Max Weber-Gesamtausgabe, Band I/13: Hochschulwesen und Wissenschaftspolitik: Schriften und Reden 1895-1920 3161534328, 9783161534324

Der Band enthält |ber 100 Äusserungen Max Webers zum Hochschulwesen und zur Wissenschaftspolitik. Er dokumentiert seine

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Max Weber-Gesamtausgabe, Band I/13: Hochschulwesen und Wissenschaftspolitik: Schriften und Reden 1895-1920
 3161534328, 9783161534324

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
Einleitung
I. Schriften und Reden
I a. Zu Wissenschaft, Universität und außeruniversitärer Forschung
Die volkswirtschaftlichen Fächer [an der Universität Heidelberg]
[Zur Verteidigung Friedrich Naumanns]
[Zur Angelegenheit Schmoller-Naumann]
Conzept der Erklärung [zu Gustav Schmollers „Offenem Brief“]
[Der „Fall Bernhard“]
[Zum „Fall Bernhard“]
[Der „Fall Bernhard“ und Professor Harnack]
[Der „Fall Bernhard“ und Professor Delbrück]
[Glückwunschadresse Gustav Schmoller]
[Die sogenannte „Lehrfreiheit“ an den deutschen Universitäten]
[Sozialdemokraten im academischen Lehramt]
[Über die Lehrfreiheit an deutschen Universitäten]
Die Lehrfreiheit der Universitäten
Disposition für die Bearbeitung einer soziologischen Untersuchungdes Zeitungswesens
[Über Ausrichtung und Vorgehen der Deutschen Gesellschaft für Soziologie]
[Rezension von: Franz Eulenburg, Die Entwicklung der Universität Leipzig in den letzten hundert Jahren]
[Zum Hochschullehrertage]
[Professor Ehrenberg]
[Die Auslese für den akademischen Beruf]
Antrag auf Statutenänderung [der Deutschen Gesellschaft für Soziologie]
Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie
Vorbericht über eine vorgeschlagene Erhebung über die Soziologie des Zeitungswesens
Vorläufiger Entwurf eines Gründungsstatuts der Abteilung für Statistik
[Zur Affäre Dr. Ruge I]
[Zur Affäre Dr. Ruge II]
[Entwurf einer Geschäftsordnung für den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie]
[Tischrede auf der Hochzeit von Dora Busch, geb. Jellinek, am 21. März 1911]
[Geschäftsbericht der Deutschen Gesellschaft für Soziologie]
[Ein Votum zur Universitätsfrage]
[Über die Rede auf dem Deutschen Hochschullehrertag zu Dresden]
[Über das „System Althoff“]
[Die Handelshochschulen. Eine Entgegnung]
[Die preußische Unterrichtsverwaltung]
[Über das „System Althoff“]
[Das „System Althoff“]
[Noch einmal die Erklärungen]
[Denkschrift an die Handelshochschulen]
[Nochmals das „System Althoff“]
[Noch einmal das „System Althoff“]
[Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen]
Rechenschaftsbericht für die abgelaufenen beiden Jahre
Redaktionelles Nachwort [zu Arthur Salz]
Erklärung [zu Paul Sanders Äußerung]
[Eine Erklärung zur Affäre Salz-Sander]
Zu dem redaktionellen Geleitwort im Märzheft 1914, S. 539 f. gegen Herrn Prof. Dr. Sander in Prag
Zur Erklärung der Prager Rechts‑ und Staatswissenschaftlichen Fakultät Bd. 39, S. 567
[Eine katholische Universität in Salzburg]
[Das Gymnasium und die neue Zeit]
I b. Promotionen und Habilitationen
Freiburg
[Promotionsgutachten Victor Daudert]
[Promotionsgutachten Oscar Münsterberg]
[Verlängerungsgesuch Victor Daudert]
[Promotionsgutachten Franz Rickert]
[Verlängerungsgesuch Gustav Hecht]
[Habilitationsgutachten Heinrich Sieveking]
[Promotionsgutachten Robert Liefmann]
[Antrag auf Herabsetzung der Dissertations-Pflichtexemplare von Robert Liefmann]
Heidelberg
[Promotionsgutachten Heinrich Oppenheimer]
[Promotionsgutachten Adolf Tienken]
[Habilitationsgutachten Robert Schachner]
[Promotionsgutachten Karl Breinlinger]
München
[Bemerkung zum Promotionsgesuch von Anton Bunk]
[Bemerkung zum Promotionsgesuch von Hermann Koch]
[Bemerkung zum Promotionsgesuch von Eugen Weiß]
[Promotionsgutachten Wilhelm Mattes]
I c. Stellungnahmen zu universitären Struktur- und Berufungsfragen
Freiburg
[Antrag zur Erhöhung des Budgets für das Kameralistische Seminar Freiburg]
[Gutachten über die Errichtung eines Seminars für Versicherungswissenschaft in Freiburg]
[Separatvotum betreffend die Besetzung des philosophischen Ordinariates]
Die Wiederbesetzung des erledigten Nationalökonomischen Ordinariats betr.
Heidelberg
[Ein Extraordinariat an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg]
[Volkswirtschaftliche Vorlesungen in Mannheim]
[Antrag auf Errichtung einer zweiten nationalökonomischen Professur an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg]
[Gutachten] betrifft: Beförderung des Herrn Dr. Kindermann
Wien
[Gutachten für die Juristische Fakultät der Universität Wien]
München
[Zur Angelegenheit Dr. Salz]
[Sondergutachten Dr. Salz]
Gutachten für die hohe Juristische Fakultät, hier betr. die Vorschläge für die Besetzung des nat[ional]ök[onomischen] Lehrstuhls
[Neubesetzung des Lehrstuhls v. Mayr und Besetzung der Leonhardschen Professur I]
[Entwurf einer Stellungnahme der Universität München Dr. Salz betr.]
[Neubesetzung des Lehrstuhls v. Mayr und Besetzung der Leonhardschen Professur II]
I d. Stellungnahmen zu Fakultätsangelegenheiten
Heidelberg
[Befreiung Adolf Lugers von der Zahlung des Kolleggeldes]
[Antrag zur Änderung der Habilitationsordnung]
München
[Semester- und Ferieneinteilung an den Hochschulen]
[Drucklegung von Dissertationen I]
[Zwischensemester 1919/20]
[Unterrichtsveranstaltungen im Zwischensemester]
[Drucklegung von Dissertationen II]
[Prüfungstermine in der Juristischen Fakultät I]
[Prüfungsvertretung für Moritz Julius Bonn]
[Lehrauftrag für Arbeitsrecht]
[Stipendienprüfungen]
[Reform der Juristischen Abschlußprüfungen]
[Konferenz in Halle zur Reform des juristischen Universitätsunterrichts]
[Lehraufträge für Landwirtschaft, insbesondere Alm- und Weidewirtschaftan der Staatswirtschaftlichen Fakultät der Universität München]
[Studium der Finanzwissenschaft und des Steuerrechts]
[Zu den Vorschlägen Johann Plenges zur Ausgestaltung des volkswirtschaftlichen Unterrichts]
[Prüfungstermine in der Juristischen Fakultät II]
II. Berichte über Reden und Diskussionsbeiträge
II a. Universitäten
Freiburg
[Anträge zur Überführung der Kameralistik von der Philosophischenan die Juristische Fakultät sowie auf Beförderung von G. von Schulze-Gaevernitz I]
[Anträge zur Überführung der Kameralistik von der Philosophischenan die Juristische Fakultät sowie auf Beförderung von G. von Schulze-Gaevernitz II]
München
[Unruhen in der Universität München]
II b. Verein für Socialpolitik
[Künftige Arbeiten des Vereins]
[Die Satzung des Vereins, Arbeitsgebiete und Themen der nächsten Generalversammlung]
[Die geistige Arbeit in der Großindustrie]
[Die Produktivität der Volkswirtschaft, das Berufsschicksal der Privatbeamten]
[Die Reorganisation der preußischen Verwaltung]
[Preußische Verwaltungsreform, Arbeiter in der Großindustrie]
[Waren- und Geldpreise, Wirkungen der Getreidezölle]
[Akten der Unfallversicherungsgenossenschaften]
II c. Badische Historische Kommission
[Publikationen und Finanzen der Badischen Historischen Kommission]
II d. Hochschullehrertag
[Über die Lehrfreiheit an deutschen Universitäten]
[Die Auslese für den akademischen Beruf]
[Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen]
II e. Deutsche Gesellschaft für Soziologie
[Satzung, Geschäftsbericht, Rechner]
[Einrichtung einer Sektion für Gesellschaftsbiologie]
[Änderung des Statuts]
Anhang I: Mitunterzeichnete Aufrufe
Einladung zur Gründung einer Deutschen Gesellschaft für Soziologie
Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie. Einladung zum Beitritt
[Spendenaufruf für eine Büste Otto von Gierkes zu dessen 70. Geburtstag]
Deutsches Zeitungs-Archiv [Einladung zur Subscription I]
[Spendenaufruf für ein Porträt Georg Friedrich Knapps zu dessen 70. Geburtstag]
[Glückwunschadresse zum 70. Geburtstag von Georg Friedrich Knapp]
Deutsches Zeitungs-Archiv [Einladung zur Subskription II]
Aufruf [zum Erhalt eines Lehrstuhls für Systematische Philosophie an der Universität Marburg]
Anhang II: Statuten der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 1909–1910
1. Berliner Statut (Januar 1909)
2. Leipziger Statut (Oktober 1909)
3. Frankfurter Statut (Oktober 1910)
Verzeichnisse und Register
Personenverzeichnis
Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur
Personenregister
Sachregister
Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe, Abteilung I: Schriften und Reden
Bandfolge der Abteilung II: Briefe
Bandfolge der Abteilung III: Vorlesungen und Vorlesungsnachschriften

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Max Weber Gesamtausgabe Im Auftrag der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Herausgegeben von

Horst Baier, Gangolf Hübinger, M. Rainer Lepsius †, Wolfgang J. Mommsen †, Wolfgang Schluchter, Johannes Winckelmann † Abteilung I: Schriften und Reden

Band 13

J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

Max Weber Hochschulwesen und Wissenschaftspolitik Schriften und Reden 1895–1920

Herausgegeben von

M. Rainer Lepsius und Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit

Heide-Marie Lauterer und Anne Munding

J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

Redaktion: Ursula Bube-Wirag – Edith Hanke – Anne Munding Die Herausgeberarbeiten wurden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, dem Land Baden-Württemberg und dem Freistaat Bayern gefördert.

ISBN 978-3-16-153432-4 Leinen / eISBN 978-3-16-157759-8 unveränderte ebook-Ausgabe 2019 ISBN 978-3-16-153434-8 Hldr Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer-tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen gesetzt und auf alterungs beständiges Werkdruckpapier gedruckt. Den Einband besorgte die Großbuchbinderei Josef Spinner in Ottersweier.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXV Siglen, Zeichen, Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

I. Schriften und Reden I a. Zu Wissenschaft, Universität und außeruniversitärer Forschung Die volkswirtschaftlichen Fächer an der Universität Heidelberg Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

Zur Verteidigung Friedrich Naumanns Diskussionsbeiträge auf der Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik in Mannheim am 28. September 1905 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

Zur Angelegenheit Schmoller-Naumann Zuschrift vom 30. September 1905 an die Frankfurter Zeitung zusammen mit Eberhard Gothein und Alfred Weber Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

Conzept der Erklärung zu Gustav Schmollers „Offenem Brief“ Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

VI

Inhaltsverzeichnis

Der „Fall Bernhard“ Zuschrift an die Frankfurter Zeitung, 18. Juni 1908 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

Zum „Fall Bernhard“ Zuschrift an die Frankfurter Zeitung, 22. Juni 1908 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

Der „Fall Bernhard“ und Professor Harnack Zuschrift an die Frankfurter Zeitung, 24. Juni 1908 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

Der „Fall Bernhard“ und Professor Delbrück Zuschrift an die Frankfurter Zeitung, 10. Juli 1908 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

Glückwunschadresse Gustav Schmoller Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Die sogenannte „Lehrfreiheit“ an den deutschen Universitäten Zuschrift an die Frankfurter Zeitung, 20. September 1908 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

Sozialdemokraten im academischen Lehramt Zuschrift an die Hochschul-Nachrichten, November 1908 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

Über die Lehrfreiheit an deutschen Universitäten Diskussionsbeiträge auf dem II. Deutschen Hochschullehrertag in Jena am 28. September 1908 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

Inhaltsverzeichnis

VII

Die Lehrfreiheit der Universitäten Zuschrift an die Hochschul-Nachrichten, Januar 1909 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

Disposition für die Bearbeitung einer soziologischen Unter­suchung des Zeitungswesens Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

Über Ausrichtung und Vorgehen der Deutschen Gesellschaft für Soziologie Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

Rezension von: Franz Eulenburg, Die Entwicklung der Universität Leipzig in den letzten hundert Jahren Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

Zum Hochschullehrertage Zuschrift an die Frankfurter Zeitung, 19. Oktober 1909 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

Professor Ehrenberg Zuschrift an die Frankfurter Zeitung, 20. Oktober 1909 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

Die Auslese für den akademischen Beruf Diskussionsbeiträge auf dem III. Deutschen Hochschullehrertag in Leipzig am 12. und 13. Oktober 1909 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

Antrag auf Statutenänderung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

VIII

Inhaltsverzeichnis

Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie Unter Mitarbeit von Hermann Beck Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

Vorbericht über eine vorgeschlagene Erhebung über die Soziologie des Zeitungswesens Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

Vorläufiger Entwurf eines Gründungsstatuts der Abteilung für Statistik Unter Mitarbeit von Eugen Würzburger Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

Zur Affäre Dr. Ruge I Zuschrift an das Heidelberger Tageblatt, 9. Januar 1911 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

Zur Affäre Dr. Ruge II Zuschrift an das Heidelberger Tageblatt, 13. Januar 1911 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

Entwurf einer Geschäftsordnung für den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

Tischrede auf der Hochzeit von Dora Busch, geb. Jellinek, am 21. März 1911 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

Inhaltsverzeichnis

IX

Geschäftsbericht der Deutschen Gesellschaft für Soziologie Rede auf dem Ersten Deutschen Soziologentag in Frankfurt am Main am 20. Oktober 1910 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258

Ein Votum zur Universitätsfrage Zuschrift an die Volksstimme, 26. Juni 1911 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290

Deutscher Hochschullehrertag Zuschrift an die Heidelberger Zeitung, 20. Oktober 1911 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300

Über die Rede auf dem Deutschen Hochschullehrertag zu Dresden Zuschrift vom 20. Oktober 1911 an die Tägliche Rundschau Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305

Über das „System Althoff“ Zuschrift vom 25. Oktober 1911 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

Die Handelshochschulen. Eine Entgegnung Zuschrift an das Berliner Tageblatt, 27. Oktober 1911 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

Die preußische Unterrichtsverwaltung Zuschrift an die Badische Landeszeitung, 28. Oktober 1911 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

X

Inhaltsverzeichnis

Über das „System Althoff“ Zuschrift vom 1. November 1911 an die Nationalliberale Correspondenz Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340

Das „System Althoff“ Zuschrift an die Frankfurter Zeitung, 2. November 1911 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352

Noch einmal die Erklärungen Zuschrift vom 6. November 1911 an die Nationalliberale Correspondenz Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358

Denkschrift an die Handelshochschulen Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365

Nochmals das „System Althoff“ Zuschrift an die Frankfurter Zeitung, 10. November 1911 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380

Noch einmal das „System Althoff“ Zuschrift vom 17. November 1911 an die Nationalliberale Correspondenz Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388

Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen Diskussionsbeiträge auf dem IV. Deutschen Hochschullehrertag in Dresden am 13. Oktober 1911 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397

Inhaltsverzeichnis

XI

Rechenschaftsbericht für die abgelaufenen beiden Jahre Rede auf dem Zweiten Deutschen Soziologentag in Berlin am 21. Oktober 1912 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413

Redaktionelles Nachwort zu Arthur Salz Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422

Erklärung zu Paul Sanders Äußerung Zuschrift an die Deutsche Literaturzeitung, 27. Juni 1914 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445

Eine Erklärung zur Affäre Salz-Sander Zuschrift an die Frankfurter Zeitung, 2. Juli 1914 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448

Zu dem redaktionellen Geleitwort im Märzheft 1914, S.   539 f. gegen Herrn Prof. Dr. Sander in Prag Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452

Zur Erklärung der Prager Rechts‑ und Staatswissenschaftlichen Fakultät Bd.  39, S.   567 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496

Eine katholische Universität in Salzburg Zuschrift an die Frankfurter Zeitung, 10. Mai 1917 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501

Das Gymnasium und die neue Zeit Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504

XII

Inhaltsverzeichnis

I b. Promotionen und Habilitationen

Freiburg Promotionsgutachten Victor Daudert Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510

Promotionsgutachten Oscar Münsterberg Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512

Verlängerungsgesuch Victor Daudert Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515

Promotionsgutachten Franz Rickert Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517

Verlängerungsgesuch Gustav Hecht Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521

Habilitationsgutachten Heinrich Sieveking Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524

Promotionsgutachten Robert Liefmann Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531

Antrag auf Herabsetzung der Dissertations-Pflichtexemplare von Robert Liefmann Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533

Inhaltsverzeichnis

XIII

Heidelberg Promotionsgutachten Heinrich Oppenheimer Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535

Promotionsgutachten Adolf Tienken Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538

Habilitationsgutachten Robert Schachner Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542

Promotionsgutachten Karl Breinlinger Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546

München Bemerkung zum Promotionsgesuch von Anton Bunk Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549

Bemerkung zum Promotionsgesuch von Hermann Koch Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551

Bemerkung zum Promotionsgesuch von Eugen Weiß Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553

Promotionsgutachten Wilhelm Mattes Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556

XIV

Inhaltsverzeichnis

I c. Stellungnahmen zu universitären Strukturund Berufungsfragen

Freiburg Antrag zur Erhöhung des Budgets für das Kameralistische Seminar Freiburg Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562

Gutachten über die Errichtung eines Seminars für Versicherungswissenschaft in Freiburg Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565

Separatvotum betreffend die Besetzung des philosophischen Ordinariates Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569

Die Wiederbesetzung des erledigten Nationalökonomischen Ordinariats betr. Zusätze zum Entwurf des Dekans Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579

Heidelberg Ein Extraordinariat an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592

Volkswirtschaftliche Vorlesungen in Mannheim Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596

Inhaltsverzeichnis

XV

Antrag auf Errichtung einer zweiten nationalökonomischen Professur an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601

Gutachten betrifft: Beförderung des Herrn Dr. Kindermann Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603

Wien Gutachten für die Juristische Fakultät der Universität Wien Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608

München Zur Angelegenheit Dr. Salz Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621

Sondergutachten Dr. Salz Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624

Gutachten für die hohe Juristische Fakultät, hier betr. die Vorschläge für die Besetzung des nationalökonomischen Lehrstuhls Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 636

Neubesetzung des Lehrstuhls v. Mayr und Besetzung der Leonhardschen Professur I Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642

XVI

Inhaltsverzeichnis

Entwurf einer Stellungnahme der Universität München Dr. Salz betr. Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646

Neubesetzung des Lehrstuhls v. Mayr und Besetzung der Leonhardschen Professur II Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649

I d. Stellungnahmen zu Fakultätsangelegenheiten

Heidelberg Befreiung Adolf Lugers von der Zahlung des Kolleggeldes Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654

Antrag zur Änderung der Habilitationsordnung Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657

München Semester- und Ferieneinteilung an den Hochschulen Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660

Drucklegung von Dissertationen I Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663

Zwischensemester 1919/20 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667

Unterrichtsveranstaltungen im Zwischensemester Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 668 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669

Inhaltsverzeichnis

XVII

Drucklegung von Dissertationen II Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 670 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 672

Prüfungstermine in der Juristischen Fakultät I Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675

Prüfungsvertretung für Moritz Julius Bonn Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 676 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677

Lehrauftrag für Arbeitsrecht Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 681

Stipendienprüfungen Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 682 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 684

Reform der Juristischen Abschlußprüfungen Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686

Konferenz in Halle zur Reform des juristischen Universitäts­unterrichts Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 688

Lehraufträge für Landwirtschaft, insbesondere Alm- und Weide­wirtschaft an der Staatswirtschaftlichen Fakultät der ­Universität München Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 691

Studium der Finanzwissenschaft und des Steuerrechts Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694

XVIII

Inhaltsverzeichnis

Zu den Vorschlägen Johann Plenges zur Ausgestaltung des volkswirtschaftlichen Unterrichts Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697

Prüfungstermine in der Juristischen Fakultät II Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 699 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 700

II. Berichte über Reden und Diskussionsbeiträge II a. Universitäten

Freiburg Anträge zur Überführung der Kameralistik von der Philo­sophischen an die Juristische Fakultät sowie auf Beförderung von G. von Schulze-Gaevernitz I Redebeitrag auf der Sitzung der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg i. Br. am 25. Juni 1895 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707

Anträge zur Überführung der Kameralistik von der Philo­sophischen an die Juristische Fakultät sowie auf Beförderung von G. von Schulze-Gaevernitz II Redebeiträge auf der Sitzung der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg i. Br. am 28. Juni 1895 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 708 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709

München Unruhen in der Universität München Redebeiträge auf der außerordentlichen Sitzung des akademischen Senats der Universität München am 29. Januar 1920 Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 710 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 715

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II b. Verein für Socialpolitik Künftige Arbeiten des Vereins Diskussionsbeiträge auf der Ersten Sitzung des Ausschusses des Vereins für Socialpolitik am 24. September 1905 in Mannheim Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728

Die Satzung des Vereins, Arbeitsgebiete und Themen der nächsten Generalversammlung Diskussionsbeiträge auf der Sitzung des Ausschusses des Vereins für Socialpolitik am 4. und 5. Januar 1907 in Berlin Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 730 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732

Die geistige Arbeit in der Großindustrie Diskussionsbeitrag auf der Dritten Sitzung des Ausschusses des Vereins für Socialpolitik am 1. Oktober 1907 in Magdeburg Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 738

Die Produktivität der Volkswirtschaft, das Berufsschicksal der Privatbeamten Diskussionsbeiträge auf der Sitzung des Ausschusses des Vereins für Socialpolitik am 12. Oktober 1908 in Berlin Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 741

Die Reorganisation der preußischen Verwaltung Diskussionsbeitrag auf der Sitzung des Unterausschusses des Vereins für Socialpolitik am 28. Dezember 1908 in Berlin Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 745

Preußische Verwaltungsreform, Arbeiter in der Großindustrie Diskussionsbeiträge auf der Sitzung des Ausschusses des Vereins für Socialpolitik am 26. September 1909 in Wien Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 746 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 748

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Waren- und Geldpreise, Wirkungen der Getreidezölle Diskussionsbeiträge auf der Sitzung des Ausschusses des Vereins für Sozialpolitik am 15. Mai 1910 in Dresden Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 752

Akten der Unfallversicherungsgenossenschaften Diskussionsbeitrag auf der Sitzung des Ausschusses des Vereins für Sozialpolitik am 4. Januar 1911 in Berlin Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757

II c. Badische Historische Kommission Publikationen und Finanzen der Badischen Historischen Kommission Redebeiträge auf der XXII. Plenarsitzung der Badischen Historischen Kommission am 6. und 7. November 1903 in Karlsruhe Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764

II d. Hochschullehrertag Über die Lehrfreiheit an deutschen Universitäten Diskussionsbeiträge auf dem II. Deutschen Hochschullehrertag am 28. September 1908 in Jena Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 773 Bericht des Berliner Tageblatts vom 29. September 1908 . . . . . . . . . . . . 774 Bericht der Münchner Neuesten Nachrichten vom 1. Oktober 1908 . . . 774

Die Auslese für den akademischen Beruf Diskussionsbeiträge auf dem III. Deutschen Hochschullehrertag am 12. und 13. Oktober 1909 in Leipzig Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 777 Berichte des Berliner Tageblatts vom 12. und 13. Oktober 1909 . . . . . . 780 Bericht der Frankfurter Zeitung vom 14. Oktober 1909 . . . . . . . . . . . . . 785

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Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen Diskussionsbeiträge auf dem IV. Deutschen Hochschullehrertag am 13. Oktober 1911 in Dresden Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 788 Bericht des Berliner Tageblatts vom 14. Oktober 1911 . . . . . . . . . . . . . . 790 Bericht der Täglichen Rundschau vom 14. Oktober 1911 . . . . . . . . . . . . 790

II e. Deutsche Gesellschaft für Soziologie Satzung, Geschäftsbericht, Rechner Diskussionsbeiträge auf der zweiten ordentlichen Mitgliederversammlung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie am 19. und 22. Oktober 1910 in Frankfurt am Main Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 807 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809

Einrichtung einer Sektion für Gesellschaftsbiologie Diskussionsbeitrag auf der Vorstandssitzung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie am 21. Oktober 1910 in Frankfurt am Main Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 813

Änderung des Statuts Diskussionsbeiträge auf der Mitgliederversammlung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie am 6. März 1911 in Heidelberg Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 814 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 815

Anhang I: Mitunterzeichnete Aufrufe Einladung zur Gründung einer Deutschen Gesellschaft für Soziologie Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 819 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821

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Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie. Einladung zum Beitritt Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 824 Anhang zum Editorischen Bericht: Zusammenstellung soziologischer Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 826 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 828

Spendenaufruf für eine Büste Otto von Gierkes zu dessen 70. Geburtstag Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 831 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 832

Deutsches Zeitungs-Archiv. Einladung zur Subscription I Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 835 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 837

Spendenaufruf für ein Porträt Georg Friedrich Knapps zu dessen 70. Geburtstag Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 842

Glückwunschadresse zum 70. Geburtstag von Georg Friedrich Knapp Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 843 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 845

Deutsches Zeitungs-Archiv. Einladung zur Subskription II Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 848 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 849

Aufruf zum Erhalt eines Lehrstuhls für Systematische Philosophie an der Universität Marburg Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 851 Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 853

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Anhang II: Statuten der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 1909–1910 1. Berliner Statut (Januar 1909) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 857 2. Leipziger Statut (Oktober 1909) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 859 3. Frankfurter Statut (Oktober 1910) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 864

Verzeichnisse und Register Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 871 Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur . . . . . . . . . . 917 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 923 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 937 Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe, Abteilung I: Schriften und Reden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 961 Bandfolge der Abteilung II: Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 970 Bandfolge der Abteilung III: Vorlesungen und Vorlesungsnachschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 971

Vorwort

Der vorliegende Band enthält über einhundert, teilweise bisher unbekannte Äußerungen Max Webers zum Hochschulwesen und zur Wissenschafts­ politik aus der Zeit von 1895 bis 1920. Er dokumentiert insbesondere seine Tätigkeit als Hochschullehrer an den Universitäten Freiburg, Heidelberg, Wien und München, seine Mitwirkung im Verein für Socialpolitik und bei der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie sowie seine Reden auf den Deutschen Hochschullehrertagen. Der Band zeigt Max Weber als einen engagierten Hochschullehrer und Wissenschaftspolitiker, dem die Zukunft der Universität und die Freiheit von Forschung und Lehre sehr am Herzen lagen. Obgleich er immer wieder damit liebäugelte, in die Politik zu gehen, blieb er doch bei der Wissenschaft. Er verstand sie nicht nur als Beruf, son­ dern auch als Berufung. Das machen die hier edierten Texte besonders deutlich. Sie zeigen, wie wichtig ihm die Verbindung von äußerer und innerer Gestalt der Wissenschaft, von Wissenschaft als Institution und Wissenschaft als Ethos, war. Die Edition des hier vorgelegten Bandes stand unter keinem guten Stern. M. Rainer Lepsius, der den Band als Herausgeber vor langer Zeit übernahm, arbeitete zunächst mehrere Jahre mit Heide-Marie Lauterer zusammen. Bei ihren intensiven Recherchen stellte sich heraus, daß das zu edierende Mate­ rial weit umfangreicher war, als zunächst gedacht. Zum großen Bedauern von M. Rainer Lepsius mußte Heide-Marie Lauterer mitten in der Edition ihre Arbeit aufgeben, weil sie schwer erkrankte. Zum Glück stand daraufhin Anne Munding aus der Redaktion der Max Weber-Gesamtausgabe in München für die Fortsetzung bereit. Sie arbeitete sich schnell in die neue Aufgabe ein und schloß kompetent die entstandene Lücke. Dann starb M. Rainer Lepisus am 2. Oktober 2014, zu einem Zeitpunkt als die Edition des Bandes noch nicht abgeschlossen war. Weder hatte er bis dahin alle zu edierenden Texte kontrolliert, noch stand die endgültige Gliederung des Bandes fest. Für die Einleitung gab es keine Vorarbeiten. Nach dem Tod von M. Rainer Lepsius mußte ich deshalb den Band übernehmen. Ich habe ihn, in Zusammenar­ beit mit Anne Munding und mit Unterstützung durch Brigitte Schluchter, auf der bis dahin geschaffenen Grundlage zu Ende geführt. Da ich sowohl den Aufbau als auch viele der Editorischen Berichte geändert und die Einleitung geschrieben habe, erscheint der Band auch unter meinem Namen. Es bleibt aber der Band von M. Rainer Lepsius. Sollte es Kritik an dieser Edition geben, so trifft sie mich, nicht ihn, der keinen Einfluß mehr auf die jetzt vorgelegte, endgültige Gestalt des Bandes hatte. Vielleicht hätte er das ein oder andere

XXVI

Vorwort

anders gemacht. Sicher ist, daß er diesen Band in der letzten Phase seines Lebens, obwohl seine Kräfte nachließen, dennoch zu Ende führen wollte. Das war ihm nicht vergönnt. Mein Dank gilt Heide-Marie Lauterer, die die Arbeit an diesem Band begann, und Anne Munding, die diese Arbeit zu Ende führte. Dank gebührt ferner: Peter Burger für die Textzusammenstellung, die Erstellung der Hö­rer­ listen zu Max Webers frühen Vorlesungen in Freiburg i. Br. und Heidelberg und die entsprechenden Nachlaßrecherchen; Oliver Grasmück und Anke Hoffstadt für die elektronische Erfassung der Editionstexte; Ingrid Pichler für die Kontrolle der Texterfassung und der Varianten sowie für die Erstellung des Personenregisters; Hannelore Chaluppa für die Überprüfung des Edi­ tionsmanuskripts, Manfred Schön und Diemut Moosmann für die Transkription von Webers handschriftlichen Texten und Kyra Schießl für ihre Mitarbeit bei den Recherchen. Um die Texte dieses Bandes zu erfassen, waren intensive Archivrecherchen erforderlich. Dafür bedurfte es der Fachkompetenz und der Hilfsbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter folgender Archive und Bibliotheken: Verlagsarchiv Mohr Siebeck, Staatsbibliothek zu Berlin; Geheimes Staats­ archiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem; Universitätsarchiv Freiburg; Generallandesarchiv Karlsruhe; Bayerisches Hauptstaatsarchiv München; Bayerische Staatsbibliothek München, Historisches Archiv der Technischen Universität München; Archiv der Ludwig-Maximilians-Universität München; Österreichisches Staatsarchiv Wien. Besonderer Dank gebührt in diesem Zusammenhang Dagmar Drüll-Zimmermann vom Universitätsarchiv Heidel­ berg und Kornelia Küchmeister von der Schleswig-Holsteinischen Landes­ bibliothek Kiel. Friedrich Wilhelm Graf und Gangolf Hübinger ist für die kritische Beurtei­ lung des Editionsmanuskripts zu danken. In den Händen von Edith Hanke lag die redaktionelle Begleitung des Bandes, die, wegen seiner Geschichte, eine ungewöhnliche Herausforderung darstellte, welche sie überzeugend bewäl­ tigte. Dafür danke ich ihr sehr. Heidelberg, im März 2016

Wolfgang Schluchter

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| Seitenwechsel > Textersetzung Max Webers 〈 〉 Von Max Weber gestrichene Textstelle [ ] Im edierten Text: Hinzufügung des Editors Im textkritischen Apparat: unsichere oder alternative Lesung im Bereich der von Max Weber getilgten oder geänderten Textstelle […] Auslassung des Editors [??] Ein oder mehrere Wörter nicht lesbar 1), 2), 3) Indices bei Anmerkungen Max Webers 1, 2, 3 Indices bei Sachanmerkungen des Editors A, B Siglen für die Textfassungen A 1, A 2 Edierte Textvorlage bei paralleler Überlieferung A(1), A(2) Siglen für parallel überlieferte Berichte von Reden oder Diskussionsbeiträgen A 1, A 2 Seitenzählung der Textvorlage a, b, c Indices für Varianten oder textkritische Anmerkungen a .  .  . a, b .  .  . b Beginn und Ende von Varianten oder Texteingriffen & und § Paragraph → siehe % Prozent = gleich; bedeutet a. a. O. am angeführten Ort Ab.Bl. Abendblatt Abg. Abgeordneter Abt. Abteilung a. D. außer Dienst a. d. S. an der Saale AFLE Archivio storico della Fondazione Luigi Einaudi AfSSp Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik AG Aktiengesellschaft Akad. Akademische Allg., Allge. Allgemeine a. M. am Main Anm. Anmerkung a. o. außerordentlich(er) AP Associated Press apl. außerplanmäßig a. Rh. am Rhein Art. Artikel a. S. an der Saale AStA Allgemeiner Studentenausschuß Aufl. Auflage

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Siglen, Zeichen, Abkürzungen

Aug. August AVA Allgemeines Verwaltungsarchiv A. Z. Allgemeine Zeitung BA Bundesarchiv BAdW Bayerische Akademie der Wissenschaften BayHStA Bayerisches Hauptstaatsarchiv Bd., Bde. Band, Bände bearb. bearbeitet bes. besonders betr. betreffend, betrifft bezügl. bezüglich bezw., bzw. beziehungsweise BGB Bürgerliches Gesetzbuch Bl. Blatt Boese, Verein Boese, Franz, Geschichte des Vereins für Sozialpolitik 1872– 1932 (Schriften des Vereins für Sozialpolitik 188). – Leipzig: Duncker & Humblot 1939 BSB Bayerische Staatsbibliothek BVP Bayerische Volkspartei bzw. beziehungsweise ca. circa Cand. Kandidat Cap. Kapitel cf. confer Cie., Comp. Compagnie D. Doktor der evangelischen Theologie DDP Deutsche Demokratische Partei DDR Deutsche Demokratische Republik dergl., dgl. dergleichen ders. derselbe Dez. Dezember DGS, D.G.S. Deutsche Gesellschaft für Soziologie d. h. das heißt d. i. das ist Diss. Dissertation d. J. des Jahres, dieses Jahres DLZ, D.L.Z., D.L.-Z. Deutsche Literaturzeitung d. M., ds. M., ds. Mts. des Monats, dieses Monat, dieses Monats D. Red. Die Redaktion Dr, Dr. Doktor Dr. jur. doctor iuris Dr. jur. utr. doctor iuris utriusque Dr. jur. et rer. pol. doctor juris et rerum politicarum Dr. med. doctor medicinae Dr. oec. publ. doctor oeconomiae publicae Dr. phil. doctor philosophiae Dr. rer. pol. doctor rerum politicarum Dr. theol. doctor theologiae

Siglen, Zeichen, Abkürzungen Dsgl. Desgleichen dt. deutsch(en) DtVP Deutsche Volkspartei ebd. ebenda eigentl. eigentlich erw. erweitert etc. et cetera e. V. eingetragener Verein ev., event., eventl., evt., eventuell  evtl. Ew. Euer excl. exclusive f. für f., ff. folgende Fak. Fakultät Fasc., Fasz. Faszikel Febr. Februar Fn. Fußnote franz., frz. französisch Frh., Frhr. Freiherr FZ, Frkf. Ztg. Frankfurter Zeitung g. a. E. ganz am Ende geb. geboren, geborene geb. gebunden gefl., gef. gefällige Geh. Geheimer ges. gesehen gez. gezeichnet GLA Generallandesarchiv GmbH, G.m.b.H. Gesellschaft mit beschränkter Haftung GStA PK Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz HA Hauptabteilung HAG Handels-Aktien-Gesellschaft Hannov. Hannoverscher h. c. honoris causa HdStW Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 2. Aufl., hg. von Johannes Conrad, Ludwig Elster, Wilhelm Lexis, Edgar Loening, 7 Bände. – Jena: Gustav Fischer 1898–1909 hg., Hg. herausgegeben, Herausgeber Hr., Hrn. Herr, Herrn HT Hochschullehrertag Hwb. der Staatswiss. Handwörterbuch der Staatswissenschaften HWWA Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv HZ Historische Zeitschrift i. im

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i. B., i. Br. im Breisgau i. E. im Elsaß IHK Industrie- und Handelskammer incl. inclusive insbes. insbesondere Jahrh. Jahrhundert Jan. Januar JB Jahrbuch Jg. Jahrgang kg Kilogramm kgl. königlich K. K., K. k. Kaiserlich-Königlich Königl. Königliche(r) Koll. Kollege KPD Kommunistische Partei Deutschlands Ktn. Karton k. u. k. kaiserliche(r) und königliche(r) lat. lateinisch M. Max m. a. W. mit anderen Worten Mk., M. Mark masch. maschinenschriftlich MdprAH Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses MdprHH Mitglied des preußischen Herrenhauses MdprL Mitglied des preußischen Landtages MdR Mitglied des Reichstags m. E. meines Erachtens Misc. Miscellana MNN Münchner Neueste Nachrichten Mo.Bl., Mgbl. Morgenblatt Mt. Matthäus m. W. meines Wissens M. W. Max Weber MWG Max Weber-Gesamtausgabe (vgl. die Über sicht zu den Einzelbänden, unten S.  961–971) n. nach Nachm. Nachmittag Nat. Lib. Nationalliberale NB, NB. notabene N. F. Neue Folge Nl. Nachlaß No, Nr., No. Numero, Nummer N.N. Nomen Nescio Nordd. Allgem. Ztg., Norddeutsche Allgemeine Zeitung   Nordd. Allg. Zeitung Nov. November

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

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Orig. Original o. ordentlich(er) Okt. Oktober ÖStA Österreichisches Staatsarchiv o. V. ohne Verlag p. pagina, page PA Personalakten phil. philosophisch PK Preußischer Kulturbesitz pp. perge, perge preuß. preußisch PrJbb Preußische Jahrbücher Prof. Professor r recto (Blattvorderseite bei Archivpaginierung) Red. Redaktion Rep. Repositur rer. pol. rerum politicarum resp. respektive RVO Reichsversicherungsordnung s. siehe S. San S. Seite SBPK Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz SchmJb, Schmollers JB (Schmollers Jahrbuch) für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich Sekt. Sektion sen. senior Sept. September SHLB Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek sog., sogen. sogenannte, sogenannter SoSe, SS Sommersemester Sp. Spalte SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sr. Seiner St. Saint, Sankt StA Staatsarchiv Staatswiss. Staatswissenschaften s. u. siehe unten s. Z., s. Zt. seiner Zeit Tel. Telefon(nummer) TH Technische Hochschule Tit. Titel, Titulatur u. und u. a. und andere, und Andere, unter anderem, unter Anderem UA Universitätsarchiv UB, Univ.-Bibl. Universitätsbibliothek

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Siglen, Zeichen, Abkürzungen

u. dgl., u. dergl. und dergleichen u. E. unseres Erachtens Univ. Universität USA United States of America USPD Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands usw., u.s.w. und so weiter u. U. unter Umständen v verso (Blattrückseite bei Archivpaginierung) v. von VA Verlagsarchiv v. a. vor allem v. Chr. vor Christus v. d. von den Verf. Verfasser Verhandlungen des II. HT Zweiter deutscher Hochschullehrertag zu Jena am 28. und 29. September 1908 (Bericht, erstattet vom engeren geschäfts­ führenden Ausschuß.), in: Beilage der Münchner Neuesten Nachrichten, Nr.  146 vom 18. Dez. 1908, S.  628–639 Verhandlungen des III. HT Verhandlungen des III. Deutschen Hochschullehrertages zu Leipzig am 12. und 13. Oktober 1909. Bericht, erstattet vom engeren geschäftsführenden Ausschuß. – Leipzig: Verlag des Literarischen Zentralblattes für Deutschland (Eduard Avena­ rius) 1910 Verhandlungen des IV. HT Verhandlungen des IV. Deutschen Hochschullehrertages zu Dresden am 12. und 13. Oktober 1911. Bericht, erstattet vom geschäftsführenden Ausschuß. – Leipzig: Verlag des Litera­ rischen Zentralblattes für Deutschland (Eduard Avenarius) 1912 Verhandlungen DGS 1910 Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages vom 19.–22. Oktober 1910 in Frankfurt a. M. Reden und Vorträge von Georg Simmel, Ferdinand Tönnies, Max Weber u. a. und Debatten. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1911 Verhandlungen DGS 1912 Verhandlungen des Zweiten Deutschen Soziologentages vom 20.–22. Oktober 1912 in Berlin. Reden und Vorträge von Alfred Weber, Paul Barth u. a. und Debatten. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1913 Verhandlungen VfSp 1905 Verhandlungen der Generalversammlung in Mannheim, 25., 26., 27. und 28. September 1905 (Schriften des Vereins für Sozialpolitik 116). – Leipzig: Duncker & Humblot 1906 Verhandlungen VfSp 1909 Verhandlungen der Generalversammlung in Wien, 27., 28. und 29. September 1909 (Schriften des Vereins für Sozialpoli­ tik 132). – Leipzig: Duncker & Humblot 1910 VfSp, V.f.Soz.Pol. Verein für Sozialpolitik vgl., vergl. vergleiche v. J. vorigen Jahres Vol. Volume W. Weber W. West

Siglen, Zeichen, Abkürzungen Weber, Marianne,  Lebensbild3 Wirkl. Geh. Rat WS, WiSe W.T.B.

XXXIII

Weber, Marianne, Max Weber. Ein Lebensbild, 3.  Aufl. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1984 (Nachdr. der 1.  Aufl., ebd. 1926) Wirklich Geheimer Rat Wintersemester Wolffs Telegraphisches Bureau

Z. Zeile z. B. zum Beispiel z. D. zur Disposition z. Hd. Zu Händen Zeitg., Ztg. Zeitung ZfGO Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins Zl. Zahl z. T. zum Teil z. Z., z. Zt. zur Zeit

Einleitung

1. Vorbemerkung, S.  1. – 2. Der Hochschullehrer, S.  5. – 3. Der Hochschul­politiker, S.  9. – 4. Der Forschungspolitiker und Wissenschaftsorganisator, S.  2 2. – 5. Der Gutachter und Laudator, S. 38. – 6. Der Provokateur öffentlicher Affären, S.  4 3. – 7. Schlußbemerkung, S.  49. – 8. Zur Anordnung und Edition, S.  5 0.

1. Vorbemerkung Max Weber war die längste Zeit seines Wissenschaftlerlebens ein Privatge­ lehrter.1 Vom 1. Oktober 1903, dem Zeitpunkt seines Rücktritts vom Ordina­ riat für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Heidel­ berg, bis zum 1. April 1919, dem Zeitpunkt seines Eintritts in ein Ordinariat für Gesellschaftswissenschaft, Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie an der Universität München, lebte er ohne ein Amt in der Universität. Sieht man von dem Probesemester an der Universität Wien im Sommer 1918 ab, so hielt

1  Weber hat sich selbst so bezeichnet. In dem „Vormerkungsbogen“, der nach der Münchener Berufung auszufüllen war, um der Verwaltung die Berechnung von Dienstalter und Ruhegehaltszeiten zu ermöglichen, steht von Webers eigener Hand für die Zeit vom 1. Oktober 1903 bis 1. April 1919: „nach Kündigung der Stellung krankheitshalber: Privatgelehrter Heidelberg“ (vgl. Vormerkungsbogen, von Max We­ ber ausgefüllt und am 8. Mai 1919 unterzeichnet, BayHStA, MK 35787). Weber wur­ den 10 Jahre als Dienstzeit für die Berechnung des Gehalts anerkannt. Allerdings gibt die Bezeichnung „Privatgelehrter“ seine formale Stellung während der Zeit vom 1. Ok­ tober 1903 bis zum 1. April 1919 nicht korrekt wieder. Nicht nur, daß er in dieser Zeit Honorarprofessor an der Universität Heidelberg war, er stand auch weiterhin in einem Beamtenverhältnis zum Großherzogtum Baden. Denn seinem Antrag auf Entlassung aus dem Dienstverhältnis wegen Krankheit war vom Ministerium seinerzeit nicht statt­ gegeben worden. Es hatte ihn statt dessen krankheitshalber in den Ruhestand ver­ setzt. Sein Ausscheiden aus dem Dienst am 1. Oktober 1903 war rechtlich gesehen also eine Inaktivierung ohne Pension, weil Weber auf eventuelle Pensionsansprüche verzichtet hatte. Er wurde korrekterweise, wie er selbst ausführt, auf „amtliche Veran­ lassung in den Listen der Universität als ‚inaktiver ordentlicher Professor‘ geführt“. Dazu Brief Max Webers an das Großherzogliche Ministerium des Kultus und Unter­ richts vom 15. Juli 1912, MWG II/7, S.  6 09–620, hier S.  611 f. Im Verlauf der Affäre Koch kommt Weber auf diese Zusammenhänge zu sprechen, weil er ein Diszi­pli­nar­ verfahren gegen sich beantragen wollte, das Ministerium sich aber für nicht mehr zuständig erklärte, was nach Webers Rechtsauffassung nicht korrekt war. Materiell gesehen änderte dies freilich nichts an seiner Stellung als ‚Privatgelehrter‘ während dieser Zeit.

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er in dieser langen Zeit keine Vorlesung, gab kein Seminar, betreute keine Arbeiten von Studenten. Als er in München gerade wieder in den Alltag der Universität zurückgefunden hatte, ereilte ihn der Tod. Zwar hatte er in der Zeit von 1903 bis 1919 eine Honorarprofessur an der Universität Heidelberg inne, blieb also, korporationsrechtlich gesehen, Universitätsmitglied. Doch waren mit dieser Position weder Besoldung noch Prüfungsrecht, noch ein Sitz in der Fakultät verbunden, allerdings auch keine Lehrverpflichtung, was für ihn, nach der schweren Erkrankung, von der er sich nie mehr gänzlich erholte, zweifellos eine Befreiung von äußeren Lasten bedeutete. Vom Erwerb der Venia legendi für Handelsrecht und Römisches Recht am 1. Februar 1892 bis zu seinem Tod am 14. Juni 1920 lehrte er, zieht man die Zeit der krankheits­ bedingten Beurlaubungen vom Ende des Sommersemesters 1898 bis zum 1.  Oktober 1903 ab, unter Einschluß des Probesemesters in Wien 17 Seme­ ster, wovon er zwei, das Sommersemester 1898 und das Sommersemester 1920, wegen Erkrankung abbrechen mußte. Dabei verlagerte sich der Schwerpunkt seiner Lehre von der Jurisprudenz (5 Semester) zur National­ öko­ nomie und Finanzwissenschaft (8 Semester), schließlich zur Gesell­ schaftswissenschaft oder Soziologie (4 Semester).2 Hält man sich diese Ent­ wicklung vor Augen, so erwartet man nicht, daß für Max Weber die Universität in seinem Wissenschaftlerleben eine zentrale Rolle spielte. Doch das Gegen­ teil ist richtig. Wie Käthe Leichter aus studentischer Sicht einst beobachtete: „Webers eigentlicher Wirkungsbereich war die Universität.“3 Zwei seiner zentralen Texte, das überarbeitete Gutachten zum Werturteils­ streit im Verein für Socialpolitik, 1917 im Logos unter dem Titel „Vom Sinn der ‚Wertfreiheit‘ in den soziologischen und ökonomischen Wissenschaften“ erschienen,4 und die 1917 gehaltene, 1919 ausgearbeitete Rede „Wissen­ schaft als Beruf“5 zeigen sein vitales Interesse an diesem Thema. Es geht dabei um die äußere und innere Gestaltung der Wertsphäre und Lebensord­ nung Wissenschaft. Max Weber war ein Wissenschaftler, der zwar die meiste Zeit nicht von der Wissenschaft, wohl aber für sie lebte, für den Wissenschaft 2  Ein chronologisches Verzeichnis der Vorlesungen Max Webers von 1892 bis 1920 findet sich u. a. in Weber, Max, Allgemeine Staatslehre und Politik (Staatssoziologie), MWG III/7, S.  123–125. Strenggenommen war auch das Sommersemester 1919 in München noch kein vollwertiges Semester, denn Weber las nur einstündig. 3  Leichter, Käthe, Max Weber als Lehrer und Politiker, in: Max Weber zum Gedächt­ nis, hg. von René König und Johannes Winckelmann. – Köln und Opladen: Westdeut­ scher Verlag 1963, S.  125–142, hier S.  126 (hinfort: Leichter, Max Weber). 4  Weber, Max, Der Sinn der ‚Wertfreiheit‘ der soziologischen und ökonomischen Wis­ senschaften, in: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur, Band 7, Heft 1, 1917, S.  4 0–88 (MWG I/12; hinfort: Weber, Wertfreiheit). Weber sagt, in dieser Fassung seien im Vergleich zum ursprünglichen Text von 1913 „die allgemeinen me­ thodologischen Betrachtungen“ erweitert, ebd., S.  4 0. 5  Weber, Max, Wissenschaft als Beruf, MWG I/17, S.  4 9–111.

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als Beruf zugleich Berufung bedeutete. Er erfüllte alle Rollen, die gemeinhin mit Wissenschaft als Beruf verbunden werden. Natürlich war er in erster Linie Forscher, aber auch akademischer Lehrer, der über den Erziehungsauftrag der Universität reflektierte, und Hochschulpolitiker, dem die Autonomie der Universität am Herzen lag; er war ein Forschungspolitiker, der eine bestimmte Idee von Sozialwissenschaft, konkretisiert mit Hilfe von Forschungsprojekten, durchsetzen wollte, und ein Wissenschaftsorganisator, der für die Verwirkli­ chung dieser Idee die ihr angemessene äußere Verfassung entwickelte. Er war aber auch ein Gutachter, der hohe professionelle Standards an den wis­ senschaftlichen Nachwuchs und die Kollegen anlegte und erheblichen Ein­ fluß auf die Besetzung von wichtigen Professorenstellen in seinem Fach und in den angrenzenden Fächern ausübte. Und er war immer wieder in akade­ mische Affären verstrickt. Schließlich war er ein Laudator, der auch die seinen eigenen Auffassungen entgegenstehenden Ansichten zu würdigen wußte. All dies sind Aspekte seines Wirkens, die sich, wie dieser Band zeigt, in vielfäl­ tiger Weise auch literarisch niederschlugen. Die hier gesammelten überliefer­ ten Dokumente beleuchten Max Weber von einer Seite, die bisher unterbe­ lichtet blieb.6 Werfen wir zunächst einen Blick auf die beiden erwähnten Texte, die Webers grundsätzliche Position zur Wertsphäre und Lebensordnung Wissenschaft widerspiegeln. Beginnen wir mit „Wissenschaft als Beruf“. Weber leitet diese berühmt gewordene Rede bekanntlich mit der Bemerkung ein, es sei „eine gewisse Pedanterie von […] Nationalökonomen“, wenn sie bei einem Thema wie diesem von den äußeren Verhältnissen ausgingen, „hier also von der Frage: Wie gestaltet sich Wissenschaft als Beruf im materiellen Sinne des Wortes?“7 Und er fügt hinzu, man könne sich die Besonderheit der deutschen Verhältnisse nur vergleichend vergegenwärtigen, am besten im Kontrast zu jenen, die in schärfstem Gegensatz dazu stünden, nämlich jenen in den USA. Aber die äußeren Verhältnisse seien nicht allein in ihrer Besonderheit heraus­ zuarbeiten, so kann man Webers Argument in „Wissenschaft als Beruf“ wei­ terführen, sondern sie seien auch daraufhin zu prüfen, welche inneren Ver­ hältnisse sie stützten, was sie aus den unter diesen äußeren Verhältnissen Handelnden machten. Es gehe auch um Gesinnung, um das Ethos von Wis­ senschaft als Beruf. Dies aber verweise auf überindividuelle Kulturgüter, ver­ 6  Am bekanntesten ist die Zusammenstellung von Edward Shils, Max Weber on Uni­ versities: The Power of the State and the Dignity of the Academic Calling in Imperial Germany. – Chicago: University of Chicago Press 1974. Eine gewisse Ausnahme bil­ det der Band: Dreijmanis, John (Hg.), Max Webers vollständige Schriften zu akademi­ schen und politischen Berufen. – Bremen: Europäischer Hochschulverlag 2010 (ur­ sprünglich auf Englisch). Der Anspruch ist freilich völlig überzogen, denn von Voll­ ständigkeit kann keine Rede sein. 7  Weber, Wissenschaft als Beruf, MWG I/17, S.  71.

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lange hier letztlich ein Urteil darüber: „Welches ist der Beruf der Wissenschaft innerhalb des Gesamtlebens der Menschheit? und welches ihr Wert?“8 Für Weber besteht dieser Wert heute offensichtlich darin, den von der Religion begonnenen Entzauberungsprozeß jenseits seiner religiösen Vorausset­ zungen weiterzuführen. Und dies heißt für ihn zugleich, ein Wissen davon zu haben, daß heute die Wertsphäre und Lebensordnung Wissenschaft in einem unversöhnbaren Konflikt mit den übrigen Wertsphären und Lebensordnungen steht.9 Es sei eine der Aufgaben gerade auch der Wissenschaft, uns diese Konflikte wieder deutlich vor Augen zu führen, „nachdem durch ein Jahrtau­ send die angeblich oder vermeintlich ausschließliche Orientierung an dem großartigen Pathos der christlichen Ethik die Augen dafür geblendet hatte.“10 Aber gerade weil dies so ist, dient Weber die moderne Wissenschaft nicht als ein Religionsersatz. Wissenschaft sei vielmehr „heute ein fachlich betriebener ‚Beruf‘ […] im Dienst der Selbstbesinnung und der Erkenntnis tatsächlicher Zusammenhänge, und nicht eine Heilsgüter und Offenbarungen spendende Gnadengabe von Sehern, Propheten oder ein Bestandteil des Nachdenkens von Weisen und Philosophen über den Sinn der Welt“. Und er fügt hinzu: Dies sei „eine unentrinnbare Gegebenheit unserer historischen Situation“.11 Den revidierten Wertfreiheitsaufsatz beginnt Weber mit der Frage, ob eine „durch unser Handeln beeinflußbare Erscheinung als verwerflich oder billi­ genswert“ Gegenstand des akademischen Unterrichts sein solle, und er dis­ kutiert die Möglichkeiten, wie man diese Frage beantworten kann. Dabei ist für ihn von vornherein klar: Nur solche Antworten hält er für diskussionswür­ dig, die anerkennen, daß „die Trennung rein logisch erschließbarer und rein empirischer Sachverhalte einerseits, von den praktischen, ethischen oder weltanschauungsmäßigen, Wertungen andererseits, zu Recht bestehe“. Offen sei nur die Frage, ob „beide Kategorien von Problemen auf das Katheder gehören“ oder nicht.12 Sei man der Meinung, beide gehörten in den Hörsaal, dann sei man auch verpflichtet, „sich selbst unerbittlich klar zu machen: was von seinen jeweiligen Ausführungen entweder rein logisch erschlossen oder rein empirische Tatsachenfeststellung und was praktische Wertung ist.“ Dies sei, angesichts der „Fremdheit der Sphären“, ein Gebot der „intellektuellen Rechtschaffenheit“.13 Ob man aber überhaupt bei Kenntnis und Beachtung dieser Fremdheit, dieser Heterogenität der Sphären, im akademischen Unter­ richt neben den Tatsachenurteilen auch die eigenen Werturteile mitteilen 8  Ebd., S.  88. 9  Dazu auch Weber, Max, Zwischenbetrachtung, in: ders., Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Konfuzianismus und Taoismus, MWG I/19, S.  479–522, hier S.  512 ff. 10  Weber, Wissenschaft als Beruf, MWG I/17, S.  101. 11  Ebd., S.  105. 12  Weber, Wertfreiheit (wie oben, S.  2, Anm.  4), S.  4 0 f. 13  Ebd., S.  41.

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solle, hänge davon ab, wie man für sich selbst die Rolle des akademischen Lehrers definiere: ob man die Studenten zum Kultur- oder zum Fachmen­ schentum erziehen wolle. Weber bekennt sich zu letzterem, dazu, „daß die akademischen Hörsäle heute ihre wirklich wertvollen Wirkungen nun einmal nur durch fachmäßige Schulung seitens fachmäßig Qualifizierter entfalten und deshalb die ‚intellektuelle Rechtschaffenheit‘ die einzige spezifische Tugend sei, zu der sie zu erziehen haben.“14 Dies freilich nicht, um aus den Studenten Fachidioten zu machen, sondern um sie zu reflektierten Fachmen­ schen, zu Menschen mit Fachbildung, man kann auch sagen: zu Fachmen­ schen mit Geist, zu erziehen. Ein solcher Mensch habe gelernt, daß die letz­ ten Lebensentscheidungen sich mit Fachschulung gerade nicht lösen lassen und daß die „rückhaltlose Hingabe an eine ‚Sache‘“ eine spezifische Art von Selbstbegrenzung verlangt.15 Diese Stellungnahme zur Rolle der modernen Wissenschaft sowie zur Rolle des akademischen Lehrers findet sich zwar erst im Spätwerk, hat aber eine lange Vorgeschichte. Manches, wie das Postulat der Werturteilsfreiheit, steht früh fest, manches entwickelt sich später erst. Die in diesem Band versammel­ ten Texte erlauben einen Einblick in diese ineinander verschränkten Prozesse. Bei der Gliederung des Stoffes orientieren wir uns an den verschiedenen Aufgaben, die sich gemeinhin mit Wissenschaft als Beruf verbinden, und fra­ gen, mit welchen Maßstäben Max Weber sie bestimmte.

2.  Der Hochschullehrer Wir beginnen mit dem Hochschullehrer. Dieser ist für Weber zunächst einmal Forscher und als solcher ein Fachmann, der die Ergebnisse methodisch kon­ trollierter harter Arbeit mit Leidenschaft zu vermitteln weiß. In „Wissenschaft als Beruf“ heißt es, „eine wirklich endgültige und tüchtige Leistung ist heute stets: eine spezialistische Leistung.“ Um sie zu erreichen, müsse man sich „Scheuklappen“ anziehen und in die Vorstellung hineinsteigern können, „daß das Schicksal seiner Seele davon abhängt: ob [man] diese, gerade diese Konjektur an dieser Stelle dieser Handschrift richtig macht“.16 Den Beruf zur Wissenschaft habe nur, wer fähig sei, in diesem Sinne „rein der Sache“ zu dienen. Und nur wer ihr so diene, könne hoffen, daß mit der harten, entsa­ gungsvollen Arbeit auch irgendwann der weiterführende Einfall kommt. Das Erlebnis der Wissenschaft bestehe in dieser Verbindung von Arbeit und Ein­ fall. Denn „der Einfall ersetzt nicht die Arbeit. Und die Arbeit ihrerseits kann 14  Ebd., S.  42. 15  Ebd., S.  45. 16  Weber, Wissenschaft als Beruf, MWG I/17, S.  8 0 f.

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den Einfall nicht ersetzen oder erzwingen, so wenig wie die Leidenshaft es tut.“17 Die Grundlage der Lehre ist also die Forschung. Wie bereits gesagt, ver­ stand sich Max Weber als ein Forscher, der sich in der Lehre bewußt jeder „Kathederwertung“ enthält. Er hatte dafür außer kulturellen – Polytheismus der Werte – auch institutionelle Gründe. Denn der Hörsaal, so seine These, steht unter dem „Privileg der Unkontrolliertheit“ und ist damit, wegen der vielfäl­ tigen Abhängigkeit des Studenten vom Professor, ein Ort möglicher Indoktri­ nation.18 Die Beziehung zwischen Professor und Student ist ja tatsächlich, zunächst jedenfalls, wegen der Kompetenzlücke asymmetrisch. Deshalb kann dieses „Privileg der Unkontrolliertheit“, so Weber, überhaupt nur „für den Bereich der rein fachlichen Qualifikation des Professors“ bestehen.19 Weil hier also die äußere Kontrolle des Professors schwach ist, muß seine innere stark sein. Nur dann läßt sich ein solches Privileg rechtfertigen. Daraus erklärt sich Max Webers scharfe Polemik gegen die „Professoren-Prophetie“, gegen die Professoren, die in der „angeblich objektiven, unkontrollierbaren, diskus­ sions­losen und also vor allem Widerspruch sorgsam geschützten Stille des vom Staat privilegierten Hörsaals ‚im Namen der Wissenschaft‘ maßgebende Kathederentscheidungen über Weltanschauungsfragen zum besten zu geben sich herausnehmen.“20 Darin sieht er einen eklatanten Mißbrauch der Lehr­ freiheit. Denn im Hörsaal habe der Student von seinem Lehrer keine Weltan­ schauung, sondern neben Fachwissen vor allem drei Fähigkeiten, man kann auch sagen: Tugenden, zu lernen (zusätzlich zu oder als Spezifikation von intellektueller Rechtschaffenheit): „1. die Fähigkeit, sich mit der schlichten Erfüllung einer gegebenen Aufgabe zu bescheiden; – 2. Tatsachen, auch und gerade persönlich unbequeme Tatsachen, zunächst einmal anzuerkennen und ihre Feststellung von der bewertenden Stellungnahme dazu zu scheiden; – 3. seine eigene Person hinter die Sache zurückzustellen und also vor allem das Bedürfnis zu unterdrücken: seine persönlichen Geschmacks- und son­ stigen Empfindungen ungebeten zur Schau zu stellen.“21 All dies aber könne nur derjenige Lehrer dem Studenten vermitteln, der selbst diese Fähigkeiten oder Tugenden besitzt und sie im Hörsaal lebt. Max Weber betont hier den Unterschied zwischen Vorlesung und Vortrag, Lehre und öffentlichem Auftritt. Letzterer genießt kein „Privileg der Unkontrol­ liertheit“, sondern ist dem „Hineinreden der Öffentlichkeit, z. B. der Presse-Öf­ fentlichkeit“, ausgesetzt.22 Wir erfahren aus diesem Band, wie sehr Weber mit 17  Ebd., S.  82. 18  Weber, Wertfreiheit (wie oben, S.  2, Anm.  4), S.  4 3. 19 Ebd. 20 Ebd. 21  Ebd., S.  44. 22  Ebd., S.  43.

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öffentlichen Auftritten dieses Hineinreden der Öffentlichkeit, gerade auch der Presse, provozierte. Dieser begnadete Rhetor wußte die Öffentlichkeit durch zugespitzte Formulierungen auf sich aufmerksam zu machen, auch gegen sich aufzubringen. Im Urteil seiner Gegner galt er bei öffentlichen Auftritten als „exzentrisch und rücksichtslos“.23 Aber im Hörsaal wußte er sich zu mäßi­ gen. Die bereits zitierte Käthe Leichter bezeugt es: „Und wer das Glück hatte, Weber als Lehrer zu kennen, der erinnert sich, daß dies gerade [gemeint ist: die rückhaltlose Hingabe an eine Sache, W.S.] den großen unauslöschlichen Eindruck des Mannes auf die Jugend ausgemacht hatte; daß er dies wirklich charismatische Führertum, von dem er so oft sprach, auch besaß, sich aber streng hütete, Seelenfang zu treiben, um Gefolgschaft zu werben, daß der Mann des leidenschaftlichsten Temperaments und der impulsivsten Wer­ tungen Temperament und Leidenschaften bändigte, sobald er im Namen der Wissenschaft sprach, nur um die strengste Sachlichkeit walten zu lassen“.24 Gerade dadurch ging von seinem Auftreten im Hörsaal auch Pathos aus, das Pathos der Nüchternheit. Weber wollte seine studentischen Hörer also nicht „zur Konfusion verschie­ dener Sphären miteinander“ verführen.25 Die selbstauferlegte Beschränkung im Hörsaal kostete ihn nach eigenem Bekunden aber viel Kraft. Nach der langen Abstinenz von der Lehre machte er in Wien die Erfahrung, wie sehr ihn der Hörsaal forderte, ja überforderte. Am 30. April 1918, nach der ersten Vorlesung, heißt es in einem Brief an Marianne Weber: „Es ‚schlaucht‘ mich gewaltig! Lieber 10 ‚Vorträge‘ frei, als 2 Kollegstunden! Muß sehen, ob ich es durchhalte.“26 Und eine Woche später: „Herrgott, ist das eine Strapaze! 10 Vorträge sind nichts gegen 2 Stunden. Einfach das Gebundensein an Dispo­ sition, an Nachschreibenkönnen der Leute“.27 Als er die Berufung nach Wien schließlich ablehnte, war die mit dem Ordinariat zwingend verbundene Ver­ pflichtung, regelmäßig auch große Routinevorlesungen abzuhalten, einer der wichtigsten Gründe dafür.28 Als er sich dann doch zur Rückkehr in die Uni­ versität entschloß, äußerte er den Wunsch, keine „Riesenkollegien“ mehr, son­ 23  Dazu die Zeitungsausschnitte und internen Vermerke im Zusammenhang mit dem Berufungsverfahren in München, zusammengestellt in der Editorischen Vorbemer­ kung zum Brief Max Webers an Franz Matt vom 2. Februar 1919, in: MWG II/10, S.  423–425, hier S.  424. Ferner Webers Selbsteinschätzung im Zusammenhang mit dem Fall Arco in seinem Brief an Friedrich von Müller vom 20. Januar 1920, ebd., S.  893–896, hier S.  895. 24  Leichter, Max Weber (wie oben, S.  2, Anm.  3), S.  128. 25  Weber, Wertfreiheit (wie oben, S.  2, Anm.  4), S.  41. 26 Brief Max Webers an Marianne Weber, nach dem 30. April 1918, MWG II/10, S.  157 f., hier S.  157. 27  Brief Max Webers an Marianne Weber vom 7. Mai 1918, MWG II/10, S.  166 f., hier S.  166. 28  Brief Max Webers an das k.k. Ministerium für Kultus und Unterricht vom 5. Juni 1918, MWG II/10, S.  179–182, bes. S.  181.

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dern nur noch „strenge Fach-Vorlesungen“ zu halten, und dies auch nicht auf dem Gebiet der Nationalökonomie, sondern der Soziologie.29 Vor seiner Krankheit scheint Weber allerdings das übliche Stundendeputat eines Ordi­ narius leicht bewältigt zu haben. Da war er noch ein Kraftmensch, wie es in einer Stellungnahme heißt.30 Dies hatte sich durch die Krankheit geändert. Nach der Probevorlesung an der Universität Wien stellte er resigniert fest, er habe die Fähigkeit zu lehren weitgehend verloren. Er traute sich nur noch wenig zu, ein reduziertes Stundendeputat und Vorlesungen zu seinen For­ schungsinhalten, nicht aber die in der Nationalökonomie üblichen Standard­ vorlesungen, ferner vor allem seminaristische Veranstaltungen in kleinem Kreis.31 Nur hier scheint er sich wirklich wohlgefühlt zu haben. Wie einer sei­ ner Studenten berichtet: „Sein Seminar leitete Max Weber in ungezwungener Haltung. Zur Aussprache stützte er sich auf den Tisch der vordersten Bank, mitten unter die Doktoranden. Die Diskussion war lebhaft und für einen Neu­ ling überwältigend.“32

29  Brief Max Webers an Carl Heinrich Becker vom 9. Febr. 1919, MWG II/10, S.  4 35– 437, hier S.  4 36. Ähnlich auch im Brief an Franz Matt vom 1. April 1919, wo es heißt, er wolle keine „‚Pflicht‘- und Anfänger-Vorlesungen, sondern strenge Fachkollegien hal­ ten“, ebd., S.  5 63 f., hier S.  5 63. Seine erste Vorlesung in München, über die „Allge­ meinsten Kategorien der Gesellschaftswissenschaft“, war dann auch ein solches Kol­ leg. 30  Die Universität München bat im Vorfeld der geplanten Berufung um Auskunft, ob Webers Gesundheitszustand eine Berufung zulasse. Die Antwort des befragten Hei­ delberger Anglisten Johannes Hoops war positiv. Vgl. seinen Brief vom 21. Juni 1917, UA München, Sen. 346. Dort heißt es u. a.: „Weber war früher nicht nur geistig, son­ dern auch körperlich ein Kraftmensch: aber er hat lange reichlich unvernünftig mit seiner Nervenkraft gewirtschaftet, bis sie schließlich zusammenbrach.“ Und weiter: „Seitdem hat sich sein Zustand längst soweit gebessert, daß er nicht nur andauernd die intensivste wissenschaftliche Tätigkeit entfaltet, […] sondern auch öffentliche Vor­ träge mit größten Erfolgen hält und zweifellos imstande wäre, auch die Pflichten eines vollen akademischen Lehramts wieder zu übernehmen.“ 31 Die Lehrbelastung der Ordinarien war beträchtlich, sie lag für Weber vor der Krankheit zwischen 6 und 9 Semesterwochenstunden, und dies bei sich verschlech­ ternder Betreuungsrelation wegen der wachsenden Studentenzahlen. Immerhin wa­ ren die Professoren sehr gut bezahlt. In München handelte Weber dann in der Beru­ fungsverhandlung ein reduziertes Stundendeputat und verminderte Prüfungspflich­ ten aus. Das waren Privilegien, welche die unmittelbaren Kollegen nicht hatten. Deshalb erwog er auch noch nach der vollzogenen Berufung, ob eine Professur un­ terhalb des Ordinariats für ihn nicht angemessener wäre. Vgl. Weber, Neubesetzung des Lehrstuhls v. Mayr I, unten, S.  6 42. 32  Rehm, Max, Erinnerungen an Max Weber, in: Max Weber zum Gedächtnis, hg. von René König und Johannes Winckelmann. – Köln und Opladen: Westdeutscher Verlag 1963, S.  24–28, hier S.  27. Solche Diskussionen mit Studenten in kleinem Kreis hatte er ja seit 1910 auch in Heidelberg in der Ziegelhäuser Landstraße 17 gepflegt.

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Trotz des subjektiv gefühlten Unvermögens war Webers Vorlesungen zunächst in Wien, dann in München ein großer Erfolg beschieden. Sie galten als ein Ereignis und lockten Hörer aller Fakultäten und auch von außerhalb an.33 Dazu trug sicherlich bei, daß er nicht nur durch seine Forschung, son­ dern vor allem durch seine politische Publizistik inzwischen eine öffentliche Figur war, von der man erwartete, sie trage „als Professor den Marschallstab des Staatsmanns (oder des Kulturreformers) im Tornister“.34 Daß Weber sich dann in seinen Vorlesungen von diesen Rollen fernhielt, löste sicherlich mit­ unter auch Enttäuschung aus.35 Aber er beachtete strikt die von ihm propa­ gierte Selbstbeschränkung, die allein die Lehrfreiheit an der Universität recht­ fertige. Und dies, obgleich er diese Lehrfreiheit als Institution in Deutschland durchaus bedroht sah.

3.  Der Hochschulpolitiker Dies führt uns zu Max Weber, dem Hochschulpolitiker. Hier steht die institu­ tionelle Rolle des Wertfreiheitpostulats im Mittelpunkt. Denn dieses Postulat hat bei ihm neben der methodologischen auch eine institutionelle Seite. Nur eine Universität, die dieses Postulat beachtet und es institutionell verankert, kann die Lehrfreiheit sichern und damit ihre Autonomie. Wenn man von Max Weber als einem Vertreter des Wertfreiheitspostulats spricht, denkt man gemeinhin an seine methodologischen Schriften. Und dies zweifellos mit Recht. Spätestens seit der Freiburger Antrittsvorlesung von 1895 führt er einen Kampf mit dem Ziel, die ökonomischen und soziologischen

33  Dies gilt besonders für die Vorlesung über Sozial- und Wirtschaftsgeschichte im Wintersemester 1919/20. Dazu der Editorische Bericht in: Weber, Abriß der univer­ salen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, MWG III/6, S.  4 9–67, hier S.  5 4 f. 34  Weber, Wertfreiheit (wie oben, S.  2, Anm.  4), S.  4 4. 35  Ein Beispiel ist die Reaktion von Helmuth Plessner. Er habe Weber zum ersten Mal in München als Dozent erlebt „in einem Kolleg mit dem apotropäischen Titel: Einige Kategorien der verstehenden Soziologie [Der Titel lautete: Die allgemeinsten Katego­ rien der Gesellschaftswissenschaft, W.S.]. Der Besuch ließ auch rasch nach, was ihm nur recht war. Darstellung lag ihm nicht, weder im Kolleg noch im Buch. Prophetie gar auf dem Katheder haßte er. Ein überfülltes Kolleg – oder war es eine der damals häu­ figen Studentenversammlungen? – begann er mit dem George-Zitat: Schon Ihre Zahl ist Verbrechen. Sein rednerisches Können verbannte er, wenn er dozierte. In dem Kategorien-Kolleg gab er, ein wahres Bild innerweltlicher Askese, soweit ich mich erinnere, pure Definitionen und Erläuterungen: Trockenbeerauslese, Kellerabzug.“ Plessner, Helmuth, In Heidelberg 1913, in: Max Weber zum Gedächtnis, hg. von René König und Johannes Winckelmann. – Köln und Opladen: Westdeutscher Verlag 1963, S.  30–34, hier S.  34.

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Wissenschaften, wie es später heißt, auf dieses Postulat zu verpflichten.36 Es spielt eine zentrale Rolle im Jahre 1904, als er zusammen mit Edgar Jaffé und Werner Sombart die Herausgeberschaft des Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik übernimmt,37 es wird von ihm 1909 in die Satzung der neu gegründeten Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) hineingeschrie­ ben,38 und er streitet dafür 1914 auf der internen Tagung des Vereins für Socialpolitik.39 Es ist Ausdruck von Webers methodologisch begründeter Überzeugung, Sollen impliziere zwar Können, nicht aber Können Sollen, und zwischen der Wertsphäre und der Seinssphäre bestehe ganz allgemein eine Kluft. Die Wertsphäre, Weber sagt auch, die Geltungssphäre, und die Seins­ sphäre folgten verschiedenen Gesetzen. Zwar seien Werte sowohl Vorausset­ zung wie auch Gegenstand ökonomischer und soziologischer Analyse. Aber dies hebt für ihn den kategorialen Unterschied zwischen Tatsachenurteil und Werturteil nicht auf. Die wertbezogene Analyse von Werten in ökonomischen und sozialen Zusammenhängen könne und müsse werturteilsfrei erfolgen. Davon war Weber Zeit seines Lebens überzeugt. Neben diesem methodologischen Verständnis des Wertfreiheitspostulats steht das institutionelle. Nur wenn man zwischen Tatsachenurteilen und Wert­ urteilen, Fachkompetenz und Weltanschauung sauber trenne, ließen sich Lehrfreiheit und Autonomie der Universität verteidigen, nur dann könne man sicherstellen, daß Studenten nicht indoktriniert werden und die Universität nicht zu einer Kirche oder Sekte verkommt. Für Max Weber ist das verwirk­ lichte Wertfreiheitspostulat die Voraussetzung dafür, dem Studenten neben praktisch nützlichem Wissen zu Klarheit und zur Entwicklung eines Verant­ wortungsgefühls zu verhelfen, dazu, „sich selbst Rechenschaft zu geben über den letzten Sinn seines eigenen Tuns“.40 Es ist aber auch eine Voraussetzung dafür, daß bei der Rekrutierung des Lehrkörpers nicht die religiöse, weltan­ schauliche oder politische Orientierung oder besondere Umstände der Lebensführung des Kandidaten entscheiden, sondern allein die durch Publi­ 36  Weber, Max, Der Nationalstaat und die Volkwirtschaftspolitik. Akademische An­ trittsrede, MWG I/4, S.  5 35–574, bes. S.  5 58 ff. 37  Weber, Max, Die ‚Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Er­ kenntnis, in: AfSSp, Band 19, Heft 1, 1904, S.  2 2–87 (MWG I/7; hinfort: Weber, Objek­ tivität). 38  §  1 des „Statuts der Deutschen Gesellschaft für Soziologie“, vgl. das Leipziger und das Frankfurter Statut, unten, S.  8 60 und 864. 39  Das Gutachten, das Max Weber für die interne Tagung des Vereins für Socialpolitik erstellte, wurde zunächst nur als Manuskript gedruckt, dann 1917 überarbeitet im Logos veröffentlicht. Weber, Max, [Beitrag zur Werturteildiskussion], in: Äußerungen zur Werturteildiskussion im Verein für Sozialpolitik. Als Manuskript gedruckt 1913, S.  8 3–120 (MWG I/12) (hinfort: Weber, Beitrag zur Werturteildiskussion), und Weber, Wertfreiheit (wie oben, S.  2, Anm.  4). 40  Weber, Wissenschaft als Beruf, MWG I/17, S.  104.

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kationen bewiesene Fachqualifikation, die nur von Fachgenossen beurteilt werden kann. In dieser Hinsicht fand Weber die Hochschulen des deutschen Kaiserreichs nicht auf der Höhe. Im internationalen Vergleich kamen ihm die deutschen Universitäten bezogen auf die Freiheit von Forschung und Lehre eher rück­ ständig vor. War man Jude oder Sozialdemokrat, gar jüdischer Sozialdemo­ krat, hatte man nur eine geringe Chance, eine Professur zu erlangen. Entwe­ der wurde man wegen seiner ‚Gesinnung‘ von den Fakultäten nicht vorge­ schlagen oder, wenn doch, vom Ministerium nicht ernannt.41 Webers Beispiele aus seinem engeren Bekanntenkreis sind Georg Simmel und Robert Michels. Dem Juden Simmel verwehrte man lange die ordentliche Professur, dem So­zial­demokraten Michels die Habilitation.42 Aber es ging ihm nicht allein um die häufig nicht objektiven Berufungs- und Prüfungsverfahren. Immer wieder griffen die Ministerien auch mehr oder weniger offen in inneruniversitäre Pro­ zesse ein. Das wurde begünstigt durch eine stille Koalition zwischen Teilen der Professorenschaft und den Ministerien.43 All dies empörte Max Weber und war Gegenstand seiner teilweise heftigen Kritik. Rücksichtslos, aber auch ironisch sind viele seiner Stellungnahmen zu die­ sen Fragen, mitunter auch überzogen. Weber spielt seine Unabhängigkeit, die Tatsache, daß er kein universitäres Amt bekleidet und auch keines anstrebt, in den Diskussionen voll aus. Ein Beispiel dafür sind seine Auftritte auf den Hochschullehrertagen. Hier macht er Äußerungen, die sofort in die Öffentlichkeit gelangen und weite Kreise ziehen. Der Hochschullehrertag verstand sich als Zusammenschluß vor allem von süddeutschen und österreichischen Hochschullehrern, Ordinarien und Nicht­ ordinarien, zur gemeinsamen Interessenvertretung und zur Reform des Hoch­ schulwesens. Der erste Hochschullehrertag fand am 8. und 9. September

41  Weber sagte einmal, wenn er in einem Berufungsverfahren um ein Gutachten ge­ fragt werde, mache er mitunter zwei Listen: eine mit jüdischen und eine mit nichtjü­ dischen Wissenschaftlern. Der Dritte auf der jüdischen Liste sei immer noch besser als der Erste auf der nichtjüdischen Liste. Aber er sei sicher, der Ruf ergehe an einen auf der nichtjüdischen Liste. Vgl. Honigsheim, Paul, Erinnerungen an Max Weber, in: Max Weber zum Gedächtnis, hg. von René König und Johannes Winckelmann. – Köln und Opladen: Westdeutscher Verlag 1963, S.  161–271 (hinfort: Honigsheim, Erinne­ rungen), hier S.  172. Als Lujo Brentano in einer scharfen Rezension von Franz Eulen­ burgs Schrift über den akademischen Nachwuchs eine (scherzhaft gemeinte) antise­ mitische Bemerkung machte, replizierte Weber, es sei „heut nicht an der Zeit, antise­ mitische Scherze zu machen, wo wir immer wieder die dümmste ‚arische‘ Impotenz den tüchtigsten Juden vorgezogen werden sehen.“ Brief Max Webers an Lujo Brenta­ no vom 18. August 1908, MWG II/5, S.  6 43 f., hier S.  6 44. 42  Vgl. Weber, Über die Lehrfreiheit an deutschen Universitäten, unten, S.  124. 43  Dazu Webers Urteil über Schmoller und seine Beratertätigkeit: Weber, Gutachten Wien, unten, S.  613 f.

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1907 in Salzburg statt.44 Mit Salzburg hielt man Distanz zu Preußen, mit des­ sen Hochschulpolitik viele Hochschullehrer nicht einverstanden waren. Mit Salzburg brachte man auch zum Ausdruck, daß man, wie dies bei der Eröff­ nung der Versammlung von österreichischer Seite formuliert wurde, „die gei­ stige Gemeinschaft unserer wissenschaftlichen Entwicklung mit dem großen Deutschen Reiche“ nicht aufgeben wollte, und daß es durch den Hochschul­ lehrertag möglich werde, „in den gemeinsamen Fragen des Hochschul­ wesens mit den deutschen Kollegen Hand in Hand zu gehen“.45 Diese gemeinsamen Fragen aber betrafen, wie man dem Einladungsschreiben zur Gründung des Hochschullehrertags entnehmen kann, vor allem die Verstaat­ lichung des Hochschulwesens, die mit einer empfindlichen Einschränkung der Hochschulautonomie verbunden war: „Nicht wissenschaftliche Tüchtig­ keit, Unbeugsamkeit des Charakters, hervorragende Begabung zum Lehrer blieben die einzigen Gesichtspunkte, die bei der Besetzung von Lehrstellen immer den Ausschlag gaben, sondern häufig taten dies die Eigenschaften des Beamten, welche diesen dem jeweils herrschenden Regiment als wertvoll erscheinen ließen“, so heißt es dort. Zum „vorbereitenden Komitee“ gehörten unter anderem Lujo Brentano, Ludo Moritz Hartmann und Werner Sombart, und unter den mehr als 50 Personen, die die Gründung unterstützten, befan­ den sich auch Karl Bücher, Eberhard Gothein und Alfred Weber. Max Weber allerdings unterschrieb nicht. Dennoch dürfte er die Gründung mit Sympathie betrachtet haben. Denn auch er kämpfte gegen das „System Althoff“ und gegen das Kartell der deutschen Kulturministerien in Berufungsfragen und für den Erhalt der Hochschulautonomie.46 Schon auf dem ersten Hochschullehrertag, an dem Max Weber noch nicht teilnahm, hatte Alfred Weber auf den Fall Robert Michels verwiesen, freilich ohne den Namen zu nennen. Für Max Weber dient er auf dem zweiten Hoch­ schullehrertag, der am 28. und 29. September 1908 in Jena stattfand, als 44  Vgl. Verhandlungen des ersten deutschen Hochschullehrer-Tages zu Salzburg im September 1907, hg. von dem engeren Ausschuß für 1907/1908. – Straßburg: Karl J. Trübner 1908. 45  Ebd., S.  1. 46 In dem Einladungsschreiben zum Hochschullehrertag heißt es weiter: „Diese nachteiligen Wirkungen machen sich um so mehr geltend, je mehr Hochschulen infol­ ge zunehmender staatlicher Zentralisation in der Hand einer Verwaltung vereinigt worden sind und je mehr die noch fortbestehenden staatlichen Verwaltungen dazu geschritten sind, sich in Hochschulangelegenheiten unabhängig von den Hochschu­ len zu verständigen. Auch in Angelegenheiten, die sehr gegen ihre Interessen ent­ schieden werden, bleibt den Hochschulen dann nur noch verdrießliche Unterwer­ fung. Die letzten Reste von Autonomie, die den Hochschulen geblieben sind, erschei­ nen damit in Frage gestellt.“ Ebd., S. III. Der Hochschullehrertag wurde freilich von Beginn an als „Professoren-Gewerkschaft“ diffamiert. Dazu Delbrück, Hans, Eine Professoren-Gewerkschaft, in: Preußische Jahrbücher, Band 129, 1907, S.  129–142, und der Brief Max Webers an Lujo Brentano vom 18. Aug. 1908, MWG II/5, S.  6 43 f.

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Beispiel dafür, daß nicht nur wegen des Handelns der Universitätsverwal­ tungen, sondern auch wegen der ‚Gesinnung‘ vieler etablierter Professoren von Lehrfreiheit an deutschen Universitäten nicht die Rede sein kann. In einer im Vorfeld der Tagung veröffentlichten Zuschrift an die Frankfurter Zeitung vom 20. September 1908 formuliert er, nachdem er ausführlich den Fall Michels geschildert hat:47 „Jedenfalls aber ist im Interesse des guten Geschmacks und auch der Wahrhaftigkeit zu verlangen, daß man uns hinfort nicht, wie es wieder und wieder geschehen ist, von der Existenz einer ‚Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre‘ in Deutschland reden möge. Denn Tatsa­ che ist doch, daß die angebliche ‚Lehrfreiheit‘ offenkundig 1) an den Besitz politisch hof- und salonfähiger Ansichten und überdies 2) daran geknüpft ist, daß man ein bestimmtes Minimum kirchlicher Gesinnung betätigt48 und, even­ tuell, erheuchelt. In Deutschland besteht die ‚Freiheit der Wissenschaft‘ innerhalb der Grenzen der politischen und kirchlichen Hoffähigkeit – außerhalb derselben nicht.“49 Weber hatte seine Zuschrift an die Frankfurter Zeitung bereits vor der Tagung verfaßt, weil er sich nicht sicher war, ob er an ihr teilnehmen werde,50 ihm aber das Thema „Freiheit von Forschung und Lehre“, das auf dem Hoch­ schullehrertag verhandelt werden sollte, offensichtlich sehr am Herzen lag. Dieser ungewöhnliche Schritt, bereits vor der Tagung an die Öffentlichkeit zu treten, lag auch deshalb nahe, weil Karl von Amira die Thesen, die er der Debatte der Jenaer Tagung zugrunde legen wollte, auch schon vorher in den Münchner Neuesten Nachrichten veröffentlicht hatte. Amira behandelt darin vor allem die Gefahren, die der Freiheit von Forschung und Lehre durch den Klerikalismus drohen. Weber hielt Amiras Thesen zwar im Grundsatz für rich­ tig, aber für zu begrenzt und wohl auch für zu zahm. Als er dann doch in Jena erschien, stritt er, zusammen mit seinem Bruder, für die Freiheit von Forschung 47  Vgl. dazu auch die spätere Zuschrift an die Hochschulnachrichten vom November 1908: Weber, Sozialdemokraten im academischen Lehramt, unten, S.  120 f. 48  Michels hatte seine Kinder nicht taufen lassen. 49  Weber, Die sogenannte Lehrfreiheit, unten, S.  118–121. 50 Es scheint, als habe er zunächst nicht aus zeitlichen, sondern aus sachlichen Gründen nicht teilnehmen wollen, weil er die Sache durch Brentano für verdorben hielt. Dessen scharfe Attacke gegen die Schrift von Franz Eulenburg über den akade­ mischen Nachwuchs, welche dieser im Auftrag des Salzburger Hochschullehrertags für den Jenaer Hochschullehrertag verfaßt hatte, ärgerte Weber, weil er damit Del­ brück Recht gegeben hätte: „Ich komme jetzt bestimmt nicht nach Jena, wie ich ur­ sprünglich wollte. Die Sache scheint mir tot, – Delbrück hat Recht behalten.“ Brief Max Webers an Lujo Brentano vom 18. Aug. 1908, MWG II/5, S.  6 43 f., hier S.  6 44. Dieser hatte gegen den Hochschullehrertag als eine Professoren-Gewerkschaft pole­ misiert. Bei Brentanos scharfer Attacke führte vermutlich seine Verärgerung über die Münchener Verhältnisse die Feder. Hier hatte die Vereinigung der Privatdozenten den Aufstand gegen die Ordinarien geprobt, was das vom Hochschullehrertag ange­ strebte Bündnis zwischen Ordinarien und Nichtordinarien infrage stellte.

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und Lehre in einem umfassenden Sinne. Allerdings waren die beiden Brüder mit ihrer Intervention nur begrenzt erfolgreich. Die von Alfred Weber einge­ brachte Resolution wurde nicht verabschiedet, sondern ihre Behandlung auf den nächsten Hochschullehrertag vertagt.51 Max Weber war das Thema so wichtig, daß er sich entschloß, im Anschluß an die Diskussionen auf dem zweiten Hochschullehrertag seine Gedanken zur Lehrfreiheit in einem Artikel niederzulegen. Darin finden wir all das, was auch in den späteren, oben besprochenen Schriften steht. Weber führt bereits hier den Kampf gegen die „Kathederwertung“ kompromißlos, weil nur Wert­ freiheit die Lehrfreiheit im umfassenden Sinne sichern könne: „Die Universi­ täten haben weder ‚staatsfeindliche‘, noch ‚staatsfreundliche‘, noch irgend­ welche andere Weltanschauung zu lehren. Sie sind keine Anstalten, welche Gesinnungsunterricht zu treiben haben. Sie analysieren Tatsachen und ihre realen Bedingungen, Gesetze und Zusammenhänge, und sie analysieren Begriffe und ihre logischen Voraussetzungen und Inhalte. Dagegen lehren sie nicht und können nicht lehren: was geschehen soll, – denn dies ist Sache der letzten persönlichen Werturteile, der Weltanschauung, die nichts ist, was man ‚beweisen‘ könnte wie einen wissenschaftlichen Lehrsatz.“52 Von der Pflicht zur Selbstbescheidung, zur intellektuellen Rechtschaffenheit ist die Rede. Bis in die Wortwahl klingen bereits hier die Aussagen der späteren Texte an. Wollte man die Kathederwertung zulassen, so Weber, wäre es nur konse­ quent, sie allen Richtungen zu gewähren. Was man dann bekäme, wäre „‚Lehrfreiheit‘ auf dem Boden des ‚Gesinnungsunterrichts‘.“53 Interessanter­ weise äußert sich Weber in diesem Zusammenhang auch zu den theolo­ gischen Fakultäten. Er unterscheidet Probleme der Religion, die in die Mauern der Universität gehören, von solchen, für die dies seiner Ansicht nach nicht gilt: „Daß heute auch diese letzteren, nur dogmatisch gebunden zu behan­ delnden Disziplinen und die apologetischen und praktischen Fächer[,] statt durch Institutionen freier kirchlicher Gemeinschaften, durch staatlich ange­ stellte, aber dabei in ihrer Lehrfreiheit beschränkte Hochschullehrer behan­ delt werden, entspringt keinerlei Bedürfnissen des religiösen Lebens, sondern

51 Die Brüder wollten folgende Resolution durchsetzen: „Damit die Hochschulen Stätten absolut unabhängiger Forschung und Lehre sein können, darf Weltanschau­ ung und politische Stellung des Forschers oder Lehrers niemals ein Grund der Nicht­ zulassung oder des Ausschlusses von ihnen sein.“ Vgl. Weber, Über die Lehrfreiheit der deutschen Universitäten, unten, S.  124. Auf dem nächsten Hochschullehrertag in Leipzig wurde dann diese Frage der Zulassung ausführlich behandelt, und Max We­ ber fragte die Versammlung, warum dies nicht bereits in Jena geschehen sei. Vgl. Weber, Die Auslese für den akademischen Beruf, unten, S.  780. 52  Weber, Die Lehrfreiheit der Universitäten, unten, S.  133 f. 53  Ebd., unten, S.  136.

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allein dem Wunsche staatlicher Kulturreglementierung.“54 Weber denkt hier an Holland vor der Kuyperschen Reform, aber vermutlich auch an die Verei­ nigten Staaten, wo dieser Wunsch in dieser Form jedenfalls zu dieser Zeit nicht bestand. Doch der eigentliche Paukenschlag folgt auf dem Hochschullehrertag in Dresden, wo Weber sich am 13. Oktober 1911 zum sogenannten „System Althoff“ und zu den Handelshochschulen äußerte, beides mit Wirkungen, die ihn noch lange beschäftigten. Sie sind nicht zuletzt Folge der Tatsache, daß der Hochschullehrertag inzwischen im Blickpunkt der Öffentlichkeit stand. Hatte man in Salzburg noch nichtöffentlich getagt, so waren die Sitzungen seit Jena öffentlich. Die Presse saß gewissermaßen mit am Tisch, und die Journa­ listen warteten mit ihren Berichten nicht, bis das genehmigte Protokoll der Tagung vorlag. Sie gaben das Gehörte wieder, und damit stellte sich vermehrt die Frage, ob das Gehörte auch das Gesagte oder das Gemeinte war. So jedenfalls verhält es sich im Falle Max Webers. Die Presseberichte im unmittelbaren Anschluß an seine Diskussionsbeiträge verbreiteten sich schnell und lösten, weil Weber sich unvollständig oder gar falsch zitiert fand, von seiner Seite eine Serie von Dementis und Klarstellungen aus. Die daraus entstandenen Auseinandersetzungen wurden ‚reichsweit‘ wahrgenommen. Sie beschäftigen nicht nur die akademischen Kreise im engeren Sinn. Was waren die Steine des Anstoßes? Gehen wir sie kurz für beide Themen getrennt durch. Zunächst also zum „System Althoff“. Dies führt in die Ver­ gangenheit, denn als Weber das „System Althoff“ angreift, war sein Urheber, der Ministerialdirektor im preußischen Kultusministerium, Friedrich Althoff, bereits seit einigen Jahren tot. Aber die Art und Weise, wie Althoff das preu­ ßische Hochschulwesen gelenkt und wie er die Hochschulverwaltungen der deutschen Staaten beeinflußt hatte, wirkte weiter. Und darauf richtet sich die Kritik. Weber kleidet seine Kritik an diesem „System“ in die Erinnerung an einen Vorgang, den er, wie sich schließlich herausstellte, allerdings nicht mehr in allen Einzelheiten präsent hatte. Er führt das Publikum auf dem Hochschulleh­ rertag an die Anfänge seines eigenen Wissenschaftlerlebens zurück. Als er noch Privatdozent war, so Webers Darstellung, sei es im Preußischen Abge­ ordnetenhaus um eine neue nationalökonomische Professur gegangen. Althoff habe gefürchtet, die nationalliberale Fraktion in der Budgetkommis­ sion, der Max Weber sen. angehörte, werde sie nicht bewilligen, und er habe, um das Votum der Budgetkommission in seinem Sinne zu beeinflussen, Max Weber sen. geraten, er möge doch seinen ältesten Sohn, den Privatdozenten, fragen, ob dieser die Einrichtung einer solchen neuen Professur nicht befür­ worte. Das aber hätten beide als einen Versuch verstanden, sie zu manipulie­ 54  Ebd., unten, S.  137.

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ren, ja zu korrumpieren. So aber habe Althoff in vielen Fällen agiert. Er sei zwar ein genialer Hochschulpolitiker gewesen, aber menschlich von zweifel­ haftem Charakter. Weber sieht das „System Althoff“ auf Manipulation und mangelnder Transparenz aufgebaut.55 In dieses Muster paßt für Weber auch der Fall Bernhard. Manipulieren und korrumpieren kann man freilich nur den, der sich manipulieren und korrumpie­ ren läßt. Das gelte leider für manche Kollegen. Ludwig Bernhard sei ein Bei­ spiel dafür. Dieser wurde vom Ministerium an der Fakultät vorbei auf eine nationalökonomische Professur an die Berliner Universität berufen. Dieses Vorgehen des Ministeriums weckte den Verdacht, es habe sich nicht aus­ schließlich auf die wissenschaftlichen Qualitäten von Bernhard gestützt, die Weber übrigens durchaus anerkannte, sondern auch auf politische Erwä­ gungen. Weber stellt nun aber nicht das Vorgehen des Ministeriums in den Mittelpunkt seiner Kritik,56 sondern die Tatsache, daß Bernhard die Berufung angenommen hatte, ohne sich zuvor der Zustimmung der Fakultät zu versi­ chern. Das verletze die Autonomie der Universität. Später, als Weber selbst in Berufungsverhandlungen mit dem Bayerischen Staatsministerium für Unter­ richt und Kultus und der Staatswirtschaftlichen Fakultät der Universität Mün­ chen stand und ohne eigenes Zutun vom Preußischen Kultusministerium einen Ruf an die Universität Bonn erhielt, stellte er an den Dekan der Bonner Fakultät die Frage: „1) ist die Fakultät um Vorschläge angegangen bzw., zum Mindesten, über dies Angebot befragt worden, – 2) wie hat sie sich dazu gestellt (falls dies geschehen war).“57 Genau dies zu fragen aber hatte Bern­ hard unterlassen. Dadurch verstieß er gegen den akademischen Anstand, zum Schaden der Autonomie der Universität.58 Webers Angriff auf Althoff führte zu einer ausgedehnten Debatte und ihn selber wegen seiner falschen Erinnerung auch in Erklärungsnöte.59 Dies ist 55 Vgl. das Urteil über die Person in: Weber, Über die Rede auf dem Deutschen Hochschullehrertag, unten, S.  315: „Sein entscheidender Fehler war die rücksichts­ lose Bekundung einer absoluten Menschenverachtung“. Weber spricht von „ver­ schmitzte[r] Tücke“, ebd. Ein Instrument dieser Tücke sei der ‚Revers‘, insbesondere um geheime Zusagen, etwa für spätere Beförderungen, zu machen. 56  Max Weber äußert allerdings in einem Brief an Lujo Brentano vom 5. Februar 1911: „Ich werde die Sache vielleicht nächstens einmal unter dem Gesichtspunkt der Schuld des Ministeriums (Abnahme eines Schweige-Ehrenwortes bei der Zusage der Berliner Professur) behandeln“, ein Vorgehen des Ministeriums, das er für exempla­ risch hält, MWG II/7, S.  82–84, hier S.  8 4. 57  Brief Max Webers an Josef Heimberger vom 5. Febr. 1919, MWG II/10, S.  427– 430, hier S.  428. 58  Vgl. dazu Webers Stellungnahmen zum „Fall Bernhard“ unten, S.  75–85, 86–89, 90–93, 94–104. Bernhard holte dies dann später nach. 59 Weber sah sich später genötigt, seine von der Presse (angeblich) mißverstan­ denen Äußerungen über das Verhältnis der badischen zu der preußischen Verwal­ tung bei seiner Berufung nach Freiburg richtigzustellen. Er erklärt sich ausführlich

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durch die hier mitgeteilten Texte ausführlich dokumentiert. Entscheidend ist: Weber kämpft für das Selbstergänzungsrecht der Fakultäten und gegen die Einmischung von außen. Dies gilt nicht nur im Verhältnis zur Staatsverwaltung, sondern auch zu privaten Geldgebern, die mit Stiftungsprofessuren lockten, um ihnen genehme wissenschaftliche Richtungen zu fördern, meist sogar auch noch an eine bestimmte Person geknüpft. Ein Beispiel dafür ist der Fall Ehrenberg, den man auf dem Leipziger Hoch­ schullehrertag diskutierte. Auch dieser forderte Webers Kritik heraus. Wie der Fall Bernhard gilt er ihm als ein Beispiel dafür, welche von außen angesto­ ßenen Entwicklungen die Autonomie der Universität gefährden können, sowohl personell wie in diesem Fall auch strukturell. Hier war es nicht die Politik, auch nicht die Kirche, sondern die Wirtschaft, die sich in inneruniver­ sitäre Angelegenheiten einzumischen suchte, indem sie mittels einer Stif­ tungsprofessur für die Universität Leipzig eine bestimmte Forschungsrichtung und eine Person durchsetzen wollte. Dies scheiterte freilich zu Webers Genug­ tuung am Widerstand der dortigen Fakultät. Webers Einlassung zu diesem Vorgang, dessen Hintergrund er allerdings nur unzureichend kannte, zielt denn auch auf das Prinzipielle: Auch noch so viel Geld von außen rechtfertige nicht den Verzicht auf eine strenge Prüfung der wissenschaftlichen Qualität einer Forschungsrichtung und vor allem einer Person. Sonst würde man die Freiheit von Forschung und Lehre, die angesichts der allgemeinen Lage sowieso gefährdet sei, gänzlich solchen „Tendenzprofessuren“ opfern. Ganz in diesem Sinne äußerte sich auch Lujo Brentano, der damit auf dem Leipziger Hochschullehrertag die Position Max Webers unterstützte: „Im übrigen zeigt uns gerade der Leipziger Fall, der hier zur Sprache kam, daß eine Prüfung vor der Zulassung notwendig ist. Sonst besteht die Gefahr, daß wir alle möglichen Leute in den Lehrkörper hineinbekommen, die von religiösen Parteien oder von Interessengruppen dotiert werden, damit sie sich um die Habilitation bewerben. Diese Leute müssen bestimmte Anschauungen vertreten, und ich meine, daß ein solcher Mann nicht würdig ist, das Lehramt auszuüben. Ganz sicher werden diese Gruppen immer Leute finden, die bereit sind, die Ansichten dieser Gruppen gegen Geld zu vertreten.“60 gegenüber dem badischen Minister des Kultus und Unterrichts, Franz Böhm. Dazu die Briefe Max Webers an Franz Böhm vom 17. und 19. Okt., die beiden vom 20. Okt., vom 22. und 25. Okt. und vom 8. Nov. 1911, MWG II/7, S.  284–296, 306–311, 312– 318, 319 f., 321 f. und 329 f. Der Grund dürfte nicht zuletzt auch gewesen sein, daß sich Weber immer noch als Beamter des Großherzogtums Baden betrachtete, der 1903 nicht entlassen, sondern emeritiert wurde (dazu Brief Max Webers an Franz Böhm vom 20. Okt. 1911, MWG II/7, S.  313), während das Ministerium dies verneinte (Brief Franz Böhms an das preußische Ministerium der geistlichen u. Unterrichts-An­ gelegenheiten vom 16. Okt. 1911, mitgeteilt in: MWG II/7, S.  2 95, Anm.  16). Siehe dazu auch oben, S.  1, Anm.  1. 60 Vgl. die Mitteilung nach dem Bericht der Frankfurter Zeitung vom 14. Oktober

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Freilich geriet auch diese Angelegenheit, wie so oft, schnell ins Persönliche, weil Ehrenberg sich durch Webers Bemerkung in seiner Ehre verletzt fühlte und zudem die Ablehnung seiner Person auf die Ablehnung seiner For­ schungsrichtung durch die Vertreter der ‚herrschenden Lehre‘, des „Kathe­ dersozialismus“ im Verein für Socialpolitik, zurückführte. Diese Argumentation hält Weber freilich für gänzlich abwegig. Er spricht, in Bezug auf Ehrenberg, von einem „im deutschen akademischen Leben noch niemals erhörte[n] Verhalten“, und außerdem sei er selbst, solange er an Fakultätsvorschlägen beteiligt war, „für Leute aus den heterogensten Lagern eingetreten, speziell für solche, die ich ungerechterweise zurückgesetzt fand“.61 Aber dies seien immer Personen gewesen, die aufgrund ihrer Qualifikation eine Berufung rechtfertigten, anders als „Herr Ehrenberg“. Zugleich wirft dies ganz allgemein die Frage auf, wie der wissenschaftliche Nachwuchs behandelt werden sollte, ein Thema, das ebenfalls in Leipzig aus­ führlich diskutiert wurde. Und in dieser Hinsicht zeigt sich Weber äußerst rigo­ ros. Er wendet sich gegen eine universitäre Laufbahn vom Assistenten zum Professor, die eine Bürokratisierung des Universitätslebens bedeute. Noch in „Wissenschaft als Beruf“ spricht er davon. Dort gilt ihm das nordamerika­ nische Hochschulwesen als ein Beispiel für solche Bürokratisierung, weil man vom ‚assistant professor‘ über den ‚associate professor‘ zum ‚full professor‘ aufsteigen konnte.62 Jedem deutschen Privatdozenten dagegen müsse „in die Seele geschrieben werden, daß er unter keinen Umständen ein irgendwie ersitzbares Recht auf irgendwelche Versorgung“ hat. Und er ruft aus: „Hinaus mit all den Gesichtspunkten, die an Bureaukratie und an das Schema des aufsteigenden Unteroffiziers, Sergeanten usw., oder auch an gleiches Recht usw., kurz an irgendwelche bureaukratischen Gesichtspunkte erinnern.“ Was für den Privatdozenten gelte, gelte für den Assistenten erst recht. Denn hier müsse, mit „Rücksicht auf die Wissenschaft“, „die brutalste Auslese“ walten. Eine Assistentenzeit länger als drei Jahre, das ist für ihn bereits zuviel.63 Man sieht also: Weber betrachtet die Universität als eine professionelle Organisation von Experten (Fachvertretern), die „Leistungs-Kollegialität“

1909, zitiert im Editorischen Bericht zu Weber, Zum Hochschullehrertage, unten, S.  171, Anm.  2, sowie Weber, Professor Ehrenberg, unten, S.  176–179. 61  Ebd., S.  178. 62  Weber, Wissenschaft als Beruf, MWG I/17, S.  72. Dort heißt es: „In den Vereinigten Staaten dagegen besteht das bureaukratische System. Da wird der junge Mann von Anfang an besoldet.“ Weber betont zwar, daß der junge Mann jederzeit kündbar sei, aber es existiere doch eine Art Laufbahn. Und in dem Maße, wie dies auch die deut­ sche Universität erreiche, amerikanisiere sie sich. 63  Vgl. Weber, Die Auslese für den akademischen Beruf, unten, S.  186. Weber wehrt sich auch dagegen, den Privatdozenten nur als akademischen Nachwuchs zu be­ zeichnen. Schließlich handle es sich bereits um einen freien Forscher und Lehrer.

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nach dem Mehrheitsprinzip praktizieren.64 Die Ordinarien behandeln sich untereinander als Gleiche und ergänzen sich durch Kooptation. Rektor und Dekan sind jeder nur ein primus inter pares. Das Legitimationsprinzip für Ent­ scheidungen ist allein die nachgewiesene Leistung, die in festgelegten Ver­ fahren objektiviert werden muß. Wer aufsteigen will, muß freilich nicht nur die geforderte Leistung erbringen, sondern auch den ‚Geist‘ der Wissenschaft internalisiert haben, muß wissen, was der akademische Anstand fordert. Auch muß er unter Umständen bis zu einer Berufung lange warten können. Schon deshalb bleibt die deutsche akademische Karriere, wie Weber später sagt, „einfach Hazard“.65 Zum zweiten Stein des Anstoßes auf dem Hochschullehrertag in Dresden werden Max Webers kritische Bemerkungen zu den Handelshochschulen. Diese Bildungseinrichtung war hauptsächlich auf die Aus- und Weiterbildung des kaufmännisch-industriellen Nachwuchses ausgerichtet, auf eine Perso­ nengruppe also, die für das Funktionieren eines rationalen Kapitalismus von besonderer Bedeutung ist. Weber lobt die „ausgezeichnete Arbeit“, die von „zum Teil sehr hervorragenden Kollegen an den Handelshochschulen gelei­ stet werde“.66 Und er selbst hatte ja, allerdings noch vor seiner Krankheit, zusätzlich zu seinem universitären Lehrauftrag, freiwillig an einer solchen Ein­ richtung, nämlich an der Handelshochschule in Mannheim, gelehrt.67 Sein Angriff gilt denn auch nicht der Institution als solcher, sondern dem ‚Geist‘, den sie fördere. Hier sah er dieselbe Pseudofeudalisierung wirksam, wie sie in seinen Augen für das Bürgertum im Kaiserreich ganz allgemein charakte­ ristisch war.68 Weber entwickelt seine kritischen Bemerkungen zu den Handelshochschu­ len eher beiläufig, im Zusammenhang eines Vergleichs zwischen dem deut­

64  Dazu Weber, Die Typen der Herrschaft, MWG I/23, S.  5 43 f. Weber behandelt die Leitung einer deutschen Universität, im Gegensatz zu einer nord­ame­rikanischen, un­ ter dem Stichwort „Honoratioren-Verwaltung“: „Die Lage der wechselnden Rektoren, die im Nebenamt akademische Angelegenheiten verwalten[,] gegenüber den Syn­ diken, unter Umständen selbst den Kanzleibeamten, ist ein typisches Beispiel dafür“, ebd., S.  578, nämlich, daß die tatsächliche Leitung in den Händen der angestellten Fachbeamten, hier: des Kanzlers (Syndikus), liegt. 65  Weber, Wissenschaft als Beruf, MWG I/17, S.  75. Deshalb sagt Weber, in Deutsch­ land beruhe die Karriere eines Wissenschaftlers in der Universität „auf plutokratischen Voraussetzungen“, ebd., S.  72. 66  Vgl. Weber, Die Handelshochschulen. Eine Entgegnung, unten, S.  328. Weber er­ wähnt in diesem Zusammenhang die Professoren Jastrow, Gothein und Sombart. 67  Allerdings lehnte er den Versuch, die Heidelberger Nationalökonomen für Vorle­ sungen an der Handelshochschule Mannheim dauerhaft zu verpflichten, rundweg ab. Vgl. Weber, Volkswirtschaftliche Vorlesungen in Mannheim, unten, S.  5 94–598. 68 Vgl. Weber, Agrarstatistische und sozialpolitische Betrachtungen zur Fideikom­ mißfrage in Preußen, MWG I/8, S.  81–188, hier S.  92 ff.

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schen und dem nordamerikanischen Hochschulwesen.69 Doch seine Bemer­ kungen lösten schon auf der Tagung, vor allem aber durch ihre Verbreitung in der Presse, bei den Betroffenen einen Sturm der Entrüstung aus. Obgleich er seine Position schon während der Tagung präzisiert hatte, sah er sich wiede­ rum gezwungen, zu dementieren und richtigzustellen, gar eine kleine Denk­ schrift zu verfassen.70 Doch der Tenor seiner Argumentation ändert sich dabei nicht. Bei dem Vergleich zwischen dem nordamerikanischen und dem deutschen Hochschulsystem geht es Weber neben der Frage möglicher Konvergenz (Europäisierung der nordamerikanischen Universität, Amerikanisierung der deutschen Universität) letztlich wieder um die für ihn entscheidende Frage: Welchen Menschentypus bringt welches Bildungssystem hervor? Will man zum Kultur- oder zum Fachmenschen erziehen, und wenn zum Fachmen­ schen, zu welcher Art von Fachmenschen, zu einem mit oder einem ohne Geist? Dies ist natürlich nicht nur eine Frage an die Handelshochschulen, sondern auch an die Universitäten. Und hier sieht Weber einen wichtigen Unterschied zwischen Deutschland und den USA. Das nordamerikanische College stehe letztlich für den Kulturmenschen, für das Erziehungsideal des „gentleman“, der sich selbst zu behaupten weiß und ein gesundes bürger­ liches Selbstgefühl entwickelt. Ihn habe der amerikanische Unternehmer lie­ ber in der Firma als den reinen Fachmenschen – obgleich das Fachstudium nach europäischem Vorbild auch in den USA im Vormarsch sei. Für den Fach­ menschen stehe die deutsche Universität und erst recht die deutsche Han­ delshochschule, die Spezialisten für Industrie und Handel durch Vermittlung praktischer Fertigkeiten ausbilden wolle. Aber dieser Erziehungsauftrag werde aufgrund falscher Prätentionen auf studentischer Seite konterkariert. Denn ein Teil der Handelshochschulstudenten ahme die Universitätsstu­ denten nach, was bedeute, auch die dort schädlichen Entwicklungen zu reproduzieren. Dies zeige sich an der Ausbreitung des Verbindungswesens an den Handelshochschulen, des in Webers Augen für eine solche Einrich­

69  Vgl. Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nord­ amerikanischen Hochschulen, unten, S.  3 98. Dort heißt es: „Wenn wir uns ganz deut­ lich ausdrücken wollen, so ist der Dampf, der diese Handelshochschulen macht, doch eigentlich immer der Umstand, daß die Kommis gern satisfaktions- und damit reserveoffiziersfähig werden möchten: ein paar Schmisse ins Gesicht, ein bißchen Studentenleben, ein bißchen Abgewöhnung der Arbeit – alles Dinge, bei denen ich mich frage, ob wir denn damit, wenn sie unserem kaufmännischen Nachwuchs aner­ zogen werden, den großen Arbeitsvölkern der Welt, insbesondere den Amerikanern, werden Konkurrenz machen können.“ 70  Vgl. Weber, Die Handelshochschulen. Eine Entgegnung, unten, S.  325–333, und Weber, Denkschrift an die Handelshochschulen, unten, S.  3 63–377.

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tung besonders schädlichen Couleurstudententums.71 Denn dieses biete kei­ neswegs, wie manche meinten, lediglich eine Stätte studentischen Frohsinns, sondern sei der Versuch, eine „Klasse offiziell approbierter Kaufleute“ zu schaffen,72 eine „Standeshebung“ zu erreichen, verbunden mit dem Streben nach pseudofeudalem Prestige.73 Gleichgültig, wie Weber die besondere Rolle der Handelshochschule im deutschen Hochschulsystem beurteilt – er scheint zu bedauern, daß diese Einrichtung verselbständigt und nicht der Universität angegliedert wurde, zugleich aber auch zu kritisieren, daß immer mehr Tätigkeiten akademisiert werden –, ihm dient sie als ein Beispiel für die Gefahr, die vom Verbindungs­ wesen für die Mentalität deutscher Studenten ganz allgemein ausgeht. Es fördere eine „Geschwollenheit des Auftretens“74 und mache die Deutschen zum „Gespött des gesamten Auslands“ – und dies zu Recht.75 Das sei an sich schon fatal, besonders fatal aber, wo es um den Handels- und Kaufmanns­ stand gehe. In seiner Zuschrift an das Berliner Tageblatt wählt er eine Anek­ dote, um die negativen Auswirkungen dieser Mentalität auf das ‚Geschäft‘ zu zeigen. Er läßt einen Geschäftsreisenden auftreten, der mit der Attitüde eines couleurstudentisch inspirierten Leutnants der Reserve auf einen nüchternen Fabrikanten trifft – und damit scheitert, weil die ‚Geschwollenheit (seines) Auf­ tretens‘ diesen abstößt.76 Die Forschungs- und Lehrfreiheit der deutschen Universität, so lassen sich Webers hochschulpolitische Stellungnahmen zusammenfassen, scheint ihm also keineswegs gefestigt. Die eine Bedrohung kommt von außen, von seiten des Staates, der Kirche und der Wirtschaft; die andere kommt von innen, von einem traditionalistisch gesonnenen Lehrkörper und dem Couleurstudenten­ tum. Wie insbesondere Webers Ausführungen zu den Handelshochschulen zeigen, hatte er bereits zu diesem Zeitpunkt innerlich mit seiner eigenen Ver­

71  In der Denkschrift heißt es: „Das Couleurleben strebt heute überall nach Exclusi­ vität und Dressur in dem früher in dieser Art unbekannten Sinn: daß die Zugehörigkeit zu einer Verbindung den Studenten von der Zugehörigkeit zu anderen Vereinen, wis­ senschaftlicher, sportlicher oder geselliger Art und in zunehmendem Maße geradezu überhaupt von dem Umgang mit anderen, mindestens mit anders denkenden, Stu­ denten abschneidet und der Couleurstudent[,] in den Kreis seiner Couleurbrüder ein­ gesponnen, nur ihrer Kontrolle untersteht und damit einer außerordentlichen Verenge­ rung seines geistigen Horizontes ausgesetzt wird.“ Dieses Urteil gilt natürlich auch für das Couleurstudententum an der Universität. Vgl. Weber, Denkschrift an die Handels­ hochschulen, unten, S.  374. 72  Vgl. ebd., unten, S.  375. 73  Vgl. ebd., unten, S.  376. 74  Vgl. ebd., unten, S.  370. 75  Vgl. ebd., unten, S.  3 69. 76  Weber, Die Handelshochschulen. Eine Entgegnung, unten, S.  3 31 f.

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gangenheit als Couleurstudent gebrochen. Der Austritt aus seiner Verbin­ dung im Jahre 1918 war deshalb nur noch eine Formsache.77 Max Weber streitet also für eine forschungsbasierte Universitätslehre, die auf den Fachmenschen mit Geist abzielt. Im Hintergrund steht bei ihm zwei­ fellos ein bürgerliches Ideal. Es ist das Ideal innerweltlicher Berufsaskese. Doch seine Verwirklichung scheint immer schwieriger zu werden. In „Wissen­ schaft als Beruf“ sagt er, die alte Universitätsverfassung sei äußerlich wie innerlich fiktiv geworden.78 Denn Forschung und Lehre unterlägen einer fun­ damentalen Veränderung. Die Forschung entferne sich von der Lehre, denn sie verlasse die Phase des Handwerks. Aus dem Ordinarius alten Stils werde der Chef eines „kapitalistischen Universitätsunternehmens“, und dies, so kann man hinzufügen, nicht nur in Naturwissenschaft und Medizin.79 Tatsäch­ lich beginnt die Forschung ganz allgemein arbeitsteiliger und zugleich ‚kapi­ talintensiver‘ zu werden, auch neue Organisationsformen zu verlangen.80 Die außeruniversitäre Forschungseinrichtung bricht sich Bahn. Noch bleibt sie auf die Universität bezogen. Diese steht weiterhin im Zentrum des Wissenschafts­ systems. Freilich wird es immer wichtiger für den Ordinarius neuen Stils, auch Forschungspolitik zu betreiben. Und dies gilt auch auf dem Gebiet der So­zial­ wissenschaft.

4.  Der Forschungspolitiker und Wissenschaftsorganisator Was läßt sich über Max Weber als Forschungspolitiker und Wissenschaftsor­ ganisator sagen? Trennen wir zunächst den inneruniversitären vom außeruni­ 77  Weber trat am 17. Oktober 1918 aus der Burschenschaft „Allemannia“ aus, der er seit seiner Heidelberger Studentenzeit angehört hatte. Dazu Max Webers Brief an Friedrich Keller vom 17. Oktober 1918, MWG II/10, S.  2 69–271. In der Denkschrift zu den Handelshochschulen findet sich der bemerkenswerte Satz: „[…] daß ich die Schwierigkeit, diese in unreifen Jahren auf der Universität unwillkürlich eingeübten ‚Gesten‘ wieder, sozusagen, aus den Gliedern loszuwerden, am eigenen Leibe erfah­ ren habe.“ Weber, Denkschrift an die Handelshochschulen , unten, S.  370. 78  Weber, Wissenschaft als Beruf, MWG I/17, S.  75. 79 Ebd. 80  Dazu Webers Rezension des Buches von Franz Eulenburg über „Die Entwicklung der Universität Leipzig in den letzten hundert Jahren“, wo es unter anderem heißt: „Die Finanzen zeigen den Aufstieg des ‚kapitalistischen Betriebes‘ in den medizi­ nischen und naturwissenschaftlichen Fakultäten in der ungeheuren auch relativen Zunahme der Ausgaben für sachliche Unterrichtsmittel (Institute) und damit jene Spaltung in der Eigenart des Lehrbetriebs, die die Institutsdirektoren so oft der Denk­ weise ihrer humanistischen Kollegen tief entfremdet und andere, hier nicht zu erör­ ternde, sehr weittragende Konsequenzen und Probleme im akademischen Leben mit sich gebracht hat. Die ‚Universitas litterarum‘ ist nicht zum wenigsten aus diesen un­ vermeidlichen Entwicklungsmotiven heraus eine Fiktion geworden.“ Weber, Rezen­ sion von Eulenburg, unten, S.  169 f.

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versitären Prozeß, und beginnen wir mit letzterem. Hier geht es um zwei Insti­ tutionen, den Verein für Socialpolitik (VfSp) und die zu schaffende Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS). Der Verein für Socialpolitik existierte bereits, als Max Weber als Habilitierter in den Lehrkörper der Universität Berlin eintrat.81 Er wurde in der Bismarck­ zeit, im Jahre 1872, gegründet, um die Sozialpolitik mittels Enqueten auf eine empirische Grundlage zu stellen. Seine Gegner charakterisieren ihn mit dem Begriff „Kathedersozialismus“, weil es vor allem Professoren waren, die sich hier zusammengeschlossen hatten und sich für eine staatlich gelenkte so­zial­ politische Bändigung des Kapitalismus einsetzten. Diese Bezeichnung war insofern irreführend, als sich unter seinem Dach verschiedene Strömungen versammelten. Es gab Gegensätze zwischen rechts und links, Etatisten und Liberalen, Alten und Jungen.82 Dieser Verein bot dem jungen Max Weber die Gelegenheit, seine Forschungsinteressen zu erweitern, sie vom Mittelalter und der Antike auf die Gegenwart auszudehnen. Man übertrug ihm, dem noch weitgehend Unbekannten, die schwierige Aufgabe, das bereits gesammelte Material einer Untersuchung über die Lage der ostelbischen Landarbeiter auszuwerten und darüber einen Forschungsbericht zu verfassen.83 Damit betrat er zugleich die Brücke, die ihn von der Rechtswissenschaft zur Natio­ nalökonomie führte.84 Der Verein wurde von einem Vorsitzenden geleitet, der sich auf einen Aus­ schuß stützte, und er bildete projektbezogene Unterausschüsse. Er hielt regelmäßig Generalversammlungen ab, auf denen man Ergebnisse abge­ schlossener oder laufender Projekte diskutierte und sich auf neue einigte. Seit 1890 hatte Gustav Schmoller den Vorsitz inne. Max Weber wuchs Schritt für Schritt in diese besondere Form wissenschaftlicher Kommunikation hinein. Unterbrochen durch seine Krankheit, war er seit seiner Kooptation in den

81  Der Verein schrieb sich bis 1910 mit „c“ (Socialpolitik), dann mit „z“ (Sozialpolitik). Hier wird durchgängig die ursprüngliche Schreibung verwendet. 82  Grundlegend immer noch Lindenlaub, Dieter, Richtungskämpfe im Verein für So­ zialpolitik. Wissenschaft und Sozialpolitik im Kaiserreich vornehmlich vom Beginn des ‚Neuen Kurses‘ bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges (1890–1914). – Wiesbaden: Franz Steiner 1967. Vgl. auch Krüger, Dieter, Max Weber und die ‚Jüngeren‘ im Verein für Sozialpolitik, in: Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schwentker (Hg.), Max We­ ber und seine Zeitgenossen. – Göttingen und Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht 1988, S.  9 8–118. 83  Vgl. Weber, Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland, MWG I/3. 84  Das ist nur zum Teil richtig. Denn auch die rechtswissenschaftlichen Arbeiten, die Dissertation und die Habilitationsschrift, haben eine nationalökonomische Kompo­ nente, insofern es in ihnen um die Beziehung zwischen ökonomischen Sachverhalten und rechtlichen Institutionen geht. Daß sich Weber mit solchen Arbeiten für die Fä­ cher Handelsrecht und Römisches Recht habilitieren konnte, wäre heute in einer rechtswissenschaftlichen Fakultät undenkbar.

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Verein Anfang der 1890er Jahre ein relativ aktives Mitglied.85 Er stieß, nicht zuletzt zusammen mit seinem Bruder, viele Projekte an und arbeitete selbst an solchen mit.86 Der Schwerpunkt von Max Webers Mitarbeit fällt in die Periode von 1905 bis 1914. Sie ist durch zwei bezeichnende Ereignisse markiert. 1905 kommt es in Mannheim zu einer Auseinandersetzung zwischen Max Weber und Gustav Schmoller, die beinahe zur Spaltung des Vereins führt,87 und 1914 zum Werturteilsstreit, bei dem Max Weber unter anderem auch die von Gustav Schmoller vertretene ethische Nationalökonomie, wie schon zuvor, scharf kri­ tisiert.88 Dazwischen liegt die Diskussion um das Problem der Bürokratisie­ rung, in der sich Max Weber – hier zusammen mit seinem Bruder Alfred – nicht zuletzt auch gegen Gustav Schmollers (preußische) Staats- und Bürokratie­ gläubig­keit richtet.89 Man sieht: Max Weber und Gustav Schmoller stehen, wissenschaftlich gesehen, in einer spannungsreichen Beziehung zueinander, sind Vertreter verschiedener Generationen und auch verschiedener Wissen­ schaftsauffassungen, zollen sich aber wechselseitig Respekt.90 Im Jahre 1905, als man in Mannheim über das Verhältnis von Staat und Kartellen diskutierte, hatte Weber einen Teil seiner Arbeitskraft wiedergewon­ nen. Zwei Jahre erstaunlicher Produktivität lagen hinter ihm.91 Als Schmoller 85  Das genaue Aufnahmedatum ist nicht bekannt. 86  Treffend formuliert Manfred Schön in seinem Aufsatz „Gustav Schmoller und Max Weber“: „Krankheitshalber trat Weber für einige Jahre im Verein eher in den Hinter­ grund, um in der Dekade von 1905–1914 als Diskutant auf den Generalversamm­ lungen und in den meisten Ausschußsitzungen, als Mitinitiator der Enquete über Aus­ lese und Anpassung der großindustriellen Arbeiter sowie als Hauptkontrahent in der Werturteilsdebatte zu einer der hervorragendsten, aber auch kontroversesten Figuren dieser Vereinigung zu werden.“ Schön, Manfred, Gustav Schmoller und Max Weber, in: Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schwentker (Hg.), Max Weber und seine Zeitgenossen. – Göttingen und Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht 1988, S.  8 4–97, hier S.  90. (hinfort: Schön, Schmoller). Vgl. auch die edierten Texte unter II b, unten, S.  725–757. Schön zitiert auch folgende Anekdote, wonach Schmoller einmal gesagt haben soll: „Für die nächste Beratung bedürfen wir einer Geschäftsordnung, in deren §  1 bestimmt wird, daß innerhalb einer Stunde die beiden Weber nicht mehr als 55 Minuten sprechen dürfen.“ Ebd., S.  9 0. 87  Dazu Gothein, Alfred und Max Weber, Zur Angelegenheit Schmoller-Naumann, unten, S.  6 5–69, und Weber, Conzept der Erklärung, unten, S.  70–74. 88  Weber, Beitrag zur Werturteildiskussion (wie oben, S.  10, Anm.  3 9). 89  Weber, Die wirtschaftlichen Unternehmungen der Gemeinden, MWG I/8, S.  3 56– 366. Der Angriff gilt zwar in erster Linie Adolph Wagner, schließt aber Gustav Schmoll­ er mit ein. Vgl. ebd., S.  3 65. 90 Dazu auch Abschnitt 5, unten, S.  3 8–43. Hinzu kommt, daß Weber im Metho­ denstreit der Nationalökonomie eher zu Menger als zu Schmoller tendierte. 91 Weber hatte, neben methodologischen Abhandlungen, seine beiden Aufsätze über den asketischen Protestantismus (MWG I/9, S.  97–215 und 222–425) niederge­ schrieben sowie die Studien über die altgermanische Sozialverfassung (MWG I/6, S.  2 28–299) und über den Fideikommiß (MWG I/8, S.  81–188).

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seinen Vortrag zum Thema, verbunden mit konkreten technischen Vorschlä­ gen, gehalten hatte, beteiligten sich viele an der Debatte.92 Einer von ihnen war Friedrich Naumann, der, wie Weber selbst, Schmollers Vorschläge einer scharfen Kritik unterzog. Während die Auseinandersetzung zwischen Weber und Schmoller gesittet verlief, war Schmoller von Naumanns Ausführungen beleidigt, zumal diese in der Versammlung großen Beifall erhalten hatten. Schmoller nutzte dann das Privileg des Vorsitzenden, ein Schlußwort zu spre­ chen, dazu, Naumann der Demagogie zu bezichtigen. Zugleich drohte er, da Naumanns Beitrag so viel Anklang gefunden habe, mit Rücktritt. Dies geschah in Naumanns Abwesenheit. Wie nicht anders zu erwarten, weckte dies den heftigen Widerspruch Max Webers. Denn hier wurde jemand angegriffen, als er sich nicht wehren konnte, und Schmoller beging dabei einen Verfahrensverstoß. Er war nicht in eine wissenschaftliche Auseinandersetzung unter Gleichen eingetreten, sondern er hatte das Schlußwort des Vorsitzenden, das er für den Verein zu sprechen hatte, für seine eigenen Zwecke mißbraucht. Damit sei, so Weber, für Nau­ mann die weitere Teilnahme an den Verhandlungen des Vereins praktisch ausgeschlossen: „Für mich wenigstens würde sie es sein, wenn mir jemand nicht qua Referent und Diskussionsredner, sondern qua Vorsitzender des Ver­ eins sagen würde: Sie sind ein Demagoge, mit Ihnen verhandle ich nicht, und wenn Sie Beifall finden, trete ich zurück.“93 Der Vorgang blieb nicht intern, sondern erreichte sofort die Presse. Die Frankfurter Zeitung konstatierte, man habe Schmoller auf der Tagung eine schwere wissenschaftliche Niederlage zugefügt. Aus Verbitterung darüber sei er in rüder Weise gegen Naumann vorgegangen. Damit bahnte sich eine Entwicklung an, die nicht nur für Schmoller, sondern für den Verein insgesamt schädlich war. Max Weber schwankte, ob er den Konflikt verschärfen oder entschärfen solle. Seinem Temperament lag Verschärfung näher, aber er entschied sich zunächst dagegen. Zusammen mit Eberhard Gothein, seinem Nachfolger in Heidelberg, und seinem Bruder Alfred, der noch in Prag lehrte, intervenierte er bei der Frankfurter Zeitung. In einer Zuschrift nahmen die drei, man kann wohl sagen, aus Loyalität gegenüber dem Verein, Schmoller in Grenzen öffentlich in Schutz.94

92 Dazu auch der Editorische Bericht zu Weber, Das Verhältnis der Kartelle zum Staat, in: MWG I/8, S.  2 60–279, und die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Friedrich Naumann vom 30. Sept. 1905, MWG II/4, S.  5 40–542. 93  Weber, Zur Verteidigung Friedrich Naumanns, unten, S.  6 3. 94  Gothein, Alfred und Max Weber, Zur Angelegenheit Schmoller-Naumann, unten, S.  65–69.

