Max Weber-Gesamtausgabe, Band I/5,1: Börsenwesen: Schriften und Reden 1893-1898, 1. Halbband 3161469526, 9783161469527

Erstmals werden hier die Schriften, Reden und Redebeitrage von Max Weber zum Borsenwesen und zur deutschen Borsenpolitik

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Max Weber-Gesamtausgabe, Band I/5,1: Börsenwesen: Schriften und Reden 1893-1898, 1. Halbband
 3161469526, 9783161469527

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Siglen, Zeichen, Abkürzungen
Einleitung
I. Schriften und Reden
[Rezension von: Wilhelm Kaufmann,] Das internationale Recht der ägyptischen Staatsschuld
[Rezension von: Otto Thorsch,] Materialien zu einer Geschichte der österreichischen Staatsschulden vor dem 18. Jahrhundert
Die Börse. I. Zweck und äußere Organisation der Börsen
Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete

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Max Weber Gesamtausgabe Im Auftrag der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Herausgegeben von

Horst Baier, M. Rainer Lepsius, Wolfgang J. Mommsen, Wolfgang Schluchter, Johannes Winckelmann t Abteilung I: Schriften und Reden Band 5 1. Halbband

ARTIBUS

J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

Max Weber Börsenwesen Schriften und Reden 1893 -1898

Herausgegeben von

Knut Borchardt in Zusammenarbeit mit

Cornelia Meyer-Stoll

1. Halbband

ARTI BUS

J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

Redaktion: Karl-Ludwig Ay - Edith Hanke Die Herausgeberarbeiten wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Werner-Reimers-Stiftung gefördert.

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Weber, Max: Gesamtausgabe / Max Weber. Im Auftr. der Kommission für Sozialund Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Hrsg. von Horst Baier ... - Tübingen: Mohr Siebeck Abt. 1. Schriften und Reden Bd. 5. Börsenwesen: Schriften und Reden 1893 - 1 8 9 8 / hrsg. von Knut Borchardt in Zusammenarbeit mit Cornelia Meyer-Stoll Halbbd. 1 - (1999) ISBN 3-16-146952-6 ISBN 3-16-146954-2

978-3-16-158123-6 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019

© 1999 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde gesetzt und gedruckt von der Druckerei Guide in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Weissenstein in Pforzheim. Den Einband besorgte die Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen nach einem Entwurf von Alfred Krugmann in Stuttgart.

Inhaltsverzeichnis (1.

Halbband)

Vorwort

IX

Siglen, Zeichen, Abkürzungen Einleitung

XIII 1

I. Schriften und Reden Rezension von: Wilhelm Kaufmann, Das internationale Recht der ägyptischen Staatsschuld Editorischer Bericht Text

115 117

Rezension von: Otto Thorsch, Materialien zu einer Geschichte der österreichischen Staatsschulden vor dem 18. Jahrhundert Editorischer Bericht Text

121 123

Die Börse I. Zweck und äußere Organisation der Börsen Editorischer Bericht Text

127 135

Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete Editorischer Bericht Text

175 195

Inhaltsübersicht Vorbemerkung I. Organisation und Rechtsstellung der Börsen II. Maklerwesen und Kursnotirung III. Das Kommissionsgeschäft IV. Zulassung von Effekten zum Handel und Emissionswesen V. Effekten-Terminhandel und Börsenspiel

195 195 217 285 412 460 494

VI

Inhaltsverzeichnis

(2. Halbband) Börsenwesen (Die Vorschläge der Börsenenquetekommission) Editorischer Bericht Text

553 558

Die technische Funktion des Terminhandels Editorischer Bericht Text

591 597

Die Börse II. Der Börsenverkehr Editorischer Bericht Text

614 619

Beiträge zu den Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses im Reichsamt des Innern in der Zeit vom 19. bis 26. November 1896 Editorischer Bericht Text

658 673

1. Verhandlungstag 2. Verhandlungstag 3. Verhandlungstag 4. Verhandlungstag 5. Verhandlungstag mit Max Webers „Referat über das Resultat der Kommissionssitzungen" 6. Verhandlungstag

673 674 688 696 697 717

Bericht des provisorischen Börsenausschusses, betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen Editorischer Bericht Text

736 744

Börsengesetz Editorischer Bericht Text

779 791

Wertpapiere (Aufbewahrung) Das Bankdepotgesetz vom 5. Juli 1896 Editorischer Bericht Text

870 876

Inhaltsverzeichnis

VII

II. Berichte über Reden Organisation der deutschen Börsen im Vergleich mit denjenigen des Auslandes Vortrag am 3. Juli 1894 in Berlin Editorischer Bericht

885

Bericht des Berliner Tageblatts Bericht der Weser-Zeitung

889 891

Probleme der Börsenorganisation Vortrag am 12. Januar 1895 in Berlin Editorischer Bericht Bericht des Berliner Börsen-Couriers

893 896

Börsenfragen Vortragsreihe vom 24. bis 26. September 1896 in Berlin Editorischer Bericht

898

Bericht der Zeit Bericht der Täglichen Rundschau

902 905

Geschichte und Organisation der Börse Erster Vortrag der Vortragsreihe über Börsenwesen und Börsenrecht am 15., 22. und 29. Januar, 5. und 12. Februar 1898 in Frankfurt am Main Editorischer Bericht 907 Bericht des Frankfurter Volksboten 910

Anhang I: Max Webers Verzeichnisse des Inhalts von drei Sammelkästen für Broschüren und Sonderdrucke u.a. zum Börsenwesen 1. Börsenwesen und Börsenreform 2. Bank-, Geld- und Lagerhauswesen 3. Eisenbahnwesen und Diverses

921 924 926

Anhang II: Dokumente zum Börsenrecht und zur Börsengesetzgebung 1. Fragebogen der Börsenenquetekommission vom 6. April 1892 . . . 2. Anlage zum Fragebogen, 26. Januar 1893

931 935

VIII

Inhaltsverzeichnis

3. Zusammenstellung der Vorschläge der Börsen-EnqueteKommission, November 1893 4. Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 mit den Ergänzungen bis 1884 5. Österreichisches Gesetz vom 4. April 1875, betreffend die Handelsmäkler oder Sensale 6. Börsengesetz vom 22. Juni 1896 7. Entwurf von Bestimmungen, betreffend die Zulassung von Werthpapieren zum Börsenhandel, November 1896 8. Denkschrift des Bundes der Landwirthe, betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen vom 19. Oktober 1896 9. Eingabe des Deutschen Landwirthschaftsrathes vom 21. November 1896

937 960 974 975 993 1000 1007

Personenverzeichnis

1013

Glossar

1031

Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur

1069

Personenregister

1090

Sachregister Seitenkonkordanzen Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe, Abteilung I: Schriften und Reden

Vorwort

Erstmals werden hier die Schriften, Reden und Redebeiträge von Max Weber zum Börsenwesen und zur deutschen Börsenpolitik am Ende des 19. Jahrhunderts vollständig vorgelegt und zugleich einem größeren Kreis von Benützern erschlossen. In Veröffentlichungen zur Geschichte der deutschen Börsen sowie zur Entstehung des Börsengesetzes vom 22. Juni 1896 wird Webers einst vielbeachtete und einflußreiche Aufsatzfolge über die „Ergebnisse der deutschen Börsenenquete" immer noch zitiert. In der Forschung über ihn haben seine Arbeiten über Börsenfragen und seine börsenpolitischen Aktivitäten bislang jedoch kaum Beachtung gefunden. Dabei hat Max Weber von 1894 bis 1898 den Problemen der Börsenreform einen großen Teil seiner über die Maßen beanspruchten Arbeitskraft gewidmet. Die hier versammelten Schriften und Redebeiträge sind, betrachtet man allein ihren Umfang, der Hauptertrag seiner Freiburger Jahre. Dafür, daß dieser Werkbestand so nachhaltig übersehen worden ist, gibt es verschiedene Gründe. Die Arbeiten setzen selbst dort, wo Max Weber sich bemüht hat, ein Laienpublikum zu erreichen, die Bereitschaft voraus, sich auf die Erörterung mannigfaltiger Spezialfragen der Börsenorganisation und der Börsentechnik einzulassen. Vieles davon galt bald als durch die Ereignisse überholt. Die Bedeutung des Behandelten für allgemeinere Fragestellungen, speziell auch für das spätere Werk Webers, liegt nicht offen zutage. Doch hat vermutlich auch die Entscheidung von Max Webers Witwe Marianne und des Verlegers Oskar Siebeck, in die von ihnen besorgte umfangreiche Sammlung von Wiederabdrucken der Werke Webers nur einen einzigen Börsentext aufzunehmen und diesen in den Gesammelten Aufsätzen zur Soziologie und Sozialpolitik zu plazieren, 1 einer intensiveren Beschäftigung und einer zutreffenden Einschätzung dieser Schriften im Wege gestanden. Es ist hier nicht der Ort, darüber zu spekulieren, wie sich das Bild des frühen Max Weber heute darstellen würde, wenn Marianne Weber die 1923 geäußerte Absicht, einen Band Gesammelte Aufsätze zur Wirtschaftspolitik bzw. zur Sozial- und Wirtschaftspolitik zu publizieren, hätte 1 Gemeint ist der unter der Überschrift „Die Börse (1894)" abgedruckte Text in: Weber, Max, Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik, hg. von Marianne Weber. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1924, S. 256-322. Daß es sich hierbei um zwei in den Jahren 1894 und 1896 gesondert veröffentlichte Schriften handelt, wird dem Leser von der Herausgeberin nicht mitgeteilt. Vgl. die Editorischen Berichte zu Weber, Börse I, unten, S. 127-134, und Börse II, unten, S. 6 1 4 - 6 1 8 .

X

Vorwort

verwirklichen können u n d in ihm, wie seinerzeit geplant, eine Abteilung „Börsenwesen" eingerichtet worden wäre. 2 Daß dieses Bild in m a n c h e r Hinsicht anders a u s s e h e n würde, darf als Ü b e r z e u g u n g wohl geäußert werden. Umso dringlicher wurde es aber auch, den g e s a m t e n Werkkomplex zu präsentieren und z u g l e i c h den Z u g a n g zu den s c h w i e r i g e n Texten zu erschließen. Die Arbeit an der Edition hat sich aus v e r s c h i e d e n e n G r ü n d e n über eine lange Zeit erstreckt. M a n g e l s ausreichender Vorarbeiten zur G e s c h i c h t e der Börsen u n d der B ö r s e n g e s e t z g e b u n g bedurfte es zunächst umfangreicher eigener F o r s c h u n g e n z u m zeitgeschichtlichen u n d wissenschaftlichen Hintergrund. Glücklicherweise haben das in den 1980er u n d 1990er Jahren rasch wieder z u n e h m e n d e Publikumsinteresse an Börsenfragen und die Modernisierung des d e u t s c h e n Börsenrechts a u c h zu einer B e l e b u n g d e s Interesses an der Rechts- u n d Wirtschaftsgeschichte der Börsen und ihrer Geschäftsformen beigetragen. So konnten wir uns a u c h auf neueste Veröffentlichungen stützen. Weniger Erfolg war d e n B e m ü h u n g e n b e s c h i e d e n , den b i o g r a p h i s c h e n Hintergrund der W e b e r s c h e n Börsenschriften vollständ i g aufzuklären. Wo dies nicht g e l u n g e n ist, erlaubten unsere Recherchen immerhin b e g r ü n d e t e Vermutungen hinsichtlich der U m s t ä n d e der Entstehung der Arbeiten. Viele h a b e n die Edition durch Rat und Tat gefördert, ja E n t s c h e i d e n d e s zur Realisierung des Projekts beigetragen. Mein Dank an Personen u n d Institutionen kann hier nur unvollkommen formuliert werden. O b ich den Hera u s g e b e r n der Max W e b e r - G e s a m t a u s g a b e für den Auftrag zur Edition dieses Bandes d a n k b a r sein sollte, war mir im Verlauf der Jahre wiederholt zweifelhaft. D o c h m ö c h t e ich nach Abschluß der Arbeiten bekennen, daß sie mich auf einen höchst interessanten W e g geführt und mir g a n z neue Erfahrungen ermöglicht haben. Als für die Betreuung zuständiger Herausg e b e r hat sich insbesondere W o l f g a n g J. M o m m s e n n e b e n d e n zahlreichen B ä n d e n der MWG, die er selbst ediert hat, a u c h um diesen verdient gemacht. Mitarbeiter des Bayerischen Hauptstaatsarchivs in M ü n c h e n sowie der ehemaligen Zentralen Staatsarchive (der DDR) M e r s e b u r g u n d Potsd a m unterstützten die Suche nach und die Arbeit an den historischen Quellen. Die Bayerische Staatsbibliothek München, das Volkswirtschaftliche Institut u n d das Seminar für Wirtschaftsgeschichte der Ludwig-MaximiliansUniversität M ü n c h e n halfen uns mit ihren reichen Literaturbeständen u n d

2 Zu d e n Planungen dieses Bandes vgl. den Brief von Oskar Slebeck an Marlanne Weber v o m 30. Juli 1923 und Aufstellungen d e s Verlags, VA Mohr/Slebeck, Deponat BSB München, A n a 446. Hierfür v o r g e s e h e n waren drei Texte: „Die Börse" (1894), „Die t e c h n i s c h e Funktion des Terminhandels" und „Börsenwesen". Warum es zu d i e s e m B a n d nicht gekommen Ist, konnte nicht ermittelt werden.

Vorwort

XI

bei der Vermittlung seltener Druckschriften aus anderen Bibliotheken. Manfred S c h ö n von der Düsseldorfer Arbeitsstelle der M W G wies uns auf wichtige Z e u g n i s s e zu Leben und Werk Webers hin und stand immer zu Auskünften zur Verfügung. Ähnlich konnten wir von den Erfahrungen Bernhard Ebneths in der Redaktion der Neuen Deutschen Biographie bei Recherc h e n zu den Personen in den von Weber benutzten Dokumenten und in seinem Umkreis profitieren. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat die Arbeiten der ersten Jahre gefördert; insbesondere Frau Helga H o p p e war eine geduldige und stimulierende Anwältin der Sache. Die Bayerische A k a d e m i e der Wissenschaften und ihre Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte g a b e n uns mehr als Personal- und Sachmittel. Hier hatte die Edition ein vollkommenes Zuhause, zumal alle Mitarbeiter der Münchener Arbeitsstelle der Max WeberG e s a m t a u s g a b e sich über die Maßen engagiert an der Lösung zahlreicher wissenschaftlicher und technischer Probleme beteiligt haben. Rita Aldenhoff-Hübinger, Edith Hanke, Franziska Kaiser und Ingrid Pichler waren ideale Helferinnen in den verschiedenen Phasen der Erstellung d e s Manuskripts und der Herstellung des Bandes. Karl-Ludwig Ay wirkte als Mentor. Seine immense editorische Erfahrung war die Quelle vieler Anregungen, seine rücksichtsvoll-produktive Kritik g a b uns größere Sicherheit. Johann Christian Meier hat mit der Erschließung des zeitgenössischen Hintergrunds, der Überprüfung und der Kommentierung der Texte begonnen. Die in dieser Zeit von ihm angefertigte und 1992 publizierte Doktorarbeit „Die Entstehung des Börsengesetzes vom 22. Juni 1896" ist, wie auch den zahlreichen Verweisungen in der Einleitung und in den Editorischen Berichten entnommen werden kann, eines der Fundamente der inhaltlichen Arbeit. Cornelia Meyer-Stoll hat dann an der Fortentwicklung des editoris c h e n Konzepts mitgewirkt und es in den folgenden Jahren umgesetzt. Sie trug die Hauptlast der Editionsarbeit. Hierfür gilt ihr mein besonderer Dank. An der editorischen Detailarbeit waren in verschiedenen Stadien auch Hilfskräfte beteiligt. Stellvertretend seien Margot Hamm und Christiane Riedmaier dankbar erwähnt. - Meine Frau Ellen Borchardt hat keine Zeile zu dem Werk beigetragen. Und d o c h ist ihr Anteil an seinem Zustandekommen sehr groß. München, im September 1999

Knut Borchardt

Siglen, Zeichen, Abkürzungen

Die kursiv gesetzten Kurztitel sind im Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur aufgelöst. j [] [...] % %o —> & §, §§ §11 £ $ 2 \ 3) 1,2,3 A A(1), A(2), A(3) A1, A2, A3 A1 r, A1 I, A2 r, A2 I a, b, c , a a, b - b

Seiten- oder Spaltenwechsel Hinzufügung des Editors Auslassung des Editors Prozent Promille siehe et, und Paragraph, Paragraphen Paragraph 1 Ziffer bzw. Nummer 1 Pfund Sterling Dollar Indices bei Anmerkungen Max Webers Indices bei Anmerkungen des Editors Sigle für Max Webers Textfassung Siglen für parallel überlieferte Berichte von Reden oder Diskussionsbeiträgen Seitenzählung der Druckvorlagen rechte oder linke Spalte in der Druckvorlage Indices für textkritische Anmerkungen Beginn und Ende von Varianten oder Texteingriffen

a.a.O. Ab.BI. Abs. Abschn. Abt., Abth. a.d. a. D. al. Allg., Allgem. a.M., a/M. Anm. a.o. Professor a.Rh. Art. Aufl. Aug.

am angegebenen Ort Abendblatt, Abendausgabe Absatz Abschnitt Abteilung ander außer Dienst aliena Allgemeine am Main Anmerkung außerordentlicher Professor am Rhein Artikel Auflage August

B, B., Br. BA Potsdam BayHStA

Brief Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam Bayerisches Hauptstaatsarchiv

XIV

Siglen, Zeichen,

Abkürzungen

BBC Bd. bearb. bes. betr. bez., bz. Bez. bezw., bzw. B.G., BörsG Bl. B 0 „ B.O. BSB München bz. B.

Berliner Börsen-Courier Band bearbeitet besonders betreffend bezahlt Bezirk beziehungsweise Börsengesetz vom 22. Juni 1896 Blatt Börsenordnung Bayerische Staatsbibliothek München bezahlt und Brief

ca. cand. jur. cf. Cie., Co., Comp. Cif. Comm.-Rath Ctr.

cirka candidatus juris confer, vergleiche Compagnie cost insurance freight Commerzien-Rath Centner

D. d. das. d. d. Der Deutsche Oekonomist

Dlgesta den daselbst de dato Der Deutsche Oekonomist. Wochenschrift für finanzielle und volkswirtschaftliche Angelegenhelten und Versicherungswesen. Special-Organ für Realcredlt- und Hypothekenbankwesen, hg. von Wilhelm Christians (und Franz Robert). - Berlin 1883-1935. dergleichen desgleichen Dezember das heißt

dergl., dgl. desgl., dgl. Dez. d.h. dies. Diss., Dissert. d. J. Dr. D. Red. d. s. ds. Mts. DVP ebd. Ehrenberg, Zeitalter der Fugger engl, etc.

dieselbe, dieselben Dissertation dieses Jahres Doktor Die Redaktion das sind dieses Monats Deutsche Volkspartei ebenda Ehrenberg, Richard, Das Zeitalter der Fugger. Geldkapital und Credltverkehr im 16. Jahrhundert, 2 Bände. - Jena: Gustav Fischer 1896/97. englisch et cetera Folge

Siglen, Zeichen,

Abkürzungen

XV

f., ff., fg. Febr. fem. fl. frz. Fußnote FZ

folgende Februar feminin Florin (= Gulden) französisch Fußnote von Max Weber Frankfurter Zeitung

G, G „ Gd. gänzl. Gebr. Geh. Gew.-Ord. Gr. GS

Geld gänzlich Gebrüder Geheim, Geheimer Gewerbe-Ordnung Gramm Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, Jg. 1810-1906. - Berlin 1810-1906. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin

GStA Berlin

Handbuch H a n d w ö r t e r b u c h der Staatswissenschaften, hg. von Johannes C o n r a d u.a. [1. Aufl.], 6 Bände und 2 S u p p l e m e n t b ä n d e . Jena: Gustav Fischer 1 8 9 0 - 1 8 9 7 ; 2. gänzl. u m g e a r b . Aufl., 7 Bände, ebd. 1 8 9 8 - 1 9 0 1 ; 3. gänzl. u m g e a r b . Aufl., 8 Bände, e b d . 1 9 0 9 - 1 9 1 1 ; 4. gänzl. u m g e a r b . Aufl., 9 Bände, e b d . 1923-1929. Heinemann, Das Heinemann, Ernst, Das Problem der deutschen Börsenreform Problem der deutschen In rechtlicher und w i r t s c h a f t l i c h e r Beziehung unter b e s o n d e Börsenreform rer Berücksichtigung der Judikatur des Reichsgerichts u n d des Oberverwaltungsgerichts. - Berlin: Carl Heymann 1901. Hg., hg. Herausgeber, h e r a u s g e g e b e n HGB, HGB., H.G.B. Allgemeines Deutsches H a n d e l s g e s e t z b u c h

Handb. HdStW1,2,3,

4

i.Br., i.Brsg. i. e. S. Inaug.-Dissert. insbes., insbeson. i.Pr. itai. i. V.

im Breisgau im engeren Sinne Inaugural-Dissertation insbesondere in Preußen italienisch in Vertretung

Jahrb. Jahrg., Jg. Jan. jr.

Jahrbuch, Jahrbücher Jahrgang Januar junior

kalseri. kg, Kiiogr. Korn.-Ges. kgl., könlgl. Kr. Kreuzzeitung KrH.

kaiserlich Kilogramm Kommanditgesellschaft königlich Kreis Neue Preußische Zeltung Kreishauptmannschaft

XVI

lat. I. c. lit. Lötz, Börsenenquete

L. S. M, M„ Mk. m. a. W. MdprAH MdprHH MdR m. E. Meier, Entstehung des Börsengesetzes

Mo.BI. Münch. Allg. Ztg. MWG

Siglen, Zeichen,

Abkürzungen

lateinisch loco citato litera Lötz, Walther, Ergebnisse der deutschen Börsen-Enquete für die Reform des Emissionsgeschäfts, in: Wochenschrift für Aktienrecht und Bankwesen, Steuer- und Stempelfragen, hg. von Paul Holdheim, 3. Jg., 1894, Nr.6-8, S . 9 3 - 9 6 , 113-119 und 132 f. Loco Sigilli Mark mit anderen Worten Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses Mitglied des preußischen Herrenhauses Mitglied des Reichstags meines Erachtens Meier, Johann Christian, Die Entstehung des Börsengesetzes vom 22. Juni 1896 (Diss. München; Studien zur Wirtschaftsund Sozialgeschichte, Band 9). - St. Katharinen: Scripta Mercaturae 1992. Millionen Morgenblatt, Morgenausgabe Allgemeine Zeitung (München) Max Weber-Gesamtausgabe; die Übersicht über die Einzelbände findet sich am Schluß des 2. Teilbandes unter „Aufbau und Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe".

Nachf. NAZ neubearb. neutr. N. F. Nl. N. N. No„ Nr. Nov. Nußbaum, Kommentar zum Börsengesetz

Nachfolger Norddeutsche Allgemeine Zeitung neubearbeitet Neutrum Neue Folge Nachlaß nomen nescio, Name unbekannt Numero, Nummer November Nußbaum, Arthur, Kommentar zum Börsengesetz für das Deutsche Reich vom 22. Juni 1896 / 8. Mai 1908. - München: C. H. Beck 1910.

o.J. o. Professor Okt., Octbr.

ohne Jahr ordentlicher Professor Oktober

P. P. bz. Pf. Pf. Steri., Pfd. Steri. PI.

Papier Papier und bezahlt Pfennig Pfund Sterling Plural perge, perge, und so weiter

PP-

Siglen, Zeichen,

Abkürzungen

XVII

preuß. Prof. publ.

preußisch Professor publiziert

R. Reichsanzeiger

Rubel Deutscher Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischer StaatsAnzeiger Regierungsbezirk Repertorium respektive Reichs-Gesetzblatt, Jg. 1871-1882, hg. Im Reichskanzleramt; Jg. 1883-1910, hg. im Reichsamt des Innern. - Berlin: Puttkammer & Mühlbrecht/ Leipzig: O. Weber 1871-1911.

Reg.Bez. Rep. resp. R.G.BI., RGBl

S. s. Sachv. Sayous, Les Bourses Allemandes Schmoller's Forschungen Schulz, Das deutsche Börsengesetz Sept., Septr. s. o. sog. Sten.Ber. Sten.Ber.pr.AH Sten.Ber.pr.HH StGB, StGB., St.G.B., StrGB. s. u. s.Z.

Seite siehe Sachverständiger Sayous, André-E., Étude Économique et Juridique sur les Bourses Allemandes de Valeurs et de Commerce. - Paris: Arthur Rousseau / Berlin: Puttkammer & Mühlbrecht 1898. Staats- und socialwissenschaftliche Forschungen, hg. von Gustav Schmoller, 1878ff. Schulz, Wolfgang, Das deutsche Börsengesetz. Die Entstehungsgeschichte und wirtschaftlichen Auswirkungen des Börsengesetzes von 1896 (Diss. Kiel; Rechtshistorische Reihe, Band 124). - Frankfurt a.M. u. a.: Peter Lang 1984. September siehe oben sogenannt Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, Band 19-325, 1871-1918. - Berlin: Julius Sittenfeld 1871-1918. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten 1871 -1918. - Berlin: W. Moeser1871-1919. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Herrenhauses 1871-1918. - Berlin: Verlag der Königlichen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerel 1871-1919. Strafgesetzbuch siehe unten seiner Zeit

To.

Tonne

u. u. A., u. a. umgearb. undat. usw., u. s. w.

und und Andere, unter Anderem, unter anderem umgearbeitet undatiert und so weiter

XVIII

Siglen, Zeichen,

Abkürzungen

v. v. a. VA v. d. vergi., vgl. vollst.

van, vom, von vor allem Verlagsarchiv van den vergleiche vollständig

Weber, Marianne, Lebensbild 3

Weber, Marianne, Max Weber. Ein Lebensbild. - Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1926 ( N a c h d r u c k = 3. A u f l . - T ü b i n gen 1984). Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft (Grundriß der Sozialökonomik, III. Abteilung). - Tübingen: J . C . B . Mohr (Paul Siebeck) 1922. Westpreußen Wirklicher Geheimer Rat, Geheimrat Wermert, Georg, Börse, Börsengesetz und Börsengeschäfte. Studien zur Beleuchtung gesetzgeberischer Einwirkung auf volkswirtschaftliche Gebilde. - Leipzig: Duncker & Humblot 1904. Wolter, Udo, Termingeschäftsfähigkeit kraft Information. Eine rechtshistorische, rechtsdogmatische und rechtspolitische Studie über die stillschweigende Entfunktionalisierung des § 764 BGB d u r c h die Börsengesetz-Novelle 1989. - Paderborn: Schöningh 1991.

Weber, WuG 1

Westpr. Wirkl. Geh. Rat Wermert, Börse, Börsengesetz und Börsengeschäfte Wolter, Termingeschäftsfähigkeit

Z. z.B. Zeitschr. Ziff. zit. z.T. Ztg. z . Z . z. Zt.

Zeile zum Beispiel Zeitschrift Ziffer zitiert, zitierten z u m Teil Zeitung zur Zeit

Einleitung

I. W e r t p a p i e r - und W a r e n b ö r s e n a m E n d e d e s 19. J a h r h u n d e r t s , S. 3 - II. Die A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n um d i e Börse bis z u m B e g i n n der G e s e t z g e b u n g 1 8 9 1 , S . 2 5 - III. Der G e s e t z g e b u n g s p r o z e ß 1 8 9 1 - 1 8 9 6 , S . 6 6 - IV. Die Börsenschriften im W e r k z u s a m m e n h a n g und L e b e n M a x W e b e r s , S . 9 1 - V . Zur A n o r d n u n g und Edition d e r Texte, S. 1 0 8

Der vorliegende Band enthält alle Schriften Max Webers zu Fragen des Börsenwesens und der Börsengesetzgebung. Es handelt sich um die mehrhundertseitige Aufsatzfolge „Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete" (1894-1896), um Webers populärwissenschaftliche Abhandlungen in Friedrich Naumanns Göttinger Arbeiterbibliothek „Die Börse. I. Zweck und äußere Organisation der Börsen" (1894) und „Die Börse. II. Der Börsenverkehr" (1896), die Artikel „Börsenwesen. (Die Vorschläge der Börsenenquetekommission)" (1895), „Börsengesetz" und „Wertpapiere (Aufbewahrung). Das Bankdepotgesetz vom 5. Juli 1896" (1897) für die erste Auflage des Handwörterbuchs der Staatswissenschaften und den knappen, aber wissenschaftlich besonders interessanten Text „Die technische Funktion des Terminhandels" für die Deutsche Juristen-Zeitung (1896). Ausführlich wird anhand der Protokolle auch Max Webers Mitwirkung im provisorischen Börsenausschuß im November 1896 dokumentiert. Seine Redebeiträge sind im Kontext der Erörterungen wiedergegeben. Der von Weber verfaßte Bericht über die Beratungen des Ausschusses „betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen" ist ebenfalls ediert worden. Der Band enthält außerdem Zeitungsberichte über Vorträge Max Webers zu Börsenfragen, soweit sie zu ermitteln waren. Den Editionsregeln der MWG folgend, wonach die Schriften in der Reihenfolge des Erscheinens abzudrucken sind, stehen am Anfang zwei Rezensionen. Sie haben zwar nichts mit dem Börsenwesen zu tun, wären aber in keinem anderen Band der MWG sachlich besser plaziert. Schon weil die Dokumente aus demselben Lebensabschnitt Max Webers stammen, steht dieser Band in einem engen Zusammenhang mit dem vorausgehenden Band MWG I/4: Landarbeiterfrage, Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik. Schriften und Reden 1892-1899, hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Rita Aldenhoff. Doch verbinden auch die historischen Umstände und Max Webers politische Interessen seine Aktivitäten in Fragen der Börse mit den in Band MWG I/4 veröffentlichten Texten zur Agrarpolitik und zur Volkswirtschaftspolitik im allgemeinen. Die Börsenreform war in den 1890er Jahren einer der zentralen Gegenstände der Auseinandersetzung um die politische und wirtschaftliche Modernisierung

2

Einleitung

des Deutschen Reiches. Es waren vor allem die Vertreter agrarischer Interessen, die sich mit der ihnen zur Verfügung s t e h e n d e n O r g a n i s a t i o n s m a c h t für eine stärkere Reglementierung der Wertpapier- und Warenbörsen und insbesondere für eine Einschränkung der dort betriebenen G e s c h ä f t e einsetzten. Das v e r b a n d die Börsenpolitik mit der Agrarpolitik. Und die in Band M W G 1/4 enthaltene Freiburger Antrittsrede „Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik" ist ein Schlüssel z u m Verständnis der politischen W e r t u n g e n Max W e b e r s a u c h in Fragen der Gestaltung d e s Börsenwesens. Die Hoffnungen Max Webers, sich mit seinen Arbeiten an der wissenschaftlichen und politischen Vorbereitung eines die d e u t s c h e n Börsen stärkenden Gesetzes beteiligen zu können, haben sich nicht erfüllt. Schneller als von ihm erwartet, ist aus den seit den 1880er Jahren im D e u t s c h e n Reich intensivierten B e s t r e b u n g e n zugunsten einer Reform der Börsen und ihrer Geschäfte der Prozeß der G e s e t z g e b u n g in G a n g g e k o m m e n . N o c h bevor die drei w i c h t i g s t e n Arbeiten Webers vollständig vorlagen, hat der Reichstag im Juni 1896 das Börsengesetz v e r a b s c h i e d e t . Weil es in wesentlichen Punkten in andere Richtungen zielte, als Weber dies für wünschenswert hielt, ist er einer der schärfsten Kritiker d e s v e r a b s c h i e d e t e n Gesetzeswerkes g e w o r d e n . Es i s t - d u r c h Novellen ergänzt oder k o r r i g i e r t über hundert Jahre in Geltung g e b l i e b e n . Doch g e h e n Webers Börsenschriften nicht in der Tagespolitik auf. Sie sind über d e n Anlaß hinaus bemerkenswerte wissenschaftliche Leistungen und enthalten einen großen Reichtum an Einsichten, der allerdings noch der genaueren Erforschung bedarf. Die Schriften gehören sowohl zur Rechtswissenschaft, in der der Verfasser vornehmlich a u s g e b i l d e t war u n d in der er bis 1894 a u c h seine berufliche Zukunft g e s e h e n hat, als a u c h zur Nationalökonomie, zu deren Vertretung Weber g e r a d e in d e m M o m e n t berufen wurde, als er den Auftrag zur Berichterstattung über die Arbeit und die publizierten Ergebnisse der 1892/93 t a g e n d e n B ö r s e n e n q u e t e k o m m i s s i o n für die Zeitschrift für das G e s a m m t e Handelsrecht ü b e r n o m m e n hatte. Webers Veröffentlichungen und Reden zielen über die Vermittlung von Faktenwissen über die Börse und die Techniken ihrer G e s c h ä f t e hinaus auf ein vertieftes Verständnis der seinerzeit heftig umstrittenen Institution. Der Autor sucht nach Leitlinien für eine a n g e m e s s e n e politische R a h m e n o r d n u n g von Kapitalmarkt und Warenbörsen. Seine Ausführungen enthalten zahlreic h e Beiträge zur ö k o n o m i s c h e n Theorie gesellschaftlicher O r d n u n g e n und zu einer von Prinzipien gesteuerten Institutionenpolitik. Derartiges m a g im späteren Werk Max W e b e r s klarer entfaltet w o r d e n sein, aber es ist s c h o n in den Börsenschriften t r a g e n d . W e b e r s Schriften z u m Börsenwesen, insbesondere die Darstellung der „Ergebnisse der d e u t s c h e n Börsenenquete", sind in der bis z u m Ersten Weltkrieg anhaltenden Fachdiskussion vielfach - a u c h kritisch - gewürdigt

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worden. Heinrich Göppert, Staatskommissar an der Berliner Börse, zählte die Aufsatzfolge über die Börsenenquete „zu dem Besten [...], was in Deutschland über die Börse veröffentlicht worden ist." 1 Ausländische Beobachter, die aus der deutschen Reformdiskussion Lehren für denkbare gesetzgeberische Maßnahmen in ihrem Land zu ziehen suchten, haben sich auf Webers Werk gestützt. Sie haben sich seinem geradezu vernichtenden Urteil über das Börsengesetz von 1896 2 angeschlossen und von ähnlichen Versuchen in ihren Ländern abgeraten. 3 Nach dem Ersten Weltkrieg traten Max Webers wissenschaftliche Arbeiten über das Börsenwesen in den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in den Hintergrund. Dagegen wurden die Beiträge für die Göttinger Arbeiterbibliothek, „eine Perle der Börsenliteratur", 4 stärker wahrgenommen und häufiger zitiert. Seither spielt in der Börsenliteratur diese für ein Laienpublikum geschriebene Einführung die Rolle des Hauptwerks aus seinem Schaffensbereich über die Börse. Bis in die jüngste Vergangenheit wird sie in Bibliographien zum Börsenwesen aufgeführt. In letzter Zeit haben Webers Börsenschriften größere Aufmerksamkeit in rechts- und wirtschaftsgeschichtlichen Arbeiten über das Börsenwesen des ausgehenden 19. Jahrhunderts gefunden. Gegenstand eigenständiger Forschung sind seine Börsenschriften und seine Tätigkeit im provisorischen Börsenausschuß bislang nicht geworden. In Abhandlungen über Leben und Werk Webers werden sie selten mehr als beiläufig erwähnt. 5

I. Wertpapier-

und Warenbörsen

1. Die Dynamik des deutschen

am Ende des 19.

Jahrhunderts

Börsenwesens

Als um 1890 die deutschen Börsen zum Politikum wurden, gab es im Reich siebenundzwanzig Einrichtungen, die bei großzügiger Auslegung des im übrigen nicht eindeutig festgelegten Begriffs 6 als Börsen anzusprechen wa1 Göppert, Heinrich, Über das Börsentermingeschäft in Wertpapieren. - Berlin: Julius Springer 1914, S. 12. 2 Vgl. unten, S.867f. 3 Sayous, André-E., Étude Économique et Juridique sur les Bourses Allemandes de Valeurs et de Commerce. - Paris: Arthur Rousseau/Berlin: Puttkammer & Mühlbrecht 1898; Emery, Henry Crosby, The Results of the German Exchange Act of 1896, in: Political Science Quarterly, Band 13, 1898 (Reprint 1965), S. 320. 4 Stillich, Oskar, Die Börse und ihre Geschäfte. - Berlin: Carl Curtius 1909, S. 18. 5 Am ausführlichsten Mommsen, Wolfgang J., Max Weber und die deutsche Politik. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 19742, S. 7 8 - 8 1 ; Käsler, Dirk, Einführung in das Studium Max Webers. - München: C. H. Beck 1979, S. 6 7 - 6 9 ; Bendix, Reinhard, Max Weber - Das Werk. Darstellung, Analyse, Ergebnisse. - München: Piper 1964, S. 2 5 - 3 0 . 6 Das Börsengesetz vom 22. Juni 1896 hat den Gegenstand seiner Regelungen nicht definiert. Die seinerzeit von führenden Nationalökonomen und Experten des Börsen-

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ren. Hinsichtlich der inneren Organisation sowie der Art und des Umfangs der an ihnen betriebenen Geschäfte unterschieden sie sich in vielerlei Hinsicht. Das ist von der 1892 einberufenen Börsenenquetekommission 7 erkundet und dargestellt worden. Über deren Ergebnisse und Problemsicht hat Max Weber in großer Ausführlichkeit, auch die Vielfalt betonend, in seiner Aufsatzserie „Ergebnisse der deutschen Börsenenquete" in der Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht berichtet. Die meisten deutschen Börsen waren sowohl Wertpapier- als auch Warenbörsen. Doch gab es einige, in der Regel kleinere Börsen, an denen nur Wertpapiere oder nur Waren umgesetzt wurden. Daß es in Deutschland relativ viele Börsen gegeben hat, hing mit der bis zum Zeitalter der Eisenbahn und des Telegrafen- und Telefonverkehrs geringen wirtschaftlichen Integration der Wirtschaftsregionen des Reichsgebiets und dem Erbe der Kleinstaaterei zusammen. Die meisten Börsen befanden sich im Königreich Preußen. Das verschaffte der preußischen Staatsregierung eine Art natürlicher Führung bei der Vorbereitung der seit 1891 geplanten Börsengesetzgebung. Mehr noch mochte dafür sprechen, daß zu dieser Zeit die Berliner Effektenbörse alle anderen an Größe des Geschäfts bei weitem übertraf. Neben ihr hatten nur noch Frankfurt a.M. und Hamburg eine überregionale Bedeutung. Die Berliner Börse hingegen war in gewisser Weise schon eines der großen internationalen Handelszentren, unter den Wertpapierbörsen im Range Paris durchaus vergleichbar und nur noch von New York und London übertroffen. Für nicht wenige Politiker reduzierte sich am Ende des 19. Jahrhunderts das deutsche Börsenwesen auf den Platz Berlin. Und wenn von Reform die Rede war, so zielte das vornehmlich auf die Geschäfte in Berlin. Auch die meisten deutschen Warenbörsen waren am Ende des 19. Jahrhunderts klein und vermittelten im wesentlichen nur Geschäfte in ihrer Region. Aber einige von ihnen sind für bestimmte Produkte Zentren des Welthandels gewesen: so die Getreide- und Mehlbörse in Berlin, die Kaffeebörse in Hamburg, die Baumwollbörse in Bremen, die Kammzugbörse in Leipzig und die Zuckerbörsen von Magdeburg und Hamburg. 8 Daß deutwesens vorgestellten Definitionen behandelt Wermert, Georg, Börse, Börsengesetz und Börsengeschäfte. Studien zur Beleuchtung gesetzgeberischer Einwirkung auf volkswirtschaftliche Gebilde. - Leipzig: Duncker & Humblot 1904, S. 153-180. Die auch später allgemein als wesentlich betrachteten Merkmale faßt die folgende Definition zusammen: „Börsen sind die regelmäßig an einem bestimmten Orte zu einer bestimmten Tageszeit stattfindenden Zusammenkünfte von Großkaufleuten eines Handelsplatzes und Hilfspersonen des Großhandels zum Zwecke des Abschlusses von Handelsgeschäften in bestimmten Mengeneinheiten generell bestimmter Wertpapiere oder typenmäßig bestimmter Waren." Pfleger, Franz Josef, Börsenrecht, in: HdStW 3 3, S. 129. 7 Siehe den Editorischen Bericht zu Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 176-180. 8 Ausführlicher bei Weber, Börse I, unten, S. 142f.

