den angewandten Mitteln vor allem die Zwecke dieser Handlungen, die Antwort auf die Frage also: „zu was" man wiedergeboren werden sollte. Es lassen sich die verschiedenen religiös (oder magisch) gewerteten Zuständlichkeiten, welche einer Religion ihr psychologisches Gepräge gaben, unter sehr verschiedenen Gesichtspunkten systematisieren. Ein solcher Versuch soll an dieser Stelle nicht unternommen werden. Hier kommt es nur darauf an, in Anknüpfung an das oben Gesagte ganz allgemein anzudeuten: daß die Art des in einer Religion als höchstes Gut erstrebten (diesseitigen) Seligkeits- oder Wiedergeburtszustandes offenbar notwendig verschieden sein mußte je nach dem Charakter der Schicht, welche der wichtigste Träger der betreffenden Religiosität war. Kriegerische Ritterklassen, Bauern, Gewerbetreibende, literarisch geschulte Intellektuelle hatten darin naturgemäß verschiedene Tendenzen, welche zwar für sich allein -

e Fehlt in A.

f Fehlt In A.

g A: Aber

h A: sollte; uralt

i Fehlt in A.

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wie sich zeigen wird - k weit davon entfernt waren, eindeutig den psychologischen Charakter der Religion zu determinieren, ihn aber doch höchst nachhaltig beeinflußten. Und zwar war namentlich der Gegensatz der beiden ersten gegenüber den beiden letzten Schichten überaus wichtig. Denn von diesen letzteren waren die Intellektuellen stets, die Gewerbetreibenden (Kaufleute, Handwerker) wenigstens möglicherweise Träger eines im ersten Fall mehr theoretischen, im anderen mehr praktischen Rationalismus, der sehr verschiedenartiges Gepräge tragen konnte, stets aber auf die religiöse Haltung bedeutende Wirkung zu haben pflegte. Vor allem die Eigenart der Intellektuellenschichten war dabei von der größten Tragweite. So überaus gleichgültig es für die religiöse Entwicklung der Gegenwart ist, ob unsere modernen Intellektuellen das Bedürfnis empfinden, neben allerlei andern | Sensationen auch die eines „religiösen" Z u - c 252 standes als „Erlebnis" zu genießen, gewissermaßen um ihr inneres Ameublement stilvoll mit garantiert echten alten Gerätschaften auszustatten: - aus solcher Quelle ist noch nirgends eine religiöse Erneuerung erwachsen - , so überaus wichtig war die Eigenart der Intellektuellenschichten in der Vergangenheit für die Religionen. Ihr Werk vornehmlich war die Sublimierung des religiösen Heilsbesitzes zum | „Erlösungs"-Glauben. Die Konzeption der Erlösungs-Idee A15 war an sich uralt, wenn man die Befreiung von Not, Hunger, Dürre, Krankheit und - letztlich - Leid und Tod mit darunter begreift. A b e r eine spezifische Bedeutung erlangte die Erlösung doch erst, w o sie Ausdruck eines systematisch-rationalisierten „Weltbildes" und der Stellungnahme dazu war. Denn was sie ihrem Sinn und ihrer psychologischen Qualität nach bedeuten wollte und konnte, hing 'dann e b e n ' v o n jenem Weltbild und dieser Stellungnahme ab. "Tnteressen (materielle und ideelle), nicht: Ideen, beherrschen unmittelbar das Handeln der Menschen. A b e r : die „Weltbilder", welche durch „Ideen" geschaffen wurden, haben sehr oft als Weichensteller die Bahnen bestimmt, in denen die Dynamik der Interessen das Handeln fortbewegte. m "Nach dem Weltbild richtete es sich ja": „ w o v o n " und „wozu" man „erlöst" sein wollte °und-nicht zu vergessen: - k o n n t e 0 . O b von politischer und sozialer Knechtschaft zu einem diesseitigen messianischen Zukunftsreich. Oder von der Befleckung durch das rituell

k A: wird, o Fehlt in A.

I Fehlt in A.

m Fehlt in A.

n A: Darnach richtete es sich

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Unreine oder von der Unreinheit der Einkerkerung in den Körper überhaupt zur Reinheit eines seelisch-leiblich-schönen oder eines rein geistigen Seins. Oder von dem ewigen sinnlosen Spiel menschlicher Leidenschaften und Begehrungen zur stillen Ruhe des reinen Schauens des Göttlichen. Oder von einem radikal Bösen und von der Knechtschaft unter der Sünde zur ewigen freien Güte im Schoß eines väterlichen Gottes. Oder von der Verknechtung unter die astrologisch gedachte Determiniertheit durch die Gestirnkonstellationen zur Würde der Freiheit und Teilhaftigkeit am Wesen der verborgenen Gottheit. Oder von den in Leiden, Not und Tod sich äußernden Schranken der Endlichkeit und den drohenden Höllenstrafen zu einer ewigen Seligkeit in einem, irdischen oder paradiesischen, künftigen Dasein. Oder von dem Kreislauf der Wiedergeburten mit ihrer unerbittlichen Vergeltung von Handlungen abgelebter Zeiten zur ewigen Ruhe. Oder von der Sinnlosigkeit des Grübelns und Geschec 253 hens | zum traumlosen Schlaf. p Der Möglichkeiten gab es noch weit mehr. p Stets steckte dahinter eine Stellungnahme zu etwas, was an der realen Welt als spezifisch „sinnlos" empfunden wurde und also die Forderung: daß das Weltgefüge in seiner Gesamtheit ein irgendwie sinnvoller „Kosmos" sei q oder: werden könne und solle q . Dies Verlangen aber, das Kernprodukt r des eigentlich Religiösen Rationalismuss, wurde durchaus von Intellektuellenschichten getragen. Wege und Ergebnisse dieses metaphysischen Bedürfnisses und auch das Maß seiner Wirksamkeit waren dabei sehr verschieden. Immerhin läßt sich einiges Allgemeine darüber sagen. Die moderne Form der zugleich theoretischen und praktischen 'intellektuellen und zweckhaften'Durchrationalisierung des Weltbildes und der Lebensführung hat die allgemeine Folge gehabt: a daß die Religion, je weiter b diese besondere Art von b Rationalisierung fortA 16 schritt, desto mehr ihrerseits in | das c - vom Standpunkt einer intellektuellen Formung des Weltbildes aus gesehen: - c Irrationale geschoben 0 wurde. Aus mehrfachen Gründen. Einerseits wollte die Rechnung des konsequenten Rationalismus nicht leicht glatt aufgehen. Wie in der Musik das pythagoreische „Komma" der restlosen

p Fehlt in A. t Fehlt In A.

q Fehlt in A. r A: P r o d u k t s In A nicht hervorgehoben, a A: gehabt, b A: die c Fehlt in A. d A: hineingeschoben

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tonphysikalisch orientierten Rationalisierung sich widersetzte 021 und wie daher die einzelnen großen Musiksysteme aller Völker und Zeiten sich vor allem durch die Art und Weise unterschieden', wie sie diese unentfliehbare Irrationalität entweder zu überdecken und zu umgehen oder umgekehrt in den Dienst des Reichtums der Tonalitäten zu stellen wußten 3 , so schien h es dem theoretischen Weltbild, noch weit mehr aber und vor allem der praktischen Lebensrationalisierung, zu ergehen. Auch hier wurden' die einzelnen großen Typen der rational methodischen Lebensführung vor allem durch diejenigen irrationalen, als schlechthin gegeben hingenommenen, Voraussetzungen charakterisiert, die sie in sich aufgenommen hatten k . Welches diese waren', das gerade ist es nun, was in zum mindesten sehr starkem Maße rein historisch und sozial bestimmt wurde durch die Eigenart, das heißt aber hier: die äußere, sozial, und die innere, psychologisch, bedingte Interessenlage derjenigen Schichten, welche Träger der betreffenden Lebensmethodik in der entscheidenden Zeit m ihrer Prägung" 7 waren. Die irrationalen Einschläge in die Rationalisierung des Wirklichen waren ferner" die Stätten, in welche das schwer unterdrück)bare C254 Bedürfnis des Intellektualismus nach dem Besitz überwirklicher Werte zurückzuziehen sich gezwungen sah, je mehr ihm die Welt von ihnen entkleidet erschien. Die Einheitlichkeit des primitiven Weltbildes, in welchem alles konkrete Magie war, zeigte dann die Tendenz zur Spaltung in ein rationales Erkennen und eine rationale Beherrschung der Natur einerseits, und andererseits „mystische" Erlebnisse, deren unaussagbare Inhalte als einziges neben dem entgotteten Mechanismus der Welt noch mögliches Jenseits: in Wahrheit als ein ungreifbares, hinterweltliches Reich gottinnigen, individuellen Heilsbesitzes, übrig bleiben. Der Einzelne kann sein Heil,

e A: widersetzt f A: unterscheiden g A: wissen h A: scheint i A: werden k A: haben I A: sind m A: der Prägung derselben n Fehlt in A.

21 Dieser Gedanke der Unauflösbarkeit des kleinen Unterschieds (Komma), der als „pythagoreisches Komma" (= 23,46Cent; eine Oktave umfaßt 1200Cent) dem Überschuß eines Intervalls von zwölf reinen Quinten über das von sieben Oktaven entspricht, wird von Weberauch in seiner postum erschienenen Arbeit „Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik". - München: Drei Masken Verlag 1'921 (MWG 1/13), mehrfach (S. 3, 8 und 9) angesprochen.

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wo diese Konsequenz restlos gezogen ist, nur als Einzelner suchen. Diese mit fortschreitendem intellektualistischem 0 Rationalismus sich in irgend einer Form einstellende Erscheinung trat irgendwie überall da auf, wo Menschen die Rationalisierung des Weltbildes p als eines von unpersönlichen Regeln beherrschten Kosmos p unternahmen. Am stärksten aber naturgemäß q in solchen Religionen und religiösen Ethiken, welche besonders stark durch vornehme, der rein A17 denkenden Erfassung der Welt und ihres | „Sinnes" hingegebene Intellektuellenschichten bestimmt wurden, wie die asiatischen, vor allem die indischen, Weltreligionen. Ihnen allen wurde die Konternplation: das Eingehen in die tiefe selige Ruhe und Unbewegtheit der Alleinheit, welche sie bietet, das höchste und letzte dem Menschen zugängliche religiöse Gut, alle anderen Formen religiöser Zuständlichkeiten aber ein höchstens relativ wertvolles Surrogat dafür. Für die Beziehung der Religion zum Leben, einschließlich der Wirtschaft, hatte dies, wie wir immer wieder sehen werden, weittragende Folgen. Diese ergaben sich aus dem allgemeinen Charakter der in diesem, kontemplativen, Sinne „mystischen" Erlebnisse und aus psychologischen Vorbedingungen des Strebens nach ihnen. Ganz anders, wo die für die Entwicklung einer Religion ausschlaggebenden Schichten praktisch handelnd im Leben standen, ritterliche Kriegshelden oder politische Beamte oder wirtschaftlich erwerbende Klassen waren, oder endlich, wo die Religion von einer organisierten Hierokratie beherrscht w u r d e / Der S aus der berufsmäßigen Befassung mit Kult und Mythos oder und in noch weit höherem Grade: mit Seelsorge, das heißt: Beichte und Beratung von Sündern, erwachsende 5 Rationalismus der Hieroc 255 kratie suchte' überall die Gewährung des | religiösen Heilsgutes für sich zu monopolisieren, und also in die Form der nur von ihr rituell zu spendenden, nicht vom Einzelnen erreichbaren, „Sakramentsgnade" oder „Anstaltsgnade" zu bringen und entsprechend zu temperieren. Die individuelle Heilssuche des Einzelnen oder freier Gemeinschaften durch Kontemplation, orgiastische oder asketische Mittel, a war ihr, a b vom Standpunkt ihrer Machtinteressen aus ganz naturgemäß, höchst 0 verdächtig und mußte 0 rituell reglementiert und vor

o Fehlt in A. p Fehlt in A. satz. s Fehlt in A. t A: sucht

q Fehlt in A. a A: ist ihr

r In A folgt kein neuer Abb Fehlt in A. c A: muß

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allem hierokratisch kontrolliert werden. - Jedes politische Beamtentum andrerseits 11 mißtraute® allen Arten von individueller Heilssuche oder freier Gemeinschaftsbildung als Quellen der Emanzipation von der Domestikation durch die Staatsanstalt, mißtraute' ebenso 9 auch der konkurrierenden priesterlichen Gnadenanstalt, verachtete'1 aber, vor allem, im letzten Grunde das Streben nach diesen unpraktischen Gütern jenseits von utilitarischen innerweltlichen Zwecken überhaupt. Religiöse Pflichten 'waren jeder Beamtenschaft letztlich einfach' amtliche oder soziale Staatsbürger- und Standespflichten: das Ritual entsprach k dem Reglement, und alle Religiosität nahm 1 daher ritualistischen Charakter an, wo eine Bürokratie diesen bestimmte" 1 . - Auch eine ritterliche Kriegerschicht pflegte" in ihren Interessen durchaus diesseitig gewendet und aller „Mystik" fremd zu sein. Doch fehlte 0 ihr, wie dem Heldentum überhaupt, in aller Regel sowohl Bedürfnis wie Befähigung zu rationalistischer Bewältigung der Wirklichkeit: die | Irrationalität des „Schicksals", A18 unter Umständen der Gedanke eines unbestimmt deterministisch gedachten „Verhängnisses" (der homerischen „Moira") stand p hinter und über den als leidenschaftliche, starke q Helden gedachten Göttern und Dämonen, von welchen den menschlichen Helden Beistand und Feindschaft, Ruhm und Beute oder Tod zuteil wird. - Den Bauern lag r , spezifisch15 naturgebunden und von den Elementargewalten abhängig, wie ihre ganze ökonomische Existenz war', die Magie: der zwingende Zauber gegen die über und in den Naturkräften waltenden Geister, oder das einfache Erkaufen göttlichen Wohlwollens, so nahe, daß nur gewaltige, von anderen Schichten oder von mächtigen als Zauberer durch die Macht des Wunders legitimierten Propheten ausgehende, Umwälzungen der Lebensorientierung sie aus dem Verharren in dieser überall urwüchsigen Form von Religiosität herauszureißen vermochten". Orgiastische und ekstatische „Besessenheits"-Zustände, durch toxische | Rauschmittel oder durch C256 Tanz erzeugt, - dem Standesgefühl des Rittertums, als würdelos, fremd, - vertraten 3 bei ihnen die Stelle der „Mystik" der Intellektuellen. - b Endlich die im westeuropäischen Sinne „bürgerlichen"

d Fehlt in A. e A: mißtraut f A: mißtraut g Fehlt in A. h A: verachtet i A: sind ihr k A: entspricht I A: nimmt m A: bestimmt n A: pflegt o A: fehlt p A: steht q A: leidenschaftlichen, starken r A: liegt s Fehlt In A. t A: ist u A: vermögen a A: vertreten b A: Intellektuellen.

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Schichten und was diesen anderwärts entsprach 0 : Handwerker, Händler, hausindustrielle Unternehmer und ihre nur im modernen Okzident heimischen Derivate, waren d e - und das ist für uns ganz besonders wichtig - e die in den Möglichkeiten ihrer religiösen Stellungnahme scheinbar vieldeutigste Schicht. Die sakramentale Anstaltsgnade der römischen Kirche in den mittelalterlichen Städten, den Stützen der Päpste, die mystagogische Sakramentsgnade in den antiken Städten und in Indien, die orgiastische und kontemplative Sufi- und Derwisch-Religiosität des vorderasiatischen Orients, die taoistische Magie, die buddhistische Kontemplation und die ritualistische Gnadenaneignung unter der Seelendirektion von Mystagogen in Asien, alle Formen der Heilandsliebe und des Erlöserglaubens vom Krischna- bis zum Christuskult in der ganzen Welt, der rationale Gesetzesritualismus und die von aller Magie entblößte Synagogenpredigt der Juden, die pneumatischen antiken und die asketischen mittelalterlichen Sekten, die Prädestinationsgnade und ethische Wiedergeburt der Puritaner und Methodisten und alle Arten individueller Heilssuche wurzelten sämtlich besonders stark, stärker als in allen anderen, gerade in diesen Schichten. Gewiß war' die Religiosität auch aller anderen Schichten natürlich sehr weit A19 entfernt davon, | eindeutig auf denjenigen Charakter angewiesen zu sein, der vorstehend als ihnen besonders wahlverwandt hingestellt wurde. Aber die „Bürgerschicht" scheint 9 auf den ersten Blick 9 in dieser Hinsicht im ganzen doch h noch weit' vielseitiger bestimmbar. Und dennoch treten Wahlverwandtschaften zu bestimmten Typen der Religiosität gerade bei ihr hervor. Gemeinsam und durch die Natur ihrer k von der ökonomischen Naturgebundenheit stärker losgelösten Lebensführung bedingt' war m ihnen ja" die Tendenz zum praktischen0 Rationalismus p der Lebensführung p . q Auf technischer oder ökonomischer Berechnung und Beherrschung von Natur und Menschen - mit wie primitiven Mitteln auch immer - ruhte ihre ganze Existenz. Die überkommene Art der Lebenstechnik konnte auch bei ihr im Traditionalismus erstarren, - wie es überall stets wieder geschehen ist. Aber immer bestand, wenn auch in sehr ver-

c A: entspricht d A: sind e Fehlt in A. f A: ist g A: zunächst h Fehlt in A. i Fehlt In A. k A: ihrer, I A: bedingt, m A: ist n Fehlt In A. o In A n i c h t h e r v o r g e h o b e n . In A folgt: (ethischen) p Fehlt In A. c\-q Fehlt in A.

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schiedenem Maße, gerade | bei ihr die Möglichkeit, an die Tendenz c 257 zum technischen und ökonomischen Rationalismus anknüpfend eine ethisch rationale Lebensreglementierung erstehen zu lassend Nicht überall vermochte r sie sich gegen die (meist) s 'magisch stereotypier5 te'Tradition durchzusetzen. Wo ihr aber durch Prophetie ein religiöser Unterbau geschaffen a wurde, da konnte dieser® jedem der beiden öfter b zu besprechenden 2 2 Grundtypen des Prophetentums angehören: der „exemplarischen" Prophetie: einer Prophetie, welche das zum Heil führende Leben, regelmäßig ein kontemplatives und apa10 thisch-ekstatisches Leben, vorlebte, - d oder der „Sendungs"-Prophetie, welche im Namen eines Gottes Forderungen*1, naturgemäß: ethischen 'und oft:'aktiv asketischen Charakters, an die Welt 9 richtete. Die 9 letztere, zum aktiven Handeln innerhalb der Welt auffordernde Art fand h begreiflicherweise gerade hier, und je mehr die bürgerli15 chen Schichten als solche sozial ins Gewicht fielen', j e mehr sie ferner tabuistischer Gebundenheit und Gespaltenheit in Sippen und Kasten entrissen wurden k , desto mehr einen spezifisch günstigen Boden. Die aktive Askese: nicht Gottesbesitz oder gottinnige kontemplative Hingegebenheit, wie sie den von vornehmen Intellektuellenschich? ten beeinflußten Religionen als höchstes Gut 'erschien, sondern:' gottgewolltes Handelnm mit dem Gefühl, Gottes „Werkzeug" zu sein, konnte" hier der bevorzugte religiöse Habitus werden 0 , wie er im Okzident immer wieder, gegenüber der dort ebenfalls wohlbekannten kontemplativen p Mystik und orgiastischen oder apathi25 sehen p Ekstase, das Übergewicht behielt. Nicht daß er q auf diese Schichten beschränkt gewesen' wäre. Eine solche eindeutige soziale Determiniertheit bestand53 auch hier in keiner Weise. Auch die an Adel und Bauern sich wendende zarathustrische und die an Krieger sich wendende islamische Prophetie hatten ganz ebenso wie die 30 'israelitische und altchristliche' Prophetie und Predigt diesen aktiven r A: vermag s Fehlt in A. t A: magische a A: wird, da kann dieser zwar b A: später 2 3 c A: Prophetie d A: vorlebt e In A nicht hervorgehoben, f A: oder g A: richtet. A b e r die h A: findet i A: fallen k A: w e r d e n I A: erscheint, sondern m In A nicht hervorgehoben. n A: ist o Fehlt in A. p Fehlt in A. q A: sie r Fehlt in A. s A: besteht t A: israelitische, altchristliche, m o h a m m e d a n i s c h e

2 2 Siehe Weber, Antikes Judentum 2 , S. 2 8 1 - 3 0 1 . 2 3 Siehe Weber, Antikes Judentum 1 , S. 311 - 3 3 1 .