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Der Fortgang der Auseinandersetzung läßt sich mit Hilfe der unten mitge­ teilten Dokumente verfolgen.1 Weber drohte zunächst damit, den Antrag auf Abschaffung der Generalversammlung zu stellen, ließ sich davon aber wieder abbringen, nachdem Lujo Brentano durchgesetzt hatte, daß in Zukunft das Schlußwort des Vorsitzenden in der Generalversammlung entfiel.2 Letztlich wollte Weber die Existenz des Vereins nicht aufs Spiel setzen und auch den Vorsitz Schmollers nicht gefährden. Aber es blieb sein Unbehagen an den in Verein eingetretenen Entwicklungen. Wenn nicht alles täuscht, hatte dieses Unbehagen tiefere Gründe. Sosehr Weber die Leistungen des Vereins schätzte – er hatte in den weniger als vier Jahrzehnten seiner Existenz schon weit über 100 Bände veröffentlicht –,3 seit Mannheim scheinen Webers Vorbehalte auch gegen die sachliche Arbeit des Vereins zu wachsen. Es gab dort wegen der sozialpolitischen Ausrichtung, die Weber zudem nur bedingt teilte,4 für seinen Geschmack zu wenig Theorie, und auch das Prinzip der Werturteilsfreiheit fand er nicht allgemein beachtet.5 Noch existierte freilich auf dem Gebiet der Sozialwissenschaften zum Verein für Socialpolitik keine gleichwertige Alternative. Eine solche bot sich 1908/1909, als Georg Simmel und Rudolf Goldscheid den Vorschlag machten, auch in Deutschland eine Gesellschaft für Soziologie 1  Weber, Zur Verteidigung Friedrich Naumanns, unten, S.  6 0–64, Gothein, Alfred und Max Weber, Zur Angelegenheit Schmoller-Naumann, unten, S.  6 5–69, und Weber, Conzept der Erklärung, unten, S.  70–74. 2  Dazu Schön, Schmoller (wie oben, S.  24, Anm.  8 6), S.  91 f. 3  Dazu die Liste der Veröffentlichungen des Vereins, abgedruckt im Band 188: Ge­ schichte des Vereins für Sozialpolitik 1872–1932. Im Auftrage des Liquidationsaus­ schusses verfaßt von Schriftführer Dr. Franz Boese. – Berlin: Duncker & Humblot 1939, S.  3 05–322. Die Verhandlungen der Generalversammlung in Mannheim bilden den Band 116. 4 Dazu der Editorische Bericht zu Weber, Entwurf eines Einladungsschreibens zu einer sozialpolitischen Aussprache in Frankfurt a. M., in: MWG I/8, S.  3 67–377. Im Un­ terschied zur staatssozialistischen Richtung Schmollers vertrat Weber, zusammen mit Brentano, eine voluntaristische Richtung der Sozialpolitik. 5  Weber erkennt noch in seinem Gutachten über die Werturteilsfrage (1913 formu­ liert, 1914 auf der internen Tagung vorgetragen) durchaus an, daß „Fragen der ‚Welt­ anschauung‘, genauer praktisch-politische ‚Wertungen‘“, im Verein durchaus ihre Stätte hätten, denn er sei schließlich zu diesem Zweck geschaffen worden. Es komme aber alles darauf an, dies im „richtig verstandenen Sinne“ zu tun. Weber lobt die bis­ herige Praxis der Vereinsdiskussionen. Bei diesen habe er „ausdrücklich auf ‚Resolu­ tionen‘ und ähnliches verzichtet, hat damit den Typus des ‚Religionsgesprächs‘, bei dem ein Teil Ketzer sein muß, […] ferngehalten, hat absichtlich die Heranziehung ver­ schiedener, möglichst entgegengesetzter Standpunkte für Referate zum Grundsatz gemacht, und er hat damit seinerseits alle diejenigen Postulate erfüllt, welche wir an eine Diskussion von praktischen Wertungen stellen, – deren wissenschaftliches Ziel sein kann: die entscheidenden, nicht weiter reduzierbaren Axiome, auf welchen die entgegengesetzten Standpunkte ruhen, bloßzulegen, – so daß man wählen könne.“ Weber, Beitrag zur Werturteildiskussion (wie oben, S.  10, Anm.  3 9), S.  8 3.

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zu gründen. Für Österreich war dies bereits 1907 in Wien durch Rudolf Gold­ scheid, Max Adler, Wilhelm Jerusalem und andere geschehen. Simmel hatte gerade seine Studien zur Soziologie, seine Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, als Buch veröffentlicht und dabei den Versuch unter­ nommen, den Ort der Soziologie im Konzert der Wissenschaften zu bestim­ men.6 Obgleich Weber Simmels Ansatz nicht teilte7 und auch Goldscheids Streben nach einer angewandten Soziologie nicht goutierte, ließ er sich in den Gründungsprozeß hineinziehen. Und dies, obgleich ihm die Bezeichnung „Soziologie“ zu diesem Zeitpunkt großes Unbehagen bereitete. Immerhin sah er bei seiner Neukonzeption des Handbuchs der politischen Ökonomie, die in dieselbe Zeit fällt, neben der Wirtschaftstheorie auch Soziologie vor.8 Es gab also in seinen Augen durchaus Beziehungen zwischen einer als Fach konsolidierten Nationalökonomie und dem sich erst formierenden Fach Sozio­ logie.9 Es sind vor allem drei Ziele, die Weber bei dieser Neugründung verfolgte, in der man eine Ergänzung, wenn nicht gar eine Art Gegengründung zum Verein für Socialpolitik sehen kann. Organisatorisch sollte es keinen Dauer­ vorsitzenden, ja nicht einmal einen Vorsitzenden, sondern einen Vorstand (bestehend aus mehreren „Vorsitzenden“) geben, rückgebunden an die Mit­ gliederversammlung, der alle wichtigen Entscheidungen des Vereins obla­ gen. Weber spricht später von einer „föderalistische[n] Gestaltung der sozio­ logischen Organisationen, für welche dann die Muttergesellschaft nur noch

6  Das Buch ist, wie Simmel selbst sagt, in einem Zeitraum von 15 Jahren entstanden. Vgl. Brief Georg Simmels an Célestin Bouglé vom 22. März 1908, in: Georg Sim­ mel-Gesamtausgabe, Band 22, Briefe 1880–1911, hg. von Klaus Christian Köhnke. – Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2005, S.  619. Nach Simmel besitzt die Soziologie kein eige­ nes Objekt, sondern eine spezifische Betrachtungsweise, die von den anderen Diszi­ plinen bereits bearbeiteten Objekte zu analysieren, weshalb der Form-Inhalt-Dua­lis­mus für ihn von zentraler Bedeutung ist. Dazu besonders ders., Soziologie. Untersu­ chungen über die Formen der Vergesellschaftung. – Leipzig: Duncker & Humblot 1908, S.  1–46. Zum Folgenden vor allem Lepsius, M. Rainer, Max Weber und die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, in: Soziologie, Jg. 40, Heft 1, 2011, S.  7–19 (hinfort: Lepsius, Deutsche Gesellschaft). Der Aufsatz ist textgleich noch einmal abgedruckt in: Transnationale Vergesellschaftungen. Verhandlungen des 35. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Frankfurt am Main 2010, hg. von Hans-Georg Soeffner, Band 2. – Berlin: Springer 2012, S.  7 75–785. 7  Dazu Webers Kritik an Simmels Philosophie des Geldes und an seiner Soziologie in einem Text, den Weber nach wenigen Seiten abbricht und in der Schublade läßt. We­ ber, Max, Georg Simmel als Soziologe und Theoretiker der Geldwirtschaft, Deponat Max Weber, BSB München, Ana 446, OM 4 (MWG I/12), sowie dazu Schluchter, Ein­ leitung, in: MWG I/23, S.  1–77, hier S.  3 4 ff. 8  Dazu Schluchter, Wolfgang, Entstehungsgeschichte, in: MWG I/24, S.  1–128, hier S.  13. 9  Ebd., S.  16.

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der Kontrollpunkt bleiben würde“.10 Es geht ihm vor allem um Dezentralisie­ rung, durch die Einrichtung zunächst von Ortsgruppen, dann von Abteilungen oder Sektionen.11 Berlin, der Sitz des Vereins mit einer Geschäftsstelle, sollte möglichst nicht auch Machtzentrum sein.12 Statt praktischer Fragen, wie im Verein für Socialpolitik, sollte Theorie gepflegt werden. Als Weber wieder ein­ mal die Arbeit für die Gesellschaft wegen „widerwärtigen, ewigen Gekränkt­ heiten unserer ‚großen Herren‘“ gründlich satt hat, formuliert er seine eigenen Interessen: „Presse-Enquete, Verband der theoretischen National-Öko­ nomen“.13 Noch wichtiger aber als dezentrale Organisation und Theorie war ihm, das Postulat der Werturteilsfreiheit institutionell verankert zu wissen. Weber erreichte tatsächlich, daß es in das „Statut der Deutschen Gesellschaft für Soziologie“ aufgenommen wurde.14 Doch es blieb sowohl methodologisch 10 Brief Max Webers an den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vom 11. Dez. 1910, MWG II/6, S.  712–714, hier S.  712. 11  Folgende Abteilungen oder Sektionen waren zunächst im Gespräch: Philosophie und Soziologie des Rechts, Anthropologisch und naturwissenschaftlich orientierte Soziologie (auch: biologische Soziologie), Wirtschaftstheorie oder Sozialökonomie, Statistik. Dazu unter anderem der Brief Max Webers an Hermann Beck vom 25. Sept. 1910, MWG II/6, S.  622–625, hier S.  622 f., in Verbindung mit dem Brief an Beck vom 4. Okt. 1910, ebd., S.  6 34. In der Beilage zum Brief vom 25. Sept. 1910 auch Webers Antrag auf eine Statutenänderung, ebd., S.  626–628, dem weitgehend stattgegeben wurde. Eine weitere von Weber vorgeschlagene Änderung erfolgte am 26. Februar 1911. Vgl. Brief Max Webers an Hermann Beck vom 22. Febr. 1911, MWG II/7, S.  115. Zur Unterscheidung zwischen Berliner Statut (Januar 1909), Leipziger Statut (Oktober 1909) und Frankfurter Statut (Oktober 1910) vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Antrag auf Statutenänderung, unten, S.  188–190. 12  Die Organe der Gesellschaft waren gemäß §  11 des „Statuts der Deutschen Ge­ sellschaft für Soziologie“: 1. der Vorstand; 2. die Mitgliederversammlung; 3. die Aus­ schüsse; 4. der Rechner.“ Vgl. das Leipziger Statut (Oktober 1909), unten, S.  8 61. Die Mitgliederversammlung wurde später in Hauptausschuß umbenannt. Entsprechend änderte man auch die bis dahin geltende Unterscheidung in ordentliche und unter­ stützende Mitglieder. Die ordentlichen Mitglieder wurden als Mitglieder des Haupt­ ausschusses (Hauptausschußmitglieder) bezeichnet, die unterstützenden Mitglieder als Mitglieder. Die Änderungen gingen auf Max Weber zurück. Vgl. das Frankfurter Statut (Oktober 1910), unten, S.  8 64–868, und Weber, Antrag auf Statutenänderung, unten, S.  188–194. 13  Brief Max Webers an Ferdinand Tönnies vom 8. Nov. 1910, MWG II/6, S.  6 87 f., hier S.  688. 14  Dieses Statut wurde auf der ersten (und einzigen) außerordentlichen Mitglieder­ versammlung in Leipzig im Oktober 1909 verabschiedet und basiert auf dem ur­ sprünglichen Statut („Satzungen“), das der Gründung der Gesellschaft am 3. Januar 1909 in Berlin zugrunde lag. Der §  1 des Leipziger Statuts lautet: „Unter dem Namen ‚Deutsche Gesellschaft für Soziologie‘ ist eine Vereinigung gegründet worden, die ihren Sitz in Berlin hat. Ihr Zweck ist die Förderung der soziologischen Erkenntnis durch Veranstaltungen rein wissenschaftlicher Untersuchungen und Erhebungen, durch Veröffentlichung und Unterstützung rein wissenschaftlicher Arbeiten und durch Organisation von periodisch stattfindenden deutschen Soziologentagen. Sie gibt al­

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wie institutionell von Beginn an umstritten. Dieser Streit führte dazu, daß Weber, nach einer Phase erstaunlichen Engagements, die Gesellschaft 1914 schließlich verließ.15 Weber sah die neue Einrichtung also in erster Linie als ein Forum für theo­ retisch angeleitete empirische Forschung auf kooperativer Grundlage. Er ver­ stand sie nicht als Standesorganisation, als „Nobilitätsgesellschaft“, sondern als Arbeitsgemeinschaft mit aufgabenbezogenem, wechselndem Personal.16 len wissenschaftlichen Richtungen und Methoden der Soziologie gleichmäßig Raum und lehnt die Vertretung irgendwelcher praktischen (ethischen, religiösen, poli­ tischen, ästhetischen usw.) Ziele ab.“ Vgl. Leipziger Statut (Oktober 1909), unten, S.  8 59–863. Diese Formulierung findet sich im ursprünglichen Statut („Satzungen“) noch nicht. Vgl. Berliner Statut (Januar 1909), unten, S.  8 57–859. 15  Entscheidend dafür war der Verlauf des Zweiten Deutschen Soziologentages, bei dem es während des Vortrags von Paul Barth über „Die Nationalität in ihrer soziolo­ gischen Bedeutung“ wieder zu einem Streit über die Anwendung und die Anwendbar­ keit des Wertfreiheitspostulats kam. Dazu Verhandlungen DGS 1912, S.  21–48. Nach der Mitgliederversammlung schreibt Weber am 22. Oktober 1912 an Hermann Beck: „Mit dem Abschluß der diesmaligen Mitgliederversammlung trete ich aus dem Aus­ schuß aus und bitte mich als lediglich zahlendes Mitglied zu führen.“ Und weiter: „Soziologentage besuche ich nicht mehr. Es ist klar, daß Garantieen [sic!] für die In­ nehaltung der statutenmäßigen Grenzen der Erörterung nicht zu schaffen sind, und ich also stets und immer wieder den gleichen Anstoß erregen würde, wie diesesmal. Auf diesem Punkte werde ich niemals ‚Maß‘ halten. Ich wünsche der Gesellschaft al­ les Gute.“, MWG II/7, S.  709. Der Austritt erfolgte gewissermaßen in drei Schritten: Austritt aus dem Vorstand, aus dem Ausschuß und schließlich aus der Gesellschaft. 16  Vgl. Weber, Geschäftsbericht, unten, S.  256–286. In diesem Zusammenhang ist auch interessant, wie Weber die Gründung der Heidelberger Akademie der Wissen­ schaften beurteilt, die ihn mit Beschluß vom 25. Juni 1909 zum außerordentlichen Mitglied machen wollte, was er zunächst mit Hinweis auf die Mißstimmungen ab­ lehnte, die die bisherige Zusammensetzung der Akademie unter den aktiven Kolle­ gen der Universität erzeugt habe, dann aber ausführlich sachlich begründete, und zwar mit der mangelnden Berücksichtigung der „systematischen staats- und gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen“. Brief Max Webers an Leo Königsberger vom 7. Aug. 1909, MWG II/6, S.  212–221, hier S.  215. Er konstatiert schon aufgrund der Zusammensetzung der historisch-philosophischen Klasse einen „alles überwuchern­ den Historismus“ (ebd., S.  220), so daß die „Zusammenkoppelung der systema­ tischen Disziplinen mit den (in überwältigender Überzahl vertretenen) historischen und philologischen ein schwerer Nachteil für die ersteren“ sei (ebd., S.  217). Denn diese hätten gänzlich andere Bedürfnisse. Hier ließe sich nur etwas erreichen, „wenn seitens der Akademie einerseits 1.) für große Kollektivarbeiten die Erhebung, und in den ökonomischen Disziplinen speziell auch: die rechnerische Ausarbeitung[,] des selbst erhobenen oder in den Massenpublikationen der offiziellen Statistik brachlie­ genden, Tatsachenmaterials kontinuierlich durch erhebliche Mittel unterstützt werden könnte, und wenn andererseits 2.) eine systematische Stipendierung besonders be­ gabter, schon hinter dem Abschluß ihrer Studien stehender, jüngerer Leute für Rei­ sen, speziell: Auslandsreisen mit systematisch gewählten Fragestellungen und unter der gemeinsamen Kontrolle der aktiven Vertreter jener Disziplinen in die Wege gelei­ tet werden könnte. Denn das praktische Funktionieren der Rechts- und Verfassungs-

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Da die Deutsche Gesellschaft für Soziologie, anders als der Verein für Socialpolitik, nicht unbedingt auf die Ressourcen der Großordinarien der National­ ökonomie und staatliche Fördermittel zurückgreifen konnte – wichtige Figuren der Gründungsphase wie Simmel und Tönnies waren im sozialwissenschaft­ lichen Feld eher noch Randfiguren –, mußten für Projekte auch Finanzmittel eingeworben werden. Auch hier wurde Weber aktiv.17 Das Erstaunliche nun ist: Obgleich Weber sich weder gesundheitlich noch, vor allem, ideell für einen geeigneten Vorsitzenden hielt – er könne wegen seiner unsicheren Gesundheit nie garantieren, pünktlich zur Stelle zu sein,18 und er beabsichtige, sich „immer ausschließlicher der wissenschaftlichen Kritik zuzuwenden“, was ihn zu einem „(methodisch-wissenschaftlichen!) Parteimann“ stemple19 –, übernimmt er, nach einem etwas chaotischen Beginn20

institutionen ebenso wie die Erforschung der entscheidenden gesellschaftlichen Grundlagen für die politische und ökonomische Macht- und Kulturentfaltung der Völker könnten ausschließlich auf diesem Wege gefördert werden.“ (Ebd., S.  217 f.). 17  Insbesondere im Zusammenhang mit der Presse-Enquete. 18  Brief an Heinrich Herkner vom 29. März 1909, MWG II/6, S.  8 6–88, hier S.  8 6. 19  Brief Max Webers an Heinrich Herkner vom 11. Mai 1909, MWG II/6, S.  121–123, hier S.  121 f. Er sagt, er müsse dabei Leute „wie Stammler, Ostwald, Lamprecht, Vier­ kandt, auch Simmel, mit der größten sachlichen Rücksichtslosigkeit angreifen.“ Diese waren alle der neuen Gesellschaft beigetreten. Weber korrespondiert in dieser Grün­ dungsphase vor allem mit Heinrich Herkner, mit dem er auch im Verein für Socialpolitik zusammenarbeitet. Er möchte ihn unbedingt für den Vorstandsvorsitz gewinnen. Das Berliner Statut (unten, S.  8 57–859), das der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie am 3. Januar 1909 zugrunde lag, sah zwei Vorsitzende vor, einen Vorstandsvorsitzenden (§  6 in Verbindung mit §  12, 1.) und einen Ausschußvorsitzen­ den (§  7). Die weichenstellenden Entscheidungen in der frühen Gründungsphase der Gesellschaft (bis zur außerordentlichen Mitgliederversammlung am 14. Oktober 1909) scheinen im wesentlichen zwischen Weber, Herkner und dem Geschäftsführer Hermann Beck ausgehandelt worden zu sein. 20  Zunächst wurde Kurt Breysig zum Vorsitzenden des Ausschusses gewählt, doch die Wahl, nach einem Einspruch von Ferdinand Tönnies wegen Zweifel an deren Rechtmäßigkeit, schriftlich wiederholt. Daran beteiligten sich 16 Ausschußmitglieder. Max Weber erhielt 7 Stimmen, Kurt Breysig 5, eine entfiel auf Franz Oppenheimer, und es gab drei Enthaltungen (vgl. Rundschreiben von Hermann Beck vom 4. März 1909, SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.2.11). Weber erreichte also nicht einmal die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Er war wohl von Beginn an der Meinung, es bedürfe keines Ausschußvorsitzenden, sondern allenfalls eines Vor­ sitzenden der Gesellschaft. Im Berliner Statut war allerdings neben dem Ausschuß­ vorsitzenden bereits ein Vorstandsvorsitzender vorgesehen. §  12 lautet: „Der Mitglie­ derversammlung obliegen folgende Aufgaben: 1. Wahl der Mitglieder des Vorstandes, wobei eines derselben zum Vorsitzenden, zwei weitere zu stellvertretenden Vorsitzen­ den, ein viertes zum Schriftführer und ein fünftes zum Kassierer zu wählen ist“. Vgl. Berliner Statut (Januar 1909), unten, S.  8 59. Die Mitgliederversammlung wählte zwar einen fünfköpfigen Vorstand, aber offenbar keinen Vorstandsvorsitzenden.

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und einer vorab von ihm ausgesprochenen Ablehnung,21 den Vorsitz im Aus­ schuß, von dem er freilich schon am 17. Februar 1909 sagte, er werde ihn allenfalls übernehmen, „um die Abschaffung eben dieses Amtes so schnell als statutenmäßig thunlich zu betreiben“.22 Und nun, nachdem er doch die auf ihn gefallene Wahl angenommen hat, betont er gegenüber Heinrich Herkner abermals, daß dieses Amt so schnell als möglich zu beseitigen und durch einen Vorsitzenden der Gesellschaft sowie „durch einen ‚Rechner‘ zu erset­ zen“ sei.23 Freilich, bis zur Wahl von schließlich drei Vorsitzenden (Georg Sim­ mel, Werner Sombart, Ferdinand Tönnies) durch die Mitgliederversammlung sowie der Kooptation von vier weiteren Vorstandsmitgliedern durch die Gewählten24 und bis zu seiner Wahl zum (provisorischen) Rechner ermögli­ chte ihm dieses (angeblich überflüssige) Amt, die organisatorischen Fäden weitgehend in der Hand zu halten. Er nimmt erheblichen Einfluß auf die Ver­ änderung des Statuts,25 wirbt mit großer Energie neue Mitglieder, fördert die Gründung von Ortsgruppen, stellt personell die Weichen und formuliert eine Art Forschungsprogramm. Man gewinnt den Eindruck, daß er eine bestimmte Linie beim Aufbau der neuen Gesellschaft gegen Abweichung sichern möchte. Die Gefahr, es könne in die falsche Richtung gehen, droht offenbar vor allem aus Berlin und von Goldscheid.26 In einem bezeichnenden Schrei­ ben an Heinrich Herkner vom 7. April 1909, der nach dem holprigen Beginn 21  In einem Brief an Heinrich Herkner vom 17. Februar 1909 schreibt Weber: „Unter normalen Verhältnissen würde ich nun vielleicht eine – etwaige! – Wahl dazu [gemeint ist zum Vorsitzenden des Ausschusses, W.S.] mit der ausdrücklichen Motivierung an­ genommen haben, daß ich so die notwendige Rücksichtslosigkeit der Situation er­ halte, um die Abschaffung eben dieses Amtes so schnell als statutenmäßig thunlich zu betreiben. Würde dann diese Abschaffung abgelehnt worden sein, so hätte ich das nutzlose, nur störende, dekorative Amt keinesfalls beibehalten, sondern nieder­ gelegt. ‚Wozu erschuf ihn Gott in seinem Zorn?‘ – den Ausschußvorsitzenden nämlich, da die Gesellschaft doch Sie u. neben Ihnen Simmel, Vierkandt, Tönnies etc. hat? Eine bloße Pfründe für eitle Leute wird man doch nicht schaffen wollen?“, MWG II/6, S.  57–59, hier S.  57 f. 22  Ebd., S.  57. 23  Brief Max Webers an Heinrich Herkner vom 16. März 1909, MWG II/6, S.  73–75, hier S.  74. 24  Der neue Vorstand bestand aus 7 Mitgliedern, der alte aus 5, nämlich aus Her­ mann Beck, Heinrich Herkner, Georg Simmel, Ferdinand Tönnies und Alfred Vier­ kandt. 25  In einem Brief an Franz Eulenburg vom 9. November 1911 (der aus der Deutschen Gesellschaft für Soziologie später ohne Angabe von Gründen wieder austrat) schreibt Weber über sein Engagement: „Ich meinerseits habe lediglich 1. die Schusterarbeit der äußeren Organisation übernommen[,] für die Sie Alle sich einfach zu schade sind (Sie persönlich auch, entschuldigen Sie!)[,] 2. die Einleitung dieser Press­enquete ver­ anlaßt.“ MWG II/7, S.  3 32–334, hier S.  3 33. 26  Schon am 11. März 1909 heißt es in einem Brief Webers an Herkner: „Im Herbst muß die Sache entschieden zum Klappen gebracht werden, ev. durch Neugründung, wenn die Berliner u. Goldscheid nicht klein beigeben.“, MWG II/6, S.  71 f., hier S.  72.

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sogar eine Neugründung ins Spiel gebracht hat, kündigt Weber Statuten-Er­ gänzungen an und Vorschläge zur Kooptation weiterer Gelehrter. Er wolle dann die nächste Ausschußsitzung nach Frankfurt a. M. einberufen, „damit auch die Nicht-Berliner und -Leipziger kommen können und wir dem Gold­ scheid’schen Krempel den Hals umdrehen können“.27 Noch erstaunlicher aber ist: Weber gibt der neuen Gesellschaft auch einen bestimmten Forschungsbereich vor, den sie in erster Linie zu bearbeiten habe – erstaunlich deshalb, weil er selbst lange Zeit der Meinung war, das Problem der Soziologie sei, daß sie keinen solchen besitze.28 Auf dem Ersten Deut­ schen Soziologentag – der Soziologentag erinnert an die im Verein für So­cial­ politik gepflegte Generalversammlung – definiert er den Forschungsbereich der Soziologie folgendermaßen: Es sei „eine fundamentale Aufgabe einer jeden Gesellschaft für Soziologie […], diejenigen Gebilde zum Gegenstand ihrer Arbeiten zu machen, welche man konventionell als ‚gesellschaftliche‘ bezeichnet, d. h. alles das, was zwischen den politisch organisierten oder anerkannten Gewalten – Staat, Gemeinde und offizielle Kirche – auf der einen Seite und der naturgewachsenen Gemeinschaft der Familie auf der anderen Seite in der Mitte liegt. Also vor allem: eine Soziologie des Vereinswesens im weitesten Sinne des Wortes, vom Kegelklub – sagen wir es ganz drastisch! – angefangen bis zur politischen Partei und zur religiösen oder künstlerischen oder literarischen Sekte.“29 Auch die Zusammenstellung der Themen auf den ersten Soziologentagen, auf die Weber Einfluß nahm, lassen sich als den Versuch verstehen, den Ort der Soziologie im Konzert der Disziplinen auszuloten. Es handelt sich dabei 27  Brief Max Webers an Heinrich Herkner vom 7. April 1909, MWG II/6, S.  9 0 f., hier S.  91. Weber hoffte zu diesem Zeitpunkt noch, Herkner als Vorsitzenden der Gesell­ schaft zu gewinnen. 28 Weber, Objektivität (wie oben, S.  10, Anm.  37), S.  36 ff., bes. S.  41. Zunächst schränkt Weber seine Erkenntnisabsicht auf sozialökonomische Probleme ein. Dann stellt er fest, daß man die Einseitigkeit einer solchen Betrachtungsweise nicht dadurch heilen könne, „daß sie zu einer allgemeinen Sozialwissenschaft erweitert werde“, denn diese „krankt zunächst an dem Fehler, daß der Gesichtspunkt des ‚So­zia­len‘, also der Beziehung zwischen Menschen, nur dann irgend welche zur Abgrenzung wissenschaftlicher Probleme ausreichende Bestimmtheit besitzt, wenn er mit irgend einem speziellen inhaltlichen Prädikat versehen ist“. Man kann allerdings in seinem Vorschlag den Versuch sehen, genau dieses zu leisten: die Beziehung der Menschen mit einem inhaltlichen Prädikat (Vereinswesen) zu versehen. 29  Weber, Geschäftsbericht, unten, S.  274 f. Wenig später teilt Weber die Forschungs­ aufgaben der Soziologie kategorial sehr viel präziser ein: in die Untersuchung derje­ nigen sozialen Gebilde, die auf einer gesatzten Ordnung und auf Gesellschaftshan­ deln beruhen sowie als Anstalten oder Zweckvereine organisiert sind, von solchen, die auf einer unterstellten Ordnung und auf Einverständnishandeln beruhen sowie Verbandscharakter besitzen. Dazu Weber, Max, Über einige Kategorien der verste­ henden Soziologie, in: Logos. Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur, Band 4, Heft 3, 1913, S.  253–294 (MWG I/12), bes. die Abschnitte IV bis VII.

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nicht zufällig immer um Verhältnisbestimmungen, um das Verhältnis von Tech­ nik und Gesellschaft, Rasse und Gesellschaft, Religion und Gesellschaft, Recht und Gesellschaft, Wirtschaft und Gesellschaft, sowie um das Verhältnis der Soziologie zu der mit dem jeweiligen Gegenstand befaßten Nachbardis­ ziplin. Doch reicht all dies für Weber noch nicht aus, um den „schwankenden Inhalt des Begriffes ‚Soziologie‘“ zu festigen und diesem „bei uns unpopu­ lären Namen“ Reputation zu verschaffen.30 Die Gesellschaft für Soziologie müsse außer über ihre Verfassung – Weber sagt: „Konstitution“ – über ihre konkreten nächsten Aufgaben, die sie erfüllen möchte, erkennbar sein. Dafür entwickelt er nun neben dem Vereinsthema, das ja noch relativ allgemein gefaßt ist und weiterer Konkretisierung bedarf,31 sowie dem Thema Auslese der führenden Berufe innerhalb der modernen Gesellschaft, das dann prak­ tisch nicht aufgegriffen wurde,32 ein konkretes Forschungsprojekt, eine „Soziologie des Zeitungswesens“,33 mit dem das Spezifische einer theoretisch angeleiteten empirischen soziologischen Vorgehensweise auf kooperativer Grundlage sichtbar gemacht werden soll. Es ist „sein“ Projekt, und er sucht dafür die Mitarbeiter und die Finanzmittel, ferner die Kontakte zu den wich­ tigsten Akteuren in diesem Feld.34 Es sei ein relevantes und zugleich höchst sensibles Thema, an dem sich besonders gut demonstrieren lasse, was wert­ urteilsfreie soziologische Forschung bedeute. Leider endet dieser Demon­ strationsversuch nach einem vielversprechenden Beginn schnell auf einem ‚toten Gleis‘. Der Grund war, daß Weber einen Presseprozeß provozierte.35 Er war von höchster Brisanz, weil es dabei um die Rolle des Redaktionsgeheimnisses ging. Weber erkannte es zwar grundsätzlich für die journalistische Arbeit an, 30  Weber, Geschäftsbericht, unten, S.  258. 31  Im Vorfeld fragte Weber Heinrich Herkner im Brief vom 29. März 1909, was sie neben dem Zeitungswesen als mögliche Themen verabredet hätten: „Ich weiß nicht mehr, ob wir: ‚Vereinswesen‘, oder: ‚Geselligkeit‘, oder ‚Weltanschauung und wirt­ schaftl[iche] Gemeinschaften‘, oder ‚Reiseverkehr‘ oder ‚Parteiwesen‘ schließlich als vornehmlich in Betracht zu ziehen verabredet hatten“, MWG II/6, S.  8 6–88, hier S.  87. Verglichen mit der „Zusammenstellung soziologischer Probleme“, die der „Einladung zur Gründung einer Deutschen Gesellschaft für Soziologie“ vom Januar 1909 beige­ geben war (abgedruckt im Editorischen Bericht zu Weber, Einladung zum Beitritt 1909, unten, S.  826 f.), ist dies immerhin bereits eine Konkretion. 32  Vgl. dazu Weber, Geschäftsbericht, S.  283, Anm.  4 8. 33  Ebd., S.  262. 34  Vgl. Weber, Vorbericht, unten, S.  2 08–228, und Weber, Geschäftsbericht, unten, S.  2 62 f. 35 Dazu Lepsius, M. Rainer und Wolfgang J. Mommsen, Einleitung, in: MWG II/7, S.  1–16, hier S.  5 –9, und die zusammenfassende Darstellung bei Lepsius, Deutsche Gesellschaft (wie oben, S.  27, Anm.  6), S.  13 f. Ferner Weber, Rechenschaftsbericht, unten, S.  414, Anm.  4.

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nicht aber in den Fällen, in denen die Ehre einer Person verletzt sei. Hier ver­ langte er, daß Redakteur und Informant bekannt zu machen seien, damit der Verletzte auch gerichtlich gegen diese vorgehen könne. Die Dresdner Neue­ sten Nachrichten berichteten, Weber habe sich wegen seines schlechten Gesundheitszustandes einer angeblichen Duellforderung verweigert. Diese Behauptung entsprach nicht den Tatsachen, und Redakteur wie Informant blieben zunächst anonym. Weber empfand den Bericht als eine schwere Ehr­ verletzung, und es gelang ihm tatsächlich in einem Beleidigungsprozeß, das Redaktionsgeheimnis aufzubrechen. Sowohl der Name des Redakteurs wie der des Informanten wurden bekannt.36 Durch diesen Vorgang, der natürlich auf journalistischer Seite auf Ablehnung stieß, sah er das Vertrauensverhältnis zwischen sich und der Presse, das für die geplante Untersuchung unerläßlich war, als weitgehend zerstört an.37 Auf dem Zweiten Deutschen Soziologentag, der vom 22. bis 24. Oktober 1912 in Berlin stattfand, erläuterte Weber den Vorgang und trat, allerdings verbunden mit dem Angebot, weiter zu helfen und unter wohl nicht zu erwartenden günstigen Umständen auch zurückzu­ kehren, aus der „Erhebung über das Zeitungswesen“ aus.38 Zurückgekehrt ist er nicht. Bemerkenswert ist, wie Weber nach diesem Rückzug den Stand der Gesell­ schaft einschätzt. Er zieht nämlich einen Vergleich mit dem Verein für Socialpolitik. Es sei vorläufig nicht gelungen, „der großen alten, glänzend geleiteten und mit reichen Mitteln arbeitenden Organisation des Vereins für Sozialpolitik, die in mehr als einer Hinsicht für uns als Muster gedient hat, mit etwas schon Ebenbürtigem für unsere Zwecke an die Seite zu treten“.39 Die Gesellschaft habe einfach keine vergleichbaren Ressourcen, aber auch nicht die öffent­ liche Aufmerksamkeit, die sozialpolitische Fragen nun einmal erregten. Aber Weber gibt die Hoffnung nicht auf, daß sich dies bei harter Arbeit in Zukunft ändern könne. Er beendet seinen Bericht mit einem leicht optimistischen Aus­ blick. Er hoffe, „daß es unserer Gesellschaft gelingen möge, der soziolo­ gischen Wissenschaft auch in Deutschland endlich denjenigen Platz zu errin­ 36  Der Redakteur war Otto Bandmann, der Informant Adolf Koch, Privatdozent für Zeitungswissenschaft an der Universität Heidelberg. Ausgangspunkt des Vorgangs war die Affäre Arnold Ruge. Dazu Weber, Zur Affäre Ruge I und II, unten, S.  2 35–239 und 240–242. 37  Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil der Chefredakteur der angegriffenen Zei­ tung, Julius Ferdinand Wollf, zugleich Vorstandsmitglied des Presseverbandes war. 38  Weber, Rechenschaftsbericht, unten, S.  414. Weber formuliert dort: „Ein ganz be­ sonderer Unstern hat über demjenigen Unternehmen gewaltet, welches die deutsche Gesellschaft für Soziologie als erstes ins Leben rufen wollte: der Erhebung über das Zeitungswesen. Hier spielen leider Verhältnisse, die direkt mit meiner Person ver­ knüpft sind, die entscheidende Rolle, denn mir persönlich hat die Verpflichtung oble­ gen, dieses von mir vorgeschlagene Unternehmen in Gang zu bringen.“ 39  Ebd., unten, S.  416.

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gen, welchen sie im Auslande längst besitzt, und der dieser früher mit einem gewissen Recht verschrien gewesenen Disziplin nach ihren jetzigen Leistun­ gen auch unbedingt zukommt.“40 Max Weber betreibt also eine Forschungspolitik, welche die inneruniversi­ täre Forschung um die außeruniversitäre erweitert. Wie M. Rainer Lepsius bemerkt, wollte er im Grunde die Deutsche Gesellschaft für Soziologie zu einer Art Forschungsgemeinschaft entwickeln, „auf der Grundlage freiwilliger Mitarbeit von Mitgliedern und Spenden von Mäzenen“.41 Dafür war freilich die Zeit noch nicht reif. Aber auch die inneruniversitären Strukturen und Prozesse wollte er nicht unverändert lassen. In allen drei Phasen seiner Universitätstätigkeit, in Frei­ burg, Heidelberg und München, arbeitete er an der Verbesserung seiner For­ schungs- und damit auch seiner Lehrsituation. Kaum war er als habilitierter Jurist im Alter von 30 Jahren auf das Ordinariat für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an die Universität Freiburg i. Br. berufen, schlug er eine neue Fakultätsgliederung vor, womit er auch Erfolg hatte. Die Nationalökonomie, die bis dahin in Gestalt des „Cameralistischen Seminars“ zur Philosophischen Fakultät gehörte, sah er für ihre Forschung und vor allem für ihre Lehre besser bei den Juristen untergebracht. National­ ökonomie war Teil des juristischen Curriculums, und auch viele Studenten der Nationalökonomie hörten juristische Vorlesungen. Doch mit diesem Fakultäts­ wechsel wollte Weber die Brücke zur Philosophischen Fakultät keineswegs abbrechen. Er brauchte für seine eigene Tätigkeit auch Unterstützung von dort. Das zeigt sich unter anderem an dem Engagement, das er bei der Wie­ derbesetzung des Lehrstuhls für Philosophie an den Tag legte. In einem kom­ plizierten Berufungsvorgang griff er mit einem Sondervotum in den inner­ universitären Entscheidungsprozeß ein. Alois Riehl, bis dahin Professor für Philosophie an der Universität Freiburg, hatte zum Sommersemester 1896 einen Ruf an die Universität Kiel angenom­ men. Wie zu dieser Zeit üblich, gehörte er der Berufungskommission für seine Nachfolge an. Mit seiner Zustimmung als der des kompetenten Fachvertreters einigte man sich in der Berufungskommission auf eine Dreierliste mit der Rei­ henfolge Rickert, Spitzer, Husserl. Doch die Philosophische Fakultät änderte diese Reihenfolge, setzte Spitzer vor Rickert. Ein Teil der Fakultät beantragte sogar, Rickert gänzlich von der Liste zu nehmen. Sieben Fakultätsmitglieder reichten ein Sondervotum mit diesem Begehren ein. Die komplizierte Prozedur muß hier nicht dargestellt werden. Sie ergibt sich aus Webers Text. Interessant sind zwei Aspekte seines Sondervotums: Zum einen moniert Weber, daß der Berufungsvorgang nicht ‚objektiviert‘ worden 40  Ebd., unten, S.  417. 41  Lepsius, Deutsche Gesellschaft (wie oben, S.  27, Anm.  6), S.  18.

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sei, daß man sich nicht auswärtiger Expertise bedient habe, womit Nichtphi­ losophen über die Qualität und Ausrichtung der Philosophie entschieden hät­ ten; zum anderen reklamiert er, daß bei der Ausrichtung der Philosophie weni­ ger die philosophischen ‚Bedürfnisse‘ der Naturwissenschaften, als vielmehr die der Humanwissenschaften, insbesondere der Sozialwissenschaften, zu berücksichtigen seien. In einer bemerkenswerten Passage heißt es bereits im Jahre 1896, also lange vor Abschluß von Heinrich Rickerts einflußreichem und für Webers eigenen methodologischen Ansatz grundlegendem Werk „Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung“ (1902): „Die bisher publizierte Partie aus seinem jetzt im Druck befindlichen Werk ergab für mich schon jetzt eine derartige Bedeutung auch für den Methodenstreit in der Na­tio­nal­ökonomie, daß ich z. B. in meinen theoretischen Vorlesungen zu die­ sem originellen Gedankenkreise Stellung nehmen mußte.“42 Rickert wurde dann doch berufen, und auch später, bei dessen Berufung nach Heidelberg, hatte Weber seine Hände im Spiel. Auch bei der Bestimmung seines Nachfolgers in Freiburg nach seiner Beru­ fung nach Heidelberg griff Weber offenbar steuernd ein, um in diesem Fall Werner Sombart zu einem Ordinariat zu verhelfen. Wir können sogar anneh­ men, daß die Begründung des Berufungsvorschlags, bei dem Sombart an erster Stelle geführt wird, aus seiner Feder stammt.43 Anders als im Falle Rickerts, hatte Weber hier von vornherein auf externe Gutachten von aner­ kannten Gelehrten des Faches bestanden. Allerdings folgte das Ministerium dem Vorschlag von Fakultät und Senat nicht. Sombart wurde nicht berufen. Auch hier dürften die Gründe außerwissenschaftlicher Natur gewesen sein.44 In Heidelberg ließ Max Weber mit Unterstützung der Philosophischen Fakul­ tät ein „Volkswirtschaftliches Seminar“ einrichten, das bis dahin nicht existierte.

42  Weber, Separatvotum, unten, S.  572. 43  Weber, Wiederbesetzung des Nationalökonomischen Ordinariats, unten, S.  577– 588. 44  Im Fall Sombart waren es freilich keine politischen Gründe. Als Robert Michels in einer Abhandlung über „Universität und Sozialismus“ Sombart als ein Beispiel für po­ litische Diskriminierung in Deutschland anführte, antwortete Weber: „So geht es in Deutschland nicht an, Sombart’s Schicksal als wesentlich politisch bedingt hinzustel­ len.“ Und weiter: „Sombart ist 5 Mal von Fakultäten 1. Loco vorgeschlagen, 1 Mal berufen (auf den Lehrstuhl Büchers und Gotheins, – die ihn beide als Gelehrte denn doch weit überragen) nach Karlsruhe, u. hat dort in grober Form abgelehnt. Von den 4 übrigen Fällen war nur 1 politisch bedingt. In 2 von den andren lag die Sache so (ich habe selbst dem badischen Minister Vortrag gehalten), daß man die Art seines Sich-Gebens ‚unreif‘ fand, in einem der beiden Fälle auch Gothein pari passu (oder sogar vor ihm) genannt war. Bei den Fachcollegen hat er sich (bitte: nur für Sie!) durch sein auch mir widerliches Protzen mit sexuellen Erfolgen s. Zeit drunter durch ge­ bracht.“ Brief Max Webers an Robert Michels vom 16. Aug. 1908, MWG II/5, S.  6 38 f. Dennoch hätte Weber ihn gerne als seinen Nachfolger in Heidelberg gesehen.

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Auch forderte er sofort eine zweite Professur für Nationalökonomie.45 Da er zugleich als Mitdirektor in das „Staatswissenschaftliche Seminar“ eintrat, dem zuvor Karl Knies angehört hatte und dessen anderer Direktor Georg Jellinek war, gab es hier keine Notwendigkeit, wie in Freiburg, für einen Wechsel in die Juristische Fakultät. Denn die Verbindung zur Jurisprudenz war über das „Staatswissenschaftliche Seminar“ und seinen juristischen Direktor herge­ stellt. Freilich gelang es Weber erst aufgrund seiner Erkrankung, die von Beginn an erstrebte zweite Professur für Nationalökonomie tatsächlich zu erringen. Und erst nach seinem Rücktritt vom Lehramt wurde in Heidelberg Nationalökonomie von zwei Ordinarien gelehrt, von Eberhard Gothein als Nachfolger Max Webers, dazu von Karl Rathgen und nach ihm von Alfred Weber. In München schließlich bestand Webers Interesse darin, die Soziologie, die er kurz zuvor noch als ‚hybrides‘ Fach bezeichnet,46 von der er aber bereits 1912 in so hoffnungsvollen Tönen gesprochen hatte, endlich als Fach zu eta­ blieren. Er wollte es mit Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie mit theore­ tischer Nationalökonomie verbunden sehen. Das war eine zukunftsweisende Idee, die auf eine historisch ausgerichtete Sozialwissenschaft (theoretische Soziologie und Nationalökonomie in Verbindung mit Sozial- und Wirtschafts­ geschichte) zielte. Doch sie blieb an die Person Webers gebunden und hatte keine institutionelle Auswirkung. Die sich verstärkende Spezialisierung und die Abgrenzung der Fächer voneinander standen ihr entgegen. Alle drei Dis­ ziplinen, die Nationalökonomie, die Soziologie und die Geschichtswissen­ schaft, gingen ihre eigenen Wege, verloren sich über weite Strecken sogar gänzlich aus dem Auge, und nur hin und wieder fanden sie wieder zusam­ men, aber meist nur personell, nicht institutionell. An diesen drei Beispielen wird deutlich: Weber fügt sich nicht einfach in das Überkommene, sondern sucht es zu erweitern, gar umzugestalten. Insofern agiert er hier als Hochschulpolitiker, Forschungspolitiker und Wissenschafts­ organisator zugleich. Bestimmend sind dabei auch immer seine eigenen For­ schungsinteressen, für die er einen förderlichen institutionellen Rahmen sucht.

45  Weber, Antrag auf Errichtung einer zweiten nationalökonomischen Professur, un­ ten, S.  5 99–601, sowie die Auseinandersetzungen um das etatmäßige Extra­ordina­ riat, Weber, Errichtung Extraordinariat, unten, S.  5 89–593. 46  Schreiben Max Webers an das k.k. Ministerium für Kultus und Unterricht in Wien vom 5. Juni 1918, MWG II/10, S.  179–182, hier S.  181.

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5.  Der Gutachter und Laudator An der Art und Weise, wie Weber sich an den Berufungsverfahren Rickert und Sombart in Freiburg beteiligte, läßt sich bereits erkennen: Sachfremder Einfluß auf die Besetzung von Professorenstellen sollte möglichst ausge­ schlossen werden. Sein Wunsch nach Beteiligung Externer erklärt sich teil­ weise daraus, daß in den hier in Frage kommenden Disziplinen mitunter nur ein Fachordinariat existierte, so daß bei einer Wiederbesetzung der ausschei­ dende Ordinarius in der Berufungskommission der einzige Fachmann sein konnte. Hinzu kam ein allgemeiner Mangel des ‚Karrieresystems‘ der deut­ schen Universität: Es war durchaus üblich, daß ein junger Wissenschaftler von demselben Professor promoviert, habilitiert und dann unter Umständen auch noch zum Extraordinarius gemacht wurde. Die Gefahr der Bevorzugung der eigenen Schüler war groß. Deshalb sei er, so Weber in „Wissenschaft als Beruf“, dem Grundsatz gefolgt, „daß ein bei mir promovierter Gelehrter sich bei einem andern als mir und anderswo legitimieren und habilitieren müs­ se“.47 Das Resultat sei freilich gewesen, „daß einer meiner tüchtigsten Schü­ ler anderwärts abgewiesen wurde, weil niemand ihm glaubte, daß dies der Grund [für seinen Wechsel, W.S.] sei“.48 Der tiefsitzende Patriarchalismus widersprach offensichtlich dem Leistungs- und Konkurrenzprinzip, das nach Weber im Hochschulwesen zu gelten hatte. Auf dem Hochschullehrertag in Leipzig, wo er den Fall Michels darlegte, lobte er die Italiener, weil bei ihnen – gemäß dem Concours-Prinzip – die externe Evaluation durch kompetente Fachvertreter bei der Besetzung einer Stelle nicht in das Belieben der Fakul­ tät gestellt werde, sondern fest vorgeschrieben sei. In einer Situation, in der es weder eine Ausschreibung von Stellen noch eine förmliche Bewerbung um sie gab, sollte bei Besetzungsfragen die vergleichende Betrachtung von Kan­ didaten durch Externe eine wichtige Rolle spielen. Das war eine Maxime, an die Weber sich in Berufungsverfahren von Beginn an hielt. Ein besonders eindrückliches Beispiel dafür ist sein Gutachten, das er für die Juristische Fakultät der Universität Wien erstattete. Er formulierte es zu einem Zeitpunkt, als er selbst probeweise dort lehrte, aber die endgültige Entscheidung, in diese Fakultät als Nachfolger des verstorbenen Eugen von Philippovich einzutreten, noch nicht getroffen hatte. Für den Fall, daß er blie­ be,49 würde sein Votum also mit darüber entscheiden, wer in Zukunft sein direkter Kollege sei. Der zweite Lehrstuhl war durch die Ernennung von Fried­ rich von Wieser zum Handelsminister freigeworden. Dieser war ein führender 47  Weber, Wissenschaft als Beruf, MWG I/17, S.  72 f. 48  Ebd., S.  73. Der Schüler war Robert Liefmann. 49  Weber absolvierte nach langer Pause ein Probesemester, um seine Lehrfähigkeit zu prüfen. Man hatte vereinbart, daß er sich Ende des Semesters für oder gegen sein Bleiben entscheiden sollte.

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Vertreter der österreichischen Schule der Nationalökonomie, der sogenann­ ten Grenznutzenschule. Die Berufungskommission hatte der Fakultät eine Liste mit Ladislaus von Bortkiewicz an erster Stelle und Karl Diehl und Arthur Spiethoff pari passu an zweiter Stelle vorgelegt. Max Weber wurde nun von der Fakultät als immer noch externer Sachverständiger gebeten, zu diesem Vorschlag Stellung zu nehmen, was er denn auch in bemerkenswerter Aus­ führlichkeit tat.50 Weber beginnt mit einem für ihn typischen Argument: Man habe den bedeu­ tendsten jüngeren Theoretiker, nämlich Joseph Schumpeter, aus außerwis­ senschaftlichen Erwägungen heraus übergangen. Der an erster Stelle vorge­ schlagene von Bortkiewicz sei diesem zwar als Theoretiker durchaus eben­ bürtig, nicht aber als Lehrer, so daß, unter rein sachlichen Gesichtspunkten, Schumpeter primo loco zu setzen sei. Auch für die zweite Stelle gebe es bessere Alternativen, wobei er Diehl trotz seiner für ihn inakzeptablen Orien­ tierung an den Arbeiten von Stammler immerhin für listenfähig erachtet.51 Spiethoff jedoch gehöre nicht auf diese Liste, so daß Weber, im Gegensatz zur Berufungskommission, zu einem anderen Vorschlag kommt. Webers Auswahlkriterien sind dabei 1. der Grad der theoretischen Schu­ lung und der Klarheit des Denkens; 2. die auch von Studenten bestätigte Lehrbegabung; 3. die Integrität der Person, ihr Charakter; sowie 4., als nach­ geordnetes, pragmatisches Kriterium, Verfügbarkeit. Gemessen daran gehöre Schumpeter eindeutig an die erste Stelle der Liste. Platz 2 sollte pari passu mit Bortkiewicz und Plenge, Platz 3 pari passu mit Diehl und Spann besetzt werden. Spiethoff aber sei zu streichen: Er sei nicht nur den hier Vorgeschla­ genen, sondern auch vielen anderen unterlegen, und Weber spart nicht mit Namen, die noch vor Spiethoff zu berücksichtigen wären. Er warnt die Fakul­ tät davor, die Liste der Berufungskommission zu akzeptieren. Angesichts der Tatsache, daß das Ministerium Bortkiewicz wegen seiner Herkunft (Russe) vermutlich nicht berufen werde, laufe das Ganze faktisch auf einen „Einzelvorschlag von Prof. Spiethoff“ hinaus.52 Weber qualifiziert Spiethoff, einst Assistent von Schmoller, als einen Prakti­ ker ohne theoretischen Tiefgang.53 Daß man ihn überhaupt als Nachfolger von einem der wichtigsten Theoretiker der österreichischen Schule vorge­ schlagen habe, sei offenbar der Tatsache geschuldet, daß die Fakultät poli­ tischen Einfluß auf die Regierung mittels Beratertätigkeit zu gewinnen suche. 50  Weber, Gutachten Wien, unten, S.  6 05–616. 51  Später heißt es dann allerdings über Diehl: „kein klarer Kopf“. Weber, Gutachten für die hohe Juristische Fakultät, unten, S.  6 37. 52  Weber, Gutachten Wien, unten, S.  612. 53 Spiethoff war derjenige, der in der Affäre Salz–Sander die Attacke der Prager Fakultät gegen Weber geführt hatte. Weber behauptet allerdings hier, dies habe kei­ nen Einfluß auf sein Urteil.

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Dies aber mache die Wissenschaft letztlich zu einer Magd der Politik. Schlim­ mer noch: „Der politische ‚Einfluß‘, den die Lehrkörper dadurch zu erlangen sich schmeicheln[,] ist weitgehend illusionär.“54 Weber zitiert das Beispiel von Gustav Schmoller, dem als langjährigem Vorsitzendem des Vereins für Socialpolitik großer politischer Einfluß zugeschrieben worden sei. Strenggenom­ men, so kann man Webers Einlassung interpretieren, habe ihn die (preu­ ßische) Regierung aber nur für ihre eigenen Propaganda- und Reklame­ zwecke benutzt. Weber führt aus: „Selbst eine Persönlichkeit von dem Eigengewicht Schmollers, des in Deutschland ohne Vergleich glänzendsten Repräsentanten des Typus, der doch zugleich ein bedeutender Gelehrter war, hat in jener ‚beratenden‘ Funktion wesentlich die Fähigkeit entwickelt, stets rechtzeitig zu wissen, was die Ministerien jeweils vertreten zu sehen wün­ schen[,] und dies dann als ‚Ergebnis der Wissenschaft‘ zu verkünden. Als Gegengabe besaß er eine weitgehende Patronage für die akademische Stel­ lenbesetzung, und dieser Einfluß bildete die Grundlage seines Prestiges.“55 Weber spricht in diesem Zusammenhang abfällig von „Geschäftsprofes­ soren“. Ähnlich wie die „Tendenzprofessoren“, gefährden sie die Autonomie der Universität. Sie würden der Politik auch nicht wirklich helfen, denn ihnen fehle „die Schärfe des rücksichtslosen Durchdenkens“ der Sachverhalte.56 Der Politik wäre weit besser gedient, wenn sie sich in die Hände „innerlich ganz ungebundener und das heißt: prinzipiell nur an wissenschaftlichen Auf­ gaben sich orientierender und ihnen hingegebener akademischer Persönlich­ keiten“ begeben würde.57 Weber insistiert also auf die Trennung von Wissen­ schaft und Politik im Interesse der Autonomie und der gegenseitigen Nützlich­ keit beider Sphären. Wenig später, nachdem er den Ruf an die Universität München angenommen und als Mitglied der Staatswirtschaftlichen Fakultät einen Berufungsvorschlag der Fakultät gegenüber der Juristischen Fakultät zu rechtfertigen hatte, spricht er vom „Ausschluß von Politikern oder – voraus­ sichtlich – vornehmlich politisch Interessierten oder voraussichtlich politisch in Anspruch genommenen Herren“,58 also aller Tendenz- oder Geschäftspro­ fessoren, aus dem Berufungsgeschehen. Diese Entscheidung, der er sich 54  Ebd., unten, S.  613. 55  Ebd., unten, S.  613 f. Paul Honigsheim bemerkt in seinen Erinnerungen zu Webers distanziertem Verhältnis zu Schmoller: Nicht zuletzt habe dieser „durch seine persön­ lichen Beziehungen im preußischen Kultusministerium seine Schüler in einflußreiche Stellen in Verwaltung und Universität gebracht und ist auf diese Weise ein Universi­ tätspapst gewesen, wie es seit Hegel kaum noch irgendein anderer Universitätspro­ fessor mehr gewesen war. Insbesondere diese Cliquenwirtschaft war aber unserem Heidelberger höchst zuwider.“ Honigsheim, Erinnerungen (wie oben, S.  11, Anm.  41), S.  165. 56  Weber, Gutachten Wien, unten, S.  6 08. 57  Ebd., unten, S.  614. 58  Weber, Gutachten für die hohe Juristische Fakultät, unten, S.  6 36.

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auch selbst unterwerfe, denn er sei aus der Politik ausgeschieden, treffe so qualifizierte Personen wie Hilferding (USPD), von Schulze-Gaevernitz (DDP) und inzwischen auch Schumpeter, der durch seine skandalumwitterte Tätig­ keit als österreichischer Finanzminister im Kabinett Renner seine akademi­ schen Chance verschlechtert habe. Aber auch reine Spezialisten könne man nicht gebrauchen. Unter diesen Kriterien wäre, so Weber, Emil Lederer, inzwi­ schen mit ihm durch das Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik und durch seine Heidelberger Tätigkeit verbunden, eine gute Wahl. Auf ihn aber habe man sich in der Berufungskommission nicht einigen können. So sei nun Franz Eulenburg erste Wahl. Seine Entwicklung hatte Weber schon längere Zeit mit Wohlwollen verfolgt, ihn einst auch gegen einen scharfen Angriff von Lujo Brentano vertei­digt.59 Für seine Plazierung an erster Stelle der Liste gibt er folgende Begründung, an der seine Beurteilungskriterien recht gut zu erkennen sind: „Eulenburg ist (getaufter) Jude,60 tadelloser aufrechter Cha­ rakter, in erster Reihe kritisch veranlagt, vorzüglicher Dozent, absolut unpoli­ tisch, hat nie etwas Anfechtbares geleistet, sondern stets höchst förderliche Spezial- (und auch: zusammenfassende) Arbeiten auf erstaunlich vielen Gebieten, vor Allem auch: Statistik (was bei Keinem der Andren zutrifft außer bei dem Russen Bortkiewicz–Berlin, der als Dozent nicht erste Qualität ist).“61 Auch bei Dissertationen – es gab noch kein Diplom, für dessen Einführung sich Weber in München aber einsetzte – und bei Habilitationsschriften zählte bei ihm allein die wissenschaftliche Leistung. Er sei stolz darauf, so seine Einlassung auf dem Hochschullehrertag in Leipzig, „daß sich meine Schüler allen Richtungen angeschlossen haben, von der äußersten agrarischen Rich­ tung bis zu den am meisten linksstehenden Gruppen“.62 Er habe sie eben zu strenger wertfreier wissenschaftlicher Arbeit erzogen – er spricht von „Schu­ lung“ –, nicht mit Weltanschauung traktiert. Prüft man die überlieferten Gut­ achten, so scheinen ihn bei der Bewertung von Examensarbeiten folgende Kriterien geleitet zu haben: gediegenes Quellenstudium, Gewandtheit der Tatsachengruppierung, übersichtliche Darstellung und Blick für den größeren Zusammenhang.63 Weber wollte theoriegeleitete empirisch-historische For­ schung. Jeder Art von Feuilletonismus wie jeder Art von Spekulation war er abhold.

59  Vgl. unter anderem auch Weber, Rezension von Eulenburg, unten, S.  169. 60  Daß Weber dies erwähnt, ist offensichtlich ein Zugeständnis an die üblichen Kate­ gorisierungen im akademischen Leben, dürfte aber angesichts seiner Überzeugung bei der Auswahl eigentlich keine Rolle spielen. 61  Weber, Gutachten für die hohe Juristische Fakultät, unten, S.  6 38. 62  Weber, Die Auslese für den akademischen Beruf. Berichte, unten, S.  782. 63  Unten, S.  509–557.

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Aber er war nicht nur ein unbestechlicher Gutachter, sondern auch ein ein­ fühlsamer Laudator. Zwei Beispiele seien genannt. Das erste betrifft Gustav Schmoller, den Vorsitzenden des Vereins für Socialpolitik und Webers wissen­ schaftlichen und sozialpolitischen Opponenten, das zweite Georg Jellinek, den Mitdirektor am „Staatswissenschaftlichen Seminar“ der Universität Hei­ delberg und väterlichen Freund. Die spannungsreiche, aber respektvolle Beziehung zwischen Gustav Schmoller und Max Weber wurde bereits ausführlich geschildert. Obgleich sich Weber einst als Kind der (jüngeren) historischen Schule der Nationalöko­ nomie bezeichnete,64 deren Haupt Schmoller ja war, ging er doch sehr früh zu dieser Richtung des ökonomischen Denkens auf Distanz. Im Metho­ denstreit der deutschsprachigen Nationalökonomie stand er eher auf Men­ gers als auf Schmollers Seite.65 Zudem hielt er Schmollers ethische National­ ökonomie für eine Fehlkonstruktion. Aber dies hinderte ihn nicht, ihm aus Anlaß seines 70. Geburtstags am 24. Juni 1908 eine Glückwunschadresse zu senden, die mehr enthält, als die bei solchen Anlässen übliche Rhetorik. Sie zeigt, daß Schmoller für ihn doch weit mehr als ein „Geschäftsprofessor“ war. Er lobt seine Führerschaft in sozialpolitischen Fragen, auch seinen unverzicht­ baren Beitrag für die andauernde Vitalität des historischen Denkens. Aber er verschweigt auch nicht das, was ihn von ihm trennt. „Gleichviel aber“, so schreibt er unter anderem, „ob es heute vielleicht an der Zeit ist, mehr die theoretische Seite zu pflegen – daß die Zeit für theoretische Arbeit wieder reif werden konnte, daß überhaupt ein mächtiger Bau voll Erkenntnis und histo­ rischer Durchdringung, psychologischer Analyse und philosophischer Gestal­ tung vor uns steht, den wir Jüngeren nun wieder versuchen dürfen, mit den Mitteln theoretischer Begriffsbildung weiter zu bearbeiten –, das alles danken wir schließlich vornehmlich Ihrer jahrzehntelangen, unvergleichlich erfolg­ reichen Arbeit.“66 Im Fall des verstorbenen Georg Jellinek ist die Ausgangslage eine andere. Er ist der betrauerte Kollege und hilfreiche Freund.67 Bei der Hochzeitsfeier von Dora Jellinek, der Tochter, übernimmt Weber stellvertretend die Rolle des 64 Weber, Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik, MWG I/4, S.  5 63: „wir Jünger der deutschen historischen Schule“. 65  Weber, Objektivität (wie oben, S.  10, Anm.  37), S.  61 ff. 66  Weber, Glückwunschadresse Gustav Schmoller, unten, S.  108. 67  Weber stand mit Jellinek kurz vor dessen Schlaganfall in besonders intensivem Austausch über die Gründung einer deutsch-amerikanischen Akademie für internati­ onales Recht und Politik in Heidelberg, wobei sowohl konzeptionelle Fragen wie sol­ che der ‚Drittmittelfinanzierung‘ erörtert wurden. Vgl. dazu die Briefe von Max Weber an Georg Jellinek vom Juli bis zum Dezember 1909, MWG II/6, S.  180 f., 189 f., 198– 201, 226–228, 233 f. und 261. Eine Komplikation ergab sich daraus, daß beide auf dieselben Sponsoren für ihre Projekte zielten, Jellinek für die Akademie, Weber für die Presse-Enquete.

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Brautvaters. Und er lenkt, in einer eindrucksvollen rhetorischen Figur, den Gedanken von der Tochter auf die Witwe und von ihr auf den verstorbenen Freund. Er zeichnet meisterhaft dessen Charakter aus dem Zusammenspiel von Konzilianz und „rücksichtslose[r] Unnachgiebigkeit“ in Fragen der menschlichen Würde, und er skizziert den versöhnenden Charakter seines Humors, der in Lebensweisheit gründe und nicht mit Witz, Ironie, Komik oder Spott zu verwechseln sei. Er gedenkt aber auch voll Dankbarkeit der Anre­ gungen, die er von den Arbeiten des Freundes empfangen habe: „die Schei­ dung naturalistischen und dogmatischen Denkens im ‚System der subjektiven öffentlichen Rechte‘ für methodische Probleme, die Prägung des Begriffs der ‚sozialen Staatslehre‘ für die Klärung der verschwimmenden Aufgaben der Soziologie, der Nachweis religiöser Einschläge in der Genesis der ‚Men­ schenrechte‘ für die Untersuchung der Tragweite des Religiösen überhaupt auf Gebieten, wo man sie zunächst nicht sucht.“68 Hier zeigt sich Weber von seiner sensiblen Seite, für den Freundschaft keine leere Formel ist.69 Doch Konzilianz und versöhnender Humor, das weckte zwar Webers Bewunderung, war aber nicht unbedingt seine Sache. Dafür war er zu streit­ bar, immer wieder auch in öffentliche Affären verstrickt. Sie dienten ihm vor allem dazu, in „rücksichtsloser Unnachgiebigkeit“ der ethischen Seite von Wissenschaft als Beruf Geltung zu verschaffen, und manche der dadurch ausgelösten öffentlichen Affären endete sogar vor Gericht.70

6.  Der Provokateur öffentlicher Affären Über die Affäre Ruge, die zur Auseinandersetzung mit den Dresdner Neu­ esten Nachrichten und schließlich zur Affäre Koch führte, wurde im Zusam­ menhang mit der letztlich gescheiterten Zeitungsenquete bereits berichtet. Sie betraf mit Arnold Ruge und Adolf Koch vor allem zwei Hochschullehrer, beides Privatdozenten an der Universität Heidelberg. Weber sprach ihnen die Qualifikation zum Hochschullehrer ab, nicht wegen fehlender fachlicher Kom­ 68  Weber, Tischrede auf der Hochzeit von Dora Busch, unten, S.  252. 69 Dazu auch das Kondolenzschreiben von Max Weber an Camilla Jellinek vom 14. Januar 1911 aus Anlaß von Georg Jellineks Tod in der Nacht vom 12. auf den 13. Januar 1911 mit der Formulierung: „Ich habe in diesen wundervollen Gaben sei­ nes Herzens stets eine Frucht jener reinsten und unverfälschtesten Menschlichkeit gesehen, wie sie die feinsten Elemente des Judentums, dem er durch Geburt ange­ hört hatte, durch eine allem Druck der Jahrtausende stand haltende uralte Überliefe­ rung von Geschlecht zu Geschlecht sich erhalten und bei sich gepflegt hatten“, MWG II/7, S.  37 f., hier S.  37. 70 Webers Strategie, mittels gezielter Provokation den Gegner zu einer Beleidi­ gungsklage zu nötigen und ihn so vor Gericht zu locken, vgl. Lepsius, Mommsen, Einleitung, in: MWG II/7, S.  6.

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petenz, sondern wegen der Verletzung akademischer Anstandsregeln. Sie hätten mit ihrem Verhalten gegen die akademische Standesehre verstoßen, die zu beachten jeder Hochschullehrer verpflichtet sei.71 Wo immer Weber den akademischen Anstand verletzt sah, gab es für ihn kein Halten. Ein Bei­ spiel dafür ist neben der Affäre Ruge und der Affäre Koch die Affäre Salz– Sander, die sich, nicht zuletzt durch seine Intervention, immer weiter ver­ schärfte und schließlich zu einer Affäre Max Weber–Prager Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät wurde. Arthur Salz, ein Schüler Alfred Webers, der ihm von Prag nach Heidelberg gefolgt war, hatte 1913 eine Schrift mit dem Titel Geschichte der böhmischen Industrie in der frühen Neuzeit vorgelegt, die von Paul Sander, einem Extraor­ dinarius und Kollegen aus Prager Zeiten, in einer Rezension scharf kritisiert wurde. Um diesem Angriff entgegenzutreten, bat Salz Max Weber um Platz für eine ausführliche Antikritik im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Dieser erfülllte ihm diese Bitte, fügte der Salzschen Antikritik aber ein „Redaktionelles Nachwort“ hinzu. Es ist von beachtlicher Länge. Damit wollte er den denunziatorischen Charakter von Sanders Kritik aufdecken, mit der, so 71  Beiden wurde übrigens die venia legendi entzogen, Koch am 28. Februar 1913, in direktem Zusammenhang mit der Affäre, Ruge erst später. Im Zusammenhang mit der Affäre erhielt er nur einen Verweis. Ruge, ein Schüler Windelbands, fühlte sich nach der Berufung Heinrich Rickerts als Nachfolger Windelbands in Heidelberg zurückge­ setzt und entwickelte eine Verschwörungstheorie, nach der in der Philosophischen Fakultät „gegen die sonst eingehaltene Reihenfolge fast ausschließlich jüdische Kol­ legen und solche bevorzugt wurden, die aus irgend einem Grunde am Kriege in kei­ ner Weise beteiligt sind.“ Dies bezieht sich auf Karl Jaspers und auf den Einfluß Max Webers auf das Berufungsgeschehen, der vollkommen im Dienste der jüdischen Frankfurter Zeitung stehe, ein Geist, der die Philosophische Fakultät beherrsche, „da die Vertreter der kulturellen Hauptfächer innerhalb derselben, der Nationalökonomie (Gothein), der Kunstgeschichte (Neumann), der Literaturgeschichte (v. Waldberg) Ju­ den sind und der Vertreter der Philosophie (Rickert) extremster Demokrat, Feminist und ein ausgesprochener und rücksichtsloser Gegner deutschnationaler Weltan­ schauung ist.“ Zehnseitiges Schreiben (handschriftlich) von Arnold Ruge an Victor Frhr. von Schwoerer, den Leiter der Hochschulabteilung im badischen Ministerium der Justiz, des Kultus und des Unterrichts, vom 8. November 1917 (GLA Karlsruhe, Ministerium des Kultus und Unterrichts, 10. Nov. 17, A. 11884). In einem zweiten Schreiben (maschinenschriftlich) vom 9. Dezember 1917, gleichfalls an Schwoerer, überschrieben „Zur Orientierung“, teilt er mit, Weber und Rickert wollten nach Wien wechseln oder aber den Wiener Ruf (angeblich an beide!) dazu benutzen, um ihre Situation in Heidelberg zu verbessern. Dabei habe Rickert die Philosophie in Heidel­ berg ruiniert (ebd., ohne Aktenzeichen). Ruge entwickelte sich immer mehr zu einem antisemitischen Hetzer. Nach dem Entzug der venia hielt er einen Vortrag in Mün­ chen, über den der von Dietrich Eckart geleitete Völkische Beobachter. Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands am 30. Januar 1921 unter dem Titel „Deutsche Hochschule. Arnold Ruges Abrechnung mit der Universität Hei­ delberg“ berichtete. Es sei die „erste große und glänzende Abrechnung mit dem intellektuellen Judentum an der Ruperto-Carola“.

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Webers Behauptung, die wissenschaftliche Integrität von Arthur Salz zerstört werden sollte. Eine Kritik der Schrift von Salz in der Sache hätte ihn nicht gestört – er selbst hielt sie für keine wissenschaftliche Meisterleistung. Aber er sah die guten Sitten, die in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zu beachten waren, eklatant verletzt. Ähnlich wie in den Fällen Ruge und Koch, galt ihm auch Sander als ein Hochschullehrer, der gegen den akademischen Anstand verstoßen hatte und an dem deshalb ein Exempel statuiert werden mußte. Deshalb suchte er in einer „eklen eigenen Nachprüfung dieser seiner sämtlichen in das Gebiet der Plagiatschnüffelei gehörenden Leistungen“ dar­ zulegen, daß hier nicht der Geist sachlicher Auseinandersetzung, sondern der der persönlichen Herabsetzung am Werke war. Denn das Resultat seiner Überprüfung ergebe eine bei „jeder Nachprüfung sofort erkennbare Unwahrheit seiner sämtlichen höchst widerwärtigen Denunziationen“.72 Weber verfolgt auch hier die ‚bewährte‘ Strategie: Er provoziert, indem er die Integrität des Rezensenten bestreitet. Dieser sei von der leidenschaft­ lichen Begierde getrieben, „einem anderen die literarische Ehre abzuschneiden“,73 und damit gehöre er nicht in den Lehrkörper einer Universität. Wissen­ schaft als Beruf verlange nicht nur Fachkompetenz, sondern auch Ethos. Wo dieses fehle, genüge man den Anforderungen dieses Berufs nicht. Weber erreichte zunächst, was er beabsichtigte: Sander beantragte gegen sich ein Disziplinarverfahren und drohte Weber wegen Beleidigungen seiner Person mit dem Gericht. Auch Salz, inzwischen Privatdozent an der Philoso­ phischen Fakultät der Universität Heidelberg, beantragte gegen sich ein Dis­ ziplinarverfahren, um sich gegen die Plagiatsvorwürfe zu wehren. Doch beide Fakultäten sahen für ein Disziplinarverfahren keinen Grund. Während die Hei­ delberger Fakultät den Fall zu den Akten legte, sah sich die Prager Fakultät jedoch veranlaßt, Weber maßlose und unzulässige Angriffe auf eines ihrer Mitglieder vorzuwerfen. Damit wurde aus der Rezension eines mittelmäßigen Buches eine Konfrontation zwischen Max Weber und der Prager Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät. Zu dem von Sander angedrohten Gerichts­ verfahren kam es nicht. Für Weber war die Alternative zum Gerichtsverfahren die öffentliche Ehren­ klärung. Sie könne in dem Eingeständnis bestehen, daß man einen Fehler begangen habe,74 oder aber darin, daß man wenigstens eine „unglückliche Ausdrucksweise“ richtigstellt. Weber legte Sander nahe, wenigstens den zweiten Weg zu beschreiten, zu erklären, „daß es außerhalb aller und jeder Absicht seinerseits gelegen habe, den Anschein irgend eines unfairen Verhal­ tens gegen jenen Dozenten entstehen zu lassen“. Dann wäre der Fall aus der 72  Weber, Redaktionelles Nachwort, unten, S.  4 38. 73  Ebd., unten, S.  4 32. 74  Vgl. Weber, Erklärung zur Affäre Salz-Sander, unten, S.  4 49.

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Welt geschafft und nicht nur die Ehre des Angegriffenen, sondern auch die des Angreifers wiederhergestellt.75 Für Weber ist also der Fall Sander ein Anlaß, um für die guten Sitten im akademischen Leben zu streiten. Man müsse zwar konkurrieren, aber dürfe die Ehre des Konkurrenten nicht verletzen. Denn Konkurrenz heißt nach seiner Soziologie friedlicher Kampf. Dieser Kampf ist an Regeln gebunden, und diese erlauben zwar die schärfste Kritik in der Sache, nicht aber die Herab­ setzung der mit der Sache verbundenen Person. Weber fordert eine faire Kritik, wie er überhaupt Fairness im deutschen Wissenschaftssystem immer wieder mißachtet sieht. Daher sein Eintreten für diejenigen, die in seinen Augen unfair behandelt werden, wie Naumann im Verein für Socialpolitik, Michels bei seinem Ersuchen um Habilitation, Simmel in Berufungsverfahren – und eben Salz bei der Beurteilung seiner Integrität. Weber spielt in diesem Fall die „literarische Sittenpolizei“,76 und er will, im Interesse der „guten Sitten literarischer Diskussion“, ein Exempel statuieren.77 Dabei spielt wohl auch eine Rolle, daß er sich selbst einst unfair behandelt fühlte, durch die Kritiker seiner Protestantismus-Aufsätze.78 Dies kann freilich nicht darüber hinweg­ täuschen, daß er in seinem Rigorismus mitunter die Proportionen aus dem Auge verliert. Um Fairness geht es letztlich auch im Fall Arco. Freilich hat dieser keinen wissenschaftlichen, sondern einen politischen Hintergrund. Aber die Politik verbindet sich hier mit Universitätsangelegenheiten. Und diese Verbindung war für Weber besonders brisant, denn sie warf das Problem der Katheder­ wertung auf. Am 21. Februar 1919 erschoß der Münchener Student Anton Graf von Arco-Valley den bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner, der sich auf dem Weg in den Bayerischen Landtag befand. Er wurde verhaftet und vor Gericht gestellt. Am 16. Januar 1920 verurteilte ihn das Landgericht Mün­ chen I zum Tode. Der Vorgang bewegte auch die Münchener Studenten­ schaft. Man sah in Arco einen der seinen, und er hatte während des Pro­ zesses nach allgemeiner Meinung eine gute Figur abgegeben. Auch Weber zollte seinem Verhalten vor Gericht Respekt. Er nannte es „ritterlich und in jeder Beziehung manneswürdig“.79 Das Todesurteil freilich hielt er für konse­ quent. Anders sahen dies insbesondere die rechtsgerichteten Teile der Mün­ 75 Ebd. 76  Weber, Redaktionelles Nachwort, unten, S. 441. 77  Ebd., unten, S.  422, sowie Editorischer Bericht zu Weber, Redaktionelles Nach­ wort, unten, S.  418. 78 Weber, Die Protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus, MWG I/9, S.  97–215 und 222–425, und die Antikritik zu Karl H. Fischer, ebd., S.  4 63–514, und zu Felix Rachfahl, ebd., S.  515–740. 79  Anonyme stenographische Mitschrift von Max Webers Ausführungen am 19. Ja­ nuar 1920, wiedergegeben im Editorischen Bericht zu Weber, Sachliche (angeblich:

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chener Studentenschaft, die im AStA die Mehrheit hatten. Sie suchten für eine Begnadigung Arcos zu mobilisieren und beriefen dafür am Tag nach dem Urteil eine Versammlung unter Leitung des Rektors der Universität, Friedrich von Müller, ein. Man stellte eine Delegation zusammen, die vom Ministerrat, der gleichfalls an diesem Tage den Fall beriet, die Begnadigung Arcos fordern sollte. Der Ministerrat begnadigte Arco tatsächlich, die Todesstrafe wurde nicht vollstreckt.80 Während der studentischen Versammlung unter Leitung des Rektors kam es zu heftigen Auseinandersetzungen, weil sich die sozialistischen Studenten mit ihrer abweichenden Meinung von der Mehrheit nicht vereinnahmen lassen wollten. Sie wurden daraufhin von dem Vertreter der Mehrheit, Walther Hem­ meter, als „Bande“ beschimpft. Der Vertreter der Minderheit, Friedrich Meyer, konnte nur unter Grölen die Versammlung verlassen.81 Der Rektor griff zum Schutz der Minderheit nicht ein. Weber, der zumindest teilweise an der Ver­ sammlung teilnahm, suchte den Rektor zum Einschreiten zu bewegen, drang damit aber nicht durch. Weber hielt die Begnadigung Arcos für einen großen politischen Fehler („schwere Niederlage der Staats-Autorität“) 82 und das Verhalten des Rektors während der Versammlung für akademisch unangemessen. Er hatte die Min­ derheit nicht geschützt und damit die Fairnessregel verletzt. Weber interve­ nierte deshalb bei ihm 83 und benutzte den Beginn seiner nächsten Vorlesung dazu, eine Erklärung zum Fall Arco abzugeben. Dabei trennte er, gemäß sei­ nem „Verbot“ der Kathederwertung, seine politische Stellungnahme von der Vorlesung. Er begann diese Stellungnahme mit folgenden Worten: „Ich sehe mich, entgegen meines sonstigen Brauches, in politischen Dingen hier nicht das Wort zu ergreifen, und weil ich mit Ihnen das Vertrauen zum Rektor teile, veranlaßt, zu dem, was letzten Samstag vorgefallen ist, eine Bemerkung zu machen“. Er unterstreicht also den inneruniversitären Zusammenhang. Es folgt dann seine politische Einschätzung der Folgen dieser Begnadigung, die er freilich auch in außeruniversitären Zusammenhängen, etwa in der Zeitung, hätte kundtun können. Hier gab er also bewußt ein politisches Werturteil ab. „politische“) Bemerkungen am 19.1.1920 zum Fall Arco, MWG I/16, S.  270 (hinfort: Anonyme Mitschrift). 80  Dazu Editorischer Bericht zu Weber, Unruhen in der Universität München, unten, S.  710–714. 81  In einer Erklärung der sozialistischen Fraktion im AStA vom 21. Januar 1920, UA München, G-XVI 19, heißt es, die Opposition „in ihrer Gesamtheit und ihre jüdischen Mitglieder im Besonderen“ seien in der „gröblichsten Weise“ beleidigt worden, „ohne daß der Vorsitzende es für nötig hielt[,] dagegen einzuschreiten“. Editorischer Bericht zu Weber, Unruhen in der Universität München, unten, S.  711, Anm.  5. 82  Weber, Unruhen in der Universität München, unten, S.  716. 83  Brief Max Webers an Friedrich von Müller vom 20. Jan. 1920, MWG II/10, S.  8 93– 896.

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Erst am Schluß der Erklärung geht es ihm wieder um die inneruniversitären Vorfälle, wieder um akademischen Anstand und Sitte: „Sodann sind hier am Samstag Beschuldigungen gefallen, Beschuldigungen, die bis heute nicht zurückgenommen sind. Ein Hundsfott! der das nicht tut.“84 Damit zielte Weber direkt auf das unfaire Verhalten von Hemmeter gegenüber der sozialistischen Minderheit. Webers Erklärung führte dazu, daß seine nächste Vorlesung heftig gestört wurde und abgebrochen werden mußte. Für den Rest des Semesters wurde der Zugang kontrolliert. Außerdem legte der AStA beim Akademischen Senat Beschwerde gegen Webers Mißbrauch der Vorlesung für politische Zwecke ein. Doch ist nicht dies in unserem Zusammenhang wichtig, sondern das, was er laut Senatsprotokoll über das Motiv seines Handelns sagt. Dort heißt es: „Wenn er sehe, es ist ein absolutes Unrecht geschehen und keine Remedur erfolgt, so frage er nach formalen Dingen niemals. Das habe er immer im Leben so gehalten, ob es sich nun um eine sozialistische Minderheit gehan­ delt habe oder um eine katholische oder um irgend welche andere.“85 Man kann es auch so sagen: Über die politischen Konsequenzen der Begnadi­ gung Arcos kann man sachlich diskutieren und bei der Bewertung des Vor­ gangs zu gegensätzlichen politischen Urteilen kommen, doch die Diffamie­ rung des Andersdenkenden und dies von seiten der Autorität ungerügt zu lassen ist ein schwerer Verstoß gegen Anstand und Sitte in einer Universität. Webers Vorgehen folgt auch hier dem Muster, das an den bereits geschil­ derten Affären erkennbar wurde: bei Verstoß gegen die akademischen Sitten Provokation des Abweichlers und Forderung nach „Remedur“. Wer Wissen­ schaft zum Beruf machen will, muß neben den funktionalen auch extrafunkti­ onale Fähigkeiten besitzen. Dies ist Webers Überzeugung, und dies ist auch der Grund, weshalb er sich in akademischen Angelegenheiten so häufig in öffentliche Affären verstrickt. Dabei legte er, sofern er den „Burgfrieden“ für gebrochen hielt, mitunter ein „Maß an Rücksichtslosigkeit“ gegen andere und auch gegen sich selbst an den Tag, das ihm nicht nur Sympathien bescher­ te.86 Der Burgfrieden war aber für ihn immer dann gebrochen, wenn in einer akademischen Auseinandersetzung nicht um die Sache gestritten, sondern die Person herabgesetzt wurde.

84  Anonyme Mitschrift (wie oben, S.  47, Anm.  79), S.  270. 85  Weber, Unruhen in der Universität München, unten, S.  719. 86  Brief Max Webers an Friedrich von Müller vom 20. Jan. 1920, MWG II/10, S.  8 93– 896, hier S.  8 94, wo es heißt: „Eure Magnifizenz glaube ich – loyalitätshalber – darauf aufmerksam machen zu sollen, daß bei einer Wiederholung ähnlicher Vorgänge wie am Samstag ohne genügende Reprimande des Herren Rektors die ‚Solidarität‘ des Lehrkörpers nicht erhalten werden wird“.

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7. Schlußbemerkung In „Politik als Beruf“ nennt Weber die in seinen Augen entscheidenden Qua­ litäten eines Politikers: „Leidenschaft – Verantwortungsgefühl – Augenmaß“. Leidenschaft definiert er als „Hingabe an eine ‚Sache‘“, Verantwortungsge­ fühl als „die Verantwortlichkeit gegenüber ebendieser Sache“, Augenmaß als die „Fähigkeit, die Realitäten mit innerer Sammlung und Ruhe auf sich wirken zu lassen, also: der Distanz zu den Dingen und Menschen“.87 Besaß Weber diese Qualitäten als Wissenschafts- und Hochschulpolitiker? Seine leiden­ schaftliche Hingabe an die Sache Wissenschaft und Universität sowie seine Verantwortlichkeit, die er für deren Gestaltung fühlte, stehen außer Frage. Vieles, was er zu Form und Geist von Wissenschaft und Universität sagte, gilt auch heute noch. Aber hat er bei seinen wissenschafts- und hochschulpoli­ tischen Aktionen auch immer das erforderliche Augenmaß bewiesen? Da kann man Zweifel hegen, wenn man den Verlauf seiner öffentlichen Affären verfolgt. Weber wußte natürlich um die Situation des politisch Handelnden, der ständig vor der Frage steht, „wie heiße Leidenschaft und kühles Augen­ maß miteinander in derselben Seele zusammengezwungen werden kön­ nen?“88 Und er rang selbst um einen Ausgleich zwischen der Hingabe an eine Sache und der Verantwortlichkeit für sie einerseits, der Distanz zu den Dingen und Menschen andererseits. Wenn nicht alles täuscht, obsiegten bei ihm mitunter die Gefühle. Denn das Maß an Rücksichtslosigkeit, das er manchmal an den Tag legte, hatte einen emotionalen Untergrund. Paul Honigsheim bemerkte einmal, Weber werde von einem „dämonischen Rechtsgefühl“ getrieben.89 Manche seiner Aktionen im Bereich von Wissen­ schaft und Universität sind zweifellos nicht frei davon. Hinzu kommt: Er war ein Einzelkämpfer.90 Sich dauerhaft an eine bestimmte wissenschaftliche oder gar an eine bestimmte politische Gemeinschaft zu binden, widersprach seinem Temperament. Es ist ja kein Zufall, daß er sowohl seine wissenschaft­ liche wie seine politische Zugehörigkeit im Laufe seines Lebens mehrmals wechselte. Vielleicht ist dies sogar das Geheimnis seiner großen öffentlichen Wirkung, gerade auch in wissenschafts- und hochschulpolitischen Fragen, unabhängig zu sein und es zu bleiben, auch gegen den Strom zu schwim­ men, selbst bei Strafe des Mißerfolgs.

87  Weber, Politik als Beruf, MWG I/17, S.  113–252, hier S.  2 27. 88  Ebd., S.  228. 89  Honigsheim, Erinnerungen (wie oben, S.  11, Anm.  41), S.  166. 90  Als Sozialistin urteilt Käthe Leichter, Max Weber (wie oben, S.  2, Anm.  3), S.  141 f.: „In der Politik wie im Universitätsleben löst sich so alles, was an Führertum, Größe, Leidenschaftlichkeit und rücksichtslosem Mut in diesem Manne war, in Einzelkämpfen auf“.

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8.  Zur Anordnung und Edition Die Entscheidung über die Anordnung der hier versammelten Texte war mit einer besonderen Schwierigkeit verbunden. Sie ergab sich nicht nur aus ihrer großen Zahl, sondern auch aus dem langen Zeitraum, dem sie entstammen. Anders als bei den übrigen Bänden der Max Weber-Gesamtausgabe, die jeweils relativ homogene Texte und relativ kurze Zeiträume umfassen, sind die hier präsentierten Texte von 1895 bis zu Max Webers Tod im Jahre 1920 entstanden und von großer Heterogenität. Es schien deshalb nicht sinnvoll, sie insgesamt rein chronologisch darzubieten. Um den Band einigermaßen übersichtlich zu gestalten, wurden formale Gliederungen vorgenommen, die über diejenigen hinausgehen, die auch bei den übrigen Bänden verwendet werden. Zunächst gelten diese: Der Textbe­ stand ist wie üblich unterteilt in I. Schriften und Reden, II. Berichte über Reden und Diskussionsbeiträge, schließlich Anhänge, darunter die mitunterzeichne­ ten Aufrufe. Doch lag es angesichts des heterogenen Textbestands nahe, um der Übersichtlichkeit willen innerhalb dieser Unterteilung weitere vorzuneh­ men. Als Kriterien dafür boten sich Art des Textes oder Anlaß der Textentste­ hung an. Innerhalb dieser vom Editor gebildeten Rubriken sind die Texte jeweils chronologisch einsortiert. Im einzelnen ergibt sich folgender Aufbau des Bandes: Im ersten Teil, Schriften und Reden, werden in der Rubrik I a. Zu Wissenschaft, Universität und außeruniversitärer Forschung die von Weber selbst autorisierten Fassungen von Artikeln, Abhandlungen, Stellungnahmen und Redebeiträgen ediert. Es handelt sich in der Hauptsache um die veröffentlich­ ten Beiträge zu wissenschaftspolitischen Fragen. Besonders zahlreich sind Webers Zuschriften an Zeitungen. Diese wurden unter Umständen von Redakteuren gekürzt, mit eigenen Hervorhebungen und Überschriften verse­ hen. Diese veröffentlichte Fassung, von Weber vermutlich nicht förmlich auto­ risiert, behandeln wir als Text letzter Hand, es sei denn, es liegt das Manu­ skript vor. Dann wird dieses abgedruckt, und die Abweichungen im Zeitungs­ text werden im textkritischen Apparat nachgewiesen. In den weiteren Rubriken, I b. Promotionen und Habilitationen, I c. Stellungnahmen zu universitären Struktur- und Berufungsfragen und I d. Stellungnahmen zu Fakultätsangelegenheiten, werden von Weber verfaßte Anträge, Gutachten, Stellungnahmen zu universitätsinternen Fragen ediert. Diese sind nach den Universitäten unterteilt, an denen Max Weber lehrte, und beruhen auf den überlieferten Akten der Universitäten Freiburg, Heidelberg, Wien und München sowie der jeweils zuständigen Behörden. Nicht in allen Fällen wurden die Akten vollstän­ dig geführt und systematisch abgelegt, auch sind Kriegsverluste zu bekla­ gen, so daß Überlieferungslücken bleiben. Eine Besonderheit sind die Kurz­ stellungnahmen und Zusätze Max Webers auf Universitätszirkularen. Nicht

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ediert werden Zirkulare, die von Weber lediglich abgezeichnet wurden. Maß­ gebend für die Auswahl war die inhaltliche Stellungnahme, auch wenn sie in einigen Fällen sehr kurz ist. Zum Verständnis des jeweiligen Kontextes werden die Zirkulare, unter Umständen auszugsweise, in kleinerer Schrifttype wieder­ gegeben. Im zweiten Teil sind die Berichte über Reden und Diskussionsbeiträge Max Webers ediert, die von ihm nicht autorisiert wurden. Dabei handelt es sich um Redebeiträge, die in Universitäts- oder Vereinsprotokollen überliefert sind, teilweise in direkter, teilweise in indirekter Rede. Diese sind den entspre­ chenden Einrichtungen zugeordnet: II a. Universitäten, II b. Verein für Socialpolitik, II c. Badische Historische Kommission, II d. Hochschullehrertag und II e. Deutsche Gesellschaft für Soziologie. Aufgenommen sind auch die Pres­ seberichte über Max Webers Redebeiträge auf den Hochschullehrertagen 1908, 1909 und 1911. Sie erschienen im unmittelbaren Anschluß an die Ver­ anstaltungen und oftmals Monate vor der Veröffentlichung des von Weber autorisierten Textes. Wegen der großen öffentlichen Resonanz werden diese Ersatzzeugen abgedruckt, zumal sich eine Reihe von Webers Zuschriften auf die Presseberichterstattung bezieht. Sind uns mehrere Zeitungsberichte zu demselben Vorgang bekannt, ist eine Auswahl getroffen. In Anhang I: Mitunterzeichnete Aufrufe werden alle öffentlichen Aufrufe und Glückwunschadressen zum Abdruck gebracht, die Max Weber neben ande­ ren unterzeichnete, obwohl er auf die Formulierungen keinen oder nur einen geringen Einfluß hatte. Schließlich sind in Anhang II die Statuten der Deutschen Gesellschaft für Soziologie der Jahre 1909 und 1910 abgedruckt, auf deren Wortlaut Max Weber einen entscheidenden Einfluß nahm. Der Abdruck dient auch zur Ent­ lastung des Sachkommentars. Für die Edition der Texte gelten die Editionsregeln der Max Weber-Gesamt­ ausgabe. Jeder Text, auch wenn er, wie etwa bei den Universitätsangelegen­ heiten, kurz und belanglos zu sein scheint, ist mit einem Editorischen Bericht versehen, unterteilt in „Zur Entstehung“ und „Zur Überlieferung und Edition“. Es wird also zwischen den Texten nicht nach Umfang und Qualität unterschie­ den. Vielmehr wird alles, was uns nach intensiver Recherche bekannt wurde, in ein und demselben Format mitgeteilt. Viele der im Band edierten Texte haben keine Originalüberschrift Max Webers, so daß in diesen Fällen vom Editor eine Überschrift gebildet werden mußte. Diese wird, wie auch sonst üblich, als Herausgeberzusatz in eckige Klammern gestellt. Ein Teil der Textvorlagen ist in einer Schrifttype überliefert, die Umlaute und ß nicht kennt. Wo dies der Fall ist, wurden stillschweigend Anpassungen vorgenommen, also z. B. Ae in Ä umgewandelt oder, wo gebo­ ten, ss in ß.

Max Weber 1894 Haus der Geschichte Baden-Württembergs, Sammlung Geiges

I.  Schriften und Reden

I a.  Zu Wissenschaft, Universität und  außeruniversitärer Forschung

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Die volkswirtschaftlichen Fächer [an der Universität Heidelberg]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Der vorliegende Text ist Teil des historischen Stadtführers „Heidelberg und Umgebung“,1 erschienen 1897 und herausgegeben von dem Heidelberger Gymnasiallehrer Karl Pfaff. Max Weber war am 6. Januar 1897 zum Sommersemester als Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Heidelberg ernannt worden und hatte damit die Nachfolge von Karl Heinrich Rau und Karl Knies angetreten. Sein Kurzbericht über die volkswirtschaftlichen Fächer findet sich in dem großen Abschnitt „Die Universität“, dort in dem Unterabschnitt „Geschichte der einzelnen Fakultäten bezw. Disziplinen im 19. Jahrhundert; Charakteristik ihrer hervorragendsten Vertreter“. Korrespondenzen mit Herausgeber und Verlag sind nicht nachgewiesen.

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Edition liegt der Abdruck zugrunde, der in: Heidelberg und Umgebung, hg. von Karl Pfaff. Mit 79 Illustrationen, 4 Plänen und 2 Karten, 1.  Aufl. – Heidelberg: J. Hörning 1897, S.  116, erschien (A). Die Autorschaft Max Webers ist durch eine Anmerkung des Herausgebers belegt.2 Der Text weist keine eigene Überschrift auf, wohl aber -– wie andere Beiträge auch – eine Hervorhebung der Fachzuschreibung. Ein Wiederabdruck des Textes findet sich in der erweiterten 2. Auflage 1902 des Bandes.3 Dort ist ein Komma hinzugefügt und die Bemerkung zu Karl Knies „seitdem im Ruhestand hier lebend“ gestrichen, da dieser am 3. August 1898 gestorben war. Diese Änderungen sind rein redaktioneller Natur, daher bleibt der Wiederabdruck hier unberücksichtigt.

1  Heidelberg und Umgebung, hg. von Karl Pfaff. Mit 79 Illustrationen, 4 Plänen und 2 Karten, 1.  Aufl. – Heidelberg: J. Hörning 1897. 2  Vgl. unten, S.  58, textkritische Anm.  a. 3  Heidelberg und Umgebung, hg. von Karl Pfaff. Mit 119 Abbildungen, 3 Plänen und 1 Karte, 2., erw. Aufl. – Heidelberg: J. Hörning 1902, S.  190.

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Die volkswirtschaftlichen Fächer [an der Universität Heidelberg] A 116

Die volkswirtschaftlichen Fächera wurden im letzten Dreivierteljahrhundert nach einander von zwei Forschern vertreten, deren jeder in seiner Art Repräsentant einer der großen Richtungen der ökonomischen Wissenschaft war, welche nach einander in Deutschland Methode und Gehalt derselben beherrscht haben: Karl Heinrich Rau, Professor in Heidelberg 1822–1870[,] der liberal-individualistischen, Karl Knies, Professor in Heidelberg 1865–1896, seitdem im Ruhestand hier lebend,1 der historischen, zu deren Begründern er gezählt zu werden pflegt. Wie in der Methode, waren sie auch in der sonstigen wissenschaftlichen Eigenart Gegensätze: Rau mehr umfassend als tief, klar und leicht lesbar in seinen Schriften, Knies in seiner grübelnden Tiefgründigkeit nicht immer leicht verständlich für den des Faches nicht völlig Kundigen; Rau mehr nach der pädagogischen Seite, als Lehrer und Verfasser des lange Zeit maßgebenden deutschen Kompendiums seiner Wissenschaft2 ins Breite wirkend, Knies ein Schachtgräber, dessen für den Nichtfachmann nicht immer durchsichtige Gedanken nachhaltigeren Einfluß auf die Arbeit der Fachgelehrten geübt haben.3 Beide

a In A bindet hier die Anmerkung des Herausgebers an: Die hier folgende Skizze dankt Verfasser dem freundlichen Entgegenkommen des Herrn Professor Dr. Max Weber, der auf dem Lehrstuhl von Rau und Knies fortzuwirken berufen worden ist.   1  Max Weber hörte in seinem dritten Semester, im Sommer 1883, bei Karl Knies Nationalökonomie und Finanzwissenschaft. Er berichtete seinem Vater im Brief vom 5. Mai 1883: „Er [Knies] spricht nur zu schnell, man hat die größte Schwierigkeit, sich nach dem, was er sagt, Notizen zu machen, da sein Vortrag noch fließender ist, als selbst der von Kuno Fischer. Nur seine Stimme, die immer etwas Weltschmerzliches, als ob er alle Fakten bedaure, die er anführt, an sich hat, schwächt den Eindruck seiner höchst geistvollen Ausführungen ab.“ GStA PK, VI. HA Nl. Max Weber Nr.  2, Bl. 47– 49, Zitat: Bl. 47 f. (MWG II/1). 2  Gemeint ist: Rau, Lehrbuch. Mit diesem Buch begründete Rau die seither übliche Dreiteilung der Nationalökonomie in Volkswirtschaftslehre, Volkswirtschaftspolitik und Finanzwissenschaft. 3 Insbesondere durch seine Schriften: Knies, Karl, Die politische Ökonomie vom Standpuncte der geschichtlichen Methode. – Braunschweig: C.A. Schwetschke (M. Bruhn) 1853, und ders., Geld und Kredit, 2 Bände. – Berlin: Weidmann 1873 und 1879.

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haben sich auch in praktischer Mitarbeit an der deutschen Kulturentwicklung bethätigt, Rau an der materiellen Seite derselbenb durch seine Mitwirkung an der wirtschaftlichen Einigung Deutschlands,4 Knies an der geistigen durch seine Thätigkeit in der Schulverwaltung und seine Beteiligung bei der Schulgesetzgebung des badischen Staates.5

b A: desselben 4  Rau war ein energischer Befürworter eines Zollvereins unter preußischer Führung. Als es 1852 zu alternativen Zollunionsplänen kam, ließ Bismarck Raus Schrift (Der deutsche Zollverein soll zerstört werden. Stimmen aus dem Süden. – Frankfurt am Main: 1852) verbreiten. 5  Karl Knies wurde am 9. August 1862 zum Direktor des Badischen Oberschulrats für Mittel- und Volksschulen und zum a. o. Mitglied des Ministeriums des Innern in Karlsruhe berufen. Er bearbeitete die Vorlage für eine Reform des badischen Volksschulwesens und die Ersetzung der geistlichen Schulvisitatoren durch weltliche Schulräte.

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[Zur Verteidigung Friedrich Naumanns] [Diskussionsbeiträge auf der Generalversammlung des ­Vereins für Socialpolitik in Mannheim am 28. September 1905]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Auf der Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik in Mannheim vom 25. bis 28. September 1905 kam es zwischen Friedrich Naumann und dem Vereinsvorsitzenden Gustav Schmoller zu einer heftigen Auseinandersetzung. Anlaß gab das Referat Schmollers über „Das Verhältnis der Kartelle zum Staate“ am 27. September 1905.1 Schmoller sah durch die zunehmende Kartellierung der Industrie die Fähigkeit des Staates gefährdet, das Gemeinwohl gegen Partikularinteressen wirksam durchzusetzen, und forderte eine Reform der Kartellgesetzgebung. An das Referat Schmollers schloß sich am 27. und 28. September eine ausführliche Diskussion an, an der sich 21 Personen beteiligten, darunter auch Friedrich Naumann und Max Weber.2 Naumann hielt Schmoller vor, sein Reformvorschlag sei verfehlt, da er der Großindustrie Eingriffe zumute, „die an sich, technisch und volkswirtschaftlich betrachtet, Unsinn sind“.3 Schmoller fühlte sich verletzt und benutzte das ihm als Vorsitzendem zustehende Schlußwort der Generalversammlung dazu, Naumann einen „Demagoge[n]“ zu nennen, der „ohne eigentliche realistische Sachkenntnis die alten marxistischen Phrasen und die für mich abständige Weisheit der materialistischen Geschichtsauffassung durch sehr kümmerliche Beweismittel“ stütze.4 Angesichts der großen Zustimmung der Versammlung zu Naumanns Thesen drohte Schmoller mit seinem Rücktritt vom 1  Schmoller, Gustav, Das Verhältnis der Kartelle zum Staate, in: Verhandlungen VfSp 1905, S.  237–271. Zum Kontext der Kartelldebatte vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Das Verhältnis der Kartelle zum Staate. Diskussionsbeitrag auf der Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik am 28. September 1905, in: MWG I/8, S.  260– 265. 2  Vgl. dazu Webers Diskussionsbeitrag, ebd., S.  266–279. Wegen der langen Rednerliste wurde die Generalversammlung um einen Tag, den 28. September 1905, verlängert. 3  Naumann, Friedrich, Diskussionsbeitrag zu Schmoller am 27. September 1905, in: Verhandlungen VfSp 1905, S.  360–369, Zitat: S.  367. 4  Schmoller, Gustav, Schlußwort am 28. September 1905, in: ebd., S.  418–431, Zitat: S.  420. Dagegen hatte Naumann in seinem Diskussionsbeitrag das Großkapital gegen

Editorischer Bericht

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Amt des Vereinsvorsitzenden. Nach dem Schlußwort von Schmoller bat Max Weber um das Wort, um den nicht mehr anwesenden Friedrich Naumann gegen die Angriffe Schmollers zu verteidigen. Nach der Versammlung wurde die Kontroverse, an der auch Max Weber beteiligt war, fortgeführt.5 Max Weber beteiligte sich auf der Mannheimer Generalversammlung erstmalig seit seiner Erkrankung wieder mit mehreren Diskussionsbeiträgen.6 Seit Jahresanfang 1905 intensivierte er sein Engagement für den Verein, was sich auch an seiner Beteiligung an Ausschuß- und Unterausschuß-Sitzungen ablesen läßt.7

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck der beiden Diskussionsbeiträge Max Webers auf der Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik in Mannheim am 28. September 1905 folgt dem gedruckten Protokoll: Verhandlungen des Vereins für Socialpolitik über die finanzielle Behandlung der Binnenwasserstraßen, über das Arbeitsverhältnis in den privaten Riesenbetrieben und das Verhältnis der Kartelle zum Staate (Schriften des Vereins für Socialpolitik 116: Verhandlungen der Generalversammlung in Mannheim, 25., 26., 27. und 28. September 1905). – Leipzig: Duncker & Humblot 1906, S.  432 f. [1.] und S.  434 f. [2.] (A). Beide Beiträge sind eingeleitet mit: „Professor Max Weber (Heidelberg)“ und dürften von ihm vor der Drucklegung autorisiert worden sein. In der Regel wurden die Debatten der Generalversammlungen stenographisch aufgenommen und jedem Redner sein Beitrag vor dem Druck zur Überarbeitung zugestellt.8 eine staatliche Intervention im Interesse des Mittelstandes und der Agrarier unterstützt. 5  Vgl. dazu Gothein, Alfred und Max Weber, Zur Angelegenheit Schmoller-Naumann, unten, S.  65–69, und Weber, Concept einer Erklärung, unten, S.  70–74, sowie zu den Hintergründen: Lindenlaub, Dieter, Richtungskämpfe im Verein für Sozialpolitik, Teil II. – Wiesbaden: Franz Steiner 1967, S.  410–412; Schön, Manfred, Gustav Schmoller und Max Weber, in: Max Weber und seine Zeitgenossen, hg. von Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schwentker. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1988, S.  84–97; Krüger, Dieter, Max Weber und die ‚Jüngeren’ im Verein für Sozialpolitik, in: ebd., S.  98– 118, bes. S.  107 f., sowie Boese, Verein, S.  109–121. 6 Vgl. Weber, Das Arbeitsverhältnis in den privaten Riesenbetrieben, MWG I/8, S.  244–259, ders., Das Verhältnis der Kartelle zum Staate, ebd., S.  260–279, sowie ders., Zur Verteidigung Friedrich Naumanns, unten, S.  62–64. 7  Vgl. dazu die Wiedergabe seiner Diskussionsbeiträge in den Ausschuß- und Unterausschuß-Protokollen, unten, S.  725–757. 8  Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Die wirtschaftliche Annäherung zwischen dem Deutschen Reiche und seinen Verbündeten, MWG I/15, S.  134–139, hier S.  138 f., ebenso bei Weber, Die Produktivität der Volkswirtschaft, in: Verhandlungen VfSp 1909 (MWG I/12).

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Ich spreche nicht für mich, sondern – ich weiß nicht, ob Sie das zulassen wollen – als negotiorum gestor1 für den Pfarrer Naumann.a Was mich persönlich anlangt, so kann ich Herrn Professor Schmoller nur sehr dankbar sein für die sachliche Art, mit der er die Einwände, die ich gegen seine – wie er ja selbst von vornherein zugab – diskussionsbedürftigen Vorschläge gemacht habe, behandelt hat. Um so mehr habe ich bedauert, daß er jenes schöne Maß, welches ich umsomehr an ihm bewundere, als der Himmel in seinem Zorn mir, wie Herr Schmoller ja selbst angedeutet hat, die Gabe einer gewissen Deutlichkeit, die sich schwer unterdrücken läßt, mit auf den Weg gegeben hat, in seiner persönlichen Polemik gegen den abwesenden Pfarrer Naumann verlassen hat. Er hat ihm den Vorwurf des Demagogen nachgeschleudert und hat die Meinung geäußert,  Naumann habe, ohne ihn zu nennen, eine Rede, die er offenbar als verletzend empfunden hat, gegen ihn gehalten. Ich glaube, beides widerspricht der Psychologie Naumanns.b Er spricht nicht zu demagogischen Zwecken, sondern unter dem Zwang der richtigen idealistischen Leidenschaft, die ihn beseelt, und unter der Wirkung des Glaubens an eindeutige Entwicklungsgesetze von eherner Notwendigkeit, die ich so wenig wie Herr Professor Schmoller in diesem Fall mit ihm teile, und ich glaube ferner, wenn er gegen jemand spricht und vollends scharf spricht, so sagt er auch, wen er gemeint hat, und gegen wen sich sein Angriff richtet. Ich persönlich meine, allen Grund zu haben, anzunehmen, daß diese Rede Naumanns von ihm nicht als ein Angriff gegen die Person oder Anschauungsweise von Herrn Prof. Schmoller aufgefaßt worden ist. Nun, meine Herren, selbstverständlich aber ist es das Recht von Herrn Professor Schmoller als Referent gegenüber a  In A folgt der Protokollzusatz: (Die Versammlung genehmigt das.)   b  In A folgt der Protokollzusatz: (Sehr richtig!) 1  Lat. (Rechtssprache): Geschäftsführer ohne Auftrag.

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einem Diskussionsredner, wenn er dessen Ansichten für verwerflich hält – auch ich war nicht mit allem, was Naumann gesagt hat, einverstanden –, das zu sagen. Das eigentliche Bedenken liegt für mich nun aber darin, daß Herr Professor Schmoller sagte: Der Beifall, den Naumanns Rede fand, könnte mich stutzig machen, ob ich als Leiter dieses Vereins noch weiter mitmachen soll.2 Am heutigen Tage war Herr Professor Schmoller Referent und also als Partei an der Diskussion beteiligt, und unter diesen Umständen halte ich ein Hereinziehen seiner Eigenschaft als Ausschußvorsitzender für unzulässig; für Naumann ist nach einer solchen Äußerung von seiten des Vorsitzenden als solchen die weitere Teilnahme an künftigen Verhandlungen des Vereins doch so gut wie ausgeschlossen. Für mich wenigstens würde sie es sein, wenn mir jemand nicht qua Referent und Diskussionsredner, sondern qua Vorsitzender des Vereins sagen würde: Sie sind ein Demagoge, mit Ihnen verhandle ich nicht, und wenn Sie Beifall finden, trete ich zurück. Das ist es, wogegen ich mich habe wenden wollen.

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Meine Herren, ich habe dagegen3 nur das Eine einzuwenden. Wir laden hier qua Ausschuß des Vereins Sozialdemokraten ein,4 als Referenten zu fungieren. Glauben Sie, daß die anders als zum Fenster hinaus ihre Reden halten würden? Das ist ganz ausgeschlossen. Es steht für mich felsenfest, daß, wenn Herr Professor Schmoller diesen Abscheu gegenüber der Rede Naumanns empfand, es nicht nur sein Recht, sondern vielleicht seine Pflicht ist, sich auszusprechen. Wogegen ich Bedenken habe, ist, daß er seine Stellung als Vorsitzender des Vereins hineingezogen hat. Das ist der Punkt,

2  Vgl. Verhandlungen VfSp 1905, S.  421. 3  D. h. gegen Schmollers Erwiderung auf Webers ersten Beitrag, in: Verhandlungen VfSp 1905, S.  433 f. 4  Friedrich Naumann zufolge hatten die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Hermann Molkenbuhr und Hermann Sachse ihre Teilnahme zugesagt, waren jedoch nicht zur Generalversammlung erschienen. Dort habe nur der Sozialdemokrat Georg Bernhard zum Thema „Kartelle“ gesprochen. Vgl. Naumann, Friedrich, Im Verein für Sozialpolitik II, in: Die Hilfe, Nr.  41 vom 15. Okt. 1905, S.  4 f.

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gegen den ich mich wende.  Ich sehe aber, daß eine Einigung vor diesem Forum darüber nicht möglich ist.

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[Zur Angelegenheit Schmoller-Naumann] [Zuschrift vom 30. September 1905 an die Frankfurter ­Zeitung] [zusammen mit Eberhard Gothein und Alfred Weber]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Der auf der Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik vom 25. bis 28. September 1905 aufgebrochene Konflikt zwischen dem Vereinsvorsitzenden Gustav Schmoller und Friedrich Naumann über die Kartellpolitik1 fand in der Presse eine Fortsetzung. Anlaß war ein Bericht mit Kommentar im Abendblatt der Frankfurter Zeitung vom 29. September 1905, dem zufolge Schmoller auf der Tagung eine wissenschaftliche Niederlage erlitten habe, und dies habe ihn zu der Polemik gegenüber Naumann verführt.2 Dieser Interpretation des Vorgangs trat Max Weber zusammen mit Eberhard Gothein und seinem Bruder Al­fred in einer Zuschrift an die Frankfurter Zeitung entgegen, die am 3. Oktober 1905 erschien. Sie wollten damit offensichtlich den Konflikt zwischen Schmoller und Naumann entschärfen.

Zur Überlieferung und Edition Die Wiedergabe der Zuschrift von Eberhard Gothein, Alfred Weber und Max Weber erfolgt nach dem maschinenschriftlichen Manuskript vom 30. September 1905, das sich in GStA PK, VI. HA, Nl. Gustav Schmoller, Nr.  157 (A), 1 Vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Zur Verteidigung Friedrich Naumanns, oben, S.  60 f. 2  Die Frankfurter Zeitung, Nr.  270 vom 29. Sept. 1905, Ab.Bl., S.  1, hatte unter der Rubrik „Tages-Rundschau“ in einem Kommentar zu der Tagung des Vereins für Socialpolitik geschrieben: „[…] Professor Schmoller hat in der Kartelldebatte, in der er fast völlig isoliert wurde, eine wissenschaftliche Niederlage wie nie zuvor erlitten, und sein Groll darüber machte sich dem Manne gegenüber Luft, der eben gerade den meisten Beifall gefunden hatte. Wir haben Grund zu der Annahme, daß Schmoller gehofft hatte, mit einem Votum des Vereins für Sozialpolitik für seine Vorschläge, die der Regierung dienen sollten, nach Hause zu kommen. Damit ist es nun nichts, und daher der – ‚Demagoge‘. Als dann mehrere Redner entschieden für die Person des nicht mehr anwesend gewesenen D. Naumann eintraten, begab sich Professor Schmoller auf den Rückzug. Besser hat er aber damit seine Sache nicht gemacht.“

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befindet. Es ist von allen drei Verfassern eigenhändig unterzeichnet und weist zusätzlich handschriftliche Unterstreichungen und Korrekturen von der Hand Max Webers auf (A1). Veröffentlicht wurde die Zuschrift unter der Überschrift „Zur Angelegenheit Schmoller-Naumann“ in der Frankfurter Zeitung, Nr.  274 vom 3. Oktober 1905, Ab.Bl., S.  2 (B). Sie enthält eine kurze Vorbemerkung und im Anschluß an den Abdruck eine ausführliche und distanzierende Erklärung seitens der Redaktion der Frankfurter Zeitung.3 Ediert wird die maschinenschriftliche Vorlage mit den handschriftlichen Zusätzen (A1). Alle Abweichungen des Typoskripts (A) und der Druckfassung (B) werden im textkritischen Apparat annotiert. Übernommen wird die redaktionell eingefügte Überschrift. Das Manuskript weist keine Paginierung auf, diese wird hier als A (1) und A (2) vom Editor hinzugefügt.

3  Vgl. unten, S.  67, textkritische Anm.  a, und S.  69, textkritische Anm.  b.

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[Zur Angelegenheit Schmoller-Naumann] Heidelberg,a den 30. September 1905. Sehr geehrte Redaktion!

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Gestatten Sie uns gegenüber dem scharfen Angriff auf Professor Schmoller in Nob 270 Ihres geschätzten Blattes1 die ergebenste Bemerkung, daß derselbe auf u. E. unrichtigen Voraussetzungen beruht. Wie den Mitgliedern des Ausschusses des Vereins für Sozialpolitik bekannt ist, hatte Professor Schmoller sein Referat2 übernommen nurc auf dasd starke Drängen seiner persönlichen Freunde,3 auch solcher, die politisch auf dem Standpunkt Naumann’s stehen, und ledigliche zu dem Zweck: durch sein Hervortreten der Verhandlung dasf Gesicht zu geben, das notwendig war, um eine Diskussion auf breiter Basis, d. h. mit Einschlußg der Kartellindustriellen[,] möglich zu machen. Nicht irgend eine „Hilfsaktion“ für die Regierung,h sondern eine möglichst objektive Fundamentierung des „Votums“ der Versammlung, soweit von einem solchen überhaupt gesprochen werden kann, war sein und unser aller Ziel. Das Gefühl einer i„Niederlage“i und vollends einer j„wissen­ schaftlichen“j Niederlage4 konnte er schwerlich aus dem Umstand a  In B geht voraus die Überschrift und die redaktionelle Vorbemerkung: Von den Herren Professoren Gothein, Alfred und Max Weber erhalten wir folgende Zuschrift:  b B: Nr.  c  In A hervorgehoben.  d  In A folgt: sehr  e  In A hervorgehoben.  f  Hervorhebung fehlt in A.   g  In A hervorgehoben.  h Komma fehlt in B.   i–i  Anführungszeichen fehlen in A.   j–j  Anführungszeichen fehlen in A.   1  Vgl. dazu oben, S.  65, Anm.  2. 2  Vgl. Schmoller, Gustav, Das Verhältnis der Kartelle zum Staate, in: Verhandlungen VfSp 1905, S.  237–271. 3  Um welche Personen es sich bei den „persönlichen Freunden“ Schmollers handelte, ist nicht nachgewiesen. Möglicherweise sind es die von Max Weber erwähnten „Hintermänner“, vgl. den Brief Max Webers an Alfred Weber, vor dem 21. Okt. 1905, MWG II/4, S.  556–558, hier S.  557. Franz Boese zufolge hatte Alfred Weber das Thema „Das Verhältnis der Kartelle zum Staat“ in der Sitzung des Ausschusses am 6. Januar 1905 in Berlin angeregt. Die Vorbereitung übernahmen Eugen v. Philippovich, Gustav Schmoller und Alfred Weber. Vgl. Boese, Verein, S.  104, und den Editorischen Bericht zu Weber, Das Verhältnis der Kartelle zum Staate, MWG I/8, S.  262. 4  Zitat aus dem Bericht der Frankfurter Zeitung, Nr.  270 vom 29. Sept. 1905, Ab.Bl., S.  1; zur Wiedergabe vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  65, Anm.  2.

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A, A1 (2)

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entnehmen, daß seine kpraktisch politischen,k also doch von notwendiger Weise „subjektiven“ Werturteilen ausgehenden Vorschläge bei anderen und auch bei uns auf große Bedenken stießen. Und noch weniger war, wenn wir irgend richtig urteilen, ein solches Gefühl der Anlaß seines Angriffs auf Herrn D. Naumann. Sondern er glaubte offenbar[,]  den „historisch“,l und zwar in hervorragender Weise unter seinem eigenen Einfluß, gewordenen „Charakter“ des Vereins für Sozialpolitik verloren gehen zu sehen mzu Gunstenm einer Auffassung, welche durch den Glauben an „Entwicklungsgesetze“ im streng marxistischen Sinn jeden Versuch staatlichen Eingreifens und damit in letzter Linie ja auch jede „Sozialpolitik“ zur Sinnlosigkeitn stempeln würde. Und anscheinend glaubte er aus dem starken Beifall, welchen die Versammlung Naumann’so glänzender Rede spendete,5 überdies heraushören zu müssen, daß der Verein für Sozialpolitik selbst in seiner Mehrheit den Wunsch hege, seinen „historischen“ Charakter abzustreifen. Er interpretierte infolgedessen jene Rede wie diesen Beifall als einen Angriff gegen alles Dasjenigep was, wie allgemein bekannt, an der Eigenart des Vereins seinq und seiner ursprünglichen Mitarbeiter persönlichstesr, heute ganz ebenso wie früher unersetzliches,s unbedingt aufrecht zu erhaltendes Werk ist. Wir glauben daher bis auf Weiterest, daß bei ihm nicht die Absichtu vorlag, die volle Äußerungsfreiheit im Verein, die wir auf das nachdrücklichste wie für uns, so für Herrn D. Naumann in Anspruch nehmen, zu beschränken;v wir, wie wohl viele andere[,] würden uns ganz selbstverständlich unter eine solche Beschränkung niemals beugen. Wir hoffen auch zuversichtlich, daß es gelingen wird,w Herrn Prof. Schmoller überdies davon zu überzeugen, daß Herr D. Naumann nach Inhalt und Zweck seiner Rede zu denx

k A: praktischpolitischen; A1: praktischpolitischen,    l  Komma fehlt in A.   m B: zugunsten  n  In A hervorgehoben.  o B: Naumanns  p B: dasjenige   q Hervorhebung fehlt in B.   r Hervorhebung fehlt in B.   s Komma fehlt in A.  t B: weiteres  u  In A hervorgehoben.  v A: beschränken,  w Komma fehlt in B.   x  In A folgt: immerhin sehr 5  Vgl. Naumann, Friedrich, Diskussionsbeitrag zu Schmollers Referat über „Das Verhältnis der Kartelle zum Staate“, in: Verhandlungen VfSp 1905, S.  360–369, mit dem Protokollzusatz: „Langanhaltender stürmischer Beifall“, ebd., S.  369.

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schweren Vorwürfen, welche er gegen ihn erhoben hat, keineny Grund gegeben hat. zEberharda Gothein (Heidelberg) n p.:6 Max Weber (Heidelberg) Alfred Weber (Prag)z b

y In A hervorgehoben.   z–z B: Eberhard Gothein (Heidelberg). Alfred Weber (Prag). Max Weber (Heidelberg).   a Unsichere Lesung; alternativ: Eberhart   b  In B folgt der Kommentar der Redaktion: Wir geben dieser Erklärung gerne Raum, müssen aber hierzu bemerken, daß sie u. E. nicht einwandfrei ist. Die Herren Einsender meinen, von einer „wissenschaftlichen Niederlage“ Schmollers könne nicht die Rede sein. Nun[,] man kann das gewiß auch anders ausdrücken und sagen: gerade von den Rednern aus den Kreisen der Wissenschaft hat kein einziger den Forderungen Schmollers, die aus seinen theoretischen Grundanschauungen hervorgehen, zugestimmt. Man würde sich wohl auch damit begnügt haben, dies zu konstatieren, wenn nicht Schmoller durch sein Vorgehen gegen Naumann eine schärfere Tonart provoziert hätte. Denn sein Vorgehen war unberechtigt. Angenommen, Naumann hätte wirklich Entwicklungsgesetze in marxistischem Sinne vertreten, so mußte ihm das durchaus freistehen. Eine wissenschaftliche Gesellschaft, wie es der Verein für Sozialpolitik doch ist, kann die Bekundung der marxistischen Auffassung, die sich mit demselben Recht wie manche andere als wissenschaftliche gibt und mit der sich ja auch fast alle Nationalökonomen beschäftigen oder beschäftigt haben, nicht aus dem Verein verbannen[,] ohne den Boden der wissenschaftlichen Freiheit zu verlassen[.] Wie würde es sich auch damit reimen, daß ein Sozialdemokrat wie Bernhard Mitglied des Vereins sein kann, und daß man den Sozialdemokraten Molkenbuhr zu einem Referate einlud – also Personen, bei denen man marxistischer Äußerungen gewärtig sein muß? Gewiß hatte Schmoller das Recht, die Auffassung Naumanns, wenn er sie für unrichtig hält, zu bekämpfen, aber er hatte nicht das Recht, aus den in der obigen Zuschrift erwähnten Bedenken heraus Naumann einen Demagogen zu nennen und zu sagen, derartiges wie Naumanns Rede gehöre nicht in diese Versammlung. Und das scheint uns allerdings eine Beschränkung der Äußerungsfreiheit einzuschließen. Aber wenn die Herren Einsender meinen, daß Schmoller dies nicht beabsichtigt habe, so freut uns dieser Glaube im Interesse der weiteren Entwicklung des Vereins für Sozialpolitik. Und unter diesem Gesichtspunkte verzichten wir auch, auf andere Einzelheiten ihrer Erklärung einzugehen. 6  Abkürzung unklar.

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Conzept der Erklärung [zu Gustav Schmollers „Offenem Brief“]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Nach der von Eberhard Gothein, Alfred und Max Weber gemeinsam verfaßten Zuschrift an die Frankfurter Zeitung vom 3. Oktober 19051 eskalierte die Auseinandersetzung zwischen Naumann und Schmoller weiter. Naumann wollte ursprünglich auf die Angriffe Schmollers nicht erwidern, doch Weber wies ihn darauf hin, daß dadurch seine Haltung und auch die Position seiner Verteidiger in ein schiefes Licht geriete.2 Daraufhin veröffentlichte Naumann am 8. Oktober 1905 einen scharfen Artikel in der Zeitschrift Die Hilfe,3 auf den Schmoller mit einem Offenen Brief in der Täglichen Rundschau vom 18. Oktober 1905 antwortete.4 In diesem Brief machte Schmoller sein Verbleiben als Ausschußvorsitzender von der Mehrheit der gemäßigten Stimmen im Verein abhängig. Weber wollte eine eigene Replik publizieren, die er im Entwurf seinem Bruder Alfred zur Kenntnis gab.5 Hierin warf er Schmoller in scharfen Worten autoritäres Verhalten vor, weil dieser andere Ansichten mit seiner Rücktrittsdrohung unterdrückt habe. Schmoller habe sich „als Pädagoge“ aufgespielt, indem „er gleichzeitig uns das Ultimatum stellt: bleibt Minorität und kuscht euch, sonst…!“ Lujo Brentano, der die Einheit des Vereins wahren wollte, hielt Weber von der Publikation dieser zweiten Stellungnahme ab.6 1  Vgl. Gothein, Alfred und Max Weber, Zur Angelegenheit Schmoller-Naumann, oben, S.  65–69. 2  Vgl. Brief Max Webers an Friedrich Naumann vom 30. Sept. 1905, MWG II/4, S.  540– 543. 3  Naumann, Friedrich, Im Verein für Sozialpolitik I, in: Die Hilfe, Nr.  40 vom 8. Okt. 1905, S.  2 f. In diesem Artikel beließ es Naumann nicht bei einer kurzen Notiz, sondern setzte sich ausführlich mit Schmollers Vorwürfen auseinander. 4  Schmoller, Gustav, Offener Brief an Herrn Pfarrer D. Naumann, in: Tägliche Rundschau, Nr.  489 vom 18. Okt. 1905, S.  1. 5  Das Konzept ist als Anlage zum Brief Max Webers an Alfred Weber, vor dem 21. Okt. 1905, MWG II/4, S.  556–558, überliefert. 6  Vgl. Brief Max Webers an Gustav Schmoller vom 23. Okt. 1905: „Ich unterlasse eine öffentliche Erklärung, weil 1) Herr Brentano, dem ich sie zur Kenntnisnahme schickte, mich telegraphisch darum bittet, Alles zur Wahrung unseres Standpunktes nicht absolut Unentbehrliche zu unterlassen.“ (MWG II/4, S.  567 f., Zitat: S.  567). Vgl. auch Brentano, Lujo, Mein Leben im Kampf um die soziale Entwicklung Deutschlands. – Jena: Eugen Diederichs 1931, S.  254 f.

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Brentano befürchtete im Falle einer Publikation den sofortigen Rücktritt Schmollers vom Vereinsvorsitz. Diese Vermutung wurde später durch Schmollers Antwort an Brentano bestätigt, die, maschinenschriftlich vervielfältigt, Max Weber sowie anderen Ausschußmitgliedern zuging.7 Darin dankte Schmoller Max und Alfred Weber sowie Eberhard Gothein explizit für deren Verteidigung in der Frankfurter Zeitung.8 Inzwischen hatte auch ein Gespräch zwischen Schmoller und Naumann stattgefunden, mit dem das Zerwürfnis beendet wurde. Weber, der nicht „den Anschein eines ‚Friedensstörers‘“9 erwecken, in der Sache jedoch nicht zurückweichen wollte, kündigte am 23. Oktober Schmoller gegenüber an, in der nächsten Ausschußsitzung mit der Unterstützung von Brentano, Gothein, Knapp, Alfred Weber u. a. den Antrag zu stellen, die Generalversammlung abzuschaffen.10 Doch zeigte sich Weber schon am nächsten Tag in einem Brief an Carl Johannes Fuchs mit seiner eigenen Reaktion auf Schmollers Rede in Mannheim und seinem Einlenken unzufrieden. Er schrieb: „Ich habe in M[annheim] an Schmollers Verdienste und die Interessen des Vereins gedacht und deshalb meine Empörung niedergekämpft. Aber es war ein Fehler. Besser der Verein fliegt, als er wird ein ‚Verein für salonfähige Socialpolitik‘“, wozu ihn Schmollers Erklärung stempeln würde.11 Max Weber äußerte sich in dieser Sache aber nicht mehr.

Zur Überlieferung und Edition Das vierseitige handschriftliche Manuskript der Erklärung, das hier zum Abdruck gelangt, ist als Anlage zu einem undatierten Brief Max Webers an Alfred Weber12 überliefert in: GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  4, Bl. 98–99 (A). Eine Veröffentlichung ist nicht nachgewiesen. Ebenfalls überliefert ist eine maschinenschriftliche Abschrift des Konzepts mit Zusätzen von der Hand Marianne Webers, ebd., Nr.  30, Bd. 4, Bl. 137–138. Diese Abschrift bleibt unberücksichtigt, da sie vermutlich erst nach Webers Tod angefertigt wurde. 7  Vgl. das maschinenschriftlich hektographierte Original des Briefes mit der Anrede „Hochverehrter Herr Kollege!“ vom 29. Okt. 1905, GStA PK, VI. HA, Nl. Gustav Schmoller, Nr.  158, sowie den Abdruck in: Boese, Verein, S.  116–120, Zitat: S.  118, mit der irrtümlichen Datumsangabe 26. Okt. 1905. 8  Ebd., S.  119. Vgl. Gothein, Alfred und Max Weber, Zur Angelegenheit Schmoller– Naumann, oben, S.  65–69. 9 Brief Max Webers an Gustav Schmoller vom 23. Okt. 1905 (2. Brief), MWG II/4, S.  567 f. 10  Ebd. Der Antrag auf Abschaffung der Generalversammlung wurde später gestellt, vgl. Weber, Ausschußsitzung VfSp 1907, unten, S.  732–734. 11  Brief Max Webers an Carl Johannes Fuchs vom 24. Okt. 1905, MWG II/4, S.  570– 573, Zitat: S.  573. 12  Brief Max Webers an Alfred Weber, vor dem 21. Okt. 1905, MWG II/4, S.  556–558.

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Conzept der Erklärung zu Gustav Schmollers „Offenem Brief“

Der Text, der sehr viele Streichungen und Einfügungen enthält, wird hier in der letzten, vom Autor verlangten Gestalt wiedergegeben. Einfügungen und Sofortkorrekturen werden nicht nachgewiesen, Streichungen im textkritischen Apparat annotiert. Statt der Archivpaginierung wird die originale Seitenzählung Max Webers als A 1, A 2 etc. angefügt.

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Ohnea eine Verbindung mit anderen Mitgliedern des Ausschusses des Vereins für Sozialpolitik zu suchen und dadurch den Anschein einer gegen Herrn Professor Dr Schmoller persönlich gerichteten „Aktion“ zu erwecken, möchte ich zu dessenb „offenem Briefe“ in der „Täglichen Rundschau“1 meinerseitsc bemerken, daß er in einem entscheidenden Punkt von irrigen Voraussetzungen ausgeht. Niemand bestrittd sein unbedingtes Recht,e Herrn D. Naumann in der schärfsten Weise mit sachlicher Kritik entgegenzutreten und dessenf Theorien abzulehnen. gDaß  demg persönlichen Angriff auf einen Abwesenden, mit welchem er auf die reine, wie er zugiebt, sachliche Meinungsdifferenzh reagierte, entgegengetreten wurde, verstand sich von selbst[.] Aber das eigentlich Bedenkliche war und ist auch jetzt wieder, daß Herr Professor Schmoller füri richtig oder gar notwendig hältj, öffentlich anzukündigen, daß er den Vorsitz im Ausschuß des Vereins niederlegen werde, sobald er „das Gefühl bekäme, Naumann’s Theorien hätten im Verein oder im Ausschuß die Majorität.“2 Der Verein kennt Majoritätsabstimmungen nicht und vollends nicht solche über „Theorien“k. In seinem in der Praxis wesentlich durch  Cooptation ergänzten Ausschuß sitzen Anhänger der verschiedensten politischen Parteien und sozialenl „Theorien“. Auch Naumann’s persönliche Anschauungen waren zur Zeit seiner Cooptation Jedermann bekannt und damalsm ebenso „demokratisch“ und wohl ehern „marxistischer“ als heute. – Praktisch

a  〈nochmals〉    b  〈„Erklärung“〉    c  〈doch〉    d  〈, – worauf Herr Professor Schmoller allein eingeht, –〉    e  〈der schärfsten sachlichen Kritik an 〈Herrn D.〉 Naumanns Ansichten.〉    f  seine > dessen  g  Daß 〈er auf eine〉, den   h  〈mit einem persönlichen Angriff schwer beleidigender Art antwortete und diesen jetzt [??], wird durch 〈die〉 Traditionen des Vereins schwerlich gerechtfertigt werden können, ist 〈bildet〉 aber eine Angelegenheit, welche letztlich die Beziehungen der beiden beteiligten Männer unter sich angeht, mich direkt 〈jetzt〉 nichts 〈mehr〉 angeht. Sondern das〉    i  〈oder〉    j  findet > hält  k  〈und der〉    l  sozialpolitischen > sozialen   m  〈wohl〉   n  〈wesentlich〉 1  Schmoller, Gustav, Offener Brief an Herrn Pfarrer D. Naumann, in: Tägliche Rundschau, Nr.  489 vom 18. Okt. 1905, S.  1. 2 Ebd.