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sehe Börsen eine Weltbedeutung hatten, war um 1890 freilich noch eine ganz neue Erfahrung. Max Weber und seine Zeitgenossen sind Zeugen einer beispiellosen Dynamik der Marktvolumen, der Marktstrukturen und insbesondere der Organisation der Kapital-, Güter- und Arbeitsmärkte gewesen. Kein Wunder, daß weithin noch wenig Klarheit darüber herrschte, was hier vorging und warum. 2.

Wertpapierbörsen

Frühformen von Wertpapierbörsen hat es bereits im 16. Jahrhundert gegeben. Aber die Börsenbetriebe, die Max Weber beschrieben hat, sind damals noch nicht älter als hundert Jahre gewesen. Die Institute in Paris, London, New York, Frankfurt a.M. und Berlin, auch Hamburg, waren geradezu Parallelgründungen. Sie wurden in einer kurzen Zeitspanne vor und nach 1800 errichtet. 9 Die zeitliche Übereinstimmung des Gründungsgeschehens hing mit d e m sprunghaft gewachsenen Kapitalbedarf der in kostspielige Kriege verwickelten Staaten und der sich rasch ausbreitenden Praxis dieser Staaten zusammen, neuen Gläubigerschichten für das hingegebene Geld klein gestückelte, übertragbare Schulddokumente zu überlassen. Diese Form des verbrieften Staatskredits setzte sich im Wettbewerb der Finanzierungsarten rasch durch. Auch andere Gläubiger, wie Eisenbahnunternehmen, Kredit- und Hypothekenbanken sowie große Bergbau- und Industrieunternehmen, bedienten sich solcher Schulddokumente, um langfristiges Fremdkapital zu erhalten. Seit den 1830er Jahren breitete sich an den Börsen auch der Handel mit Aktien aus, also mit Zertifikaten von Anteilen an Aktiengesellschaften. Hier vor allem übernahm die Berliner Börse die Führung in Deutschland. Schuldverschreibungen und Aktien sind höchst interessante Finanzierungsinstrumente. Sie helfen bei der Lösung des alten Problems, wie die Nachfrager langfristiges Kapital bekommen können, ohne daß die Kapitalanleger sich entsprechend lange binden müssen. Natürlich hat es schon seit undenklichen Zeiten für Kapitalgeber grundsätzlich die Möglichkeit gegeben, sich aus einer Kapitalbindung zurückzuziehen und wieder liquide Mittel zu erhalten. Man mußte nur jemanden finden, dem man die Forderung oder den Gesellschaftsanteil abtreten konnte. Aber das war zumeist mit großem Suchaufwand und dem Risiko verbunden, den Anspruch nur mit beträchtlichem Wertverlust unterbringen zu können. Hier halfen die Wertpapierbörsen. Sie waren Institutionen, die einen Markt für solche Schuld9 Z u m Beginn des regelmäßigen Effektenverkehrs in verfaßten deutschen Börsenbetrieben nach 1800 siehe Gömmel, Rainer, Entstehung und Entwicklung der Effektenbörse im 19. Jahrhundert bis 1914, in: Hans Pohl (Hg.), Deutsche Börsengeschichte. - Frankfurt a.M.: Fritz K n a p p 1992, S. 1 3 5 - 1 3 8 .

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d o k u m e n t e und Aktien organisierten und betrieben. A n ihm hatten die Besitzer solcher A n s p r ü c h e , sofern die Stücke dort g e h a n d e l t und deren Kurse notiert wurden, weit größere Chancen, im Bedarfsfall Käufer zu finden. Vor allem war die Wahrscheinlichkeit größer, beim Verkauf auch einen tunlichst fairen Preis zu erzielen, der einer breiten Einschätzung e n t s p r a c h und der auf nachvollziehbare und transparente Weise z u s t a n d e kam. Indem sie hierzu beitrugen, verminderten die W e r t p a p i e r b ö r s e n die Risiken langfristiger Kapitalanlage. Erst Börsen h a b e n Wertpapiere zu einem a u c h von einem großen Publikum begehrten Vermögensobjekt g e m a c h t . 1894 charakterisierte ein A n o n y m u s den Sachverhalt, indem er a u c h die seinerzeit wichtigsten Alternativen langfristiger Anlage in d e n Blick nahm: „Die Kapitalanlage in Börsenpapieren hat vor allem den großen Vorteil, den keine andere Art von Vermögensbesitz in g l e i c h e m U m f a n g e darbietet, daß dieser Besitz sich leicht wieder zu Geld m a c h e n läßt, was sowohl bei G r u n d e i g e n t u m als bei Hypotheken nicht entfernt in g l e i c h e m Maße der Fall ist." 1 0 Freilich g e n ü g t e d a z u noch nicht das Bestehen einer Börse an sich. Die Möglichkeit, an d i e s e m Ort, w a n n immer das g e w ü n s c h t wurde, Wertpapiere ohne größere K u r s a b s c h l ä g e verkaufen zu können, hing v o m Bestehen eines jederzeit aufnahmebereiten Marktes ab, also von z a h l u n g s f ä h i g e n Käufern. Die N a c h f r a g e derjenigen, die ihrerseits a m Markt längerfristige Kapitalanlage suchten, reichte dafür nicht aus. Sie hätte, je nach d e m Verhältnis von A n g e b o t und Nachfrage bei einzelnen Papieren, in der Regel nur erratische Preisschwankungen ergeben. Der dauerhafte Erfolg einer W e r t p a p i e r b ö r s e beruht e n t s c h e i d e n d auf der Anzahl und der Z u s a m m e n setzung ihrer p e r m a n e n t e n Börsenbesucher, insbesondere der berufsmäßig spekulierenden Händler. Diese treten je nach Marktlage und Einschätzung der Gewinnmöglichkeiten mal als Käufer, mal als Verkäufer auf. M a g ihr individuelles Ziel a u c h „nur" die Erlangung von Spekulationsgewinnen sein, so ist es ihre objektive Rolle, dafür zu sorgen, daß Verkäufer von Wertpapieren mit großer Wahrscheinlichkeit j e m a n d e n finden, der das Ang e b o t e n e zu einem a m Markt bestimmten Preis a b n i m m t - und sei es nur, um es d e m n ä c h s t gleich wieder zu verkaufen. Freilich gelingt diese Sicherung der Marktbreite und damit der Liquidität der Vermögenstitel nur, w e n n diese Händler selbst kapitalkräftig sind oder w e n n sie sich darauf verlassen können, jederzeit bei den an der Börse tätigen Banken für ihre Geschäfte Kredit zu erhalten. Zur Zeit Webers war der Markt für Börsenkredite insb e s o n d e r e an der Berliner Börse, an der berühmte Privatbankiers und die führenden d e u t s c h e n Aktienbanken vertreten waren, schon h o c h entwikkelt. Das hat sicherlich zur internationalen Geltung des Platzes b e i g e t r a g e n .

10 Anonym, Ergötzliches und Nützliches von der Berliner Börse. - Berlin: Hugo Steinitz 1894, S. 157.

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Kapitalmarkt und Geldmarkt waren eng miteinander verknüpft. Die Technik des Börsengeschäfts mit Wertpapieren konnte als ausgereift gelten und hatte über Jahrzehnte Bestand. Erst In den 1970er Jahren begannen sich Gestalt und Geschäfte von Wertpapierbörsen noch einmal grundlegend zu verändern. Es Ist nicht leicht, sich eine genaue Vorstellung von den Größenordnungen des Wertpapiermarktes im Deutschen Reich in den 1890er Jahren zu machen. Aber es genügt vielleicht die Angabe, daß der Wert der 1895 umlaufenden Wertpapiere (Schuldverschreibungen und Aktien) Inländischer Emittenten etwa bei 28,7 Milliarden Mark gelegen und damit ziemlich genau der Höhe des Volkseinkommens von 1895 entsprochen hat. 11 Dank seiner Börsen gab es am Ende des 19. Jahrhunderts auch in Deutschland den so bezeichneten „Effekten-Kapltallsmus". Max Weber konnte zu Recht annehmen, daß sich ein breiteres Publikum schon deshalb für Kapitalmarktfragen Interessierte, weil es an diesem engagiert war. 3.

Warenbörsen

Hochentwickelte Warenbörsen 12 sind erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstanden. Zwar reicht auch die Vor- und Frühgeschichte des börsenmäßigen Handels in Waren weit zurück, aber es Ist in Hinblick auf ein besseres Verständnis der Auseinandersetzungen über die Börse zur Zeit Webers wichtig, die grundlegenden Änderungen des Charakters der Geschäfte In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht zu übersehen. Die alten Warenbörsen, so hoch organisiert sie um 1850 erscheinen mochten, waren Großhandelsmärkte. Anders als an den Wertpapierbörsen wurden an ihnen noch In der Mitte des 19. Jahrhunderts keine im strengen Sinne „vertretbaren" Güter gehandelt, d.h. solche, bei denen die einzelnen Quanten einer Gattung untereinander perfekt austauschbar waren, so daß es niemandem auf bestimmte Stücke oder Teilmengen ankommen sollte. Anleihen und Aktien waren solche vertretbaren oder fungiblen Handelsobjekte, aber die an den Großhandelsmärkten gehandelten Naturprodukte waren es naturgemäß nicht. Keine Rede davon, daß einem Händler, der gemäß Lieferungsvertrag Roggen abnehmen und dafür den vereinbarten Preis zahlen mußte, jeglicher Roggen willkommen war. Er wollte sich in der Regel erst überzeugen, ob eine aus der verfügbaren Ware gezogene Probe dem ver11 Deutsche Bundesbank (Hg.), Deutsches Geld- und Bankwesen in Zahlen 1876-1975. - Frankfurt a.M.: Fritz Knapp 1976, S.6 und 290. - Siehe auch Weber, Börse /, unten, S. 155f. mit Anm. 23. Die dort nach Gustav Schmoller für 1886 zitierte Summe des Wertpapierbestandes ist höher als die oben erwähnte, weil sie auch ausländische Titel enthält. 12 Im Folgenden wird nicht, wie zur Zeit Max Webers, zwischen Produktenbörsen und Warenbörsen unterschieden, zumal die Begriffe schon damals nicht trennscharf verwendet worden sind. Siehe hierzu die Einträge im Glossar, unten, S. 1058 und 1067.

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einbarten Qualitätsmuster entsprach. Deshalb konnten nur „Effektivgeschäfte" a b g e s c h l o s s e n werden. Sie w u r d e n erst durch Lieferung u n d A b nahme greifbarer Ware, die d e n Käufer zufriedenstellte, erfüllt. A u c h w e n n die Vertragskontrahenten sich aus jahrelanger Tätigkeit gut kannten u n d der Käufer d e s h a l b nicht in j e d e m Fall a u c h Proben aus den L a g e r h ä u s e r n g e n o m m e n hat, mußte ihm d o c h immer die Möglichkeit d a z u g e b o t e n werden. In der zweiten Hälfte d e s 19. Jahrhunderts entwickelte sich an einigen dieser Großhandelsmärkte eine Geschäftsform, wie sie an d e n Wertpapierbörsen s c h o n länger heimisch war, das Termingeschäft. 1 3 Das v e r w a n d e l t e d e n Charakter dieser Institutionen tiefgreifend. Aus Effektivmärkten w u r d e n nun a u c h hier Spekulationsmärkte. 1 4 Allerdings setzte dies eine praktikable Antwort auf die Frage voraus, wie m a n a u c h an Warenbörsen mit perfekt vertretbarer Ware handeln kann, o b g l e i c h die Natur sie nicht liefert. Die Lös u n g des Problems b e s t a n d darin, daß an die Stelle der hinsichtlich der unterschiedlichsten Merkmale differierenden Waren des Effektivgeschäfts künstlich geschaffene stellvertretende Handelsobjekte traten, fingierte Waren. Für diese w u r d e n in d e n Börsen absolut eindeutige Merkmale definiert, 1 5 und dann w u r d e n nur noch jene Standardqualitäten gehandelt, die natürlich keinerlei „Probe" mehr erforderten - ja die eine solche gar nicht zuließen. Für die standardisierte Ware konnten nun auch - wie bei d e n Wertpapieren schon lange - laufend Preise (Kurse) notiert werden, die sich exakt auf das gleiche Gut bezogen. Für Ware mit stärker individualisierter Qualität konnten immer nur Preisspannen oder Durchschnittspreise der g e r a d e gehandelten Qualitäten ermittelt u n d publiziert werden. Sie g e b e n kein klares Bild von der Marktlage insgesamt. A m besten funktionierte der Ü b e r g a n g auf den Handel mit Standardware dort, w o die Definition der Standardware nicht allzu weit von d e n üblichen Qualitäten des Effektivgeschäfts entfernt war und die Preisrelationen z w i s c h e n den v e r s c h i e d e n e n Qualitäten des Effektivgeschäfts relativ fest waren. Dann e n t s p r a c h zwar der Kurs d e s fiktiven Gutes zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht der absoluten Höhe der Preise der effektiven Ware, wohl aber b e s t a n d ein enger Z u s a m m e n h a n g der Veränderungstendenz der Preise von fiktivem Gut u n d effektiver Ware. Und so konnte der Terminhandel die v o m Großhandel oder d e m Weiterverarbeiter (z.B. d e m Getreidemüller) g e w ü n s c h t e Sicherungsfunktion für die Preiskalkulation gewährleisten.

13 14 15 auf

Genaueres zum Börsentermingeschäft siehe unten, S. 11 - 1 7 . Wiedenfeld, Kurt, Die Organisation des Getreidehandels, in: HdStW3 4, S. 773-781. Für Roggen beispielsweise: Gut, gesund, trocken, frei von Darrgeruch, 712 Gramm einen Liter.

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War die Festlegung der Qualitäten der Handelsgüter der freien Bestimmung der Händler entzogen, galten die so definierten Waren als fungibel. Nun konnten die an der Börse geschlossenen Verträge über den Kauf von Waren aussehen wie zuvor schon Verträge über den Kauf von zu liefernden Wertpapieren: kurz, knapp, einem Schema entsprechend unter Bezugnahme auf allgemeine Geschäftsbedingungen, die an den Börsen für alle diese Geschäfte gleichermaßen galten. Den Kontrahenten blieben nur noch wenige Festlegungen - und auch hier waren die Wahlmöglichkeiten (und das heißt zugleich: die Verhandlungsnotwendigkeiten) schon auf einen engen Spielraum eingeschränkt. Gehandelt wurde in standardisierten Mindestmengen, dem Schluß (bei Getreide in Berlin 50 Tonnen, bei Kaffee in Hamburg 500 Sack) bzw. einem Vielfachen davon. Im Termingeschäft war auch die Menge denkbarer Erfüllungstermine auf wenige Typen reduziert, etwa die Monatsmitte (Medio) oder das Monatsende (Ultimo). So blieben die Preise bzw. Kurse dasjenige Element, auf das sich die am Handel Beteiligten konzentrieren konnten. Nur hier galt es, auf kleinste Veränderungen zu achten. Das hat es erlaubt, daß Millionengeschäfte per Zuruf und Handaufheben geschlossen wurden und nachher nur noch ein Formular, der Schlußschein, zu unterschreiben war. Erst diese Schematisierung der Geschäfte, die an den Wertpapierbörsen schon eingeübt war, erlaubte es im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auch an den Warenbörsen, daß Auftraggeber ihren Agenten an der Börse auf telegrafischem Wege rasch eindeutige Aufträge erteilen konnten. Und vor allem: Jetzt konnte in ähnlicher Weise - wie an der Wertpapierbörse - ein Kreis von spekulierenden Börsenhändlern mitwirken, der keine spezifischen Kenntnisse von den Waren besaß und an ihnen auch kein Interesse hatte, wohl aber die Aufnahmefähigkeit des Marktes der fiktiven Handelsprodukte in ähnlicher Weise steigerte, wie das zuvor schon an den Wertpapierbörsen geschehen war. Bei ihren spekulativen Käufen und Verkäufen wurden die berufsmäßigen Spekulanten auch an der Warenbörse unterstützt vom (Börsen-)Kredit der Banken. 1 6 Viel größere Warenmengen konnten - aus welchen Gründen auch immer - plötzlich auf den Markt kommen, ohne daß die Preise heftig reagierten. Und alle Effektivhändler konnten praktisch jederzeit ihr in Geschäften (zum Beispiel in auf dem Atlantik schwimmender Ware) festgelegtes Kapital wieder frei bekommen, falls sie liquide Mittel woanders brauchten oder wenn sie die Aussichten des abgeschlossenen Geschäfts inzwischen anders beurteilten. Sie mußten nur entsprechende Mengen am Terminmarkt verkaufen. Es gab immer Käufer, wenn auch nicht immer zu einem gewinnbringenden Kurs. Weil bei solchen standardisierten Gütern auch der Vergleich der an verschiedenen Plätzen jeweils geltenden

16 Siehe hierzu Weber, Börse II, unten, S. 628-636.

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Preise stark vereinfacht war, weitete sich die Arbitrage aus. Mit der Arbitrage konnte der Börsenhändler aus Preisunterschieden, die höher waren als die Transportkosten, Gewinn ziehen. Jetzt erst bekam für die so gehandelten Güter der Begriff „nationaler Markt", ja „Weltmarkt" einen konkreten Sinn. Allerdings erwiesen sich nur bestimmte Güter als termingeschäftsfähig. Die wichtigsten waren die Hauptgetreidearten Roggen, Weizen, Mais und Hafer, außerdem Getreide- und Kartoffelmehl sowie Kaffee, Zucker, Sprit, Petroleum, Baumwolle und Kammzug. Bei d e m Welthandelsgut Rohwolle gelang die Formierung einer Warenterminbörse in Deutschland nicht. Es war zu schwierig, praktikable Typen durchzusetzen. Bei aus südamerikanischer Wolle weiterverarbeitetem Kammzug ließen sich hingegen entsprechende Probleme lösen. So ist in Leipzig eine der drei europäischen Kammzugbörsen tätig geworden. 1 7 Anders als die Geschichte der Wertpapierbörsen ist die der Warenbörsen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert eine solche immer neuer Versuche der Durchsetzung von Terminmärkten geblieben, begleitet von vielen Fehlschlägen. In vielen Fällen ließen sich die zu ihrer Funktionsfähigkeit nötigen Voraussetzungen nicht dauernd sicherstellen. Dann scheiterten Börsen, wie auch andere Dienstleistungsunternehmen scheitern, die keinen Markterfolg erzielen. 1 8 In Deutschland hat man Warenterminbörsen, wie noch zu zeigen ist, 19 auch politisch bekämpft, unter anderem weil man sie für ein Werk manipulativer Mächte hielt. Das sind sie in gewissem Sinne auch gewesen. Max Weber hat von „künstlicher Marktbildung" gesprochen. 2 0 Die an Terminmärkten gehandelten Produkte waren nicht reale, sondern fiktive Güter. Aber die Märkte dieser „Kunstprodukte" - wir charakterisieren sie heute als Derivate 21 - erfüllten dessenungeachtet auch wichtige volkswirtschaftliche Funktionen. Freilich lagen, als Max Weber das Börsenwesen studierte, noch keine langen Erfahrungen mit Waren(termin)börsen vor. 22 Das erklärt auch die höchst unterschiedlichen Urteile über das Wesen und die Bedeutung dieser Institutionen.

17 Siehe hierzu Weber, Börsenwesen, unten, S. 571 mit A n m . 3 4 . 18 Siehe Carlton, Dennis W., Futures Markets: Their Purpose, Their History, Their Growth, Their Successes a n d Failures, in: The Journal of Futures Markets, B a n d 4, 1984, S. 2 3 7 271. 19 Unten, S. 5 6 - 6 0 . 20 Weber, Terminhandel, unten, S. 608. 21 Siehe dazu unten, S. 16. 22 Noch 1909 schreibt einer der führenden Sachkenner, Richard Ehrenberg, Börsenwesen, in: HdStW 3 3, S. 192: „Die Entwickelung des Börsentermingeschäfts befindet sich noch in ihren Anfängen."

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4. Das Termingeschäft

- Der Markt für

Terminkontrakte

Der Begriff Termingeschäft bedarf noch einer genaueren Klärung, zumal die so bezeichneten Geschäftsformen in den Börsentexten Max Webers eine herausragende Rolle spielen. 23 Er ist zur Zeit Max Webers in verschiedenen Bedeutungen verwendet worden, wie auch der Begriff Zeitgeschäft. Häufig wurden um 1890 die Begriffe Termingeschäft und Zeitgeschäft als Synonyme verwendet, wobei man entweder alle Arten von „Geschäften auf Zeit" oder nur eine ganz spezielle Art meinte. Max Weber hat den Begriff Termingeschäft in der Regel in einem engen Sinne verwendet. Dementsprechend waren alle Termingeschäfte Zeitgeschäfte, aber nicht alle Zeitgeschäfte waren Termingeschäfte. Heute wird von Termingeschäften nur noch im Weberschen Sinn gesprochen. 2 4 Hierzu noch einige Erläuterungen. Seit es börsenähnliche Märkte gibt, wurden an ihnen zwei grundsätzlich verschiedene Geschäfte abgeschlossen: erstens solche, die innerhalb von höchstens einigen Tagen zu erfüllen waren, und zweitens Geschäfte, bei denen die Lieferung des Wertpapiers bzw. der Ware und die Bezahlung zu einem ferneren Zeitpunkt bzw. innerhalb einer längeren Frist vereinbart wurden. Die erste Art von Geschäften nannte man im 19. Jahrhundert an den deutschen Wertpapierbörsen Kassageschäfte, an den Warenbörsen Lokogeschäfte. Geschäfte der zweiten Art wurden in der Regel Lieferungs- oder auch Zeitgeschäfte genannt. Aber gelegentlich hat man auch alle Geschäfte, die nicht Kassa- oder Lokogeschäfte waren, als Termingeschäfte bezeichnet, zumal Termine ja auch bei ihnen eine Rolle spielten. In diesem weiten Sinne hat Max Weber den Begriff nie verwendet. Das Kassageschäft ist bis heute an den deutschen Wertpapierbörsen die häufigste Geschäftsform geblieben, weil, selbst da, wo auch Termingeschäfte abgeschlossen werden, die meisten Anleihen und Aktien nur im Kassageschäft gehandelt werden. 2 5 Anders an den Warenbörsen. Schon 23 Das Börsentermingeschäft steht im Zentrum nahezu aller Veröffentlichungen Max Webers im Jahr 1896, siehe unten, Ergebnisse der Börsenenquete, S. 4 9 4 - 5 5 0 , Terminhandel, S. 5 9 7 - 6 1 3 , und Börse II, S. 6 2 9 - 6 5 5 . 24 Allerdings haben sich Historiker der Börse noch nicht zu einem entsprechend eindeutigen Sprachgebrauch durchgerungen, so daß z.B. auch das Zeitgeschäft des 16.-18. Jahrhunderts als Termingeschäft bezeichnet wird. Entsprechend werden die englischen Begriffe „futures" (Termingeschäft) und „forwards" (Zeitgeschäfte) in der historischen Literatur vielfach nicht scharf getrennt. 25 Die Verhältnisse waren freilich verschieden. An der Londoner Stock Exchange gab es ein Kassageschäft nur In Rentenwerten. Aktien wurden nur auf Termin gehandelt. Im amtlichen Teil des Kurszettels der Berliner Börse wurden 1893 nur 79 Terminkurse notiert, neben 23 deutschen Bank- und Industrieaktien vornehmlich ausländische Anleihen und Eisenbahnaktien. Löb, Ernst, Kursfeststellung und Maklerwesen an der Berliner Effektenbörse, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, hg. von Johannes Conrad u.a., 68. Band, 1896, S. 262f. Wieviele Papiere im Freiverkehr regelmäßig auf Termin gehandelt wurden, ist nicht mehr zu ermitteln.

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zur Zeit Max Webers war das L o k o g e s c h ä f t an den großen Börsen weit in den Hintergrund getreten. Dieses Geschäft z w i s c h e n Effektivhändlern brauchte nicht die Organisation der Börse, s c h o n gar nicht nach Erfindung des Telefons. Was die Lieferungs- bzw. Z e i t g e s c h ä f t e betrifft, so gehört es zu den wichtigsten K e n n z e i c h e n der B ö r s e n g e s c h i c h t e im 19. Jahrhundert, daß an die Stelle von jeweils individuell gestalteten Kaufverträgen mehr u n d mehr hinsichtlich der v e r s c h i e d e n e n Vertragsbestandteile standardisierte Verträge getreten sind. Ohne daß das noch von den Parteien a u s d r ü c k l i c h festgelegt w e r d e n mußte, galt für die an den Börsen a b g e s c h l o s s e n e n G e s c h ä f t e d a s Regelungswerk der s o g e n a n n t e n Börsenusancen. Dazu gehörten beim Lieferungsgeschäft schließlich a u c h t y p i s c h e Erfüllungstermine. An den F o n d s b ö r s e n 2 6 ist d a s Lieferungs- bzw. Zeitgeschäft s c h o n in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahezu ausschließlich in dieser entindividualisierten Form betrieben worden. Wie o b e n schon b e s c h r i e b e n , 2 7 verlief die Entwicklung an d e n Warenbörsen nicht ähnlich gradlinig. Selbst w e n n an b e d e u t e n d e n Börsen die Vertretbarkeit von Waren zu höchster Vollendung a u s g e b i l d e t w e r d e n konnte, g e l a n g dies an anderen Börsen nicht oder wurd e nicht angestrebt. Dann ist dort zwar ein w e i t g e h e n d schematisierter, in der Regel auch spekulativer Lieferungshandel betrieben worden, aber es ist kein Terminmarkt im strengen Sinne entstanden. Selbst w e n n sich die U s a n c e n im börsenmäßigen L i e f e r u n g s g e s c h ä f t u n d im Termingeschäft nahezu a n g e g l i c h e n haben, 2 8 blieb d o c h ein wesentlicher Unterschied. Börsentermingeschäfte sind t y p i s c h e r w e i s e Fixg e s c h ä f t e 2 9 mit der Folge, daß der Käufer einem Verkäufer, der nicht exakt zum vereinbarten Termin (fix) oder bis zum vereinbarten Termin (fix u n d täglich) das Vereinbarte liefert oder zur A b n a h m e ankündigt, keinerlei Mahnung z u k o m m e n lassen muß, a u c h keine Nachfrist zu stellen hat - wie das beim Lieferungsgeschäft selbstverständlich g e w e s e n ist. Beim Fixgeschäft kann dann der Käufer ohne alle Warnung das Vereinbarte auf R e c h n u n g des s ä u m i g e n Verkäufers ankaufen oder v o m Vertrag zurücktreten oder die Differenz z w i s c h e n d e m vereinbarten Preis u n d d e m Tagespreis verlangen. Die Rechtsfolgen der Vertragsverletzung sind hart, aber sie sind B e d i n g u n g der Bildung eines Terminmarktes. Könnte der Spekulant nicht mit b e s t i m m -

26 Siehe den Eintrag im Glossar, unten, S. 1044. 27 Oben, S. 10. 28 So an der größten Getreidebörse Londons, der Baltic, an der keine Termingeschäfte im strengen Wortsinn abgeschlossen worden sind. 29 Nicht zu verwechseln mit fest bzw. unbedingt abgeschlossenen Geschäften - Im Unterschied zu bedingt abgeschlossenen Geschäften, bei denen eine Seite ein Wahlrecht hat: Nochgeschäft, Prämiengeschäft und Stellagegeschäft; siehe die Einträge Im Glossar, unten, S. 1056-1058 und 1064.

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ten Erfüllungsterminen zuverlässig rechnen, wäre es für ihn unmöglich, sich durch ein Gegengeschäft zu sichern. Der Terminmarkt ist ein gnadenloser Markt. Aber hier trafen sich ja zumeist nur Experten, die wissen mußten, auf was sie sich einließen. Es war vor allem Max Weber, der am Ende des 19. Jahrhunderts in der Diskussion über das Wesen von Termingeschäften darauf hingewiesen hat, daß selbst das Vorliegen von Kontrakten, die alle oben aufgeführten Merkmale aufweisen, noch nicht ausreiche, damit man von Termingeschäften reden kann. Erst das Bestehen eines Terminmarktes mache aus einem förmlichen Terminkontrakt ein Termingeschäft. So hält er in dem „Bericht des provisorischen Börsenausschusses, betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen" aus seinem eigenen Redebeitrag während der Verhandlungen 3 0 fest: „Das Entscheidende sei vielmehr auch für die Natur des einzelnen Kontrakts als Termingeschäft ein außerhalb desselben liegendes Moment: das Bestehen eines Terminmarktes, d.h. das dauernde massenhafte Abgeschlossenwerden und Schweben von unter sich gleichartigen Engagements mit typischen Erfüllungstagen und -Fristen." 31 Was Max Weber seinerzeit als einer der wenigen deutlich formuliert hat, ist inzwischen herrschende Lehre in Rechtsprechung und juristischem Schrifttum geworden. Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes von 1984 sind Börsentermingeschäfte „Verträge über Wertpapiere, vertretbare Waren oder Devisen nach gleichartigen Bedingungen, die von beiden Seiten erst zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt zu erfüllen sind. Sie müssen ferner eine Beziehung zu einem Terminmarkt haben, der es ermöglicht, jederzeit ein Gegengeschäft abzuschließen." 3 2 Es war ja der Sinn der radikalen Standardisierung der Verträge, „die sich so gleichsehen, wie ein Zwanzigmarkstück dem anderen," 3 3 daß jeder Händler zu jeder Zeit für jeden Terminkontrakt einen - bis auf den Preis identischen Kontrakt in der Gegenrichtung (das Gegengeschäft) abschließen konnte. Aber nur wenn das nicht nur formal möglich war, sondern auch regelmäßig gelang, konnte man vom Bestehen eines Terminmarktes reden. Die „Glattstellung" durch das Gegengeschäft befreite dann den Betreffenden von der ursprünglichen Pflicht zur effektiven Lieferung oder zur Zah-

30 Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, unten, S. 704 f. 31 Siehe unten, S. 774 f.; ähnlich in: Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, unten, S. 731 f., und in: Weber, Börsengesetz, unten, S. 855 f. 32 Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen, hg. von den Mitgliedern des Bundesgerichtshofes und der Bundesanwaltschaft, Band 92. - Köln-Berlin: Carl Heymann 1985, S. 320. 33 Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, unten, S. 731.

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lung. Es blieb nur die Pflicht zur Z a h l u n g der Kursdifferenz z w i s c h e n d e m Ursprungs- u n d d e m G e g e n g e s c h ä f t - g e g e b e n e n f a l l s die Möglichkeit, eine solche Z a h l u n g fordern zu können. Das die Leistung des Terminmarktes K e n n z e i c h n e n d e ist, daß es zur Verm e i d u n g von Lieferung oder Z a h l u n g nicht eines A u f h e b u n g s v e r t r a g s mit d e m unter U m s t ä n d e n schwer erreichbaren oder unwilligen Partner d e s ersten G e s c h ä f t s bedarf, s o n d e r n nur eines neuen Kontrakts (in der Geg e n r i c h t u n g ) mit einem b e l i e b i g e n Partner an d e r s e l b e n Börse in d e r s e l b e n Warenart u n d z u m selben Termin. J e d e r Händler kann bis z u m Erfüllungstermin entscheiden, w e l c h e Risiken aus s o g e n a n n t e n offenen G e s c h ä f t e n er als Haussier oder Baissier tragen mag. Er kann laufend einzelne oder alle Positionen durch e n t s p r e c h e n d e G e g e n g e s c h ä f t e schließen. Ein breiter Markt garantiert, daß er sein Risiko gar auf die Z a h l u n g des v e r b l e i b e n d e n Saldos aller Kursdifferenzen der Einzelgeschäfte b e s c h r ä n k e n kann. - Gleichermaßen bedarf es am Terminmarkt für die Prolongation eines Engag e m e n t s über d e n Erfüllungstermin hinaus bis z u m nächsten Termin nicht irgendwelcher A b r e d e n z w i s c h e n den ersten Kontrahenten, weil - w e n n der Markt f u n k t i o n i e r t - i m m e r Dritte bereit sind, zunächst die Erfüllung zu bewirken, Geld oder Papiere bis z u m nächsten Erfüllungstermin im K r e d i t w e g e bereitzustellen. 3 4 Max Weber war der Meinung, daß D e u t s c h l a n d - als ein im Vergleich zu England u n d Frankreich kapitalarmes Land - nur dann eine Rolle auf d e n Weltmärkten für Kapital u n d Waren spielen konnte, w e n n an seinen Börsen das Termingeschäft g e p f l e g t würde. Denn dieses ermöglichte seiner Ansicht nach a u c h weniger kapitalkräftigen Händlern, große E n g a g e m e n t s bei jederzeit b e g r e n z b a r e n Risiken einzugehen. Die von ihm zu Recht betonte „Kreditspekulation" 3 5 w u r d e an großen W e r t p a p i e r b ö r s e n noch d u r c h Maklerbanken und an einigen Warenbörsen durch Liquidationskassen beträchtlich gefördert. Diese hier nicht näher zu charakterisierenden Institutionen 3 6 haben gar j e d e m beteiligten Händler die Erfüllung der am Terminmarkt a b g e s c h l o s s e n e n G e s c h ä f t e garantiert. Sie h a b e n ihm damit a u c h noch das Risiko a b g e n o m m e n , daß der Kontrahent unfähig oder unwillig zur Erbringung der von ihm v e r s p r o c h e n e n Leistungen sein würde. Wo s o l c h e Institute bestanden, bedurfte n i e m a n d mehr verläßlicher Informationen über die Vertrauenswürdigkeit bzw. Kreditwürdigkeit von Kontrahenten. Vermö-

34 Zum Prolongationsgeschäft siehe Weber, Terminhandel, unten, S. 601-603, und Börse II, unten, S.638f. 35 „So entspricht die praktisch herrschende Form des Spekulations-Effektengeschäfts, der Ultimo-Terminhandel, allerdings so gut wie ausschließlich dem Bedürfnis der KreditSpekulation." Vgl. Weber, Terminhandel, unten, S. 604. 36 Zum Kollektivskontro bzw. Liquidationsbüro siehe Weber, Börse II, unten, S.637, und Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 514.

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gen und Moral der Vertragspartner konnten jedem Börsianer gleichgültig sein. So konnte man sich beim Abschluß von Kontrakten ausschließlich auf den Preis und die Menge konzentrieren. Alles übrige vollzog sich automatisch aufgrund der Börsentechnik. An einem so organisierten Markt kann ein und derselbe Händler an einem Tag Dutzende von Verkaufs- und Kaufverträgen abschließen - und das jeden Tag im Monat bis zum Erfüllungstermin, an dem abgerechnet wird. Er kann Handelsobjekte kaufen, ohne im Moment des Vertragsabschlusses die zur Bezahlung am Erfüllungstermin nötigen Gelder zu besitzen. Er kann Handelsobjekte verkaufen, die er nicht besitzt (Blanko- oder Leerverkäufe), alles in der Gewißheit, sich das noch Nötige bis zum Erfüllungstermin verschaffen oder sich durch Gegengeschäfte wieder von den übernommenen Verpflichtungen befreien zu können. Da es sich bei den Wertpapieren und den Handelsobjekten des Terminmarktes um vertretbare Güter handelt, kann die Abrechnung aller Verträge zum Erfüllungstermin sowohl für die zu zahlenden Geldbeträge als auch für die Waren im Wege der Skontration erfolgen. 3 7 Jedem an den Geschäften Beteiligten wurde dort, wo für diesen Zweck Liquidationsbüros bzw. Warenliquidationskassen bestanden haben, 3 8 nur noch der Saldo aller seiner am Erfüllungstermin bestehenden Zahlungsverpflichtungen und Forderungen bzw. seiner Lieferverpflichtungen und Abnahmeverpflichtungen mitgeteilt. Termingeschäfte waren zur Zeit Max Webers dem Vorwurf ausgesetzt, „Differenzgeschäfte" und somit eigentlich unreelle Geschäfte zu sein. Das Termingeschäft im ganzen war seinem Wesen nach in der Tat primär „Differenzgeschäft". Aber Weber betont zutreffend, daß die einzelnen Kontrakte an der Börse es nicht waren. 3 9 Im Verhältnis der beiden Kontrahenten ein und desselben Geschäfts kam - anders als damals vielfach behauptet worden ist 40 - jedenfalls an der Börse Differenzzahlung praktisch nie in Frage. Es wäre ja auch gegen die Logik der ganzen Veranstaltung gewesen, wenn man reine Differenzgeschäfte hätte abschließen können. Das hätte die Kontrahenten bis zum Erfüllungstermin aneinander gebunden, woran sie nicht

37 Gelegentlich ist die Übertragung des beim Geldumsatz längst üblichen Skontrierungsverfahrens auf d e n Warenumsatz als wesentliches Merkmal des Warentermingeschäfts definiert worden. Siehe dazu Adler, Karl, Z u m Rechte des Termingeschäftes, in: Archiv für Bürgerliches Recht, Band 17, 1900, S. 141. Tatsächlich war die Liquidation der Warentermingeschäfte zur Zeit Max Webers aber nur an w e n i g e n Börsen auf d e m höchstmöglichen Stand. 38 Siehe die Einträge „Liquidationsbureau" und „Liquidationskasse" im Glossar, unten, S. 1053. 39 Siehe Weber, Börse II, unten, S. 643f., u n d Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, unten, S. 7 2 9 - 7 3 1 . 40 Zur juristischen Diskussion siehe unten, S. 2 8 - 3 3 .