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"Charakter im Gegensatz zu" der buddhistischen, taoistischen, neupythagoreischen, gnostischen, sufistischen Propaganda. Aber gewisse spezifische Konsequenzen der Sendungs-Prophetie sind allerdings, wie wir sehen werden, gerade auf „bürgerlichem" Boden gezogen worden. 24 | 5 a Die Sendungs-Prophetie, bei welcher die Frommen sich nicht als A 20 Gefäß des Göttlichen, sondern 3 als Werkzeug bdes Gottes 0 °fühlten, hatte c nun eine tiefe Wahlverwandtschaft zu einer bestimmten Gotc 258 teskonzeption: dem überweltlichen, persönlichen, zürnenden, vergebenden, liebenden, fordernden, strafenden Schöpfergott, im Ge- 10 gensatz zu dem - keineswegs ausnahmslos, allerdings aber der Regel nach - unpersönlichen, weil nur kontemplativ, als Zuständlichkeit, zugänglichen höchsten Wesen der exemplarischen Prophetie. Die erste Konzeption beherrschte 0 die iranische und vorderasiatische und die aus dieser abgeleitete okzidentale e , die zweite die indische 15 und chinesische Religiosität. Diese Unterschiede waren' nichts Primitives. Im Gegenteil läßt sich erkennen, daß sie erst bei weitgehender Sublimierung der überall sehr ähnlichen primitiven 9animistischen Geister- und heroistischen Götter-Vorstellungen® sich eingestellt haben. Sicherlich unter 20 starker Mitwirkung des eben erwähnten Zusammenhangs mit den als Heilsgut gewerteten und begehrten religiösen Zuständlichkeiten. Diese wurden eben h in der Richtung einer verschiedenen Gotteskonzeption interpretiert, je nachdem das kontemplative mystische Erlebnis oder die apathische Ekstase oder der orgiastische Gottesbesitz 25 oder visionäre Eingebungen und „Aufträge" die höchstgewerteten Heilszustände waren. Von dem 'heute verbreiteten und, natürlich, auch weitgehend berechtigten' Standpunkt aus: daß die Gefühlsinhalte das allein Primäre und die Gedanken nur ihre sekundären Ausformungen seien, könnte man nun geneigt sein, dieses Kausal- 30 Verhältnis: Primat der „psychologischen" gegenüber den „rationa-

u A: Charakter, gegenüber a Fehlt in A. b Fehlt In A. c A: fühlen, hat d A: beherrscht e Fehlt in A. f A: sind g A: animistischen und heroistischen Vorstellungen h A: entsprechend ihrer psychologischen Eigenart i Fehlt In A.

24 Weber verweist hier auf seine geplante, aber nicht mehr g e s c h r i e b e n e Studie z u m „ C h r i s t e n t u m des O k z i d e n t s " .

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len" Zusammenhängen, als ausschließlich maßgebend, diese also nur als Deutung jener anzusehen. Indessen das wäre knach Ausweis der Tatsachen''viel zu weit gegangen. Die folgenschwere Entwicklung zur überweltlichen oder zur immanenten Gotteskonzeption wurde durch eine ganze Reihe auch 'rein historischer Motive bestimmt, und sie hat'ihrerseits auf die Art der Gestaltung der Heilserlebnisse höchst nachhaltig eingewirkt. Vor allem, wie wir stets erneut sehen werden:" 1 der überweltliche Gott. Wenn selbst Meister Eckhart gelegentlich ausdrücklich „Martha" über „Maria" stellte^ 5 so letztlich deshalb: weil für ihn das dem Mystiker eigene pantheistische Erlebnis Gottes unvollziehbar war ohne gänzliche Aufgabe aller entscheidenden Bestandteile des abendländischen Schöpfungs- und Gottesglaubens. Die rationalen Elemente einer Religion, ihre „Lehre", - so die indische Karmanlehre, der calvinistische Prädestinations|glaube, die lutherische Rechtfertigung durch den Glauben, die A 21 katholische Sakra|mentslehre - , haben "eben auch" ihre Eigenge- C 2 5 9 setzlichkeiten, und die °aus der Art der Gottesvorstellungen und des „Weltbildes" folgende ° rationale religiöse Heilspragmatik hat unter Umständen weittragende Folgen für die Gestaltung der praktischen Lebensführung gewonnen. Wenn, wie in den bisherigen Bemerkungen vorausgesetzt wurde, die Art der erstrebten Heilsgüter stark p beeinflußt war durch die Art der äußeren q Interessenlage und der ihr adäquaten Lebensführung der herrschenden Schichten und also durch die soziale Schichtung selbst, so war r umgekehrt auch r die Richtung der ganzen Lebensführung, wo immer sie planmäßig55 rationalisiert wurde, auf das tiefgreifendste bestimmt durch die letzten Werte, an denen sich diese Rationalisierung orientierte. Dies waren, gewiß nicht immer und noch weit' weniger ausschließlich, aber allerdings, soweit eine ethische Rationalisierung eintrat und soweit ihr Einfluß reichte, in aller Regel

k Fehlt in A. I A: anderer, rein historischer, Motive bestimmt und hat werden, n Fehlt in A. o Fehlt In A. p Fehlt in A. q Fehlt in A. auf der anderen Seite s Fehlt In A. t Fehlt In A.

m A: r A:

2 5 Gemeint ist Meister Eckharts Interpretation von Lukas 10,42. Er knüpft den Gegensatz des wirkenden und des beschaulichen Lebens an die Gestalten der Schwestern Martha und Maria. Siehe dazu Lasson, Adolf, Meister Eckhart, der Mystiker. Zur Geschichte der religiösen Speculation in Deutschland. - Berlin: Wilhelm Hertz 1868, S. 262f.

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aauch,

und oft ganz entscheidend 3 , religiös bedingte Wertungen und Stellungnahmen. b Für die A r t dieser gegenseitigen 0 Zusammenhänge °zwischen äußerer und innerer Interessenlage c war nun Eines sehr wichtig. D i e bisher aufgeführten „höchsten", von einer Religion verheißenen Heilsgüter waren nicht auch die universellsten. Der Eingang in Nirwana, die kontemplative Vereinigung mit dem Göttlichen, die orgiastisch oder asketisch gewonnene Gottbesessenheit waren keineswegs jedermann Zugänglich. U n d d a u c h in der abgeschwächten Form, in welcher die Versetzung in den religiösen Rausch- oder Traum-Zustand Gegenstand eines universellen Volkskultes e werden konnte e , waren sie wenigstens nicht Bestandteile des Alltagslebens. Gleich am Beginn aller Religionsgeschichte 'steht für uns'die wichtige Erfahrungstatsache der ungleichen religiösen Qualifikation der Menschen, wie sie in schroffster rationalistischer Fassung der „Gnadenpartikularismus" der Prädestinationslehre 9 der Calvinisten 9 dogmatisierte. Die höchstgewerteten religiösen Heilsgüter - die ekstatischen und visionären Fähigkeiten der Schamanen, Zauberer, Asketen und Pneumatiker aller A r t - waren nicht jedem erreichbar, ihr Besitz war ein „Charisma", welches zwar bei Manchen, aber nicht bei Allen geweckt werden konnte. Daraus ergab sich die Tendenz aller intensiven Religiosität zu einer A r t von ständischer Gliederung gemäß den charismatischen Qualifikationsunterschieden. h „Heroc 260 istische" | oder" ,,Virtuosen"-Religiosität 2 )' stand gegen „Massen"Religiosität, - wobei hier unter „Masse" natürlich keineswegs die in A 22 der weltlichen Ständeordnung sozial niedriger Gestellten verIstanden sind sondern die religiös „Unmusikalischen"'. 2 6 Die Bünde C 260

k2

) Aus dem Begriff des „Virtuosentums" muß in diesen Zusammenhängen jeder ihm heute anklebende Wertbeigeschmack entfernt werden. Ich würde um jener Belastung willen den Ausdruck „heroistische" Religiosität vorziehen, wenn er nicht für manche hierhergehörige Erscheinungen allzuwenig adäquat wäre. k \

a Fehlt in A. b A: Für diese wurde f A: stand g Fehlt j Fehlt in A. k Fehlt in A.

in

c Fehlt in A. A. h Fehlt

d A: zugänglich, und in A. i Index fehlt

e A: in A.

26 Weber bezeichnete sich selbst In einem Brief an Ferdinand Tönnies vom 2. März 1909 als „religiös .unmusikalisch'". Abschrift Marlanne Weber (masch.), ZStA Merseburg, Rep.92, Nl. Max Weber, Nr. 30, Band 7, Bl.114f. Siehe auch Baumgarten, Eduard, Max Weber. Werk und Person.-Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Slebeck) 1964, S.670.

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der Zauberer und heiligen Tänzer, der religiöse Stand der indischen Sramana, die ausdrücklich als besonderer „Stand" in der Gemeinde anerkannten altchristlichen „Asketen", die paulinischen und erst recht die gnostischen „Pneumatiker", die pietistische „ecclesiola", alle eigentlichen „Sekten", das heißt soziologisch: Verbände, welche nur die religiös Qualifizierten in sich aufnahmen, endlich alle Mönchsgemeinschaften der ganzen Erde waren in diesem Sinne ständische Träger einer Virtuosen-Religiosität. Jede Virtuosen-Religiosität wird nun 'in ihrer eigengesetzlichen Entfaltung' grundsätzlich bekämpft von jeder hierokratischen Amtsgewalt einer „Kirche", das heißt einer anstaltsmäßig mit Beamten organisierten gnadenspendenden Gemeinschaft. Denn als die Trägerin der Anstaltsgnade strebt diese die Massenreligiosität zu organisieren und m ihre eigenen m amtlich monopolisierten und" vermittelten Heilsgüter an Stelle der religiös-ständischen Eigen-Qualifikation der religiösen Virtuosen zu setzen. Sie muß ihrer Natur, d.h. der Interessenlage ihrer Amtsträger nach, in diesem Sinne °der allgemeinen Zugänglichkeit der Heilsgüter 0 „demokratisch" sein: p d.h. Anhängerin des Gnadenuniversalismus und der ethischen Zulänglichkeit aller derer, die sich ihrer Anstaltsgewalt einordnen. Der Vorgang bildet soziologisch eine volle Parallele zu dem auf politischem Gebiet sich vollziehenden Kampf der Bürokratie gegen die politischen Eigenrechte der ständischen Aristokratie. q Auch jede voll entwickelte q politische Bürokratie ist ebenso notwendig und in einem ganz ähnlichen Sinne „demokratisch'^ s im Sinne der Nivellierung und der ständischen, von ihr als Machtkonkurrenten bekämpften, Privilegien 5 orientiert wie die Hierokratie. Die mannigfachsten Kompromisse entstanden als Resultat dieses nicht immer offiziellen, stets aber latent vorhandenen Kampfes (der Ulema- 27 gegen die Derwisch-Religiosität, der altchristlichen 3 Bischöfe 28 gegen die Pneumatiker 2 9 und | heroistischen C 261 I Fehlt in A. m A: die sein, q A: D e n n auch die lischen

n In A folgt: bürokratisch o Fehlt in A. p A: r A: demokratisch s Fehlt In A. a A: altkatho-

27 Ulema (,ulamä')-Religiosität ist die Religiosität der islamischen Schriftgelehrten. 28 Hiermit sind wohl Irenaeus, seit 177/178 Bischof von Lyon, und Epiphanios, von 367 bis 403 Bischof von Constantia auf Cypern, gemeint. 2 9 Die gnostische Anthropologie unterteilt die Menschen in zwei bzw. drei Klassen. Als „Pneumatiker" (Geistige) sahen sich im Gegensatz zu den Psychikern (Seelische) und den Sarkikern (Fleischliche) die Anhänger der gnostischen Erlösungslehre, die von der Kirche als Ketzer bekämpft wurden.

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Sektierer bund gegen die Schlüsselgewalt des asketischen Charisma 0 , des lutherischen Predigeramts und der anglikanischen Priesterkirche gegen die Askese überhaupt, der russischen Staatskirche gegen die Sekten, der konfuzianischen amtlichen Kultversorgung gegen die buddhistische, taoistische und sektiererische Heilssuche aller Art). c Wie nun diejenigen Konzessionen an die Möglichkeiten der Alltagsreligiosität aussahen, zu denen sich die Anforderungen des Virtuosentums genötigt fanden, um sich, ideell und materiell, die Massenkundschaft zu erwerben und zu erhalten, - dies wurde naturgemäß in erster Linie entscheidend für die Art der religiösen Beeinflussung des Alltags. Ließ sie die Massen in der magischen Tradition stecken, - wie in fast allen orientalischen Religionen, - so war ihr Einfluß unendlich viel geringer als wenn sie, mit noch so vielen Abstrichen von ihren idealen Forderungen, doch eine ethische Rationalisierung des Alltages vornahm und allgemein, auch oder gerade nur für die Massen, durchführte. c Neben jenem d Verhältnis von Virtuosen- und Massenreligiosität nun e , welches sich schließlich* als Ergebnis dieses Kampfes einstellte9, war aber heben deshalb'1 auch die Eigenart der konkreten Virtuosenreligiosität selbst von einschneidender Bedeutung für die Entwicklung der Lebensführung auch der „Massen" und A 23 damit auch für die Wirtschafts|ethik der betreffenden Religion. Denn 'nicht nur' war sie die eigentlich „exemplarische" praktische Religiosität sondern, je nach der Lebensführung, die sie den Virtuosen vorschrieb, waren die Möglichkeiten, überhaupt eine rationale Alltagsethik zu schaffen, sehr verschieden große'. Das Verhältnis der Virtuosen-Religiosität zum Alltag, der Stätte der Wirtschaft, war insbesonderem je nach der Eigenart des "von ihr" erstrebten Heilsgutes0 sehr verschieden. Wo die Heilsgüter und Erlösungsmittel der Virtuosen-Religiosität kontemplativen oder orgiastisch-ekstatischen Charakter ptrugen, führte p von ihr keine Brücke zum praktischen Alltagshandeln innerhalb der Welt. Nicht nur warq dann die Wirtschaft, wie alles Handeln in der Welt, etwas religiös Minderwertiges. Sondern es ließenr sich auch indirekt keinerlei psychologische Motive dafür aus dem als höchstes Gut geschätzten Habitus entnehmen. Vielmehr war s die b g m q

Fehlt in A. c - c Fehlt In A. d A: dem e Fehlt In A. f Fehlt in A. A: einstellt h A: allerdings i A: immerhin k Fehlt In A. I Fehlt In A. Fehlt In A. n Fehlt in A. o In A nicht hervorgehoben. p A: tragen, führt A: ist r A: lassen s A: ist

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kontemplative und die ekstatische Religiosität im innersten Wesen spezifisch wirtschafts|feindlich. Das mystische, orgiastische, ekstati- c 262 sehe Erleben ist ja 1 das spezifisch Außeralltägliche, vom Alltag und von allem rationalen Zweckhandeln Abführende, eben deshalb als 5 „heilig" Geachtete. Eine tiefe Kluft schied 3 daher b bei derart orientierten Religionen 0 die Lebensführung der „Laien" von jener der Virtuosen-Gemeinschaft. Die Herrschaft des religiösen Virtuosenstandes innerhalb der religiösen Gemeinschaft glitt 0 dann gern in die Bahnen einer magischen Anthropolatrie: der Virtuose wurde d als io Heiliger direkt angebetet, oder es wurden e doch sein Segen und seine magischen Kräfte von den Laien als Mittel zur Förderung weltlichen oder religiösen Heils erkauft. Wie der Bauer für den Grundherrn, so war der Laie für den buddhistischen und jainistischen bhikkschu 'letztlich doch lediglich'die Tributquelle, welche 15 ihm ermöglichte, ohne eigene, stets heilsgefährdende, weltliche Arbeit ganz dem Heil zu leben. Auch die Lebensführung der Laien selbst 9 mochte dabei trotzdem eine gewisse 9 ethische Reglementierung erfahren. h Denn der Virtuose war der gegebene Seelsorger: Beichtvater und Directeur de l'âme, des Laien, also von oft mächti20 gern Einfluß. Aber er beeinflußte ihn, den religiös „Unmusikalischen", entweder gar nicht oder nur in zeremonialen, rituellen und konventionellen Einzelheiten im Sinne seiner (des Virtuosen) religiöser Lebensführung. h 'Denn immer blieb doch'das Wirken innerhalb der Welt im Prinzip religiös unbedeutsam, lag k gegenüber dem 25 Streben nach dem religiösen Ziel in der gerade entgegengesetzten Richtung. Das Charisma des reinen „Mystikers" vollends diente' nur ihm selbst, nicht, wie das des genuinen Magiers, Andern. - m Ganz anders da, wo das Virtuosentum der religiös Qualifizierten sich zu einer asketischen, die Formung des Lebens in" der Welt nach dem 30 Willen eines Gottes erstrebenden Sekte zusammenschloß 0 . Damit dies im eigentlichsten Sinne geschehen p konnte, war freilich p zweierlei nötig. Einmal durfte q das höchste Heilsgut nicht kontemplativen Charakters sein, also nicht in einer Vereinigung mit einem im Gegensatz zur Welt | ewig währenden überweltlichen ' Sein oder in einer A 24

t Fehlt in A. a A: scheidet b Fehlt In A. c A: gleitet d A: wird e A: werden f Fehlt In A. g A: mag dabei eine h Fehlt In A. i A: Immer abef bleibt k A: liegt I A: dient m A: Andern. n In A nicht hervorgehoben. O A: zusammenschließt p A: könne, ist q A : darf r Fehlt in A.