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läuft also Schmollers Ansicht darauf hinaus, daß die Vertretung andrer Ansichten also solcher, die ihm statthaft erscheinen,p nurq so lange erlaubtr sein solle, als sie sich nicht, – wie in Mannheim – allzu starken Beifalls erfreuen3 oder überhaupt sich allzu vernehmlich zu äußern wagen. Ich persönlich habe nur zufällig in Mannheim, weils im vorliegenden Fall andrer Ansicht, Naumann keinen Beifall gespendet.  Aber die, wenn nicht der Absicht,t so unter allen Umständen der Sache nach inu Schmollers Auffassung enthaltene Zumutung, in der sachlichen Äußerung und Vertretung seiner Überzeugung sich Zurückhaltung aufzuerlegen, würde ich meinerseitsv weder jemals einem Andren stellen, noch – selbstverständlich – selbst jemals berücksichtigenw. Ich halte schon die Thatsache, daß einex Zumutung dery erwähnten Art, seitens des Vorsitzenden einer grundsätzlich nicht parteipolitischen Vereinigung[,] öffentlich und unter Androhung seines Rücktrittsz ausgesprochen wird, akeineswegs für geeigneta, das Gewicht des Vereins in der öffentlichen Meinung zu erhöhen oder auch nur den unentbehrlichen Glauben an seine parteipolitische Ungebundenheit zu erhalten.

o  〈der seinigen〉  p  〈zwar〉  q  〈in〉  r  gestattet > erlaubt  s  〈persönlich〉   t  〈dann〉    u  〈einer solchen〉    v  〈und würden alle, die〉    w  〈mir bieten lassen〉 〈erfüllen〉 〈Die von 〈wie auch〉 〈Trotz der〉 Schmoller 〈vielfach〉 stark abweichende so­ zial­politische Überzeugung, die ich mit vielen andren Mitgliedern des Ausschusses teile, ist für uns Alle 〈keiner von uns〉 bisher und trotz der schärfsten auch [??] Verurteilung des persönlichen 〈verletzenden〉 Charakters kein Hindernis gewesen ist, unter seinem Vorsitz seines Angriffs auf Naumann habe ich mit anderen Collegen eine im Ausschuß zu verbleiben und ihn ständig meide [wieder?] Erklärung unterschrieben, die seiner Stellung voll gerecht [??] zu werden suchte. Dies 〈selbst〉 dürfte mir das Recht geben jetzt auch zu 〈sagen〉 bemerken, daß〉    x  〈bloße〉    y  wie die > der  z  〈geäußerte [??]〉    a–a A: mir keineswegs geeignet erscheint 3  Das Protokoll über die Generalversammlung in Mannheim vermerkt nach dem Beitrag Friedrich Naumanns lang anhaltenden und stürmischen Beifall. Vgl. Verhandlungen VfSp 1905, S.  369.

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[Der „Fall Bernhard“] [Zuschrift an die Frankfurter Zeitung, 18. Juni 1908]

Editorischer Bericht Zur Entstehung In drei anonymen sowie in einer vierten, namentlich gezeichneten Zuschrift an die Frankfurter Zeitung1 nahm Max Weber zum sogenannten „Fall Bernhard“ Stellung, über den die Frankfurter Zeitung am 12. und 13. Juni 1908 berichtet hatte.2 Der 1903 in Berlin habilitierte Nationalökonom Ludwig Bernhard wurde 1908 vom preußischen Kultusminister Ludwig Holle an der Philosophischen Fakultät und den zuständigen Fachvertretern vorbei aus Kiel auf ein neu geschaffenes Ordinariat an der Universität Berlin berufen. Er verdankte seinen schnellen akademischen Aufstieg nicht nur seiner wissenschaftlichen Leistung, sondern auch seinen nationalpolitischen Publikationen3 und stand deshalb schon zu Friedrich Althoffs Zeiten in der Gunst des preußischen Kultusministeriums. In seiner ersten anonymen Zuschrift vom 18. Juni 19084 unterzog Max Weber, anders als die Frankfurter Zeitung, nicht den vermeintlichen Regelverstoß des Kultusministeriums,5 sondern das Verhalten Bernhards einer scharfen Kritik, weil dieser sich vor seiner Berufung nicht des Vertrauens der Fakul-

1 Frankfurter Zeitung, Nr.  168 vom 18. Juni 1908, 1. Mo.Bl., S.  1 (unten, S.  78–85); Nr.  172 vom 22. Juni 1908, Ab.Bl., S.  1 (unten, S.  86–89); Nr.  174 vom 24. Juni 1908, 2. Mo.Bl., S.  1 (unten, S.  90–93); Nr.  190 vom 10. Juli 1908, 4. Mo.Bl., S.  1 (unten, S.  94– 104). 2  Vgl. Die Berufung Prof. Bernhards an die Berliner Universität, in: Frankfurter Zeitung, Nr.  162 vom 12. Juni 1908, 2. Mo.Bl., S.  1; Professor Bernhard, ebd., Nr.  163 vom 13. Juni 1908, 1. Mo.Bl., S.  3; Professor Bernhard, ebd., Nr.  163 vom 13. Juni 1908, 2. Mo.Bl., S.  1. 3  Vgl. Bernhard, Ludwig, Das polnische Gemeinwesen im preußischen Staat. Die Polenfrage. – Leipzig: Duncker & Humblot 1907 (hinfort: Bernhard, Polnisches Gemeinwesen). 4  Vgl. unten, S.  78–85. 5  Am 12. Juni 1908 hatte die Frankfurter Zeitung berichtet (vgl. oben, Anm.  2), daß der Kultusminister nach der Zustimmung des Reichskanzlers die Berufung Bernhards über die Köpfe der Fakultät hinweg in einer Weise vollzogen habe, daß sich die älteren Ordinarien Wagner und Schmoller verletzt gefühlt hätten.

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Der „Fall Bernhard“

tät vergewissert habe. Zwei Tage später, am 20. Juni 1908, kündigte Bernhard in einem Brief an die Frankfurter Zeitung an, er werde auf das Ordinariat verzichten, sollte sich die Fakultät gegen ihn aussprechen.6 Max Weber reagierte auf diese Erklärung mit einer zweiten anonymen Zuschrift an die Frankfurter Zeitung.7 Mit einer dritten anonymen Zuschrift antwortete er auf eine Mitteilung Adolf v. Harnacks an ihn,8 er sei an dem Vorgang nicht beteiligt gewesen und von dem Vorgehen des Ministeriums ebenfalls überrascht worden.9 In einer vierten, nun namentlich gezeichneten Zuschrift10 setzte Weber sich mit einer Stellungnahme Hans Delbrücks zum „Fall Bernhard“ auseinander, in welcher dieser als Fakultätsmitglied u. a. Webers anonyme Zuschrift in der Frankfurter Zeitung vom 18. Juni 1908 kritisiert hatte.11 Delbrück wandte sich vor allem gegen Webers Bemerkungen zu Werner Sombarts vergeblichem Versuch, sich in Berlin zu habilitieren, um daraus ein Versagen der Berliner Fakultät abzuleiten. Diese Zuschrift blieb Webers letzter Kommentar zu den Auseinandersetzungen über den „Fall Bernhard“. Eine Korrespondenz Max Webers mit der Frankfurter Zeitung aus diesem Zeitraum ist nicht überliefert. Die öffentliche Auseinandersetzung war damit jedoch noch nicht beendet. Im Juli 1908 schien dank der Vermittlung und einem Gutachten von Friedrich Althoff12 der Fall beigelegt. Doch kam es zu weiteren Turbulenzen, als Bernhard, der ein Jahr beurlaubt worden war, die Nichtentscheidung der Fakultät während dieser Zeit als Zustimmung zu seiner Berufung interpretierte und seine Lehrtätigkeit 1909 in Berlin aufnahm. Der dadurch erneut aufflammende Konflikt mußte durch ein Schiedsgericht geschlichtet werden. Die Fakultät billigte durch einen nachträglichen Berufungsvorschlag Bernhards Ernen6  Die Frankfurter Zeitung, Nr.  170 vom 20. Juni 1908, Ab.Bl., S.  1, druckte den Brief Ludwig Bernhards an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität, Alois Brandl, ab. Zum Wortlaut des Briefes vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Zum „Fall Bernhard“, unten, S.  86. 7 Ebd. 8  Vgl. Weber, Der „Fall Bernhard“ und Professor Harnack, unten, S.  90–93. Ein solches Schreiben Adolf v. Harnacks an Max Weber ist nicht nachgewiesen. 9  Vgl. unten, S.  92. 10  Vgl. Weber, Der „Fall Bernhard“ und Professor Delbrück, unten, S.  94–104. 11  Vgl. Delbrück, Hans, Akademische Wirren, in: PrJbb, Band 133, Juli-Sept. 1908, S.  176–178 (hinfort: Delbrück, Akademische Wirren). 12  Da die Auseinandersetzungen im Fall Bernhard nicht auf die akademische Öffentlichkeit beschränkt geblieben waren, hatte Gustav Schmoller dem Reichskanzler Bernhard Fürst v. Bülow die Beschwerden der Universität vorgetragen. Daraufhin bat der Chef der Reichskanzlei v. Loebell im Auftrag des Kanzlers den 1907 pensionierten Friedrich Althoff im Konflikt zwischen Universität und Kultusministerium zu vermitteln. Obwohl der preußische Kultusminister Holle diese Vermittlung ablehnte, konnte Althoff Schmoller über die Rechtslage gutachtlich aufklären und eine vorläufige Entscheidung herbeiführen. Vgl. Sachse, Arnold, Friedrich Althoff und sein Werk. – Berlin: E. S. Mittler & Sohn 1928, S.  194–196.

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nung, während dieser in einem Revers erklärte, auf die Durchführung der wirtschaftswissenschaftlichen Hauptvorlesungen zu verzichten, solange die älteren Kollegen nicht dem Gegenteil zustimmten. Im Wintersemester 1910/11 sagte er sich jedoch im Einvernehmen mit dem Kultusministerium von dieser Verpflichtung los, kündigte eine Hauptvorlesung in Konkurrenz zu Max Sering an und provozierte damit einen zweiten, noch schärferen Konflikt. Die Auseinandersetzungen über den „Fall Bernhard“ zogen sich, nunmehr zum öffentlichen Skandal geworden, bis ins Frühjahr 1911 hin und beschäftigten sogar das Preußische Abgeordnetenhaus.13

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript der hier abgedruckten ersten anonymen Zuschrift ist nicht überliefert. Die Wiedergabe folgt dem dreispaltig gesetzten Text, der unter der Überschrift „Der Fall Bernhard“ in der Frankfurter Zeitung, 52. Jg., Nr.  168 vom 18. Juni 1908, 1. Mo.Bl., S.  1, erschien (A). Die Autorschaft Webers an dieser wie an den beiden anderen anonymen Zuschriften ergibt sich aus seinen Bemerkungen in der letzten, namentlich gezeichneten Zuschrift.14 Die Überschrift „Der ‚Fall Bernhard‘“ wird übernommen, aber in eckige Klammern gestellt, weil sie von der Redaktion stammen dürfte. Auf die Überschrift folgt in der Frankfurter Zeitung ein redaktioneller Zusatz.15

13 Vgl. Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band IV, 2.  Aufl. – Stuttgart u. a.: Kohlhammer 1969, S.  967–969. 14  Vgl. Weber, Der „Fall Bernhard“ und Professor Delbrück, unten, S.  94–104. 15  Vgl. unten, S.  96, textkritische Anm. a.

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[Der „Fall Bernhard“] [A 1]

Diea bisherigen Preßerörterungen über den vielbesprochenen „Fall Bernhard“1 erschöpfen dasb Interesse an diesem Vorgang keineswegs. Gewiß ist der Skandal, daß die Regierung (richtiger gesagt: der Minister aus ganz persönlicher, d. h. unmittelbar beeinflußter Initiative)2 der besuchtesten Universität Deutschlands3 einen Professor oktroyiert, und daß über diese Tatsache die beteiligten Fachmänner, die zu den angesehensten Gelehrten Deutschlands gehören, erst durch die Presse oder die Visite des neuen Kollegen informiert werden, charakteristisch genug. Aber einige andere Umstände sind doch vielleicht noch charakteristischer. Zunächst schon das Verhalten des so plötzlich Beförderten selbst. In der Zeit, als der Schreiber dieser Zeilen so jung war, wie es Herr Bernhard heute ist,4 galt es als die elementarste Pflicht des akademischen Anstandes, daß jemand, dem vom Ministerium eine Professur angeboten wurde, sich vor allen andern Dingen und ehe er sich entschied, vergewisserte, ob er das wissenschaftliche Vertrauen der Fakultät oder mindestens derjenigen hervorragenden Fachgenossen, die mit ihm zusammenarbeiten sollten, besitze, einerlei, ob er etwa befürchtete, daß dadurch der Erlangung jener Stelle irgend welche Schwierigkeiten (sei es auch nur moralischer Natur) entstehen könnten. Wer, weil er gerade „die Konjunktur hatte“, sich über jene selbstverständlichen Regeln hinwegsetzte, um akademisch a  In A geht voraus: Aus akademischen Kreisen schreibt man uns:   b A: des 1  Die Frankfurter Zeitung hatte im Juni 1908 in drei Artikeln über Ludwig Bernhards Berufung nach Berlin berichtet. Vgl. oben, S.  75, Anm.  2. 2  Ludwig Bernhard war mit zwei Berliner Ordinarien, Hans Delbrück und Adolf v. Harnack, bekannt, die gute Beziehungen zum preußischen Kultusministerium unterhielten. Delbrück war mit Ludwig Bernhards Eltern eng befreundet und kannte Bernhard seit langem. Dem Theologen v. Harnack hatte Bernhard sein Buch „Das polnische Gemeinwesen“ „in Verehrung und Liebe“ gewidmet; vgl. Bernhard, Polnisches Gemeinwesen (wie oben, S.  75, Anm.  3). 3  Gemeint ist die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, an der sich im Jahr 1905/06 7.616 Studierende immatrikuliert hatten. Nach Franz Eulenburgs Berechnungen für das Deutsche Reich im Jahr 1900 nahm Berlin mit 5.105 Studierenden die Spitzenstellung ein, gefolgt von München mit 3.991, Leipzig mit 3.269 und Bonn mit 2.162 Studierenden. Vgl. Eulenburg, Frequenz, S.  306 f. 4  Max Weber war, als er im Januar 1897 einen Ruf an die Universität Heidelberg erhielt, so alt wie Ludwig Bernhard, nämlich 32 Jahre.

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„vorwärts zu kommen“, verfiel überall ganz der gleichen Beurteilung und Behandlung seiner Kollegen, wie sie jenen Leuten zuteil wird, welche berufsmäßig für sich auf konfessionelle oder politische „Strafprofessuren“5 spekulieren. Mit der Feststellung, daß Herr Bernhard jene Regeln nicht zu beachten für nötig befand, scheidet seine Person aus den weiteren Erörterungen hier aus. Von allgemeinerer Wichtigkeit ist nun aber, daß diese Art von Attitüde unter einem Teil des akademischen Nachwuchses überhaupt offensichtlichec Fortschritte gemacht hat, und daß ferner die preußische Regierung diesen Typus von „Geschäftsleuten“,6 wie sie der akademische Sprachgebrauch nennt, direkt züchtet: es gibt heute Lehrstühle, die ganz regelmäßig als „Stationen“ zur Versorgung solcher Elemente benutzt werden. Was nun die Universität Berlin selbst anlangt, so gilt natürlich die Erlangung einer Professur dort auch heute regelmäßig als ein pekuniär gutes Geschäft. Die Zeit aber, wo sie als eine hohe wissenschaftliche Ehre galt, liegt hinter uns. Gewiß, mit Freuden sehen wir in Berlin auch heute noch in vielen Fächern wirkliche Führer der Wissenschaft und zugleich absolut unabhängige Persönlichkeiten. Allein die Zahl der „bequemen“ und wegen ihrer Bequemlichkeit gesuchten Mediokritäten wächst dort, scheint es, eher noch schneller als anderwärts. Und dazu treten nun die Leute von der Art des Herrn Bernhard, Leute also, für welche, vom Standpunkt der Regierung aus, die Zugehörigkeit zur Universität wesentlich als Pfründe, in pekuniärem Sinne oder in dem der sozialen Geltung, in Betracht kommt. Nun ist es ja, vom Standpunkt der Provinzialuniversitäten aus, gewissermaßen erfreulich, daß ihnen auf diese Art eine weitaus größere Zahl von hervorragenden Gelehrc A: offensichtige 5  Als „Strafprofessuren“ wurden ironisch solche Professuren bezeichnet, die vom Unterrichtsministerium neben einem bestehenden Lehrstuhl errichtet und besetzt wurden, um die Hörgelder des Lehrstuhlinhabers zu mindern, sei es wegen mangelnder Leistung, sei es aus konfessionellen oder politischen Gründen. Vgl. Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band IV, 2.  Aufl. – Stuttgart u. a.: Kohlhammer 1969, S.  966. 6 Die Bedeutung des auf den akademischen Bereich übertragenen Begriffs „Geschäftsleute“ bei Max Weber erläuterte Marianne Weber: „Die Regierung züchtete durch Nichtachtung der Fakultäten einen Typus von ‚Geschäftsleuten‘“, indem sie junge Leute in Versuchung bringe, „sich durch Leistungen für den Staat ihre akademische Laufbahn zu erleichtern“. Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild3, S.  395.

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ten dauernd erhalten bleibt, als dies der Fall wäre, wenn bei der Besetzung der Berliner Lehrstühle allein nach wissenschaftlichen Kriterien verfahren würde. Vom Standpunkt der Berliner Universität aus dürften diese Dinge aber naturgemäß anders zu beurteilen sein. Es ist doch eine eigentümliche Ironie, daß in einer Zeit, wo in mehreren Berliner Fakultäten, teils mit, teils ohne Erfolg, bei zunehmender Hörerzahl eine Beschränkung der Zahl der Professuren erstrebt wurde,7 und wo ferner eine Fakultät ein besonderes, die Habilitation von Lehrern anderer Hochschulen einschränkendes Statut schuf, und alsdann dieses selbstgeschaffene Hindernis dazu benutzte, um einen anerkannt hervorragenden akademischen Lehrer, und zwar gegen das Votum der Fachmänner, von der Privatdozentur auszuschließen8 – ich sage: es ist eine eigentümliche ­Ironie, daß diese selbe Universität sich jetzt gefallen lassen muß, daß ihre Professuren als Pfründen benutzt werden, wenn irgend ein Ministerium gerade das Bedürfnis hat, durch einen fähigen jungen Mann9 politisch erwünschte Recherchen vornehmen zu las7  In der Zeit von 1871/72 bis 1905/06 verdreifachte sich die Zahl der immatrikulierten Studenten an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität von 2.719 auf 7.616. Von der explosionsartigen Vermehrung der Habilitationen und der Privatdozenten um die Jahrhundertwende war Berlin besonders stark betroffen. Hier befanden sich 1909 ca. 15% aller Extraordinarien und 36% aller Privatdozenten Preußens. Die Zahl der Ordinariate blieb dagegen konstant. Vgl. vom Bruch, Rüdiger, Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung. Gelehrtenpolitik im Wilhelminischen Deutschland 1890–1914. – Husum: Mathiesen 1980, S.  115, Anm.  222 (hinfort: vom Bruch, Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung). 8  Mit dieser Bemerkung spielte Weber, ohne Namen zu nennen, auf den Fall seines befreundeten Kollegen Werner Sombart an. Vgl. Lenger, Friedrich, Werner Sombart 1863–1941. Eine Biographie. – München: C.H. Beck 1994, S.  175 (hinfort: Lenger, Sombart). Sombart, der nicht habilitiert war, übernahm, nach einer Professur in Breslau, 1906 eine Professur an der Handelshochschule in Berlin. Seine Hoffnung, daneben auch an der Friedrich-Wilhelms-Universität lehren zu können, zerschlug sich. Die Philosophische Fakultät verwies auf frühere Beschlüsse, die älteren Dozenten, die eine Stellung an einer anderen Universität hatten, die Habilitation verwehrten, und dehnte diese am 12. Juli 1906 explizit auf die Lehrer der Handelshochschule in Berlin aus. Deshalb entstand bei der Professorenschaft der Eindruck einer „lex Sombart“. Delbrück betonte: zu Unrecht. Vgl. die Erläuterung zum Brief Max Webers an Alfred Weber vom 30. Jan. 1907, MWG II/5, S.  231–236, hier S.  235, Anm.  14. 9  Gemeint ist auch Ludwig Bernhard, über den sich Weber brieflich positiv geäußert hatte: „Der Posener Professor Bernhard ist ein guter Dozent und scharfer Kopf[,] noch etwas jugendlich hie und da.“ Vgl. den Brief Max Webers an Carl Neumann am 3. Nov. 1906, MWG II/5, S.  174–176, Zitat: S.  176). Bernhard war 1907 mit seinem Werk: Pol­ nisches Gemeinwesen (wie oben, S.  75, Anm.  3), hervorgetreten. Es stellte die Entwicklung der polnischen Selbstverwaltung in Preußen in der Zeit von 1831 bis zur Gegenwart dar. Bernhard war im „Deutschen Ostmarkenverein“, einem im Zuge der

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sen.1) Alle Konzessionen der Fakultäten an unsachliche Gesichtspunkte und insbesondere alles Abweichen von dem Grundsatz, so viele hochqualifizierte Kräfte wie nur möglich zu gewinnen, rächt sich eben letztlich durch Schwächung der moralischen Autorität der Fakultäten an ihnen selbst. Und natürlich zeigen sich die Konsequenzen dessen nicht nur in Fällen wie dem jetzt vorliegenden. Herr Bernhard hat, bei aller wissenschaftlichen Unausgereiftheit, immerhin ein sachlich wichtiges, von Eigenart der Methode zeugendes und (mir wenigstens) sehr eindrucksvolles Buch geschrieben.10 Aber jedermann weiß, daß z. B. auf dem Gebiet der Volkswirtschaftslehre vor der Türe der Fakultät noch die Füße von mindestens zwei anderen Leuten stehen, welche „Verdienste“ verschiedenen Charakters, bei einem von ihnen bis in die Zeit der „Ära Stumm“11 zurückreichend[,] aufzuweisen vermögen. Auch 12

1)  Ob dies im vorliegenden Fall in Wahrheit der allein entscheidende Grund ist, bleibe dahingestellt: Leute, welche einen intimen Einblick in die Zustände des amtlichen Ostmarken-Apparats getan haben, könnten außerhalb der preußischen Machtsphäre unbequem werden.12

Germanisierungspolitik 1894 in Posen gegründeten „Verein zur Förderung des Deutschtums in den Ostmarken“, engagiert. Wie die Frankfurter Zeitung, Nr.  162 vom 12. Juni 1908, 2. Mo.Bl., S.  1, berichtete, war Bernhard aufgrund seines Buches vom Oberpräsidenten von Posen und Schlesien zur Berufung nach Berlin empfohlen worden. Die Berufung sei erfolgt, um Bernhard die Fortsetzung seiner Arbeit über die polnischen Verhältnisse in Oberschlesien und Rheinland-Westfalen zu ermöglichen. 10  Vgl. oben, S.  80, Anm.  9. 11  Carl Ferdinand Freiherr v. Stumm-Halberg war Saarindustrieller, freikonservativer Politiker, Reichstagsabgeordneter und einflußreicher Berater des Kaisers. Er verdächtigte gewisse gelehrte Kreise, insbesondere die Nationalökonomie, der Koketterie mit der Sozialdemokratie. 1897 griff er im Preußischen Herrenhaus die Berliner Professoren Adolph Wagner, Gustav Schmoller und Hans Delbrück persönlich an. Vgl. vom Bruch, Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung (wie oben, S.  80, Anm.  7), S.  145. In den Konflikt zwischen Stumm und dem Nationalökonomen Wagner hatte Weber mit zwei Zeitungsartikeln eingegriffen. Vgl. Weber, Die Kampfesweise des Freiherrn v. Stumm, und ders., Eingesandt, MWG I/4, S.  512–519 und 520–523. 12  In den Jahren 1894–96 wurden vom preußischen Ministerium des Innern Spezialkartotheken angelegt, die die polnische Bewegung in West- und Ostpreußen, Sachsen, Hannover, Berlin, Schlesien und im Rheinland verdeutlichen sollten, und in den Jahren 1898/99 hatte man eine Arbeitsgruppe aus mehreren Kommissaren gebildet, die sich mit der polnischen Frage befaßte. Vgl. Galos, Adam, Felix-Heinrich Gentzen und Witold Jakóbczyk, Die Hakatisten: Der Deutsche Ostmarkenverein (1894–1934); ein Beitrag zur Geschichte der Ostpolitik des deutschen Imperialismus (Schriftenreihe der Kommission der Historiker der DDR und Volkspolens). – Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften 1966, S.  198 f. Dieser Apparat sollte alle Informationen zusammentragen, die zur Begründung antipolnischer Schritte dienen konnten. Bernhard legt im Vorwort seines Buches seine Quellen offen und erwähnt, daß er – obwohl

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ihre „Konjunktur“ dürfte früher oder später mit Sicherheit kommen. Daß Männer, wie Adolf Wagner und Schmoller, einst bedeutende und wissenschaftlich eigenartige Persönlichkeiten als Nachfolger erhalten werden, erscheint darnach als ganz unwahrscheinlich. Und ähnlich steht es an den anderen preußischen Universitäten. Sie alle haben heute nicht mehr mit der, trotz aller Bedenklichkeit seines „Systems“, doch vorhandenen Großzügigkeit des Herrn Althoff13 zu tun. Sondern als Lenker ihrer Schicksale fungieren, und zwar sicherlich auf lange hinaus, persönlich freundliche, aber erschreckend subalterne und kleinliche „business men“14 – Leute also, durch deren Einfluß dauernd eine „Konjunktur“ für das Hochkommen der ihnen adäquaten akademischen „Geschäftsleute“ geschaffen wird, nach ganz dem gleichen Gesetz, welches bewirkt, daß erfahrungsgemäß eine Mittelmäßigkeit innerhalb einer Fakultät fortdauernd weitere nach sich zieht. Speziell dem Berliner Lehrkörper wird in solchen künftigen „Fällen“ ebenso wie in dem jetzigen nur die Wahl der Form, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, offen stehen. Einen wirklich, sei es in der öffentlichen Meinung, sei es bei der Regierung ins Gewicht fallenden Widerstand können sie infolge jener zum Teil selbst verschuldeten Schwächung ihrer moralischen Autorität nicht mehr leisten. Und, was damit zusammenhängt: letztlich will auch ein zur Zeit wachsender Teil ihrer Mitglieder es gar nicht anders. Es ist selbstverständlich anzuerkennen, daß, wie an allen, so auch an der Berliner Universität, nicht wenige charaktervolle Persönlichkeiten auch heute noch die stolze Tradition akademischer Berufssolidarität und -Unabhängigkeit nach oben fortsetzen. Jedermann aber weiß, daß diese nicht im Zunehmen begriffen sind. Dazu ist die Türklinke zum Kultusministerium dem Berliner Proseine Arbeit „außerhalb des offiziellen Machtbereiches“ stehe – auch Zugang zu amtlichen Dokumenten erhalten habe. Bernhard, Polnisches Gemeinwesen (wie oben, S.  75, Anm.  3), S. VII. 13 Friedrich Althoff war unter dem preußischen Kultusminister Konrad v. Studt seit 1897 als Ministerialdirektor Leiter der Ersten Unterrichtsabteilung im preußischen Kultusministerium und organisierte das preußische Hochschulwesen neu. Gegen das „System Althoff“ richteten sich Max Webers Angriffe auf dem IV. Deutschen Hochschullehrertag am 13. Oktober 1911 in Dresden. Vgl. Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen, unten, S.  394–410. 14  Zum Ausdruck vgl. Weber, The Relations of the Rural Community to Other Branches of Social Science, MWG I/8, S.  200–243, hier S.  215.

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fessor nun einmal leider allzunahe.15 Zunehmend ist der Unfug eingerissen, daß preußische „Provinzial“-Professoren sich mit Anliegen und Beschwerden an einflußreiche (oder dafür geltende) Berliner Kollegen zur Fürsprache „höheren“ Ortes wenden. Diese Machtstellungen von Gnaden persönlicher Beziehungen zum Ministerium, wie sie heute in allen möglichen Fächern in mehr oder minder ausgeprägter Form entwickelt sind, haben in der Hand charaktervoller und bedeutender Berliner Gelehrter gewiß oft sachdienlich gewirkt. Vorbehaltlich dessen, daß natürlich immer auch beim aufrichtigen Streben nach Objektivität die Gefahr subjektiver Stimmungen bei der Zusammenballung einer großen Patronage in der Hand eines einzelnen vorliegt. Heute aber beginnen sich die Verhältnisse gründlich zu ändern. Wie gerade der „Fall Bernhard“ eklatant gezeigt hat, bedeutet ein auf solchen persönlichen Beziehungen ruhender Einfluß selbst in der Hand bedeutender Gelehrter in einer Zeit, wo zunehmend „Busineß“-Gesichtspunkte entscheiden, nur noch eine prekäre Scheinmacht. – Nicht nur fallen die verschiedenen persönlichen Einflüsse einander gegenseitig in den Rücken – scheint es doch, daß im vorliegenden Fall das Verhalten eines bekannten Theologen an der eigentümlichen Behandlung der eigentlichen Fachmänner nicht ganz unbeteiligt war –,16 sondern in der Hand minder bedeutender Persönlichkeiten gewinnt die Regierung damit ein durchaus sicher wirkendes Mittel, deren Eitelkeit für ihre Zwecke zu fruktifizieren. Und je mehr die Berliner Universität sich mit „business men“ bevölkern wird, desto mehr werden sich die Dinge dahin entwickeln, daß die Regierung zwar jene Professoren, mit denen sie, im eigenen Interesse, ständige „persönliche Beziehungen“ unterhält, sehr gern durch allerhand Entgegenkommen im Kleinen – Berücksichtigung von Fürsprachen für ihre Schützlinge und dergl. – sättigen wird, 15  Die Berliner Professoren Hans Delbrück, Gustav Schmoller und Adolf v. Harnack verfügten über enge Beziehungen zur preußischen Regierung sowie zur Reichsregierung, als deren Berater sie dienten. Harnack war im Frühjahr 1906 und 1907 für eine leitende Position im Kultusministerium, höheres Unterrichtswesen, im Gespräch. Nach Althoffs Tod übernahm v. Harnack einen Großteil von dessen früheren Aufgaben. Vgl. vom Bruch, Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung (wie oben, S.  80, Anm.  7), S.  325 f., 331, Anm.  143. 16  Anspielung auf Adolf v. Harnack, der mit Bernhard bekannt war. Weber nahm zu Unrecht an, daß v. Harnack im „Fall Bernhard“ hinter den Kulissen zu dessen Gunsten gewirkt habe. Vgl. unten, S.  86–89 und 90–93.

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daß also die Patronage der Berliner Professoren gegenüber der „Provinz“ zu einer zwar inoffiziellen, aber faktisch anerkannten Institution wird, daß aber gerade aus diesem Grunde in jenen wichtigen Angelegenheiten, wo die Stimme des Fachmannes als solchen und die Autorität der Fakultät als solcher ins Gewicht fallen sollten, beide nichts bedeuten. Wer als Patron kraft persönlicher Beziehungen für persönliche Schützlinge zu wirken gewohnt ist, begibt sich eben damit des moralischen Gewichts, welches seiner Stimme als Fachmann und Teilhaber an amtlichen Gewalten zukommen sollte. Die Entwicklung der Berliner Professorenschaft in der erstgedachten Richtung scheint fast unaufhaltsam. Sie bedroht aber naturgemäß in schwerster Art das akademische Solidaritätsgefühl. Die hochmütigen Abkanzelungen, mit welchen gewisse Berliner Kreise die Versuche bedachten, Besprechungen von Hochschullehrern über die allen Hochschulen gemeinsamen Angelegenheiten herbeizuführen, sind wohl noch in aller Erinnerung. Daß die Wirkungssphäre einer interlokalen Hochschulorganisation,17 gleichviel auf welcher Basis sie geschaffen werden möge, von vornherein ihre aus der Natur der Dinge folgenden Schranken hat, hat auch ohne jene freundlichen Belehrungen niemand bezweifelt. Daß aber, ganz abgesehen von den wichtigen Fragen der Hochschulpädagogik, eine Organisation von Hochschullehrern, bei verständiger Leitung, das Standesehrgefühl des Nachwuchses gegenüber dem BusineßStandpunkt wiedererwecken und zugleich dazu beitragen könnte, das zunehmend verloren gegangene moralische Gewicht der Hochschulen allmählich wieder zu erobern – das ist doch eigentlich nicht zu bezweifeln. Daß beides für Preußen dringliche Aufgaben wären, dürfte u. a. auch der „Fall Bernhard“ gezeigt haben. Die schon jetzt nicht selten erbitternde Art, wie das preußische System und der Einfluß gewisser Berliner Sphären neuerdings auch außerhalb Preußens seine Kreise zu ziehen beginnt, mag für diesmal unerörtert bleiben. Schließlich sind es auch allgemeinere Zukunftserwägungen, welche das Vordringen des Busineß-Standpunktes und die Durchsetzung der Professoren-„Zünfte“ mit Patronage-„Hierarchie“d bed A: Patronage „Hierarchie“ 17  Gemeint ist auch der im September 1907 in Salzburg gegründete Deutsche Hochschullehrertag.

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denklich erscheinen lassen müssen. Überall spielen ja heute die tagespolitischen Konstellationen in die Art der Behandlung der Universitäten hinein. Solche Vorgänge, wie der Fall Bernhard und solche Zustände, wie die, zu deren Symptomen dieser „Fall“ gehört, sind unzweifelhaft auch geeignet, das Ansehen der akademischen Lehrer in den Augen der Studentenschaft tief herabzusetzen. Ob dies dauernd im Interesse der Regierungen liegen wird, das mögen diese selbst mit sich abmachen. Möchten jedenfalls die Vorgänge an den österreichischen Universitäten18 deren deutschen Schwestern eine Mahnung sein, das, was sie an moralischem Kredit in der öffentlichen Meinung und bei ihren Hörern noch besitzen[,] nicht ohne Widerstand vernichten zu lassen – und auch nicht selbst, durch eigene Schuld, zu verscherzen.

18  Beim I. Deutschen Hochschullehrertag in Salzburg berichtete der Wiener Nationalökonom und Historiker Ludo Moritz Hartmann, daß ein namentlich nicht genannter Ordinarius von der österreichischen Regierung an die Wiener Philosophische Fakultät berufen worden sei, obwohl er von dieser wegen mangelnder Qualifikation abgelehnt worden war. (Vgl. Verhandlungen des ersten deutschen Hochschullehrer-Tages zu Salzburg im September 1907, hg. von dem engeren Ausschuß für 1907/08. – Straßburg: Karl J. Trübner 1908, S.  61.) Weber könnte hier auch den „Fall Wahrmund“ meinen. Der Innsbrucker Kirchenrechtler Ludwig Wahrmund war von einem Kollegen, der zugleich Abgeordneter war, wegen vermeintlichen schweren Mißbrauchs seines akademischen Lehramtes kritisiert worden. Wegen seiner modernistischen Anschauungen wurde Wahrmund von der österreichischen Regierung zunächst die weitere Amtsausübung untersagt, ihm dann aber gestattet, an einer anderen Universität zu lehren. Vgl. Amira, Karl v., Die Stellung des akademischen Lehrers zur Freiheit in Forschung und Lehre, in: Beilage der Münchner Neuesten Nachrichten, Nr.  8 vom 9. Juli 1908, S.  73 f., sowie Brief Max Webers an Ludo Moritz Hartmann vom 19. Nov. 1909, MWG II/6, S.  315–317, hier S.  316 f.

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[Zum „Fall Bernhard“] [Zuschrift an die Frankfurter Zeitung, 22. Juni 1908]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Mit der zweiten anonymen Zuschrift1 an die Frankfurter Zeitung reagierte Max Weber auf ein Schreiben Ludwig Bernhards an den Dekan der Berliner Philosophischen Fakultät, das die Zeitung zwei Tage zuvor, am 20. Juni 1908, abgedruckt hatte. Darin heißt es : „Wie ich zuverlässig höre, stößt mein Eintritt in die Berliner Universität im Kreise der Fakultätsmitglieder auf Opposition; man wirft mir vor, daß ich den Korporationsgrundsätzen zuwider gehandelt hätte, da meine Ernennung ohne Anhörung der Fakultät erfolgt ist. Ich bin mir bewußt, nichts getan zu haben, was ich nicht aus der gegebenen Situation heraus vollständig rechtfertigen kann. Um jedoch zu zeigen, wie wenig ich gewillt bin, den korporativen Grundsätzen zuwider zu handeln, erkläre ich mich hierdurch aus freien Stücken bereit, die Entscheidung noch nachträglich in die Hände der Fakultät zu legen, falls diese Entscheidung gegen mich fällt, beim Herrn Minister um meinen Abschied einzukommen.“2 Marianne Weber zufolge hatte sich Bernhard auf die Kritik Webers hin der Fakultätsentscheidung unterstellt, sein Entlassungsgesuch eingereicht und Weber mitteilen lassen, daß er seinen Fehler einsehe.3

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Zum Abdruck kommt die unter der Überschrift „Tages-Rundschau” anonym erschienene Zuschrift Max Webers in der Frankfurter Zeitung, 52. Jg., Nr.  172 vom 22. Juni 1908, Ab.Bl., S.  1 (A). Die Autorschaft Max Webers an dieser zweiten anonymen Zuschrift ergibt sich aus dem redaktionellen Hinweis auf den ersten Artikel – „Der Verfasser 1 Zur ersten anonymen Zuschrift Der „Fall Bernhard“ und den Hintergründen vgl. oben, S.  75–85. 2  Der Brief Ludwig Bernhards an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Berlin, in: Frankfurter Zeitung, Nr.  170 vom 20. Juni 1908, Ab.Bl., S.  1, war unter der Rubrik „Deutsches Reich“ erschienen. 3  Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild3, S.  395.

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des Artikels über den ‚Fall Bernhard’ (vgl. I. Mgbl. vom 18. Juni) schreibt uns dazu:“4 – in Verbindung mit der Bemerkung in seinem letzten, namentlich gezeichneten Leserbrief.5 Die Redaktion kommentierte die Zuschrift Max Webers und fügte weitere Informationen an.6

4 Zum vollständigen Wortlaut der redaktionellen Vorbemerkung, vgl. unten, S.  88, textkritische Anm.  a. 5  Dort heißt es: „[…] mit meinem Artikel in Nr.  168 der ‚Frankfurter Zeitung’ (über den ‚Fall Bernhard’).“ Vgl. Weber, Der „Fall Bernhard“ und Professor Delbrück, unten, S.  96. 6  Vgl. unten, S.  89, textkritische Anm.  c.

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[Zum „Fall Bernhard“] [A 1]

Diea Erklärung des Herrn Prof. Bernhard1 ist keineswegs geeignet, an der grundsätzlichen Beurteilung seines Vorgehens etwas zu ändern.2 Sie ist eine für das große Publikum wirkungsvolle „Geste“; aber sie schafft natürlich, wie jeder mit der Sachlage Bekannteb und Herr Prof. Bernhard selbst am allerbesten weiß, in keiner Weise res integra für die Fakultät. Sie setzt diese schlechterdings nicht in die Lage, sich so zu entscheiden, wie sie es hätte tun können, wenn ihre eigne Erwägung nicht präjudiziert worden wäre. Herr Bernhard wird daher, wenn die Fakultät von seinem Schreiben überhaupt Notiz nehmen zu können glaubt, voraussichtlich von ihr die Antwort erhalten, daß es sich für die Fakultät bei ihrem (eventuellen) Protest nicht um ein Vorgehen gegen seine Person handle. Aber bei der Situation, in welche die Fakultät gebracht worden ist, bedeutet das durchaus gar nichts. Fakultäten sind ganz gewiß nicht unfehlbar. Oh nein! Ja der Schreiber dieser Zeilen wäre der Allerletzte, eine Nachprüfung und Kontrolle ihrer Vorschläge und Beschlüsse für entbehrlich zu halten. Und die schnöde Mißachtung, welche sie heute erfahren, haben, wie schon in Nr.  168 dieser Zeitung näher ausgeführt,3 viele Fakultäten, speziell die Berliner, zum Teil durch eigene frühere Unsachlichkeiten mitverschuldet. Aber die Art, wie heute in Preußen (und leider, wie es scheint, nach seinem Muster gelegentlich auch anderwärts) in Fällen, wo auch nicht der leiseste Verdacht unsachlichen Verhaltens entstehen kann, die Ansicht der ersten

a  In A geht voraus die Überschrift: Tages-Rundschau. und die redaktionelle Vorbemerkung: Wie im letzten Abendblatt mitgeteilt wurde, hat Professor Bernhard in einem Schreiben an den Dekan der Berliner philosophischen Fakultät erklärt, daß er die Entscheidung über seine Berliner Professur noch nachträglich in die Hände der Fakultät lege. Der Verfasser des Artikels über den „Fall Bernhard“ (vgl. I. Mgbl. vom 18. Juni) schreibt uns dazu:   b A: bekannte 1  Die Erklärung von Ludwig Bernhard war am 20. Juni 1908 in der Frankfurter Zeitung erschienen. Zum Wortlaut vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  86 mit Anm.  2. 2  Weber bezieht sich auf seine erste anonyme Zuschrift Der „Fall Bernhard“ in der Frankfurter Zeitung, oben, S.  78–85. Vgl. auch den Editorischen Bericht dazu, oben, S.  75–77. 3  Vgl. Weber, Der „Fall Bernhard“, oben, S.  75–85.

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Fachautoritäten in den Wind geschlagen4 oder – wie im vorliegenden Fall – gar nicht erst eingeholt wird, fordert den schärfsten Protest heraus.c

c  In A folgt die redaktionelle Bemerkung: Wir können diesen Ausführungen nur zustimmen. Noch einiges wäre zu sagen, wenn eine Mitteilung der „Münchener Neuesten Nachrichten“ richtig sein sollte. Sie behaupten, jene Erklärung des Professors Bernhard sei nicht freiwillig, sondern auf Veranlassung der Fakultät erfolgt. Wir möchten aber vorerst annehmen, daß diese Mitteilung auf einem Irrtum beruhe. MNN, Nr.  287 vom 22. Juni 1908, Einzige Ausgabe, S.  3. 4  Weber spielt hier auf den Fall seines befreundeten Kollegen Werner Sombart an. Er hatte darauf hingewiesen, daß sich Gustav Schmoller und Adolph Wagner „energisch“ für Sombarts Habilitation eingesetzt hätten. Vgl. Weber, Der „Fall Bernhard“ und Prof. Delbrück, unten, S.  100. Hans Delbrück hatte dagegen behauptet, die Berliner Fakultät habe „a limine, ohne in eine Erörterung über Sombarts Person eintreten zu wollen, das Habilitations-Gesuch als prinzipiell unzulässig“ abgelehnt. Vgl. das Briefkonzept Hans Delbrücks an Alfred Weber, zwischen dem 14. und 17. Jan. 1907, zitiert in der Erläuterung zum Brief Max Webers an Alfred Weber vom 30. Jan. 1907, MWG II/5, S.  231–236, Zitat: S.  236, Anm.  14.

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[Der „Fall Bernhard“ und Professor Harnack] [Zuschrift an die Frankfurter Zeitung, 24. Juni 1908]

Editorischer Bericht Zur Entstehung In seiner ersten anonymen Zuschrift zum „Fall Bernhard“, die am 18. Juni 1908 in der Frankfurter Zeitung erschienen war, hatte Max Weber, ohne den Namen zu nennen, „das Verhalten eines bekannten Theologen“ attackiert und ihm eine Mitwirkung bei der Berufung von Ludwig Bernhard unterstellt.1 Mit dem bekannten Theologen war Adolf v. Harnack gemeint. Mit dieser dritten anonymen Zuschrift an die Frankfurter Zeitung zum „Fall Bernhard“ korrigiert Weber seine Behauptung und reagiert damit auf die nicht überlieferte Mitteilung Adolf v. Harnacks an ihn, er sei von der Berufung Bernhards ebenfalls überrascht worden und habe daran nicht mitgewirkt. Harnack hatte also erkannt, daß der anonyme Autor der ersten Zuschrift Max Weber war.

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Die Wiedergabe folgt der anonym erschienenen Zuschrift zum „Fall Bernhard“, die die Frankfurter Zeitung, 52. Jg., Nr.  174 vom 24. Juni 1908, 2. Mo.Bl., S.  1 (A), unter der Rubrik „Deutsches Reich” und dem Datum „Frankfurt, 23. Juni“ abdruckte. Die Autorschaft Max Webers an dieser dritten anonymen Zuschrift erschließt sich aus dem Hinweis der Redaktion auf den Autor des ersten Artikels2 in Verbindung mit einer Bemerkung Webers in der letzten, namentlich gezeichneten Zuschrift vom 10. Juli 1908. Dort erklärte Weber, er habe Harnacks Äußerungen „pflichtgemäß der ‚Frankfurter Zeitung’ alsbald mitgeteilt“. Dazu verwies die Redaktion in einer Anmerkung auf den hier edierten Artikel vom 24. Juni.3

1  Vgl. Weber, Der „Fall Bernhard“, oben, S.  82 f. mit Anm.  15. 2  Vgl. unten, S.  92 mit Anm.  1. 3  Vgl. Weber, Der „Fall Bernhard“ und Professor Delbrück, unten, S.  96, textkritische Anm.  a.

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Bei dem ersten Satz handelt es sich vermutlich um eine indirekte Wiedergabe oder Zusammenfassung von Max Webers Mitteilung durch die Redaktion. Dieser Satz wird deshalb in kleinerer Schrifttype wiedergegeben.

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[Der „Fall Bernhard“ und Professor Harnack] [A 1] Wie uns der Verfasser des Artikels über den Fall Bernhard (in Nr.  168) mitteilt,1

hat Prof. Harnack ihm gegenüber auf das kategorischste festgestellt,2 daß er durch die Berufung des Herrn Bernhard ganz ebenso überrascht worden sei, wie alle anderen, und unzweideutig erkennen lassen, daß er die Art des Vorgehens nicht anders beurteilt, als diese. Hiernach ist festzustellen: 1) daß

mit der, auch in den nächstbeteiligten und bestinformierten Kreisen bestimmt geglaubten Annahme, daß Herr Prof. Bernhard wenigstens die ihm Nächststehenden um Rat gefragt habe,3 einerseits Prof. Harnack Unrecht geschehen, andererseits Prof. Bernhard zu günstig beurteilt worden ist. 2) daß auch der Minister keinerlei akademische Persönlichkeit zu Rate gezogen hat,4 obwohl hinterher die unwahre Behauptung, dies sei geschehen, aufgestellt wurde. Die ministerielle Behauptung, es sei keine Zeit gewesen,5 macht selbstverständlich im Zeitalter des Telephons und der elektrischen Droschke einen ebenso grotesken Eindruck, wie die jetzt,

1  Gemeint ist der am 18. Juni 1908 anonym erschienene Artikel Max Webers, Der „Fall Bernhard“, oben, S.  75–85. 2  Die Gegendarstellung Adolf v. Harnacks ist nicht überliefert. 3 Etwa Adolf v. Harnack, mit dem Ludwig Bernhard bekannt war. Bernhard, Polnisches Gemeinwesen (wie oben, S.  75, Anm.  3), hatte das Buch dem Theologen „in Verehrung und Liebe“ gewidmet. Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Der „Fall Bernhard“, oben, S.  75–77. 4  Der preußische Kultusminister Ludwig Holle hatte Ludwig Bernhard am 22. Februar 1908 schriftlich ein Ordinariat in Berlin versprochen und ihn einen Monat später im Alleingang berufen. Vgl. Sachse, Arnold, Friedrich Althoff und sein Werk. – Berlin: E. S. Mittler & Sohn 1928, S.  193. 5  Die Frankfurter Zeitung, Nr.  162 vom 12. Juni 1908, 2. Mo.Bl., S.  1, berichtet, die Berliner Fakultät habe im Fall Bernhard nicht befragt werden können, weil die Zeit zu sehr gedrängt habe. Die Ordinarien Gustav Schmoller, Adolph Wagner und Max Sering seien aber gehört worden und hätten erklärt, daß ihnen unter den jüngeren Nationalökonomen Ludwig Bernhard am angenehmsten sei. Am 13. Juni berichtet das Blatt, es sei dem Kultusminister nicht möglich gewesen, den Rat der Fakultät einzuholen, da er sich innerhalb von 24 Stunden habe entscheiden müssen. Vgl. Frankfurter Zeitung, Nr.  163 vom 13. Juni 1908, 2. Mo.Bl., S.  1.

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nach Präjudizierung des Falls, an die Berliner Fakultät gelangte Erklärung des Herrn Bernhard.6 Damit ist der Fall wohl erledigt.

6  Ludwig Bernhard machte in einer Erklärung an den Dekan die Annahme des ihm zugesagten Lehrstuhls von der Entscheidung der Berliner Philosophischen Fakultät abhängig. Er wolle auf seinen Lehrstuhl verzichten, falls sich die Fakultät gegen ihn ausspräche. Die Erklärung wurde von der Frankfurter Zeitung, Nr.  170 vom 20. Juni 1908, Ab.Bl., S.  1, abgedruckt. Vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Zum „Fall Bernhard“, oben, S.  86 mit Anm.  2.

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[Der „Fall Bernhard“ und Professor Delbrück] [Zuschrift an die Frankfurter Zeitung, 10. Juli 1908]

Editorischer Bericht Zur Entstehung In seiner vierten und letzten, nunmehr namentlich gezeichneten Zuschrift zum „Fall Bernhard“1 geht Max Weber auf eine Stellungnahme Hans Delbrücks ein. Der Berliner Ordinarius setzte sich in seinem Artikel „Akademische Wirren“, der in den von ihm herausgegebenen „Preußischen Jahrbüchern“ in der Ausgabe Juli-September 1908 erschienen war,2 kritisch mit der ersten Zuschrift zum „Fall Bernhard“ in der Frankfurter Zeitung vom 18. Juni 19083 auseinander. Hans Delbrück wußte offensichtlich, daß Weber deren Verfasser war.4

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Die Edition folgt dem Abdruck des Beitrages, der unter der Überschrift „Der ‚Fall Bernhard’ und Professor Delbrück“ in der Frankfurter Zeitung, Nr.  190 vom 10. Juli 1908, 4. Mo.Bl., S.  1, erschien (A). Da der Titel vermutlich redaktionell eingefügt wurde, stellt ihn der Editor in eckige Klammern. Die Autorschaft Max Webers ist durch den Zusatz „Von

1  Zu den anderen Zuschriften und den Hintergründen vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Der „Fall Bernhard“, oben, S.  75–77. 2  Delbrück, Akademische Wirren (wie oben, S.  76, Anm.  11), S.  176–181. 3  Weber, Der „Fall Bernhard“, oben, S.  78–85. 4  Obwohl Weber den Fall Sombart ohne Namensnennung angesprochen hatte, kannte Delbrück die Zusammenhänge: „Derselbe süddeutsche Professor preist die gute alte Zeit, wo die Professoren noch Charaktere waren, trägt allen möglichen Klatsch der unsinnigsten Art, besonders über die Berliner zusammen und verkündet schließlich, es geschähe diesen Menschen ganz recht, wenn sie so behandelt würden; sie seien selber schuld daran, daß ihre Professuren als Pfründen benutzt würden, da sie einen anerkannt hervorragenden akademischen Lehrer von der Privatdozentur ausgeschlossen hätten. ‚Hinc illae lacrimae’ sagte ich mir, als ich bei diesem Satz angekommen war. Der ‚Ausgeschlossene’ ist nämlich ein naher Freund des süddeutschen Anonymus.“ Vgl. Delbrück, Akademische Wirren (wie oben, S.  76, Anm.  11), S.  178.

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Professor Max Weber (Heidelberg)“ eindeutig belegt. Ein Hinweis der Re­dak­ tion auf die anonyme, am 24. Juni veröffentlichte Zuschrift wird textkritisch annotiert.5

5  Vgl. unten, S.  96, textkritische Anm.  a.

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Von mir nahestehender Seite erhalte ich das Juliheft der „Preußischen Jahrbücher“1 zugeschickt und möchte gegenüber Herrn Prof. Delbrück, der sich darin u. a. mit meinem Artikel in Nr.  168 der „Frankfurter Zeitung“ (über den „Fall Bernhard“)2 beschäftigt, folgendes bemerken: Zunächst und namentlich: ich hatte trotz der Bestimmtheit, mit welcher unwidersprochen in der Presse und ebenso in Berliner Fakultätskreisen (nicht etwa nur vereinzelt) angenommen wurde, daß Prof. Harnack eine gewisse Mitverantwortung für das Verhalten des ihm nahestehenden Prof. Bernhard trage, von dieser Annahme nur in einer Form, die sie deutlich als nicht sicher beglaubigt kennzeichnete, beiläufig Notiz genommen.3 Harnacks an mich gerichtetes Ersuchen,4 „zur Kenntnis zu nehmen“, daß er von dem Vorgang „ganz ebenso überrascht“ worden und daß er nicht so „unerfahren“ und „leichtfertig“ sei, „um für diese Art der Behandlung verantwortlich gemacht werden zu können“, habe ich selbstverständlich 1. als nicht nur für mich privatim bestimmt, 2. als ein kategorisches Dementi jener Behauptung und 3. als eine gänzlich unzweideutige Beurteilung jenes Vorgangs selbst aufgefaßt und dies pflichtgemäß der „Frankfurter Zeitung“ alsbald mitgeteilt.a5 Wie ich anders hätte handeln dürfen, ist mir wie wohl jedem unerfindlich. In späteren, den Fall Bernhard betreffenden Briefen Prof. Harnacks6 findet sich denn auch selbstverständlich nicht der Schatten einer Andeutung, daß er sich in jener Wiedergabe seiner Stellungnahme irgendwie mißverstanden fühle. Wenn jetzt Delbrück, weil es ihm in seinen Artikel so hineinpaßt, den Anschein erweckt,

a  In A bindet hier die Anmerkung der Redaktion an: Veröffentlicht im II. Mgbl. vom 24. Juni (Red.) 1  Gemeint ist: Delbrück, Akademische Wirren (wie oben, S.  76, Anm.  11), S.  176–181. 2  Vgl. Weber, Der „Fall Bernhard“, oben, S.  75–85. 3  Vgl. ebd. Auf welche Quelle sich Weber hier bezieht, ist nicht bekannt. 4  Ein solches Schreiben Adolf v. Harnacks an Max Weber ist nicht nachgewiesen. 5  Gemeint ist – wie auch aus der redaktionellen Anmerkung hervorgeht – Weber, Der „Fall Bernhard“ und Professor Harnack, oben, S.  90–93. 6  Briefe Adolf v. Harnacks an Max Weber zum Fall Bernhard sind nicht nachgewiesen.

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als ob Prof. Harnack es lieber gesehen hätte, daß seine Stellung zur Sache der Öffentlichkeit vorenthalten würde, und wenn er sich gar die Behauptung herausnimmt, dieselbe sei von mir und zwar sogar „in dem wesentlichen Punkte“ (!)7 unrichtig wiedergegeben, so wird in dieser – angesichts des mir vorliegenden Briefs8 – wirklich etwas lächerlichen Redewendung in Wahrheit Prof. Harnack eine Zweideutigkeit insinuiert, deren kein anständiger Mensch, auch bei noch so großen Gegensätzen der Ansichten, ihn für fähig halten wird. Schon dies Beispiel völlig unbedachten Darauflosredens könnte genügen, um zu beurteilen, was es mit der Behauptung, mein Artikel „wimmele geradezu von unrichtigen Angaben“, gieße „eine Flut von Schimpf über die Berliner Fakultät“ aus, „trage Klatsch zusammen“9 usw. auf sich hat – Redewendungen, welche Delbrück selbstredend nicht durch Angabe auch nur einer einzigen unrichtigen Tatsache oder durch die Anführung auch nur eines einzigen beschimpfenden oder auch nur leidenschaftlichen Wortes zu belegen versucht hat. Daß ich, auch wo ich mich allgemein ausdrückte (z. B. über den „Ostmarken-Apparat“, über die „Patronage“),10 nichts gesagt habe, für das ich nicht in der Lage wäre, im Fall absoluter Nötigung hinlängliche Beispiele zu geben, weiß mein Kritiker sehr genau. Und lediglich das berechtigte Vertrauen darauf, daß ich es nicht angemessen finden würde, derartige Beispiele mit Namensnennung öffentlich zu erörtern, gab ihm den Mut zu seinen Stilblüten. Was speziell die Person des Herrn Prof. Bernhard anlangt, so registriere ich gern, daß von einer ihm wohlgesinnten Seite mir versichert wurde,11 seine Motive würden zu ungünstig beurteilt. Leider geschah dies ohne alle greifbaren Unterlagen, welche mir die Erklärung ermöglicht und damit natürlich zu einer sehr angenehmen Pflicht gemacht hätten: nur der Schein sei in dieser Hinsicht gegen ihn gewesen. Sein späteres Verhalten allein genügt dazu 7  Vgl. Delbrück, Akademische Wirren (wie oben, S.  76, Anm.  11), S.  179. 8  Ein solcher Brief Delbrücks an Weber ist nicht nachgewiesen. 9  Zum Wortlaut des Artikels von Delbrück vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  94, Anm.  4. 10  Vgl. Weber, Der „Fall Bernhard“, oben, S.  80 f. mit Anm.  9 und 10. 11  Um welche Person es sich hier handelt, die Partei für Ludwig Bernhard ergriff, war nicht zu ermitteln.

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nicht. Daß man mit „weißer Weste“ aus den Kabinetten des Kultusministeriums kommt – ich weiß es selbst,12 das ist in Preußen, bei der seit Althoff eingerissenen Art der Behandlung, keineswegs leicht –, darauf kommt es an, weit mehr als auf das, was man nachher, im Angesicht und unter dem Druck der Öffentlichkeit, tut und erklärt. Prof. Bernhard trägt eben doch nach wie vor die Verantwortung für das Entstehen einer Situation, die die ohnehin gänzlich ungesicherte Stellung der Fakultäten in Preußen schwer gefährdet hat. Daß bei der Feier eines Mannes, der zur Verklärung des preußischen Königtums unter allen Lebenden sicherlich das Meiste beigetragen hat, das preußische Kultusministerium aus purem Ärger unvertreten blieb,13 zeigt ja die gehässige und dürftige Kleinlichkeit der hier „maßgebenden“ Kreise zur Genüge. Prof. Delbrück drängt nun am Schluß seines Artikels seinem „sehr geschätzten und lieben Kollegen“, Prof. Schmoller, etwas geräuschvoll seinen Schutz auf gegen etwaige Angriffe14 – wessen eigentlich? – auf dessen Unbefangenheit. Um darzutun, welche verschiedenen Richtungen unserer Disziplin in Berlin vertreten seien, wird uns dabei eine Serie von dort dozierenden Gelehrten vorgeführt und diesen Prädikate wie: „Geh. Admiralitätsrat“, „Soziologe“, „Statistiker“, „agrarischer Reichstagskandidat“ usw. beigefügt.15

12  Weber spielt auf seine Begegnungen mit Friedrich Althoff anläßlich seiner Berufung an die Universität Berlin an. Vgl. Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen, unten, S.  394–410. 13  Gemeint ist der Berliner Nationalökonom Gustav Schmoller, der am 24. Juni 1908 seinen 70. Geburtstag feierte. Er war mit zahlreichen Werken zur preußischen Geschichte hervorgetreten. An seiner Geburtstagsfeier, die in seiner Privatwohnung stattfand, nahm kein offizieller Regierungsvertreter teil. Vgl. „Schmoller-Feier“, in: Frankfurter Zeitung, Nr.  175 vom 25. Juni 1908, 2. Mo.Bl., S.  1. 14 Am Schluß seines Artikels „Akademische Wirren“ (wie oben, S.  76, Anm.  11), S.  180 f., verteidigt Delbrück Gustav Schmoller gegen den Vorwurf, er lasse keine anderen Lehrmeinungen als seine eigene gelten. 15  Delbrück zählt (ebd., S.  181 f.) alle neun Dozenten auf, die an der Berliner Universität staatswissenschaftliche und nationalökonomische Vorlesungen hielten, und fügt den Titel bzw. die Fachrichtung in Klammern hinzu. Als Wirklicher Admiralitätsrat firmierte im Vorlesungsverzeichnis Ernst v. Halle, als Soziologe Georg Simmel, als Statistiker Ladislaus v. Bortkiewicz und als „jüngst agrarisch-konservativer ReichstagsKandidat“ Heinrich Dade. Vgl. dazu auch Amtliche Bekanntmachungen. Verzeichnis der Vorlesungen an der Königl. Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin im Wintersemester 1909/10, in: Hochschul-Nachrichten, 19. Jg., Heft 226, Juli 1909, S.  4–7.

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Es ist nun ja gewiß beruhigend, daß neben der „Richtung“ der „Soziologen“ auch die „Richtung“ der Herren Geh. Admiralitätsräteb und neben derjenigen der „Agrarier“ auch diejenige der „Statistiker“ vertreten ist. Nur ist zu dieser, logisch betrachtet, doch etwas wunderlichen Klassifizierung eins zu bemerken: es sind dabei für die „Staatswissenschaft“ auch die Namen von Gelehrten konfisziert, welche in ganz anderen (philosophischen, historischen) Disziplinen ihre wirkliche Heimat haben oder hatten, und – das ist die Hauptsache – deren unwürdige Behandlung durch die maßgebenden Berliner Instanzen viele Jahre lang das gerade Gegenteil eines Ehrentitels für das deutsche Universitätswesen geblieben ist.16 Dies zu berücksichtigen hätte Delbrück freilich in seinen Artikel schlecht hineingepaßt. Mit diesen Bemerkungen befinde ich mich bereits in der Nachbarschaft desjenigen Punktes, der von Delbrück am breitesten und dabei leider in einer Art behandelt worden ist, die mich, sehr gegen meinen Wunsch, schlechterdings zwingt, auch meinerseits „persönlich“ zu werden. Ich hatte einige Fälle von m. E. unsachlichem und deshalb der Autorität der Fakultäten nachteiligem Verhalten derselben angedeutet – verspräche es irgendwelchen sachlichen Nutzen, so könnte ich dies Kapitel weiter ausführen. Delbrück greift b A: Admiralitätsräte, 16  Gemeint sind der Historiker und Nationalökonom Ignaz Jastrow und der Soziologe Georg Simmel. Vgl. Verzeichnis der Vorlesungen an der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin im Sommer-Semester 1908. – Berlin: Universitäts-Buchdruckerei von Gustav Schaden (Otto Francke) 1908, S.  50–52. Jastrow, seit 1905 Privatdozent für Verwaltungswissenschaften an der Friedrich-Wilhelms-Universität, erhielt erst 1920 einen Ruf als ordentlicher Professor für Staatswissenschaften an die Berliner Universität. Ähnlich verhielt es sich bei Simmel, dessen erste Promotionsschrift wegen formaler Fehler von der Philosophischen Fakultät der Universität Berlin abgelehnt wurde. Mit der Schrift „Kantische Studien“ habilitiert, war er dort 15 Jahre als unbezahlter und mit keinerlei Prüfungsrechten ausgestatteter Privatdozent tätig. 1898 scheiterte ein Antrag auf Erteilung eines Extraordinariats am Widerstand des Kultusministeriums. Erst 1901 wurde er zum a. o. Professor ernannt. Trotz der Empfehlungen von Max Weber und Eberhard Gothein scheiterte 1908 eine Berufung nach Heidelberg an einem antisemitischen Gutachten des im Alldeutschen Verband engagierten Berliner Historikers Dietrich Schäfer. Erst 1914, im Alter von 56 Jahren, erhielt Georg Simmel einen Lehrstuhl an der Straßburger Universität. Vgl. Sieg, Ulrich, Im Zeichen der Beharrung. Althoffs Wissenschaftspolitik und die deutsche Universitätsphilosophie, in: Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. Das „System Althoff“ in historischer Perspektive, hg. von Bernhard vom Brocke. – Hildesheim: Edition Bildung und Wissenschaft 1991, S.  287–306, hier S.  296 f.

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den Fall der Zurückweisung des Habilitationsgesuchs von Prof. Sombart in Berlin heraus.17 Gegenüber all dem, was er seinerseits dazu an „Sachlichem“ vorbringt, genügt nun wohl die abermalige Feststellung: die Fachmänner, Adolf Wagner und Schmoller, welche für die Bedürfnisfrage doch wohl kompetenter sein dürften als Delbrück, sind trotz jener (sattsam bekannten) „Bestimmung“ der Fakultät energisch für die Zulassung eingetreten.18 Das darf uns anderen wohl genügen. Um so mehr, als bekannt ist, und auch Delbrück wissen könnte, mit was für Mitteln des jämmerlichsten persönlichen Klatsches – dem erst von Außenstehenden entgegengetreten werden mußte – s. Z. gegen die Zulassung Stimmung gemacht wurde.19 Wie schon diese Umstände zeigen, war hier von einer rein sachlichen oder rein formalen Schwierigkeit keine Rede: es handelte sich um die Person. Daß nun bei dem Interesse, welches mir dieser Vorgang s. Z. abnötigte, auch eigene persönliche Erlebnisse mitbeteiligt waren – das ist richtig. Mir selbst war, privatim, aber aus immerhin recht maßgebenden Kreisen der Berliner Fakultät, nicht lange vorher nahegelegt worden, genau das Gleiche zu tun, was bald darauf Prof. Sombart zu tun verhindert wurde.20 Es sollte 17  Vgl. Delbrück, Akademische Wirren (wie oben, S.  76, Anm.  11), S.  178, sowie dazu Weber, Zum „Fall Bernhard“, S.  89 mit Anm.  4. Der Ablehnung der Habilitation von Werner Sombart war eine Kontroverse zwischen Sombart und Delbrück vorausgegangen. Vgl. den Brief Max Webers an Alfred Weber vom 30. Jan. 1907, MWG II/5, S.  231– 236. 18 Delbrück schreibt in einem undatierten Konzept eines Briefes an Alfred Weber, zwischen dem 14. und 17. Januar 1907, daß Schmoller und Wagner zwar „noch einen Anlauf machten[,] Sombart aus Wohlwollen f[ür] seine Person durchzubringen“, die Fakultät aber „a limine, ohne in eine Erörterung über Sombarts Person eintreten zu wollen“, das Habilitationsgesuch als prinzipiell unzulässig abgelehnt habe. Hier zitiert nach der Erläuterung zum Brief Max Webers an Alfred Weber vom 30. Jan. 1907, MWG II/5, S.  231–236, hier S.  236, Anm.  14. 19  Die Brüder Weber hatten die Rolle von Sombarts Lehrer Gustav Schmoller bei der Ablehnung von Sombarts Habilitation moniert, der auch schon früher Gerüchte über Sombarts „unmoralisches Verhalten“ kolportiert hatte. Vgl. Lenger, Sombart (wie oben, S.  80, Anm.  8), S.  176. Bei einem der „Außenstehenden“ handelt es sich möglicherweise um Webers Bruder Alfred, der Sombart in einem Brief an Gustav Schmoller vom 19. August 1906 gegen solche Vorwürfe in Schutz nahm (GStA PK, VI. HA, Nl. Gustav v. Schmoller, Nr.  198, Bl. 119 f.). Vgl. dazu den Brief Max Webers an Robert Michels vom 16. Aug. 1908, MWG II/5, S.  637–642, hier S.  639 mit Anm.  7. 20 Marianne Weber berichtete, daß 1906 die „älteren Meister seines Fachs“, d. h. ­Gustav Schmoller und Lujo Brentano, Weber zu einer erneuten Habilitation an einer großen Universität anregen wollten. Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild3, S.  360. Dasselbe hatte Arthur Spiethoff von Gustav Schmoller in einem Gespräch mit diesem erfahren und Alfred Weber mitgeteilt. Vgl. den Brief Max Webers an Lujo Brentano vom

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mich nun wundern, auf welchem Wege gerade für meine Zulassung ein Bedürfnis hätte herausgefunden werden können, welches für diejenige von Prof. Sombart nicht bestände. Freilich: mein Blick fällt auf Delbrücks Bemerkung von der Bedrohung von „Licht und Luft“ der „wirklichen Privatdozenten“ durch solche Neuhabilitationen.21 Ich bin nun (deshalb lehnte ich s. Z. die Anregung ab) seit Jahren in dem Maß der mir möglichen Lehrtätigkeit gesundheitlich schwer gehemmt.22 Mithin wäre bei mir allerdings nicht in dem Grade, wie vermutlich bei Prof. Sombart, zu gewärtigen, ich könne der Berliner Kollegenschaft „Licht und Luft“, wie Delbrück es dezent ausdrückt, oder auf deutsch: Zuhörer und Kolleggeld fortnehmen. Folglich wäre allerdings meine Qualifikation für die Berliner Universität nach den Grundsätzen, die Delbrück jetzt ausdrücklich und öffentlich vertritt, die größere. Daß sich, anstatt daß ich Genugtuung darüber empfände, auch mein Anstandsgefühl gegen solche Anschauungen empört, daran kann ich nichts ändern. Ich glaube, daß es den von Delbrück für so „schutzbedürftig“ erklärten Berliner Kollegen kaum anders gehen wird. Und ich glaube ferner, daß die Vertretung derartiger „Licht- und Luft-“ „Gesichtspunkte“, die ja zu jenen akademischen Pudenda23 gehören, die ich rücksichtslos genug war, als vorhanden anzudeuten, mehr zur Diskreditierung unsrer Universitätszustände beitragen muß, als ein Dutzend Artikel von mir es könnten. Genug davon. Die Deutung, welche Herr Delbrück seinem Publikum allen Ernstes vorträgt: meine sachlichen Ausführungen in

28. Febr. 1906, MWG II/5, S.  42 f., Anm.  2. Brentano gegenüber lehnte Weber ein solches Ansinnen ab: „Sie sprachen wieder in so überaus freundlicher Weise von einer Übersiedelung nach München. Ich kann das jetzt nicht thun, – habe auch eine ähnliche Anregung Schmollers bezügl. Berlins abgelehnt, – da ich noch nicht regulär dozieren könnte.“ Ebd., S.  42. 21  In seinem Artikel „Akademische Wirren“ (wie oben, S.  76, Anm.  11), S.  179, schreibt Hans Delbrück „das Einströmen von Elementen, schon älteren Herrn, denen die venia legendi nur die erwünschte Gelegenheit zu einer Lehrtätigkeit sein sollte“, drohe den Privatdozenten „Luft und Licht in einer ganz unerträglichen Weise zu beschränken“. Privatdozenten hatten keine dotierte Stelle, konnten aber über Kolleggelder Einkünfte erzielen. 22 Aufgrund seiner Krankheit hatte Weber 1903 sein Ordinariat an der Universität Heidelberg aufgegeben. Er war fortan nur noch Honorarprofessor ohne Sitz und Stimme in der Fakultät und ohne Verpflichtung, Lehrveranstaltungen abzuhalten. 23  Lat.: Dinge, deren man sich schämen sollte.

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Nr.  168 dieses Blattes24 seien durch persönliche Motive bestimmt, würde ich, rührten sie von einem andern her, natürlich einfach als eine Niederträchtigkeit beurteilen und bezeichnen. Allein: so ernsthaft darf man – ich würde allerdings sagen: leider! – diese Dinge bei ihm nicht nehmen. Es handelt sich bei solchen Äußerungen und manchen ähnlichen, die seiner Polemik seit langem einen recht üblen Ruf eingetragen haben, schwerlich um bewußte und beabsichtigte Unanständigkeiten gegenüber dem Gegner, sondern um Erscheinungen einer gewissen „Unkultur“ des Empfindens, welche ihrerseits aus der Eigenart seiner Publizistik herausgewachsen ist. Er ist, im Gegensatz zu seinem von ihm so bitter gehaßten Konkurrenten Maximilian Harden,25 ein Dilettant auf dem Gebiete des Journalismus. Er hat sich daher von der Kunst des Journalisten angeeignet, was eben heutzutage ein Dilettant sich überall zuerst anzueignen bestrebt ist: die äußere Routine. Er ist ferner zwar, weiß Gott, nicht der große Meister der Diplomatie, als der er sich erscheint, aber doch, auch als Politiker, ein geistreicher Mann, der Gesichtspunkte hat und nicht selten wertvolle Gedanken oder, wenn das nicht, wenigstens amüsante Paradoxien vertritt. Dagegen fehlt ihm das Verantwortlichkeitsgefühl des echten Berufsjournalisten, und man darf sich daher über Dinge, die man einem solchen nie verzeihen würde, bei ihm nicht aufregen. Es kommt ihm auf eine Handvoll Worte oder Behauptungen, gleichviel welcher Tragweite, niemals an, wenn sie gerade in den Zweck eines einzelnen Artikels hineinpassen. Denn eben weil er Dilettant ist, so glaubt er: das sei in der Journalistik, zumal seines „diplomatischen“ Genres, ein für allemal nicht anders – wie der Bauer glaubt, der Handel sei ein für allemal Gaunerei. Und eben auf dieser durchaus naiven Unkultur beruht auch die völlige, aber zugleich, wie ich mich an unmißverständlichen persönlichen Erfahrungen überzeugen konnte, absolut gutgläubige Verständnislosigkeit, welche er für die Pflicht der Scheidung persönlicher Beziehungen und sachlicher Probleme besitzt. Wer so steht, der kann natürlich auch keine Gewis24  Vgl. Weber, Der „Fall Bernhard“, oben, S.  75–85. 25  Maximilian Harden war einer der bekanntesten und einflußreichsten Journalisten des Kaiserreiches. Hans Delbrück hatte Hardens Mitarbeiter in einem Artikel „als in­ exakte, unzuverlässige Forscher, als Konfusionare, als Schönredner“ bezeichnet. Vgl. Delbrück, Hans, Eine Professoren-Gewerkschaft, in: PrJbb, Band 129, 1907, S.  129– 142, Zitat: S.  138 (hinfort: Delbrück, Professoren-Gewerkschaft).

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senlosigkeit darin erblicken, wenn er dem Gegner leichthin unterstellt, er habe mit der Vertretung einer ersichtlich recht ernst gemeinten Sache einem „nahen Freund“ einen Gefallen erweisen (oder wohl gar: ihn an der Fakultät rächen?) wollen. Nach Delbrücks Meinung ist so etwas vermutlich gar kein ernstlicher Vorwurf. Daß er so denkt, und daß die Betätigung dieser Denkweise zu den Dingen gehört, die seiner Journalistik zwar einen gewissen pikanten Reiz verleihen, sie aber innerlich entwerten – das kann wenigstens ich ganz gewiß nicht besonders erfreulich finden. Jedenfalls aber: es ist nun einmal so, und einer solchen Naivität gegenüber versagen alle „ethischen Wertungen“ – man muß ihm wohl oder übel eine Art von „Narrenfreiheit“ konzedieren, für die ja schon Treitschke seinerzeit das treffende Wort geprägt hat. Zum Schluß dieser unerquicklichen Erörterung nur die eine prinzipielle Bemerkung zur Sache: Delbrück geht auch auf die von ihm so genannte „Professorengewerkschaft“26 ein, welche ich exemplifikatorisch herangezogen hatte (und an der aktiv teilzunehmen ich bisher behindert war). Ob der Zusammenschluß der akademischen Lehrerschaft nun in dieser oder in welcher anderen Form sonstc etwa künftig zustande kommt, das scheint mir durchaus nebensächlich. Gelingt es aber den Gesinnungsgenossen Delbrücks, jede solche Organisation einer „öffentlichen Meinung“ des Hochschullehrerstandes dauernd zu hindern – und ich halte es keines­ wegs für unmöglich, daß es ihnen wenigstens vorläufig gelingt –[,] dann ist die unvermeidliche Folge: daß der einzelne in seiner Vereinzelung ausschließlich die Presse zur Aussprache in Anspruch nimmt. Die ernsthafte Presse hat bisher, ich glaube aus guten Gründen, akademische Angelegenheiten mit großer Zurückhaltung behandelt. Das würde dann gründlich anders werden müssen. Nach Delbrücks und mancher seiner Berliner Kollegen „Ideal“ soll die Regierung, statt geordneter Instanzen und Organisationen,

c  In A folgt: er 26 Hans Delbrück lehnte den 1907 erstmals stattfindenden Deutschen Hochschullehrertag als „Professoren-Gewerkschaft“ ab. Vgl. Delbrück, Akademische Wirren (wie oben, S.  76, Anm.  11), S.  179, sowie oben, S.  102, Anm.  25 und unten, S.  104, Anm.  28.

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hervorragende Einzelpersönlichkeiten27 (sie wird ja schon wissen, wo sie sie findet!) heranziehen. Sollte sich dieses, jetzt eben im Falle Bernhard so kläglich gescheiterte „Ideal“ in der bisherigen Richtung immer weiter praktisch verwirklichen, so wird das neben andern auch die unfehlbare Folge haben, daß die öffentliche Kritik an Universitätszuständen, sie mag nun wollen oder nicht, zunehmend den Charakter persönlichen Kampfes und persönlicher Diskreditierung annimmt. Das kann wahrhaftig niemand wünschen. Aber es ist die unabwendbare Folge der Anschauungen, die neben Andern Delbrück zu vertreten pflegt[,] und, wie die vorstehenden Ausführungen leider zeigen mußten, auch die Folge seines eigenen sittenlosen Verhaltens.28

27  Bei Delbrück heißt es: „Sind unter den Professoren keine Männer mehr, vor deren Ansehen und Stimme ebensowohl hohe Regierungen, wie Parteien und öffentliche Meinung Respekt haben und zurückweichen, so helfen auch Organisationen nichts. Denn was auf Persönlichkeiten beruht, kann nur durch Persönlichkeit gewahrt werden.“ Vgl. Delbrück, Professoren-Gewerkschaft (wie oben, S.  102, Anm.  25), S.  136. 28  Die Art, wie er hier Delbrück entgegengetreten ist, bedauerte Weber später. Im Oktober 1913 schreibt er aus Rom an Hans Delbrück: „Ich habe mich seiner Zeit von Ihnen ungerecht beurteilt und unrichtig behandelt gefühlt. Das ist in gewissem Maß noch immer der Fall. Allein sehr häufig wiederholte Überlegung sagte mir schließlich: daß ich wahrscheinlich das, was Sie sagen wollten, falsch gedeutet habe. Wie Dem nun aber sei, – jedenfalls habe ich Sie, daraufhin, meinerseits ungerecht beurteilt und schwer kränkend angegriffen, wie ich nicht gesollt hätte. Dies ist mir sachlich und persönlich leid. Wenn Sie können, so vergessen Sie es –.“ Vgl. den Brief Max Webers an Hans Delbrück vom 19. Okt. 1913, MWG II/8, S.  337 f., Zitat: S.  337. In der Kriegsund Nachkriegszeit bestanden zwischen beiden gute Kontakte.

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[Glückwunschadresse Gustav Schmoller]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Am 24. Juni 1908 fand in Berlin anläßlich des 70. Geburtstags von Gustav Schmoller mittags in der Privatwohnung des Jubilars und am Abend im Landesausstellungspark je eine Feier statt.1 Unter den Gästen waren Vertreter der Universität, der Akademie der Wissenschaften, des Vereins für Socialpolitik und des Evangelisch-sozialen-Kongresses sowie Freunde und Schüler.2 Nach den Feierlichkeiten entschloß sich Schmoller, z. T. auf Anregung von Ernst Francke, des Vetters seiner Frau, eine Auswahl der Festansprachen und der Glückwunschschreiben im Druck erscheinen zu lassen. Unter den publizierten Schreiben befindet sich auch der hier wiedergegebene Brief Max Webers.

Zur Überlieferung und Edition Die Edition folgt dem Erstdruck des Glückwunschschreibens in: Reden und Ansprachen gehalten am 24. Juni 1908 bei der Feier von Gustav Schmollers 70. Geburtstag. Nach stenographischer Aufnahme. Als Handschrift gedruckt. – Altenburg: Pierersche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & Co.1908, S.  67 f. (B). Es handelt sich um den Abdruck des Originalbriefes vom 23. Juni 1908, UB Tübingen, Md 1076, Nl. Gustav von Schmoller, Kapsel 48, Fasc. 2 (A).3 Die Abweichungen des eigenhändigen Schreibens von der gedruckten Fassung B werden im textkritischen Apparat nachgewiesen. Davon ausgenommen sind wechselnde Groß- und Kleinschreibung, wie z. B. mindesten/ 1 Vgl. den Bericht „Schmoller-Feier“, in: Frankfurter Zeitung, Nr.  175 vom 25. Juni 1908, 2. Mo.Bl., S.  1. 2  Für die Friedrich-Wilhelms-Universität sprach der Rektor Carl Stumpf, für die Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften deren Sekretär Hermann Diels, Otto v. Gierke für den Verein für Socialpolitik und Adolf v. Harnack für den Evangelisch-so­ zialen Kongreß. Adolph Wagner und Karl Oldenberg hielten Reden in Vertretung der Freunde bzw. der ehemaligen Schüler. Vgl. Reden und Ansprachen gehalten am 24. Juni 1908 bei der Feier von Gustav Schmollers 70. Geburtstag. Nach stenographischer Aufnahme. Als Handschrift gedruckt. – Altenburg: Pierersche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel & Co. 1908. 3  Ediert in: MWG II/5, S.  594 f.

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Glückwunschadresse Gustav Schmoller

Mindesten, alle/Alle, nur/Nur, und der Wechsel von Umgangssprache und Hochdeutsch, wie z. B. unsrer/unserer, andren/anderen, heut/heute, Gebiet/ Gebiete, Wohl/Wohle. Die Druckfassung ist eingeleitet mit: „7. Max Weber (Heidelberg)“, Anrede und Schlußformel der Brieffassung fehlen. Vor dem Abdruck bat Gustav Schmoller um die Druckerlaubnis, die er am 29. Juli 1908 von Max Weber erhielt: „[…] ich bitte Sie, natürlich ganz nach Belieben über meinen Brief zu verfügen“.4

4  Brief Max Webers an Gustav Schmoller vom 29. Juli 1908, MWG II/5, S.  610.

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Sehra gegen meinen Wunsch und meine Hoffnung ist es mir unmöglich geworden, mich persönlich zu Ihrer Begrüßung und Beglückwünschung, zu Ihrem 70.b Wiegenfeste einzufinden. Seien Sie versichert, daß alle, die menschliche Geistesarbeit in ihrenc Bedingungen und ind den Chancen ihres Erfolges abzuschätzen vermögene – mögen sie nun Ihnen persönlich nahestehenf oder nicht, mit Ihnen politisch oder in ihreng Idealen mit Ihnen übereinstimmen oder nicht –,h einig sein müssen und einig sind in der bewundernden Anerkennung zum mindesten folgender Leistungen, die nur Sie vollbringen konnten: 1. Sie haben den Einfluß der Universitäten auf das öffentliche Leben undi in einer Zeit, die diesem Einfluß so ungünstig wie möglich war, im Umkreis Ihrerk Interessen auf eine Stufe gehoben, wie sie seit den Zeiten zwischen 1837 und 1848 nie auch nur annähernd erreicht ist.l 2. Nur Ihre Klugheit und Mäßigung hat es ermöglicht, daß der sozialpolitische Idealismusm der akademisch Gebildetenn in Gestalt des oVereins für Socialpolitiko ein Instrument perfand, dasp nicht nur in der öffentlichen Meinung, sondern auch bei rden Leutenr, welche die sMacht hattens, in einem Maße zur Wirksamkeitt kam, wie dies jedenfalls ohne Ihre Führung nie möglich gewesen uwäre. Undu dies, obwohl – wie Sie solchesa an sichb ja oft genug erfahren haben – die Inhaltec der dIdeale und der Ziele in einzelnen Punktend vielfach die verschiedenstene und auch von den Ihrigen abweichendstenf waren. So oft auch und so stürmischg gelegentlich gegen Ihre Meinungh gekämpft wurde, so moralisch unmöglich haben Sie selbst Andersdenkenden den Kampf gegen Ihre Personi gemacht.

a  In A geht voraus: Heidelberg 23/6 8 / Hochverehrter Herr Professor!  b  A: 70ten  c  A: Ihren  d  Fehlt in A.   e  A: vermögen,  f  A: nahe getreten sein  g  In A folgt: sonstigen  h  Komma fehlt in A.   i  Fehlt in A.    k  In A hervorgehoben.  l  A: ist; –   m  In A hervorgehoben.   n  In A hervorgehoben.  o  A: „Vereins für Sozialpolitik“    p  A: vorfand, um  r  A: Denen   s  In A hervorgehoben.   t  A: Geltung  u–u  A: wäre, und  a  A: selbst  b  A: Sich  c  A: „Inhalte“  d  A: Ideale, in deren Dienst die Einzelnen standen,   e  A: allerverschiedensten  f  A: abweichenden  g  In A folgt: auch  h  In A hervorgehoben.  i  In A hervorgehoben.  

A 1, B [67]

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Glückwunschadresse Gustav Schmoller

So weit ich denken kann, ist die Überzeugung von der Unentbehrlichkeit Ihrerk Führerschaft und das Vertrauenl zu ihr von Sozialpolitikern des heterogensten Gepräges nie auch nur einen Moment erschüttert worden. 3. In einer Zeit des dürrsten ökonomischen Rationalismus haben Sie historischemm Denken in unserer Wissenschaft eine Stätte bereitet,  wie es sie in gleicher Weisen und gleichem Maße bei keiner anderen Nation gefunden hatte und bis heute nicht hat. Das wissenschaftliche Bedürfnis der einzelnen Menschenalter pendelt auf dem Gebiete unserer Disziplin – wie Sie selbst oft genug markierto haben – zwischen theoretischer und historischer Erkenntnis hin und her. Gleichviel aber, ob es heute vielleicht an der Zeit ist, mehr die theoretische Seite zu pflegenp – daß die Zeit für theoretische Arbeit wieder reifq werden konnte, daßr überhaupt ein mächtiger Bau svoll Erkenntnis unds historischer Durchdringung, psychologischer Analyse und philosophischer Gestaltung vor uns steht, den wir Jüngeren nun wieder versuchen dürfen, mit den Mitteln theoretischert Begriffsbildung uweiter zu bearbeiten –, das allesu danken wir schließlich vornehmlich Ihrer jahrzehntelangen, unvergleichlich erfolgreichen Arbeit. Mit den herzlichsten Glückwünschen zu dieser Vergangenheit verbinde ich den Wunsch, daß die Zukunft Ihnen die Arbeitsfrische, in welcher Sie heute vor uns stehen, zum Wohle der Wissenschaft lange erhalten möge.v

k  In A hervorgehoben.   l  In A hervorgehoben.   m  In A hervorgehoben.   n  A: Consequenz    o  A: anerkannt    p  A: pflegen,  q  A: „reif“  r  In A hervorgehoben.  s  A: von Erkenntnis, in  t  In A hervorgehoben.   u  A: weiterzubearbeiten, – dies Alles  v  In A folgt: In Verehrung / Max Weber

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[Die sogenannte „Lehrfreiheit“ an den deutschen Universitäten] [Zuschrift an die Frankfurter Zeitung, 20. September 1908]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Der II. Deutsche Hochschullehrertag, der vom 27. bis 29. September 1908 in Jena stattfand,1 hatte sich für den ersten Verhandlungstag das Thema „Die Stellung des akademischen Lehrers zur Freiheit in Forschung und Lehre“2 vorgenommen.3 Der dafür vorgesehene Referent, der Münchener Rechts­ historiker Professor Karl v. Amira, Mitglied des geschäftsführenden Ausschusses des Hochschullehrertages, veröffentlichte unter demselben Titel bereits im voraus sein ausführliches Referat, das als Diskussionsgrundlage neun „Resolutionen“ nebst einer Einleitung enthielt.4 Diese Thesen und vor allem die Ungewißheit, ob er an der Tagung werde teilnehmen können, ver1  Laut Einladungsschreiben waren die eigentlichen Verhandlungen für den 28. und 29. September vorgesehen, für den 27. September nur die Begrüßung der Teilnehmer. Die Sitzungen fanden im Saal des Volkshauses am Carl-Zeiß-Platz in Jena statt. Vgl. Einladung, in: Beilage der Münchner Neuesten Nachrichten, Nr.  8 vom 9. Juli 1908, S.  73 (nochmals abgedruckt ebd., Nr.  36 vom 11. Aug. 1908, S.  337 und Nr.  66 vom 16. Sept. 1908, S.  609). Die Einladung war vom geschäftsführenden Ausschuß, v. Amira, Lujo Brentano und Wilhelm Rein, unterzeichnet. 2  Die Freiheit von Wissenschaft und Lehre stand unter dem Vorbehalt, daß die Universitäten zur Ausbildung künftiger Staatsbeamter staatlich festgelegte Lehraufgaben erfüllten. Sie schützte aber den beamteten akademischen Lehrer vor staatlicher Begrenzung seiner Lehrtätigkeit. Vgl. Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band IV, 2.  Aufl. – Stuttgart u. a.: Kohlhammer 1969, S.  930 f. 3  Vgl. Einladung, in: Beilage der Münchner Neuesten Nachrichten, Nr.  8 vom 9. Juli 1908, S.  73. 4  Amira, Karl von, Die Stellung des akademischen Lehrers zur Freiheit in Forschung und Lehre. Referat für den zweiten deutschen Hochschullehrertag, in: Beilage der Münchner Neuesten Nachrichten, Nr.  8 vom 9. Juli 1908, S.  73–77 (hinfort: Amira, Stellung des akademischen Lehrers); dieser ausführliche Text des geplanten Vortrags war den Teilnehmern der Tagung offenbar vorab zugegangen, so daß sich v. Amira in Jena „auf die notwendigsten Ergänzungen beschränken“ wollte, „die durch Angriffe von verschiedenen Seiten nötig geworden seien“. Vgl. den Abdruck des tatsächlich gehaltenen Referats im Rahmen des offiziellen Verhandlungsberichts vom Dezember 1908, in: Verhandlungen des II. HT, S.  629–633. Zu weiteren Abdrucken der Thesen vgl. unten, S.  122, Anm.  2.

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Die sogenannte „Lehrfreiheit“ an den deutschen Universitäten

anlaßten Max Weber, ebenfalls vorher in einer Zuschrift an die Frankfurter Zeitung zum Thema Stellung zu nehmen.5

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Die Edition folgt dem Abdruck des Beitrags, der unter der Überschrift „Die sogenannte ‚Lehrfreiheit’ an den deutschen Universitäten“, in der Frankfurter Zeitung, 53. Jg., Nr.  262 vom 20. September 1908, 5. Mo.Bl., S.  1 (A), erschien. Der Artikel ist mit „Prof. Max Weber (Heidelberg)“ gezeichnet. Der Titel wird vom Editor übernommen, aber in eckige Klammern gestellt, da es sich vermutlich um einen redaktionellen Zusatz handelt. Stillschweigend wird der Fußnotenindex * in eine numerische Zählung überführt.

5  Wie Weber selbst in der Fußnote schreibt, war er sich zu diesem Zeitpunkt seiner Teilnahme in Jena noch unsicher, wollte aber in jedem Fall seiner Meinung Gehör verschaffen (vgl. unten, S.  111, Fn.  1). Tatsächlich nahm Weber jedoch an der Versammlung des Hochschullehrertages teil.

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Der zweite deutsche Hochschullehrertag in Jena1)1 soll unter anderm die Frage der „Lehrfreiheit“ erörtern. Aus den „Leitsätzen“, die Professor von Amira in der Beilage zu den „Münchener Neuesten Nachrichten“ veröffentlicht hat,2 geht hervor, daß ihm ausschließlich (oder doch wesentlich) der Klerikalismus als Gegner der Lehrfreiheit vor Augen steht, – nach den bayerischen Verhältnissen begreiflich genug.3 Allein es fragt sich doch: 1. ist wirklich die Lehrfreiheit nur von dieser Seite gefährdet? 2. aber und vor allem: besitzen wir eigentlich heute etwas, was man füglich mit dem Namen „Lehrfreiheit“ bezeichnen kann, und hätte uns also der Klerikalismus noch etwas Wesentliches auf diesem Gebiet zu nehmen? Bei der Jubelfeier der Universität Jena hat ihr Rektor, Professor Delbrück,4 unter Hinweis auf eine bekannte große Stiftung zu Gunsten der Universität, welche ausdrücklich an die Bedingung 1)  Ich veröffentliche diese Bemerkungen vorher, da ich nicht absolut sicher bin, ob ich diese Tagung, wie ich wünschte, werde besuchen und sie mündlich vorbringen können.

1  Er fand am 28. und 29. September 1908 statt. Weber nahm doch teil. 2  Vgl. Amira, Stellung des akademischen Lehrers (wie oben, S.  109, Anm.  4). 3  v. Amira beschäftigt sich in vier seiner neun „Resolutionen“ mit der Beschränkung der akademischen Lehrfreiheit im Bereich der Theologie. Er urteilt, daß die jüngsten Angriffe auf die Forschungs- und Lehrfreiheit von einem „konfessionell-dogmatischen Standpunkt aus“ erfolgten. Er zitiert den bayerischen Kultusminister, der „Hypothesen und Probleme, besonders soweit sie mit den Grundsätzen des Christentums in Widerspruch stehen“, als „unfertige, noch im Fluß befindliche Theorien“ gekennzeichnet wissen wollte. v. Amira fragt, welche Instanz eigentlich über einen möglichen Widerspruch entscheiden sollte, und hegt den Verdacht, daß nach Ansicht des Kultusministers „diejenigen Christen allein die Auskunft zu erteilen berufen seien, von deren Partei die Regierung jeweils abhängt[.] Die ‚Grundsätze’ des Christentums wären dann weiter nichts als die ‚Grundsätze’ einer Partei.“ Vgl. ebd., S.  75. 4  Anläßlich der 350-Jahrfeier der Universität Jena hielt der Prorektor (der Titel „Rektor“ war im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach bis zur Revolution 1918/19 dem Landesherrn vorbehalten), der Indogermanist Berthold Delbrück, am 31. Juli 1908 eine Rede (abgedruckt in: 350jähriges Jubiläum der Universität Jena. 31. Juli und 1. August 1908. – Jena: G. Neuenhahn, S.  8–13). Die von Weber in Anspielung erwähnte Inanspruchnahme der Carl-Zeiss-Stiftung kommt in der gedruckten Rede nicht vor, so daß unsicher ist, worauf Weber sich hier stützt.

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der Erhaltung der Lehrfreiheit geknüpft ist,5 versichert: sie sei durch jene Kautelen für Jena gewährleistet.6 Es muß angenommen werden, daß dieser angesehene Gelehrte entweder die tatsächliche Lage der Dinge, auch an der Universität Jena, irrtümlich beurteilt, oder aber, daß er unter „Lehrfreiheit“ etwas wesentlich anderes versteht als viele andere, – zu denen übrigens, wie ich glauben möchte, auch der Urheber jener Stiftung, wenn er noch lebte,7 gehören würde. Welches die Verhältnisse in Wahrheit sind, zeige ein Beispiel aus der Praxis. Der inzwischen durch eine Anzahl wertvoller Arbeiten bekannt gewordene Dr. Robert Michels,8 längere Jahre als Privatgelehrter in Marburg ansässig, hatte den Wunsch, sich zu habilitieren. Da in Preußen, zufolge der bekannten Handhabe der „lex Arons“,9 für 5  Gemeint ist die Carl-Zeiss-Stiftung, die der Universität Jena zu ihrem 350. Jahrestag ein neues Hauptgebäude finanzierte und von der die Universität auch sonst in hohem Maße profitierte. Die Stiftung war nach dem Tod des Gründers der Zeiss-Werke von dessen Teilhaber und späterem Alleineigentümer, dem Physiker, Industriellen und Sozialreformer Ernst Abbe, im Jahr 1889 gegründet worden. Abbe erließ am 24. Februar 1900 ein „Ergänzungsstatut“; Art.  10 bestimmte ausdrücklich, daß die Dotation von Lehrstühlen und andere Leistungen für die Universität Jena seitens der Stiftung nur übernommen würden, wenn die Dozenten volle Lehrfreiheit genössen und in der Ausübung der allgemeinen staatsbürgerlichen Rechte nicht eingeschränkt seien. Vgl. Statut der Carl-Zeiß-Stiftung zu Jena. Errichtet von Ernst Abbe. – Jena: Gustav Fischer 1935, S.  69; hier zitiert nach: MWG II/5, S.  90, Anm.  2. 6  Vgl. hierzu den Brief Max Webers an Robert Michels vom 30. Sept. 1908: „Auf dem Hochschullehrer-Tag in Jena wurde von mir in Anwesenheit des Dekans der Philosoph[ischen] Fakultät festgestellt: daß Abbe jene ‚Cautelen’ ausdrücklich anläßlich des Falles Arons eingefügt hat, daß also eine Remotion wegen sozialist[ischer] Bethätigung in Jena nicht gestattet sei: der Dekan stimmte Dem, wie ich öffentlich feststellte, zu.“ Vgl. MWG II/5, S.  664 f. 7  Ernst Abbe starb 1905. 8 Robert Michels veröffentlichte mehrere Untersuchungen über die Sozialdemokratie sowie die sozialistische Bewegung in dem von Max Weber mitherausgegebenen Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Vgl. Michels, Robert, Die deutsche Sozialdemokratie, in: AfSSp, 23.  Band, Heft 2, 1906, S.  471–556; 25.  Band, Heft 1, 1907, S.  148–231; ders., Proletariat und Bourgeoisie in der sozialistischen Bewegung Ita­ liens. Studien zu einer Klassen- und Berufsanalyse des Sozialismus in Italien, in: ebd., 21.  Band, Heft 2, 1905, S.  347–416; 22.  Band, Heft 1, 1906, S.  80–125; Heft 2, S.  424– 466; Heft 3, S.  664–720. Vgl. dazu auch den Brief Max Webers an Robert Michels vom 1. Jan. 1906, MWG II/5, S.  19 mit Anm.  1 und 2. 9  Max Weber bezieht sich auf den Konflikt zwischen der Universität Berlin und dem preußischen Kultusministerium in den 1890er Jahren anläßlich des sog. „Fall Arons“. Das Ministerium hatte die Berliner Philosophische Fakultät in einem Erlaß vom 5. Mai 1894 aufgefordert, gegen den Privatdozenten der Physik Leo Arons wegen seiner Mitgliedschaft in der sozialdemokratischen Partei disziplinarisch vorzugehen und ihn von der Dozentur zu entfernen. Die Fakultät erteilte Arons daraufhin im Juli 1895 nur eine

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ihn als Angehörigen der sozialdemokratischen Partei keinerlei Chance bestand, wandte er sich, im Vertrauen auf eben jene, von Professor Delbrück erwähnten „Kautelen“,10 nach Jena und fragte, um ganz sicher zu gehen, zunächst privatim, an: ob etwa die Zugehörigkeit zu jener Partei seinem Vorhaben im Wege stände.11 Der befragte Fachvertreter mußte ihm daraufhin antworten,12 daß er nach den ihm gewordenen Informationen unter den obwaltenden Umständen es für „ausgeschlossen“ halten müsse, daß ein Habilitationsgesuch den vorgeschriebenen Instanzenzug (Fakultät, Senat, Regierungen) passieren würde. – Es ist in diesem Briefe nicht gesagt (und es bestand natürlich auch keine Verpflichtung zu sagen): bei welcher Instanz das Hindernis liegen würde, und ob die Fakultät gegebenenfalls ebenso energisch, wie seinerzeit die Berliner unter Schmollers Führung,13 gegen den Ausschluß politischer Ketzer von der Lehrtätigkeit, wohlgemerkt: auch einer Lehrtätig-

Verwarnung, Arons sollte sich aller sozialdemokratischen Agitation künftig enthalten. Das im Anschluß daran im Auftrag des Kultusministeriums erstattete Gutachten des Berliner Kirchenrechtslehrers Paul Hinschius – es räumte dem Staat die Remotionsbefugnis gegenüber Privatdozenten, also nichtbeamteten Hochschullehrern, ein – beantwortete die Berliner Universität mit einem Protestschreiben, das von nahezu allen Professoren unterzeichnet war. Der Fall Arons erreichte eine neue Phase, als Kaiser Wilhelm II. am 8. Oktober 1897 den preußischen Kultusminister Bosse anwies, Arons zu relegieren. Mit der „lex Arons“, wie das „Gesetz betreffend die Disziplinarverhältnisse der Privatdozenten an den Landesuniversitäten, der Akademie zu Münster und dem Lyceum Hosianum zu Braunsberg“ vom 17. Juni 1898 genannt wurde, erhielt die preußische Regierung eine formelle Handhabe, die Privatdozenten unter Beamtenrecht zu stellen. Dennoch blieb die Fakultät bei ihrer Ansicht, daß die Mitgliedschaft in der sozialdemokratischen Partei nicht für eine Aberkennung der Privatdozentur ausreiche. Erst das Urteil des Staatsministeriums als letzter Instanz brachte 1900 die endgültige Entscheidung: Leo Arons wurde die venia legendi entzogen. Vgl. den Brief Max Webers an Robert Michels vom 24. Jan. 1907, MWG II/5, S.  221–224 mit Anm.  2. 10  Vgl. oben, S.  112, Anm.  6. 11  Max Weber hatte Robert Michels in einem Brief vom 18. April 1906 geraten, sich mit dieser Frage brieflich an den Jenaer Staatswissenschaftler Professor Julius Pierstorff zu wenden (vgl. MWG II/5, S.  84 f.). Diesen Rat befolgte Michels in einem Brief vom 28. April 1906 (UA Jena, M 650, Bl. 394 f.). Pierstorff reichte Michels‘ Frage an den Dekan der Philosophischen Fakultät Jena, Georg Goetz, weiter (ebd., Bl. 174). 12 Schreiben von Julius Pierstorff an Robert Michels vom 7. Mai 1906 (Abschrift, ebd., Bl. 395). 13  Gustav Schmoller und die Berliner Philosophische Fakultät sprachen sich in mehreren Eingaben gegen das Vorgehen des preußischen Kultusministeriums im „Fall Arons“ aus. Vgl. vom Bruch, Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung (wie oben S.  80, Anm.  7), S.  331–336, sowie oben, S.  112, Anm.  9.

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keit als nicht staatlich angestellter Professor, sondern als freier Universitätsdozent, protestieren würde. Sicher ist jedenfalls, daß der Zustand, wie er hier von berufener Seite als auch in Jena bestehend zugegeben wurde, das Gegenteil von „Lehrfreiheit“ ist, und daß er zum mindesten dem Geiste der erwähnten Stiftung widerspricht. Charakteristischer noch als dieser Vorgang selbst war aber ein Nachspiel, welches sich an ihn anschloß. Dr. Michels, abgeneigt, sich weitere ähnliche Refüs zu holen, habilitierte sich nunmehr an der Universität Turin,14 ist dort jetzt als Dozent mit Lehrauftrag tätig (und gehört natürlich auch dort offen der sozialdemokratischen Partei an, von deren radikalsten Führern übrigens mehrere auch in etatsmäßigen Professuren in Italien sich finden). Ausdrücklich sei bemerkt, daß die Bedingungen der Habilitation in Italien schon um deswillen eine strengere wissenschaftliche Kontrolle enthalten als bei uns, weil dort nicht, wie in Deutschland, das Votum des Fachmannes der Einzeluniversität die (normalerweise einzige) Grundlage der Zulassung bildet, – wodurch doch immer eine Möglichkeit der Begünstigung eigener Schüler, Freunde, Gesinnungsgenossen gegeben ist. Der Beschluß der Einzeluniversität unterliegt dort vielmehr der Nachprüfung durch eine Zentralkommission, welcher Gelehrte aus dem ganzen Lande angehören. (Referent in Turin war Professor Achille Loria,15 Referent in der Zentralkommission ein politisch konservativer Gelehrter, die Habilitationsschrift behandelte italienische Probleme). Als nun auf dem vorjährigen Hochschullehrertag16 Professor Alfred Weber den Vorfall (ohne Nennung des Namens der Universität)b als Beispiel man-

b A: Universität), 14  Robert Michels entschloß sich nach der Ablehnung in Jena zur Habilitation in Turin. Er wollte sich, wie er Weber mitteilte, „der Chance eines nochmaligen ‚Refus’ s. Z. nicht aussetzen“. Vgl. die entsprechende Wiedergabe Webers in seinem Brief an Robert Michels vom 1. Febr. 1907, MWG II/5, S.  238–242, Zitat: S.  242. Michels wurde schließlich am 12. Juli 1907 nach erfolgreicher Probevorlesung an der Turiner Universität habilitiert. Vgl. die Karte Max Webers an Robert Michels vom 13. Juli 1907, ebd., S.  332 mit Anm.  1. 15  Max Weber setzte sich bei Loria, den er persönlich kannte, für Michels ein. Vgl. den Brief Max Webers an Achille Loria vom 1. Jan. 1907, MWG II/5, S.  207. 16  Der I. Deutsche Hochschullehrertag hatte am 8. und 9. September 1907 in Salzburg stattgefunden.

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gelnder Lehrfreiheit erwähnte,17 trat ihm Professor Th[eobald] Fischer aus Marburg, offenbar in der Annahme, es sei die dortige Universität gemeint, mit der Behauptung entgegen, der betreffende (Dr. Michels) habe aus „ganz anderen Gründen nie an eine Habilitation denken können“ und dieserhalb „den Staub des Vaterlandes von den Füßen geschüttelt“.18 Als ich im Protokoll diese mir unverständliche Bemerkung las, glaubte ich, es sei vielleicht gemeint: der rücksichtslose Freimut, mit welchem Michels Zustände der verknöcherten deutschen Sozialdemokratie zu kritisieren pflegt, hätte ihm von dieser Seite Unannehmlichkeiten zuziehen können. Allein ich irrte mich. Als Dr. Michels, dem ich persönlich näher getreten war, bei einem Besuch in Heidelberg von jener Äußerung Kenntnis erhielt und eine Erklärung verlangte, erhielt er von Professor Fischer die Antwort:19 der entscheidende Grund sei 1. die bei Michels „nicht nur vorhandene, sondern (NB) öffentlich in außerordentlicher auffälliger Weise betätigte“ sozialdemokratische Gesinnung, – 2. sein Familienleben: ob denn Dr. Michels – der, um nichts „Wichtiges“ zu vergessen, „Arier“ ist – auch nur einen Augenblick habe zweifeln können, daß ein Mann, der seine Kinder 17  Max Webers Bruder bezog sich mit folgender Bemerkung auf den Fall Michels: „Scheiden wir nicht ganze große Elemente der geistigen Bewegung der Nation dadurch aus, daß tatsächlich Leute, die dieser Weltanschauung [der Sozialdemokratie] huldigen – welchem Fache immer sie angehören – heute an den Universitäten kein Unterkommen finden? Man müßte also vielleicht die Umgestaltung der Gesichtspunkte, unter welchen zur Habilitation zugelassen wird, in Erwägung ziehen.“ Vgl. Weber, Alfred, Diskussionsbeitrag zum Vortrag von Franz Eulenburg über den akademischen Nachwuchs, in: Verhandlungen des ersten deutschen Hochschullehrer-Tages zu Salzburg im September 1907, hg. von dem engeren Ausschuß für 1907/08. – Straßburg: Karl J. Trübner 1908, S.  49 f. 18  Im Protokoll wird die Replik des Marburger Geographen und Historikers Theobald Fischer mit folgenden Worten wiedergegeben: „Fischer (Marburg) stellte fest, daß der Fall des Ausschlusses eines jungen Mannes wegen angeblich sozialistischer Gesinnung, den Professor Weber streifte, ein anderer sei. Der Betreffende hätte nie daran denken können, sich um eine akademische Stellung zu bewerben. Es seien ganz andere Gründe gewesen, die diesen Herrn bestimmt haben, den heimischen Staub von den Füßen zu schütteln.“ Ebd., S.  50. 19  Michels hatte das Antwortschreiben von Fischer Max Weber offenbar zukommen lassen. Das geht aus einem Brief Max Webers an Robert Michels vom 25. Juni 1908 hervor: „Kann ich von dem Brief – ich habe die betr. Partien abgeschrieben – öffentlich Gebrauch machen? oder behalten Sie Sich das vor? Mich juckt es in allen Fingern, diesem Bengel eine hinter die Löffel zu schlagen.“ Vgl. MWG II/5, S.  596–600, Zitat: S.  596. Weder ist der Brief Fischers im Nl. Michels, AFLE Turin, nachgewiesen noch ist die Abschrift Max Webers erhalten.

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nicht taufen lasse, „in jeder höheren Laufbahn unmöglich“ sei? „Welch wundervolle Stellung“, heißt es dann weiter, „hätten Sie sich in Marburg, wo Sie so gut empfohlen waren und mehrere einflußreiche Personen (NB.) Ihnen mit dem größten Wohlwollen entgegen kamen, verschaffen können! Diese Leute haben es überaus schmerzlich empfunden und als einen wahren Jammer bezeichnet, daß Sie all das verscherzt haben.“ Der Brief schließt mit der Vorhaltung: Dr. Michels habe seine Wohnung (deren Vizewirt Professor Fischer war) schlecht behandelt, so daß das Haus noch immer unverkäuflich sei! Die Wiedergabe dieser Äußerungen erfolgt hier nicht etwa, um gegen den Verfasser des Briefs persönlich Vorwürfe zu richten. Ich bin im Gegenteil leider ziemlich sicher, daß – vielleicht mit Ausnahme des letzten Passus, der doch wirklich nicht in diesen Zusammenhang gehörte, es sei denn, daß man für die Habilitation das Wohlverhaltensattest des Hauswirts fordern wollte – sein Inhalt von weiten Kreisen ganz in der Ordnung gefunden werden wird. Eben deshalb: als „Typus“, ist er ja so bezeichnend für unsere öffentlichen Zustände überhaupt und speziell für gewisse Zustände in unserem Universitätswesen. Daß es meine („subjektive“) Meinung ist, daß die Existenz und maßgebliche Bedeutung solcher Anschauungen, gerade wegen ihrer Gutgläubigkeit, wahrhaftig keine Ehre für uns als Kulturnation darstellt, daß ferner, solange solche Anschauungen herrschen, für mich nicht die Möglichkeit besteht, mich so zu gebärdenc, als besäßen wir so etwas wie eine „Lehrfreiheit“, die uns erst noch von irgend jemand genommen werden könnte, und daß endlich, – wiederum nach meiner „subjektiven“ Ansicht – religiöse Gemeinschaften, welche, wissentlich und offenkundig, ihre Sakramente dazu gebrauchen lassen, auf gleicher Linie mit Corpsbändern und Reserveoffiziers-Patenten, als Mittel zum Karrieremachen zu dienen, jene Mißachtung reichlich verdienen, über welche sie sich zu beklagen pflegen, – daraus kann ich ehrlicher Weise kein Hehl machen. Ich glaube, daß Professor v. Amiras bewährter Unabhängigkeitssinn der gleichen Ansicht sein wird. Jedenfalls aber ist im Interesse des guten Geschmacks und auch der Wahrhaftigkeit zu verlangen, daß man uns hinfort nicht, wie es wieder und wieder geschehen ist, von der Existenz einer c A: geberden

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„Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre“ in Deutschland reden möge. Denn Tatsache ist doch, daß die angebliche „Lehrfreiheit“ offenkundig 1) an den Besitz politisch hof- und salonfähiger Ansichten und überdies 2) daran geknüpft ist, daß man ein bestimmtes Minimum kirchlicher Gesinnung betätigt und, eventuell, erheuchelt. In Deutschland besteht die „Freiheit der Wissenschaft“ innerhalb der Grenzen der politischen und kirchlichen Hoffähigkeit – außerhalb derselben nicht. Vielleicht ist dies mit dem dynastischen Charakter unseres Staatswesens untrennbar verknüpft. Nun wohl: dann möge man es ehrlich eingestehen, aber sich nicht vorspiegeln, man besäße in Deutschland die gleiche Freiheit der wissenschaftlichen Lehre, die z. B. in Ländern wie Italien eine Selbstverständlichkeit ist.

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[Sozialdemokraten im academischen Lehramt] [Zuschrift an die Hochschul-Nachrichten, November 1908]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Robert Michels, ein mit Max Weber befreundeter jüngerer Kollege, mußte befürchten, als Mitglied der SPD an der Jenaer Universität nicht zur Habilitation zugelassen zu werden. Im April 1906 riet Max Weber ihm, sich mit der Frage nach seinen Aussichten informell an den Jenaer Ordinarius Julius Piers­torff zu wenden, und fügte hinzu: „Sollten Sie – was ich schwer beurteilen kann – glauben, daß eine Bezugnahme auf mich irgend nützlich sein könnte, so würde ich P[ierstorff] natürlich mit Auskunft zur Verfügung stehen. Ich kenne ihn persönlich,1 wenn auch nicht grade vorteilhaft […].“2 Auf Michels‘ Brief antwortete Pierstorff: „Die Stellen, welche über ein Habilita­ tions­gesuch nach einander zu befinden haben, sind: die Fakultät, der akademische Senat und endlich die Regierungen der vier Erhalterstaaten. Nach den erhaltenen Informationen halte ich es für ausgeschlossen, daß Ihre Bewerbung diesen ganzen Instanzenzug erfolgreich passieren würde.“3 In seinem Artikel „Die sogenannte ‚Lehrfreiheit’ an den deutschen Universitäten“, der eine Woche vor dem II. Deutschen Hochschullehrertag in der Frankfurter Zeitung erschien,4 zog Max Weber den Fall Michels als Beleg für die nicht existierende Lehrfreiheit an deutschen Universitäten heran. Schon sein Bruder Alfred hatte auf dem I. Deutschen Hochschullehrertag 1907 in Salzburg ohne Namensnennung beklagt, daß Sozialdemokraten von der Lehre an den Universitäten ferngehalten würden.5 Auf dem II. Deutschen Hochschullehrertag brachte Alfred Weber dann den Fall Michels direkt zur

1  Julius Pierstorff war Mitglied im Verein für Socialpolitik. Weder ist eine Korrespondenz zwischen ihm und Max Weber überliefert, noch gibt es einen Bericht über persönliche Begegnungen. 2  Brief Max Webers an Robert Michels vom 18. April 1906, MWG II/5, S.  84 f., Zitat: S.  85. 3  Der Brief von Robert Michels an Julius Pierstorff vom 28. April 1906 sowie eine Abschrift von dessen Antwortschreiben an Michels vom 7. Mai 1906 befinden sich im UA Jena, M 650, Habilitationsakten der philosophischen Fakultät, Bl. 394 f. 4  Vgl. Weber, Die sogenannte Lehrfreiheit, oben, S.  109–117. 5  Zu Alfred Webers Diskussionsbeitrag vgl. ebd., oben, S.  115, Anm.  17.

Editorischer Bericht

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Sprache, mit der Feststellung, „daß dessen Habilitation sowohl in Jena als in Marburg wegen seiner sozialdemokratischen Gesinnung vereitelt worden sei“.6 Im Nachgang zu der kontroversen Diskussion auf dem Hochschullehrertag veröffentlichten die von Paul v. Salvisberg herausgegebenen, quasi-offiziösen „Hochschul-Nachrichten“7 einige Beiträge zum Thema Lehrfreiheit.8 In einem anonymen Beitrag im November-Heft 1908 mit der Überschrift „Sozialdemokraten im academischen Lehramt“ wird u. a. die hier edierte Zuschrift Max Webers – vermutlich nur in Teilen – wiedergegeben und kommentiert. Wie aus den einleitenden Worten des anonymen Verfassers hervorgeht, bezieht sich Webers Zuschrift offenbar auf einen Artikel im Oktober-Heft der Zeitschrift,9 der von dem Herausgeber Paul v. Salvisberg stammen könnte. Ob Max Webers Zuschrift direkt an v. Salvisberg adressiert war, konnte nicht festgestellt werden.

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Die Zuschrift Max Webers erschien im Rahmen eines anonym verfaßten Beitrags unter der Überschrift „Sozialdemokraten im academischen Lehramt“, in: Hochschul-Nachrichten, Nr.  2, Heft 218, November 1908, S.  45 (A). Der Text Max Webers ist an zwei Stellen in Anführungszeichen wiedergegeben und durch einleitende und nachgestellte Kommentare des anonymen Verfassers eingerahmt. Webers Text wird hier ohne Anführungszeichen in normaler, die kommentierenden Passagen in kleinerer Schrifttype wiedergegeben. Ob Webers Zuschrift in dem Artikel vollständig wiedergegeben ist, läßt sich ohne überliefertes Manuskript nicht sagen.

6  Vgl. Weber, Alfred, Diskussionsbeitrag, in: Verhandlungen des II. HT, S.  633. 7  Zu den „Hochschul-Nachrichten“ vgl. unten, S.  125 mit Anm.  4. 8  Vgl. z. B. den Aufsatz von Bornhak, Conrad, Sozialdemokraten im academischen Lehramte, in: Hochschul-Nachrichten, Nr.  1, Heft 217, Okt. 1908, S.  1 f. 9  Unter der Überschrift „Jena. Universität. Die gefährdete Lehrfreiheit“ in der Rubrik „Lokal- und Personal-Nachrichten. Deutschland“ stand folgende redaktionelle Bemerkung: „Prof. Max Weber-Heidelberg hat bekanntlich vor dem Hochschullehrertag, wohl als a conto Leistung auf die Jenenser Gastfreundschaft in der Frkf. Ztg. die Behauptung aufgestellt, daß auch in Jena die Lehrfreiheit nicht gewährleistet sei. Als Beleg führte er den keineswegs klarliegenden Fall Michels an. Dieses Vorgehen ist in der ganzen Stadt unliebsam aufgefallen, und die Jenaische Zeitg. hat nicht nur den Wortlaut, der zwischen Universität und Zeiss-Stiftung getroffenen, die Lehrfreiheit garantierenden Vereinbarung veröffentlicht, sondern auch zum Fall Michels selbst festgestellt, daß aus dem mitgeteilten Tatbestand keine Gefährdung der Lehrfreiheit ersichtlich sei.“ In: Hochschul-Nachrichten, Nr.  1, Heft 217, Okt. 1908, S.  20.

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[Sozialdemokraten im academischen Lehramt] [A 45] Wir haben im letzten Heft unter Jena bemerkt, daß der dortige „Fall Michels“

keineswegs klarliege, bzw. aus dem bislang bekannten Tatbestand keine Gefährdung der Lehrfreiheit ersichtlich sei. Nun teilt uns Herr Prof. Max Weber-Heidelberg Folgendes mit:

Der Fall Michels ist völlig klargestellt durch die von mir festgestellten Tatsachen,1 die Niemand zu bestreiten versucht hat. Den Vorwand, daß kein formeller Beschluß über ein formelles Habilitationsgesuch mit der formellen Bezugnahme auf die politischen Motive vorliegt, habe ich bereits durch die Feststellung beseitigt, daß auf eine Anfrage, welche nur diesen Punkt: ob eine bestimmte politische Betätigung die Habilitation hindere, betraf, – nach wochenlangem Zögern und Beraten der zuständige Fachmann die autorisierte Antwort erteilte: Dem sei so.2 Des weiteren will Prof. Weber nachweisen: daß die Gesinnungsschnüffelei dera Jenenser bei Berufungen nicht immer nur Sozialdemokraten, sondern auch z. B. Zentrumsleute einschließt.3 Diesen Nachweis wird man zunächst abwarten müssen. Schon die Behauptung bildet indessen ein charakteristisches Seitenstück zu der an die Berufung Spahn’s anschließenden Voraussetzungslosigkeits-Bewegung, deren Spiritus rector in gleicher Eigenschaft doch auch auf dem Jenenser Hochschullehrertag fungierte. Demgemäß würde entweder das, was man in Straßburg den Reichsbehörden als Eingriff in die Lehrfreiheit ankreidete, von den Jenenser Behörden im Namen der gleichen Freiheit nunmehr verlangt, oder es tun sich auch nach dem II. Hochschullehrertag „tiefklaffende Abgründe“ auf zwischen den Einberufern und gewissen Teilnehmern. Der „Fall Michels“ endlich zeigt in seiner obigen Klarlegung höchstens, daß man in Jena die Lehrfreiheit ebenfalls nicht dahin interpretiert, daß lehren a A: des 1  Vgl. dazu Max Webers Artikel „Die sogenannte ‚Lehrfreiheit’ an den deutschen Universitäten“, der in der Frankfurter Zeitung vor dem II. Deutschen Hochschullehrertag erschienen war, oben, S.  111–117. 2  Vgl. zu den Vorgängen den Editorischen Bericht, oben, S.  118 mit Anm.  2. Zwischen der Anfrage von Michels an Pierstorff und dessen Antwort lag eine gute Woche, Piers­ torff war als Nationalökonom der „zuständige Fachmann“ in der Fakultät. 3  Ob und gegebenenfalls mit welchen Tatsachen Max Weber diesen Nachweis führen wollte, konnte nicht nachgewiesen werden.

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kann, wer will, wohl aber, daß der zum staatlichen Lehramt Zugelassene und geeignet Befundene lehren kann, was er will. Wenn zudem die Jenenser auf dem von Prof. Bornhak im letzten Heft entwickelten Standpunkt stehen und den sich offenkundig zur Sozialdemokratie Bekennenden bezw. auf den Umsturz des Staates Hinarbeitenden vom Lehramt und den damit verbundenen staatlichen Benefizien ausschließen, so wird man hinter dieser Wahrnehmung eines so natürlichen Selbsterhaltungsrechtes ebensowenig eine unstatthafte „Gesinnungsschnüffelei“ oder gar – „Schufterei“ erblicken können, als wenn z. B. Herr Prof. Max Weber einen sonst ganz tüchtigen Diener nicht in sein Haus nimmt, weil dieser darauf ausgeht, ihm bei der ersten guten Gelegenheit den Hals umzudrehen, – denn: „Nur die allergrößten Kälber wählen ihren Metzger selber.“

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[Über die Lehrfreiheit an deutschen Universitäten] [Diskussionsbeiträge auf dem II. Deutschen Hochschullehrertag in Jena am 28. September 1908]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Obgleich Max Weber eine Zeitlang nicht vorhatte, teilzunehmen,1 erschien er doch auf dem II. Deutschen Hochschullehrertag, der am 28. und 29. September 1908 in Jena stattfand, und meldete sich am ersten Verhandlungstag mit drei kurzen Diskussionsbeiträgen zu Wort. Man diskutierte die von Karl v. Amira vorgelegten neun „Resolutionen“ über „Die Stellung des akademischen Lehrers zur Freiheit in Forschung und Lehre“.2 In seiner ersten Wortmeldung unterstützte Max Weber seinen Bruder Alfred, der die Diskriminierung der Sozialdemokraten Leo Arons und Robert Michels zum Anlaß nahm, vor der Einschränkung der Lehrfreiheit durch die Regierung zu warnen. Alfred Weber stellte auch, zusätzlich zu den „Resolutionen“ Amiras, eine eigene Resolution zur Annahme. In seiner zweiten Wortmeldung richtete sich Max Weber gegen das Votum seines Vorredners, des Jenaer Professors Heinrich Ernst Ziegler, der alle Kandidaten von der Habilitation ausschließen wollte, die auf ihrem Lehrstuhl „eine bestimmte politische Überzeugung zum Ausdruck“ bringen würden.3 In seinem dritten Beitrag antwortete Weber auf den Würzburger Ordinarius Ernst Mayer.4 Während man beim I. Deutschen Hochschullehrertag in Salzburg noch die Öffentlichkeit ausgeschlossen hatte, fanden die Verhandlungen auf dem

1  Vgl. Weber, Die sogenannte Lehrfreiheit, oben, S.  109–117. 2  Bereits im August hatte v. Amira seine Thesen veröffentlichen lassen, vgl. Amira, Stellung des akademischen Lehrers (wie oben, S.  109, Anm.  4), so daß er sich beim Hochschullehrertag auf eine Erläuterung und Verteidigung seiner Thesen beschränken konnte, vgl. dazu den offiziellen Verhandlungsbericht vom Dezember 1908: Verhandlungen des II. HT, S.  629–633. In der direkten Presseberichterstattung über den Hochschullehrertag wurden v. Amiras Thesen nochmals in Kurzform wiedergegeben; vgl. Die Freiheit in Forschung und Lehre, in: MNN, 61. Jg., Nr.  458 vom 1. Okt. 1908, Vorabendblatt, S.  1–3, hier S.  2 (unter der Zwischenüberschrift „Resolution“). 3  Verhandlungen des II. HT, S.  635. 4 Ebd.

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II. Deutschen Hochschullehrertag, entgegen einem früheren Beschluß, in Anwesenheit der Presse statt.5 Berichte erschienen in unmittelbarem Anschluß an die Tagung im Berliner Tageblatt und den Münchner Neuesten Nachrichten.6 Der auf dem Hochschullehrertag angeschlagene Ton wurde in den Hochschul-Nachrichten als ungewöhnlich rauh bezeichnet. Vor allem Webers drastische Ausdrucksweise erregte Aufsehen.7

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck der Redebeiträge folgt dem offiziellen Verhandlungsprotokoll: Zweiter deutscher Hochschullehrertag zu Jena am 28. und 29. September. (Bericht, erstattet vom engeren geschäftsführenden Ausschuß.), in: Beilage der Münchner Neuesten Nachrichten, Nr.  146 vom 18. Dezember 1908, S.  628–639. Die drei Diskussionsbeiträge Max Webers befinden sich auf den Seiten 634 [1.] und 635 [2. und 3.] (A). Der erste Beitrag ist eingeführt mit „M. Weber (Heidelberg) zur Geschäftsordnung:“, die beiden anderen mit „M. Weber:“. Vermutlich wurden Max Weber seine Diskussionsbeiträge vor der Veröffentlichung vorgelegt. In dem offiziellen Protokoll erscheinen sie im Ton moderater als in den Presseberichten, die in unmittelbarem Anschluß an den Hochschullehrertag veröffentlicht wurden. Wegen ihrer Bedeutung für die öffentliche Auseinandersetzung in diesen Fragen werden sie gesondert ediert.8

5  Vgl. Der II. Deutsche Hochschullehrertag in Jena, in: Hochschul-Nachrichten, Nr.  1, Heft 217, Oktober 1908, S.  10. 6  Zu den dort erschienenen Berichten vgl. unten, S.  773–776. 7 Vgl. Bornhak, Conrad, Sozialdemokraten im academischen Lehramte, in: Hochschul-Nachrichten, Nr.  1, Heft 217, Okt. 1908, S.  1: „Selbst die Gefahr, von Prof. Weber in Heidelberg nach dessen geschmackvoller Ausdrucksweise zu den Lumpen gerechnet zu werden, kann von freimütiger Erörterung der Frage nicht abhalten.“ 8  Vgl. dazu unten, S.  773–776.

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[Über die Lehrfreiheit an deutschen Universitäten]

1. [A 634]

Sind Sie mit uns in der Verurteilung dieser Vorgänge einig, so ist es meinem Bruder möglich, seine Resolution zurückzuziehen.1 Wir dürfen uns aber nicht auf diejenigen beschränken, die schon Lehrer sind.2

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2. [A 635]

Ich kann Ziegler3 nicht zustimmen, wenn er sagt, daß jemand sich nicht auf Grund einer Parteiansicht sollte habilitieren dürfen. Jeder, gleichviel welcher Parteirichtung, muß sich habilitieren dürfen.

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3. [A 635]

Es ist ganz gleichgültig für die Zulassung, welche politische Gesinnung ein akademischer Lehrer hat.4 Wir wollen keine Gesinnungsschnüffelei, gleichviel, von welcher Seite; wer sie ausübt, ist ein Lump. 1  Die Resolution Alfred Webers lautete: „Damit die Hochschulen Stätten absolut unabhängiger Forschung und Lehre sein können, darf Weltanschauung und politische Stellung des Forschers oder Lehrers niemals ein Grund der Nichtzulassung oder des Ausschlusses von ihnen sein.“ Der Redebeitrag Alfred Webers mit der Resolution findet sich in: Verhandlungen des II. HT, S.  633. 2  Karl Binding (Leipzig) hatte in der vorangehenden Debatte gefordert, „die Zulassung zum akademischen Lehrberuf von der Diskussion auszuschließen.“ Ebd. 3  Laut dem Protokoll sah Heinrich Ernst Ziegler (Jena) das Problem weniger „in der Frage, ob jemand ausgeschlossen werden soll, der schon eine ausgesprochene politische Überzeugung hat“, als vielmehr in der Frage, ob er „sich mit der Absicht habilitieren darf, auf seinem Lehrstuhl eine bestimmte politische Überzeugung zum Ausdruck zu bringen.“ Ebd., S.  635. 4  Weber reagierte mit dieser Bemerkung auf den vorangehenden Beitrag von Ernst Mayer (Würzburg), der dafür plädierte, die Frage der Zulassung auszuklammern und stattdessen zu klären, ob „ein bereits dem Lehrkörper angehöriger Dozent wegen seiner politischen Meinung gemaßregelt werden darf.“ Ebd.