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interessiert waren - zumal sie die Absicht, an Kursdifferenzen zu gewinnen, ja viel eleganter durch Geschäfte mit Dritten (Gegengeschäfte, Prolongationen) verwirklichen konnten. Die Umsätze an den Terminmärkten haben die Summen der effektiven Warenumsätze meist um ein Vielfaches übertroffen. Nach Angaben von Zeitgenossen resp. den Ermittlungen der Börsenenquetekommission wurden an der Hamburger Kaffeebörse 1887 bis 1891 nicht mehr als 1,79 bis 3,79% aller Geschäfte effektiv erfüllt, an der Hamburger Zuckerbörse 1888-1890 nur 4,9% und 1891 7,6%, an der Magdeburger Zuckerbörse 1889 25,6%, 1890 und 1891 8 , 9 % 4 1 Kein Wunder, daß die der Börse Fernerstehenden seinerzeit Kritik an diesen „Luftschlössern" erhoben. 42 Freilich ging es an den Warenterminmärkten ja auch nicht um effektive Ware, sondern um ein künstlich geschaffenes Handelsprodukt. Nach heutigem Verständnis werden am Terminmarkt nicht Wertpapiere, nicht Roggen, Kaffee oder Baumwolle gehandelt, wenn sie auch als Vertragsgegenstände genannt sind - und um 1900 zu einem gewissen Prozentsatz auch effektiv erfüllt worden sind. Der Terminmarkt ist, und war es auch zur Zeit Max Webers, ein Markt von Kontrakten. Handelsgegenstand sind und waren vertragliche Rechte: die „Lieferung einer bestimmten Menge einer bestimmten Ware in einer bestimmten Quantität zu einem bestimmten Termin zu einem bestimmten Preis." 43 Wir bezeichnen heute derartige Rechte als „Derivate". Ihre Eigenschaften werden aus anderen Geschäften abgeleitet bzw. auf sie bezogen. Es war freilich wichtig, daß zwischen dem Effektivmarkt und dem „Rechte-Markt" ein Zusammenhang bestand. Andernfalls hätte der Terminmarkt auch nicht zur Kurssicherung von Effektivgeschäften und als Signalgeber für Preisentwicklungen der konkreten Ware dienen können. Er wäre ein reiner Spekulationsmarkt ohne volkswirtschaftliche Bedeutung gewesen. Eine solche ist ihm zwar nie einhellig, aber doch überwiegend auch zugeschrieben worden. Weber sah die Bedeutung u.a. a) in der Möglichkeit der „Versicherung" gegen die Risiken im Handel mit Ländern, die noch nicht dem Goldstandard angehörten und somit flexible Wechselkurse hatten - z.B. Österreich und Rußland - , b) in der Verminderung der sonst schwer zu bewältigenden Preisrisiken des Großhandels dort, wo die

41 Siehe Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S. 29. 42 Max Weber, Börse II, unten, S. 632, nennt „die weitgehende Loslösung des Umfangs der Umsätze von den am Markt .effektiv' vorhandenen Vorräten" die „für den Außenstehenden zuerst in die Augen fallende Eigenart des Terminhandels." 43 Wolter, Udo, Termingeschäftsfähigkeit kraft Information. Eine rechtshistorische, rechtsdogmatische und rechtspolitische Studie über die stillschweigende Entfunktionalisierung des § 764 BGB durch die Börsengesetz-Novelle von 1989. - Paderborn: Schöningh 1991, S. 122.

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Preisschwankungen üblicherweise groß waren, 44 und c) generell in der Glättung von Preisbewegungen. 45 Wie die Spekulation am Terminmarkt dergleichen bewirkt - unabhängig davon, ob ihre Absicht darauf zielt - , hat Weber an den soeben zitierten Stellen beschrieben. Der Streit darüber, ob das Termingeschäft, indem es die Absicherung von Risiken ermöglicht, das spekulative Element des Handelns vermindert, oder ob es nicht spekulative Neigungen geradezu fördert, ist fruchtlos. Denn natürlich kann derjenige, der am Terminmarkt Sicherungsgeschäfte betreibt, dies nur tun, weil andere da sind, die ihm das Risiko abnehmen. Freilich konzentrierte sich die Risikoabsicherung an Terminmärkten seinerzeit auf das Preis- oder Kursrisiko. Für die Händler war das das Entscheidende. Die Landwirte hatten zur Zeit Webers in gewisser Weise gute Gründe, den Terminmarkt weniger zu schätzen. Denn er sicherte ihr (Jahres-)Einkommen nicht in ähnlicher Weise wie das der Händler ab. Das lag daran, daß man am Terminmarkt eben nur das Preisrisiko, nicht auch das Risiko schwankender Erntemengen absichern konnte. - Über den Meinungsstreit hinsichtlich der volkswirtschaftlichen Funktionen der Terminmärkte wird noch Genaueres berichtet 4 6 5. Sekundäre Funktionen der Börsen Als Leistung der Börsen ist bislang vornehmlich auf das verwiesen worden, was man allgemein als ihre „primäre Funktion" bezeichnet hat, nämlich die Marktbildungsfunktion. Unzweifelhaft sind die von den deutschen Börsen im 19. Jahrhundert geschaffenen, organisierten Kapital- und Gütermärkte zentrale Orte des Kapital- und Güterverkehrs geworden, die unter den seinerzeit gegebenen Bedingungen Erhebliches zur Senkung der Transaktionskosten beigetragen haben. Allerdings wäre es ein Fehler, aus der Anerkennung ihrer historischen Rolle auf ihre ungefährdete Bedeutung zu schließen. In Deutschland scheinen die Wertpapierbörsen um 1900 eine Art Höhepunkt ihrer relativen Bedeutung erfahren zu haben. Zunehmend haben nämlich die deutschen Universalbanken, gefördert durch ihr Filial- und Konzernsystem, die Kauf- und Verkaufsaufträge ihrer Kunden nicht mehr an die Börsen gebracht, sondern Angebot und Nachfrage in sich ausgeglichen. Sie wurden „kleine Börsen für sich" 47 und waren an der Sicherung der Funktionsbedingungen der Wertpapier- und Warenbörsen nicht mehr so interessiert, wie das die spezialisierten Investmenthäuser und Clearingbanken in den USA und England geblieben sind. Seit der Jahrhundertwende ist speziell in Deutschland die Diskussion über einen Funktionsverlust der Börsen nicht mehr abgebrochen. Doch blieb eine gänzliche Ausschaltung der Bör44 45 46 47

Siehe Weber, Terminhandel, unten, S. 603f., und Börse II, unten, S. 640f. Ebd., unten, S.648f. Unten, S. 45-51. Siehe u.a. Prion, Willi, Börsenwesen, in: HdStW 4 2, S. 1056.

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sen unvorstellbar, zumal die Banken die Börsen immer zum sogenannten Spitzenausgleich brauchen und die von den Börsen erzeugten „öffentlichen Güter", speziell die dort systematisch produzierten Informationen über die Marktlagen, auch für sie unerläßlich sind. Börsen erzeugen nämlich immer auch Leistungen, die tendenziell jedermann zugute kommen, ohne daß dafür ein Entgelt zu entrichten ist. Das betrifft vor allem die vielen Informationen, die auch durch darauf spezialisierte Medien verbreitet werden. Zahlreichen außerhalb der Börse abgeschlossenen Wertpapier- und Warengeschäften lag (und liegt) die Bedingung zugrunde, daß für ihre Abwicklung die an der Börse gebildeten Kurse maßgeblich sein sollen. Zur Zeit Max Webers hatten z.B. viele Landwirte mit ihren lokalen Händlern schon vor der Ernte Verträge für den Verkauf des Getreides abgeschlossen, für die (unter Beachtung der dann zu bewertenden Qualitätsdifferenzen) der an der Berliner Getreidebörse festgestellte Kurs herangezogen wurde. U.a. erklärt das, warum die Interessenvertreter der Landwirtschaft mit ihrer propagandistischen Behauptung Gehör fanden, das Schicksal der deutschen Getreideerzeuger liege in der Hand der Börsenhändler. Als nach 1896 in Deutschland der Getreideterminhandel verboten war und also keine deutschen Börsenkurse mehr veröffentlicht werden konnten, sind laufend die Kurse des Chicago Board of Trade mitgeteilt worden. - Auch die regelmäßige Kursnotierung an der Wertpapierbörse ist eine im modernen Wirtschaftsleben kaum hoch genug einzuschätzende Leistung. Die Kurse sind Ausdruck einer permanenten Kritik der einzelnen Kapitalanlagen. Ihre Veröffentlichung vermittelt freilich nicht leicht zu lesende, weil auf Zahlenwerte reduzierte Rezensionen des wirtschaftlichen Verhaltens von Staaten und Unternehmen, die die Kapitalanleger für ihre Entscheidungen nützen können. Zugleich ermöglichen es die veröffentlichten Kurse den Haltern von Wertpapieren, im Unterschied zum Besitz eines Hauses, einer Kunstsammlung, eines Gewerbebetriebes, in jedem Augenblick den aktuellen Stand ihres so angelegten Vermögens zu ermitteln. - Zu den auch im Börsenschrifttum am häufigsten genannten Funktionen der Börsen gehört die „Barometerfunktion". Wenn darunter verstanden wird, daß die Entwicklung der Börsenkurse je zutreffende Prognosen hinsichtlich der konjunkturellen Zukunft von Volkswirtschaften ermöglicht habe, so gibt es zumindest aus der Zeit vor d e m Ersten Weltkrieg kaum sichere Beweise für die Richtigkeit der Annahme. Hingegen trifft zu, daß man seinerzeit das Urteil über die gesamtwirtschaftliche Lage vielfach aus den an der Börse herrschenden Stimmungen ableitete. Wie das Barometer den aktuellen Druck anzeigt, so signalisierten den Zeitgenossen auch Hoch- oder Tiefstände von Wertpapier- und Warenkursen wirtschaftliche Hochs und Tiefs. Andere Indikatoren ähnlicher Feinfühligkeit hat es seinerzeit kaum gegeben.

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Anders als heute, da die Börsen nicht mehr notwendig Präsenzbörsen sind, waren die Börsen zur Zeit Max Webers die Kommunikationszentren für die Finanz- und Handelswelt. Der regelmäßige Besuch der Börse war für die führenden Köpfe des Handels eine absolute Selbstverständlichkeit, konnten hier doch auf unkomplizierte Weise Nachrichten ausgetauscht sowie auch andere Geschäfte als Börsengeschäfte besprochen und abgeschlossen werden. An keiner anderen öffentlichen oder privaten Einrichtung spielten um 1890 Telegrafenapparate und Telefone eine so große Rolle wie an den großen Börsen. Hier war man mit allen für wirtschaftliche Dispositionen wichtigen Plätzen der Welt direkt verbunden. Eintreffende Nachrichten konnten während der Börsenstunden unmittelbar mit den anwesenden Experten besprochen werden. 6. Verfassung und Organisation der Börsen Man kann Börsen - wie oben zumeist geschehen 48 - als Märkte betrachten. Genau genommen handelt es sich aber um komplexe Dienstleistungsunternehmen, die Märkte betreiben. Obgleich sie im wesentlichen gleiche bzw. recht ähnliche Leistungen erbrachten, unterschieden sich die Börsen der Welt am Ende des 19. Jahrhunderts hinsichtlich ihrer Verfassung und inneren Organisation zum Teil erheblich. 49 Die deutschen Börsen gehörten zum kontinentaleuropäischen Typ. Dieser war geprägt durch eine lange Tradition staatlicher Aktivität im Wirtschaftsleben. Dagegen entsprach es der englischen und nordamerikanischen Tradition, daß es, von einzelnen, praktisch erfolglos gebliebenen Versuchen abgesehen, keine Einwirkungen der Gesetzgeber auf die Errichtung, Organisation und den Betrieb der Börsen gegeben hat. Börsen sind dort Unternehmen in der Trägerschaft privater Vereine bzw. Gesellschaften mit dem unbestrittenen Recht zur autonomen Regelung ihrer Angelegenheiten und der Geschäfte der Börsenbenützer geblieben. Private, wenn auch nicht auf Gewinnerzielung der Mitglieder bedachte, Vereine waren um 1890 auch in Deutschland Träger der meisten kleinen Börsen. Jedoch waren die großen Börsen in den Händen von Handelskammern bzw. Korporationen der Kaufmannschaft. Diese waren zwar Selbstverwaltungsorgane des Handels, aber sie erfüllten auch öffentliche Aufgaben und standen in der Regel (nicht in Hamburg) unter staatlicher Aufsicht. Die von ihnen betriebenen Börsen wurden teils als private, teils als öffentliche Einrichtungen verstanden.

48 Oben, S. 13-17. 49 Siehe einführend Weber, Börse /, unten, S. 161-168. Zu den Erhebungen der Börsenenquetekommission hinsichtlich der Organisation der deutschen und internationalen Börsen siehe Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 217-250.

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Bis zum Erlaß des Börsengesetzes vom 22. Juni 1896 gab es in Deutschland keine das Börsenwesen direkt betreffenden reichseinheitlichen Regelungen. Preußen hatte 1836, 1840 und 1844 versucht, der Unterbringung eigener Staatspapiere hinderliche und angeblich zum unsittlichen „Börsenspiel" anreizende Termingeschäfte in ausländischen Staatspapieren und deutschen Eisenbahnwerten zu verbieten. Aber diese Eingriffe in die Freiheit des Geschäftsbetriebs der preußischen Börsen blieben praktisch wirkungslos. 50 1860 wurden die Verordnungen förmlich aufgehoben. Es waren dann im wesentlichen die einzelstaatlichen Einführungsgesetze zum 1861 vom Deutschen Bund verabschiedeten Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch - das kein Börsenrecht enthielt - , in denen die Landesgesetzgeber bestimmten, daß die Errichtung einer Börse und neue bzw. geänderte Börsenordnungen der Genehmigung der einzelstaatlichen Behörden bedurften. Preußen legte damals auch fest, daß von den Trägern der Börsen erlassene Börsenordnungen Bestimmungen über die Feststellung und Publikation der Börsenkurse zu enthalten hätten. Indirekt wurden diese Regeln damit auch genehmigungspflichtig, somit der Autonomie der Börsenorgane entzogen. Allerdings wäre es falsch, aus den gesetzlichen Formulierungen mit ihren relativ weitgehenden Gestaltungs- und Eingriffsrechten der Staaten und gar der Existenz von Staatskommissaren an einigen Instituten zu schließen, daß die deutschen Börsen damals verkappte staatliche Veranstaltungen gewesen seien. Das waren sie nicht, zumal seinerzeit auch die Beamtenschaft der zuständigen Handelsministerien überwiegend von liberalem Geiste geprägt war und die Selbstverwaltung der Börsen schätzte. Selbst da, wo formal der Staat handelte, tat er dies vor Erlaß des Börsengesetzes 1896 zumeist auf Anregung oder nach Absprache mit den an den Börsen Verantwortlichen, und er hat keinen Eifer bei der Durchsetzung störender Eingriffe gezeigt. 51 Wenn die deutschen Börsen am Ende des 19. Jahrhunderts in wesentlichen Aspekten anders als die angelsächsischen gestaltet waren, so jedenfalls nicht vornehmlich deshalb, weil dies der Staat geboten hätte. Tatsächlich hatten auch die deutschen Börsen, abgesehen von dem Genehmigungsvorbehalt der Einzelstaaten, eine weitgehende Satzungshoheit.

50 Siehe Ehrenberg, Fondsspekulation, S. 59f., 69-73; Neidlinger, Karl, Studien zur Geschichte der deutschen Effektenspekulation von ihren Anfängen bis zum Beginn der Eisenbahnaktienspekulation (Ein Beitrag zur Börsengeschichte) (Münchener Volkswirtschaftliche Studien, hg. von Walther Lötz u.a., N. F., Heft 11). - Jena: Gustav Fischer 1930, S. 60-63. 51 Die preußische Regierung hat nach Erlaß des preußischen Landwirtschaftskammergesetzes 1894, das eine Vertretung der Landwirtschaftskammern in den Vorständen der Produktenbörsen vorsah, keine Ausführungsbestimmungen erlassen, weil sie das Börsengesetz abwarten wollte. Vgl. dazu unten, S.86f.

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In den Börsenordnungen52 legten sie die Geschäftszweige, Ort und Zelt der Börsenversammlungen, den Zutritt zu den Versammlungen, die Zusammensetzung und die Befugnisse der leitenden Börsenorgane einschließlich des Verfahrens der Zulassung von neuen Gattungen von Handelsartikeln (Wertpapieren, Waren), die Art der amtlichen und nichtamtlichen Kursfeststellung sowie die Veröffentlichung von Kurszetteln fest. Von großer Bedeutung für die Stellung und das Funktionieren der Börsen waren die eigenen Organe zur Durchsetzung des Ordnungsrechts. Bei Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit behaupteten Verletzungen der Ordnung entschieden in der Regel spezielle Kommissionen in der Börse oder bei den die Börse tragenden Korporationen. Selbst wenn der Gang zu den ordentlichen Gerichten nicht förmlich ausgeschlossen war, 53 ist er die Ausnahme geblieben. Er widersprach den Gepflogenheiten, ja der Ehre der Kaufleute. Und er war mit dem Risiko behaftet, nach einem Sieg vor Gericht nicht mehr als Kontraktpartner an der Börse anerkannt zu sein. Entsprechendes galt auch für die Regelung von Auseinandersetzungen zwischen Kontraktparteien über Ihre vertraglichen Beziehungen. Die Im Verlauf des 19. Jahrhunderts förmlich festgeschriebenen Usancen54 kodifizierten innerbörslich die aus langer Geschäftspraxis heraus entwickelten Bedingungen, die bei jedem Geschäft stillschweigend als vereinbart galten. Auch Streitigkeiten unter Kontrahenten über die von ihnen beabsichtigten oder geschlossenen Geschäfte wurden umgehend von einer allein mit Kaufleuten besetzten Instanz auf kürzestem Wege entschieden. 5 5 Dafür sprachen auch Effizienzgründe. So konnte ohne Rücksicht auf die umständlichen Prozeduren der Justiz unter Umständen noch am gleichen Tag - und nicht erst nach langen Fristen - Klarheit über die Rechtslage hergestellt werden. Und immer entschieden Kaufleute nach dem, was sie aufgrund ihrer Lebenserfahrung für Rechtens hielten, ohne es ausführlich be-

52 Von besonderer Maßgeblichkeit war die Revidierte Börsen-Ordnung für Berlin von 1884/1885. 53 A n der Londoner Stock E x c h a n g e schlössen die Satzungen, d e n e n sich jedes Mitglied unterwarf, die Inanspruchnahme ordentlicher Gerichte gänzlich aus. 54 In Deutschland hatte sich bis z u m 19. Jahrhundert die Börsenrechtsentwicklung auf die Ausgestaltung der U s a n c e n u n d die Fortbildung des Maklerrechts beschränkt. 55 „Streitigkeiten aus einem Geschäfte, welche die Lieferbarkeit der Werthe oder die A u s l e g u n g oder A n w e n d u n g der gegenwärtigen B e d i n g u n g e n und b e s t e h e n d e n U s a n c e n betreffen, w e r d e n von einer Deputation der Sachverständigen-Kommission der Fonds-Börse endgiltig und unter Ausschluß jedes Rechtsmittels entschieden. Diese Deputation entscheidet a u c h selbst über ihre Zuständigkeit u n d verfährt nach der Geschäfts-Ordnung, welche von d e n Ältesten der Kaufmannschaft festgesetzt wird. Die Deputation ist berechtigt, ihre Entscheidungen a b z u g e b e n , a u c h w e n n einer Partei in d e m Verfahren das rechtliche Gehör nicht gewährt war, u n d ist nicht verpflichtet, d e n Schiedss p r u c h mit G r ü n d e n zu versehen." § 11 der Bedingungen der Berliner Börse von 1892.

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gründen zu müssen. Mit Bezug auf die Londoner Wertpapierbörse ist gesagt worden, daß die dazu berufenen Organe die Börsen „mit einer Strenge" geleitet hätten, „die kein Staat der Welt gegen die Börse anwenden könnte." 56 Diese komplizierten Märkte funktionierten nur bei nahezu absoluter Rechtssicherheit. An den deutschen Börsen waren unterschiedliche Gruppen von Personen nach teilweise unterschiedlichem Recht tätig: amtliche und freie Makler, die Gruppe der eigentlichen Händler und die Kommissionäre, die die Aufträge des Publikums an die Börse brachten. Die im Herzen der Börse tätigen amtlichen Makler waren nach deutschem Recht keine Kaufleüte. Sie wurden von den Börsenkorporationen unter Bestätigung der Landesregierungen bestellt und hatten ein öffentliches Amt inne. 57 Weil es an den Börsen aber schon lange keinen Zwang mehr gab, alle Geschäfte durch die amtlichen Makler vermitteln zu lassen, vielmehr die freien Makler mehr und mehr Geschäftsanteile erringen konnten, und weil die amtlichen Makler, anders als die Makler im Zentrum der Londoner Wertpapierbörse, vor allem in Preußen keine Eigengeschäfte treiben durften, waren zu der Zeit, als die Börsenenquetekommission die Sachverständigen verhörte, ihre Rechte und Pflichten weitgehend ungeklärt und ihre wirtschaftliche Position eine höchst unbefriedigende. Sie bedurften einer Neuregelung. 58 Ein wesentlicher Unterschied gegenüber den angelsächsischen Ländern bestand in der traditionellen Offenheit der deutschen Börsen für Händler der unterschiedlichsten Herkunft, Interessen- und Vermögenslagen. In Hamburg konnte praktisch jedermann an der Börse Geschäften nachgehen. In Berlin mußte man wenigstens ein Handelsinteresse nachweisen und eine Börsenkarte erwerben, was nicht schwierig war. Ganz anders verhielt es sich an den korporativ-„plutokratisch" verfaßten Wertpapierbörsen in New York und London. Sie waren - etwas überspitzt formuliert - Betriebe der Mitglieder für Mitglieder. Weil die dortigen Verhältnisse seinerzeit von zahlreichen Experten, darunter auch von Max Weber, in vieler Hinsicht als vorbildlich bezeichnet worden sind, seien sie hier in knappen Zügen geschildert. 59 56 Ehrenberg, Richard, Börsenwesen, in: HdStW 3 3, S. 177. 57 Vgl. Art. 66 HGB, unten, S. 960. Hier und im Folgenden wird die zur Zeit Max Webers übliche und auch von ihm gebrauchte Abkürzung HGB für das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch von 1861 verwendet. 58 Siehe hierzu insbesondere Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 285411, und Börsenwesen, unten, S. 576-582. 59 Hierzu zeitgenössisch: Struck, Effektenbörse. Neuere Darstellungen, die die tatsächlichen Verhältnisse gegenüber Webers an den Normen orientierter typisierender Betrachtung gelegentlich in einem etwas anderen Licht erscheinen lassen, v.a. Michie, Ranald C., The London and New York Stock Exchanges 1850-1914. - London u.a.: Allen and Unwin 1987; ders., Different in Name Only? The London Stock Exchange and Foreign Bourses, c. 1850-1914, in: Business History, Band 30, 1988, S. 46-68. Sobel, Robert, The Big Board:

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An der New Yorker Stock Exchange war die Zahl der Börsenhändler seit Gründung durch Absprachen begrenzt, so daß die zur Zeit Webers vorhandenen 1100 Börsensitze schließlich ein Vermögen wert waren. Die Mitglieder konnten, wie ein Kartell, die Gebühren für den Handel zwar nicht völlig ohne Rücksicht auf die Konkurrenz anderer Börsen festsetzen, aber doch mit deutlichem Gewinn für die an der Börse tätigen Firmen. Da sie auch die Zulassung von Wertpapieren restriktiv handhabten und hierbei vornehmlich Qualitätskriterien anwendeten, galt die Tatsache, daß ein Papier an der New Yorker Stock Exchange gehandelt wurde, den Anlegern gegenüber als eine Art Garantie für die Solidität der Papiere - die zum Ansehen (und Gewinn) der Börse beitrug. Angesichts der Tatsache, daß es in New York (bis heute) immer auch konkurrierende Börsen gegeben hat, unterlag der Betrieb zwar nicht staatlicher, wohl aber einer andauernden Marktkontrolle. Auch die Londoner Fondsbörse war ein autonomer, sich selbst verwaltender Privatverein, dessen Versammlungen nach außen abgeschlossen und lediglich Vereinsmitgliedern zugänglich waren. Aber die Mitgliedschaft war, schon weil das common law eine Art Kartell nicht zuließ, nicht zahlenmäßig beschränkt. Doch wurde die Zulassung zu Mitgliedschaft und Handel an die Erfüllung strenger Voraussetzungen gebunden, und die Mitglieder mußten sich gemäß den Vereinsstatuten hinsichtlich ihrer Geschäftsführung einer Reihe von Beschränkungen unterwerfen. So war eine zunftartige Abgeschlossenheit gesichert. Das stellten Kapitalkraft, Sachkenntnis und Disziplin der Börsenhändler weitgehend sicher. Aber die recht große Zahl der Mitglieder und ihre Rollendifferenzierung in Jobber und Dealer 60 hat wettbewerbsbeschränkende Absprachen zur Erhöhung der Gebühren oder zur Begrenzung der Handelsobjekte in London bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg verhindert. Die dritte Wertpapierbörse mit überragendem Geschäftsverkehr, die Pariser, betrieb in einem staatlichen Gebäude unter staatlich garantierter Ordnung einen Wertpapiermarkt, der im Kern auf dem 1801 von Napoleon bestätigten, staatlich gewährleisteten Handelsmonopol von 60 amtlichen Maklern, den Agents de change, beruhte. 61 Die Sitze waren schließlich erblich und kosteten, wenn sie in anderen Besitz übergingen, noch viel mehr als die in New York. Entgegen dem äußeren Anschein war die Pariser Börse nicht in

A History of the New York Stock Market. - New York: Free Press/London: Collier-Macmillan 1965. Davis, Lance, und Larry Neal, Micro Rules and Macro Outcomes: The Impact of Micro Structure on the Efficiency of Security Exchanges, London, New York, and Paris, 1800-1914, in: The American Economic Review, Band 88, 1998, S. 40-45. 60 Siehe hierzu die Einträge im Glossar, unten, S. 1039 und 1047, sowie Weber, Börse I, unten, S. 161f., und Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 222f. mit Anm. 18. 61 Boissière, Gustave, La Compagnie des Agents de Change et le Marché Officiel à la Bourse de Paris. - Paris: Arthur Rousseau 19252.

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den Händen staatlicher Organe, sondern in denen der Vereinigung der Makler auf dem privilegierten Parkett (Compagnie des Agents de change). Diese beherrschten die Zulassung und die Festsetzung sowie Durchsetzung der Regeln des Geschäfts und sorgten durch ihre Verbindungen auch dafür, daß ihre Position von Seiten der staatlichen Stellen im Kern nicht angetastet wurde. Aber diese Händler hatten nur ein Teilmonopol, denn um den amtlichen Handel auf dem Parkett herum hatte sich in anschließenden Räumen eine unübersehbare und jedenfalls schwer kontrollierbare „Kulisse" entwickelt, zu der auch das Publikum Zugang hatte. Die Kulisse stellte faktisch den offenen Markt her, dessen Umsätze die des amtlichen Handels deutlich überstiegen. Wenn die deutschen Börsen auch den Händlern weit (Weber meinte: zu weit) offen standen, so hielten sie doch, von Hamburg abgesehen, das Publikum von sich fern. Es war Sache der Kommissionäre, in der Regel Banken und Bankiers, die Aufträge ihrer verstreut im Land lebenden Kunden an die Börse zu bringen. Allerdings waren die Grenzen der Sphären von Börse und Publikum nicht eindeutig gezogen. Wenn z.B. dem Kommissionsgeschäft eines Kunden mit einer Bank die Börsenusancen zugrunde liegen sollten, war auch der Kunde unter Umständen - gar ohne sein vorheriges Wissen - im Streitfall der Schiedsgerichtsbarkeit der Börse unterworfen. Doch war, wie auch die Erhebungen der Börsenenquetekommission ergeben haben, der Rechtszustand bei den außerbörslichen Geschäften ein weit weniger präzis geregelter als bei den innerbörslichen. 62 Weil die Verteilung der Macht zwischen dem Auftraggeber und dem Kommissionär in der Regel asymmetrisch war, konnten die Kommissionäre ihre Rechtsstellung durch ihre individuellen Geschäftsbedingungen weitgehend selbst definieren und sich darüber hinaus auf die stillschweigende Duldung von Gebräuchen berufen, die verständlicherweise bei Streitigkeiten eher ihre Position stützten. Machtungleichgewichte und offenkundige Mißbräuche der besonderen Vertrauensstellung der Kommissionäre 63 haben in den 1880er und frühen 1890er Jahren dazu beigetragen, daß das Publikum die Börsen kritischer betrachtet hat.

62 Siehe Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 412-430, und Börsenwesen, unten, S.582f. 63 Hierzu gehörten auch Depotveruntreuungen, die Anlaß zu dem Gesetz, betreffend die Pflichten der Kaufleute bei Aufbewahrung fremder Wertpapiere vom 17. Juni 1896 gegeben haben. Siehe hierzu den Edltorischen Bericht zu Weber, Wertpapiere, unten, S. 870874.

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II. Die Auseinandersetzungen Gesetzgebung 1891

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um die Börse bis zum Beginn der

In den 1890er Jahren sind in Deutschland die Börsen vorübergehend In das Zentrum heftiger politischer Auseinandersetzungen geraten. Zwar ist das spekulative Börsengeschäft seit Beginn des Jahrhunderts nie ohne Kritiker, ja Gegner gewesen, aber erst um 1890 hat sich eine Bewegung formiert, der es gelungen ist, die Börsenreform zu einer Art Schicksalsfrage der Nation zu machen. Weithin wurde die Forderung erhoben, der Reichsgesetzgeber möge die Börsen staatlicher Aufsicht unterstellen und den Zugang zur Börse sowie die dortigen Geschäfte regulieren. Insbesondere sollten Börsentermingeschäfte verboten oder zumindest drastisch eingeschränkt werden. Das im Juni 1896 vom Reichstag mit großer Mehrheit beschlossene Börsengesetz ist dem Begehren der Kritiker, vor allem den Interessenvertretern der Landwirtschaft, überraschend weit entgegengekommen. Es räumte den Organen des Reiches und der Einzelstaaten Befugnisse zu tiefgreifenden Veränderungen ein. Wenn die Regierungen und Verwaltungen von den Ermächtigungen auch nicht, wie viele zunächst befürchtet hatten, umfangreichen Gebrauch gemacht haben, so beschränkten die Bestimmungen immerhin die bis dahin bestehende Autonomie der Börsen, grenzten ihre Geschäftsfelder drastisch ein und schrieben die Organisation der Börsen auf lange Zeit fest. Obgleich am Ende des 19. Jahrhunderts auch in anderen Ländern massive Eingriffe in das Börsengeschäft gefordert worden sind, 1 ist es damals nur in Deutschland zu einer umfassenden Kodifizierung des Rechts der Börse und im Zusammenhang damit auch wichtiger Rechtsgrundsätze für den Wertpapierhandel zwischen Bankiers und ihren Kunden gekommen. 2 Die Erklärung dieser Besonderheit ist in einer Bündelung von Ursachen zu suchen, die sich nur im Deutschen Reich entwickelt hat. Etliche Gründe, wie z.B. die prekäre wirtschaftliche Lage der Landwirte im Verlauf eines anhaltenden Prozesses weltweit sinkender Agrarpreise, sind in allen Ländern Triebkräfte der Kritik an freien Märkten und insbesondere an den Warenbörsen gewesen. Andere, wie z.B. die Notwendigkeit, die Börsengeschäfte in die im Gange befindliche Kodifizierung des bürgerlichen

1 So u.a. in den USA, in Australien, Belgien, Dänemark, Frankreich, den Niederlanden, Österreich und Rußland. Die Zielsetzungen waren unterschiedlich weit gefaßt. Gemeinsamer Angriffspunkt aller Börsenkritiker war in den 1890er Jahren das Termingeschäft vornehmlich in Waren, aber auch in Wertpapieren. 2 Börsenrecht ist seit dem Börsengesetz von 1896 in Deutschland ein Geflecht aus bürgerlichem Recht, Handelsrecht, allgemeinem und besonderem Verwaltungsrecht, Staatsrecht und Strafrecht.

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und des Handelsrechts einzuordnen, gehören zu den spezifisch deutschen Ursachen. 3 Wiederholt ist Max Weber in seinen Schriften auch auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund der Auseinandersetzungen eingegangen. Doch geschah dies nicht systematisch und nicht annähernd vollständig. Deshalb soll hier zum besseren Verständnis der Texte ein Überblick über die Grundzüge der Geschichte der Börsenreform vermittelt werden. 4 Die nur für einzelne Texte relevanten historisch-politischen Zusammenhänge sind in den Editorischen Berichten und im Anmerkungsapparat des Herausgebers dargestellt. 1. Das Bild von der Börse in der

Öffentlichkeit

Im Hintergrund aller Auseinandersetzungen über die Notwendigkeit und die Zweckmäßigkeit gesetzgeberischer Eingriffe in das Börsenwesen stand in Deutschland wie auch in anderen Ländern ein tiefes Mißtrauen weiter Teile der Bevölkerung, auch der Gebildeten, gegen die Börsen und die dort Tätigen. Galt in der noch weitgehend an traditionellen Werten orientierten Gesellschaft der Handelsprofit ohnehin als moralisch fragwürdig und die Tätigkeit der Händler als volkswirtschaftlich „unproduktiv", so steigerte sich das Unwerturteil hinsichtlich der Börse bis zu Abscheu, ja Haß. Man empörte sich darüber, daß hier „Spekulanten" gleichsam mühelos enorme Gewinne machen konnten, ohne daß von ihnen für jedermann erkennbare Werte geschaffen wurden. Die Gewinne schienen sich allein aus den Verlusten anderer zu ergeben. Die Geschichten von Menschen, die als angeblich verführte Teilnehmer an Börsengeschäften Vermögen verloren und ihre Familien ins Elend gebracht hatten, fanden mitleidige Leser. Der im 19. Jahrhundert weit verbreitete Begriff „Börsenspiel" 5 rückte die Institution in unmittelbare Nähe 3 Kurz nach der Erlaß des Börsengesetzes vom 22. Juni 1896 wurde das Bürgerliche Gesetzbuch vom Reichstag verabschiedet und am 18. August 1896 vom Kaiser vollzogen. Dem folgte am 10. Mai 1897 das neue Handelsgesetzbuch. 4 Die folgenden Ausführungen stützen sich vor allem auf: Meier, Entstehung des Börsengesetzes; Schulz, Wolfgang, Das deutsche Börsengesetz. Die Entstehungsgeschichte und wirtschaftlichen Auswirkungen des Börsengesetzes von 1896 (Rechtshistorische Reihe, Band 124). - Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang 1994; Wolter, Termingeschäftsfähigkeit; Wetzel, Christoph, Die Auswirkungen des Reichsbörsengesetzes von 1896 auf die Effektenbörsen im Deutschen Reich, insbesondere auf die Fondsbörse (Münsteraner Beiträge zur Cliometrie und quantitativen Wirtschaftsgeschichte, Band 4). - Münster: Lit 1996. 5 Siehe Glaser, J. C., Börsenspiel, in: Deutsches Staats-Wörterbuch, hg. von Johannes Caspar Bluntschli u. a., Band 2. - Stuttgart und Leipzig: [ohne Verlag] 1857, S. 199-203; Bähr, Börsenspiel-, Struck, Emil, Börsenspiel, in: HdStW1 2, S. 695-704; Kohler, Joseph, Über das Börsenspiel, in: Wochenschrift für Aktienrecht und Bankwesen, Steuer- und Stempelfragen, hg. von Paul Holdheim, 3. Jg., 1894, S.41-55. Auch der Bericht der Börsenenquetekommission enthält ein Kapitel „Börsenspiel". Börsenenquetekommission, Bericht, S. 130-151.

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zu zweifelhaften Glücksspielen. Wenn es nur faire Spiele gewesen wären! Aber schon wegen seiner geringeren Kenntnisse über die Hintergründe der Geschäfte schien das Publikum per Saldo geradezu zwangsläufig gegenüber den Insidern der Börse den kürzeren ziehen zu müssen. Und noch schlimmer: Viele glaubten, daß die Börsianer einen großen Teil ihrer Gewinne aus allerlei fragwürdigen Manipulationen zögen. Von Zeit zu Zeit, insbesondere im Zusammenhang mit großen Einbrüchen der Börsenkurse, 6 sorgte die Aufdeckung von betrügerischen Machenschaften für eine Bestätigung der chronischen Verdächtigungen. So erregte in der Zusammenbruchswelle der Gründerkrise 1873 der nationalliberale Abgeordnete Eduard Lasker im Reichstag keinen Widerspruch, sondern Heiterkeit, als er die Börse „eine Akademie für die Übertretung der Gesetze" nannte. 7 Und der preußische Minister Albert von Maybach sprach gar 1879 im Abgeordnetenhaus von einem „Giftbaum, [...] der auf das Leben der Nation seinen verderblichen Schatten wirft." 8 Solche Reden überzeugten insbesondere diejenigen, die den relativ hohen Anteil von Juden unter den an den Börsen Tätigen mit Besorgnis betrachteten. Antisemiten gehörten denn auch zu den entschiedensten Gegnern der Börse. 9 Unter den populären Schriften, die sich von 1830 bis 1896 in Deutschland mit der Börse befaßt haben, finden sich nur recht wenige positive Würdigungen. 10 Und diese sahen ihre Aufgabe vornehmlich darin, gegen Vorurteile 6 Zur zeitgenössischen Behandlung der Geschichte der Pathologie der Wertpapierspekulation siehe vor allem Ehrenberg, Fondsspekulation, zum Image der Börsen u.a. Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S. 32-43. 7 „Sie müssen sich leider die Börse vorstellen als eine Schule, in der man in alle derartigen Umgehungen des Gesetzes auf das Beste eingeführt wird, (große Heiterkeit) als eine Akademie für die Übertretung der Gesetze, (erneute Heiterkeit) wo es sich um leichten Geldgewinn handelt." Rede von Eduard Lasker, in: Sten.Ber., 4. April 1873, Band 27, S.221. 8 In der Debatte am 11. November 1879 über die geplante Verstaatlichung der preußischen Eisenbahnen zog der Minister für öffentliche Arbeiten Albert von Maybach auch das Argument heran, daß diese Maßnahme nicht den Interessen der Börse entspräche: „Meine Herren, ich rechne es mir gerade als Verdienst an, in dieser Beziehung die Thätigkeit der Börse zu beschränken. (Bravo! rechts.) Ich glaube, daß die Börse hier als ein Giftbaum wirkt, der auf das Leben der Nation seinen verderblichen Schatten wirft, und dem die Wurzeln zu beschneiden und seine Äste zu nehmen, halte ich für ein Verdienst der Regierung. (Bravo! rechts.)." Sten.Ber.pr.AH, 1880, Band 1, S. 109. 9 Siehe z.B. Lagarde, Paul de, Juden und Indogermanen. Eine Studie nach dem Leben. Göttingen: Dieterich (Horst Lüdermann) 1887, S. 339-343. Daß insbesondere Juden Urheber und Schuldige der Gründerkrise gewesen seien, ist in einer Aufsehen erregenden und später in Buchform verbreiteten Artikelserie in der „Gartenlaube" behauptet worden: Glagau, Otto, Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin. Gesammelte und stark vermehrte Artikel der „Gartenlaube". - Leipzig: Paul Frohberg 18764. In einem zweiten Band setzte der Autor das Thema fort: Der Börsen- und Gründungsschwindel in Deutschland, 2. Teil. - Leipzig: Paul Frohberg 1877. 10 Vgl. Cohn, Börse-, pointiert liberal Michaelis, Von der Börse, S. 3-106.