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orgiastisch s oder apathisch-ekstatisch zu erfassenden unio mystica bestehen. Denn diese liegt stets abseits des Alltagswirkens und jenseits der realen Welt, führt von ihr ab. Und ferner mußte 1 die Religiosität den rein 3 magischen oder b sakramentalen Charakter der Gnadenmittel 0 möglichst abgestreift haben. Denn auch diese entwerten c 263 stets | das Handeln in der Welt als religiös höchstens relativ bedeutsam und knüpfen die Entscheidung über das Heil an den Erfolg nicht d alltags-rationaler ci Vorgänge. Voll erreicht wurde beides: Entzauberung der Welt und Verlegung des Weges zum Heil von der kontemplativen „Weltflucht" hinweg in die aktiv asketische „Weltbearbeitung", - wenn man von einigen kleinen rationalistischen Sekten, wie sie sich in aller Welt fanden e , absieht, - nur in den großen Kirchenund Sektenbildungen des asketischen Protestantismus im Okzident. Dabei haben ganz bestimmte, rein historisch bedingte Schicksale der okzidentalen Religiosität zusammengewirkt. Teils der Einfluß ihrer sozialen Umwelt, vor allen Dingen: der für ihre Entwicklung entscheidenden Schicht. Teils aber und ebenso stark ihr genuiner Charakter: der überweltliche Gott und die 'historisch erstmalig durch die israelitische Prophetie und Thoralehre bestimmte'Besonderheit der Heilsmittel und Heilswege. Dies ist teils 9 in den Ausführungen der vorhergehenden Aufsätze 9 3 0 dargelegt worden, teils später noch näher darzulegen. 31 Wo der religiöse Virtuose als „Werkzeug" eines Gottes in die Welt gestellt und dabei von allen magischen Heilsmitteln abgeschnitten war h , mit der Forderung, sich durch die ethische Qualität seines Handelns in ihren Ordnungen, und nur dadurch, als zum Heil berufen vor Gott - und das hieß' der Sache nach: vor sich selbst - zu „bewähren", da mochte' die „Welt" als solche religiös noch so sehr: als kreatürlich und Gefäß der Sünde, entwertet und abgelehnt werden: sie wurde k dadurch psychologisch nur um so mehr als Schauplatz des gottgewollten Wirkens im weltlichen „Beruf"

s A: orgiastisch-ekstatisch t A: muß a Fehlt in A. b A: und c In A nicht hervorgehoben. d A: rationaler e A: finden f Fehlt in A. g A: in den früheren Ausführungen h A: ist i A: heißt j A: mag k A: wird 30 Siehe Weber, Protestantische Ethik2; Weber, Protestantische Sekten. 31 Hiermit verweist Weber auf seine Studie zum antiken Judentum und auf seine anderen geplanten, aber nicht mehr ausgeführten Arbeiten zur Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Vgl. auch oben die Einleitung des Herausgebers.

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bejaht. Denn dies innerweltliche Asketentum war1 zwar weltablehnend in dem Sinne, daß es die Güter der Würde und Schönheit, des schönen Rausches und Traumes, der rein weltlichen Macht und des rein weltlichen Heldenstolzes "Verachtete und verfehmte m als Konkurrenten des Gottesreiches. Aber sie" war° eben deshalb nicht weltflüchtig wie die Kontemplation, sondern wolltep nach Gottes Gebot die Welt ethisch rationalisieren und bliebq daher in einem spezifisch penetranteren Sinne weltzugewendet als die naive „Weltbejahung" des ungebrochenen Menschentums etwa in der Antike und im Laien-Katholizismus. Gerade | im Alltag bewährte' sich die A25 Gnade und Erwähltheit des religiös Qualifizierten. Freilich s nicht im Alltag, wie er war', sondern in dem im Dienste Gottes methodisch rationalisierten Alltagshandeln. Das rational zum Beruf gesteigerte Alltags|handeln wurde 3 Bewährung des Heils. Die Sekten der reli- c 264 giösen Virtuosen bildeten im Okzident die Fermente für die methodische Rationalisierung der Lebensführung einschließlich auch des Wirtschaftshandelns, bnicht aber 0 , wie die Gemeinschaften der kontemplativen oder orgiastischen oder apathischen Ekstatiker Asiens, Ventile für die Sehnsucht hinweg aus der Sinnlosigkeit des innerweltliehen Wirkens. Zwischen diesen äußersten Gegenpolen bewegten0 sich nun die mannigfachsten Übergänge und Kombinationen. d Denn die Religionen so wenig wie die Menschen waren 0 ausgeklügelte Bücher. Sie waren e historische, nicht logisch oder auch nur psychologisch widerspruchslos konstruierte, Gebilde. Sie ertrugen' sehr oft in sich Motivenreihen, die, jede für sich konsequent verfolgt, den andern hätte9 in den Weg treten, oft ihnen schnurstracks zuwiderlaufen müssenh. Die „Konsequenz" war hier die Ausnahme, und nicht die Regel. Die Heilswege und Heilsgüter waren aber auch in sich regelmäßig psychologisch nicht eindeutig. Auch der altchristliche Mönch und auch der Quäker hatten einen sehr starken kontemplativen Einschlag in ihrer Gottsuche: - ' aber der Gesamtinhalt ihrer Religiosität, vor allem der überweltliche Schöpfergott kund die Art der Versicherung der Gnadengewißheit'', wies sie immer wieder auf den Weg des I A: ist m A: verachtet und verfemt n Lies: diese Religiosität o A: p A: will q A: bleibt r A: bewährt s A: Qualifizierten, freilich t ist a A: wird b A: und nicht c A: bewegen d A: Denn die Menschen wenig wie die Religionen sind e A: sind f A: ertragen g Fehlt in A. h müßten i A: Gottsuchek Fehlt in A.

ist A: so A:

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Handelns. Und andrerseits:" 1 auch der buddhistische Mönch handelte: - n nur wurde dies Handeln jeder konsequenten /««erweltlichen Rationalisierung entzogen durch die letzte Orientierung des Heilsstrebens an der Flucht aus dem „Rad" der Wiedergeburten. Die Sektierer und andere Bruderschaften 0 des okzidentalen Mittelalters:13 Träger der religiösen Durchdringung des Alltagslebens, fanden ihr Gegenbild in den eher noch universeller entwickelten Bruderschaften des Islam; auch die dafür typische Schicht: Kleinbürger und namentlich Handwerker, war beiderseits die gleiche, - aber der Geist der beiderseitigen Religiosität war sehr verschieden. Äußerlich betrachtet, erscheinen zahlreiche hinduistische religiöse Gemeinschaften als „Sekten" ebensogut wie die des Okzidents, - aber das Heilsgut und die Art der Heilsvermittlung lagen nach radikal entgegengesetzter Richtung. - Die Beispiele sollen hier nicht weiter gehäuft werden, da wir ja die wichtigsten der großen Religionen | A 26 individuell betrachten wollen. Diese sind untereinander weder in dieser noch in anderer Hinsicht einfach in eine Kette von Typen, c 265 deren jeder gegenüber dem andern eine neue „Stufe" be|deutet, einzugliedern. Sondern sie sind sämtlich historische Individuen höchst komplexer Art und erschöpfen, alle zusammen genommen, nur einen q Bruchteil derjenigen möglichen Kombinationen, welche aus den sehr zahlreichen einzelnen dabei in Betracht kommenden Faktoren denkbarerweise gebildet werden könnten. Es handelt sich bei den nachfolgenden Darlegungen also in keiner Art um eine systematische „Typologie" der Religionen. Andererseits freilich auch nicht um eine rein r historische Arbeit. Sondern „typologisch" ist die nachstehende Darstellung in dem Sinne, daß sie das für den Zusammenhang mit den großen Gegensätzen der Wirtschaftsgesinnung in typischer Art Wichtige an den historischen Realitäten s der religiösen Ethiken s betrachtet, und Anderes vernachlässigt. Nirgends beansprucht sie also ein voll abgerundetes Bild der dargestellten Religionen zu bieten. Sie muß diejenigen Züge, welche der einzelnen Religion im Gegensatz zu anderen eigen und zugleich für unsere Zusammenhänge wichtig sind, sehr stark herausheben. Eine von jenen besonderen Wichtigkeitsakzenten absehende Darstellung müßte diese gegenüber dem hier gezeichneten Bild oft mildern, fast m Fehlt in A. n A: handelteq In A folgt: winzigen r Fehlt in A.

o A: Brüderschaften s Fehlt in A.

p A: Mittelalters,

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immer aber noch andere hinzufügen und gelegentlich auch wohl nachdrücklicher, als es hier möglich wäre, zum Ausdruck bringen, daß - natürlich - alle qualitativen Gegensätze in der Realität letztlich sich irgendwie als rein quantitative Unterschiede der Mischungsverhältnisse von Einzelfaktoren auffassen lassen. Für uns hier wäre es aber höchst unfruchtbar, diese Selbstverständlichkeit immer neu betonen zu wollen. Auch die für die Wirtschaftsethik wichtigen Züge der Religionen aber sollen uns hier wesentlich unter einem bestimmten Gesichtspunkt interessieren: in der Art ihrer Beziehung zum ökonomischen Rationalismus, und zwar - da auch dies noch nicht eindeutig ist - zum ökonomischen Rationalismus von demjenigen Typus, der den Okzident als eine Teilerscheinung der dort heimisch gewordenen Art der bürgerlichen Lebensrationalisierung seit dem 16. und 17. Jahrhundert zu beherrschen begann. Denn es ist hier vorweg 'noch einmal' 32 daran zu erinnern:" daß „Rationalismus" etwas sehr Verschiedenes bedeuten kann. So schon: je nachdem dabei | entweder an jene Art A 27 von Rationalisierung gedacht wird, wie sie etwa der denkende Systematiker mit dem Weltbild vornimmt: zu|nehmende theoretische Be- C 266 herrschung der Realität durch zunehmend präzise abstrakte Begriffe, - oder vielmehr an die Rationalisierung im Sinne der methodischen Erreichung eines bestimmten gegebenen praktischen Zieles durch immer präzisere Berechnung der adäquaten Mittel. Beides sind sehr verschiedene Dinge trotz der letztlich untrennbaren Zusammengehörigkeit. Selbst innerhalb der denkenden Erfassung des Wirklichen scheiden sich 3 ähnliche Typen: man hat die Unterschiede der englischen gegenüber der kontinentalen Physik auf sie zurückzuführen versucht. Jene Rationalisierung der Lebensführung aber, mit der wir es hier zu tun haben, kann ungemein verschiedene Formen annehmen. Der Konfuzianismus ist im Sinne des Fehlens j eder Metaphysik und fast aller Reste religiöser Verankerung: - so weitgehend, daß er an der äußersten Grenze dessen steht, was man überhaupt allenfalls noch eine „religiöse" Ethik nennen kann, - so rationali-

t Fehlt in A.

u A: erinnern;

a In A folgt: zwei

3 2 Dies hatte Weber bereits in der Vorbemerkung getan; siehe Weber, Vorbemerkung, S. 11 f.

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stisch und zugleich, im Sinne des Fehlens und der Verwerfung aller nicht utilitarischen Maßstäbe, so nüchtern, wie kein anderes der ethischen Systeme außer etwa demjenigen Jferemy] Benthams. Aber er ist von diesem und von allen okzidentalen b Typen des praktischen Rationalismus ganz außerordentlich verschieden trotz fortwährender wirklicher und scheinbarer °Analogien. „Rational" im Sinn des Glaubens an einen geltenden „Kanon" war c das höchste Kunstideal der Renaissance, Nationalistisch im Sinn der Ablehnung traditionaler Bindungen und des Glaubens an die Macht der naturalis ratio auch ihre Lebensbetrachtung trotz der Einschläge platonisierender Mystik. „Rational" in einem wieder ganz anderen Sinn: dem der „Planmäßigkeit", war aber auch 0 die Methode der Abtötungs- oder der magischen Askese oder Kontemplation in deren konsequentesten Formen, etwa im Yoga oder in den spätbuddhistischen Manipulationen mit Gebetsmaschinen. „Rational" e teils im gleichen Sinn: der formalen Methodik, teils aber im Sinn der Unterscheidung von normativ „Geltendem" und empirisch Gegebenem, waren e überhaupt alle Arten von praktischer Ethik, die systematisch und eindeutig an festen' Heilszielen orientiert wurden 9 . h Diese, letztgenannte/ Art von Rationalisierungsprozessen nun' interessiert uns im folgenden. Der Versuch, ihre Kasuistik hier vorwegzunehmen, k hätte keinen Sinn, da ja gerade diese Darstellung selbst einen Beitrag zu ihr liefern möchte. | C 267 Um dies zu können, muß sie sich aber eine Freiheit herausnehmen 1 : „unhistorisch" in dem Sinne zu sein, daß die Ethik der einzelnen Religionen systematisch wesentlich einheitlicher dargestellt wird, als sie es im Fluß der Entwicklung jemals war. Es müssen hier eine Fülle von Gegensätzen, die innerhalb der einzelnen Religionen A 28 lebten, von Entwicklungsansätzen und | Zweigentwicklungen beiseite gelassen und also m die für uns wichtigen Züge oft in einer größeren logischen Geschlossenheit und Entwicklungslosigkeit vorgeführt werden, als sie in der Realität sich vorfanden. Diese Vereinfachung würde historisch „Falsches" dannn ergeben, wenn sie willkürlich vorgenommen würde. Das aber ist, wenigstens der Absicht nach,

b A: occidenten C A: Analogien. - „Rational" war auch d A: „rational" e A: sind f In A folgt: Normen oder g A: sind h A: Gerade diese letztgenannte i Fehlt in A. k A: vorwegzunehmen I A: heraus nehmen m Fehlt in A. n In A nicht hervorgehoben.

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nicht der Fall. Es sind vielmehr stets diejenigen Z ü g e im Gesamtbilde einer Religion unterstrichen, welche für die Gestaltung der praktischen Lebensführung in ihren Unterschieden gegen andere Religionen die entscheidenden waren 3 ). Schließlich p , ehe zur Sache gekommen wird, noch einige Vorbemerkungen zur Erklärung häufig wiederkehrender terminologischer Besonderheiten der Darstellung 4 ). p q Die religiösen Vergesellschaftungen und Gemeinschaften gehören bei voller Entwicklung zum Typus der Herrschaftsverbände: sie stellen „hierokratische" Verbände, d.h. solche dar, bei welchen die Herrschaftsgewalt durch das Monopol der Spendung oder Versagung von Heilsgütern gestützt wird. Alle Herrschaftsgewalten, profane wie religiöse, politische wie unpolitische, lassen sich als A b wandlungen von oder Annäherungen an einige reine Typen ansehen, welche gebildet werden durch die Frage: welche Legitimitäts gmndlage die Herrschaft für sich in Anspruch nimmt. Unsere heutigen Verbände, vor allem die politischen, haben den Typus „legaler" Herrschaften. Das heißt: die Legitimität zu befehlen ruht für den Inhaber der Befehlsgewalt auf rational gesatzter, paktierter oder oktroyierter, Regel, und die Legitimation zur Satzung dieser Regeln wiederum auf | rational gesatzter oder interpretierter „Verfassung". C 268 Im Namen nicht einer persönlichen Autorität, sondern im Namen der unpersönlichen Norm wird befohlen, und der Erlaß des Befehls selbst ist auch seinerseits Gehorsam gegenüber einer Norm, nicht freie Willkür oder Gnade oder Privileg. D e r „ B e a m t e " ist der Träger der Befehlsgewalt, und niemals übt er sie zu eigenem Recht aus, sondern stets trägt er sie zu Lehen von der unpersönlichen „Anstalt", 3 ) [ A : 2 ) ] D i e Reihenfolge der Betrachtung i s t - u m r auch das zu b e m e r k e n - n u r geographisch, v o n Ost nach West gehend. In Wahrheit ist nicht diese ä u ß e r e Verteilung, sondern sind, wie sich vielleicht bei näherer B e t r a c h t u n g zeigt, innere mäßigkeitsgründe der Darstellung dafür m a ß g e b e n d g e w e s e n . s 4 ) D i e nähere A u s f ü h r u n g in d e m A b s c h n i t t „Wirtschaft und G e s e l l s c h a f t " im riß der S o z i a l ö k o n o m i k (Tübingen, J. C . B . M o h r ) . s 3 3 |

o-o

(S. 126) Petitdruck in A.

»

s

Grund-

p A : sind vielleicht einige terminologische V o r b e m e r -

k u n g e n am Platze. Index fehlt in A. lich

zufällig A 28 C 2 6 7 örtliche Zweck-

q - < 7 (S. 120) Fehlt in A.

r In A folgt: schließ-

Fehlt in A.

3 3 Hier bezieht sich W e b e r auf die Abhandlung „ T y p e n der H e r r s c h a f t " , W u G \ 1 2 2 - 1 7 6 ; siehe auch unten, A n m . 35 und 42.

S.

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dem durch gesatzte Regeln normativ beherrschten spezifischen Zusammenleben bestimmter oder unbestimmter, aber nach regelhaften Merkmalen angebbaren Menschen. Die „Kompetenz", ein sachlich abgegrenzter Bereich von möglichen Befehlsobjekten, umgrenzt den Bereich seiner legitimen Gewalt. Eine Hierarchie von „Vorgesetzten", die er im „Instanzenzuge" beschwerdeführend anrufen kann, steht dem „Bürger" oder „Mitglied" des Verbandes gegenüber. So auch im heutigen hierokratischen Verband der Kirche. Der Pfarrer oder Priester hat seine bestimmt abgegrenzte „Kompetenz": die durch Regeln festgelegt ist. Auch für das höchste Kirchenhaupt gilt das: die heutige „Infallibilität" ist ein Kompetenzbegriff: dem inneren Sinn nach verschieden von dem, was ihr voranging (noch zur Zeit Innocenz' III.). 3 4 Die Scheidung von „Amtssphäre" (bei der Infallibilität: dem Definieren „ex cathedra") und „Privatsphäre" ist ganz ebenso durchgeführt wie beim politischen (oder sonstigen) Beamten. Die rechtliche „Trennung" des Beamten von den Verwaltungsmitteln (in Natur- oder Geldform) ist in der Sphäre der politischen und hierokratischen Verbände genau so durchgeführt wie die „Trennung" des Arbeiters von den Produktionsmitteln in der kapitalistischen Wirtschaft: sie ist deren völlige Parallele. Dies alles aber ist, soviel Ansätze dazu sich schon in der frühesten Vergangenheit finden, in seiner Vollentwicklung spezifisch modern. Die Vergangenheit kannte andere Grundlagen der legitimen Herrschaft, die übrigens auf Schritt und Tritt in ihren Rudimenten auch in die Gegenwart hineinreichen. Wir wollen sie wenigstens terminologisch kurz umschreiben. ^ 1. Es soll bei den nachfolgenden Erörterungen unter dem' Ausdruck: „Charisma" eine (ganz einerlei: ob wirkliche oder angebliche oder vermeintliche) außeralltägliche Qualität eines Menschen verstanden werden. Unter „charismatischer Autorität" also eine (sei es

t In A folgt: (auch vorstehend schon einmal gebrauchten) 36

3 4 Der Papst ist nach Auffassung Innozenz' III. nicht nur der Statthalter Petri, sondern Statthalter Christi und Gottes. Er ist In seinem amtlichen Handeln sündlos und unfehlbar. 3 5 Vgl. zum Folgenden Weber, Max, Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft. Eine soziologische Studie, in: Preußische Jahrbücher, hg. von W.Schotte, Band 187, Heft 1, S. 1-12, Januar 1922. - Berlin: G. Stilke 1922. 36 Siehe oben, S. 90,110 und 113, mit den textkritischen Anmerkungen.