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Die Lehrfreiheit der Universitäten [Zuschrift an die Hochschul-Nachrichten, Januar 1909]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Max Weber faßte seine Kritik an der Auffassung seiner Kollegen über die Lehrfreiheit an deutschen Hochschulen nach dem II. Deutschen Hochschullehrertag in einem Aufsatz zusammen, der vermutlich zuerst in der Liberalen Correspondenz, dem Organ der Linksliberalen,1 sodann in drei Folgen am 25. und 27. November 1908 in der Saale-Zeitung2 und schließlich in erweiterter und leicht abgeänderter Form in den Hochschul-Nachrichten unter der Überschrift „Die Lehrfreiheit der Universitäten“ erschien. Paul v. Salvisberg hatte Weber angesprochen, weil ein Mitarbeiter der Hochschul-Nachrichten, der Berliner Privatdozent Conrad Bornhak, nach dem Hochschullehrertag in Jena einen Artikel über die politische Gesinnung des Hochschullehrers veröffentlicht hatte, in welchem Max Webers Diskussionsbeitrag kritisch erwähnt wurde.3 Daß Weber gegenüber den von Paul v. Salvisberg seit 1890 herausgegebenen Hochschul-Nachrichten4 und einem dortigen Abdruck seines 1  Vgl. die Erläuterung zum Brief Max Webers an Lujo Brentano vom 13. April 1909, MWG II/6, S.  95, Anm.  10. 2 Die 1867 gegründete Saale-Zeitung erschien, zunächst noch mit dem Untertitel: „Der Bote für das Saalethal“, im hallischen Verlag Otto Hendel. Vor dem Ersten Weltkrieg stand das linksliberale Blatt unter seinem Chefredakteur Wilhelm Georg dem Freisinn nahe. Das Blatt erschien von Dienstag bis Samstag mit einem Morgen- und einem Abendblatt. Welche Beziehungen zwischen der Redaktion und Max Weber bestanden, ist nicht bekannt. 3  Vgl. den Editorischen Bericht zu „Über die Lehrfreiheit an deutschen Universitäten“, oben, S.  123, Anm.  7. 4  Die Hochschul-Nachrichten, die „neben Statistik und Geschichte das Verständnis für die idealen Interessen der Hochschulen besonders deutscher Zunge pflegen und jede Schädigung des jugendlichen Idealismus durch Eintragung politischer und konfessioneller Differenzen in die Studentenschaft bekämpfen“ sollten, besaßen amtlichen Charakter. Durch Erlaß vom 13. Juli 1893 hatte das preußische Kultusministerium bestimmt, daß die preußischen Hochschulen ihre Vorlesungsverzeichnisse in den Hochschul-Nachrichten gegen eine Gebühr veröffentlichen sollten. 1894 schloß sich die österreichische Regierung an. Auch die süddeutschen Universitäten inserierten für kurze Zeit in den „Hochschul-Nachrichten“. Das Blatt finanzierte sich durch die Inserate der Universitäten und wurde jedem Hochschullehrer gratis geliefert. Vgl. Brentano, Lujo, Mein Leben im Kampf um die soziale Entwicklung Deutschlands. – Jena: Eugen Diederichs 1931, S.  286.

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Aufsatzes Vorbehalte hatte, geht aus seinem Brief an Lujo Brentano vom 13. April 1909 hervor: „Der Kerl ersuchte mich Weihnachten, ihm den Abdruck eines Artikels aus der ‚Lib[eralen] Corr[espondenz]’ zu gestatten. Ich antwortete, daß dies jedem frei stehe, daß aber, wenn er sich auf meinen Consens berufen wolle, ich eine Bemerkung über die confessionellen Professuren beifügen müsse. Das geschah dann […]“.5

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Die ursprüngliche, in der Liberalen Correspondenz erschienene Fassung ist nicht nachgewiesen. Die Edition folgt dem Abdruck des Artikels, der unter der Überschrift „Die Lehrfreiheit der Universitäten“ in der von Paul v. Salvisberg herausgegebenen Zeitschrift Hochschul-Nachrichten, Nr.  4, Heft 220, Januar 1909, S.  89–91 (B), erschien. Bei diesem Text handelt es sich um die spätere, geringfügig erweiterte und leicht abgeänderte Fassung des Aufsatzes, der in drei Folgen unter der Überschrift „Die Lehrfreiheit der Universitäten“, in: Saale-Zeitung (Halle), Nr.  553 vom 25. November 1908, Mo.Bl., S.  1; Nr.  554 vom 25. November 1908, Ab.Bl., S.  1 und Nr.  558 vom 27. November 1908, Ab.Bl., S.  1 (A), veröffentlicht wurde und mit der ursprünglichen Fassung in der „Liberalen Correspondenz“ identisch sein dürfte.6 Jede der drei Folgen trägt die Überschrift „Die Lehrfreiheit der Universitäten“ sowie den Zusatz „Von Professor Max Weber (Heidelberg)“, außerdem ist jede Folge mit einer römischen Ordnungsziffer versehen, also I. II. III. An die Überschrift der zweiten Folge bindet eine Fußnote der Redaktion an, in der auf die „heutige Morgenausgabe der SaaleZeitung“ hingewiesen wird,7 in der der erste Teil von Max Webers Artikel abgedruckt worden war. Ediert wird der Abdruck in den „Hochschul-Nachrichten“ (B) als Fassung letzter Hand. Die Abweichungen der Fassung A werden im textkritischen Apparat annotiert. Zwei Textpassagen gibt es dort noch nicht – eine davon zur konfessionellen Frage.8 Unterschiede in der Schreibung von Einzelwörtern, wie z. B. academisch/akademisch oder Laufe/Lauf und die unterschiedliche Zusammen- oder Getrenntschreibung, wie z. B. weiter verbreitete oder Dem gegenüber, werden nicht nachgewiesen.

5  Vgl. MWG II/6, S.  94 f. 6  Vgl. dazu die Hg.-Anm. in: MWG II/6, S.  95, Anm.  10. 7  Vgl. unten, S.  132, textkritische Anm.  r. 8 Vgl. dazu unten, S.  131 f. mit textkritischer Anm.  q und S.  136 f. mit textkritischer Anm.  n.

Editorischer Bericht

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Die hervorgehobenen Wörter – in A und B gesperrt gesetzt – werden entsprechend den Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe kursiv gedruckt. Der Spaltendruck beider Fassungen wird nicht ausgewiesen.

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Die Lehrfreiheit der Universitäten.a Die Diskussionen auf dem zweiten deutschen Hochschullehrertag in Jena über die Lehrfreiheitb1 sind nicht geeignet gewesen, dieses schwierige und doch grundlegende Problem wirklich zu klären. Wie so manches, was über diesen Gegenstand im Laufe der letzten Jahre gesagt worden ist, standen die versammelten Hochschullehrer viel zu ausschließlich unter dem Drucke von „Berufsinteressen“ derjenigen, welche zufällig bereits Hochschullehrer sind. Nur so ist es zu erklären, daß allen Ernstes von der Möglichkeit ausgegangen wurde, man könne die Diskussion der Frage: Ob die Betätigung einer bestimmten (z. B. einer politisch-c oder dreligiös„radikalen“d) Überzeugung des Hochschullehrers dessen Belassung auf dem Katheder ausschließe – was natürlich verneint wurde – 23

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a  In B bindet hier eine redaktionelle Bemerkung an: 1) Anmerkung der Redaktion. Unser Mitarbeiter Herr Prof. Bornhak-Berlin hat im Oktoberheft der „H[ochschul-] N[achrichten]“2 im Anschluß an die Beratungen des Jenenser Hochschullehrertags das Thema über die politische Gesinnung des Hochschullehrers angeschnitten, das wohl mehr als manch’ andere academische Tagesfrage allgemeine Aufmerksamkeit und eine möglichst vielseitige Diskussion erfordert. Dem Grundsatz getreu, jedweder Meinung die Spalten der „H[ochschul-]N[achrichten]“ offen zu halten, haben wir Herrn Prof. Max Weber-Heidelberg, der aus dem Programm des Hochschullehrertags zweifellos die unbefangensten Folgerungen gezogen hat, ersucht, seinen für eine politische Zeitungskorrespondenz verfaßten Aufsatz über die „Lehrfreiheit der Universitäten“,3 entsprechend ergänzt, durch die „H[ochschul-]N[achrichten]“ auch einem weiteren academischen Publikum zwecks Diskussion zugänglich zu machen. – In A folgt auf Überschrift und Autorenangabe: I.  b In A hervorgehoben.  c Bindestrich fehlt in A.   d A: religiös-radikalen 1 Zu den Debatten des II. Deutschen Hochschullehrertages vgl. die direkt im Anschluß daran veröffentlichten Presseberichte im Berliner Tageblatt und den MNN, unten, S.  773–776, sowie das offizielle Protokoll vom Dezember 1908, in: Verhandlungen des II. HT, S.  628–639. Zu Webers Diskussionsbeiträgen vgl. oben, S.  122–124, und unten, S.  773–776. 2  Vgl. Bornhak, Conrad, Sozialdemokraten im academischen Lehramt, in: HochschulNachrichten, Nr.  1, Heft 217, Okt. 1908, S.  1. In diesem Beitrag gibt es auch eine Anspielung auf Max Webers Äußerungen beim Hochschullehrertag, vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Über die Lehrfreiheit an deutschen Universitäten, oben, S.  123 mit Anm.  7. 3  Gemeint ist die „Liberale Correspondenz“, in der Max Webers Beitrag vermutlich zuerst erschien. Vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  125, Anm.  1.

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von der Beantwortung der anderen Frage: Ob die Betätigung der gleichen Überzeugung von der Zulassung zume Katheder ausschließen könne, trennen. Nimmt man diese Ansicht zusammen mit einer gleichfalls weitverbreiteten anderen: der Hochschullehrer habe zwar einerseits, da er ja „Beamter“ sei, in seinem öffentlichenf Auftreten (als Staatsbürger, bei Wahlen, bei Äußerungen in der Presse usw.) „Rücksichten zu nehmen“, auf der anderen Seite könne er aber als sein Recht beanspruchen, daß seine Äußerungen vom Kathederg herab jeder Weiterverbreitung in der Öffentlichkeit entzogen bleiben – Professor Schmoller hat bekanntlich mit Erfolg Strafantrag gegen einen Studenten gestellt, der Kollegäußerungen von ihm weiterverbreitete4 –, so käme man zu folgendem seltsamen Begriff der „Lehrfreiheit“: 1. Der Hochschullehrer darf und soll bei seiner Zulassung zum Katheder nicht nur auf seine wissenschaftliche Qualifikation, sondern auch auf seine Obödienz gegenüber den jeweiligen politischen Machthabern und den kirchlichen Gebräuchen geprüft werden. 2. Ein öffentlicher Protest gegen das jeweilige politische System kann den im Besitz des Katheders befindlichen Hochschullehrer seine Stelle kosten – dagegen 3. in seinem Hörsaale, der Öffentlichkeit und also der Kritik entzogen, darf der einmal zum Lehrer Zugelassene sich äußern, wie es ihm beliebt, „unabhängig von allen Autoritäten“. Man sieht, dieser Begriff von Lehrfreiheit wäre ein Ideal von „gesättigten Existenzen“, von „beati possidentes“,5 denen weder die Freiheit der Wissenschaft als solche, noch die Rechte und Pflichten der academischen Lehrer als Staatsbürger etwas gelten, die vielmehr nur in der Ausübung der „Lebensstellung“, in der sie sich einmal befinden, ungenierth sein wollen. Und zugleich könnte e In A hervorgehoben.  f Hervorhebung fehlt in A.   g Hervorhebung fehlt in A.  h  Hervorhebung fehlt in A. 4  Gustav Schmoller erstattete Strafanzeige gegen den Studenten Erich Woth, da dieser seine Kollegäußerungen zu den Handelsverträgen und der Zolltarifvorlage mit einem Zeitungsartikel in den Hamburger Nachrichten an die Öffentlichkeit gebracht hatte. Das Gericht sah darin einen groben Verstoß gegen das Urheberrecht sowie gegen die akademische Sitte und Ordnung und verurteilte Woth am 21. Mai 1902 zu 200 Mark Geldstrafe oder 40 Tagen Gefängnis. Vgl. Vossische Zeitung, Nr.  233 vom 22. Mai 1902, Morgenausgabe, Rubrik: Gerichtliches. 5  „Glücklich (sind) die Besitzenden“, Zitat nach dem Dramenfragment „Danae“ von Euripides. Hier: von „glücklichen Besitzenden“.

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diese i„Freiheit“i natürlich als Feigenblatt für die möglichste Aufrechterhaltung einer bestimmten politischen Färbung des Hochschulunterrichtes in allen den Fächern, in denen eine solche möglich ist, dienen. Wie sehr sie dabei überdiesj den Charakter des Habilitations-Reflektanten gefährdet, braucht hier wohl nur angedeutet zu werden. Demgegenüber ist doch wohl zu sagen: Daran, daß einer solchen,k vor Zulassung zum Lehramt sorgsam in Bezug auf ihre politische und (äußerlich-)kirchliche „Unbedenklichkeit“ durchgesiebten Professorenschaft das Recht auf den Besitz ihrer Katheder garantiert werde, hat die Gesamtheit keinerlei wie immer geartetes Interesse. Eine „Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre“6 an der Universität besteht jedenfalls da nicht, wo die Zulassung zur Lehrtätigkeit an den Besitz (oder das Erheucheln) einer bestimmten politisch oder kirchlich „hoffähigen“ Anschauungsweise geknüpft wird. Wenn von einer solchen „Freiheit“ die Rede sein soll, so ist vielmehr erstes Erfordernis selbstredendl gerade: daß Zulassung zum Katheder und Belassung auf dem Katheder in dieser Hinsicht zum mindesten gleich behandelt werden. Eine Handlung, welche, nach den bestehenden Gesetzen[,] für jemanden, der Hochschullehrer ist, seine (gerichtliche oder disziplinarische) Entfernung vom Lehramt bedingt, kann zweifellos auch seine Nichtzulassung rechtfertigen. Wo aber das eine nicht der Fall ist, darf selbstverständlich auch das andere nicht der Fall sein. Es kann jemand recht wohl die Ansicht vertreten, daß eine strafbare Handlung (z. B. politischen Charakters), die eine Disqualifikation für das Amt eines Professors bedinge, dennoch die Zulassung zur Privatdozentur, die ja kein „Amt“ verleiht, nicht hindern dürfe. Aber der in Jena mehrfach vertretene gerade umgekehrte Grundsatz: daßm jemand wegen eines Verhaltens, das einen Professor nicht für sein Amt disqualifiziert, dennoch für die Habilitation als Privatdozent disqualifiziert

i–i   Anführungszeichen fehlen in A.   j  Fehlt in A.  k  Komma fehlt in A.   l Fehlt in A.  m A: Daß 6  Zur Freiheit von Wissenschaft und Lehre an den Universitäten vgl. Weber, Die sogenannte Lehrfreiheit, oben, S.  112 mit Anm.  5.

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erscheinen könne,7 ist eine einfache Ungeheuerlichkeit. Erst nachdem diesen völlig selbstverständliche Erkenntniso feststeht, kann man an die Erörterung der Frage herantreten, welches – öffentliche oder private – Verhalten denn nun als ein solches anzusehen sei, das mit der Stellung des Hochschullehrers unvereinbar wäre. Über diese Frage werden in einem zweiten Aufsatz noch einige grundsätzliche Erörterungen gepflogen werden.p  qZu diesem Punkt habe ich hier lediglich einige Bemerkungen zu machen gegenüber einer Anschauung, welche meint, daß der formal-juristische Charakter der Universitäten als Staatsanstalten hier ein Kriterium der Auslese zu liefern habe. Auf den ordentlichen Professuren ausländischer Staatsuniversitäten finden sich z. B. Sozialisten,8 und zwar auch der denkbar radikalsten Färbung, und manche von ihnen gehören zu den besten wissenschaftlichen Namen, welche die betreffenden Nationen aufzuweisen haben. In Deutschland hat der – je nach den wechselnden Strömungen der „Kartell“- oder „Block“-Konstellationen9 – als „Reichsfeind“ Geltende eo ipso alle Chancen gegen sich, und vollends der im Sinne der politischen Polizei „Staatsfeindliche“ wird nicht nur durch das in den meisten Staaten bestehende Kontrollrecht der Behörden (politisches Leumundsattest vor oder Bestätigung der Zulassung durch die politische Behörde nach der Habilitation!)10 vom Katheder ausgeschlossen. Sondern, auch unaufgefordert, pflegen die Fakultäten sich als

n A: dieser  o A: Grundsatz  p  In A folgt die Anmerkung der Redaktion: (Schluß folgt morgen.)   q–q  (S.  132) Fehlt in A. 7  Auf dem II. Deutschen Hochschullehrertag wies Karl v. Amira darauf hin, daß nur der Staat Mittel in der Hand habe, die Lehrfreiheit zu beschränken. So könne er dem zugelassenen Privatdozenten die Venia legendi wieder entziehen. Eine Beschränkung der Lehrfreiheit des angestellten oder beamteten akademischen Lehrers sei aber schwieriger. Vgl. Verhandlungen II. HT, S.  629. 8  An italienischen Universitäten lehrten u. a. die Sozialisten Alfredo Angiolini, Ettore Ciccotti und Antonio Labriola, an französischen Edgard Milhaud und an russischen Sergej Bulgakov und Michail Tugan-Baranovskij, obwohl sie Mitglieder sozialistischer Parteien waren. Vgl. dazu die Hg.-Anm. in: MWG II/5, S.  223, Anm.  4. 9  Im Kaiserreich wurden Koalitionen zwischen den politischen Parteien im Reichstag „Kartelle“ oder „Blöcke“ genannt. 10  In Preußen bestand aufgrund eines Erlasses vom 27. Februar 1883 die Pflicht, die erfolgte Habilitation eines Privatdozenten beim Ministerium zu melden sowie seinen Lebenslauf und Studiengang mitzuteilen. Vgl. auch Daude, Paul, Die Rechtsverhältnisse der Privatdozenten. Zusammenstellung der an den Universitäten Deutschlands

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Mandatare der politischen Polizei zu gerieren. Dies Alles, weil die Universitäten staatlich subventioniert und privilegiert seien, – und obwohl der Staat die Prüfung der Reflektanten auf seine Ämter nach seinem Belieben reguliert und die Universitätsbildung nur Voraussetzung der Anstellung (eine unter mehreren) ist, aber keinerlei Anspruch darauf verleiht. – Indessen: lassen wir diese formalistische Art der Behandlung ganz bei Seite und fassen wir die „Frage“ wie es sich gebührt: als Kulturproblem!q Daßr11 smit dem Unterricht überhaupts auch der höhere Unterricht bei uns eine Angelegenheit des Staatest geworden ist, ist Produkt einer ganz bestimmten Kulturentwickelung, die Folge insbesondere der Säkularisationenu auf der einen Seite, auf der anderen der jahrhundertelangen tiefen Armut der Nation, welche die Entstehung so gewaltiger privater Stiftungen, wie die sind, auf denen in den angelsächsischen Ländern so viele hervorragende Universitäten beruhen, ausschloß. Heute ist diese Entwickelung bei uns eine Tatsache, mit der zu rechnen istv und auf deren Konto unzweifelhaft – das braucht hier nicht näher begründet zu werden – sehr bedeutende positive Werte kommen, da nach Lage der Dinge die materiellen Mittel für die Universität in dem Umfange, wie sie zur Verfügung gestanden haben, nicht anders als vom Staate zu beschaffen waren. Natürlichw ist damitx über die Frage, wie diese Entwickelung der materiellen Grundlagen unseres Universitätswesens endgültig in der Gesamtheit ihrer Wirkungen zu bewerteny ist, noch nichts gesagt. Wenn sich der „Staat“, das heißt:z die jeweilig die Nation beherrschenden Träger der politischen Gewalt, etwa auf den Standpunkt

q  (S.  131)–q  Fehlt in A.  r  In A geht voraus: Die Lehrfreiheit der Universitäten. – mit der redaktionellen Anmerkung: *) Siehe die heutige Morgenausgabe der SaaleZeitung.12 – Von Professor Max Weber (Heidelberg).  s A: der Unterricht, und insbe­sondere   t Hervorhebung fehlt in A.   u A: Säkularisation  v A: ist,   w A: Gleichwohl  x  Fehlt in A.  y  Hervorhebung fehlt in A.   z Doppelpunkt fehlt in A. und Österreichs sowie an den deutschsprachigen Universitäten der Schweiz über die rechtliche Stellung der Privatdozenten erlassenen Bestimmungen. – Berlin: Julius Becker 1896, S.  9. 11  Vgl. den ersten Teil des Artikels, oben, S.  128–130.

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stelltea: b„wes Brot ich esse, des Lied ich singe“b,12 wenn erc mit anderen Worten die durch die materielle Situation der Universitäten in seined Hände gelegte Macht nicht als eine Übernahme von Kulturaufgaben, sondern als ein Mittel zur Erzielung einer bestimmten epolitischen Dressure der academischen Jugend auffaßtef, so wäre das Interesse der Wissenschaft bei einem solchen „Staate“ nicht besser, sondern in vielen Hinsichten schlechterg geborgen,h als in der früheren Abhängigkeit von der Kirche.i Die,j jede Entwickelung charaktervoller Persönlichkeiten vernichtende,k Folge einer solchen lKastration der Freiheitl und Unbefangenheit des Universitätsunterrichtes könnte durch keine noch so schönen Institute, noch so großem Hörerzahlen, noch so vielen Dissertationen, Preisarbeiten und Examenserfolge irgendwie aufgewogen werden. Die beliebte Argumentation: „der Staat“, das heißt, wohlgemerkt, immer: die nach der politischen Konstellation jeweilig herrschende politische Gruppe, o„könne es sich nicht gefallen lassen“o, daß von den Universitäten „staatsfeindliche Lehren“ verbreitet würden, krankt an einem grundsätzlichen, freilich, wie nicht zu leugnen ist, auch in Universitätskreisen zu findenden pIrrtum über Sinn und Wesen der academischen Lehrep überhaupt. Darüber einige Worte.q Die Universitäten haben weder „staatsfeindliche“, noch „staatsfreundliche“, noch irgendwelche randere Weltanschauungr zu lehren. Sie sind keine Anstalten, welche Gesinnungsunterricht zu treiben haben. Sie analysieren Tatsachen und ihre realen Bedingungen, Gesetze und Zusammenhänge, und sie analysieren Begriffe und ihre logischen Voraussetzungen und Inhalte. Dagegen lehren sie nicht und könnens nicht lehren: was geschehen soll t, – denn dies ist Sache der letzten persönlichen Werturteile, der Weltanschauung, a A: stellen  b–b Anführungszeichen fehlen in A.   c A: sie  d A: ihre   e Hervorhebung fehlt in A.   f A: auffassen  g Hervorhebung fehlt in A.   h  Komma fehlt in A.   i  In A folgt ein Absatz.   j  Komma fehlt in A.   k Komma fehlt in A.   l  In A hervorgehoben.  m B: großen  n B: vielen  o–o Anführungszeichen fehlen in A.   p–p  In A hervorgehoben.  q A: Worte!  r A: andere Ansichten oder irgend welche Weltanschauungen   s Hervorhebung fehlt in A.  t  Hervorhebung fehlt in A. 12  Zu diesem Sprichwort vgl. Deutsches Sprichwörterlexikon. Ein Handbuch für das deutsche Volk, hg. von Karl Friedrich Wilhelm Wander, Band 1. – Stuttgart: Akademische Verlagsgesellschaft 1987, Nr.  303, S.  480.

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die nichts ist, was man „beweisen“ könnte wie einen wissenschaftlichen Lehrsatz. Gewiß, die Universitäten lehren ihre Höreru Weltanschauungen kennen:v sie entwickeln sie in ihrer psychologischen Entstehung, analysieren sie auf ihren Gedankengehalt und auf ihre letzten allgemeinen gedanklichen Voraussetzungen hin, eben auf jenes nichtw mehr beweisbare, sondern geglaubte, was in ihnen allen liegt,x – aber sie würden das Gebiet des Wissenschaftlichen überschreiten, sobald sie sich anmaßen würden, nicht nur Wissen, sondern auch Glauben und y„Ideale“ anzuerzieheny. In den Dienst welcher Ideale der einzelne sich stellen will, –z „welchen Göttern er dient“ – das schieben sie ihm selbst in sein eigenes Gewissen. Sie schärfen ihm dabeia den Blick für die tatsächlichen Bedingungen seines Strebens, sie lehren ihn die Fähigkeit, sich gedanklich  klar zu werden: b„zu wissen, was er will“b. Aber sie ständen um kein Haar über, sondern noch unter einer Jesuitenschule, wenn sie ihm die persönlichen Ideale ihrer Lehrer, etwa deren politische Meinungen (sie seien nun c„radikal“c, nach rechts oder links, oder „gemäßigt“)d als „Wissenschaft“e auftischen wollten. Sie haben hierf gdie Pflicht der Selbstbescheidungg zu üben. Ein Element allerh „echten“ Weltanschauung allein ist es, welches sie ihrem Wesen nachi ihren Hörern mit auf den Lebensweg zu geben haben: diej Gewöhnung an die kPflicht zur intellektuellen Rechtschaffenheitk und damit auch zur rücksichtslosen Klarheit über sich selbst. Allesl andere:m den ganzen Inhaltn seines Strebens,o muß der einzelne im Kampfe mit dem Leben sich selbst erobern.p  Esq wäre ein ebensolcher anmaßlicher Unfug, wenn ein Universitätslehrer sich unterfangen würde, z. B. die „Berechtigung“ irgendwelcher sozialerr Forderungen zu „beweisen“, wie wenn er ihre „Nichtberechtigung“ mit den Mitteln der Wissenschaft „nachwei-

u In A folgt: solche  v A: kennen,  w Hervorhebung fehlt in A.   x Komma fehlt in A.   y A: Ideale anzuerziehen   z Gedankenstrich fehlt in A.   a In A folgt: recht  b–b  Anführungszeichen fehlen in A.   c–c  Anführungszeichen fehlen in A.   d A: gemäßigt),  e  In A hervorgehoben.  f  A: vielmehr  g Hervorhebung fehlt in A.   h  In A hervorgehoben.  i A: nach,  j A: Die  k Hervorhebung fehlt in A.   l A: Manches  m A: andere,  n  Hervorhebung fehlt in A.  o Komma fehlt in A.   p In A folgt die Anmerkung der Redaktion: (Schluß folgt morgen.)   q  In A geht voraus: Die Lehrfreiheit der Universitäten. Von Professor Max Weber (Heidelberg). III. (Schluß.)  r A: sozialistischer

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sen“ wollte. Beides ist mit den Mitteln der Wissenschaft sschlechthin unmöglich.s Was die Wissenschaft hier zu bieten hat, ist lediglich: Die Analyse jener Forderungen zunächst auf ihren eigentlichen Inhalt und damit auf diejenigen letzten,t nichtu mehr beweisbaren oder vwiderlegbaren, Glaubensüberzeugungenv und Werturteile, die ihnen wzugrunde liegen; alsdann:w die Erörterung ihrer geschichtlichen xEntstehung; weiter: die Untersuchung der praktischen Vorbedingungen ihrer Realisierung und der voraussichtlichen faktischen Konsequenzen derselben und endlich: die Feststellung, ob die Gegenwartsentwicklung sich in ihrer Richtung bewegt oder nicht, und warum?x Dies alles sind wirklich „wissenschaftliche“y Fragen. Ob nun aber der zeinzelne jene „letzten“z Überzeugungen billigen oder verwerfen, ob era jene bVorbedingungen und Konsequenzenb ihrer Realisierung in den Kauf nehmen will, cob erc die Opfer zu groß findet im Verhältnis zu den Chancen des Erfolges, – dasd zu entscheiden ist seine Pflicht, die ihm sein wissenschaftlicher Lehrer nicht abnehmen kann und vor allen Dingen nicht abnehmen darfe, weil darüber f„wissenschaftlich“f schlechthin nichts auszumachen ist. Gewiß, es ist leider bekannt, daß es nicht wenige academische Lehrer (durchaus nicht etwa vorwiegend politisch „radikal“ gesinnte, sondern gerade vermeintlich g„staatsmännisch“g begabte Vermittelungspolitiker) gibt, die jene Pflicht der Selbstbescheidung nicht üben und sich selbst die Befugnis, ja recht eigentlich die Aufgabe zuschreiben: Die academische Jugend in bestimmten politischen Gesinnungen und Weltanschauungen zu erziehen. Mit dieser Anmaßung würden sich die Universitäten auf die Dauerh in ihr eigenes Fleisch schneiden. Denn es ist bei dieser Auffassung der Aufgaben des Unterrichtes die Forderung nicht zu umgehen, daß der unter allen Umständen Nächstbeteiligte:i der Familienvaterj, der seinen Sohn auf seine Kosten auf die Universität schickt, die s–s A: schlechthin unmöglich. Punkt fehlt in B.   t  Komma fehlt in A.   u Hervorhebung fehlt in A.   v A: widerlegbaren Glaubensüberzeugungen   w A: zu Grunde liegen, alsdann   x–x  A: Entstehung und somit die Chancen ihrer Zukunft, jedenfalls aber der Mittel und Wege, die zu ihrer Durchführung erforderlich wären.   y  Ausführungszeichen fehlt in A.   z A: einzelne etwa jene letzten   a Hervorhebung fehlt in A.   b–b A: Mittel zu   c A: oder ob er   d  Hervorhebung fehlt in A.  e  Hervorhebung fehlt in A.   f–f  Anführungszeichen fehlen in A.   g–g Anführungszeichen fehlen in A.   h  In A folgt: recht  i A: Nächstbeteiligte,  j Hervorhebung fehlt in A.

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Garantie habe, dort auch seine Weltanschauung vertreten zu sehen. Konfessionelle, ökonomische, soziale, politische Parteien hättenk alsdann jedel das Recht darauf, für die Unterweisung in ihren Idealen gesonderte Universitäten oder Lehrstühle bewilligt zu erhalten.m nDann müßte man sich auf den prinzipiellen Boden der (konsequenter auszubauenden) Kuyper’schen Universitäts„Reform“ in Holland13 stellen und Jedermann das Recht geben, an den Universitäten vollberechtigte Lehrstühle und zugleich ein Kuratorium mit dem Recht der Besetzung derselben zu stiften: der „Zentralverband deutscher Industrieller“,14 der „Monistenbund“15 und der „Keplerbund“,16 das „Gewerkschaftskartell“,17 sämtliche Kirchen und politischen Parteien könnten dann, je nach ihren Finanzen, von diesem Rechte ebenso Gebrauch machen, wie heute die katholische und andere Kirchen in Holland zu tun beginnen. Das wäre „Lehrfreiheit“ auf dem Boden des „Gesinnungsunterrichts“. Wer derartige Konsequenzen ablehnt, der muß ehrlicherk A: haben  l  Hervorhebung fehlt in A.   m  In A folgt ein Absatz.   n–n  (S.  137) Fehlt in A. 13  Die „Hogeronderwijsnovelle“ (Hochschulnovelle) des niederländischen Premierministers und reformierten Theologen Abraham Kuyper führte 1905 u. a. zur Einrichtung katholischer Lehrstühle. Das Gesetz richtete sich gegen die liberale Hochschulpolitik, und u. a. gab es bestimmten, durch königliche Verordnung festgelegten Institutionen das Recht, an Reichsuniversitäten Lehrstühle einzurichten. Nach Bekanntgabe des „Gesetzes Kuyper“ gründete der Episkopat in Zusammenarbeit mit bedeutenden Katholiken wenige Wochen später die St. Radboudstiftung, die eine katholische Universität vorbereitete und sich überdies um die Einrichtung katholischer Lehrstühle an den öffentlichen Universitäten bemühte. Vgl. Brabers, Jan, Proeven van eigen cultuur – vijf­ en­zeventig jaar Katholieke Universiteit Nijmegen 1923–1998, Deel 1: 1923–1960. – Nij­ megen: Valkhof Pers 1998, S.  60 ff. 14  Der 1876 gegründete Zentralverband Deutscher Industrieller vertrat vornehmlich die Interessen der Schwer- und Montanindustrie und forderte im Verbund mit den Großagrariern eine Schutzzollpolitik. 15  Der 1906 von Ernst Haeckel gegründete Monistenbund propagierte eine einheitliche, auf Naturerkenntnis gegründete Weltanschauung, die kulturbildend und eine Alternative zum Christentum sein sollte. Der Monismus führte heterogene, sozialreformerisch und kulturkritisch orientierte Bevölkerungsgruppen zusammen und trug in erheblichem Maße zur Popularisierung der Naturwissenschaften bei. 16 Als Gegenbewegung zum Monistenbund gründete Eberhard Dennert 1907 den evangelischen Keplerbund zur Förderung der Naturerkenntnis, der eine Versöhnung zwischen Naturwissenschaft und Gottesglauben verfolgte. 17  Gewerkschaftskartelle waren in der Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik lokale Zusammenschlüsse aller am Ort vertretenen Gewerkschaften, u. a. sammelten und verteilten sie Streikgelder.

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weise auch den Gesinnungs-Unterricht als Aufgabe und die Gesinnungs-Qualifikation als Erfordernis des Hochschullehrers ablehnen. Er muß die Schaffung von Lehrstühlen (z. B. historischen, philosophischen), welche z. B. eine klerikale Tendenz zu vertreten ausgesprochenermaßen bestimmt sind, ebenso als eine schnöde Vergewaltigung der „Freiheit der Wissenschaft“ ansehen, wie umgekehrt die Zurücksetzung eines wissenschaftlich Qualifizierten aus dem Grunde, weil er „Zentrumsmann“ oder „Sozialist“ sei.n Nur auf dem Boden ostrenger wissenschaftlicher Selbstbescheidungo ist die heutige Kultureinheit auf dem Gebiete des Unterrichtes innerlichp zu rechtfertigen. Will man sie, so muß der Gedanke an jedeq Art von Gesinnungsunterricht fallen, so ist der academische Lehrer, gerade in dem heute so ängstlich gehüteten Geheimkabinett seines Hörsaales ganz besonders streng verpflichtet, jeder eigene Stellungnahme in dem Kampfe der Ideale zu vermeiden, sein Katheder, statt zu einer Stätte der Bekämpfung, zu einer solchen des historischen und gedanklichen Verständnisses fremder, von der seinen abweichender,s Weltanschauungen zu machen. Eine rein historisch bedingte, scheinbare Schwierigkeit in der Durchführung dieser Anforderungen bilden heute nur die theologischen Fakultäten. Keine prinzipielle: es läßt sich vielmehr mit voller Eindeutigkeit angeben, welche Arten der Besprechung und Behandlung des Phänomens des religiösen Lebens in den Umkreis der Universitäten (bei Erhaltung ihres oben umschriebenen Charakters) gehören, welche anderen nicht. Daß heute auch diese letzteren, nur dogmatisch gebunden zu behandelnden Disziplinen und diet apologetischen und praktischen Fächer[,] statt durch Institutionenu freier kirchlicher Gemeinschaften, durch staatlich angestellte, aber dabei in ihrer Lehrfreiheitv beschränkte Hochschullehrer behandelt werden, entspringt wkeinerlei Bedürfnissen desx religiösen Lebens, sondern allein dem Wunsche staatlicher Kulturreglementierungw. Die Überzeugung, daß die starken Kirchengemeinschaften, insbesondere die katholische Kirche, den Zweck dieser Reglementierung schon heute völlig illusorisch zu machen wissen, n (S.  136)–n  Fehlt in A.   o–o  Hervorhebung fehlt in A.   p A: sittlich  q Hervorhebung fehlt in A.   r  Hervorhebung fehlt in A.   s  Komma fehlt in A.   t In A folgt: mehr  u A: Individuen  v In A folgt: irgendwie  w–w  Hervorhebung fehlt in A.   x A: eines  

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Die Lehrfreiheit der Universitäten

wird,y in Verbindung mit anderen Motiven der Kulturentwickelung die unumgängliche Scheidung,z im Interesse agrade aucha des religiösen Lebens hoffentlich nicht zu spät,b bringen.

y  Komma fehlt in A.  z  Komma fehlt in A.  a  Fehlt in A.   b  Komma fehlt in A.

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Disposition für die Bearbeitung einer soziologischen Untersuchung des Zeitungswesens

Editorischer Bericht Zur Entstehung Unter der Fülle der soziologischen Probleme, mit denen sich die neue Gesellschaft für Soziologie befassen wollte, befindet sich auch „Das Wesen der öffentlichen Meinung“ und „Die Presse“.1 Max Weber machte sich diese Probleme zu eigen und entwickelte dafür ein Projekt. Seit seinem Beitritt zur Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS)2 und seiner Wahl zu ihrem provisorischen Ausschußvorsitzenden3 beschäftigten ihn neben der Organisationsfrage vor allem die mit diesem Projekt verbundenen Fragen, über die, wie es später heißt, „es sehr leicht ist, ein hübsches Feuilleton, über die es ungemein schwer ist, eine wissenschaftliche Darstellung zu bieten“.4 Bereits am 28. März 1909 spricht Weber in einem Brief an Friedrich Naumann von „einer großen Arbeit, die ich über ‚Zeitungswesen‘ anregen helfen möchte (So­zio­ lo[gische] Gesellschaft)“.5 Am Tag darauf bestätigt er gegenüber Heinrich Herkner, daß das „Thema: Zeitungswesen“ fest verabredet sei.6 Am 11. April 1909 schickt er Herkner ein „Blatt, auf dem ich absolut provisorisch einige ‚Fragen‘ und Personen notiert hatte, die m. E. bei der Erhebung: ‚Presse‘ in Betracht kommen“.7 Ebenfalls im April schreibt Weber an Lujo Brentano, um ihn zum Beitritt zu der neuen Gesellschaft zu motivieren: „Publikationen (nach 1  Weber, Einladung zum Beitritt 1909, unten, S.  153–155. 2  Vgl. den von Weber Ende 1908 mitunterzeichneten Gründungsaufruf, unten, S.  819– 823. 3  Die Wahl zum provisorischen Ausschußvorsitzenden (nicht zu verwechseln mit dem Vorstandsvorsitzenden) erfolgte im Frühjahr 1909 per Umlaufverfahren. Weber setzte sich mit 7 Stimmen gegen seine Mitbewerber Kurt Breysig und Franz Oppenheimer durch. Dies teilte Hermann Beck im Einladungsschreiben zu der in Berlin am 6. März stattfindenden Eröffnungsveranstaltung mit. Vgl. Einladung von Hermann Beck vom 4. März 1909, (SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.2.11). Zu Webers Funktionen in der DGS vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Über Ausrichtung und Vorgehen der DGS, unten, S.  153–155. 4  Vgl. Weber, Vorbericht, unten, S.  208–228. 5  Brief Max Webers an Friedrich Naumann vom 29. März 1909, MWG II/6, S.  84 f., Zitat: S.  85. 6  Brief Max Webers an Heinrich Herkner vom 29. März 1909, MWG II/6, S.  86 f., Zitat: S.  87. 7  Brief Max Webers an Heinrich Herkner vom 11. April 1909, MWG II/6, S.  92.

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Disposition für eine Untersuchung des Zeitungswesens

Art des V[ereins] f[ür] Soz[ial-]Pol[itik], aber unter Ausschaltung ‚praktischer‘ Ziele, also rein wissenschaftlich). Z[ur] Zeit erwägen wir, ob wir dem Ausschuß 1) eine Analyse der Presse (ökonomisch, nach der Art ihrer sozialen Existenzbedingungen und als Faktor der öffentlichen Meinung) vorschlagen sollen als nächstes konkretes Arbeitsthema. Sodann: 2) Analyse der Vereine in ihrer soziologischen Bedeutung (von der Studentenverbindung und dem Kriegerverein bis zur ‚Partei‘).“8 Die provisorische Skizze zum Thema Pressewesen, die Max Weber am 11. April 1909 an Heinrich Herkner schickte, ist nicht überliefert. Vermutlich verfaßte er auf dieser Grundlage einen ersten Entwurf. Am 13. Mai 1909 schreibt der Geschäftsführer der DGS: „Den Weber’schen Entwurf einer Disposition für die Bearbeitung einer Soziologie der Presse habe ich abschreiben und von Herrn Prof. Weber wieder korrigieren lassen. Die korrigierte Abschrift liegt hier bei. Ich fasse den Entwurf so auf, daß sich Interessenten noch ergänzend oder kritisch dazu äußern können.“9 Die „Disposition“ muß folglich zwischen dem 11. April und dem 13. Mai 1909 entstanden, von einem Mitarbeiter der DGS abgeschrieben und von Weber korrigiert worden sein.

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Zum Abdruck kommt die sechsseitige maschinenschriftliche Abschrift, die sich unter der Überschrift „Disposition für die Bearbeitung einer soziologischen Untersuchung des Zeitungswesens. (Entwurf von Professor Max Weber, Heidelberg.)“ im Nachlaß Ferdinand Toennies in der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek Kiel, Cb 54.61: 1.2.08 (A), befindet. Der Entwurf enthält keine handschriftlichen Zusätze. Unterstreichungen, Verbesserungen von Schreibfehlern wurden maschinenschriftlich vorgenommen. Er enthält viele Tippfehler, wie beispielsweise „Agentueren“ statt „Agenturen“, „Acquisitation“ statt „Acquisition“, „Maases“ statt „Maßes“, „Kreusseitung“ statt „Kreuzzeitung“, „monopolitistischsch“ statt „monopolistisch“, „Neusten“ statt „Neuesten“. Sie werden, ebenso wie falsch gesetzte Satzzeichen, im textkritischen Apparat nicht aufgeführt, sondern stillschweigend 8  Brief Max Webers an Lujo Brentano, zweite Aprilhälfte 1909, MWG II/6, S.  107 f., Zitat: S.  107. 9  Brief von Hermann Beck an die Mitglieder des Vorstandes der DGS vom 13. Mai 1909, SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.1.05. Seit Januar 1909 gehörten dem Vorstand der DGS Hermann Beck, Heinrich Herkner, Georg Simmel, Ferdinand Tönnies und Alfred Vierkandt an. Nach der außerordentlichen Mitgliederversammlung vom 14. Oktober 1909 bildeten Georg Simmel, Werner Sombart und Ferdinand Tönnies den Vorstand.

Editorischer Bericht

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korrigiert. Das gilt auch für uneinheitliche Schreibweisen, wie etwa „Stoffverteilung“ und „Stoff-Verteilung“, und fehlende Leerstellen zwischen zwei Wörtern. Textkritisch nachgewiesen werden hingegen Zeichen- und Schreibfehler, die sinnverändernd sind. Der Entwurf enthält keine originale Paginierung. Der Editor fügt die Seitenzählung als A (1) etc. ein.

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Disposition für die Bearbeitung einer soziologischen Untersuchung des Zeitungswesens.a A. Das Zeitungsgeschäft. I. Besitzer der Zeitungen, Entwicklung in den letzten Jahrzehnten für eine Anzahl großer Zeitungen und einige typische Gebiete. Quelle: Handelsregister, Einfluß der Besitzer, der Großanteilhaber usw. auf die Richtung der Zeitungen und seine Grenzen. Besondere Maßregeln zur Sicherung der „Richtung“ der Zeitung ihm gegenüber. Dotatoren von Zeitungen (z. B.  Fürst von Fürstenberg).1 II. Kapitalsbedarf der Zeitungen, je nach Größe und Eigenart. Vergleich mit dem Ausland: Bestehen z. B. Unterschiede infolge des Einflusses des Einzelnummerverkaufs? Kapitalsumschlag der Zeitungen und seine Beeinflussung durch das gleiche Moment. Leider sind die Bücher der „Naumann“schen Tageszeitung – „Zeit“ – nach Erkundigung so schlecht geführt worden, daß nur die Endsummen: 158000 Mark Ausgaben, 40000 Mark Einnahmen im ersten Jahre, feststehen, nicht aber eine Benutzung für diese Untersuchungen möglich ist.2 Ob Cotta die Bücher der Allgemeinen Zeitung (oder die wichtigsten Zahlen) hergeben würde?3

a  In A folgt in einer neuen Zeile: (Entwurf von Professor Max Weber, Heidelberg.) 1 Franz Egon Graf von Fürstenberg-Stammheim gehörte neben Moritz August von Bethmann Hollweg und Albert von Pourtalès zu den Gründern und Financiers des 1851 entstandenen Preußischen Wochenblattes zur Besprechung politischer Tagesfragen. Danach wurde die liberal-konservative Wochenblattpartei benannt. 2  Schon vor der Gründung des Nationalsozialen Vereins hielt man im Naumann-Kreis eine täglich erscheinende Parteizeitung für notwendig. Max Weber gehörte dem Komitee an, das die Gründung einer national-sozialen Tageszeitung fördern sollte, und unterzeichnete auch die im Januar und Februar 1896 vorgelegten Entwürfe der Grundlinien (vgl. Vertrauliches Anschreiben und Programmentwurf für eine neue Tageszeitung, in: MWG I/4, S.  885–895). Außerdem unterstützte er das Zeitungsprojekt im September 1896 mit einer Spende in Höhe von 500 Mark (vgl. Brief Max Webers an Friedrich Naumann, vor oder am 9. Sept. 1896, MWG II/3, S.  213). Am 6. August 1896 kam es in Heidelberg zu einem Doppelbeschluß: der Vereinsgründung und Gründung einer reichsweiten Tageszeitung. Die Zeit. Organ für nationalen Sozialismus auf christlicher Grundlage, Berlin, erschien vom 1. Oktober 1896 bis 30. September 1897 und wurde von Heinrich Oberwinder und Hellmut von Gerlach redigiert. Vgl. Düding, Dieter, Der Nationalsoziale Verein. 1896–1903. – München: R. Oldenbourg 1972, S.  118. Am

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III. Produktionskosten der Zeitungen. a) Druckerei, Versand, andere sachliche Kosten. In Verbindung damit Agenturwesen. b) Bedarf an Redakteurenb und deren Kosten. Vergleich mit dem Auslande, je nach dem Typus der Zeitungen. Art der Korrespondentenvergütungc und sonstige Kosten für die Stoffbeschaffung. Höhe der Honorare für Gelegenheitsmitarbeiter. Damit in Verbindung: Vergleich mit dem Auslande. IV. Art der Stoffbeschaffung.d 1. von außen her: Vor allem: a. Nachrichtendienst. Stellung der großen Agenturen. Geschäftliche Analyse der „Associated Press“,4 Havas, Reuter, Wolff5 usw. Ver3

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b A: Redakteurer  c A: Korrespondenzenvergütung  d A: Stoffbeschaffung! 28. März 1909 bat Max Weber Friedrich Naumann brieflich, ihm die „Rechnungen aus der Zeit der ‚Zeit‘ (Tages-Zeitung) […] im Interesse einer großen Arbeit, die ich über ‚Zeitungswesen’ anregen helfen möchte (Soziol[ogische] Gesellschaft) und wo natürlich von den materiellen Bedingungen auszugehen wäre“, zur Verfügung zu stellen (MWG II/6, S.  85). Zu den von Weber genannten Zahlen konnte nichts ermittelt werden, da die Unterlagen der „Zeit“ nicht überliefert sind. 3  Die Allgemeine Zeitung (A. Z.) wurde 1798 von Johann Friedrich Cotta in Tübingen zunächst unter dem Namen Neueste Weltkunde als überregionale, liberale Tageszeitung gegründet. Noch im selben Jahr wurde sie in Allgemeine Zeitung umbenannt und ihr Erscheinungsort nach Stuttgart verlegt. 1803 zog die Zeitung wegen der strengen württembergischen Zensur nach Ulm um, als auch das 1810 württembergisch wurde, nach Augsburg. Gestützt auf ein weitverzweigtes Korrespondentennetz und Autoren wie Heinrich Heine, Ludwig Börne und Karl Gutzkow entwickelte sich die Allgemeine Zeitung im Vormärz zu einer der bedeutendsten deutschen Tageszeitungen. Seit 1882 erschien sie in München. Nach dem Tod Karl v. Cottas 1888 wurde der Verlag, seit 1889 unter der Bezeichnung „J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger“, erst von Adolf und Paul Kröner und ab 1911 von Robert Kröner weitergeführt. 1907 wurde das Blatt an den Scherl-Konzern verkauft, ab 1908 erschien es nur noch wöchentlich. 4  Im Gegensatz zu den europäischen Presseagenturen Havas, Reuter und Wolff (vgl. die nachfolgende Anm.), die Privatfirmen waren, war die amerikanische Associated Press (AP) ein Zusammenschluß von Zeitungsverlegern mit genossenschaftlicher Ausrichtung. Sie wurde 1848 in New York von sechs Zeitungsverlegern gegründet, mit dem Ziel, internationale Nachrichten zu sammeln, um die erheblichen Kosten der telegraphischen Nachrichtenübermittlung zu minimieren. Unter der Führung von Melville E. Stone, dem Begründer der Chicago Daily News, wurde die AP 1900 modernisiert und zu einer „Not-for-profit-cooperative“ ausgebaut. Der genossenschaftliche Charakter begründete die finanzielle und damit auch die politische Unabhängigkeit der AP. Vgl. Weber, Vorbericht, unten, S.  214, 220. 5 Der Besitzer der Berliner National-Zeitung, Bernhard Wolff, gründete 1849 nach Freigabe des Telegraphen für private Nachrichten das „Telegraphische Correspondenz-Bureau (B. Wolff)“, um mit anderen Berliner Zeitungen und Privatleuten die Mel-

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gleich untereinander nach relativer Bedeutung innerhalb des Nachrichtendienstes und deren Entwicklung.  b. Feuilleton- und Beilagen-Fabriken, geschäftlich zu analysieren und nach Provenienz ihres Stoffs zu untersuchen. – Ebenso alle sonstigen Klischee-Gewerbe für die Presse, insbesondere c. Partei- und andere politische „Korrespondenzen“, zunächst wieder geschäftlich, nach Kosten, Art und Versorgung mit Stoff und Art der Leitung und politische Beeinflussung. Speziell ferner: d. amtliche und offiziöse Stoffbeschaffung, alle Stufen und Formen, in denen sie auftreten, unter Vergleich mit dem Ausland zu analysieren. e. Gesondert endlich: Herkunft, Kosten, Eigenart der Handels­ nachrichten.e 2. innerer Dienst und Art der Stoffverteilung. a. Frühere und heutige Rolle des „Leitartikels“, Vergleich mit dem Auslandef (Amerika, England, Frankreich), Entwicklungstendenzen. b. Mehrfache tägliche Ausgaben der großen Zeitungen. Geschäftlicher Grund und Unterschiede gegenüber der Ein-Ausgaben-Praxis des Auslandes. Einfluß dieser Unterschiede auf Kosten und sonstige geschäftliche Bedingungen der Zeitungspraxis. Art der Stoffverteilung unter die mehreren täglichen Ausgaben. Gründe des Vordringensg der Abendblätter bei uns, Zustand des Auslandes in dieser Hinsicht.

e A: Handelsnachrichten!  f A: Auslande,   g A: Vorbringens dungen über Börsenkurse aus Paris und London zu beziehen und an andere Zeitungen weiterzuverkaufen. Im Lauf der Zeit wurden die Börsennachrichten durch politische Nachrichten ergänzt. Das Wolffsche Büro zog andere Gründungen in Bremen, Frankfurt, Hannover, Dresden und Leipzig nach. Vorbild war das Büro des Franzosen Charles Havas, das 1835 in Paris gegründet worden war. 1850 organisierte Paul Julius Reuter, ein ehemaliger Mitarbeiter von Havas, in Brüssel einen Nachrichtendienst zwischen Aachen und Brüssel, zunächst noch mit Brieftauben. Nachdem 1851 ein Unterseekabel zwischen Calais und Dover verlegt worden war, ließ sich Reuter in London nieder. Ab dem Ende der 1850er Jahre bestanden zwischen Wolff, Havas und Reuter Abkommen über den gegenseitigen Austausch von Nachrichten. Nach dem Kartellvertrag vom 1. Februar 1870 berichtete Reuter über Großbritannien und Ostasien, Havas über die romanischen Länder und Wolff über das Deutsche Reich, dessen Kolonien sowie Nord- und Osteuropa. Seit 1865 war das „Wolffsche Telegraphenbureau“ eine offiziöse Institution unter direkter Kontrolle der preußischen Regierung.

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c. „Amerikanismus“ im Zeitungswesen,6 bezüglich der Stoffverteilung und der relativen Bedeutung der einzelnen Zeitungs-Rubriken. Genaue Analyse der geschäftlichen Eigenart amerikanischer Zeitungen, Eindringen dieser Eigenart bei uns, Grund warum, oder eventuell Grund warum nicht. d. Art der Stoffverteilung innerhalb des Personals: Mittel der Aufrechterhaltung der „Einheitlichkeit“ in der Haltung der Zeitung (Redaktionskonferenzen pp.) Arth der Zentralisierung der Leitung der Zeitung. 3. Annoncendienst und Annoncen-Acquisition. Analyse der geschäft­ lichen Seite der großen Annoncenunternehmungen. Möglichkeit der Abschätzung der Annoncenwirkung. (Grundlagen der s. Z. erörterten  Scherl’schen Pläne gegenüber dem Postgeheimnis).7 Entwicklung spezifischer Annoncenzeitungen. Analyse des i„Lokal-Anzeiger“-Typusi.8 Gründe des Vordringens dieses Typus. Verh  In A folgt: und 〈Maß〉    i–i A: „Lokal-Anzeiger“Typus   6  Das Stichwort umschreibt die Kommerzialisierung des Zeitungsgeschäftes, die plakative Aufmachung der Zeitung und die entsprechenden redaktionellen Veränderungen. Obwohl diese Entwicklung in Deutschland erst während des Ersten Weltkrieges einsetzte, wurde bereits um 1910 unter „Amerikanismus“ die Verdrängung der „anständigen“ Parteipresse durch ein „großkapitalistisches Zeitungsunternehmertum“ verstanden und die starke Beeinflussung der Leser durch das Inseratenkapital beklagt. Man befürchtete, daß in einer noch weiter amerikanisierten Presse schließlich alles, vom Leitartikel bis zur Lokalnotiz, zu kaufen wäre. Vgl. Hammer, Walter, Die Generalanzeiger-Presse ein Herd der Korruption, 3.  Aufl. – Leipzig: Dr. Hugo Vollrath 1912, S.  11. Mit der Formulierung „‚Amerikanismus’ im Zeitungswesen“ umriß Weber ein Forschungsthema, das von der zeitgenössischen Literatur zwar bereits angesprochen, aber noch nicht ausgeführt worden war. Vgl. Löbl, Kultur und Presse, S.  153 f. Erst Emil Dovifat behandelte das Thema in seiner Karl Bücher gewidmeten Arbeit ausführlich. Vgl. Dovifat, Emil, Der Amerikanische Journalismus. – Berlin und Leipzig: Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart 1927, sowie Groth, Otto, Die Zeitung. Ein System der Zeitungskunde (Journalistik), 1.  Band. – Mannheim, Berlin, Leipzig: J. Bensheimer 1928, S.  343–349. 7  Die Kunden bestellten und bezahlten ursprünglich ihre Zeitung bei der Reichspost. Diese gab den Zeitungsunternehmen nur die Zahl der bestellten Exemplare, nicht aber Namen und Wohnort ihrer Besteller an. Der Vertrieb erfolgte durch Spediteure der Reichspost. Der Zeitungsverleger August Scherl (1849–1921), der 1883 in Berlin ein neues Wochenblatt, den Berliner Lokal-Anzeiger, begründete, umging dieses Postgeheimnis, indem er allen im Berliner Adressbuch aufgeführten Haushalten ein Exemplar des Berliner Lokal-Anzeigers durch eigene Träger zustellen ließ. Diese nahmen dann die Abonnements entgegen und wurden so zum Bindeglied zwischen Verlag und Leser. Vgl. Weber, Vorbericht, unten, S.  218, Anm.  18. 8  Der General- oder Lokalanzeiger war im Gegensatz zu den Nachrichten- und programmgebundenen Zeitungen (zur Klassifikation Max Webers vgl. Weber, Vorbericht,

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gleiche mit dem Auslande (z. B. auch Unterschied je nach mehr oder minder vorherrschendem Einzelverkauf?)[.] V. Einnahmen der Zeitung. Entwicklung der Größe der Auflage und des Maßes des Annoncierens. Schranken des Annoncierens und Tendenz zum Ersatz desselben (Annonce und Plakat, Zeitungs- und Fachzeitschriften-Annonce)j. Durchrechnung einiger zeitlich auseinanderliegender Jahrgänge typischer großer und kleiner Zeitungen nach Raumumfang oder nach der Art des Bedarfs, dem die Annonce dient, zur Feststellung von Entwicklungstendenzen. Rentabilität der Annoncenkategorien. Speziellk zu erörtern: Arbeits-, Miets- und Heiratsannoncen. Endlich auf Grund aller dieser Feststellungen: VI. Konkurrenzl und Monopol auf dem Gebiete der Presse. Aufkäufe von Zeitungen durch andere (z. B. „Kreuzzeitung“)9, Arten und Mittel der Konkurrenz. Faktische Monopolpositionen der einmal bestehenden Zeitungen: Maximum in Amerika (wegen

j  Schließende Klammer fehlt in A.   k A: speziell  l A: Konkurrenzunten, S.  218) ein anzeigenbetonter Zeitungstyp, der von der raschen industriellen Entwicklung und der damit einhergehenden Ausweitung der wirtschaftlich orientierten Presse profitierte. Um Anzeigenkunden zu gewinnen, wurde der durch Anzeigen finanzierte Generalanzeiger zeitweise gratis verteilt. Nach einer Frist folgte dann die Umstellung auf Abonnements mit monatlicher Zahlung sowie die Koppelung an eine Versicherung für die Abonnenten. Das Vorbild stammt aus Frankreich, wo Emile de Giradin (1806–1881) 1836 mit La Presse das Muster einer billigen, durch Anzeigen finanzierten Zeitung geschaffen hatte, und aus den USA, wo James Gordon Bennett (1795–1872) seit 1835 mit dem New York Herald etwas ähnliches versuchte. In Deutschland etablierte sich seit 1845 der Leipziger Generalanzeiger als die älteste Zeitung dieser Art, wirklichen Erfolg hatte aber erst der von August Scherl ab 1883 herausgegebene Berliner Lokal-Anzeiger. Seit 1885 erschien das Blatt wöchentlich mit einer Auflage von 150.000 Exemplaren zu einem monatlichen Bezugspreis von einer Mark. Der redaktionelle Teil enthielt Nachrichten aus aller Welt. Das Hauptgewicht lag auf den Lokalnachrichten. Der Inhalt des Blattes war auf die Bedürfnisse der breiten Leserschichten abgestimmt. 9  Gemeint ist die 1848 in Berlin gegründete Tageszeitung Neue Preußische Zeitung. Wegen ihres von dem Wahlspruch „Vorwärts mit Gott für König und Vaterland“ eingerahmten Eisernen Kreuzes im Titelkopf wurde sie auch Kreuzzeitung genannt. Seit 1911 führte sie diesen Namen im Titel (Neue Preußische Kreuzzeitung). Die Kreuzzeitung war Organ der evangelischen Hochkonservativen. Mitarbeiter waren u. a. Otto von Bismarck und Theodor Fontane. Im März 1891 wurde das Deutsche Tageblatt von der Kreuzzeitung aufgekauft und am 1. April 1891 aufgelöst. Vgl. Bussiek, Dagmar, „Mit Gott für König und Vaterland!“. Die Neue Preußische Zeitung (Kreuzzeitung) 1848–1892. – Münster: LIT Verlag 2002, S.  272.

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der – zu analysierenden – Wirkung der im Besitz der bestehenden Blätter befindlichen mAssociated Pressm im Nachrichtendienst). Grad der Zurückdrängung der Konkurrenz durch das Monopol bei uns. Geringere Bedeutung der monopolistischen Position der einmal bestehenden Blätter bei herrschendem Einzelverkauf? In welchem Maße bedeutet herrschender Einzelverkauf überhaupt: stärkeren Wechsel der gelesenen Zeitung durch das Publikum, günstigere Chancen neu entstehender Blätter oder qualitativ sich verbessernder Blätter? Konkurrenz der Zeitungstypen: Gründe des Untergangs z. B. nvon Typen wie:n „Allgemeine Zeitung“, in Konkurrenz mit den Münchner Neuesten Nachrichten10 usw. Wie weit wirken rein geschäftliche, wie weit ideelle (politische u. andere) Gründe?o Welche Typen (nach Stoffgehalt usw.) siegen? Tendenzen zur regionalen Monopolisierung der politischen Information (z. B. Position der „Frankfurter Zeitung“ in Süddeutschland:11

m A: Press-Association  n  Zu erwarten wäre: eines Typus wie   o A: Gründe. 10  Die Münchner Neuesten Nachrichten wurden 1848 von einem Werkmeister einer Druckerei, der sich einen Nebenerwerb schaffen wollte, herausgebracht. Die Zeitung enthielt zunächst eine Zusammenstellung von Nachrichten aus fremden Blättern und Anzeigen. 1864 kaufte Julius Knorr die Zeitung und stellte sie unter die Leitung des Publizisten August Vecchioni. Unter der Verlegerschaft von Georg Hirth, dem Schwiegersohn Knorrs, entwickelten sich die Münchner Neuesten Nachrichten zu einem weit über die deutschen Grenzen hinaus bekannten, liberalen Blatt, das auch in Österreich und Italien Absatz fand. Mit der 1908 erfolgten Umwandlung der Allgemeinen Zeitung in ein Wochenblatt und dem Wechsel ihres Chefredakteurs Martin Mohr zu den Münchner Neuesten Nachrichten setzte der Niedergang der Allgemeinen Zeitung ein. Zu deren Geschichte oben, S.  143, Anm.  3. 11  1856 gründeten die Bankiers Leopold Sonnemann und H. B. Rosenthal den „Frankfurter Geschäftsbericht“. Das Blatt brachte informierende Artikel über die Aktienmärkte, verbunden mit den telegraphischen Berliner Börsenberichten. Sonnemann wollte damit der Spekulation entgegentreten und sich für die Seriosität des deutschen Aktienwesens einsetzen. Bereits einen Monat nach der Gründung erschien das Blatt unter dem Namen Frankfurter Handelszeitung. 1859 übernahm der Journalist und Volkswirt Max Wirth die Redaktion. Er erweiterte das Handels- und Wirtschaftsblatt um einen allgemeinen und politischen Teil, dessen politische Ausrichtung Sonnemann bestimmte. Das Blatt galt von nun an als fortschrittliche, politische Zeitung, 1866 wurde sie in Frankfurter Zeitung umbenannt. Im Wettbewerb der überregionalen, außerhalb Berlins erscheinenden Tageszeitungen führten die Münchner Neuesten Nachrichten seit der Jahrhundertwende mit einer Auflage von 98.000 (1901). Damit ließen sie die für den süddeutschen Raum wichtigen Zeitungen wie Frankfurter Zeitung oder Kölnische Zeitung weit hinter sich. Vgl. Heenemann, Horst, Die Auflagenhöhen der deutschen Zeitungen. Ihre Entwicklung und ihre Probleme, Diss. Leipzig 1929, S.  84 f.

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Fehlenp  oder Rückgang aller anderen großen Organe selbst in den süddeutschen Residenzen. Gründe?)[.] B. Die Zeitungsgesinnung. I. Die Beeinflussung der Gesinnung der Zeitung von außen her 1. Grad des Gebundenseins der formal „freien Zeitung“ an ihre Tradition. Vergleiche mit dem Ausland. Mittel dieser Bindung: Durch die Besitzer oder Aktionäre (cf. A I),12 durch die Käufer, durch offiziöse und ähnliche Einflüsse. Vordringen der gesinnungslosen Zeitung. Analyse des Typus „Tägliche Rundschau“13 und ähnlicher. Spezielle Analyse des Handelsteiles in bezug auf die Provenienz der Information und desq Urteiles, unter Vergleich mit dem Ausland. Verhältnis zu den Banken und anderen Interessenten als Informationsquellen. Gesinnungswandel großer Zeitungen. In welchem Maße empfangen die Zeitungen private und spontane Zuschriften ihrer Leser, oder welche andere Mittel der Fühlung mit dem Leserkreise wenden sie an? 2. Die „unfreie“ Zeitung. a) Katholische Presse. Art ihrer Gründe, Finanzierung, Leitung und Beeinflussung, Grund (und Schwanken) der relativen Selbständigkeit einzelner Blätter:Analyse der Typen „Kölnische Volkszeitung“14 einerseits, der „Kaplanspresse“15 andererseits. Provenienz der Redakteure. Machtverteilung zwischen Presse, Organisationen und

p A: Fehler  q  Fehlt in A; des sinngemäß ergänzt. 12  Oben, S.  142. 13  Die Tägliche Rundschau wurde 1881 von Bernhard Brigl in Berlin gegründet. Das Blatt verstand sich anfangs als reines Unterhaltungsblatt, als „Zeitung für Nichtpolitiker, zugleich ein Ergänzungsblatt zu den politischen Organen jeder Partei“, und widmete sich der Kunst, Literatur und Musik. Später neigte es der Nationalliberalen Partei zu. 14 Die Kölnische Volkszeitung wurde 1860 unter dem Titel „Kölnische Blätter“ von Josef Bachem, einem katholischen Buchhändler und Buchdrucker, gegründet. Das Blatt sollte eine katholische, aber politisch unparteiische Zeitung sein. Bald entwickelte es sich zu einer der führenden katholischen Zeitungen Deutschlands. Während des Kulturkampfes setzte es sich für die Zentrumspartei ein. 15  Im Kulturkampf entstandene Bezeichnung für die Verbandspresse des politischen Katholizismus. Prominentester „Preßkaplan“ war der Priester und Publizist Georg Friedrich Dasbach, der von seinen Gegnern „Centrums-Scherl der Rhein-Provinz“ genannt wurde. Vgl. Fohrmann, Ulrich, Trierer Kulturkampfpublizistik im Bismarckreich. – Trier: Paulinus Verlag 1977, S.  5.

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offiziellen Kirchengewalten. Vergleich mit dem Auslander (Amerika, Frankreich, Österreich). b) Sozialdemokratische Presse. Besonderheiten ihrer Existenzbedingungen. Offizielle und faktische Beziehungen zur Parteileitung, zu lokalen Parteigruppen, zu Gewerkschaften und andren Interessenten. Provenienz und Brevier sozialdemokratischer Redakteure. Faktische Monopole (Vorwärts)16 und Machtverteilung innerhalb der Presse und zwischen Presse, Organisationen, Interessenten und „Intellektuellen“. c) Interessentenpresse: „Deutsche Tageszeitung“17 und ähnliche.  Verhältnis der politischen Parteien zur freien Presse. Faktische Machtverteilung in den einzelnen Parteien. II. Produktion öffentlicher Meinungen durch die Presse. 1. Vergleichende Analyse der Art der Zeitungslektüre im Auslands (z. B. Amerika, Frankreich) und bei uns. 2. Quantitative Vergleichung der Zeitungslektüre (hierfür besonders Analyse der Lokalblätter bei uns und im Auslande)t, im Süden, Osten und Westen Deutschlands. 3. Welche andere Lektüre-Objekte verdrängt die Presse?u (Klassisches Beispiel, Rußland vor und nach Gewährung der – relativen – Preßfreiheit. Verdrängung der Zeitschriften, Umwälzungen in der Art der Lektüre.)18 r A: Auslande.  s A: Ausland,  t  Schließende Klammer fehlt in A.   u A: Presse: 16  Bei Erlaß des Sozialistengesetzes 1878 existierten 42 politische Zeitungen, die der SPD nahestanden. Zusammen mit dem Unterhaltungsblatt „Die neue Welt“ hatten sie etwa 100.000 Abonnenten. Fast alle mußten unter dem Sozialistengesetz ihr Erscheinen einstellen. Nach dessen Fall 1890 bediente sich die Sozialdemokratische Partei fortan des größten Lokalblattes, des 1884 auf Veranlassung der Parteileitung gegründeten Berliner Volksblattes. Auf dem Parteitag in Halle 1890 wurde es offiziell der Partei zur Verfügung gestellt und trug vom 1. Januar 1891 an den Namen: Vorwärts, Berliner Volksblatt, Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Damit knüpfte es an den von 1876–1878 bestehenden und von Wilhelm Liebknecht und Wilhelm Hasenclever redigierten Vorwärts an. Die Kontrolle des Blattes wie die Anstellung oder Entlassung der Redaktionsmitglieder lag in den Händen des Parteivorstandes sowie einer von den Berliner Sozialdemokraten gewählten sog. Presskommission. Vgl. Groth, Otto, Die Zeitung. Ein System der Zeitungskunde (Journalistik), Band 2. – Mannheim, Berlin, Leipzig: J. Bensheimer 1929, S.  400–418. 17  Die Deutsche Tageszeitung wurde 1894 vom „Bund der Landwirte“ gegründet, um deren Interessen zu vertreten, vor allem in der Zollpolitik. Sie entwickelte sich zu einer der großen politischen Tageszeitungen Deutschlands. 18  Weber spielt hier auf die Lockerung der Zensurmaßnahmen durch das „Manifest vom 17. Oktober 1905“ an. Damit und mit den erneut einsetzenden Zensurmaßnah-

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4. Zu welcher Art von Lektüre erzieht die Presse? (Klassisches Beispiel: „Magazine“-Wesen in Amerika)v.19 Maß und Art des Parallelismus und Antagonismus von Zeitungsund anderer Lektüre. 5. Art der Ansprüche an den Inhalt der Presse je nach Geschlecht, Beruf, sozialer Schicht im In- und Auslande (u. a.: die wissenschaftlichen und kritischen „Beilagen“ im Vergleich mit den wissenschaftlichen Fachorganen). Das „Briefkasten-Wesen“20 der Zeitungen und seine „Kultur“. 6. Das Maß der Diskretion der Presse. Analyse der Schund- und Revolverpresse an Beispielen.  A (6)

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Art der Bearbeitung. Zur Fragebogenbearbeitung würden sich wohl nur einige Partien sub A, ferner B II21 eignen. Fast alles andere müßte der Enquête durch ausgewählte Mitarbeiter überlassen werden. In erster Linie käme für die grundlegenden statistischen Unterlagen wohl Dr. Hjalmar Schacht in Betracht, der unbedingt seine jetzt 10 Jahre alte Arbeit (bei Conrad)22 abermals und unter Heranziehung z. B. v  Schließende Klammer fehlt in A. men im „‚zeitweilige[n] Reglement über die Presse’ vom 24. November (7. Dezember) 1905“ hatte er sich ausführlich in seiner Schrift „Rußlands Übergang zum Scheinkonstitutionalismus“ (MWG I/10, S.  281–680, bes. S.  321) auseinandergesetzt. Infolge der neuen Pressefreiheit wurde Rußland von Flugblättern, Zeitungen und Zeitschriften regelrecht überschwemmt. In Sankt Petersburg wurden innerhalb von acht Wochen 400 neue Blätter angekündigt. Vor allem liberale Blätter erzielten nun hohe Auflagen. Der bis dahin bestehende Absatz illegaler, vor allem im Ausland hergestellter Presseerzeugnisse brach zusammen. Vgl. Kluge, Ernfried, Die russische revolutionäre Presse in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. – Zürich: Artemis 1948. 19  Als „Magazin“ wurde eine monatlich oder vierteljährlich erscheinende Zeitschrift mit einem großen Mitarbeiterkreis bezeichnet, die ihr Lesepublikum auf unterhaltsame (mit Erzählungen und Illustrationen) oder wissenschaftliche Weise (mit Aufsätzen) anspricht. Der Begriff stammt aus dem Arabischen („machzin“ = Vorratshaus). Als Erfinder des Magazins gilt William Randolph Hearst, der um 1900 mit dem Sunday Supplement, das dem New York Journal beilag, mit Pulitzers New York World konkurrieren wollte. 20  Zur Förderung eines engen Leser-Blatt-Verhältnisses unterhielten die Familienzeitschriften eine „Briefkasten“ genannte Rubrik, in der Leserbriefe und Antworten der Redaktion abgedruckt wurden. 21  Oben, S.  148 f. 22  Gemeint ist: Schacht, Statistische Untersuchungen, die 1898 erschienen waren.

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der Fragen sub A I,23 und wenn er Neigung hat, möglichst noch andere, für die Gegenwart machen sollte. Die Änderungen seit 1897 sind sicher enorme. Kosten müßte man ihm im vorweg ersetzen. (Subskription nach meinem Vorschlage). Ferner wären m. E. die Herren Dr. Wettstein-Zürich, Prof. von Wenckstern-Breslau und Prof. Thiess-Danzig anzugehen, ob sie etwas und was sie eventuell zu übernehmen geneigt wären. Die vorliegenden Zeitungsgeschichten (Kölnische, Allgemeine, Schlesische, Frankfurter, Schwäbischer Merkur etc.)24 wären heranzuziehen. In das Arbeitscommittee würde man wohl jedenfalls außer Brunhuber auch Jastrow (die beste Analyse des Scherl’schen Geschäftsgebahrens25 hörte ich einmal in einer Diskussion von ihm) und Naumann (hat recht erhebliche Erfahrungen)[,] ferner möglichst Friedrich Dernburg, Frentzelw (beide speziell auch für die Entwicklung des Feuilletons) heranziehen müssen, wenn sie irgend zu haben sind. Für den Handelsteil würde meines Erachtens Bernhard (Plutus) Unersetzliches leisten können, u. a. für die Bankbeziehungen (NB. wenn er will!). Für Kritik und Qualität der Handelsberichterstattung wäre eventuell Dr. Meerovichx (hier)26 mit zu brauchen, der sie sehr genau studiert hat. Die Zerlegung und Verteilung der Arbeit könnte m. E. erst, nachdem man weiß, welche Persönlichkeiten aktiv mitmachen,

w A: Frenzel  x A: Meyerowitsch 23  Oben, S.  142. 24 Über diese, von Weber genannten Zeitungen existierten bereits Monographien: Cardauns, Hermann, Fünfzig Jahre Kölnische Volkszeitung. – Köln: Bachem 1910; Dieudonné, Franz, Die Kölnische Zeitung und ihre Wandlungen im Wandel der Zeiten. – Berlin: Hermann Walther 1903; Heyck, Eduard, Die Allgemeine Zeitung 1798–1898. Beiträge zur Geschichte der deutschen Presse. – München, Leipzig: E. F. Steinacker 1898; Weigelt, Carl, 150 Jahre Schlesische Zeitung. Ein Beitrag zur Schlesischen Kulturgeschichte. – Breslau: Wilhelm Gottlieb Korn 1892; Geschichte der Frankfurter Zeitung 1856–1906, hg. vom Verlag der Frankfurter Zeitung. – Frankfurt a. M.: Osterrieth 1906; Elben, Otto, Geschichte des schwäbischen Merkurs. – Stuttgart: Neff 1885. 25  Zum Zeitungsverleger August Scherl und seinem Wochenblatt Berliner Lokal-Anzeiger vgl. oben S.  145, Anm.  7, und S.  145 f., Anm.  8. Auf welchen Diskussionsbeitrag von Ignaz Jastrow Max Weber hier anspielt, konnte nicht ermittelt werden. Beide waren Mitglieder des Vereins für Socialpolitik und der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. 26  Gemeint ist wohl Gregor Meerovich.

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Disposition für eine Untersuchung des Zeitungswesens

unternommen werden. Für die sozialdemokratische Presse vielleicht Dr. yMichels-Turin.y27

y A: Michels-Turin! 27  Robert Michels geht in seinem Aufsatz „Die deutsche Sozialdemokratie“, in: ­AfSSp, Band 23, 1906, S.  471–556, am Rande auch auf die sozialdemokratische Presse ein (ebd., S.  471, 530 f.). Von den Kandidaten erklärten sich offenbar nur Robert Michels, Hjalmar Schacht und Oskar Wettstein zu einer Mitarbeit bereit. Vgl. die Mitarbeiterliste, die Weber seinem Brief an Hermann Beck, vor dem 16. Febr. 1911, MWG II/7, S.  98 f., beilegte.

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[Über Ausrichtung und Vorgehen der Deutschen Gesellschaft für Soziologie]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Als (provisorischer) Ausschußvorsitzender der DGS versandte Max Weber im Juni 1909 einen von ihm unterzeichneten Rundbrief, mit dem er für die neu gegründete Deutsche Gesellschaft für Soziologie warb. Diesem Brief lagen die „Einladung zum Beitritt zu der am 3. Januar 1909 in Berlin gegründeten ‚Deutschen Gesellschaft für Soziologie‘“ und ein Beitrittsformular bei. Bei der Gründung der DGS am 3. Januar 1909 wurden gemäß den „Satzungen“1 ein Vorstand, bestehend aus fünf Personen, und ein Vorsitzender des Ausschusses gewählt. Dem Vorstand gehörten an: Hermann Beck (Schriftführer), Heinrich Herkner, Georg Simmel, Ferdinand Tönnies und Al­fred Vierkandt.2 Der Ausschuß, ein zwischen Vorstand und Mitgliederversammlung stehendes Organ der DGS, hatte – laut „Einladung zum Beitritt“ von 19093 – zu diesem Zeitpunkt 33 Mitglieder, darunter Max Weber. Als Ausschußvorsitzender wurde zunächst Kurt Breysig gewählt. Aufgrund eines Einspruchs von Ferdinand Tönnies, den der Vorstand in seiner Sitzung am 30. Januar 1909 akzeptierte, mußte diese Wahl wiederholt werden. Sie wurde schriftlich durchgeführt. Es beteiligten sich 16 Ausschußmitglieder. Dabei erhielt Max Weber die meisten Stimmen.4 Bis zur außerordentlichen Mitgliederversammlung am 14. Oktober 1909 in Leipzig agierte er als (provisorischer) Ausschußvorsitzender. Dieses Amt wurde dann auf sein Betreiben hin abgeschafft und statt dessen das Amt des Rechners neu eingeführt. In Leipzig wählte man auf der Grundlage des inzwischen geänderten Statuts5 1  Vgl. §  6 der Satzungen, abgedruckt als Teil der Einladung zum Beitritt zu der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Berlin, 17. Januar 1909, S.  5–7, hier S.  6, überliefert in: GStA PK, VI. HA, Nl. Werner Sombart, Nr.  18b (hinfort: Berliner Statut), abgedruckt in Anhang II, unten, S.  858. 2 Die Namen sind im Anschluß an die Einladung zum Beitritt (wie vorhergehende Anm.), S.  3, angeführt. 3  Vgl. den von Max Weber mitunterzeichneten Aufruf zum Beitritt, unten, S.  824–830. 4  Vgl. dazu die Einladung von Hermann Beck vom 4. März 1909 (SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.2.11). 5  Vgl. Statut der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, überliefert als Beilage zum Brief an Wilhelm Windelband vom 29. Mai 1910, abgedruckt in: MWG II/6, S.  548–553, ebenso in Anhang II, unten, S.  859–863.

154 Über Ausrichtung und Vorgehen der Deutschen Gesellschaft für Soziologie

anstelle des Vorstands mit fünf Personen drei Vorsitzende (Ferdinand Tönnies, Georg Simmel und Werner Sombart).6 Diese kooptierten vier weitere Personen (Hermann Beck, Alfred Julius Ploetz, Alfred Vierkandt und Max Weber), so daß der Vorstand aus insgesamt sieben Mitgliedern bestand. Zudem wurde Max Weber mit dem neu geschaffenen Amt des Rechners betraut. Auch nach seinem Austritt aus dem Vorstand im Januar 1911 führte er dieses Amt provisorisch weiter. Der Rechner hatte außer der Pflicht der Rechnungsprüfung auch das Recht der Teilnahme an den Sitzungen des Vorstands und der Ausschüsse.7 Weber legte dann auch dieses Amt nieder und trat schließlich im Januar 1914 aus der Gesellschaft aus. Außer der Funktion Max Webers in der DGS und der gedruckten Datumsangabe „Juni 1909“ sind keinerlei Hinweise auf die Entstehung des Rundbriefes bekannt. Auch eine Adressatenliste ist nicht erhalten. Vorangegangen sind allgemeiner gehaltene Beitrittsaufrufe vom Dezember 19088 und vom Januar 1909, die Max Weber mitunterzeichnet hat.9

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Zum Abdruck gelangt ein dreiseitiger gedruckter Text, der sich im BA Koblenz, Nl. Lujo Brentano, Nr.  67, Bl. 89–91 (A), befindet. Die erste Seite versah Weber mit dem handschriftlichen Zusatz „für Lujo Brentano“.10 Der hier gedruckte Text weist zwei handschriftliche Änderungen von fremder Hand auf. Da eine der beiden Änderungen einen Druckfehler betrifft, wird diese ohne Nachweis übernommen. Die andere ist sachlich falsch und bleibt unberücksichtigt. Hervorhebungen in der Textvorlage sind im allgemeinen gesperrt, bei der Anrede jedoch kursiv und bei der ersten Nennung der „Deutschen Gesellschaft für Soziologie“ sowie der Unterschrift fett gedruckt. Alle Hervorhebungen werden hier einheitlich kursiv wiedergegeben. Eckige Klammern in der Textvorlage werden stillschweigend in runde

6  Vgl. dazu §  12 des Leipziger Statuts, unten, S.  861, sowie die Einladung zur außerordentlichen Mitgliederversammlung der DGS am 14. Oktober 1909 mit Hinweis auf den Tagesordnungspunkt Nr.  3, Wahl des Vorstandes (SHLB Kiel, Nl. Ferdi­nand Toennies, Cb 54.61:1.2.11). Ein Protokoll dieser Sitzung ist im Nl. Toennies nicht nachgewiesen. 7  Vgl. §  33 des Leipziger Statuts, unten, S.  863. 8  Vgl. Weber, Einladung zum Beitritt 1908, unten, S.  819–823. 9  Vgl. Weber, Einladung zum Beitritt 1909, unten, S.  824–830. 10  Der speziell an Brentano gerichtete Begleitbrief ist unter den Briefen Max Webers ediert. Vgl. das Schreiben Max Webers an Lujo Brentano vom Juni 1909, MWG II/6, S.  138.

Editorischer Bericht

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Klammern umgewandelt. Die Einladung ist überschrieben mit „Hochgeehrter Herr“ und schließt mit „gez. Prof. Max Weber“. Der Titel ist vom Editor gebildet und in eckige Klammern gestellt. Die Archivpaginierung wird marginal als A 89 etc. mitgeführt.

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[Über Ausrichtung und Vorgehen der Deutschen Gesellschaft für Soziologie] Heidelberg, Juni 1909.

[A 89]

Hochgeehrter Herr! Beifolgend gestatte ich mir, Ihnen die Einladung zum Beitritt zu der in Berlin gegründeten „Deutschen Gesellschaft für Soziologie“ zu übersenden,1 aus welcher Sie sowohl deren allgemeinen Zweck, wie den derzeitigen (provisorischen) Bestand des Vorstandes und des Ausschusses,2 und die für die Gesellschaft hauptsächlich in betracht kommenden Arbeitsgebiete ersehen wollen. Indem ich noch bemerke, daß die Wahl eines Vorsitzenden der Gesellschaft – voraussichtlich aus den in Berlin wohnenden, derzeitigen Vorstandsmitgliedern3 – definitiv in der nächstjährigen Mitgliederversammlung vorgenommen werden soll,4 und daß den Vorsitz im Ausschusse vorläufig ich übernommen habe,5 diese Stellung jedoch abzugeben gedenke, sobald die Arbeiten der Gesellschaft vorläufig in die Wege geleitet sind, gestatte ich mir, über die für die nächste Zeit beabsichtigte Art des Vorgehens den Ausführungen der „Einladung“6 noch folgendes hinzuzufügen: 1  Vgl. Weber, Einladung zum Beitritt 1909, unten, S.  824–830. 2  Zur Organisation der DGS Mitte 1909 und der Funktion Max Webers als Ausschußvorsitzender vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  153 f. 3  In Berlin wohnten Hermann Beck, Heinrich Herkner, Georg Simmel und Alfred Vierkandt. 4  Das Berliner Statut §  12 und 13 sah zwei Vorsitzende vor: Einen Vorsitzenden des Vorstandes und einen des Ausschusses (vgl. unten, S.  859). Max Weber mahnt hier – wie auch in seinem Brief an Heinrich Herkner vom 7. April 1909 (MWG II/6, S.  90 f., hier S.  91) – die baldige Wahl eines Vorsitzenden des Vorstandes, also der Gesellschaft, an. Er wollte Herkner für dieses Amt gewinnen, der aber schließlich absagte. Auf der außerordentlichen Mitgliederversammlung der DGS am 14. Oktober 1909 in Leipzig wurde dann kein Vorsitzender des Vorstandes, sondern ein Dreiervorstand mit Ferdinand Tönnies, Georg Simmel und Werner Sombart gewählt. Vgl. dazu den Editorischen Bericht, oben, S.  153 f. mit Anm.  6, und MWG II/6, S.  91 f., Anm.  6. 5  Obwohl Weber aus gesundheitlichen Gründen keine Ämter übernehmen wollte (vgl. Brief Max Webers an Heinrich Herkner vom 29. März 1909, MWG II/6, S.  86–88, hier S.  86), nahm er seine im Frühjahr 1909 erfolgte Wahl zum provisorischen Ausschußvorsitzenden (nicht zu verwechseln mit dem Vorstandsvorsitzenden) überraschenderweise an. Vgl. dazu den Editorischen Bericht, oben, S.  153 mit Anm.  4. 6  Vgl. Weber, Einladung zum Beitritt 1909, unten, S.  824–830.

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Die Gesellschaft soll, dem ganzen Sinn ihrer Gründung nach, einen rein objektiv wissenschaftlichen Charakter haben. Es folgt daraus, daß jede Art von politischer, sozialpolitischer, sozialethischer oder irgend welcher sonstigen Propaganda für praktische Ziele oder Ideale innerhalb ihrer oder unter ihrem Namen ausgeschlossen sein muß.7 Sie darf sich nur in den Dienst der Erforschung von Tatsachen und ihrer Zusammenhänge stellen. Es wird s. Z. zu erörtern sein, ob es sich nicht empfiehlt, dies auch im Statut ausdrücklich festzulegen.8 Die wissenschaftlichen Ziele der Gesellschaft sollen gefördert werden: I. Durch die jährlichen, im Ort wechselnden, Soziologentage9 mit Vorträgen hervorragender Fachmänner über vorher durch den Ausschuß zu genehmigende, und wenn nötig und möglich, durch Publikationen (s. Nr. II) vorzubereitende Themata mit Diskussionen. Angesichts der in ihren methodischen Prinzipien sehr verschiedenen Richtungen in der Soziologie wird der nächstjährige Soziologentag voraussichtlich so gestaltet werden, daß möglichst jede der verschiedenen Methoden durch einen hervorragenden Vertreter an einem sachlichen Problem ihre Leistungsfähigkeit darzulegen Gelegenheit hat. II. Durch fortlaufende Publikationen, welche, ebenso wie die Stenogramme der Verhandlungen der Soziologentage, an die Mit7  Weber grenzt sich hier von Rudolf Goldscheid ab, der 1907 die „Soziologische Gesellschaft“ in Wien mitgegründet hatte. Diese Gesellschaft verfolgte in erster Linie praktische Ziele. Sie wollte Soziologie als Studienfach etablieren und das Fach in den Schulen als Bestandteil politischer Bildung aufwerten. 8  In §  1 des Berliner Statuts vom Januar 1909 ist der Zweck der DGS allgemein formuliert als „die Förderung der soziologischen Forschung und die Verbreitung soziologischer Kenntnisse“ (vgl. unten, S.  857). Dagegen betont §  1 des Leipziger Statuts, verabschiedet auf der außerordentlichen Mitgliederversammlung der DGS vom 14. Oktober 1909, viel stärker (durch Webers Statutenänderung) den wissenschaftlichen Charakter der DGS: „Ihr Zweck ist die Förderung der soziologischen Erkenntnis durch Veranstaltung rein wissenschaftlicher Untersuchungen und Erhebungen, durch Veröffentlichung und Unterstützung rein wissenschaftlicher Arbeiten und durch Organisation von periodisch stattfindenden deutschen Soziologentagen. Sie gibt allen wissenschaftlichen Richtungen und Methoden der Soziologie gleichmäßig Raum […].“ Vgl. unten, S.  860. 9 Dies wurde in §  1 des Leipziger Statuts festgeschrieben (vgl. die vorangehende Anm.). Der Erste Deutsche Soziologentag fand unter Webers Vorbereitung und Beteiligung vom 19. bis 22. Oktober 1910 in Frankfurt a. M., der zweite vom 20. bis 22. Oktober 1912 in Berlin statt.

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glieder verteilt werden, in ähnlicher Art, wie dies z. B. auf seinem Gebiet in mustergültiger Weise der „Verein für Sozialpolitik“ tut.10 Bezüglich dieser Publikationen gestatte ich mir zur vorläufigen Orientierung noch folgendes hinzuzufügen mit der Bitte jedoch, diese Bemerkungen als der Öffentlichkeit gegenüber durchaus vertraulich zu behandeln, da es sich hierbei um noch schwebende Projekte handelt, welche der Erörterung und Genehmigung durch den Ausschuß bedürfen. Je nach dem Thema würden offenbar zur Vorbereitung der Publikationen mehr oder minder umfangreiche Erhebungen erforderlich werden können. Die Kosten solcher Erhebungen und anderer statistischer oder sonstiger Vorarbeiten, Fragebogenversendungen,  Reisestipendien für systematische persönliche Nachfragen durch wissenschaftlich geschulte Bearbeiter, werden die aus den Mitgliederbeiträgen11 verbleibenden Überschüsse gewiß oft übersteigen. Es steht daher zur Erwägung, zur Deckung solcher voraussichtlicher Defizitea so vorzugehen: daß von den einzusetzenden Kommissionen zunächst detaillierte Arbeitspläne ausgearbeitet und, nach Begutachtung durch heranzuziehende Fachautoritäten und Gutheißung durch den Ausschuß, mit Angabe der voraussichtlichen ungedeckten Kosten zur Subskription an wissenschaftlich interessierte Korporationen, Verbände und bemittelte Privatleute in Zirkulation gesetzt werden. Von sachlichen Problemen, welche einer Erhebung und Bearbeitung durch die Gesellschaft unterzogen werden könnten, kommen für die nächste Zeit – wie ich, ebenfalls der Öffentlichkeit gegenüber vertraulich, hinzufügen kann –b, u. a. namentlich in Betracht: 1. Die Presse. Ausgehend von ihren rein geschäftlichen Existenzbedingungen und allen jenen zahlreichen gesellschaftlich bedingten Umständen, welche für die Art ihres Inhalts und ihrer Verbreitung maßgebend sind, dabei in steter Vergleichung der Verhältnisse in den Hauptkulturstaaten, würde eine solche Untersuchung natura A: Defizits  b  Gedankenstrich fehlt in A. 10 Der Verein für Socialpolitik zeichnete sich durch eine rege Publikationstätigkeit aus. Im Jahre 1908 lagen 126 Bände der „Schriften des Vereins“ vor. Vgl. Verzeichnis der Schriften des Vereins für Sozialpolitik, in: Boese, Verein, S.  305–322. 11  Der Mitgliedsbeitrag betrug 1909 jährlich mindestens 10 Mark, wie aus dem Berliner Statut 1909 (vgl. Berliner Statut §  2, unten, S.  857) hervorgeht.

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gemäß ausmünden müssen in die weit verzweigten Fragen nach der Art ihrer Einwirkung auf das gesellschaftliche Leben und auf die „Kultur“ im weitesten Sinne dieses Wortes. Es besteht begründete Aussicht, hervorragende Fachmänner für die Leitung dieser Untersuchung zu gewinnen, ebenso liegen Vorschläge zur Gestaltung des Arbeitsprogrammes vor,12 und es werden selbstverständlich vor allem die Vertreter der Presse aller Parteien um ihre Mitwirkung angegangen werden, sobald das Thema und ein provisorisches Programm von dem im Herbst zusammentretenden Ausschuß genehmigt sein und die für die Vorarbeit erforderlichen Geldmittel gesichert erscheinen werden. 2. Das Vereinswesen, ausschließlich der bereits von anderen Seiten behandelten[,] rein wirtschaftliche Interessen verfolgenden Vereinigungen (wie: Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und ähnliche), im übrigen jedoch von den rein geselligen Vereinigungen beginnend bis hinauf zu den politischen Parteien. In international vergleichender Darstellung wären die Vereine nach statistischer Bedeutung, Art der formalen Organisation und der soziologischen Struktur, der Rekrutierung, der Art und Intensität der durch sie gestifteten Beziehungen, deren Zusammenhang mit den Lebensgewohnheiten und Kulturbedingungen der einzelnen Bevölkerungsschichten und endlich die Rückwirkungen des Vereinslebens auf das persönliche Leben und auf die soziale Gruppenbildung zu untersuchen. Vorschläge für ein Arbeitsprogramm sind in Vorbereitung. Die Heranziehung auch der Formen der Geselligkeit in ihrer sozialen Bedingtheit und ihren sozialen Funktionen und Rückwirkungen läge dabei nahe. 3. Wegen des Zusammenhangs zwischen technischer Entwicklung und Kultur unter Heranziehung der psychologischen und ferner speziell auch der technologischen Fachmänner, sowie, wenn möglich, in Zusammenarbeit mit den großen Verbänden der Praktiker. Es würde hier zweifellos für die einzusetzenden Kommissionen13 vorerst die Aufgabe entstehen, diejenige (heute fast stets zu

12  Gemeint ist die von Max Weber erstellte und im Mai 1909 an die Mitglieder der DGS verschickte „Disposition für die Bearbeitung einer soziologischen Untersuchung des Zeitungswesens“, oben, S.  139–152. 13  Das Berliner Statut §  7 sah nur einen Ausschuß vor (vgl. unten, S.  858), während §§   27–31 des späteren Leipziger Statuts bereits die flexiblere Form von mehre-

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vermissende) Präzision der Fragestellungen herauszuarbeiten, welche eine erfolgreiche Inangriffnahme dieser wichtigen Probleme erst ermöglichen kann. 4. In wie weit die Gesellschaft schon in nächster Zeit die schwierigen Fragen der physischen und psychischen Degeneration durch systematische Arbeit zu fördern imstande sein wird, muß naturgemäß erst recht davon abhängen, inwieweit die auf diesem Gebiete allein kompetenten ärztlichen, speziell auch die neurologischen und psychiatrischen, Autoritäten Fragestellungen zu präzisieren vermögen, deren organisierte Bearbeitung ihnen zweckmäßig erscheint. Ganz allgemein muß natürlich die Inangriffnahme dieser Themata, welche (neben andren) als Gegenstände der ersten Arbeiten und Publikationenc der Gesellschaft zur Erwägung stehen, von der Gewinnung der geeigneten Persönlichkeiten zur Leitung und von den zu beschaffenden Geldmitteln abhängen. III. ist die Gewährung von Unterstützungen für umfangreiche wissenschaftliche (namentlich wohl: sozial- und moralstatistische und ähnliche) Arbeiten an hervorragende Gelehrte ein Programmpunkt, der praktisch erst nach hinlänglicher Kräftigung der Finanzen der Gesellschaft in Frage kommen wird. – IV. steht die Veranstaltung von Vorträgen und wissenschaftlichen Kursen im Programm der Gesellschaft: Die Pflege dieser Seite ihrer Aufgaben liegt aber der Natur der Sache nach in den Händen der Ortsgruppen,14 wo sich solche bilc A: Publikation ren Ausschüssen zur Vorbereitung und Durchführung wissenschaftlicher Arbeiten (unten, S.  863) anführten. 14  Auf der gemeinsamen Sitzung des Vorstandes und Ausschusses der DGS am 7. März 1909 wurde beschlossen, daß „Ortsgruppen an allen Orten gegründet werden [sollten], wo sich Interessenten der Gesellschaft (nicht etwa nur Mitarbeiter an den Forschungsarbeiten) finden“. Protokoll der gemeinsamen Sitzung des Vorstandes und Ausschusses vom 7. März 1909 (SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.1.5). In derselben Sitzung wurde ein Antrag Goldscheids auf baldige Gründung einer Ortsgruppe in Berlin, die im kommenden Sommer Propagandavorträge halten sollte, angenommen. Dagegen äußerte Max Weber Vorbehalte (vgl. den Brief an Heinrich Herkner vom 7. April 1909, MWG II/6, S.  90 f. mit Anm.  4). In seinem Rundschreiben vom 13. Mai 1909 an die Mitglieder des Vorstandes der DGS teilte Beck mit (SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.1), daß es zu einer Gründung der Berliner Ortsgruppe noch nicht gekommen sei. Im übrigen brauche eine solche Ortsgruppe eine Satzung, über die der Vorstand noch nicht gesprochen habe.

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den. Eine solche Betätigung von Ortsgruppen würde naturgemäß überall da auf mancherlei Schwierigkeiten stoßen, wo bereits „sozialwissenschaftliche“ oder wie immer sonst sich nennende Vereinigungen mit verwandten Zielen bestehen,15 zumal die Gesellschaft durchaus kein Interesse daran hätte, diesen gewissermaßen „Konkurrenz“ zu machen. Gleichwohl dürfte auch in solchen Fällen die, wenn auch nur formale, Bildung von Ortsgruppen, welche ja an sich keinerlei Verpflichtungen auferlegt, um deswillen wünschenswert sein, weil laut §  14 der Statuten16 jede mehr als zehn Mitglieder umfassende Ortsgruppe das Recht auf Vertretung im Ausschuß hat. Sie kann also, durch Delegierung eines Mitgliedes, Einfluß auf die wissenschaftliche und geschäftliche Gebahrung der Gesellschaft gewinnen, dadurch z. B. ein Übermaß von Centralisation durch den, an sich unvermeidlich an Berlin gebundenen, Vorstand hindern, vor allem auch Anträge auf Veranstaltung von Arbeiten stellen, welche die Ortsgruppe für zeitgemäß hält. Im übrigen versteht es sich von selbst, daß jede Art von selbständiger, das Interesse an den Problemen der Soziologie fördernder, Arbeit innerhalb der Ortsgruppen lebhaft begrüßt werden würde, und daß dieselben in dieser Hinsicht gänzlich freie Hand haben, vorausgesetzt lediglich, daß dadurch in die Gesellschaft keinerlei Parteiungen praktischer, sei es materieller oder ideeller, Art hineingetragen werden. Falls Sie, hochgeehrter Herr,17 wie ich hoffen möchte, den Bestrebungen der Gesellschaft Interesse entgegenbringen, ihr aber noch nicht angehören, so bitte ich Sie, Ihren Beitritt unter Benüt15  Gemeint sein könnten die Sozialwissenschaftlichen Studentenvereinigungen, die ab 1893/94 an zahlreichen deutschen Universitäten gegründet wurden. Diese organisierten Vorträge zu sozialen Fragen für Hörer aller Fakultäten, vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Die Kampfesweise des Freiherrn v. Stumm, in: MWG I/4, S.  512 f. 16  §  14 des Berliner Statuts sieht vor, daß eine Ortsgruppe, sofern noch keines ihrer Mitglieder dem Ausschuß der DGS angehört, das Recht habe, „einen Vertreter in den Ausschuß zu delegieren“. Vgl. den vollständigen Text, unten, S.  859. Zu Webers Einflußnahme auf die Statuten vgl. Weber, Statutenänderung, unten, S.  188–194. 17  In einem Brief an Heinrich Herkner vom 8. Mai 1909 sprach Weber die Kooptation von Frauen an und empfahl Helene Simon sowie Käthe Schirmacher als „die beiden einzigen Frauen, die wissenschaftliche ‚soziologische’ Leistungen aufzuweisen haben bei uns“ (MWG II/6, S.  113–117, Zitat: S.  114). Auf der Mitgliederversammlung der DGS am 19. Oktober 1910 in Frankfurt a. M. wurden Helene Simon und Elisabeth Gnauck-Kühne in den Ausschuß kooptiert. Vgl. Protokoll der zweiten ordentlichen Mitgliederversammlung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Frankfurt a. M. am 19. Oktober 1910, SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.2.10.

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zung der beifolgenden Formulare anmelden zu wollen. Für weitere Auskunft stehe ich gern zur Verfügung, bin auch für alle sachlichen Anregungen und Vorschläge zur Übermittlung an Vorstand und Ausschuß dankbar. Mit vorzüglicher Hochachtung gez. Prof. Max Weber.

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[Rezension von: Franz Eulenburg, Die Entwicklung der Universität Leipzig in den letzten hundert Jahren]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Franz Eulenburgs Buch über die Universität Leipzig1 wurde im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel am 12. Juli 1909 angezeigt.2 Kurz darauf schrieb Max Weber einen Brief an Eulenburg, in welchem er ihn um ein Exemplar des Werkes für eine Ankündigung im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik bat.3 Die Rezension übernahm Max Weber selbst. Sie erschien in Heft 2 des Archivs am 30. September 1909. Max Weber hielt den in Leipzig lehrenden Nationalökonomen Franz Eulenburg „für einen der tüchtigsten und leistungsfähigsten Leute auf unserm Gebiete überhaupt“ und wußte um die Beeinträchtigungen, die er als Jude in der Universitätslaufbahn hatte.4 Zu dessen Buch „Der Akademische Nachwuchs“5 schrieb er Eulenburg am 20. Mai 1908 einen ausführlichen Brief.6 Bei der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, für die „Zeitungsenquete“ und für den „Grundriß der Sozialökonomik“ warb Weber um Eulenburgs Mitwirkung. Auch empfahl er ihn mehrfach für Berufungen, zuletzt noch 1920 in München als zukünftigen Kollegen.7

1  Gemeint ist: Eulenburg, Entwicklung der Universität Leipzig, erschienen 1909. 2  Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Nr.  158 vom 12. Juli 1909, S.  8222. 3  „Wenn Sie noch Exemplare Ihres Buchs haben, so ist es sehr unrecht, wenn Sie es mir […] vorenthalten, gleichviel ob wir im Archiv vielleicht nur einen kurzen Hinweis bringen können. Sie wissen, daß mich Ihre Arbeiten – auch bei Dissenz – mehr interessieren und daß ich sie besser lese als Sie die meinigen.“ Brief Max Webers an Franz Eulenburg, nach dem 12. Juli 1909, MWG II/6, S.  172–175, Zitat: S.  173. 4  Brief an Richard Graf Du Moulin-Eckart vom 4. Mai 1907, MWG II/5, S.  287–290, Zitat: S.  290. 5  Eulenburg, Franz, Der akademische Nachwuchs. Eine Untersuchung über die Lage und die Aufgaben der Extraordinarien und Privatdozenten. – Leipzig und Berlin: B. G. Teubner 1908. 6  MWG II/5, S.  568–573. 7  Vgl. Weber, Gutachten für die hohe Juristische Fakultät, unten, S.  638, Weber, Neubesetzung des Lehrstuhls v. Mayr II, unten, S.  649 f., und Weber, Zu den Vorschlägen Johann Plenges, unten, S.  697.

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Rezension von: Eulenburg, Die Entwicklung der Universität Leipzig

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck folgt dem Text, der im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, hg. von Edgar Jaffé, Werner Sombart und Max Weber, 29.  Band, Heft 2. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1909, S.  672–675, in der Rubrik „Literatur-Anzeiger“ erschien (A). Der Artikel ist mit „(Max Weber.)“ gezeichnet.

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[Rezension von:] Eulenburg, Professor Dr. Franz, Leipzig, Die Entwicklung der Universität Leip- [A 672] zig in den letzten hundert  Jahren. Statistische Untersuchungen. S. Hirzel, Leip- A 673 zig 1909. VIII, 216 S. M. 6.–, geb. M. 7.–. 5

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Von den Publikationen, welche anläßlich des Jubiläums der Universität Leipzig erschienen,1 ist dies die wissenschaftlich wertvollste – sehr lesenswert, obwohl sie – übrigens unter steter Vergleichung der Zustände der andern Universitäten, soweit dies z. Z. möglich – sich auf die Leipziger Verhältnisse beschränkt. Die Tabellen (am Schluß) umfassen: Inskription und Jahresfrequenz 1410–1830, Frequenz 1830 bis 1909, dieselbe nach Jahrfünft-Durchschnitten, Besuch und Anteil der Fakultäten ebenso, Heimat, Alter, soziale Herkunft, Aufenthaltsdauer der Inskribierten seit 1830 in absoluten und relativen Zahlen, Prüfungen und Promotionen, Gebürtigkeit,2 Alter, Studienzeit der Doktoranden, Budgets von 1856/7 und 1906/7. Die Darstellung schildert zunächst I. die Frequenz, durchweg auf Grund seiner bekannten (oder vielmehr: weniger als verdient gekannten) Arbeit in den Abhandlungen der philosophisch-historischen Klasse der K[öniglich] Sächs[ischen] Ges[ellschaft] der Wissenschaften von 1904;3 den Verhältnissen der anderen Universitäten entspricht die Entwicklung Leipzigs mit einigen charakteristischen Unterschieden, von denen die Stellung in der Reformationszeit ain dera für Leipzig besonders scharfenb Konkurrenz Wittenbergs, – der Rückgang im 18. Jahrhundert cin derc Konkurrenz von Göttingen und Halle, – der rapide Anstieg nach 1870 jedenfalls in einer Mehrzahl vorerst auch von Eulenburg nur hypothetisch feststellbarer Ursachen – der relativ langsamere a A: durch die   b A: scharfe  c A: durch die   1  Zum 500-jährigen Jubiläum der 1409 gegründeten (Königlichen Sächsischen) Universität Leipzig erschien 1909 eine von Rektor und Senat herausgegebene Festschrift in fünf Bänden: Friedberg, Emil, Die Leipziger Juristenfakultät, ihre Doktoren und ihr Heim. – Leipzig: Hirzel 1909; ders., Die Institute und Seminare der philosophischen Fakultät an der Universität Leipzig, 2 Bände, ebd. 1909; Kirn, Otto, Die Leipziger Theologische Fakultät in fünf Jahrhunderten, ebd. 1909; ders., Die Institute der medizinischen Fakultät an der Universität Leipzig, ebd. 1909, sowie der von Weber besprochene Band Eulenburgs. 2  Gemeint ist das Geburtsland. 3  Gemeint ist: Eulenburg, Frequenz.

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Rezension von: Eulenburg, Die Entwicklung der Universität Leipzig

Fortschritt neuestens in der auf Leipzig besonders stark zurückwirkenden Bevorzugung der Reichshauptstadt einerseits, der süddeutschen „Sommeruniversitäten“4 andererseits und in Leipzigs dadurch wachsendem Charakter als „Arbeitsuniversität“ älterer Semester und als „Ausländeruniversität“5 dseinen Grund hatd. – Die Darstellung in Abschnitt II (die Studentenschaft) behandelt zunächst die Gebürtigkeit, wobei für den Prozentsatz der Studierenden unter der Gesamtbevölkerung u. a. auch der Einfluß der ökonomischen Konjunktur (Vermehrung durch schlechte Konjunkturen und umgekehrt) für wahrscheinlich erachtet wird (S.  54). Die Eigenart der Sachsen als solcher zeigt sich nach E[ulenburg] in einer das gewöhnliche Maß übertreffenden Bevorzugung der eigenen Landesuniversität, ferner in einer Bevorzugung des theologischen und juristischen Studiums gegenüber namentlich dem philosophischen (sowohl naturwissenschaftlichen als humanistischen): sie sind eben, in ihren bürgerlichen Klassen, der spezifisch „autoritäre“, d. h. irdischen Autoritäten fügsame und sie anbetende Stamm Deutschlands, ganz dem ihnen spezifischen Luthertum entsprechend. Die Erörterung über die Altersverhältnisse ergibt, daß trotz der bekannten Verjüngung der Abiturienten in Deutschland6 (welche, zusammen mit dem Durchschleppen zu vieler Unbegabter und der steten Steigerung der nervösen Inanspruchnahme des Kindesalters durch außerhalb der Schule liegende Einflüsse[,] den bekannten „Überbürdungs“-Schwindel7 gezeigt hate) das Alter der d A: ihren Grund haben   e A: haben 4  Die süddeutschen Universitäten wurden im Sommer stärker besucht als im Winter. Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Vorlesungen über „Allgemeine (‚theoretische’) Nationalökonomie“, in: MWG III/1, S.  157–181, hier S.  158, 161. 5  Eulenburg, Entwicklung der Universität Leipzig, S.  46–50, errechnet den Anteil der Fremden, d. h. der nicht aus Sachsen stammenden Studierenden, und den Anteil der Ausländer, d. h. der Nicht- Reichsdeutschen, an der Universität Leipzig. 6  Im Abschnitt „Die Studentenschaft. Die Altersverhältnisse“, ebd., S.  57–65, stellt Eulenburg fest, daß sich das Alter der Abiturienten an sächsischen Gymnasien „in den letzten zwanzig Jahren eher verjüngt, mindestens nicht hinausgeschoben“ habe (ebd., S.  58). Zum Vergleich zitiert er Conrad, Johannes, Einige Ergebnisse der deutschen Universitätsstatistik, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 3. Folge, Bd. 32, 1906, S.  433–492, hier S.  445, der für Preußen zu demselben Ergebnis kommt. 7  Als „Überbürdung“ wurde seit den 1880er Jahren in Zusammenhang mit der Diskussion über die Reform des höheren Schulwesens die angebliche geistige Überforderung und damit die gesundheitliche Gefährdung der Schüler durch die Schulanforderungen, insbesondere des humanistischen Gymnasiums, diskutiert. Vgl. Albisetti,

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Leipziger Studierenden steigt: Ursachen: 1. für Leipzig speziell: die Füchse8 gehen zunehmend nach den süddeutschen Universitäten, – 2. allgemein (außer bei den Juristen): notwendige Verlängerung des Studiums; mit Recht weist E[ulenburg] darauf hin, daß die Zahl der Studierenden mit Reichstagswahlrecht zunimmt und dem allmählich in ihrer Rechtsstellung Rechnung getragen werden müsse9 (S.  64). Die Erörterungen über die soziale Abstammung ergeben – bei vergleichender Heranziehung der preußischen Erhebungen – die von E[ulenburg] zuerst eingehender analysierten Ergebnisse: Starker Rückgang der relativen Bedeutung der akademisch gebildeten Kreise (am stärksten: der Richter und Anwälte, etwas weniger: der Geistlichen, Ärzte, höheren Staats- und Kommunalbeamten, gar nicht: der Gymnasiallehrer und erst recht nicht der vielmehr im rapiden Anstieg begriffenen Techniker), ebenso Rückgang der Großgrundbesitzer, Stillstand (stets: der relativen Bedeutung) des Subalternbeamtentums,10 Rückgang der Handwerker, mäßiges (relatives) Steigen der Bauern, dagegen sehr starkes Steigen des Anteils der Großindustriellen und noch mehr der Kaufleute. In Preußen, wo der Anteil der akademisch gebildeten Kreise schon seit Jahrzehnten noch wesentlich geringer ist als in Leipzig, scheint eine deutliche Entwicklungsrichtung jetzt nicht wahrnehmbar. – Während bei den Leipziger Studenten innerhalb der liberalen Berufe,11 soweit der Nachwuchs überhaupt wieder akademisch tätig wird, die Neigung zum Ergreifen eines dem väterlichen gleichen oder ähnlichen Berufes deutlich erkennbar ist, drängen sich die Söhne der Landwirte dort vorwiegend zum naturwissenschaftJames C., Secondary School Reform in Imperial Germany. – Princeton, New Jersey: Princeton University Press 1983, S.  119–139. Weber hielt diese Überbürdungsthese für unbegründet. 8  In studentischen Verbindungen werden Studenten der ersten beiden Semester so bezeichnet. 9  Männer erreichten mit dem 25. Geburtstag das Reichstagswahlrecht. Diese veränderte Rechtsstellung wirkte sich jedoch nicht auf ihre Rechtsstellung als Studenten an der Universität aus. So war die Einberufung von Versammlungen nach der preußischen Disziplinargesetzgebung vom 29. Mai 1879 von der Genehmigung des Rektors abhängig. Gegen abschlägige Entscheidungen gab es keine Rechtsmittel. Vgl. Ssymank, Paul, Die Reformbedürftigkeit der Gesetzgebung für Studierende. – München: Academischer Verlag 1908, S.  35 ff. 10  Gemeint sind untere und mittlere Beamte. 11  Gemeint sind insbesondere freiberuflich Tätige wie Ärzte, Apotheker und Rechtsanwälte.

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lichen, die der Fabrikanten vorwiegend zum juristischen Studium (Symptom der Feudalisierung der Gesinnung des industriellen Bürgertums, wie sie auch in der Gebarung der Hörer der Handelshochschulen – die selbst wesentlich diesem Zweck dienen – hervortritt),12 während kaufmännische Abstammung keine ausgesprochene positive Tendenz, dagegen eine negative gegen die Theologie hat, die aus dem Handwerk und dem Volksschullehrerstand eine Prädisposition für Theologie und Philologie, die aus dem Subalternbeamtentum nur für die historisch-philologischen Fächer (Lehramt). Den mancherlei Problemen der Wirkung von „Auslese“, Kultur-„Tradition“, Kulturwandel, Klassenbildung und -Auflösung, wie sie in diesen Erscheinungen liegen, geht hoffentlich Eulenburg selbst auch künftig, wie schon jetzt, immer weiter nach.13 Anzugliedern wäre dann z. B. die Analyse der ökonomischen, so­zialen und beruflichen Fundamentierung des eigentlichen „Intellektuellentums“ in der Vergangenheit: seit den Zeiten, wo die „Pfründe“ in all ihren Formen der materielle Grundstein der geistigen Kultur war, der Kampf der Päpste mit den Konzilien und der Landesherren um ihre Verwendung ganz ebenso wie noch in England unter Cromwell der Kampf um die Zehnten (auf denen ja die materielle Existenz der den radikalen antitheologischen Führern so verhaßten Universitäten in England ruhte)14 wirkliche große „Kulturprobleme“ darstellten, – über die Zeit hinweg, wo unsere ersten Gelehrten und Dichter als Hauslehrer feudaler oder patrizischer Geschlechter oder als Sinekuristen kleinerer Landesherren zu existieren hatten, bis in die Gegenwart, – in international 12  Vgl. auch den Redebeitrag auf dem IV. Deutschen Hochschullehrertag in Dresden im November 1911: Weber, Die Handelshochschulen. Eine Entgegnung, unten, S.  331, Anm.  17. 13  Auf dem I. Deutschen Hochschullehrertag 1907 in Salzburg hatte Franz Eulenburg einen Vortrag über ein von Lujo Brentano angeregtes Thema gehalten, vgl. Eulenburg, Franz, Die Frage des akademischen Nachwuchses, in: Verhandlungen des ersten deutschen Hochschullehrer-Tages zu Salzburg im September 1907, hg. von dem engeren Ausschuß für 1907/08. – Straßburg: Karl J. Trübner 1908, S.  22–32. Weber wollte Eulenburg u. a. für das Referat „Auslese der Intellektuellen-Schicht“ auf dem Ersten Deutschen Soziologentag vom 19. bis 22. Oktober 1910 in Frankfurt am Main gewinnen. Vgl. Brief Max Webers an Hermann Beck vom 8. März 1910, MWG II/6, S.  422 f., hier S.  422. 14  Ende 1653 wurde in dem von Oliver Cromwell ernannten „Kurzen Parlament“ auch um den Zehnten heftig gestritten, durch den u. a. die Universitäts-Colleges finanziert wurden.

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vergleichender Darstellung natürlich. – Die Analyse der Vorbildung zeigt auch für Leipzig den Rückgang der humanistisch gebildeten, diejenige der Konfession den Anstieg der katholischen Studenten, die Verkürzung der Aufenthaltsdauer auf derselben Universität entspricht in Leipzig der allgemein beobachteten Fluktuationszunahme. – Die Darstellung in Abschnitt III (Unterricht) stützt in der Erörterung der Entwicklung des Lehrkörpers und der quantitativen Unterrichtsleistungen Eulenburgs bekannte These,15 deren rückhaltlose Vertretung ihm den Zorn so vieler von den Herrn Ordinarien zugezogen16 und seine akademischen „Chancen“ so verschlechtert hat.17 Das stetige Schlechterwerden der Ergebnisse der Prüfungen scheint, da die Prüfungen, so viel ich sehe, überall zum mindesten eher leichter als schwerer werden (einige wenige Ausnahmen abgerechnet), jedenfalls eher gegen die modernen Experimente im Schulwesen18 zu sprechen, zumal gerade die naturwissenschaftlichen Fächer, deren Forderungen  zunehmend erfüllt worden sind, davon betroffen werden (doch bedürfte das noch sorgsamster Untersuchung). Die Doktorprüfungsstatistik gereicht, jedenfalls in der juristischen Fakultät (pro Tag des Jahres, einschließlich aller Ferien, fast 1½ Doktoren in den 21 Jahren von 1885–1906!) der Universität zur Schande, so wenig manche anderen Hochschulen berechtigt sein mögen, darauf mit Steinen zu werfen. Die Finanzen zeigen den Aufstieg des „kapitalistischen Betriebes“ in den medizinischen und naturwissenschaftlichen Fakultäten in der ungeheuren auch relativen Zunahme der 15 Eulenburg, Der akademische Nachwuchs (wie oben, S.  163, Anm.  5), S.  150 ff., prangert an, daß die „inoffizielle Universität“, d. h. Assistenten, Privatdozenten und Extraordinarien, zwar angesichts der steigenden Studentenzahlen für den Lehrbetrieb unverzichtbar, von der universitären Selbstverwaltung jedoch ausgeschlossen sei. 16  Lujo Brentano z. B. hatte diese Schrift einer harschen Kritik unterzogen. Vgl. Brentano, Lujo, Der akademische Nachwuchs, in: Beilage der Münchner Neuesten Nachrichten, Nr.  36 vom 11. Aug. 1908, S.  337–342. 17  Eulenburg erhielt erst 1917, mit 50 Jahren, eine ordentliche Professur an der TH Aachen. 18  In den preußischen Lehrplänen von 1892 und 1901 wurde der naturwissenschaftliche Unterricht an humanistischen Gymnasien ausgeweitet und damit der sprachlichhistorische Unterricht reduziert. Vgl. Führ, Christoph, Die preußischen Schulkonferenzen von 1890 und 1900. Ihre bildungspolitische Rolle und bildungsgeschichtliche Bewertung, in: Bildungspolitik in Preußen zur Zeit des Kaiserreiches, hg. von Peter Baumgart, Band 1: Preußen in der Geschichte. – Stuttgart: Klett-Cotta 1980, S.  189– 223.

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Ausgaben für sachliche Unterrichtsmittel (Institute) und damit jene Spaltung in der Eigenart des Lehrbetriebs, dief die Institutsdirektoren so oft der Denkweise ihrer humanistischen Kollegen tief entfremdet und andere, hier nicht zu erörternde, sehr weittragende Konsequenzen und Probleme im akademischen Leben mit sich gebracht hat. Die „Universitas litterarum“ ist nicht zum wenigsten aus diesen unvermeidlichen Entwicklungsmotiven heraus eine Fiktion geworden.g

f A: der  g  In A folgt: (Max Weber.)

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[Zum Hochschullehrertage] [Zuschrift an die Frankfurter Zeitung, 19. Oktober 1909]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Diese und die nachfolgende Zuschrift1 Max Webers an die Frankfurter Zeitung beziehen sich auf die „Tendenzprofessur“ in Leipzig, die für den Rostocker Staatswissenschaftler Professor Richard Ehrenberg angeblich von Großindustriellen finanziert werden sollte. Kurz zuvor hatte sich Max Weber auf dem III. Deutschen Hochschullehrertag in Leipzig am 12. Oktober 1909 zu dem Thema geäußert. In dem umgehenden Bericht der Frankfurter Zeitung über die Verhandlungen des Hochschullehrertages wurde er wörtlich zitiert: „Da wir in Leipzig tagen, will ich erinnern an den jüngst unternommenen Versuch, hier in Leipzig eine Persönlichkeit, die hinter dem Zentralverband Deutscher Industrieller steht, als Honorarprofessor unterzubringen. Es ist erfreulich, daß das zurückgewiesen worden ist.“2 Während Weber keinen Namen genannt hatte, gab die Frankfurter Zeitung am 15. Oktober 1909, Weber teilweise korrigierend, Namen und Hintergründe preis:3 Der Verband Sächsischer Industrieller habe dem sächsischen Kultusministerium 30.000 Mark geboten, wenn Richard Ehrenberg 1  Weber, Professor Ehrenberg, unten, S.  176–179. 2  Zur Wiedergabe von Webers Diskussionsbeitrag im Bericht der Frankfurter Zeitung vom 14. Oktober 1909 (Nr.  285) vgl. Weber, Die Auslese für den akademischen Beruf. Berichte, unten, S.  785–787. Die Presseberichte erschienen vor dem offiziellen Verhandlungsprotokoll, vgl. Weber, Die Auslese für den akademischen Beruf, unten, S.  180–187. Der ebenfalls in Leipzig anwesende Lujo Brentano unterstützte Weber in seinem Redebeitrag zum Fall Ehrenberg: „Im übrigen zeigt uns gerade der Leipziger Fall, der hier zur Sprache kam, daß eine Prüfung vor der Zulassung notwendig ist. Sonst besteht die Gefahr, daß wir alle möglichen Leute in den Lehrkörper hineinbekommen, die von religiösen Parteien oder von Interessentengruppen dotiert werden, damit sie sich um die Habilitation bewerben. Diese Leute müssen bestimmte Anschauungen vertreten, und ich meine, daß ein solcher Mann nicht w ­ ürdig ist, das Lehramt auszuüben. Ganz sicher werden diese Gruppen immer Leute finden, die bereit sind, die Ansichten dieser Gruppen gegen Geld zu vertreten.“ Vgl. III. Deutscher Hochschullehrertag. II. [Teil], in: Frankfurter Zeitung, Nr.  285 vom 14. Okt. 1909, 1. Mo.Bl., S.  1. 3  Vgl. Die Leipziger Tendenzprofessur, in: Frankfurter Zeitung, Nr.  286 vom 15. Okt. 1909, 2. Mo.Bl., S.  1.

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Zum Hochschullehrertage

eine Professur an der Leipziger Universität, einen Lehrstuhl für exakte Wirtschaftskunde, erhielte. Weitere Berichtigungen erfolgten am 28. Oktober 1909 in derselben Zeitung durch den Syndikus des sächsischen Verbands, Gustav Stresemann:4 Nicht der Verband, sondern er selbst habe die Initiative im Fall Ehrenberg ergriffen. Der Direktor der Siemens & Halske AG und Vorsitzende der „Vereinigung der Freunde der Ehrenbergschen Wirt­schafts­ methode“,5 Ernst Budde, habe ihn im Frühjahr 1908 mit den Plänen dieser Vereinigung bekannt gemacht, ein Institut für „Exakte Wirtschaftsforschung“ in Leipzig zu gründen. Stresemann habe daraufhin den sächsischen Kultusminister Heinrich Beck über das Vorhaben unterrichtet. Dieser habe die Anregung an die Philosophische Fakultät der Universität Leipzig weitergegeben, noch bevor die Vereinigung der Ehrenbergschen Freunde ein Gesuch an das Kultusministerium habe richten können. Max Weber reagierte mit seiner ersten Zuschrift zunächst auf die Berichterstattung der Frankfurter Zeitung vom Hochschullehrertag am 14. Oktober und die Enthüllungen zu Ehrenberg am 15. Oktober. Nahezu zeitgleich äußerte sich auch Ehrenberg mit einer ausführlichen Zuschrift, die unter der Überschrift „Die Tendenzprofessur“ am 17. Oktober in Der Tag6 erschien und am 19. Oktober 1909 in der Frankfurter Zeitung nochmals abgedruckt wurde.7 Durch diesen Artikel sah sich Max Weber zu einer zweiten Zuschrift genötigt, die er an die Redaktionen beider Zeitungen schickte.8

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck folgt der Zuschrift, die in der Frankfurter Zeitung, Nr.  290 vom 19. Oktober 1909, 1. Mo.Bl., S.  1, unter der 4 Stresemann, Gustav, Zum Falle Ehrenberg, in: Frankfurter Zeitung, Nr.  299 vom 28. Okt. 1909, 2. Mo.Bl., S.  1. 5  Ehrenbergs „exakt-vergleichende Wirtschaftsforschung“ wurde in Fachkreisen, wie Ehrenberg selbst beklagte, im großen und ganzen ignoriert. Er stützte sich weitgehend auf die Schriften des Agrar- und Volkswirtschaftlers Johann Heinrich v. Thünen (1783–1850), propagierte seine Methode aber dezidiert als „neuartig“, so in seiner programmatischen Schrift: Ehrenberg, Richard, Sozialreformer und Unternehmer. Unparteiische Betrachtungen. – Jena: Gustav Fischer 1904, sowie seit 1906 in dem von ihm gegründeten „Thünenarchiv. Organ für exakte Wirtschaftsforschung“. Damit bekämpfte er die Mitglieder des Vereins für Socialpolitik als „Kathedersozialisten“, vgl. Ehrenberg, Richard, Terrorismus in der Wirtschaftswissenschaft. – Berlin: Reimar Hobbing 1910, S.  47 (hinfort: Ehrenberg, Terrorismus). 6  Ehrenberg, Richard, Die Tendenzprofessur, in: Der Tag, Nr.  757 vom 17. Okt. 1909, S.  1 f. 7 Ehrenberg, Richard, Die Tendenzprofessur, in: Frankfurter Zeitung, Nr.  290 vom 19. Okt. 1909, Ab.Bl., S.  2 (hinfort: Ehrenberg, Tendenzprofessur). 8  Vgl. Weber, Professor Ehrenberg, unten, S.  176–179.

Editorischer Bericht

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Rubrik „Zum Hochschullehrertage“ erschien (A). Sie ist mit „Max Weber“ gezeichnet. Der Titel beruht vermutlich auf einem redaktionellen Zusatz. Die Rubrik in der Frankfurter Zeitung umfaßt eine weitere, anonyme Zuschrift aus „Leipziger Universitätskreise[n]“, die Webers Zuschrift vorangestellt ist, sowie redaktionelle Vor- und Nachbemerkungen.9

9  Vgl. unten, S.  174, textkritische Anm.  a, und S.  175, textkritische Anm.  e.

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[Zum Hochschullehrertage] [A 1]

Sehr geehrte Redaktion!a Zu den Verhandlungsberichten über den Hochschullehrertag1 gestatten Sie mir nachzutragen: 1) An dem Versuch, die Anstellung eines Tendenzprofessors mit Geld zu erkaufen,2 hatte sich der betreffendeb, nach sehr vielversprechenden Anfängen3 zunehmend auf die Bahn plattester Schnellpublikation geratene Gelehrte dadurch beteiligt, daß er an einen Professor der betreffenden Fakultät, und zwar an einen hervorragenden Kathedersozialisten, das Ansinnenc richtete, für seine Berufung zu wirken.4 – In Preußen dürfte der betreffende, einstmals streng antiagrarische Herr jetzt, seinem Verhalten entsprechend, vom Bund der Landwirte in Entreprise genommen werden.5 Man darf alsdann gespannt sein, ob das dortige Ministerium sich in der Lage befinden wird, auch nur ein solches Mindestmaß von formaler Korrektheit walten zu lassen, wie dies in Sachsen der Fall war.6 Denn so naiv, wie dies in Sachsen geschehen ist, gehen die a  In A geht voraus der Abdruck einer anonymen Zuschrift aus „dem Leipziger Universitätskreise“. Dann folgt ein Absatz: Ferner schreibt uns Herr Professor Max Weber in Heidelberg:    b A: Betreffende  c A: Ansehen 1  Vor dem offiziellen Protokoll (Verhandlungen des III. HT) hatte die Frankfurter Zeitung unmittelbar berichtet, vgl. Frankfurter Zeitung, Nr.  284 vom 13. Okt. 1909, Ab.Bl., S.  1 f., und Nr.  285 vom 14. Okt. 1909, 1. Mo.Bl., S.  1 und 2. Mo.Bl., S.  2. 2  Vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  171 f. 3  Ehrenberg, Richard, Das Zeitalter der Fugger. Geldkapital und Kreditverkehr im 16. Jahrhundert, 2 Bände. – Jena: Gustav Fischer 1896, und ders., Der Handel, seine wirtschaftliche Bedeutung, seine nationalen Pflichten und sein Verhältnis zum Staate. – Jena: Gustav Fischer 1897. 4  Vgl. Ehrenberg, Richard, Plan zur Errichtung eines Instituts für exakte Wirtschaftsforschung, in: Thünenarchiv. Organ für Exakte Wirtschaftsforschung, hg. von Richard Ehrenberg, Band 2. – Jena: Gustav Fischer 1909, S.  167–175, hier S.  175. Für diesen Plan bat er in einem Brief vom 20. Juni 1908 den Leipziger Ordinarius für Nationalökonomie, Karl Bücher, um Unterstützung. Dieser lehnte ab. Vgl. Ehrenberg, Terrorismus (wie oben, S.  172, Anm.  5), S.  88. 5  Die Frankfurter Zeitung berichtete am 15. Oktober 1909, Ehrenberg sei seit kurzem der Schützling der Agrarier, weil er die Nachlaßsteuer als sozialistisches Experiment bekämpft habe. Vgl. Die Leipziger Tendenzprofessur, in: Frankfurter Zeitung, Nr.  286 vom 15. Okt. 1909, 2. Mo.Bl., S.  1. 6  Der Universitätsdezernent im sächsischen Kultusministerium, Geheimrat Dr. Heinrich Waentig, gab die Eingabe des Verbandes Sächsischer Industrieller an die Univer-

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Junker nicht vor – wie der Fall Ruhland7 gezeigt hat, – und die von ihnen angewandten Mittel haben ferner den für sie außerhalb wie innerhalb der Steuerpolitik großen Vorzug, ihre Taschen nicht mit einem Aufwand von 30000 Mark zu belasten.d 2) Der Versuch, den Sinn der Wachschen Thesen, nachdem ihnen der sozialdemokratische Korreferent8 ausdrücklich zugestimmt hatte, zu verdrehen, hat wohl nur innerhalb des Leserkreises der „Täglichen Rundschau“9 Aussicht auf Erfolg. Hochachtungsvoll Max Weber.e

d A: belasten;  e  In A folgt der redaktionelle Zusatz: Die Erklärung von Dr. Hellmann, die wir veröffentlichten, hat nicht genügt, die „Tägliche Rundschau“ von ihren Verdrehungen abzubringen. Vielleicht genügt nun diese Bemerkung von Professor Weber. sität Leipzig weiter, deren Rektor sie wiederum an den akademischen Senat weiterleitete. Dieser lehnte sie als Zumutung einstimmig ab. 7  Der Nationalökonom und Agrarpolitiker Gustav Ruhland war seit 1895 wissenschaftlicher Berater im Bund der Landwirte. 1902 kam es in der hessischen Kammer zu einem Versuch, Ruhland zu einer Professur in Gießen zu verhelfen. Der Abgeordnete Philipp Köhler-Langsdorf regte dort an, einen neuen Lehrstuhl zu errichten, der agrarischen Sonderinteressen dienen sollte. Als einzigen Kandidaten brachte er Ruhland ins Spiel. Max Weber witterte eine „Strafprofessur“ gegen die bisherigen Vertreter der Nationalökonomie Magnus Biermer und Robert Liefmann. Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Lujo Brentano, vor oder am 6. Febr. 1910, MWG II/6, S.  386 f. 8  Gemeint ist der Historiker und Freund Max Webers, Ludo Moritz Hartmann. Auf dem III. Deutschen Hochschullehrertag in Leipzig hatte er als Korreferent von Adolf Wach dessen Thesen zu der Frage: „Darf man die Zulassung zur Habilitation abhängig machen von religiösen oder politischen Voraussetzungen?“ ausdrücklich zugestimmt. Vgl. Verhandlungen des III. HT, S.  4 f. und S.  12 ff. 9  Die Tägliche Rundschau hatte aus den Thesen Wachs gefolgert, Sozialdemokraten seien prinzipiell von der Habilitation auszuschließen. Die 1881 gegründete Tages­ zeitung führte den Untertitel „Zeitung für Nichtpolitiker, zugleich Ergänzungsblatt zu den politischen Organen jeder Partei“. Seit 1900 propagierte sie eine nationalistische Politik.