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anzuschreiben und um Verständnis und Vertrauen zu werben. 1894 ging auch Max Weber in seiner Aufklärungsschrift für die Göttinger Arbeiterbibliothek davon aus, daß die Börse als ein Institut betrachtet werde, das „seiner Natur nach eine Art Verschwörerklub zu Lug und Betrug auf Kosten des redlich arbeitenden Volkes" sei. 11 Allerdings hielt Weber noch zu diesem Zeitpunkt die „Kritik, welche breite Volksschichten an den bestehenden Börsenzuständen üben", für praktisch wirkungslos. 12 Doch ging es 1894 nicht mehr vornehmlich um das allgemeine Mißtrauen und eine diffuse Kritik an der Börse. Mächtige politische Akteure hatten inzwischen die Organisation der Börse und den Charakter ihrer Geschäfte zum Gegenstand einer Fülle konkreter Forderungen an den Gesetzgeber gemacht. Etliche Anliegen waren ganz neu. Andere hatten eine längere Vorgeschichte und sind insbesondere auch durch die öffentliche Diskussion in Fachkreisen der Jurisprudenz und der wirtschaftlichen Staatswissenschaften vorbereitet worden. 2. Die juristische Diskussion über die Börse und ihre Geschäfte bis 1891 a) Das

„Differenzgeschäft"

Von den an Börsen betriebenen Geschäften hat seit jeher das Börsentermingeschäft die meiste Kritik auch verständiger Beobachter der Märkte und der politisch Verantwortlichen auf sich gezogen. Es ist, wie bereits ausgeführt, 13 aus dem Lieferungsgeschäft hervorgegangen. Aber die Erfüllung erfolgte zunehmend nicht mehr durch Lieferung der Wertpapiere bzw. Waren gegen Zahlung der vereinbarten Preise, sondern durch Ausgleich der Differenzen zwischen den bei Abschluß zahlreicher Geschäfte und Gegengeschäfte verabredeten Preisen und den Abrechnungskursen unter Umständen unter Inanspruchnahme von Liquidationsbüros bzw. Liquidationskassen. Etliche Juristen äußerten schon im frühen 19. Jahrhundert Zweifel, ob Verträge, die ausschließlich auf Zahlung von Differenzen hinausliefen, überhaupt als Kaufverträge anzusehen seien und von Gerichten wie solche zu behandeln wären. Sie meinten, „Differenzgeschäfte" 14 seien Verträgen über Gewinnspiele gleichzustellen. Für Spiele um Gewinn galt seit je, daß die Erfüllung von vertraglichen Pflichten nicht vor Gericht eingeklagt werden konnte. Zwar war die Zahlung von Spielschulden nicht gänzlich in das Belieben der Beteiligten gestellt. Sie galten als „Ehrenschuld". Nichterfüllung hatte unter Umständen erhebliche gesellschaftliche Nachtei-

11 Weber, Börse I, unten, S. 135. 12 Ebd. 13 Oben, S. 11f. 14 Daß die juristische Literatur den nichttechnischen Ausdruck „Differenzgeschäfte" verwendete, hat Max Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 496, bemängelt.

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le zur Folge. Aber man konnte vor gerichtlich angeordnetem Zwang zur Erfüllung von Spielschulden sicher sein. - Es verstand sich allerdings nicht von selbst, ob die Analogie von Spiel und „Differenzgeschäft" rechtlich tragfähig war bzw. wie man Spielgeschäfte von anderen Zeitgeschäften klar unterscheiden konnte. Auch das 1861 in Kraft getretene Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch enthielt keine ausdrücklichen Regelungen hinsichtlich der Gültigkeit von Termingeschäften. Es blieb der Rechtswissenschaft und der Rechtsprechung überlassen zu bestimmen, was Recht sein sollte.15 Bei den seit den 1830er Jahren geführten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen um die Rechtsnatur des „Börsenspiels" (zunächst nur in Wertpapieren, später auch in Waren) ging das Für und Wider sowohl um hochmoralische und ökonomische Fragen von Spekulationsgeschäften überhaupt als auch um diffizile Einzelheiten der Gestaltung und der Durchsetzung erwünschter Normen. An diesen Erörterungen haben sich die berühmtesten Rechtswissenschaftler - und nur wenige Nationalökonomen beteiligt. Die Kontrahenten zogen, wenn sie nicht schlechthin moralisch oder pragmatisch argumentierten, alle Register der römisch-rechtlichen und der deutsch-rechtlichen Dogmatik und kamen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Die beiden Gründer der Handelsrechtswissenschaft Heinrich Thöl und Levin Goldschmidt bejahten die Klagbarkeit von Schulden aus Terminkontrakten. Goldschmidts (und Max Webers) Berliner Fakultätskollegen Heinrich Brunner und Otto Gierke sprachen sich gegen die Klagbarkeit aus. Die Gerichte neigten dazu, wenigstens dort, wo unbezweifelbare Beweise vorlagen, Zeitgeschäfte als Glücksspiele zu qualifizieren und entsprechend Klagen auf Erfüllung abzuweisen. Allerdings sollte das nur für „reine" Differenzgeschäfte gelten. Hierfür war, wie das Reichsoberhandelsgericht 1872 entschied, erforderlich, daß die Parteien schon bei Vertragsschluß die Effektiverfüllung beiderseitig ausdrücklich ausschlössen. Die bloße Absicht einer Partei, den Lieferungsvertrag nicht real zu erfüllen, sollte nicht ausreichen, mochten dafür auch mannigfache Indizien sprechen. Das Reichsgericht, in dem 1879 das Reichsoberhandelsgericht aufging, setzte diese auf Rechtssicherheit zielende Rechtsprechung fort, bis es 1892 die noch zu besprechende 16 dramatische Wende vollzog, die die Rechtslage grundsätzlich veränderte. Nun war auch der Gesetzgeber zum Handeln gezwungen.

15 Ausführlich zur Geschichte der rechtlichen Beurteilung von Differenzgeschäften im 19. Jahrhundert Wermert, Börse, Börsengesetz und Börsengeschäfte, S. 295- 368; Wolter, Termingeschäftsfähigkeit, S. 24-88. 16 Unten, S. 63-66.

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Für die geschäftliche Praxis innerhalb der Börse spielte bis dahin der juristische Streit über die Klagbarkeit von Termingeschäften allerdings keine Rolle. Weil Zeitverträge, die die Erfüllung durch Lieferung ausdrücklich ausschlössen, schon wegen der damit verbundenen Risiken der Geschäftsabwicklung kaum vorkamen, ist der „Differenzeinwand" in den 1870er und 1880er Jahren vor den Gerichten nur selten erfolgreich erhoben worden. Die wenigen gerichtlichen Entscheidungen betrafen Verträge im Umfeld der Börsen, bei denen mindestens auf einer Seite Privatleute standen. 17 Hier gab es unzweifelhaft „Spieler", die nie an die Erfüllung durch Lieferung dachten. Ob es auch an der Börse „reine" Differenzgeschäfte gab - was von allen Experten verneint wurde - , konnte von den Gerichten nicht geprüft werden. Selbst wenn es „reine" Differenzgeschäfte gegeben haben sollte, konnte sich doch kein Börsenhändler die Erhebung des Differenzeinwandes leisten. Er hätte sich damit an der Börse unmöglich gemacht und sich vom künftigen Geschäftsverkehr ausgeschlossen. Dennoch war es für die Börse nicht unbeachtlich, wie Rechtswissenschaft und Justiz die Geschäfte am Börsenrand beurteilten. Denn die Mehrzahl der Zeitgeschäfte in Wertpapieren waren nicht Operationen von Börsenleuten, sondern solche, an denen sich Angehörige der verschiedensten Kreise beteiligten. Von ihnen lebte das Termingeschäft an der Fondsbörse. Nur wenn das Publikum „mitging", war der Handel an der Terminbörse lebhaft. 18 Rechtswissenschaft und juristische Praxis haben aber nicht nur die Frage diskutiert, ob Spielgeschäfte klaglos zu stellen seien. Vielfach ertönte auch in diesen Kreisen der Ruf, Differenzgeschäfte - ob „rein" oder nicht - ausdrücklich zu verbieten. Zwar hatten sich bislang in keinem Land Verbote von Zeitgeschäften in Wertpapieren längerfristig durchsetzen lassen, auch nicht in Preußen zwischen 1836 und 1860, 19 aber das hinderte die Kritiker der Börse nicht, die Forderung immer wieder zu erheben. Beispielsweise hatte die dem altpreußischen Adel und der evangelischen Orthodoxie nahe-

17 Fuchsberger, Otto, Sämmtliche Entscheidungen des Reichs-Ober-Handels-Gerichts und Reichsgerichts auf dem Gebiete des Handelsrechts sowie der einschlägigen früheren Civilrechte mit Rücksichtnahme auf das neue Bürgerliche Gesetzbuch. - Gießen: Emil Roth 19003, S. 945-951. Siehe auch die Vorlage für die Börsenenquetekommission: Wiener, Rechtsprechung. 18 Gschwindt, Ludwig, Börsenreform in Deutschland. Eine Darstellung der Ergebnisse der deutschen Börsenenquete. Dritter Abschnitt: Die Effektenbörsen nach den Erhebungen der Börsenenquetekommission (Münchener Volkswirtschaftliche Studien, hg. von Lujo Brentano und Walther Lötz, 22. Stück). - Stuttgart: J. G. Cotta 1897, S.31. 19 Zu den Versuchen der preußischen Regierung, zunächst den Terminhandel in spanischen Anleihen, dann den in allen ausländischen (d.h. nichtpreußischen) Anleihen und schließlich auch den in besonders riskanten Eisenbahnpapieren an den Börsen des Landes zu verbieten, siehe Ehrenberg, Fondsspekulation, S.59f., 71-73 und 129-134; zusammenfassend Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S. 47f.

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stehende Kreuzzeitung 1881 den Erlaß eines Börsengesetzes verlangt, „welches der ferneren Ausbeutung der Bevölkerung durch die Börse, sowie dem weiteren Betriebe des öffentlichen Spiels an derselben energisch ein Ziel setzt." 20 Drei Deutsche Juristentage haben sich 1882, 1884 und 1886 mit Vorschlägen beschäftigt, wie man die von Zeit zu Zeit auftretenden und von niemandem bestrittenen „spekulativen Ausschreitungen" auf gesetzlichem Wege eindämmen könnte. 21 1882 votierte jedoch eine Mehrheit der Anwesenden gegen Verbote des reinen Differenzgeschäfts, weil sie praktisch unbedeutend seien. Andere Termingeschäfte zu beschränken oder gar zu verbieten, hielt man weder für ökonomisch sinnvoll noch praktisch durchführbar. Doch beschloß man, auf dem nächsten Juristentag ein Gutachten zu der Frage zu diskutieren, „ob und in welcher Weise es im Wege der Gesetzgebung ausführbar sei, den schreiendsten Mißbräuchen des Spekulationsverkehrs in Zeitkäufen durch Aufrichtung einer Börsenordnung entgegenzuwirken, welche die Handhabung einer strafferen Disciplinargewalt von Seiten der Börse und ihrer Organe sichert." Die beim 17. Deutschen Juristentag 1884 versammelten Juristen hielten in ihrer Mehrheit auch diesen Weg für wenig erfolgversprechend. Demgegenüber wurden jetzt von einzelnen Teilnehmern konkrete Strafbestimmungen als Mittel gegen spekulative Ausschreitungen als möglicherweise wirksamer angesehen, ohne daß es hierüber zu Beschlüssen kam. Der folgende Deutsche Juristentag lehnte 1886, neuerlich vor die Frage gestellt, alle Verbote und Strafbestimmungen ab. Selbst der Vorschlag, die Ausbeutung des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit von spekulierenden Kunden durch Bankiers und ihre Agenten unter Strafe zu stellen, fand nicht die Zustimmung des Gremiums. - Die Tatsache, daß sich in den 1880er Jahren drei Juristentage hintereinander mit dem „Börsenspiel" beschäftigt haben, belegt immerhin die Dringlichkeit der Fragestellungen. Doch wollte die Mehrheit der Juristen noch nicht die Initiative zugunsten einer klarstellenden, schon gar nicht einer das Börsenspiel wirksam einschränkenden Gesetzgebung ergreifen, wie das wenige Jahre später auf dem 22. Deutschen Juristentag 1893 geschah. 22 b) Das Maklerwesen Anders lagen die Dinge hinsichtlich einiger rechtlicher Materien, die keine ähnlich heftigen Emotionen erregten. Umso deutlicher sind hier Mißbräuche beobachtet worden, die unbedingt zu beheben waren. Es handelt sich im 20 Kreuzzeitung, Nr. 305 vom 29. Dez. 1881, S. 1. 21 Für das Folgende Wermert, Börse, Börsengesetz und Börsengeschäfte, S. 305-320; Wolter, Termingeschäftsfähigkeit, S. 81 -88; Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S. 49-52. 22 Siehe unten, S.65.

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wesentlichen um jene Bereiche, die ebenfalls Gegenstand der Ermittlungen der Börsenenquetekommission gewesen sind und über die Max Weber ausführlich berichtet hat. Der von der Kommission den Sachverständigen vorgelegte Fragebogen 23 zeugt von dem in zumeist jahrelanger Diskussion angesammelten Bedarf an Problemlösungen. Zum Beispiel fielen die gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich der an den deutschen Börsen tätigen Makler und die tatsächlichen Verhältnisse seit langem weit auseinander. 24 Weil Handelsmakler in früheren Jahrhunderten neben ihrer Vermittlungstätigkeit auch Aufgaben der Handelsaufsicht und Beurkundungsfunktionen wie Notare ausgeübt haben, galten Makler in Deutschland nicht als Kaufleute, sondern als Amtspersonen, ja als Organe der öffentlichen Gewalt. Daran hat auch das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch von 1861 in den Artikeln 6 6 - 8 4 nichts geändert. 25 Allerdings hatten die amtlich bestellten Makler nicht mehr wie früher ein Vermittlungsmonopol. 26 Aus dem Widerspruch zwischen Regulierung einerseits und Konkurrenz andererseits erwuchsen die vielfach beklagten strukturellen Probleme der amtlichen Makler. Gegenüber den freien oder Privatmaklern hatten sie einen gewissen Vorteil, weil sie an der Feststellung der „amtlichen Kurse" mitwirkten. Stärker überwogen aber die Nachteile der mannigfachen Beschränkungen ihrer Geschäftstätigkeit in Art. 69 Ziffer 1 HGB. So war ihnen jeglicher Handel auf eigene Rechnung verboten. Rechtsdogmatisch entsprachen die gesetzlichen Bestimmungen exakt den klassischen Lehren zur Rechtsfigur des Maklers. 27 Aber diese Rolle paßte eben nicht mehr auf die Verhältnisse der Börse. Die in Hinblick auf das Beweisprivileg ihrer Urkunden geforderte Aufzeichnungspflicht erwies sich als zu umständlich und zeitraubend. Sie war hier auch nicht mehr nötig, weil die durch Sanktionen bewährte Disziplin der Börsenbesucher sicherstellte, daß

23 Der Fragebogen ist unten, S. 931-936, abgedruckt. 24 Grundsätzlich hierzu Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 285-411. 25 Die Art. 66-84 HGB sind unten, S. 960-964, abgedruckt. - Die Hansestädte hatten sich dem widersetzt, hatten aber mit ihrer Gegenmeinung keinen Erfolg. Über die Rolle der Makler an den Börsen enthält das HGB keine speziellen Bestimmungen, weil man solches nicht für eine Aufgabe des Handelsrechts, sondern des einzelstaatlichen Verwaltungsrechts hielt. Entsprechend waren die Landesregierungen nach Art. 84 HGB zu ergänzenden Bestimmungen ermächtigt. Sie haben davon unterschiedlichen Gebrauch gemacht. 26 Art. 84 Abs. 2 HGB hatte den Landesregierungen die Befugnis erteilt, den Handelsmäklern das ausschließliche Recht zur Vermittlung von Geschäften zu erteilen; jedoch hat kein Land davon Gebrauch gemacht. In Art. 9 § 2 des preußischen Einführungsgesetzes zum HGB von 1861 war ausdrücklich festgelegt worden, daß den Maklern ein ausschließliches Recht zur Vermittlung nicht zusteht. 27 Siehe Laband, Mäkler; Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts, S. 250254; Struck, Effektenbörse, S. 211 -224.

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auch mündliche Absprachen zuverlässig eingehalten wurden. 28 In dem auf Schnelligkeit angewiesenen Handel an der Börse wirkte aber die Beschränkung für die amtlichen Makler, ausschließlich exakt passende Geschäfte abzuwickeln und nicht einmal Spitzen auf eigene Rechnung übernehmen zu können, als ein Anreiz für ihre Kunden, sich eher der Dienste der freien Makler zu bedienen. Ein immer größerer Teil der Geschäfte wanderte zu diesen ab. Er konnte dann aber bei der Festlegung der amtlichen Kurse nicht berücksichtigt werden. Das förderte die immer wieder aufkommenden Zweifel an der Richtigkeit der „amtlichen Kurse". Womöglich schlimmer war die durch die Konkurrenz zunehmend bedrohte ökonomische Lage der amtlichen Makler. Dies machte sie anfällig für alle möglichen Versuchungen. Immer mehr von ihnen umgingen die beeidigten gesetzlichen Beschränkungen, erst mit Hilfe von Strohmännern, dann direkt. 29 Weder die Börsenleitungen noch die Maklerkammern konnten und wollten einschreiten. Der Gesetzgeber war gefordert. Schon 1864 ist auf dem 6. Deutschen Juristentag die Forderung diskutiert worden, das Amt des vereidigten Maklers abzuschaffen. Darauf liefen denn auch die Vorarbeiten für das neue Handelsgesetzbuch hinaus. Andererseits sprach die Bedeutung der unter Mitwirkung der Makler zustandekommenden Preisnotiz für weite Kreise außerhalb der Börse auch für eine amtliche Kontrolle der Feststellung der Kurse. 30 Um 1890 stand fest: Spätestens bis zur Verabschiedung des neuen Handelsgesetzbuches mußte der Gesetzgeber entscheiden, ob die speziellen Aufgaben der an der Börse tätigen Makler ein besonderes Recht erforderten und wie es gestaltet sein sollte. c) Das

Kommissionsgeschäft

Wenn auch nicht die Institution Börse selbst betreffend so doch für die Ordnung des Kapitalmarkts insgesamt ein Gegenstand der Sorge von Praktikern und Rechtswissenschaftlern war das Rechtsverhältnis zwischen den Bankiers und ihren Kunden im Wertpapiergeschäft. Der private Wertpapierverkäufer und -käufer konnte - außer in Hamburg - nicht selbst an der Börse Geschäfte machen. Er mußte sich der Vermittlung der Banken bedienen, die für ihn, den Kommittenten, als Kommissionäre tätig wurden. Das Gesetz verpflichtete die Kommissionäre, allein das Interesse ihrer Kunden im Auge 28 Tilly, Wolfgang M., Die amtliche Kursnotierung an den Wertpapierbörsen. Eine Untersuchung des deutschen Börsenrechts. - Baden-Baden: Nomos 1975, S.93. 29 Struck, Effektenbörse, S. 224, urteilte: „Das Institut [des vereidigten Maklers] in seinem heutigen Bestände bedeutet eine täglich und stündlich sich wiederholende dreiste Lüge und Eidesverletzung." 30 Auch § 400 des 1897 beschlossenen Handelsgesetzbuches machte die amtliche Feststellung eines Börsen- oder Marktpreises zur Voraussetzung für den Selbsteintritt des Kommissionärs.

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zu haben. Aber es gab viele Anzeichen dafür, daß Bankiers dem vielfach zuwiderhandelten und sich auf Kosten der Kunden bereicherten. Jedenfalls gab es für die Kunden kaum Möglichkeiten, die Geschäftsabwicklung durch den Kommissionär genau zu kontrollieren. Max Weber hat in seiner umfangreichen Einleitung zum dritten Teil der „Ergebnisse der deutschen Börsenenquete" die Gründe dafür geschildert und insbesondere die Komplexität der Rechtsbeziehungen ausführlich dargestellt. 31 Kommissionäre waren schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts in aller Regel nicht mehr reine Vermittler, sondern betrieben auch Eigenhandel. Dem trug Art. 376 HGB 32 Rechnung. Er befreite den Kommissionär von der Pflicht, für die Erledigung eines Kommissionsauftrags unbedingt einen Dritten zu suchen. Vorausgesetzt, daß die Ware oder das Wertpapier einen Börsen- oder Marktpreis hatte und der Auftraggeber dem nicht ausdrücklich widersprach, konnte der Kommissionär den Vermittlungsauftrag durch Selbsteintritt erfüllen. In diesem Fall war der Kommissionär auch von der Pflicht zur individuellen Rechnungslegung befreit. Weil dies die Abwicklung der Geschäfte sehr erleichterte, haben die Bankier-Kommissionäre in ihren Geschäftsbedingungen erklärt, bei allen Kommissionsaufträgen als Selbstkontrahenten einzutreten. Sie haben, durch diese Klausel geschützt, die Rechnungslegung auch dann unterlassen, wenn sie in Wahrheit Gegengeschäfte mit Dritten geschlossen und also nicht auf eigene Rechnung erfüllt hatten. Das war für den Kunden nicht ungefährlich. Gewisse Kursermittlungsmethoden und Techniken der Verbreitung von Kursnachrichten gaben unsoliden Kommissionären die Möglichkeit, sich auf Kosten der Kunden durch den „Kursschnitt" zu bereichern. Wurden z.B. Durchschnittskurse veröffentlicht, so konnte der Bankier dem Kunden den Durchschnittskurs berechnen, selbst wenn er billiger eingekauft hatte. Oder er konnte seinem Kunden aus angegebenen Spannen zwischen Maximal- und Minimalkursen oder aus einer Vielzahl von Kursangaben einen für den Bankier günstigeren als den tatsächlich bezahlten Kurs berechnen. Möglicherweise konnte er gar durch eigene Aktionen an der Börse auf Höchst- oder Tiefstkurs einwirken, um dann die größere Spanne oder die größere Vielfalt der Kurse in der Abrechnung mit dem Kunden zu nützen. Der ursprünglich einmal gerechtfertigte Selbsteintritt war zu einem Abrechnungsverfahren degeneriert, das unsoliden Kommissionären zusätzliche Möglichkeiten gab, die Kunden zu übervorteilen. Verschiedene Mittel der Abhilfe wurden diskutiert, z.B. das gesetzliche Verbot des Selbsteintritts oder gesetzliche Vorschriften für die Ermittlung und die Verbreitung von Kursen.

31 Unten, S. 412-464. 32 Siehe den Abdruck, unten, S. 972.

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Nicht wenige Kritiker erwarteten sich von staatlicher Einwirkung auf die Regeln der Kursfestsetzung eine Lösung für das Problem. Das mußte nicht unbedingt Fremdbestimmung der Börse bedeuten. Eventuell sollte es genügen, das an der Berliner Fondsbörse am Ende der 1860er Jahre am Kassamarkt eingeführte Verfahren der Einheitskurse für alle deutschen Börsen vorzuschreiben. 33 Einigten sich Bankier und Kunde darauf, den Berliner Einheitskurs der Abrechnung zugrunde zu legen, machte das den Kursschnitt zwar nicht gänzlich unmöglich, doch konnte der Kunde damit rechnen, daß sich bei längerer Geschäftsverbindung Abweichungen von den tatsächlich vom Bankier erzielten Kursen nach oben und unten ausglichen. Auch in anderen Bereichen des komplizierten Rechtsverhältnisses zwischen Bankier und Kunden wurden immer wieder Unklarheiten und Unsicherheiten beklagt. Das betraf insbesondere Mißbräuche bei der Kreditierung von Geschäften durch den Kommissionär. Z.B. haben Kommissionäre die anzukaufenden, dann aber wegen des Kredits bei ihnen zur Sicherheit zu verwahrenden Papiere nicht wirklich erworben, wohl aber abgerechnet, als hätten sie den Auftrag ausgeführt. Oder sie haben die ihnen als Sicherheit überlassenen Wertpapiere des Kunden zu eigenen Spekulationen verwendet. Zahlreiche Lücken im Depotrecht zwangen die Gerichte zu fallweisen Entscheidungen, verunsicherten aber auch redliche Kommissionäre, z.B. hinsichtlich der Frage, wann das Eigentum an verwahrten Papieren an den Kunden übergeht, sie also der Verfügung des Verwahrers entzogen waren. Daß hier Regelungsbedarf bestand, war um 1890 allgemeine Meinung der Experten. Aber erst die Skandale des Jahres 1891 34 haben dazu beigetragen, jenen Druck zu erzeugen, aus dem der Gesetzgeber Folgerungen ziehen mußte. d) Die Solidität der an die Börse gelangenden das Emissionswesen

Wertpapiere -

Im 19. Jahrhundert sind ständig neue Papiere, Max Weber nennt sie auch „Verkehrsobjekte", an den Kapitalmarkt gelangt, Aktien in- und ausländischer Gesellschaften, Schuldverschreibungen einer Vielzahl von Emittenten im In- und Ausland. Zugleich haben immer mehr Menschen ohne spezielle kaufmännische Ausbildung an dem Verkehr in Wertpapieren teilgenommen. Nicht wenige waren sich der Risiken von Kapitalanlagen bewußt, ja suchten 33 Zum Berliner Einheitskurs siehe ausführlich Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 309-312; vgl. auch den Eintrag „Einheitskurs" im Glossar, unten, S. 1042. Die Bedeutung der amtlichen Kursnotierung für die Schaffung von Rechtssicherheit im Verhältnis zwischen Kommittent und Kommissionär betont Tilly, Die amtliche Kursnotierung (wie oben, S. 33, Anm.28), S. 49; zur Technik der Feststellung von Einheitskursen ebd., S. 54-74. 34 Vgl. dazu unten, S.62f.

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den spekulativen Erfolg. Aber viele vertrauten, aufgrund welcher Informationen auch immer, der Solidität der von ihnen erworbenen Papiere und wurden nicht selten enttäuscht. Wiederholt hat das Publikum große Verluste erlitten, sei es, weil allgemeine Spekulationswellen zusammenbrachen, sei es, weil einzelne Papiere im Wert sanken oder sich gar als völlig wertlos herausstellten. Die 1873 einsetzende Gründerkrise, in der zahlreiche Aktiengesellschaften zusammenbrachen und ihren Aktionären den - zum Teil berechtigten - Eindruck vermittelten, sie seien Schwindlern aufgesessen, war noch Jahrzehnte später im kollektiven Gedächtnis. 35 Wenn in den 1870er und 1880er Jahren kritisch vom „Börsenspiel" gesprochen wurde, so nicht nur in Hinblick auf das oben beschriebene Termingeschäft. 36 Auch die spekulative Emissionstätigkeit mußte sich den Vorwurf gefallen lassen, „Börsenspiel" unter Ausnützung der Unerfahrenheit des Publikums zu sein. Aber die Rechtswissenschaft und die Gesetzgeber taten sich schwer mit der Frage, ob die Anleger eines besonderen Schutzes ihrer Interessen bedurften. Waren nicht Wertpapiere Waren wie andere auch? Der Kapitalmarkt ein Markt wie andere auch? Davon ging jedenfalls die herrschende Lehre noch lange Zeit aus. Gemäß den allgemeinen Regeln des Kaufrechts oblag es dem Käufer, sich über die Ware zu informieren, gegebenenfalls Auskünfte einzuholen und sich Zusicherungen über wichtige Eigenschaften geben zu lassen. 37 Stellte sich später heraus, daß das Papier mit Mängeln behaftet war und deshalb an Wert verlor, konnte der Käufer in der Regel keine Ansprüche an den Verkäufer geltend machen. Nur dann, wenn er vom Emittenten arglistig getäuscht und also wissentlich geschädigt worden war, konnte er diesen für Schäden haftbar machen - falls er ihn erreichte und noch zahlungsfähig fand. Doch waren - und sind - Wertpapiere eben keine Waren wie andere auch, jedenfalls nicht in Hinblick darauf, daß beide Vertragspartner prinzipiell gleichermaßen befähigt wären, den Vertragsgegenstand zu beurteilen. Der (erstmalige) Käufer einer zur Zeichnung aufgelegten Aktie oder eines anderen Wertpapiers war und ist unvermeidlich weit schlechter über die Hintergründe der Emission und die Bonität des Papiers informiert als derjenige, der die Papiere in Verkehr bringt. Und immer gibt es Insider, die mehr - und jedenfalls früher - Informationen über die Umstände haben, welche für den Wert von Aktien und Anleihen von Bedeutung sind. Der Kapitalmarkt ist ein

35 Eine knappe anschauliche Darstellung der Ereignisse und ihrer Bedeutung für das Börsenwesen, in: Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S. 7-18. 36 Oben, S. 11-17. 37 Zum Grundsatz „caveat emptor" (der Käufer soll aufpassen) siehe u.a. Assmann, Heinz-Dieter, Prospekthaftung als Haftung für die Verletzung kapitalmarktbezogener Informationsverkehrspflichten nach deutschem und US-amerikanischem Recht. - Köln u.a.: Carl Heymann 1985, S. 20-22; Schulz, Das deutsche Börsengesetz, S.369f.

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Markt mit asymmetrisch verteilten Informationen. Das ist einer der wichtigsten Gründe für den schrittweisen Ausbau von Schutzrechten für den Kapitalanleger vom 19. Jahrhundert bis in unsere Gegenwart. 38 Daß sich trotz des strukturellen Nachteils der Kapitalanleger hinsichtlich der Kenntnis über die „Ware" im 19. Jahrhundert eine hinreichende Vertrauensbasis für die Anlage an dem immer breiteren Kapitalmarkt entwickelt hat, ist im 19. Jahrhundert jedoch kaum auf positive Entwicklungen des Rechts oder gar auf staatliche Ordnungsmaßnahmen zurückzuführen. Letztere hat es nur vorübergehend im Aktienrecht gegeben. 39 Vielmehr ist es ganz spontan zu einer Verschiebung der Bemühungen um Information von den Nachfragern auf die Anbieter von Papieren gekommen. Dies hat sich aus dem Wettbewerb derer ergeben, die das Kapital des Publikums brauchten. Wollten Unternehmen, Staaten, Kommunen das Geld der Anleger erhalten, mußten sie darum werben und ihr „Produkt" vorstellen. Hauptinstrument der Information waren die sogenannten „Prospekte", in denen die Emittenten die Anlässe der Emission, die Ertragsaussichten der Anlage und die Rechte der Käufer beschrieben, freilich unter Wahrung ihrer eigenen Interessen. Zugleich beförderte die Herausbildung und Verdichtung des Netzes von Vermittlern im Wertpapiergeschäft und der Wirtschaftspresse die Gewinnung und Verwertung von Informationen über die Verkehrsobjekte des Kapitalmarktes. Privatbankiers und Aktienbanken haben ihre Kunden beraten. In Hinblick auf die erwünschte dauerhafte Geschäftsbeziehung mußten sie darauf achten, das in sie gesetzte Vertrauen nicht aufs Spiel zu setzen. Zu dem System einer privatwirtschaftlich-wettbewerblichen Qualitätskontrolle von neu einzuführenden und dauerhaft gehandelten Wertpapieren trug auch die sich breit entfaltende Wirtschaftspresse bei. Wie immer man Sach-

38 Zum modernen Kapitalanlagerecht siehe Assmann, Heinz-Dieter, und Rolf A. Schütze (Hg.), Handbuch des Kapitalanlagerechts. - München: C. H. Beck 19972. 39 Bis 1870 erforderte die Gründung von Aktiengesellschaften in den meisten deutschen Staaten eine staatliche Konzession. Sie wurde erst nach Prüfungen erteilt. Entsprechend hatte der Käufer von Aktien - allerdings nicht immer zu Recht - darauf vertrauen können, ein relativ sicheres Papier zu erwerben. Das Konzessionssystem ist aber 1870 aus prinzipiellen und auch aus praktischen Gründen aufgehoben worden. Selbst nachdem in der kurz darauf ausbrechenden „Gründerkrise" neue Aktiengesellschaften zu Hunderten zusammengebrochen waren und Anleger viel Geld verloren hatten, ist man nicht zum System präventiver staatlicher Kontrollen der Gründung von Aktiengesellschaften und damit auch der Emission von Aktien zurückgekehrt. Siehe hierzu Schubert, Werner, Die Abschaffung des Konzessionssystems durch die Aktienrechtsnovelle von 1870, in: Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Band 2, 1981, S. 285-317. - Für ausländische Aktien sowie für in- und ausländische Anleihen hat es, obgleich dies wiederholt gefordert worden ist, ohnehin keine generelle staatliche Zugangskontrolle zum Kapitalmarkt gegeben.

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verstand und Moral einzelner Redakteure von Börsenzeitungen beurteilte, in ihrer Gesamtheit haben sie durch ihre Mitteilungen über anstehende Neuemissionen im großen und ganzen die Transparenz des Marktes gefördert und tendenziell die Position der Anleger verbessert. 40 Förderlich für das Anlegerinteresse war auch der Umstand, daß sich seit der Jahrhundertmitte die Technik der Emission von Wertpapieren änderte. Die Kapital suchenden Staaten, Kommunen und Unternehmungen traten immer seltener direkt als Anbieter von Papieren am Markt auf. Sie bedienten sich zunehmend der Vermittlung von Banken, welche die Stücke in den Verkehr bringen sollten. 41 Damit waren die Banken die eigentlichen „Emittenten", die auch aufgrund der Angaben der Aussteller der Papiere den Emissionsprospekt herausgaben. Ihr guter Ruf wirkte für das kaufende Publikum wie eine Bürgschaft. Umso näher lag es, Bankiers für Schäden haftbar zu machen, die sich aus den von ihnen angepriesenen und vermittelten Erstgeschäften für die Käufer der Wertpapiere ergaben. In der Mitte des 19. Jahrhunderts fand die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Bankier für Mängel eines von ihm herausgegebenen Prospekts haften sollte, die Aufmerksamkeit bedeutender Rechtsgelehrter. 1859 eröffnete der junge Heidelberger Privatdozent und spätere akademische Lehrer Max Webers, Levin Goldschmidt eine Auseinandersetzung, die unter dem Namen „Lucca-Pistoia-Aktienstreit" in die Rechtsgeschichte eingegangen ist. In einem Gutachten sprach er sich, nach Darlegung verschiedener Gründe, gegen die Haftung eines Frankfurter Bankiers für dessen unbestritten unvollständige Angaben über ein später bankrott gegangenes toskanisches Eisenbahnunternehmen aus. Dem trat der seinerzeit noch in Gießen lehrende Professor Rudolf Jhering entgegen. Er sah - anders als Goldschmidt - in der Unvollständigkeit der Angaben eine Betrugsabsicht und wollte - ebenfalls anders als Goldschmidt - ein Mitverschulden der (sachverständigen) Kläger, die sich nicht ausreichend informiert hatten, nicht akzeptieren. 42 In der bis 1869 erbittert geführten Diskussion war nie bestritten, daß einzig und allein eine absichtliche Rechtsverletzung des Vermittlers, also Betrug, die Haftung begründen sollte. Aber es zeigten sich weite Spielräume bei der Einschätzung dessen, worüber Käufer ausdrücklich informiert werden sollten und was von den Erwerbern an eigener Informationsanstrengung und Sachkunde zu verlangen sei. Rudolf Jhering hat gewiß über das Ziel hinausgeschossen (und Levin Goldschmidt schwer ge-

40 Zur Entwicklung des für die Börse wichtigen Informationswesens siehe Gömmel, Entstehung und Entwicklung der Effektenbörse (wie oben, S.5, Anm. 9), S. 149-151. 41 Vgl. Lötz, Emissionsgeschäft. 42 Ausführlich zum Lucca-Pistoia-Aktienstreit von 1859 bis 1869 Weyhe, Lothar, Levin Goldschmidt. Ein Gelehrtenleben in Deutschland. - Berlin: Duncker & Humblot 1996, S. 222-231; Assmann, Prospekthaftung (wie oben, S. 36, Anm. 37), S. 45-52.