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mehr äußerliche oder mehr | innerliche) Herrschaft über Menschen, c 269 welcher sich die Beherrschten kraft des Glaubens an diese Qualität dieser bestimmten Person fügen. Der magische Zauberer, der Prophet, der Führer auf Jagd- und Beutezügen, der Kriegshäuptling, der sog. „cäsaristische" Herrscher, unter Umständen das persönliche Parteihaupt, sind gegenüber seinen Jüngern, seiner Gefolgschaft, der von ihm geworbenen Truppe, der Partei usw. solche Herrschertypen. Die Legitimität ihrer Herrschaft beruht auf dem Glauben und der Hingabe an das Außergewöhnliche, über normale Menschenqualitäten Hinausgehende und deshalb (ursprünglich: 3 als übernatürlich) Gewertete. Also: auf magischem oder auf Offenbarungsund Heldenglauben, dessen Quelle „Bewährung" der charismatischen Qualität durch Wunder, durch Siege und andere Erfolge: b durch Wohlergehen der Beherrschten, c ist, und der deshalb nebst der in Anspruch genommenen Autorität schwindet oder doch zu schwinden droht, sobald die Bewährung ausbleibt und der charismatisch Qualifizierte sich von seiner magischen Kraft oder von seinem Gott verlassen zeigt. Die Herrschaft wird nicht nach generellen Normen, weder traditionellen, noch rationalen, sondern - im Prinzip - nach konkreten Offenbarungen und Eingebungen gehandhabt und ist in diesem Sinne „irrational". Sie ist „revolutionär" im Sinne der Ungebundenheit an alles Bestehende: „es steht geschrieben - ich aber sage e u c h . . . !" 37 2. Es soll im nachfolgenden d : „Traditionalismus" die seelische Eingestelltheit auf und der Glaube an das alltäglich Gewohnte als unverbrüchliche Norm für das Handeln heißen, und daher ein Herrschaftsverhältnis, welches auf dieser Unterlage, also: auf der Pietät gegen das (wirklich oder angeblich oder vermeintlich) immer Gewesene ruht, als „traditionalistische Autorität" bezeichnet werden. Die weitaus wichtigste Art der auf traditionalistischer Autorität beruhenden, ihre Legitimität auf Tradition stützenden Herrschaft ist der Patriar- A 29 chalismus: die Herrschaft des Hausvaters, Ehemannes, Hausälte-

a A: ursprünglich

b A: Erfolge,

c A: Beherrschten

d A: Nachfolgenden

3 7 Weber bezieht sich hier auf die Formel der Bergpredigt (Matthäus 5) „Ihr habt gehört [...] ich aber sage euch".

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sten, Sippenältesten über die Haus- und Sippengenossen, des Herren und Patrons über die Leibeigenen, Hörigen, Freigelassenen, des Herren über Hausdiener, Hausbeamte, des Fürsten über Haus- und Hofbeamte, Ministerialen, Klienten, Vasallen, des Patrimonialherren und des Fürsten („Landesvaters") über die „Untertanen". Es ist c 270 der patriarchalen (und der als Spielart | ihr zugehörigen patrimonialen) Herrschaft eigentümlich: 0 daß sie neben einem System unverbrüchlicher, weil als absolut heilig geltender, Normen, deren Verletzung magische oder religiöse Übel im Gefolge hat, ein Reich frei schaltender Willkür und Gnade des Herrn kennt, welche im Prinzip nur nach „persönlichen", nicht nach „sachlichen" Beziehungen wertet und in diesem Sinne „irrational" ist. 3. Die charismatische Herrschaft, die auf dem Glauben an die Heiligkeit oder den Wert Von Außeralltäglichem' ruht, und die traditionalistische (patriarchale) Herrschaft, die auf den Glauben an die Heiligkeit des Alltäglichen sich stützt, teilten in früher Vergangenheit die wichtigsten Arten aller Herrschaftsbeziehungen unter sich auf. 9 „Neues" Recht konnte in den Kreis des kraft Tradition Geltenden nur durch Charismaträger: Orakel von Propheten oder Verfügungen von charismatischen Kriegsfürsten, eingefügt werden. Offenbarung und Schwert, die beiden außeralltäglichen Mächte, waren auch die beiden typischen Neuerer. Aber beide verfielen, sobald sie ihr Werk verrichtet hatten, in typische Art der Veralltäglichung. Mit dem Tode des Propheten oder Kriegsfürsten entstand die Nachfolgerfrage. Mochte sie durch Kürung (ursprünglich nicht eine „Wahl", sondern eine Auslese nach Charisma) oder durch sakramentale Versachlichung des Charisma (Nachfolgerdesignation durch Weihe: hierokratische oder apostolische „Sukzession") oder durch den Glauben an die charismatische Qualifikation der Sippe (Erbcharisma: Erbkönigtum und Erbhierokratie) gelöst werden: stets begann damit in irgendeiner Art die Herrschaft von Regeln. Nicht mehr kraft rein persönlicher, sondern kraft erworbener oder ererbter Qualitäten oder kraft Legitimation durch einen Kürungsakt herrschte der Fürst oder Hierokrat. Der Prozeß der Veralltäglichung und das hieß: Traditionalisierung, hatte eingesetzt. Und, was vielleicht noch wichtiger war: mit dauernder Organisation der Herrschaft veralltäglichte sich der Menschenstab, auf den sich der charismatische Herrscher e A: eigentümlich,

f A: des Außeralltäglichen

g—gf (S. 124) Fehlt in A.

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stützte: seine Jünger, Apostel, Gefolgen, - zu Priestern, Lehenvasallen, vor allem: Beamten. Aus der ursprünglich spezifisch wirtschaftsfremd: von Geschenken, Almosen, Kriegsbeute, kommunistisch lebenden charismatischen Gemeinschaft wurde eine durch Landnutzung, Sportein, Deputate, Gehälter: durch Pfründen also, unterhaltene Schicht von Hilfspersonen des Herren, | die ihre legitime Ge- C walt nunmehr - in sehr verschiedenen Stadien der Appropriation von Belehnung, Verleihung, Anstellung herleiteten. In aller Regel bedeutete das eine Patrimonialisierung der Herrengewalten, wie sie auch aus dem reinen Patriarchalismus sich durch Zerfall der straffen Gewalt des Herren entwickeln konnte. Der mit dem Amt beliehene Pfründner oder Lehensmann hat kraft der Beleihung in aller Regel ein eigenes Recht daran. Er ist im Besitz der Verwaltungsmittel, ähnlich wie der Handwerker in dem der ökonomischen Produktionsmittel. Er hat aus seinen Sportein oder sonstigen Einnahmen die Kosten der Verwaltung zu tragen, oder er führt von den beigetriebenen Leistungen der Untertanen nur einen Teil an den Herren ab, der Rest verbleibt ihm. Er kann - im Grenzfall - sein Amt vererben und veräußern wie anderen Besitz. Wir wollen von ständischem Patrimonialismus sprechen, wo die Entwicklung, sei es aus einem charismatischen, sei es aus einem patriarchalen, Anfangszustand her, durch Appropriation von Herrengewalten dieses Stadium erreicht hat. Aber bei diesem Stadium ist die Entwicklung selten stehen geblieben. Überall finden wir den Kampf des (politischen oder hierokratischen) Herren mit den Inhabern oder Usurpatoren ständisch appropriierter Herrenrechte. Er versucht: sie, sie: ihn zu expropriieren. Je nachdem es ihm gelingt, sich in den Besitz eines eigenen Stabes von ihm allein anhängenden, an sein Interesse geknüpften Beamten und - damit zusammenhängend - eigener, fest in der eigenen Hand behaltener Verwaltungsmittel zu setzen (eigene Finanzen bei politischen und - im Okzident seit InnocenzIII. bis Johann XXII. fortschreitend 38 - hierokratischen Herren, eigene Magazine und Arsenale für die Verpflegung von Heer und Beamten beim profanen 3 8 Als „letzter Kampf zwischen Kaisertum und Papsttum" wird bei Karl Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte. - Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1909, §97f., die Einmischung von Papst JohannesXXII. in den deutschen Thronstreit zwischen Ludwig dem Bayern und Friedrich dem Schönen von Österreich im Jahr 1323 bezeichnet. Die von Ludwig bereits erreichte weltgehende Unabhängigkeit der staatlichen von der kirchlichen Gewalt wurde dann unter seinem Nachfolger Karl IV. durch die „Goldene Bulle" (1356) bestätigt.

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Die Wirtschaftsethik

der

Weltreligionen

Herrscher), desto mehr entscheidet sich dieser Kampf zu seinen Gunsten und gegen die allmählich expropriierten ständischen Privilegieninhaber. Geschichtlich sehr verschieden war der Charakter jener Beamtenschicht, auf deren Hilfe sich der Herr im Kampf um die Expropriation der ständischen Herrengewalten stützte: Kleriker (typisch in Asien und im frühmittelalterlichen Okzident), Sklaven und Klienten (typisch im vorderasiatischen Orient), Freigelassene (im begrenzten Maß typisch für den römischen Prinzipat), humanistische Literaten (typisch in China), endlich: Juristen (typisch im c 272 Okzident der Neuzeit, sowohl in der Kirche | wie in den politischen Verbänden). Überall bedeutete der Sieg der Fürstenmacht und die Expropriation der partikularen Herrenrechte mindestens die Möglichkeit, oft auch das tatsächliche Eintreten einer Rationalisierung der Verwaltung. Aber in höchst verschiedenem Grade und Sinn, wie wir sehen werden. Vor allem ist zwischen der materialen Rationalisierung der Verwaltung und Rechtspflege durch einen Patrimonialfürsten, der seine Untertanen utilitarisch und sozialethisch beglückt so, wie ein großer Hausherr seine Hausangehörigen, und der formalen Rationalisierung durch die von geschulten Juristen geschaffene Durchführung der Herrschaft allgemeinverbindlicher Rechtsnormen für alle „Staatsbürger" zu scheiden. So flüssig (etwa in Babylon, Byzanz, dem hohenstaufischen Sizilien, dem stuartischen England, dem bourbonischen Frankreich) der Unterschied war, letztlich bestand er doch. Und die Geburt des modernen okzidentalen „Staats" ebenso wie der okzidentalen „Kirchen" ist zum wesentlichsten Teil Juristenwerk gewesen. Woher sie die Kraft und den Ideengehalt zu dieser Arbeit und die technischen Mittel dafür nahmen, ist hier noch nicht zu erörtern. 9 3 9 [A 29] h Mit dem Siege des formalistischen juristischen Rationalismus trat im Okzident neben die überkommenen Typen der Herrschaften der legaleh Typus der Herrschaft, dessen 'nicht einzige, aber reinste' Spielart die bureaukratische Herrschaft war und ist. Das Verhältnis der modernen Staats- und Kommunalbeamten, der modernen ka-

h A: N e b e n sie t r a t d e r rationale

i A: h i s t o r i s c h w i c h t i g s t e

3 9 W e b e r behielt sich eine Darlegung dieses Z u s a m m e n h a n g s vermutlich für die geplante, aber nicht m e h r ausgeführte Studie z u m „ C h r i s t e n t u m d e s O k z i d e n t s " vor.

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tholischen Priester und Kapläne, der Beamten und Angestellten der modernen Banken und kapitalistischen Großbetriebe stellt k, wie schon e r w ä h n t / 4 0 den wichtigsten Typus dieser Herrschaftsstruktur dar. Als das für unsere Terminologie entscheidende Merkmal muß 1 dabei m das vorhin Erwähnte m41 gelten: die Unterwerfung nicht kraft Glaubens und Hingabe an charismatisch begnadete Personen-. Propheten und Helden, auch nicht kraft heiliger Tradition und der Pietät gegen den durch Traditionsordnung bestimmten persönlichenn Herren °und - eventuell - seine durch Privileg und Verleihung zu eigenem Recht legitimierten Amtslehen- oder Amtspfründeninhaber 0 , sondern die ««persönliche Bindung an die generell bezeichnete sachliche „Amtspflicht", welche ebenso wie das korrespondierende Herrschaftsrecht: - die „Kompetenz" - durch rational gesatzte Normen (Gesetze, Verordnungen, Reglements) fest p und derart p bestimmt q sind, | daß die q Legitimität der Herrschaft r zur Legalität der c 273 generellen, zweckvoll erdachten, formell korrekt gesatzten und verkündeten Regel wird s . Die Unterschiede der 'vorstehend skizzierten'Typen reichen bis in alle Einzelheiten ihrer sozialen Struktur a und ökonomischen Bedeutung a . Es könnte b nur in einer systematischen Darstellung erhärtet werden, inwiefern c die hier gewählte Art der Unterscheidung und 0 Terminologie zweckmäßig ist. Hier sei nur betont: daß sie mitnichten den Anspruch erhebt, die einzig mögliche zu sein, noch vollends: daß alle empirischen Herrschaftsgebilde einem dieser Typen „rein" entsprechen müßten. Im geraden Gegenteil stellt die überwiegende Mehrzahl von ihnen eine Kombination oder einen Übergangszustand zwischen mehreren von ihnen dar. Wir werden immer wieder gezwungen sein, z.B. durch Wortbildungen wie: „Patrimonialbureaukratie" zum Ausdruck zu bringen: daß die betreffende Erscheinung mit einem Teil ihrer charakteristischen Merkmale der rationalen, mit einem anderen der traditionalistischen d - in diesem Fall: k Fehlt in A. I A : soll m Fehlt in A. n In A nicht h e r v o r g e h o b e n . o Fehlt in A. p Fehlt in A. q A: s i n d . D i e r In A folgt: w i r d h i e r s Fehlt in A. t A: d r e i a Fehlt in A. b A: k a n n c A: diese d Fehlt In A.

4 0 Oben, S. 119f. 4 1 Oben, S. 119f.

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der

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ständischen- d Herrschaftsform angehört. Dazu treten e aber höchst wichtige e Formen, welche - wie die feudale Herrschaftsstruktur historisch universell verbreitet waren, aber mit wichtigen Zügen gar nicht glatt unter eine der drei oben unterschiedenen Formen einzuordnen sind, sondern nur durch eine Kombination mit anderen Begriffen (in diesem Fall: dem des „Standes" und der „Standesehre") verständlich 'werden. Oder'welche, wie die Funktionäre der reinen Demokratie (Turnus-Ehrenamt und ähnliche Formen 9 auf der einen, plebiszitäre Herrschaft auf der anderen Seite 5 ) oder wie gewisse Arten der Honoratiorenherrschaft (einer Sonderform der traditionalistischen Herrschaft) h , teils aus andern als „Herrschafts"-Prinzipien, teils aus eigentümlichen Abwandlungen des Charismabegriffes A 30 zu verstehen | sind ', aber ihrerseits gerade zu den historisch allerwichtigsten Fermenten der Entbindung des politischen Rationalismus gehört haben'. Die k hier vorgeschlagene''Terminologie will also nicht die unendliche Mannigfaltigkeit des Historischen schematisch vergewaltigen, sondern sie möchte nur, für bestimmte Zwecke, brauchbare begriffliche Orientierungspunkte schaffen. 10 m Das gleiche gilt für eine letzte terminologische Unterscheidung. C 274 Wir verstehen unter ständischer Lage einepri\mär durch Unterschiede in der Art der Lebensführung bestimmter Menschengrupppn (und also meist: ihrer Erziehung) bedingte Chance positiver oder negativer sozialer Ehre für sie. Sekundär - und damit wird an die vorstehende Terminologie der Herrschaftsformen angeknüpft - pflegt diese sehr häufig und typisch zusammenzuhängen mit einem der betreffenden Schicht rechtlich gesicherten Monopol entweder auf Herrenrechte oder auf Einkommens- und Erwerbschancen bestimmter Art. Ein „Stand" ist also im (natürlich nicht immer vorliegenden) Fall der Erfüllung aller dieser Merkmale eine durch die Art der Lebensführung, die konventionalen spezifischen Ehrbegriffe und die rechtlich monopolisierten ökonomischen Chancen (nicht immer verbandsmäßig organisierte, stets aber irgendwie vergesellschaftete) Menschene Fehlt in A. f A: werden, oder g Fehlt in A. h In A folgt: oder wie eine gewisse Form der erblichen Fürstenwürde (charismatische Qualität des Fürslcngeschlechtes) i Fehlt In A. k A: angegebene I In A folgt: Ihre Typologie wird an anderer Stelle, und zwar speziell unter dem Gesichtspunkt des Zusammenhangs mit der Wirtschaft, systematisch erörtert werden. 42 o(S. 119)—o Petitdruck in A. m - / n (S. 127) Fehltin A. 4 2 Dies ist ein Hinweis auf den Text „ T y p e n der Herrschaft" für den „ G r u n d r i ß der S o z i a l ö k o n o m i k " ; vgl. oben, A n m . 33.

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gruppe. Commercium (im Sinn von „gesellschaftlichem" Verkehr) und connubium von Gruppen untereinander sind die typischen Merkmale der ständischen Gleichschätzung; ihr Fehlen bedeutet ständische Unterschiede. Unter „Klassenlage" sollen im Gegensatz dazu die primär durch typische ökonomisch relevante Lagen, also: Besitz bestimmter Art oder Gelerntheit in der Ausübung begehrter Leistungen, bedingten Versorgungs- und Erwerbschancen einerseits, die daraus folgenden allgemeinen typischen Lebensbedingungen (z. B. die Notwendigkeit, sich der Werkstattdisziplin eines Kapitalbesitzers zu fügen) andererseits" genannt werden. Eine „ständische Lage" kann sowohl Ursache wie Folge einer „Klassenlage" sein, ist aber keines von beiden notwendig. Klassenlagen können ihrerseits primär marktbedingt sein (arbeits- und gütermarktbedingt) und sind es heute in den der Gegenwart spezifischen typischen Fällen. Aber dies ist nicht absolut notwendig der Fall. Grundherr und Kleinbauer sind es im Fall geringer Marktverflochtenheit fast gar nicht, die verschiedenen Kategorien der „Rentner" (Boden-, Menschen*, Staats-, Wertpapierrentner) in sehr verschiedenem Sinn und Maß. „Besitzklassen" und (primär marktbedingte) „Erwerbsklassen" sind also zu scheiden. Die heutige Gesellschaft ist vorwiegend klassengegliedert, und zwar in spezifisch hohem Maße in Erwerbsklassen. Sie enthält aber in dem spezifisch ständischen Prestige der „Bildungs"-Schichten ein (äußerlich durch die ökonomischen Monopole und gesellschaftlichen Vorzugschancen der Diplominhaber am deutlichsten verkörpertes) höchst fühlbares ständisches Gliede- c 275 rungselement. In der Vergangenheit war die Bedeutung der ständischen Gliederung weit ausschlaggebender, vor allem auch für die ökonomische Struktur der Gesellschaften. Denn auf diese wirkt sie einerseits durch die Schranken oder Reglementierungen des Konsums und durch die Bedeutung der ständischen - vom Standpunkt der ökonomischen Rationalität aus: irrationalen - Monopole, andererseits durch die Tragweite der beispielgebenden ständischen Konventionen der betreffenden Herrenschichten außerordentlich stark ein. Diese Konventionen konnten ihrerseits den Charakter ritueller Stereotypierung tragen, und dies war in hohem Maße der Fall bei den asiatischen ständischen Gliederungen, denen wir uns nunmehr zuerst zuwenden." 1 | n Fehlt in C; andererseits sinngemäß ergänzt.

C 276

a

I. K o n f u z i a n i s m u s u n d Taoismus 1 ).

I. Soziologische Grundlagen: A: Stadt, Fürst und Gott. Geldwesen S. 128. - Städte und Gilden S. 148. - Fürstenverwaltung und Gotteskonzeption im Vergleich mit Vorderasien S. 158. - Charismatische und pontifikale Stellung des Zentralmonarchen S. 174. a

I.

China war, in scharfem Gegensatz zu J a p a n , schon seit einer für uns vorhistorischen Zeit ein Land der b großen u m m a u e r t e n 0 Städte. N u r Städte hatten einen kanonisierten Ortspatron mit Kult. °Der Fürst A 30 C 276

') [A: 1 )] d Zur Literatur: d D i e ®weiterhin nicht zu den einzelnen Stellen jedesmal besonders zitierten s großen Zentralwerke der klassischen chinesischen Literatur hat J. Legge in den „Chinese Classics" übersetzt mit textkritischen Anmerkungen herausgegeben. 1 Einige davon sind auch in Max Müllers Sacred Books of the East aufgenommen. 2 In die

a - a A: Der Konfuzianismus 3 ) I, II. I. Die soziologischen Grundlagen. - Stadt und Staat. - Politische und ökonomische Entwicklungsbedingungen der Religion S. 30. - Die Bürokratie und ihre Standesethik S. 39. - Kapitalismus und Genossenschaftsbildung. Die Sippe als Grundlage der Vergesellschaftung S. 47. II. Der „Geist" der konfuzianischen Bildung und die Wirtschaft. - Soziologischer Typus der Bildung S. 57. - Wirtschaftspolitische Gesinnung der Bildungsschicht S. 64. - Religionspolitische Gesinnung der Bildungsschicht S. 68. - Elemente der Sozialethik. Fehlen des Naturrechtes S. 71. - Allgemeiner Charakter des chinesischen Rationalismus. - Die Stellung zur Welt und das Persönlichkeitsideal S. 77. - Stellung zur Wirtschaft und zum Beruf. Traditionalismus der Bildungsschicht S. 80. b Fehlt in A. c—C (S. 130) Fehlt in A. d A: Literatur (zur ersten Orientierung): e Fehlt in A.