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[Professor Ehrenberg] [Zuschrift an die Frankfurter Zeitung, 20. Oktober 1909]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Auf dem III. Deutschen Hochschullehrertag spielte Max Weber, ohne die Person zu nennen, auf Richard Ehrenberg und den gescheiterten Versuch an, diesem eine „Tendenzprofessur“ in Leipzig zu verschaffen.1 In die in der Presse folgende Debatte schaltete sich auch Ehrenberg ein, mit einer ausführlichen Zuschrift an die Redaktion der Zeitung Der Tag2 in Berlin. Die Frankfurter Zeitung druckte sie am 19. Oktober in der Abendausgabe nochmals ab.3 Daraufhin sah sich Max Weber zu einer zweiten Zuschrift genötigt, die er an Der Tag sowie an die Frankfurter Zeitung schickte.

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck folgt der Zuschrift, die unter dem Titel „Professor Ehrenberg“, in: Frankfurter Zeitung, Nr.  291 vom 20. Oktober 1909, Abendblatt, S.  1 f. (A), erschien. Sie ist mit „Max Weber“ gezeichnet. Der Titel wird übernommen, aber als vermutlich redaktioneller Zusatz in eckige Klammern gestellt. Die textidentische Zuschrift in: Der Tag, Nr.  758 vom 23. Okt. 1909, weist geringfügige Abweichungen in Zeichensetzung und Hervorhebungen auf. Da diese Abweichungen vermutlich redaktionell bedingt sind, wird dieser Text von der Edition nicht berücksichtigt.

1 Vgl. dazu ausführlich den Editorischen Bericht zu Weber, Zum Hochschullehrer­ tage, oben, S.  171–173. 2  Ehrenberg, Richard, Die Tendenzprofessur, in: Der Tag, Nr.  757 vom 17. Okt. 1909, S.  1 f. 3  Ehrenberg, Tendenzprofessur (wie oben, S.  172, Anm.  7).

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Vona Herrn Professor Ehrenberg erhalte ich heute, Dienstag, den 19. Oktober, seine Auseinandersetzung.1 Er glaubt, mich zu der Erklärung auffordern zu dürfen, daß ich ihn „ohne Grund in seiner Ehre gekränkt“ habe. Ich habe selbstverständlich an dem, was ich über ihn sagte (vgl. „Frankfurter Zeitung“ No. 290)[,]2 kein Wort zu ändern und nur folgendes hinzuzufügen: 1. Kein Nationalökonom von Bedeutung, der von Methodik das mindeste versteht, kann Herrn Professor Ehrenberg die Erfindung irgend einer neuen Methode zugestehen.3 2. Jeder Nationalökonom, auch Herr Professor Ehrenberg, weiß, daß der sogenannte „Kathedersozialismus“4 heute in keinem Sinn des Worts eine „Richtung“ darstellt, daß vielmehr in dem „Verein für Sozialpolitik“, dessen Mitglieder vor nunmehr 36 Jahren von liberaler Seite mit diesem Titel belegt wurden, seit langem die denkbar schärfsten Gegensätze der Ansichten und Ideale bestehen, ganz ungleich stärkere, als zwischen Mitgliedern des Vereins und Außenstehenden. Der Verein sucht heute, wie bekannt, seine Ehre darin, nach Aufklärung des Tatbestandes durch rein wissenschaftliche Erhebungen, alle Meinungen, z. B., wie wohl noch erinnerlich, auch die der Herren Kirdorfb und Gen[ossen],5 auf seinen

a  In A geht voraus: Von Professor Max Weber erhalten wir folgende, von ihm an die Redaktion des „Tag“ geschickte Erwiderung auf die (von uns gestern wiedergegebenen) Bemerkungen des Professors Ehrenberg:  b A: Kirdorff 1 Richard Ehrenberg antwortete auf die Berichterstattung über den III. Deutschen Hochschullehrertag, soweit sie ihn persönlich betraf, in einer ausführlichen Zuschrift, die am 17. Oktober in Der Tag erschien und am 19. Oktober in der Frankfurter Zeitung wiederabgedruckt wurde. Vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  176, Anm.  2 und 3. 2  Weber, Zum Hochschullehrertage, oben, S.  172, Anm.  7. 3  Zu Ehrenbergs Methode der „exakt-vergleichenden Wirtschaftsforschung“ vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Zum Hochschullehrertage, oben, S.  172, Anm.  5. 4  Max Weber bezieht sich auf den ersten Satz von Ehrenberg, Tendenzprofessur (wie oben, S.  172, Anm.  7), wo er von einem „herrschenden kathedersozialistischen Dogmatismus“ gesprochen hatte, dem er seine „exakt vergleichende Methode“ gegenüberstellen wollte. 5  Gemeint ist Emil von Kirdorf, Mitbegründer des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats. Er nahm an der Mannheimer Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik

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Versammlungen zur Aussprache gelangen zu lassen. Er hat übrigens auch Herrn Prof. Ehrenberg zu seinen Arbeiten heranzuziehen gesucht, – umsonst.6 Die Andeutung vollends, als ob die Qualität als „Kathedersozialist“ die Chancen der akademischen Laufbahn verbessere, wird heute, den jedermann bekannten Tatsachen gegenüber, niemand ernst nehmen.7 3. Kein Nationalökonom von Belang wird vollends gerade Herrn Professor Ehrenberg glauben, daß irgend eine angebliche besondere „Richtung“ von ihm einem Fakultätsvorschlag im Wege gestanden habe8 oder stehe. Jeder ernst zu nehmende Fachmann weiß vielmehr, daß es der Eindruck einer – nach sehr vielversprechenden Leistungen – bei steigender Hast leider unaufhaltsam sinkenden Qualität seiner Publikationen ist, der einen Vorschlag heute für sorgsam prüfende Fakultäten wohl auch dann außerordentlich erschweren würde, wenn nicht sein jetzt in Rede stehendes, im deutschen akademischen Leben noch niemals erhörtes Verhalten allein schon genügen müßte, einen solchen normalerweise unmöglich zu machen. 4. Herr Ehrenberg hat mir persönlich nie etwas zuleide getan. Ich habe nahe Freunde in allen denkbaren sozialpolitischen Lagern. Ich bin, solange ich selbst an Fakultätsvorschlägen beteiligt war, für Leute aus den heterogensten Lagern eingetreten, speziell für solche, die ich ungerechterweise zurückgesetzt fand. Herr Ehrenberg wird sich selbst sagen müssen, daß für mich keinerlei denkbares

vom 25. bis 28. September 1905 teil und ergriff nach dem Hauptreferat Gustav Schmollers, von dessen Thesen er sich bestätigt fühlte, das Wort. Vgl. Verhandlungen VfSp 1905, S.  272–293. 6  Richard Ehrenberg lehnte es z. B. ab, bei der Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik als Korreferent über die Arbeitsverhältnisse in den privaten Riesenbetrieben zu berichten. Vgl. Ehrenberg, Terrorismus (wie oben, S.  172, Anm.  5), S.  49–52. 7  Ehrenberg, Tendenzprofessur (wie oben, S.  172, Anm.  7), hatte geschrieben, daß die Gründung seines geplanten Instituts an einer deutschen Universität durch die „Unduldsamkeit des herrschenden Kathedersozialismus“ erschwert worden sei. Sogar der preußische Ministerialdirektor Friedrich Althoff, der Ehrenberg zum Zwecke der Institutsgründung an eine preußische Universität habe berufen wollen, sei nicht gegen die Vertreter des Kathedersozialismus durchgedrungen. 8  Es handelte sich um die Neubesetzung der ordentlichen Professur für Staatswissenschaften in Kiel. Max Weber war im Herbst 1906 die Liste der von der Philosophischen Fakultät in Erwägung gezogenen Kandidaten, darunter Richard Ehrenberg, vertraulich übermittelt worden. Vgl. Brief Max Webers an Carl Neumann vom 3. Nov. 1906, MWG II/5, S.  174–176.

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Motiv besteht, ihm um seiner vermeintlich eigenartigen Richtung willen persönlich wehe zu tun oder ihm die erstrebte Berufung zu mißgönnen, wenn er sie nach seinem gegenwärtigen Habitus verdienen würde.9 Allein ein Verhalten, wie es hier von seiner Seite vorlag und als Tatsache durch seine eigene Erklärung10 ja lediglich bestätigt wird, hätte öffentlich festgestellt werden müssen, auch wenn Herr Ehrenberg nicht in der letzten Zeit den sogen. „Kathedersozialismus“ mit den maßlosesten Schmähungen überschüttet hätte11 und ihm auch jetzt leichtfertig ungerechte Unterdrückung Außenstehender vorwürfe. Die Art der Beurteilung seines Verhaltens wird bei keinem unbefangenen, im akademischen Leben stehenden Mann irgendwie zweifelhaft sein können. Und gegen diese Beurteilung können Herrn Professor Ehrenberg keinerlei Erklärungen helfen, am allerwenigsten aber die vorsichtigen Formen, in welche er sein Vorgehen gekleidet hat. Denn alle diese Dinge sind, wie die Römer sagen würden, „protestationes facto contrariae“.12 Sache und Person sind für mich damit erledigt. Hochachtungsvoll Max Weber.c

c  In A folgt eine Nachbemerkung der Redaktion zu einer Stellungnahme der Kölnischen Zeitung zum „Fall Ehrenberg“, in der Ehrenbergs Bestreben, einzelne Unternehmungen und Betriebe zu erforschen, gewürdigt wird. 9  Max Weber beurteilte Ehrenberg als wissenschaftlich und persönlich ungeeignet für ein Ordinariat: „Ich habe, trotz Anerkennung einiger seiner früheren Arbeiten (die aber methodisch stets zu wünschen übrig lassen, stets zu schnell gearbeitet sind, – Auskunft bei Dietrich Schäfer) persönlich so viel gegen ihn einzuwenden, daß ich nur auf Verlangen über ihn schreibe.“ Brief Max Webers an Richard Graf Du Moulin-Eckart vom 4. Mai 1907, MWG II/5, S.  287–296, Zitat: S.  295 f., sowie den Brief an Carl Neumann vom 3. Nov. 1906, MWG II/5, S.  174–176, bes. S.  174 f. 10  Gemeint ist: Ehrenberg, Tendenzprofessur (wie oben, S.  172, Anm.  7). 11 Am 16. Oktober 1909 hatte Ehrenberg in einem Zeitungsartikel den „Geist des Kathedersozialismus“ für den Sturz Bismarcks verantwortlich gemacht, vgl. Ehrenberg, Richard, Der Verein für Sozialpolitik, in: Der Tag, Nr.  243 vom 16. Okt. 1909, Ausgabe A, S. [1 f.]. 1909 erschien auch seine Schrift: Ehrenberg, Richard, Gegen den Katheder-Sozialismus! Die Katheder-Sozialisten und die Reichs-Finanzreform, Erstes Heft. – Berlin: Carl Heymanns Verlag 1909. 12  Nach dem aus dem Römischen Recht stammenden Grundsatz: Protestatio facto contraria non valet (lat.: ein Widerspruch, der im Gegensatz zum tatsächlichen Handeln steht, gilt nicht).

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[Die Auslese für den akademischen Beruf] [Diskussionsbeiträge auf dem III. Deutschen Hochschul­ lehrertag in Leipzig am 12. und 13. Oktober 1909]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Auf dem III. Deutschen Hochschullehrertag in Leipzig wurde in der Vormittagssitzung des ersten Verhandlungstages die Frage diskutiert, ob man die Zulassung zur Habilitation von der Erfüllung religiöser oder politischer Voraussetzungen abhängig machen dürfe.1 Diese Frage hatte bereits auf dem II. Deutschen Hochschullehrertag in Jena ein Jahr zuvor eine Rolle gespielt.2 Nun wurde sie ausführlich behandelt. In seinem Eröffnungsreferat erwähnte Adolf Wach die in Jena zurückgestellte Resolution Alfred Webers zum Thema und vermutete: „Herr Weber hat Anlaß zu dem Antrage […] wohl in Regierungsakten gefunden, speziell in dem Fall Schmidt, dem Fall Arons und vielleicht in dem Fall Michels“, was Max Weber durch einen Zwischenruf verneinte.3 Wie schon in Jena, beteiligte sich Max Weber anschließend mit einem längeren Diskussionsbeitrag an der Debatte.4 In einem zweiten Diskussionsbeitrag distanzierte er sich von den „Hochschulnachrichten“, insbesondere von ihrem Herausgeber.5 Am zweiten Verhandlungstag äußerte sich Weber zweimal in der Vormittagsdebatte über „Die Auslese für den akademischen Nachwuchs“.6

1  Vgl. Verhandlungen des III. HT, S.  4–21. 2  Der II. Deutsche Hochschullehrertag hatte am 28. und 29. September 1908 in Jena stattgefunden. Vgl. Weber, Über die Lehrfreiheit an deutschen Universitäten, oben, S.  122–124. 3  Das Referat von Adolf Wach findet sich in: Verhandlungen des III. HT, S.  4–12, Zitat: S.  6, dort auch Webers Zwischenruf „Nein!“. 4  Vgl. unten, S.  182–185. 5  Vgl. unten, S.  185, in den überlieferten Zeitungsberichten vom Hochschullehrertag wird dieser Beitrag nicht erwähnt, vgl. dazu Weber, Die Auslese für den akademischen Beruf. Berichte, unten, S.  777–787. 6  Vgl. Verhandlungen des III. HT, S.  35–52; zu Webers Beiträgen vgl. unten, S.  185 f. und 186 f.

Editorischer Bericht

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Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Die Diskussionsbeiträge werden wiedergegeben nach dem offiziellen Protokoll des Hochschullehrertages: Verhandlungen des III. Deutschen Hochschullehrertages zu Leipzig am 12. und 13. Oktober 1909. Bericht erstattet vom engeren geschäftsführenden Ausschuß. – Leipzig: Verlag des Literarischen Zentralblattes für Deutschland (Eduard Avenarius) 1910, S.  16 f. [1.], S.  20 f. [2.], S.  41 [3.] und S.  47 [4.] (A). Ein Zwischenruf zum Referat von Adolf Wach (ebd., S.  6) wird nicht ediert.7 Der offizielle Bericht wurde erst am 10. Februar 1910, also vier Monate nach dem Hochschullehrertag, veröffentlicht. Es ist wahrscheinlich, daß den Rednern ihre Beiträge vorher vorgelegt wurden und sie als autorisiert gelten können. Anders verhält es sich mit der Berichterstattung in der Tagespresse, die im unmittelbaren Anschluß an den Hochschullehrertag, auf der Grundlage stenographischer Mitschriften, erfolgte und eine öffentliche Debatte aus­ löste.8 Diese nicht autorisierten Berichte über den Hochschullehrertag und Webers Beiträge werden unten gesondert ediert.9 Max Webers Redebeiträge sind im Protokoll jeweils mit „M. Weber (Heidelberg)“ bzw. „Weber (Heidelberg)“ eingeleitet.

7  Vgl. dazu oben, S.  180 mit Anm.  3. 8  Vgl. dazu Weber, Zum Hochschullehrertage, oben, S.  171–175, und Weber, Professor Ehrenberg, oben, S.  176–179. 9  Weber, Die Auslese für den akademischen Beruf. Berichte, unten, S.  777–787.

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[Die Auslese für den akademischen Beruf]

1. [A 16]

Zu den Bemerkungen des Vorredners1 frage ich: wozu in aller Welt ist das Kolloquium vorhanden! Man stelle im Kolloquium Fragen,2 die die allerunangenehmsten sind, und dehne das Kolloquium solange aus, bis Klarheit besteht, daß der Mann zwischen seinem Glauben und zwischen der Art seiner wissenschaftlichen Arbeit in einer Weise zu scheiden weiß, von der man sagen muß: das ist ein Denker, deshalb gehört er in den Kreis der Wissenschaft hinein, möge seine Überzeugung, seine religiöse Überzeugung uns persönlich noch so absurd erscheinen. Zu dem, was Herr Wach über die theologische Fakultät und ihre Stellung an der Universität gesagt hat,3 bemerke ich: es ist nicht richtig, daß mit dem Begriffe der theologischen Fakultät das Dogma verbunden ist. Es gibt theologische Fakultäten, die dogmenfrei sind, die holländischen, die von aller Bindung an irgendein abzulegendes Glaubensbekenntnis befreit sind.4 Infolgedessen werden an 1  Webers Vorredner Georg Kaufmann aus Breslau hatte bestritten, daß ein Vertreter der äußersten Orthodoxie oder ein Marxist fähig sei, zwischen seiner religiösen bzw. politischen Überzeugung und seiner wissenschaftlichen Arbeit zu unterscheiden. Vgl. Verhandlungen des III. HT, S.  15 f. 2  Als Teil der Habilitationsanforderungen veranstalteten die Fakultäten der Regel entsprechend mit dem Bewerber ein Kolloquium. Dieses konnte aber auch erlassen werden, wenn sich der Habilitand durch seine vorgelegten wissenschaftlichen Arbeiten als ausreichend qualifiziert erwiesen hatte. Vgl. Daude, Paul, Die Rechtsverhältnisse der Privatdozenten. Zusammenstellung der an den Universitäten Deutschlands und Österreichs sowie an den deutschsprachigen Universitäten der Schweiz über die rechtliche Stellung der Privatdozenten erlassenen Bestimmungen. – Berlin: Julius Becker 1896, S.  4. 3 Adolf Wach hatte in seinem Referat die Ansicht vertreten, daß ein Katholik nicht Mitglied einer evangelischen Theologischen Fakultät sein könne. Ebensowenig könnten Atheisten oder Dissidenten an einer theologischen Fakultät unterrichten. Vgl. Verhandlungen des III. HT, S.  7. 4  An den holländischen Reichsuniversitäten Leiden, Groningen und Utrecht wurde in der Theologie zwischen Staats- und Kirchenfächern unterschieden. Dogmatik lehrte man nach den Vorschriften der Reformierten Kirche, Exegese und Kirchengeschichte dagegen blieben von kirchlicher Vormundschaft frei. Diese Trennung galt nicht für die streng reformierte Vrije Universiteit in Amsterdam und die katholische Universität in Nijmwegen.

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diesen Fakultäten nur historische Gebiete gepflegt, dagegen weder Apologetik noch Dogmatik. Das Ministerium Abraham Kuyper5 hat nun allerdings dem Zustande ein Schnippchen geschlagen, indem es ein System eingeführt hat, das hier an der Universität Leipzig beinahe sein Gegenbild gefunden hätte. Wer nämlich heute in Holland eine Geldsumme stiftet, kann dafür verlangen, daß an der Universität ein Lehrstuhl begründet werde, wenn die Geldsumme ausreicht. Der erste, der von dieser Bestimmung Gebrauch gemacht hat, war der Bischof von Utrecht,6 und der erste, der bei uns in Deutschland an der Universität Leipzig von solchem Privileg Gebrauch machen würde, würde Herr Bueck sein, der Generalsekretär des Verbandes deutscher Industrieller.7 Denn es ist bekannt, daß er an die Universität mit einem solchen Ansinnen herangetreten ist. Es ist ferner bekannt, daß der Mann, den er meinte,  sich gleichzeitig bewerbend an den hiesigen Ordinarius der betreffenden Fakultät gewendet hat.8

5  Wenige Wochen nach Bekanntgabe der „Hogeronderwijsnovelle“ (Hochschulnovelle) des niederländischen Premierministers Abraham Kuyper richtete der Episkopat in Zusammenarbeit mit bedeutenden Katholiken die St. Radboudstiftung ein, die eine katholische Universität vorbereiten sollte und sich überdies um die Einrichtung katholischer Lehrstühle an den öffentlichen Universitäten bemühte. Vgl. dazu Weber, Die Lehrfreiheit, oben, S.  136, Anm.  13. 6  Gemeint ist Henricus van de Wetering. 7  Der Vorsitzende des Hochschullehrertages, der Straf- und Staatsrechtslehrer Karl Binding, teilte in seinem folgenden Diskussionsbeitrag mit, daß eine namentlich nicht genannte Interessensgruppe dem sächsischen Kultusministerium eine jährliche Summe von 30.000 Mark geboten habe, wenn ein dieser Gruppe genehmer Nationalökonom als Professor an die Universität Leipzig berufen würde. Da es sich dabei um ein Habilitationsgesuch handelte, habe das Ministerium es an den akademischen Senat weitergeleitet, der es als Zumutung zurückwies. Vgl. Verhandlungen des III. HT, S.  18. Wie die Frankfurter Zeitung, Nr.  286 vom 15. Okt. 1909, 2. Mo.Bl., S.  1, richtigstellte, handelte es sich bei der erwähnten Interessensgruppe um den Verband Sächsischer Industrieller und die Berufung Richard Ehrenbergs. Vgl. dazu ausführlich den Editorischen Bericht zu Weber, Zum Hochschullehrertage, oben, S.  171 f. 8  Gemeint ist der Rostocker Professor für Staatswissenschaften Richard Ehrenberg. Er beabsichtigte, mit finanzieller Unterstützung aus Industriekreisen ein wirtschaftswissenschaftliches Institut für die von ihm entwickelte „exakt-vergleichende Wirtschaftsforschung“ zu gründen, die den Vergleich von „Privatwirtschaften“ zum Gegenstand hatte. Vgl. Ehrenberg, Terrorismus (wie oben, S.  172, Anm.  5), S.  47. Ehrenberg wollte sein „Institut für exakte Wirtschaftsforschung“ bei der Universität Leipzig ansiedeln. Deshalb forderte er am 20. Juni 1908 Karl Bücher, Leipziger Ordinarius für Nationalökonomie, brieflich auf, ihn bei seinem Vorhaben zu unterstützen. Bücher lehnte dieses Ansinnen in seinem Antwortschreiben am 21. Juni 1908 ab. Ebd., S.  88.

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Die Auslese für den akademischen Beruf

Ein prinzipieller Gegensatz zwischen mir und Wach besteht nur über die Werturteile.9 Werturteile gehören überhaupt nicht auf das Katheder, sondern der Dozent soll sich beschränken auf die Feststellung der Tatsachen und ihrer Kausalzusammenhänge, zweitens auf die Feststellung des logischen Sachverhaltes; gehört zur wissenschaftlichen Erörterung auch die Tatsache, daß ein bestimmter Zweck erreicht werden soll, den der Staat oder irgendein Individuum oder irgendeine Partei verfolgt, so darf ich mich nur mit den Mitteln der Wissenschaft nahen und sagen: zu diesem Zweck bedarf es der und der wissenschaftlichen Mittel. Unter diesen Mitteln befinden sich vielleicht einige, von denen man sich fragen wird: willst du diese Mittel mit in Kauf nehmen für deinen Zweck? Denn aus solchen Kompromissen und Zwecken bestehen alle unsere Wertungen; dadurch werde ich dem Hörer vielleicht zur Klärung verhelfen und überlasse ihm selbst die Entscheidung. Aber ihm diese Entscheidung abzuschneiden und ihm ein bestimmtes Soll zu suggerieren, ist nicht gestattet. Das habe ich immer abgelehnt, und ich bin auch heute stolz darauf, daß Schüler aus meinem Seminare von dem äußersten agrarischen bis zu dem extrem linksstehenden alle denkbaren Standpunkte im Leben vertreten haben, und ebenso muß z. B. auch der Jurist, der Historiker verfahren. Das Stück gemeinsamen Kulturbodens, das wir mit unsern Gegnern gemein haben, ist die schlichte Wissenschaft von den Tatsachen. Nichts weiter haben wir unseren Schülern mitzugeben, und wer eine echte und starke Überzeugung hat, der ist auch der Meinung, daß damit die Schüler nicht sich verlieren und jedem preisgegeben werden. Und wenn man auch in den Blättern nationale Töne angeschlagen hat gegen mich, der hier die Sozialdemokraten in die Höhe bringen wolle auf Lehrstühlen, m[eine] H[erren], lassen wir die Sozialdemokraten doch einen Versuch machen, die Lehrstühle der deutschen Universitäten zu besetzen, und dann wollen wir die Blamage 9  Adolf Wach hatte in seinem Einführungsreferat (Verhandlungen des III. HT, S.  4–12) betont, es sei wünschenswert, daß der zukünftige Hochschullehrer eine „feste religiöse und politische Überzeugung“ habe (ebd., S.  8). Diese könne u. U. in den historischen Disziplinen deutlich zum Ausdruck kommen, da Wissenschaftler keine Automaten, sondern lebendige Menschen seien. Es könne sich aber diese religiöse und politische Einstellung im Einzelfall als unvereinbar mit der Lehrtätigkeit herausstellen. Deshalb sei eine Eignungsprüfung notwendig, die auch die religiöse und politische Betätigung des Kandidaten mit einbeziehe. Sie könne dazu führen, dem Kandidaten die Habilitation zu verweigern.

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ansehen, die dabei herauskommt. Sie haben gar nicht die Kräfte, etwas zu bieten, wie es die deutsche Wissenschaft in ihrer Gesamtheit bietet.

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Einera der Herren Redner hat bemerkt, daß in die „Hochschulnachrichten“ seinerzeit Kollegen geschrieben hätten.10 Gemeint war ich. Nachdem ich aber das Urteil mit seinem Inhalt gesehen habe, und daß der Mann,11 von dem ich angenommen, daß es ein Gentleman wäre, gegen dieses Urteil keine Berufung eingelegt hat, stehe ich allerdings auf dem Standpunkt: von mir kommt keine Zeile mehr in die Zeitschrift hinein! Das ist das eine. Das zweite betrifft meine Persönlichkeit. Ich muß dabei bleiben, daß ich imstande bin, wissenschaftliche Zusammenhänge darzulegen ohne Werturteile, und bin nur  auf den Teil meiner Lehrtätigkeit stolz, in dem ich diesem Ideal treu geblieben bin.

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3.

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Jeder Institutsdirektor, den man ernstlich vor die Frage stellt, ob so etwas wie konstitutionelle Verhältnisse in seinem Institut möglich sind, wie Lamprecht eben angedeutet hat,12 wird sagen: das ist unmöglich, ich bin für mein Institut verantwortlich mit meinem a  In A geht (auf die Nennung Max Webers folgend) der Protokollzusatz voraus: (persönliche Bemerkung) 10 Der Redner war Karl v. Amira. In seiner Eröffnungsrede berichtete er über das Ende der Zusammenarbeit zwischen dem geschäftsführenden Ausschuß des Hochschullehrertages und den von Paul v. Salvisberg herausgegebenen Hochschul-Nachrichten. Vgl. Verhandlungen des III. HT, S.  4–12. Als v. Amira hervorhob, daß „immer noch bis in die letzte Zeit sogar einige von unseren Gesinnungsgenossen in diesem Organ geschrieben haben“ (ebd., S.  4), fühlte sich Weber angesprochen, da er den Aufsatz „Die Lehrfreiheit der Universitäten“ in den Hochschul-Nachrichten vom Januar 1909, veröffentlicht hatte. Vgl. oben, S.  125–138. 11  Gemeint ist Paul von Salvisberg. 12  Karl Lamprecht hatte auf die Abhängigkeit der Assistenten von den Institutsdirektoren hingewiesen und angeregt, „etwas Konstitutionelles“, wie z. B. eine Dozentenkonferenz, einzurichten. Vgl. Lamprecht, Diskussionsbeitrag, in: Verhandlungen des III. HT, S.  41.

[A 41] A 42

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Vermögen. Es ist eine Utopie, daß man mehr als ganz bestimmte, näher zu erörternde, aber, wie ich glaube, in den Rahmen der heutigen Diskussion kaum gehörende Palliativmittel vorschlagen kann gegen die Renitenz des Institutsdirektors. Ferner müssen wir uns die für die Verhältnisse der Assistenten undb des Nachwuchses überhaupt tragische Tatsache klar machen, daß die Rücksicht auf die Wissenschaft die brutalste Auslese verlangt. Was speziell die Assistenten anbelangt, so ist das einzige, daß man zu dem alten Grundsatze zurückkehrt, daß es sich nicht gebührt, daß ein Assistent länger als 3 Jahre Assistent ist.13 Ich kann mich sehr gut der Zeit erinnern, wo man es dem Assistenten verübelte, wenn er länger als 3 Jahre dem hinter ihm Stehenden im Wege war. Heute ist das anders geworden, und ich möchte in dieser Beziehung sagen: die Herren Assistenten mögen auch an ihre eigene Brust schlagen.

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In der Debatte der Ortsgruppe München14 vermisse ich einen Gesichtspunkt: ist der Privatdozent nichts weiter als akademischer Nachwuchs? Ist er nicht freier Lehrer und Forscher, dem Gelegenheit gegeben wird, durch Habilitation seine Ansichten kundzugeben? Er ist doch nicht nur eine Art Avantageur;15 das wäre eine bureaukratische und militärische Auffassung. Jedem Privatdozenten muß in die Seele geschrieben werden, daß er unter keinen Umständen ein irgendwie ersitzbares Recht auf irgendwelche Versorgung habe.c Hinaus mit all den Gesichtspunkten, die an Bureau-

b  Fehlt in A; und sinngemäß ergänzt.   c  In A folgt der Protokollzusatz: (Bravo!) 13  Assistentenstellen wurden nur befristet besetzt, Verlängerungen waren aber möglich. Als Staatsdiener waren die Assistenten auf vierteljährliche Kündigung angestellte Beamte. Vgl. Paletschek, Sylvia, Die permanente Erfindung einer Tradition. Die Universität Tübingen im Kaiserreich und der Weimarer Republik. – Stuttgart: Fritz Steiner 2001, S.  254. 14  Weber bezieht sich auf das Protokoll einer Sitzung der Ortsgruppe München vom 1. Juli 1909, das kurz vor seiner Wortmeldung verlesen worden war. Vgl. Verhandlungen des III. HT, S.  43 f. 15 Frz.: Offiziersanwärter, Fahnenjunker oder Berufsanfänger der höheren militärischen Laufbahn mit geregeltem Aufstieg.

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kratie und an das Schema des aufsteigenden Unteroffiziers,­ Sergeanten usw., oder auch an gleiches Recht usw., kurz an irgendwelche bureaukratischen Gesichtspunkte erinnern.d

d  In A folgt der Protokollzusatz: (Stürmischer langanhaltender Beifall.)

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Antrag auf Statutenänderung [der Deutschen Gesellschaft für Soziologie]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Die ersten „Satzungen“ der DGS wurden auf der Gründungsversammlung am 3. Januar 1909 in Berlin beschlossen (Berliner Statut).1 An ihrer Formulierung war Max Weber noch nicht beteiligt. Er versuchte aber in der Folge, auf die weitere Ausgestaltung dieses Statuts Einfluß zu nehmen. Seine Änderungsvorschläge gingen denn auch in die späteren Fassungen, vom Oktober 1909 (Leipziger Statut)2 bzw. vom Oktober 1910 (Frankfurter Statut),3 ein. Wie Weber die Gesellschaft gestaltet sehen wollte, ist seinem Rundschreiben vom Juni 1909 zu entnehmen. Dem wollte er mit seinen Änderungsanträgen Rechnung tragen.4 Der hier edierte Text ist Webers zweiter Antrag auf eine Satzungsänderung. Dieser schlägt sich in dem Statut vom Oktober 1910 nieder (Frankfurter Statut). Der erste – nicht überlieferte – Antrag5 liegt etwa ein Jahr davor und führte zum Leipziger Statut, insbesondere der Umformulierung von §  1. Den im folgenden edierten Antrag auf Satzungsänderung sandte Max Weber am 25. September 1910 an den Geschäftsführer der Deutschen 1  Das Berliner Statut war der Einladung des Vorstandes zum Beitritt zur Deutschen Gesellschaft für Soziologie vom 3. Januar 1909 (vgl. unten, S.  824–830) beigefügt und ist in Anhang II, unten, S.  857–859, abgedruckt. 2  Zum Leipziger Statut vgl. Anhang II, unten, S.  859–863. 3  Das Frankfurter Statut (Anhang II, unten, S.  864–868) wurde in der zweiten ordentlichen Mitgliederversammlung der DGS vom 19. Oktober 1910 verabschiedet. Vgl. Protokoll der zweiten ordentlichen Mitgliederversammlung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Frankfurt a. M. am 19. Oktober 1910, SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.2.10. Auf Wunsch Max Webers wurden in der Mitgliederversammlung am 6. März 1911 noch einige redaktionelle Änderungen beschlossen. Vgl. Weber, Änderung des Statuts, unten, S.  814–818. 4  Vgl. Weber, Über Ausrichtung und Vorgehen der DGS, oben, S.  153–162. 5  Am 31. August 1909 beantragte Weber die Einberufung einer Sitzung, u. a. zur „Besprechung über die Verfassung der Gesellschaft und etwa notwendige Statutenänderungen“ (Brief Max Webers an Hermann Beck vom 31. Aug. 1909, MWG II/6, S.  240 f., Zitat: S. 241). In der Einladung zur außerordentlichen Mitgliederversammlung der DGS am 14. Oktober 1909 in Leipzig stand dann unter Punkt 2: „Antrag des Herrn Prof. Max Weber betr. Statutenänderung“ (Entwurf des Einladungsschreibens vom 8. Sept. 1909 mit handschriftlichen Korrekturen, SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.2.11.). Der Antrag selbst ist nicht überliefert, auch kein Protokoll der Versammlung.

Editorischer Bericht

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Gesellschaft für Soziologie Hermann Beck. Weber empfahl, „die Elastizität der Gesellschaftsverfassung in Bezug auf die beiden in Betracht kommenden Punkte (Zuziehung von Praktikern, Abteilungen) möglichst zu erhöhen und alle Regelungen dem Einzelfall anheimzustellen“.6 Das Frankfurter Statut von 1910 berücksichtigt die von Weber vorgeschlagenen Änderungen. Sein erster Änderungsvorschlag wurde nahezu wörtlich als §  25 übernommen.7 Sein zweiter Änderungsvorschlag (§  32) betrifft die Einführung von Abteilungen innerhalb der DGS.8 Dieser wurde von der Mitgliederversammlung am 19. Oktober 1910 mit einer Einschränkung ange­ nom­men.9 Dessen ungeachtet findet sich Webers Formulierung wörtlich in §  29 des Frankfurter Statuts von 1910.10

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Dem Abdruck liegt der dreiseitige maschinenschriftliche Text in: SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.1.60, Bl. 176–178, zugrunde (A), den Max Weber als Beilage zu dem Brief an Hermann Beck vom 25. September 1910 verschickte.11 Im Nachlaß von Ferdinand Tönnies befindet sich außerdem eine maschinenschriftliche Abschrift des Antrags (ebd., Cb 54.61:1.2.01), die geringfügige Abweichungen von Webers Text aufweist. Die Abschrift wurde offenbar aus Gründen der Vervielfältigung angefertigt, aber von Weber nicht autorisiert, so daß sie nicht als eigenständige Textfassung angesehen werden kann. Aus diesem Grund bleibt sie hier unberücksichtigt. Der Antragstext ist überschrieben: „Max Weber: Antrag auf Statutenänderung“. Oberhalb der Überschrift findet sich der in Klammern gesetzte, maschinenschriftliche Zusatz: „Entwurf zur Kenntnisnahme des Vorstandes:“. Der dreiseitige Text enthält eine doppelte Archivpaginierung: Bl. 176–178 und die durchgestrichene Zählung Bl. 83–85. Beide werden durch eine Neuzählung des Herausgebers von 1 bis 3 ersetzt und als A (1) etc. sigliert. Alle Unterstreichungen sind maschinenschriftlich vorgenommen und werden durch

6  Vgl. Brief Max Webers an Hermann Beck vom 25. Sept. 1910, MWG II/6, S.  622–625, Zitat: S.  624; der Antrag ist abgedruckt ebd., S.  626–628. 7  Vgl. Frankfurter Statut, unten, S.  864–868. 8  In einem Brief an Hermann Beck schlug Max Weber Abteilungen für Statistik, Philosophie und Soziologie des Rechts und für Wirtschaftstheorie vor. Vgl. Brief Max Webers an Hermann Beck vom 4. Okt. 1910, MWG II/6, S.  634 f., hier S.  634. 9  Weber, Satzung, Geschäftsbericht, Rechner, unten, S.  809. 10  Vgl. Frankfurter Statut, unten, S.  867. 11  Vgl. den Abdruck der Briefbeilage in: MWG II/6, S.  626–628.

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Antrag auf Statutenänderung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie

Kursivdruck wiedergegeben. Der Text enthält maschinenschriftliche Korrekturen von Schreibfehlern, z. B., „Bedingungen“ zu „Bedingung“, „recchen“ zu „reichen“. Drei Wörter sind maschinenschriftlich unkenntlich gemacht. All dies wird textkritisch nicht nachgewiesen.

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Antrag auf Statutenänderung.

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I Zu §  11:1 Einfügen: Nr.   4 „die etwa gemäß §   32 gebildeten Abteilungen“a Die jetzige Nr.  4 in „5“ umändern. II Zu §  12:2 Zeile 1 statt „7“ zu setzen „folgenden“b ” 2 „und zwar“ zu streichen ” 3 „und“ ” ” unter entsprechender Änderung der Interpunktion. Zeile 5 hinzufügen: „und je ein von jeder gemäß §  32 geschaffenen Abteilung hineindelegiertes Mitglied.“ III Zu §  28:3 von „und dem Kreise“4 bis „zuziehen“ zu streichen und durch folgende Formulierung zu ersetzen: „doch sollen mit beschließender Stimme höchstens soviele Nichtmitglieder zugezogen werden, wie dem Ausschuß Mitglieder der Gesellschaft angehören. Die Zusammensetzung und jede Änderung derselben ist dem Vorstand der Gesellschaft anzuzeigen. Die Mitgliederversammlung behält das Recht der Zuwahl und des Ausschlusses von Ausschußmitgliedern“[.] a A: „Abteilungen“  b A: „folgende“ 1  Das Leipziger Statut führt in §  11 vier „Organe der Gesellschaft“ auf: „1. der Vorstand 2. die Mitgliederversammlung 3. die Ausschüsse 4. der Rechner.“ Vgl. unten, S.  861. Zur Umsetzung vgl. §  7 des Frankfurter Statuts, unten, S.  865. 2  §  12 des Leipziger Statuts lautet: „Der Vorstand besteht aus 7 auf 3 Jahre […] bestellten Personen, und zwar aus 3 von der Mitgliederversammlung zu wählenden Vorsitzenden der Gesellschaft, einem ebenso zu wählenden Schriftführer und 3 von diesen 4 Personen hinzuzuwählenden anderen Vorstandsmitgliedern.“ Die von Weber angegebenen Stellen sind kursiv wiedergegeben (vgl. auch unten, S.  861). Zur Umsetzung vgl. §  8 des Frankfurter Statuts, unten, S.  865. 3  §  28 des Leipziger Statuts lautet: „Jeder Ausschuß hat das unbeschränkte Recht der Zuwahl aus dem Kreise der ordentlichen Mitglieder und darf mit beratender Stimme jede ihm geeignet scheinende Persönlichkeit zuziehen.“ Hervorhebung der von Weber zu ändernden Passage (vgl. auch unten, S.  863). Zur Umsetzung vgl. §  25 des Frankfurter Statuts, unten, S.  867, dort mit kleineren Modifikationen gegenüber Webers Vorschlägen: „Sonder-Ausschuß“ statt „Ausschuß“, „Der Hauptausschuß“ statt „Die Mitgliederversammlung“ und „Mitgliedern der Sonder-Ausschüsse“ statt „Ausschußmitgliedern“. 4  §  28 des Leipziger Statuts lautet: „aus dem Kreise“. Vgl. unten, S.  863.

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Antrag auf Statutenänderung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie

IV Hinter den jetzigen §  31c einzuschieben:5 Abschnitt E: „Abteilungen“ §   32 Die Mitgliederversammlung kann für wissenschaftliche Sondergebiete Abteilungen einrichten und dabei ihre Stellung innerhalb der Gesellschaft und ihrer Geschäftsordnung generell oder für jeden Einzelfall regeln oder ihnend die Regelung ihrer Geschäftsordnung und ebenso die Ausübung bestimmter einzelner von denjenigen Rechten ganz oder teilweise überlassen,e welche nach §§  21, 25, 27 ihr selbst zustehen. Die jetzigen §§   32 und 33 in §§   33 und 34, denf Abschnitt „E“ in „F“ umnennen. A (2)



Begründung. 1. die Vorschläge zu §  11 sind nur redaktionell. Diejenigen zu §   12 sind meines Erachtens Konsequenz einer etwaigen Errichtung von Abteilungen.  Vermehrt sich dadurch die Zahl der Vorstandsmitglieder nun auch weiter, so wird es allerdings dringendstes schon jetzt empfundenes Bedürfnis, daß a. der Vorstand selbst geschäftsordnungsmäßig6 im Interesse eines weniger schleppenden Ganges der Geschäftsführung bestimmte mehr äußerliche und technische Angelegenheiten unter voller Wahrung des Rechtes der anderen Vorstandsmitglieder auf Information und Wahrung der Möglichkeit des Eingreifens den in Berlin wohnhaften, evtl. einigen anderen einzelnen Herren überläßt;g

c A: 32  d A: Ihnen  e A: überlassen.  f A: der  g A: überläßt. 5  Auf §  31 folgt im Leipziger Statut: „E. Rechner.“ mit den zugehörigen §§  32 und 33, vgl. unten, S.  863. 6  Weber hielt eine Geschäftsordnung für den Vorstand der DGS, welche die Arbeitsteilung unter den drei Vorstandsmitgliedern Ferdinand Tönnies, Werner Sombart und Georg Simmel regelt, für erforderlich. Vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Entwurf einer Geschäftsordnung für den Vorstand, unten, S.  243 f.

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b. daß ferner die drei Herren Vorsitzenden sich ihrerseits in bestimmte Geschäfte teilen.7 Darüber sollte m. E. eine Vorstandssitzung in Frankfurt/Main beraten.8 2. Der Vorschlag zu §  28 rechtfertigt sich durch die Bedürfnisse, wie sie schon die Wahl des Ausschusses für die Presse-Enquête ergeben wird.9 Die Zuziehung von Praktikern ist unerläßlich, und hervorragende Praktiker müssen einerseits mit gleichem Recht kooptiert werden (was jetzt nicht möglich ist),h andererseits kann man sie nicht zum Eintritt als unterstützende Mitglieder pressen wollen, gleichviel ob dies mit Erfolg geschehen könnte. In der vorgeschlagenen Fassung erscheint das beantragte Recht wohl unbedenklich. 3. §  32 soll die Möglichkeit, in jedem Einzelfall und vorbehaltlich jederzeitiger Änderungen die Stellung der projektierten Abteilungen zu regeln, eröffnen. Die Schwierigkeiten dieser Regelung werden sich voraussichtlich auf folgende Punkte erstrecken: a. Kooptationsrecht der Abteilungen? m. E. unter Vorbehalt einstimmiger Zustimmung des Vorstandes zur Kooptationsliste für die statistische Abteilung10

h A: ist,)   7  Vgl. dazu oben, S.  191, Anm.  1. 8  Die Vorstandssitzung fand am 21. Oktober 1910 in Frankfurt a. M. statt. Ob über die Frage der Arbeitsteilung beraten wurde, geht aus dem Protokoll nicht hervor. Vgl. Protokoll der Vorstandssitzung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie zu Frankfurt a. M., am Freitag den 21. Oktober abends 7 Uhr, in: SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.2.10. 9  Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Vorbericht, unten, S.  208–210. Max Weber legte seinem Brief an Hermann Beck, vor dem 16. Februar 1911, eine Liste von Verlegern und Journalisten bei, die er als „Praktiker“ in den Presseausschuß kooptiert sehen wollte (vgl. MWG II/7, S.  99). 10  Eine offizielle Kooptationsliste für die Statistische Abteilung ließ sich nicht finden, nur der „Entwurf eines Schreibens an Herrn von Mayr“ (Beilage zum Brief an Hermann Beck vom 5. Dez. 1910, MWG II/6, S.  710 f.), wo Weber die folgenden Personen vorschlägt: Paul Kollmann, Friedrich Schäfer, Sigmund Schott, Wilhelm Böhmert und Eugen Würzburger. Georg v. Mayr sollte den Vorsitz der Sektion übernehmen. Vgl. Weber, Vorläufiger Entwurf Abteilung Statistik, unten, S.  229–234.

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Antrag auf Statutenänderung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie

unbedenklich, und dann natürlich mit Wirkung für die Gesellschaft als solche. b. Finanziellei Rechte der Abteilungen? Solange die Gesellschaft selbst so zahlungsunfähig ist, wie jetzt, ohne größere Bedeutung. Aber im Fall sich dies ändert, schwieriger Punkt, bezüglich dessen aber die Stellung von Anträgen seitens der provisorisch zu konstituierenden Abteilungen als solcher abzuwarten sein wird. c. Eigene wissenschaftliche Unternehmungen und eigene Ausschußwahlen (§   27) der Abteilungen?? M.E. mit Bedingung der Zugehörigkeit eines Vorstandsmitgliedes der Gesellschaft zu den Abteilungsvorständen und jallen Abteilungsausschüssenj zu koncedieren, soweit die Finanzen der Abteilung reichen.

i A: finanzielle  j A: aller Abteilungsausschüsse

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Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie [Unter Mitarbeit von Hermann Beck]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Am 8. April 1910 richtete Hermann Beck an Max Weber die Bitte, einen „zu vervielfältigenden (und auch der Fach- und Tagespresse zuzusendenden […]) Bericht abzufassen, der an alle Mitglieder jetzt mit der Mitteilung ihrer Kooptation […] zu versenden wäre“.1 Dieser Bericht sollte folgende Punkte enthalten: „a. einen kurzen Bericht über das, was wir im verflossenen Jahre (nicht) geleistet haben, b. die Veränderung der Structur der Gesellschaft durch die Leipziger Satzungsänderung […], c. das Ergebnis der Wahlen in den Vorstand […], d. den Plan des Soziologentages unter Angabe der Themata, des Ortes und der Zeit […], e. unsere Pläne bezügl. der wissenschaftlichen Arbeiten, deren Themata ebenfalls zu nennen wäre[n] […].“ Darüber hinaus regte Beck an, einen Auszug aus dem in Leipzig vorgelegten Kassenbericht zu geben. Weber erschien ihm als Autor am geeignetsten „da er sich am meisten mit dem Gegenstande beschäftigt hat und auch der letzten Sitzung in Halle einen Bericht erstattet hat“.2 Die Abfassung des Berichtes wolle er selbst übernehmen, falls Weber dazu keine Zeit habe. Ferner bat er die Vorstandsmitglieder um Material „bezügl. der Themata am Soziologentag“. Wie aus einem Schreiben Becks an Weber vom 9. Juni 1910 hervorgeht, kam Weber dieser Aufforderung brieflich nach.3 Daraufhin stellte Beck aus Webers Materialien einen Geschäftsbericht für die Mitglieder zusammen sowie „verschiedene Aufsätze“.4 Etwas später regte Weber an, die „Mitteilung“ über die Deutsche Gesellschaft für Soziologie an Edgar Jaffé zur Publikation im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik zu schicken.5 Beck tat dies mit der Bemerkung, „nach Gutdünken redaktionell 1  Vgl. die Mitteilung im Rundschreiben Hermann Becks an den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vom 8. April 1910, SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.1.5; dort auch die nachfolgenden Zitate. 2  Über die Sitzung in Halle und den besagten Bericht ist nichts bekannt. 3  Brief Hermann Becks an Max Weber vom 9. Juni 1910, SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.1. 4 Ebd. 5 Brief Max Webers an Hermann Beck vom 10. Juli 1910, MWG II/6, S.  583 f., hier S.  584.

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Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie

zusammenzustreichen oder zu ändern“.6 Bei der von Weber erwähnten „Mitteilung“ handelt es sich vermutlich um das Manuskript der Texte, die unter dem Titel „Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie“ im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik bzw. in den „Dokumenten des Fortschritts“ anonym erschienen sind.

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der gedruckte Text liegt in zwei Fassungen vor: 1) als Abdruck in: Dokumente des Fortschritts. Internationale Revue, hg. von R[odolphe] Broda in Verbindung mit Hermann Beck und Erich Lilien­ thal. – Berlin: Georg Reimer, 3. Jg., 8. Heft, ausgegeben Anfang September 1910, S.  588–592 (A), und 2) als Abdruck in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, hg. von Edgar Jaffé in Verbindung mit Werner Sombart und Max Weber. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 31.  Band, Beilage zum 2. Heft 1910, ausgeliefert am 30. September 1910 (B). Beide Fassungen sind überschrieben mit „Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie.“ und wurden anonym veröffentlicht, doch weisen Satzbau, Wortwahl und Interpunktion auf Max Weber als Urheber hin.7 Zum Abdruck kommt hier die Fassung B als Fassung letzter Hand, da nur sie die aktualisierte Liste der Redner für den Ersten Deutschen Soziologentag enthält.8 Da Weber als Mitherausgeber des Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik den Text noch bis zuletzt bearbeiten konnte, dürften die Änderungen gegenüber der Fassung A auf ihn zurückgehen. Die Abweichungen der Fassung A werden im textkritischen Apparat nachgewiesen. Nicht nachgewiesen wird der differierende Gebrauch von zeitbedingter Recht-

6  So die Mitteilung von Hermann Beck in seinem Brief an Max Weber vom 15. Juli 1910, SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.1.15. 7  So etwa der Ausdruck „Dilettantentreiben“, die Rede von der „organisierten Kollektivarbeit“, von der „notwendigen Elastizität“ des Mitarbeiterstandes und von der Einbeziehung von „Praktikern“. Vgl. dazu den Brief an Hermann Beck vom 25. Sept. 1910, MWG II/6, S.  622–625, hier S.  624, sowie den Brief an Wilhelm Windelband vom 9. Mai 1909, ebd., S.  501–504, hier S.  502. Sowohl in dem unten abgedruckten Text als auch in seinem Bericht für den Ersten Deutschen Soziologentag erhofft sich Weber ein Mäzenatentum, das die wissenschaftliche Arbeit um „ihrer selbst willen fördern“ solle. Vgl. Weber, Geschäftsbericht, unten, S.  286. Ob und welche Passagen von Hermann Beck stammen, läßt sich nicht mehr ermitteln. 8  Vgl. unten, S.  202.

Editorischer Bericht

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schreibung, Abkürzungen und Schreibung von Zahlen (z. B. Entwicklung/Entwickelung, anderen/andern, u./und, z. Zt./zur Zeit, 7/sieben). Der Text der Fassung B umfaßt vier Seiten, die nicht paginiert sind; die Seiten werden vom Editor mit 1 bis 4 neu gezählt und mit B (1), B (2) etc. sigliert.

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Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie. Die Wissenschaft der „Soziologie“ war bis vor kurzem bei uns[,] nach ihrem Aufgabenkreis und ihrer Methode, nach ihren Zu­kunfts­ chancen und selbst nach ihrem Namen,a umstritten. Sie besaß im Ausland, sowohl im angelsächsischen wie im romanischen Kulturgebiet, bereits eine stattliche Zahl nicht nur von Zeitschriften und Kompendien, sondern auch von Instituten mit zuweilen sehr großen Mittelnb und – was dem deutschen Publikum wohl immer noch den meisten Eindruck macht:c – von ordentlichen Professuren an den Universitäten.1 In Deutschland ist sie d, unter ihrem eigenen Namen wenigstens,d nur literarisch vertreten und überwiegend von Gelehrten, die innerhalb der offiziellen Zunft schwer Platz finden.2 Spezialzeitschriften von Bedeutung fanden sich für sie nicht, von Instituten vollends ist auch heute noch keine Rede,e und innerhalb a Komma fehlt in A.   b B: Mitteln,  c Doppelpunkt fehlt in A.   d In A Gedankenstriche statt Kommata.   e  Komma fehlt in B. 1  In den USA gab es schon vor der Jahrhundertwende soziologische Zeitschriften wie The New York Journal of Social Science (1866), The American Sociologist (1883), The Sociologic News (1890), American Journal of Sociology (1895). 1892 errichtete Albion Small an der Universität von Chicago das erste Department of Sociology. 1909 lehrten 50 hauptamtliche Soziologieprofessoren an amerikanischen Universitäten, darunter Charles H. Cooley, Franklin Giddings und James M. Williams. 1905 wurde die American Sociological Society gegründet. Vgl. Hardin, Bert, The Professionalization of Sociology. A Comparative Study: Germany-USA. – Frankfurt a. M.: Campus 1977, S.  20– 23. In London und in Manchester gab es seit 1904 eine Sociological Society. In Frankreich existierte bereits seit 1872 die Société de Sociologie. Emile Durkheim, der seit 1882 einen Lehrauftrag als „Chargé d’un Cours de Science Sociale et de Pédagogie“ an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bordeaux innehatte, gründete 1889 die Année Sociologique. Mit seinem 1895 erschienenen Werk „Règles de la méthode sociologique“ trug er zur Etablierung und Verbreitung des Faches bei. 1902 erhielt Durkheim einen Ruf auf die Professur für Erziehungswissenschaft an die Sorbonne. Diese wurde 1913 in „Erziehungswissenschaft und Soziologie“ umbenannt. René Worms gründete 1892 die Revue internationale de sociologie, 1893 das Institut international de sociologie und 1895 die Société de sociologie. In Belgien gab es seit 1901 das Institut Solvay, vgl. dazu unten, S.  207, Anm.  22, seit 1903 die Société Belge de Sociologie. 2  Nach Webers Meinung setzte sich der Vorstand der DGS aus „Refusés“ zusammen. Der Gesellschaft stünden kaum namhafte Wissenschaftler zur Verfügung. Dies würde sie bei der Werbung um Mitglieder und Forschungsmittel benachteiligen. Vgl. dazu den Brief Max Webers an Franz Eulenburg vom 27. Okt. 1910, MWG II/6, S.  655 f., sowie die Einleitung, oben, S.  30.

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des akademischen Lehrplans war nur ein Teilgebiet: die allgemeine Staatslehre, und auch diesef nur vereinzelt, Promotionsfach und Gegenstand von Lehraufträgen. Andere soziologische Gebiete oder die Soziologie in ihrem Gesamtumfang finden sich in den Vorlesungsverzeichnissen erst neuerdings und dann meist unstet. Allerdings hatte ein geräuschvolles Dilettantentreiben seinerzeit den Namen „Soziologie“ bei uns derart diskreditiert, daß bis in die jüngste Vergangenheit hinein es ernste Gelehrte gegeben hat, welche Bedenken trugen, Arbeiten unzweifelhaft soziologischen Charakters auch offen unter dieser Flagge segeln zu lassen. Was in letzter Zeit einen Umschwung in dieser spezifisch deutschen Stellungnahme herbeiführt, ist zunächst die wachsende Einsicht, daß man bei der Ergründung der Strukturverhältnisse unserer Kultur zunehmend zu Fragestellungen gelangt, welche zu den Forschungszielen derjenigen Einzeldisziplinen, welche das soziale Leben unter spezifischen Einzelgesichtspunkten behandeln (also: Nationalökonomie, Rechtskunde, Kulturgeschichte, historische und vergleichende Religionswissenschaft, historische und systematische Sittenkunde, Sozialpsychologie),g teils als umfassendere Probleme, teils als Zwischen-, teils als Berührungsgebiete sich verhalten. Dann die fernere Einsicht, daß es unter den für diese Gebiete gemeinsamen Aufgaben solche gibt, welche schlechterdings nur durch organisierte Kollektivarbeit3 zu bewältigen sind. –h Nach mannigfachen älteren Versuchen darf jetzt von einem Beginn organisierter soziologischer Arbeit berichtet werden. Die seit dem vorigen Jahre mit dem Sitze Berlin (W. 50 Spichernstraße 17) bestehende Deutsche Gesellschaft für Soziologie hat sich kürzlich ihre definitive Verfassung gegeben.4 Die einfache (unterstützende) Mitgliedschaft, welche das Recht auf aktive Teilnahme an allen wissenschaftlichen Veranstaltungen der Gesellschaft (insbesondere an den Diskussionen der Tagungen und am Publikaf A: dies  g  Komma fehlt in A.   h  Gedankenstrich fehlt in A. 3  So auch die von Weber vorgeschlagenen Forschungsvorhaben. Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Vorbericht, unten, S.  208–210. 4  Das Statut erhielt erst auf der zweiten ordentlichen Mitgliederversammlung der DGS am 19. Oktober 1910 – nach Übernahme der Änderungsvorschläge Max Webers – seine endgültige Gestalt (Frankfurter Statut). Vgl. unten, S.  864–868. Zu den Hintergründen vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Antrag auf Statutenänderung, oben, S.  188–190.

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tionsbezug zu Vorzugsbedingungen) gibt, kann von jedermann gegen die Verpflichtung zu einem Jahresbeitrag von 10 Mk. erworben werden. Es genügt Einzahlung des Betrages an die Kommerzund Diskontobank, Depositenkasse D, Berlin W. 15, Kaiserallee 211 und Mitteilung davon an die obige Adresse. Über Anträge auf Veranstaltungen wissenschaftlicher Arbeiten (zu deren Stellung und persönlicher Vertretung jedes Mitglied berechtigt ist) beschließt, dem Zweck der Gesellschaft entsprechend, die ausschließlich aus soziologischen Fachmännern (Theoretikern und Praktikern) bestehende Versammlung der sogen.i ordentlichen Mitglieder, welche zur Zeit aus ca.j 100 Personen5 besteht und ihrer stetigen weiteren Ergänzung entgegengeht. Die Einladung zur Gründung unterzeichneten seinerzeit u. a.: Prof. Bernheim (Greifswald), Prof. Breysig (Berlin), Prof. Cohen (Marburg), Dr. Eduard David (Berlin), Prof. E[berhard] Gothein (Heidelberg), kProf. H[einrich] Herkner (Charlottenburg),k Prof. I[gnaz] Jastrow (Berlin), Prof. G[eorg] Jellinek (Heidelberg), Prof. Paul Laband (Straßburg), Prof. W[ilhelm] Lexis (Göttingen), Prof. F[ranz] von Liszt (Berlin), Dr. R[ichard]l M[oritz] Meyerm (Berlin), Dr. A[lbert] Moll (Berlin), Prof. P[aul] Natorp (Marburg), Prof. W[ilhelm] Ostwald (Leipzig), nProf.  G[eorg] Simmel (Berlin), Prof. W[erner] Sombart (Berlin),n Dr. L[ouis] W[ilhelm] Stern (Breslau), oProf. F[erdinand] Tönnies (Kiel),o Prof. E[rnst] Troeltsch (Heidelberg), pProf. A[lfred] Vierkandt (Berlin),p Prof. H[einrich] Waentig (Halle, zur Zeit Tokyo), Prof. Alfred Weber (Heidelberg) q, Prof. Max Weber (daselbst)q. Die Vorberatung und Durchführung von Arbeiten der Gesellschaft liegt in den Händen teils von Ausschüssen, welche von der ordentlichen Mitgliederversammlung im Einzelfall damit betraut werden, teils in denenr des Vorstandes, welcher aus 7 Personen (zur Zeit den 3 Vorsitzenden: Prof. F[erdinand] TönniesKiel, Prof. G[eorg] Simmel-Berlin, Prof. W[erner] Sombart-Berlin, i A: sogenannten  j A: etwa  k–k Fehlt in A.   l B: W.  m B: Meier   n–n  Fehlt in A.   o–o  Fehlt in A.   p–p  Fehlt in A.   q–q  Fehlt in A.   r  A, B: der 5  Laut Verzeichnissen vom Beginn des Jahres 1910 gehörten der DGS 92 „ordentliche“ und 26 „unterstützende“ Mitglieder an. (SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.2.12). Während es sich bei den „ordentlichen Mitgliedern“ vor allem um Gelehrte handelte, fanden sich unter den „unterstützenden Mitgliedern“ auch Personen anderer Berufsgruppen.

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und Dr. H[ermann] Beck-Berlin sals Schriftführers, fernert Dr. A[lfred] uPloetz-Münchenu, Dr. A[lfred] Vierkandt-Berlin, Prof. Max Weber-Heidelberg) besteht.6 Die Verfassung der Gesellschaft sucht, indem sie die ordentlichen Mitgliederversammlungen und vebenso alle einzelnen, für spezielle Arbeiten gewähltenv Ausschüsse mit dem Kooptationsrecht (unter sehr liberaler Handhabung desselben) und ferner mit der Befugnis der Zuziehung aller geeigneten Personen7 als Berater wund völliger Bewegungsfreiheitw ausstattet, in dem Personalbestand der leitenden Instanzen die für wissenschaftliche Arbeiten unentbehrliche Stetigkeit mit der ebenso notwendigen Elastizität und weitherzigen Offenhaltung der Mitarbeit für jeden ernsten Denker, gleichviel welchen Gepräges, welcher mitarbeiten will, zu vereinigen.8 Denn der Betrieb der Wissenschaft kann einerseits seinem Wesen nach niemals eine Angelegenheit von Majoritätsabstimmungen, Wahlagitationen u. dgl. werden, auf der andern Seite darf er nicht Sache einer Coteriex9 sein. – Die fortlaufende Kontrolle der Geldverwaltung liegt in allen Einzelheiten in den Händen eines dafür besonders bestellten Rechners;10 soweit die Mittel für wissenschaftliche Arbeiten von Dritten (Akademien oder ähnlichen Korporationen oder privaten Stiftern) herrühren, wird d ­ ieseny durch Zuziehung ihrer Vertreter zu dem betreffenden Ausschuß die Kontrolle einer bestimmungsgemäßen und zweckdienlichen Verwendung der von ihnenz gegebenen Mittel gewährleistet. – Für die Zwecke international zu s  Fehlt in A.   t  Fehlt in A.   u  A, B: Plötz-München  v A: alle  w–w Fehlt in A.   x A: Koterie  y B: diesem  z B: ihm 6  Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Ausrichtung und Vorgehen der DGS, oben, S.  153 f. mit Anm.  6. 7  Dies war im Leipziger Statut in den §§  25 und 28 (unten, S.  862 f.) und dann später im Frankfurter Statut in §  25 geregelt. Letzterer ermöglichte auch den Sonderausschüssen, Nichtmitglieder nicht nur mit beratender, sondern auch „mit beschließender Stimme“ zu wählen. Vgl. unten, S.  867. 8  Am 25. September 1910 schrieb Max Weber an Hermann Beck: „Ich gestatte mir, einen Antrag auf Statutenänderung beizulegen, der in seiner Fassung den Zweck verfolgt, die Elastizität der Gesellschaftsverfassung in Bezug auf die beiden in Betracht kommenden Punkte (Zuziehung von Praktikern, Abteilungen) möglichst zu erhöhen und alle Regelungen dem Einzelfall anheimzustellen.“ Vgl. MWG II/6, S.  622–625, Zitat: S.  624. 9  Abwertend für: geschlossene Gesellschaft, Partei, Kaste. Weber hat hier den Verein für Socialpolitik im Sinn. 10  Zu den umfassenden Rechten des Rechners vgl. §  33 des Leipziger Statuts, unten, S.  863, sowie §  31 des Frankfurter Statuts, unten, S.  868.

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organisierender Arbeiten (und, gegebenenfalls, auch internationaler Kongresse) tritt die Gesellschaft mit den gleichartigen Verbänden des Auslands in Verbindung. Innerhalb Deutschlands werden von ihr zurzeit folgende Veranstaltungen in die Wege geleitet: 1. Die Abhaltung eines deutschen Soziologentages, der erstmalig im Oktober dieses Jahres (voma 19. bis 21. Oktoberb) in Frankfurt stattfinden soll11 (Näheres durch  cbesondere Bekanntmachung und auf Anfragec) und an dessen Diskussionen, neben besonders geladenen Gästen, alle Mitglieder der Gesellschaft Anteil zu nehmen berechtigt sind. Von Vorträgen sind, vorbehaltlich näherer Bestimmung, vorläufig folgende in Aussicht genommen:12 1. Prof. Dr. Georg Simmel, Soziologie der Geselligkeit; 2. Prof. Dr. Ferdinandd Tönnies, Wegee und Ziele der Soziologie; 3. Prof. Dr. W[erner] Sombart, Technik und Kultur; 4. Dr. A[lfred] Ploetz, Der Begriff der Rasse und die Soziologie; 5. Prof. Dr.f Troeltsch, Heidelberg, Religiöses und profanes Naturrechtg; 6a.h Prof. Dr. Andreas Voigt, Wirtschaft und Recht;i   jb. Privatdozent Dr. Kantorowicz, Rechtswissenschaft u. Sozio­ logie“;j 7. Prof.k Dr. E[berhard] Gothein, Soziologie der Panik.l 2. Die wissenschaftlichen Arbeiten der mGesellschaft werdenm in Serien von Monographien, jede Serie einem bestimmten Problemkreis gewidmet, im Buchhandel erscheinen und nan sämtliche Mitglieder zu einem lediglich die Selbstkosten deckenden Vorzugspreis verteiltn werden.

a A: voraussichtlich vom   b A: Okt. d. J.   c–c A: Programme, die von der Geschäftsstelle kostenlos bezogen werden können   d A: Alfred  e A: Wesen  f B: D.  g In A folgt: in ihren soziologischen Beziehungen   h A: 6.   i A: Recht,    j–j  Fehlt in A.   k  Fehlt in A.   l  In A folgt ein Absatz und: Ferner sind zu erwähnen:   m A: Gesellschaft. Diese werden   n–n A: sämtlichen Mitgliedern zu einem Vorzugspreis abgegeben   11  Der Erste Deutsche Soziologentag fand vom 19. bis 22. Oktober 1910 in Frankfurt a. M. statt. 12  Alle genannten Vorträge wurden unter teilweise leicht geändertem Titel auf dem Ersten Deutschen Soziologentag gehalten und sind abgedruckt in: Verhandlungen DGS 1910, S.  17–309.

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Von solchen Arbeiten soll z. Zt. zunächsto a) diep Veranstaltung einer umfassenden Erhebung über die Soziologie des Zeitungswesens in Deutschland unter Vergleichung mit den Verhältnissen anderer Hauptkulturländer (namentlich Amerika, England, Frankreich)13 in die Wege geleitet werden. Der Schaffung der für die Vorarbeiten dieses,q der Analyse eines der wichtigsten modernen Kulturfaktoren geltenden,r Unternehmens auf mindestens sMk. 25 000s veranschlagten Geldmittel sind tdie Akademie der Wissenschaften in Heidelberg, das Institut für Gemeinwohl in Frankfurt a. M.t und einige private Stifter (innerhalb und außerhalb der Gesellschaft)14 in der Art näher getreten, daß für den Fall der Schaffung der erforderlichen Arbeitsorganisation, über welche z. Zt. Verhandlungen mit den berufenen Vertretern der Presse u(des Zeitungsverlages sowohl wie des Journalistenstandes)u  15 eingeleitet werden sollen, der genannte Betrag zu annäherndv vier Fünfteln als voraussichtlich gedeckt gelten darf. Es muß gehofft werden, daß alsdann private Opferwilligkeit den noch ungedeckten Restbetrag übernehmen wird, vor allem aber, daß die selbstverständlich für das Gelingen der Erhebung ganz unentbehrliche Zusammenarbeit der Praktiker mit geeigneten Vertretern der Wissenschaft sich herstellen,w und so der vorläufig nur ganz pro­ visorisch entworfene Grundriß eines Arbeitsplanes16x zu einer ­definitiven Präzisierung konkreter Themata und Feststellung der für ihre Lösung zu beschaffenden Materialien und geeigneten Methoden führen wird. yDer Absichty der Gesellschaft nach sollo  Fehlt in A.   p A: Die    q  Komma fehlt in A.   r  Komma fehlt in A.   s A: 25 000 Mk.  t–t  A: angesehene wissenschaftliche Körperschaften   u–u  In A Gedankenstriche statt Klammern.   v A: etwa  w  Komma fehlt in A.   x  In A folgt: sich  y A: Den Ansichten   13  Dieses Vorhaben geht auf einen Vorschlag Webers zurück. Vgl. Weber, Disposi­ tion, oben, S.  139–152, und Weber, Vorbericht, unten, S.  208–228. 14  Vgl. dazu Weber, Geschäftsbericht, unten, S.  285 f., sowie den Brief Max Webers an die Heidelberger Akademie der Wissenschaften (Stiftung Lanz), z. Hd. Herrn Geh. Rath Windelband vom 9. Mai 1910, MWG II/6, S.  501–504. Dort auch der Hinweis, daß sich Weber in derselben Sache an Wilhelm Merton, den Stifter des Instituts für Gemeinwohl, gewandt hatte (ebd., S.  503, Anm.  4). 15  Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Vorbericht, unten, S.  208–210. Für die Presseenquete schlug Weber Journalisten und Verleger vor, die er in den Ausschuß kooptieren wollte. Vgl. die Beilage zum Brief an Hermann Beck, vor dem 16. Febr. 1911, MWG II/7, S.  99. 16  Vgl. Weber, Vorbericht, unten, S.  208–228.

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tenz die Arbeiten möglichst sowohl die geschäftlichen und organisatorischen Existenzbedingungen des modernen Zeitungswesens (Verlagsgeschäft,17 Redaktion, Nachrichtengeschäft, An­ non­cen­geschäft, in allen ihren Verzweigungen), soweit sie direkt oder indirekt für dessen kulturgeschichtliche und soziologische Eigenart bestimmend sind, erfassen, wie ferner die Art der Wirkung der Presse auf die politischen und Kulturverhältnisse der großen unter einander zu vergleichenden Kulturländer und umgekehrt die Abhängigkeit der allgemeinen Stellung der Presse und des Journalismus von den allgemeinen politischen Kulturbedingungen, insbesondere aber auch die neuesten Tendenzen der Entwickelung des Zeitungswesens und seiner Kulturbedeutung. Da die Deutsche Gesellschaft für Soziologie die Beschränkung ihrer Tätigkeit auf streng wissenschaftliche Arbeit,  unter strikter Ablehnung jedweder politischen, sozialpolitischen, konfessionellen, ethischen oder sonstigen praktischen Stellungnahmea zu einem ihrer statutenmäßig festgelegten Grundprinzipien18 gemacht hat, so kann es sich bei diesen,b wie bei anderen Arbeiten ausschließlich und allein um objektive Feststellung von Tatsachen und deren Ursachen, niemals aber um ein moralisierendes coder überhaupt kritisierendesc Räsonnement über diese Tatsachen handeln. Das gleiche gilt für andere, vorerst nur innerhalb des Vorstands erwogene und eventuell der Gesellschaft zu unterbreitende Arbeitspläne. Dahin dürfte vor allem gehören b) die Untersuchung der Auslese der ökonomisch oder sozial oder intellektuell oder künstlerisch führenden Schichten der Kulturnationen nach ihrer geographischen, ethnischen, beruflichen und sozialen, kulturlichen Provenienz,19 sowie c) die soziologische Analyse der zwischen dem heutigen Staat (und anderen öffentlichen oder öffentlich anerkannten und privilegierten Körperschaften) und den Einzelindividuen stehenden z A: sollen  a A: Stellungnahmen  b  Komma fehlt in A.   c  Fehlt in A. 17  Vgl. Weber, Vorbericht, unten, S.  212, Abschnitt A: Das Zeitungsgeschäft. 18  Das Leipziger Statut betont unter Abschnitt „A. Allgemeine Bestimmungen“, in §  1, den rein wissenschaftlichen Zweck der DGS, bekannte sich zum Methodenpluralismus und der strikten Ablehnung „der Vertretung irgendwelcher praktischen […] Ziele“, vgl. zum vollen Wortlaut unten, S.  860. 19  Von Franz Eulenburg vorgeschlagen. Vgl. dazu Weber, Geschäftsbericht, unten, S.  283 f., Anm.  48.

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gesellschaftlichen Gemeinschaften, von den dreinen lokalend und rein gesellige Zwecke verfolgenden Vereinen angefangen bis zu den idealen Gemeinschaften,20 welche sich die Pflege künstlerischer oder wissenschaftlicher oder sittlicher oder anderer Kulturgüter zum Ziel setzen[,] und bis zu den politischen Parteiorganisationen mit ihren jetzt auch bei uns zunehmend raffinierten Apparaten. Die Tragweite der Zugehörigkeit des einzelnen zu solchen Gemeinschaften ist eine verschieden große.e Aber sehr weitgehend und über den direkt beabsichtigten oder doch offiziell zugestandenen Zweck weit hinausgehend, oft diesem gänzlich inkongruent, ist ihre Wirkung auch bei uns in den meisten Fällen, mag es sich nun um Gesangvereine, Kriegervereine, studentische Korporationen, Künstlersekten oder um was immer handeln. Stets gehören diese zahlreichen Gemeinschaftskreise, in denen der einzelne steht, zu den wichtigsten Faktoren, welche die persönliche Eigenart des Individuumsf ebenso wie die objektiven Kulturgüter prägen. – Auch hier ist natürlich strengste Enthaltung von aller und jeder Parteinahme Vorbedingung für die Gewinnung von sachlich zutreffenden Resultaten.g Wie die beabsichtigte Arbeit über die Presse würde aber auch diese Erhebung großer Mittel bedürfen,h für die unentbehrlichen Vorarbeiten, die hier wie dort zum Teil rein mechanischer Natur sind, zum Teil umfängliche statistische Rechnungen einschließen.i Die Gesellschaft, welche aus ihren laufenden Mitteln zunächst im wesentlichen die Kosten der Soziologentage und laufende Ausgaben zu decken hat, kann die Gewinnung der außerordentlichen Mittel für groß angelegte Arbeiten nur erwarten, wenn, entsprechend dem gestiegenen Reichtum, das wissenschaftliche Mäcenad A: rein lokale   e  In A folgt: Sie ist nicht in jedem Fall so umfassend wie z. B. in den Vereinigten Staaten, wo die Sekte ebenso wie die Unterstützungskasse und der Turnklub den Anspruch erhebt, nur „Gentlemen“ in sich hineingelangen zu lassen und daher ihrerseits dem einzelnen als wichtigstes Mittel seiner Legitimation als solcher im geschäftlichen und geselligen Leben dienen.   f A: Individiums  g  Absatz fehlt in A.  h  Komma fehlt in A.   i  In A folgt: Endlich [Absatz] d) steht zur Erwägung, die Art und Tragweite der Beeinflussung des modernen Kulturlebens, speziell der in dieser Hinsicht schwer zugänglichen breiteren Volksschichten durch religiöse Momente zu untersuchen.   20  Von Weber vorgeschlagen. Vgl. Weber, Über Ausrichtung und Vorgehen der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, oben, S.  159, sowie den Brief an Hermann Beck vom 16. Juli 1909, MWG II/6, S.  186–188, hier S.  187 f.

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tentum in Deutschland, welches bis heute erst durch einige wenige, glänzende und in aller Mund befindliche Namen vertreten ist, aufhört, in dem Maße Ausnahmeerscheinung zu sein, wie es dies bis heute  bei uns, sehr im Gegensatz zu Amerika und anderen Ländern, ist. Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie kann freilich einen Mäcenaten (außer der selbstverständlichen Abstattung des Dankes durch Nennung auf ihren Publikationen) nur durch seine Aufnahme in den Kreis der „Stifter“ (welchen statutengemäß die dauernde Mitbeteiligung an allen ihren Verhandlungen zusteht)21 ehren. Aber sie glaubt hoffen zu dürfen, daß der Sinn für die Bedeutung wissenschaftlicher, speziell kultur- und sozialwissenschaftlicher Arbeit auch in Deutschland in Zunahme begriffen ist. Bisher waren bei uns wesentlich für aktuelle technische Probleme einerseits, für bestimmte ästhetische Zwecke andererseits,j in ziemlich umfassendem Maße private Geldmittel verfügbar. Ebenso unter Umständen für gewisse naturwissenschaftliche Arbeiten, von deren Förderung man, direkt oder indirekt, Früchte für therapeutische oder technische Zwecke erhoffen zu können glaubte. Dies alles war sehr erfreulich und wird hoffentlich so bleiben. Für Arbeiten im Dienst sozialwissenschaftlicher Erkenntnis, deren praktische Tragweite, obwohl selbstverständlich ebenfalls vorhanden, nicht so unmittelbar greifbar zutage tritt, war ähnliches bei uns vorerst nur ausnahmsweise der Fall. Je mehr wir aber den Charakter eines vorwiegend utilitarisch gestimmten Parvenüvolkes abstreifen und wieder ein Kulturvolk werden, desto zahlreichere Gefolgschaft werden hoffentlich auch jene bisher schon aufgetretenen glänzenden Ausnahmen finden, welche die wissenschaftliche Arbeit um ihrer selbst willen fördern und also die Geduld haben, von ihrem ruhigen, durch allzu schnelles Schielen nach unmittelbar praktischen Resultaten knicht gestörten,k Wachstum zu erwarten, daß es auch l„dem Leben dienen“l werde. Was speziell die Aufgaben der „Deutschen Gesellschaft für Soziologie“ anlangt,m so ist sicherlich eine ihrer wesentlichsten

j  Komma fehlt in A.   k A: freien  l  Anführungszeichen fehlen in A.   m Komma fehlt in A. 21  Nach §  8 des Leipziger Statuts stand den Stiftern das Recht zu, an der Mitgliederversammlung mit beratender Stimme teilzunehmen. Vgl. unten, S.  860.

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Zukunftspflichten, nach nallseitig anerkanntenn Mustern des Auslandes, auch die Schaffung eines Soziologischen Instituts.22 Es steht z. Z. zur Erwägung, event. zugleich mit der Einleitung der Untersuchung über die Presse die allerersten Schritte zu tun, um ein solches, in vorerst sehr bescheidenem Ausmaße, vorzubereiten. Aber – wie das Ausland zeigt – etwas wirklich Großzügiges zu leisten, wäre hier nur möglich bei Unterstützung einerseits durch sehr beträchtliche Kapitalien, andererseits durch jenes „Massen-Mäcenatentum“, an dem sich jeder an den Aufgaben der Gesellschaft Interessierte durch Eintritt in den Kreis der „unterstützenden“ Mitglieder beteiligen kann.

n A: den für die Praxis anerkannten, 22  1901 gründete der belgische Chemiker und Industrielle Ernest Solvay das Institut für Soziologie (Institut Solvay).

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Vorbericht über eine vorgeschlagene Erhebung über die Soziologie des Zeitungswesens

Editorischer Bericht Zur Entstehung Max Weber hatte im Zusammenhang mit den Arbeitsplänen der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im April/Mai 1909 eine „Disposition“ der geplanten Zeitungsenquete vorgelegt, die, nach Überarbeitung, am 13. Mai 1909 von Hermann Beck an die Mitglieder des Vorstandes verschickt wurde, verbunden mit der Anregung, dazu Stellung zu nehmen.1 Auf der Grundlage dieser „Disposition“ und möglicher Anregungen dürfte der hier abgedruckte „Vorbericht über eine vorgeschlagene Erhebung über die Soziologie des Zeitungswesens“ entstanden sein. Weber reichte ihn zusammen mit einem Brief vom 9. Mai 1910 bei der Akademie der Wissenschaften in Heidelberg mit dem Ziel ein, von dieser eine finanzielle Unterstützung zu erlangen.2 Die Akademie sagte mit Beschluß vom 16. Juli 1910 eine Förderung im Umfang von 10.000 Mark zu. Dafür stellte sie zwei, von Weber selbst in einem Brief an Wilhelm Windelband aufgestellte Bedingungen: „daß: 1) diese Constituierung [eines Arbeitsausschusses für die Presseenquete] in einer, nach dem Urteil der von der Klasse bezeichneten Persönlichkeiten (vielleicht: Sie selbst und Geheimrath Gothein?), genügende Garantie bietenden Art zustande kommt, – und daß: 2) die Abgrenzung der für die Akademie-Unterstützung geeigneten Arbeitsgebiete aus dem Gesammtthema gelingt“.3 Die Wahl des Presse-Ausschusses durch die Mitgliederversammlung fand dann am 6. März 1911 in Heidelberg statt.4 Zwei Heidelberger Akademiemitglieder, Gothein und Weber, wurden gewählt und zahlreiche Experten aus Wissenschaft und Praxis kooptiert.

1  Vgl. Weber, Disposition, oben, S.  139–152. 2  Brief Max Webers an Wilhelm Windelband, den ersten Sekretär der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, vom 9. Mai 1910, MWG II/6, S.  501–504, hier S.  501. 3  Brief Max Webers an Wilhelm Windelband vom 9. Juli 1910, MWG II/6, S.  581 f., hier S.  582. 4  Protokoll der Mitgliederversammlung in Heidelberg am 6. März 1911, SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.2.10.

Editorischer Bericht

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Zur Überlieferung und Edition Ein handschriftliches Manuskript ist nicht überliefert. Der Text liegt in drei Fassungen vor. Zum Abdruck kommt Fassung C, ein 7-seitiges gedrucktes Manuskript, das als Fassung letzter Hand anzusehen ist. Es trägt die Überschrift: „Vorbericht über eine vorgeschlagene Erhebung über die Soziologie des Zeitungswesens“ und befindet sich in der SHLB in Kiel im Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.2.08. Als Fassung B bzw. B1 wird ein 14-seitiges Typoskript bezeichnet, das sich im Archiv der Akademie der Wissenschaften Heidelberg Nr.  492, S.  1–14, befindet. Es weist als einziges Max Webers Namen (in Maschinenschrift) auf und enthält Korrekturen von seiner Hand (B1). Das Typoskript trägt ebenfalls die Überschrift „Vorbericht über eine vorgeschlagene Erhebung über die Soziologie des Zeitungswesens“. Als Fassung A wird ein 11-seitiges Typoskript bezeichnet, das im GStA PK, VI. HA, Nl. Werner Sombart, Nr.  18b, Bl. 200–210, überliefert ist. Sie ist offensichtlich die älteste Fassung und mit „Vorläufiger Bericht über eine vorgeschlagene Erhebung über die Soziologie des Zeitungswesens“ (statt „Vorbericht“) überschrieben. Bei einer vierten (Teil-)Fassung mit der Überschrift „Die Produktion der Zeitungsgesinnung“, die sich in der SHLB, Kiel im Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.2.08 befindet, handelt es sich nicht um einen eigenständigen Text, sondern um eine Abschrift der Seiten 8–11 der Fassung A. Dieses Fragment findet keine Berücksichtigung. Die Autorschaft ist durch Webers Namen in Fassung B, B1 eindeutig belegt. Da die Fassungen inhaltlich nur geringfügig voneinander abweichen, dürften alle drei Fassungen von Weber stammen. Fassung C, der Text letzter Hand, ist am besten durchgearbeitet. Die Formulierungen sind geschliffener und präziser als in den beiden anderen Fassungen. Fassung A und Fassung B, B1 weichen nur geringfügig voneinander ab, während Fassung C sich stärker von jenen unterscheidet.5

Zur Datierung der Fassungen Von den drei Fassungen läßt sich nur Fassung B, B1 auf Grund eines Briefes Max Webers an Wilhelm Windelband bzw. die Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 9. Mai 1910 eindeutig datieren.6 Fassung A entspricht bis auf geringfügige Abweichungen der Fassung B, B1. Es ist anzunehmen, daß sie der Fassung B, B1 zugrunde lag und vor dem 9. Mai 1910 entstanden ist. Daß es sich bei dieser Fassung A um die Fassung erster Hand handelt, legt auch die nur ihr eigene Überschrift nahe: „Vorläufi5  Vgl. dazu unten, S.  220, textkritische Anm.  v, y, und S.  221, textkritische Anm.  c. 6  Vgl. dazu oben, S.  208, Anm.  1.

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ger Bericht über eine vorgeschlagene Erhebung über die Soziologie des Zeitungswesens“. Fassung C, das Manuskript letzter Hand, ist demnach nach dem 9. Mai 1910 entstanden.

Zur Edition Zum Abdruck gelangt die Fassung C als Fassung letzter Hand. Die Abweichungen der Fassungen A, B und B1 werden im textkritischen Apparat nachgewiesen. Nicht nachgewiesen werden: – damals übliche Abweichungen in der Schreibung (z. B. Accidenzdrukkereigeschäfte/Akzidenzdruckereigeschäfte, Carriere/Karriere, sociale/soziale, andern/anderen, Apparates/Apparats, Ausland/Auslande, Standard/ Standart, Maß/Maass, Telegraphenagenturen/Telegrafenagenturen, u.s.w./ usw.), speziell in der Groß- und Kleinschreibung (z. B. des Gedruckten/des gedruckten oder nach Aufzählung) sowie in der Getrennt- oder Zusammenschreibung (z. B. inwieweit/in wieweit) – Abweichungen in der formalen Gestaltung der Abschnitte (mit arabischen statt mit römischen Zahlen) – Inkonsistenzen im Gliederungsschema einzelner Fassungen (Wechsel von arabischer zu römischer Zählung in den Fassungen A, B, B1 ab „V. Einnahmen der Zeitung“) – handschriftliche Korrekturen dritter Hand in Fassung A (z. B. Korrektur von „Postegeheimnis“) – Fehler in Fassung B, die vermutlich beim Diktat entstanden und von Weber in der Fassung B1 handschriftlich korrigiert wurden (z. B.: Provienz/Provenienz, Machterteilung/Machtverteilung) Gemäß den Editionsregeln werden die maschinenschriftlichen Unterstreichungen in A, B, B1 und die entsprechenden Sperrungen in C einheitlich in Kursivdruck umgewandelt. Die Paginierung der verschiedenen Fassungen läuft am Rand mit (A 1; B, B1 1 und C 1 usw.). Die der Fassung A hinzugefügte Archivpaginierung bleibt unberücksichtigt.

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Vorberichta über eine vorgeschlagene Erhebung über die Soziologie des Zeitungswesens.b

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Der nachstehende Plan soll in ganz provisorischer und in den Einzelheiten nicht verbindlicher Weise die voraussichtlichen Zwecke der vorgeschlagenen Erhebung über das Zeitungswesen skizzieren. cIn derc Art der Disposition kann er naturgemäß für ddie zu bildende Kommissiond in keiner Weise bindend sein wollen, welchere vielmehr die Art der Arbeitsgliederungf durchaus zu überlassen ist. Er gversucht nur, möglichst viele Punkte aufzuzeigen, dieg jedenfalls in irgend einer Weise durch die Erhebung aufgeklärt werden müssen. Eine Erhebung über das Zeitungswesen muß in letzter Linie ausgerichtet sein auf die großen Kulturprobleme der Gegenwart: I. Die Art der Bildung jenes Apparats von psychischenh Suggestionsmittelni, durch welche die moderne Gesellschaft kontinuierlich den einzelnen sich einzufügen und anzupassen trachtet: die Presse als eins der Mittel zur Prägung der subjektiven Eigenart des kmodernen Menschenk l, II. die durch die öffentliche Meinung, deren wichtigste Determinante heute die Zeitung ist, geschaffenen Bedingungen für die Entstehung, Erhaltung, Untergrabung, Umbildung von künstlerischen, wissenschaftlichen, ethischen, religiösen, politischen, sozialen, ökonomischen  Kulturbestandteilen: die Presse als Komponente der objektiven Eigenart der modernen Kultur.m Diese letzten Ziele der Untersuchung können indessen nicht als deren erstes Objekt an den Anfang gestellt werden. Auszugehen ist vielmehr von der Tatsache, daß die Art des Funktionierens allern Kulturarbeit  der Presse heute an die Existenzbedingungen priva-

a In C geht voraus: Als Manuskript gedruckt. A: Vorläufiger Bericht    b B: Zeitungswesen  c  A, B, B1: Für die   d–d  A, B, B1: den zu bestimmenden Vorsitzenden des Komites   e  A, B, B1: dem  f  A, B, B1: Ausgestaltung  g  A, B, B1: soll nur alle die Punkte umfassen, die nach allseitiger Übereinstimmung wohl   h Fehlt in B, B1.  i A: Zwangs- und Suggestionsmitteln   k B, B1: modernen Menschen  l  In A, B, B1 folgt: sofern diese durch jene Mittel bedingt ist   m  In A, B, B1 folgt ein Gedankenstrich, kein Absatz.   n  A, B, B1: jener

A (1) B, B1 (1) C (1)

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ter Unternehmungen gebunden ist und sein muß: es ist m. a. W., zunächst und vor allem andern das Zeitungsgeschäft in der Art seiner onotwendig gegebeneno Existenzbedingungen und in den Rückwirkungen dieser auf die Gestaltung und die Chancen der untereinander sehr verschiedenenp modernen Zeitungstypen, deren Konkurrenz wir beobachten, zu untersuchen. Dabei ist daran festzuhalten:q daß die Zeitungsgeschäfte selbst im allgemeinen natürlich nicht geneigtr sein können, eine Untersuchung ihrer individuellen Verhältnisse in dieser Hinsicht zu gestatten, oder genaue zahlenmäßige Auskünfte süber die Zusammensetzung ihrer Kosten und Einnahmens zu geben. t(Gewisse Relativzahlenu wurden mir übrigens als seitens mindestens eines Großunternehmensv eventuell zur Verfügung stehend bezeichnet1 wund werden ohne alle Gefahr für die Zeitungen auch sonst gegeben werden können, sofern die nötigen Garantien für Diskretion in der Verwendung geboten werdenw. Im übrigen muß man x, neben der Analyse vonx Bilanzen dery Zeitungsaktiengesellschaften,z vor allem die Mitarbeit von im Zeitungsgeschäft erfahrenen Personen heranziehen.)t 2 Nicht unbedingt exakte, sondern nur runde Zahlen sind zu erhoffen, genügen aber auch, wenn das wichtigste: die Relationena dieser Zahlen untereinander und ihr Verhältnis zu entsprechenden ausländischen Zahlen feststellbar und vergleichbar bleiben.  Es würde sich also zunächst um die Beantwortung etwa folgender Vorfragen handeln, welche A. das Zeitungsgeschäft behandeln. 

o  Fehlt in A, B, B1.  p  B, B1: verschieden  q  B, B1: festzuhalten,  r B: geeignet  s–s  Fehlt in A, B, B1.  t–t  Klammern fehlen in A, B, B1.  u  A, B, B1: Relativzahlen  v  In B1 folgt: als  w–w  Fehlt in A, B, B1.  x–x  A, B, B1: die  y  A, B, B1: von  z  A, B, B1: Zeitungsaktiengesellschaften und   a  Hervorhebung fehlt in A, B, B1. 1  Der Sachverhalt konnte nicht aufgeklärt werden. 2  In seinem Brief an Hermann Beck vom 8. Juni 1910, MWG II/6, S.  556–558, nennt Weber Sachverständige, z. B. den zweiten stellvertretenden Vorsitzenden des Bundes deutscher Redakteure, Richard Jacobi, den Direktor der Frankfurter Zeitung, Theodor Curti, und den Vorsitzenden des Zeitungsverleger-Verbandes, Max Jänecke, die er zur Mitarbeit an der Presseenquete gewinnen wolle (ebd., S.  556).

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I. Besitzer der Zeitungen, Entwicklung in den letzten Jahrzehnten für eine Anzahl großer Zeitungen und für einige typische Gebiete. Quelle: Handelsregister. – Einfluß der Besitzer, Großanteilshaber, Dotatorenb  3 auf die c„Richtung“c der Zeitung und Grenzen desselben. Etwa geschaffene besondere Garantien zur Sicherung der d„Richtung“d der Zeitung ihnen gegenüber.e Ankauf f von Zeitungen zwecks Änderung ihrer g„Richtung“ und Aufnahme solcher Vorgänge durch den Abnehmerkreis.g II. Kapitalbedarf und Kapitalumschlag im Zeitungsgeschäft  je nach Größe und sonstiger Eigenart. Vergleich mit dem Ausland: Bestehen z. B. darinh Unterschiede bei vorherrschendem Einzelnummerverkaufi (solche Unterschiede bestehen in der Tat und haben sehr erhebliche Bedeutung). –  j Wünschenswert wäre an sich die Durcharbeitung der Bücher einer nicht mehr existierenden großen Zeitung.4 k Ob die Herren Cotta bezw. Bürklin die Bücher der „Allgemeinen Zeitung“ (oder doch die wichtigsten Zahlen)l zur Verfügung stellen könnten?5 6 7 8 9

b  In A, B, B1 folgt: (Fürst von Fürstenberg)6  c–c  Anführungszeichen fehlen in A, B, B1.  d–d Anführungszeichen fehlen in A, B, B1.    e Satzzeichen fehlt in A.  f  A, B, B1: Verkauf    g–g A: Richtung (Beispiel: der Hegauer Erzähler) ; B, B1: Richtung (Beispiel: der Hegenauer Erzähler)7    h  Fehlt in A, B, B1.  i  B, B1: Einzelnummer-Verkauf  j  Gedankenstrich fehlt in A, B, B1.  k  In A, B, B1 folgt: Leider sind die Bücher der Naumannschen [B, B1: Naumann’schen] Tageszeitung „Zeit“ nach Erkundungen nur summarisch geführt worden, 8 daß ihre Benutzung für diese Untersuchungen keinen Zweck hätte.   l In A, B, B1 folgt: oder Herr Geh. Kommerzienrat Barthling diejenigen der jetzt eingehenden „Nationalzeitung“ 9 3  Lat.: Stifter. 4  Gemeint ist die National-Zeitung, wie aus den früheren Fassungen des Vorberichts hervorgeht (vgl. Anm.  9 zur textkritischen Anm.  l). 5 Vgl. Weber, Disposition, oben, S.  143, Anm.  3. Gemeint ist der Dotator der A. Z. ­Albert Bürklin. 6  Vgl. Weber, Disposition, oben, S.  142, Anm.  1. 7  Der Hegauer Erzähler (1845–1936) war ein „Verkündungsblatt“ für die Amtsbezirke Engen, Meßkirch, Stockach und Radolfzell. 8  Vgl. Weber, Disposition, oben, S.  142, Anm.  2. 9 Die National-Zeitung wurde 1848 von Bernhard Wolff, Theodor Mügge, Heinrich Runge, Friedrich Diesterweg, Carl Nauwerck und David Kalisch als Aktiengesellschaft gegründet. Geschäftsführer war Bernhard Wolff, der später auf der Basis seines 1849 gegründeten Nachrichtenbüros „Wolffsches Telegraphenbureau“ (W.T.B.) sämtliche

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III. Ungefähre laufende Produktionskosten der Zeitungen. Relative Zahlen scheinen von einerm großen Zeitung eventl.n erhältlich, im übrigen müßten oNachkalkulationen undo Schätzungen geschäftlichp gut orientierter Fachleute für die Haupttypen von Zeitungen wohl oder übel genügen q, da ja hier nicht die Genauigkeit der Einzelzahl, sondern der Vergleich der relativen Bedeutung der einzelnen Posten jetzt gegen früher, im Inland im Verhältnis zum Ausland, und zwischen den einzelnen Zeitungstypen, das Wesentliche ist und auf die stattfindenden Verschiebungen und Entwicklungstendenzen der Hauptnachdruck gelegt werden mußq. Es kommen in Betracht: a) Papier,r Druckerei, Versand, andere sachliche Kosten. In Verbindung damit: Zeitungsaustrag- und Agenturwesen  im Vergleich mit dem Postdebit,10 Grad der Bedeutung des öffentlichen Verkaufs durch Ausrufer und Auslage im Verhältnis zum Abonnement, bei uns und im Ausland. b) Bedarf an Redakteuren und Kosten derselbens. Vergleich mit dem Auslande, Unterscheidung je nach dem Zeitungstypus.t Art der Korrespondentenvergütung und sonstigeu Kosten für die Stoffbeschaffung des v„kritischen“v Teils. Höhe der Honorare für Gelegenheitsmitarbeiter w, – alles möglichst in zeitlicher und geographischer Vergleichungw. c) Nachrichtenkostenx bei uns im Vergleich mit dem Auslande. IV. Art der Stoffbeschaffung. 1. Von außen her: vor allem a) Nachrichtendienst.y Stellung der großen Telegraphenagenturen. Geschäftlichez Analyse der Associated Press,a Havas,  Reuter, Wolff11 (über dieses Bureau stehtb schon in nächster Zeit eine unter Leitung von Professor Gothein gemachte Arbeit cin Ausm  A, B, B1: einer    n  B, B1: evtl.    o  Fehlt in A, B, B1.    p  Fehlt in A, B, B1.   q–q  Fehlt in A, B, B1.  r  Fehlt in A, B, B1.    s A: desselben  t  In A, B, B1 folgt ein Gedankenstrich.    u  B, B1: sonstiger  v–v  Anführungszeichen fehlen in A, B, B1.  w–w  Fehlt in A, B, B1.  x  In A, B, B1 folgt ein Komma.   y  Punkt fehlt in B, B1.  z A: Geschäftsliche  a  B, B1: Press.    b  A, B, B1: stände   Aktien der National-Zeitung übernahm. Unter seiner Ägide entwickelte sich das Blatt zum Organ der Nationalliberalen Partei. 1910 erfolgte die Umbenennung in 8 Uhr Abendblatt. 10  Vertrieb der Zeitung durch die Post. 11  Vgl. Weber, Disposition, oben, S.  143 f., Anm.  4 und 5.

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sichtc).12 Vergleiche dieser Bureaus unter einander dnach ihren Geschäftsprinzipiend, ferner nach relativer Bedeutung innerhalb des gesamtene Nachrichtendienstes und deren Entwicklung. Besonders wichtig wären Reuter und die Associatedf Press, letztere die einzige in den Händen der bestehenden (amerikanischen) Zeitungen selbst befindliche Agentur, die dadurch zugleich eins der mächtigsten Monopolisierungsmittel der einmal bestehenden Zeitungen darstellt. gZu untersuchen wären die geschäftlichen Prinzipien, nach denen die Zeitungen auf die Nachrichten bei den Bureaus abonnieren[,] bezw. die (ungefähren) Bedingungen, zu denen die Abonnements gegeben werden, die zu diesem Behufe üblichen Klassifikationen der Nachrichten (z. B. in „wichtige“ und „sensationelle“) und die Verschiebungen dieser Kategorien. Endlich: die Kartellierungstendenzen.g b) Feuilleton- und Beilagenfabriken, geschäftlich zu analysieren und zu untersuchen. Ebenso alle sonstigen Clichégewerbeh für die Presse,i13 insbesondere c) Partei- und andere politische Korrespondenzen, zunächst wieder geschäftlich, nach Kosten,  Art der Versorgung mit Stoff, Art der Leitung und politischen Beeinflussung. Speziell dann ferner:  d) Amtliche und offiziöse Stoffbeschaffung, in allen Stufen und Formen, in denen sie auftreten,j unter Vergleich mit dem Auslande. e) Gesondert endlich: Herkunft, Kosten, Eigenart der Handelsnachrichten. Der Vergleich mit dem Auslande, – Paris nicht minder

c–c  A, B, B1: zur Verfügung   d–d  Fehlt in A, B, B1.  e  Fehlt in A, B, B1.  f A: Associatet  g–g  Fehlt in A, B, B1.  h  B, B1: clichegewerbe  Komma fehlt in B, B1.  j  Komma fehlt in A, B, B1. 12  Gemeint ist die 1910 als Teilabdruck erschienene Dissertation von Blanck, Nachrichtenmarkt. Der Autor arbeitete in den 1890er Jahren als Redakteur beim „Wolffschen Telegraphenbureau“ in Berlin. Ab 1904 in Heidelberg lebend, besuchte er die journalistischen Vorlesungen von Adolf Koch und hielt in dessen Seminar Vorträge über das Wolffsche Telegraphenbureau. Unter Gotheins Betreuung erweiterte er seine Vorträge zu einer allgemeinen volkswirtschaftlichen Erörterung des deutschen Nachrichtenwesens. 13  Das Clichégewerbe liefert den Zeitungen Klischees (Druckformen) für Bilder und alle möglichen „(Preßinhalte), von der Sport- und Rätsel-Ecke bis zum Roman“. Vgl. unten, S.   271.

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als Amerika und London,k – lwürde namentlich auch das Maß der Unabhängigkeitm von den Einflüssen der Geschäftswelt nfestzustellen haben,l und esn wäre interessanto zu untersuchen, auf welchem Wege und aus welchen Gründen der jetzige p, gegen früher verbessertep Standard der Integrität q(wo er besteht)q erreicht worden ist.r Die Beeinflussungs des sachlichent Gehalts der Zeitung durch die geschäftlichenu Bedingungen würdev dannw[,] an das Vorhergehendex sichy anschließend,z in folgende Unterprobleme sicha gruppieren lassen: 2. Innerer Dienst und Art der Stoffverteilung. a) Frühere und heutige Rolle des b„Leitartikels“b, Vergleich mit dem Auslande (Amerika, England, Frankreich), Entwicklungstendenzen und deren Grund. Typen der großen Nachrichtenblätter im Gegensatz zu den kritischen Blättern, Vordringen der ersteren nach Art und Maß. b) Mehrfache tägliche Ausgaben der großen Zeitungen.c Geschäftlicher Grund dder Unterschieded gegenüber der Ein-Ausgaben-Praxis des Auslandes. Einfluß dieser Unterschiede auf Kosten und sonstige geschäftliche Bedingungen der Zeitungen. Art der Stoffverteilung unter diee mehreren täglichen Ausgaben. fGesonderte Post- und Stadt-Ausgaben.f Gründe des Vordringens der Abendblätter bei uns, Zustand des Auslandes in dieser  Hinsicht. c) „Amerikanismus“ im Zeitungswesen,14 bezüglich des Stoffarrangements, der Stoffverteilung,g der relativen Bedeutung der ein-

k  Komma fehlt in B, B1.  l–l A: würde, wenn unter zu Hülfenahme der geeigneten Personen gemacht, mit großer Wahrscheinlichkeit die außerordentlich viel größere Unabhängigkeit aller eigentlich großen Zeitungen Deutschlands von den Einflüssen der Geschäftswelt ergeben. Dem war notorisch nicht immer so,    m  In B, B1 folgt: der großen Zeitungen   n–n  B: zu er[??]n haben. Es ; B1: zu erörtern haben. Es  o B, B1: dann  p A: relativ ziemlich hohe ; B, B1: günstigere  q Fehlt in A, B, B1.   r  In B, B1 folgt ein Gedankenstrich.   s  In A, B, B1 hervorgehoben.  t Hervorhebung fehlt in A, B, B1.  u  In A, B, B1 hervorgehoben.  v  In B1 folgt: sich  w A, B, B1: nunmehr  x  A, B, B1: Vorgehende  y  Fehlt in B1.  z  Komma fehlt in A, B, B1.  a  Fehlt in B, B1.  b–b  Anführungszeichen fehlen in A, B, B1.  c  B, B1: Zeitungen,    d A, B, B1: und Unterschied   e B, B1: den  f–f Fehlt in A, B, B1.  g  A, B, B1: Stoffverteilung und 14  Vgl. Weber, Disposition, oben, S.  145, Anm.  6.

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zelnen Rubriken hund des Spitzmarkenwesens.15 Einfluß auf den Charakter der Zeitung und die Art des Zeitungslesensh. Genaue Analyse der geschäftlichen Eigenart amerikanischer Zeitungen gegenüber den unsrigen, Eindringen dieser Eigenart bei uns,i Grund warum j(oder warum nicht)?j d) Art der Stoffverteilung innerhalb des Personals. Mittel der Aufrechterhaltung der Einheitlichkeit in der Haltung der Zeitung (kZentralisation – nach Art und Maß – oder Kollegialsystem,k Redaktionskonferenzen usw.) in ihrem lEinfluß und ihreml Zusammenhang mit der Anonymität der Artikel.m Verhältnis der Redaktions- undn Korrespondentenarbeit und die darin neuerdings eintretenden Verschiebungeno. pDas Bedürfnis nach „zugkräftigen“ Namen unter den Mitarbeitern der Zeitung und seine durch das Interesse der Zeitung gegebenen Grenzen.p 3. Annoncendienst und Annoncenacquisition.16 qGründe der Entstehung und Mittel der beruflichen Annoncenacquisition.q Analyse der rrechtlichen und geschäftlichen Stellungr der großen Annoncenunternehmungen.17 sAufkommen, Risiko und Wirkungen des Annoncenkredits.s Möglichkeit der Abschätzung der An-

h–h Fehlt in A, B, B1.    i A, B, B1: uns?   j A, B, B1: oder warum nicht.   k–k  Fehlt in A, B, B1.  l  Fehlt in A, B, B1.  m  In A, B, B1 folgt: Art der Zentralisierung in der Leitung der Zeitung und Maß derselben.   n In A, B, B1 folgt: der   o B: Verschiebung  p–p  Fehlt in A, B, B1.    q–q  Fehlt in A, B, B1.  r  A, B, B1: geschäftlichen Seite   s–s  Fehlt in A, B, B1. 15  Spitzmarke – ein Ausdruck des Druckwesens – heißt ein in auffallender Schrift am Anfang eines Absatzes stehendes, eine Überschrift ersetzendes Wort. 16  Mitte des 19. Jahrhunderts entstand ein neuer Geschäftszweig: Annoncendienst, Annoncenakquisition und Annoncenexpedition. Wer eine Anzeige plazieren wollte, beauftragte und bezahlte ein Annoncenunternehmen (Vorläufer unserer heutigen Werbeagentur). Dieses schickte die Vorlage für die Anzeige an die Zeitungen und zahlte ­ihnen den Anzeigenpreis. Das älteste Annoncenunternehmen in Deutschland war die 1856 gegründete Firma Haasenstein und Vogler. Vgl. die Dissertation von Munzinger, Ludwig, Die Entwicklung des Inseratenwesens in den deutschen Zeitungen. Eine histo­risch-wirtschaftliche Studie als Beitrag zur Geschichte des Verkehrswesens. – Heidelberg: Carl Winter 1901. 17  Die Annoncenunternehmen sicherten sich bei den Zeitungen, welche sie mit ihren Inseraten bedienten, einen Rabatt, den die Zeitungsverleger wiederum durch die Erhöhung der Insertionspreise auf die Inserenten abwälzten. Die Annoncenunternehmen bevorzugten deshalb jene Zeitungen, bei denen sie am meisten Rabatt erhielten, forderten aber den Inserenten den Nominalzeilenpreis ab.

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noncenwirkung. t(Maß der Kenntnis der Zeitungen über ihren Abnehmerkreis: Wirkung des Postgeheimnisses.)18 Psychologische Grenzen der Wirksamkeit der Affiche19 und anderer Reklameformen einerseits, des Inserats andererseits, bei letzterem je nach Verschiedenheit des Zweckes.t Entwicklung spezifischer Annoncenzeitungen oderu  einer Annoncenausgabe neben der politischen. Analyse des v„Generalanzeiger“- undv w„Lokalanzeiger“w-Typus20 xin seinen technischen und ökonomischen Bedingungen (insbesondere auch: der Verschiebung in der Zusammensetzung der Inserenten)x. Maß des Vordringens desselben. Vergleiche ydes Annoncendienstes bei unsy mit dem Ausland (z. B. Unterschied je nach mehr oder minder vorherrschendemz Einzelverkauf, der die Bedingungen des Annoncierens aerheblich verschiebt).a bInteressenkonflikte und Interessenausgleich zwischen Zeitungen und Annoncengeschäften. (Gepachtete oder eigene Zeitungen der Annoncengeschäfte und deren Stellung. Schaffung von „Anzeigezentralen“.)b Die Bedeutung der materiellen Abhängigkeit der Zeitungen vom Annoncenertrag für den Preis der Zeitung und für deren Eigenart.c 21

t–t  A, B, B1: (Grundlagen der s. Zt. erörterten Scherl’schen Pläne gegenüber dem Postgeheimnis).    u  In A, B, B1 folgt: (Kölnische Zeitung)21    v  Fehlt in A, B, B1.   w–w  Anführungszeichen fehlen in A, B, B1.    x–x  Fehlt in A, B, B1.    y–y  Fehlt in A, B, B1.    z  A, B, B1, C: vorherrschenden  a A: völlig verschiebt).; B, B1: völlig verschiebt.)  b–b  Fehlt in A, B, B1.    c  A, B, B1: Eigenart: 18  Man bestellte seine Zeitung bei der Reichspost. Diese gab den Zeitungsunternehmen nur die Zahl der bestellten Exemplare, nicht aber Namen und Wohnort ihrer Besteller an. Der Zeitungsverleger August Scherl, der 1883 in Berlin ein neues Wochenblatt, den Berliner Lokal-Anzeiger, begründete, umging dieses Postgeheimnis (vgl. dazu auch textkritische Anm.  t). Er schuf für seine Zeitung ein eigenes Trägersystem, mit welchem er gleichzeitig die Spediteure umging. Der Vertrieb beruhte zunächst auf dem Berliner Adreßbuch. Scherl ließ allen dort aufgeführten Haushalten durch Boten ein Exemplar seines Berliner Lokal-Anzeigers zustellen. Später ließ er ein Verzeichnis aller Wohnungsinhaber in Berlin als Grundlage für den Vertrieb seines Blattes erarbeiten. Die Zeitungsträger wurden die Verbindung zwischen Verlag und Redaktion einerseits, Käufern und Lesern andererseits. 19  Frz.: Anschlag, Plakat. 20  Vgl. Weber, Disposition, oben, S.  145 f., Anm.  8. 21  Die Kölnische Zeitung geht auf eine Postamtszeitung aus dem Jahre 1762 zurück. Seit 1802 im Besitz der Familien Schauberg und DuMont, gehörte sie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zu den größten deutschen Tageszeitungen. Um den überregionalen Charakter des Blattes zu wahren, wurde 1876 der Stadt-Anzeiger zur Kölnischen Zeitung gegründet, der anfangs ein reines Anzeigenblatt war und als Werbebeilage zur Kölnischen Zeitung sowie als kostenlose Postwurfsendung an Kölner Haushalte verteilt wurde.

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und wirkliched Gefährdung der Integrität des eInhalts einerseits – andererseits:e Ermöglichung besserer Qualität  des Nachrichtendienstes und des sonstigen inneren Gehaltes.)f Verhältnis von Reklame und Text (bezahlter gText, kachierte Reklame, Formen derselben). Versuche der Inserenten (Großinserenten und – gelegentlich – gewerblicher Vereine)[,] auf den redaktionellen Teil der Zeitung und die künstlerische und sonstige Kritik Einfluß zu gewinnen oder Konkurrenzinserate auszuschließen.g  V. Einnahmen der Zeitung.h Entwicklung der Größe der Auflagen und des Maßes des iAnnoncierens („Papiergrenze“22 und Annoncenpreise, vergleichend mit den hierin z. T. sehr andersartigen Verhältnissen des Auslandes). Geschäftlichei Schranken des Annoncierens jvom Standpunkt des Annoncierenden ausj und etwaige Tendenzenk zum Ersatz desselben durch andere lReklamemittel (Annonce, beigelegter Prospekt und öffentliches Plakat, in ihrem Verhältnis zu einander, ebenso: Zeitungs- und Fachzeitschriften-Annonce, neuerdings: direkte Reklamezusendungen, Herstellung massenhafter handschriftlicher Reklamebriefe usw.).l Durchrechnung von zeitlich auseinander liegenden Jahrgängen typischer großer und kleiner Zeitungen verschiedener Eigenartm 1. nach dem Raumumfang, 2. nach der Art des Bedarfs, dem die Annonce dient,n einerseits zur Feststellung von Entwicklungstendenzen, andererseits zur Abschätzung der relativeno Rentabilität der einzelnen Annoncenkategorien. pDabei speziellp zu erörtern: Bank­ annoncen, einfache Geschäfts- und Ausverkaufsannoncen, Stel­ lungs-,q Miets- und Heiratsannoncen. Unterschiede in der Konjunkturbedingtheitr des Annoncierens sje nach den Gattungen der Annoncens. Unterschiede in der Stetigkeit der Rentabilität t, z. B.t der kleinen Annoncen im Gegensatz zu den großen. Verschied Fehlt in A, B, B1.    e–e A, B, B1: Inhalts,    f Klammer fehlt in A, B, B1.   g–g  A, B, B1: Text !) im Inland und Ausland.    h  In A, B, B1 folgt ein Absatz.   i–i A: Annoncierens ; B, B1: Annoncierens.  j Fehlt in A, B, B1.    k A, B, B1: Tendenz  l–l A, B, B1: Reklamemittel: Annonce und Plakat, Zeitungs- und Fachzeitschriften-Annonce u.s.w.    m In A folgt Komma.   n Komma fehlt in A, B.   o  Fehlt in A, B, B1.  p  A, B, B1: Speziell  q  Komma fehlt in B, B1.  r  A, B, B1: Konjunkturabhängigkeit    s–s  Fehlt in A, B, B1.  t  Fehlt in A, B, B1. 22 Papiergrenze ist eine bestimmte Auflagenziffer, die nicht überschritten werden darf, wenn die Kosten für Papier und Farbe nicht überproportional steigen und der Zeilenpreis eingehalten werden soll.

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bungen in der Bedeutung uder einzelnen Annoncenkategorien für die Zeitungen und ihrer Rentabilität für den Annoncentenu. Verbindung von Zeitungsverlag mit anderen, insbesondere Akzidenz­ druckerei­ge­schäften,23 Adreßbuchgeschäften usw. VI. Konkurrenz und Monopol auf dem Gebiete der Presse. vKombinierter Zeitungsbesitz,v Ankäufe von Zeitungen durch andere w, mit oder ohne Verschmelzung, Betriebsmittelgemeinschaften zwischen Zeitungen u. dgl.w Arten und Mittel der Konkurrenz. Faktische Monopolstellung der einmal bestehenden Zeitungen: Maximum in Amerika (wegen der Associated Press).24 Grad und Art der Zurückdrängung der Konkurrenz durch das Monopol bei uns. Akkumulation des xKapitals, Trustbildungx im Zeitungswesen in England,y Amerika, zbei uns („Concerne“z im Norden bezw. Süden bei uns in ihrem Aufbau und ihren aWirkungen).a bEingehend zu analysieren: die Tätigkeit des Vereins deutscher 25

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u–u A: der Annoncenkategorien und in der Rentabilität der Annoncen für den Annoncenten ; B: Annoncentenkategorien und in der Rentabilität der Annoncen für die Annoncenten ; B1: der Annoncentenkategorien und in der Rentabilität der Annoncen für die Annoncenten    v  Fehlt in A, B, B1.  w–w  A, B, B1: (z. B. einer Berliner Zeitung durch die Kreuzzeitung). 25  x  A, B, B1: Kapitals und Trusts   y  A, B, B1: England und   z A: Scherlscher und Huckscher Conzern ; B, B1: Scherl’scher und Huck’scher Conzern 26  a  A, B, B1: Wirkungen. –    b–b (S. 221)  Fehlt in A, B, B1; dort auch kein Absatz. 23  Der Ausdruck aus dem Druckwesen bezeichnet das das Gestalten und Setzen von Akzidenzen (lat.: accidentia = Zufall). Damit sind Druckerzeugnisse oder Druckarbeiten gemeint, die nicht zum Buch- oder Zeitschriftendruck gehören, etwa Anzeigen, Formulare, Prospekte, Visitenkarten oder Familienanzeigen. Für die Zeitungsverlage bedeuteten solche Akzidenzdruckereien ein Nebengeschäft. 24  Vgl. dazu Weber, Disposition, oben, S.  143, Anm.  4. 25  1891 wurde das Deutsche Tageblatt von der Kreuzzeitung aufgekauft. 26  August Scherl gründete 1883 einen Presse- und Buchverlag, der seit 1900 unter dem Namen August Scherl GmbH firmierte. Seit 1883 gab er den Berliner Lokal-Anzeiger, eine kostenlose, entpolitisierte Zeitung heraus, die sich über Inserate finanzierte, 1889 kam die Berliner Abend-Zeitung, 1894 die Neuesten Berliner Handels- und Börsen-Nachrichten, 1895 als erste deutsche Sportillustrierte Sport im Bild hinzu. 1899 gründete er Die Woche, 1900 Der Tag, 1903 kaufte er Die Gartenlaube. Daneben ­gründete er 1895 die August Scherl Dt. Adressbuch-GmbH und erwarb 1905 die Anzeigenagentur G. L. Daube & Comp.  1914 verkaufte er sein Presseimperium an den Deutschen Verlagsverein, der es 1916 an den Hugenberg-Konzern weiterveräußerte. – August Huck (1849–1911) gründete 1887 den Nürnberger Generalanzeiger und 1888 den Breslauer Generalanzeiger. Es folgten die Dresdner Neuesten Nachrichten, die Halleschen Nachrichten, die Münchener Zeitung und die Stettiner Abendpost. Daneben erwarb er Schriftgießereien sowie Setzmaschinen- und Papierfabriken. Die Zeitungen Hucks verfolgten eine gemäßigt liberale Richtung.

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Zeitungsverleger27 (Kampf um feste Insertionstarife und Rabattprinzipien, gegen die kachierte Reklame, Schaffung von Papiereinkaufsstellen, Streben nach typischen Redakteurverträgen, Kampf für die Purifikation des Zeitungsinhalts usw.) in der Entwicklung seiner Ziele und der Festigkeit der Organisation.b Geringere Bedeutung der monopolistischen Position bei herrschendem Einzelverkauf? In welchem Maße bedeutet herrschender Einzelverkauf überhaupt: stärkeren Wechsel der gelesenen Zeitungen auf Seiten des Publikums, günstigere Chancen neuentstehender Blätter cund qualitativ sich verbessernder Blätterc? Konkurrenz der dZeitungstypen und ihr Resultat.d Wie weit wirken rein geschäftliche, wie weit politische und andere Gründe? Welche Typen siegen? Inneree Tendenzen zur regionalen Monopolisierung der politischen Information fdurch die großen Zeitungen.f Inwieweit beherrscheng die hGroßstadt- und speziell die hauptstädtischen Zeitungenh das Land? VII. Zeitung und Journalismus.i Qualitative Ansprüche an den modernen Journalisten, Anpassung und Auslese durch die Bedingungen des Zeitungsgeschäfts. jSoziale Provenienz, Vorbildung, Stellenvermittlung, Art der Anstellung und Bezahlung und „Laufbahn“ der Journalisten (möglichst durch Fragebogenerhebung), Eigenart und Entwicklung der ökonomischen und sozialen Position des Journalistenstandes, Berufswechsel von und zu anderen Lebensstellungen und Art der Lebenschancen des Journalisten 28

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b  (S.  220)–b  Fehlt in A, B, B1; dort auch kein Absatz.   c  Fehlt in B, B1.  d  A, B, B1: Zeitungstypen: Gründe des Untergangs z. B. von Typen wie „Allgemeine Zeitung“ (in Konkurrenz mit den „Münchener Neuesten Nachrichten“), „Nationalzeitung“ u.s.w.? 28  e  Fehlt in A, B, B1.  f–f  A, B, B1: (z. B. Position der Frankfurter Zeitung in Süddeutschland: Fehlen oder Rückgang der meisten anderen großen­ 29 Gründe?).     g  A, B, B : beOrgane selbst in süddeutschen Residenzen.  1 herrscht  h–h  A, B, B1: Großstadt – und speziell hauptstädtische [A: hauptsächliche] Zeitung –   i  In A, B, B1 folgt Absatz.   j–j  (S.  222) A, B, B1: Provenienz [B: Provienz] und Laufbahn des Journalisten (möglich durch Fragebogenerhebung), [A: Fragebogenergebung).] 27  Der Verein Deutscher Zeitungsverleger wurde nach Bemühungen Karl Helfreichs am 7. Mai 1894 gegründet, mit dem Ziel, die Verlegerinteressen gegenüber den Inseratenagenturen, den Abonnentenwerbern sowie den billigen Generalanzeigern zu vertreten. Trotzdem wurden bereits 1901 Verleger von Generalanzeigern in den Verein aufgenommen. 28  Vgl. dazu Weber, Disposition, oben, S.  147, Anm. 10. 29  Vgl. dazu Weber, Disposition, oben, S.  147, Anm. 11.

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(heute im Vergleich mit früher, bei uns im Vergleich mit dem Ausland) innerhalb sowohl wie außerhalb seines Berufes. Interessenkonflikte und Interessenausgleich zwischen Zeitungsgeschäft und Journalismus. – Standesorganisation der Journalisten in ihrer organisatorischen Entwicklung und in der Art und Ausgestaltung ihres Aufgabenkreisesk (Stellenvermittlung, Kassen, Ehren- und Schiedsgerichte des „Verbandes deutscher Redakteure“)30.j Grad des Einflusses des einzelnen Journalistenl auf den m„Geist“ der Zeitung in seiner Entwicklung.m nVIII. Die sonstigen Zeitungs-Beamten.31 Anfänge einer Berufsorganisation und Chancen derselben. –n Dieo wesentlich geschäftlichen,p formalen und quantitativen Erörterungen qüber das Zeitungsgeschäftq, welche wo immer möglich r(durch Zerschneiden von Zeitungen, Sortierung nach dem In- halt  und sNachmessen mit dem Zirkels)r auf genaue rechnerischet Grundlage zu stellen sind, geben alsdann die Unterlage für die Untersuchung der qualitativen Tendenzen der Zeitungsentwicklung, deren Probleme sich etwa folgendermaßen gruppieren ließen.u

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B. Die Zeitungsgesinnungv.  A8

I. Die Produktion der Zeitungsgesinnung.w Kollektivismus und Individualismus bei der Schaffung des Zeitungsinhalts. Die Anonymität der Zeitung: ihre Gründe: geschäftliche (xz. B.x Gegensatz der Abonnementspresse zur Einzelverkaufspresse),y politische (zz. B.z größere oder geringere Elastizität der politischen Parteiorganisationen als Bedingung dafür), soziale (az. B.a Streben nach Wahrung der Tradition und des Prestiges der Zeitung als bsolcher undb

j  (S.  221)–j  A, B, B1: Provenienz […] und Laufbahn des Journalisten (möglich durch Fragebogenerhebung), […]   k C: Aufgabekreises  l  Fehlt in A, B, B1.  m–m A: Geist der Zeitung. – ; B, B1: Geist der Zeitung.   n–n  Fehlt in A, B, B1.  o  A, B: Diese  p  Komma fehlt in A, B, B1.  q  Fehlt in A, B, B1.  r–r  Klammern fehlen in A, B, B1.  s  A, B, B1: Aufkleben auf Bögen bestimmten Umfangs [B, B1: Umfang]  t  Hervorhebung fehlt in A, B, B1.  u  B, B1: ließen:    v  A, B, B1: Zeitungsgesinnung  w  In A folgt Absatz.    x  Fehlt in A, B, B1.  y  Komma fehlt in A, B, B1.  z  Fehlt in A, B, B1.  a  Fehlt in A, B, B1.    b  A, B, B1: solcher, nach 30  Gemeint sein könnte entweder der Verein deutscher Redakteure oder der Bund deutscher Redakteure. Beide gingen 1910 im Reichsverband der deutschen Presse auf. 31  Gemeint sind die im 19. Jahrhundert als Privatbeamte bezeichneten Angestellten.

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Erhaltung des Machtverhältnisses zwischen Zeitungskapital und Journalismus) und kulturliche (cz. B.c größere oder geringere Autorität des gedruckten, speziell des anonym gedruckten und als Kollektivprodukt erscheinenden Wortes beim Publikum je nach der Art von dessen politischer Bildung dusw.). Ihred Wirkungen: auf den Journalisten, – auf die Förderung oder Hemmung der Erziehung der öffentlichen Meinung, – auf die politische und Kulturbedeutung der Zeitung als solcher. II. Die Beeinflussung der Gesinnung der Zeitung von außen her. 1. Grad des Gebundenseins der formell freien Zeitung an ihre Traditione. Vergleiche mit dem Ausland,f Mittel jener Gebundenheit: durch Besitzer oder Aktionäre  (vergl. a, 1),32 durch die Käufer, durch offiziöse oder ähnliche Einflüsse. Zunahme oder Abnahme der Gebundenheit, international vergleichend. Vordringen der gmehr oder minder reinen Nachrichten-Zeitungg und der wirklich oder angeblich parteilosen hZeitungen, der „bürgerlichen Familien“-Zeitung, der farblos „nationalen“ Zeitung.h Spezielle Analyse des Handelsteils in Bezug auf die Provenienz der Information und des Urteils und Vergleich mit dem Auslande. Verhältnis zu den Interessenten als Informationsquellen.i Gesinnungswandel großer Zeitungen jgenerell oder für spezielle Fragenj. Welche Mittel der Fühlung mit dem Leserkreise besitzen die Zeitungen? kWelchen faktischen Einfluß übt die Gesinnung des Leserkreises, und wie?k 2. Die l(allgemein oder in bestimmten Richtungen)l formal mprogrammgebundene Zeitung:m a) Katholische Presse. Art ihrer Finanzierung, nLeitung undn Beeinflussung, oGrad und Art der Sonderstellungo einzelner Blät-

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c Fehlt in A, B, B1.  d B, B1: u.s.w.), ihre   e Hervorhebung fehlt in A, B, B1.   f  A, B, B1: Ausland.    g  A, B, B1: gesinnungslosen Zeitung    h–h  A, B, B1: Zeitungen. Analysen [A: Analyse] des Typus „Tägliche Rundschau“ 33 und ähnlicher.   i  In B, B1 folgt nach einem Absatz: Festlegung der „Zeitungsgesinnung“ durch einzelne unentbehrliche Personen (Correspondenten).    j–j  Fehlt in A, B, B1.    k–k Fehlt in A, B, B1.    l Fehlt in A, B, B1.    m–m A, B, B1: parteigebundene Zeitung.   n  B, B1: Leitung,    o  A, B, B1: Grund und Schranken der relativen Selbständigkeit   32  Oben, S.  213. 33  Vgl. Weber, Disposition, oben, S.  148, Anm.  13.

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ter.p Provenienz der Redakteure. Faktische Machtverteilung zwischen Presse, qfreien katholischenq Organisationen und offiziellen Kirchengewalten. Vergleich mit dem Auslande (Amerika, Frankreich, Österreich). b) Sozialdemokratische Presse. Besonderheiten ihrer Existenzbedingungen, offizielle und faktische Beziehungen zur Parteileitung, zu den lokalen Parteigruppen, zu Gewerkschaften und anderen Interessenten. Provenienz und Karriere sozialdemokratischer Redakteure. Faktische Monopolpositionen und Machtverteilung innerhalb der Presse und  zwischen Presse,r Partei, Interessenten und s„Intellektuellen“s. c) t„Bürgerliche Interessentenpresse.“t 34 3.u Verhältnis der politischen Parteien zur formal v„freien“ Presse. Faktischev Machtverteilung zwischen Partei und Presse in den einzelnen Parteienw (Zuziehung der Presse zu Parteikonferenzen, Streben der Presse nach Unabhängigkeit, der Partei nach Beeinflussung der Presse).x III. Produktion öffentlichery Meinung durch die Presse. 1. Vergleichendez Analyse der Art der Zeitungslektüre im Ausland (z. B. Amerika, Frankreich) und bei uns, sowohl quantitativ wie qualitativ (hierfür besonders:a qualitative Analyse der Lokalblätter im Auslande, im Süden, Osten und Westen Deutschlands)b. cStilisierung der Zeitungslektüre selbst durch die Art der Anordnung des Drucks, died Zunahme und Arte der telegraphischenf Berichterstattung gund der dabei möglichen größeren oder ge35

p  A, B, B1: Blätter: Analyse des Typus „Kölnische Volkszeitung“ 35 im Gegensatz zu anderen Blättern.    q  Fehlt in A, B, B1.    r  Komma fehlt in B, B1.    s–s Anführungszeichen fehlen in A, B, B1.    t–t  Anführungszeichen fehlen in A, B, B1; in A, B, B1 folgt: „Deutsche Tageszeitung“ und ähnliche.    u  Ziffer fehlt in A, B, B1.    v–v A, B, B1: freien Presse, faktische    w  B, B1: Parteien,    x A: Presse. : B, B1: Presse.). ; in A, B, B1 folgt nach einem Absatz: Damit gelangte man dann an die Frage nach der Art des Einflusses, den die Zeitung übt. Auch hier wäre eine Anzahl formaler Fragen zunächst zu erledigen:    y B, B1: der öffentlichen    z A, B: Vergleichen der   a  Doppelpunkt fehlt in A, B, B1.   b  Schließende Klammer fehlt in A, B, B1.   c–c (S.  225) Fehlt in A.    d B, B1: der    e B, B1: Eigenart    f Fehlt in B.   g–g  (S.  225)  Fehlt in B, B1. 34  Damit ist u. a. Die Deutsche Tageszeitung als Organ des Bundes der Landwirte gemeint. Vgl. textkritische Anm.  t sowie die Erläuterungen zu Weber, Disposition, oben, S.  149, Anm.  17. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden eigene Börsenund Handelszeitungen. 35  Vgl. ebd., oben, S.  148, Anm.  14.