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kränkt), als er diesem unterstellte, er habe ein „Interesse des Verkehrs an laxer Handhabung der Grundsätze über den dolus" vertreten. 4 3 Aber es ist offenkundig, daß Jhering in der Absicht, die Kapitalanleger besser geschützt zu sehen, viel höhere Anforderungen an die Vollständigkeit der Mitteilungen des Prospekts stellte als Goldschmidt, während dieser die Anleger nicht in der Rolle des unbedingt schutzbedürftigen Schwächeren sehen wollte. Er meinte, man könne den Wertpapierkäufern eine größere Verantwortung für eigenes Tun zumuten. Im Lucca-Pistoia-Aktienstreit ist schon jener Zielkonflikt thematisiert worden, den Max Weber in seinen Börsenschriften vielfach angesprochen hat und bei dem er sich - wie sein Lehrer Goldschmidt - gegen eine allzu moralisierende Betrachtung des Kapitalmarkts wendete. 4 4 Ging es im Lucca-Pistoia-Aktienstreit um die Papiere einer ausländischen Gesellschaft, die durch eine Mittelsperson in Deutschland vertrieben worden sind, so konzentrierten sich nach dem massenhaft zutage getretenen Gründungsschwindel der frühen 1870er Jahre die Rechtspolitiker auf die Frage, wie - bei grundsätzlicher Freiheit zur Gründung von Aktiengesellschaften - innerhalb des Deutschen Reichs der Mißbrauch der Rechtsform zur Erzielung unseriöser Gründungsgewinne auf Kosten des die Aktien zeichnenden Publikums verhindert werden könne. Die zweite Aktienrechtsnovelle von 1884 fand eine Lösung darin, den Gründern von Aktiengesellschaften recht weitgehende Informationspflichten aufzuerlegen und die Haftung der Gründer für Fehler beim Gründungsvorgang auszudehnen. 4 5 Doch hat sich der Gesetzgeber noch gescheut, die Gründer - wie das seit 1873 vielfach vorgeschlagen worden ist - zu einer Offenlegung ihres Projekts in einem Emissionsprospekt (mit vorgegebenen Mindestinhalten) zu zwingen (Prospektzwang), um daran eine zivilrechtliche Haftung gegenüber den eventuell geschädigten Aktionären zu knüpfen (Prospekthaftung)46 Es waren die Börsen, die von sich aus die Rolle von Filtern für Kapitalmarktpapiere übernahmen und zugleich die Informationspflicht der Emittenten ausweiteten. Ausländischen Vorbildern folgend 4 7 hat seit den 43 Siehe Weyhe, Levin G o l d s c h m i d t (wie Anm. 42), S. 230, Anm. 95. 44 Häufig w e r d e n die Kapitalmarkteffizienz einerseits u n d der Anlegerschutz andererseits als zwei k o n f l u i e r e n d e Ziele beschrieben. Doch ist das nicht immer richtig. Funktionsfähige Kapitalmärkte fordern s c h o n um der Erhaltung des Vertrauens der Investoren willen spezielle Sicherungen für die Anleger. 45 Z u m Aktiengesetz von 1884 siehe Schubert, Werner, u n d Peter Hommelhoff, Hundert Jahre m o d e r n e s Aktienrecht. Eine S a m m l u n g von Texten u n d Quellen zur Aktienrechtsreform von 1884 mit zwei Einführungen (Zeitschrift für Unternehmens- u n d Gesellschaftsrecht, Sonderheft Nr. 4). - B e r l i n - N e w York: Walter d e Gruyter 1985. 46 Vgl. Assmann, Prospekthaftung (wie oben, S. 36, Anm. 37), S. 5 7 - 6 0 . 47 Siehe hierzu Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 4 6 6 - 4 7 7 .

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1870er Jahren speziell in Berlin das Börsenkommissariat die „Zulassung" von Wertpapieren zum Handel und zur Notiz von seinem Urteil über vorgelegte Emissionsprospekte abhängig gemacht. 1881 beschloß der Börsenvorstand, Wertpapiere nur noch dann zum amtlichen Handel zuzulassen, wenn die vorgelegten Informationen bestimmten Anforderungen genügten, die in einem Prospekt niederzulegen und zu publizieren waren. 1884/85 ging der Prospektzwang auch in die Revidierte Börsenordnung für Berlin (§ 13) ein. Die 1888 erstmals verkündeten und 1894 überarbeiteten „Leitenden Gesichtspunkte, welche sich aus der bisherigen Praxis des Börsen-Kommissariats bei Behandlung der in § 13 der Revidirten Börsen-Ordnung vorgeschriebenen Einführungs-Prospekte ergeben haben", 48 hatten den Charakter von einseitig erlassenen Rechtsnormen. Sie beruhten nicht auf staatlicher Autorität, sondern ausschließlich auf der Verbandsautonomie der Berliner Kaufmannschaft und des Börsenvorstands. Natürlich war kein Emittent gezwungen, sich diesen Regeln zu unterwerfen. Wollte er aber, daß sein Papier auf dem Berliner Markt gehandelt und notiert wurde (und das hieß im allgemeinen auch, daß es vom breiten Publikum beachtet und nachgefragt wurde), mußte er sich beugen. Weil das Publikum gute Gründe hatte, an der Börse förmlich zugelassenen Papieren mehr Vertrauen zu schenken, waren die Börsenorgane in einer starken Position. Sie hatten die Macht, auf die bessere formale Gestaltung der Prospekte und die Einhaltung höherer Qualitätsansprüche der Prospekte hinzuwirken. Andere Börsen sind dem Beispiel Berlins gefolgt. Max Weber hat anhand der Erkundungen der Börsenenquetekommission den aktuellen Zustand zur Zeit der Arbeit der Kommission beschrieben. 49 Doch sollte beachtet werden, daß sich die beschriebenen Zulassungsverfahren und die skizzierten Anforderungen erst in jüngster Zeit herausgebildet hatten. Immerhin dienten sie in den alsbald ausbrechenden Kämpfen um das Börsengesetz den Gegnern staatlicher Eingriffe in die Börsen als weiterer Beweis dafür, daß die Börsenorgane in der Lage seien, das Recht, das die Wirtschaft brauchte, selbst zu schaffen. Das genügte jedoch dem Gesetzgeber 1896 nicht mehr. Allerdings übernahm er in den §§ 3 6 - 4 2 des Börsengesetzes 50 weitgehend die von der Berliner Börse entwickelten Verfahren und materiellen Bestimmungen und fügte ihnen nur noch die zivilrechtliche Verantwortlichkeit für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben im Einführungsprospekt hinzu. 51

48 Mit den Bestimmungen zum Prospektzwang in der Revidierten Börsenordnung für Berlin und den Leitenden Gesichtspunkten setzt sich Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 470-472, und Börsenwesen, unten, S. 564f. mit Anm. 15, auseinander. 49 Siehe Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 460-482. 50 Siehe den Abdruck, unten, S. 982-984. 51 §§ 43-47 BörsG, vgl. den Abdruck unten, S. 984f.

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3. Die nationalökonomische bis 1891

Diskussion über die Börse und ihre Geschäfte

a) Die Börse als neuer Gegenstand der

Nationalökonomie

In den Staatswissenschaften bzw. der Nationalökonomie sind die Börsen bis zum Ausbruch der politischen Auseinandersetzungen um die Börsenreform seltener Gegenstand von Untersuchungen und Kontroversen gewesen als in der Rechtswissenschaft. -Das mag vor allem daran gelegen haben, daß die Nationalökonomen, anders als die Rechtswissenschaftler, an der Entscheidung des Streits zwischen den Geschäftsleuten nicht beteiligt und somit nicht gezwungen waren, zu urteilen und generelle Maximen für die Urteilsbildung zu entwickeln. Aber es spielte vermutlich auch eine Rolle, daß die Nationalökonomie ein kleines, noch wenig ausdifferenziertes Fach war. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es an den Universitäten selten mehr als zwei nationalökonomische Lehrstühle, und auch die Zahl der Doktoranden war noch gering. Verglichen mit dem rasch wachsenden Bedarf an nationalökonomischer Erkenntnis und an politischer Beratung war das Potential für Forschung auf vielen Spezialgebieten recht klein. 52 Der Mangel an nationalökonomischen Forschungsarbeiten über das Börsenwesen 53 hinderte allerdings auch bedeutende Fachvertreter nicht, in ihren Lehrbüchern pauschale Unwerturteile über die Institution zu formulieren. Eine der größten Autoritäten der deutschen Nationalökonomie in der Mitte des 19. Jahrhunderts, Karl Heinrich Rau (1792-1870), behauptete in seinem, in zahlreichen Auflagen erschienenem Lehrbuch der politischen Ökonomie, daß der Nutzen des Wertpapierhandels für die Volkswirtschaft gering sei, ja, daß dessen Nachteile womöglich seine Vorteile überwögen. 54 In dem ebenfalls weit verbreiteten Lehrbuch Albert Schäffles (1831-1903) ist von dem „unproductiven und unredlichen Erwerb der Börse" die Rede und davon, daß die „Geldaristokratie" auf Kosten der Gesamtheit an Boden gewinne. Die Bereicherung weniger führe zum Ruin vieler. Die „Unwissenheit der Masse der Spieler" werde von „monopolistischen Geldmächte[n]"

52 Vgl. Waszek, Norbert (Hg.), Die Institutionalisierung der Nationalökonomie an den deutschen Universitäten. - St. Katharinen: Scripta Mercaturae 1988; Lindenfeld, David F., The Practical Imagination. The German Sciences of State in the Nineteenth Century. Chicago and London: University Press 1997, S. 205-208; Nau, Heino Heinrich, Eine „Wissenschaft vom Menschen". Max Weber und die Begründung der Sozialökonomik in der deutschsprachigen Ökonomie 1871 bis 1914. - Berlin: Duncker & Humblot 1997. 53 Zu den frühesten Arbeiten über ein Börsenthema in einer nationalökonomischen Zeitschrift gehört: Cohn, Gustav, Zeitgeschäfte und Differenzgeschäfte, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, hg. von Bruno Hildebrand u.a., Band 7,1866, S. 377-428. 54 Rau, Karl Heinrich, Lehrbuch der politischen Ökonomie. Band 1 und 2. - Leipzig und Heidelberg: C. F. Winter 18556 und 18625, S. 577 und 580 sowie S. 350.

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ausgenützt. 55 Ganz in diesem Sinne beklagte auch Adolph Wagner, daß die „fetten Dividenden" der von ihm nicht geschätzten Effektenbanken „vornehmlich der .Ausbeutung von Leichtsinn, Unerfahrenheit und Gewinnsucht' der am Börsenspiel sich betheiligenden Volkskreise" zu verdanken seien. Während Rau und Schäffle offen ließen, welche Folgerungen aus ihrer Kritik für die Gestaltung der Märkte, speziell der Börsen, zu ziehen wären, forderte Wagner eine „sociale Gesetzgebung", die nicht nur die Arbeiterverhältnisse betreffen sollte, sondern alle „wirtschaftlichen Verhältnisse, wo .Ausbeutung' droht und ohne Entsprechende .Arbeit' Erträge, Einkommen, Vermögen, oft in riesigem Umfang, gebildet werden, - auf Kosten der Ausgebeuteten, mögen letztere auch dabei vielfach selbst mit schuldig sein." 56 In dieses sehr weit gespannte Konzept paßte Wagners Eintreten für die Besteuerung des Börsenverkehrs. Sie schien ihm in Hinblick auf eine größere Steuergerechtigkeit wünschenswert. In einer Debatte im preußischen Abgeordnetenhaus 1883 verstand Wagner die populäre, aber politisch noch heftig umstrittene Besteuerung der Börsenumsätze auch als Teil aller „Pläne, die darauf ausgehen, die Macht des Privatkapitals ein wenig zu beschränken". 57 Als Max Weber in Friedrich Naumanns Göttinger Arbeiterbibliothek ein Laienpublikum über die Börse und ihre Geschäfte aufzuklären suchte, 58 formulierte er jedenfalls nicht nur das in der Wissenschaft selbstverständlich Bekannte und Anerkannte. Auch Webers populärwissenschaftliche Schriften können in der Sache als Beiträge zur Diskussion unter den Nationalökonomen gelten. Allerdings konnte sich Max Weber schon weit mehr als die älteren Gelehrten auf inzwischen vorliegende fachwissenschaftliche Veröffentlichungen stützen. Um 1880 ist nämlich eine speziell das Börsenwesen betreffende Forschung in Gang gekommen. Und von Großen des Fachs war

55 Schäffle, Albert Eberhard Friedrich, Das gesellschaftliche System der menschlichen Wirtschaft, ein Lehr- und Handbuch der ganzen politischen Ökonomie einschließlich der Volkswirthschaftspolitik und Staatswirthschaft, Band 1. - Tübingen: H. Laupp 18733, S. 480 f. und 498 f. 56 Wagner, Adolph, Vorwort, in: Sattler, Heinrich, Die Effektenbanken. - Leipzig: C. F. Winter 1890, S. VIII. Vgl. auch Wagner, Adolph, Grundlagen der Volkswirtschaft. Grundlegung der politischen Ökonomie, Teil 1,1. - Leipzig: C. F. Winter 18923, S.395f. und 423 f 57 Sten.Ber.pr.AH, 27. Nov. 1883, Band 1, S.63. Zu Wagners Anschauungen über die Vermehrung des Kapitals der Reichen durch unproduktive Spekulationsgeschäfte und über die Notwendigkeit der Besteuerung der Reichen zum Ausgleich von Reich und Arm vgl. ders., Finanzwissenschaft und Staatssozialismus mit einer Einleitung über Stein's und Roscher's Finanzwissenschaft, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Band 43, 1887, S. 109-119. Zur Einführung der Börsensteuer in Deutschland 1881 bzw. 1885 vgl. Friedberg, R„ Börsensteuer, in: HdStW1 2, S. 705-709; Gömmel, Entstehung und Entwicklung der Effektenbörse (wie oben, S. 5, Anm. 9), S. 166-170. 58 Unten, S. 135-174 und 619-657.

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auch ein anderer Ton zu hören. So verteidigte Wilhelm Roscher (1817— 1894) in der 1881 erschienenen zweiten Auflage seines Handbuchs ausdrücklich Wertpapierspekulationsgeschäfte. Er verglich sie gar mit der Vorsorge eines klugen Hausvaters. Selbst der von anderen verabscheuten Spekulation ä la baisse schrieb er, gestützt auf empirische Arbeiten Gustav Cohns, 59 einen wirtschaftlichen Nutzen zu. 60 Vor allem aber erschienen jetzt monographische Darstellungen über Börsen und ihre Geschäfte. Emil Strucks Dissertation über die Effektenbörse, 1881 publiziert, gilt als erste nationalökonomische Monographie auf diesem Gebiet. 61 1883 erschien Richard Ehrenbergs später viel zitierte Monographie „Die Fondsspekulation und die Gesetzgebung". 62 1890 kamen die Arbeiten von Walther Lötz und Heinrich Sattler über das Emissionsgeschäft 63 sowie die ersten Studien von Carl Johannes Fuchs über die neuesten Entwicklungen im Terminhandel in Baumwolle und Getreide in England heraus. 64 Das folgende Jahr brachte gleich drei Abhandlungen über den Warenterminhandel, darunter die einflußreiche, systematische Darstellung von Fuchs. 65 Noch vor den Turbulenzen des Jahres 1891, die den Reichstag zu seiner Gesetzesinitiative veranlaßten, war das Thema Börse in das Zentrum des Interesses der Nationalökonomie gerückt. - Die „Pioniere" im Feld waren jetzt junge Leute, noch

5 9 Cohn, Gustav, Ein weiterer Beitrag zur Statistik der Spekulation, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, hg. von Bruno Hildebrand, Band 16, 1871, S.282-295. 6 0 Roscher, Wilhelm, System der Volkswirthschaft. Nationalökonomik des Handels und Gewerbefleißes. Ein Hand- und Lesebuch für Geschäftsmänner und Studierende, Band 3. - Stuttgart: J. G. Cotta 18812, S. 93-95. Das Differenzgeschäft, bei dem keine wirkliche Übertragung der Ware beabsichtigt war, hielt auch Roscher für „volkswirtschaftlich ganz unfruchtbar." Weitere Ausführungen zur Börse und dem Maklerwesen finden sich ebd., S. 469-474. 61 Struck, Effektenbörse. 62 Ehrenberg, Fondsspekulation. Strenggenommen ist dieses Werk nicht der fachwissenschaftlichen nationalökonomischen Literatur zuzurechnen, denn der Autor war, als er es verfaßte, noch Kaufmann. Erst der Erfolg der Schrift veranlaßte ihn, ein Studium aufzunehmen. 6 3 Lötz, Emissionsgeschäft; Sattler, Effektenbanken (wie oben, S.42, Anm.56). Aber noch immer konnte Walther Lötz, Emissionsgeschäft, S. 396, sagen, daß „die bisherige deutsche Litteratur - abgesehen von einigen juristischen Erörterungen - nur sehr wenig Vorarbeiten bot". 6 4 Fuchs, Carl Johannes, Die Organisation des Liverpooler Baumwollhandels in Vergangenheit und Gegenwart, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, hg. von Gustav Schmoller, Jg. 14, Heft 1, 1890, S. 107-126; ders., Der englische Getreidehandel und seine Organisation, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, hg. von Johannes Conrad u.a., Band 54,1890, S. 1-74. 6 5 Fuchs, Warenterminhandel-, Bayerdörffer, A., Der Kaffee-Terminhandel. Ein Beitrag zur Geschichte der neueren Entwickelung der Börsengeschäfte in Waren, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, hg. von Johannes Conrad u.a., Band 56, 1891, S.641684 und 840-874; Kohn, Getreideterminhandel.

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nicht dreißig Jahre alt. 66 Doch genossen sie die Förderung berühmter Gelehrter, nämlich von Gustav Schmoller (Struck), Lujo Brentano (Lötz), Adolph Wagner (Sattler) und Georg Friedrich Knapp (Fuchs). In deren Seminaren sind die genannten Arbeiten entstanden. Wenn auch der bekenntnishaft moralisierende Unterton der Börsendebatte nie verstummte, schien jetzt eine weit größere Bereitschaft zu bestehen, die Funktionen und die Funktionsfähigkeit der Märkte genauer zu analysieren, auch über Wege zur Verbesserung der Leistungen der Börsen nachzudenken. 67 Primär ging es den Forschern um eine genaue Erhebung von Tatsachen unter ausdrücklicher Betonung der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen. Es handelte sich ja großenteils um neue und sich rasch verändernde Phänomene. Eine möglichst große Zahl amtlicher und privater Quellen wurde herangezogen. Befragungen und teilnehmende Beobachtung spielten eine große Rolle. Doch erschöpften sich die Darstellungen in der Regel nicht in der Deskription. Abgesehen davon, daß die meisten Schriften eine Fülle von impliziten Aussagen theoretischen Charakters enthielten, lag ihnen ein generelles analytisches Konzept zugrunde. Die seinerzeit von den Autoren, welche man der „jüngeren historischen Schule" zurechnen kann, 68 angewendeten Methoden der Analyse waren das Studium der Entwicklungsgeschichte der Institutionen unter Einschluß der Veränderung ihrer Bestimmungsfaktoren (speziell der Interessenlagerungen) und vor allem der internationale Vergleich. Letzterer spielte in der volkswirtschaftlichen Literatur zum Börsenwesen eine hervorragende Rolle.69 Insbesondere das Material der 1875 und 1878 durchgeführten Enqueten zum Londoner Wertpapiermarkt und zur Funktionsfähigkeit der Wertpapierbörsen haben das Problemverständnis und die Sachkenntnis der deutschen Autoren gefördert

66 Älter unter den akademischen Börsenspezialisten war nur Gustav Cohn; vgl. den Eintrag im Personenverzeichnis, unten, S. 1015. 67 Zum Stand der Forschung um 1890 siehe Struck, Börse, ders., Börsengeschäfte, und ders., Börsenspiel, in: HdStW1 2, S. 695-704. 68 Zur deutschen historischen Schule siehe Schinzinger, Francesca, German Historical School, in: The New Palgrave. A Dictionary of Economics, hg. von John Eatwell, Murray Milgate und Peter Newman, Band 2. - London und Basingstoke: Macmillan 1987, S.516518; Lindenfeld, Practical Imagination (wie oben, S.41, Anm. 52), S. 233-239; Backhaus, Jürgen, und Reginald Hansen, Methodenstreit in der Nationalökonomie, in: Franz Baltzarek, Felix Butschek und Gunther Tichy (Hg.), Von der Theorie zur Wirtschaftspolitik - ein österreichischer Weg. Festschrift zum 65. Geburtstag von Erich W. Streissler. - Stuttgart: Lucius & Lucius 1998, S. 3 - 2 7 . 69 Hier berührten sich Nationalökonomie und Handelsrechtswissenschaft: „Das Handelsrecht ist denn auch derjenige Teil des Rechts, in dem schon im 19. Jahrhundert die Rechtsvergleichung stark entwickelt gewesen ist. Die führenden Darstellungen nehmen immer wieder auf ausländische Lösungen Bezug." Coing, Helmut, Europäisches Privatrecht. 19. Jahrhundert. Überblick über die Entwicklung des Privatrechts in den ehemals gemeinrechtlichen Ländern, Band 2. - München: C. H. Beck 1989, S.535.

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und den Wunsch belebt, daß ähnliche Erhebungen auch In Deutschland durchgeführt werden könnten. 70 Diachronischer und synchroner Vergleich wurden auch dazu benützt, für die politische Willensbildung reale Modelle wünschenswerter institutioneller Arrangements zu präsentieren. Deshalb fanden die angelsächsischen Börsen eine besondere Aufmerksamkeit. Die in England und den USA entwikkelten Institutionen wurden von den deutschen Nationalökonomen und ihren Kollegen vom Handelsrecht auf ihre Eignung als Leitbilder für politische Maßnahmen im Deutschen Reich geprüft und auch als solche in der Reformdiskussion verwendet. So ist auch Max Weber verfahren. 71 Wie lückenhaft und unsicher die Quellenbasis für quantitativ abgesicherte Urteile über die Leistungen des Börsenwesens noch war, hat Gustav Schmoller 1893 in seiner Einleitung zu den Statistischen Anlagen der 1892 einberufenen Börsenenquetekommission ausführlich beschrieben. 72 Dort hat er das immerhin Vorhandene zusammengetragen und interpretiert. Er wagte die Schätzung, daß es damals im Deutschen Reich (bei etwa 50 Millionen Einwohnern) 1,5 bis 2 Millionen Effektenbesitzer gegeben habe. Den Anteil des Wertpapiervermögens am privaten Nettovermögen in Preußen bezifferte er auf ein Viertel. Diese Zahlen wertete Schmoller als Beweis dafür, „daß ein möglichst vollkommenes Organ für die richtige Bewerthung der Effekten von Vortheil und Bedeutung nicht blos für einige Millionäre und Börsenleute, sondern auch für einen großen Theil des Volkes überhaupt ist." 73 Ein defensiver Ton ist unüberhörbar. Er antwortete auf die Vorwürfe, die zur Einsetzung der Börsenenquetekommission geführt hatten und die auch Gegenstand der Diskussion im Kreise der Nationalökonomen gewesen sind. b) Das Zeitgeschäft in der nationalökonomischen

Theorie

Die nationalökonomische Diskussion über das Börsentermingeschäft war eingebettet in die schon seit langem geführte Diskussion über Nutzen und Nachteil der Spekulation. 74 „Spekulation" und in noch höherem Maße „Spekulant" waren immer wertgeladene Begriffe. Sie hatten (und haben bis heute) neben einer sachlichen Bedeutung vielfach auch eine moralisch negative Ladung. Das hat immer wieder Nationalökonomen dazu veranlaßt, Spekulation durch den Nachweis wirtschaftlich positiver Funktionen zu rechtfertigen bzw. auch Grenzen zwischen wünschenswerter und uner70 Vgl. Cohn, Parlamentarische Untersuchungen-, ders., Auswärtige Anleihen-, ders., London Stock Exchange Commission. 71 Bereits in seinem ersten uns bekannten Vortrag Ober die „Organisation der deutschen Börsen im Vergleich mit denjenigen des Auslandes", unten, S. 885-892. 72 Schmoller, Einleitung, S. VII-XXIV. 73 Ebd., S. XI. 74 Siehe den Überblick bei Lexls, Wilhelm, Spekulation, in: HdStW1 5, S. 809-812.

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wünschter Spekulation zu ziehen. 75 Daran hat sich im Prinzip bis heute nichts geändert. Auch heute noch ist die Rolle der Spekulation - etwa als stabilisierender oder störender Faktor am internationalen Finanzmarkt - ein Thema des wirtschaftswissenschaftlichen Diskurses. Wenn man unter Spekulation jegliche Ausnützung von in der Zukunft liegenden Erwerbschancen versteht, fällt sie in modernen Gesellschaften mit dem Begriff „wirtschaften" nahezu zusammen. Aber das meinten zur Zeit Max Webers weder Praktiker noch Wissenschaftler, wenn sie von Spekulation redeten. Spekulation, die sowohl ein Problem der öffentlichen Meinung als auch der Wissenschaft war (und ist), sollte dann vorliegen, wenn Gegenstände von vornherein in der Absicht gekauft werden, um sie nach einer vermuteten künftigen Preissteigerung wieder zu verkaufen, oder wenn sie verkauft werden, damit nach einer vermuteten künftigen Preissenkung ein gleichartiges Wertobjekt zu einem niedrigeren Preis wieder zurückgekauft werden kann. 76 Auch in diesem Sinne ist Spekulation eine weit verbreitete Tätigkeit. Im Groß- und Einzelhandel ist Spekulieren selbstverständlich. Aber nicht nur Kaufleute spekulieren. Und schon gar nicht braucht Spekulation die Börsen. Aber an den Börsen tritt sie in besonders reinen Formen in Erscheinung, insbesondere natürlich beim „Differenzgeschäft", dem alle konkreten Elemente normaler Handelsgeschäfte fehlen. Hier waren offensichtlich spezielle Argumente gefordert, um die in der Öffentlichkeit verbreitete Behauptung zu widerlegen, die Terminspekulation sei vornehmlich um der Spekulation willen da, sei Börsenspiel par excellence, ohne volkswirtschaftlichen Nutzen. Demgegenüber hoben die nationalökonomischen Experten eine Reihe von bedeutenden Leistungen der Terminmärkte hervor.77 Nahezu unbestritten war, daß Termingeschäfte die internationale Arbitrage erheblich erleichterten. Noch mehr als das Effektivgeschäft sollten sie zu einer raschen Angleichung der Preise der international gehandelten Wertpapiere wie auch der Welthandelsgüter beitragen. Der Grund ist einleuchtend: Bei Standardkontrakten, wie sie an Terminmärkten gehandelt wurden, konnten Preisdifferenzen nichts mit unterschiedlichen Güterqualitäten, Lieferungsterminen etc. zu tun haben. Sie signalisierten dem, der die Kosten der Arbitragegeschäfte kannte, eindeutig, ob Gewinnmöglichkeiten vorlagen, die er durch entsprechende Verträge ausnützen konnte. - Wenn auch die Leistung der Terminmärkte beim Ausgleich von Preisunterschieden, die über die Transportkosten hinausgingen, unbestreitbar war und von liberalen

75 Siehe u.a. Mill, John Stuart, Principles of Political Economy with Some of their Applications to Social Philosophy [1848]. Collected Works of John Stuart Mill, Band 3. - London: Routledge & Kegan Paul 1965, S. 715-718. 76 Lexis, Spekulation, in: HdStW' 5, S.809. 77 Hier wird nur auf die Schwerpunkte der Argumentation abgestellt. Eine dogmenhistorische Bearbeitung des Gegenstandes liegt bislang nicht vor.

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Ökonomen nicht zuletzt in Hinblick auf ihr Ideal des einen Preises an einem Markt begrüßt wurde, so verstand sich der volkswirtschaftliche Nutzen für die Agrarier und für alle, die nicht Freihändler waren, keineswegs von selbst. Diese fürchteten nämlich, daß die so erleichterte Arbitrage die Inlandspreise in noch größerem Maße vom Weltmarkt abhängig machen und zu einer tendenziellen Senkung der deutschen Agrarpreise und damit zur Schädigung der Landwirtschaft beitragen würde. Darauf ist unten zurückzukommen. 78 Am häufigsten vorgebracht wurde ein scheinbar paradoxes Argument. Gerade der Terminmarkt ermögliche es Händlern und Fabrikanten sowie Wertpapierhaltern, Spekulationen zu vermeiden, indem sie sich gegen Preis- bzw. Kursrisiken in ihren längerfristigen Waren- und Wertpapiergeschäften absicherten. Hierzu war nur eine entsprechende Kombination von Kassa- bzw. Lokogeschäften mit einem Termingeschäft nötig. Es setzte freilich die Bereitschaft anderer, nämlich der Spekulanten, voraus, derartige Preisrisiken - mit Blick auf erhoffte Gewinne - zu übernehmen. Carl Johannes Fuchs behauptete - wie auch andere seiner Zeitgenossen - , der Terminmarkt sei eine Art „Versicherung". 79 Die das Preisänderungsrisiko übernehmenden Spekulanten leisteten der Volkswirtschaft einen Dienst. Der in Absicherungsgeschäften erzielte (Durchschnitts-)Gewinn sollte nach dieser Erklärung nicht als Spielgewinn verstanden werden. 80 Prinzipiell konnte hiergegen kein Einwand erhoben werden. Auch heute noch wird von Kennern der Terminkontraktmärkte behauptet, daß diese die isolierte Bewertung, Bündelung und Weitergabe von Marktpreisrisiken ermöglichen und damit eine volkswirtschaftlich wichtige Funktion erfüllen. 81 Die Frage am Ende des 19. Jahrhunderts war und ist es heute noch, ein wie großer Teil der getätigten Termingeschäfte direkt und indirekt tatsächlich der Absicherung von Preisrisiken (engl.: hedging) und nur dieser diente. 78 Unten, S.60. 79 Fuchs, Warenterminhandel, S. 68-75; auch Lexis, Spekulation, in: HdStW1 5, S.811. Die Begriffe „Versicherung", „versichern", „Risikoversicherung", „Kursversicherung" wurden häufig verwendet, obgleich es sich bei Sicherungsgeschäften am Terminmarkt im strengen Sinne nicht um eine Versicherung handelte. Doch ist es bis heute in der Nationalökonomie üblich, spezielle Terminkontrakte als funktionelle Äquivalente zum Erwerb einer Versicherungspolice zu bezeichnen. Vgl. dazu die Nobelpreisrede von Merton, Robert C., Applications of Option-Pricing Theory: Twenty-Five Years Later, in: The American Economic Review, Band 88, 1998, S.337. 80 Die Meinung der deutschen Nationalökonomen entsprach in etwa den späterhin viel mehr beachteten Ansichten, die John Maynard Keynes, A Treatise on Money. The Applied Theory of Money, Volume II. - London: Macmillan and Co. 1930, S. 137 und 146f., vertreten hat. 81 Zur neueren Theorie der Kurssicherung an Terminmärkten vgl. Newbery, David M., Futures Markets, Hedging and Speculation, in: The New Palgrave (wie oben, S.44, Anm. 68), S. 444-406; Connor, Gregory, hedging, ebd., S. 627-630.

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War das nicht eher ein vorgeschobenes Argument, d e m praktisch nur eine geringe Bedeutung zukam? Waren nicht doch (fast) alle, die sich hier engagierten, Spieler, denen es nur auf die Ausnützung von Preisdifferenzen ankam? Die Urteile fielen unterschiedlich aus. Verbreitet anerkannt war damals ein legitimer Sicherungsbedarf an den Devisenmärkten, jedenfalls solange russischer Rubel und österreichische Krone noch nicht stabilisiert waren. Importeure und Exporteure sollten sich auf diese Weise gegen Wechselkursrisiken sichern können. Auch sah man einen gewissen Bedarf für solche Sicherungen an einigen internationalen Warenmärkten. Ob aber die tatsächlich getätigten Termingeschäfte an der Wertpapierbörse in Hinblick auf das Ziel der Kurssicherung zu rechtfertigen seien, erschien fraglich. Aus theoretischen Überlegungen wie aus praktischer Erfahrung neigte man eher dazu, allen an Wertpapiertermingeschäften Beteiligten primär Spekulationsabsichten zu unterstellen. Die hier erzielten Gewinne konnten dann nicht Äquivalente zu Versicherungsprämien sein. Umso mehr Gewicht sollte ein weiteres Argument bekommen, das regelmäßig zugunsten des Termingeschäfts (auch an den Wertpapierbörsen) vorgebracht wurde: sein Beitrag zur Milderung der Preisausschläge am Kassa- bzw. Lokomarkt. Wie oben schon ausgeführt, 8 2 sahen Praktiker wie Wissenschaftler es gleichsam als „Aufgabe" der Berufsspekulation an, den Besitzern von börsengängigen Werten eine größere Sicherheit darüber zu vermitteln, daß diese im Bedarfsfall jederzeit Käufer bzw. Verkäufer finden konnten. Bereits die Kassaspekulation trug im Regelfall zur Glättung von Kursbewegungen bei, weil sie ein Überangebot aufnahm oder eine Übernachfrage aus eigenen Beständen befriedigte. Aber Kassaspekulation setzte erheblichen Kapitaleinsatz der Händler voraus. Dagegen erforderte die Spekulation an den Terminmärkten wesentlich weniger Kapital. Und die im Termingeschäft auch mögliche Baissespekulation (mit ihren Leerverkäufen) wirkte auf mehr Symmetrie hinsichtlich des Ausgleichs von Hausseund Baissetendenzen hin. Weil die Spekulanten im Zusammenhang mit den verschiedenen Vertragstypen auch viel leichter als im Kassageschäft auf den Bankkredit zurückgreifen konnten, vergrößerten Termingeschäfte in aller Regel die Marktbreite. Unbestritten besaß das Termingeschäft eine „marktbildende Kraft." 83 Demzufolge sollten erratische Preisbewegungen selten, die Preisausschläge insgesamt geringer sein. Das ist im allgemeinen mit theoretischen Überlegungen begründet worden, wobei man sich auf mehr oder weniger plausible Annahmen über die Kenntnisse und Verhaltensweisen der Spekulanten beschränkte.

82 Oben, S.5f. 83 So Fuchs, Warenterminhandel,

S. 75.

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Den weitaus gründlichsten Versuch einer streng theoretischen Beweisführung haben die beiden Wiener Geschäftsleute und Börsenpraktiker Rudolf Auspitz und Richard Lieben in ihrer 1889 veröffentlichten, höchst originellen Preistheorie unternommen. 8 4 Sie zeigten, daß Preisschwankungen an den Lokomärkten durch Warentermingeschäfte mit Prolongationsmöglichkeit gemildert werden, wenn sich die Spekulation bei ihrer Abwicklung als richtig und somit auch als gewinnbringend für die Spekulanten erweist. Dagegen erhöhe eine verfehlte Terminspekulation die Preisausschläge am Lokomarkt und schade damit der Gesamtheit. Die Autoren bewiesen, daß auch in Hinblick auf die oft kritisierte „Differenzspekulation" ein prinzipieller Gegensatz zwischen der privaten Gewinnerzielung und dem Interesse der Allgemeinheit nicht bestehe. 8 5 Das hat rasch Eingang in die Literatur über den Warenterminhandel gefunden. 8 6 Fragwürdig blieb natürlich, ob die Spekulanten, weil ihr Gewinn von richtigen Vorhersagen abhing, tendenziell mit größerer Wahrscheinlichkeit das Richtige treffen. 87 Diesbezüglich herrschte unter den nationalökonomischen Experten ein beträchtlicher Optimismus. Und so hielt man die Leistungsfähigkeit der (Termin-)Spekulation, die Preisbewegungen an den Märkten zu glätten, für erwiesen. Unterstützung fanden diese theoretischen Überlegungen durch empirische Studien. So hat Gustav Cohn schon 1868 anhand der ermittelten Abweichungen von Preisen im Zeitgeschäft und den späteren Kassapreisen an der Berliner Roggenbörse erstens nur geringe „Irrtumsdifferenzen" gemessen und zweitens im Zeitablauf eine Verringerung festgestellt. 8 8 1891 hat Moritz Kantorowicz aus seiner Analyse der Preisentwicklung im Berliner Kornhandel von 1850 bis 1890 den Schluß gezogen, daß gewaltige Preisschwankungen „immer seltener auftreten werden, und zwar gerade durch die Mitwirkung eines stets gewandter werdenden Terminhandels, und daß nur Schwankungen innerhalb mäßiger Grenzen vorkommen werden, welche so harmlos sind ,as the waves which are caused by slight and varying bree-

84 Auspitz, Rudolf, u n d Richard Lieben, Untersuchungen über die Theorie des Preises. Leipzig: Duncker & Humblot 1889, S. 2 6 7 - 3 0 3 . Zu Auspitz, Lieben und ihrem Werk siehe Niehans, Jürg, A History of Economic Theory. Classic Contributions, 1 7 2 0 - 1 9 8 0 . - Baltimore a n d London: John Hopkins University Press 1990, S. 2 8 6 - 2 9 0 . 85 S c h o n 1848 hatte John Stuart Mill behauptet, daß die Spekulation von Händlern für die Allgemeinheit nützlich sei, w e n n sie (privaten) Gewinn abwerfe. „The interest in short, of the speculators as a body, coincides with the interest of the public." Mill, Principles of Political Economy (wie oben, S. 47, Anm. 80), S. 717. 86 Fuchs, Warenterminhandel, S. 7 7 - 7 9 ; Kohn, Getreideterminhandel, S. 109 f. 87 „Volkswirtschaftlich kommt also alles darauf an, daß die Spekulation die richtige Linie trifft." Lexis, Spekulation, in: HdStW 1 5, S. 811. 88 Cohn, Spekulation. Die Untersuchung führte er fort in d e m Artikel: Ein weiterer Beitrag zur Statistik der Spekulation (wie oben, S. 43, Anm. 59).

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zes.'" 8 9 Die beiden Studien konnten das Behauptete nicht zwingend beweisen. 9 0 Weil sie aber die a priori Vermutungen der zeitgenössischen Theoretiker unterstützten und auch in dem Band Statistische Anlagen der Börsenenquetekommission nochmals abgedruckt worden sind, 9 1 haben sie eine große Beachtung gefunden. 9 2 Natürlich haben die Nationalökonomen nicht übersehen, daß ihr Bild von der „idealen Wirksamkeit" der Spekulation 9 3 nicht unbedingt die Wirklichkeit spiegelte. Tendenzen zu Kursübertreibungen sind immer wieder beobachtet worden. Doch wurden solche Fälle entweder für theoretisch weniger wahrscheinlich gehalten oder auf Mißstände in der Organisation der Märkte zurückgeführt, die beseitigt werden könnten. 9 4 Die Verbreitung falscher Nachrichten gehörte ebenso dazu wie die Bildung von kursmanipulierenden Cornern. 9 5 Theoretisch interessanter und praktisch relevant waren die Einwände von Carl Johannes Fuchs gegen die oben dargestellten Behauptungen, wonach die Ausweitung der spekulativen Märkte unbedingt einen positiven Beitrag zur Stabilisierung der Preisbewegung leisten sollte. Die enormen Erleichterungen der Terminspekulation, insbesondere dort, wo Liquidationskassen auch Garantiefunktionen übernahmen, brachten ja auch kapitalschwache und in der Regel uninformierte Personen in den Markt. Das hielt Fuchs nicht nur aus gesellschaftspolitischen Gründen für unerwünscht, sondern auch wegen der damit verbundenen Gefahren für die Stabilität der Märkte. Folgerichtig unterstützte er Maßnahmen zur Verbesserung der Information an den Märkten, dachte aber ebenfalls an die Abschaffung der Liquidationskassen, die er für unnötig hielt. 96 Doch verdient es festgehalten zu werden, daß sich - als um 1890 die öffentliche Kritik an den Termingeschäften zunahm - niemand auf die Analyse eines Nationalökonomen

89 Kantorowicz, Spekulation, S. 1197. 90 Noch heute stößt die empirische Ü b e r p r ü f u n g der preisstabilisierenden Wirkung des Handels mit Terminkontrakten auf erhebliche Schwierigkeiten, weil Situationen mit u n d ohne Kontrakthandel nicht gleichzeitig vorliegen. Man kann immer nur zwischen Zeiträumen mit Termingeschäft u n d solchen ohne vergleichen oder zwischen Börsenwerten mit u n d ohne Termingeschäft. Dabei kann man nicht die Fülle sonstiger Einflüsse kontrollieren. 91 Vgl. Cohn, Spekulation, u n d Kantorowicz, Spekulation, im Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur, unten, S. 1074 und 1082. 92 Untersuchungen von K u r s b e w e g u n g e n a m Effektenmarkt unter d e m Einfluß von Termingeschäften hat es vor 1895 nicht g e g e b e n . Zu d e n dann vorgelegten siehe Wetzel, Auswirkungen des Reichsbörsengesetzes (wie oben, S. 26, Anm. 4), S. 2 7 0 - 2 7 4 . 93 Zitiert nach Lexis, Spekulation, in: HdStW 1 5, S. 811. 94 Tatsächlich waren die meisten K u r s z u s a m m e n b r ü c h e an d e n Börsen nicht speziell das Ergebnis verfehlter Terminspekulationen. 95 Vgl. d e n Eintrag „Schwänze" im Glossar, unten, S. 1062f. 96 „Die Liquidatationskasse erscheint uns also - rein theoretisch - als eine unberechtigte Weiterbildung oder Verbildung des Terminhandels." Fuchs, Warenterminhandei, S. 97.