1 In der von James Legge herausgegebenen Reihe „Chinese Classics" erschienen Übersetzungen der Werke Lun-yü, Ta-hsüeh, Chung Yung, Meng-tzu, Shu-ching, Shihching, Ch'un-ch'iu und Tso-chuan. 2 Von den In der Reihe „Chinese Classics" publizierten Übersetzungen sind nur das Shu-ching und Teile des Shih-ching auch in die Reihe „Sacred Books of the East"

I. Soziologische

Grundlagen:

A. Stadt, Fürst und Gott

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war vornehmlich Stadtherr. Die Bezeichnung für „Staat" blieb in offiziellen Dokumenten | auch der großen Teilstaaten: „Eure Haupt- c 277 persönlichen (oder, was für uns hier ganz 1 dasselbe ist: 9 als persönlich geltenden) Ansichten des Konfuzius und seiner maßgeblichsten Schüler führen wohl am bequemsten die in einem kleinen Bande (The Life and Teachings of Confucius, London 1867) von Legge mit Einleitung herausgegebenen drei Schriften: das Lun Yü (als „Confucian Analects" übersetzt), das Ta Hio (The h Great Learning h ) und das Tschung Yung („Doctrine of the Mean"), ein. Dazu die berühmten Annalen von Lu (Tschun Tsiu = „Frühling und Herbst"). 3 Übersetzungen von Mencius: in den Sacred B[ooks] of the East 4 und bei Faber, The Mind of Mencius. Das dem Laotse zugeschriebene 1 Tao-te-king ist überaus oft übersetzt k worden, deutsch (genial) k von v.Strauß 1870, englisch von Carus 1913'. 5 i n z w i s c h e n ist m bei Diederichs, Jena, eine gute Auslese chinesischer Mystiker und Philosophen erschienen" (hrsg. 0 v. Wilhelm).8 Die Beschäftigung mit Taoismus war neuerdings fast Mode. Über die staatlichen und sozialen Verhältnisse ist, neben Richthofens großartigem, vorwiegend geographischem, aber nebenbei auch diese Dinge berücksichtigenden Werk, 7 zur Einführung noch immer die popularisierende ältere Arbeit von p Williams „The Middle q Empire" nützlich. 8 Vorzügliche Skizze (mit Literatur) von Otto Franke in der „Kultur der Gegenwart" (II, II, l). 9 1 Über die Städte: Plath in den Abh. der A 31 bayer. r Akad. der Wiss. X . 1 0 Die beste Arbeit über die Ökonomik einer (modernen) chinesischen Stadt ist bisher von | einem Schüler K. Büchers, Dr. Nyok Ching Tsur, s C 277

f Fehlt in A. g A: ist, h A: Greet Learing i In A folgt: (vielleicht apokryphe, weil vor dem großen Brande als Buch nicht erwähnte) k A: worden (deutsch genial I A: 1913) m A: Neuestens beginnt n A: zu erscheinen o A: hgg. p InA folgt: Seils q A, C: Midden r A: bayr. s A: Tsur

(Band 3) a u f g e n o m m e n . Die Ü b e r s e t z u n g e n der anderen „ S a c r e d B o o k s of C h i n a " (Bände 16, 27, 28, 39 und 4 0 der „ S a c r e d Books of the East") s t a m m e n auch v o n Legge, sind aber nicht in den „ C h i n e s e Classics" enthalten. 3 Das Werk Ch'un-ch'iu ist übersetzt in Legge, Chinese C l a s s l c s 5 . 4 L e g g e s Ü b e r s e t z u n g v o n Meng-tzu ist nicht in der Reihe „ S a c r e d B o o k s of the East", s o n d e r n als Band 2 der Reihe „ C h i n e s e Classics" e r s c h i e n e n . 5 Carus, Canon; Strauß, Täo te king. In der Beurteilung v o n Strauß' Ü b e r s e t z u n g folgt W e b e r Grube, C h i n e s i s c h e Litteratur, S. 145. 6 Im Eugen Diederichs Verlag e r s c h i e n e n bis 1920 f o l g e n d e W e r k e In der Ü b e r s e t z u n g v o n Richard Wilhelm: Lun -yü in: Wilhelm, Kung-Futse; T30-te-ching In: Wilhelm, Laotse; Lieh-tzu in: Wilhelm, Liä Dsi; Chuang-tzu in: Wilhelm, D s c h u a n g Dsi, und Meng-tzu in: Wilhelm, M o n g Dsi. 7 Richthofen, China. 8 G e m e i n t ist: Williams, Middle K i n g d o m . 9 Franke.Verfassung. 10 B e s c h r e i b u n g e n alter chinesischer Städte enthält die Denkschrift „ N a h r u n g , Kleidung und W o h n u n g der alten C h i n e s e n " v o n J. H. Plath, die in Band 11 der „ A b h a n d l u n g e n der Königlich Bayerischen A k a d e m i e der W i s s e n s c h a f t e n " , 1. Cl., e r s c h i e n e n ist. S i e h e Plath, Nahrung, S . 2 5 4 - 2 8 3 . In Band 10 der „ A b h a n d l u n g e n " e r s c h i e n e n Plaths Denkschriften „ G e s e t z und Recht im alten China" und „ Ü b e r die Verfassung und Verwaltung Chinas unter d e n drei ersten D y n a s t i e n " , in d e n e n auf die chinesische Stadt nicht e i n g e g a n g e n wird.

Konfuzianismus

130

und

Taoismus

Stadt" bzw. „Meine bescheidene Stadt". 0 1 1 Noch im letzten Drittel C 278 A 31 des 19. Jahrhunderts | wurde die endgültige | Unterwerfung der Miao (1872) durch einen zwangsweisen Synoikismos, eine Zusammensied-

geliefert worden (Die gewerbl. Betriebsformen der Stadt Ningpo, Erg.-Heft 30 der Zeitschr. f. d. ges. Staatsw., Tübingen 1909). Ü b e r die aftchinesische Religion (den sog. „Sinismus") E . Chavannes in Revue del'hist. des Relig. 34 S. 125 f f . 1 2 Für die Religion und Ethik des Konfuzianismus und Taoismus sind empfehlenswert, weil tunlichst im Anschluß an wörtliche Zitate gearbeitet, die beiden Arbeiten von Dvorak in den „Darstellungen aus dem Gebiet der nichtchristlichen R e l . - G e s c h i c h t e " . 1 3 Im übrigen die Darstellungen in den verschiedenen Lehrbüchern' der Religionsgeschichte (bei Bertholet, Tübingen 1908, ist der Abschnitt von Wilhelm Grube,14 bei Chantepie de la Saussaye von E . B u c k l e y ) . 1 5 Im übrigen stehen über die offizielle Religion die großen Arbeiten von de Groot zurzeit allen voran. Hauptwerk: T h e Religious System of China (in den bisher erschienenen Bänden wesentlich das Ritual, vor allem Totenritual, behandelnd). 1 6 Eine Gesamtübersicht über die in China bestehenden Religionssysteme von ihm in der „Kultur der G e g e n w a r t " . 1 7 Über die Toleranz des Konfuzianismus seine temperamentvolle Streitschrift: Sectarianism and religious persecution in China (Verh. der Kon. A k . van Wetensch. te Amsterdam, Afd. letterk. N. R e e k s I V , 1 , 2 ) . Zur Geschichte der Religionsverhältnisse sein Aufsatz in B d . V I I des Archiv f. Rel.-Wissensch. ( 1 9 0 4 ) . 1 8 Z u " vgl. die Besprechung von Pelliot Bull, de l ' E c o l e fran?. a de l ' E x t r . 3 Orient I I I , 1 9 0 3 , S . l 0 5 . 1 9 Ü b e r d e n Taoismusb Pelliot a. a. O . S. 3 1 7 . c 2 0 Ü b e r das Heilige Edikt des Gründers der Ming-Dynastie (Vorgänger des „heili-

t A: Jahrbüchern

u A:

(Zu

a A:

d'Extr.

b In A

nicht

hervorgehoben.

C A: 317.)

11 Parker, China, S . 7 7 f . 1 2 Chavannes, Edouard, Le dieu du sol dans l'ancienne religion chinolse, erschien in Band 43,2 der Revue de l'Histoire des Religions, 1901, S. 1 2 5 - 1 4 6 . Als „ S i n i s m u s " wird die altchinesische Religion In Chantepie de la Saussaye, Rellglonsgeschlchte 1, S . 5 5 , bezeichnet. 1 3 Dvorak, Konfuzius; Dvorak, Lao-tsl. 1 4 Weber bezieht sich auf Wilhelm Grubes Darstellung In: Bertholet, Alfred (Hg.), Religionsgeschichtliches L e s e b u c h . - T ü b i n g e n : J . C . B . Mohr (Paul Siebeck) 1908. 1 5 Die Darstellung der chinesischen Religion In dem von Chantepie de la Saussaye herausgegebenen Lehrbuch war In der ersten Auflage vom Herausgeber selbst verfaßt. Sie wurde für die zweite Auflage (1897) von Edmund Buckley „theilwelse revidlrt". 1 6 Bis 1915 waren erschienen: Part 1 „Disposal of the Dead" und Part 2 „ O n the Soul and Ancestral W o r s h i p " . Angekündigt waren noch: Part3 „Taoism", Part4 „Worship of Human S o u l s " , Part5 „ B u d d h i s m " und Part6 „State Religion"; siehe de Groot, Religious System 1 , S . XI l - X V . 1 7 De Groot, Religionen. 1 8 De Groot, Wu Tsung. 1 9 Pelliot, Besprechung. 2 0 Pelllot, Secte, befaßt sich mit der Entwicklung zweier Sekten, der Sekte des Weißen Lotus und der Sekte der Weißen Wolken. Beide Religionsgemeinschaften sind buddhistischen Ursprungs, weisen aber, nach Pelliots Darstellung, taolstische Elemente auf.

I. Soziologische

Grundlagen:

A. Stadt, Fürst und

Gott

131

lung in Städte, besiegelt, 21 ganz wie im römischen Altertum bis gen Ediktes" von 1671) 2 2 Chavannes, Bull, de l'Ec. fr. de l'Ext. Or. III, 1903, S. 5 4 9 f f . 2 3 Darstellung der konfuzianischen Lehre vom Standpunkt der m o d e r n e n R e f o r m p a r t e i Kang Yu Wei's: Chen Huan Chang[,] T h e economic principles of Confucius and his school (Dissertation der New Yorker Columbia University, New York 1911) . 2 4 - Sehr anschaulich spiegeln sich die Wirkungen der verschiedenen Religionssysteme auf die L e b e n s f o r m e n in Wilhelm Grubes schönem 11 Aufsatz: Z u r Pekinger Volkskunde (in der Veröff. aus d e m Kgl. Mus. f. Völkerk., Berlin V I I , 1901). Vgl. von demselben: Religion und Kultur der C h i n e s e n . 2 5 Ü b e r chinesische Philosophie: W. Grube in der „Kultur der G e g e n w a r t " I, 5. 2 6 Derselbe: Geschichte der chinesischen Literatur (Leipzig 1902). e Aus der Missionarliteratur ist recht wertvoll, weil zahlreiche Gespräche reproduzierend, Jos. Edkins', Religion in China (3. Aufl., 1884). Manches G u t e enthält auch Douglas, Society in China. F ü r weitere Literatur sind die b e k a n n t e n großen englischen, französischen und deutschen Zeitschriften, ferner die Zeitschr. f. vergl. Rechtswissenschaft und das Archiv f. Rel.Wissensch. durchzusehen. - Z u r anschaulichen Einführung in m o d e r n e chinesische Verhältnisse: F. v. Richthofens Tagebücher, 2 7 ferner die Bücher von Lauterer,23 Lyall,29 30 9 31 Navarra u. a. Z u m Taoismus s. auch bei V I I . | h E i n e m o d e r n e Entwicklungsgeschichte Chinas (alte Zeit) bringt E . Conrady in B a n d H I der „Weltgeschichte" (1911) von v. Pflugk-Harttung. 3 2 Erst während dieses Drucks kam mir das neue Werk von de Groot: „Universismus". Die Gründl, d. Rel. u. Ethik, des Staatsw. u. der Wiss. Chinas (Berlin 1918) zur H a n d . Von kurzen e i n f ü h r e n d e n Skizzen sei ganz besonders auf die kleine Broschüre eines der besten F a c h k e n n e r verwie-

d A: vorzüglichem h - / i Fehlt in A.

e Neuer Absatz in A.

f A: Jedkins

g A: III 33

21 Aufstände des Volksstammes der Miao in der Provinz Kueichou ereigneten sich In der Zelt von 1855-1872. In einem Memorandum In der Peking Gazette vom 31.5. 1883 (1) wird berichtet, daß die Ordnung dort durch eine kombinierte Politik von „Versöhnung und Vernichtung" wiederhergestellt wurde. Richthofen, China 3, S.283, erwähnt, daß die Überlebenden Miao In Städte gebracht wurden. 2 2 Der Hung-wu-Kaiser (1368-1398) ließ zur Erziehung des Volkes sechs moralische Maximen ausgeben. Chavannes, Saintes Instructions, S.540ff., betont, daß dies dem K'ang-hsi-Kaiser bei der Veröffentlichung seines „Helligen Edikts" (1671) als Vorbild diente. 2 3 Chavannes, Saintes Instructions. 2 4 Chen, Economic Principles. 2 5 Wilhelm Grubes Arbelt trägt den Titel „ Religion und Kultus der Chinesen". 26 Grube, Chinesische Philosophie. 2 7 Hessen, Richthofen. 28 Lauterer, China. 2 9 Lyall, Aslatic Studles. 3 0 Navarra, China. ^ 31 Weber verweist auf den AbschnittVII „Orthodoxie und Heterodoxie (Taoismus)", S. 370ff. 3 2 Gemeint Ist: August Conrady, China, in: Weltgeschichte, hg. von Julius von PflugkHartung. 3: Geschichte des Orients. - Berlin: Ullstein 1910. 3 3 Siehe unten, S. 3 7 0 - 4 4 9 , mit den textkritischen Anmerkungen.

132

Konfuzianismus

und

Taoismus

gegen das 3. Jahrhundert. 'Im Effekt kam vor allem die Steuerpolitik der chinesischen Verwaltung auf eine sehr starke Begünstigung der Stadtinsassen auf Kosten des platten Landes hinaus 2 ).'Ebenso war China von jeher die Stätte eines k für die Bedarfsbedeckung 'großer Gebiete' unentbehrlichen Binnenhandels. Dennoch aber war, ent- 5 sprechend der überragenden Bedeutung der agrarischen Produktion, bis in die Neuzeit hinein die m Geldwirtschaft schwerlich je so [A 32] entwickelt wie etwa im ptolemäischen Ägypten m. Dafür ist schon das n - allerdings teilweise nur als Verfallsprodukt zu verstehende Geldsystem 0 mit seinem fortwährend zeitlich und überdies von Ort 10 zu Ort wechselnden Kursverhältnis des Kupferkurants zum Barrensilber p - dessen Stempelung in den Händen der Gilden l a g - p , Beweis genug 3 ). q sen: Frhr. v. Rosthorn, Das soziale Leben der Chinesen (1919), aus der älteren Literatur gleicher Art etwa auf J. Singer, Über soziale Verhältnisse in Ostasien (1888). Belehrender als viele Darstellungen ist das Durcharbeiten der von den englischen C 278 Interessenten jahrzehntelang unter dem Namen „Peking Gazette" | übersetzten Sammlung der (ursprünglich nur zum internen Gebrauch bestimmten) kaiserlichen Verfügungen an die Reichsbeamten. 3 4 Die sonstige Literatur und die übersetzten Quellenschriften sind zu den Einzeldarlegungen zitiert. Für den Nichtfachmann ist sehr erschwerend der Umstand, daß die dokumentarischen und monumentalen Quellen nur zum kleinsten Teil übersetzt sind. Ein sinologischer Fachmann stand mir zur Kontrolle leider nicht zur Seite. Nur mit schweren Bedenken und unter den größten Vorbehalten wird daher hier dieser Teil mit abgedruckt. h r2 ) Dahin resümiert seine Ansicht auch H. B. Morse, The Trade and Administration of the Chinese, 3 5 New York 1908, p. 74. In der Tat: das Fehlen der Akzise und jeder Steuer von beweglichem Einkommen, bis in die Neuzeit sehr niedrige Zölle, die Getreidepolitik nur unter den Gesichtspunkt des Konsums gestellt, - schon diese Grundtatsachen rechtfertigen das Urteil. Vor allem aber war für den bemittelten Händler für Geld bei der Eigenart des Beamtentums praktisch alles durchzusetzen, was in seinem Interesse lag. 3 ) Der Ubergang zu diesem unseren „Banko"-Währungen entsprechenden (für die

i Fehlt in A einschließlich Index.

k In A folgt: u n g e m e i n e n t w i c k e l t e n ,

I A: g a n z

m A: Geldwirtschaft, verglichen etwa mit dem ptolemäischen Ägypten, nur mäßig | A 3 2 entfaltet n Fehlt in A. o A: Geldsystem, p Fehlt in A. q A: genug, Index fehlt in A.

r - r ( S . 150) Webers Fußnoten 2 ) bis 3 5 ) fehlen in A.

3 4 Englische Übersetzungen aus der Ching-pao, der „Hauptstädtischen Z e i t u n g " , erschienen von 1873 bis 1900 jährlich unter d e m Titel „Translation o f t h e Peking Gazette" in Shanghai. „Translation o f t h e Peking Gazette" enthält sowohl ausführliche Übersetzungen als auch knappe Inhaltsangaben von kaiserlichen Edikten und Eingaben der Beamten zu Angelegenheiten der zivilen und militärischen Verwaltung. Die Texte sind in chronologischer Reihenfolge aufgeführt; finden sich unter einem Datum verschiedene Texte, so sind diese durchnumeriert. 3 5 Der Titel des Werkes lautet „ T h e Trade and Administration o f t h e Chinese Empire".