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ringeren Betonung und Färbung bestimmter Inhalte der Nachrichteng.c 2. Welche anderenh Lektüreobjekte verdrängti die Presse? (klassisches Beispiel: Rußland vor und nach derj Gewährung der relativen Preßfreiheit,k36 Verdrängung der Zeitschriften, Umwälzung in der ganzen Art und Richtung der Lektüre). Urbanisierung des platten  Landes und der Kleinstadt durch die Presse. 3. Zu welcher Art von Lektüre und zu welchen formalen Änderungen der Ausdrucks-l und Denkweise erziehtm  die Presse? (Klassisches Beispieln für den ersten Punkt: oAnalyse des „Magazine“-Wesenso in Amerika.)p37 Maß und Art des Parallelismus von Zeitungs- und anderer Lektüre. 4.q Beeinflussung der Alltagssprache durch die Presse (rwirkliches und angeblichesr Zeitungsdeutsch, bedingt durch Telegramms und Telephon) und Weiterwirken dieser Beeinflussung auf die Schrift- und Literatursprache (tnur als sorgfältiget philologische Facharbeit zuverlässigu zu behandeln). Beeinflussung des Wissensund Diskussionsbedürfnisses durch die vzugleich „sachliche“ und „emotionale“v Stilisierung der Zeitungsnachrichten und der Zeitungskritik. Wirkliche und scheinbare Erweiterung des Horizonts, Anreicherung und Schematisierung des Denkensw. (Nur Veranschaulichung an massenhaftenx konkreten Beispieleny hat Wert.) z5.a Welche Art von Personen bmacht die Presse „berühmt“ oderb einflußreich? Reiz des cZeitungsruhms fürc wen und was? g  (S.  224)–g Fehlt in B, B1.  c  (S.  224)–c Fehlt in A.   h A, B, B1, C: andere   i  Hervorhebung fehlt in A, B, B1.    j  Fehlt in A, B, B1.    k  B, B1: Preßfreiheit.   l  B, B1: Ausdruck‑    m  Hervorhebung fehlt in A, B, B1; B: erzielt    n  A, B, B1: Beispiel:    o–o  A, B, B1: Magazine-Wesen  p  A, B, B1: Amerika).    q Ziffer fehlt in A, B, B1.    r–r  Fehlt in A, B, B1.    s  A, B, B1: Telegramme    t  A, B, B1: z. T. als    u  Fehlt in A, B, B1.  v–v  A, B, B1: emotionale  w  In A, B, B1 folgt: andererseits    x  Fehlt in A, B, B1.  y B: [??]en ; B1: Fällen    z–z (S.  226) Fehlt in A.   a  B, B1: 4.    b–b  B, B1: macht die Presse bekannt und   c  B, B1: „Zeitungsruhms“ – für    36  Weber, Disposition, oben, S.  149 f., Anm.  18. 37  Gemeint ist die Magazin-Beilage, auch Supplement genannt. Sie hebt sich äußerlich durch Format, Papier und Mehrfarbendruck von der Zeitung ab. Sie hat damit Zeitschriftencharakter, ohne ihre Zeitungszugehörigkeit aufzugeben. Die Erfindung des Magazins wird William Randolph Hearst zugeschrieben, der um 1900 mit der Beilegung des Sunday Supplement zu seinem New York Journal der Konkurrenz von Pulitzers New York World begegnen wollte. Vgl. auch Weber, Disposition, oben, S.  150, Anm.  19.

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Von wem und was schweigtd die Zeitung eund aus was für, in ihrer Eigenart und den Bedürfnissen ihres Publikums liegenden, Gründene?z 6.f Art der Ansprüche an den Inhalt der Presse je nach Geschlecht, Beruf, sozialer Schicht im In- und Auslande. Vergleichung der wissenschaftlichen und kritischen Beilagen im Vergleich mit den wissenschaftlichen Fachorganen, des Feuilletons mit der Belletristik. Das Briefkastenwesen der Zeitungen und seine Kultur.g 7.h Das Maß der i„Diskretion“i der jPresse und die Prinzipien der Zeitungen betreffs dieses Punktes, über welchenj zum Teil sehr irrtümliche Vorstellungen verbreitet sind. (Dabei Analyse der sog. Schund- und Revolverpresse,k international vergleichend nach Quantität und Qualität.)l m8. Zeitungspublizität und „öffentliche Moral“, zeitlich und international vergleichend.m Solchen Fragen lassen sich leicht vervielfältigen und ersto im Anschluß an sie pund ähnliche würdenp die eigentlich großen Kulturfragen qder Bedeutungq der Presse, ihr Anteil an dem materiellen  Inhalt der modernen Kulturgüter und ihr ubiquisierender, uniformierender, versachlichender und dabei doch kontinuierlich emotional gefärbter Einfluß auf die Gefühlslage und Denkgewohnheiten des modernen Menschen, auf den politischen, literarischen, künstlerischen Betrieb, auf  die Bildung und Zersetzung von Massenurteilen und Massenglauben[,] zu erörtern sein. Wiederholtr muß bemerkt werden, wass durch die tvorgehende Skizzet veranschaulicht werden sollte: daß, ehe man an solche Fragen geht, über die es sehr leicht ist,u ein hübsches Feuilleton, über die es unglaublich schwer ist, eine wissenschaftliche Darstellung zu bieten, eine breite Unterlage von Erfahrungen und Analysen zu

d Hervorhebung fehlt in B, B1.  e–e Fehlt in B, B1.  z  (S.  225)–z Fehlt in A.   f A: 4. ; B, B1: 5.  g  A, B, B1: „Kultur“. In B, B1 folgt nach einem Absatz: 6. Publizität und öffentliche Moral.    h A: 5.    i–i Anführungszeichen fehlen in A, B, B1.    j–j  A, B, B1: Presse, – über welche   k  Komma fehlt in A.    l Schließende Klammer fehlt in A.    m–m  Fehlt in A, B, B1.    n  A, B, B1: Diese    o  Fehlt in A, B, B1.    p  A, B, B1: würde nunmehr    q  Fehlt in A, B, B1.    r  In A, B, B1 folgt: aber    s A: daß    t–t A: ganze vorgehende Darstellung ; B, B1: ganze vorstehende Darstellung ; C: vorgehenden Skizze    u  Komma fehlt in B, B1.

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schaffen ist. Die Autobiographien großer Zeitungen:38 Kölnische, Allgemeine, Schlesische, Frankfurterv Zeitung, Schwäbischer Merkur, Hamburger wNachrichten usw.w können dabei als erstex Vorarbeiten dienen. Als eigentliches Material aber kommeny neben dem Handelsregister zFragebogenerhebungen über einzelne präzise Fragen und[,] neben den Zeitungsarchiven (soweit diese zugänglich gemacht werden), die Durcharbeitung von Zeitungen mit der Schere in Betracht. Ferner aber: Reisenz speziell dazu auszulesendera Persönlichkeiten ins bAusland: Amerika, England, Frankreich. (Man würde als geeignete Mitarbeiter hierbei wohl namentlich auf schon in der Praxis des deutschen Zeitungsgeschäfts und möglichst auch des Journalismus einigermaßen gut orientierte Herren reflektieren müssen, denen z. B. ein Zuschuß zu den Kosten eines längeren Studienaufenthalts in Amerika zur Orientierung oder zum Volontärdienst in der dortigen Presse im eigenen Fortbildungsinteresse willkommen wäre.) Das sind aberb alles Dinge, welche cnicht nurc beträchtliche Mittel in Anspruch nehmen d, sondern auch erhebliche Geduld,d sowohl der beauftragten Bearbeiter,e wie des auftraggebenden fVereins und seiner Dotatoren, wief des resultateerwartendeng Publikums,h erfordern. Und selbstredend setzt das Gelingen der Arbeit ein sehr wohlwollendes und vertrauensvolles Entgegenkommen der Herren Zeitungsverleger und anderer Zeitungsinter39

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v  A, B, B1: Frankfurter, Mecklenburger 39  w  A, B, B1: Nachrichten,    x  Fehlt in A, B, B1.    y A, B, B1: kommt    z–z A, B, B1: und den Zeitungsarchiven die Durcharbeitung von Zeitungen mit der Schere und für einzelne Fragen die Fragebogenerhebungen in Betracht, daneben [A: Daneben] aber vor allem: Reisen   a A: auserlesener    b–b  A, B, B1: Ausland (Amerika, England, Frankreich) –   c  Fehlt in A, B, B1.    d  A, B, B1: und erhebliche Geduld,   e  B, B1: Arbeiter    f A: Vereins, wie ; B, B1: Vereins wie   g A: resultaterwartenden  h  Komma fehlt in A, B, B1.   38  Gemeint sind Monographien über die Geschichte einzelner großer Zeitungen, die seit den 1860er Jahren publiziert wurden. Vgl. dazu Weber, Disposition, oben, S.  151, Anm.  24. 39  Vermutlich ist die Mecklenburgische Zeitung gemeint, die auf die 1757 gegründete Schwerinsche Zeitung von den merkwürdigsten Staats-Geschichten zurückgeht. 1848 in Mecklenburgische Zeitung umbenannt, wurde sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer der wichtigsten Tageszeitungen Mecklenburgs und erschien täglich in einer Mittags- und einer Abendausgabe. Politisch dem linken Flügel der Nationalliberalen Partei nahestehend, unterstützte sie von 1918–20 kurzzeitig die DDP.

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Vorbericht über eine Erhebung zum Zeitungswesen

essenten und der Journalisteni voraus, jderen berufene Vertreter demgemäß alsbald nach vorläufigerj Sicherstellung der materiellen Mittelk  durch die Bitte um lAnnahme ihrer Kooptation in den Ausschuß und uml Bezeichung von zur Mitarbeit geeigneten Persönlichkeiten angegangen werden müssen. mEs darf gehofft werden, daß sie dem  Unternehmen Vertrauen entgegenbringen, sofern sie – wie zu hoffen – sich davon überzeugen, daß keinerlei andere als rein wissenschaftliche, allein auf streng objektive Tatsachenfeststellung gerichtete, dagegen jedem (in weitestem Sinne) politischen oder (ebenfalls in weitestem Sinne) „moralisierenden“ Bedürfnis gänzlich fernstehende Interessen zu dem Versuch dieser Erhebung führen.m Treten nsodann angesehene, mit der Praxis des Zeitungswesens vertrauten Gelehrte, deren Unbefangenheit, Sachkunde und Freiheit von Parteigebundenheit bekannt ist, hinzuo, so darf auf ein Gelingenp wohl gehofft werden.q

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i  A, B, B1: Presse überhaupt    j–j  A, B, B1: welche demgemäß alsbald nach Zusammensetzung des Arbeitsausschusses [B, B1: Arbeitsschusses] und    k In A, B, B1 folgt: sowohl durch Kooptation wie   l–l  Fehlt in A, B, B1.  m–m  Fehlt in A, B, B1.  n–n A, B, B1: angesehene  o A, B, B1: an die Spitze der Arbeit   p  A, B, B1: solches Entgegenkommen   q  In B, B1 folgt: Max Weber.

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Vorläufiger Entwurf eines Gründungsstatuts der Abteilung für Statistik [Unter Mitarbeit von Eugen Würzburger]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Eugen Würzburger, der Direktor des Königlich Sächsischen Statistischen Landesamtes, war von der Leipziger Mitgliederversammlung 1909 zum ordentlichen DGS-Mitglied gewählt worden. Er schrieb am 26. August 1910 an die Deutsche Gesellschaft für Soziologie: „Es drängt sich der Gedanke auf, innerhalb Ihrer Gesellschaft eine statistische Sektion in ähnlicher Weise zu begründen, wie bei verschiedenen der bestehenden großen wissenschaftlichen Vereinigungen besondere Fachabteilungen vorhanden sind“.1 Hermann Beck unterstützte dieses Ansinnen in seinem Rundschreiben an den Vorstand vom 28. August 1910 mit dem Argument, die DGS könne mit einer eigenen Abteilung eine selbständige statistische Vereinigung verhindern, die eine starke Konkurrenz zur DGS bilden würde.2 Max Weber, zu diesem Zeitpunkt mit der Bildung des Ausschusses für die Presseenquete beschäftigt, begrüßte diesen Vorschlag und wollte ihn unter den Punkt „Anträge auf Statuten-Ergänzung“ auf die Tagesordnung der zweiten ordentlichen Mitgliederversammlung der DGS setzen, die am 19. und 22. Oktober 1910 in Frankfurt stattfinden sollte.3 Er entsprach damit Eugen Würzburgers Wunsch, der das „Bedürfnis nach einem engeren Zusammenschluß“ der Statistiker ausgesprochen habe.4 Da der größte Teil der akademischen Statistiker, so Würzburger, soziologisch qualifiziert sei, womit sie die Anforderungen

1  Brief von Eugen Würzburger an den Vorstand der DGS vom 26. August 1910, eine Abschrift des Briefes befindet sich in: SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.1.64. In diesem Schreiben bedankt sich Würzburger für seine Wahl zum ordentlichen Mitglied. 2  Rundschreiben Hermann Becks an den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vom 28. August 1910, SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.1.64. 3  Vgl. Protokoll der zweiten ordentlichen Mitgliederversammlung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie am 19. Oktober 1910, SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.2.10 (hinfort: Protokoll der DGS-Mitgliederversammlung am 19. Okt. 1910), sowie den Brief Max Webers an Hermann Beck vom 12. Sept. 1910, MWG II/6, S.  606 f. 4  Vgl. Protokoll der DGS-Mitgliederversammlung am 19. Okt. 1910 (wie oben, Anm.  3).

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Vorläufiger Entwurf eines Gründungsstatuts der Abteilung für Statistik

der DGS erfüllten, könnten diese ohne weiteres als ordentliche Mitglieder kooptiert werden. Da die Mitglieder des Vorstandes der DGS keine Einwände erhoben, kam es zu einer informellen Vorbesprechung am 18. Oktober 1910 in Frankfurt5 – tags darauf zur Gründung der Statistischen Sektion.6 Am 5. Dezember 1910 schickte Weber an den Vorstand der DGS den im folgenden abgedruckten „Vorläufigen Entwurf eines Gründungsstatuts der Abteilung für Statistik“. Aus dem Begleitbrief geht hervor, daß der Entwurf von Weber stammte, aber nach Absprachen mit Eugen Würzburger7 geändert wurde. So heißt es: „Die sehr schwierigen Finanz-Fragen sind (da Herr W[ürzburger] meinen Vorschlägen zu genereller Regelung keinen Geschmack abgewann) in §  8 der Regelung ‚von Fall zu Fall‘ unterstellt.“8 Diesen Entwurf kritisierte Beck in seinem Rundschreiben vom 9. Dezember 1910.9 Statt „Verein deutscher Statistiker, Abteilung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie“ (§  1) zog Beck es vor, die Abteilung „Statistische Sektion der Deutschen Gesellschaft für Soziologie“ zu nennen. Auch wollte er eine absolute Unabhängigkeit der Sektion hinsichtlich ihrer Organisation und Tätigkeit (§  2)10 nicht hinnehmen. Auf Becks Einwände antwortete Weber: „Ich mache gar keinen Hehl daraus, daß mir eine föderalistische Gestaltung der soziologischen Organisationen, für welche dann die Muttergesellschaft nur noch der Kontrollpunkt bleiben würde, als die einzig mögliche erscheint.“11 Er erkannte, „daß nämlich die Statistiker (wie der Entwurf des Schreibens an Herrn v. Mayr zeigt – er stammt von Herrn Geheimrat W[ürzburger] –) vor Allem auch ‚Standes-Interessen’ zu fördern beabsichtigen. Das liegt uns eigentlich fern, – aber wenn wir die Abteilung, einerlei unter welchem Namen, einmal gründen, werden wir es de facto nicht ausschließen können, daß dies geschieht.“12 Die von Beck in seinem Rundschreiben vom 9. Dezember vorgetragenen Änderungs-

5  Vgl. dazu MWG II/6, S.  606, Anm.  2. 6 Vgl. dazu das Protokoll der DGS-Mitgliederversammlung am 19. Okt. 1910 (wie oben, S.  229, Anm.  3). Zu den anschließenden Diskussionen vgl. die Briefe Webers an Hermann Beck bzw. den Vorstand der DGS vom 5., 11. und 14. Dez. 1910, MWG II/6, S.  705–707, 712–714 und 724. 7  Eine Korrespondenz Max Webers mit Eugen Würzburger ist nicht nachgewiesen. 8  Brief Max Webers an Hermann Beck vom 5. Dez. 1910, MWG II/6, S.  705–707, Zitat: S.  705 f. 9  Rundschreiben Hermann Becks an den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vom 9. Dezember 1910, SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.1.64. 10  Vgl. die Editorische Vorbemerkung zu dem Schreiben Max Webers an den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vom 11. Dez. 1910, MWG II/6, S.  712. 11  Brief Max Webers an den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vom 11. Dez. 1910, ebd., S.  712–714, Zitat: S.  712. 12  Ebd., S.  713.

Editorischer Bericht

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vorschläge fanden schließlich Eingang in die endgültige Fassung der Statuten der Statistischen Sektion und wurden im Sommer 1911 veröffentlicht.13

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Zum Abdruck kommt eine zweiseitige maschinenschriftliche Abschrift, die mit „Vorläufiger Entwurf eines Gründungsstatuts der Abteilung für Statistik“ überschrieben ist und sich in SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.2.01, S. [I]–II, befindet (A). Der Entwurf des Gründungstatuts wurde von Max Weber am 5. Dezember 1910 als Briefbeilage an Hermann Beck geschickt mit dem Bemerken, daß der Entwurf des Statuts und ein ebenfalls beigefügtes Schreiben an Georg v. Mayr „im Verlauf einer Korrespondenz entstanden“ seien; der Entwurf „als Korrektur eines von mir ihm [d. i. Eugen Würzburger] vorgelegten Entwurfes“.14 Weitere Zwischenfassungen bis zur endgültigen Druckfassung der Statuten vom Juni 191115 sind nicht überliefert, so daß sich der Anteil Max Webers daran nicht mehr zweifelsfrei feststellen läßt. Aus diesem Grund bleibt hier die Druckfassung der Statuten unberücksichtigt. Nur die zweite Seite ist maschinenschriftlich mit „II“ paginiert. Die Paginierung wird ergänzt und als A (I) und A II marginal mitgeführt. Tippfehler, wie z. B. „Diskusionen“, werden stillschweigend verbessert.

13  Das definitive „Gründungsstatut der Statistischen Sektion der Deutschen Gesellschaft für Soziologie“ ist abgedruckt in: Deutsche Statistische Gesellschaft. Abteilung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Niederschrift der Verhandlungen der konstituierenden Versammlung in Dresden am 17. Juni 1911, S.  15 (hinfort: Statut der Statistischen Gesellschaft). Das Statut ist überdies erschienen als Beilage in: Deutsches Statistisches Zentralblatt, Jg. 3, Nr.  6, 1911. 14  Brief Max Webers an Hermann Beck vom 5. Dez. 1910, MWG II/6, S.  705–707, Zitat: S.  705. Der Entwurf des Statuts ist bereits als Beilage 1 zum Brief abgedruckt, ebd., S.  708 f. 15  Vgl. dazu oben, Anm.  13.

232 A (I)

Vorläufigera Entwurf eines Gründungsstatuts der Abteilung für Statistik. §  1. Auf Grund des Statuts der Deutschen Gesellschaft für Soziologie1 wird bei dieser eine Abteilung errichtet zur Pflege der statistischen Wissenschaft und ihrer Forschungs- und Lehrmethodik. Sie führt den Namen: „Verein deutscher Statistiker. Abteilung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie“.2 Die Stellung dieser Abteilung innerhalb der Gesellschaft wird durch die folgenden näheren Bestimmungen geregelt. §  2. Über ihre innere Organisation und Tätigkeit beschließt die Abteilung nach eigenem Ermessen. Sie nimmt in ihren Vorstand ein von ihr auszuwählendes Mitglied des Gesamt-Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Soziologie auf. Der I. Vorsitzende der Abteilung ist kraft seines Amts Mitglied des Gesamt-Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Soziologie.3 §  3. Die Abteilung bestimmt nach eigenem Ermessen die Bedingungen für die Abteilungsmitgliedschaft. §  4. Bei den vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie der Mitgliederversammlung jeweils zu machenden Vorschlägen für Zuwahlen ordentlicher Mitglieder der Gesellschaft sind die Mit-

a  In A geht voraus: Abschrift. 1  Vgl. §  29 des Frankfurter Statuts, unten, S.  867. 2  Im definitiven Statut der Statistischen Gesellschaft heißt die Sektion: „Deutsche Statistische Gesellschaft, Abteilung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie“. Vgl. Statut der Statistischen Gesellschaft (wie oben, S.  231, Anm.  13), S.  15. 3  Im definitiven Statut schließt sich hier der folgende Satz an: „Die Bureau-, Kassenund Buchführung ist die gemeinschaftliche der Deutschen Gesellschaft für Soziologie.“ Ebd.

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Vorläufiger Entwurf eines Gründungsstatuts der Abteilung für Statistik

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glieder der Abteilung unter Berücksichtigung der Vorschläge ihres Vorstandes anteilsmäßig zu beteiligen.

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§  5. Die Abteilung kann geschlossene Sitzungen abhalten, an welchen teilzunehmen nur berechtigt ist, wer durch Beschluß der Abteilung dazu berufen wird. Zu nicht geschlossenen Sitzungen, insbesondere zu rein wissenschaftlichen Vorträgen haben alle Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Soziologie Zutritt mit dem Recht der Teilnahme an etwaigen Diskussionen. Die Abteilung hat jedoch das Recht,  ihren Mitgliedern dabei den Vortritt in der Rednerliste zu wahren. §  6. In Jahren, in welchen ein Soziologentag stattfindet, fallen Ort und Zeit der Tagung der Abteilung mit diesem zusammen oder schließen sich an ihn unmittelbar vorausgehend oder nachfolgend an. Die Abteilung hat Anspruch darauf, daß auf den Soziologentagen in gleich berechtigter Abwechslung mit anderen Abteilungen ein Thema ihrer Wahl unter die Hauptvortragsthemata aufgenommen wird. §  7. Die Abteilung hat Anspruch darauf, sofern eine wissenschaftliche Unternehmung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie sich auch auf statistische Erhebungen oder Arbeiten erstreckt, an deren Leitung, und zwar auf Verlangen durch von ihr besonders zu bestimmende Vertreter, mitbeschließend beteiligt zu werden. §  8. Alle sonstigen Einzelheiten der Beziehungen zwischen der Gesamtgesellschaft und der Abteilung können im Rahmen des Statutes der Deutschen Gesellschaft für Soziologie von Fall zu Fall4 durch Beschlüsse des Gesamtvorstandes geregelt werden, sofern diese mit Zustimmung der Abteilungsvorsitzenden gefaßt worden sind.

4  Vgl. zu dieser Formulierung den Editorischen Bericht, oben, S.  230, mit Anm.  8.

A II

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Vorläufiger Entwurf eines Gründungsstatuts der Abteilung für Statistik

§  9. Bis zur formellen Konstituierung der Abteilung und Wahl ihres Vorsitzenden wird dieser und sein Stellvertreter provisorisch durch den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie ernannt.5 

5  §  9 der endgültigen Fassung lautet: „Bis zur formellen Konstituierung der Abteilung und zur Wahl ihres Vorsitzenden wird durch den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie provisorisch Unterstaatssekretär z. D. Professor Dr. Georg von Mayr in München zum Vorsitzenden und Geheimer Regierungsrat Dr. Eugen Würzburger in Dresden zu seinem Stellvertreter ernannt.“ Ebd.

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[Zur Affäre Dr. Ruge I] [Zuschrift an das Heidelberger Tageblatt, 9. Januar 1911]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Diese und die nachfolgend abgedruckte Zuschrift Max Webers stehen im Zusammenhang mit einer in der Heidelberger Presse geführten Kontroverse zwischen Marianne Weber und Arnold Ruge im Winter 1910/11. Max Weber griff in diesen öffentlich ausgetragenen Streit erst am Schluß direkt ein. Konfliktauslösend war ein Bericht des Heidelberger Tageblatts über eine Versammlung des Vereins „Frauenbildung – Frauenstudium“.1 Als Vorsitzende des Heidelberger Ortsvereins eröffnete Marianne Weber die Tagung.2 Eva Cohnheim und Anna Blanck sprachen in einem Referat und Korreferat über das Thema des „Einküchenhauses“. Die Referentin Cohnheim wollte die Küche im Privathaushalt durch eine Zentralküche zwecks Arbeitsentlastung der berufstätigen Frau ersetzen. Die Korreferentin Blanck wies dagegen auf die hohen Bau- und Haushaltskosten hin. Am 1. Dezember 1910 erschien im Heidelberger Tageblatt ein anonymer Leserbrief,3 der den Heidelberger Frauentag zum Anlaß einer Polemik nahm und die Frauenbewegung vom Standpunkt eines antimodernistischen, national-konservativen Frauen- und Gesellschaftsbildes kritisierte. Zwei Tage später, am 3. Dezember 1910, druckte das Heidelberger Tageblatt die Zuschriften von Marie Bernays, Erna Glaesner sowie Arnold Ruge ab.4 Während die beiden Frauen die Idee des Einküchenhauses auf unterschiedliche Weise verteidigten, stellte sich der Heidelberger Privatdozent Arnold Ruge hinter die Polemik des anonymen Leserbriefschreibers und verunglimpfte die Frauenbewegung, die sich „aus alten Mädchen, sterilen Frauen, Witwen und Jüdinnen“ zusammensetze. Frauen, die Mütter seien und die Pflichten der Mutter erfüllten, seien aber nicht dabei.5 1  Heidelberger Tageblatt, Nr.  279 vom 29. Nov. 1910, S.  4. 2 Ebd. 3  „Das Einküchenhaus“, in: Heidelberger Tageblatt, Nr.  281 vom 1. Dez. 1910, S.  5. 4  Marie Bernays, Erna Glaesner und Arnold Ruge, Zur Frage des Einküchenhauses, in: Heidelberger Tageblatt, Nr.  283 vom 3. Dez. 1910, 2. Bl., S.  3. 5 Ebd.

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Zur Affäre Dr. Ruge I

Diese Unterstellungen und Beleidigungen veranlaßten Marianne Weber am 6. Dezember 1910 zu einem Brief an Arnold Ruge mit der Frage, auf welche Mitglieder der Heidelberger Frauenbewegung er sich beziehe.6 Sie schickte ihren Brief zusammen mit Ruges Zuschrift vom 3. Dezember sowie einer von ihr verfaßten ausführlichen „Erläuterung für Ihre Leser“ an eine andere, die Heidelberger Zeitung.7 Sie widerlegt darin sachlich und mit statistischen Angaben die Behauptung Ruges, unter den Mitgliedern der Frauenbewegung seien keine Mütter. Sie tritt überdies dem gängigen Vorurteil entgegen, die Frauenbewegung begünstige den „Rassenselbstmord“ des deutschen Volkes, und macht ökonomische und soziale Gründe für den Rückgang der Geburtenzahl im europäischen Maßstab verantwortlich. All dem fügte sie noch die inzwischen brieflich erfolgte Antwort Ruges, die nur ausweichend auf ihre Argumente eingegangen war,8 inhaltlich zusammengefaßt, hinzu, sowie ein weiteres, von ihr unterzeichnetes Antwortschreiben vom 10. Dezember 1910.9 In dieser, unter Marianne Webers Namen abgedruckten und von Max Weber (mit)verfaßten, Polemik10 heißt es: „Wie mein Brief ergab, handelte es sich für mich ganz ausschließlich um die Ihrer unbeherrschten Zunge und Feder entschlüpften ausdrücklichen Behauptungen, die Frauen der Frauenbewegung wollten nicht Mutter sein und erfüllten die Pflichten einer Mutter nicht. Daß beides […] durch keinerlei Mittel zu beweisende, sachlich ganz wertlose Schmähungen sind, müssen Sie sich selbst gesagt haben, sofern Sie normal urteilsfähig sind. Daß überhaupt der Ersatz sachlicher Argumente durch allgemein gehaltene Anspielungen auf Verhältnisse des intimsten persönlichen und ehelichen Privatlebens der Gegner allen Anforderungen edler

6  GLA Karlsruhe, Nl. Arnold Ruge, Nr.  18. 7 Ihre Einsendung wurde abgedruckt: Weber, Marianne, Zur Frauenbewegung, in: Heidelberger Zeitung, Nr.  289 vom 10. Dez. 1910, 2. Bl., S.  2 f. (hinfort: Weber, Marianne, Zur Frauenbewegung). 8  Ruge hatte u. a. geschrieben: „Ich fühle in mir kein Recht, wenn ich vom allgemeinen Kulturinteresse an einer Sache rede, besondere Zustände und besondere Personen zu kennzeichnen. […] wollen Sie bitte, wenn Ihnen daran liegt festzustellen, in wieweit mit einigem Recht meine kurzen Ausführungen auf Heidelberger Verhältnisse bezogen werden können, selbst prüfen, wer von den Vertretern der eigentlichen Frauenbewegung hier größtenteils hervortritt, und dann erinnern Sie sich vielleicht noch daran, wer in den beiden allgemeinen Sitzungen der Frauentagung das Wort führte. Es mag sich dann vielleicht zeigen, daß man durch mannigfache Beispiele verleitet in die Gefahr kommen könne, die allgemeinen Beobachtungen auf spezielle Heidelberger Verhältnisse zu deuten, eine Gefahr, die meine Zeilen begünstigen zu wollen schienen.“ Hier zitiert nach Ruge, Arnold, Erwiderung, in: Heidelberger Zeitung, Nr.  290 vom 12. Dez. 1910, S.  4 (hinfort: Ruge, Erwiderung). 9  GLA Karlsruhe, Nl. Arnold Ruge, Nr.  18. 10  Weber, Marianne, Zur Frauenbewegung (wie oben, Anm.  7). Marianne Weber zufolge enthielt diese Antwort „eine öffentliche Züchtigung, an deren schneidender Schärfe jeder den Mitverfasser erkannte“. Weber, Marianne, Lebensbild3, S.  436.

Editorischer Bericht

237

Sitte Hohn spricht und daß eine allgemeine Anwendung solcher Gepflogenheiten jede Diskussion in die Gosse zerren würde, muß jeder, der im Kampf um Weltanschauungen öffentlich Partei ergreift, sich gegenwärtig halten, wenn er für vollwichtig und vollwertig genommen werden will. Mein privater Brief sollte Ihnen lediglich den, eines voll entwickelten Mannes allein würdigen, Entschluß, eine schwere und für sie wenig ehrenvolle Entgleisung durch rückhaltloses, öffentliches, ehrliches Eingeständnis Ihres Unrechts wieder gutzumachen, erleichtern. […] Ihr Schreiben enthält der Sache nach lediglich den Versuch, sich um die Erfüllung einer klaren Anstandspflicht herumzuwinden.“ Ruges ursprünglich private Antwort vom 7. Dezember 1910 wurde unter der Überschrift „Zur Frauenbewegung. Erwiderung“ in der Heidelberger Zeitung am 12. Dezember 1910 abgedruckt.11 Sie enthält im wesentlichen eine Wiedergabe von Marianne Webers erstem Brief an Ruge vom 6. Dezember 1910 sowie dessen Antwort. Ruge, der mit der Bemerkung schließt, es habe ihm ferngelegen, mit seiner Kritik an der Frauenbewegung Heidelberger Damen zu kränken, betrachtet die Diskussion von seiner Seite aus für abgeschlossen. Erst nach dieser „Erwiderung“ schaltete sich Max Weber direkt mit einem privaten Brief an Ruge ein: „Ich möchte nach Kenntnisnahme von der Art Ihrer ‚Erwiederung‘, Sie nicht im Zweifel lassen, daß ich natürlich jedes Wort der Erklärung meiner Frau auch meinerseits unterschreiben möchte und daß ich bedaure, daß Jemand, der sich so verhält, wie Sie es getan haben, der Universität angehört. Ich veröffentliche, nach so viel dem Ansehen der Universität abträglichen öffentlichen Worten, diesen Brief nicht. Antwortschreiben Ihrerseits weise ich aber auch meinerseits zurück, ohne sie zu öffnen.“12 Damit begann die Affäre Ruge – Max Weber, in die auch Wilhelm Windelband, Ruges Lehrer, und die philosophische Fakultät der Heidelberger Universität hineingezogen wurden.13 Eine unerwartete Wendung nahm der Vorgang einige Wochen später, als das Heidelberger Tageblatt am 7. Januar 1911 unter der Überschrift „Eine Duellforderung an der Heidelberger Universität“, bezugnehmend auf einen Bericht im Hamburger Fremdenblatt,14 mitteilte, daß „der Privatdozent Dr. Ruge den Nationalökonomen Professor Max Weber gefordert habe wegen

11  Ruge, Erwiderung (wie oben, S.  236, Anm.  8), S.  4. 12  Schreiben Max Webers an Arnold Ruge vom 13. Dez. 1910, MWG II/6, S.  715–717, Zitat: S.  717. 13 Dazu die Briefe Max Webers an Friedrich Blanck vom 13., am oder nach dem 13. Dez., 17. und nach dem 17. Dez. 1910, einschließlich der Editorischen Vorbemerkungen, MWG II/6, S.  718–720, S.  721–723, S.  743–745, S.  746 f. 14  Hamburger Fremdenblatt Nr.  5 vom 6. Jan. 1911, S.  2.

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Zur Affäre Dr. Ruge I

einer Angelegenheit, mit der dieser gar nichts zu tun hatte“.15 Danach folgte ein den Tatsachen entsprechender Bericht über die Auseinandersetzung zwischen Marianne Weber und Arnold Ruge mit der zusätzlichen Behauptung, Ruge habe auf den zweiten Brief Marianne Webers hin bei Max Weber angefragt, „ob er die Äußerungen seiner Gattin billige und ob er sie ev. mit der Waffe verteidigen wolle. Professor Weber wies dieses Ansinnen gebührendermaßen zurück. Von dem akademischen Senat soll dann Dr. Ruge einen Verweis erhalten haben“.16 Zwei Tage später dementierte Max Weber die im Heidelberger Tageblatt wiedergegebenen Mitteilungen des Hamburger Fremdenblattes.17 Im Anschluß an Webers kurzes Dementi fügte die Redaktion eine längere Erklärung an, die Arnold Ruges Bestrebungen, den „Fall“ zu lösen, schildern.18 Das führte zu einer weiteren, längeren Zuschrift Max Webers, die am 13. Januar 1911 im Heidelberger Tageblatt veröffentlicht ­wurde.19

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Dem Abdruck liegt die Zuschrift zugrunde, die unter dem Titel „Eine Duellforderung an der Heidelberger Universität“, in: Heidelberger Tageblatt, Nr.  7 vom 9. Januar 1911, S.  4 (A), erschienen ist. Durch die redaktionelle Vorbemerkung ist Max Weber als Verfasser ausgewiesen.20 In Anlehnung an die Überschrift zur zweiten Zuschrift, die am selben Ort am 13. Januar erschien, hat der Editor den Titel gebildet.

15  Eine Duellforderung an der Heidelberger Universität, in: Heidelberger Tageblatt, Nr.  6 vom 7. Jan. 1911, S.  5 (hinfort: Duellforderung, Bericht des Heidelberger Tageblatts). 16 Das Heidelberger Tageblatt (ebd.) kommentierte diese, dem Hamburger Fremdenblatt entnommenen Mitteilungen wie folgt: „Wir haben uns sofort bemüht, in der Angelegenheit eine authentische Darstellung zu erhalten. Unsere Bemühungen sind jedoch ohne Erfolg geblieben, da die beiden in Frage stehenden Herren Professor Weber und Privatdozent Dr. Ruge verreist und von Heidelberg abwesend sind. Jedoch können wir auf Grund zuverlässiger Information mitteilen, daß die Meldung des Hamburger Blattes über eine Forderung Ruges an Weber nicht zutrifft. Eine solche Forderung ist bisher nicht erfolgt und dürfte auch nicht erfolgen, da, wie wir weiter hören, die Beleidigungssache Weber–Ruge den Gegenstand einer Privatklage bilden wird.“ 17  Vgl. unten, S.  239, textkritische Anm.  a. 18  Vgl. unten, S.  239 mit textkritischer Anm.  b. 19  Vgl. Weber, Zur Affäre Ruge II, unten, S.  240–242. 20  Vgl. die redaktionelle Vorbemerkung, unten, S.  239, textkritische Anm.  a.

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[Zur Affäre Dr. Ruge I]

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Ana der Nachricht des „Hamburger Fremdenblattes[“] ist kein wahres Wort. Die Angelegenheit selbst, über deren wirklichen Verlauf ich es nicht für richtig halten würde, mich öffentlich ohne absolut zwingenden Grund zu äußern, ist für mich persönlich in jedem Sinne erledigt.b

a  In A geht die redaktionelle Vorbemerkung voraus: („Eine Duellforderung an der Heidelberger Universität“.) Nach unserer Information sind die Mitteilungen über die Differenzen zwischen Prof. Weber und Privatdozent Ruge von durchaus unberufener Seite in einem Hamburger und einem Berliner Blatt veröffentlicht worden. Schon die Behauptung, Dr. Ruge habe Professor Weber eine Duellforderung zugehen lassen, ist, wie wir schon am Samstag festgestellt haben, vollständig aus der Luft gegriffen. Wir erhalten hierüber von Herrn Professor Dr. Max Weber, zurzeit in Charlottenburg, folgendes Dementi: b In A folgt der redaktionelle Kommentar: Aber auch sonst ist die Darstellung des „Falles“ in verschiedenen Punkten falsch. So hat vor allem Dr. Ruge von Professor Weber nicht Genugtuung verlangt wegen des der Öffentlichkeit übergebenen Schreibens der Frau Marianne Weber. Dr. Ruge hat vielmehr von Professor Weber einen Brief erhalten, durch dessen Inhalt sich der Empfänger in seiner Ehre als Dozent beleidigt fühlte. Es ist also eine grobe Fälschung, wenn behauptet wird: „Dr. Ruge frug bei Professor Weber an, ob er die Äußerungen seiner Gattin billige und ob er sie eventuell mit der Waffe verteidigen wolle.“ Im Gegenteil, Dr. Ruge hat die Vermittlung eines Fakultätsmitgliedes in Anspruch genommen, um einen friedlichen und geräuschlosen Ausgleich der Angelegenheit zu erlangen. Selbstverständlich machte Ruge die Zurücknahme der Bemerkungen, die er als Beleidigung auffaßte, zur Bedingung. Die in dieser Beziehung unternommenen Versuche, die Sache zu erledigen, sind jedoch völlig gescheitert. Es wäre nun allerdings der Weg gegeben gewesen, die Angelegenheit mit der Pistole zu erledigen. Dieser Weg wurde jedoch aus prinzipiellen Gründen nicht beschritten. Eine zweite Möglichkeit, sich durch den Spruch der Universitätsdisziplinarbehörde Recht zu verschaffen, lag ebenfalls nicht vor, da Professor Weber als inaktiver Professor keiner Disziplinarbehörde untersteht. Aus demselben Grunde konnte auch die philosophische Fakultät als entscheidende Instanz nicht in Anspruch genommen werden. Es blieb also Dr. Ruge nur der Weg der Privatklage offen, den er auch tatsächlich beschritten hat. – Auch die Bemerkungen über die Einmischung der Universitätsbehörden in dieser Angelegenheit in den Blättern entsprechen den Tatsachen nicht ganz.

[A 4]

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[Zur Affäre Dr. Ruge II] [Zuschrift an das Heidelberger Tageblatt, 13. Januar 1911]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Obgleich Max Weber den Bericht des Heidelberger Tageblatts vom 7. Januar 1911 nur kurz dementieren wollte,1 sah er sich danach doch noch zu einer erweiterten Stellungnahme gezwungen, weil das Heidelberger Tageblatt an sein Dementi eine eigene Darstellung des Vorgangs angeschlossen hatte.2

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Dem Abdruck liegt die Zuschrift zugrunde, die unter dem Titel „Zur Affäre Dr. Ruge – Professor Weber“, in: Heidelberger Tageblatt, Nr.  11 vom 13. Januar 1911, S.  4 (A), erschien. Die Zuschrift ist mit „Prof. Max Weber“ unterzeichnet. In Anlehnung an die redaktionelle Überschrift fügt der Editor den Titel ein.

1  Vgl. dazu Weber, Zur Affäre Ruge I, oben, S.  235–239. 2  Vgl. oben, S.  239 mit textkritischer Anm.  b.

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[Zur Affäre Dr. Ruge II] Sehra geehrte Redaktion!

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Da Ihre Notiz vom 9. d. M.1 auch positive Angaben enthält, muß ich nunmehr dazu bemerken: Da der Eindruck nicht entstehen dürfte, als bedürften Frauen zur erfolgreichen Abwehr von Angriffen der hier in Frage stehenden Art in der Öffentlichkeit irgend eines ehemännlichen Schutzes, habe ich meine Auffassung von seinem Verhalten Herrn Dr. Ruge lediglich privatschriftlich2 und ferner erst dann mitgeteilt, als er seine „Diskussion“ mit meiner Frau als „abgeschlossen“ bezeichnet hatte.3 Ich habe dabei gleichzeitig einige mir zugängliche Kollegen gebeten,4 ein scharfes, disziplinares Vorgehen gegen Herrn Dr. R[uge] möglichst hintanzuhalten – ich selbst bin übrigens kein pensionierter Professor, sondern ein Dozent wie Herr Dr. Ruge, lediglich behaftet mit einer Titulatur,5 deren praktische Bedeutung sich gänzlich darin erschöpft, daß sie mich besonderer Beurlaubungsgesuche enthebt. Und endlich habe ich den Vermittlungsanträgen eines hochgeschätzten Kollegen6 gegenüber sofort genau diejenigen nach der Sachlage selbstverständlichen Voraussetzuna  In A geht voraus: (Zur Affäre Dr. Ruge – Professor Weber) erhalten wir folgende Zuschrift: 1  Vgl. oben, S.  239, textkritische Anm.  b. 2  Brief Max Webers an Arnold Ruge vom 13. Dez. 1910, MWG II/6, S.  715–717. 3  Gemeint ist Ruges Antwort an Marianne Weber vom 7. Dezember 1910, abgedruckt in: Ruge, Erwiderung (wie oben, S.  236, Anm.  8), S.  4. Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Zur Affäre Dr. Ruge I, oben, S.  235–238. 4  Am oder nach dem 13. Dezember 1910 hatte Max Weber an Friedrich Blanck geschrieben, er habe die Fakultät gebeten, von einer Disziplinierung Ruges abzusehen (MWG II/6, S.  721–723). Friedrich Blanck war der Ehemann von Anna Blanck, die beim Frauentag referiert hatte. 5  Max Weber wurde im Vorlesungsverzeichnis der Universität Heidelberg als „inaktiver ordentlicher Professor“ geführt. Er hatte eine Honorarprofessur inne, ohne Promotions- und Mitwirkungsrecht in der Fakultät. Arnold Ruge war seit 1910 Privatdozent an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg. 6  Gemeint ist Wilhelm Windelband, der Mentor von Arnold Ruge. Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Arnold Ruge vom 13. Dez. 1910, MWG II/6, S.  715–717, bes. S.  717, und den Brief an Heinrich Rickert, nach dem 15. Jan. 1911, MWG II/7, S.  46–50.

[A 4]

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Zur Affäre Dr. Ruge II

gen angegeben,7 deren Erfüllung mir es überhaupt erst ermöglichen würde, ohne Unaufrichtigkeit meinen erwähnten privaten Brief einer erneuten Erwägung zu unterziehen. Eine etwaige Privatklage,8 für deren voraussichtlich wenig erfreuliche Folge ich die Verantwortung ablehne, wäre das am allerwenigsten geeignete Mittel, mich zu einer Änderung meiner Beurteilung der Tatsachen zu veranlassen[.] Hiermit genug. Mit vorzüglicher Hochachtung. Prof. Max Weber.

7  In seinem Brief an Friedrich Blanck, am oder nach dem 13. Dezember 1910, nennt Weber als Voraussetzung die „öffentliche bedingungslose Zurücknahme 1) der Form – 2) der persönlich gewendeten Behauptungen (unter Aufrechterhaltung seiner Ablehnung der ‚Frauenbewegung‘)“ (MWG II/6, S.  721–723, hier S. 722). Er formulierte dies abgeschwächt auch in einer „Erklärung“, die er auf Wunsch des Vermittlers Windelband verfaßt hatte und die Ruge unterschreiben sollte, um die Sache aus der Welt zu schaffen – was dieser ablehnte. Briefe Max Webers an Friedrich Blanck vom 17. Dez. und nach dem 17. Dez. 1910, MWG II/6, S.  743–745 bzw. S.  746 f. 8 Vgl. oben, S.  239, textkritische Anm.  b. Arnold Ruge reichte am 30. Januar 1911 Privatklage gegen Max Weber beim Amtsgericht Heidelberg ein. Die Klage wurde Weber am 14. Februar 1911 zugestellt, aber bereits am 17. Februar von Ruge zurückgezogen. Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Heinrich Rickert, nach dem 15. Jan. 1911, MWG II/7, S.  46 f.

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[Entwurf einer] Geschäftsordnung für den Vorstand [der Deutschen Gesellschaft für Soziologie]

Editorischer Bericht Zur Entstehung In seinem Brief an den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vom 3. Februar 1911 erwähnte Weber, daß in der letzten Vorstandssitzung am 5. Januar 1911 die Notwendigkeit einer Teilung der Vorstandsgeschäfte zur Sprache gekommen sei.1 Laut Protokoll war die Frage einer Geschäftsordnung für den Vorstand zwar angesprochen, eine Entscheidung jedoch vertagt worden.2 Obwohl Weber zum 1. Januar 1911 aus dem Vorstand ausgetreten war,3 entwarf er noch eine Geschäftsordnung für diesen. Dazu fühlte er sich in seiner Funktion als „Rechner“ berechtigt.4 Der Geschäftsordnungsentwurf wurde mit einem Rundschreiben vom 7. Februar 19115 an die Vorstandsmitglieder Ferdinand Tönnies, Georg Simmel und Werner Sombart versandt.6

1  Vgl. Brief Max Webers an den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vom 3. Febr. 1911, MWG II/7, S.  78. Zur Vorgeschichte des Geschäftsordnungsentwurfes für den Vorstand von Max Weber vgl. den Teilabdruck eines Briefes von Ferdinand Tönnies an den Vorstand der DGS vom 2. November 1910, in: MWG II/6, S.  679 f. (Editorische Vorbemerkung), sowie Max Webers Antwortschreiben, ebd., S.  680–682, 687 f. 2  Protokoll der Vorstandssitzung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Berlin, am 5. Januar 1911, SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.2.10. 3  Brief Max Webers an den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vom 27. Okt. 1910, MWG II/6, S.  659–662, hier S.  661. 4  Vgl. Brief Max Webers an den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vom 3. Febr. 1911, MWG II/7, S.  78. 5 Das Rundschreiben ist überliefert in: SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.1.05. 6  In einem Schreiben vom 10. Februar 1911 (SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.1.50) erklärte sich Sombart mit dem Geschäftsordnungsentwurf einverstanden. Wie sich Simmel und Tönnies äußerten, geht aus den Akten der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek Kiel nicht hervor.

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Geschäftsordnung für den Vorstand

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck erfolgt nach einem undatierten Typoskript mit der Überschrift „Geschäftsordnung für den Vorstand“, das sich in der SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.2.10, befindet (A).7 Dabei handelt es sich um eine maschinenschriftliche Abschrift der DGS. Die Autorschaft Max Webers ergibt sich aus der Überlieferungslage. Das erste Blatt ist nicht paginiert, das zweite maschinenschriftlich, so daß die Siglierung als A (1) und A 2 erfolgt.

7  Der Entwurf ist bereits als Beilage zum Brief Max Webers an den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vom 3. Febr. 1911 in MWG II/7, S.  79 abgedruckt.

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1. Die erste Anfrage an ein Vorstandsmitglied über eine Angelegenheit bedeutet normalerweise das Ersuchen um Meinungsäußerung, bei Sachen, die als „eilig“ bezeichnet sind, das Ersuchen um Abstimmung. Meinungsäußerungen, welche rechtzeitig (No. 2) eintreffen, werden an alle Vorstandsmitglieder versendet. Diese Versendung ist stets mit dem Ersuchen um Abstimmung verbunden. Ein Mitglied, welches sich auf die erste Zuschrift geäußert hat, auf die zweite nicht oder nicht rechtzeitig (No. 2), gilt als im Sinne seiner ersten „Meinungsäußerung“ abstimmend. Mitglieder, die sich gar nicht bezw. nicht rechtzeitig geäußert haben, sind durch die Abstimmung der übrigen gebunden. 2. „Rechtzeitig“ ist eine Antwort, welche vom Tage des Abgangs der Anfrage an gerechnet binnen 6 Tagen, bei als „eilig“ bezeichneten Sachen binnen 3 mal 24 Stunden eintrifft. 3. Um eine Angelegenheit als „eilig“ zu bezeichnen, bedarf der Schriftführer der Zustimmung mindestens eines in Berlin (und Vororten) ansässigen Vorsitzenden der Gesellschaft. 4. Von den Vorsitzenden übernimmt: a) Herr Prof. Tönnies: die Vertretung in den internationalen Beziehungen; die Leitung der Mitgliederversammlungen; die Vorverhandlungen mit der Sektion für Statistik1 bis zur Beschlußfassung durch den Vorstand. Für etwaige weitere sich bildende Sektionen2 bestimmt der Vorstand eines seiner Mitglieder zur Vorverhandlung. b) die Herren Prof. Simmel und Prof. Sombart abwechselnd: die Leitung der öffentlichen Versammlungen und Diskussionen.3 1  An diesen Vorverhandlungen war Weber maßgeblich beteiligt. Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Vorläufiger Entwurf Abteilung Statistik, oben, S.  229–231. 2  Die Gründung einer „gesellschaftsbiologischen Sektion“ wurde auf der Vorstandssitzung am 21. Oktober 1910 zwar besprochen, erfolgte jedoch nicht. Vgl. Protokoll der Vorstandssitzung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie zu Frankfurt a. M. am 21. Oktober 1910, SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.2.10. 3  Die Veranstaltung von Vorträgen und wissenschaftlichen Kursen wurde in der Einladung zum Beitritt zur Deutschen Gesellschaft für Soziologie als eine der Aufgaben der Gesellschaft genannt. Vgl. Weber, Über Ausrichtung und Vorgehen der DGS, oben, S.  160, sowie Weber, Einladung zum Beitritt 1909, unten, S.  830.

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Ihre etwa nötige Vertretung ordnet der Vorstand von  Fall zu Fall. 5. Finanzielle Fragen sind von den Herren Prof. Stein (falls er die Kooptation annimmt)4 und Dr. Beck in Gemeinschaft mit dem Rechner vorzuberaten. 6. Für Verlagsverträge und die daraus sich ergebenden Fragen hat der Rechner die Vorverhandlungen mit den Buchhandlungen zu führen5 und dem Vorstand zur Beschlußfassung zu berichten.

4  Laut Protokoll der DGS-Vorstandssitzung am 5. Januar 1911 (SHLB Kiel, Nl. Ferdi­ nand Toennies, Cb 54.61:1.2.10) sollte Philipp Stein an die Stelle von Max Weber in den Vorstand kooptiert werden. Stein nahm die Kooptation mit seinem Brief an den Vorstand der DGS vom 15. Februar 1911 an, SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.1.52. 5 Für die Drucklegung der Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages war Max Weber als Rechner beauftragt worden, „die Verhandlungen mit dem ihm am geeignetst [sic] erscheinenden Verleger bis zum formellen Abschluß, der satzungsgemäß durch ein Vorstandsmitglied und den Schriftführer zu erfolgen hat, vorzubereiten“. Vgl. Protokoll der Vorstandssitzung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie am 5. Januar 1911 (SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.2.10).

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[Tischrede auf der Hochzeit von Dora Busch, geb. Jellinek, am 21. März 1911]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Dora Jellinek, die Tochter von Camilla und Georg Jellinek, und der Arzt Friedrich Busch feierten am 21. März 1911 ihre Hochzeit. Kurz zuvor, am 12. Januar 1911, war Georg Jellinek gestorben. Camilla Jellinek bat Marianne Weber, mit der sie als Leiterin der Beratungsstelle für Frauen in Rechtsfragen eng zusammenarbeitete, auf der Hochzeitsfeier zu sprechen.1 Auch Max Weber hielt dort eine Tischrede. Er war seit seiner Berufung nach Heidelberg 1897 und bis zu seinem Ausscheiden aus dem Amt 1903 gemeinsam mit Georg Jellinek Direktor des Staatswissenschaftlichen Seminars gewesen. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft.2 Auch mit der Tochter Dora stand er in Verbindung. So schrieb er ihr einen ausführlichen Brief zu ihrer Seminararbeit über Stefan Georges Dichtung.3 Sie besuchte später auch die offenen Nachmittage von Max und Marianne Weber in der Ziegelhäuser Landstraße 17.4 Nach der Hochzeit schrieb Marianne Weber am 23. März 1911 an ihre Schwiegermutter Helene Weber: „Ich darf schon sagen: wir Beide Max u. ich haben als Küster u. Kantor die Feierlichkeit u. Stimmung bestritten – ohne uns wäre es grauslich nüchtern gewesen – wir haben beide ‚schön’ gesprochen […]. Und daß Frau Jellinek so dankbar war, daß wir ihr wirklich etwas bieten konnten, das hat uns sehr erfreut.“5

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Auch ein „Durchschlag der Tischrede“, den Dora Busch am 2. November 1962 an Johannes Winckelmann, den Lei1  Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Marianne Weber vom 9. März 1911, in: MWG II/7, S.  133. 2  Vgl. dazu seinen Kondolenzbrief an Camilla Jellinek vom 14. Jan. 1911, MWG II/7, S.  37 f. 3  Vgl. Brief Max Webers an Dora Jellinek vom 9. Juni 1910, MWG II/6, S.  559–563. 4  Brief von Dora Busch an Johannes Winckelmann vom 22. Aug. 1962, Max WeberArbeitsstelle, BAdW München. 5  Brief von Marianne Weber an Helene Weber vom 23. März 1911, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446.

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ter des Max Weber-Archivs in München, übersandte6 und den dieser nach einer maschinenschriftlichen Abschrift am 7. November 1962 an sie zurückgab, ist nicht mehr vorhanden.7 Der Abdruck des Redetextes folgt der fünfseitigen, von Johannes Winckelmann angefertigten maschinenschriftlichen Abschrift, Max Weber-Arbeitsstelle, Bayerische Akademie der Wissenschaften, München (A). Diese ist überschrieben „Tischrede Max Webers aus Anlaß der Hochzeit der Tochter Georg Jellineks, Frau Dr. Busch, am 21. III. 1911“. Der Titel dürfte von Johannes Winckelmann stammen, er wird hier gekürzt übernommen und in eckige Klammern gesetzt. Die Paginierung der Vorlage wird übernommen und die fehlende auf dem ersten Blatt als A (1) ergänzt. Die Abdrucke der Rede bleiben unberücksichtigt. Es handelt sich zum einen um eine verkürzte und abgeänderte Wiedergabe in: Weber, Marianne, 481–486, und um den Abdruck der Winckelmannschen Lebensbild3, S.   Abschrift in: Max Weber zum Gedächtnis. Materialien und Dokumente zur Bewertung von Werk und Persönlichkeit, hg. von René König und Johannes Winckelmann (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 7). – Köln und Opladen: Westdeutscher Verlag 1963, S.  13–17.

6  Vgl. den Brief von Dora Busch an Johannes Winckelmann vom 2. Nov. 1962, Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München. 7  Vgl. den Brief von Johannes Winckelmann an Dora Busch vom 7. Nov. 1962, ebd.

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Wo im Eingang der Schriften des Alten Testaments von der Ehe die Rede ist,1 geschieht dies in dem Gedankenzusammenhang, daß man, um einander für immer anzugehören, die Eltern für immer verläßt. Und so ist es ja äußerlich, aber zunächst auch innerlich – für eine so junge Frau zumal,2 zu der das Glück in der hellen Morgenfrühe des ungebrochenen Lebens trat, traumhaft schön, scheinbar alles umbildend und alles Vergangene hinter ihr zum Versinken bringend. Nun formen beide sich für und nach einander, ganz neuen unerlebten Schicksalen entgegen, die dann gestaltend und prägend sich des jungen Lebens bemächtigen und aus ihm ein Menschenlos formen, eigenständig, losgelöst aus dem Boden der eigenen Vergangenheit, – so scheint es. Und dennoch: „Nach dem Gesetz, wonach du angetreten“,3 – es bleibt nicht leicht etwas verloren, was einmal in uns gelegt wurde. Dies Geschick vollzieht sich verschieden an den Menschen je nach ihrer Eigenart. Ich weiß nicht, ob in der Generation unserer Eltern so, wie in der unsrigen. Und wohl auch in uns bei jedem einzelnen anders. Sehe ich unsre junge Frau richtig, dann wurde ihr, wie so manchem von uns, neben so vielem anderen, auch die schöne schicksalsvolle Gabe besinnlichen Sichinsichselbstversenkens, die innere Nötigung, es zu tun, mit in die Wiege gegeben. Und nun habe ich oft gesehen an Menschen ähnlicher Art: es kamen im Leben und Wachsen der Ehe für die junge Frau, mitten im hellsten Leuchten des Glücks, früher, später, irgendwann, – Stunden einer eigentümlichen Einsamkeit, die alle starke Liebe vom Manne und zu ihm nicht tilgen wollte. So kommt es – oder in anderer Form: immer ist es eins, was da mit unsichtbaren Händen nach ihr greift: die eigene Natur, die Heimat, alles das, was die Vergangenheit ihr versprach und auferlegte. Langsam scheint sie wieder zurückzugleiten in die Bahnen ihrer 1  1. Mose 2, 24: „Darum wird ein Mann seinen Vater und Mutter verlassen, und an seinem Weibe hangen, und sie werden sein ein Fleisch“. 2  Dora Busch war zur Zeit ihrer Hochzeit 23 Jahre alt. 3  Vgl. Goethe, Johann Wolfgang, Urworte. Orphisch. ΔAIMΩN, Dämon, in: Goethes Werke, Weimarer Sophien-Ausgabe, Bd. 3. – Weimar: Hermann Böhlau 1887, S.  95. Max Weber zitiert den 4. Vers der Stanze.

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Natur und Vorgeschichte: „So mußt du sein, du kannst dir nicht entfliehen“.4 Bin ich geworden, was ich werden konnte? Und was war das doch? Was gab mir Erbschaft und Tradition des Elternhauses? – Der Außenstehende darf das Kind des Hauses wohl vielleicht daran erinnern, daß diese Frage kommt; aber es ziemt ihm dann, Halt zu machen, da er ja nicht wagen darf, sie zu beantworten. Statt dessen ist es ihm aber wohl erlaubt, zu bezeugen, was ihm selbst diese Eltern bedeutet haben und bedeuten, soweit er das vermag.  Da muß es mir gestattet sein, in diesem Kreise zuerst der tiefen Verehrung zu gedenken, die mich seit so manchen Jahren an die Frau5 bindet, welche wir heute im Witwenschleier sahen. Ihr leidenschaftliches Bedürfnis nach Klarheit und Wahrheit, ihre entschiedene Ablehnung aller Halbheiten und Kompromisse, ihr Streben nach eindeutigen Entschlüssen, die stolze Sicherheit ihres Wesens, das alles wurzelt in einem starken herben Gefühl für Würde, – in einem ganz konventionsfreien Sinn dieses Wortes, – und in einer völligen Freiheit von aller Menschenfurcht, die mich immer wieder erfrischt hat inmitten dessen, was uns sonst so viel umgibt. Das alles gab ihr die innere Souveränität gegenüber dem Leben und seinen Fügungen, – auch gegenüber Schmerz und Tod. Vielfach ganz anders erschien dem ersten oberflächlichen Blick er, der heute immer und überall mitten unter uns ist. Als ich vor jetzt 14 Jahren hierher nach Heidelberg berufen war,6 kam ich aus etwas komplizierten Verhältnissen und glaubte, nach dem, was ich erlebt hatte, und auch nach manchem, was hier vorgegangen war, in weit schwierigere zu kommen, und nach Lage der Dinge ganz speziell in den Beziehungen zu dem Mann, von dem ich rede. Statt dessen stehe ich heute hier unter der Macht einer Dankesschuld für eine Freundschaft und Freundestreue des älteren, damals so viel reiferen, Mannes zu mir, wie sie mir selten geboten wurde, die unwandelbar blieb in schweren Zeiten, in denen ich selbst außer-

4  Der 5. Vers derselben Stanze lautet: „So mußt Du sein, dir kannst du nicht entfliehen.“ Ebd. 5  Camilla Jellinek, geb. Wertheim, die seit 1883 mit Georg Jellinek verheiratet war. 6  Max Weber wurde 1897 von Freiburg als Nachfolger von Karl Knies auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an die Universität Heidelberg berufen.

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stande war, andern geistig etwas zu bieten,7 – einer Freundschaft, die es mir direkt erschwert, über ihn zu sprechen: sie rückt mir sein Bild vielleicht allzu nahe vor die Augen. Ich sah bald, daß dieser Mann mit Männern der allerverschiedensten, teilweise schwierigsten, Eigenart dauernde feste Freundschaften pflegte, die ihnen etwas bedeuteten: um nur zwei zu erwähnen, mit so grundverschiedenen Naturen wie Erwin Rohde und Georg Friedrich Knapp. Er war ein im weitesten und besten Sinn konzilianter Mensch, immer geneigt, sich zu vertragen und weit entgegenzukommen, die Dinge und Menschen von ihren verschiedenen Seiten zu sehen, den Realitäten Rechnung zu tragen, vorsichtig Mittel und Erfolg und alle Bedenken gegeneinander abzuwägen, einseitigen und präjudizierlichen Entschlüssen und Ansichten nicht geneigt. Und doch: – Temperament, Wege, Grenzen waren gewiß verschieden bei ihm, der Gelehrtennatur, gegenüber der stark wollenden Vertreterin der Interessen ihres Geschlechts, – aber in dem entscheidenden Punkt fand er sich mit ihr völlig zusammen. Wie Bismarck von dem „Portepée“ sprach, bei dem sein alter Kaiser gefaßt werden mußte,8 um sofort zu reagieren, – so war es auch bei diesem scheinbar so grenzenlos nachgiebigen und vorsichtigen Mann. Es soll ihm un- vergessen bleiben, daß er, der Vermögenslosea, in einer Zeit, wo alles Professorentum über die Übergriffe von Ministerien klagte und klagt, ohne je daraus ernsthafte Konsequenzen zu ziehen, zu den wenigen gehört hat, die einer Regierung ihre Professur vor die Füße warfen, als ihnen Unwürdiges zugefügt wurde.9 Das war es a A: vermögenslose 7  In der Zeit seiner Erkrankung 1898–1903. 8  Jemanden am Portepée fassen: an sein Ehr- und Pflichtgefühl appellieren. Vgl. Bismarck, Fürst Otto von, Gedanken und Erinnerungen, Erster Band. – Stuttgart: Cotta 1898, S.  285 f. 9  Georg Jellinek, seit dem 9. Juli 1883 a. o. Professor für Staatsrecht mit einem Lehrauftrag für Völkerrecht an der Universität Wien, wurde dort im Juni 1887 zum o. Professor an der Juristischen Fakultät vorgeschlagen. Trotz mündlicher Zusagen ließ die Ernennung auf sich warten. Als Jellinek erkennen mußte, daß der Unterrichtsminister Baron Gautsch von Frankenthurn nicht daran dachte, seine Zusagen einzuhalten, vermutlich weil Jellinek Jude war, nahm er Anfang August 1889 seinen Abschied von der Universität Wien. Anfang Dezember desselben Jahres erhielt er einen Ruf als o. Professor für Staatsrecht an die Universität Basel, dem er folgte. Vgl. Kempter, Klaus, Die Jellineks 1820–1955. Eine familienbiographische Studie zum deutschjüdischen Bildungsbürgertum (Schriften des Bundesarchivs 52). – Düsseldorf: Droste 1998, S.  239–255 (hinfort: Kempter, Die Jellineks).

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eben: der entscheidende Punkt, wo auch bei ihm seine Konzilianz umschlug in rücksichtslose Unnachgiebigkeit, lag da, wo es sich um die Angelegenheiten der persönlichen Würde handelte. Er schonte sie bei anderen: ich habe ihn über Gelehrte von wirklich hervorragender Bedeutung wohl witzig, aber nie, nach übler Professorengepflogenheit, häßlich reden hören. Und so verlangte er sie auch für sich selbst und wahrte sie. Auch für seine Leistungen. Daß er sein Handwerk zu verstehen beanspruchte, daraus machte er keinen Hehl. Und er durfte es ja wahrlich beanspruchen. In diesem Kreise heute hat von ihm ja nicht als Gelehrten die Rede zu sein. Nur darf gerade ich vielleicht erwähnen, wie sehr zu dem, was mir das Schicksal überhaupt vergönnte zu leisten, wesentlichste Anregungen mir gerade aus seinen großen Arbeiten kamen. Um nur einige Einzelheiten zu berühren: die Scheidung naturalistischen und dogmatischen Denkens im „System der subjektiven öffentlichen Rechte“10 für methodische Probleme, die Prägung des Begriffs der „sozialen Staatslehre“11 für die Klärung der verschwimmenden Aufgaben der Soziologie, der Nachweis religiöser Einschläge in der Genesis der „Menschenrechte“ für die Untersuchung der Tragweite des Religiösen überhaupt auf Gebieten, wo man sie zunächst nicht sucht.12 Und auch das sei noch erlaubt, hier auszusprechen: Wie sehr ich mit vielen anderen es immer als Produkt einer ganz spezifischen „Dummheit“ der Menschen und der Dinge bei uns empfunden habe, daß dieser Mann, der zu den wenigen gehörte, die in ihrem Fach Weltruf genossen, der dieses Fach in einer eigentlichen nur ihm eigenen Art vertrat, zu dem jahraus jahrein ein breiter und doch erlesener internationaler Schülerkreis13 zusammen-

10  Jellinek, System. 11  Jellinek, Allgemeine Staatslehre, Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates. 12  Jellinek, Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Max Webers Studie „Die protestantische Ethik und der ‚Geist’ des Kapitalismus“ (1904/05) wurde u. a. von Jellineks Schrift angeregt. 13  Zu Jellineks Hörerkreis in Heidelberg gehörten u. a. die späteren österreichischen Professoren Julius Hatschek, Joseph Lukas und Hans Kelsen, die Russen Theodor (Bogdan) Kistiakovskij, Theodor (Fedor) Kokoschkin, Fedor Stepun (Friedrich Step­ puhn), das spätere Mitglied des sozialrevolutionären Zentralkomitees Abram Goc (Gotz) sowie der wegen seiner Beteiligung an der Münchner Räterepublik 1919 hingerichtete Eugen Leviné. Vgl. Kempter, Die Jellineks (wie oben, S.  251, Anm.  9), S.  375– 377.

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strömte, dennoch von den ersten Stellen, an die er gehörte,14 ausgeschlossen und daß so die große Künstlerschaft seiner Lehrbegabung von einer breiten Wirksamkeit abgeschnitten und auf unsere kleine Universität angewiesen blieb, – dieser gewiß zum Heil und uns, seinen hiesigen Freunden, zum Genuß. Er selbst trug dieses eigentümliche und sicher nicht erwartete Geschick mit einer Eigenschaft, auf die ich, weil sie für ihn, so wie ich ihn kenne, sehr wichtig war, näher zu sprechen kommen muß: mit „Humor“.  In der Tat, in dem Wesen dieses Mannes, der ja mit so mancherlei körperlichen und Stimmungs-Hemmungen seit jungen Jahren zu schaffen hatte,15 war der Humor, sein ihm eigener Humor, ein Element von beherrschender Bedeutung. Wohl verstanden: es handelt sich hier nicht darum, daß er „witzig“ war. Das war er gewiß in hohem Maße. Wenn es einem passierte, daß man seine eigenen Erzählungen später einmal von ihm, kursfähig geworden, zu Edelsteinen geschliffen, wiederhörte, dann erkannte man sehr wohl seine hohe, auch rein formale Künstlerschaft auf diesem Gebiet. Mir ist von Lebenden nur der Witz Alfred Doves bekannt, – und man sagt mir, daß auch derjenige Joseph Ungers ähnlich geartet sei, – der so wie derjenige unseres Freundes in vollster Konzentration, unter strengem Fortstreichen alles nicht „zur Sache“ Gehörigen, den in einer Situation oder Gedankenkombination steckenden Gehalt an echter Komik herauszuschälen und zu einer Einheit zusammenzuschließen wüßte. Aber wovon hier die Rede ist, das ist doch etwas ganz anderes. Humor ist nicht einfach Witz. Cervantes16 ist kein Spötter, – und mit dessen Sinn für das Groteske[,] als für das unentrinnbare Schicksal der reinen Gesinnung bei dem Versuch ihrer Verwirklichung unter den gegebenen Bedingtheiten der geformten Welt, hatte jene geistige Eigenart unseres Freundes, von der ich spreche, Verwandtschaft. Dieser „Humor“ aber führt in seinen schönsten und höchsten Äußerungen in eine der letzten mög14  Anspielung auf den Umstand, daß Georg Jellinek nie einen Ruf an die Universität Berlin erhalten hat. 15  Nach dem plötzlichen Tod seines knapp fünfjährigen Sohnes Paul am 11. März 1889 trat bei Georg Jellinek eine tiefe Depression auf. Diese sei „später bei verhältnismäßig kleinen Anlässen, ja selbst bei großen Ermüdungen häufig und recht intensiv wiedergekehrt.“ Vgl. Jellinek, Camilla, Georg Jellinek. Ein Lebensbild, entworfen von seiner Witwe (Nachdruck). – Aalen: Scientia 1970, S.  41. 16  Gemeint ist der spanische Dichter Miguel de Cervantes (1547–1616).

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lichen Stellungnahmen des Menschen zum Leben überhaupt hinauf. Aus Sinnvollem und Sinnlosem ist ja unser Tun und Erleiden geflochten und zu einem „Schicksal“ geformt, und indem er diesen letzten Kern des Lebens ergreift und vor uns hinstellt, schenkt uns der echte Humor in seinem feinsten Sinn ein von allem Spott weit entferntes, herzhaftes, gesundes und gutes, befreiendes Lachen. Das eben konnte auch unser Freund in seinen guten Stunden uns geben. Und dahinter steckte nun nicht die heute wieder moderne Attitüde der „romantischen Ironie“17. Denn es war, wie in seiner Gattin, so auch in ihm, wohl keine Ader von einem Romantiker. In diesem Betracht wurzelte er überhaupt nicht in unserem nebligen phantastischen Norden, sondern war im Innersten eine „klassische“ Natur. Seine Heimat hätte recht wohl am Markt von Athen stehen können, erfüllt wie er war von jenem Drange nach Klarheit, der auch dem Wesen seiner Gattin, nur in ganz anderen Formen, das Gepräge gibt. Und dazu nun noch ein Letztes: aus seiner Abkunft und den Traditionen seiner Familie hatte er etwas von jenem feinen Duft empfangen, der uns aus der linden und reifen Empfindungswelt des Orients entgegenweht.18 Nicht nur an die große Reinheit und Güte im letzten menschlichen Kern seines Wesens denken wir dabei, – nicht daran allein also, wie der funkelnde Edelstein  seines Geistes in solch ein lauteres Gold der Gesinnung gefaßt war, an dem man sich menschlich tief erfreute, ohne doch Worte darüber machen zu können. Sondern an jene, nach allem Wandel kommender und gehender Stimmungen, doch immer wieder in ihr Gleichgewicht zurückkehrende und darin schwebende, eigenartig souveräne Stellung der Seele zur Welt, die wir wohl „Lebensweisheit“ im Sinn des antiken Orients nennen dürfen. Wenn er innerlich ganz bei sich war, in seinen besten Stun17  Die „romantische Ironie“ ist eine eigenständige, über das rhetorische Mittel der Ironie hinausgehende literaturtheoretische Position, die vor allem von Friedrich Schlegel geprägt wurde. Dabei soll die Ironie nicht nur ein stilistisches Element sein, sondern mit den Mitteln der Illusionierung und Desillusionierung sowie der Distanzierung des Autors von seinem Werk eine Objektivierung des Kunstwerks erreicht und dessen Entstehungsbedingungen gezeigt werden. 18  Georg Jellineks Großeltern stammten mütterlicherseits aus dem rabbinischen Judentum in Mähren. Sein Vater, Adolf Jellinek (1820–1893), war seit 1865 Prediger der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde und galt als einer der besten zeitgenössischen jüdischen Kanzelredner. Vgl. Kempter, Die Jellineks (wie oben, S.  251, Anm.  9), S.  25– 28 und 137.

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den, leuchtete ein milder Strahl von ihr in ihm auf, und aus dieser Quelle speiste sich das Beste von dem, was ich unter seinem „Humor“ verstehen wollte. Und so angesehen ist ja dieser Humor nicht nur einer der ganz großen Meister und Bezwinger jenes Alltags, von dessen lähmender Macht heute schon einmal hier die Rede war, sondern auch eine der Formen, in denen wir inne werden können, daß Menschenwürde auch der Götter Stärke nicht erliegen muß. Diese Art von Humor hat mit gebaut an dieser wundervoll geschlossenen, glücklichen Ehe,19 die auf ihrer Höhe vom ersten Tage an blieb, bis ein schneller, schöner und würdiger Tod sie schied, zur rechten Zeit, ehe Krankheit oder Alter das Bild des Jugendgeliebten für seine Gattin hätte trüben können. Ein Tod, den er sah und hinnahm, beneidet von uns heutigen Menschen, die wir die Würde im eigenen Sterben und in der Hinnahme des Abschieds des anderen so sehr verlernt haben. Es wäre nicht in seinem Sinn, wenn wir heute hier in bedrückter Trauer bei dem verweilten, was wir durch sein Fortgehen verloren. Es sei mir erlaubt, der jungen Frau in unserer Mitte, ihr selbst und ihrem Mann, zu wünschen, daß das Unverlierbare seines Erbteils in ihr lebendig bleibe, wenn die ganze Tragweite und der Umkreis der großen Aufgabe: eigene Art und fremde Art zu einer Einheit zusammenzufügen, sich ihr deutlicher zeigen wird, als es nach Menschenlos, heute vielleicht der Fall sein kann. Wir aber gedenken, ernst aber ohne Bitterkeit, dankbar und froh des Freundes, der uns geschenkt war.

19  Camilla und Georg Jellinek hatten am 17. Juli 1883 in Wien geheiratet.

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[Geschäftsbericht der Deutschen Gesellschaft für Soziologie] [Rede auf dem Ersten Deutschen Soziologentag in Frankfurt am Main am 20. Oktober 1910]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Auf dem Ersten Deutschen Soziologentag, der vom 19. bis 22. Oktober 1910 in Frankfurt am Main stattfand, berichtete Max Weber am 20. Oktober ausführlich über die Arbeit der DGS im abgelaufenen Jahr. Nach Absprache mit deren Vorstand1 war Weber durch die Mitgliederversammlung am Vortag beauftragt worden, diesen Bericht zu erstatten.2 Ob er ihn schriftlich vorbereitet hatte oder nach der mündlichen Präsentation hinterher für den Druck ausarbeitete, ist nicht bekannt. Darin erläutert er die „Verfas­ sungs­ änderungen“,3 welche die Gesellschaft, vor allem aufgrund seiner Vorschläge, vorgenommen hatte, sowie die wissenschaftlichen Vorhaben, die in Angriff genommen worden waren. In diesem Zusammenhang sprach er ausführlich über den Stand der Presseenquete und die geplante Vereinsenquete.4 Weber übernahm überdies die Redaktion der „Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages“,5 die, nachdem von mehreren Verlagen Angebote eingeholt worden waren, im Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) erscheinen sollten.

1  Vgl. Rundschreiben von Hermann Beck an die Mitglieder des Vorstandes der DGS vom 21. Sept. 1910, SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.1.05. 2  Vgl. Protokoll der DGS-Mitgliederversammlung am 19. Okt. 1910 (wie oben, S.  229, Anm.  3), S. II, Punkt 5. 3  Unten, S.  258. 4  Unten, S.  262–274 und 274–283. 5  Vgl. Verhandlungen DGS 1910. In der Vorstandssitzung am 5. Januar 1911 wurde Max Weber vom Vorstand „ermächtigt […], die Verhandlungen mit dem ihm am geeignetst erscheinenden Verleger bis zum formellen Abschluß, der satzungemäß durch ein Vorstandsmitglied und den Schriftführer zu erfolgen hat, vorzubereiten. Die stenographische Wiedergabe der Diskussion soll von Herrn Prof. Weber in angemessener Weise zusammengestrichen werden“. Vgl. Protokoll der Vorstandssitzung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Berlin, am 5. Januar 1911 nachmittags 4 Uhr, in: SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Tönnies, Cb 54.61:1.2.10.

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Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck des Geschäftsberichts der Deutschen Gesellschaft für Soziologie folgt der Publikation in: Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages vom 19. bis 22. Oktober 1910 in Frankfurt a. M. Reden und Vorträge von Georg Simmel, Ferdinand Tönnies, Max Weber u. a. und Debatten. – Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1911, S.  39–62 (A). Der Text ist eingeführt mit „Professor Dr. Max Weber (Heidelberg):“ und dürfte von ihm, da er den Druck der Verhandlungen betreute, in dieser Fassung auch autorisiert sein. Statt einer Überschrift findet sich in den Verhandlungen die Anrede: „Meine Damen und Herren!“. Der Editor übernimmt aus dem Kolumnentitel das Stichwort „Geschäftsbericht“ und stellt es, zusammen mit der eigenen Ergänzung, in eckige Klammern.

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Dera Geschäftsbericht unserer Gesellschaft, den ich zu erstatten den Auftrag habe, hat sich wesentlich zu erstrecken 1. auf die Verfassungsänderungen,1 welche im Laufe des verflossenen Jahres die Gesellschaft vorgenommen hat, und 2. auf die konkreten wissenschaftlichen Aufgaben, die sich die Gesellschaft für die nächste Zukunft gestellt hat. Denn bei dem schwankenden Inhalt des Begriffes „Soziologie“ tut eine Gesellschaft mit diesem bei uns unpopulären Namen gut, das, was sie sein möchte, tunlichst durch ganz konkrete Angaben über ihre derzeitige Konstitution und ihre derzeitigen nächsten Aufgaben erkennbar zu machen. Was nun das Erste anlangt, so sind folgende Grundsätze, die ich ganz kurz registriere, erst im Laufe des letzten Jahres in unseren Statuten zum Ausdruck gelangt: Erstens – ein Prinzip, über welches ja schon mein verehrter Herr Vorredner2 gesprochen hat: – daß die Gesellschaft jede Propaganda praktischer Ideen in ihrer Mitte grundsätzlich und definitiv ablehnt.3 Die Gesellschaft ist nicht etwa „unparteiisch“ nur in dem Sinne, daß sie jedem gerecht zu werden, jeden zu verstehen oder daß sie die beliebte „Mittellinie“ zu ziehen suchen möchte zwischen Parteiauffassungen, zwischen politischen, sozialpolitischen, ethischen oder ästhetischen oder andern Wertungen irgend welcher Art, sondern daß sie mit diesen Stellungnahmen überhaupt ihrerseits gar nichts zu tun hat, daß sie auf allen a  In A geht voraus: Professor Dr. Max Weber (Heidelberg): / Meine Damen und Herren! 1  Die erste Satzung (Berliner Statut) der DGS lag auf der Gründungsversammlung am 3. Januar 1909 vor, die zweite (Leipziger Statut) wurde auf der außerordentlichen Mitgliederversammlung am 14. Oktober 1909 verabschiedet. Nach dem Soziologentag von 1910 wurde ein endgültiges Statut (Frankfurter Statut) verabschiedet. In der Mitgliederversammlung am 6. März 1911 wurden auf Wunsch Max Webers noch einige redaktionelle Änderungen des in Frankfurt verabschiedeten Statuts beschlossen. Vgl. Weber, Antrag auf Statutenänderung, oben, S.  188–194, und Weber, Änderung des Statuts, unten, S.  814–818. 2  Max Weber sprach nach dem Eröffnungsvortrag von Ferdinand Tönnies, Wege und Ziele der Soziologie, in: Verhandlungen DGS 1910, S.  17–38. 3  Zum Wortlaut von §  1 des Frankfurter Statuts vgl. unten, S.  864, und zu seiner Entstehung oben, S.  157, Anm.  8.

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Gebieten schlechthin parteienlos ist. Es könnenb also das Bestehen, die Eigenart, die Forderungen und die Erfolge von politischen, ästhetischen, literarischen, religiösen und anderen Parteimeinungen selbstverständlich sehr wohl Gegenstand einer auf die Tatsache ihrer Existenz, auf die vermeintlichen und wirklichen Gründe derselben, auf ihre Erfolge und Erfolgschancen, auf ihre  „prinzipiellen“ und „praktischen“ Konsequenzen gerichteten und cdiese rein objektivc, von aller eignen Bewertung frei, ermittelnden Analyse werden. Aber niemals, das besagt der jetzige §  1 unseres Statuts,4 kann in unserer Gesellschaft das Für und Wider, der Wert oder Unwert einer solchen Meinung Gegenstand der Erörterung werden. Wenn z. B. die Gesellschaft eine Enquete über das Zeitungswesen veranstaltet – ich werde davon zu sprechen haben –,5 so ist damit nach unseren Grundsätzen gesagt: daß sie nicht im entferntesten daran denkt, zu Gericht sitzen zu wollen über den faktischen Zustand, von dem sie zu sprechen hat, daß sie nicht fragen wird: ob dieser Zustand erwünscht, oder unerwünscht ist, daß sie nichts Weiteres tut, als feststellen: Was besteht? warum besteht es gerade so, wie es besteht? aus welchen historischen und sozialen Gründen? Der zweite Grundsatz, den wir festgelegt haben, ist der, daß die Gesellschaft keinen „Akademismus“ treibt. Die Gesellschaft ist keine Notabilitätsgesellschaft, sie ist das gerade Gegenteil von irgend etwas wie einerc Akademie; es kann z. B. keine Gekränktheit geben von Leuten, die etwa zufällig einem Ausschuß der Gesellschaft nicht angehören, es soll keine „Ehre“ sein – das klingt ja etwas paradox –[,] diesem Ausschuß der Gesellschaft anzugehören; denn diese Zugehörigkeit besagt nur: daß augenblicklich der Aufgabenkreis der Gesellschaft so gestaltet ist, daß die Herren, die in diesen Ausschuß eingetreten sind, teils weil sie aus eigner Initiative uns ihre Neigung dazu kundgegeben haben, teils weil wir sie von uns aus darum gebeten haben, für diese konkreten Aufgaben zweckmäßige Mitarbeiter sind, und daß sie die eine einzige allgemeine Voraussetzung der Zuwahl erfüllen: daß sie nämlich durch rein wissenschaftliche, also nicht praktische, sondern rein soziologische Leistungen bereits bekannt sind und auf diesem von jedem b A: kann  c–c A: diese durch rein objektive   d A: eine 4  Vgl. die vorangehende Anm. 5  Unten, S.  262–274.

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Parteistreit entfernten Boden mit uns zusammen arbeiten wollen.6 Die Gesellschaft ist eine Arbeitsgemeinschaft, aber nicht – ich wiederhole es – irgend etwas einer „Akademie“ Ähnliches. Wer immer bei uns in unserem Sinn mittun will, der mag es sagen: er ist herzlich willkommen. Drittens haben wir den Grundsatz festgelegt, daß die Gesellschaft keinen „Ressort-Patriotismus“ treibt, daß sie nicht sich selbst als Selbstzweck ansieht, nicht versucht, Aufgaben für sich zu konfiszieren und anderen wegzunehmen, daß sie deshalb  auch bei sich selbst dem Grundsatz der Dezentralisation der wissenschaftlichen Arbeit in weitgehendem Maße huldigt. Das kommt in unserer Verfassung darin zum Ausdruck, daß 1. der Schwerpunkt der gesamten Arbeit der Gesellschaft nicht in Versammlungen der Mitglieder7 als solcher, sondern in den von der Gesellschaft für jede konkrete Arbeitsaufgabe einzusetzenden Ausschüssen liegt.8 Diese Ausschüsse, für die die Gesellschaft nur den Vorsitzenden und eventuell einige Mitglieder – möglichst wenige – wählt, sind jeder auf seinem Gebiet völlig souverän, insbesondere in der Kooptation anderer, und zwar auch außerhalb der Gesellschaft stehender Mitarbeiter. Insbesondere die Herren Praktiker, beispielsweise also auf dem Gebiete des Zeitungswesens die Zeitungsverleger und die Vertreter des Journalismus, ohne die wir ja gar nicht arbeiten können, gehören in unsere Ausschüsse hinein, wo wir mit ihnen mit vollem gleichem Stimmrecht, in jeder Hinsicht gleichberechtigt, zusammen arbeiten wollen, und wo wir von ihnen die direkten Anregungen für unsere Arbeiten zu finden hoffen. Zweitens drückt sich der gleiche Grundsatz der Dezentralisation darin aus, daß voraussichtlich die soziologische Gesellschaft nie 6  Nach §  15 des Frankfurter Statuts durften dem Hauptausschuß nur Personen angehören, „welche auf dem Gebiete der Soziologie oder ihrer Hilfsdisziplinen wissenschaftlich qualifiziert sind“. Vgl. unten, S.  866. 7  Auf Antrag Webers wurden die „Mitgliederversammlung“ in „Hauptausschuß“ und die „ordentlichen Mitglieder“ in „Hauptausschußmitglieder“ umbenannt. Vgl. Brief Max Webers an den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vom 27. Okt. 1910, MWG II/6, S.  659–662, hier S.  661 f., sowie §§  15 und 16 des Frankfurter Statuts, unten, S.  866. 8  Gemeint sind die Sonder-Ausschüsse, die in Abschnitt D des Frankfurter Statuts in §§  24–28 geregelt sind (vgl. unten, S.  867). Die Sonder-Ausschüsse werden durch den Hauptausschuß beauftragt (§  24).

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wieder in der Form wie heute und in den nächsten Tagen vor die Öffentlichkeit treten wird, als eine ungegliederte Einheit, die eine ganze Reihe einzelner Themata nacheinander in Vorträgen und Diskussionen behandelt. Es besteht vielmehr die Absicht, Abteilungen sich bilden zu lassen. Die Bildung einer Abteilung für Statistik ist bereits aus den Kreisen der Herren Statistiker angeregt worden,9 und die Gesellschaft hat den Grundsatz, nun nicht schematisch die Bildung von Abteilungen ihrerseits schematisch zu oktroyieren, sondern umgekehrt: den Interessenten in ihrer Mitte es zu überlassen, sich zu Fach-Abteilungen zusammenzuschließen; – der Vorstand wird dann mit diesen Abteilungen darüber verhandeln, welche Stellung innerhalb der Gesellschaft ihnen einzuräumen ist, und zwar in dem Sinne, daß sie auf ihren Gebieten so völlig selbständig gestellt werden, wie es überhaupt denkbar ist, daß es ihnen z. B. überlassen ist, ihrerseits die Fachmänner, und nur die Fachmänner, des betreffenden Gebietes heranzuziehen, unter Ausschluß aller derjenigen, die nicht als solche zu betrachten sind; daß sie selbst zu beschließen haben, welche Arbeiten sie vornehmen wollen und in welcher Weise. Wir werden daher bei  künftigen Soziologentagen – sagen wir einmal, nach zwei Jahren oder eineinhalb Jahren – voraussichtlich, da auch von anderen Interessenten ähnliche Anregungen zu gewärtigen sind, sehen, daß einerseits mehrere Abteilungen nebeneinander tagen; vielleicht eine Abteilung für theoretische Nationalökonomie,10 innerhalb deren sich die Theoretiker und niemand anders über theoretische Probleme unterhalten; eine Abteilung für Statistik,11 innerhalb deren sich die Statistiker, die Fachstatistiker und niemand anders über ihre Probleme unterhalten, natürlich nach ihrem eigenen Belieben auch unter Zuziehung anderer, die sich dafür interessieren, aber, 9  Abschnitt E (ebd., S. 867) des Statuts sah die Bildung von Abteilungen innerhalb der DGS vor. Weber unterstützte die Bildung einer statistischen Abteilung, weil er amtlich erhobene Daten der sozialwissenschaftlichen Auswertung zugänglich machen wollte (vgl. Lepsius, M. Rainer und Wolfgang J. Mommsen, Einleitung, in: MWG II/6, S.  5 f.). Vor dem Soziologentag hatte Weber bereits mit den beiden Statistikern Eugen Würzburger und Georg v. Mayr über die Bildung der Abteilung verhandelt (vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Vorläufiger Entwurf der Abteilung Statistik, oben, S.  229–231). 10  Die Gründung einer Abteilung für theoretische Nationalökonomie (Sozialökonomik) konnte nicht nachgewiesen werden. 11  Vgl. dazu oben, Anm.  9.

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wenn sie es wollen, unter Beschränkung der aktiven Teilnahme an der Auseinandersetzung auf die, die etwas von den Dingen wirklich fachmännisch verstehen, – und daß dann daneben die Muttergesellschaft ihre Versammlungen in der Art hält, wie diesmal, aber wohl möglichst unter Beschränkung auf einige wenige große, wenn möglich, durch Publikationen und Arbeiten der Gesellschaft vorbereitete Themata. Denn die Gesellschaft wird den Hauptnachdruck ihrer Tätigkeit zu verlegen haben auf die Seite der Publikationen. Ich habe nunmehr davon zu sprechen, was für Arbeiten die Gesellschaft in dieser Art in Angriff nehmen will durch fachmännisch geleitete und durch einen möglichst großen Kreis von Mitarbeitern, unter Beteiligung eines jeden, der mit uns zusammen arbeiten will, der sich mit uns in den Dienst der Sache stellen will, bearbeitete Publikationen. Es versteht sich, daß diese Ausführungen hier nur einen ganz grob skizzenhaften, wenn sie wollen: feuille­tonistischen Charakter haben können. Denn, m[eine] H[er­ ren], gerade die Formulierung der eigentlichen, von uns zu bearbeitenden, Fragestellungen ist ja die entscheidende wissenschaftliche Aufgabe. M[eine] H[erren], das erste Thema, welches die Gesellschaft als geeignet zu einer rein wissenschaftlichen Behandlung befunden hat, ist eine Soziologie des Zeitungswesens.12 Ein ungeheures Thema, wie wir uns nicht verhehlen, ein Thema, welches nicht nur sehr bedeutende materielle Mittel für die Vorarbeiten erfordern wird, sondern welches unmöglich sachgemäß zu behandeln ist, wenn nicht die führenden Kreise der Interessenten des Zeitungswesens mit großem Vertrauen und Wohlwollen in unsre Sachlichkeit dieser Angelegenheit entgegenkommen. Es ist ausgeschlossen, daß, wenn wir auf seiten der Vertreter des Zeitungsverlages oder auf seiten der Journalisten dem Mißtrauen begegnen[,] daß die Gesellschaft irgendwelche Zwecke moralisierender Kritik an den bestehenden Zuständen verfolge – es ist ausgeschlossen, sage ich, daß wir dann unsern Zweck erreichen, denn es ist ausgeschlossen, daß wir ihn erreichen, wenn wir nicht im weitestgehenden Maße von eben dieser Seite mit Material versorgt werden können. Es wird in der nächsten Zeit das Bemühen des Ausschusses, der dafür 12  Vgl. dazu auch Weber, Vorbericht, oben, S.  208–228.

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zusammenzusetzen ist,13 sein, nun die Fachmänner des Pressewesens, einerseits die Theoretiker des Pressewesens, die heute bereits sehr zahlreich existieren – wir haben bekanntlich bereits glänzende theoretische Publikationen auf diesem Gebiete (lassen Sie mich im Augenblick nur an das Buch von Löbl erinnern,14 deshalb, weil grade dies auffallenderweise viel weniger gekannt ist, als es verdient) –[,] und ebenso die Praktiker des Pressewesens zur Mitarbeit zu gewinnen. Es ist nach den vorläufig gepflogenen Verhandlungen Hoffnung vorhanden, daß wenn wir, wie es geschehen wird, in der allernächsten Zeit uns sowohl an die großen Presseunternehmungen wie an die Verbände der Zeitungsverleger und Zeitungsredakteure wenden, dieses Wohlwollen uns entgegengebracht werden wird. Geschieht es nicht, so wird die Gesellschaft von einer Publikation eher absehen, als eine solche zu veranstalten, bei der voraussichtlich nichts herauskommt. M[eine] H[erren], über die Größe der allgemeinen Bedeutung der Presse hier etwas zu sagen, hat ja keinen Zweck. Ich käme in den Verdacht der Schmeichelei gegenüber den Herren Pressevertretern, umsomehr, als das, was darüber von hochstehenden Seiten schon gesagt worden ist, ja unüberbietbar ist. Wenn die Presse mit kommandierenden Generalen15 verglichen worden ist – es ist ja allerdings nur von der ausländischen Presse gesagt worden –[,] so weiß jeder Mensch: darüber gibt es bei uns nichts rein Irdisches mehr, und es wäre nötig, in das Gebiet des Überirdischen zu greifen, um Vergleiche zu finden. Ich erinnere Sie einfach daran: Denken Sie sich die Presse einmal fort, was dann das moderne Leben wäre, ohne diejenige Art der Publizität, die die Presse schafft. Das antike Leben, verehrte Anwesende, hatte auch seine Publizität. Mit Grausen stand Jakob Burckhardtd der Öffentlichkeit des helleni-

d A: Burkhardt 13  In der DGS-Mitgliederversammlung am 6. März 1911 wurden Max Weber, Eberhard Gothein und Hermann Beck einstimmig in den Ausschuß für die Presseenquete gewählt. Vgl. Protokoll der Mitgliederversammlung in Heidelberg (Hotel Viktoria) am 6. März 1911, SHLB Kiel, Nl. Ferdinand Toennies, Cb 54.61:1.2.10. 14  Gemeint ist: Löbl, Kultur und Presse. 15  In seinem Handbuch der Journalistik verglich Richard Wrede einen Chefredakteur mit einem Feldherrn. Vgl. Wrede, Richard, Handbuch der Journalistik, 2.  Aufl. – Berlin: Dr. R. Wrede 1906, S.  113 (hinfort: Wrede, Handbuch).

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schen Lebens, die die gesamte Existenz des athenischen Bürgers bis in die intimsten Phasen hinein umfaßte, gegenüber.16 Diese Publizität besteht so heute nicht  mehr, und es ist nun schon interessant, einmal zu fragen: Wie sieht denn eigentlich die heutige Publizität aus und wie wird diejenige der Zukunft aussehen, was wird alles durch die Zeitung publik gemacht und was nicht? Wenn das englische Parlament vor 150 Jahren Journalisten zu kniefälliger Abbitte wegen breach of privilege vor den Parlamentsschranken zwang, wenn sie über seine Verhandlungen berichteten[,]17 und wenn heute die Presse durch die bloße Drohung, die Reden der Abgeordneten nicht abzudrucken, die Parlamente auf die Knie zwingte[,] so hat sich offenbar ebenso der Sinn des Parlamentarismus wie die Stellung der Presse geändert.18 Und dabei müssen auch lokale Differenzen bestehen, wenn z. B. noch bis in die Gegenwart es amerikanische Börsen gab, welche ihre Fenster mit Milchglas versahen, damit die Kursbewegungen auch nicht durch Signale nach außen gemeldet werden könnten, und wenn wir auf der anderen Seite doch sehen, daß fast alle wesentlichen Eigentümlichkeiten in der Art der Zeitungszusammenstellung durch die Notwendigkeit, auf die Börsenkurspublikationen Rücksicht zu nehmen, e A: zwingen 16  Vgl. Burckhardt, Griechische Kulturgeschichte2, Band 1, S.  57–89. Webers Handexemplar befindet sich in der Max Weber-Arbeitsstelle, BAdW München. Wie aus einem Brief Max Webers an Carl Neumann vom 11. November 1900 hervorgeht, bezieht sich Weber in dieser Aussage vor allem auf dessen Aufsatz: Neumann, Carl, Griechische Kulturgeschichte in der Auffassung Jakob Burckhardt’s, in: HZ, Band 85, N. F. Band 49, 1900, S.  385–452. Neumann beschreibt Jakob Burckhardts Individualismus und seine daraus resultierende Abneigung gegenüber dem Leben in der griechischen Polis, ebd., S.  410. Vgl. dazu auch den Brief an Carl Neumann vom 11. Nov. 1901, MWG II/3, S.  796–798, hier S.  797 mit Anm.  3. 17  In England konnte das Parlament nach altem Gewohnheitsrecht jedes Berichten – ohne Lizenz – über seine Verhandlungen als Privilegienbruch strafen. Dieses Privileg sollte offenbar verhindern helfen, daß der Inhalt der Verhandlungen dem König bekannt werde. Ohne Lizenz durften daher keine Berichte über das Parlament veröffentlicht werden. 18  Dafür, daß der Zentrumsführer Adolf Gröber die Journalisten auf der Tribune am 19. März 1908 öffentlich „Saubengel“ genannt hatte, verlangten diese eine förmliche Entschuldigung. Um nach dem ersten, ihnen nicht genügenden Ausdruck des Bedauerns ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, verweigerten sie eine Woche lang die Berichterstattung aus dem Parlament. Erst nach einer Intervention des Reichskanzlers v. Bülow, der die eigene Rede in der Zeitung veröffentlicht sehen wollte, erhielten die Journalisten die verlangte Entschuldigung. Vgl. Cullen, Michael S., Der Reichstag. Parlament, Denkmal, Symbol. – Berlin: be.bra verlag 1995, S.  199 f.

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mitbeeinflußt werden. Wir fragen nun, wohl gemerkt, nicht, was soll publik gemacht werden? Darüber gehen die Ansichten weit auseinander, wie jedermann weiß. Es ist natürlich interessant, auch festzustellen: welche Ansichten darüber heute bestehen und früher bestanden und bei wem? Auch das fällt in unseren Arbeitskreis; aber nichts weiter als diese faktische Feststellung. Jedermann weiß z. B., daß darüber in England andere Ansichten bestehen als bei uns, daß man erlebt, daß wenn etwa ein englischer Lord eine Amerikanerin heiratet, in der amerikanischen Presse ein Steckbrief über Physis und Psyche dieser Amerikanerin mit allem, was dazu gehört, einschließlich der Mitgift natürlich, zu finden ist,19 während nach den bei uns herrschenden Auffassungen wenigstens eine Zeitung, die etwas auf sich hält, in Deutschland das verschmähen müßte. Woher diese Differenz? Wenn wir für Deutschland festzustellen haben, daß heute das ernstliche Bemühen gerade bei den ernsten Vertretern des Pressegeschäftes dahin gerichtet ist, rein persönliche Dinge aus der Zeitungspublizität auszuschließen, – aus welchen Gründen und mit welchen Ergebnissen? – so werden wir auch konstatieren müssen, daß auf der anderen Seite ein sozialistischer Publizist wie Anton Menger der Meinung war: umgekehrt im Zukunftsstaat würde die Presse gerade die Aufgabe haben, Dinge, die  man nicht dem Strafgericht unterstellen kann, vor ihr Forum zu führen, die antike Zensor-Rolle zu übernehmen.20 Es lohnt sich, festzustellen: welche letzten Weltanschauungen der einen und der andern Tendenz zugrunde liegen. Nur dies freilich, nicht eine Stellungnahme dazu, wäre unsere Aufgabe. – Wir werden unsererseits vor allem die Machtverhältnisse zu untersuchen haben, welche die spezifische Zeitungspublizität schafft. Sie hat z. B. für wissenschaftliche Leistungen eine andere,

19  Löbl, Kultur und Presse, S.  41, bringt einen solchen Fall: Als sich Miss Consuelo Vanderbilt mit dem Herzog von Marlborough verlobte, habe die amerikanische Presse „eine sehr eingehende, ganz in der Form eines polizeilichen Steckbriefes gehaltene Personenbeschreibung der Braut“ veröffentlicht. „Alter: 18 Jahre; Höhe: 5 Fuß, 5 Zoll; Gewicht: 116½ Pfund; Handschuhnummer: 53/4; Fähigkeiten: Musik, Malerei, Sprachen; Hauptfertigkeit: keine; Mitgift: 10 Millionen Dollars; zu erwartendes Vermögen: 5 Millionen Dollars; Lieblingsblume: die Rose etc.“. 20 Der Wiener Jurist und Sozialtheoretiker Anton Menger behandelte im 9. Kapitel seines Buches: Neue Staatslehre, 2.  Aufl. – Jena: Gustav Fischer 1904, S.  56–59, den Einfluß der Zeitungspresse auf das sittliche Handeln.

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wesentlich geringere Bedeutung, als etwa für solche, die, wie eine schauspielerische oder Dirigenten-Leistung, mit dem Tage vergehen, und sie ist bei allem, was unter dem Striche besprochen wird, überhaupt besonders groß: in gewissem Sinn ist der Theater- und auch der Literatur-Rezensent derjenige Mann in der Zeitung, welcher am leichtesten Existenzen schaffen und vernichten kann.21 Für jeden Teil der Zeitung, vom politischen angefangen, ist aber dies Machtverhältnis äußerst verschieden. Die Beziehungen der Zeitung zu den Parteien bei uns und anderswo, ihre Beziehungen zur Geschäftswelt, zu all den zahllosen, die Öffentlichkeit beeinflussenden und von ihr beeinflußten Gruppen und Interessenten, das ist ein ungeheures, heute erst in den Elementen bebautes Gebiet soziologischer Arbeit. – Aber kommen wir zu dem eigentlichen Ausgangspunkt der Untersuchung. Treten wir der Presse soziologisch näher, so ist fundamental für alle Erörterungen die Tatsache, daß die Presse heute notwendig ein kapitalistisches, privates Geschäftsunternehmen ist, daß aber die Presse dabei eine vollständig eigenartige Stellung schon insofern einnimmt, als sie im Gegensatz zu jedem anderen Geschäft zwei ganz verschiedene Arten von „Kunden“ hat: die einen sind die Käufer der Zeitung und diese wieder entweder der Masse nach Abonnenten oder aber der Masse nach Einzelkäufer – ein Unterschied, dessen Konsequenzen der Presse ganzer Kulturländer entscheidend verschiedene Züge aufprägt – die anderen sind die Inserenten, und zwischen diesen Kundenkreisen bestehen die eigentümlichsten Wechselbeziehungen. Es ist z. B. ja gewiß für die Frage, ob eine Zeitung viel Inserenten haben wird, wichtig, ob sie viel Abonnentenf hat[,] und, in begrenzterem Maße, auch umgekehrt. Aber nicht nur ist die Rolle, die die Inserenten im Budget der Presse spielen, bekanntlich eine sehr viel ausschlaggebendere als die der Abonnenten, sondern man kann es geradezu so formulieren: eine Zeitung kann nie zuviel  Inserenten haben, aber – und das im Gegensatz zu jedem anderen Warenverkäufer – zuviel Käufer, dann nämlich, wenn sie nicht in der Lage ist, den Insertionspreis so zu steigern, daß er die Kosten der immer weiter sich ausdehnenden Auflage deckt. Das ist ein für manche Arten von f A: Abonennten 21  Vgl. Wrede, Handbuch (wie oben, S.  263, Anm.  15), S.  279, Anm.  14.

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Blättern durchaus ernsthaftes Problem und hat ganz allgemein die Folge, daß von einer bestimmten Auflageziffer ab das Interesse der Zeitungen nach weiterer Vermehrung nicht mehr steigt, – wenigstens kann es so kommen, wenn unter gegebenen Voraussetzungen eine weitere Erhöhung der Inseratenpreise auf Schwierigkeiten stößt. Das ist eine Eigentümlichkeit nur der Presse, die rein geschäftlicher Art ist, die aber natürlich ihre mannigfachen Konsequenzen hat. Nun ist bei internationaler Vergleichung das Maß und die Art des Zusammenhanges zwischen der Presse, welche doch das Publikum politisch und auf andern Gebieten belehren und sachlich informieren will[,] und dem in dem Inseratentum sich äußernden Reklamebedürfnis der Geschäftswelt ein höchst verschiedenes, namentlich wenn man Frankreich zum Vergleich heranzieht. Warum? mit welchen allgemeinen Konsequenzen? – das sind die Fragen, die wir, so oft darüber schon geschrieben wurde, doch wieder aufnehmen müssen, da eine Übereinstimmung der Ansichten nur teilweise besteht. Nun aber gehen wir weiter: Ein Charakteristikum ist heute vor allem das Wachsen des Kapitalbedarfs für die Preßunternehmungen. Die Frage ist, und diese Frage ist heute noch nicht entschieden, die best unterrichteten Fachmänner streiten darüber: in welchem Maß dieser wachsende Kapitalbedarf wachsendes Monopol der einmal bestehenden Unternehmungen bedeutet. Das könnte vielleicht nach den Umständen verschieden liegen. Denn auch abgesehen von der Einwirkung des steigenden Kapitalbedarfs ist die Monopolstellung der schon bestehenden Zeitungen wohl verschieden stark, je nachdem die Presse regelmäßig auf Abonnements beruht oder auf Einzelverkauf, wie im Ausland, wo der einzelne jeden Tag die Wahl hat, ein anderes Blatt zu kaufen, als er am Tag vorher gekauft hatte, und also – so scheint es wenigstens auf den ersten Blick – das Aufkommen neuer Blätter vielleicht erleichtert ist. Vielleicht – es ist etwas, was untersucht und mit dem der wachsende Kapitalbedarf als solcherg in seiner Wirkung bei der Betrachtung kombiniert werden müßte für die Beantwortung der Frage: Bedeutet dieses wachsende stehende Kapital auch steigende Macht, nach eignem Ermessen die öffentliche Meinung zu prägen? Oder umgekehrt – wie es behauptet, aber doch noch nicht g A: solchem

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eindeutig bewiesen worden ist, – wachsende Empfindlichkeit des einzelnen Unternehmens gegenüber den Schwankungen der öffentlichen Meinung? Man hat gesagt, der augenfällige Meinungswechsel gewisser französischer Blätter – man pflegt z. B. an den „Figaro“ gelegentlich der Dreyfußaffäre22 zu erinnern – sei einfach daraus zu erklären, daß das so große in diesen modernen Zeitungsunternehmungen fest investierte Kapital gegen irgendwelche Mißstimmungen des Publikums, welche sich in Abbestellungen äußern, in solchem Maße zunehmend nervös und dadurch vom Publikum abhängig werde, weil es sie geschäftlich nicht ertragen könne, – wobei freilich die in Frankreich bei herrschendem Einzelverkauf so große Leichtigkeit des Wechsels natürlich mit ins Gewicht fallen würde. Das hieße also, daß steigende Abhängigkeit von den jeweiligen Tagesströmungen die Konsequenz des wachsenden Kapitalbedarfs sei. Ist das wahr? Das ist eine Frage, die wir zu stellen haben. Es ist von Preßfachmännern – ich bin kein solcher – behauptet, es ist von anderen Seiten bestritten worden. Ferner: stehen wir im Gefolge der Zunahme des stehenden Zeitungskapitals vielleicht, wie oft bei wachsendem Kapitalbedarf, vor einer Vertrustung des Zeitungswesens? Wie liegt die Möglichkeit einer solchen? M[eine] H[erren], das ist bestritten worden, auf das allerenergischste von Fachmännern der Presse allerersten Ranges, von Theoretikern sowohl wie von Praktikern. Allerdings, der hauptsächlichste Vertreter dieser Ansicht, Lord Northcliffe,23 könnte es vielleicht besser wissen, denn er ist einer der größten Trustmagna22  Als das konservative Blatt Le Figaro eine am 15. November 1897 einsetzende Artikelserie Émile Zolas zur Verteidigung von Alfred Dreyfus veröffentlichte, protestierten die konservativen Leser, und man rief zum Subskriptionsboykott auf. Wegen des Rückgangs der Abonnentenzahl beendete Le Figaro die Kampagne. 23  Gemeint ist: Alfred Charles William Harmsworth (1865–1922), seit 1904 Alfred Lord Northcliffe. Ursprünglich Journalist, wurde er zusammen mit seinem Bruder Harold, dem späteren Viscount Rothermere, erfolgreichster Verleger seiner Zeit. Die beiden Brüder gründeten in Großbritannien 1888 das wöchentlich erscheinende Magazin Answers to Correspondents, von dem sich nach fünf Jahren über eine Million Exemplare pro Woche verkauften. Mit dem Ankauf weiterer Publikationsorgane schuf Northcliffe allmählich das weltgrößte Zeitschriftenverlagshaus, die Amalgamated Press. 1894 kaufte er die Londoner Zeitung Evening News und begann seine Karriere als Zeitungsverleger. Mit dieser und weiteren, neu gegründeten Zeitungen (u. a. Daily Mail 1896 und Daily Mirror 1903) veränderte er das britische Zeitungswesen nach amerikanischem Vorbild und führte Frauenseiten, Serien und Klatschspalten ein. 1908 kaufte er die Times auf und verhalf ihr durch eine veränderte Herausgeberpolitik und ein neues Layout zum wirtschaftlichen Erfolg.

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ten auf dem Gebiete des Zeitungswesens, die es überhaupt gibt. Welches aber würde die Folge für den Charakter der Zeitungen sein, wenn das geschähe? Denn daß die Zeitungen der großen, schon heute bestehenden Konzerne einen vielfach andern Charakter tragen als andere, lehrt der Augenschein. Genug – ich führte diese Beispiele ja nur als solche an, die zeigen, wie sehr der geschäftliche Charakter der Presse-Unternehmungen in Betracht zu ziehen ist – wir müssen uns fragen: was bedeutet die kapitalistische Entwicklung innerhalb des Pressewesens für die soziologische Position der Presse im allgemeinen, für ihre Rolle innerhalb der Entstehung der öffentlichen Meinung? Ein anderes Problem: Der „Institutions“-Charakter der mo- dernen Presse findet bei uns in Deutschland seinen spezifischen Ausdruck in der Anonymität dessen, was in der Presse erscheint. Unendlich viel ist gesagt worden „für“ und „wider“ die Anonymität der Presse. Wir ergreifen da keine Partei, sondern fragen: wie kommt es, daß diese Erscheinung sich z. B. in Deutschland findet, während im Ausland teilweise andere Zustände bestehen, in Frankreich z. B., während England darin uns näher steht.24 In Frankreich ist heute eigentlich nur eine einzige Zeitung vorhanden, die strikt auf dem Boden der Anonymität steht: der „Temps“. In England haben dagegen Zeitungen, wie die „Times“[,] auf das strengste an der Anonymität festgehalten. Das kann nun ganz verschiedene Gründe haben. Es kann sein – wie es z. B. bei der Times der Fall zu sein scheint –, daß die Persönlichkeiten, von denen die Zeitung ihre Informationen hat, vielfach so hoch gestellt sind, daß es für sie nicht möglich wäre, öffentlich unter ihrem Namen Information zu geben. Die Anonymität kann aber in andern Fällen auch den gerade umgekehrten Grund haben. Denn es kommt darauf an: Wie stellt sich diese Frage vom Standpunkt der Interessenkonflikte aus, die nun einmal – darüber kommt man nicht hinweg – bestehen zwischen dem Interesse des einzelnen Journalisten daran, möglichst bekannt zu werden, und dem Interesse der Zeitung daran, nicht in Abhängigkeit von der Mitarbeit dieses einzelnen Journalisten zu geraten. Natürlich liegt auch so etwas geschäftlich sehr ver24  Karl Bücher zufolge sprang das Prinzip der Anonymität von England auf den Kontinent über. Vgl. Bücher, Karl, Zur Geschichte der Anonymität, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Zeitungskunde. – Tübingen: H. Laupp’sche Buchhandlung 1926, S.  109– 118, hier S.  111.

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schieden, je nachdem ob Einzelverkauf vorherrscht oder nicht. Und vor allem spielt dabei natürlich auch mit die politische Volkseigenart, je nachdem z. B., ob eine Nation, wie es die deutsche tut, dazu neigt, sich von institutionellen Mächten, von einer als ein „überindividuelles“ Etwas sich gebärdenden „Zeitung“, sich mehr imponieren zu lassen, als von der Meinung eines einzelnen, – oder ob sie von dieser Art von Metaphysik frei ist. – Das sind schon Fragen, die dann hinüberführen in das Gebiet des GelegenheitsJournalismus, auf dem es in Deutschland ganz anders aussieht, als beispielsweise in Frankreich, wo der Gelegenheitsjournalist eine allgemeine Erscheinung ist, und auch als in England. Und da würde man sich die Frage vorzulegen haben: wer denn eigentlich überhaupt von außen her heute noch in die Zeitung schreibt und was? und wer und was nicht? und warum nicht? Das führt nun weiter zu der allgemeinen Frage: wie beschafft sich die Presse überhaupt das Material, das sie dem Publikum bietet?  Und was bietet sie ihm denn eigentlich, alles in allem? Ist das bei uns stetige Wachstum der Bedeutung des reinen Tatsachenreferats eine allgemeine Erscheinung? Auf englischem, amerikanischem und deutschem Boden ist es der Fall, dagegen nicht ganz so auf französischem: – der Franzose will in erster Linie ein Tendenzblatt. Warum aber? Denn z. B. der Amerikaner will von seinem Blatt nichts als Fakta. Was an Ansichten über diese Fakta in der Presse publiziert wird, das hält er überhaupt nicht der Mühe für wert zu lesen, denn als Demokrat ist er überzeugt, daß er im Prinzip das ebensogut, wenn nicht besser versteht, als derjenige, der die Zeitung schreibt. Aber der Franzose will doch auch ein Demokrat sein. Woher also der Unterschied? Jedenfalls aber: In beiden Fällen ist die gesellschaftliche Funktion der Zeitung eine ganz verschiedene. Da aber der Nachrichtendienst der Presse trotz dieser Differenzen doch in allen Ländern der Erde nicht nur das Budget der Presse steigend belastet, sondern auch an sich immer stärker in den Vordergrund tritt, – so fragt es sich weiter: wer denn nun eigentlich letztlich die Quellen dieser Nachrichten sind: – das Problem der Stellung der großen Nachrichtenbureaus und ihrer internationalen Beziehungen untereinander. Wichtige Arbeiten sind darüber zu machen, sind teilweise in den Anfängen schon vorhanden. Die Behauptungen, die über die Verhältnisse auf diesem Gebiet vorgetragen werden, standen bisher teilweise im Wider-

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spruch miteinander, und es wird die Frage sein, ob es nicht möglich ist, rein objektiv darüber mehr Material zu erhalten, als heute zu erlangen ist. Soweit nun aber der Inhalt der Zeitung weder aus Nachrichten noch, andererseits, aus Produkten eines Clicheegewerbes25 – es gibt bekanntlich Massenproduktionen von Preßinhalten, von der Sport- und Rätsel-Ecke bis zum Roman, von allem Möglichen, in eigenen Groß-Unternehmungen, – ich sage, soweit weder Clichees, noch reine Nachrichten die Presse anfüllen, bleibt übrig die Produktion dessen, was an eigentlich journalistischen Leistungen in der Presse heute geboten wird, und was bei uns in Deutschland wenigstens, im Gegensatz zu manchen nicht deutschen Ländern, noch von fundamentaler Bedeutung für die Bewertung der einzelnen Zeitung ist. Da können wir uns nun nicht mit der Betrachtung des vorliegenden Produktes begnügen, sondern müssen seine Produzenten würdigen und nach dem  Schicksal und der Situation des Journalistenstandes fragen. Da ist nun das Schicksal z. B. des deutschen Journalisten ganz heterogen von dem im Ausland. In England sind unter Umständen sowohl Journalisten wie ZeitungsGeschäftsleute ins Oberhaus gekommen,26 Männer, die zuweilen gar kein anderes Verdienst hatten, als daß sie als businessmen für ihre Partei ein glänzendes, alles andere unterbietendes – darf man in diesem Fall nur sagen, nicht: überbietendes – Blatt geschäftlich geschaffen hatten. Journalisten sind Minister geworden in Frankreich, massenhaft sogar.27 In Deutschland dagegen dürfte das eine sehr seltene Ausnahme sein.28 Und, – auch ganz von diesen hervorstechenden Äußerlichkeiten abgesehen, – werden wir zu fragen

25  Zum Klischee bzw. Cliché vgl. Weber, Vorbericht, oben, S.  215, Anm.  13. 26  Löbl zufolge war in England um die Jahrhundertwende die „höhere Journalistik“ eng mit den regierenden Klassen des Landes verbunden. Vgl. Löbl, Kultur und Presse, S.  181. 27  Der Journalismus in Frankreich war – so Löbl – mit den führenden Kreisen verbunden: „Journalisten werden Abgeordnete, die abgedankten Minister kehren wieder zur Journalistik zurück […] es gab eine Zeit, wo es als Tradition galt, daß wenigstens ein Redaktionsmitglied des ‚Temps’ im Besitze eines Ministerportefeuilles war.“ Ebd., S.  184. 28  Weber bezieht sich auch hier auf Emil Löbl, der behauptet, daß der Journalismus auch in Deutschland eine Vorstufe für weitere Karrieren sei, dazu aber keine Beispiele nennt. Ebd., S.  175.

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haben: wie sich die Verhältnisse der Berufsjournalisten in der letzten Vergangenheit in den einzelnen Ländern verschoben haben. Welches ist die Herkunft, der Bildungsgang und was sind die Anforderungen an einen modernen Journalisten in beruflicher Hinsicht? – und welches ist das innerberufliche Schicksal des deutschen und im Vergleich mit ihm des ausländischen Journalisten? – welches endlich sind seine – möglicherweise außerberuflichen – Lebenschancen überhaupt heute bei uns und anderwärts? Die allgemeine Lage der Journalisten ist, von anderm abgesehen, auch nach Parteien, nach dem Charakter des Blattes usw. sehr verschieden, wie jedermann weiß. Die sozialistische Presse z. B. ist eine Sondererscheinung, die ganz besonders behandelt werden muß, und die Stellung der sozialistischen Redakteure ebenso; die katholische Presse und ihre Redakteure erst recht. Schließlich: was bewirkt denn eigentlich dieses auf den von uns zu untersuchenden Wegen geschaffene Produkt, welches die fertige Zeitung darstellt? Darüber existiert eine ungeheure Literatur, die zum Teil sehr wertvoll ist, die aber ebenfalls, auch soweit sie von hervorragenden Fachleuten herrührt, sich oft auf das allerschärfste widerspricht. M[eine] H[erren], man hat ja bekanntlich direkt versucht, die Wirkung des Zeitungswesens auf das Gehirn zu untersuchen,29 die Frage, was die Konsequenzen des Umstandes sind, daß der moderne Mensch sich daran gewöhnt hat, ehe er an seine Tagesarbeit geht, ein Ragout zu sich zu nehmen, welches ihm eine Art von Chassieren30 durch alle Gebiete des Kulturlebens, von der Politik angefangen bis zum Theater und allen möglichen anderen Dingen, aufzwingt. Daß das nicht gleichgültig ist, das  liegt auf der Hand. Es läßt sich auch sehr wohl und leicht einiges Allgemeine darüber sagen, inwieweit sich das mit gewissen anderen Einflüssen zusammenfügt, denen der moderne Mensch ausgesetzt ist. Aber so ganz einfach ist das Problem doch nicht über die allereinfachsten Stadien hinauszubringen. 29  Emil Löbl zitiert ebd., S.  228 f., eine Studie von E. M. Vogué, die den physiologischen Einfluß der Presse auf das Gehirn erörtert: „Ganz augenscheinlich nimmt die kostbare Gabe beharrlicher Aufmerksamkeit bei dermaßen behandelten Gehirnen ab; ebenso büßt die Menge der Zeitungsleser ein gut Teil an intellektueller Strammheit und Ausdauer ein. Den Beweis hierfür bietet uns bereits die Ungeduld unserer Kinder, welche vor jeder ernsten Lektüre, wenn sie länger währt als ein Zeitungsartikel, zurückschrecken.“ 30  Von chasser, frz.: jagen, hetzen.

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Man wird ja wohl von der Frage auszugehen haben: welche Art von Lesen gewöhnt die Zeitung dem modernen Menschen an? Darüber hat man alle möglichen Theorien aufgestellt. Man hat behauptet, das Buch werde verdrängt durch die Zeitung. Es ist möglich; die deutsche Bücherproduktion zwar steht quantitativ in unerhörter „Blüte“, so wie in keinem andern Land der Welt; nirgends werden soviel Bücher auf den Markt geworfen wie bei uns.31 Die Absatzziffern dieser selben Bücher dagegen stehen im umgekehrten Verhältnis dazu. Rußland hatte, und zwar vor der Einführung der Preßfreiheit32 Auflagen von 20 000 bis 30 000 Exemplaren, für solche – bei aller Hochachtung vor Anton Mengers Charakter – unglaubliche Bücher wie seine „Neue Sittenlehre“.33 Es hatte sehr gelesene Zeitschriften, die durchweg eine „letzte“ philosophische Fundamentierung ihrer Eigenart versuchten. Das wäre in Deutschland unmöglich, und wird in Rußland unter dem Einfluß der wenigstens relativen Preßfreiheit34 unmöglich werden, die Anfänge zeigen sich schon. Es sind unzweifelhaft gewaltige Verschiebungen, die die Presse da in den Lesegewohnheiten vornimmt, und damit gewaltige Verschiebungen der Prägung, der ganzen Art, wie der moderne Mensch von außen her rezipiert. Der fortwährende Wandel und die Kenntnisnahme von den massenhaften Wandlungen der öffentlichen Meinung, von all den universellen und unerschöpflichen Möglichkeiten der Standpunkte und Interessen lastet mit ungeheurem Gewicht auf der Eigenart des modernen Menschen. Wie aber? Das werden wir zu untersuchen haben. Ich darf mich darüber nicht ausführlich fassen und schließe mit der Bemerkung: 31  1910 erschienen in Deutschland 31.281 Novitäten. Damit stand Deutschland an der Spitze der Weltbuchproduktion. Vgl. Wittmann, Reinhard, Geschichte des deutschen Buchhandels, 3.  Aufl. – München: C.H. Beck 1991, S.  295. 32  Weber dürfte hier auf die Lockerung der Zensurmaßnahmen durch das „Manifest vom 17. Oktober 1905“ anspielen (vgl. dazu Weber, Disposition, oben, S.  149 f., Anm.  18). Damit und mit den erneut einsetzenden Zensurmaßnahmen im „‚zeitweilige[n] Reglement über die Presse‘ vom 24. November (7. Dezember) 1905“ hatte er sich ausführlich in seiner Schrift „Rußlands Übergang zum Scheinkonstitutionalismus“ (MWG I/10, S.  321–325, Zitat: S.  321) beschäftigt. 33  Menger, Neue Sittenlehre, 1905 bei Gustav Fischer in Jena, erschien bereits ein Jahr später in russischer Übersetzung. Max Weber äußerte sich in seinen Rußlandschriften abschätzig über diese Verbreitung (vgl. Weber, Rußlands Übergang zum Scheinkonstitutionalismus, MWG I/10, S.  325). 34  Vgl. dazu oben, Anm.  32.

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Wir haben die Presse letztlich zu untersuchen einmal dahin: was trägt sie zur Prägung des modernen Menschen bei? Zweitens: Wie werden die objektiven überindividuellen Kulturgüter beeinflußt, was wird an ihnen verschoben, was wird an Massenglauben, an Massenhoffnungen vernichtet und neu geschaffen, an „Lebensgefühlen“ – wie man heute sagt –, an möglicher Stellungnahme für immer vernichtet und neu geschaffen? Das  sind die letzten Fragen, die wir zu stellen haben, und Sie sehen sofort, verehrte Anwesende, daß der Weg bis zu den Antworten auf solche Fragen außerordentlich weit ist. Sie werden nun fragen: Wo ist das Material für die Inangriffnahme solcher Arbeiten. Dies Material sind ja die Zeitungen selbst, und wir werden nun, deutlich gesprochen, ganz banausisch anzufangen haben damit, zu messen, mit der Schere und mit dem Zirkel, wie sich denn der Inhalt der Zeitungen in quantitativer Hinsicht verschoben hat im Lauf der letzten Generation, nicht am letzten im Inseratenteil, im Feuilleton, zwischen Feuilleton und Leitartikel, zwischen Leitartikel und Nachricht, zwischen dem, was überhaupt an Nachrichten gebracht wird und was heute nicht mehr gebracht wird. Denn da haben sich die Verhältnisse außerordentlich geändert. Es sind die ersten Anfänge von solchen Untersuchungen vorhanden, die das zu konstatieren suchen, aber nur die ersten Anfänge. Und von diesen quantitativen Bestimmungen aus werden wir dann zu den qualitativen übergehen. Wir werden die Art der Stilisierung der Zeitung, die Art, wie die gleichen Probleme innerhalb und außerhalb der Zeitungen erörtert werden, die scheinbare Zurückdrängung des Emotionalen in der Zeitung, welches doch immer wieder die Grundlage ihrer eigenen Existenzfähigkeit bildet, und ähnliche Dinge zu verfolgen haben und darnach schließlich in sehr weiter Annäherung die Hoffnung haben dürfen, der weittragenden Frage langsam näher zu kommen, welche wir zu beantworten uns als Ziel stecken. – M[eine] H[erren], ich muß mich nun noch wesentlich kürzer und skizzenhafter fassen über die zwei anderen Problemgebiete, die die Gesellschaft außerdem beabsichtigt in Angriff zu nehmen. Das zweite Thema muß ich zunächst notgedrungen sehr weit dahin formulieren, daß es eine fundamentale Aufgabe einer jeden Gesellschaft für Soziologie ist, diejenigen Gebilde zum Gegenstand ihrer Arbeiten zu machen, welche man konventionell als „gesell-

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schaftliche“ bezeichnet, d. h. alles das, was zwischen den politisch organisierten oder anerkannten Gewalten – Staat, Gemeinde und offizielle Kirche – auf der einen Seite und der naturgewachsenen Gemeinschaft der Familie auf der anderen Seite in der Mitte liegt. Also vor allem: eine Soziologie des Vereinswesens35 im weitesten Sinne des Wortes, vom Kegelklub – sagen wir es ganz drastisch! – angefangen  bis zur politischen Partei und zur religiösen oder künstlerischen oder literarischen Sekte. M[eine] H[erren], auch ein solches ungeheures Thema ist unter den allerverschiedensten Gesichtspunkten in die allerverschiedensten Fragestellungen zu zerlegen: wenigstens einige wenige davon will ich ganz kurz andeuten. Der heutige Mensch ist ja unzweifelhaft neben vielem anderem ein Vereinsmensch in einem fürchterlichen, nie geahnten Maße. Man muß ja glauben: das ist nicht mehr zu überbieten, seitdem sich auch „Vereins-Enthebungs“-Organisationen36 gebildet haben. Deutschland steht in dieser Hinsicht auf einem sehr hohen Standard. Es läßt sich aus einem beliebigen Adreßbuch feststellen – wenn es wirklich die Vereine auch nur annähernd vollständig enthält, was meist nicht der Fall ist, in Wirklichkeit vielleicht niemals, in Berlin beispielsweise ganz unvollständig, dagegen in kleinen Städten zuweilen besser –[,] daß beispielsweise in einzelnen Städten von 30 000 Einwohnern 300 verschiedene Vereine bestehen; also auf 100 Einwohner, d. h. auf 20 Familienväter, ein Verein. M[eine] H[erren], mit der quantitativen Verbreitung geht die qualitative Bedeutsamkeit des Vereinswesens nicht immer Hand in Hand. Welches ist, qualitativ betrachtet, das Vereinsland par excellence? Zweifelsohne Amerika, – und zwar aus dem Grund, weil dort die Zugehörigkeit zu irgend einem Verein für den Mittelstand direkt zur Legitimation als Gentleman gehört – richtiger: gehörte, denn jetzt europäisiert sich das alles. Ein paar drastische Beispiele! Mir erzählte ein deutscher Nasenspezialist, daß sein erster Kunde in Cincinnati vor Beginn der Behandlung ihm sagte: „Ich gehöre der first Baptist-church in der so und sovielten street an“.37 Was das mit dem Nasenleiden zu tun habe, konnte der 35  Zu einem solchen Projekt ist es nicht gekommen. 36  Solche Organisationen konnten nicht nachgewiesen werden. 37  Vgl. dazu Weber, „Kirchen“ und „Sekten“ in Nordamerika, MWG I/9, S.  426–462, hier S.  438.

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betreffende Arzt nun nicht einsehen. Es bedeutete aber gar nichts anderes als: Ich bin ein patentierter gentleman und – zahle gut und prompt. Der zweite, der zu ihm kam, zeigte ihm als erstes eine Art von Ehrenlegions-Rosette38 im Knopfloch. Der Arzt erkundigte sich und erfuhr, daß das ein bestimmter Klub sei, in den man nach sorgsamen Recherchen über die Persönlichkeit hineinballotiert39 würde; wenn man dem nun angehörte, so war man eben als „gentle­ man“ legitimiert. Massenhaft finden sich diese Art von Klubs oder Vereinen aller Art im Bürgertum verbreitet. Heute sind sie zunehmend weltlichen Charakters. Aber der Urtypus alles Vereinswesens ist – das kann man grade in Amerika studieren – die Sekte im spezifischen Sinne des Wortes. Ob rein historisch, ist hier gleichgültig – aber prinzipiell. Deshalb, weil die Sekte ihrem Sinn nach ein Zusammenschluß von spezifisch qualifizierten Menschen ist und nicht eine „Anstalt“, weil sie nach ihrem soziologischen Strukturprinzip die Sanktion der autoritären Zwangsverbände – Staat, Kirche – ablehnt und „Verein“ sein muß. In Amerika spielt sie deshalb vielfach noch heut die Rolle, sozusagen das ethische Qualifikationsattest für den Geschäftsmann auszustellen. Ehe z. B. die Baptisten jemand aufnehmen, unterwerfen sie ihn einer Prüfung, die an unsere Reserveoffiziersprüfungh erinnert und die sich auf seine ganze Vergangenheit erstreckt: Wirtshausbesuch, Beziehungen zu Damen, Kartenspiel, Schecks und alle nicht bezahlte Dinge des persönlichen „Wandels“ werden herausgesucht, ehe er die Taufe erreichen kann. Wer dann getauft ist, – der ist als unbedingt kreditwürdig legitimiert und macht gute Geschäfte. Nicht ganz so streng, aber ähnlich machen es andre traditionelle amerikanische Vereine, und mit ähnlichen Konsequenzen. Ganz ähnlich funktionierte das Freimaurertum, auch bei uns, wie man sich aus Freimaurerakten leicht überzeugen kann, – aber erst recht in Amerika. Wie mir dort einmal ein Herr,40 der es sehr beklagte, daß er aus äußeren Grünh A: Reserveoffizierprüfung 38  Der höchste französische Verdienstorden, ein fünfzackiger Stern am roten Band. 39  Von Ballotage: Geheime Abstimmung mit Wahlkugeln, bei der jeder Abstimmungsberechtigte eine schwarze oder eine weiße Kugel (ballot) in ein verschlossenes Gefäß wirft, um Ablehnung bzw. Zustimmung auszudrücken. 40  Weber dürfte sich hier auf ein in New York geführtes Gespräch mit David Blaustein beziehen, vgl. den Brief von Max und Marianne Weber an Helene Weber und Familie vom 19. und 26. Nov. 1904, MWG II/4, S.  398–407, hier S.  403.