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stützen konnte, aus der die prinzipielle Schädlichkeit dieser Geschäftsform hervorging. c) Hauptaspekte

der nationalökonomischen

Reformdiskussion

Wenn sich in den 1880er und frühen 1890er Jahren die Nationalökonomen auch um ein besseres Verständnis der Funktionen der Börse bemühten, erwiesen sich nicht wenige Fachvertreter aufgeschlossen für Forderungen nach einem besseren Schutz der Anleger vor den Gefahren der Börsengeschäfte und für die Behebung sogenannter „Mißstände" bzw. „Mißbräuche". 97 Allerdings verstanden sich diese Anliegen für liberale Ökonomen nicht von selbst. Beispielsweise fragte Walther Lötz, warum „nicht nur alle Nothleidenden, sondern auch die Besitzenden unter den Schutz der Staatsgewalt gestellt" werden sollten, „statt das Volk zu wirtschaftlicher Selbständigkeit zu erziehen." 98 Gewiß ging seinerzeit niemand so weit zu behaupten, die Risiken, die die Geldanleger offenbar freiwillig eingingen, seien in ähnlicher Weise schutzbedürftig wie die Risiken der proletarischen Existenz. Und dennoch erwartete - wie oben zitiert 99 - Adolph Wagner von einer „socialen Gesetzgebung" auch die Bekämpfung der Ausbeutung breiter, sich am Börsenspiel beteiligender Volkskreise. Udo Wolter hat das Problem Börsenterminhandel zugespitzt „die .soziale Frage' des Mittelstandes" genannt und es damit in den Kontext der sozialpolitischen Bemühungen der „Kathedersozialisten" gestellt. 100 Daß der Kapitalmarkt im ausgehenden 19. Jahrhundert auch ohne weitgehende staatliche Schutzmaßnahmen für die Marktteilnehmer rasch wuchs (und der Kapitalmarktzins von den 1870er bis zu den 1890er Jahren sank), ist Beleg für das Wirken spontaner Mechanismen der Risikoeingrenzung. Keine Institution kann auf dauerhafte Täuschung ihrer Klientel gebaut werden. Doch waren unehrenhaftes, ja skandalöses Verhalten und gleichsam schicksalhafter Verfall von Vermögenswerten auch nicht ganz selten. Jedenfalls schien jeder öffentlich diskutierte Fall politische Antworten dringlicher zu machen. Nicht wenige dieser Antworten liefen aber darauf hinaus oder brachten zumindest die Gefahr mit sich, zum Beispiel durch Einschränkung der Marktbreite, die Leistungsfähigkeit der Börsen und damit des Kapitalmark97 In diesem Sinne z.B. Cohn, Gustav, Zur Börsenreform, in: Deutsche Rundschau, O c t Dec. 1891, S. 204-228, Nachdruck in: Cohn, Zur Börsenreform, S. 1 -32. 98 Lötz, Walther, Vortrag über die Ergebnisse der Deutschen Börsen-Enquete auf der XLV. Plenarversammlung vom 20. März 1894 der Gesellschaft österreichischer Volkswirte, in: Zeitschrift für Volkswirtschaft, Socialpolitik und Verwaltung, Organ der Gesellschaft österreichischer Volkswirte, hg. von Eugen Böhm-Bawerk u.a., Band 3, Heft 3, S. 406. 99 Oben, S.42 mit Anm.57. 100 Wolter, Termingeschäftsfähigkeit, S. 127.

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tes im ganzen zu vermindern und langfristig die wirtschaftliche Entwicklung zu behindern. Das Spannungsverhältnis zwischen dem sozialpolitischen Ziel des Publikums- bzw. Anlegerschutzes und dem wirtschaftspolitischen Ziel der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Märkte lag im ausgehenden 19. Jahrhundert den meisten Kontroversen über die zweckmäßige Politik gegenüber den Börsen zugrunde. 101 Aber es schien von den persönlichen Präferenzen der an den Auseinandersetzungen Beteiligten abzuhängen, welchem Zielkomplex sie den Vorrang geben wollten. Und es schien niemand eine Möglichkeit gesehen zu haben, wie man den Konflikt mit Anspruch auf Allgemeingeltung entscheiden könnte. Es war Max Weber, der ihn 1895/96 durch die Bezugnahme auf ein explizit eingeführtes Oberziel und eine - implizite - Hypothese entschied. Wirtschaftspolitik hat immer mit Zielhierarchien zu tun. Alle Ziele, ausgenommen die letzten Werte, können ihrerseits als Etappe auf dem Weg zu höherrangigen Zielen verstanden werden. Wenn eines der kollidierenden (Zwischen-)Ziele besser als das andere geeignet ist, das Oberziel zu verwirklichen, verdient es den Vorzug. Für Max Weber stand spätestens seit seiner Freiburger Antrittsrede vom 13. Mai 1895 - „Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik" - der Maßstab fest, an dem sich alle wirtschaftsund sozialpolitischen Vorhaben letztlich messen lassen mußten: die Hebung von Deutschlands politischer Macht im Wettbewerb der Staaten. 102 In dieser Rede hat Weber die Börsenreform noch nicht angesprochen. Aber ein Jahr später bezeichnet er folgerichtig „die Erhaltung und Steigerung der internationalen Machtstellung der deutschen Börsen den Börsen des Auslandes gegenüber" als ersten von zwei Punkten, auf die sich seiner Meinung nach das Interesse des Staates konzentriere. 103 Und in bezug auf diesen Punkt „kann das Staatsinteresse mit der moralisierenden Betrachtung direkt kollidieren". 104 Bei weitem nicht so pointiert, aber in der Sache ähnlich hatte Walther Lötz in der Zeit, als man ihn als eine Art volkswirtschaftlichen Mentor von Max Weber bezeichnen kann, 105 das Ziel der von ihm beschriebenen Entwicklung des Emissionsgeschäfts und der mit ihr verbundenen Konzentration des Kapitals darin gesehen, daß nun die deutschen Banken „draußen eine achtunggebietende Stellung neben Engländern und 101 Tatsächlich standen die genannten Ziele nicht nur in einem rivalisierenden Verhältnis. Ob die Bekämpfung von „Mißständen" durch eine Einschränkung der Handlungsspielräume der Akteure die Effizienz der Börsen möglicherweise nicht minderte, sondern erhöhte, blieb eine im Einzelfall schwer zu beantwortende Frage. 102 Siehe MWG I/4, S. 543-574. 103 Der zweite Punkt betrifft das Interesse des Staates am korrekten Funktionieren der Börse als Verkehrsregulator, insbesondere in der Marktpreisbildung. Weber, Börsenwesen, unten, S. 588f. 104 Ebd., S. 589. 105 Vgl. hierzu unten, S. 100f.

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Franzosen [...] erringen". In Hinblick auf die Notwendigkeit, die Interessen des deutschen Außenhandels mit denen der Kapitalvermittler zu verbinden, sollten die Großbanken „den Vorwürfen und dem Neide derjenigen, welche jede Emissionsthätigkeit mit dem gewöhnlichen Börsenspiel verwechseln, entgehen können." 106 Aus dem machtstaatlichen Oberziel folgte freilich nicht zwingend, daß man sich gegen die Tendenzen einer moral- und sozialpolitischen Börsenreform und für eine Stärkung der Börsen aussprechen mußte. Sonst hätte Adolph Wagner, der hinsichtlich der Anerkennung des machtstaatlichen Oberziels mit Max Weber übereinstimmte, nicht eine so ganz andere Haltung zur Entwicklung des Bank- und Börsenwesens (und auch in Fragen der Agrarpolitik) einnehmen können. Der Dissens betraf nicht das letzte, das Staatsziel, sondern die Hypothese, die der oben angesprochenen MittelZweck-Beziehung zwischen Unterzielen und Oberziel zugrunde lag. Während Max Weber offenbar der Meinung war, eine (moralisch, sozial- und agrarpolitisch motivierte) Herabdrückung der Bedeutung der deutschen Börsen könne unter den derzeitigen Verhältnissen nur auf Kosten der Machtstellung Deutschlands gehen, war Adolph Wagner davon nicht gleichermaßen überzeugt. Seiner Meinung nach würde das rasche Wachstum von Finanzkapitalismus und Exportindustrie langfristig zu einer Schwächung der Nation im internationalen Machtkampf führen. 107 Wagner hat zwar seine Position bei weitem nicht so klar bezeichnet wie Max Weber, aber es war konsequent, daß Wagner und diejenigen, die ihm folgten, sich weniger um eine mangelnde Kraft des Bank- und Börsenwesens sorgten als um die Veränderungen in der Vermögens- und Machtverteilung im Lande und das Umsichgreifen solcher moralischen Vorstellungen, wie sie an der Börse herrschten. Kein Wunder, daß der Schauplatz der Kämpfe sich so weit über das Börsenwesen hinaus ausbreitete. Waren schon die grundsätzlichen Ziele dessen umstritten, was mit einer Reform des Börsenwesens erreicht werden sollte, so folgte daraus eine große Vielfalt der vorgeschlagenen und diskutierten Maßnahmen. Einige Schwerpunkte der nationalökonomischen Diskussion bis 1891 sollen im Folgenden hervorgehoben werden. Sie waren auch Gegenstand der Beratungen der 1892 einberufenen Börsenenquetekommission und sind in verschiedenen Arbeiten Max Webers angesprochen worden.

106 Lötz, Emissionsgeschäft, S. 459f. 107 Zu Wagners Position in der Auseinandersetzung über die Frage „Industrie- oder Agrarstaat" siehe Barkin, Kenneth D., The Controversy Over German Industrialization 1890-1902. - Chicago and London: University of Chicago Press 1970, S. 153 und 163; vgl. auch Lindenfeld, Practical Imagination (wie oben, S.41, Anm.52), S. 293-295. Zum wissenschaftlichen Dissens und zum persönlichen Verhältnis von Max Weber und Adolph Wagner siehe MWG I/4, S.30f„ 310f„ 512-523, 624f. und 639f.

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Ein Schwerpunkt betraf die ordnungspolitischen Konsequenzen, die aus den beobachteten Krisen und den manifesten Gefährdungen des Publikums zu ziehen waren. Daß es gewisse Veränderungen sowohl in der Verfassung der Märkte 108 als auch hinsichtlich der Verhaltensregeln der Marktbeteiligten geben sollte, war praktisch unumstritten. Liberale Ökonomen, wie z.B. Emil Struck und Walther Lötz, erwarteten sich vor allem eine Reformierung durch die Kräfte des Marktes, insbesondere durch den Wettbewerb, und durch die Selbstorganisationskraft der Börsen. Aber auch sie mochten nicht ausschließlich darauf vertrauen und hielten eine vorsichtige Ausweitung staatlicher Regelungsbefugnisse für nötig. Emil Struck hatte mit seiner vergleichenden Analyse, die sich mit den möglichen Folgen einer Erweiterung staatlicher Kompetenzen zur Einflußnahme auf die Börsen in England und Deutschland befaßte, für die folgenden Erörterungen Maßstäbe gesetzt. Das Ergebnis seines Vergleichs verblüfft noch heute. Struck meinte nämlich, daß eine staatliche Einflußnahme auf die Londoner Börse - wie sie in England wiederholt gefordert worden war - für das Gemeinwohl schädlich wäre, hingegen könne die Berechtigung einer staatlichen Aufsicht für die deutschen Börsen nicht bestritten werden. 109 Der scheinbare Widerspruch fand seine Erklärung in der fundamentalen Verschiedenheit der Verfassungen der Londoner Effektenbörse und der deutschen Börsen. Wie oben schon kurz beschrieben, 110 war die Londoner Börse ein privater Verein. Dank hoher qualitativer und finanzieller Anforderungen an neue Mitglieder, genauer Regeln für den Wettbewerb unter den Börsenbesuchern und einer rigorosen Handhabung der Disziplin glich die Börse nicht einem offenen Markt, sondern einem exklusiven Club. Dessen Ehrenkodex strahlte auch auf den Handel außerhalb der Börse aus. Was immer an Reformen in London nötig sei, könne man aus dem Inneren der Börse heraus erwarten. Demgegenüber glaubte Struck, daß die deutschen Börsen „in ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung keine Garantien dafür [bieten], daß sie aus eigenem Antriebe ernstlich an die Besserung der Zustände des Fondshandels gehen." Deshalb bliebe nichts übrig, als „voller Hoffnung auf den Staat zu blicken." 111 Aber dieses Interventionsrecht des Staates sollte nur so lange gelten, bis auch in Deutschland vollkommenere und stabilere Verkehrsformen entwickelt seien, d.h. eine Börsenverfassung nach dem englischen Modell. Richard Ehrenberg war weniger pessimistisch hinsichtlich der Fähigkeit der Börsen, sich von innen heraus auf

108 Zur Verfassung des deutschen Börsenwesens im ausgehenden 19. Jahrhundert siehe oben, S.4. 109 Struck, Effektenbörse, S. 178-185. 110 Oben, S.23. 111 Struck, Effektenbörse, S. 184.

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das korporative Modell hin umzugestalten, hielt aber schon wegen der gegebenen Rechtslage eine Mitwirkung des Staates bei der Änderung der Organisationsform der Börsen für nötig. 112 Mochten auch die Erfahrungen in London für eine korporative Verfassung sprechen, unbedenklich war die Übertragung des Modells auf Deutschland nicht. Schließlich war nicht zu übersehen, daß der Londoner Club ein kollektives Händlermonopol war. Der für die deutschen Börsen typische freie Zugang zur Börsenmitgliedschaft 113 entsprach eher dem „öffentlichen Auftrag" der Handelskammern bzw. Korporationen der Kaufmannschaft, den Trägern der Börsen, und sah wie die Verwirklichung des Ideals freier Konkurrenz aus. Aber er lief eben auch auf einen Wettbewerb zwischen - hinsichtlich Vermögenslage, Kenntnisstand und Moralvorstellungen - höchst ungleichen Börsenbesuchern hinaus. Und nach dem Verständnis der Anhänger einer korporativen Börsenverfassung trug dies zu den vielfach beklagten Mißständen und dem Bild bei, die Börse sei eine Versammlung von hemmungslosen Spielern. Doch paßte die Vorstellung, ausgerechnet eine Begrenzung des Geschäftskreises auf die Wohlhabenden könne zur Ordnung der Märkte beitragen, offensichtlich nicht in die Zeit, in der die Lösung so vieler Probleme von ethisch motivierten Verhaltensänderungen der Menschen oder von staatlicher sozialpolitischer Intervention erwartet wurde. Max Weber hat später den schon zuvor entwickelten Ideen eine charakteristische Wendung gegeben. Während der Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses im November 1896 hat er bekannt, seine persönlichen Anschauungen gingen dahin, „eine gewisse, wenn man es unfreundlich ausdrücken würde, plutokratische Abschließung der Börse herbeizuführen, insofern, als ich weniger den schwer zu erbringenden moralischen Befähigungsnachweis, wie ihn die Börsenenquetekommission und das Börsengesetz erstreben, als vielmehr den ökonomischen Befähigungsnachweis, nämlich den Nachweis eines bestimmten Besitzes, eingeführt sehen möchte, ein Gedanke, an dessen Durchführung zur Zeit nach Lage der Stimmung in Deutschland allerdings gar nicht zu denken ist." 114

112 Ehrenberg, Fondsspekulation, S. 219-227. 113 Zu den Zugangsregelungen siehe oben, S. 22. 114 Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, unten, S. 714.

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4. Die Zuspitzung der politischen Konflikte und die Auslösung der Gesetzgebungsaktivität a) Die Radikalisierung der agrarischen

Börsenkritik

Der oben beschriebene Gang der Diskussionen 1 ließ erwarten, daß der Gesetzgeber sich in Zukunft mit einigen der angesprochenen Probleme würde befassen müssen. Aber weder die politischen Kräfteverhältnisse im Reichstag noch das Gewicht der offenen Rechtsfragen deuteten bis zum Ende der 1880er Jahre auf eine alsbald in Angriff zu nehmende umfassende, gar radikale Börsenreform hin. Freilich war die prinzipielle Gegnerschaft antisemitischer und speziell agrarischer Gruppierungen seit den 1870er Jahren nicht mehr zu übersehen. Eine gewisse Meinungsführerschaft lag bei der 1876 gegründeten „Vereinigung der Steuer- und Wirtschaftsreformer", einem Diskussionskreis vornehmlich ostelbischer Großgrundbesitzer. 2 Wie andere agrarische Interessenverbände in den 1870er Jahren strebten die Steuer- und Wirtschaftsreformer zunächst eine steuerliche Entlastung landwirtschaftlicher Einkommen und (Grund-)Vermögen und eine stärkere Heranziehung der bis dahin kaum erfaßten gewerblichen Einkommen und Vermögen, also eine radikale Steuerreform, an. Hierfür gab es gute Gründe. 3 In diesem Zusammenhang forderten sie aber auch unter der Parole „Die Börse muß bluten!" die Einführung spezieller Steuern auf Wertpapierumsätze. Von ihnen erwarteten sie nicht nur mehr Gerechtigkeit hinsichtlich der Besteuerung aller Einkommen, sondern auch eine Einschränkung des Börsenspiels, ja eine Schwächung der Börsen überhaupt. 4 Jedoch wollte die Mehrheit des Reichstags, als 1881 das Reichsstempelgesetz 5 verabschiedet und dabei auch eine Steuer für Wertpapierumsätze und die Emission von Wertpapieren eingeführt wurde, gerade dies nicht. Die Steuersätze blieben weit unter dem, was die Steuer- und Wirtschaftsreformer gewünscht hatten. Allerdings wurden Ter-

1 Oben, S. 41-55. 2 Stephan, Fritz, Die 25jährige Thätigkeit der Vereinigung der Steuer- und Wirthschaftsreformer (1876-1900). - Berlin: Verlag des Bureau der Vereinigung der Steuer- und Wirthschaftsreformer 1900; Gottwald, Herbert, Vereinigung der Steuer- und Wirtschaftsreformer, in: Dieter Fricke u.a. (Hg.), Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland (1789-1945), Band 4. - Köln: Pahl-Rugenstein 1986, S. 358-367. 3 Zur ungerechten Verteilung der Steuerlast zwischen Landwirtschaft und Gewerbe vgl. Pyta, Wolfram, Landwirtschaftliche Interessenpolitik im Deutschen Kaiserreich. Der Einfluß agrarischer Interessen auf die Neuordnung der Finanz- und Wirtschaftspolitik am Ende der 1870er Jahre am Beispiel von Rheinland und Westfalen. - Stuttgart: Franz Steiner 1991, S.40f. 4 Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S.53. 5 Vgl. die Einträge Börsensteuer und Börsensteuergesetz im Glossar, unten, S. 1036f.

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mingeschäfte mit dem Fünffachen des Satzes für Kassageschäfte belastet. Die 1885 verabschiedete Novelle zum Reichsstempelgesetz führte wegen des Übergangs zu einer proportionalen Besteuerung der Umsätze zwar auch zu höheren Belastungen des Wertpapierhandels, aber von einem Schlag gegen die Börse konnte auch jetzt nicht die Rede sein.6 Ähnlich abgewehrt wurden von der Reichstagsmehrheit Forderungen von agrarisch-konservativer Seite nach drastischen Beschränkungen der Gründung von Aktiengesellschaften und damit auch des Aktiengeschäfts an den Wertpapierbörsen. Die 1884 vom Reichstag beschlossene Novelle zum Aktiengesetz von 1870 legte dieser Gesellschaftsform keine ganz unvernünftigen Hindernisse in den Weg. 7 Indem das Gesetz in seiner neuen Fassung die Solidität der Gründungen hob, förderte es vermutlich sogar die Ausbreitung der Aktiengesellschaften. Doch schloß es durch die Festlegung des Mindestnennbetrags einer Aktie auf 1000 Mark den kleinen Mann von diesem Segment des Kapitalmarktes aus.8 Wiederholt ist von agrarischer Seite in den 1880er Jahren der Erlaß eines Börsengesetzes gefordert worden. Man erwartete von ihm, daß es das Publikum vor Ausbeutung schützen, gar dem Börsenspiel ein Ende setzen solle. 9 Aber weder der Reichstag noch der Bundesrat nahmen die sehr allgemein gehaltenen Anregungen auf. Doch war das Kriegsbeil ausgegraben. 1883 stellte Georg Siemens, Direktor der Deutschen Bank, in einem Vortrag fest: „Das fixe Kapital kämpft heute einen ganz interessanten Kampf gegen das mobile Kapital. 10 Antisemitismus, Entrüstung über das Differenzgeschäft u. dgl. sind nur Vorwände, hinter welchen das eigentliche Ziel des Kampfes seitens einer der Parteien versteckt wird." Ziel sei die Abwehr der „Bedrohung ihrer bisherigen politischen Vorherrschaft." Für die Behauptung ihrer Position böten sie alles auf. Um dessentwillen wollten sie auch das „Differenzgeschäft wegen der Möglichkeit von Mißbräuchen für unsittlich er-

6 Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S.53f. Der traditionelle Begriff „Börsenumsatzsteuer" legt die Vermutung nahe, es handele sich um die spezielle Belastung von Geschäften an der Börse. Tatsächlich war die Steuerpflicht, abgesehen von Warengeschäften, nicht an irgendeine Beziehung zur Börse geknüpft. 7 Vgl. oben, S.37, Anm.39. 8 Zum Vergleich: Max Webers Jahreseinkommen als Professor in Freiburg betrug 4760 Mark. Hinzu kamen noch die Hörergelder, die je nach Studentenzahl pro Semester zwischen 920 (Sommersemster 1895) und 1737,50 Mark (Wintersemester 1896/97) lagen. Universitätsarchiv Freiburg i.Br., Personalakte Max Weber, Nr. 8933, Karlsruhe, 30.4.1894, und ebd., B 17/17, B 17/18, B 17/19, B 17/26 und B 17/27. 9 Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S.55. 10 Nach dem Sprachgebrauch der Zeit meinte „fixes Kapital" die Eigentümer landwirtschaftlichen Grundvermögens. „Mobiles Kapital" meinte zwar in erster Linie die Händler, aber auch die Industrie mit ihrer durchschnittlich höheren Kapitalumlaufgeschwindigkeit.

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klären." 11 In der Tat war der neue, schnell wachsende Reichtum von Bankiers und Börsenhändlern mit Händen zu greifen. Daß die rasche Anhebung der Lebenshaltung und der Lebensansprüche insbesondere des Großbürgertums die ländliche Aristokratie in eine schwierige Lage bringen mußte, hat auch Max Weber beschrieben: „Der unter den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen selbstverständliche, ja unumgängliche Versuch, mit dieser Lebenshaltung gleichen Schritt zu halten, bildet für die breite Masse der östlichen Grundaristokratie ein Verhängnis, welches auch ohne alle Einflüsse der ausländischen Konkurrenz ihre wirtschaftliche Grundlage gefährden muß." 12 Umso kritischer reagierten die Agrarier auf die Tatsache, daß sich die 1878 eingeleitete Schutzzollpolitik als ungeeignet erwies, die deutschen Landwirte gegen den Trend sinkender Agrarpreise in der Welt zu isolieren. Von 1882 bis 1889 sanken die Weizenpreise trotz der 1885 und 1887 beschlossenen Erhöhung des Zollschutzes um 25%. 1 3 Angesichts der traditionell hohen Verschuldung der Landwirtschaft bedeuteten so stark sinkende Preise eine Erhöhung der realen Schuldenlast, also eine gesteigerte Abhängigkeit von den Herren der Kreditwirtschaft. In diesem Zusammenhang wurde auch die Währungsfrage ein Schauplatz des Antagonismus zwischen der Landwirtschaft und den liberalen Kräften in Industrie, Handel und Kreditwesen. Von agrarischer Seite wurde eine Erweiterung des Kreditspielraums der Reichsbank auch auf langfristigen Kredit, gar die Verstaatlichung der Reichsbank gefordert. Man erhoffte sich, dann Einfluß zugunsten eines antideflatorischen Kurses nehmen zu können. 14 Vor allem sollte eine Abkehr von der erst in den 1870er Jahren eingeführten Goldwährung und der Anschluß an die internationale bimetallistische Bewegung Abhilfe gegen den weltweiten deflationären Preistrend schaffen. 15 Tatsächlich war der im we-

11 Siemens, Georg, Die Natur und der Werth des Differenzgeschäftes. Vortrag gehalten in der Sitzung des Vereins „Berliner Kaufleute und Industrieller" am 17. April 1882 (Handelspolitische Zeitfragen. Vorträge und Abhandlungen, hg. von dem Verein „Vereinigte Berliner Kaufleute und Industrielle" zur Wahrnehmung ihrer Interessen, Heft 3). - Berlin: F. &P. Lehmann 1883, S. 14f. 12 Weber, Max, Entwickelungstendenzen in der Lage der ostelbischen Landarbeiter, MWG I/4, S.371. 13 Born, Karl Erich, Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Deutschen Kaiserreichs (1867/71-1914).-Stuttgart: Franz Steiner 1985, S.30. 14 1889 wurde die Verstaatlichung der Reichsbank von der Reichstagsmehrheit abgelehnt. Vgl. Lötz, Walther, Der Streit um die Verstaatlichung der Reichsbank. - München: G. Hirth 1897. 15 Es ist bezeichnend, daß die Agrarier auch in dieser Beziehung die Unterstützung von Albert Schäffle und Adolph Wagner hatten. Vgl. Borchardt, Knut, Währung und Wirtschaft, in: Deutsche Bundesbank (Hg.), Währung und Wirtschaft in Deutschland 1876-1975. Frankfurt a.M.: Fritz Knapp 1976, S. 37-39.

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sentlichen von Agrariern angeführte „Kreuzzug wider den Terminhandel" 16 nur ein Element im Kampf um die Einkommens- und Rollenverteilung in Staat und Gesellschaft. b) Warenbörsen im Zentrum der Kritik Doch hatten sich, was den Kampf gegen den Terminhandel betrifft, inzwischen die Gewichte verschoben. Während noch am Anfang der 1880er Jahre die Wertpapierbörsen im Zentrum der Kritik gestanden hatten und es darum gehen sollte, das Börsenspiel in Effekten vornehmlich wegen seiner ethischen Bedenklichkeit zu regulieren, wendete sich gegen Ende der achtziger Jahre die Kritik vor allem gegen den Terminhandel in Waren, also gegen die modernen Waren- bzw. Produktenbörsen. Der Terminhandel (im engeren Sinne) begann sich auch in Deutschland über den Getreidemarkt hinaus auszubreiten. 1886 ist der Terminhandel in Magdeburg in Zucker und 1887 in Hamburg in Kaffee eröffnet worden. 1889 wollte man in Berlin eine Kammzugbörse errichten, was jedoch am Widerspruch Bismarcks als preußischer Handelsminister scheiterte. Deshalb wichen die Gründer 1890 in das sächsische Leipzig aus. Gegen die Kaffeebörse und die Kammzugbörse kam massive Kritik auch aus den Reihen von Handel und Industrie. Das war insofern von politischer Bedeutung, als nun die Opposition der Agrarier (vornehmlich gegen die Getreidebörse in Berlin) Beistand von durchaus sachkundiger und nicht als politisch konservativ abgestempelter Seite zu erhalten schien. 17 Eine dramatische Kaffeeschwänze 18 im September 1888, bei der es den Haussiers gelang, die Baissiers in die Ecke (corner) und den Kaffeepreis vorübergehend auf die dreifache Höhe zu treiben, wurde zum eigentlichen Auslöser einer breiten Antiterminhandelsbewegung. 19 Der Reichstagsabgeordnete Karl Gamp, 20 der später auch in der Börsenenquetekommission die Interessen der Agrarier vertrat, nahm eine Petition der Kaffeeterminhandelsgegner zum Anlaß, um am 16. Mai 1889 in der Plenardiskussion des Reichstags dem Terminhandel schlechthin die Berechtigung abzusprechen. Gamp sprach sich noch nicht für ein Verbot aus, wohl aber dafür, die Errichtung einer Warenterminbörse grundsätzlich von der Genehmigung des Bundes-

16 So der Titel einer anonymisierten Schrift: T[oepke], E[rhard], Der Kreuzzug wider den Terminhandel (Volkswirtschaftliche Zeitfragen. Vorträge und Abhandlungen, hg. von der Volkswirthschaftlichen Gesellschaft in Berlin und der ständigen Deputation des Kongresses Deutscher Volkswirthe, Heft 85/86). - Berlin: Leonhard Simion 1889. 17 Zum Streit um die Kaffeebörse und den Kammzugterminhandel vgl. Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S. 57-70 und 80-84. 18 Siehe den Eintrag im Glossar, unten, S. 1062f. 19 So Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S.59f. mit Literaturangaben. 20 Siehe den Eintrag im Personenverzeichnis, unten, S. 1017.

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rats abhängig zu machen. Die Diskussion im Reichstag endete noch ohne einen Beschluß. Ende der 1880er Jahre nahm aber der Widerstand der Agrarier gegen den Terminhandel in Getreide schärfere Konturen an. Man schrieb diesem Geschäft auch eine Mitschuld an der anhaltenden Baissetendenz der Getreidepreise in Deutschland zu. 21 Darin lag gewiß eine Überschätzung der Bedeutung des Termingeschäfts, aber ganz unrichtig war die Behauptung nicht. Das Termingeschäft erleichterte ja, wie oben dargestellt ist, 22 die Arbitrage in Waren des Weltverkehrs. Diese trug dazu bei, daß sich der internationale Trend rascher und exakter auch in Deutschland abbildete, allerdings nicht nur - wie jetzt - in Abschwüngen, sondern auch - wie wenige Jahre später - in einem Aufschwung. Weit weniger überzeugend war die Behauptung der Agrarier, daß das Termingeschäft, weil es eine Baissespekulation ermöglicht, auch langfristig tendenziell die Preise drücken müßte. Und auch die - vermutlich richtige - Beobachtung, daß die den Terminkontrakten zugrunde gelegten Standardlieferqualitäten ziemlich niedrig angesetzt wären, rechtfertigte nicht die Behauptung, daß schon deshalb die Getreidepreise in Deutschland tendenziell nach unten gezogen würden. Bemerkenswert ist, daß die neuere Kritik an den Termingeschäften in Waren nicht mehr in erster Linie am Glücksspielcharakter Anstoß nahm, sondern jetzt vornehmlich spezifische Wirkungen auf die Preise und damit auf die Lage der Landwirtschaft beklagt wurden. Derartige Behauptungen gaben im November 1887 dem landwirtschaftlichen Verein im sächsischen Nossen Anlaß, an den Reichstag mit der Bitte heranzutreten, behauptete Mißstände an der Berliner Produktenbörse zu überprüfen und gegebenenfalls „für deren Abstellung auf gesetzgeberischem Wege Sorge zu tragen." 23 Der Petitionsausschuß des Reichstags hat diese Eingabe dem Reichskanzler zugeleitet und damit die Anregung verbunden, eine Enquete über die Zustände der einheimischen Börsen vorzunehmen. 24 Als sich um 1890 die Lage an den deutschen Getreidemärkten überraschend schnell verbesserte, erwiesen sich die zuvor erhobenen Behauptungen über die prinzipiell preisdrückende Wirkung des Termingeschäfts als falsch. Waren die jahresdurchschnittlichen Weizenpreise von 1881 bis 1886 um etwa 25% gesunken und verharrten bis 1888 etwa auf diesem Niveau, so stiegen sie, weil die Ernten in vielen Ländern schlecht waren und Rußland angesichts einer Hungersnot gar seine Grenzen für den Export

21 Zum Folgenden vgl. Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S. 70-80. 22 Siehe oben, S.46f. 23 Zit. nach Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S. 73. 24 Zur Vorgeschichte der Börsenenquete siehe auch den Editorischen Bericht zu Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 176-180.

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schloß, von 1888 bis 1891 um etwa 40%. 25 Die Brotpreise stiegen in die Höhe. Die Realeinkommen insbesondere der ärmeren Schichten sanken. Sozialdemokraten und Linksliberale sahen die Zeit gekommen, eine drastische Senkung der offensichtlich nicht mehr nötigen Schutzzölle und die Unterstützung der von Reichskanzler Caprivi betriebenen Handelsvertragspolitik zu fordern. 26 Dem begegneten die Agrarier und ihre Freunde mit der Behauptung, daß auch an den extrem hohen Getreidepreisen die Börse Schuld sei, nur habe jetzt die Haussepartei die Überhand gewonnen. Sie fanden eine publikumswirksame Unterstützung für ihr in der Sache abstruses Argument, als im August 1891 auf Hausse spekulierende Getreidehändler, mit Kredit der Banken reichlich ausgestattet, den Versuch einer Schwänze unternahmen. Zwar gelang ihnen die Cornerung der Kontraktpartner nicht, aber schon das Vorhaben war Wasser auf die Mühlen der Gegner des Getreidetermingeschäfts, belegte es doch den Verdacht, daß die von ihren Anhängern so geschätzten fairen Börsenpreise durchaus manipulierbar seien. Kurzfristig trug dieses Ereignis dazu bei, die Börsenenquete in Gang zu setzen. Von langfristig größerer Bedeutung für die Entfaltung der agrarischen Protestbewegung war der Umstand, daß auf den Preisgipfel 1891 ein katastrophaler Preisverfall folgte. Die Getreidepreise fielen über Jahre hinweg förmlich in den Keller. 1894 stand der Jahresdurchschnittspreis für Weizen bei 54% des (freilich durch Mißernten überhöhten) Preises von 1891 (62% des Preises von 1880). In dieser neuerlichen Depression bekam der Kampf der Agrarier gegen die Börse im Rahmen ihrer Gesamtstrategie eine neue Qualität - und am Ende eine überraschende Erfolgschance. Eine gewisse Legitimation wuchs den Befürwortern einer repressiven Börsengesetzgebung, speziell einer Einschränkung des Termingeschäfts in Deutschland, in diesen Jahren auch aus entsprechenden politischen Bestrebungen in anderen Ländern zu. Insbesondere in den USA haben seit 1889 Organisationen der Farmer wie die „National Farmers' Alliance" und die sich wesentlich auf Farmer stützende „People's Party" bzw. die 1891 gegründete „Populist Party" gefordert, daß der Kongreß den Terminhandel verbieten und für den Fall der Zuwiderhandlung wirksame Strafmaßnahmen

25 Hoffmann, Walter Gustav, Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. - Berlin, Heldelberg, New York: Springer 1965, S. 552-554; Jacobs, Alfred, und Hans Richter, Die Großhandelspreise in Deutschland von 1792-1934 (Vierteljahrshefte zur Konjunkturforschung, Sonderheft 37). - Berlin: Hanseatische Verlagsanstalt Hamburg 1935, S. 81 und 90. 26 Zum zeitgeschichtlichen Hintergrund siehe Mommsen, Einleitung, MWG I/4, S.2-16; zur Problematik der Handelsvertragspolitik Weitowitz, Rolf, Deutsche Politik und Handelspolitik unter Reichskanzler Leo von Caprivi 1890-1894. - Düsseldorf: Droste 1974.

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beschließen solle. 27 In drei Legislaturperioden sind Anträge zur Einschränkung des Termingeschäfts beraten worden. Auch in den Vereinigten Staaten von Amerika meinten die Antragsteller, daß das Börsentermingeschäft tendenziell einen Preisdruck erzeuge und somit zur Verschlechterung der Lage der Landwirte beitrage. 1891 wurde in diesem Zusammenhang ein Gesetzesvorschlag in den Kongreß eingebracht und 1892 in beiden Häusern zunächst zustimmend beraten. Doch fehlte es am Ende an der nötigen Zweidrittelmehrheit im Repräsentantenhaus, um Änderungsvorschläge des Senats zu überstimmen. Die „Anti-option-movement" ist in Deutschland aufmerksam verfolgt und von den deutschen Agrariern in gewisser Weise kopiert worden. Ein - etwas einseitiges - Referat von Graf Kanitz über das Schicksal dieser Gesetzesinitiative ist sogar in den Statistischen Anlagen der Börsenenquetekommission abgedruckt worden. 2 8 Doch sind bis 1895 alle Versuche, den Terminhandel in den USA auf Bundesebene zu verbieten oder ihn mit prohibitiven Steuern zu belegen, gescheitert. In einzelnen Staaten der USA hat es allerdings solche Verbote gegeben. Sie waren für die Geschäfte an den bedeutendsten Warenterminmärkten kein Hindernis. Nach der Umkehr der Agrarkonjunktur hat - bei wieder ansteigenden Preisen - in den USA die börsenfeindliche Agitation der Landwirte rasch nachgelassen. c) Die Vertrauenskrise

an den Wertpapiermärkten

1891

Als wegen der Getreidepreishausse 1890/91 der politische Druck der Agrarier seine Legitimation zu verlieren schien, verschärften sich die Konflikte um die Effektenbörse in auffälliger Weise. 29 1888 bis 1890 hatte ein relativ starker konjunktureller Aufschwung das Spekulationsfieber neuerlich angeregt. Es richtete sich nicht nur auf Papiere inländischer Emittenten, sondern auch auf die Anleihen und Aktien der damaligen „Entwicklungsländer", vornehmlich in Lateinamerika. 3 0 Wie riskant derartige Anlagen waren, trat Ende 27 Peffer, William A., Populism, Its Rlse a n d Fall [1899], hg. von Peter H. Argersinger. Kansas: University Press of Kansas 1992, S. 3 3 - 3 6 . Zur agrarischen Protestbewegung in den USA vgl. Puhle, Hans-Jürgen, Politische A g r a r b e w e g u n g e n In kapitalistischen Industriegesellschaften. Deutschland, USA und Frankreich im 20. Jahrhundert. - Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1975, S. 1 4 2 - 1 4 7 . 28 Kanitz, Anti option Bill. Zur Antl-optlon-Bewegung siehe auch Schumacher, Getreidebörsen, S. 2 2 6 - 2 3 6 ; ders, Getreidehandel, S. 378f. Z u m Hintergrund siehe auch Cowing, Cedric B., Populists, Plungers, a n d Progressivs. A Social History of Stock a n d C o m m o d l t y Speculation 1 8 9 0 - 1 9 3 6 . - Prlnceton: Prlnceton University Press 1965, S . 5 - 2 9 . 29 Z u m Folgenden Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S. 9 0 - 9 8 . 30 Schaefer, Karl Christian, Deutsche Portfolioinvestitionen Im Ausland 1 8 7 0 - 1 9 1 4 . Banken, Kapitalmärkte u n d Wertpapierhandel im Zeitalter des Imperialismus. (Münsteraner Beiträge zur Cliometrie und quantitativen Wirtschaftsgeschichte, Band 2). - Münster: Lit 1995, S. 4 2 1 - 4 9 2 .