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Das chinesische Geldwesen 4 ) bewahrt Züge äußerster Ar|chaistik c 279 in Verbindung mit scheinbar modernen Bestandteilen. Das Zeichen für „Reichtum" bewahrt noch jetzt die alte Bedeutung „Muschel" (pei). 36 Es scheint, daß noch 1578 Muschelgeldtribute aus Yünnan 5 (einer Minenprovinz!) vorkamen. Für „Münzen" findet sich ein Zeichen, welches „Schildkrötenschale" bedeutet 5 ), 37 „Pu pe": „SeidenH a m b u r g e r Bank auch vorbildlich gewesenen) System wurde allerdings erst durch die Münzverschlechterungen und Papiergeldemissionen der Kaiser herbeigeführt, ist also sekundär. Welche Verwirrung aber die an einem Ort plötzlich eintretende Knappheit des Kupferkurants, die infolgedessen vermehrte Emission lokaler B a n k n o t e n und die durch beides erzeugten Agiounterschiede und Spekulationen in Silberbarren noch in neuester Zeit hervorrufen konnten und mit wie unbeholfenen M a ß n a h m e n die Regierung dann eingriff, zeigt z. B. der nebst dem kaiserlichen D e k r e t in der „Peking G a z e t t e " vom 2 . 6 . 96 veröffentlichte Bericht. 3 8 Beste Darstellung der Währungsverhältnisse bei H . B . Morse, Trade and Administration of the Chinese Empire, New York 1908, Kap. V, p. 119ff. Im übrigen zu vergleichen: i.Edkins, Banking and prices in China (1905). Aus der alten chinesischen Literatur Se Ma Tsien ed. Chavannes, Vol. III, Kap. X X X . 3 9 4 ) Die Bezeichnung für „ G e l d " ist im übrigen „ h w o " , „Tauschmittel" (puo hwo = wertvolles Tauschmittel). 4 0 | 5 ) S. d a r ü b e r außer dem b e t r e f f e n d e n Kapitel von Morse, Trade and administration of C 279 China, 4 1 und Jos. Edkins, Chinese Currency, London 1913, die alte, noch immer brauchbare Arbeit von Biot im N. Journ. Asiat. 3. Ser. 3 , 1 8 3 7 , 4 2 welche sich im wesentlichen auf M a Tuan L i n 4 3 als G e w ä h r s m a n n stützt. Erst während der Korrektur kam mir die NewYorker Diss. v. W. P. Wei, T h e currency problem in China (Stud, in Hist. Ec. etc. 59, New York 1914) zu Gesicht, deren erstes Kapitel einiges enthält. |

s - s (S. 148) Fehlt in A.

36 Weber bezieht sich hier auf Biot, Système monétaire, Teil 1, S. 427, der erwähnt, daß das Schriftzeichen pei (Muschel) als Radikal vieler Schriftzeichen zu finden ist, die mit „Reichtum" in Verbindung stehen. 37 Gemeint ist das Zeichen kuei (Schildkröte oder Schildkrötenschale); vgl. Biot, Système monétaire, Teil 1, S. 429. 38 In der Peking Gazette vom 2.6.1896 findet sich zwar der entsprechende Bericht, nicht aber ein kaiserliches Dekret zur Lage. Es wird lediglich erwähnt, daß die Regierung bei ähnlicher Gelegenheit schon einmal die Benutzung ausländischer Münzprägemaschinen empfohlen habe. 39 Chavannes, Se-maTs'ien 3, ch.XXX: „Balance du commerce", S. 538-604. 40 Pao huo war während der Zeit der Chou-Dynastie eine Bezeichnung für Kupfergeld. Vgl. Edkins, Chinese Currency, S. 17. 41 Morse, Trade, Chap. 5 „The Currency", S. 119-169. 42 Biot, Système monétaire. Den Titel „Nouveau Journal Asiatique" trug nur die zweite Serie (1828-1836) dieser Zeitschrift. 43 Ma Tuan-iin (1245-1323) ist der Verfasser der Enzyklopädie Wen-hsien t'ung-k'ao, die Biot für seine Studie ausgewertet hat.

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geld", soll unter den Tschou existiert haben, und die Leistung von Seide als Steuer hat sich in den verschiedensten Jahrhunderten gefunden . Perlen, Edelsteine, Zinn werden daneben als alte Träger von Geldfunktion genannt, und noch der Usurpator Wang Mang (seit 7 n . C h r . ) 4 4 versuchte - vergeblich - eine Geldskala herzustellen, in welcher neben Gold, Silber, Kupfer auch Schildkrötenschalen und Muscheln als Zahlmittel fungierten, während umgekehrt der rationalistische Einiger des Reiches, Schi Hoang Ti, nur „runde" Münzen, aber - nach einer freilich nicht sehr verläßlichen Angabe 4 5 außer Kupfer- auch Goldmünzen ( Y und Tsien) hatte schlagen lassen, alle andern Tausch- und Zahlmittel aber - vergeblich - verboten hatte. Silber scheint als Münzmetall erst spät (unter Wu-ti, Ende 2. Jahrhunderts vor Chr.) überhaupt aufzutreten, als Steuer (der Südprovinzen) erst 1035. Zweifellos zunächst aus technischen Gründen. Das Gold war Waschgold, die Kupfergewinnung ursprünglich technisch relativ leicht, Silber dagegen nur durch eigentlichen Bergbau zu gewinnen. Sowohl die Bergbautechnik aber als auch 1 die Münztechnik der Chinesen ist auf ganz primitiver Stufe stehen geblieben. Die angeblich seit dem 12., wahrscheinlich seit dem 9. Jahrhundert vor Chr. geschaffenen Münzen - erst seit etwa 200 vor Chr. mit Schriftzeichen versehen - wurden gegossen, nicht geprägt. Sie waren daher sehr leicht nachahmbar und an Gehalt sehr verschieden - noch weit verschiedener als, bis zum 17. Jahrhundert, die europäischen Münzen (fast 1 0 % bei englischen Kronen). 18Stücke der gleichen Emission des 11. Jahrhunderts schwankten nach Biots Wägung 4 6 zwischen 2,70 und 4,08 g, 6 Stücke der Emission von 620 nach c 280 Chr. gar zwischen | 2,50 und 4,39 g Kupfer. 4 7 Schon deshalb allein waren sie kein eindeutig brauchbarer Standard für den Verkehr. Die Goldvorräte wurden wesentlich durch Tatarenbeutegold plötzlich vermehrt, um schnell wieder zu sinken. Gold und Silber wurden daher früh sehr selten, - das Silber, trotzdem die Bergwerke an sich,

t Fehlt in C; auch sinngemäß ergänzt.

4 4 Wang Mang etablierte sich im Jahr 9 n.Chr. als Herrscher der Hsin („Neuen")Dynastie. Die falsche Jahreszahl findet sich auch bei Wel, Currency Problem, S. 16. 4 5 Der Bezug ist unklar. Biot, Système monétaire, zweifelt die Angabe nicht an. 4 6 Biot, Système monétaire, Teil 3, S. 430. 4 7 Biot, Système monétaire, Teil 2, S. 109; statt 2,50 g heißt es dort 2,60 g.

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bei entsprechender Technik, abbauwürdig geblieben wären6). Kupfer blieb das Kurantgeld des Alltagsverkehrs. Der weit größere Edelmetallumlauf des Okzidents war den Annalisten insbesondere der Han-Zeit sehr wohl bekannt. 48 Die großen, aus den Naturaltri5 buten gespeisten Seidenkarawanen (jährlich eine große Zahl) brachten zwar okzidentales Gold in das Land. (Römische Münzen werden gefunden.) Doch das hörte mit dem Ende des Römerreichs auf, und erst die Zeit des Mongolenreichs brachte wieder Besserung. Die Wendung brachte erst der Verkehr mit den Abendländern in 10 der Zeit nach der Eröffnung der mexikanisch-peruanischen Silberminen, von deren Ertrag ein erheblicher Teil als Gegenwert gegen Seide, Porzellan, Tee nach China floß. Die Silberentwertung im Verhältnis zu Gold (1368 = 4:1, 1574 = 8:1, 1635 = 10:1, 1737 = 6

) Geomantische, später zu b e s p r e c h e n d e , 4 9 Superstitionen führten stets erneut (bei C 280 j e d e m E r d b e b e n ) zur U n t e r d r ü c k u n g des Abbaus. Allerdings ist es aber eine lächerliche Übertreibung, wenn Biot a. a. O . die Minen mit denen von Potosi vergleicht. 5 0 D a s steht seit Richthofen endgültig fest. 5 1 Die Bergwerke in Y ü n n a n sollen von 1811 bis gegen 1890 nur ca. 13 Mill. Taels A u s b e u t e ergeben haben (trotz der relativ niedrigen Royalty von 15%). Schon im 16. J a h r h u n d e r t (1556) kam es vor, daß eine Silbermine mit 30000Taels Kosten e r ö f f n e t wurde und dann rund 28500Taels A u s b e u t e g a b . 5 2 Die m e h r f a c h e n Verbote des Bleiabbaus hinderten die Gewinnung des Silbers als N e b e n p r o d u k t . Nur während der Herrschaft der Chinesen über Hinterindien (Kambodscha, A n n a m ) , wo namentlich Birma ein Silberland war, stieg die ( D a u e r - ) Z u f u h r von Silber s t a r k ; 5 3 außerdem durch den H a n d e l mit dem Westen über Buchara, besonders im 13. J a h r h u n d e r t , als G e g e n w e r t gegen Seide, dann (s. gleich) seit dem 16. J a h r h u n d e r t durch den A u ß e n h a n d e l mit E u r o p ä e r n . Die große Unsicherheit war, nach der Annalistik 5 4 zu schließen, n e b e n der mangelhaften Technik ein wichtiger G r u n d der meist geringen Rentabilität der Silberbergwerke.

48 Biot, Système monétaire, bezieht sich hier auf Berichte aus Ma Tuan-iins Wen-hsien t'ung-k'ao. 4 9 Siehe unten, S. 400 und 405ff. 5 0 Ein Hinweis auf die Minen von Potosi ist in Biot, Système monétaire, nicht zu finden. Der Vergleich ist aber bei Gützlaff, Mines, S. 54, zu finden. 51 Vgl. Richthofens Beobachtungen über den Silberbergbau In: Tiessen, Richthofen 1, S. 455, und 2, S.324f. 5 2 Weber bezieht sich auf den bei Edkins, Chinese Currency, S. 25, ohne Quellenangaben zitierten Bericht. 53 Kambodscha stand nie unter chinesischer Herrschaft, Annam (Vietnam) war von 111 v.Chr. bis 968 n.Chr. chinesisch, dann nochmals kurzfristig von 1413 bis 1427. Weber bezieht sich wohl auf Edkins, Chinese Currency, S. 2, wo es heißt, daß Silber in der Zelt eingeführt wurde, als chinesische „Präfekten" über Städte In Kambodscha und CochinChlna herrschten. 5 4 Mit Annalistik Ist hier die von Biot, Système monétaire, ausgewertete Enzyklopädie Wen-hsien t'ung-k'ao gemeint.

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20:1, 1840 = 18:1, 1850 = 14:1,1882 = 18:1) hinderte nicht, daß die infolge des zunehmenden geldwirtschaftlichen Silberbedarfs steigende Schätzung des Silbers das Kupfer im Preis gegen Silber sinken ließ. Wie die Bergwerke, so war auch die Münzschaffung Regal der politischen Macht: schon unter den 9 halblegendären Behörden des Tschou-li 55 findet sich der Münzmeister. Die Bergwerke wurden teils in Eigenregie mit Fronden 7 ), teils durch Private, aber unter Ankaufs-1 c 281 monopol der Regierung für die Ausbeute, betrieben 8 ); die hohen Transportkosten des Kupfers zur Münze in Peking - welche den Überschuß über den Staatsmünzbedarf verkaufte - verteuerten die Münzherstellung beträchtlich. Diese Kosten waren auch an sich gewaltig. Im 8. Jahrhundert (752 nach Ma-tuan-lin) 56 produzierten 99 damals existierende Münzstätten angeblich jede jährlich 3300 Min (à 1000 Stück) Kupfermünzen. Jede bedurfte dazu 30 Arbeiter und verwendete 21200Kin (à 550 g) Kupfer, 3700 Blei, 500 Zinn. Der Kostenaufwand betrug auf 1000Stück davon 750, also: 75%. Dazu trat der exorbitante Münzgewinn, welchen die (monopolisierte) Münze beanspruchte 9 ): nominell 25%, welcher allein schon den unausgesetzt durch alle Jahrhunderte laufenden Kampf gegen die überaus gewinnbringende Nachprägung hoffnungslos machte. Die Bergwerksdistrikte waren von feindlicher Invasion bedroht. Nicht selten kaufte die Regierung Kupfer für Münzzwecke vom Ausland (Japan) oder konfiszierte private Kupfervorräte, um den hohen PräC 281

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) Riesenhafte Fronden für die Ausbeutung von Goldminen berichtet die | von Kaiser Kian Lung geschriebene Geschichte der Ming-Dynastie (Yu tsiuan tung kian kang mu übers, v. D e l a m a r r e , Paris 1861, p. 362) noch für das Jahr 1474:550000 (?) Menschen seien dazu gepreßt worden. 8 ) Das Mißverhältnis zwischen Ankaufspreis und Kosten erklärt die ganz ungenügende A u s b e u t e hinlänglich. 9 ) Nach Wei u a . a . O . 5 7 S. 17 sei ein Münzgewinn der älteren Münzpolitik Chinas u n b e k a n n t gewesen. A b e r das ist unglaubwürdig, da sonst die aotorisch riesige Nachprägung nicht rentiert hätte. Auch berichtet die Annalistik ausdrücklich ( s . u . ) das Gegenteil. 5 8 u C: Weil 5 5 Von den neun Behörden des Chou-Ii, zu denen auch die des Münzmeisters zählte, ist bei Biot, Système monétaire, Teil 1, S.429f., die Rede. Biot bezieht sich auf das Wenhsien t'ung-k'ao. 56 Weber bezieht sich auf die bei Biot, Système monétaire, Teil 2, S. 117, übersetzte Stelle aus dem Wen-hsien t'ung-k'ao. 5 7 Wei, Currency Problem, S. 17. 58 Unten, S. 142.

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gebedarf zu sichern. Zeitweilig wurden Regal und Eigenbetrieb auf alle Metallbergwerke überhaupt erstreckt. Die Silberminen zahlten eine sehr bedeutende Royalty (in Kwantung Mitte des 19. Jahrhunderts 20-33'/3%, bei Verbindung mit Blei 55%) an die betreffenden Mandarinen, deren Haupteinnahmequellen dort diese - gegen eine Pauschalsumme an die Regierung ihnen überlassenen - Einkünfte bildeten. Die Goldminen (besonders in der Provinz Yünnan vorhanden) waren, ganz ebenso wie alle anderen, in kleinen Feldern für den Kleinbetrieb an Minenmeister (Handwerker) vergeben und zahlten je nach Ergiebigkeit bis zu 40% Royalty. 59 Daß alle Minen technisch schlecht ausgebeutet wurden, wird noch aus dem 17. Jahrhundert berichtet: 60 der Grund war - neben den Schwierigkeiten, welche die später zu erwähnende 6 1 Geomantik machte 10 ) | - der allgemeine, C282 später zu erörternde, 6 2 in der politischen, ökonomischen und geistigen Struktur Chinas liegende Traditionalismus, der auch jede ernsthafte Münzreform immer wieder scheitern ließ. Von Münzverschlechterungen hören wir in der Annalistik schon in alter Zeit (Tschuang Wang und Tsu), 6 3 auch davon, daß die Oktroyierung der verschlechterten Münzen für den Verkehr scheiterte. Die erste Goldmünzenverschlechterung - seitdem oft wiederholt - wird bereits von King Ti berichtet und auch von den starken Störungen des Handels, die sie herbeiführte, erzählt. 64 Das Grundübel aber waren offenbar die schwankenden Münzmetall-Vorräte 11 ), unter der v gerade der Norden, wo die Verteidigung gegen die Barbaren der Steppe "') Ü b e r diese Wirkung des Fung schui s. Variétés Sinolog. Nr. 2 (H. H a v r e t La prov. de Ngan H e i , 1893) p. 39. 6 5 | n ) Nach einer von Biot (N. J. As. III Ser. 6,1838, p. 278) 6 6 wiedergegebenen Notiz aus C 2 8 2 v Lies: dem 5 9 Gützlaff, Mines, S. 52, schreibt, daß die Goldminen in Kueichou 40% Steuern zu zahlen hatten. 6 0 Biot, Système monétaire, Teil 1, S. 436, bezieht sich auf die Enzyklopädie T'ien-kung k'ai-wu, wenn er schreibt, daß die Minen schlecht ausgebeutet wurden. 61 Siehe unten, S.405f. 6 2 Unten, S.223f. 6 3 Biot, Système monétaire, TeiM, S. 434, schreibt: „Tchoang-wang, prince d e T s o u " ; es handelt sich also nur um eine Person. Biot bezieht sich wiederum auf das Wen-hsien t'ung-k'ao. 6 4 Nach der Darstellung von Biot, Système monétaire, Teil 1, S. 448, ließ Ching-ti falsche Goldmünzen in Umlauf bringen. 6 5 Havret, Ngan Hoei, S. 3. 66 Biot, Propriété.

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zu führen war, ganz ungleich stärker litt als der mit metallenen Umlaufsmitteln von jeher weit reicher ausgestattete Süden, der Sitz des Handels. Die Finanzierung jedes Kriegs bedingte gewaltsame Münzreformen und Verwendung der Kupfer-Münzen für die Waffenfabrikation (wie bei uns im Kriege der Nickelmünzen). Herstellung des Friedens bedeutete Überschwemmung des Landes mit Kupfer durch die willkürliche Verwertung des Heeresguts seitens der „demobilisierten" Soldaten. Jede politische Unruhe konnte die Bergwerke sperren, erstaunliche - selbst nach Abzug der wahrscheinlichen Übertreibungen sehr bedeutende - Preisschwankungen als Folge der Münzknappheit und des Münzüberschusses werden berichtet. 67 Massenhafte private, zweifellos von den Beamten geduldete, Nachmünzstätten entstanden stets aufs neue, und auch die einzelnen Satrapien 68 spotteten des Monopols immer wieder. In der Verzweiflung über die Mißerfolge aller Versuche der Durchführung des staatlichen Münzmonopols ist man wiederholt (zuerst unter Wen-ti 175 v. Chr.) zur Freigabe der Münzschaffung für jeden Privaten nach gegebenen Modellen übergegangen. Völlige Verwirrung des Münzwesens war die natürliche Folge. Zwar gelang es nach dem ersten solchen Experiment Wu-ti ziemlich schnell, das Münzmonopol herzustellen und die privaten Prägestätten auszurotten, auch durch Verbesserung der Münztechnik (Münzen mit festem Rand) c 283 das Prestige der staatlichen Münzen wieder | zu heben. Aber die Notwendigkeit, zur Finanzierung des (in alle Münzwirren aller Zeiten als Ursache hineinragenden) Hiung Nu-(Hunnen-)Kriegs 6 9 Kreditgeld (aus weißen Hirschfellen) 70 auszugeben und die leichte Nachdem Wen hian tong kao wären unter Yuan Ti (48-30 v. Chr.) die Münzvorräte des ganzen Landes auf 7 3 0 0 0 0 U a n à lOOOOtsien71 (Kupfermünzen), davon 330000 im Fiskalbesitz (!), geschätzt worden, was Ma tuan lin als einen niedrigen Vorrat ansieht. | 67 Von Preisschwankungen aufgrund von Veränderungen der Münzmenge schreibt Biot, Système monétaire, Teil 1, S. 454. 6 8 Mit Satrapien sind die Teilstaaten zur Zeit der Chou-Dynastie gemeint. Als „Satrapen" werden die Herrscher der Teilstaaten von Parker, Ancient China, S. 12, bezeichnet. 69 Auseinandersetzungen mit den in den chinesischen Quellen als Hsiung-nu bezeichneten Fremdvölkern sind seit der Han-Zeit belegt. Die Identifizierung der Hsiung-nu mit den Hunnen, von der Weber ausgeht, ist heute umstritten. 70 Das Hirschfellgeld erwähnt Edkins, Chinese Currency, S. 4. Es handelte sich dabei um Weißhirschfelle, die alle Würdenträger vor einer Audienz bei Hof zu erwerben und mit dem sonstigen Tribut darzubringen hatten. 71 Das Zeichen wan (Uan in der Umschrift bei Weber) bedeutet zehntausend; es handelt sich also um 7 3 0 0 0 0 0 0 0 0 Kupfermünzen.