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den nicht die Stellung als Meister am Stuhl41 habe erlangen können, auf meine Frage: warum ihm das wichtig sei? sagte: Wenn ich Meister am Stuhl bin und auf meinen Geschäftsreisen als solcher mit dem Geheimzeichen auftreten kann, so bekomme ich alle Kunden, ich schlage jede Ware los, da von Jedermann vorausgesetzt wird, ich liefere nur reelle Ware zu reellem Preise; denn wenn ich das jemals nachweislich nicht getan hätte, so würden mich die Freimaurer in ihrer Mitte nicht dulden. So ist es im gesellschaftlichen Leben in Amerika überhaupt. Wer da nicht hineinkommt – und beispielsweise der Deutsch-Amerikaner hat selten das Glück hineinzukommen, der kommt nicht in die Höhe. Die Demokratie in Amerika ist kein Sandhaufen, sondern ein Gewirr exklusiver Sekten, Vereine und Klubs. Diese stützen die Auslese der an das amerikanische Leben überhaupt Angepaßten, stützen sie, indem sie ihnen zur geschäftlichen, zur politischen, zu jeder Art von Herrschaft im sozialen Leben verhelfen. – Wie steht es damit bei uns? Finden sich – und in welcher Art und welchem Umfang – dazu Analogien? Wo? Mit welchen Konsequenzen? Wo nicht? Warum nicht? Das ist die eine, nach außen gewandte, Seite der Sache. Eine zweite Frage ist: Wie wirkt die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Art von Verband nach innen? auf die Persönlichkeit als solche? Man kann allgemein sagen: Wer einem Verband angehört, sei es z. B. einer Couleur in Deutschland,42 sei es einer Greek Letter Society43 oder anderen studentischen Klubsi in Amerika, der muß sich in der Mitte seiner Verbandsgenossen im äußerlichen und im innerlichen Sinn des Wortes „behaupten“. Und die Frage ist: wodurch er sich behauptet? Im vorliegenden Beispiel hängt das z.  B. davon ab: welches spezifische Ideal von „Männlichkeit“, bewußt und absichtsvoll oder auch unbewußt und traditionell[,] i A: Klub 41 Gemeint ist die bei den Freimaurern heute noch übliche Bezeichnung „Meister vom Stuhl“ für den jährlich von den Freimaurern frei gewählten Vorsitzenden der Bruderschaft. Er vertritt die Loge nach innen und außen. 42  Unter „Couleur“ versteht man einerseits Kleidungsstücke und Accessoires in bestimmten Farben, die in Deutschland die Zugehörigkeit zu einer bestimmten studentischen Verbindung anzeigten. „Couleur“ bezeichnet andererseits als Pars pro toto die (deutsche) Studentenverbindung. 43  Seit dem 19. Jahrhundert benennen sich amerikanische Studentenverbindungen mit (drei) griechischen Buchstaben.

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innerhalb einer deutschen Couleur einerseits und eines englischen Sportklubs oder eines amerikanischen Studentenvereins andererseits gepflegt wird? Die Bedingungen, sich die Achtung der Genossen zu erwerben, sind dabei natürlich grundverschieden. Sie sind es ganz allgemein, nicht nur je nach Nationen, sondern auch nach den verschiedenen Schichten und den Kategorien von Vereinen. Der einzelne aber wird nach diesem Ideal bewußt oder unbewußt ausgelesen und dann geprägt. Und es handelt sich dann ja weiter nicht nur um die Frage, ob er sich die äußere Achtung der Genossen erwirbt, sondern letztlich müssen wir ja immer fragen: wie besteht der einzelne, der nun diesen Einflüssen ausgesetzt ist, vor seiner eigenen Selbstachtung und vor seinem Bedürfnis „Persönlichkeit“ zu sein? Was für innere Positionen verschieben sich, die für die Ausbalanciertheit dessen, was wir „Persönlichkeit“ nennen, für die Notwendigkeit, das auf eine neue Basis zu stellen, wichtig werden können? Denn unter solchen inneren Problemstellungen vollzieht sich ja die Aneignung der Einflüsse solcher sozialen Ensembles, in die der einzelne gesteckt wird, die Einfügung dieser Einflüsse in den Zusammenhang des eigenen „Ich“. Und das Gefühl der eignen „Würde“ kann sich, je nach Art des Ensembles, auf grundverschiedene Postamente verschieben. Nun weiter: Jeder Verein, zu dem man gehört, stellt dar ein Herrschaftsverhältnis zwischen Menschen. Zunächst, wenigstens der Regel nach, formal und offiziell ein Majoritätsherrschaftsverhältnis. Es ist also die Psychologie dieser Majoritätsherrschaft über den Einzelnen, die letztlich in Frage steht, und die sich auf dem Boden dieser Privatverbände in sehr spezifischer  Art äußert und wirkt, – wobei ich hier nur auf den Punkt zu sprechen kommen kann, der der entscheidende ist: daß selbstverständlich innerhalb jedes solchen Gremiums, wie es auch heiße, Partei, Verein, Klub oder was es ist, in Wirklichkeit die Herrschaft stets eine Minoritätsherrschaft, zuweilen eine Diktatur Einzelner ist, die Herrschaft Eines oder einiger irgendwie im Wege der Auslese und der Angepaßtheit an die Aufgaben der Leitung dazu befähigter Personen, in deren Händen die faktische Herrschaft innerhalb eines solchen Vereins liegt. Wie nun, unter welchen Bedingungen, unter welchen, ich möchte sagen, „Spielregeln“ diese Auslese der Leitenden innerhalb der einzelnen Kategorien von Vereinen, Parteien, oder was es ist, sich vollzieht, das ist für die Frage entscheidend, welche Art von Per-

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sönlichkeiten die Herrschaft an sich bringen. Und das ist wieder nur speziell für je ganz bestimmte Arten von Vereinen und je nach den Kulturbedingungen der Umwelt zu beantworten. Es ist dies aber eine zentral wichtige soziologische Frage, und nicht minder ist es die weitere, daran sich anknüpfende: durch welche Mittel die leitenden Gruppen die Loyalität gegenüber den Vereinen, das heißt gegenüber ihrer eignen Herrschaft, zu sichern suchen. Über diese Frage liegen mancherlei wichtige Vorarbeiten schon vor1). Weiter: Welche Art von Beziehungen besteht zwischen einem Verein irgendwelcher Art, wieder von der Partei bis – das klingt ja paradox – zum Kegelklub herab, zwischen einem beliebigen Verein also und irgend etwas, was man, im weitesten Sinne des Wortes, „Weltanschauung“ nennen kann? Überall ist eine solche Beziehung irgendwie vorhanden, auch wo man sie gar nicht vermuten sollte. Aber in sehr verschiedener Art. Zunächst ist es eine alltägliche Erscheinung, daß Vereinigungen, die ausgegangen sind von großen Weltanschauungsideen, zu Mechanismen werden, die sich faktisch zunehmend davon loslösen. Das liegt einfach an der allgemeinen, wie man zu sagen pflegt: „Tragik“ jedes Realisationsversuchs von Ideen in der Wirklichkeit überhaupt. Es gehört ja zu jedem Verein bereits irgend ein, sei es bescheidenster, Apparat, und sobald der Verein propagandistisch auftritt, wird dieser Apparat in irgend einer Weise versachlicht und vom Berufsmenschentum okkupiert. Denken Sie – um ein grobes Beispiel zu nehmen – daran, daß ein so heikles und delikates Problemgebiet, wie das Problem erotischen Lebens, daß die Propaganda von Ideen auf diesem Gebiet schon heute die pekuniäre Grundlage für Existenzen zu bilden hat. Ich spreche das hier nicht in Form irgend eines sittlichen Vorwurfs gegen die betreffenden Personen aus, und halte mich dazu, angesichts dessen, daß so und soviele Professoren auf ihren Kathedern noch heute die Propaganda für ihre subjektiven 44

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Es ist hier namentlich an die Arbeiten von Prof. G[erhard] A[lexander] Leist ge- A 56

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politischen oder anderen Ideen für ihre Aufgabe halten, für nicht berechtigt. Aber es ist Tatsache und hat selbstverständlich sehr weitgreifende Folgen, wenn dasjenige spezifische Stadium der Versachlichung eines Ideengehaltes, wo die Propaganda für diese Ideen die Grundlage für materielle Existenzen wird, erreicht ist, natürlich wiederum verschiedene Konsequenzen, je nach der Art und dem Charakter dieser Ideale. – Auf der anderen Seite, m[eine] H[erren], attrahiert fast jeder Verein, auch ein solcher, der das prinzipiell vermeiden will, in irgend einer Weise „weltanschauungsmäßige“ Inhalte. In gewissem Sinne, könnte man behaupten: sogar auch ein deutscher Kegelklub, in deutlicherem Maße schon ein deutscher Gesangverein. M[eine] H[erren], – um dabei zu bleiben – die Blüte des Gesangvereinswesens in Deutschland übt m. E. beträchtliche Wirkungen auch auf Gebieten aus, wo man es nicht gleich vermutet, z. B. auf politischem Gebiete. Ein Mensch, der täglich gewohnt ist, gewaltige Empfindungen aus seiner Brust durch seinen Kehlkopf herausströmen zu lassen, ohne irgend eine Beziehung zu seinem Handeln, ohne daß also die adäquate Abreaktion dieses ausgedrückten mächtigen Gefühls in entsprechend mächtigen Handlungen erfolgt – und das ist das Wesen der Gesangvereinskunstj –, das wird ein Mensch, der, kurz gesagt, sehr leicht ein „guter Staatsbürger“ wird, im passiven Sinn des Wortes. Es ist kein Wunder, daß die Monarchen eine so große Vorliebe für derartige Veranstaltungen haben. „Wo man singt, da laß dich ruhig nieder“.45 Große starke Leidenschaften und starkes Handeln fehlen da. Es klingt das paradox, es ist vielleicht, das gebe ich zu, etwas einseitig, es soll auch kein Tadel sein, – es kann vielleicht ja einen Standpunkt geben, von dem aus man sagt, daß eben dies der Reichtum des deutschen Volkes sei, daß es fähig ist, diese Ablösung zu vollziehen und auf dieser Basis eine ihm eigne künstlerische Kultur zu schaffen, und man kann ferner sagen, daß  jede Art von Kultur in der Einschaltung von Hemmungen zwischen Empfindung und Abreaktion ihre Basis findet. Ich lasse das alles gänzlich dahingestellt, denn es geht die Frage der Bewertung uns gar nichts an. Ich konstatiere nur, daß eine solche Beziehung, wie ich sie andeutete, j A: Gesangvereinkunst 45  Dieses Zitat ist eine abgewandelte Zeile aus Gottfried Seumes Gedicht „Die Gesänge“ von 1804.

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möglicherweise – ich weiß nicht, in welcher Stärke, ich habe vielleicht übertrieben – vorhanden sein kann. In solchen und ähnlichen Fällen handelt es sich ja wesentlich um die unbewußte Beeinflussung des Gesamthabitus durch den Inhalt der Vereinstätigkeit. Aber es gibt die allerverschiedensten Abschattierungen in der Art des Übergreifens rein fachlichek oder rein sachliche Ziele verfolgender Gemeinschaften auf das Gebiet der Beeinflussung und Reglementierung der praktischen Lebensführung. Sie kann auch ganz bewußt erfolgen, von rein fachlich-sachlichen Positionen aus, hinter denen wir sie an sich gar nicht vermuten würden. Denken Sie doch daran, daß ganz bestimmte Theorien medizinischer Art, ganz bestimmte psychiatrische Theorien, heute auf dem offenkundigen Weg zur Sektenbildung begriffen sind, daß eine bestimmte, von einem berühmten Wiener Psychiater geschaffene Theorie dazu geführt hat, daß eine Sekte sich gebildet hat, die bereits so weit ist, daß sie ihre Zusammenkünfte solchen, die nicht zu ihr gehören, streng verschließt und sekretiert.46 Der „komplexfreie“ Mensch als das Ideal und eine Lebensführung, durch die dieser komplexfreie Mensch geschaffen und erhalten werden kann, ist Gegenstand dieser Sektenwirksamkeit, die allerverschiedensten Lebenszweige finden ihre Reglementierung von diesen Idealen aus, – was gewiß kein Mensch, wenn er zunächst diese Theorien rein als psychiatrische und für wissenschaftliche Zwecke bestimmte sich ansieht, daraus allein entnehmen könnte, obwohl der Zusammenhang nachher sehr leicht verständlich ist. Ähnliches kann z. B. auch auf dem Gebiete des Ästhetischen: der künstlerischen Sektenbildung, sich ereignen, ja, die von künstlerischen Weltgefühlen getragenen Sekten gehören in soziologischer k A: fachlicher 46  Gemeint ist Sigmund Freud, mit dessen psychoanalytischen Theorien sich Weber, auf Anregung von Otto Gross, seit 1906 ausführlich beschäftigte (vgl. dazu Lepsius, M. Rainer und Wolfgang J. Mommsen, Einleitung, in: MWG II/5, S.  10). Freud, der seit 1902 Professor für Neuropathologie an der Wiener Universität war, diskutierte und erprobte bei den Sitzungen der 1902 gegründeten „Psychologischen Mittwochs-Gesellschaft“, die in seiner Wohnung stattfanden, die neue psychoanalytische Deutungskunst. Gründungsmitglieder waren Wilhelm Stekel, Max Kahane, Rudolf Reitler und Alfred Adler. Diese Gesellschaft und die „Wiener Psychoanalytische Vereinigung“, die ihr 1908 nachfolgte, waren als arkane Veranstaltungen angelegt, mit Freud im Mittelpunkt. Vgl. Gay, Peter, Freud. Eine Biographie für unsere Zeit. – Frankfurt am Main: Fischer 1989, S.  199–225.

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Hinsicht – sie bieten auch sonst ein erhebliches Interesse – oft zu dem Interessantesten, was es geben kann; sie haben noch heute, ganz wie eine religiöse Sekte, ihre Inkarnationen des Göttlichen gehabt, – ich erinnere an die Sekte Stefan Georges47 – und die Prägung der praktischen Lebensführung, der inneren Attitüde zum gesamten Leben, die sie in ihren Anhängern  erzeugten, kann eine sehr weitgreifende sein. Und wir erleben ja ganz dasselbe auf dem Gebiete der Rassentheoretiker. Das Heiraten nach adeligen Ahnentafeln kann man selbstverständlich durch das Heiraten nach hygienischen Ahnentafeln ersetzen, und es weiß jedermann, daß eine Sekte mit vornehmlich diesem Zweck aus esoterischen und exoterischen Anhängern besteht, – wobei ich, wie hier durchweg, den Ausdruck Sekte gänzlich wertfrei gebrauche. Der Ausdruck ist ganz ohne Grund bei uns so eigentümlich in Verruf, weil man den Begriff der „Enge“ damit verbindet. Spezifische, fest umrissene Ideale können aber gar nicht anders als zunächst im Weg der Bildung einer Sekte begeisterter Anhänger, die siel voll zu verwirklichen streben und sich deshalb zusammenschließen und von andern absondern, ins Leben getragen werden. M[eine] H[erren], wir kommen, – denn ich muß damit abbrechen, um Ihre Zeit nicht zu weit in Anspruch zu nehmen – schließlich zu zwei ähnlichen prinzipiellen Fragestellungen, wie bei der Presse: Wie wirken die einzelnen Kategorien solcher Verbände und Vereine, von den Parteien angefangen – denn auch diese können entweder Maschinen sein, reine Maschinen, wie die amerikanischen Parteien, oder angebliche Weltanschauungsparteien, wie heute die Partei der Sozialdemokratie, die es ehrlich glaubt, eine solche zu sein, obwohl sie es schon lange nicht mehr ist, oder wirkliche Weltanschauungsparteien, wie in immerhin weitgehendem Maße noch heute die Partei des Zentrums, obwohl auch bei ihr dieses Element im Schwinden begriffen ist, und es gibt da die allerverschiedensten Paarungen zwischen Idee und Mechanismus, – l A: sich 47  Friedrich Gundolf beschrieb den „inneren Kreis“ um Stefan George in seiner George-Biographie als Sekte: „[…] eine kleine Anzahl Einzelner mit bestimmter Haltung und Gesinnung, vereinigt durch die unwillkürliche Verehrung eines großen Menschen, und bestrebt der Idee, die er ihnen verkörpert (nicht diktiert) schlicht, sachlich und ernsthaft durch ihr Alltagsleben oder durch ihre öffentliche Leistung zu dienen“. Gundolf, Friedrich, George. – Berlin: Bondi 1920, S.  31.

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wie[,] sage ich, und mit welchen Mitteln wirken sie in der doppelten Richtung: einmal der Prägung der einzelnen Individuen, und dann der Prägung der objektiven, überindividuellen Kulturgüter? Wenn Sie nun nach dem Material fragen, mit dem eine solche Untersuchung zu führen sei, so ist der Stoff, mit dessen Bewältigung zunächst einmal anzufangen ist, wiederum ein ganz trockener, trivialer, und ohne solche trockene, triviale, viel Geld und viel Arbeitskraft einfach in den Boden stampfende Arbeit ist nichts zu machen. Zunächst lohnt der systematische Versuch, von den Vereinen Auskunft darüber zu erhalten, welchen Berufen, welchen geographischen, ethnischen, sozialen Provenienzen ihre Mitglieder angehören. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, wenn auch nicht für sicher, daß wir im Lauf der Zeit eine Art von Kataster der wichtigsten Vereinskategorien in dieser Hinsicht schaffen können und damit den Ausleseprinzipien auf die Spur kommen, die den Vereinen selbst natürlich meist ganz unbewußt sind und nur aus ganz großem und umfassendem Material erschlossen werden können. Daneben haben wir dann die Mittel der Vereinseinwirkung nach Innen, auf die Mitglieder, nach Außen in propagandistischem Sinn und im Kampf, zu analysieren und schließlich die propagierten Inhalte selbst, alles in frischer, soziologischer Kasuistik. Eine Arbeit vieler Jahre! – Da ich soeben von „Auslese“ sprach, so erwähne ich anschließend daran gleich das letzte, schon jetzt von uns in Aussicht genommene große Arbeitsgebiet. Das ist die von Prof. Eulenburg in Leipzig bei uns zur Diskussion und zur systematischen Bearbeitung angeregte Frage der Auslese der führenden Berufe innerhalb der modernen Gesellschaft,48 derjenigen Berufe, die man im üblichen Sinn – denn von etwas anderem als dem konventionellen Sinn kann die Soziologie nicht ausgehen – die „führenden“ nennt, der ökonomisch und politisch Führenden, der wissenschaftlich, literarisch, künstlerisch Führenden, der Geistlichen, der Beamten, der Lehrer, Unternehmer usw. Wir fragen dabei: woher stammen diese Leute, was war ihr Vater und Großvater, wo stammen sie ethnisch 48  Über die Realisierung dieses Projekts innerhalb der DGS ist nichts bekannt. Wie aus einem Brief Max Webers an Gustav v. Schmoller vom 22. Februar 1910 hervorgeht, sprach sich Weber dagegen aus, da sich die DGS, „die ja anderweit genug zu thun hat“, damit in Konkurrenz zum VfSp begeben würde. (MWG II/6, S.  412 f., Zitat: S.  413).

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her, was haben sie für Lebensschicksale hinter sich, d. h., wie, über welche Staffeln hinweg, sind sie an ihren jetzigen Posten gelangt usw., kurz, wieso hat die überall wirksame Auslese gerade sie – und das könnten wir natürlich nur aus einer großen Zahl erschließen – in diese Stellungen gebracht, welche ethnische, berufliche, soziale, materielle usw. Provenienz ist es, die die günstigsten Chancen am meisten in sich enthält, grade in diese Berufe und Positionen zu gelangen? Eine Aufgabe, die wiederum erst durch sehr umfassende Erhebungen im Lauf der Zeit vielleicht gelöst werden kann. Ich habe, m[eine] H[erren], in der mir gesteckten Zeitspanne lediglich versuchen können, rein illustrativ, an beliebig herausgegriffenen Beispielen, Ihnen deutlich zu machen, daß es auf den von uns anzugreifenden Problemgebieten Fragen gibt, deren Inangriffnahme wissenschaftlich lohnt. Sie sehen aber, daß schon diese konkreten Aufgaben, die ich hier erwähnt habe, nicht solche sind, daß Sie darauf rechnen  könnten, im nächsten Jahre läge etwa schon irgend ein brillantes Resultat vor. Die Gesellschaft wird Geduld haben müssen, das Publikum auch. Diese Arbeiten erfordern nicht nur eine Selbstlosigkeit der Hingabe an den selbstverständlich im einzelnen Fall begrenzten Zweck, wie sie heute selten anzutreffen ist, wie sie aber immerhin gelegentlich und hoffentlich zunehmend angetroffen wird, und sie erfordernm – wie ich hinzufügen muß: bedauerlicherweise –, sie erfordernn sehr erhebliche pekuniäre Mittel. M[eine] H[erren], für die Zwecke der Preßenquete allein sind die Kosten auf ungefähr 25 000 M. für die Vorarbeiten geschätzt. Von diesen 25 000 M. stehen uns jetzt rund 20 000 zur Verfügung durch eine Vereinbarung mit der Heidelberger Akademie der Wissenschaften49 und mit dem Institut für Gemeinwohl hier in Frankfurt50 und durch private Stifm A: erfordert  n A: erfordert 49  Am 9. Mai 1910 stellte Weber bei der Heidelberger Akademie der Wissenschaften einen Antrag auf finanzielle Unterstützung der Presseenquete (Brief Max Webers an Wilhelm Windelband vom 9. Mai 1910, MWG II/6, S.  501–504). Die Akademie beschloß in ihrer Sitzung vom 28. Mai 1910, eine wohlwollende Unterstützung des Projektes in Erwägung zu ziehen. Am 16. Juli 1910 wurde dann förmlich beschlossen, den Antrag Webers unter bestimmten Bedingungen, d. h. nach Konstituierung des für das Projekt verantwortlichen Arbeitsausschusses, mit einem Betrag von 10.000 Mark zu fördern (Editorische Vorbemerkung zum Brief, ebd., S.  501). 50  Das Frankfurter Institut für Gemeinwohl gewährte eine Summe von 5.000 Mark für die Presseenquete; vgl. das im Auftrag von Wilhelm Merton abgefaßte Schreiben

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tungen von innerhalb und außerhalb unserer Gesellschaft. Es ist zu hoffen, daß der noch notwendige Rest ebenfalls in irgend einer Weise von privater Seite gestiftet wird, da wir unter keinen Umständen mit unserer Arbeit beginnen werden, ehe wir sicher sind, daß die Mittel, die wir jetzt für erforderlich halten müssen, und die hoffentlich reichen, wenigstens vorhanden sind. Für die anderen Untersuchungen steht heute noch nichts an Geldern zur Verfügung außer den laufenden Mitteln der Gesellschaft, und diese fallen für solche Arbeiten nicht ins Gewicht bei einem Mitgliederbestand von vorläufig nicht wesentlich über 200 – wir hoffen ja, daß er steigen wird – ich sage, die laufenden Mittel der Gesellschaft können dafür natürlich nicht die Unterlage bilden, sie gehen für laufende Geschäfte, zum überwiegenden Teil wenigstens, darauf und müssen die Kosten solcher Tagungen, wie wir sie hier und in, wie gesagt, wesentlich veränderter und verbesserter Form künftig haben werden, tragen helfen. Wir sind also, das gestehen wir offen, auf Mäzenatentum angewiesen, auf Mäzenatentum, wie es sich bisher bereits in einem Fall in einer für Deutschland ungewöhnlichen Art manifestiert hat. Denn, m[eine] H[erren], in vollem Gegensatz zu den Zuständen des Auslands, nicht nur Amerikas, ist es in Deutschland äußerst selten, daß bedeutende Geldmittel für rein wissenschaftliche Zwecke zu haben sind. Geldmittel sind in Deutschland zu haben für Zwecke der Technik, etwa für Flugprobleme und Derartiges, für Zwecke, bei denen irgend etwas für den lieben Körper und seine Kur herausspringt, also für Radio-Therapie oder Derartiges, wenn wenigstens in ferner Aussicht steht, daß irgend etwas Therapeutisches dabei herauskommt. Sie stehen ferner noch in erfreulicher Weise zunehmendem Maße für künstlerische Zwecke zur Verfügung. Wenn aber bei uns in Deutschland Geld gegeben wird für wissenschaftliche Zwecke, so kann man im allgemeinen sicher sein, daß es staatlichen Instanzen anvertraut wird, aus Gründen, die ich hier nicht weiter erörtern will, die sehr verschiedener Art, subjektiv gewiß oft berechtigter Art, objektiv nach meiner Meinung aber nicht immer erfreulicher Art sind. Damit allein ist es aber natürlich auf die Dauer für den Fortschritt der Wissenschaft bei aller hohen Anerkennung dessen, was der Staat dafür bei uns Philipp Steins vom 7. Mai 1910 an Max Weber, das dieser in seinem Brief an Franz Eulenburg vom 21. Mai 1910 erwähnt (vgl. MWG II/6, S.  534 f. mit Anm.  2).

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im Gegensatz zu anderen Ländern auf diesem Gebiet geleistet hat, nicht getan. Es gibt bis jetzt nur eine Stadt, in der in ganz großem Maßstab Mäzenatentum geübt worden ist für Zwecke der Wissenschaft ohne Staatseinmischung in einer Art, wie sie etwa in Amerika üblich ist, das ist Frankfurt a. M.51 Aber es ist nicht möglich, sich damit abzufinden, daß Frankfurt a. M. dieses Monopol auf die Dauer behalten soll, sondern man muß – und davon ist nicht nur unsere spezielle wissenschaftliche Arbeit, sondern der Fortschritt der wissenschaftlichen Arbeit überhaupt abhängig – man muß hoffen, daß die wenigen in aller Munde befindlichen glänzenden Namen, die auf dem Gebiete des deutschen rein wissenschaftlichen Mäzenatentums – und das bedeutet ein Mäzenatentum, welches die Geduld hat, abzuwarten, daß die um ihrer selbst willen betriebene Wissenschaft schließlich irgendwann auch „dem Leben diene“ – ich sage, man muß hoffen, daß ein solches Mäzenatentum in Deutschland auch außerhalb dieser Stadt in größerem Maße, als es bisher in Deutschland der Fall war, erwachsen werde, nicht nur, wie gesagt, um die speziellen Aufgaben dieser Gesellschaft zu fördern, sondern im Interesse der wissenschaftlichen Arbeit überhaupt.o

o  In A folgt der Protokollzusatz: (Lebhafter Beifall.) 51  Vgl. Weber, Votum, unten, S.  292, Anm.  9.

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[Ein Votum zur Universitätsfrage] [Zuschrift an die Volksstimme, 26. Juni 1911]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Der Frankfurter Oberbürgermeister Franz Adickes verfolgte den Plan, mehrere in Frankfurt am Main angesiedelte wissenschaftliche Einrichtungen in einer Stiftungsuniversität zusammenzuführen und sie der Verwaltung des preußischen Kultusministeriums zu unterstellen. Dieser Plan wurde seit Ende 1909 in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert.1 Die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung setzte am 23. März 1911 eine 15-köpfige Kommission ein, die das Für und Wider einer solchen Gründung beraten sollte. Darin war die SPD mit vier Stadtverordneten vertreten, befand sich also zahlenmäßig in der Minderheit. Die Mehrheit befürwortete den Plan, während die sozialdemokratischen Stadtverordneten ihn ablehnten. Sie fühlten sich „von der Mehrheit in der bekannten Weise vergewaltigt“, wie es später in der in Frankfurt erscheinenden sozialdemokratischen Volksstimme hieß.2 Für ihren Sprecher, Max Quarck, Redakteur der Volksstimme, war eine vom preußischen Kultusministerium genehmigte Universität Ausdruck des Klassenstaates. Er trat für die freie Bildung der Persönlichkeit in einer staatsfreien Sphäre ein.3 Um der sozialdemokratischen Position Nachdruck zu verleihen, bat Max Quarck Max Weber, den er aus anderen Zusammenhängen kannte,4 um eine Stellungnahme.5 Bei einem Besuch in Heidelberg am 15. März 1911 besprachen die beiden die Frankfurter Universitätsfrage.6 Weber schrieb seine Stel1  Vgl. Kluke, Paul, Die Stiftungsuniversität Frankfurt am Main 1914–1932. – Frankfurt a. M.: Waldemar Kramer 1972, S.  66 ff. (hinfort: Kluke, Stiftungsuniversität). 2  Vgl. die redaktionelle Vorbemerkung unten, S.  290, textkritische Anm.  a. 3  Vgl. Kluke, Stiftungsuniversität (wie oben, Anm.  1), S.  76–79. 4  Max Quarck hatte am Ersten Deutschen Soziologentag im Oktober 1910 teilgenommen und sich an der Debatte über Werner Sombarts Vortrag „Technik und Kultur“ beteiligt (vgl. Verhandlungen DGS 1910, S.  91–93). Weber war schon im Zusammenhang mit den Habilitationsproblemen von Robert Michels mit Quarck in Kontakt getreten, vgl. den Brief Max Webers an Max Quarck vom 5. Febr. 1907, MWG II/5, S.  247–249, hier S.  247. 5  Vgl. dazu die redaktionelle Vorbemerkung unten, S.  290, textkritische Anm.  a. 6  „Mittwoch kommt Dr Quarck von der ‚Volksstimme’ (wegen der Universität Frankfurt)“, Karte Max Webers an Marianne Weber vom 13. März 1911, MWG II/7, S.  140 f.,

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Ein Votum zur Universitätsfrage

lungnahme aber erst drei Monate später, am 24. Juni 1911, die dann am 26. Juni 1911, einen Tag vor der Entscheidung der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung, in der Volksstimme veröffentlicht wurde. Im redaktionellen Nachwort zu Webers Zuschrift heißt es: „Möge sie in den Kreisen, die morgen die Entscheidung zu treffen haben, offene Ohren finden!“7 Die Frankfurter Zeitung hatte schon zuvor das Votum von Karl Bücher zur Universitätsfrage veröffentlicht. Ähnlich wie Max Weber, sprach auch er sich, wenn auch mit teilweise anderen Argumenten, gegen eine solche Gründung aus.8 In der im folgenden abgedruckten Stellungnahme warnt Max Weber nachdrücklich vor dem politisch-konservativen Einfluß des preußischen Kultusministeriums und nimmt seinen scharfen Angriff gegen das System Althoff vorweg, den er im Herbst 1911 auf dem IV. Deutschen Hochschullehrertag in Dresden vorbringen sollte.9

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Webers Zuschrift erschien unter der Überschrift „Ein Votum zur Universitätsfrage“ in: Volksstimme. Sozialdemokratisches Organ für Südwestdeutschland (Frankfurt am Main), Nr.  146 vom 26. Juni 1911, S.  1 f. (A). Sie ist in Form eines Schreibens an Max Quarck

Zitat: S.  141, sowie die Mitteilung vom 15. März 1911 an Marianne Weber (ebd., S.  144): „Heute also: Dr Quarck (Frankfurt)“. 7  Redaktionelle Bemerkung, unten, S.  297, textkritische Anm.  i. 8  Bücher, Karl, Ein Votum zur Universitätsfrage, in: Frankfurter Zeitung, Nr.  111 vom 22. April 1911, 1. Mo.Bl., S.  1 (Teil I); Nr.  112 vom 23. April 1911, 1. Mo.Bl., S.  1 (Teil II). Im ersten Teil seines Artikels bestreitet er generell die Überfüllung der deutschen Universitäten und die Notwendigkeit einer Universitätsgründung in Frankfurt. Er befürwortete dagegen den Ausbau einiger weniger Massenuniversitäten. Mit der strikten Ablehnung des Überfüllungsargumentes stellte sich Bücher gegen die Ergebnisse der Habilitationsschrift von Eulenburg, Frequenz, S.  306 f., obwohl er einzelne Aspekte dieser Studie in sein Votum einfließen ließ. Im zweiten Teil kritisierte Bücher die Frankfurter Gründungspläne. Es sei keine freie Universität geplant, das Recht der korporativen Selbstverwaltung und Selbstergänzung sei in noch geringerem Maße als an den preußischen Universitäten gegeben, die Finanzierung für eine große Universität sei nicht ausreichend gesichert, die Großstadt Frankfurt werde sich nur eine kleine Universität leisten können, die umliegenden alten Universitäten würden in ihrer Frequenz geschädigt werden. Bücher schlug vor, Frankfurt solle sich der Gründung von Forschungsinstituten oder einer „politischen Hochschule“ nach amerikanischem Vorbild für die Ausbildung von Verwaltungsbeamten zuwenden. 9  Vgl. dazu Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nord­ ameri­ kanischen Hochschulen, unten, S.   394–410, sowie die im Anschluß an die Presse­berichterstattung, unten, S.  788–806, erfolgte öffentliche Auseinandersetzung, unten, S.  298–393.

Editorischer Bericht

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abgefaßt, beginnt mit „Sehr geehrter Herr Doktor!“ und endet mit „Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst Prof. Max Weber“ sowie dem Zusatz „Heidelberg, 24. Juni 1911“. Eine Vor- und eine Nachbemerkung setzte die Redaktion hinzu.10 Auch der Titel dürfte auf die Redaktion zurückgehen, so daß er hier übernommen, aber in eckige Klammern gestellt wird. Am folgenden Tag erschien unter der Überschrift „Die Universität“ ein redaktionell gekürzter und passagenweise in indirekter Rede zusammen­ gefaßter Teilnachdruck in: Frankfurter Zeitung, Nr.  176 vom 27. Juni 1911, 3. Mo.Bl., S.  2, Rubrik „Frankfurter Angelegenheiten“. Da es sich um einen offenbar von Weber nicht bearbeiteten und autorisierten Teilnachdruck handelt,11 wird er von der Edition nicht berücksichtigt. Editionsgrundlage ist der Text in der Volksstimme (A).

10  Vgl. unten, S.  290, textkritische Anm.  a, und S.  297, textkritische Anm.  i. 11  Vgl. die redaktionelle Vorbemerkung: „Die Minderheit der Stadtverordnetenkommission, welche die Universitätsvorlage veröffentlichte, hatte sich, wie die ‚Volksstimme’ mitteilt, zur Überprüfung ihres Standpunkts an Prof. Max Weber in Heidelberg gewandt. Die Antwort liegt jetzt vor. Prof. Weber sagt u. a. […]“, Frankfurter Zeitung, Nr.  176 vom 27. Juni 1911, 3. Mo.Bl., S.  2.

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Esa ist ja unmöglich, auf einen so nachdrücklich an die persönliche Ehre sich wendenden Appell,1 wie den Ihrigen, nicht zu antworten, – und zwar natürlich mit der Ermächtigung, davon jeden beliebigen Gebrauch zu machen, – obwohl ich weder gerade mich für in erster Linie zur Aussprache über diese Probleme berufen halte, noch auch den geringsten Erfolg von einer Äußerung gerade meinerseits 2

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a  In A geht voraus: Als die Minderheit der Stadtverordnetenkommission zur Beratung der Frankfurter Universitätsfrage von der Mehrheit in der bekannten Weise vergewaltigt worden war, beschloß sie, sich zur Überprüfung ihres Standpunktes an einen geistig hochstehenden Mann der jüngeren deutschen Professorenschule zu wenden. Ihre Wahl fiel auf Professor Dr. Max Weber–Heidelberg, dessen unerschrockenes und sachkundiges Urteil über die sozialen Zustände der deutschen Gegenwart bis in die Reihen der Frankfurter bürgerlichen Demokratie hinein oft lebhafte Zustimmung gefunden hatte. Ihm wurden durch Genossen Quarck alle auf die Frankfurter Universität bezüglichen Schriftstücke einschließlich der Minderheitserklärung2 mit der Bitte um ein Votum unterbreitet, wie es Geh. Rat Prof. Dr. Bücher in der „Frankf[urter] Z[ei]t[un]g“ vor Beginn der Kommissionsberatungen ab[ge]geben hatte. 3 Die Antwort bestand in folgendem, dankenswerten Schreiben: Sehr geehrter Herr Doktor! 1  Vgl. dazu den Editorischen Bericht, oben, S.  287–289, und die redaktionelle Vorbemerkung, textkritische Anm.  a. 2  Welche Schriftstücke Weber für seine Stellungnahme vorlagen, läßt sich nur vermuten. Die Originale sind nicht überliefert, doch kann man aus seinen Argumenten schließen, daß ihm einige von den bei Wachsmuth, Richard, Die Gründung der Universität Frankfurt. – Frankfurt a. M.: Englert und Schlosser 1929, S.  113–257 (hinfort: Wachsmuth, Universität Frankfurt), abgedruckten Dokumenten vorlagen, so z. B. der Bericht des Dozenten-Kollegiums der Akademie an den Großen Rat betr. Mehrkosten vom 11. Februar 1910, die Denkschrift über die Begründung einer Stiftungs-Universität in Frankfurt a. M. vom Februar 1911 (ebd., S.  171–191), Vortrag des Magistrats an die Stadtverordneten-Versammlung, Begründung einer Stiftungs-Universität betreffend vom 23. März 1911 (ebd., S.  192–198) und der Bericht des Sonder-Ausschusses: Begründung einer Stiftungs-Universität betr. vom 14. Juni 1911 (ebd., S.  198–214). Auch könnte ihm ein Antrag der Minderheit des Dozentenkollegiums vorgelegen haben, die für Lehrfreiheit eintrat. Laut Bericht des Sonder-Ausschusses sollte unter Bezugnahme auf den Vertrag der Carl-Zeiss-Stiftung mit der Universität Jena folgende Bestimmung aufgenommen werden: „Die Stadt, die beteiligten Stiftungen und Gesellschaften werden Leistungen für die Universität nur solange übernehmen und fortsetzen, als die Zulassung und das Verbleiben im Lehramte nicht von den religiösen, wissenschaftlichen und politischen Überzeugungen des Lehrers abhängig gemacht wird, sowie als die Dozenten volle Lehrfreiheit genießen und in der Ausübung staatsbürgerlicher und persönlicher Rechte nicht beschränkt werden.“ (Ebd., S.  201). 3  Zu Büchers Stellungnahme in der FZ am 22. und 23. April 1911 vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  288 mit Anm.  8.

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versprechen kann, und obwohl endlich eine solche gerade für mich auch eine einigermaßen heikle Sache ist. Sie könnte leicht im Sinn jener so trübseligen „Konkurrenzfurcht“ vor Nachbaruniversitäten gedeutet werden, wie sie ja leider anderweit hervorgetreten ist.4 Und sie setzt sich vermutlich in Widerspruch mit der Ansicht hochgeschätzter Kollegen, – der jetzigen Lehrer an der Frankfurter Akademie –,5 welche ja schließlich als die in erster Linie Betroffenen und Interessierten den Anspruch darauf hätten, daß auch ihre Auffassung mit in erster Linie Beachtung finde, an der öffentlichen Geltendmachung dieser jedoch durch Gründe der Delikatesse immerhin stark behindert sind. Unter den Gründen, welche die Entwicklung zu einer „Universität“ des üblichen Schemas mit fast unwiderstehlicher Stärke begünstigen, ist aber einer der eindruckvollsten wohl gerade der: daß die gegenwärtige „Akademie“6 in der Art der Gestaltung ihres Lehrbetriebs, nach Inhalt und Methode, bereits so stark dem Lehrbetrieb der offiziellen Universitäten angenähert, im Wesentlichen geradezu mit ihnen identisch ist, daß das Erstreben der vollen „Gleichberechtigung“ in bezug auf die Examina, ganz unvermeidlich stets von neuem sich einstellen wird 4 1910 protestierten Marburger Studenten vor dem Marburger Rathaus gegen die Errichtung der Frankfurter „Großstadt-Universität“. Der Marburger Oberbürgermeister brachte im Kommunallandtag, der Volksvertretung der preußischen Provinz HessenNassau, eine Resolution gegen die Universitätsgründung in Frankfurt ein. Im Großherzogtum Hessen schloß sich die Universität Gießen den Protesten an. Vgl. Kluke, Stiftungsuniversität (wie oben, S.  287, Anm.  1), S.  72 f. 5  Das Dozenten-Kollegium der Akademie hatte unter Ausschluß der Öffentlichkeit bereits am 26. November 1909 Adickes’ Pläne zu einer Universitätsgründung erörtert. Nur drei Professoren, der Nationalökonom Ludwig Pohle, der Lehrstuhlinhaber für Volkswirtschaftslehre und Finanzwesen Andreas Voigt sowie der Betriebswissenschaftler Richard Lambert, hatten sich gegen eine Universitätsgründung ausgesprochen. Die drei wurden mit 11 Stimmen in die Minderheit verwiesen (ebd., S.  63), so daß es im „Bericht des Dozenten-Kollegiums der Akademie an den Großen Rat betr. Mehrkosten“ vom 15. Februar 1910 hieß, die Professoren begrüßten den Plan einer staatlich genehmigten Stiftungsuniversität. Vgl. Wachsmuth, Universität Frankfurt (wie oben, S.  290, Anm.  2), S.  169. 6  Gemeint ist das 1891 in Frankfurt von Wilhelm Merton, dem Gründer der Metallgesellschaft AG, und dem Frankfurter Oberbürgermeister Franz Adickes gegründete „Institut für Gemeinwohl“, das 1901 zu einer vom preußischen Staat anerkannten „Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften“ erweitert wurde. Die Akademie sollte frei von jeder bürokratischen öffentlichen Aufsicht bleiben und ihre Lehrinhalte selbst bestimmen. In den ersten fünf Jahren ihres Bestehens nahm die Akademie zunehmend Universitätscharakter an. Vgl. Kluke, Stiftungsuniversität (wie oben, S.  287, Anm.  1), S.  60.

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und muß.7 Und da, an sich, – wenn man nämlich einmal die allgemeinen Bedenken gegen den jetzt bestehenden Universitätstypus bei Seite lassen würde, – angesichts der Überfüllung der schon bestehenden Universitäten durch die zunehmenden Studentenzahlen8 eine Vermehrung derselben durchaus am Platze wäre, so ist naturgemäß der Versuch einer Opposition, welche lediglich behauptet: daß gerade Frankfurt dafür nicht in Frage zu kommen habe, in einer schwierigen Lage. Man kann es vom Standpunkt der Wissenschaft aus vielleicht bedauern, daß die großen Mittel, welche hier zum ersten Mal in Deutschland zu solchen Zwecken zur Verfügung gestellt werden,9 nicht wenigstens teilweise reinen Forschungszwecken zugeführt worden sind, da die gewiß nützliche Verbindung von Forschung und Lehre durch die staatlichen Universitäten genugsam vertreten ist, die üblichen „Akademien“ aber wesentlich Subventions- und dabei Notabilitäten-Institute ohne eigenen Arbeitsbetrieb sind.10 Aber das ist nun einmal nicht geschehen und

7  Nachdem 1903 ein Lehrstuhl für Romanistik errichtet worden war, wurde 1906 ein zweisemestriges Studium der Romanistik an der Akademie für das Staatsexamen für das höhere Lehramt anerkannt. Seit 1909 gab es Bestrebungen, auch das Studium der Naturwissenschaften (Chemie, Physik) für das Staatsexamen anerkennen zu lassen. Vgl. Kluke, ebd., S.  59, und Wachsmuth, Universität Frankfurt (wie oben, S.  290, Anm.  2), S.  50 und 57. 8  Die Zahl der immatrikulierten Studenten an preußischen Universitäten hatte sich in der Zeit vom Wintersemester 1880/81 bis zum Wintersemester 1907/08 von 11.005 auf 22.576 erhöht. Vgl. Wachsmuth, ebd., Anlage 27, S.  181. In dieser Zeit wurde nur eine Universität, die Universität Münster, gegründet. An der Frankfurter Akademie waren aus den 36 Studenten des Eröffnungsjahres 1901 im Winterhalbjahr 1906/07 schon über 1.000 geworden. Vgl. Kluke, Stiftungsuniversität (wie oben, S.  287, Anm.  1), S.  60. Dieser Frequenzanstieg wurde auch, in geringerem Maße, reichsweit beobachtet. Vgl. Eulenburg, Frequenz, S.  306 f. 9  In Frankfurt wurden wissenschaftliche Einrichtungen von Stiftungen mit bedeutenden Mitteln unterstützt. So wurde die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften von der Georg und Franziska Speyer-Stiftung (1 Million Mark) und der Dr. LuciusMeister-Stiftung (500.000 Mark) gefördert. 2 Millionen Mark standen aus dem Nachlaß der Brüder Friedrich Martin August und Karl Franz Jügel für eine Carl Christian Jügel’sche Stiftung bereit, die einer akademischen Unterrichtsanstalt für Geschichte, Philosophie, deutsche Sprache und Literatur zugute kam, welche ihrerseits eng mit der Akademie verbunden wurde. Mit der Eugen Tornow’sche-Stiftung (475.000 Mark) und der Dr. Arthur v. Weinberg-Stiftung (300.000 Mark) wurden neue mathematischnaturwissenschaftliche Lehrstühle eingerichtet. Vgl. Denkschrift über die Begründung einer Stiftungs-Universität in Frankfurt a. M. vom Februar 1911, in: Wachsmuth, Universität Frankfurt (wie oben, S.  290, Anm.  2), S.  174 f. 10  Gemeint sind die Akademien der Wissenschaften.

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wird jetzt schwerlich (oder vielmehr: sicher nicht) nachträglich geschehen können. Der Protest gegen die Verstaatlichung muß sich, soweit er sich auf die besonderen Voraussetzungen und Bedingungen des hier vorgelegten Planes11 gründet, in ersterb Linie gegen die, trotz aller Großartigkeit der privaten Stiftungen, unzulänglichen, genauer gesagt: wohl für eine kleine „Provinzialuniversität“, nicht aber für ein Institut, welches – wie die Vorlage des Magistrats behauptet hatte12 – mit den großen Großstadt-Universitäten um Zuhörer konkurrieren soll, zulänglichen Mittel richten. Daneben fallen namentlich jene Veränderungen in der Stellung der Krankenhäuser, sowohl ihres Personals, wie ihres Materials, ins Gewicht, über deren Bedenklichkeit der Mehrheitsbericht13 in der Tat wohl allzu leicht hinweggegangen ist, und gegen die es im Fall der Umwandlung in Universitäts-Institute kein sicheres Mittel gibt. Aber weit schwerer als all dies muß für jede die heutige preußische Bureaukratie nicht schlechthin bejahende Partei die Frage ins Gewicht fallen: ob es erwünscht ist, ein Institut, welches doch immerhin freiem Bürgersinn seine Entstehung und Entwicklung verdankt, und auch in seiner bisherigen Situation höchst achtungswerte pädagogische Arbeit geleistet hat, der Beherrschung durch das preußische Unterrichts-Ministerium auszuliefern, solangec dessen Eigenart und durch eine fast 40jährige Tradition14 geschaffene Praxis so bleiben, wie sie heute sind. Ich bemerke ausdrücklich, daß b A: ersten  c A: so lange 11  Gemeint ist der Plan einer zu gründenden, staatlich genehmigten Universität, der nach dem Tod von Franziska Speyer am 11. Dezember 1909 vom Vorstand der Speyer’schen Studienstiftung beschlossen und an den Großen Rat der Akademie, dessen Vorsitzender Adickes war, zur Beratung weitergegeben wurde. Vgl. Denkschrift über die Begründung einer Stiftungs-Universität in Frankfurt a. M. vom Februar 1911, in: Wachsmuth, Universität Frankfurt (wie oben, S.  290, Anm.  2), S.  171–191, Kluke, Stiftungsuniversität (wie oben, S.  287, Anm.  1), S.  62 ff. 12  Weber bezieht sich auf die vom Frankfurter Oberbürgermeister Adickes verfaßte „Denkschrift über die Begründung einer Stiftungs-Universität in Frankfurt a. M. vom Februar 1911“, in: Wachsmuth, Universität Frankfurt (wie oben, S.   290, Anm.   2), S.  171–191. Die dringend erwünschte Entlastung der drei großen Universitätsstädte Berlin, Leipzig, München könne nur von einer „Universität erwartet werden, die selbst jene Anregungen bietet, die mit anderen Worten selbst Großstadt ist.“ Ebd., S.  182. 13  Gemeint ist: Bericht des Sonder-Ausschusses der Stadtverordnetenversammlung: Begründung einer Stiftungs-Universität betr., in: Wachsmuth, ebd., S.  198–213. 14  Vermutlich Anspielung auf den „Kulturkampf“ Anfang der 1870er Jahre in Preußen.

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hier nicht etwa Vorwürfe gegen konkrete Persönlichkeiten erhoben werden sollen: die Beamten jenes Ministeriums sind sicherlich nicht „schlechter“ und nicht „besser“, als andere Menschen unter ähnlichen Bedingungen es auch wären. Sie sind einfach Knechte eines Systems, welches nicht sie geschaffen haben, welches wenigstens manche von ihnen vielleicht gern ändern würden, wenn das in ihrer Macht läge. Dieses System ist aber gesetzlich durch die „Lex Arons“15 in derjenigen Interpretation, welche die höchste Disziplinar-Instanz ihr gegeben hat, festgelegt, und schlechterdings keine Art der Gestaltung des Vorschlagsverfahrens kann hindern, daß diese Interpretation sich auch auf die Frankfurter Dozenten erstrecken wird. Selbst die Klausel in dem Vertrage der Zeiß-Stiftung mit den Behörden,16 welche eigens zum Ausschluß eben dieser Interpretation der „Amtspflichten“ der Dozenten von Abbe eingefügt wurde, garantiert nur die Meinungsfreiheit der schon in Jena angestellten bezw. zum Lehren zugelassenen Dozenten, hindert aber nicht, daß bei der Frage der Berufung von auswärts und der Habilitation die gehässigste politische Gesinnungsschnüffelei stattfinden darf. Es ist durchaus zuzugeben, daß politische, sozialpolitische, ökonomische Interessenten unter jeder Art von Universitätsverfassung und in jedem Lande irgendwie die Mittel finden können, gelegentlich und hinter den Kulissen die rein sachlichwissenschaftliche Auslese der akademischen Lehrer zu trüben, und daß es keine politische Partei oder andere soziale Gruppe gibt, der die Versuchung dazu nicht gelegentlich nahe läge, auch wohl keine,

15  Die sog. Lex Arons vom 17. Juni 1898 unterwarf Privatdozenten, die nicht als Beamte galten, der disziplinarischen Bestrafung nach dem preußischen Disziplinargesetz vom 21. Juli 1852. Auf der Grundlage dieses Gesetzes leitete der preußische Kultusminister Robert Bosse am 13. April 1899 das Dienststrafverfahren gegen den Sozialdemokraten und Berliner Privatdozenten der Physik, Leo Arons, ein, als dessen Ergebnis, gegen das Votum der Fakultät, Arons die Venia legendi entzogen wurde. 16  In dem „Bericht des Sonder-Ausschusses: Begründung einer Stiftungsuniversität betr.“ wurde auf das Verhältnis der Carl-Zeiss-Stiftung zur Universität Jena hingewiesen. Vgl. Wachsmuth, Universität Frankfurt (wie oben, S.  290, Anm.  2), S.  201. Ernst Abbe, der Begründer der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena, bestimmte in einem „Ergänzungsstatut“ vom 24. Februar 1900, daß die Dotation von Lehrstühlen und andere Leistungen für die Universität Jena von der Stiftung nur übernommen würden, wenn die Dozenten volle Lehrfreiheit genössen und in der Ausübung der allgemeinen staatsbürgerlichen Rechte nicht eingeschränkt seien. Vgl. dazu Weber, Die sogenannte Lehrfreiheit, oben, S.  112, Anm.  5, und den Kommentar in MWG II/5, S.  90, Anm.  2.

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die ihr nicht gelegentlich unterlegen wäre. Zweifellos ist dies z. B. gelegentlich auch in Amerika geschehen. Die Bemerkung über die „Herrschaft des Dollars“ an den amerikanischen Hochschulen, welche in Frankfurt in letzter Zeit einmal gefallen ist, ist jedoch, wie nachdrücklich bemerkt sei, eine in höchstem Grade leichtfertige, zumal mit unserem „Balken im Auge“.17 So gewiß auch in England, Frankreich, Skandinavien, der Schweiz und selbst in Italien in diesem Punkt: Unabhängigkeit der Zulassung zum Lehramt von anderen als rein wissenschaftlichen Qualifikationsmerkmalen – gelegentlich „mit Wasser gekocht“ wird, – es gibt keinen „Kulturstaat“, welcher sich in dieser Hinsicht mit der feststehenden Praxis des derzeitigen Preußen irgendwie noch so entfernt vergleichen ließe. Denn vor allem ist das, was dort von unabhängigen Gelehrten als ein gelegentlicher und schnöder Mißbrauch empfunden wird, in Preußen offizielle Doktrin. Dazu tritt nun aber noch der Gesamthabitus des preußischen Unterrichtsministeriums in der Auffassung seiner Aufgaben gegenüber den Universitätsdozenten. Ganz gewiß sind auch die heutigen Fakultäten und würden auch irgendwelche anders zusammengesetzte Fakultäten fehlbar und daher einer kontrollierenden und korrigierenden Instanz bedürftig sein. Aber die heutige preußische Unterrichtsbureaukratie ist gerade hierfür die am allerwenigsten geeignete Behörde. Keine noch so bedeutenden Erfolge, welche speziell (wie unbedingt anzuerkennen ist) der verstorbene Ministerialdirektor Althoff18 z. B. auf dem Gebiet der Beschaffung von Unterrichtsmitteln und vielem anderen erzielt hat, vermögen über den korrumpierendend Einfluß – ein anderes Wort gibt es nicht – hinwegzutäuschen, welchen sein an dieser Stelle nicht näher zu analysierendes System der Menschenbehandlung19 auf den akademischen Nachwuchs ausgeübt hat. Es ist in dieser Hinsicht seither nicht besser, sondern – da seine immerhin sehr bedeutende Persönlichkeit fortgefallen ist – wesentlich schlimd A: koprumpierenden 17  Zitat nach Mt. 7,3: „Was siehest du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?“ 18  Friedrich Althoff war am 20. Oktober 1908 verstorben. 19 Gegen das „System Althoff“ richteten sich die Angriffe Max Webers auf dem IV. Deutschen Hochschullehrertag 1911 in Dresden, vgl. Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen, unten, S.  394–410, und die Berichterstattung in der Presse darüber, unten, S.  788–806.

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mer geworden. Der sog. Fall Bernhard20 z. B.,  mit all seinen widerlichen Erscheinungen, kommt fast ausschließlich auf das Konto der Unterrichtsbureaukratie. Er begann mit einem Rechtsbruch und mit der, nach akademischer Standessitte, unanständigen Zumutung einer ehrenwörtlichen Schweigepflicht, fand dann seine Fort­setzung in einer vom Ministerium mit herbeigeführten Friedensstörung, zeitigte weiterhin Erscheinungen, wie die, daß das Ministerium, welches durch Zuweisung von Inseraten offiziöse HochschulOrgane alimentiert,21 Herausgeber von Zeitschriften, welche ihm opponieren, durch Entziehung von Inseraten mürbe zu machen sucht, daß ferner Beamte dieses Ministeriums ausschließlich amtlich ihnen bekannt gewordene Tatsachen, aus dem Zusammenhang gerissen, an einen Teil der Presse gaben und dadurch eine widerliche Kampagne dieser Presse gegen angesehene Gelehrte in Szene setzen halfene und dergleichen mehr – alles zurf Begünstigung eines protegierten Professors.22 Wenn, nach solchen „Leistungen“, der Unterrichtsminister sich gestatten zu dürfen glaubte, eine Stärkung „der Machtstellung“ der Unterrichts-Bureaukratie als Heilmittel in Aussicht zu stellen, so ist dies wohl nur in einem Parlament von der Eigenart des jetzigen preußischen Landtages möglich.23 Unter diesen Umständen muß, scheint mir, für eine unabhängige Partei die Umgestaltung der Organisation[,] und vor allem des „Geistes“, der Unterrichtsbureaukratie an Haupt und Gliederng, die Voraussetzung für die Auslieferung von Instituten, deren Mittel nicht einmal zu einem Bruchteil der Staatshilfe entstammen, an den derzeitigen preußischen Staat sein. Sollte sie aber dennoch erfolgen, so müßte allerdings durch Aufnahme einer, möglichst e A: hilft  f A: zu  g A: Gliedern,   20  Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Der „Fall Bernhard“, oben, S.  75–77. 21  Gemeint sind u. a. die von Paul v. Salvisberg herausgegebenen Hochschul-Nachrichten. Vgl. Weber, Die Lehrfreiheit der Universitäten, oben, S.  125 mit Anm.  4. Auf dem III. Deutschen Hochschullehrertag in Leipzig am 12. und 13. Oktober 1909 machte Karl v. Amira publik, daß v. Salvisberg von den Regierungen „pekuniäre Vorteile“ verschafft wurden. Vgl. Verhandlungen des III. HT, S.  3 f. 22 Anspielung auf Ludwig Bernhard. Vgl. dazu Weber, Der „Fall Bernhard“, oben, S.  75–85. 23  Die Zusammensetzung des preußischen Landtags war durch das Drei-KlassenWahlrecht bestimmt.

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noch schärfer und eindeutiger zu fassenden, Bestimmung, nach Art der von Abbeh in sein Stiftungsstatut eingefügten Klausel[,]24 dafür gesorgt werden, daß jene gehässige politische Interpretation der Lex Arons,25 welche – ohne daß sie formell im Gesetz selbst enthalten wäre – die staatliche Disziplinarbehörde gegen den Protest der Fakultät eingenommen hat, für Frankfurt ausgeschlossen bleibt.i 26

h A: Abbe,  i  In A folgt: Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst Prof. Max Weber. Heidelberg, 24. Juni 1911. sowie die redaktionelle Bemerkung: An Deutlichkeit läßt diese erfreuliche Kundgebung aus den Kreisen süddeutscher Hochschullehrer sicher nichts zu wünschen übrig. Sie unterstreicht mit allem nur wünschenswertem Nachdruck die eminente politische und finanzielle Gefahr, in die sich Frankfurt mit der Hingabe seiner Stiftungsuniversität in die kgl. preußische Verwaltung gegen Kultur und gegen Unterricht begeben würde. Möge sie in den Kreisen, die morgen die Entscheidung zu treffen haben,26 offene Ohren finden! 24  Vgl. dazu oben, S.  294, Anm.  16. 25  Vgl. dazu oben, S.  294, Anm.  15. 26  Die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung tagte am 27. und 29. Juni 1911. An beiden Tagen stand das Thema Stiftungsuniversität auf der Tagesordnung. Vgl. Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main, P 942.

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[Deutscher Hochschullehrertag] [Zuschrift an die Heidelberger Zeitung, 20. Oktober 1911]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Die im folgenden edierte Zuschrift war der erste von zehn Leserbriefen, in denen Max Weber auf Berichte über seinen Diskussionsbeitrag auf dem IV. Deutschen Hochschullehrertag in Dresden am 13. Oktober 1911 reagierte. Die Berichte über seine Ausführungen zu den Handelshochschulen und zum System Althoff erschienen vom 14. bis zum 18. Oktober 1911 in verschiedenen überregionalen Tageszeitungen, so in der Täglichen Rundschau, der Germania und der Vossischen Zeitung, zumeist mit wörtlichen Zitaten.1 Max Weber hatte den Eindruck, daß seine Äußerungen in der Presse nicht zutreffend wiedergegeben worden seien und schickte entsprechende Richtigstellungen an die Zeitungsredaktionen. Eine der Ursachen für die teilweise irreführende Darstellung seiner Position lag offenbar in Webers Vortragsweise begründet. In mündlicher Rede spitzte er die Dinge zu. Er trug in der Debatte keinen ausgearbeiteten Text vor, sondern stützte sich – wie er später mitteilte2 – auf Notizen, die er kurz vor seinem Auftritt niedergeschrieben hatte und an die er sich dann während des Vortrags mehr oder weniger hielt. Später erinnerte er sich nicht mehr genau, was er hinzugefügt oder weggelassen hatte. Der von ihm autorisierte Abdruck seines dann weitgehend geglätteten Redebeitrags erschien erst im folgenden Jahr in den Verhandlungen des IV. Deutschen Hochschullehrertages zu Dresden.3 Die Diskussion bezog sich aber nicht darauf, sondern auf die Presseberichte über Webers Äußerungen während der Tagung. In seiner Zuschrift an die Heidelberger Zeitung, die am 20. Oktober 1911 erschien, bezieht sich Weber auf deren Bericht über den Dresdner Hochschullehrertag, den sie zwei Tage zuvor unter der Überschrift „Hochschul­leh­ rertag und Modernisteneid“ gebracht hatte. Dort heißt es über Webers Bei1  Vgl. die Presseberichte über die Diskussionsbeiträge auf dem IV. Deutschen Hochschullehrertag, unten, S.  788–806. 2  Vgl. Weber, Die Handelshochschulen, unten, S.  331. 3  Vgl. Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen, unten, S.  397–408 (der Hauptbeitrag), und S.  409 f. (die Stellungnahme zu der an ihm geäußerten Kritik).

Editorischer Bericht

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trag: „Bemerkt sei bei dieser Gelegenheit noch, daß eine Äußerung von Prof. Max Weber–Heidelberg auf dem Hochschullehrertag eine beträchtliche Aufregung hervorrief. Prof. Weber geißelte die ‚Protektionswirtschaft’, die an gewissen Universitäten herrsche. Er habe sie, allerdings nicht zu seinem Schaden, am eigenen Leibe erfahren, denn er verdanke seine akademische Carriere zum Teil dem Landtagsmandat seines Vaters. Man lebe an den preuß[ischen] Universitäten in unsauberer Luft. Eine Anzahl von Professoren aus Preußen protestierten gegen diese Behauptung.“4

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der Abdruck der Zuschrift Max Webers folgt dem Text, wie er unter der Überschrift „Deutscher Hochschullehrertag“ in der Heidelberger Zeitung, Nr.  246 vom 20. Oktober 1911, 1. Blatt, S.  1 (A), erschien. Der Zuschrift geht eine redaktionelle Bemerkung voraus, die Max Weber als Autor ausweist. Die Überschrift dürfte von der Redaktion hinzugefügt sein.

4  Vgl. Heidelberger Zeitung, Nr.  244 vom 18. Okt. 1911, S.  1.

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Icha habe das System des verstorbenen Ministerialdirektors Althoff in der Behandlung von Personen angegriffen, indem ich gleichzeitig hervorhob, daß er nicht nur glänzende sachliche Erfolge erzielt, sondern daß auch seine Motive sachlicher, „ressortpatriotischer“ Natur gewesen seien und daß er persönlich, trotz aller rauhen Formen, ein Mensch von großer Herzensgüte gewesen sei.1 Ich fügte hinzu, daß ich persönlich ihm, als Person, gewiß zum größten Dank verpflichtet gewesen sei, daß mir aber die Freude an der ganz auffällig günstigen Behandlung, welche ich von ihm erfahren habe, stark vergällt worden sei durch die Erfahrung, daß das Abgeordnetenmandat meines Vaters damit augenscheinlich in tatsächlicher Verbindung gestanden habe. Denn Herr Althoff erlaubte sich eines Tages, bei der Beratung des Kultusbudgets, auf einem parlamentarischen Abend an meinen Vater, welcher ein Budgetreferat hatte,2 heranzutreten: „er (mein Vater) möge doch dafür sorgen, daß seine Fraktion nicht eine bestimmte neu geforderteb (nationalökonomische)c Professur, wie sie (angeblich) beabsichtige, ablehne. Er möge doch mich (damals war ich Privatdozent in Berlin) einmal fragen, ob ich für diese Ablehnung sei“[.] Diese in jeder Hinsicht äußerst bedenkliche Äußerung veranlaßte meinen Vater, nach Rücksprache mit mir, sein Referat niederzulegen (bezw. nicht wieder zu übernehmen). Die Fassung von Althoffs Bemerkung war – bei aller faktischen Unzweideutigkeit des Sinnes – zu vorsichtig in der Form, um Herrn Althoff zu „stellen“ und gegen ihn amtlich vorzugehen. – Nach dieser (und zahlreichen anderen, nur teilweise angeführten) Erfahrungen, bemerkte ich, hätte ich trotz aller Freundlichkeiten a  In A geht voraus: Herr Prof. Max Weber, hier, schreibt uns zu der vorgestrigen Notiz über seine Äußerung auf dem Hochschullehrertag:   b A: geforderte,  c Schließende Klammer fehlt in A; sinngemäß ergänzt.   1  Max Weber gibt hier seine Ausführungen vom 13. Oktober 1911 wieder, die er beim IV. Deutschen Hochschullehrertag zu Friedrich Althoff und seinem „System“ gemacht hat. Vgl. dazu das offizielle Protokoll, unten, S.  403–405, sowie der Pressebericht, unten, S.  796–799. 2  Max Weber sen., der von 1868–1882 und von 1884–1897 als Abgeordneter dem Preußischen Abgeordnetenhaus angehörte, war von 1893–1897 Mitglied der Budgetkommission. In dieser vertrat er die Referate des Elementarschulwesens, des höheren Schulwesens und der geistigen Angelegenheiten.

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Althoffs, für die ich ihm zu Dank verpflichtet war, das Gefühl gehabt, „in sauberere Luft“ zu kommen,3 als ich die Berufung nach Freiburg angenommen hatte. – Ich füge noch hinzu, daß ich Herrn Althoff s. Z. nicht darüber im Zweifel gelassen habe, daß mir gewisse Seiten seines Verhaltens äußerst unangenehm waren. Da aber ein Privatdozent einem Ministerium selbstredend keinen „Rüffel“ erteilen kann – ich bin übrigens niemals freiwillig mit ihm in persönliche Berührung getreten –, so geschahen diese Mitteilungen auf dem Wege durch den Dekan der juristischen Fakultät in Berlin, an welchen ich mich gewandt hatte.4

3  So im offiziellen Protokoll der Verhandlungen, unten, S.  402, und in der Presseberichterstattung, unten, S.  795. 4  Eine derartige Äußerung Max Webers an den Dekan der Berliner Juristischen Fakultät ist in den Akten des Universitätsarchivs der Humboldt-Universität Berlin nicht zu finden.

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[Über die Rede auf dem Deutschen Hochschullehrertag zu Dresden] [Zuschrift vom 20. Oktober 1911 an die Tägliche Rundschau]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Mit dem im folgenden abgedruckten Leserbrief reagierte Max Weber auf den Bericht über seine Diskussionsbeiträge auf dem IV. Deutschen Hochschullehrertag in Dresden, den die Tägliche Rundschau am 14. Oktober 1911 gebracht hatte.1 Das Berichtete erregte das Mißfallen des badischen Kultusministers Franz Böhm, der denn auch in einem Brief an Max Weber vom 16. Oktober 1911 eine Klarstellung verlangte.2 Weber war der Bericht nach eigenem Bekunden erst am 19. Oktober 1911 zur Kenntnis gekommen.3 Vermutlich machte ihn erst der Brief von Böhm auf den Vorgang aufmerksam. Er verfaßte wohl daraufhin den Leserbrief und sandte eine Durchschrift an Böhm.4 Auch Otto v. Gierke fühlte sich von Passagen in Webers Rede provoziert, die als wörtliche Zitate wiedergegeben waren.5 Das Blatt hatte u. a. Weber folgendermaßen zitiert: „Auch mir hat man seinerzeit zugemutet, einen Revers zu unterschreiben, in dem mir ein geheimer Lehrauftrag angesonnen wurde. Als ich fragte warum, da sagte man mir, der Lehrauftrag müsse geheim bleiben, weil sonst die Professoren Brunner und Gierke gegen meine Ernennung stimmen würden. Es wurde mir also direkt eine Unanständigkeit angesonnen.“6 1  Webers Äußerungen waren im Gesamtbericht über die Verhandlungen des Hochschullehrertages am 13. Oktober 1911 – neben anderen – in direkter Rede wiedergegeben worden. Vgl. Bericht der Täglichen Rundschau vom 14. Okt. 1911, abgedruckt unten, S.  790–803. Neben der Täglichen Rundschau hatten andere große Tageszeitungen Berichte veröffentlicht, vgl. dazu unten, S.  305 mit Anm.  2, sowie unten, S.  790– 804. 2 Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Franz Böhm vom 17. Okt. 1911, in: MWG II/7, S.  285. 3  Vgl. Brief Max Webers an Franz Böhm vom 20. Okt. 1911, MWG II/7, S.  315–318, hier S.  315. 4 Es handelt sich um Fassung A bzw. A1 des nachfolgend edierten Textes, unten, S.  305–316. 5  Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Otto v. Gierke, nach dem 18. Okt. 1911, in: MWG II/7, S.  304. 6  Vgl. Bericht der Täglichen Rundschau vom 14. Okt. 1911, unten, S.  800.

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Zum Teil auf die Vorhaltungen v. Gierkes hin7 korrigierte Weber diesen Passus sowie andere mit Hilfe des folgenden Leserbriefs.

Zur Überlieferung und Edition Die Zuschrift Max Webers ist als siebenseitiges maschinenschriftliches Manuskript in Durchschrift (A) mit Ergänzungen, Korrekturen, Streichungen und Unterstreichungen von seiner Hand sowie seiner eigenhändigen Unterschrift (A1) in der Personalakte Max Weber im Generallandesarchiv Karlsruhe, Rep.  235, No. 2643, Bl. 109–115, überliefert.8 Max Weber sandte die Durchschrift unter dem Datum 20. Oktober 1911 an den badischen Kultusminister Franz Böhm und versah sie mit dem handschriftlichen Zusatz „Copie“ und dem eingeklammerten handschriftlichen Vermerk „Einschreiben! Eilbote bezahlt! Telegraphische Antwort über ungekürzte sofortige Aufnahme in Briefmarken anbei!“.9 Ein Abdruck der Zuschrift erschien unter der Überschrift „Professor Max Weber-Heidelberg über seine Rede auf dem Deutschen Hochschultag [sic!] zu Dresden“ in der Berliner Tageszeitung: Tägliche Rundschau, Nr.  497 vom 22. Oktober 1911, 2. Beilage, Mo.Bl., S.  2 f. (B). Die Redaktion versah die Zuschrift neben der Überschrift auch mit einer kurzen Vorbemerkung.10 Sie veränderte den Text Max Webers, vor allem durch Hervorhebungen einzelner Wörter und Passagen. Weiterhin ist ein Teilabdruck der Zuschrift in: Germania. Zeitung für das deutsche Volk, Berlin, Nr.  246 vom 25. Oktober 1911, 1. Blatt, S.  [3], überliefert. Er steht unter der Überschrift „Vom Hochschullehrertag“ und wird eingeleitet: „Professor Max Weber-Heidelberg erbittet von unserer Loyalität die Aufnahme folgender Berichtigung, die er in der Tägl. Rundschau veröffentlicht“. Es folgen Ausführungen zu Punkt 1 der Zuschrift, entsprechend der Textwiedergabe in der Täglichen Rundschau.11 Dieser Wiederabdruck wird nicht berücksichtigt. Da die Redaktionen Änderungen vornahmen, folgt die Edition dem von Max Weber bearbeiteten Originalmanuskript (A1). Die Abweichungen des Abdrucks in der Täglichen Rundschau (B) sowie des maschinenschriftlichen 7  Vgl. MWG II/7, S.  304. 8  Den gedruckten Artikel schickte Weber als Beilage zu seinem Brief an Franz Böhm vom 25. Okt. 1911, vgl. MWG II/7, S.  321 f., hier S.  321 mit Anm.  1. 9  Offenbar war dieser Vermerk an die Redaktion der Täglichen Rundschau gerichtet, denn diese antwortete am 21. Oktober 1911 telegraphisch „artikel erscheint morgen rippler“. Vgl. Brief Max Webers an Franz Böhm vom 22. Okt. 1911, MWG II/7, S.  319 f., hier S.  319 mit Anm.  1. 10  Vgl. unten, S.  305, textkritische Anm.  c. 11  Vgl. unten, S.  306, Z.  5–23.

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Über die Rede auf dem Deutschen Hochschullehrertag zu Dresden

Manuskripts (A) werden im textkritischen Apparat ausgewiesen. Davon ausgenommen sind Abweichungen in der Art der Numerierung (1. in Fassung A, A1 und 1) in Fassung B) sowie zeitübliche Abweichungen in der Schreibweise (wie z. B. andren/anderen, anderseits/andererseits, Bürokratie/Bureaukratie, Collegen/Kollegen, in bezug/in Bezug, No./Nr., so viel/soviel, sogen./sogenannte, s. Zt./seinerzeit). Die Fassung A1 weist neben der Archivpaginierung die ursprüngliche maschinenschriftliche Paginierung von 2–7 auf. Diese wird als A, A1 (1), A, A1 2 etc. sigliert.

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aHeidelberg,

den 20. Oktober 1911.

Sehr geehrte Redaktion!a 5

bGesternc

gelangteb Ihr Bericht über eine Rede von mir auf dem Hochschullehrertag in No. 483 1. Beilage vom 14. Oktober in meine Hände.1 Der Bericht enthält eine Anzahl Irrtümer, ewelche übrigens, wie ichf höre, ganz ähnlich in den Berichten anderer Zeitungen2 sich finden sollen unde deren Entstehung teils durch offenbareg Hörfehler, teilweise aber dadurch hsich erklärth, daß bei der unvermeidlichen Zusammenziehung des Gesagten Sätze ausgefalleni sind, welche Ihrem Herrn Referenten ganzj begreiflicherweise unerheblich erscheinen konnten, auf die ichk aber das größte Gewicht legen muß, da ohne ihre Wiedergabe lz. B.l einige besonders hervorragende Gelehrte der mBerliner Universitätm 3 in einem Lichte erscheinen würden, welches ich auch nicht deutschend

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a–a  Fehlt in B.   b A: Soeben gelangt   c  In B geht voraus: Herr Professor Max Weber in Heidelberg ersucht uns um Aufnahme folgender Ausführungen zu seiner kürzlich in Dresden gehaltenen und so viel Aufsehen erregenden Rede. Wie der Herr Verfasser in einem Begleitbriefe hervorhebt, handelt es sich um keine „Berichtigung“, sondern um eine eingehende Darlegung der Punkte, in denen Mißverständnisse vorliegen.  d B: Deutschen  e–e  Fehlt in A.   f  In B folgt: inzwischen  g  Fehlt in A.  h A: entstanden sind   i Hervorhebung fehlt in A, B.   j Fehlt in A, B.    k  Hervorhebung fehlt in A, B.   l  Fehlt in A; B: beispielsweise  m–m  In B hervorgehoben. 1  Weber erhielt den Bericht nach eigenem Bekunden am Donnerstag, dem 19. Oktober 1911. Vgl. dazu den Editorischen Bericht, oben, S.  302 mit Anm.  3, sowie zum Abdruck des Berichts der Täglichen Rundschau, unten, S.  788 f. 2  Berichte, zum Teil mit wörtlichen Zitaten Webers, die nicht von ihm autorisiert waren, waren in der Vossischen Zeitung, Nr.  513 vom 14. Oktober 1911, im Berliner Tageblatt, Nr.  524 vom 14. Oktober 1911, in der Germania, Nr.  239 vom 17. Okt. 1911, und in der Heidelberger Zeitung, Nr.  244 vom 18. Okt. 1911, S.  1, erschienen. Vgl. dazu Berichte über die Diskussionsbeiträge, unten, S.  789. 3  Gemeint sind die Berliner Professoren Otto v. Gierke und Heinrich Brunner, die in dem Artikel der Täglichen Rundschau namentlich erwähnt wurden. Vgl. dazu den Editorischen Bericht, oben, S.  302 mit Anm.  6.

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einenn Augenblick unwidersprochen auf ihnen ruhen lassen könnte. Gestatten Sie mir daher, zu den mir wesentlichsten Punkten folgende Bemerkungen oin Ihrem,p in akademischen Kreisen viel gelesenen Blatteo: 1. Es ist in Ihrem Bericht gesagtq: „Als ich von Preußen nach Baden berufen wurde, wurde mir in Baden die ganze Korrespondenz vorgelegt, die Preußen mit dem badischen Ministerium geführt hat, und ich las dort darin, was von Preußenr über mich geschrieben worden war. Der badisches Dezernent fragte mich, wie ich denn von einem Kerl, der solche Briefe über mich geschrieben hat, früher einen Ruf hätte annehmen können.“4 Hier liegt eine einfache Verwechslung tvor. Sowohl das, was ich gesagt habe, wie der Tatbestand verhalten sich genau umgekehrtt. Und zwar folgendermaßen: Eheu meine Berufung nach Baden erfolgte, fand eine Korrespondenz zwischen dem damaligen badischen Dezernenten v, Oberregierungsrat Arnsperger,v 5 und dem damaligenw Geh. Rat Althoffx statt. Der badische Dezernent erkundigte sichy zunächstz danach, ob gewisse Angaben über meine Berliner Einkommensverhältnissea, welche ich der Freiburger Fakultät auf Wunsch gemacht hatte, sich tatsächlich so verhielten. Geh. Rat Althoff legte mir  diese Anfrage vor und knüpfte daran die Frage: Ob ich von einem „Kerl“, welcher in meine Angaben Zweifelb setze, einen Ruf in Ehren annehmen zu können glaube. – Der badische Dezernent führte cein anderes Malc aus, daß die Regierung in Baden wohl in die Lage versetzt werden würde, dem wiederholten Drängen der Freiburger Fakultät,d mich zu berufen, nachzugeben, daß aber die und die erein sachlichene Bedenken (das einzelne führtf ghier wohlg

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n  In B hervorgehoben.  o–o  Fehlt in A.   p  Komma fehlt in B.   q B: als Äußerung von mir wiedergegeben   r  Hervorhebung fehlt in A.   s  Hervorhebung fehlt in A.   t–t B: vor, sicherlich infolge eines Hörfehlers. Der Tatbestand verhält sich genau umgekehrt  u  In B hervorgehoben.  v–v  Fehlt in B.   w  In B folgt: preußischen Dezernenten,   x B: Althoff,  y  A, A1: 〈[??]〉    z B: einmal  a  In B hervorgehoben.  b  In B hervorgehoben.  c A: in einem anderen Falle   d  Komma fehlt in A, A1.  e B: (rein sachlichen)   f B: führte  g  Fehlt in A. 4  Vgl. den Bericht der Täglichen Rundschau vom 14. Okt. 1911, unten, S.  796, dort mit anderen Hervorhebungen. 5 Ludwig Arnsperger, war 1893/94 mit Webers Berufung nach Freiburg befaßt. Zu Webers Berufung im einzelnen vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Franz Böhm, MWG II/7, S.  284 f.

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zu weit) gegenh meine Berufung bestehen könnten, insbesondere die Frage, ob ichi nicht besser täte, in Berlin zu bleiben. Geh. Rat Althoff knüpfte daran die Frage, ob ich von einem j„Menschen“j, der den k„animus non possidendi“k 6 in Bezug auf mich an den Tag lege undl derart mit ihm über mich korrespondiere, eine Berufung annehmen zu könnenm glaube?n Ich hatte im ersten Fall erwidert, daß ich in der Bitteo um amtliche Bestätigung der Angaben eines Privatmannes nicht unbedingtp etwas für mich Beleidigendes finde, im zweiten Falle:q daß rin denr betreffenden sAusführungen, das sie nur denjenigen Bedenken entsprächen, welche tich selbstt der Freiburger Fakultät, als sie mir von ihrer Absicht, mich vorzuschlagen, Kenntnis gab, mitgeteilt hätte,u etwas Beleidigendes sicherv nicht liege, im übrigenw für mich das Vertrauen der Kollegenx, mit denen ich zusammen zu arbeiten hätte, in erster Linie zu stehen yhaben würdey.z Ich habe auf dem Hochschullehrertage nicht diese Einzelheiten, die ich noch vervollständigen könnte, sondern lediglich die Tatsache, daß mir von dem preußischen Dezernentena Briefe, welche sein badischer Kollege über mich an ihn schrieb, im Original bmit jenenc despektierlichen Glossen (und: der Frage: was er ddenn nurd meiner Ansicht nach antwortene solle?)b zur Durchsicht gegeben wurden,f 7 mitgeteilt, um daran zu illustriereng, in welcher Weise die anderen deutschen Universitätsverwaltungen, dieh – wie  auch Ihr Bericht wiedergibt – von Preußen im Wege des bekannten Kartell-

h  In B hervorgehoben.   i  Hervorhebung fehlt in A.   j–j  Anführungszeichen fehlen in A.   k–k  Anführungszeichen fehlen in A; In B hervorgehoben.  l  In B folgt: überhaupt  m B: könne  n  A, B: glaube. In B folgt ein Absatz.   o  In B folgt: an eine Behörde   p  In B hervorgehoben.  q B: Falle erwiderte ich,    r  A, B: die    s B: Ausführungen – zumal   t  In B hervorgehoben.  u A: hatte, ; B: hätte, −   v Fehlt in A, B.   w In B folgt: aber  x Hervorhebung fehlt in A.   y–y B: habe  z  In A folgt: Geh.Rat Althoff erwiderte: ungefähr: wörtlich: Der Mann will ja von mir eine Ablehnung von Ihnen vermittelt haben: Ich werde ihm schreiben, er möge Sie nur berufen. In B folgt: Das Weitere interessiert für die Aufhellung des Mißverständnisses nicht.   a In A folgt: die  b–b Fehlt in A.   c In A1 folgt: 〈mich sehr〉    d  Fehlt in B.   e  Hervorhebung fehlt in B.   f  In B folgt ein Gedankenstrich.  g  Hervorhebung fehlt in A, B.   h A: welche, ; A1, B: die, 6  Lat.: der Wille, nicht zu besitzen. 7  Zu den drei von Ludwig Arnsperger an Friedrich Althoff in der Berufungssache Weber überlieferten Briefen vgl. die Erläuterung zum Brief Max Webers an Franz Böhm vom 17. Okt. 1911, MWG II/7, S.  288, Anm.  5.

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verhältnisses8 sehr stark beeinflußt iworden seien,i und, soviel ich jwisse, noch würden, ihrerseits von Althoff behandelt worden wären. –j Im Schlußpassus Ihres Berichtes ist nunk gesagt:l ich hätte m„hoch und heilig versichert“m, ndiese Dingen durch Briefeo belegen zu können.9 Das war ein Hörfehlerp: Wie mir die Anwesenden bestätigen qmüßten, soweitq sie genau gehörtr habens, habe ich tim Gegenteilt gesagt, daß von einem u„dokumentarischen“u Beweise dieser rein persönlichen Unterredung nur in dem Sinne die Rede sein könne, daß ich den Inhaltv dieser Briefe dem Sinne nach ziemlich genau wiederzugeben in der Lage sei. Ob sich diese wwegen des badischen Herrn Dezernentenw auf Oktavbriefpapier eigenhändig geschriebenen Briefex bei den amtlichen Akten befinden oder von Geh. Rat Althoff als private Korrespondenz behandelt worden sind, kann ich nicht wissen. y(Zu meinem großen Bedauern erfuhr ich (erst jetzt), daß der betreffende frühere badische Dezernent, der nachherz ein andres Amt übernahm, ebenfalls verstorben ist.)y10 2. Der zweitea Punkt betrifft folgenden Satz Ihres Berichtes: „Es ist so weit gekommen, daß infolge der taktlosen und dreisten Art, mit der der Dezernent des Kultusministeriums auf diese persön­lichen Verhältnisseb (von mir zu meinem, damalsc dem Abgeordnetenhause angehörigen Vater) Bezugd nahm, mein Vater i A: wurden  j–j A: weiß, noch werden, ihrerseits von Althoff behandelt wurden. ; B: wisse, noch würden, ihrerseits von Preußen behandelt worden wären. In B folgt ein Absatz.  k  Fehlt in A.   l  A, B: gesagt,  m–m  Anführungszeichen fehlen in A.   n A: diesen Fall   o  In B hervorgehoben.  p  In B hervorgehoben.  q B: müßten (soweit   r A: zugehört  s B: haben)  t–t  Fehlt in B.   u–u Anführungszeichen fehlen in A.   v  In B hervorgehoben.  w–w  Fehlt in A, B.   x  In B folgt: des Herrn Oberregierungsrat Arnsperger  y–y  Fehlt in A.   z B: später  a  In B hervorgehoben.  b B: Verhältnisse“  c  Fehlt in A.   d B: „Bezug 8  Anspielung auf die von dem preußischen Ministerialdirektor Friedrich Althoff initiierte Hochschulreferenten-Konferenz, die erstmals am 25. Juni 1898 in Eisenach zusammentrat. Vgl. dazu Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen, unten, S.  402, Anm.  14. Zur Wiedergabe im Bericht der Täglichen Rundschau vom 14. Okt. 1911 vgl. unten, S.  795. 9  Im Bericht der Täglichen Rundschau vom 14. Okt. 1911, unten, S.  802, war Weber mit der Aussage: „Ich kann alles mit Briefen belegen“, wörtlich zitiert worden. In Webers autorisierter Rede im Protokoll des IV. Hochschullehrertages, unten, S.  394–410, fehlt diese Aussage. 10  Ludwig Arnsperger war bereits am 17. Juli 1907 verstorben. Vgl. dazu auch den Brief Max Webers an Franz Böhm vom 17. Okt. 1911, MWG II/7, S.  288.

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sein eMandat in der Budgetkommissione des Abgeordnetenhausesf niedergelegt hat.“11 Ich bemerke dazu gzur Präzisierungg: Mein Vater hatte ein Referat über Teile des Budgets.12 Nachdem Geh. Rat Althoff bei einem parlamentarischen Abend ihm gegenüber darauf angespielt hatte, daß mein Vater doch über die Erwünschtheit der Bewilligung einer hbestimmten (hier wohl nicht interessierenden)h neu geforderten nationalökonomischeni Professur dochj michk l(damals Privatdozent)l befragen möge, ehe er zuließe, daß die nationalliberale Fraktion diese Professur m(wie sie, angeblich, beabsichtigen)m ablehne, erklärte mir mein Vater nach eingehender Rücksprache und mit meiner lebhaften Zustimmungo, daß er weiterhin diesp Referatq nichtr mehr zu übernehmen sich in der Lage fühle.13 Die Äußerung Althoffs war formells so gefaßt, daß ein direktes Vorgehen tgegen ihnt nicht möglich war,  sachlich ihrem Sinne nach aber unmißverständlich. Ich lege Gewicht darauf, den Vorfall hier etwas ausführlicher wiederzugeben, damit ukeine Zweideutigkeitu bleibt. 3. Ihr Bericht erwähnt folgende Äußerung von mir: „Auch mir hat man seinerzeit zugemutet, einen Reversv14 zu unterschreiben, in dem mir ein geheimer Lehrauftrag angesonnen wurde. Als ich fragte warum, da sagte man mir, der Lehrauftrag müsse geheim bleiben, weil sonst die Professoren Brunnerw und Gierkex gegen e  In B hervorgehoben.  f  A, A1: Angeordnetenhauses  g  Fehlt in A.   h–h Fehlt in A.   i Hervorhebung fehlt in A; B: (nationalökonomischen)  j Fehlt in A.   k Hervorhebung fehlt in A.   l Fehlt in A.   m–m Fehlt in A.   n B: beabsichtigt  o  In B hervorgehoben.  p  A, A1: 〈[??]〉    q  A, A1: 〈[??]〉    r  In B hervorgehoben.  s Fehlt in A.   t In B hervorgehoben.  u–u In B hervorgehoben.   v  In B hervorgehoben.  w  In B hervorgehoben.  x  In B hervorgehoben. 11  Vgl. Bericht der Täglichen Rundschau vom 14. Okt. 1911, unten, S.  799, dort mit anderer Hervorhebung. 12  Vgl. Weber, Deutscher Hochschullehrertag, oben, S.  300, Anm.  2. 13 Einem Bericht der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung, Nr.  256 vom 31. Okt. 1911, S.  2, zufolge, hatte Max Weber sen. sein Referat nicht zurückgegeben: „Der genannte Abgeordnete ist nach zehnjähriger Pause im Januar 1893 wieder in die Budgetkommission eingetreten und hat derselben bis zu seinem Tode im Sommer 1897 angehört. Er hat in dieser ganzen Zeit stets dieselben Referate gehabt, die sich auf das Elementarschulwesen, auf das höhere Schulwesen und die geistigen Angelegenheiten bezogen. Ein Referat über die Universitätsverwaltung hat er, beiläufig bemerkt, niemals gehabt.“ Vgl. Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen, unten, S.  346, Anm.  18. 14  Vgl. dazu Weber, Über das „System Althoff“, unten, S.  320.

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meine Ernennung stimmen würden. Es wurde mir also eine direkte Unanständigkeit angesonnen.“15 yDas ist unvollständig und nicht ganz genau.y Ich hatte in der zDresdener Redez hinzugefügt, daß ich die Unterzeichnung desa Reverses, germanistische Vorlesungen16 neben den lehrauftragsmäßigen halten zu müssenb, abgelehnt und bezüglich der Geheimhaltung cund ihrer Gründe Herrn Althoffc bemerkt hatte, daß die beiden Herrend Brunner und Gierkee in der Fakultät ja bereits fürf meine Ernennung gestimmt hätteng, hobwohl sieh i(und ebenso der Dekan)i durch mich bereits darüber jgenau unterrichtet gewesenj seien, daß ich jene Vorlesungen zu halten beabsichtigek.17 Geh. Rat Althoff erklärte daraufhin: dann erledige sich ja die Sache, und machte sich einige Bleistiftnotizen.l Ich habe den Vorfall in der Verhandlung erwähnt, um zu verdeutlichen, in welcher Art meine so menschenverachtendem Einschätzung selbst unserer bedeutendsten Gelehrten undn der Umstand, daß solche Unterstellungeno einem ihrerp jungen qBerliner Collegen vom Dezernenten für Personalienq vorgetragen wurden, korrumpierendr auf den Charakter des Nachwuchses zu wirken  geeignet swar. Zugleich aber auch, ums zu erläutern, in welcher Weise tz. B.t y–y  Fehlt in A.   z A: Verhandlung  a B: eines  b A: wollen  c–c  Fehlt in A.  d B: Germanisten  e  In A folgt: – von denen ich hier wohl nicht zu bemerken brauche, daß ich sie gegenüber einer so niedrigen Einschätzung einer ausdrücklichen Inschutznahme für nicht bedürftig halte,   f  Hervorhebung fehlt in A, B.   g Hervorhebung fehlt in A, B.   h A: obwohl sie ; B: obwohl sie   i  Klammern fehlen in A.  j A: genau unterrichtet   k  In B hervorgehoben.  l  In A folgt: Der ganze Vorfall spielte sich ab, nachdem die Fakultät bereits ihre Zustimmung gegeben hatte und Geh.Rat Althoff hatte nicht gesagt: die Herren würden gegen jene Ernennung stimmen, sondern sie würden, wenn er meinen Lehrauftrag auf Germanistik ausgegeben hätte, dagegen gestimmt haben. In B folgt ein Absatz.   m A: die menschenverachtende  n  In B folgt: vollends  o A: Dinge  p  Fehlt in A.   q–q A: Manne, wie ich es damals war,   r Hervorhebung fehlt in A.   s A: war und um zugleich  t  Fehlt in A.   15  Vgl. Bericht der Täglichen Rundschau vom 14. Okt. 1911, unten, S.  800, dort mit anderen Hervorhebungen und einer Abweichung. 16  Weber gebraucht hier die heute veraltete Bezeichnung „Germanist“ für einen Juristen auf dem Gebiet des deutschen und germanischen Rechts. 17  In dem von Weber autorisierten Abdruck seiner Rede erscheint diese von Gierke kritisierte Stelle so: „Man hat mir, als ich Extraordinarius wurde[,] einen geheimen Lehrauftrag angesonnen, und als ich nach dem Grunde fragte, wurde mir gesagt, weil die beiden in Betracht kommenden Ordinarien gegen meine Ernennung zum Extraordinarius stimmen würden.“ Vgl. Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen, unten, S.  407.

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der sogen. uFall Bernhardu18 entstanden ist. Denn vnichts anderesv als der Umstand, daß Prof. Bernhard die, vom kollegialen Standpunkt angesehen, Unanständigkeit der Zumutung von Schweigepflichten bei weinem die Rechte der Universität verletzenden Versprechen der Regierung nicht sofortw erkannt hat, hat xihn in konsequenter Entwicklungx in jene yäußere und innerey Situation gebracht, um welche ihn, bei allem z„Glanz“z dera Stellung, doch sicherlich bkein Kollege beneiden wird. −b cDamit genug.c Sie gestatten mir daber wohld noch zweie Bemerkungen: Es war selbstverständlich nichtf angenehm,g in einer öffentlichenh Versammlung fortwährend ivon mir selbsti reden zu müssen. Allein es liegt auf der Hand, daß ich die zahllosen ähnlichen Erlebnisse Dritterj, welche ich vertraulichk kenne, unter schlechterdings lgar keinenl Umständen und auch auf die Gefahr hin, daß Leute, die mich nicht kennen, mirm nicht glauben, jemals öffentlich oder privatim zur Sprache bringen kann, daß ich auch nicht einmal einen Druck auf sie ausüben könnte,n mir dies zu gestatten. Man könnteo ferner fragen: Warum ich denn diese Dinge nicht zu Althoffs Lebzeitenp zur Sprache gebracht habe? Hierauf bemerke ich: Als das bekannte q„Althoff-Diner“q19 veranstaltet

u  In B hervorgehoben.  v  Hervorhebung fehlt in A.   w–w A: geheimen Versprechungen nicht   x–x B: ihn, in konsequenter Entwicklung,  y  Fehlt in A.   z–z Anführungszeichen fehlen in A, B.   a  In A, B folgt: äußeren  b A: kein Kollege beneiden wird. ; B: kein Kollege beneiden wird.  c  Fehlt in A.   d  Fehlt in A.   e In B hervorgehoben.  f Hervorhebung fehlt in A, B.   g Komma fehlt in A, A1.   h  In B hervorgehoben.  i A: von mir selbst ; B: von mir selbst   j  In B hervorgehoben.  k  In B hervorgehoben.  l  Hervorhebung fehlt in A.   m Hervorhebung fehlt in A.   n A: kann  o A: kann  p  In B hervorgehoben.  q A: AlthoffDiner ; B: „Althoff-Diner“ 18  Vgl. dazu dem Editorischen Bericht zu Weber, Der „Fall Bernhard“, oben, S.  75–77. 19  Am 5. Januar 1902 luden führende Berliner Professoren, u. a. Gustav Schmoller, Adolf Harnack und Hans Delbrück, zu einer Solidaritätsveranstaltung in Form eines Festessens für Friedrich Althoff ein. Auslöser für diese Veranstaltung war der sog. Fall Spahn. Nach der Aufteilung des Lehrstuhls für Mittelalterliche und Neuere Geschichte an der Universität Straßburg in ein katholisches und ein protestantisches Ordinariat war der Bonner katholische Historiker Martin Spahn im Oktober 1901 gegen den Willen der Straßburger Philosophischen Fakultät berufen worden. Diese Berufung löste große Widerstände in der ganzen deutschen Gelehrtenwelt aus, die Theodor Mommsen in einem Aufsatz über die Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft kritisch zusammen­faßte. Der Straßburger Ordinarius für Archäologie, Adolf Michaelis, ver-

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wurde, habe ich mit verschiedenen Kollegen darüber konferiert,20 ob man nicht diese und zahlreiche ähnliche Dinge zur Sprache bringen soller, um dens von Prof. Schmollert als u„unerhört“u bezeichneten Angriff des verstorbenen Prof. Michaelisv auf das Althoffsche System21 w(der ja in einzelnen Punkten fehlgriff, bezüglich der Menschenbehandlung aber nach unserer Überzeugung das Richtige traf),w gegen jene Bemerkung in Schutz zu nehmen (ich bemerke vorsichtshalberx, daß Prof. Michaelisy mir damals persönlich völlig unbekannt war). Wir kamen zu dem Resultat, zdaß trotz allemz Althoff seinen avoraussichtlichen Amtsnachfolgern vorzuziehena seib und daß man deshalb calle solchec Dinge jetzt auf sich beruhen lassen sollte. Wenn ich jetztd mich entschlossen  habe, die von mir s. Zt. öffentlich gegen die Auslieferung der zukünftigen Frankfurtere Hochschule an die preußische Bürokratie erhobenen Bedenken,22 von denen man damals gesagt hat, sie müßten durch Beispiele gestützt werden, durch einige solche aus eigenerf Erfahrung zu illustrieren, so ist dafür einerseits der Umstand maßgebend gewesen, daß der preußische Herr Kultusministerg, der dochh erst seit rechti kurzer Zeit in sein Amt eingetreten ist, sich dennochj berechtigt glaubte, kin Breslauk öffentlich r A: soll  s  A, A1, B: dem  t  In B hervorgehoben.  u–u Anführungszeichen fehlen in A.   v  A, A1: Michaeli ; B: Michaelis  w–w A: der Menschenbehandlung, der in einzelnen Punkten fehlgriff, in anderen aber nach unserer Überzeugung das Richtige traf ; B: (der in einzelnen Punkten fehlgriff, in anderen aber nach unserer Überzeugung das richtige traf)   x Fehlt in A.   y A, A1: Michaeli  z B: daß, trotz allem,  a–a  Hervorhebung fehlt in A.   b B: sei,  c A: diese  d Hervorhebung fehlt in A.   e  In B hervorgehoben.  f  In B hervorgehoben.  g  In B hervorgehoben.  h A: ja  i  Fehlt in A; B: recht  j  Fehlt in A.   k  Fehlt in A. schärfte und personalisierte diese Kritik in einem polemischen Artikel, in welchem er heftige Angriffe gegen Friedrich Althoff richtete. Er schrieb u. a.: „Überall treten einem Beispiele und Fälle entgegen von den dabei beliebten Mitteln: Grobheiten, Einschüchterungen, Drohungen, Reverse, die die Freiheit des Berufenen einschränken oder seine Interessen schädigen, Strafprofessuren usw. Von einem gegenseitigen Vertrauen zwischen den Universitäten und der Unterrichtsverwaltung ist kaum mehr die Rede, bürokratische Gewalt ist an die Stelle der einst freien und blühenden Selbstbestimmung getreten.“ Zitiert nach Sachse, Arnold, Friedrich Althoff und sein Werk. – Berlin: E. S. Mittler & Sohn 1928, S.  143. 20  Mit welchen Kollegen sich Max Weber beraten hatte, ist nicht nachgewiesen. 21  Vgl. oben, S.  311, Anm.  19. 22  Max Weber hatte seine Meinung über die Umwandlung der Frankfurter Akademie in eine preußische Universität öffentlich dargelegt und dabei das „System Althoff“ angegriffen. Vgl. Weber, Votum, oben, S.  287–297.

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seinel Bürokratie m, und gar nach dem, was im vorigen Jahre passiert war,m 23 auf Kosten der Universitäten herauszustreichenn.24 Andererseits aber war dafür maßgebend die Art des Vorgehens der preußischen Unterrichtsverwaltung gegen drei hervorragende Berliner Kollegen imo Falle Bernhard.p 25 Es ist qm. W. unwidersprochenq festgestellt, daß Beamte des Unterrichtsministeriums reinem Teil derr Presse ihnen nurs amtlicht bekanntes Material bekannt gegeben haben für einen Preßfeldzug uvon, wie sie wissen mußtenu[,] schnödestervArt gegen jene drei Kollegen. wEs bezweifelt in Berlin xNiemand, den ich kennex, daß diey Herren des Unterrichtsministeriums denz Herrn Prof. Bernhard zu demjenigen Verhalten, welches von dem eingesetzten Schiedsgericht als Wortbruch bezeichnet werden mußte,26 angestifteta oder allermindestens ihn l A: die  m–m Fehlt in A.   n In B hervorgehoben.  o In A folgt: sogen.   p In B folgt ein Absatz.   q–q A: unwidersprochen ; B: (m. W. unwidersprochen)   r–r A: der Scherl’schen ; B: einen Teil der   s  Fehlt in A.   t  Hervorhebung fehlt in A.  u–u Fehlt in A.   v Hervorhebung fehlt in A.   w–w (S.  314) Fehlt in A.  x B: niemand mehr, der die Vorgänge kennt  y Fehlt in B.   z Fehlt in B.  a  In B hervorgehoben. 23  Anspielung auf den „Fall Bernhard“, vgl. dazu unten, Anm.  24 und Anm.  25. 24  Gemeint ist die Rede des preußischen Kultusministers August von Trott zu Solz anläßlich der Hundertjahrfeier der Universität Breslau im August 1911. Der Minister betonte das Recht des Staates, die Freiheit von Forschung und Lehre zu schützen. Deshalb sei dem preußischen Staate die freie Besetzung der Lehrstühle vorbehalten. Daneben bliebe freilich der sachverständige Rat der Fakultäten unentbehrlich. Es handele sich dabei nicht um eine staatliche Machtfrage, sondern um eine Sachfrage im Interesse der Universitäten. Vgl. die Erläuterung zum Brief Max Webers an Franz Böhm vom 17. Okt. 1911, MWG II/7, S.  292 f., Anm.  13. 25  Gemeint sind die drei Berliner Professoren Gustav Schmoller, Adolph Wagner und Max Sering, die bei Bernhards Berufung auf den vierten nationalökonomischen Berliner Lehrstuhl nicht beteiligt wurden (vgl. dazu auch Weber, Der „Fall Bernhard“, oben, S.  75–85). Bernhard genoß die Protektion des Kultusministeriums. In der Spätphase der Affäre 1910/11 forderten die drei den Minister August von Trott zu Solz auf, die Berufung Bernhards rückgängig zu machen. Vgl. vom Bruch, Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung (wie oben S.  80, Anm.  7), S.  132 f. 26  Ludwig Bernhard hatte, um die Erregung nach seiner unerwünschten Berufung im Jahre 1908 zu glätten, intern auf das Recht verzichtet, turnusmäßig die Hauptvorlesung zu halten, die aufgrund der mit ihr verbundenen Kolleggelder als das Privileg der Ordinarien betrachtet wurde. Bernhard blieb jedoch nicht bei seinem Versprechen, sondern kündigte im Einvernehmen mit dem Kultusministerium 1910/11 eine konkurrierende Hauptvorlesung an. Das zur Lösung dieses Konfliktes eingesetzte akademische Schiedsgericht bestand aus einer Fünferkommission (Otto v. Gierke, Adolf v. Harnack, Wilhelm Kahl, Walther Hermann Nernst, Ulrich v. Wilamowitz-Moellendorff). Vgl. vom Bruch, ebd., S.  131, Anm.  292.

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bestärktb haben, – undc daß dann dieselbe Instanzd sich für berufen hielt, in einer Sache, wo sie Partei war, den Richter zu spielen.w Es steht fernere fest, daß die preußische Unterrichtsverwaltung staatlichef Gelder dazu benutzt hat, um durch Bezahlung vong objektiv h, nach der Ansicht Bernhards,h inicht unentbehrlichen Vorlesungsinserateni einerseits,j durch Entziehungk der gleichenl Inserate mandererseits, unabhängige Organe zu züchtigen und Reptile27 zu subventionierenm, welche es als ihre Aufgabe ansahenn, den Professoren, welche obeno unbequem wurden, in den Rücken zu fallen.p Ich habe qtrotzdem ausdrücklichq weder die Personen des Herrn Kultusministersr und seiner Beamten, noch deren berufliche Gewissenhaftigkeit sangreifen zu wollen erklärts, sondern lediglich den Fortbestand eines Systemst, welches in ihren Händen alleu Schwächen und keinev der wauch von mirx anerkanntenw Stärken an sich trägt, die es in den Händen seines genialeny Begründers, des Geh. Rats zAlthoff besaßz. Daß ich auch adiesem Herrna menschlich und beruflich voll gerecht geworden bin, ergibt Ihrb Bericht.  Meine persönliche Ansicht über sein Systemc aber kannte Herr dAlthoff, –d den ich freiwillige niemals aufgesucht fhabe, – genauf, sowohl durch eine direkte Bemerkung von mir gleich bei dem ersten eingehenderen Gespräch, wie durch den Dekan der Berliner juristischen Fakultät, den ich gebeten hatte, ihm das absolut Unmögliche einiger Bemerkungen gvon ihmg (über gleichaltrige

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b B: in diesem Verhalten bestärkt  c  In B hervorgehoben.  d  In B hervorgehoben.  w  (S.  314)–w Fehlt in A.  e In B hervorgehoben.  f Fehlt in A.   g A: unnötiger ; fehlt in B.   h Fehlt in A.   i–i A: nicht unentbehrlicher Vorlesungsinserate ; B: nicht unentbehrlicher Vorlesungsinserate  j In B folgt: und   k  Hervorhebung fehlt in A, B.   l  In B hervorgehoben.  m–m A: an einer Stelle, wo sie am Platze war, andererseits, unabhängige Männer, welche nicht der gleichen Meinung waren wie sie selbst, zu züchtigen und 〈[??]〉 zu subventionieren ; B: andererseits, hier unabhängige Männer, welche nicht der gleichen Meinung waren wie sie selbst, materiell zu züchtigen, Reptile zu subventionieren  n A: ansehen  o Fehlt in A.   p  A, A1: 〈[??]〉    q  Fehlt in A, B.   r A: Kultusminister  s A: angegriffen  t In B hervorgehoben.  u Hervorhebung fehlt in A.   v Hervorhebung fehlt in A.   w–w  Fehlt in A.   x  In B folgt: ausdrücklich  y  In B hervorgehoben.  z–z A: Althoff, wie ich anerkannt habe, gezeitigt hat   a–a B: Herrn Althoff   b In A folgt: eigener  c  Hervorhebung fehlt in A.   d A: Althoff, ; B: Althoff −   e Hervorhebung fehlt in A.   f A: habe, genau ; B: habe − genau  g  Fehlt in A.   27  Kriechtier, fig. Kriecher. Mit den Mitteln aus seinem „Reptilienfonds“ korrumpierte Bismarck Zeitungen.

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Kollegen von mir) und seines ganzen Verhaltens noch wirksamer klar zu machen, als ich es selbst schon zu tun versucht hatte, wie endlich durch einen drittenh, ihm persönlich nahestehenden Herrn.28 Seine fast grotesken Antworten in solchen Fällen – mir persönlich ist er niei direkt zu nahe getreten – habe ich Freunden oft zur Belustigungj erzählt; sie gehören nicht hierher. Man mußte schließlich persönlichk ihn nehmen, wie er war, und ich habe ihm persönlichl beim Abschied sehr warm schriftlich für alle Förderung gedankt,m ohne deshalb sein Systemn verzeihlichero zu finden, welches mir, wie er wußte, unerträglich war. Sein entscheidender Fehler war die prücksichtslose Bekundungp einer absoluten Menschenverachtungq: daß für rderen Entstehungr auch so manches, was innerhalb der Universitäten passiert war, mit verantwortlich gewesen sei, dies habe ich in Dresden sunter lebhafter Zustimmung der Anwesendens betont. Aber ich mußte allerdings zugleich zum Ausdruck bringen: es geht, wie andere, in Universitätssachen genau ebensogutt und heute besseru verwaltete,v Staaten beweisen, wauch ohnew jene xeigentümlich „verschmitzte Tücke“x, welcher so ziemlich jedermann von seiner Seite ausgesetzt war, für welche ich in Dresden ein in Ihrem Bericht nicht erwähntes y(und sachlich gleichgültiges)y Beispiel29 anführte und welche den Charakter des Nachwuchses wahrlich znicht günstigz beeinflussen konnte. Denn – um ein Mißverständnis des Herrn Kollegen Kaufmann30 zu beseih  A, A1, B: Dritten; in B hervorgehoben.   i  Hervorhebung fehlt in A.   j  In B hervorgehoben.  k  Hervorhebung fehlt in A.   l  Hervorhebung fehlt in A.   m B: gedankt –   n In B hervorgehoben.  o A: verzeihlich  p A: rücksichtslose ­Bekundung ; B: rücksichtslose Bekundung   q  In B hervorgehoben.    r A: diese   s–s  Hervorhebung fehlt in A.   t  In B folgt ein Komma.   u  In B folgt ein Komma.  v  Komma fehlt in A, B.   w–w  Hervorhebung fehlt in A.   x A: eigentümliche „verschmitzte Tücke“ ; B: eigentümlich „verschmitzte Tücke“  y–y Klammern fehlen in A, B.   z  In B hervorgehoben. 28  Um wen es sich handelte, ließ sich nicht ermitteln. 29  Ein solches Beispiel ist auch in dem von Weber autorisierten Protokoll seiner Rede nicht enthalten. Vgl. Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen, unten, S.  394–410. 30  Auf dem IV. Deutschen Hochschullehrertag in Dresden hatte der Breslauer Professor Georg Kaufmann Max Weber wegen seiner scharfen Ausdrucksweise Althoff betreffend kritisiert. Er sagte: „Ich muß Protest erheben gegen den Ausdruck, der dem Kollegen Weber entfallen ist, daß in Preußen eine unreine Luft herrsche. In Preußen herrscht eine scharfe Luft, und es herrschen viel kleinliche Dinge, und es ist viel durch Althoff geschehen, was nicht hätte geschehen sollen. Aber das Schlimmste, was von

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tigen – im Verkehr mit den Ministeriena (von diesenb sprach ich cja alleinc) fühlte ich mich allerdings in Baden d„in sauberer Luft“d. eMit vorzüglicher Hochachtung Prof. Max Webere

a  In B hervorgehoben.  b  Hervorhebung fehlt in A.   c–c  Fehlt in A.   d A: in sauberer Luft ; B: „in sauberer Luft“  e  Fehlt in A, B. ihm ausgegangen ist, ist ausgegangen von der Sorge vor dem Ansturm ungeeigneter Persönlichkeiten.“ Vgl. Verhandlungen des IV. HT, S.  80.

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[Über das „System Althoff“] [Zuschrift vom 25. Oktober 1911]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Mit der nachfolgend edierten Zuschrift vom 25. Oktober 1911 reagierte Max Weber auf eine „Notiz der ‚Norddeutschen Allgemeinen Zeitung‘“ vom 24. Oktober,1 die seine Aussagen zum System Althoff beim IV. Deutschen Hochschullehrertag in Dresden „auf ein rein persönliches Gebiet“ gezogen habe.2 In der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung hieß es: „Der Heidelberger Honorarprofessor Herr Dr. Max Weber hat nach von ihm nicht beanstandeten Zeitungsnachrichten es kürzlich in einer öffentlichen Versammlung von Hochschullehrern in Dresden unternommen, das Andenken an den verewigten Ministerialdirektor Exzellenz Althoff durch heftige Angriffe zu trüben. […] Solche Angriffe können die hohen Verdienste Althoffs um die preußischen Universitäten und die ihm über den Tod hinaus in weiten Kreisen gewidmete Verehrung nicht schmälern; sie fallen auf den Angreifenden zurück.“3 Außerdem war in dem Artikel ein Brief Althoffs vom 19. Februar 1894 an den badischen Dezernenten Ludwig Arnsperger Max Weber betreffend abgedruckt.4 Zur „Richtigstellung“ schickte Weber seine Zuschrift nicht nur „an eine Anzahl von Zeitungen“, sondern auch an den badischen Kultusminister Franz Böhm.5 Die Frankfurter Zeitung, die direkt am 24. Oktober über den Artikel in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung berichtet hatte,6 druckte Webers Zuschrift am 27. Oktober 1911 ab,7 während sie in der Vossischen Zeitung

1  Anonym, [ohne Titel], in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung, Nr.  250 vom 24. Okt. 1911, 3. Mo.Bl., S.  2. 2  So Weber in seinem Brief an Franz Böhm vom 25. Okt. 1911, MWG II/7, S.  321 f., Zitat: S.  322. 3  Wie oben, Anm.  1. 4  Zum Wortlaut des Briefes vgl. Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Franz Böhm vom 17. Okt. 1911, MWG II/7, S.  286. 5  Wie oben, Anm.  2. 6  Anonym, [ohne Titel], in: Frankfurter Zeitung, Nr.  295 vom 24. Okt. 1911, 3. Mo.Bl., S.  2. Dieser Artikel wurde in der redaktionellen Vorbemerkung zu Webers Zuschrift erwähnt (vgl. unten, S.  319, textkritische Anm. a zu Fassung B1). 7  Unten, S.  319–324.

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Über das „System Althoff“

einen Tag später erschien.8 Es ist nicht bekannt, ob Max Weber seine Zuschrift direkt an die Norddeutsche Allgemeine Zeitung geschickt hat. Ein Abdruck findet sich dort jedenfalls nicht.

Zur Überlieferung und Edition Max Webers Zuschrift liegt in drei von ihm namentlich gezeichneten Fassungen vor. Die Durchschrift eines vierseitigen maschinenschriftlichen Manuskripts (A) mit handschriftlichen Unterstreichungen, Korrekturen und Ergänzungen von seiner Hand sowie seiner eigenhändigen Unterschrift (A1) befindet sich in der Personalakte Max Weber im Generallandesarchiv Karlsruhe, 235/2643, Bl. 129–132. Es trägt das Datum 25. Oktober 1911 und wurde von ihm mit einem Brief vom selben Tag an den badischen Kultusminister Franz Böhm übersandt.9 Diesen Text schickte Max Weber auch an verschiedene Zeitungen. Zwei Abdrucke der Zuschrift sind überliefert und erschienen unter der Überschrift „Max Weber über das ‚System Althoff’“ in der Frankfurter Zeitung, Nr.  298 vom 27. Oktober 1911, Ab.Bl., S.  2 f. (B1), bzw. unter der Überschrift „Die Reverse des Kultusministeriums“ in der Vossischen Zeitung, Nr.  539 vom 28. Oktober 1911, S.  2 (B2). Da die Redaktionen Änderungen vornahmen, folgt die Edition dem von Max Weber bearbeiteten Originalmanuskript (A1). Die meist nur formalen Abweichungen in der Frankfurter Zeitung (B1) und in der Vossischen Zeitung (B2) sowie die zahlreicheren Abweichungen des maschinenschriftlichen Manuskripts (A) werden im textkritischen Apparat ausgewiesen. Nicht nachgewiesen werden die unterschiedlichen Gliederungszeichen (1., 2. im maschinenschriftlichen Manuskript und der Frankfurter Zeitung, aber 1), 2) in der Vossischen Zeitung) sowie unterschiedliche Schreibweisen (z. B. jahrzehntelang/Jahrzehntelang, z. Zt./zur Zeit, äußerstenfalls/äußersten Falls). Die Seitenzählung läuft unter den Siglen marginal mit. Bei der Fassung A, A1 wurde nicht die Archivzählung, sondern die ursprüngliche maschinenschriftliche Paginierung zugrunde gelegt. Diese setzt mit Seite 2 ein, so daß die Siglierung als A, A1 (1), A, A1 2 etc. erfolgt. Die Fassung A, A1 weist außer der Anrede „Sehr geehrte Redaktion!“ keine eigene Überschrift auf, so daß die Überschriften in den Zeitungsabdrucken von den Redaktionen stammen dürften. Vom Editor wurde in Anlehnung an die Frankfurter Zeitung eine Überschrift gebildet.

8  Unten, S.  319–324. 9  Wie oben, S.  317, Anm.  2.

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[Über das „System Althoff“] aHeidelberg,

den 25. Oktober 1911.a

A, A1 (1) [B1 2] [B2 2]

Sehrb geehrte Redaktion!

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Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“1 sucht meinen Angriff auf das in wichtigen Punkten bei der preußischen Unterrichtsverwaltung noch heute fortbestehende, meines Erachtens kor­ rum­ pierende,c dSystem der Menschenbehandlungd als einen persön­ lichene Angriff gegen den verstorbenen Geh. Rat Althofff hinzustellen und dadurch die Angelegenheit von der Gegenwart in die Vergangenheit und von den Zuständen auf das rein persönliche Gebiet zu spielen. Sie publiziert zu diesem Zweck einen mir, nicht seinem speziellen Inhalt, wohl aber seiner Existenz und seinem Zweckg nach,h bekannt gewesenen Brief des genannten Herrn an den früheren badischen Universitätsdezernenten,2 zu welchem ich, nachdem er nun einmal publiziert ist, folgendes bemerke: a–a  Fehlt in B1; in B2 geht voraus die Überschrift und: Von dem Heidelberger Hochschullehrer Prof. Max Weber erhalten wir folgende Zuschrift, der wir als Antwort gegenüber der „Nordd[eutschen] Allg[emeinen] Z[ei]t[un]g“ loyal Aufnahme gewähren zu müssen glauben:  b  In B1 geht voraus die Überschrift und: Herr Professor Max Weber hat sich, wie bekannt, auf dem Hochschullehrertage in Dresden in ähnlicher Weise wie auch schon früher über Althoff geäußert. Darauf hat sich die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ in einer offiziösen Notiz gegen Professor Weber gewandt; wir haben davon im III. Morgenblatt vom 24. d. M. Mitteilung gemacht. Nun schreibt uns Herr Professor Weber:  c Komma fehlt in A, B1.  d Hervorhebung fehlt in A.    e Hervorhebung fehlt in A.   f In B2 hervorgehoben.  g Hervorhebung fehlt in A.  h  Komma fehlt in A, B1.   1  Gemeint ist der anonym und ohne Titel erschienene Beitrag in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung, Nr.  250 vom 24. Okt. 1911, 3. Mo.Bl., S.  2. 2  Vgl. den Abdruck des Briefes von Friedrich Althoff an den badischen Kulturdezernenten Ludwig Arnsperger vom 19. Febr. 1894, ebd., S.  2: „Sehr geehrter Herr Kollege! Auf ihre gefällige Anfrage vom 10. d. M. erwidere ich ergebenst, daß Herrn Professor Weber bei einer Berufung nach Freiburg die Wahl völlig frei gelassen werden wird, und daß es uns durchaus fern liegt, aus dem Umstande, daß er hier vor kurzem zum Extraordinarius ernannt worden ist, eine Verpflichtung für ihn zur Ablehnung der Berufung herleiten zu wollen. Wenn er selbst im Gegensatze zu N.N. Bedenken trägt, ohne vorheriges Benehmen mit der vorgesetzten Behörde eine Entscheidung zu treffen, so gereicht ihm das gewiß zur Ehre. Um so weniger wird es aber der hiesigen Praxis entsprechen, ihm in seiner freien Entschließung irgendwelche Hindernisse in den Weg zu legen. Herr Professor Weber ist ein in jeder Beziehung vortrefflicher Mann, daß wir

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1. Der Brief enthält den Passus: „umso weniger wird es aber der hiesigen (Berliner) Praxis entsprechen, ihmi (mir) in seiner freien Entschließung irgendwelche Hindernisse in den Weg zu jlegen“3 –,j obwohl die Berliner Praxis wark und ist, neuernannte Dozenten durch Revers zur Ablehnung auswärtiger Berufungen zu verpflichten, lund obwohll nicht allzu lange vorher Geh. Rat Althoff ausdrücklich versucht hatte, mauch michm durch einen ngenau ebensolchenn Revers zu binden.4 Daß dieser Versuch gemacht worden war, muß teilweise aktenkundigo sein, da das Schreiben, welches pjenen p war.5 Die eigenhändige NachVersuch zurücknahm, kanzliert  schrift und meine Briefe, auf welche qdiese letztere Bezug nahmq, dürften vielleicht in den Akten fehlen, ebenso wie eine (vollständige)r Angabe des Inhalts der Unterredung, auf welche in dem Schreiben selbst Bezug genommen wurdes.6 Die tEinzelheiten dieser Vorgänget gehören nicht hierher.  2. Der Brief enthält einige schmeichelhafte Bemerkungen über mich. Ich kann hier nicht in eineu Darlegung der Antezedenzienv und des Zwecks dieses Schreibens näher eingehen und bemerke in dieser Hinsicht nur,w daß Geh. Rat Althoff, wie sich für mich wiederholt ergab, meinena steten nachdrücklichen Erklärungen, daß i A: Ihnen    j A: legen – , B2: legen“,    k A: wahr  l In B1 hervorgehoben.   m A: mich ; B1, B2: auch mich  n–n A: ebensolchen    o B1, B2: „aktenkundig“   p–p A: ihn zurücknahm, kanzliert ; B1, B2: jenes Verlangen zurücknahm, kanzliert   q A: dieser bezugnahm ; A1: dieser letztere bezugnahm  r B2: (vollständige!)   s A: wird    t–t A: zum Teil höchst grotesken Einzelheiten  u A: einen  v A, A1: Antizedenzen ; B2: Antizedentien    w B2: nur:  a  A, A1: meine ; emendiert nach B1.   ihm nur das Beste wünschen und jedenfalls nicht die Verantwortung übernehmen können, seinen eigenen Ansichten über das, was für seine Entwicklung am besten ist, irgendwie vorzugreifen. In vorzüglicher Hochachtung Ihr ganz ergebenster gez. Althoff.“ Vgl. dazu auch die Wiedergabe im Brief von Franz Böhm an Max Weber vom 16. Okt. 1911 in der Editorischen Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Franz Böhm vom 17. Okt. 1911, MWG II/7, S.  286. 3  Vgl. dazu oben, S.  319, Anm.  2. 4  Gemeint ist ein Vorgang anläßlich Webers Berufung zum Extraordinarius an die Universität Berlin im Jahr 1893. Vgl. den Brief Max Webers an Franz Böhm vom 19. Okt. 1911, MWG II/7, S.  306–311. Darin teilt Weber mit, daß er es Friedrich Althoff gegenüber abgelehnt habe, jede Art von Revers zu unterschreiben. Der damals übliche Revers fehlt tatsächlich in den Akten. Vgl. ebd., S.  307, Anm.  10. 5  Das Schreiben Althoffs ist weder in seinem Nachlaß (GStA PK, VI. HA, Nl. Althoff, Nr.  1005) noch in den Ministerialakten (GStA PK, I. HA, Rep.  76) nachgewiesen. 6  Die Nachschrift und die Briefe Max Webers sind nicht nachgewiesen.

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ich mit einer Berufung nach Baden,b – die ja sein Schreiben cnach Lage der Dingec beinahe erzwingend mußte und auch erzwingen wollte,e – keine f„Handelsgeschäfte“ (im Sinne eines von ihm, wie ich voraussah, beabsichtigten Arrangements)f treiben, sondern entweder bedingungslosg bleiben oder bedingungslosh gehen würde, den Glauben ihartnäckig versagti hat. Ich bemerke kaber fernerk, daß ich in der lArt der amtlichen Beurteilung und Behandlungl eines Dozenten, welche doch nicht aus persönlicher Freundlichkeit, sondern aus sachlichenm Gründen der Unterrichtsinteressen zu erfolgen hat, schlechterdings ngar nichtsn erblicke, was den Betreffenden zu persönlichemo Dank verpflichten müsse poder auch nur dürfep. Ebenso rkonntes unmöglich Althoffs persönlichr freundliche Ansicht über meine Person (von der ich in Dresden ausführlich gesagt habe,7 aus welchen tGründen die Art,t wie sieu sich äußerte,v und wdie Motive, durch die sie,x teilweise,y bedingt schien, mich verletzten)w 8 unmöglichz mich dazu verpflichten, sein  Systema günstig zu beurteilen. An diesen beiden Punkten lag, wie Althoff (ich wiederhole das) bgenau wußteb, die Grenze meiner Dankbarkeit. Die Art übrigens, wie c(konservative!)c Gelehrte, wie G[ustav] Schmoller und A[dolph] Wagner, welche beide für die Verklärung der preußischen Königskrone und der preußischen Verwaltung wahrlich mehr geleistet habend als alle Beamte des Kultusministeriums zusammengenommene und fvon denen Schmollerf jahrzehntelang jene Beamten in den schwierigb  Komma fehlt in B2.  c–c  Fehlt in A.   d  Hervorhebung fehlt in A, B1.  e Komma fehlt in B2.  f–f A: Handelsgeschäfte im Sinne eines von ihm beabsichtigten Arrangements ; B1, B2: „Handelsgeschäfte“ im Sinne eines von ihm, wie ich voraussah, beabsichtigten Arrangements    g  In B1, B2 hervorgehoben.   h  In B1, B2 hervorgehoben.  i In B1, B2 hervorgehoben.   k A: noch  l–l A: Befürwortung der Beförderung  m Hervorhebung fehlt in A.   n–n Hervorhebung fehlt in A, B2.   o  Hervorhebung fehlt in A, B1, B2.  p  Hervorhebung fehlt in A.   r–r A: kann Althoffs    s B2: kann  t–t A1: Gründen, die Art, ; A: Gründen die Art ; B1: Gründen die Art,   u  Fehlt in B2.  v  A, A1: äußerte    w–w A: wie sie teilweise bedingt schien,   x  Komma fehlt in B2.  y  Komma fehlt in B2.  z  Fehlt in B1, B2.  a Hervorhebung fehlt in A.   b  In B1 hervorgehoben.   c–c A: konservative  d B2: haben,  e B2: zusammengenommen,  f–f A: welche, wie Schmoller,   7  Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen, unten, S.  394–410, und Berichte über die Diskussionsbeiträge, unten, S.  788–804. 8  Vgl. Weber, Über die Rede auf dem Deutschen Hochschullehrertag, oben, S.  302– 316.

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sten Teilen ihrer Geschäfte in geiner Weise unterstützt hat, daß man fast sagen kann: er hatteh ihnen iden wesentlichsteni Teil ihrer Sorge abgenommen, trotzdemkg von den jetzigen Herren dieses Ministeriums im l„Falle Bernhard“l 9 behandelt worden sind, dürfte hinlänglich zeigen, daß  jedenfalls zu den Eigenschaften der preußischen Unterrichtsverwaltung die „Dankbarkeit“ ganz gewiß nichtm zählt. Es ist eine Unwahrheit n, daß ich das Andenken an Althoff’s,o von mir so starkp wie von irgend jemandemr sonsts öffentlich und privatim tanerkannte Verdienstet oder auch die rein menschlichen Qualitäten, welche er besaß, durch das von mir uwirklich (und nicht nur angeblich) Gesagte „getrübt“u habe. Aber nicht von diesen vnur illustrativ vorgebrachten Dingen ist jetztv zu reden, sondern von dem durch ihn geschaffenen und heute noch fortbestehenden Systemw. Einem System, xwelches, –x mit seinen Reverseny (1. Reversen der Dozenten über alle möglichen und unmöglichen Dinge, keineswegs etwa nur über Nichtannahme von Berufungen, 2. Reversen der Unterrichtsverwaltung, enthaltend Exspektanzena auf den Todesfall von Berliner und anderen Ordinarien u. dergl.),b cSchweigepflichten, friedensstörenden Eingriffenc in kollegiale Beziehungen, dInseratensubvention und Inseratenentziehunged je nach der Gesinnungf, Bekanntgabe amtlichen Materials zum Zweck von Preßkampagnen und all deng Dingen, von denen ich in Wirklichkeit gesprochen hhabe, – darnach strebt,

g–g A: der ausgiebigsten Weise unterstützt, man kann fast sagen, ihnen einen wesentlichen Teil ihrer Sorge abgenommen haben,  h  In B2 folgt: trotzdem  i B2: einen wesentlichen  k  Fehlt in B2.  l–l  Anführungszeichen fehlen in A.    m Hervorhebung fehlt in A.   n Hervorhebung fehlt in A.    o A: Althoff ; B1, B2: Althoffs,  p  A, B2: stark,  r  A, A1, B2: jemanden  s B2: sonst,  t A: anerkannten Verdiensten; A1, B2: anerkannten, Verdiensten  u–u A: wirklich und nicht nur angeblich Gesagte getrübt  v–v A: Dingen war  w Hervorhebung fehlt in A.  x A: welches ; B2: welches –  y  In B2 hervorgehoben.    a A: Expectanzen   b Komma fehlt in A, A1.  c–c In B2 hervorgehoben.   d–d In B2 hervorgehoben.  e A: Inseratenentziehungen  f B2: „Gesinnung“  g  In A folgt: andern   9  Weber bezieht sich auf die von staatlicher Seite unterstützten Presseangriffe gegen die Berliner Professoren Gustav Schmoller, Adolph Wagner und Max Sering in ihrem Konflikt mit Ludwig Bernhard. Vgl. Weber, Über die Rede auf dem Deutschen Hochschullehrertag, oben, S.  313, Anm.  25, sowie den Kommentar zum Brief Max Webers an Franz Böhm vom 22. Okt. 1911, MWG II/7, S.  319 f., Anm.  9.

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unserenh akademischen Nachwuchs allmählich iin eine Art von jakademischen Geschäftsleutenj umzuwandelni, kdagegen Persönlichkeiten, welchek ohne Hintergedanken in diesen Apparat lhineingeraten, in Gewissenskonfliktem bringt oder zu falschen Schritten verleitetl, an deren Konsequenzen sie nachher vielleichtn ihr ganzes akademisches Leben hindurch innerlicho zu tragen haben.  Eine sachliche Unterrichtsverwaltung, pderen Beamte den Gefahren der großen, in ihren Händen liegenden Macht innerlich gewachsen sindp, kann solcher Mittel entbehren und muß sich ihrer enthalten, ganz abgesehen davon, daß,q was man Althoff schließlich doch immer wieder verzieh, darum noch lange nicht andern verziehen werden kann.−r Ich darf Sie schließlich wohl bitten, auch hier wiederholen zu dürfen, daß sin einem großens Teil der Presse über den Inhalt meiner Darlegungen teils fehlerhaft, teils mißverständlich berichtet worden ist, und daß dadurcht z. B. sowohl das badische Ministerium wie zwei hervorragende Berliner Gelehrte10 absolut unbegründeten Verdächtigungen ausgesetzt waren, wie ich dies inzwischen öffentlich an anderem Orte festgestellt habe.u11 Da es schlechthin unmöglich istv zu wissen, wie weit speziell diese Irrtümer in der Presse weitergegeben wurden, ebenso unmöglich aber, der gesamten deutschen Presse Berichtigungen zuzuschicken, so darf ich

h–h  A: habe, geeignet ist, aus unserem ; A1: habe, – darnach strebt, unserem ; B2: habe – darnach strebt, aus unserem    i–i A: eine Kategorie akademischer Geschäftsleute zu machen und ehrliche ; B1: in eine Art von akademischen Geschäftsleuten zu verwandeln; B2: eine Art von akademischen Geschäftsleuten zu machen  j A1: akademischer Geschäftsleute  k–k Fehlt in A; B1, B2: Persönlichkeiten aber, die  l–l A: hineingeratende Persönlichkeiten in Gewissenskonflikte zu bringen oder zu falschen Schritten zu verleiten  m In A1 folgt: zu    n Fehlt in A.   o Fehlt in A, B1, B2.  p–p  Hervorhebung fehlt in B1, B2.  q  Komma fehlt in A.   r Gedankenstrich fehlt in B1, B2.    s A1: ein großer  t  Fehlt in A.   u  In A1 Randbemerkung: Tägl. Rundschau No 497 Bezüglich der Handelshochschule im Berliner Tageblatt vom 2[7]/X Ziffer unleserlich.   v B2: ist,   10  Gemeint sind Otto Gierke und Heinrich Brunner. 11  Gemeint ist: Weber, Über die Rede auf dem Hochschullehrertag, oben, S.  302– 316. Die Zuschrift war in der Täglichen Rundschau, Nr.  497, erschienen, vgl. auch die textkritische Anm.  u.