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1890 zutage. Die Zahlungsunfähigkeit Argentiniens führte zur Illiquidität des im internationalen Geldverkehr führenden Londoner Bankhauses Baring Brothers. 31 Zwar konnte durch Hilfen anderer Banken ein Zusammenbruch und damit eine Ausbreitung der Finanzkrise verhindert werden, aber in dem nun beginnenden Abschwung sanken einige der größten ausländischen Anleihen auf V3-V4 des Ausgabekurses. 3 2 Aber auch die deutschen Aktienkurse gaben deutlich nach. Der Index einer Auswahl deutscher Standardaktien fiel von Februar bis August 1891 um etwa 18%, um nicht viel weniger als in den ersten Monaten der Gründerkrise 1873. 33 Das Publikum hatte gute Gründe, sich über den mangelnden Sachverstand bzw. die geringe Vertrauenswürdigkeit derjenigen Bankiers zu beklagen, die ihnen noch kurz zuvor zum Kauf der Papiere geraten hatten. Aber die beträchtlichen Vermögensverluste hätten das Publikum vermutlich weniger erregt, dem Ansehen der Börse weniger geschadet, wenn sie nicht begleitet gewesen wären von der Aufdeckung einer Serie von skandalösen Machinationen, in die Börsenhändler und Bankiers, gar ein Mitglied des Berliner Börsenvorstands, verwickelt waren: Kursmanipulationen in Effekten und Getreide, Schlußscheinfälschungen, Bestechungen von Pressevertretern, Veruntreuungen deponierter Wertpapiere. Diejenigen, die Eingriffe des Gesetzgebers forderten, hatten nun weit stärkere Argumente als noch kurz zuvor. Jetzt war der bis dahin noch fehlende politische Druck erzeugt, der die Börsenfrage auf die Tagesordnung sowohl in den Regierungsämtern als auch im Reichstag brachte. 3 4 d) Die Wende der Rechtsprechung

des Reichsgerichts

1892

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Wie oben ausgeführt, haben bis 1892 Rechtsprechung und Rechtslehre wie sie insbesondere in den Voten des Deutschen Juristentages zum Ausdruck kamen - zwar dem „reinen Differenzgeschäft" wie einem Glücksspiel den Rechtsschutz versagt, im übrigen aber Termingeschäfte, bei denen zu31 Zur Baring-Krise vgl. die Ausführungen unten, S.623 f., Anm.6; vgl. auch Feldmann, Horst, Internationale Umschuldungen Im 19. und 20. Jahrhundert. Eine Analyse ihrer Ursachen, Techniken und Grundprinzipien. - Berlin: Duncker & Humblot 1990, S. 160-175. 32 Spiethoff, Arthur, Die wirtschaftlichen Wechsellagen. Aufschwung, Krise, Stockung, Band 1. - Tübingen und Zürich: J . C . B . Mohr (Paul Siebeck)-Polygraphischer Verlag AG 1955, S. 128-130; Schaeter, Deutsche Portfolioinvestitionen im Ausland, (wie Anm.30), S.452-471. 33 Vgl. hierzu den monatlichen Aktienindex von 1873-1913 bei Donner, Otto, Die Kursbildung am Aktienmarkt. Grundlagen zur Konjunkturbeobachtung an den Effektenmärkten (Vierteljahrshefte zur Konjunkturforschung, Sonderheft 36). - Berlin: Hanseatische Verlagsanstalt Hamburg 1934, S.98. 34 Vgl. ausführlicher im Editorischen Bericht zu Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 176-179. 35 Oben, S. 28-31.

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mindest eine Partei ihr Recht auf und ihre Pflicht zur Effektivleistung nicht ausgeschlossen hatte, für klagbar gehalten. Das Reichsgericht legte die Tatbestandsmerkmale des „reinen Differenzgeschäfts" eng aus. Insbesondere war es nicht bereit, aus bloßen Umständen, z.B. in den Personen der Vertragschließenden, auf eine vertragliche Vereinbarung zur Differenzregulierung zu schließen. Damit war es für Händler und Bankiers bei entsprechender Gestaltung der Verträge (durch Bezugnahme auf Börsenusancen und den Inhalt der Schlußnote) relativ leicht, auch außerhalb der Börse mit Interessenten Termingeschäfte abzuschließen und eventuelle Ansprüche durchzusetzen. Im März 1892 hat jedoch der 1. Senat für Zivilsachen des Reichsgerichts - vermutlich auch unter dem Eindruck der wachsenden Kritik der Öffentlichkeit am Börsengeschäft und der aufgedeckten Skandale eine dramatische Wende vollzogen. 36 Obgleich im vorgelegten Fall das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung entschieden hatte, verwies der Senat die Sache zur erneuten Entscheidung an das Gericht zurück. Anders als in früheren Fällen wollte er nun, daß die Vorinstanz prüft, ob aus den Umständen des Falles auf eine beiderseitige Absicht zur Differenzregulierung und damit auf eine (konkludente) Willenseinigung über den Ausschluß der Effektiverfüllung geschlossen werden könnte. Ohne daß es vorher Anzeichen dafür gegeben hätte, zeigte sich das höchste deutsche Gericht jetzt bereit, unausgesprochene Absichten der Beteiligten zu Vertragsinhalten umzuinterpretieren. In den folgenden Entscheidungen hat der 1. Senat Kriterien aufgezählt, aus deren Vorliegen (wie auch immer der Vertrag lautete) auf solche Absichten und demzufolge auf ein (reines) Differenzgeschäft geschlossen werden sollte. Dazu gehörten ein Mißverhältnis zwischen Einschuß und Höhe des Engagements bzw. zwischen der Vermögenslage und der Höhe der eingegangenen Verpflichtungen oder eine bekannte Vermögenslosigkeit des Kommittenten oder ein handelsfremder Beruf. Bei Vorliegen derartiger Indizien ging von nun an das Reichsgericht davon aus, daß der als Kaufvertrag ausgestaltete Terminkontrakt nur simuliert war, in Wahrheit aber eine stillschweigende Willenserklärung über ein reines Differenzgeschäft vorlag. Wir würden heute sagen, daß ein verstecktes Differenzgeschäft vorlag. 37 Das Reichsgericht hat, wohlgemerkt, nichts an dem alten Grundsatz geändert, wonach „reine Differenzgeschäfte", weil sie Glücksspiele bzw. Wetten seien, unklagbar waren. Es hat „nur" die Maßstäbe für die Beweisanforderungen für das Vorliegen eines „reinen Differenzgeschäfts" verändert. Aber das war schon von tiefgreifender Wirkung. Plötzlich mußten bzw. konn-

36 Zum Nachfolgenden Wolter, Termingeschäftsfähigkeit, S. 49-57 und 84-88. 37 Schwark, Eberhard, Börsengesetz. Kommentar zum Börsengesetz und zu den börsenrechtlichen Nebenbestimmungen. - München: C. H. Beck 19942, S.480.

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ten viel mehr Spekulanten damit rechnen, daß von ihnen a b g e s c h l o s s e n e G e s c h ä f t e unter U m s t ä n d e n nicht klagbar waren. Das w a r - w i e o b e n s c h o n a u s g e f ü h r t 3 8 - für G e s c h ä f t e innerhalb der Börse ohne B e d e u t u n g , weil Streitfälle dort ohnehin nicht vor die Gerichte g e b r a c h t wurden. Aber Privatpersonen hatten nun größere C h a n c e n , sich d u r c h E r h e b u n g des Spieleinw a n d s folgenlos allen Verpflichtungen zu entziehen. D a g e g e n konnten Bankiers u n d Händler mit Rücksicht auf die in ihren Kreisen h e r r s c h e n d e n Vorstellungen von kaufmännischer Ehre d e n Spieleinwand nach wie vor nicht e r h e b e n . Termingeschäfte, an d e n e n Privatleute beteiligt waren, wurden, a u c h weil Gerichte nicht einheitlich e n t s c h i e d e n , für die professionellen Händler z u m unkalkulierbaren Risiko. Faktisch mußte das darauf hinauslaufen, das breite, weniger v e r m ö g e n d e Publikum v o m Termingeschäft auszuschließen. Die E n t s c h e i d u n g d e s Reichsgerichts vom März 1892 und die f o l g e n d e R e c h t s p r e c h u n g waren heftig umstritten. 3 9 Zu den führenden Kritikern gehörte der Senatspräsident a m Reichsgericht Heinrich Wiener, Mitglied d e s 1. Zivilsenats bis 1891. Seine Kritik 4 0 löste eine spezielle Kontroverse mit d e n Reichsgerichtsräten Alexander Leist und Otto Bähr aus. 4 1 D o c h setzte sich die neue R e c h t s p r e c h u n g d e s Reichsgerichts in w e n i g e n Jahren d u r c h . 4 2 A u c h der 22. Deutsche Juristentag 1893 rückte, als er die Frage diskutierte „Wie soll die G e s e t z g e b u n g Differenzgeschäfte behandeln, bei d e n e n die effektive Erfüllung a u s g e s c h l o s s e n wird?" von seinen früheren B e s c h l ü s s e n 4 3 a b u n d vollzog die W e n d e mit. Nicht zuletzt unter d e m Eind r u c k der Referate so b e d e u t e n d e r Juristen wie Karl Cosack, Heinrich Brunner u n d Otto Gierke begrüßte die Mehrheit der a n w e s e n d e n Juristen die neuen E n t s c h e i d u n g e n des Reichsgerichts. Sie stimmte einem A n t r a g zu, d e m z u f o l g e Differenzgeschäfte a u c h d a n n nicht klagbar sein sollten, w e n n die wirkliche Erfüllung von d e n Vertragschließenden nur stillschweig e n d a u s g e s c h l o s s e n wurde 4 4

38 Oben, S.30. 39 Zur Reaktion auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts nach der Wende von 1892 vgl. Wolter, Termingeschäftsfähigkeit, S. 71 -81. 40 Wiener, Differenzgeschäft. Zu Heinrich Wiener vgl. den Eintrag im Personenverzeichnis, unten, S. 1030. 41 Leist, Differenzansprüche; Bähr, Börsenspiel. 42 Nicht alle unteren Gerichte beugten sich sogleich. Insbesondere hat das von kaufmännischen Anschauungen ausgehende Oberlandesgericht Hamburg noch längere Zeit zäh und geschickt die ältere, dem Differenzeinwand abgeneigte Auffassung verfochten. Fleck, Ernst, Die Börse und das Reichsgericht, in: Monatsschrift für Handelsrecht und Bankwesen, Steuer- und Stempelfragen, hg. von Paul Holdheim, N. F., 8. Jg., Nr. 7 vom 8. Juli 1899, S. 157. 43 Siehe oben, S.31. 44 Wolter, Termingeschäftsfähigkeit, S. 87.

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Die Gefahr, daß durch die Entscheidung des Reichsgerichts auf dem Wege des Zivilrechts der Terminhandel in seiner Substanz getroffen werden könnte, ohne daß zwischen wirtschaftlich nützlichen Geschäften und rein spekulativem Handel ein Unterschied gemacht wurde, hat die Diskussion über alternative Wege zur Einschränkung offenkundiger Gefahren und Mißbräuche im Termingeschäft belebt. 45 Derartige Maßnahmen forderten freilich Entscheidungen des Gesetzgebers. Ohnehin war es nicht selbstverständlich, daß das höchste Gericht quasi als Gesetzgeber tätig war. So gab es viele Gründe, die Lösung der umstrittenen Fragen nun dem Gesetzgeber zu überlassen. Dazu war mit der Einberufung der Börsenenquetekommission am 6. April 1892 (kurz nach der eben besprochenen Entscheidung des Reichsgerichts) 46 schon ein Weg gewiesen, sollte diese Kommission doch über das Börsentermingeschäft beraten und gegebenenfalls Vorschläge machen. Daß die Regelung in einem Börsengesetz erfolgen sollte, lag umso näher, als die mit der Vorbereitung des neuen Handelsgesetzbuches und des BGB befaßten Kommissionen ausdrücklich davon Abstand genommen hatten, Bestimmungen zum Termingeschäft in diese Gesetzbücher aufzunehmen. 47 III. Der Gesetzgebungsprozeß

1891 - 1896]

1. Die Börsenenquete und erste Entwürfe zum Börsen- und bis 1895

Depotgesetz

Unter dem Eindruck der Petitionen, die über den Reichstag an den Reichskanzler gelangten, und der oben beschriebenen Skandale an Warenterminmärkten 2 begannen im August 1891 im preußischen Handelsministerium Vorbereitungen für Entscheidungen darüber, ob das Reich oder die einzelnen Länder Börsengesetze erlassen sollten und welchen Inhalt diese haben müßten. Es wurde als nötig erachtet, vor den Beschlüssen noch Sachverständige über die Verhältnisse an den Warenterminbörsen zu befragen. 3 Als schon eine Enquetekommission zur Untersuchung der Mißstände an den 45 Speziell diskutiert wurde über die Beschränkung des zu Termingeschäften befugten Personenkreises bzw. die Anwendung strafrechtlicher Mittel. 46 Oben, S.64f. 47 Vgl. Jakobs, Horst Heinrich, und Werner Schubert (Hg.), Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen. Recht der Schuldverhältnisse III. - Berlin: Walter de Gruyter 1983, S.454-456; Wolter, Termingeschäftsfähigkeit, S. 95-99. 1 Zum Folgenden siehe die ausführlichen Darstellungen bei Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S. 89-236; Schulz, Das deutsche Börsengesetz, S. 183-573. 2 Oben, S. 59 und 61. 3 Schulz, Das deutsche Börsengesetz, S. 72-76.

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Warenbörsen einberufen werden sollte, lenkten Anfang November 1891 die Zusammenbrüche mehrerer Banken und die dabei zutage tretenden, zum Teil kriminellen Handlungen den kritischen Blick des durch die Kursstürze ohnehin beunruhigten Publikums auch auf die Wertpapierbörsen. Selbst der Kaiser ließ in einem Interview seine Sorge erkennen und übermittelte über sein Zivilkabinett den Wunsch, das Staatsministerium möge beraten, ob den infolge der Bankzusammenbrüche zutage getretenen, mit der Börse verbundenen Mißständen auf administrativem oder legislativem Wege begegnet werden könne. 4 Mit Ausnahme der Freisinnigen und der Sozialdemokraten wurden auch Abgeordnete aller Parteien des Reichstags aktiv. Am 19./20. November 1891 wurden zwei Anträge im Reichstag eingebracht. Von insgesamt 396 Abgeordneten forderten 189 Abgeordnete der Konservativen, der Reichspartei und des Zentrums die Vorlage eines Gesetzes noch in der laufenden Legislaturperiode. Mit ihm sollten dem „Mißbrauch des Zeitgeschäfts als Spielgeschäft [...] namentlich in den für die Volksernährung wichtigen Artikeln" entgegengetreten und die Börsen allgemein einer wirksamen Staatsaufsicht unterstellt werden. 5 19 Nationalliberale forderten Gesetzesvorlagen, die vor allem die Konsequenzen aus den bekannt gewordenen Depotveruntreuungen 6 ziehen, darüber hinaus aber auch dem „Börsenspiele sowohl an der Produkten- als auch an der Effektenbörse" entgegentreten sollten. 7 Als am 29. November 1891 das preußische Staatsministerium unter Vorsitz des Ministerpräsidenten und Reichskanzlers Leo von Caprivi zusammentrat, berichtete Handelsminister Freiherr von Berlepsch, daß in den zuständigen Ministerien bereits an einem Gesetzentwurf zur Beseitigung der Mängel im Bankdepotwesen gearbeitet werde. Er könne alsbald vorgelegt werden. Dagegen war man allgemein der Meinung, daß man über die Verhältnisse an den Börsen viel zu wenig wisse, um eine sofortige Regelung in Angriff nehmen zu können. Der Staatssekretär im Reichsamt des Innern Karl Heinrich von Boetticher sollte die Organisation einer Börsenenquete in die Wege leiten. Im Amt selbst war die Durchführung einer Enquete nicht unumstritten, so daß sich keiner der dortigen Spitzenbeamten zur Leitung der Kommission bereit finden mochte. Später übernahm der Präsident des Direktoriums der Reichsbank, Richard Koch, den Vorsitz. Als wichtiger Promotor der Enquete fungierte der Geheime Oberregierungsrat Karl Gamp. In seiner Doppelfunktion als Referent für Börsenfragen im preußischen Han4 Schreiben des Geheimen Zivilkabinetts vom 10. Nov. 1891, BA Potsdam, Reichskanzlei, Nr. 572, Abschrift: Protokoll der Sitzung des königlichen Staatsministeriums, Bl. 100. 5 Antrag vom 19. Nov. 1891, in: Sten.Ber., Band 124, Nr. 528, S.2860f. 6 Vgl. den Editorischen Bericht zu Weber, Depotgesetz, unten, S. 870. 7 Antrag vom 20. Nov. 1891, In: Sten.Ber., Band 124, Nr. 531, S. 2866.

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delsministerium (bis Oktober 1895) und als Reichstagsabgeordneter für die konservative Reichspartei verfügte er zugleich über Sachkenntnis und Einfluß. Auch weil er als Vertreter agrarischer Interessen bekannt war, konnte von dieser Seite kaum der Vorwurf erhoben werden, die Einberufung der Enquete diene vorzugsweise der Verschleppung gesetzlicher Regelungen. Aber die Gegner einer Börsenreform konnten sich in der Hoffnung wiegen, daß nach Abklingen der öffentlichen Erregung kein Druck mehr bestehen würde, welcher radikale Eingriffe politisch notwendig erscheinen ließ. In den folgenden Monaten wurden die Mitglieder der Enquetekommission von den Regierungen der Bundesländer, in denen es Börsen gab, von einigen Reichsressorts und preußischen Ministerien vorgeschlagen oder aber so auch die Vertreter der Wissenschaft - vom Reichsamt des Innern direkt ernannt. Sachverstand war nicht das einzige Kriterium der Auswahl. Auch auf eine Ausbalancierung der Gewichte vermeintlicher Freunde und Gegner der Börse war zu achten. Hierauf und auf den Wunsch, in Hinblick auf die spätere Gesetzgebung Parlamentarier miteinzubinden, ist auch die Ernennung von vier Reichstagsabgeordneten zurückzuführen. Mit Ausnahme der Sozialdemokraten waren nun alle großen Parteien schon in die Enquete einbezogen. Allerdings war die Mitarbeit der schließlich 28 Mitglieder recht unterschiedlich. 8 Die ständig wechselnde Präsenz der Mitglieder dürfte bei den Abstimmungen über die Reformvorschläge zu Zufallsmehrheiten geführt haben. Die Börsenenquetekommission tagte vom 6. April 1892 bis zum 11. November 1893 unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Anhand eines im preußischen Handelsministerium ausgearbeiteten Fragebogens 9 vernahmen die Vorsitzenden 115 Sachverständige. Außerdem sammelte die Kommission ein umfangreiches Material über die Börsen im In- und Ausland. In zwei Lesungen erarbeitete sie schließlich Reformvorschläge. In einem Bericht erläuterte sie ihre Vorschläge 10 und überreichte diesen samt den Materialien dem Reichskanzler. Zu Beginn des Jahres 1894 wurde er dem Bundesrat und dem Reichstag zur Kenntnisnahme zugeleitet. Das Echo auf die Vorschläge der Börsenenquetekommission war - wie nicht anders zu erwarten - lebhaft. Sie wurden von Gegnern und Anhängern der Börse aus den unterschiedlichsten Gründen kritisiert, zum Teil radikal

8 Vgl. die Liste der Mitglieder, unten, S. 191 f. Fast an jeder Sitzung nahmen die folgenden Mitglieder teil: Der Vorsitzende, Reichsbankpräsident Richard Koch, sein Stellvertreter Karl Gamp, der Senatspräsident am Reichsgericht Heinrich Wiener sowie die Berliner Kaufleute Adolf Frentzel und Ernst Mendelssohn-Bartholdy. 9 Den Fragebogen haben Richard Koch und Karl Gamp erstellt. Sten.Ber., 9. Jan. 1896, Band 143, S.221. Er Ist unten, S. 931-936, abgedruckt. 10 Diese sind unten, S. 937-959, abgedruckt.

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verworfen. 11 Was liberale Wirtschaftspolitiker und die am Börsengeschäft unmittelbar interessierten Kreise bei Einsetzung der Börsenenquetekommisslon gehofft hatten, daß sich nach einiger Zeit der 1891 entfachte Sturm wieder legen werde, war nicht eingetreten. Schon während der Arbelt der Enquetekommission hat sich der Ton der Auseinandersetzungen noch einmal beträchtlich verschärft. Dazu trug eine Reihe von Umständen bei. 12 Der nach Bismarcks Sturz (März 1890) von Reichskanzler Leo von Caprivi eingeschlagene „Neue Kurs" führte nicht zu der angestrebten innenpolitischen Befriedung, sondern zu neuen außen- und innenpolitischen Konflikten. Um einen für 1892 befürchteten Zollkrieg zu vermelden und zugleich sicherheitspolitischen Risiken zu begegnen, strebte Caprivi den alsbaldigen Abschluß neuer Handelsverträge an. Sie waren allerdings nur um den Preis von Zollsenkungen, speziell für Agrarprodukte, zu haben. Was die Agrarier befürchteten, sprach der Kanzler am 10. Dezember 1891, als die ersten Handelsverträge 13 im Reichstag beraten wurden, direkt an. Es ging um nichts weniger als eine Wende der deutschen Wirtschaftspolitik mit tiefgreifenden Implikationen für die politische Ordnung. Die Landwirtschaft sollte nicht mehr im gleichen Maße wie unter Bismarck Priorität genießen. 14 Der Protest der Sprecher der Landwirtschaft hielt sich an der Jahreswende 1891/92 noch in Grenzen, nicht zuletzt well die betreffenden Länder keine große Konkurrenz darstellten und weil die Agrarpreise auf einem Hoch angelangt waren. Als aber Im Verlauf des Jahres 1892 die Getreideprelse im Zusammenhang mit besseren Ernten und einer wachsenden Einfuhr aus Übersee in beängstigendem Tempo sanken und Caprivi auch mit Rumänien und Rußland Handelsverträge abschließen wollte, wurden die Agrarier zu wütenden Gegnern seiner Politik. Eine breite Protestbewegung formierte sich. Ihr organisatorisches Zentrum wurde der im Februar 1893 gegründete Bund der Landwirte, ein Interessenverband neuen Typs.15 Er nahm massiv

11 Vgl. hierzu Schulz, Das deutsche Börsengesetz, S. 99-125; Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S. 214-224. 12 Siehe zum Folgenden auch Mommsen, Einleitung, MWG I/4, S.2-5. 13 Handelsverträge mit Österreich-Ungarn, Italien, Belgien und der Schweiz. 14 Vgl. Born, Wirtschafts- und Sozialgeschichte (wie oben, S.58, Anm. 13), S. 129ff.; Weitowitz, Politik und Handelspolitik (wie oben, S. 61, Anm. 26). 15 Vgl. Puhle, Hans-Jürgen, Agrarische Interessenpolitik und preußischer Konservatismus im wilhelminischen Reich (1893-1914). Ein Beitrag zur Analyse des Nationalismus in Deutschland am Beispiel des Bundes der Landwirte und der Deutsch-Konservativen Partei. - Hannover: Verlag für Literatur und Zeitgeschehen 1967; Frlcke, Dieter, und Edgar Hartwig, Bund der Landwirte (BdL) 1893-1920, in: Dieter Fricke u.a. (Hg.), Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland (1789-1945), Band 1. - Köln: Pahl-Rugenstein 1983, S. 241-252.

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Einfluß auf die gesamte Politik. 16 Er unterstützte, ja formierte zum Teil die konservativen und antisemitischen Parteien, betrieb eine geschickte Öffentlichkeitsarbeit und intervenierte durch seine führenden Mitglieder direkt in Ministerien, Ämtern und Kommissionen. Die Agitation zielte auch verstärkt auf die Börse. Auf der Gründungsversammlung des Bundes der Landwirte wurde in den Katalog der Ziele auch das folgende aufgenommen: „Schärfere staatliche Beaufsichtigung der Produktenbörse, um eine willkürliche, Landwirtschaft und Konsum gleichmäßig schädigende Preisbildung zu verhindern." 1 7 Daß hinsichtlich der Börsengeschäfte Forderungen nach repressiven Maßnahmen über die Parteien hinweg populär waren, zeigte sich an der Jahreswende 1892/93 in der Debatte des Reichstags über die Gewinnung neuer Finanzmittel für die geplante Vergrößerung des Heeres. Während zahlreiche Vorschläge zur Einführung neuer Abgaben oder zur Erhöhung bereits bestehender Steuern auf heftigen Widerstand trafen, gab es nur geringen Widerstand gegen die von der Regierung geforderte Erhöhung der Abgaben auf Wertpapierumsätze und eine stärkere Besteuerung der Wertpapieremission. 18 Zu Beschlüssen kam es jedoch noch nicht, weil der Reichstag die Heeresverstärkung ablehnte und deshalb aufgelöst wurde. Bei den im Juni 1893 stattfindenden vorgezogenen Neuwahlen waren auch die Börsen Thema des Wahlkampfs. Die Wahlen brachten den Linksliberalen, die den zollpolitischen Kurs Caprivis unterstützt und sich als einzige entschieden für die Freiheit der Börsen von steuerlichen Belastungen und staatlicher Bevormundung eingesetzt hatten, ein Debakel. Die Zahl ihrer Abgeordneten wurde nahezu halbiert. 19 Die Antisemiten, heftige Gegner der Börsen, erreichten den maximalen Stimmenanteil im Kaiserreich und zogen mit 16 Abgeordneten in den Reichstag ein. Währenddessen setzte sich der weltweite Niedergang der Getreidepreise fort. Sie erreichten zuvor nicht erlebte Tiefstände. Im Sommer 1893 brach der befürchtete Zollkrieg mit Rußland aus, der den Abschluß eines neuen Handelsvertrages auch in Hinblick auf die außenpolitische Lage zur absoluten Notwendigkeit machte.

16 Max Weber hatte für die Existenz des Bundes der Landwirte als Interessenvertretung durchaus Verständnis; vgl. Weber, Die deutschen Landarbeiter. Korreferat und Diskussionsbeitrag auf dem fünften Evangelisch-sozialen Kongreß, MWG I/4, S. 331f. 17 Vgl. Fricke/Hartwig, BdL, (wie Anm. 15), S. 244. 18 In der Debatte warb der leitende Mann der Deutschen Bank, Georg Siemens, als Abgeordneter des Freisinns am 19. Januar 1893 um Verständnis für die Börse und das „mobile Kapital" u.a. mit den folgenden Worten: „Ich möchte die Rolle des mobilen Kapitals geradezu mit derjenigen vergleichen, welche der Generalstab einer Armee in dem Soldatenkrieg einnimmt." Sten.Ber., 19. Jan. 1893, Band 127, S.583. 19 Nipperdey, Thomas, Deutsche Geschichte 1866-1918, Band 2. - München: C. H. Beck 1992, S. 507. Ritter, Gerhard A., Wahlgeschichtliches Arbeitsbuch. Materialien zur Statistik des Kaiserreichs 1871-1918. - München: C. H. Beck 1980, S.38ff.

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Als am Jahresende 1893 die Börsenenquetekommission ihren Bericht veröffentlichte, war der Reichstag sowohl in die Beratung der aufgeschobenen Erhöhung der Börsensteuer als auch der Handelsverträge mit Rumänien und Rußland eingetreten. Nur mit knapper Not erhielten die Handelsverträge im März 1894 gegen den nahezu geschlossenen Widerstand der Agrarier eine Mehrheit. Umso größer waren die Mehrheiten für die Erhöhung der Börsensteuer, der einzigen nennenswerten Mehreinnahme für das Reich, auf die sich die Abgeordneten damals verständigen konnten. Der antisemitische Abgeordnete Max Hugo Liebermann von Sonnenberg meinte, daß eine „Reform der Börse an Haupt und Gliedern n o t w e n d i g e r ist als eine neue Börsensteuer", der er freilich zustimmte, „je höher, desto besser". 20 Versuche aus den Reihen des Zentrums, Differenzgeschäfte durch hohe Steuersätze „zum Verbluten, zum Absterben" zu bringen, gar den Steuersatz für Termingeschäfte in Getreide und Mehl zu verfünffachen, scheiterten. 21 Doch beschloß der Reichstag in Verbindung mit der zweiten und dritten Lesung des Reichsstempelgesetzes 22 auf Antrag des Mitglieds der Börsenenquetekommission Ludwig von Cuny und etlicher seiner nationalliberalen Fraktionskollegen auch, „die verbündeten Regierungen zu ersuchen, auf Grund der Ergebnisse der Börsenenquete ein Börsengesetz thunlichst bald vorzulegen." 23 Die umstrittenste Teilaufgabe eines solchen Gesetzes, nämlich die Regulierung der Getreidebörsen und ihrer Geschäfte, wäre hinfällig geworden, wenn ein von dem Grafen Kanitz am 7. April 1894 im Reichstag eingebrachter Antrag auf Errichtung eines Reichshandelsmonopols für Getreide angenommen worden wäre. 24 Der Antrag war die Reaktion der Agrarier darauf, daß nach Abschluß der von ihnen bekämpften Handelsverträge auf lange Zeit nicht mit einer Anhebung der Getreidezölle zu ihren Gunsten zu rechnen sein würde. Demgegenüber hofften sie, daß ein Getreidehandelsmonopol die ausländische Konkurrenz fernhalten könnte und gestatten würde, die Inlandspreise - die bis 1894 gegenüber 1891 auf fast die Hälfte gefallen waren - drastisch anzuheben. 25 Die Reichsregierung und eine überwältigende Mehrheit des Reichstages lehnten den Antrag ab. Dessenungeach20 Vgl. Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S.238f. 21 Ebd., S. 239. 22 Vgl. den Eintrag „Börsensteuergesetz" im Glossar, unten, S. 1037. 23 Sten.Ber., 7. und 19. April 1894, Band 135, S. 1991-1998 und 2286, Band 137, Nr. 284, S. 1394. 24 Zum „Antrag Kanitz" und zu seinen Wiederholungen vgl. Puhle, Agrarische Interessenpolitik (wie oben, S.69, Anm. 15), S. 230-232; Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band 4. - Stuttgart u.a.: W. Kohlhammer 19822, S. 10791082. 25 Die von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft seit 1960 praktizierte Agrarmarktordnung hat große Ähnlichkeit mit dem von Grat Kanitz geforderten Handelsmonopol.

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tet wurde er mit gewissen Modifikationen im Frühjahr 1895 neuerlich eingebracht, wegen des Endes der Sitzungsperiode aber nicht mehr behandelt. Im Dezember 1895 wurde er - wieder etwas verändert - zum dritten Male dem Reichstag zur Entscheidung vorgelegt. Kurz nach der ersten Lesung des Börsengesetzentwurfs ist der Antrag Kanitz am 17. Januar 1896 endgültig abgelehnt worden. Das hatte erhebliche Konsequenzen für die Beratungen des Börsengesetzes. Der Antrag Kanitz stellte in der Sicht des Bundes der Landwirte das erste der „großen Mittel" dar, mit denen man die Lage der Landwirtschaft verbessern wollte. Das zweite „große Mittel" sah der Bund in der Doppelwährung. Gold und Silber sollten in ein festes Wertverhältnis gesetzt werden. Die Forderung wurde in den 1880er und 1890er Jahren in vielen Ländern erhoben und war auch keine spezifisch agrarische. 26 Aber die Agrarier machten sie sich in besonders radikaler Weise zu eigen, weil sie sich von der dann leichteren Ausdehnung der Geldmenge und dem dadurch ausgelösten Preisauftrieb eine Senkung ihrer realen Schuldenlast und eine Erhöhung ihrer Absatzpreise erwarteten. Das Schlagwort „die deutsche Landwirtschaft oder die Goldwährung" erwies sich als politisch eindrucksvolle Parole.27 Aber trotz eines gewissen Entgegenkommens der Regierung 28 und auch der prinzipiellen Zustimmung vieler Abgeordneter im Reichstag 29 scheiterte der Bund der Landwirte auch mit diesem „großen Mittel". Sondierungen im Ausland hatten ergeben, daß eine weitere internationale Konferenz nach den bisher schon ergebnislos verlaufenen zwecklos wäre. Umso größere Hoffnungen verband der Bund der Landwirte mit dem dritten „großen Mittel", das erst auf der 3. Generalversammlung am 18. Februar 1896 formuliert wurde: das Verbot des Differenzspiels in Getreide- und Mühlenfabrikaten. 30 Der Börsengesetzentwurf wurde verworfen. In den folgenden Wochen entfaltete der Bund ein propagandistisches Trommelfeuer,

26 Zur zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskussion vgl. Lexis, Wilhelm, Doppelwährung, in: HdStW3 3, S. 557-559. Zur neueren wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion Bordo, Michael D., Bimetallism, in: The New Palgrave (wie oben, S.44, Anm. 68), Band 1, S. 243-245. 27 Vgl. Borchardt, Währung und Wirtschaft (wie oben, S. 58, Anm. 15), S. 36-39. 28 Auf Veranlassung der Reichsregierung hatte bereits vom 22. Februar bis zum 6. Juni 1894 eine „Kommission behufs Erörterung von Maßregeln zur Hebung und Befestigung des Silberwertes", die sog. Silberkommission, getagt. In ihr ist eine Einigung über Währungsfragen nicht erzielt worden. 29 Der Reichstag forderte mit Beschluß vom 16. Februar 1895 die Regierung auf, zu einer Münzkonferenz zwecks internationaler Regelung der Währungsfrage einzuladen. 30 Resolution vom 18. Februar 1896, in: Kiesenwetter, Otto von, Zum 18. Februar 1903. Zehn Jahre wirtschaftspolitischen Kampfes. Historische Darstellung der Gründung, des Werdegangs und des bisherigen Wirkens des Bundes der Landwirte. - Berlin: [ohne Verlag] 1903, S. 88.

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als hinge das Schicksal der Landwirtschaft vom Verbot des Getreideterminhandels ab. Aber es ging ihm nicht nur um die Produktenbörse. Massive staatliche Interventionen an der Wertpapierbörse und im Kapitalverkehr mit dem Ausland sollten die ökonomische Basis des zunehmend verhaßten kapitalistischen Systems schwächen, dessen Vertreter aus Banken und Börsen sich in der Vergangenheit am entschiedensten den politischen Anliegen der Agrarier widersetzt hatten. Der am 3. Dezember 1895 vom Bundesrat im Reichstag eingebrachte Entwurf eines Börsengesetzes war das Ergebnis eines etwa zweijährigen Beratungsprozesses in den Ressorts des Reiches und der Bundesstaaten, vornehmlich Preußens.31 Auf einer Konferenz im Juli 1894 erörterten die zuständigen Minister und Beamten die Ergebnisse der Börsenenquete. Danach wurden im Reichsamt des Innern „Grundzüge eines Entwurfs zu einem Reichsbörsengesetz" formuliert. Diese wurden im Oktober 1894 in einer mehrtägigen Konferenz unter den Beauftragten des Reiches und der Länder zum Teil kontrovers diskutiert. Dabei vertraten vor allem Bayern und die Hansestädte eine liberale Linie. Sie wünschten möglichst keine reichseinheitliche Lösung oder aber tunlichst wenige Eingriffe. Der insbesondere von den Agrariern lebhaft betriebene Rücktritt des Reichskanzlers Leo von Caprivi am 26. Oktober 1894 und die Ernennung des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst zum Kanzler und preußischen Ministerpräsidenten beeinflußte auch die weiteren Arbeiten am Börsengesetzentwurf. Der neue Kanzler zeigte sich für etliche Anliegen der Agrarier, selbst für Autarkiepläne, aufgeschlossener. Im Dezember 1894 kündigte er die Vorlage eines Börsengesetzentwurfs noch für die laufende Sitzungsperiode an. Dazu ist es nicht gekommen, denn ein im Reichsamt des Innern gefertigter Entwurf befand sich noch in der Beratung der preußischen Ressorts. Die letzten offenen Fragen wurden am 4. März 1895 in der Sitzung des preußischen Staatsministeriums geklärt. Nunmehr ging der Entwurf als Antrag Preußens an den Bundesrat. Bei den Beratungen brachten Bayern und Hamburg zahlreiche Anträge ein, die auf eine Milderung der Eingriffe und eine Erweiterung der Kompetenzen der Länder hinausliefen. Dem entgegnete der Vertreter des Reichsamts des Innern bezeichnenderweise mit dem Argument, daß der Entwurf „das mindeste sei, was den Agrariern angeboten werden müsse, da diese auf dem Gebiete der Börsenreform ebenso ungestüm seien, wie auf anderen Gebieten." Am 30. Mai stimmte der Bundesrat mit Mehrheit dem nur geringfügig veränderten Entwurf zu. 32 Zwei Tage darauf erfolgte die Bekanntgabe des Börsengesetzentwurfs gleichzeitig mit dem Depotgesetzentwurf im Reichsanzeiger.