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ahmbarkeit seiner Silbermünzen ließ auch diesen Versuch schließlich scheitern. Die Münzmetallknappheit war unter Yuan-ti (ca. 40 vor Chr.) so groß wie je 12 ), - wohl eine Folge politischer Wirren, in deren Gefolge der Usurpator Wang Mang seine vergeblichen Geldskalenexperimente (28Münzsorten!) vornahm. Eine Herstellung von Gold- und Silbermünzen durch die Regierung, - an sich nur als Gelegenheitserscheinung auftauchend, - scheint seitdem nicht mehr zu verzeichnen. Die 807 zuerst vorgenommene Emission staatlicher 13 ) Umlaufsmittel in Nachahmung der Bankumlaufsmittel 14 ) aber 72 - besonders unter den Mongolen 73 blühend - ist nur zuerst, später immer weniger, mit bankmäßiger Metalldeckung erfolgt, und die Entwertung der Assignaten in Verbindung mit der Erinnerung an die Münzverschlechterungen hat seitdem die Banko-Währung (deponierte Silberbarren als Unterlage des Großhandelszahlungsverkehrs in ,,Tael"-Einheiten) unerschütterlich etabliert. Die Kupferwährung aber bedeutete trotz der sehr niedrigen Preise doch nicht nur jene ungeheure Teuerung der Münzherstellung, sondern auch eine, durch die Höhe der Geldtransportkosten, für den Verkehr und die Entwicklung der Geldwirtschaft überhaupt sehr unbequeme Geldform: eine Schnur mit 1000 aufgereihten Kupfermünzen (tsien) wurde anfangs = 1 Unze Silber tarifiert, später = Vi Unze Silber. 12

) Die Annalistik (Ma tuan lin) gibt an, daß Kupfer, nach dem Gewicht, damals C 283 1840mal so viel wert gewesen sei als Getreide (andere Quellen sprechen von 507mal so viel), während unter den Han Kupfer l-8mal so viel wert gewesen sein soll als Reis (auch in Rom im letzten Jahrhundert der Republik™ gab es für Weizen eine erstaunliche Relation). 74 13 ) Das „pien-tschen" Papiergeld des 10. Jahrhunderts wurde von staatlichen Kassen eingelöst. 14 ) Das schwere Eisengeld in Setschuan hatte dort schon im 1. Jahrh[undert] im kaufmännischen Verkehr Zertifikate (tschiao-tse) 75 der Gilde der 16ner, also: Bankgeld entstehen lassen, die später durch Zahlungsunfähigkeit uneinlöslich wurden. |

w C: Republik,

72 Die ersten Umlaufmittel fei-ch'ien (leichtes Geld), die im 9. Jahrhundert eingeführt w u r d e n , waren staatlich; siehe Biot, S y s t è m e monétaire, Teil 2, S. 125f. Bankumlaufmittel w u r d e n erst im 11. Jahrhundert eingeführt. 73 G e m e i n t Ist die Mongolenherrschaft über China zur Zeit der Yüan-Dynastie. 74 Biot, S y s t è m e monétaire, Teil 1, S. 454. A u c h Biot zieht einen Vergleich zu Rom. 75 Die chiao-tzu (Wechsel) genannten Zertifikate w u r d e n erst im 11. Jahrhundert e i n g e führt. Vgl. auch Wei, Currency Problem, S. 21.

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Dabei blieben die Schwankungen der verfügbaren Kupfermengen auch im Frieden infolge der industriellen und künstlerischen Verwendung (Buddhastatuen) außerordentlich bedeutend und in den Preisen sowohl wie namentlich bei der Steuerbelastung fühlbar. Die c 284 sehr starken Schwankungen des Münzwerts | mit ihren Folgen für die 5 Preise sind es denn auch gewesen, welche den immer wieder gemachten Versuch, ein einheitliches Budget auf der Grundlage reiner (oder annähernd reiner) Geldsteuern zu schaffen, ebenso regelmäßig wieder zum Scheitern brachten: stets erneut mußte zur (mindestens teilweisen) Naturalbesteuerung mit ihren selbstverständlichen, die 10 Wirtschaft stereotypierenden Konsequenzen zurückgegangen werden 15 ). | C 284

1 5 ) Eine chinesische Staatseinkünfteaufstellung älterer Zeit sah nach der Annalistik (Ma tuan lin) 7 6 so aus:

997 v. Chr. 7 7 1021 n. Chr. Getreide 21707000 schi 22782000 schi 7364000 kuan Kupfermünzen 4656000 kuan (ä 1000 tsien) Starke Seidenstoffe 1625 000 py (Stück) 1615 000 py Feine Seidenstoffe 273000 py 182000 py 7 8 Seidengarn 410000 Unzen 7 9 905000 Unzen Gaze (feinste Seide) . . . . 5170000 Unzen 3995000 Unzen Tee 490000 Pfund 1668000 Pfund Heu, frisch und gedörrt . . 30000000 schi 28995000 schi Brennholz 280000 scho ? 80 Kohlen („Erdkohle") . . . 530000 tsching 26000 tsching Eisen 300000 Pfund Dazu 997 noch: Posten für Pfeilholz, Gänsefedern (für die Pfeile) und Vegetabilien, 1021 aber: Posten für Leder (816000 tsching), Hanf (370000 Pfund), Salz (577000 schi), Papier (123000 tsching), 1077 (geldwirtschaftliche und handelsmonopolistische Reform Wang-An-Schis, von der zu reden sein wird) 81 : Silber 60137 Unzen, Kupfer 5586819 kuan, 8 2 Getreide 18202287 schi, Starke Seidenstoffe 2672323 py, Seidengarn und leichte Stoffe 5847358 Unzen, Heu 16714844 scho. 8 3 76 Die folgenden Angaben stammen alle aus Biot, Propriété, S. 315 (für das Jahr 997), S. 316 (für das Jahr 1021 ), S. 319 (für das Jahr 1077) und S. 331 (für das Jahr 1360). 77 Die Angaben beziehen sich auf das Jahr 997 nach Chr. 78 Biot, Propriété, S. 316, schreibt von 181 000 p'i. 79 Biot, Propriété, S. 315, schreibt von 1 410000 Unzen. 80 26000chin; vgl. Biot, Propriété, S. 316. 81 Unten, S. 245f. 82 Biot, Propriété, S. 319, schreibt von 5585 819 kuan. 83 Biot, Propriété, S. 319, schreibt von 16754844 shu.

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Für die Zentralregierung kam bei ihren Beziehungen zum Geld- c 285 wesen neben unmittelbarem Kriegsbedarf und andern rein fiskalischen Motiven auch die Preispolitik sehr stark beherrschend in Betracht. Inflationistische Neigungen - Freigabe der Prägung, um die 5 Kupfergeldproduktion anzuregen - wechselten mit Maßregeln gegen die Wirkung der Inflation: Schließung eines Teils der Münzstätten 16 ). Vor allem aber war das Verbot und die Kontrolle des Außenhandels valutapolitisch mitbestimmt: teils durch Angst vor dem Abströmen des Geldes bei freier Einfuhr, teils durch die Sorge vor Überschwem10 mung mit fremdem Geld bei freier Ausfuhr 17 ) von Waren. Ebenso Dazu tritt ein Durcheinander von Abgaben an Tee, Salz, Käse, Kleie, Wachs, Öl, Papier, Eisen, Kohle, Saflor, Leder, Hanf u. a., welches sinnloserweise vom Annalisten nach dem Gesamtgewicht (3200253 Pfund) 8 4 angegeben ist. Was die Getreidequantitäten anlangt, so rechnete man, wie andern Orts erwähnt, als Monatsbedarf einer Person l'/ischi (doch wechselte die Größe des schi erheblich). Die Silbereinnahme der letzten Rechnung, die in den beiden ersten fehlt, ist entweder aus dem Handelsmonopol oder durch Einführung der noch heute bestehenden Umrechnung des Kupferkurants in Silber durch die Steuereinheber zu erklären, oder dadurch, daß die letzte Rechnung eine Ist-Rechnung, die ersten Sollbudgets (?) sind. Die erste Abrechnung der Ming-Dynastie von 1360 weist demgegenüber nur 3 Posten auf: Getreide 29433350 schi, Geld (in Kupfer und Papiergeld) . 450000 Unzen (Silber), 8 5 Seidenstoffe 288546 Stück. Also ein erheblicher Fortschritt der Silbervermehrung und ein Fortfall der zahlreichen spezifizierten Naturalien, die damals offenbar nur in den Bezirks|haushalten erschienen, C 285 wo sie verbraucht wurden. Sehr viel ist mit den Zahlen eben deshalb nicht anzufangen, weil man nicht sicher weiß, was vorabgezogen wurde. 1795-1810 flössen der Zentralregierung zu: 4,21 Mill. schi Getreide (ä 120 chines. Pfund), dagegen eine sehr starke relative und absolute Vermehrung der Silbereinkünfte, ermöglicht durch die sehr stark aktive Zahlungsbilanz Chinas im Außenhandel mit den Abendländern seit dem amerikanischen Silbersegen. (Die neuere Entwicklung hat uns hier nicht zu interessieren.) Übung der alten Zeit war, nach der Annalistik, die der Hauptstadt nahe gelegenen Bezirke die geringwertigen Naturalien, die Außenbezirke mit steigender Entfernung zunehmend hochwertige Güter liefern zu lassen. Über die Steuern und ihre Wirkung siehe weiter unten. 8 6 16 ) So689n.Chr. nachMaTuanLin.87 17 ) So 683 n . C h r . der Verkauf von Getreide nach Japan (wo damals Kupferprägung herrschte). 8 8

84 Biot, Propriété, S. 319, schreibt von 3200293 Pfund. 85 Biot, Propriété, S. 331, schreibt von 453300 Unzen. 86 Siehe unten, S. 227-255. 87 Nach Biots Übersetzung aus dem Wert-hsien t'ung-k'ao geschah dies im Jahr 683; siehe Biot, Système monétaire, Teil 2, S. 114. 88 Biot, Système monétaire, Teil 2, S. 113.

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war die Verfolgung der Buddhisten und Taoisten zwar zum sehr wesentlichen Teil religionspolitisch, daneben aber oft rein münzfiskalisch bedingt: die Buddhastatuen, Vasen, Paramente, überhaupt die durch die Klosterkunst angeregte künstlerische Verwendung des Geldstoffs wurde der Währung stets erneut gefährlich: die massenhaften Einschmelzungen führten zu scharfer Geldknappheit, Kupferthesaurierungen, Preissenkungen und im Gefolge davon zur Naturalwirtschaft 18 ). a Die regelmäßige Folge davon waren: a Systematische Plünderungen der Klöster durch den Fiskus, Tarifierungen der Kupferwaren 19 ) und schließlich 20 ) der Versuch, ein staatliches Monopol der Fabrikation von Bronze- und Kupferwaren durchzuführen, dem später ein Monopol der Fabrikation aller Metallwaren (um der privaten Münzverfälschungen Herr zu werden) folgte - was beides C 286 nicht dauernd | durchführbar war. Das später zu besprechende, 8 9 mit wechselnder Wirksamkeit eingeschärfte Verbot der Bodenakkumulation durch Beamte führte immer wieder zu sehr bedeutenden Anhäufungen von Kupfer in deren Händen, und neben sehr hohen Geldbesitzsteuern häuften die preispolitischen und fiskalisch motivierten Geldbesitzmaxima 21 ) sich in Zeiten der Geldknappheit. Der wiederholt versuchte Übergang zum Eisengeld, welches längere Zeit neben Kupfer als Münzmetall herging, führte zu keiner Verbesserung der Lage. Die unter Schi-tong (10. Jahrhundert) erwähnte amtliche Eingabe, 9 0 welche Verzicht auf den Münzgewinn und Freigabe der Metallverwertung (um Monopolpreise der Metallprodukte und dadurch Anreiz zur industriellen Verwertung zu vermeiden) forderte, blieb unausgeführt. 18

) So 702 nach der Annalistik. 91 ) Erstmalig780n.Chr. 9 2 20 ) Im 8. Jahrhundert argumentierten die Münzmeister damit: daß 1000 Einheiten Kupfer, zu Kunstwerken (Vasen) veredelt, so viel wert wären wie 3600 Einheiten, also die industrielle Verwertung des Kupfers vorteilhafter sei als die monetäre. 9 3 | 21 C 286 ) 817 und seitdem oft: nicht mehr als 5000kuan (à lOOOtsien). Je nach Höhe des Kupfergeldbesitzes wurden verschiedene Fristen für dessen Veräußerung gestellt. 94 19

a Fehlt in C; Die regelmäßige Folge davon waren: sinngemäß ergänzt. 89 90 91 92 93 94

Unten, S. 243. Die Eingabe wird zitiert bei Biot, Biot, S y s t è m e monétaire, Tell 2, Biot, S y s t è m e monétaire, Tell 2, Biot, S y s t è m e monétaire, Teil 2, Biot, S y s t è m e monétaire, Tell 2,

S y s t è m e monétaire, Teil 2, S. 139. S. 115. S. 123. S. 124. S. 127f.

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Die Papiergeldpolitik stand unter ähnlichen Gesichtspunkten. Die Emissionen der Banken, welche offenbar zunächst Zertifikat-Charakter hatten: - die übliche Sicherung des Großhandels gegen Münzverwirrung, - und später Umlaufsmittelcharakter, insbesondre zu interlokalen Remittierungszwecken, annahmen, waren der Anreiz zur Nachahmung gewesen. Technische Voraussetzung war die Entstehung der seit dem 2. Jahrhundert nach Chr. importierten Papierindustrie und ein geeignetes Holzschnitt-Druckverfahren 22 ), insbesondere der Reliefschnitt statt des ursprünglichen intaglio-Verfahrens. Zuerst Anfang des 9. Jahrhunderts begann der Fiskus, den Kaufleuten ihre Wechsel-Verdienstgelegenheit aus der Hand zu nehmen. Zunächst hatte man auch das Prinzip des Einlösungsfonds (von V\ - Vi) übernommen. Und auch später findet sich die Notenemission mehrfach auf Grund eines Bankdepositenmonopols des Fiskus. Aber selbstverständlich blieb es dabei nicht. Die Noten, anfangs durch Holzschnitt, dann in Kupferstich hergestellt, nutzten sich infolge der schlechten Papierqualität schnell ab. Mindestens wurden sie infolge der Kriege und Münzmetallknappheiten unleserlich. Verkleinerung der Appoints bis auf die winzigsten Einheiten, Repudiation mindestens der bis zur Unleserlichkeit abgenutzten Zettel, Erhebung eines Druckkostenbetrags bei | Ersatz durch neue 23 ), vor C287 allem aber die Beseitigung des Metallschatzes 24 ) oder doch erschwerte Einlösbarkeit durch Verlegung der Einlösungsstelle in das Inne22 ) Z u e r s t v e r w e n d e t scheint es f ü r die Amtssiegel d e r B e a m t e n , die seit Schi H o a n g - T i d e n Ü b e r g a n g v o m Feudalismus z u m Patrimonialstaat äußerlich m a r k i e r t e n . 9 5 | 23 ) So 1155:11/2%, durch die tatarischen Beherrscher N o r d c h i n a s . 9 6 C 287 24 ) So noch 1107. Die Zettel e n t w e r t e t e n sich assignatenartig (bis auf Vm). 9 7

9 5 Vgl. Edkins, Chinese Currency, S. 7: „The seal was the visible sign o f t h e change from feudalism to centralisation." - Die Technik der Papierherstellung aus Textilfasern ist in China vermutlich ohne Anregung oder Beeinflussung von außen spätestens während der Han-Zeit entwickelt worden. Seit dem 2. Jahrhundert n.Chr war die Verwendung von Papier weit verbreitet. - Weber ging, wie zahlreiche Autoren seiner Zeit, davon aus, daß das Papier ein Import-Produkt gewesen sei. Siehe unten, S. 19, Anm. 25. - Zusammenfassend heute Tsien Tsuen-hsuin, Paper and Printing, in: Needham, Joseph, Science and Civilisation in China, vol. 5, Part 1. - Cambridge: Cambridge University Press 1985, bes. S. 38. 96 Biot, Système monétaire, Teil 3, S. 247. Mit den tatarischen Beherrschern ist das Volk der Dschurdschen gemeint, das die Chin-Dynastle (1115-1234) gründete. 9 7 Biot, Système monétaire, Teil 3, S. 230.

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re 25 ), oder eine zunächst relativ kurzfristige, dann auf mehrfach verlängerte Fristen (22-25 Jahre) verteilte Einziehung 26 ), die aber dann meist gegen neue Zettel, oft unter Herabsetzung des Nennbetrages 27 ) erfolgte, immer erneut auch mindestens teilweise Ablehnung der Annahme der Zettel als Steuerzahlungsmittel, diskreditier- 5 ten das Papiergeld stets erneut, ohne daß natürlich der oft wiederholte Befehl, daß jede große Zahlung in bestimmten Proportionen in Papier zu leisten sei28) oder das gelegentliche völlige Verbot der Metallzahlung daran etwas geändert hätte. Andrerseits führte die mehrfache völlige Einziehung aller papierenen Zahlungsmittel zur 10 Geldknappheit und Preissenkung, und eine planvolle Vermehrung der Umlaufsmittel, wie sie wiederholt versucht wurde, scheiterte an der dann sofort einsetzenden Versuchung zur hemmungslosen Inflation aus fiskalischen Gründen. Unter normalen Verhältnissen hielt sich das Verhältnis von Papier- zur Metallzirkulation etwa in der 15 Grenze wie in England im 18. Jahrhundert (1:10 oder noch weniger). Kriege, Verlust der Minendistrikte an Barbaren und - in wesentlich geringerem Umfang - industrielle (genauer: kunstgewerbliche) Verwertung des Metalls in Zeiten großer Besitzakkumulation und buddhistischer Klosterstiftungen führten zur Inflation, der Krieg in sei- 20 nen Folgeerscheinungen wiederholt zum Assignatenbankerott. Die Mongolen (Kublai Khan) hatten eine skalierte Emission von Metallzertifikaten (?) versucht, die von Marco Polo bekanntlich sehr beC 288 wundert wurde 29 ). | Aber es erfolgte eine ungeheure Papierinfla25

) So 1111, w o Papier für den Grenzkrieg emittiert w u r d e . 9 8 ) D i e s war die regelmäßige Form, anfänglich auch v o n den H a n d e l s i n t e r e s s e n t e n e m p f o h l e n . D i e s e N o t e n hatten also insoweit Schatzwechselcharakter. 9 9 27 ) A l t e oder abgenutzte E m i s s i o n e n wurden z u w e i l e n nur mit 'Ao-'/i des Betrags eingelöst.100 2S ) N o c h 1107, infolge des Tatarenkriegs, jede Zahlung über 1 0 0 0 0 t s i e n zur H ä l f t e in Papier. 1 0 1 Ä h n l i c h öfter. 29 ) Seine S c h i l d e r u n g 1 0 2 ist unannehmbar. 3% A b z u g für Einlösung abgenützter Schei26

98 Biot, Système monétaire, Teil 3, S. 234; die Einlösungsstelle wurde danach erst 1131 in das Innere verlegt. 9 9 Biot, Système monétaire, Teil 3, S. 228. 100 Biot, Système monétaire, Teil 3, S. 239f. 101 Vgl. Biot, Système monétaire, Teil 3, S. 230; mit Tatarenkrieg sind die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der Nördlichen Sung-Dynastle und der Liao-Dynastie des Volks der Kitan gemeint. 102 Zu Marco Polos Bericht über das Papiergeld im China der Yüan-Dynastie siehe: Erlebtes und Erschautes. Vor sechshundert Jahren im Reiche der Mitte. Marco Polos