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wohl hiermit andere Preßorgane bitten, von diesen Bemerkungen12 Notiz nehmen zu wollen. Endlich darf ich bei dieser Gelegenheit vielleicht noch eins aussprechen: Hie und da in der Presse ist von dem besonderen „Mut“w gesprochen worden, den die offene Erörterung solcher Dinge von meiner Seite – mit einem unangenehmen Seitenblick auf meine Kollegen – beweise.13 Sehr mit Unrecht. Meine Kollegen, speziell in Preußen, setzen bei offener Erörterung xsolcher, allseitig bekannten,x Dinge keineswegs nur ihre persönliche Stellung, sondern vielfachy auch die sachlichen Interessen ihrer Institute aufs Spiel, da sie bezüglich der Lehrmittel vielfach auf den guten Willen des Unterrichtsministeriums angewiesen sind. Bei mir ist dies nicht der Fall, da meine, in Erinnerung an frühere Jahre mir wertvolle,a Beziehung zur Universität Heidelberg, welche ich äußerstenfalls aufs Spiel setzeb, leider z. Zt. und für die absehbare Zukunft nur eine formelle sein kann.14 cAuf dden, etwas bequemen,d Standpunkt freilich: „solche Erörterungen enützenf voraussichtlich doche nichts, gdarum sollg man sie lassen“, stelle ich hmich nichti, jedenfalls nicht inh diesen Angelegenheiten. Mit vorzüglicher Hochachtung jProfessor Max Weber.jc

w  In B2 hervorgehoben.   x–x  A, B2: solcher allseitig bekannten  y  Fehlt in B2.   a  Komma fehlt in A, B1, B2.  b B1: setzte  c–c  Fehlt in A.   d B1: den, etwas bequemen ; B2: den etwas bequemen   e–e B2: nützen doch (voraussichtlich)   f B1: nutzen    g B2: daher solle  h–h  Fehlt in A1, weil unterer Blattrand zerstört; hier nach B1.  i  B2: nicht    j  B1: Prof. Max Weber. ; B2: Prof. Max Weber. 12 Gemeint ist: Weber, Die Handelshochschulen. Eine Entgegnung, oben, S.  325– 333. Diese Zuschrift war am 27. Oktober 1911 im Berliner Tageblatt erschienen, vgl. dazu oben, S.  323, textkritische Anm.  u. 13  Auf welche Presseberichte Max Weber hier anspielt, konnte nicht nachgewiesen werden. 14  Aufgrund seiner Krankheit hatte Weber 1903 auf das Ordinariat für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Heidelberg, das er seit 1897 innehatte, verzichtet. Er war fortan nur noch Honorarprofessor ohne Sitz und Stimme in der Fakultät und ohne Verpflichtung, Lehrveranstaltungen abzuhalten.

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[Die Handelshochschulen. Eine Entgegnung] [Zuschrift an das Berliner Tageblatt, 27. Oktober 1911]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Max Webers Bemerkungen über die Handelshochschulen auf dem IV. Deutschen Hochschullehrertag in Dresden1 lösten bei Mitgliedern dieser Einrichtung heftige Proteste aus, die sich in öffentlichen und privaten Stellungnahmen niederschlugen. So äußerten sich im Berliner Tageblatt u. a. zwei Professoren der Berliner Handelshochschule, der Rektor Arthur Binz2 sowie der Jurist Paul Eltzbacher,3 und verwahrten sich gegen die Weber zugeschriebenen Vorwürfe.4 Auf diese Leserbriefe antwortete Weber mit der im folgenden abgedruckten Zuschrift an das Berliner Tageblatt. Durch die auch danach anhaltende Diskussion über seine Äußerungen sah sich Weber veranlaßt, noch einmal seine Ansichten über die Handelshochschulen, in einer Denkschrift, darzulegen. Diese schickte er am 7. November 19115 an die deutschen Handelshochschulen und an das Großherzogliche Ministerium des Kultus und Unterrichts in Karlsruhe.

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Webers Zuschrift erschien unter der Überschrift „Die Handelshochschulen. Eine Entgegnung. Von Professor Dr. Max Weber. Heidelberg, 24. Oktober“ im Berliner Tageblatt, Nr.  548 vom 27. Oktober 1911, Mo.Bl., S.  1 (A). 1  Die Proteste beziehen sich auf das in der Tagespresse Berichtete, u. a. im Berliner Tageblatt vom 14. Okt. 1911, (unten, S.  788–804) und nicht auf das offizielle Verhandlungsprotokoll mit den autorisierten Redebeiträgen, das erst 1912 erschien (unten, S.  394–410). 2  Binz, Arthur, [ohne Titel], in: Berliner Tageblatt, Nr.  530 vom 17. Okt. 1911, Ab.Bl., S.  [3]. 3 Eltzbacher, Paul, Max Weber und die Handelshochschulen, ebd., Nr.  528 vom 16. Okt. 1911, Ab.Bl., S. [4]. 4  Vgl. dazu die Editorische Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Arthur Binz vom 18. Okt. 1911, MWG II/7, S.  297 f. 5  Weber, Denkschrift an die Handelshochschulen, unten, S.  363–377.

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Die Zuschrift wird durch eine redaktionelle Bemerkung eingeleitet.6 Die Überschrift wurde vermutlich von der Redaktion gebildet und wird daher in eckige Klammern gesetzt.

6  Zum Wortlaut vgl. unten, S.  327, textkritische Anm.  a.

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Ohnea sich bei mir zu erkundigen, ob in einer durch einen großen Teil der Blätter gegangenen Notiz1 eine Äußerung von mir betreffend die Handelshochschulen richtig und vollständig wiedergegeben sei, haben zwei Professoren,2 darunter bedauerlicherweise auch der Rektor der Handelshochschule in Berlin[,] gegen mich im „Berliner Tageblatt“ Angriffe erhoben (welche sie, wie ich gern anerkenne, wenigstens die nicht von allen Seiten geübte Loyalität hatten, mir zuzusenden).3 Angesichts der Eile, mit welcher diese Herren die Handelshochschulen sehr „wirksam“ in Schutz genommen hatten, habe ich, nach langer Abwesenheit von hier,4 überbeschäftigt mit zahlreichen unaufschiebbaren Dingen, mich zu besonderer Eile in der öffentlichen Richtigstellung nicht mehr veranlaßt sehen können, zumal nachdem ich beiden Herren mitgeteilt hatte, daß jene Notiz einen unzutreffenden Eindruck des von mir Gesagten erwecke.5 Dies letztere hat seinen Grund im wesentlichen a In A geht voraus: Von Professor Max Weber [Nachdruck verboten.] Heidelberg, 24. Oktober. Die bekannte Rede Professor Dr. Max Webers in Heidelberg ist in drei uns zugegangenen und von uns veröffentlichten Entgegnungen beantwortet worden. Nachdem so zwei Vertreter der Berliner Handelshochschule – der Rektor Professor Dr. Binz und Professor D[r]. Paul Eltzbacher – und ein Vertreter der Leipziger Universität, Professor Dr. Ludwig Beer, sich hier nacheinander zu der Rede geäußert haben, wollen wir noch den nachstehenden Ausführungen Raum geben, die Professor Dr. Max Weber uns sendet. Die Redaktion des „Berliner Tageblatts“. 1  Vgl. Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen. Berichte, darunter der Bericht des Berliner Tageblatts vom 14. Okt. 1911, unten, S.  788–804. 2  Gemeint sind die Zuschriften an das Berliner Tageblatt von Arthur Binz und Paul Eltzbacher vom 16. und 17. Oktober 1911, vgl. dazu den Editorischen Bericht, oben, S.  325 mit Anm.  2 und 3. 3  Max Weber reagierte am 18. Oktober 1911 auf die Zusendung der Zuschriften, vgl. dessen Briefe an Arthur Binz und Paul Eltzbacher vom 18. Okt. 1911, MWG II/7, S.  297 f. bzw. 299 f. Die Briefe von Binz und Eltzbacher an Max Weber sind im Nl. Max Weber nicht nachgewiesen. 4  Am 14. Oktober 1911, als die Meldungen über Webers Rede auf dem IV. Deutschen Hochschullehrertag in der Presse erschienen, fand die zwölf Stunden dauernde Hauptverhandlung im Beleidigungsprozeß Julius Ferdinand Wollf/Otto Bandmann gegen Max Weber vor dem Schöffengericht in Dresden statt. Vgl. Brief an Franz Böhm vom 22. Okt. 1911, MWG II/7, S.  319 f., Anm.  5. Bereits am 17. Oktober korrespondiert Weber wieder von Heidelberg aus, vgl. MWG II/7, S.  284 ff. 5  Weber hatte am 18. Oktober 1911 sowohl an Arthur Binz als auch an Paul Eltzbacher geschrieben (MWG II/7, S.  297 f. bzw. 299 f.).

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darin, daß der Berichterstatter sich, offenbar Raumes halber, genötigt sah, nicht nur mehrere Sätze, sondern Sätze aus zwei ganz verschiedenen Reden von mir in einen einzigen, nur das ihm wesentlich Erscheinende enthaltenden Satz zusammenzuziehen.6 Denn ich hatte mich am Schluß der Verhandlungen eigens zu dem Zwecke noch einmal zum Wort gemeldet, um, gegenüber der Interpellation eines anwesenden Handelshochschulkollegen,7 in einer jede Möglichkeit der „Herabwürdigung“ der Handelshochschulen absolut ausschließenden Art ausdrücklich und nachdrücklich hervorzuheben, wie gut ich wisse (ich pflege nämlich die mir überhaupt zugänglich gemachten Berichte der Handelshochschulen, speziell der ­Kölner, ziemlich genau zu lesen), welche in jeder Hinsicht ausgezeichnete Arbeit von den zum Teil sehr hervorragenden Kollegen an den Handelshochschulen geleistet werde. Da übrigens die Handelshochschule Berlin in erster Linie der Arbeit meines früheren Berliner Kollegen I[gnaz] Jastrow, die in Köln und Mannheim derjenigen meines hiesigen Kollegen E[berhard] Gothein ihre Entstehung verdanken, da ferner (um von anderen Herren nicht zu reden) zum Beispiel an der Berliner Handelshochschule mein Freund und Redaktionskollege W[erner] Sombart lehrt,8 so konnte auch der schlechtest unterrichtete Rektor sich sagen, daß hier eine Anfrage bei mir, zum mindesten vor öffentlichen Schritten, wohl am Platze sei. Am Tage der Absendung seines Schreibens an das „Berliner Tageblatt“ (16. Oktober) hätte er meine Antwort auf seinem Tische

6  Weber meint seine beiden Redebeiträge auf dem IV. Deutschen Hochschullehrertag in Dresden. Weil sein erster Diskussionsbeitrag auf Kritik stieß, ergriff Weber vor Schluß der Debatte noch einmal das Wort. Vgl. Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen, unten, S.  409 f. 7  Ludwig Beer (Leipzig) hielt in der Debatte Weber vor, er habe für sein harsches Urteil über die Handelshochschulen keine Tatsachen angeführt. Vgl. Verhandlungen des IV. HT, S.  84. 8  Der Historiker und Nationalökonom Ignaz Jastrow lehrte seit 1905 an der Handelshochschule in Berlin, von 1906 bis 1909 war er deren Rektor. Der Nationalökonom und Kulturhistoriker Eberhard Gothein gründete 1909 zusammen mit dem Mannheimer Oberbürgermeister Otto Beck die Mannheimer Handelshochschule. 1901 war Gothein Mitbegründer der Handelshochschule in Köln. Der Nationalökonom und Mitherausgeber des Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik Werner Sombart lehrte an der 1906 von der Berliner Kaufmannschaft gegründeten Handelshochschule.

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gefunden, wenn er mir die Nummer des Blattes vom 14. Oktober9 sofort geschickt hätte. Ich lege großen Wert darauf, gerade in diesem Blatte jetzt noch zu Worte zu kommen. Gesagt habe ich in Dresden gelegentlich der zur Diskussion stehenden Vergleichung amerikanischer mit deutschen Verhältnissen (dem Sinn, teilweise aber auch dem Wortlaut nach) bezüglich des hier interessierenden Punktes folgendes:10 Inb Amerika zeige sich in bezug auf das althistorische Institut des „College“ (Studenteninternat mit einem, wie wir sagen würden: stark „humanistischen“, etwa der Prima unserer Gymnasien und den ersten philosophischen Studiensemestern entsprechenden Lehrgang) eine doppelte Tendenz: die Entwickelung des Fachstudiums nach europäischem Muster strebe dahin, jenes Institut als Bestandteil der alten Universitäten in den Hintergrund zu drängen (in Baltimore zum Beispiel bestehe schon jetzt ein Gymnasium deutscher Art als Vorbildungsanstalt für die Universität). Dem stehe, wie mir (zu meiner Überraschung) von beteiligten amerikanischen Herren wiederholt versichert worden sei (die Allgemeingültigkeit und Dauer dieser Erfahrung könne ich freilich nicht nachprüfen), eine ziemlich starke entgegengesetzte Tendenz gerade in amerikanischen Geschäftskreisen gegenüber. Das College mit seiner spezifischen Prägung der Persönlichkeit (im Sinne des angelsächsischen „Gentle­ man“-Ideals nämlich) und cder spezifischenc Allgemeinbildung, welche es biete, scheine diesen Kreisen, nach ihren Erfahrungen, vielfach eine besonders geeignete Stätte der Erziehung zur Selbstbehauptung (und, wäre hinzuzufügen, zum gesunden bürgerlichen Selbstgefühl) des angehenden Kaufmanns, sowohl als Menschen wie für seinen Beruf, eine bessere als ein Fachkursus. Gewiß gehöre auch diese (in jenen Kreisen) steigende Bewertung von „Bildungsdiplomen“ (degrees) jenem Kreise von Europäisierungserscheinungen an, welche das ganze amerikanische (auch das akademische) Leben heute erfaßt habend und mit der Zivildienstreform11 b A: „In  c A: die spezifische   d A: habe   9  Gemeint ist der Bericht des Berliner Tageblatts vom 14. Okt. 1911, unten, S.  788– 804. 10  Vgl. Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen, unten, S.  397–408. 11  Die Reform des amerikanischen Zivildienstes begann 1883 mit dem sog. „Pendleton Act“. Das seit der Amtszeit Andrew Jacksons (1829–1837) herrschende „spoils

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immer weiter fortschreiten werdene (immerhin, möchte ich hier hinzufügen, ist die Art der Erlangung und die praktische Bedeutung der verschiedenen Bildungsdiplome in Amerika doch eine in wichtigen Punkten andere als bei uns). Bei uns, fügte ich nun hinzu, erstrebe man Ähnliches auf dem Wege der Gründung von Handelshochschulen.12 Der Grund dieser Schöpfung gesonderter (NB!) Institute für diesen Zweck sei einerseits – was ich sehr stark hervorhob – in dem Hochmut unserer traditionellen Universitätsprofessoren zu suchen. „Man denke sich den Schauder eines durchschnittlichen juristischen Geheimrats, wenn ihm, etwa in einer rechts- oder staatswissenschaftlichen Fakultät, zugemutet würde, mit einem Menschen in einer Fakultätssitzung sich zusammenzufinden, der ein so wenig salonfähiges (ob ich diesen Ausdruck brauchte, weiß ich nicht mehr) Fach wie etwa Handelsbetriebslehre, gewerbliche Kalkulationslehre und dergleichen verträte“ (Fächer, von denen ich hier bemerken möchte, daß ich es für ein Unheil halte, daß der Nachweis ihres gründlichen Studiums nicht obligatorisch für jeden nationalökonomischen Examenskandidatenf an den Universitäten ist). Auf der anderen Seite entstamme aber ein gut Teil des „Kampfes“ für die Schaffung der gesonderten Handelshochschulen auch dem in unserem kaufmännisch-industriellen Nachwuchs unleugbar vorhandenen (ich habe nicht gesagt: „durchweg“ oder auch nur: „überwiegend“ vorhandenen) Streben, jenes feudale Prestige sich anzueignen, welches bei uns die durch Farbentragen, Schmisse, überhaupt das traditionelle, von der intensiven Arbeit ablenkende Studentenleben zu erwerbende „Satisfaktions“- und „Reserve­offi­ziers­fähigkeit“13 gewähren. Ich habe hinzugefügt, daß, wenn diese Tendenzen und – wie ich nach Ausweis e A: werde  f A: Examenkandidaten system“, die Besetzung von öffentlichen Ämtern nach Parteizugehörigkeit, wurde damit außer Kraft gesetzt und durch das Leistungsprinzip ersetzt. Angehende Beamte mußten eine Aufnahmeprüfung ablegen und wurden nach bestandener Prüfung auf eine Anwärterliste gesetzt. 12  Die Handelshochschulen wurden im Deutschen Reich gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Hochschulen der Städte oder Handelskammern gegründet. Sie besaßen anfangs kein Promotionsrecht und standen in Rang und Ansehen hinter den Universitäten zurück. 13  Der Begriff umschreibt den ständischen Anspruch, verletzte Ehre auf formalisierte Weise wiederherzustellen.

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meiner unmittelbar vor der Rede gemachten Notizen14 hinzufügen wollte, vielleicht aber im Eifer der Rede vergaß – überhaupt schon an sich das, nachgerade in allen Berufen chinesenhaft15 um sich greifende Streben nach Schaffung immer neuer Arten von offiziellen Bildungspatenten überhaupt immer weiter wuchern würden, dies uns im ökonomischen Kampf mit den großen Arbeitsvölkern der Erde16 vielleicht nicht zum (wohlgemerkt) dauernden Vorteil gereichen werde. Dies habe ich gesagt. Ich hatte einen Vergleich zu ziehen und folglich auch die beiderseits mitspielenden Tendenzen darzulegen, auch die beiderseitigen Schwächen, was ich für die amerikanischen Hochschulen (nach anderen Richtungen hin) ausgiebig getan habe. Verschweigen konnte ich diese Dinge nicht und mußte mich darauf verlassen, daß in dem Kreise, in welchem ich sprach, hinlänglich bekannt wäre, daß mir eine so törichte Behauptung, wie die: es studierten vorwiegend oder gar: nur Leute mit jenem feudalen Ehrgeiz an den Handelshochschulen, ebenso fern lag wie die Behauptung, es gebe an den Universitäten nur Couleurstudenten, die, wie jedermann weiß, auch dort überall in der Minderheit, aber dennoch sehr einflußreich sind.17 Und nun eine kleine Geschichte: Auf dem Kontor einer bedeutenden Fertigfabrikatfirma erscheint als Geschäftsreisender eines ihrer Halbfabrikatlieferanten ein Herr von einem Aussehen, welches an Tadellosigkeit dem Inhalt der überreichten Visitenkarte gleichkommt: „X., Leutnant der Reserve des usw., (unten links:) Firma Y. und Co. (unten rechts:) in Z. (Sitz der Firma).“ Der auf dem Kontor anwesende Mitinhaber der besuchten Fabrik spricht sein Bedauern aus, daß der Besuch nicht telephonisch angemeldet worden sei, wie das Geschäft dies von allen seinen Lieferanten, 14  Diese sind nicht überliefert. 15  Um in China den Rang eines Beamten zu erlangen, mußten die Kandidaten bis ins 20. Jahrhundert ein an der konfuzianischen, klassischen Literatur ausgerichtetes, mehrstufiges Prüfungssystem durchlaufen. Zumindest formal war die Zulassung zu den Prüfungen nicht von der Klassenzugehörigkeit des Kandidaten abhängig. Vgl. Weber, Konfuzianismus, MWG I/19, S.  285–369. 16  Weber rechnete die Amerikaner zu den größten Arbeitsvölkern der Welt. Vgl. Weber, Fideikommißfrage, MWG I/8, S.  81–188, hier S.  184 f., Fn.  67. 17  Dem Bericht des Berliner Tageblatts vom 14. Oktober 1911 (unten, S.  790) zufolge hatte Weber über die Handelshochschulen gesagt, daß sie „weiter keinen Zweck haben, als daß unsere jungen Kommis satisfaktionsfähig werden, ein paar Schmisse ins Gesicht bekommen und ein bißchen studieren und sich sehr viel von der Arbeit drücken lernen“.

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Die Handelshochschulen. Eine Entgegnung

auch der von dem Reisenden vertretenen Firma, zwecks prompter Erledigung dringend erbeten habe. Er könne gerade jetzt seinen Kompagnon, welcher diese Abschlüsse zu erledigen habe, schlechterdings nicht mitten aus den (näher angegebenen) unaufschiebbaren Arbeiten herbitten lassen. Der Herr Reisende möge zu anderer Tagesstunde wiederkommen. Übrigens müsse er selbst seinerseits bereits auf zweierlei aufmerksam machen: die zuletzt gelieferte Ware bestehe nachweislich die Qualitätsprobe nicht, und die zuletzt geforderten Preise würden nachweislich von der Konkurrenz geschlagen. – Vornehm „nasale“ Antwort (annähernd wörtlich): „Äh – be-dau-re sehr, daß nach Ihrer Meinung Ihr Herr Kompagnon, der, soviel ich weiß, Offiziersqualifikation hat, es nicht für erforderlich erachten würde, einen Ka-me-ra-den sogleich zu begrüßen. Im übrigen könnte Ihnen ja wohl genügen, daß ich Reserveoffizier bin, um zu wissen, daß ich nur reelle Ware zu den besten Preisen anbiete. Be-dau-re sehr!“ – Tadelloser und stolzer Rückzug. – Für dieses Prachtexemplar eines Reisenden, über welches der verblüffte Fabrikant noch nach Wochen lachte, und mit welchem seine Firma auf die Dauer schwerlich glänzende Resultate erzielt haben dürfte, fällt es mir nun (vorsichtshalber sei es ausdrücklich gesagt) gewiß nicht ein, die bestehenden Handelshochschulen verantwortlich zu machen. Ich bemerke nur noch, daß mir von einem Herrn aus einer ganz anderen Branche, dem ich den Vorfall zu seinem Amüsement erzählte, gesagt wurde: Ganz vereinzelt stehe das keineswegs da; manche Lieferanten glaubten ernstlich, durch solche Reisende imponieren zu können; und in der Tat: einmal, das erstemal, sei er in der Verblüfftheit, wie man einen so ungewohnt auftretenden Herrn wieder los werde, tatsächlich auf einen Posten (unbrauchbarer) Ware hereingefallen, was ihm freilich nicht wieder passieren werde, – und ich füge hinzu: in einer gewiß etwas fratzenhaften Art könnte dies Histörchen immerhin illustrieren, welche Entwickelungstendenz in der Eigenart unseres kaufmännisch-industriellen Nachwuchses gezüchtet oder gestärkt werden würde, wenn in unseren Kontoren eine mit Hochschulbildungspatenten ausgerüstete und deshalb sich ihren Kollegen sozial überlegen dünkende Schicht sich breit zu machen beginnen sollte, und vollends, wenn überdies auch noch gar die Eigenarten, welche das studentische Verbindungswesen erzieht, oder schließlich vollends die heutzutage durch militärische Qualifikationsatteste nur

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allzu leicht geschaffene Art von feudalen Prätensionen in den Mittelpunkt des Gesichtskreises rücken sollte. Hier ist nicht der Ort, zu erörtern, in welchem Sinn die Zugehörigkeit zu studentischen Verbindungen (über die ich so generell, wie mir zugeschrieben wurde, nicht gesprochen habe) und das Militär „erziehlich“ wirken. Aber: weder der Besitz eines Couleurbandes, noch der Besitz eines Offizierspatentes sind, als solche, in irgendeinem Sinne geeignet, den Beweis zu liefern, daß ihr Besitzer für die harte und nüchterne Arbeit geeignet ist, ohne welche unser Bürgertumg in Handel und Gewerbe die Machtstellung Deutschlands in der Welt nicht behaupten wird. Da mir in einem Blatt hochmütiges Herabsehen auf die „Kommis“18 unterstellt wird: Ich selbst trage meinen Namen von westfälischer Leinwand19 und verleugne den Stolz auf diese bürgerliche Herkunft nicht in der Art, wie es jene Kreise, von denen ich sprach, nur allzu gern tun möchten. Ohne den anderen Handelshochschulen irgendwie zu nahe zu treten, muß auch unbedingt anerkannt werden, daß die mir wohlbekannte Unterdrückung jenes für Kaufleute lächerlichen Verbindungsunfugs an der Berliner Handelshochschule20 doch ein positives Verdienst ist. Es hängt dieses, an sich ja nur einen kleinen Einzelzug darstellendeh Verhalten wohl zusammen mit dem auch sonst etwas abweichenden Gesamtcharakter, welcher dieser Gründung von Anfang an in manchen Hinsichten aufgeprägt wurde, von dem aber auch bekannt ist, welche Schwierigkeiten dadurch den Männern, die sie schufen, und weiterhin auch noch der Anstalt selbst in ihrer ersten Zeit, entstanden sind, und zwar zum Teil aus gewissen zu feudalen Idealen neigenden Kreisen der deutschen Industrie selbst.

g A: Bürgerturm  h A: darstellendes 18  Zu Webers Zeiten übliche Bezeichnung für Handelsgehilfen und Kaufmännische Angestellte. Auf welches Blatt Weber hier anspielt, konnte nicht nachgewiesen werden. 19  Max Webers Vater stammte aus einer westfälischen Familie, die seit Generationen Leinenweberei und Leinenhandel betrieb. 20  Im Sommersemester 1907 wurde an der Berliner Handelshochschule die Absicht, eine farbentragende Verbindung zu gründen, vom Hochschulkollegium abgelehnt. Vgl. Die Handelshochschule Berlin. Bericht über die erste Rektoratsperiode Oktober 1906–1909, erstattet von Ignaz Jastrow. – Berlin: Reimer 1909, S.  53.

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[Die preußische Unterrichtsverwaltung] [Zuschrift an die Badische Landeszeitung, 28. Oktober 1911]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Mit seiner Zuschrift vom 22. Oktober 1911 suchte Max Weber die Presseberichte über seine Rede auf dem IV. Deutschen Hochschullehrertag zu korrigieren, diesmal mit Blick auf eine badische Leserschaft. Hintergrund waren die Irritationen, die diese Berichte bei der badischen Unterrichtsverwaltung ausgelöst hatten.1 In einem Brief an den badischen Unterrichtsminister Franz Böhm vom 22. Oktober 1911 nannte Weber dann auch einen der Gründe für seine Zuschrift an die Badische Landeszeitung, das Organ der Nationalliberalen Partei: „Der ‚Badischen Landeszeitung’ habe ich neben andren Bemerkungen auch mein Bedauern, daß ein so vornehm reservierter Beamter, wie Geh. Rath Arnsperger, Objekt eines Mißverständnisses geworden ist, aus­ge­ drückt.“2

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Die Edition folgt dem Abdruck in der Badischen Landeszeitung, Nr.  504 vom 28. Oktober 1911, Ab.Bl., S.  2 (A). Webers namentlich gezeichnete Zuschrift mit der Angabe „Heidelberg, 22. Oktober 1911“ erschien unter der Überschrift „Die preußische Unterrichtsverwaltung und Prof. Max Weber-Heidelberg“ und war durch eine redaktionelle Bemerkung eingeleitet.3

1  Vgl. auch das Schreiben von Franz Böhm an Max Weber vom 16. Okt. 1911, in: GStA PK Berlin, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  30, Bd. 6, Bl. 65–66, sowie das Antwortschreiben Max Webers an Franz Böhm vom 17. Okt. 1911, MWG II/7, S.  287–296; in der Editorischen Vorbemerkung, ebd., S.  285 f., ist auch das Schreiben Böhms abgedruckt. 2  Vgl. Brief Max Webers an Franz Böhm vom 22. Okt. 1911, MWG II/7, S.  319 f., Zitat: S.  320. 3  Vgl. unten, S.  335, textkritische Anm.  a.

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[Die preußische Unterrichtsverwaltung] Heidelberg,a 22. Oktober 1911. Sehr geehrte Redaktion!

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Von einer Reise, während deren ich keine Zeitungen beachten konnte, heimkommend,1 wurde ich am Dienstag von fünf ver­ schiedenen, sehr gewichtigen Stellen2 auf offenbare Irrtümer in dem Bericht von Berliner Blättern über Äußerungen von mir auf dem Dresdner Hochschullehrertage hingewiesen, welche, wie ich höre, seitdem weithin durch die Presse die Runde gemacht haben. Nachdem ich Freitag endlich in den Besitz der Nr.  483 der „Täglichen Rundschau“ gelangt war,3 sandte ich dieser die beifolgende, nach telegraphischem Versprechen heute daselbst erscheinende Dar­legung, von der ich Sie, speziell bezüglich des ersten Punktes,4 Notiz zu nehmen sehr ergebenst bitte. Er betrifft den Umstand,

a In A geht die redaktionelle Bemerkung voraus: Herr Universitätsprofessor Max ­ eber, der dieser Tage von der „Nordd[eutschen] Allg[e]meinen Ztg.“ wegen seiner W Rede auf dem Dresdner Hochschullehrertag gegen das „System Althoff“ angegriffen wurde,5 schreibt der Redaktion folgenden Brief: 1  Am 14. Oktober 1911, als die ersten Presseberichte über Max Webers Rede auf dem IV. Deutschen Hochschullehrertag in Dresden erschienen, fand die Hauptverhandlung in erster Instanz im Beleidigungsprozeß Julius Ferdinand Wollf/Otto Bandmann gegen Max Weber in Dresden statt. Vgl. Brief Max Webers an Franz Böhm vom 22. Okt. 1911, MWG II/7, S.  319 f., Anm.  5. 2  Am Dienstag, dem 17. Oktober 1911, antwortete Max Weber brieflich auf die Kritik von Franz Böhm, am folgenden Tag auf die Einwände von Arthur Binz und Paul Eltzbacher und wenig später auf die Otto v. Gierkes (vgl. die Briefe in MWG II/7, S.  284–305). 3 Laut seiner brieflichen Mitteilung an Franz Böhm von Freitag, dem 20. Oktober 1911, hatte Weber den in der Täglichen Rundschau, Nr.  483 vom 14. Okt. 1911, erschienenen Bericht bereits am Vortag (19. Okt.) erhalten (vgl. MWG II/7, S.  315). Zum Wortlaut des Berichts vgl. Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen. Berichte, unten, S.  788–804. 4 Diese erschien in der Täglichen Rundschau, Nr.  497 vom 22. Okt. 1911, Mo.Bl., S.  2 f. Vgl. Weber, Über die Rede auf dem Deutschen Hochschullehrertag, oben, S.  302–316. Zu Punkt 1, ebd., S.  306–308.

[A (2)]

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Die preußische Unterrichtsverwaltung

daß ein von mir mitgeteiltes Verhalten5 des bekannten Geheim­ rates Althoff dem – wie ich mit großem Bedauern bei dieser Gelegenheit erfuhr – ebenfalls bereits verstorbenen früheren badischen Personaldezernenten, damaligen Oberregierungsrat Arnsperger,6 zugeschrieben wurde. Die vornehm reservierte Natur des genannten Herrn, dem ich persönlich, ebenso wie übrigens Geheimrat Althoff, zu großem Danke verpflichtet bin – und zwar ohne daß ich bei ihm jemals auf jene, m. E. korrumpierende, Art der Menschenbeurteilung gestoßen wäre, welche mein Empfinden bei dem Verkehr mit Herrn Althoff immer wieder aufs schwerste verletzte –, schloß für jeden Kenner seiner Persönlichkeit die Möglichkeit aus, den von dem Berichterstatter7 begangenen Irrtum zu verkennen. Da ich hier die Gastfreundschaft eines badischen Blattes erbitte, so erlauben Sie mir vielleicht hinzuzufügen: Es war nicht etwa meine Absicht, auf dem Hochschullehrertage die Dinge so darzustellen, als ob in Baden im Gegensatz zu Preußen, vom Standpunkt der Universitätsinteressen aus gesehen, lediglich Sonnenschein herrsche. Mit wachsender Sorge betrachten, wie allgemein bekannt ist, weite Kreise, zu denen auch viele der ersten Männer unserer Universitäten zählen, die wachsende Kühnheit, mit welcher ein kleiner Kreis konservativer Partei- und Kirchenpolitiker einen Einfluß auf die Universitätsverhältnisse erstrebt, der weder ihrer Zahl, noch ihrer geistigen Bedeutung, noch selbstverständlich den wissenschaftlichen und sachlichen Universitätsinteressen entspricht. Wir können nicht wissen, ob nicht die zuständigen In­stanzen in ihrem sicherlich vorhandenen Bestreben[,] an der alten badischen Tradition, welche[,] rein sachlich und von allen Partei­ten­den­ zen freib, lediglich nach den Interessen der Wissenschaft fragte, festzuhalten, auf zunehmende Schwierigkeiten stoßenc. Solche, vielleicht vorhandenen, Schwierigkeiten standen indes mit den auf dem Hochschullehrertag erörterten Dingen nicht in Beziehung. In b  In A folgt: war,  c A: stößt 5 Gemeint ist der anonym und ohne Titel erschienene Bericht der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 24. Okt. 1911, vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber. Über das „System Althoff“, oben, S. 317, Anm.  1. 6  Vgl. dazu Webers Bemerkung im Brief an Franz Böhm vom 17. Okt. 1911, MWG II/7, S.  287 f. 7  Gemeint ist der Berichterstatter der Täglichen Rundschau. Vgl. dazu unten, S.  788– 804.

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Bezug auf das, was dort erörtert wurde, vor allem: die sachlichen Leistungen der Universitätsverwaltung und die sachliche (und dabei menschlich wohlwollende) Behandlung der Personalien, wird Baden auch heute, wie jeder, der vergleichen konnte und kann, weiß, von keiner Verwaltung übertroffen. Ich bitte Sie, falls Sie meiner Bitte geneigt, von jener Berichtigung Notiz zu nehmen, auch um Abdruck dieses Briefes. Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst Professor Max Weber.

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[Über das „System Althoff“] [Zuschrift vom 1. November 1911 an die Nationalliberale Correspondenz]

Editorischer Bericht Zur Entstehung In der Täglichen Rundschau vom 22. Oktober 1911 hatte Max Weber auf deren Bericht über seine Diskussionsbeiträge auf dem Dresdner Hochschullehrertag reagiert.1 Daraufhin ließ die Nationalliberale Correspondenz2 Webers dort gemachte Aussagen „aktenmäßig“ überprüfen und veröffentlichte das Ergebnis am 29. Oktober 1911 unter dem Titel „Zu den Erklärungen des Herrn Professor Dr. Max Weber (Heidelberg)“. In dem anonym veröffentlichten Artikel wurde festgestellt, die nationalliberalen Mitglieder der Budget-Kommission des preußischen Abgeordnetenhauses hätten dem geforderten Extraordinariat für Nationalökonomie an der Universität Marburg durchaus positiv gegenübergestanden; anders als von Max Weber behauptet.3 Auch habe sein Vater, Max Weber senior, seine Referate in der BudgetKommission niemals niedergelegt.4 Weber las den Artikel offenbar nicht in der Nationalliberalen Correspondenz, sondern, wie er selbst sagt, in „hiesige[n] Zeitungen“.5 Mit seiner Zuschrift reagierte er darauf. Er avisierte diese Erwiderung auch der Täglichen Rundschau, die sie dann in der Fassung der Nationalliberalen Correspondenz übernahm.

1  Vgl. Weber, Über die Rede auf dem Deutschen Hochschullehrertag, oben, S.  302– 316. 2 Die Nationalliberale Correspondenz war das Zentralorgan der Nationalliberalen Partei und erschien seit 1874 in täglichen Ausgaben. Sie versorgte auch andere Zeitungen mit Informationen aus dem sozialliberalen Lager. Die Ausgaben sind nach Ausweis der heutigen Bibliothekskataloge nur für die Jahrgänge 1917–1933 überliefert, frühere Ausgaben finden sich nur noch vereinzelt in Nachlässen. 3  Vgl. Anonym, Zu den Erklärungen des Herrn Professor Dr. Max Weber (Heidelberg), in: Nationalliberale Correspondenz, [Nr. 231] vom 29. Okt. 1911, hier zitiert nach dem Exemplar im GStA PK, I. HA, Rep.  76 Va, Sekt. 1, Tit. IV, Nr.  45, Bd. 2, Bl. 100 (hinfort: Anonym, Zu den Erklärungen Max Webers). – Zu Webers eigener Darstellung vgl. Weber, Deutscher Hochschullehrertag, oben, S.  298–301. 4  So Webers Aussage, unten, S.  346 f. 5  Vgl. unten, S.  340.

Editorischer Bericht

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Zur Überlieferung und Edition Die Zuschrift Max Webers an die Nationalliberale Correspondenz ist als 8-seitiges Typoskript unter dem Datum 1. November 1911 (A) mit handschriftlichen Korrekturen, Ergänzungen und Unterstreichungen (A1) in: GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  30, Bd. 6, Bl. 80–87, überliefert. Diese Fassung wird der Edition zugrundegelegt. Das Typoskript ist nicht unterschrieben, es dürfte sich um die von Weber korrigierte Kopie der Zuschrift handeln. Der Abdruck in der Nationalliberalen Correspondenz ist hingegen nicht überliefert,6 wohl aber ein Wiederabdruck unter der Überschrift „Professor Weber über das System Althoff“, in: Tägliche Rundschau (Berlin), Nr.  519 vom 4. November 1911, Mo.Bl., 1. Beilage, S.  1 f. (B). In der redaktionellen Vorbemerkung der Täglichen Rundschau heißt es: „Wir geben auch sie [Webers Erwiderung] hier wieder, wie sie in der ‚Nat[ional] lib[eralen] Korr[espondenz]’ zu lesen ist.“7 Bei diesem Wiederabdruck handelt es sich um eine stark gekürzte Fassung von Webers Zuschrift. Diese redaktionelle Vorbemerkung der Täglichen Rundschau und Webers Aussage gegenüber der Nationalliberalen Correspondenz, er überlasse es der Redaktion, zu entscheiden, was sie „aus diesen Ausführungen zum Zweck der Information Ihrer Leser über meine Erklärungen zur Sache wiederzugeben für richtig“8 finde, sprechen dafür, daß die Kürzungen auf die Nationalliberale Correspondenz zurückgehen. Das umfangreichere Typoskript mit den handschriftlichen Korrekturen kann also als der von Weber autorisierte Text (A1) ,gelten. Die Abweichungen des Typoskripts (A) und des Abdrucks in der Täglichen Rundschau (B) von der edierten Fassung (A1) werden im textkritischen Apparat nachgewiesen. Nicht nachgewiesen werden Unterschiede in den Numerierungszeichen 1., 2. in Fassung A und A1, dagegen 1), 2) in Fassung B sowie unterschiedliche Schreibweisen und Handhabung von Abkürzungen (wie z. B. Dritten/dritten, thatsächlich/tatsächlich, bezw./bzw., Prof./Professor). Die Paginierung der Fassungen wird marginal mitgeführt. Bei der Fassung A und A1 wird nicht der Archivpaginierung, sondern der ursprünglichen, schreibmaschinenschriftlichen Zählung gefolgt. Die erste Seite ist nicht paginiert und als (1) sigliert.

6  Der Abdruck in der Nationalliberalen Correspondenz dürfte zwischen dem 1. und 3. November 1911 erfolgt sein. Zur Überlieferungslage vgl. oben, S.  338, Anm.  2. 7  Vgl. unten, S.  343, textkritische Anm.  q. 8  Vgl. unten, S.  349.

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aHeidelberg,

den 1. November 1911

Sehr geehrte Redaktion! Die von Ihnen publizierte, mir erst durch hiesige Zeitungen bekannt gewordene Äußerung zu meinen Angaben in der Täglichen Rundschau No. 4971 geht von zeitlich sowohl wie sachlich irrigen Voraussetzungen aus. Ehe ich mich dazu äußere, was nur ziemlich eingehend geschehen kann, gestatten Sie vielleicht einige allgemeine Bemerkungen. Die sehr sachliche und auf ziemlich bedeutendem Aktenstudium beruhende Darlegung bekundet zugleich ein büberaus großes Zutrauenb darauf, daß „Akten“c das in einer bestimmten Frage Wesentliche auch wirklich, und zwar, vor allen Dingen, vollständigd, zu enthalten pflegen. Dem ist in diesem Fall nicht nur nicht so, sondern kann offenbar, nach der Eigenart des Vorgangs, gar nicht so sein; es trifft aber auch in Fällen, wo man es an sich erwarten dürfte, häufig nicht zu. Vielleicht trägt es immerhin zur Erschütterung des Glaubens an den alten Satz: e„Quod non in actis, non in mundo“e,2 bei, wenn ich Ihnen nur beispielsweise mitteile, daß z. B. ich persönlich nur deshalb mir gefallen lassen mußf, amtlichg als ein h„emeritierter (also mit Pension, i– die ich gar nicht beziehe, –i in den Ruhestand versetzter) ordentlicher Professor“h geführt zu werden, weil mein erster, bei späteren Wiederholungen stets in Bezug genommener, Antrag auf Entlassung aus dem Dienstverhältnis (j„Aufkündigung“j), wie sich später herausstellte, aus den Akten verschwundenk war.3 Wenn dies – es ist aktenkundig – dem

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a–a  (S.  342) Fehlt in B.   b–b Hervorhebung fehlt in A.   c In A folgt ein Komma.  d  Hervorhebung fehlt in A.   e–e  Anführungszeichen fehlen in A.    f A: mußte  g Hervorhebung fehlt in A.   h–h  Anführungszeichen fehlen in A.   i–i  Gedankenstriche fehlen in A.   j–j  Anführungszeichen fehlen in A.   k Hervorhebung fehlt in A. 1  Gemeint ist Webers Zuschrift in der Täglichen Rundschau vom 22. Okt. 1911, vgl. Weber, Über die Rede auf dem Deutschen Hochschullehrertag, oben, S.  302–316. 2  Lat.: Was nicht in den Akten steht, ist nicht in der Welt. 3  Nachdem Max Weber seine für das WS 1899/1900 angekündigte Vorlesung „Agrarpolitik“ nach kurzer Zeit aus gesundheitlichen Gründen abbrechen mußte, stellte er

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damaligen, notorisch überaus gewissenhaften, badischen Ministe­ rial­dezernenten,4 widerfahren konnte, so habe ich mit Geh. Rat Althoff erlebt, daß die schriftlich mit mir getroffenen Abmachungen über mein Gehalt ebenfalls verloren  gegangen warenl und eine abermalige Feststellung auf Grund meiner einseitigen Angaben über das Vereinbarte stattfinden mußte, nachdem ich wegen der unbegreiflichen Hinauszögerung meiner schon von den Zeitungen bekannt gegebenen Ernennung eine zweimalige Mahnung meinerseits veranlaßt und dadurch ihn zu jenem Eingeständnis genötigt hatte,5 während er in einem anderen Fall mir die Unvollständigkeit seiner Akten ziemlich unwirsch bestritten hatte. Ich bezweifle, ob dies aktenkundig ist, dagegen steht nach schriftlicher amtlicher Mitteilung an mich fest, daß auch in einem anderen Punkt, den ich in Dresden berührt hatte (Vorgänge bei meiner Berufung in Baden)6[,] die Akten mindestens einesm der beteiligten Ministerien in einem wichtigen Punkte n, wie sich aus ihnen selbst ergibt,n unvollständig sind, weil s. Zt. die Dezernenten noch in weitem Umfang die Gepflogenheit hatten, zahlreiche wichtige Verl  A, A1: war  m A: eine  n–n  Fehlt in A. beim Großherzoglichen Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts am 7. Januar 1900 (MWG II/3, S.  711–714), am 26. März 1902 (ebd., S.  813–815) und am 16. April 1903 (MWG II/4, S.  51) einen Antrag auf Entlassung. Erst dem dritten Entlassungsbegehren wurde stattgegeben und Max Weber „unter Anerkennung“ seiner „hervorragenden Leistungen“ zum 1. Oktober 1903 in den Ruhestand versetzt (vgl. das Schreiben des Großherzoglichen Ministeriums der Justiz, des Kultus und Unterrichts an Max Weber vom 24. Juni 1903, GLA Karlsruhe, 235/3140, Bl. 135). Am 22. November 1903 verzichtete er auf die ihm zustehende Pension (MWG II/4, S.  185). Vom WS 1903/04 bis zum SS 1919 wurde er in den Vorlesungsverzeichnissen der Universität Heidelberg unter den ordentlichen Honorarprofessoren geführt, jeweils mit dem Vermerk: „Liest nicht.“ 4  Gemeint ist der Ministerialrat Franz Böhm. 5  Max Weber, der in Vertretung seines Lehrers Levin Goldschmidt seit Februar 1893 als Privatdozent an der Juristischen Fakultät der Berliner Universität lehrte, spricht hier von seiner von Friedrich Althoff geförderten, zum WS 1893/94 erfolgten Ernennung zum besoldeten Extraordinarius für Handelsrecht. In einem an Althoff gerichteten Schreiben vom 25. Oktober 1893 äußert er die Befürchtung, daß seine, durch den Dekan der Juristischen Fakultät öffentlich kolportierte, jedoch von der Fakultät noch nicht bestätigte Ernennung zum Extraordinarius zu Falschmeldungen in der Presse führen könnte, vgl. den Brief Max Webers an Friedrich Althoff vom 25. Okt. 1893, GStA PK, VI. HA, Nl. Althoff B, Nr.  194, Bd. 2, Bl. 38–39 (MWG II/2). 6  Vgl. Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen, unten, S.  394–410, und die direkten Berichte in den Tageszeitungen, unten, S.  788–804.

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handlungen unter einander und mit Dritten privatschriftlich ohne Zurückbehaltung von Abschriften zu erledigen. Im Anschluß daran gestatte ich mir die weitere Bemerkung: Gegen eine Behauptung des Inhalts, es sei nach den Akten unmöglich, daß der von mir bezeichnete Vorfall sich wirklich zugetragen habe, würde ich keine Kritik üben. Denn das Entscheidende an diesem Vorfall: die Mitteilung meines Vaters an mich, daß Geh. Rat Althoff an ihn mit der von mir erwähnten Äußerung7 herangetreten sei, hat mir s. Zt. natürlich einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen und ist für mich undiskutabel, während die Akten höchstens ergeben können, in welchem spezielleren Zusammenhang jener von meinem Vater, der in seinen Behauptungen, wie alle seine Bekannten bestätigen müssen, sich der äußersten Vorsicht befleißigte, ausführlich erwähnte Vorgang sich abspielte. Was mich selbst anbetrifft, so müßte man mir nicht nur ein erstaunliches Maß böswilliger Erfindungsabsichten, sondern auch einen weit größeren Grad von rein künstlerischer Phantasie,  als ich zu meinem Bedauern besitze, gewähren,o wenn man glauben wollte, in diesenp allein wesentlichen Punkt in meinen Angaben Zweifel setzen zu dürfen. Andererseits versteht es sich von selbst, daß ich in anderen, außerhalb jenes entscheidenden Punktes selbst gelegenen, für die Sache unwesentlichen Dingen, mich, wie jedermann[,] sehr wohl irren könnte. Ich werde im folgenden das, was Tatsache ist, und das, was meiner Erinnerung in verschieden starker Bestimmtheit vorschwebt[,] in dem Maße dieser Bestimmtheit erkennbar machen und bemerke noch, daß ich zur Kontrolle meines in einzelnen, aber durchweg unwesentlichen Punkten, wie ich nachdrücklich hervorhebe, unsicheren Gedächtnisses hier an Ort und Stelle amtliches Material irgendwelcher Art weder besitze noch mir beschaffen kann. Dies vorausgeschickt, bemerke ich zur Sache Folgendes:a

o  Fehlt in A.   p A: diesem  a  (S.  340)–a  Fehlt in B.   7  Vgl. Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen, unten, S.  394–410, und deren direkte Wiedergabe durch die Tagespresse, unten, S.  788–804.

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1.q rDie in Frage stehende Professur war nicht eine Stelle in Marburg,8 sondern eine solche inr Kiel s.9 Ob diese letztere im Etat als Extraordinariat oder etwa als t„künftig wegfallendes“t Ordinariat angefordert worden ist, ob sie von Mitgliedern der Fraktion bestritten war (was ich nicht behauptet habe: ich habe lediglich gesagt, daß „angeblich“, nämlich nach der Meinungu Althoffs, ihr Schwierigkeiten hätten entstehen können), zu wessen Ergänzung oder Ersatz sie bestimmt war, – dies alles weiß ich heute nicht und habe es wahrscheinlich nie gewußt, da es mich nicht interessierte. Sehr unsicher v(und vielleicht ganz irrtümlich)v schwebt mir allerdings vor, daß irgendwelche sachlichen Schwierigkeiten bestanden hätten, vielleicht (wenn überhaupt) solche, die schon vor der Anforderung beseitigt und interner Natur gewesen wären. Ich bemerke ferner, wdaß mir auch diese (Kieler) Stellew (sei sie nun damals schon geschaffen oder ihre Anforderung erst beabsichtigt gewesen) xgelegentlich mündlich, und zwar als ein Extraordinariat, jedoch mit der Aussicht, sehr bald Ordinariat zu werden, von q  In B geht die redaktionelle Bemerkung voraus: Prof. Max Weber hat jetzt seine uns telegraphisch angekündigte Erwiderung auf die Erklärung der parteiamtlichen „Nat[ional]lib[eralen] Kor­r[espondenz]“ zu seinen Dresdener Mitteilungen formuliert. Wir geben auch sie hier wieder, wie sie in der „Nat[ional]lib[eralen] Korr[espondenz]“ zu lesen ist:   r–r  In B hervorgehoben.   s  Hervorhebung fehlt in A.   t A: künftig wegfallende   u  In A folgt: von  v  Klammern fehlen in A.   w  In B hervorgehoben.  x–x  (S.  344)  In B hervorgehoben. 8  In dem Artikel der Nationalliberalen Correspondenz, Anonym, Zu den Erklärungen Max Webers (wie oben, S.  338, Anm.  3), hieß es, daß es sich bei der geforderten Professur um ein Extraordinariat für Nationalökonomie an der Universität Marburg handelte, das von den Mitgliedern der Budget-Kommission in der Sitzung vom 14. Februar 1894 ohne Widerspruch angenommen worden sei. In einem Brief an Franz Böhm vom 20. Oktober 1911 (MWG II/7, S.  315–318) schrieb Weber, daß ihm Friedrich Althoff in einem Gespräch, vermutlich am 5. August 1893, „ohne direkten Anlaß eine ganze Anzahl preußischer Professuren an den verschiedensten Universitäten (Extraordina­ riate in Marburg, (Staatsrecht), Kiel, Königsberg (Nationalökonomie), Bonn (Germanistik))“ angeboten habe. Zitat: ebd., S.  316. 9  Dazu bemerkte der parlamentarische Korrespondent der Nationalliberalen Corrrespondenz in seiner Replik vom 4. November 1911: „Wenn Herr Professor Dr. Weber die Hasbachsche Professur in Kiel im Auge hatte, kann die Unterredung mit seinem Vater nur im Januar oder Februar 1893 stattgefunden haben. 1892 wurde allerdings schon ein staatswissenschaftliches Extraordinariat für Kiel angefordert. Dieses aber kommt nicht in Betracht, da Abg. Dr. Weber (Halberstadt), wie aktenmäßig feststeht erst 1893 in die Budgetkommission eingetreten ist.“ (Anonym, Nochmals die Erklärungen des Herrn Professor Dr. Max Weber (Heidelberg), in: Nationalliberale Correspondenz, Nr.  236 vom 4. Nov. 1911; hier zitiert nach dem Exemplar im GStA PK, I. HA., Rep.  76 Va, Sekt. 1, Tit. IV, Nr.  45, Bd. 2, Bl. 110).

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Herrn  Althoff zur Auswahl neben einigen anderen teils juristischen, teils nationalökonomischen Stellen angeboten wurdex, darunter übrigens auch, und zwar unter der gleichen Avance­ments­ chance, die von Ihrem Herrn Referenten erwähnte,10 damals, soviel ich mich erinnere, erst geplante Stelle. Dies geschah indessen erst in einem späteren Zeitpunkt, als dem jener Unterredung Althoffs mit meinem Vater, und ich habe diese sämtlichen Angebote alsbald ohne weitere Erörterung von der Hand gewiesen, wofür neben anderen entscheidenden Gründen auch jene Antezedenzien und ferner der Umstand maßgebend war, daß keinerlei Verhandlungen über mich mit den betreffenden Fakultäten vorlagen. Ich bemerke ferner noch, daß die irrtümliche Annahme, es habe sich bei dem von mir öffentlich berichteten Vorfall um ein Marburger nationalökonomisches Extraordinariat gehandelt, bei dem Herrny Verfasser Ihrer Darlegung vielleicht dadurch entstanden ist, daß, wenn ich s. Zt. nicht falsch berichtet wurde, allerdings über einen eventuellen Vorschlag meiner Person in Marburg auf Veranlassung Herrn Althoffs Verhandlungen gepflogen worden sind, wie m. E. auch aktenkundig sein müßte (nach meiner speziell über den Zeitpunkt sehr unsicheren Erinnerung im Frühjahr 1893; über die Verhandlungen selbst hat mir s. Zt. lediglich Herr Professor Enneccerus etwas mir nicht mehr Erinnerlichesz mitgeteilt).11 Es handelte sich dabei jedoch um ein m. W. später durch Herrn Professor Bergbohm besetztes damaliges Ergänzungsextraordinariat für Staats-

x  (S.  343)–x    In B hervorgehoben.   y B: Herr  z  A, A1, B: erinnerliches 10  Dabei dürfte es sich um das im Artikel erwähnte Extraordinariat in Marburg handeln, vgl. dazu oben, S.  343, Anm.  9. 11  Daß Friedrich Althoff Max Weber tatsächlich nach Marburg berufen wollte, belegt seine handschriftliche Notiz „M[eo] v[oto] zweifellos der beste Mann für Marburg“ auf einem an ihn gerichteten Schreiben Max Webers vom 3. März 1893 (GStA PK, I.HA, Rep.  76, Va Sekt. 2, Tit. XIV, Bd. V, Nr.  11; MWG II/2). Aus diesem Schreiben geht hervor, daß Althoff am 2. März 1893 Weber aufforderte, ihm seine „bisherigen größeren Arbeiten“ zukommen zu lassen. Weber sandte ihm daraufhin die Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter, die Römische Agrargeschichte und seine Studie über die Verhältnisse der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland. In den Akten der Philosophischen und der Juristischen Fakultät der Universität Marburg finden sich allerdings keine diesbezüglichen Hinweise (schriftliche Auskunft des Archivs der Philipps-Universität Marburg vom 20. Jan. 2010).

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recht a12 b(wobei der von mir Herrn Althoff gegenüber betonte Umstand, daß ich mich mit diesem Fache niemals wissenschaftlich befaßt hatte, auf ihnc keinerlei Eindruck gemacht hatte; ich hatte die Bedingung gestellt, daß das betreffende Extraordinariat ein germanistisches werden müsse)b. Die etwa gepflogenen weiteren Verhandlungen führten, wenn sie überhaupt zu amtlichem Charakter gediehen sind, wahrscheinlich nicht einmal zu einem Vorschlag, jedenfalls  nicht zu einer Berufung. Die von mir gemeinte Kieler Professur dagegen ist später durch Herrn Professor Hasbach besetzt worden, wie ich glaube (aber hier nicht kontrollieren kann) schon im Lauf des Jahres 1894,13 ich weiß nicht, ob alsbald als Ordinariat oder (wie dies mir vorgeschlagen war) zunächst als Extraordinariat;d später jedenfalls und m. W. schon bald hat der genannte Gelehrte sie als Ordinarius längere Jahre hindurch vertreten. 2. eDer fragliche Vorfalle fällt natürlich nichtf (wie Ihr Herr Referent als allein möglich voraussetzt) gin den Winter 1893/94g,14 in welchem ich bereits Extraordinarius in Berlin für Handelsrecht hwar. Sondernh er fällt in die Zeit meiner Privatdozenturi, und zwar in den Winterj. Meine Habilitation war materiell im Spätherbst 1891 perfekt, ihre formelle Erledigung nach außen durch öffentliche Antrittsredek Anfang 1892.15 Es würde sich danach aus Akten und amtlichem Stenogramm vielleicht ermitteln lassen, in welchem der beiden allein in Frage stehenden Winter der Vorfall a  Keine Hervorhebung in A, B; in A folgt ein Komma.   b–b  Klammern fehlen in A.   c  A, A1: ihm  d  A, A1: Extraordinariat:    e  In B hervorgehoben.    f  In B hervorgehoben.  g  In B hervorgehoben.   h B: war, sondern   i  In B hervorgehoben.  j  In B hervorgehoben.   k A: Antrittsreden 12  Karl Magnus Bergbohm wurde zum 1. April 1893 zum außerordentlichen Professor für Staatsrecht und Rechtsphilosophie in Marburg berufen. 13  Wilhelm Hasbach wurde am 25. Juli 1893 zum ordentlichen Professor der Staatswissenschaften in Kiel ernannt. 14  In dem Artikel der Nationalliberalen Correspondenz, Anonym, Zu den Erklärungen Max Webers (wie oben, S.  338, Anm.  3), hieß es: „Die betreffende Professur wurde, wie bereits gesagt, im Etat für 1894 angefordert. Diese Forderung gelangte also zur Kenntnis des Abgeordnetenhauses mit der Einbringung des Etats im Januar 1894.“ 15  Das am 22. Oktober 1891 von Weber eingereichte Habilitationsgesuch wurde im Dezember 1891 von der Juristischen Fakultät der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität angenommen. Am 19. Januar 1892 fanden Probevorlesung und Colloquium, am 1. Februar 1892 die öffentliche Antrittsvorlesung statt. Vgl. dazu den Editorischen Bericht in MWG I/1, S.  122–126.

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gespielt haben muß. Nach den bisher von Ihrem Herrn Referenten gemachten Mitteilungen könnte dies (ausl gleichm zu erwähnenden Gründen)n nicht nur im Winter 1892/93,16 sondern auch in den vorher­gehenden der Fall gewesen sein. Ich weiß dies heute, nach 18 Jahren, nicht mehr und bemerke zu dieser Frage des Zeitpunktes ferner, daß mein Gedächtnis nocho in peinem Punkte nicht absolut sichero ist: Ich glaubte und glaube zwar ziemlich bestimmt, daß mein Vater ausdrücklich von einer beabsichtigten „Niederlegung“ eines von ihm bereits übernommenen oder jedenfalls ihmq fest zugedachten und von ihm zugesagten Budgetreferates gesprochen hat,17 wonach er also schon Mitglied oder mindestens designiertes Mitglied der Kommission gewesen sein müßter.18 Doch wäre es allerdings auch möglich, daß er von der Ablehnung eines ihms nur (wirklich oder seiner Annahme nach) zugedachten, aber noch nicht t übernommenen Referates gesprochen hat und ich in diesem, mir begreiflicherweise damals nicht wichtigen Punkte ihn vielleicht mißverstanden hätte. Ob mein Vater ein etwa übernommenes Referat weiterhin tatsächlichu (wofür die Akten maßgebend sein müssen) niedergelegtv oder (was die Akten eventl. nicht ergeben würden) ein ihm angebotenes Mandat für die betreffende Session thatsächlichw xnicht übernommenx hat, dies kann ich mit l  Klammer fehlt in A.   m A: leicht  n  Klammer fehlt in A, A1.  o  Fehlt in A.   p–p A: einem Punkte nicht sicher; Hervorhebungen fehlen in B.   q Fehlt in A.   r A: mußte  s A, A1: ihn  t Hervorhebung fehlt in A, B.   u Hervorhebung fehlt in A, B.   v  Hervorhebung fehlt in A, B.   w  Fehlt in A.    x Hervorhebung fehlt in A, B. 16  Vgl. dazu oben, S.  344, Anm.  10. 17  Die Behauptung Max Webers, sein Vater habe sein Mandat in der Budgetkommission niedergelegt, wurde vom Verfasser des Artikels in der Nationalliberalen Correspondenz vom 29. Oktober 1911 bestritten: „Der genannte Abgeordnete ist nach 10jähriger Pause im Januar 1893 wieder in die Budget-Kommission eingetreten und hat derselben bis zu seinem Tode im Sommer 1897 angehört. Er hat in dieser ganzen Zeit stets dieselben Referate gehabt, die sich auf das Elementarschulwesen, auf das höhere Schulwesen und die geistigen Angelegenheiten bezogen. Ein Referat über die Universitätsverwaltung hat er, beiläufig bemerkt, niemals gehabt. Es ist also unrichtig, daß der Abg. Dr. Weber jemals eines seiner Referate in der ganzen Zeit, in der er der Budget-Kommission angehörte, aus irgend welchen Motiven aufgegeben hätte. Er hat sie vielmehr bis zu seinem Tode vertreten. Damit entfällt die Grundlage der von Herrn Prof. Max Weber aufgestellten Mitteilung.“ 18  Max Weber sen., der von 1868–1882 und von 1884–1897 als Abgeordneter dem Preußischen Abgeordnetenhaus angehörte, war von 1893–1897 Mitglied der Budgetkommission, seit 1886 Mitglied der preußischen Staatsschuldenkommission.

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Sicherheit nicht wissen. Denn es war bei ihm, speziell in den späteren Jahren, etwas ganz Ungewöhnliches, wenn er von der Art seiner persönlichen parlamentarischen Tätigkeit innerhalb seiner Familie überhaupt nähere Mitteilungen machte, und er hat mir (wie ich in der „Täglichen Rundschau“ berichtet habe)19 nur von seiner Absicht gesprochen, so zu handeln, ohne daß ich wissen kann, ob vielleicht eine Rücksprache mit einem seiner Freunde angesichts des Umstandes, daß er ja ein Universitätsreferaty nicht hatte (was ich auch weder behauptet habe noch behaupten konnte), ihn umgestimmt hat. Daß er übrigens schon 1890/91, als der Ablauf seiner Wahlperiode im Berliner Magistrat allmählich näher rückte und seine Wiederwahl infolge der Parteiverhältnisse unsicher erschien, mit der Wiederaufnahme seiner unterbrochenen Tätigkeit in den Landtagskommissionen rechnete, ist mir durch einen zufälligen Umstand zeitlich ziemlich deutlich erinnerlich. Da Ihr Herr Referent möglicherweise auf diesenz, freilich für die Frage der Authentizität des allein wesentlichen Vorfalls m. E. bedeutungslosen Punkt Gewicht legen könnte, so möchte ich ausdrücklich hinzufügen, daß, dem eben Gesagten gemäß, meine Formulierung betreffs der Frage, wie mein Vater schließlich gehandelt hat a, – ein Punkt, in welchem ich nicht b nach eigenem Augen- bzw. Ohrenschein berichten konnte, nochc vorsichtiger hätte sein sollen, wie ich dies gegebenenfalls auch öffentlich feststellen werde. Denn es ist selbstverständlich, daß in der  Tat darüber die Akten allein entscheiden können. Es wäre dies übrigens in meinen ziemlich eingehenden und die verschiedensten Punkte berührenden öffentlichen Ausführungen die bisherd einzige zu beanstandende Formulierung, welche mir (bisher)e aufgefallen ist. y Hervorhebung fehlt in A, B.    z A: diese   a Hervorhebung fehlt in A, B.   b Hervorhebung fehlt in A, B.   c Hervorhebung fehlt in A, B.   d Fehlt in B.   e  Klammern fehlen in A. 19  Vgl. Weber, Über die Rede auf dem Deutschen Hochschullehrertag, oben, S.  302– 316. In dieser Zuschrift an die Tägliche Rundschau hatte Weber geschrieben: „Mein Vater hatte ein Referat über Teile des Budgets. Nachdem Geh. Rat Althoff bei einem parlamentarischen Abend ihm gegenüber darauf angespielt hatte, daß mein Vater doch über die Erwünschtheit der Bewilligung einer bestimmten (hier wohl nicht interessierenden) neu geforderten (nationalökonomischen) Professur doch mich (damals Privatdozent) befragen möge, ehe er zuließe, daß die nationalliberale Fraktion diese Professur (wie sie, angeblich, beabsichtigt) ablehne, erklärte mir mein Vater nach eingehender Rücksprache und mit meiner lebhaften Zustimmung, daß er weiterhin dies Referat nicht mehr zu übernehmen sich in der Lage fühle.“

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3. Da ich juristischer Privatdozent war, mußte meinem Vater und mir und muß Dritten jetzt auffallen, daß Geh. Rat Althoff schon damals auf eine eventl. nationalökonomische Professur für mich anspielte. Wie sich später herausgestellt hat, muß dies seinen Grund darin gehabt haben, daß von mehreren (mir persönlich damals fernstehenden) Gelehrten er auf Grund meiner die Grenzgebiete beider Disziplinen berührenden Arbeiten auf mich aufmerksam gemacht worden ist, wie dies auch in einem späteren Zeitpunkt nachweislich geschehen ist.20 Leider läßt sich der Zeitpunkt jener älteren Korrespondenz jetzt nicht mehr feststellen, sonst würde ich ganz eindeutige Angaben in zeitlicher Hinsicht zu machen in der Lage sein. Zum Schluß möchte ich noch ausdrücklich bemerken: daß ich ein irgendwelches Interesse der nationalliberalen Partei als solcher an der Bewilligung oder Nichtbewilligung der fraglichen Professur oder gar an der Art ihrer Besetzung ersichtlich in schlechterdings keiner Weise behauptet habe, noch auch je öffentlich oder privatim die Behauptung aufgestellt habe, daß diese Partei oder einzelne ihrer Mitglieder sich aus eigener Initiative irgendwie in diese Personalfrage einzumischen für richtig befunden hättenf. Ein Schatten fällt also in dieser Angelegenheit, deren entscheidender Punkt: die von meinem Vater mir erzählteg Unterhaltung Althoffs mit ihm[,] für jeden, der meinen Vater und mich (und übrigens auch: Althoffs rücksichtslose Menschenverachtung) einigermaßen kennt, allerdings als Tatsache feststeht, auf die nationalliberale Partei sicherlich in gar keiner Weise.h  iEs versteht sich nach Form, Inhalt und unvermeidlichem Umfang dieser Darlegungen von selbst, daß dieselbenj nicht etwa eine k„Berichtigung“k im Sinne des Pressegesetzes darstellen können oder wollen. Eine solche wäre übrigens angesichts der großen 21

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f  A, A1: hätte ; Emendation nach B.   g A: erzählten  h  In B folgt: Dazu bemerkt die „Nat[ional]lib[erale] Korr[espondenz]“: Unser parlamentarischer Mitarbeiter wird auf diese Darlegungen in einer der nächsten Nummern der „N[ational]L[iberalen] K[orrespondenz]“ eingehen. 21  i–i  (S.  349) Fehlt in B.    j A: dieselbe  k–k Anführungszeichen fehlen in A. 20  Vgl. dazu oben, S.  344, Anm.  11. 21  Dies geschah in: Nationalliberale Correspondenz, Nr.  236 vom 4. Nov. 1911, vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Noch einmal die Erklärungen, unten, S.  356, Anm.  4.

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Sachlichkeit Ihrer Ausführungen und nach den mir wohlbekannten Traditionen Ihres Organs ganz gewiß nicht am Platze. Vielmehr überlasse ich es vollkommen Ihrer Loyalität und der Ihres Herrn Referenten, was Sie aus diesen Ausführungen zum Zweck der Information Ihrer Leser über meine Erklärungen zur Sache wiederzugeben für richtig finden müssen. Ich habe auch das volle Vertrauen, daß dies so geschieht, daß dadurch ein zutreffendes Bild entsteht und insbesondere berücksichtigt wird, daß, wenn ich hier neben dem von mir als unumstößliche Tatsache Behauptetenl auch Angaben gemacht habe, für welche ich ausdrücklich das beneficium inventarii22 meines Gedächtnisses in Anspruch nehmen muß, dies nicht zu Mißdeutungen führen kann. Denn ich habe diese im einzelnen oder ganzen unsicheren Angaben und überhaupt allerhand mit dem eigentlichen Vorgang selbst nur indirekt in Zusammenhang stehende Punkte nur deshalb in aller Ausführlichkeit dargelegt, weil ich nach der Art der Darlegungen Ihres Herrn Referenten glauben muß, daß es ihm um eine möglichst ausgiebige Ermittlung der nach den dort verfügbaren Akten feststellbaren Begleitumständem des Vorfalls zu tun ist und ich mich verpflichtet fühlte, zur Erleichterung dieser Aufgabe das Meinige beizutragen. Ich stehe daher auch eventl. Anfragen sehr gern Rede. Meinerseits habe ich bisher, und zwar nur in einigen Zeitungen, festgestellt, daß die Voraussetzungen, von denen in Ihrem Artikel ausgegangen wurde, irrige waren, und ich werde mich, wie ich annehme, damit begnügen können.i

l  A, A1: behaupteten  m  Hervorhebung fehlt in A.  i  (S.  348)–i  Fehlt in B. 22 Lat.: die „Rechtswohltat des Inventars“. Mit Einreichen eines Nachlaßinventars konnte der Erbe seine Haftung auf den Nachlaß beschränken.

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[Das „System Althoff“] [Zuschrift an die Frankfurter Zeitung, 2. November 1911]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung veröffentlichte am 29. Oktober 1911 einen Artikel, in dem sie sich nochmals auf eine Äußerung Max Webers bezog, die dieser während des Deutschen Hochschullehrertags in Dresden gemacht hatte.1 Diese betraf die Gepflogenheit der preußischen Unterrichtsverwaltung unter Althoff und danach, mit einem fragwürdigen System von Reversen zu arbeiten, um das Berufungsgeschehen in ihrem Sinne zu beeinflussen. In dem Artikel wurde behauptet, diese Äußerung Webers sei „völlig falsch“.2 Von den nach Preußen berufenen Professoren werde kein Revers verlangt, sie müßten lediglich eine „Erklärung“ unterzeichnen. Um dies zu beweisen, druckte die Zeitung den Wortlaut dieser „Erklärung“ ab: „Aus Anlaß meiner Berufung nach … verpflichte ich mich 1. über eine Berufung an eine andere Hochschule oder in eine sonstige Stellung nicht ohne vorgängige Benachrichtigung des Herrn Kultusministers in Verhandlung zu treten; 2. auch nach Erfüllung der Verpflichtung zu 1 einer Berufung jedenfalls nur zum 1. Oktober und 1. April und nur nach vorgängiger dreimonatiger Kündigung zu entsprechen; 3. falls ich einer Berufung innerhalb der ersten 3 Jahre vom 1. … ab Folge leisten sollte, die mir bei meiner Übersiedlung von … nach … bewilligte Umzugskosten-Entschädigung von … M[ark] … Pf[ennig] noch vor meinem Abgange von … an die dortige Universitätskasse zurückzuzahlen.“ Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung fügte hinzu, die Verpflichtung zu Punkt 3 werde in allen Bundesstaaten gefordert, nur daß bei einigen Universitätsverwaltungen nicht 3, sondern 5 Jahre vorgesehen seien.3 Weber schickte seine Gegendarstellung offenbar nicht an die Norddeutsche Allgemeine Zeitung – diese hatte sich bereits am 24. Oktober 1911

1  Zur vorangehenden Auseinandersetzung vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Über das „System Althoff“, oben, S.  338 f. 2  Anonym, [ohne Titel], in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung, Nr.  255 vom 29. Okt. 1911, S.  1. 3 Ebd.

Editorischer Bericht

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gegen ihn gestellt4 und wollte sich mit ihm nicht weiter auseinandersetzen5 –, sondern an die Vossische Zeitung und die Frankfurter Zeitung sowie möglicherwiese auch noch an andere Zeitungen. Die beiden liberalen Zeitungen hatten ebenfalls über Webers Äußerungen auf dem Hochschullehrertag berichtet und ihre Leser über die Hintergründe des Vorgangs durch Webers Zuschrift über das „System Althoff“ informiert.6

Zur Überlieferung und Edition Ein Manuskript ist nicht überliefert. Die Zuschrift ist durch den Abdruck in zwei Tageszeitungen erhalten. Der Edition liegt der längere Abdruck zugrunde, der unter der Überschrift „Max Weber und das System Althoff“ in der Frankfurter Zeitung, Nr.  304 vom 2. November 1911, 1. Mo.Bl., S.  2 f. (A2), erschien. In kürzerer und auch sonst leicht abweichender Fassung war die Zuschrift unter der Überschrift „Die ‚Reverse’ des Kultusministeriums“ zuvor in der Vossischen Zeitung, Nr.  547 vom 1. November 1911, S.  2 (A1), erschienen. Weber ist in beiden Zuschriften als Autor kenntlich gemacht.7 Beide Fassungen sind redaktionell eingeleitet und mit abweichenden Überschriften versehen. Die Überschrift der Fassung A2 wird leicht abgewandelt von der Edition übernommen und als nicht autoreigen in eckige Klammern gestellt. Die Abweichungen der Fassung A1 von der Fassung A2 werden im textkritischen Apparat nachgewiesen. Davon ausgenommen sind die unterschiedlichen Kürzel für die Norddeutsche Allgemeine Zeitung.

4  Anonym, [ohne Titel], in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung, Nr.  250 vom 24. Okt. 1911, S.  2, sowie Webers Reaktion darauf: Weber, Über das „System Althoff“, oben, S.  317–324. 5  Dies hatte sie in ihrem Artikel vom 29. Okt. 1911 bekundet, vgl. dazu unten, S.  354, Anm.  9. 6  Vgl. Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen. Berichte, unten, S.  788–804, sowie die weiteren Artikel: „Max Weber über das ‚System Althoff’“, in: Frankfurter Zeitung, Nr.  298 vom 27. Okt. 1911, Ab.Bl., S.  2 f., und „Die Reverse des Kultusministeriums“, in: Vossische Zeitung, Nr.  539 vom 28. Okt. 1911, S.  2. Vgl. dazu Weber, Über das „System Althoff“, oben, S.  317– 324. 7  Vgl. unten, S.  352, textkritische Anm.  b zu Fassung A2, und die Vorbemerkung zu Fassung A1, unten, S.  352, textkritische Anm.  c.

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geehrte Redaktion!

Ich wäre Ihnen für die Aufnahme folgender Bemerkung zu den Äußerungen der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ vom 28. Oktober1 dankbar: Die „N[orddeutsche] A[llgemeine] Ztg.“ verschiebt abermals den Diskussionsgegenstand.a Diec von ihrd mitgeteilte, von allene Professoren zu unterzeichnende „Erklärung“2 ist selbstverständlich kein „Revers“3 der von mir besprochenen Art. fDie unter Nr.  3 derselben enthaltene Verpflichtung habe ich selbst bei meiner Berufung nach Baden als selbstverständlich und unbedenklich übernommen. Die Punkte No. 1 und 2 sind ebenfalls normalerweise durchaus harmlos.f Der Revers dagegen, welcher gmir abverlangt g 4 wurde, enthielt die Anerkennung: daß ich einen etwa an a–a  Fehlt in A1.  b  In A2 geht die redaktionelle Bemerkung voraus: Herr Professor Max Weber in Heidelberg schreibt uns:   c  In A1 geht voraus: Die „Nordd[eutsche] Allg[emeine] Ztg.“ hat am Sonnabend versichert: „Von den Professoren wird bei ihrer Berufung keinerlei Revers verlangt, sondern lediglich folgende Erklärung verlangt“, die u. a. eine Benachrichtigung des Kultusministers vor etwaigen Verhandlungen über die Übernahme einer anderen Stellung fordert. Gegenüber dieser Darstellung sendet uns Herr Prof. Max Weber Heidelberg eine Zuschrift, in der es heißt:   d A1: der „Nordd[eutschen] Allg[emeinen] Ztg.“   e Hervorhebung fehlt in A1.  f–f Fehlt in A1.  g–g  Hervorhebung fehlt in A1.   1  Gemeint ist der Artikel in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung, Nr.  255 vom 29. Okt. 1911, S.  1. 2  Vgl. den Editorischen Bericht, oben, S.  350 f. 3  Vgl. dazu Weber, Über das „System Althoff“, oben, S.  338–349. 4  Zu den Vorgängen anläßlich Webers Berufung als Extraordinarius an die Universität Berlin vgl. das Schreiben Max Webers an den badischen Minister des Kultus und Unterrichts Franz Böhm vom 19. Oktober 1911 (MWG II/7, S.  306–311), das Schreiben Friedrich Althoffs an Max Weber vom 6. August 1893, in welchem Althoff die Bedingungen für Webers Berufung zum Extraordinarius darlegte (teilweise abgedruckt, ebd., S.  308, Anm.  13), sowie das Schreiben Webers an Friedrich Althoff vom 5. August 1893 (GStA PK, VI. HA, Nl. Althoff B, Nr.  194, Bd. 2, Bl. 34–35; MWG II/2; teilweise abgedruckt in MWG II/7, S.  308 f., Anm.  14). Sowohl in den Ministerialakten (GStA PK, I. HA, Rep.  76) als auch im Nachlaß Althoff (GStA PK, VI. HA, Nl. Althoff) fehlt der Hinweis auf ein „Revers“. Das einzige, von Weber unterzeichnete „Anerkenntnis“ vom 27. Oktober 1893 betraf die Verpflichtung, im Falle einer Ernennung zum Extraordinarius an juristischen Prüfungen als Mitglied der Kommission teilzunehmen (vgl. MWG II/7, S.  307, Anm.  10).

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mich gelangenden „Ruf abzulehnen“ mich verpflichtet hätte. Da in der mündlichen Verhandlung von etwas derartigem keine Rede gewesen war, entzog ich mich brieflich dieser Zumutung (in einer hier nicht näher interessierenden Art).5 Wenn aberh die „N[orddeutsche] A[llgemeine] Ztg.“ etwai behaupten wollte, daß Reverse kvon genauk der gleichenl Art dem System des verstorbenen Ministerialdirektors Althoff fremdm gewesen seien, so würde diese Aufstellung zweifellos das größte Aufsehen bei denjenigen zahlreichen Kollegen erregen, welchen ebenfalls ein solcher Revers (teils mit, teils ohne Erfolg) angesonnen worden ist. Soll endlichn die Bemerkung lediglich besagen, daß in o„den letzten Jahren“o (von denen die „N[orddeutsche] A[llgemeine] Ztg.“ spricht) diese Praxis nicht mehr bestehe, so wäre darauf hinzuweisen: daß die Ausgestaltung des Kartellverhältnisses der Universitätsverwaltungenp6 dieses,r von außerpreußischen Verwaltungen naturgemäß unangenehm  empfundene Mittel nunmehr für den beabsichtigten Zweck entbehrlicher erscheinen ließ. Allein: ich habe ausdrücklichs nicht nur von Reversen der eben erwähnten,t immerhin nicht direkt anstößigen Art gesprochen, sondern von Reversen betreffend die uVerpflichtung zu nicht lehrauftragsgemäßen Vorlesungenu (ein solcher wurde mir angesonnen),7 von Schweigepflichten (wie sie mir und anderen,v und zwar gerade in letzter Zeitw unter aVerletzung bestehender Korporationsrechtea angesonnen wurden), ferner z. B. von Reversen, welche das Auftreten in öffentlichen Versammlungen betrafen (wie dies in einer mir genau bekannten Art, allerdings längere Zeit zurückliegend, passiert ist).8 Ferner von Reversen der Unterrichtsverwaltung, betreffend Eröffnung von Exspektanzenb auf künftigc irgendwo vakant werdende Professuren, also z. B. h Fehlt in A1.  i Fehlt in A1.  k Fehlt in A1.  l Hervorhebung fehlt in A1.   m  Hervorhebung fehlt in A1.  n  Fehlt in A1.  o A1: den „letzten Jahren“   p A1: Universitätsverwaltung  r Komma fehlt in A1.  s Hervorhebung fehlt in A1.   t  Komma fehlt in A2.  u–u  In A1 hervorgehoben.   v  Komma fehlt in A1.  w In A1 folgt: und  a–a  Hervorhebung fehlt in A1.  b A1: Exspektanten ; A2: Expektanzen  c  Hervorhebung fehlt in A1.   5  Vgl. den Brief Max Webers an Friedrich Althoff vom 5. Aug. 1893, wie oben, S.  352, Anm.  4. 6  Vgl. Weber, Über die Rede auf dem Deutschen Hochschullehrertag, oben, S.  307 f., Anm.  8. 7  Vgl. ebd., oben, S.  310, Anm.  17. 8  Der Sachverhalt konnte nicht aufgeklärt werden.

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auf den Todes- oder Rücktrittsfall bestimmter Ordinarien großer Universitäten: mit diesem „Papiergeld“ ist unter der Verwaltung Althoffs bei Berufungen nach Preußen freigebig gezahlt worden,d und ich warte die Behauptung ab, daß ederartige Offertene in den letzten Jahren fnicht mehrf passiert seieng. Diese Reverse hwaren (in mir bekannten Fällen) schriftlichh gegeben. iDa die „N[ord­deut­ sche] A[llgemeine] Ztg.“ erklärt, keinen Anlaß zu weiteren Erörterungen mit mir zu haben,9 so bemerke ich dazu: daß ich ein Bedürfnis nach solchen mit dieser Zeitung als notwendig unfruchtbar von Anfang an nicht besessen habe. Ich mache nur wiederholt darauf aufmerksam: daß meine Auslassungen ersichtlich in erster Linie an öffentlich feststehende, der jüngsten Vergangenheit angehörende Vorfälle anknüpften, und daß die Heranziehung einiger weiter zurückliegenderj Beispiele lediglich zur Illustration des „Systems“ erfolgte. Ich darf mir vielleicht noch die Bitte erlauben, bezüglich meiner Bemerkungen über die Handelshochschulen, welche ich an anderer Stelle eingehend richtiggestellt hatte,10 hinzufügen zu dürfen: Da mir private Zuschriften sowohl wie Anschreiben von Rektoren von Handelshochschulen11 den Beweis liefern, daß trotz jener Darlegung meine Auslassungen noch immer als eine „Herabwürdigung“ der Tätigkeit der Handelshochschulen empfunden werden, und da außerdem ich den Eindruck habe: daß wenigstens in Köln meine Befürchtungen bezüglich des Einflusses des m. E. für Handelshochschüler gänzlich deplacierten Verbindungswesens als unbegründet

d  Komma fehlt in A1.  e A1: Derartiges  f  Hervorhebung fehlt in A1.  g A1: sei    h–h A1: waren, in mir bekannten Fällen, schriftlich  i–i  (S.  355)  Fehlt in A1.   j A2: zurückliegenden 9  Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung hatte in ihrem Artikel, Nr.  255 vom 29. Okt. 1911, S.  1, erklärt: „Wir haben im übrigen keinen Anlaß, uns in weitere Erörterungen mit Herrn Prof. Weber einzulassen.“ 10  Weber, Die Handelshochschulen. Eine Entgegnung, oben, S.  325–333, war am 24. Oktober geschrieben und am 27. Oktober 1911 im Berliner Tageblatt veröffentlicht worden. 11  Der Rektor der Berliner Handelshochschule Arthur Binz hatte seiner Kritik am 16. Oktober 1911 in einem Brief an Max Weber Ausdruck verliehen. Vgl. den Brief Max Webers an Arthur Binz vom 18. Okt. 1911, MWG II/7, S.  298, sowie den Editorischen Bericht zu Weber, Die Handelshochschulen. Eine Entgegnung, oben, S.  325 f. Weitere Zuschriften sind nicht nachgewiesen.

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angesehen werden,12 so komme ich auf diese Punkte in einem ­dieser Tage an die Leiter der betreffenden Handelshochschulen zu versendenden Schreiben zurück,13 welches die Tatsachen, auf ­welche ich mich stütze und welche, mündlich und schriftlich, aus Kreisen stammen, deren Unbefangenheit und Informiertheit anzuzweifeln für mich keinerlei Möglichkeit besteht, zu beliebiger Verwendung mitteilen wird.i Mit vorzüglicher Hochachtung Professor Max Weber.

i  (S.  354)–i  Fehlt in A1. 12  Der Rektor der Handelshochschule Köln Christian Eckert schrieb in seinem Bericht über die Studienjahre 1906 und 1907, daß die Studierenden die „Erlaubnis erhalten haben, die äusseren Abzeichen deutschen Studentenlebens sich zuzulegen“, da diese von den Handelshochschulen nicht gänzlich auszuschließen seien. Er betonte aber, daß die Mehrzahl der Studierenden besser in „sportlichen und wissenschaftlichen Vereinen“ aufgehoben wäre. Vgl. Die städtische Handels-Hochschule in Cöln. Bericht über die Studienjahre 1906 und 1907. Erstattet von Christian Eckert. – Köln: Paul Neubner 1908, S.  97. 13  Am 7. November 1911 schickte Max Weber eine Denkschrift an die Handelshochschulen Berlin, Köln, Mannheim und München, vgl. oben, S.  325–333.

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[Noch einmal die Erklärungen] [Zuschrift vom 6. November 1911 an die Nationalliberale Correspondenz]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Die folgende Zuschrift Max Webers bezieht sich auf eine Erklärung in 11 Punkten in der Nationalliberalen Correspondenz vom 4. November 19111 und bildet die Fortsetzung einer öffentlich geführten Kontroverse zwischen Max Weber und dieser Zeitung.2 Deren parlamentarischer Mitarbeiter hatte die Ausführungen Webers auf dem IV. Deutschen Hochschullehrertag in Dresden über ein Gespräch zwischen Friedrich Althoff und seinem Vater, Max Weber sen., im Jahre 1893 in Zweifel gezogen. Weber hatte in Dresden seine „auffällige Protektion“ durch Althoff auf das nationalliberale Abgeordnetenmandat seines Vaters zurückgeführt und Althoff einen vermeintlichen Beeinflussungsversuch unterstellt, da dieser versucht habe, über seinen Vater die Zustimmung der nationalliberalen Fraktion zu einer von Althoff gewünschten, neu beantragten nationalökonomischen Professur zu erreichen. Sein Vater habe nach diesem Gespräch sein Mandat in der Budgetkommission niedergelegt.3 Der parlamentarische Mitarbeiter der Nationalliberalen Correspondenz bezog seine Informationen, laut eigenen Angaben, aus dem Protokoll der Budgetkommission vom 8. Februar 1893 sowie aus dem Protokoll der nationalliberalen Fraktionssitzung vom 22. Februar 1893.4 In seiner zwei Tage spä1  Vgl. Anonym, Nochmals die Erklärungen des Herrn Professor Dr. Max Weber (Heidelberg), in: Nationalliberale Correspondenz, Nr.  236 vom 4. Nov. 1911, GStA PK, I. HA., Rep.  76, Sekt. 1, Tit. IV, Nr.  45, Bd. 2, Bl. 110 (hinfort: Anonym, Nochmals die Erklärungen Max Webers), Teilwiedergabe in einer Erläuterung zum Brief Max Webers an Franz Böhm vom 17. Okt. 1911, MWG II/7, S.  294, Anm.  15. Zu den Hintergründen vgl. die redaktionelle Vorbemerkung der Nationalliberalen Correspondenz zu Webers Zuschrift, unten, S.  359, textkritische Anm.  i. 2  Vgl. Weber, Über das „System Althoff“, oben, S.  317–324, insbes. den Editorischen Bericht, S.  317 f. 3  Vgl. Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen, unten, S.  394–410, sowie den Brief an Franz Böhm vom 17. Okt. 1911, MWG II/7, S.  293 f. 4  Nationalliberale Correspondenz, Nr.  236 vom 4. Nov. 1911, GStA PK, Rep.  76, Sekt. 1, Tit. IV, Nr.  45, Bd. 2, Bl. 110.

Editorischer Bericht

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ter an die Nationalliberale Correspondenz geschickten Zuschrift vom 6. November 19115 geht Weber davon aus, daß der Verfasser des Artikels seine Informationen „aus den mir unbekannten und unzugänglichen Akten und Materialien“ bezogen hatte.6

Zur Überlieferung und Edition Die Zuschrift an die Nationalliberale Correspondenz ist als dreiseitiges maschinenschriftliches Manuskript unter dem Datum 6. November 1911 in zweifacher Ausfertigung sowie in einem verkürzten Abdruck unter der Überschrift „Noch einmal die Erklärungen des Herrn Professor Dr. Max WeberHeidelberg“ in der Nationalliberalen Correspondenz, Nr.  241 vom 10. November 1911, S.  1 (B), überliefert.7 Zum Abdruck gelangt das maschinenschriftliche Manuskript vom 6. November 1911, das sich in der Personalakte Max Weber, GLA Karlsruhe, 235/2643, Bl. 136–138 (A), befindet und mit handschriftlichen Unterstreichungen, Korrekturen und Ergänzungen Webers versehen ist (A1). Es trägt in der linken oberen Ecke eine Bemerkung von Max Webers Hand: „Abschrift. An die Nationalliberale Correspondenz.“, womit es sich, auch ohne eigenhändige Unterschrift, als ein Text Max Webers ausweist. Ein identisches maschinenschriftliches Manuskript befindet sich in: GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  30, Bd. 6, Bl. 88–90 (A2). Es trägt am oberen und am linken Rand folgende handschriftliche Zusätze Max Webers: „Zur gefl. Kenntnisnahme.“ sowie: „An die Nationalliberale Correspondenz“. Es weist keine (weiteren) handschriftlichen Änderungen auf und wird daher nachfolgend nicht berücksichtigt. Abweichungen des Typoskripts (A) und der Druckfassung (B) von der edierten Fassung A1 werden im textkritischen Apparat nachgewiesen, das betrifft auch die redaktionelle Vor- und Nachbemerkung der Nationalliberalen Correspondenz. Nicht nachgewiesen werden zeitübliche Abweichungen in der Rechtschreibung (wie z. B. deplacierten/deplazierten) und Tippfehler (wie z. B. verletztend oder zeimlich). Die Seitenzählungen der Textfassungen werden marginal mitgeführt. Bei Fassung A, A1 wird statt der Archivpaginierung die ursprüngliche maschinenschriftliche Zählung verwendet, die auf S.  2 einsetzt. Die Siglierung erfolgt als A, A1 (1), A, A1 2 etc.

5  Vgl. unten, S.  358–362. 6  Unten, S.  358. 7  Dieses Exemplar findet sich in: GStA PK, VI. HA, Nl. Max Weber, Nr.  30, Bd. 6, Bl. 91, also in direktem Anschluß an die Manuskriptvorlage Max Webers (Fassung A2).

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[Noch einmal die Erklärungen] A, A1 (1), [B 1]

aHeidelberg,

den 6. November 1911.

Sehr geehrte Redaktion! Ich empfing mit verbindlichstem Dank Ihre No. 236.1 Nachdem Ihr Herr Referent sich auf Grund meiner Angaben aus den mir unbekannten und unzugänglichen Akten und Materialien überzeugt hat, daß in deren Inhalt die von ihm anfänglich angenommene b„Unmöglichkeit“b der von mir erwähnten Vorfälle keinec Stütze findet, besteht für mich z. Zt. kein Grund, Sie noch mit denjenigen zusätzlichen Bemerkungen zu belasten, zu welchen einige von den Punkten 1–11d2 seiner Ausführungen (soweit dieselben nicht eine wichtigee Bestätigung meiner eigenen Darlegung ergeben) mir Anlaß geben könnten (speziell No. 1, 6, 8).3 Ich bemerke nur zu Punkt 10,4 daß – wie meine Darlegungen ergeben – auch heute mir die allein wesentlichenf Punkte des Vorfalls (der ersten und mir daher sehr eindrucksvoll gebliebenen Berührung mit der preußischen Unterrichtsverwaltung) gabsolut unzweideutig erinnerlichg sind. – a–a  (S.  359) Fehlt in B.   b–b  Anführungszeichen fehlen in A.   c Hervorhebung fehlt in A.   d A: 10    e  Fehlt in A.   f  Hervorhebung fehlt in A.   g–g Hervorhebung fehlt in A. 1  Gemeint ist: Anonym, Nochmals die Erklärungen (wie oben, S.  356, Anm.  1). 2  Vgl. ebd. 3  In diesen Punkten (ebd.) hieß es: „1. Wenn Herr Professor Dr. Weber die Hasbachsche Professur in Kiel im Auge hatte, kann die Unterredung mit seinem Vater nur im Januar oder Februar 1893 stattgefunden haben. 1892 wurde allerdings schon ein staatswissenschaftliches Extraordinariat für Kiel angefordert. Dieses kommt aber nicht in Betracht, da Abg. Dr. Weber (Halberstadt), wie aktenmäßig feststeht[,] erst 1893 in die Budgetkommission eingetreten ist.“ […] 6. Es ist unerfindlich und heute nicht mehr zu ergründen, wie Dr. Althoff auf den Gedanken kommen konnte, daß die Nationalliberalen die Ersatzprofessur ablehnen wollten. […] 8. Die Mitteilung des Vorgangs durch Herrn Professor Dr. Weber würde wahrscheinlich wesentlich geringeren Eindruck auf die Hörer gemacht haben, wenn er lediglich von einer ‚Absicht’ seines Vaters gesprochen hätte.“ 4  In Punkt 10 (ebd.) hieß es: „ Es ist gewiß nicht zu verwundern, und kann auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß Herr Professor Dr. Weber nach 18 Jahren sich des Vorganges in allen seinen einzelnen Teilen nicht mehr genau erinnern kann.“

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Lediglich gegen den letzten Punkt (11)5 seiner Darlegungen habe ich nachdrücklich Verwahrung einzulegen, da er m. E. weder den Tatsachen noch meinen offen erklärten Absichten gerecht wird. 1. Daß und warum ich s. Zt. daraufh zurückkam, diesen und andere Vorfälle öffentlich während Herrn Althoffs Amtszeit zur Sprache zu bringen, ist von mir ausführlich in der Täglichen Rundschau No. 497 gesagt.6 Privatim habe ich wiederholt den Vorfall mit vertrauenswürdigen Kollegen besprochen. 2.a Diei Wendung, man müsse sich j„wundern“j,7 daß ich diesen 18 Jahre zurückliegendenk Vorfall erst heute l„ans Licht ziehe“l, „um die gegenwärtigenm Ministerialbeamten der preußischen Unterrichtsverwaltung anzugreifen“, ist nicht nur unzutreffend, sondern, und zwar ohne objektiven Grund, verletzend. Denn nichts in meinen Äußerungen in Dresden oder später8  gibt irgendwelchen Anlaß zu der Annahme, daß dies letztere geschehen oder beabsichtigt gewesen sei. Diese älteren Vorgänge sind ausgesprochenermaßen nur herangezogen, um zu nkonstatieren, wien ich zur Sicherheit außerdem auch noch nachher wiederholt erklärt habeo: daß diejenigen Vorgänge, aus denen ich, in Übereinstimmung zum mindestenp mit der überwältigenden Mehrheit der

h  A, A1, B: davon  a  (S.  358)–a  Fehlt in B.   i  In B geht die redaktionelle Bemerkung voraus: Herr Professor Dr. Max Weber-Heidelberg sendet uns auf die Darlegungen unseres parlamentarischen Mitarbeiters in Nr.  236 wiederum eine Entgegnung. Professor Weber geht sachlich nur auf den Punkt 11 der Feststellungen unseres Mitarbeiters ein, wo gesagt war: „Wundern muß man sich dagegen, daß Herr Professor Dr. W[eber] einen vermeintlichen Beeinflussungsversuch, der 18 Jahre zurückliegt, erst heute ans Licht zieht, um die gegenwärtigen Ministerialbeamten der preußischen Unterrichtsverwaltung anzugreifen.“ Hierzu bemerkt Herr Professor Weber:   j–j Anführungszeichen fehlen in A.   k  Hervorhebung fehlt in A, B.    l–l Anführungszeichen fehlen in A.   m Hervorhebung fehlt in A, B.   n B: konstatieren (wie   o B: habe)  p  A, A1: mindestens   5  Vgl. textkritische Anm. i. 6  Vgl. Weber, Über die Rede auf dem Deutschen Hochschullehrertag, oben, S.  302– 316. Die Zuschrift an die Tägliche Rundschau war am 22. Oktober 1911 erschienen. 7  Weber bezieht sich hier auf Punkt 11 der Ausführungen des parlamentarischen Mitarbeiters der Nationalliberalen Correspondenz, vgl. oben, Anm.  5. 8  Vgl. Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen, unten, S.  394–410, sowie Webers Zuschriften an verschiedene Tageszeitungen, oben, S.  298–355.

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deutschen qHochschullehrer, wirklichq Vorwürfe (und zwar allerdings ziemlich schwere Vorwürfe) für die Gegenwartr herleite,9 Überkommnisse einer Tradition seien, welche durch Herrn Althoff geschaffen swar, welches auch unter ihm schwere Schatten warf,t aber freilich unter seiner Verwaltung durch die großen Lichtseiten seineru von mir sehr stark anerkanntenv Organisationsleistungen mehr als kompensiert wurde.w Daß ich dabei nicht Erfahrungen Dritter, die ich in beträchtlicher Zahl und aus den verschiedensten Zeiten kenne, aber natürlich streng vertraulich behandeln muß, verwerten konnte, ist klar und von mir auch ausdrücklich gesagt. Da ich persönlich aber seitx 17 Jahren mit der preußischen Unterrichtsverwaltung amtliche Beziehungen nicht mehr habe, konnte ich nicht wohl über jüngere eigene Erfahrungen verfügen.y Ihr Herr Referent ist in seinen hierher gehörigen Bemerkungen (Punkt 11)10 offenbar ein Opfer der um die Gegenwart herumgehenden, teilweise direkt unaufrichtigen Erklärungen der zNorddeutschen Allgem[einen] Zeitungz11 geworden, welche die Aufmerksamkeit von dem, was den gegenwärtigena Ministerialbeamten von mir wirklichb und ausdrücklichc unter spezieller Angabe der einzelnen Punkted öffentlich zum Vorwurf gemacht worden ist,12 auf andere Punkte abzulenkene geeignet und ersichtlich auch dazu

q A: Hochschullehrer wirklich    r  Hervorhebung fehlt in A.   s A: war, ; B: war und    t In B folgt: die  u In B folgt ein Komma.   v In B folgt ein Komma.  w B: wurden  x  Fehlt in A.   y  In B folgt ein Gedankenstrich, aber kein Absatz.  z–z B: „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“   a In B hervorgehoben.  b  In B hervorgehoben.   c  In B folgt ein Komma.   d  In A, B folgt ein Komma.  e  In B folgt ein Komma. 9  Vgl. Weber, Über das „System Althoff“, oben, S.  319. 10  Vgl. oben, S.  359, textkritische Anm. i. 11  Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung (Nr.  255 vom 29. Okt. 1911, S.  1) hatte Max Webers Aussage in Zweifel gezogen, daß bei der preußischen Unterrichtsverwaltung ein System von Reversen verschiedenster Art bestehe, und als Gegenbeweis eine „Erklärung“ abgedruckt, die die Professoren bei ihrer Berufung an eine preußische Universität zu unterzeichnen hatten. Vgl. dazu Weber, Das „System Althoff“, oben, S.  350. 12  Gemeint ist vermutlich der „Fall Bernhard“, vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Der „Fall Bernhard“, oben, S.  75–77, sowie Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen, unten, S.  394–410.

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bestimmt waren. Ich verweise in dieser Hinsicht auf die Bemerkungen der fRedaktion der Kölnischen Zeitung vom 29.X.f 13 Sehr gegen meine Neigung muß ich daraus den Anlaß nehmen, abermalsg höffentlich unzweideutigh festzustellen, was der gegenwärtigeni Unterrichtsverwaltung von mir zum Vorwurf gemacht worden ist, und zwar diesmal in einer Form, welche eine  gerichtliche Feststellung des Sachverhalts ermöglicht. Denn ich bin nicht gesonnen, einen von so gewichtiger Seite ausgehenden Angriff auf mir sitzen zu lassen, andererseits aber nichtj geneigt, kfür diese Zweckek den Weg privaterl Information von Parlamentspolitikernm zu nbeschreiten, worinn ich mich sicherlich der Zustimmung Ihres Herrn Referenten selbst erfreuen werdeo. Denn politische Parteien sind ihrem Wesen nach genötigt, auch derartige Angelegenheiten politischen Zwecken und Gesichtspunkten einzuordnen. Mein Angriff aber, der in Wirklichkeit eine Abwehr vonp unter den gegebenen Umständen ganz besondersq deplazierten Äußerungen des Herrn Kultusministersr gegen die Universitäten war,14 verfolgt seinerseits weder politische noch persönliche Zwecke und war, wie ich auch hier nachdrücklich hervorheben möchte, auch nicht etwa durch Anregungen oder Informationen beteiligter Universitätskol-

f A: Kölnischen Zeitung in No. ; B: Redaktion der „Kölnischen Zeitung“ vom 29. Oktober. – In B folgt kein Absatz.   g  Hervorhebung fehlt in A.    h  In B hervorgehoben.  i  In B hervorgehoben.   j  Hervorhebung fehlt in A, B.   k–k  Fehlt in A; A1: über diese Zwecke  l  In B hervorgehoben.   m  Hervorhebung fehlt in A, B.   n B: beschreiten (worin   o B: werde)  p  In B folgt ein Komma.   q  In B folgt ein Komma.   r A: Kulturministers 13  Die Kölnische Zeitung schrieb am 29. Okt. 1911: „Wir glaubten diesen schweren Vorwürfen gegen die preußische Unterrichtsverwaltung, die ja schon wiederholt laut geworden sind, Raum geben zu müssen, weil wir glaubten, daß die ministerielle Behörde nun das Bedürfnis und die Verpflichtung empfinden werde, darauf zu antworten […]. Man wird nicht sagen können, daß die Angaben Webers damit widerlegt seien, und man wird es bedauern müssen, daß die Unterrichtsverwaltung auf die anderen Vorwürfe nicht eingeht.“ Der Zeitungsausschnitt befindet sich in den Akten des preußischen Kultusministeriums, GStA PK, I. HA, Rep.  76, Sekt. 1, Tit. IV, Nr.  45, Bd. 2, Bl. 98. 14  Vgl. Weber, Nochmals das „System Althoff“, unten, S.  384 mit Anm.  9. Anspielung auf die Rede von August von Trott zu Solz im August 1911, vgl. Weber, Über die Rede auf dem Deutschen Hochschullehrertag, oben, S.  313 mit Anm.  24.

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legen veranlaßt. Ich werde die persönliche Hereinziehung Dritters auch jetzt tnach Möglichkeitt zu vermeiden suchen.u

s  In A folgt: 〈daher〉    t A: unter allen Umständen    u  In B folgt die redaktionelle Bemerkung: Wir möchten diese Diskussion hiermit, soweit die „Nat[ional]lib[erale] Corr[espondenz]“ in Frage kommt, abschließen, zumal auch unser parlamentarischer Herr Mitarbeiter, dem wir diese neuerliche Auslassung des Herrn Professor Dr. Weber vorlegten, darauf verzichtet, auf die Angelegenheit nochmals zurückzukommen.

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[Denkschrift an die Handelshochschulen]

Editorischer Bericht Zur Entstehung Auf dem IV. Deutschen Hochschullehrertag in Dresden äußerte sich Max Weber auch zu den deutschen Handelshochschulen.1 Was in den Zeitungen darüber (nicht immer korrekt) berichtet wurde, rief viel Kritik hervor.2 Das veranlaßte ihn, seine Ansichten in einer Denkschrift umfassend darzulegen. Diese schickte er am 7. November 1911 mit einem vertraulichen Begleitschreiben an die Handelshochschulen in Berlin, Köln, Mannheim und München3 sowie eine Abschrift an Paul Eltzbacher und Werner Sombart „zur gef. Kenntnisnahme“4 und, versehen mit einem Begleitbrief, am 8. November 1911 auch an das Großherzogliche Ministerium des Kultus und Unterrichts in Karlsruhe.5

Zur Überlieferung und Edition Die Denkschrift ist als 11-seitige maschinenschriftliche Abschrift in zwei Ausfertigungen überliefert; die an die vier Handelshochschulen in Berlin, Köln, Mannheim und München verschickten Exemplare müssen hingegen als verschollen gelten.6 Max Weber versah die Abschrift (A), die offenbar in mehre-

1  Vgl. Weber, Die von den deutschen abweichenden Einrichtungen an den nordamerikanischen Hochschulen, unten, S.  398, 410. 2 Vgl. dazu Weber, Die Handelshochschulen. Eine Entgegnung, oben, S.  325–333, mit Editorischem Bericht. 3  Brief Max Webers an die Handelshochschulen Berlin, Köln, Mannheim, München vom 7. Nov. 1911, MWG II/7, S.  327 f. 4  Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Bestand Wirtschaftshochschule Berlin, Nr.  989, Bl. 139–149. 5  Vgl. den Brief Max Webers an Franz Böhm vom 8. Nov. 1911, MWG II/7, S.  329 f. Die Abschrift der Denkschrift befindet sich im GLA Karlsruhe, 235/2643, Bl. 141–151. 6  Vgl. die schriftlichen Auskünfte an die Generalredaktion der Max Weber-Gesamtausgabe, BAdW München, vom UA Köln (14. April 1997), von der UB Mannheim (5. März 1997), des UA (25. April 1997) und des Historischen Archivs der Technischen Universität München (31. März 2010). Bei der in Berlin archivierten Denkschrift (vgl. oben, Anm.  4) handelt es sich nicht um das offizielle Exemplar an den Rektor der Handelshochschule Arthur Binz, sondern um eine Abschrift an die beiden Professoren Eltzbacher und Sombart.

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Denkschrift an die Handelshochschulen

ren Durchschlägen angefertigt worden war, mit leicht voneinander abweichenden handschriftlichen Zusätzen, Korrekturen und Unterstreichungen. Zum Abdruck gelangt hier die von Max Weber nicht nur mit eigenhändigen Zusätzen versehene, sondern auch unterschriebene Abschrift, die von ihm am 8. November mit einem Begleitbrief an den badischen Minister des Kultus und Unterrichts übersandt wurde7 und die sich in der Personalakte Max Weber, GLA Karlsruhe, 235/2643, Bl. 141–151 (A1), befindet. Alle Abweichungen der maschinenschriftlichen Abschrift A von der Fassung A1 werden textkritisch nachgewiesen. Ebenfalls textkritisch nachgewiesen werden die Abweichungen der zweiten Ausfertigung, die mit dem Zusatz „Herrn Prof. Eltzbacher u. Herrn Prof. Sombart zur gef. Kenntnisnahme“ versehen ist und sich im Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Bestand Wirtschaftshochschule Berlin, Nr.  989, Bl. 139–149 (A2), befindet.8 Nicht berücksichtigt wird eine weitere maschinenschriftliche Abschrift, die handschriftliche Zusätze Marianne Webers und Eduard Baumgartens trägt und vermutlich erst nach Webers Tod angefertigt worden ist. Sie kam als Schenkung von Eduard Baumgarten an das Max Weber-Archiv München und befindet sich heute im Deponat Max Weber, BSB München, Ana 446. Die Edition gibt die originale maschinenschriftliche Paginierung als A1 2 bzw. A2 2 etc. wieder und ergänzt die fehlende Zählung der ersten Seite als A1 (1) bzw. A2 (1). Auf die Annotation der Archivpaginierung wird verzichtet. Stillschweigend korrigiert werden Tippfehler, wie z. B. fehlender Wortabstand sowie Schreibfehler, wie „sicht“ statt „sich“, „Kökn“ statt „Köln“ oder „ihrem“ statt „ihren“. Nicht nachgewiesen werden maschinenschriftliche Sofortkorrekturen.

7  Vgl. den Brief Max Webers an Franz Böhm vom 8. Nov. 1911, MWG II/7, S.  329 f. 8  Diese Fassung lag dem Abdruck der Denkschrift in: Hayashima, Akira, Max Weber und die deutschen Handelshochschulen, in: Kwansei Gakuin University Annual Studies, Vol. 35, Dez. 1986, S.  168‑172 (hinfort: Hayashima, Handelshochschulen), zugrunde, der hier unberücksichtigt bleibt.

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[Denkschrift an die Handelshochschulen] Heidelberg, den 7. November 1911.

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Die auch nach meiner Darlegung im Berliner Tageblatt No. 548 vom 27. Oktober1 anhaltenden zahlreichen öffentlichen Angriffea und privaten Zuschriften anläßlich meiner Bemerkung über die Handelshochschulenb auf dem Hochschullehrertage veranlassen mich zu den nachfolgenden Bemerkungen, von denen ich anheimstelle, jeden erwünschten Gebrauch zu machen. Eine Veröffentlichung unterlasse ich meinerseits, weil ich dadurch wenigstens bei Unkundigen in der Tat vielleicht den Schein erwecken könnte, als sei meine Absicht, den Handelshochschulen etwas anzuhängen, dac ich hier ja nicht vermeiden kann, gewisse konkrete Zustände vorwiegend kritisch zu beleuchten. Ich schicke, ehe ich zur Sache komme, einige Bemerkungen voraus. Es ist vor den geschehenen öffentlichen Schritten2 von keiner der beteiligten Seiten an mich die Anfrage gerichtet worden, ob die Zeitungsmeldungen zutreffend und vollständig seien, obwohl doch die Voraussetzung, daß ich hier Gelegenheit, Zeit und übrigens auch: Neigung hätte, ohne konkreten Anlaß norddeutsche Blätter nach Berichten über eigene Reden zu durchforschen, wohl kaum als selbstverständlich gelten konnte. Man sagt mir, daß die ­Frankfurter Zeitung an der Sensationsmacherei anläßlich meiner Rede sich nicht beteiligt habe.3 Ich selbst weiß dies nicht, da ein zwölfstündiger Prozeßtermin am 15. und eine Ganztagesreise am 16. Oktober mich außerstand setzte,4 irgend einen, insbesondere a  In A2 hervorgehoben.  b  Hervorhebung fehlt in A, A2.  c A: weil 1  Vgl. Weber, Die Handelshochschulen. Eine Entgegnung, oben, S.  325–333. 2  Arthur Binz und Paul Eltzbacher, Professoren an der Berliner Handelshochschule, verwahrten sich in Zeitungszuschriften gegen die von Weber erhobenen Vorwürfe. Vgl. Binz, Arthur, [ohne Titel], in: Berliner Tageblatt, Nr.  530 vom 17. Okt. 1911, Ab.Bl., S. [3], und Eltzbacher, Paul, Max Weber und die Handelshochschulen, ebd., Nr.  528 vom 16. Okt. 1911, Ab.Bl., S. [4]. 3  Die Frankfurter Zeitung berichtete nicht über Webers Rede auf dem Hochschul­leh­ rertag. 4  Die zwölf Stunden dauernde Hauptverhandlung im Beleidigungsprozeß Julius Ferdinand Wollf/Otto Bandmann gegen Max Weber vor dem Schöffengericht in Dresden

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diesen Bericht,5 zu lesen. Nachdem ich erstmalig von den Preßberichten erfuhr (17. Oktober),6 habe ich privatim nach Berlin und Köln mitgeteilt, daß selbstredend eine Richtigstellung  etwaiger Irrtümer erfolgen werde.7 In Köln ist diese Mitteilung festgestelltermaßen durch einen nicht vorauszusehenden Zufall nicht an den Herrn Studiendirektor gelangt.8 Das erste Berliner Blatt erhielt ich am Donnerstag, den 19. Oktober abends. Meine sehr eingehende Berichtigung einer ganzen Anzahl anderweiter Falschberichte datiert vom 21. und erschien in der Täglichen Rundschau vom 22. Oktober,9 meine eingehende Darlegung betreffs der Handelshochschulen vom 24. erschien infolge einer verzögernden Rückfrage des Berliner Tageblatts daselbst am 27. Oktober.10 Indem ich nachstehend mein inzwischen öffentlich gegebenes Versprechen einlöse, die Gründe und Tatsachen, auf welche ich mich stütze, näher zu spezifizieren,11 nehme ich bezug auf die eben erwähnte beiliegende Darlegung12 und bemerke, daß ich Namen zu nennen oder indirekt die Quellen erkennbar zu machen, nach eingehender Erwägung ablehne, auch da wo mir dies, wie z. B. in

fand nicht am Sonntag, dem 15. Oktober, sondern am Samstag, dem 14. Oktober 1911, statt. Weber reiste am 16. Oktober 1911 nach Heidelberg zurück. Vgl. Brief Max Webers an Franz Böhm vom 22. Okt. 1911, MWG II/7, S.  319 f., Anm.  5. 5  Zu den Berichten über Webers Diskussionsbeiträge vgl. unten, S.  788–804. Weber könnte hier speziell an den Bericht der Täglichen Rundschau denken, die nach seinen Informationen „die gröbsten Irrtümer begangen“ habe, vgl. den Brief Max Webers an Arthur Binz vom 18. Okt. 1911, MWG II/7, S.  297 f. 6  Weber erfuhr davon durch einen Brief des badischen Kultusministers Franz Böhm vom 16. Oktober 1911. Vgl. die Editorische Vorbemerkung zum Brief an Franz Böhm vom 17. Okt. 1911, MWG II/7, S.  285. 7  Max Weber hatte am 18. Oktober 1911 sowohl Arthur Binz, dem Rektor der Handelshochschule in Berlin, als auch dem Juristen und Professor an der Berliner Handelshochschule Paul Eltzbacher brieflich eine Richtigstellung der Presseberichte angekündigt (vgl. die Briefe an Arthur Binz bzw. Paul Eltzbacher vom 18. Okt. 1911, MWG II/7, S.  297 f. bzw. 299 f.). Am 7. November 1911 schickte Weber Briefe an die Handelshochschulen Berlin, Köln, Mannheim und München. Vgl. MWG II/7, S.  327 f. 8  Der Rektor der Handelshochschule in Köln war Christian Eckert. Um welchen Zufall es sich handelte, ist nicht nachgewiesen. 9  Vgl. Weber, Über die Rede auf dem Deutschen Hochschullehrertag, oben, S.  302– 316, bes. den Editorischen Bericht, S.  303, Anm.  9. 10  Weber, Die Handelshochschulen. Eine Entgegnung, oben, S.  325–333. 11 Weber hatte dies den Handelshochschuldirektoren in seiner Zuschrift an die Frankfurter Zeitung angekündigt. Vgl. Weber, Das „System Althoff“, oben, S.  355 mit Anm.  13. 12  Wie oben, S.  365, Anm.  1.

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einem erst kürzlich erhaltenen umfangreichen Schreiben,13 ausdrücklich freigestellt worden ist. Denn andernfalls würde ich lediglich Veranlassung zu sterilen Rekriminationen und Personalrecherchen aller Art geben. Ich habe davon nur für einen Fall, in dem übrigens Außenstehenden gegenüber als absolut vertraulich anzusehenden, Begleitschreiben an die beiden Herren Hochschulleiter in Köln und Berlin14 eine in jenem Schreiben näher motivierte Ausnahme gemacht. dDie imd Lauf der Jahre mir teils mündlich, teils schriftlich zugegangenen Meinungsäußerungen betrafen teils (zum wesentlich kleineren Teil) die Wirkung der Diplome der Handelshochschulen als solcher, teils aber und namentlich die Wirkung des Couleurwesens; sie stammten 1. von Firmen, 2. von Angestellten, 3. – in einem Fall – aus den Kreisen der hochschulmäßig vorgebildeten Handelslehrer.15 Ich scheide alle diejenigen aus, welche – wie der Fall ad 3 und die meisten ad 2 – durch ihre Tonart Bedenken gegen die Sachlichkeit des  Schreibers erregen. Alsdann verbleiben folgende Punkte: Der Herr Rektor der Berliner Hochschule weist es als verletzend zurück, daß in Berlin ein Verbindungswesen existieree.16 Der

d A: Im  e A: existiert 13  Auf welches Schreiben sich Weber hier bezieht, ist nicht nachgewiesen. 14  In dem Begleitschreiben an die Handelshochschulen Berlin/Köln/Mannheim/München heißt es: „Da ich aus einer Preßäußerung glaube entnehmen zu sollen, daß hie und da die kleine Geschichte, welche ich in dieser Darstellung eingeflochten habe, als eine pointiert zugestutzte Anekdote aufgefaßt worden ist, so bemerke ich ausdrücklich: der Vorfall hat sich, soweit menschliches Gedächtnis einen Vorfall wortgetreu überhaupt zu behalten imstande ist, genau so wie erzählt in einer Fabrik zugetragen, an welcher ich selbst mit fast meinem ganzen Vermögen Teilhaber bin. Dagegen möchte ich ebenso ausdrücklich bemerken, daß von ausnahmslos allen denjenigen anderen Tatsachen, welche ich angeführt habe und anführe, keine einzige dieser selben Quelle entstammt.“ Vgl. MWG II/7, S.  327 f. 15  Solche Briefe erhielt Max Weber im Oktober 1911 von Arthur Binz und von Paul Eltzbacher. Vgl. die Editorischen Vorbemerkungen zu den Briefen an Arthur Binz bzw. Paul Eltzbacher vom 18. Okt. 1911, MWG II/7, S.  297–299. 16  Gemeint ist Arthur Binz. In einem Brief an Max Weber vom 17. Oktober 1911 erklärte er, daß das Couleurwesen „schon deshalb nicht als Kriterium der Handelshochschulbewegung gelten“ könne, weil es „garnicht auf allen Handelshochschulen eingeführt“ sei. In Berlin sei es sogar an der Handelshochschule verboten. Hier zitiert nach der Editorischen Vorbemerkung zum Brief Max Webers an Arthur Binz vom 18. Okt. 1911, MWG II/7, S.  298.

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Herr Studiendirektor in Köln umgekehrt spendet den dortigen Verbindungsstudenten Anerkennung und hält das Verbindungswesen mindestens für unschädlich, wenn nicht für erfreulich, wie aus Äußerungen in den Jahresberichten sowohl wie in seiner letzten Immatrikulationsrede hervorgeht.17 Nun existiert aber das Verbindungswesen auch in Berlin, nach den eingehenden Mitteilungen eines Herrn, der mit den dortigen Verbindungsstudenten persönlich verkehrt hat.18 Nur offenbar auf viel tieferem Niveau des Zuschnitts und der gesellschaftlichen Formen. Während in Köln in erster Linie Abkömmlinge vermögender Familien und einer sogenannten guten Kinderstube sich den Luxus eines Couleurlebens nach Art der Universitäten zu leisten scheinen, mindestens die tonangebenden Elemente sind, fehlen anscheinend diese Elemente unter den Berliner Verbindungsstudenten fast gänzlich, und der dort herrschende Ton wird als zum Teil eben deshalb höchst minderwertig geschildert. Es scheint sich um eine Auslese der Minderwertigsten zu handeln, und das Verbot hat also immerhin die Wirkung gehabt, tüchtigere Elemente aus diesem Treiben auszuschalten. Was sodann die Kölner Verbindungen anlangt – deren Zahl und Mitgliederstärke mir im einzelnen nicht bekannt ist, deren praktische Bedeutung aber, auch mit den Universitäten verglichen, keinesfalls gering sein kann, da ihre f(auch an den Universitäten überall vorhandene)f Minderheitsstellung für ihre Rolle nicht maßgebend ist, so liegen deren soziale Schichtungsverhältnisse gerade umgekehrt, und danach bestimmt sich nach den mir gemachten Mitteilungen19 auch ihr Einfluß. Dies würde meinen persönlichen Erfahrungen durchaus entsprechen.

f–f  Klammern fehlen in A, A2. 17 Gemeint ist der Leiter der Kölner Handelshochschule Christian Eckert, der das studentische Couleurwesen tolerierte. Vgl. Weber, Das „System Althoff“, oben, S.  355, Anm.  12. 18  Auf wessen Mitteilungen sich Weber hier bezieht, ist nicht nachgewiesen. 19  Seine Informationen über die Kölner Handelshochschule und deren Verbindungswesen bezog Weber aus den Mitteilungen derselben. Vgl. Die städtische HandelsHochschule in Cöln. Bericht über die Studienjahre 1906 und 1907. Erstattet von Christian Eckert. – Köln: Paul Neubner 1908. Bericht über die Entwicklung der Handels-Hochschule im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens unter besonderer Berücksichtigung der Studienjahre 1909 und 1910. Erstattet von Christian Eckert. – Ebd. 1911.

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Als ich in Heidelberg Couleurstudent war,20 betrug die Zahl aller Verbindungsstudenten zusammen noch nicht 1/7 der Studentenschaft (heute wesentlich mehr,  was für die Entwicklungsprognose auch der Handelshochschulstudentenschaft wichtig sein dürfte); dennoch aber spielten diese, schon weil für die äußere Repräsentation der Studentenschaft ihre Mitwirkung als unentbehrlich galt, in studentischen Angelegenheiten eine ausschlaggebende Rolle. Vor allem aber ließ sich, auch bei solchen Studierenden, welche außerhalb der Couleuren oder ihnen direkt feindlich gegenüberstanden, dennoch der unwillkürliche Einfluß der von den Verbindungen gezüchteten Formen des Auftretens nach meinen sehr deutlichen Erinnerungen nicht verkennen. Eben dies wird von der Existenz, Anerkennung und öffentlichen Belobung des Verbindungswesens an den Handelshochschulen teils – vielleicht mit Unrecht – schon jetzt behauptet, teils – m. E. nicht ohne Grund – für die Zukunft befürchtet. Diese dem Couleurstudententum mit gewissen Schichten der in Preußen offiziell als gesellschaftsfähig anerkannten Kreise gemeinsame Art sich zu geben: im Verkehr mit Gleichstehenden sowohl wie im Verkehr der Gesellschaft wie vor allem im Verkehr mit Untergebenen und mit anderen Kreisen Angehörenden, sind nun, wo immer sie sich zeigen, das gGespött des gesamten Auslandsg. Die Tragweite dieser h(i„prinzipiell“i ja gewiß gleichgültigen)h Dinge ist infolgedessen in der Praxis gerade für die Pionierarbeit des Handels keineswegs ganz gering. Sie schädigen, wie ich, nach einjährigem Aufenthalt in Italien, und von Beobachtungen bei persönlichen Besuchen in Holland, England, Nordamerika her,21 vor allem aber durch die Mitteilungen meiner zahlreichen Verwandtschaft in diesen drei Ländern und in Belgien

g–g  Hervorhebung fehlt in A.   h–h  Klammern fehlen in A.   i–i Anführungszeichen fehlen in A. 20  Weber war seit seinen Heidelberger Studienjahren 1882–1884 Mitglied der Burschenschaft „Allemannia“, am 17. Oktober 1918 erklärte er seinen Austritt. Vgl. dazu den Brief an Friedrich Keller vom 17. Okt. 1918, MWG II/10, S.  269–271. 21  Weber verbrachte das Jahr 1902 krankheitsbedingt vorwiegend in Italien; im Oktober 1903 unternahm er Reisen nach Holland, von August bis November 1904 eine Reise durch die Vereinigten Staaten. Die Zeit von Mitte August bis Mitte September 1910 verbrachte Weber in England.

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und Norwegen,22 mit vollster Bestimmtheit behaupten darf, die Beliebtheit und das Ansehen des Deutschtums dort auf das allerempfindlichste. Jener Spott – der einen ganz anderen Charakter hat, als z. B. die stets mit einem Einschlag von geheimem Respekt verbundene Heiterkeit, welche bei uns z. B. Engländer und Amerikaner gelegentlich erregen, – müßtej natürlich ertragen werden, wenn wir selbst der Ansicht  sein könnten, er sei unberechtigt. Dies ist aber, bei mir wenigstens, keineswegs der Fall. Während in früheren Jahrzehnten das zu geringe Gefühl für Würde und Haltung, speziell auch der deutschen Handlungsreisenden,k im Ausland unser Ansehen beeinträchtigtel, besteht jetzt die Gefahr, daß auch der deutsche Kaufmannsstand von jener auf den Außenstehenden ganz ebenso, daneben aber stillos und grotesk wirkenden Geschwollenheit des Auftretens angesteckt wird, welche ganz gewiß nicht ausnahmslos, aber in sehr hohem Maße durch das Couleurleben gezüchtet zu werden pflegt. Mit der Bemerkung: daß es überall geschmacklose Menschen gebe, ist es da schlechterdings nicht getan. Ich scheue mich nicht, ganz offen zu sagen, und überlasse es gerne jedem, der Lust dazu hat, darüber zu scherzen: daß ich die Schwierigkeit, diese in unreifen Jahren auf der Universität unwillkürlich eingeübten „Gesten“ wieder, sozusagen, aus den Gliedern loszuwerden, am eigenen Leibe erfahren habe. Das Gleiche darf ich, wiederum aus eigener, und zwar ziemlich ernster Erfahrung, von der Bedeutung der couleurstudentischen

j A: müsse  k  In A folgt: die  l A: beeinträchtigten 22 Max Webers Großmutter mütterlicherseits, Emilie Fallenstein, geb. Souchay, stammte aus einer Hugenottendynastie, die im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts zu den reichsten deutsch-englischen Familien zählte. Ihr Vater, Carl Cornelius Souchay, gründete in England die Firma Schunck, Souchay & Co, ihre Brüder Charles und John Souchay ließen sich in Manchester nieder. Ihr Schwager, Friedrich Wilhelm Benecke, stand der Firma Benecke, Souchay & Co. in London vor. Die verwandtschaftlichen Beziehungen zu Belgien und Holland beruhten auf der Heirat Laura Fallensteins, der Halbschwester Helene Webers, mit dem aus Amsterdam stammenden und in Antwerpen tätigen Kaufmann Carl Gustav Bunge. Drei Halbbrüder Helene Webers (Adalbert, Otto und Friedrich Fallenstein) wanderten nach Amerika aus. Max Webers Schwägerin, Valborg Weber, geb. Jahn, die seit 1903 mit Max Webers jüngerem Bruder Arthur verheiratet war, stammte aus Trondheim in Norwegen. Zu Webers weitverzweigter Verwandtschaft im Ausland, vgl. Roth, Guenther, Max Webers deutsch-englische Fami­ liengeschichte 1800–1950. – Tübingen: Mohr Siebeck 2001.

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Alkoholgewohnheiten23 für die Arbeitskraft, namentlich für deren Nachhaltigkeit in späteren Jahren, sagen. Es ist nicht die in, sei es noch so schweren, Gelegenheitsexzessen sich äußernde historische Trinkfröhlichkeit unseres Volkes, welche bedenklich ist, sondern die einen Bestandteil der Couleurdressur bildende Verpflichtung, regelmäßig und vorgeschriebenermaßen zu trinken. Daß heute in den Couleuren quantitativ im Trinken viel weniger geleistet wird als zu meiner Studentenzeit, ja nach unseren damaligen Maßstäben erbärmlich wenig, ändert daran nichts. Daß es heute schlagende Verbindungen von ganz gutem Ruf gibt, welche Limonade als Getränk auf der Kneipe zulassen, ist ebenso wie jener Umstand ein Symptom für die mit steigender Intensität der Arbeitsanforderungen gesunkene physische und psychische Alkoholkapazität. Wäre aber ein auf Limonade basiertes  Couleurleben unter Beibehaltung der auf Alkohol basierten Geselligkeitsformen eine stillose Lächerlichkeit und ein Zeichen seiner eigenen Überlebtheit, so ist die Übertragung der unvermeidlichen Trinkdressur auf Hochschüler, denen im Leben eine wesentlich härtere und angespanntere Arbeitsleistung bevorsteht, als (nach meinen eigenen Erfahrungen in der juristischen Praxis) den durchschnittlichen preußischen Juristen, eine schwere Gefahr für deren Interessen. Daß diese Trinkdressur und alle sonstigen Eigenarten des studentischen Verbindungslebens ganz in traditioneller Art auch den Couleuren der Handelshochschulen eignenm, ist mir aber für Köln sehr nachdrücklich versichert worden, erst soeben wieder aus Köln selbst von einer Seite, welche dies aus persönlichem Verkehr mit den dortigen Verbindungsstudenten genau zu wissen erklärt. Als besonders schwere Schäden des Verbindungslebens wurden mir in ziemlich typischer Art folgende Momente hervorgehoben, von denen einige ebenfalls in Zuschriften aus den letzten Wochen erneut mit Beispielen belegt werden: Zunächst die nicht ganz seltene Teilnahme auch Minderbemittelter an demn, seinemo Wesen und auch meiner eigenen Erfahrung nach, lediglich auf den Geldbeutel bemittelter Studenten zugem  A, A2: eigene  n  A, A1, A2: den  o  A, A2: ihrem 23  Zum Alltagsleben der Korporationen gehörte das wöchentliche Kneipen, bei dem die Studenten soviel Bier wie möglich trinken mußten. Marianne Weber schrieb, daß sich auch Max Weber während seines Studiums durch „hervorragende Trinkfestigkeit“ ausgezeichnet habe. Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild3, S.  73.

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schnittenen Couleurleben. Die wirkliche oder vermeintliche Poesie dieser Lebensform an sich scheint dabei, wie (heute) auf den Universitäten, so auch auf den Handelshochschulen keineswegs das regelmäßig entscheidende Motiv der Teilnahme zu sein. Vielmehr wird berichtet, und dies würde völlig meinen eigenen Erfahrungen aus der Zeit, als ich Gegenstand des „Keilens“ war,24 entsprechen: daß die von den Couleuren selbst genährte Erwartung, auf diesem Wege Konnexionen zu gewinnen, gerade für Minderbemittelte sehr oft den Ausschlag gebe. Für diese Schichten aber bedeutet die Couleurzeit nicht nur die Gefahr des Schuldenmachens um der soeben erwähnten materiellen Zukunftschance willen, sondern auch herbe Enttäuschungen und ein erschwertes Sichabfinden  mit dem späteren Leben, wenn der Kontrast der unvermeidlich fühlbaren Abhängigkeit im Kontor mit der Ungebundenheit des Studentenlebens sich geltend macht. Von seiten von Handelsangestellten wird – soweit hier sachliche Äußerungen mit greifbarer und plausibler Begründung vorliegen – der Befürchtung Ausdruck gegeben, daß künftig in