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tion. 1 0 3 Schon 1288 fand eine Devalvation um 80% statt. Der große Silberzufluß aber brachte wieder Silber in Umlauf. Nun wurde versucht, Gold, Silber und Kupfer in ein tarifarisches Verhältnis zu setzen (Gold zu Silber 10, faktisch 10, 25:1, die Silber-Unze = 2005tsien: also Kupferentwertung auf die Hälfte). Aller private Besitz von Gold- und Silberbarren wurde verboten: die Edelmetalle sollten nur den Deckungsfonds für die Zertifikate darstellen. Die Edelmetall- und Kupfer-Industrie wurden verstaatlicht und Metallgeld überhaupt nicht mehr geprägt. Faktisch führte das aber zur reinen Papierwährung, mit dem Sturz der Dynastie: zur Repudiation. Die Ming gingen zwar wieder zur geordneten Metallprägung über (wobei, charakteristisch für die Unstetheit der Preisrelation der Edelmetalle, Gold zu Silber wie 4:1 gerechnet worden sein soll), 104 um jedoch sehr bald zunächst (1375) Gold und Silber, dann (1450) auch Kupfer als Geld zu verbieten, weil das daneben zugelassene Papiergeld sich entwertete. Die reine Papierwährung schien damit das endgültige Geldsystem zu werden. Indessen 1489 ist das letzte Jahr, aus welchem die Annalistik 105 das Papiergeld erwähnt, und das 16. Jahrhundert sah Versuche forcierter Kupferprägung, die indessen gleichfalls mißlangen. Erträgliche Zustände schuf erst das Einströmen europäischen Silbers durch den im 16. Jahrhundert beginnenden direkten Verkehr. Ende des Jahrhunderts bürgerte sich die pensatorische Silberwährung 106 (Barren-, in Wahrheit: Banko-Wähne gegen neue (Scheine!)^

dagegen auf Verlangen Hergabe des „Goldes" und „Silbers"

gegen Scheine an jeden, der es braucht, ist nicht möglich, - selbst dann nicht, wenn man Marco Polo - was nach dem Wortlaut wenigstens möglich wäre - dahin versteht: daß ein industrieller

Zweck habe angegeben werden müssen. Zwangsverkäufe von Edelmetall

gegen Noten berichtet auch er. |

Bericht über seine Reise nach China und seinen Aufenthalt am Hofe des Großkhans der Mongolen. Nach der Ausgabe August Bürcks hg. v. C. Meyer-Fraunhold. - Leipzig: Voigtländer 1912, S. 117-119. Marco Polos Bericht wird auch zitiert bei Biot, Système monétaire, Teil 4, S. 447. 103 In der folgenden Darstellung der Währungsverhältnisse bis zum 19. Jahrhundert faßt Weber die Ausführungen von Biot, Système monétaire, Teil 4, S. 444-462, zusammen. 104 Biot, Système monétaire, Teil 4, S. 452. 105 Mit Annalistik ist hier die Fortsetzung des Wen-hsien t'ung-k'ao, das Hsü wen-hsien t'ung-k'ao von Wang Ch'i gemeint, das 1586 erschien. 106 Biot, Système monétaire, Teil 4, S.452f., berichtet, daß zu Ende des 16. Jahrhunderts alle Preise in Silber kalkuliert wurden.

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rung) für den Großverkehr ein, die Kupferprägung kam wieder in Gang, und die Relation von Kupfer zu Silber veränderte sich zwar wieder sehr bedeutend zuungunsten des Kupfers 30 ), aber das Papiergeld (jeder Art) blieb seit dem Verbot der Ming von 1620, das die Mandschus aufrecht erhielten, vollständig unterdrückt, und der seit- 5 dem langsam aber bedeutend gestiegene monetäre Metallvorrat drückte sich in der gesteigerten geldwirtschaftlichen Struktur der Staatsabrechnungen aus. Die Emission von Staatsnoten in der zweiten Taiping-Rebellion 107 endete mit assignatenartiger Entwertung und Répudiation. 10 Immerhin bedeutete der Umlauf des Silbers in Barren starke Schwierigkeiten. Es mußte in jedem Fall gewogen werden, und es C 289 galt als legitim, daß die Provinzialbankiers ihre größeren | Kosten durch andre als die in den Hafenstädten üblichen Wagen einbrachten. Die Feinheit mußte durch Schmiede geprüft werden. Die Zen- 15 tralregierung verlangte für die anteilsmäßig stark steigenden Silberzahlungen für jeden Barren Angabe des Herkunftsorts und der Prüfungsstelle. Das in Schuhform gegossene Silber hatte in jeder Gegend anderes Schrot. Es ist klar, daß diese Zustände zur Banko-Währung führen muß- 20 ten. Die Gilden der Bankiers in den Großhandelsorten, deren Wechsel überall honoriert wurden, nahmen die Gründung von solchen13 in die Hand und erzwangen die Zahlbarkeit aller Handelsschulden in Banko-Währung. Zwar hat es auch im 19. Jahrhundert an Empfehlungen der Wiedereinführung des staatlichen Papiergeldes nicht ge- 25 fehlt (Denkschrift von 1831)31). Und die Argumente blieben ganz die alten, wie schon Anfang des 17. Jahrhunderts und im Mittelalter: die industrielle Verwendung von Kupfer gefährde den monetären Umlauf und damit die Preispolitik, und überdies liefere die BankoC 288 C 289

3Ü 31

) Von 500:1 auf 1100:1 Mitte des 19. Jahrhunderts angeblich. 1 0 8 | ) J. Edkins, Chinese Currency, 1890, p. 4 . 1 0 9 |

b Lies: von solchen W ä h r u n g e n 1 0 7 Weber bezeichnet die T'ai-p'ing-Rebellion des 19. Jahrhunderts wohl deswegen als „zweite" T'ai-p'ing-Rebellion, da es bereits im 2. Jahrhundert eine religiöse Bewegung gegeben hatte, die einen Kirchenstaat dieses Namens gründete. Siehe auch unten, S.397f. 108 Diese Angaben macht Biot, Système monétaire, Teil 4, S. 459. 1 0 9 Edkins, Chinese Currency, S. 3f., referiert den Inhalt der Denkschrift eines namentlich nicht genannten Autors ohne Quellenangabe.

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Währung die Verfügung über das Geld den Händlern aus. Aber es ist damals nicht dazu gekommen. Die Gehälter der Beamten - der mächtigsten Interessenten - waren wesentlich in Silber zahlbar. Breite Schichten von ihnen waren mit den Interessen des Handels an der 5 Nichtintervention der Pekinger Regierung in die Währung solidarisch, weil in ihren Einkommenschancen auf den Handel angewiesen. Jedenfalls aber waren alle Provinzialbeamten einmütig gegen jede Stärkung der Finanzmacht und vor allem: der Finanzkontrolle der Zentralregierung interessiert, wie wir noch sehen werden. 1 1 0 10 Die Masse der kleinbürgerlichen und kleinbäuerlichen Bevölkerung aber war trotz der stark - aber in den letzten Jahrhunderten im ganzen kontinuierlich und langsam - sinkenden Kaufkraft des Kupfers, zum Teil: wegen dieses Vorgangs, an der Änderung des bestehenden Zustandes nicht oder wenig interessiert. - Die banktechni15 sehen Einzelheiten des chinesischen Zahlungs- und Kreditverkehrs mögen hier außer Betracht bleiben. Es sei nur noch bemerkt: daß der Tael, die pensatorische Rechnungseinheit, in drei hauptsächlichen und einigen nebensächlichen Formen vorkam und die mit einem Bankierstempel versehenen, in Schuhform gegossenen Barren 20 höchst unverläßliches Schrot hatten. Irgend eine oktroyierte Tarifie- c 290 rung der | Kupfermünzen bestand jetzt schon lange nicht mehr. Im Innern war die Kupferwährung die einzige effektive. Dagegen war der Silbervorrat und war namentlich das Tempo seines Wachsens seit 1516111 ein außerordentlich bedeutendes. 25 Wir stehen nun vor den beiden eigentümlichen Tatsachen: 1. daß die sehr starke Vermehrung des Edelmetallbesitzes zwar unverkennbar eine gewisse Verstärkung der Entwicklung zur Geldwirtschaft herbeigeführt hat, insbesondere in den Finanzen, - daß sie aber nicht mit einer Durchbrechung, sondern mit einer unverkennbaren Steige30 rung des Traditionalismus Hand in Hand ging, kapitalistische Erscheinungen aber, soviel ersichtlich, in keinem irgendwie greifbaren Maß herbeigeführt hat. Ferner: 2. daß eine kolossale Vermehrung der Bevölkerung (über deren Umfang noch zu sprechen sein wird) 112 eingetreten ist, ebenfalls ohne daß dafür eine kapitalistische For35 mung der Wirtschaft den Anreiz gegeben oder aber ihrerseits durch 110 Unten, S . 2 2 5 f . 111 Edkins, Chinese Currency, S. 13, schreibt, der Silbervorrat sei seit dem Jahr 1514 stark angewachsen. 112 Siehe unten, S. 217.

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sie Impulse erhalten hätte, vielmehr gleichfalls verknüpft mit (mindestens!) stationärer Form der Wirtschaft. Das bedarf der Erklärung. Im Okzident waren in der Antike und im Mittelalter die Städte, im Mittelalter die Kurie und der entstehende Staat Träger der Finanzra- 5 tionalisierung, der Geldwirtschaft und des politisch orientierten Kapitalismus. Von den Klöstern Chinas sahen wir, 113 daß sie geradezu als Schädlinge für die Erhaltung der Metallwährung gefürchtet wurden. Städte, die wie Florenz eine Standardmünze geschaffen und der staatlichen Münzpolitik die Wege gewiesen hätten, gab es in China 10 nicht. Und der Staat scheiterte nicht nur, sahen wir, mit seiner Währungspolitik, sondern: auch mit dem Versuch der Durchführung der Geldwirtschaft. s [A 32] "^Bezeichnend waren c die bis in die neueste Zeit d typischen Bemessungen 0 der Tempel- und vieler sonstiger Pfründen 3 2 ) e als (vorwie- 15 gend) Naturaldeputate. So war denn auch die chinesische Stadt trotz C 291 aller Analogien in entscheidenden Punkten | etwas anderes als die des Okzidents. Das chinesische Zeichen für „Stadt" bedeutet: „Festung". 1 Dies galt nun' auch für die Antike und das Mittelalter des Okzidents. In China war die Stadt 9 im Altertum Fürstenresidenz 33 ) 20 32 ) Die P f r ü n d e n der B e a m t e n der Tsin und H a n (bei Chavannes in Vol. II A p p . I seiner Ausgabe von Se Ma Tsien wiedergegeben) 2 waren, in 16 Klassen abgestuft, teils in G e l d , teils in Reis angesetzte feste D e p u t a t e . Als Zeichen kaiserlicher U n g n a d e - der z . B . Konfuzius nach Se M a Tsien's Biographie verfiel 3 - galt die Verweigerung des Naturalanteils am Opferfleisch, das ihnen zukam. Immerhin finden sich im damals chinesischen Turkestan, wie später zu e r w ä h n e n , 4 U r k u n d e n mit reiner Geldrechnung. | 33 C 291 ) Erst im 4. J a h r h u n d e r t v . C h r . wurde der Holzbau durch Steinbauten ersetzt. Bis dahin wechselten die palisadierten h Residenzen leicht und o f t . 5

C 290

s(S. 133)—S Fehlt in A. c A: ebenso d A: typische Bestimmung e Index fehlt in A. f A: ja g Fehlt in A einschließlich Index. h C: pallisadierten

113 Siehe oben, S. 142. 1 Gemeint ist das Zeichen ch'eng, das auch für Stadtmauer steht. 2 Chavannes, Se-ma Ts'ien 2, App. 1, S. 526f., bezieht sich hier auf Angaben aus dem Hou Han-shu. 3 Chavannes, Se-ma Ts'ien 5, S. 329; danach verfiel Konfuzius nicht der Ungnade eines Kaisers, sondern des Fürsten des Staates Lu. 4 Unten, S.214f. 5 Von häufigen Verlegungen der Hauptstädte vor dem 4. Jahrhundert v.Chr. berichtet Parker, Ancient China, S. 124.

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und blieb durchweg 3 bis in die Neuzeit in erster Linie Residenz der Vizekönige und sonstigen großen Amtsträger:' ein Ort, in dem, wie in den Städten der Antike und etwa in dem Moskau der Leibeigenschaftszeit, k vor allen Dingen Renten, teils Grundrenten, teils'* Amtspfründen und andere direkt oder indirekt politisch bedingte Einkünfte, verausgabt wurden. 1 Daneben waren die Städte natürlich"1, wie überall, Sitze n der Kaufmannschaft °und - jedoch in merklich 0 geringerer Exklusivität wie im okzidentalen Mittelalter - ö des Gewerbes. p Marktrecht bestand auch in den Dörfern unter dem Schutz des Dorftempels. Ein durch staatliches Privileg garantiertes städtisches p Marktmonopol fehlte 34 ) q . Der Grundgegensatz der chinesischen, wie aller Orientalischen, Städtebildung r gegen den Okzident war aber s das Fehlen des politischen Sondercharakters der Stadt. Sie war keine „Polis" im antiken Sinne und kannte kein „Stadtrecht" wie das Mittelalter. 'Denn sie war keine „Gemeinde" mit eigenen politischen Sonderrechten.' Es hat kein Bürgertum im Sinne eines 3 sich selbst equipierenden stadtsässigen Militärstandes b gegeben, wie in der okzidentalen Antike. Und es sind nie militärische Eidgenossenschaften wie die „Compagna Communis" in Genua 6 oder andere „conjurationes" c , mit feudalen Stadtherren um Autonomie bald kämpfende, bald wieder paktierende, auf die d eigene autonome d Wehrkraft des Stadtbezirkes gestützte Mächte: Konsuln, Räte, politische e Gilden- und Zunftver34

) Nicht sehr ergiebig für die Kenntnis chinesischen Städtetums ist die Arbeit von L. Gaillard S. J. über Nangking, Var. Sinol. 23 (Schanghai 1903). 7

i A : Amtsträger, k A: Renten, und zwar in China speziell I A: wurden, während ein stadtsässiger oder ein landsässiger Adel mit Stadthäusern nach antiker oder mittelalterlicher Art fehlte. m Fehlt in A. n A: Sitz o A : und, in weit ö A : Mittelalter, p Fehlt in A. q Index fehlt In A. r A: orientalischen Städtebildung, S Fehlt in A. t Fehlt in A. a A : einer b A: Militärklasse c Fehlt In A. d Fehlt in A. e A : Zunftverbände,

6 Die „Compagna c o m m u n i s " in G e n u a war ein erstmals im J a h r e 1 0 9 9 b e z e u g t e r S c h w u r v e r b a n d , der sich z u n ä c h s t g e g e n das h e r r s c h e n d e S t a d t r e g i m e n t richtete. Ihm g e h ö r t e n im w e s e n t l i c h e n s e e f a h r e n d e Kaufleute u n d s o l c h e A n g e h ö r i g e d e s A d e l s an, die ihr V e r m ö g e n in H a n d e l s u n t e r n e h m e n investiert hatten. A l l m ä h l i c h w a n d e l t e sich d i e s e G e m e i n s c h a f t zu einer Körperschaft, die bald mit d e r K o m m u n e identisch w u r d e u n d H e e r - , G e r i c h t s - und Finanzhoheit ausübte. Vgl. auch W u G \ S. 5 3 5 f f . 7 Gaillard, Nankin.

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bände nach Art der Mercadanza® 8 entstanden 35 )'. Revolten der Stadtinsassen gegen die Beamten, welche diese zur Flucht in die Zitadelle zwangen, sind zwar jederzeit an der Tagesordnung gewec 292 sen. Immer aber mit dem Ziel | der Beseitigung eines konkreten Beamten oder einer konkreten Anordnung, 9 vor allem einer neuen Steuerauflage, nie zur Erringung 9 einer auch nur relativen, fest verbrieften, politischen Stadtfreiheit. Eine solche war hin der okzidentalen Form' 1 'schon deshalb schwer möglich', weil niemals die Bande der Sippe abgestreift wurden. Der zugewanderte Stadtinsasse k (vor allem: der begüterte)''behielt seine Beziehung zum Stammsitz mit dem Ahnenlande und mit dem 'Ahnenheiligtum seiner Sippe, also:'alle m rituell und persönlich m wichtigen Beziehungen, in dem | A 33 Dorf, von wo er stammte. Ähnlich etwa wie der Angehörige des russischen Bauernstandes, auch wenn er als Fabrikarbeiter, Geselle, Händler, Fabrikant, Literat in der Stadt die Stätte seiner dauernden Tätigkeit gefunden hatte, innerhalb seines Mir draußen sein Indigenat (mit den in Rußland daran hängenden Rechten und Pflichten) 9 behielt. Der ZEVC, e q x e l o d e s attischen Bürgers und seit Kleisthenes sein Demos oder das „Hantgemal" des Sachsen waren im Okzident Rudimente ähnlicher Zustände 36 ). Aber dort war die Stadt eine 35 ) Auf die gewaltige Bedeutung der Gilden in China kommen wir weiterhin zu sprechen. 1 0 Es werden dann auch die Unterschiede gegen den Okzident in ihren Gründen hervortreten, deren Bedeutung dadurch nur noch eklatanter wird, daß die soziale Macht der Gilden in China gegenüber dem einzelnen und auch der Umkreis ihrer ökonomischen Wirksamkeit weit größer waren als jemals im Okzident. r | 36 A 33 C 292 ) [A:4)] Auch in China natürlich hatte bei weitem nicht jeder Stadtinsasse den Zusammenhang mit einem Ahnenheiligtum im Stammort bewahrt. |

f Index fehlt in A. g A: nie zum Zweck h Fehlt in A. i A: unmöglich k Fehlt in A. I A: Ahnenheiligtum, seine Sippe, m A: für ihn religiös und ethisch 2 35 n A: ¿Qxatog r(S. 1 3 2 ) - r Webers Fußnoten ) bis ) fehlen in A.

8 Die „Mercadanza" war seit dem 12. Jahrhundert in Italien ein Zunftverband oder eine Gesamtgllde, die sich dann zur staatlichen Handelsgerichts- und Verwaltungsbehörde entwickelte. 9 De facto bis zum Oktober 1906, de jure jedoch bis zum Ende des Zarenreiches blieben alle, die dem bäuerlichen Stand angehörten, rechtlich Mitglieder der Dorfgemeinschaft mit allen dazugehörenden Rechten und Pflichten. Dazu gehörte z. B. das Recht auf Teilnahme an der Dorfversammlung mit Stimmrecht, das Rechtauf Land nach Familiengröße und die Pflicht, den Beitrag zu den Abgaben zu leisten. 10 Unten, S. 155-158.

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„Gemeinde", in der Antike zugleich Kultverband, im Mittelalter Schwurbruderschaft. °Davon finden sich in China nur Vorstadien, aber keine Verwirklichung. 0 Der chinesische Stadtgott war nur örtlicher Schutzgeist pq , nicht aber: ein Verbandsgott, in aller Regel vielmehr: ein kanonisierter Stadtmandarin 37 ). 11 Es fehlte - daran liegt dies - völlig der politische Schwurverband von wehrhaften Stadtinsassen. Es gab in China bis in die Gegenwart Gilden, Hansen, Zünfte, in einigen Fällen auch eine „Stadtgilde", äußerlich ähnlich der englischen „Gilda mercatoria".