31 Ausführlich hierzu Schulz, Das deutsche Börsengesetz, S. 125-147. 32 Ebd., S. 141-147.

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Der erste Entwurf eines Depotgesetzes war im Frühjahr 1892 im preußischen Handelsministerium fertiggestellt worden. Darauf hatte der Bundesrat ihn zur Beschlußfassung erhalten. Der Entwurf wurde noch mehrfach geändert, bis er, 14 Paragraphen umfassend, unter der Benennung „Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Pflichten der Kaufleute bei Aufbewahrung fremder Werthpapiere" mit der Begründung im Reichsanzeiger veröffentlicht wurde. 33 Der Entwurf des Börsengesetzes lehnte sich relativ eng an die Vorschläge der Börsenenquetekommission an. In folgenden, zum Teil schon in der Börsenenquetekommission umstrittenen Punkten wich er von ihnen ab: 1.) Ein „Staatskommissar" sollte als Hilfsperson der Börsenaufsicht beobachtend und berichtend tätig sein. 2.) Ein „Börsenausschuß" sollte dem Bundesrat bei Ausübung seiner Befugnisse als Sachverständigenorgan beratend zur Verfügung stehen. 3.) Im ehrengerichtlichen Verfahren sollte es eine Berufungskammer geben. 4.) Auch für die Gültigkeit von Wertpapiertermingeschäften sollte es der Eintragung in das Börsenregister bedürfen. 5.) Im (nicht grundsätzlich eingeschränkten) Produktentermingeschäft sollte der Verkäufer bei Andienung unkontraktlicher Ware sofort in Verzug geraten, auch wenn die Erfüllungsfrist noch nicht abgelaufen war. Noch bevor der Bundesrat den Börsengesetzentwurf förmlich im Reichstag einbrachte, schienen im Herbst 1895 skandalöse Vorgänge an der Berliner Getreidebörse und in deren Umfeld alle Behauptungen der Agrarier zu bestätigen. Mittels kreditfinanzierter Termingeschäfte in Verbindung mit zweifelhaften Lieferungs- und Lagergeschäften vermochte die Firma Cohn & Rosenberg durch ihre Manipulationen nachweislich eine Preissenkungstendenz am Markt für etwa drei Wochen zu verschärfen - nicht zuletzt um sonst gefährdete spekulative Geschäfte aufgehen zu lassen. Für die Agrarier war der Nachweis einer, wenn auch nur vorübergehend erfolgreichen Manipulation des Berliner Roggenpreises durch ein jüdisches (!) Unternehmen ein Glücksfall. Die Berufung auf diesen Fall in zahlreichen Reden trug in den folgenden Monaten wesentlich zur Erhöhung der Plausibilität der Forderung nach einem Verbot bei. Der Skandal machte auch die Regierung darüber unsicher, ob man das Gesetz mit seinen relativ milden Bestimmungen zum Termingeschäft noch werde durchbringen können. Eine Überprüfung brachte aber das Ergebnis, daß das geplante Gesetz Mittel in die Hand gebe, um derartige Manipulationen zu unterbinden.

33 Entwurf: Depotgesetz 2.

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Einleitung 2. Beratung

und Verabschiedung

des Börsen-

bzw. Depotgesetzes

1896

A m 3. D e z e m b e r 1895 eröffnete der Reichskanzler die neue Sitzungsperio d e d e s 1893 gewählten Reichstags mit der Verlesung der Thronrede des Kaisers. Die wichtigsten Projekte des Reichstags sollten die Beratung und V e r a b s c h i e d u n g d e s Bürgerlichen G e s e t z b u c h e s und die gesetzliche Reg e l u n g des Börsenwesens sein. Die vom Kaiser bzw. d e m Kanzler g e g e b e ne B e g r ü n d u n g d e s Börsengesetzes ließ vermuten, daß es v o r n e h m l i c h um die Beseitigung negativer A u s w i r k u n g e n der Börsenpreisbildung auf die Landwirtschaft ginge. A m gleichen Tage w u r d e n die Entwürfe des Börsenu n d des D e p o t g e s e t z e s d e m Reichstag zugeleitet. Vom 9. bis 11. Januar 1896 f a n d die erste Lesung statt. 3 4 Der preußische Handelsminister Hans Freiherr von Berlepsch erläuterte d e n Standpunkt u n d die Zielsetzung der v e r b ü n d e t e n Regierungen. Der Börsengesetzentwurf e n t s p r ä c h e im wesentlichen d e n Vorschlägen der B ö r s e n e n q u e t e k o m mission u n d sei nur in w e n i g e n Punkten geändert worden. Auf die in der Öffentlichkeit b e s o n d e r s kritisierten Punkte g i n g er speziell ein. Bezüglich des (Getreide-)Terminhandels führte er aus, daß dieser d o c h mehr Vor- als Nachteile mit sich bringe u n d daher nicht verboten werden solle. D o c h seien die v e r b ü n d e t e n Regierungen der Ansicht, daß der Terminhandel dort, w o er in unlösbarem W i d e r s p r u c h zu d e n Konsumenten u n d Produzenten stehe, g e g e b e n e n f a l l s (wie es der Entwurf vorsah) im V e r o r d n u n g s w e g e zu verbieten sei. B e r l e p s c h räumte einen g e w i s s e n Spielraum bei d e n Beding u n g e n für d e n Terminhandel ein, schloß d a b e i allerdings Erleichterungen praktisch aus. Der Minister ermahnte die A b g e o r d n e t e n , das Material der B ö r s e n e n q u e t e k o m m i s s i o n g r ü n d l i c h zu studieren u n d es sorgfältig anz u w e n d e n . Hinsichtlich des D e p o t g e s e t z e s führte er aus, daß dieses das Börsenspiel nur mittelbar einschränken werde. Es b e z w e c k e vor allem „die größere Sicherheit d e s Publikums g e g e n den Verlust deponirter Werthpapiere". 3 5 Die sich anschließende Generaldiskussion konzentrierte sich auf den Börsengesetzentwurf. Der Depotgesetzentwurf wurde, w e n n überhaupt, nur am Rande erwähnt. Die A u s s p r a c h e verlief zur allseitigen Ü b e r r a s c h u n g leidenschaftslos u n d in d e m B e m ü h e n um Sachlichkeit. Weil nur die Freisinnig e n g r u n d s ä t z l i c h e O p p o s i t i o n g e g e n den Entwurf ankündigten, d e n sie in einigen Punkten für zu w e i t g e h e n d , im übrigen aber für überflüssig hielten, stand a l s b a l d fest, daß es zu einem Gesetz auf der Basis des Entwurfs kommen würde. Mit A u s n a h m e der Sozialdemokraten u n d der Polen erklärten die Sprecher der Fraktionen aber auch, daß ihnen der Entwurf nicht weit

34 Sten.Ber., 9.-11. Jan. 1896, Band 143, S. 200-255 und 257-266. 35 Ebd., S. 201-203.

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g e n u g ginge. Für die Konservativen wollte Graf Kanitz die Staatskommissare mit größeren Vollmachten ausstatten, die Z u s a m m e n s e t z u n g d e s künftig e n B ö r s e n a u s s c h u s s e s u n d d e s Vorstands der Produktenbörse ändern, die U n a b h ä n g i g k e i t der Kursmakler stärken u n d die Z u l a s s u n g von Wertpapieren z u m Börsenhandel nicht in die H a n d einzelner Börsen, s o n d e r n einer zentralen Emissionsbehörde legen. Was d e n Börsenterminhandel betraf, m o c h t e er sich, vermutlich aus taktischen G r ü n d e n , 3 6 n o c h nicht festlegen. Als Sprecher der Reichspartei plädierte Karl G a m p , wie er es s c h o n in der B ö r s e n e n q u e t e k o m m i s s i o n getan hatte, für ein Verbot des börsenmäßigen Terminhandels in Aktien, die nicht international g e h a n d e l t wurden. L u d w i g von Cuny von d e n Nationalliberalen berichtete, daß ein Teil seiner Parteifreunde den Getreideterminhandel g a n z und gar unterdrücken wolle, ein anderer Teil es aber gemäß d e m Regierungsentwurf d e m Bundesrat überlassen wolle, o b der Terminhandel in Waren oder Effekten untersagt w e r d e n solle. 3 7 Der Z e n t r u m s a b g e o r d n e t e Alois Fritzen ließ ähnliche Mein u n g s u n t e r s c h i e d e bei seinen Parteifreunden erkennen, schloß sich aber persönlich G a m p in der Kritik am Terminhandel in Wertpapieren an u n d w ü n s c h t e die U n t e r d r ü c k u n g des K a m m z u g t e r m i n h a n d e l s u n d die Eins c h r ä n k u n g des Kaffeeterminhandels. H i n g e g e n s p r a c h er sich einstweilen g e g e n ein Verbot d e s Getreideterminhandels aus, erklärte aber seine Zustimmung, falls nach gründlicher Debatte feststehe, daß der Terminhandel mehr Nachteile als Vorteile hätte. 3 8 Für die Freisinnige Vereinigung 3 9 lehnte Alexander Meyer den v o r g e l e g ten Entwurf ab. Das Gesetz w e r d e nicht bewirken, w a s die Initiatoren sich erhofften. Dem Handel w e r d e es Nachteile bringen, kleinen Bankiers Schwierigkeiten m a c h e n , u n d die Großbanken w ü r d e n noch mehr G e w i n n erzielen. Man folge nur einer breiten Strömung, die w ü n s c h e , daß etwas getan w i r d . 4 0 - Otto Fischbeck von der Freisinnigen Volkspartei g i n g ausführlicher auf die volkswirtschaftliche B e d e u t u n g u n d Nützlichkeit d e s Börsenterminhandels ein. Ein Verbot w e r d e die Spekulation nicht verhindern, s o n d e r n zu A u s w ü c h s e n wie im Kassaspekulationshandel an der N e w Yorker Börse führen. 4 1 In d e n Volksversammlungen, die der B u n d der Landwirte u n d die hinter ihm s t e h e n d e n junkerlichen Großgrundbesitzer derzeit veranstalteten, spiele sich „ein g e w a l t i g e s Stück sozialen K a m p f e s " ab. Dieser

36 Hierzu Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S.258f. 37 Sten.Ber., 10. Jan. 1896, Band 143, S.226. 38 Ebd., S. 228-231. 39 Im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen über die Heeresverstärkung hatte sich 1893 die Deutsche Freisinnige Partei in die Freisinnige Vereinigung und die Freisinnige Volkspartei gespalten. 40 So ähnlich auch Weber, Terminhandel, unten, S. 613 mit Anm. 29. 41 So auch Weber, Terminhandel, unten, S. 600f. und 603f.

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Kampf sei der „des immobilen Kapitals gegen das mobile". In der Befürchtung zu geringer Unterstützung durch die Wähler bediene man sich des Antisemitismus. 42 Im Namen der Antisemiten polemisierte Max Hugo Liebermann von Sonnenberg gegen „Pfiffe und Kniffe der Börsenjobber", den „Saugschwamm der Börse" und die Gefahren „der verbündeten rothen und goldenen Internationale". Er bezeichnete den Gesetzentwurf als mangelhaft, denn er enthalte keine Definitionen der Begriffe Börse und Termingeschäft. So könne keine klare Grenze zwischen dem „soliden" Börsengeschäft und dem Differenz- und Wettgeschäft gezogen werden. Man könne nicht „so lange warten, bis alle Juristen über eine Definition einig" sind. Im übrigen sprach er sich für eine Verschärfung des Entwurfs aus, ohne konkrete Vorschläge zu machen. 43 Für die Regierung sprach der frühere Vorsitzende der Börsenenquetekommission, Reichsbankpräsident Richard Koch. Er warnte vor Verschärfungen, „weil sonst der Entwurf leicht gefährdet werden und nützliche Reformen unterbleiben könnten." 44 Tatsächlich lag es in der Hand des Bundesrats, bei Abänderungen in von ihm vorgelegten Gesetzentwürfen das ganze Vorhaben scheitern zu lassen. Die ausgesprochene Drohung w a r - w i e aus den Quellen über die Beratungen auf Regierungsseite über ein allfälliges Scheitern hervorgeht - nicht ohne Substanz. 45 Auf Antrag der Abgeordneten Ludwig von Cuny und Alois Fritzen wählte der Reichstag am 11. Januar 1896 die IX. Kommission, bestehend aus 21 Mitgliedern, und überwies ihr die Entwürfe des Börsen- und des Depotgesetzes zur Beratung. Es ergab sich, daß die Agrarier in der Kommission über eine Mehrheit verfügten. Der Gesetzentwurf wurde in zwei Lesungen in insgesamt 27 Sitzungen vom 16. Januar bis 21. März 1896 beraten. An den Lesungen nahmen auch sieben Vertreter und zehn Kommissare des Bundesrats teil. Sie brachten immer wieder Einwände gegen die Verschärfungsvorschläge der Kommissionsmitglieder vor - manchmal mit Erfolg. Karl Gamp, Berichterstatter der Kommission, legte am 24. März 1896 den Bericht und den, allerdings nur in Details veränderten und verschärften Börsengesetzentwurf 46 dem Reichstag vor.47 Die wichtigsten Beschlüsse der Kommission waren: a) das von Karl Gamp durchgesetzte Verbot des Börsenterminhandels in Anteilen von Bergwerks- und Industrieunternehmun-

42 Sten.Ber., 10. Jan. 1896, Band 143, S. 242-245. 43 Ebd., S.246f„ 251 und 253. 44 Ebd., S. 219. 45 Schulz, Das deutsche Börsengesetz, S. 161f. und 169-172. 46 Entwurf: Börsengesetz 2, S. 1474-1476 und 1479-1484. 47 Eine ausführliche Darstellung bei Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S . 2 6 1 292.

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gen (§ 47), 48 b) die Erweiterung der Kompetenzen des Staatskommissars der Regierungsentwurf hatte lediglich einen die Börsenvorgänge beobachtenden, nicht überwachenden Staatskommissar vorgesehen (§ 2), c) die Befugnis des Bundesrats, für bestimmte Geschäftszweige die Benutzung der Börseneinrichtungen zu untersagen oder von Bedingungen abhängig zu machen (§ 6) und d) eine Veränderung in der Zusammensetzung der Zulassungsstelle (§ 36). Einem Antrag, den Börsenterminhandel in Getreide und Mühlenfabrikaten gleichfalls zu verbieten, hatte die IX. Kommission zunächst zugestimmt, ihn dann jedoch abgelehnt, da eine Partei, vermutlich die Nationalliberale, ihre Zustimmung in zweiter Lesung zurückgenommen hatte. 49 Schon während der Verhandlungen der Kommission war es zu mannigfaltigen Kundgebungen gegen das Gesetzesvorhaben und gegen die Umstände seiner Behandlung im Reichstag gekommen. Resolutionen von ad hoc Versammlungen des Handelsstandes wendeten sich gegen die Gefahr der Knebelung der Börsen und die Verletzung der Ehre des Kaufmannsstandes. Auf der anderen Seite mobilisierte der Bund der Landwirte den Protest gegen die Rücknahme des Getreidehandelsverbots in der zweiten Lesung der IX. Kommission des Reichstags. Dem schloß sich nun auch der Deutsche Landwirtschaftsrat an, der zuvor nie eine diesbezügliche Meinung hatte erkennen lassen. Die Wirkung sollte sich in der zweiten und dritten Lesung des Reichstags zeigen. Als am 28. April 1896 die zweite Lesung begann, lagen den Abgeordneten neben dem Bericht und dem überarbeiteten Gesetzentwurf der IX. Kommission nur vier weitere Anträge vor. Die Zentrumsabgeordneten Eduard Fuchs und Wilhelm Schwarze forderten mit Unterstützung von fast der Hälfte der Fraktion (darunter die Zentrumsführer Carl Bachem und Adolf Gröber), den börsenmäßigen Terminhandel in Getreide und Mühlenfabrikaten zu untersagen. Graf Kanitz konzentrierte sich mit seinem Antrag auf drei andere Konfliktfelder: die Vertretung der Landwirtschaft in den Vorständen der Produktenbörsen, die Verhinderung einer Majorität der Vertreter des Handels und der Börsenorgane gegenüber denen von Landwirtschaft und Industrie im Börsenausschuß 50 und die Errichtung einer zentralen Stelle für

48 Die folgenden Paragraphenangaben beziehen sich auf den Entwurf: Börsengesetz 2 und entsprechen alle dem späteren Gesetz, vgl. unten, S.975f. und 982, mit Ausnahme des § 47. Er entspricht dem § 50 BörsG, unten, S. 986. 49 Entwurf: Börsengesetz2, S. 1482f. 50 Hierzu wurde vom freisinnigen Abgeordneten Otto Fischbeck ein Gegenantrag eingereicht, der die alte Fassung des Gesetzentwurfs wiederherstellen sollte, wonach die Börsenorgane zwei Drittel der Mitglieder des Börsenausschusses vorschlagen durften. Sten.Ber., Band 153, Nr. 302, S. 1684.

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die Zulassung ausländischer Wertpapiere. 51 In den Einzelerörterungen der folgenden Sitzungstage fand keiner der Änderungsvorschläge des Grafen Kanitz die Mehrheit des Hauses. Man folgte den Vorschlägen des Regierungsentwurfs, allenfalls mit den Änderungen, die die IX. Kommission vorgeschlagen hatte. Am dritten und vierten Tag der Lesung stand der umfangreiche Abschnitt IV des Börsengesetzes zum Börsenterminhandel zur Debatte. 52 Sie hatte nur ein Thema: das Verbot des Terminhandels in Getreide und Mühlenfabrikaten. Alle übrigen Paragraphen wurden praktisch ohne Diskussion angenommen. Aber der zentrale Konfliktpunkt weckte die Leidenschaften. Der Ausgang der Debatte schien zunächst noch offen zu sein. Alles mußte vom Stimmverhalten des Zentrums, der Nationalliberalen und der Reichspartei abhängen, in deren Fraktionen sich Vertreter unterschiedlicher Interessen befanden. Daß der erste Sprecher des Zentrums, der Abgeordnete Wilhelm Schwarze, seit langem gegen jeglichen Terminhandel war, wußte man. Er begründete seinen Antrag damit, daß sich dieses Anliegen inzwischen zur „Forderung der gesammten deutschen Landwirthschaft verdichtet" habe. 53 Er hielt diese Forderung freilich auch für berechtigt, weil der Terminhandel der Landwirtschaft nur Nachteile bringe. Warum der Antrag, den Getreideterminhandel zu verbieten, vom Zentrum und nicht - wie zu erwarten gewesen wäre - von den konservativen Agrariern kam, ergab sich aus der durch den Bund der Landwirte bewirkten, dramatisch veränderten Stimmungslage. Sie legte es den Mittelparteien mit landwirtschaftlicher Wählerschaft nahe, ihre noch bei der Ablehnung des Antrags Kanitz im Januar bewiesene Opposition gegen die Forderungen des Bundes der Landwirte nicht konsequent fortzusetzen. Andernfalls wären sie Gefahr gelaufen, zu viele Stimmen zu verlieren. Als auch Rudolf Bennigsen als Sprecher der Nationalliberalen im Namen der ganzen Fraktion - vermutlich aus den gleichen Gründen wie die Zentrumsführung - für das Verbot eintrat, war die Entscheidung gefallen. Auch die Splitterparteien schlössen sich dem Sog an. Gegen das Verbot sprachen - neben den Regierungsvertretern - nur die Sprecher der Freisinnigen Volkspartei und der Sozialdemokraten, Theodor Barth und Bruno Schoenlank. In der Abstimmung am 1. Mai ergab sich für den Antrag Fuchs-Schwarze eine Mehrheit von 200 Ja- gegen 39 Neinstimmen. 54 Viele Sozialdemokraten waren wegen der Maifeiern der Abstimmung ferngeblieben. In der dritten Lesung am 5. und 6. Juni 1896 lag der Schwerpunkt der Debatte nochmals bei dem Verbot des Getreideterminhandels. Die Befür51 52 53 54

Ebd., Nr. 297, S. 1670. Sten.Ber., 30. April-1. Mai 1896, Band 145, S. 2035-2062. Ebd., 30. April 1896, S.2035. Die namentliche Abstimmung, ebd., 1. Mai 1896, S. 2060-2062.

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worter der Mittelparteien standen angesichts des öffentlichen Echos, das ihre Voten gefunden hatten, unter einem Rechtfertigungsdruck. Aber von keiner Seite wurde ein Antrag auf Aufhebung des Verbots gestellt. Auch die Regierungsvertreter hatten angesichts der großen Majorität im Reichstag den Kampf aufgegeben. Der Bundesrat hatte nach der Abstimmung in der zweiten Lesung die Lage erörtert und dabei auch die Möglichkeit ins Auge gefaßt, den ganzen Gesetzentwurf fallen zu lassen. Doch sprach sich die Mehrheit des Bundesrats dagegen aus. 55 Nach d e m Abstimmungssieg am 1. Mai hat Graf Kanitz, unterstützt durch die Fraktion der Konservativen Partei, noch Anträge für die dritte Lesung eingebracht. Der Reichstag sollte beschließen, den Reichskanzler aufzufordern, mit den Staaten, in denen ein börsenmäßiger Terminhandel in Getreide und Mühlenfabrikaten bestand, wegen eines internationalen Verbots in Verhandlungen zu treten. 5 6 Auch dieser Antrag wurde am 6. Juni 1896 mit überwältigender Mehrheit angenommen. Als Resolution 57 wurde der Antrag der Grafen Kanitz und Arnim angenommen, welcher die Reichsregierung aufforderte, nach Fortfall der Terminnotiz eine Preisinformationsstelle über die abgeschlossenen Geschäfte in Getreide aufzubauen. Der erste Antrag war mehr pro forma gestellt worden, denn jedermann konnte damit rechnen, daß andere Staaten dem Deutschen Reich auf diesem Wege nicht folgen würden. Die Resolution war in gewisser Weise eine nachträgliche Bestätigung für die Notwendigkeit von Getreidepreisnotierungen, wie sie bislang die Börse geliefert hatte, für die nach der Zerschlagung der Getreidebörse nun Ersatz geschaffen werden sollte. Am 18. Juni 1896 gab der Bundesrat trotz aufrechterhaltener Gegenvorstellungen vor allem der Hansestädte mehrheitlich seine Zustimmung zu dem vom Reichstag beschlossenen Börsengesetz. Durch die kaiserliche Unterschrift wurde es am 22. Juni 1896 vollzogen und am 24. Juni 1896 im Reichsgesetzblatt veröffentlicht. Die Bestimmungen der §§ 5 4 - 6 5 traten am 1. November 1897, die Bestimmungen des § 39 am 1. Juli 1896 und alle übrigen Bestimmungen am 1. Januar 1897 in Kraft. Den Depotgesetzentwurf hat die IX. Kommission des Reichstags in vier Sitzungen in Anwesenheit der Kommissare und Bevollmächtigten des Bundesrats beraten. Während der zwei Lesungen hat sie einige Änderungen und Ergänzungen vorgenommen. In dieser Fassung 5 8 hat der Reichstag die zweite und dritte Lesung im Reichstag fanden in einer einzigen Sitzung am 17. Juni 1896 statt - den Entwurf nach kurzer Debatte einstimmig ange-

55 56 57 58

Schulz, Das d e u t s c h e Börsengesetz, S. 1 7 7 - 1 8 1 . Sten.Ber., Band 153, Nr. 327, S. 1732. Und daher zur letzten Fassung des Entwurf: Börsengesetz Entwurf: Depotgesetz 3.

3, S. 1732, gehörend.

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nommen. Das Gesetz, betreffend die Pflichten der Kaufleute bei A u f b e w a h rung fremder Wertpapiere, unterschrieb der Kaiser am 5. Juli, u n d s c h o n am 30. Juli 1896 trat es in Kraft. 5 9 3. Der provisorische

Börsenausschuß

November/Dezember

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Für Max Weber e r g a b sich im N o v e m b e r 1896 ü b e r r a s c h e n d die Möglichkeit, als S a c h v e r s t ä n d i g e r an der Erfüllung einer A u f g a b e des Bundesrats mitzuwirken. 6 0 Dieser mußte gemäß § 42 BörsG B e s t i m m u n g e n für die Zulassung von Wertpapieren z u m Börsenhandel erlassen. Weil der Bundesrat sich hierfür nicht g e n ü g e n d s a c h v e r s t ä n d i g fühlte, w ü n s c h t e er sich der Hilfe einer Institution zu bedienen, die mit Inkrafttreten d e s Börsengesetzes eingerichtet w e r d e n sollte. 6 1 Der Börsenausschuß gehört zu den umstrittensten N e u e r u n g e n des Gesetzes. 6 2 Die B ö r s e n e n q u e t e k o m m i s s i o n hatte ihn in ihren Vorschlägen nicht vorgesehen. Es waren Beamte der beteiligten Regierungen, die im Herbst 1894 die Notwendigkeit eines zentralen börsenpolitischen O r g a n s mit e i g e n e n E n t s c h e i d u n g s b e f u g n i s s e n , wie z.B. die Z u l a s s u n g ausländischer Wertpapiere oder als oberste Instanz in Disziplinarangelegenheiten der Börsen, e r w o g e n . Diese Idee ist aber s c h o n d e s h a l b fallen gelassen w o r d e n , weil sich die Länder einer Zentralisierung börsenpolitischer A u f g a ben widersetzten. H i n g e g e n wurde es allgemein für w ü n s c h e n s w e r t gehalten, eine Art Beirat zu schaffen, der den Bundesrat bei allen Entscheidungen, die dieser in B ö r s e n d i n g e n zu treffen hatte, beraten sollte. Weil man d e n erforderlichen Sachverstand vornehmlich bei den Börsenmitgliedern vermutete u n d m a n sich d e n Börsenausschuß auch als Interessenvertretung der Börsen dachte, hatte der Regierungsentwurf d e s Börsengesetzes v o r g e s e h e n , daß der Ausschuß zu zwei Dritteln aus Mitgliedern bestehen sollte, die auf Vorschlag der Leitungen der d e u t s c h e n Börsen gewählt werden. Bei der Wahl der anderen Mitglieder sollte der Bundesrat Landwirtschaft u n d Müllerei, größere Industriegruppen und das kaufende Publikum berücksichtigen.63

59 Ausführlicher im Editorischen Bericht zu Weber, Depotgesetz, unten, S. 870-873. 60 Die Hintergründe der Einberufung und der Aufgabenbewältigung des provisorischen Börsenausschusses sind ausführlicher in den Editorischen Berichten zu Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, unten, S. 658-666, und zum Bericht des provisorischen Börsenausschusses, betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen, unten, S. 736-741, dargestellt. 61 Vgl. § 3 BörsG, unten, S. 975. 62 Ausführlich zur Entstehungsgeschichte des Börsenausschusses Schulz, Das deutsche Börsengesetz, S. 245-257. 63 Begründung zum Entwurf: Börsengesetz 1, S. 4.

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In Übereinstimmung mit ihren weitergehenden Zielsetzungen wünschten sich hingegen die konservativen Agrarier im Reichstag einerseits größere Kompetenzen für den Ausschuß und andererseits eine Verstärkung des Anteils der Nicht-Börsenleute. Sie wollten den Börsenausschuß in gewisser Weise zu einem selbständigen Träger einer weiter zu treibenden Börsenpolitik machen. Das wurde vom Plenum abgelehnt. Auch die Mehrheit der Parlamentarier wollte nur eine beratende und begutachtende Funktion des Ausschusses. Allerdings sollte dieser auch das Recht haben, Anträge an den Reichskanzler zu stellen und Sachverständige zu vernehmen. 6 4 Hinsichtlich der Zusammensetzung hatten die Wünsche der Agrarier mehr Erfolg. Zwar lehnte das Plenum des Reichstags den in der zweiten Lesung von Graf Kanitz gestellten Antrag ab, je ein Drittel der Mitglieder des Ausschusses aus den Gruppen der Börsenmitglieder, der Landwirtschaft und der Industrie zu wählen, stimmte aber - wie schon die IX. Kommission vorgeschlagen hatte - einer Reduktion des Anteils der von den Organen der Börsen zu benennenden Mitglieder auf die Hälfte zu. Die andere Hälfte sollte „unter angemessener Berücksichtigung von Landwirtschaft und Industrie" gewählt werden. 6 5 In den Beratungen der IX. Kommission ist auch diskutiert worden, ob „Vertreter der Wissenschaft" in die Liste der zu Berücksichtigenden aufzunehmen seien. Die Befürworter verwiesen auf die positiven Erfahrungen in den Verhandlungen der Börsenenquetekommission. Eine entsprechende Bestimmung wurde dann aber nicht in den Gesetzentwurf 6 6 aufgenommen, zumal die Formulierung des § 3 Abs. 2 BörsG die Benennung von Vertretern der Wissenschaft nicht ausschloß. Als der Bundesrat im Oktober 1896 Hilfe für die Erfüllung seiner Aufgabe suchte, konnte er den im Gesetz für dergleichen vorgesehenen Ausschuß noch nicht einberufen, weil das Gesetz erst am 1. Januar 1897 in Kraft trat. Deshalb wurde beschlossen, unter Anwendung der Bestimmungen des Gesetzes ein Gremium zu berufen, das man als „provisorischen Börsenausschuß" bezeichnete. Fünfzehn Mitglieder wurden auf Vorschlag von Börsen gewählt, vier hat der Bundesrat direkt und die übrigen elf auf Vorschlag der Landesregierungen ernannt. Max Weber gehörte neben Karl Gamp, dem Müller Joseph Johann van den Wyngaert und dem Göttinger Nationalökonomen Wilhelm Lexis zu den vier direkt vom Bundesrat Ernannten. Weber war, wie aus den Akten des Reichsamts des Innern hervorgeht, 6 7 „erste Wahl", im Gegensatz zu Lexis, der erst zur Mitarbeit aufgefordert wurde, 64 § 3 Absatz 1 BörsG, unten, S.975. 65 § 3 Absatz 2 BörsG, unten, S. 975f. 66 Entwurf: Börsengesetz 2. 67 BA Potsdam, Reichsministerium des Innern, Nr. 5524, Bl. 21 und 2 3 - 2 5 ; zur Z u s a g e Max Webers vgl. d e n Editorischen Bericht zu Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses, unten, S. 659 mit Anm. 7.

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nachdem zuvor Gustav Schmoller und dann Ludwig von Cuny abgesagt hatten. Schließlich gehörten dem Ausschuß siebzehn Handelskaufleute und Bankiers, acht Vertreter landwirtschaftlicher Interessen, drei Industrielle und zwei Wissenschaftler an. 68 Sechs Mitglieder hatten schon in der Börsenenquetekommission mitgearbeitet. Der provisorische Börsenausschuß tagte in Anwesenheit von Beamten des Reichsamts des Innern, preußischer Ministerien und der Reichsbank vom 19. bis 26. November 1896 im Sitzungssaal des Bundesrats. 69 Verhandelt wurde nicht nur der vom Bundesrat vorgelegte „Entwurf von Bestimmungen, betreffend die Zulassung von Werthpapieren zum Börsenhandel". 70 Am 19. Oktober hatte der Bund der Landwirte dem Bundesrat eine brisante Denkschrift eingereicht. Unter der Überschrift „Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen" enthielt sie Forderungen zu einer tiefgreifenden Veränderung der Produktenbörsen, für die der Bundesrat nach den im Börsengesetz festgelegten Kompetenzverteilungen nicht zuständig war. Der Bundesrat hat die Denkschrift ohne eine eigene Stellungnahme dem provisorischen Börsenausschuß mit der Bitte um Meinungsäußerung vorgelegt. Als die Verhandlungen des Ausschusses bereits begonnen hatten, brachte auch noch der Deutsche Landwirtschaftsrat ein Votum zu den in der Denkschrift des Bundes der Landwirte angesprochenen Gegenständen direkt in den Ausschuß ein. Es war zum großen Teil als Korrektur dessen gedacht, was der Bund der Landwirte forderte. 71 Hätte man sich streng an den Text des - noch nicht geltenden - Gesetzes gehalten, hätten die Vorlagen von agrarischer Seite nicht verhandelt werden dürfen. Es wurde aber ein Weg gefunden, wie eine Abweisung vermieden und dem Bundesrat auch in dieser Sache geholfen werden konnte. Es waren diese Gegenstände, an deren Beratung und schließlicher Berichterstattung an den Bundesrat Max Weber entscheidenden Anteil hatte. Über die Beratungsergebnisse bezüglich des vom Bundesrat vorgelegten Entwurfs von Bestimmungen für die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel entwarf nach Abschluß der Verhandlungen Adolph Frentzel ein Gutachten. Zur Besprechung der Eingaben der landwirtschaftlichen Verbände wählte der provisorische Börsenausschuß zunächst eine Unterkommission von sieben Mitgliedern, zu denen auch Max Weber gehörte. Über die Verhandlungen der Unterkommission hat Max Weber am 25. November 1896 Bericht erstattet. 72 Nachdem das Plenum im Anschluß daran 68 Eine Namensliste ist, unten, S.671f., abgedruckt. 69 Vgl. hierzu auch Max Webers anschauliche Berichte über die Zusammenkünfte, unten, S.665f. 70 Vgl. den Abdruck, unten, S. 993-999. 71 Die beiden Eingaben sind im Anhang II, unten, S. 1000-1009, abgedruckt. 72 Vgl. unten, S. 697-710.

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seinerseits die Vorlagen kontrovers diskutiert hatte, ist Max Weber auch mit dem Entwurf eines Berichts des provisorischen Börsenausschusses 7 3 über die Aussprache betraut worden. Das von Adolph Frentzel erstellte Gutachten und der von Max Weber verfaßte Bericht sind am 7. Dezember noch von einer vom provisorischen Börsenausschuß gewählten Redaktionskommission geprüft und festgestellt worden. Sodann gingen die beiden Dokumente an den Reichskanzler bzw. den Bundesrat. In der Bekanntmachung des Bundesrats, betreffend die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel vom 11. Dezember 1896 sind die Bedenken und Vorschläge des provisorischen Börsenausschusses berücksichtigt worden. Die Beratung der Eingaben der landwirtschaftlichen Verbände hatte hingegen keine unmittelbare Auswirkung. Sowie mit der Eröffnung der Sitzung des provisorischen Börsenausschusses dessen Zusammensetzung bekannt wurde, setzte in der Presse Kritik ein. Die Agrarier hatten wohl gehofft, der Ausschuß werde sich als Instrument der Fortsetzung des Börsenreformwerks, insbesondere der Gestaltung der Geschäfte an den Produktenbörsen nützen lassen. Nun seien aber die Landwirte, wie Graf Arnim im Lauf der Verhandlungen mehrfach betonte, in der „Minorität" und nicht durchsetzungsfähig gegen die Mehrheit aus Börsenvertretern und den zusätzlichen Repräsentanten des Handels. Darüber hinaus wurde in der agrarischen Presse auch die Berufung von Max Weber und Wilhelm Lexis als den Börsen wohlgesonnene Vertreter der Wissenschaft angegriffen. Das Organ des Bundes der Landwirte, die Deutsche Tageszeitung, zitierte aus einem „von geschätzter Seite" an sie gerichteten Schreiben: 7 4 „Nun sind in den Börsenausschuß zwei Universitätsprofessoren gewählt. Wen oder was sollen nun diese beiden Herren vertreten? Die Börse hat sie nicht gewählt. Als Vertreter der Industrie oder der Landwirtschaft können sie nicht betrachtet werden. Und als Vertreter der Universitäten giebt ihnen das Gesetz keinen Platz im Börsenausschuß. Wenn aber irgend jemand vermuten sollte, daß diese beiden Universitätsprofessoren Lexis und Max Weber etwa als ,Börsensachverständige' zu bezeichnen und als solche in den Börsenausschuß berufen seien, so kann diese Annahme leicht als unzulässig erwiesen werden. [...] Professor Max Weber, der Vater der Pfarrer Naumannschen Bewegungen: ,Das Land der Massel', 7 5 hat in der Naumannschen 73 Unten, S . 7 3 5 . 74 Deutsche Tageszeitung v o m 20. Nov. 1896, in: BA Potsdam, Reichslandbund, Nr. 3207, Bl. 80. 75 Max Weber hat sich, wie zahlreiche andere auch, entschieden für die innere Kolonisierung des d e u t s c h e n Ostens durch Ansiedlung freier Bauern auf v o m Staat bereitzustellend e m Land a u s g e s p r o c h e n . Die Unterstellung, Max Weber sei für die Forderungen der christlich-sozialen B e w e g u n g Friedrich Naumanns der e n t s c h e i d e n d e Ideengeber g e w e -

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Göttinger Arbeiterbibliothek vor 2 Jahren eine Schrift über die Börse veröffentlicht, 7 6 w e l c h e f o l g e n d e charakteristischen Sätze enthält: ,Die praktische Wirkungslosigkeit der Kritik, welche breite Volksschichten heute an den bestehenden Börsenzuständen üben, hat ihren Hauptgrund in einer grenzenlosen Oberflächlichkeit, welche die Fehler darin sucht, wo nur der Unverstand oder der Interessengegensatz sie finden kann. Das Getreide, das an einem Tage an der Börse gehandelt wird, lagert zum guten Teil noch in den Speichern Nordamerikas oder schwimmt auf dem Ocean'. Also: Prof. Lexis sagt von sich selbst, daß er von den Börsenverhältnissen .nicht allzu viel' versteht. U n d daß a u c h Professor Max Weber in der gleichen Weise beurteilt w e r d e n muß, ist heute kaum mehr zweifelhaft. Denn heute weiß jeder Leser unserer Zeitung besser als Max Weber, daß der weitaus größte Teil des bisher an den Börsen gehandelten Getreides e b e n nicht i r g e n d w o lagert oder g e s c h w o m m e n hat, sondern .reines Papiergetreide' war und nach d e m W u n s c h e der Börse a u c h so bleiben soll. U n d die wesentlichen B e s t i m m u n g e n des heute g e l t e n d e n Börsengesetzes b e z e u g e n , daß die früher g e ü b t e Kritik breiter Volksschichten an den Börsenzuständen, die nach der A n s c h a u u n g d e s Herrn Professor Weber auf .grenzenloser Oberflächlichkeit' beruhen, praktisch d o c h keineswegs wirkungslos war, sond e r n sich recht wirkungsvoll erwiesen hat." Im Anschluß daran wird die Frag e gestellt: „Warum hat Herr von Boetticher 7 7 diese b e i d e n Herren d e n n o c h berufen? Vielleicht um zwei weitere Gegner des Getreideterminhandelsverbots in den Börsenausschuß zu b e k o m m e n ? " Die regierungsnahe N o r d d e u t s c h e A l l g e m e i n e Zeitung u n d die Frankfurter Zeitung wiesen die Kritik der Agrarier zurück. Die Vertretung der Wissenschaft sei in d e n Vorberatungen des Börsengesetzes u n d in d e n e n d e s Reichstags a u s d r ü c k l i c h anerkannt worden. 7 8 Die Frankfurter Zeitung knüpfte an das Zitat aus W e b e r s Börsenschrift von 1894 die B e m e r k u n g : „Das b ü n d l e r i s c h e O r g a n gräbt diese Äußerung aus, um der Regierung u n d d e m Reichstag die A u g e n zu öffnen, .wohin das Schiff steuert'. Wahrscheinlich war die Regierung der Meinung, dafür sorgen zu müssen, daß das

sen, wurde im November 1896 gerade durch das Programm widerlegt, welches der vom 23. bis 25. November 1896 in Erfurt tagenden Gründungsversammlung des Nationalsozialen Vereins zur Annahme vorgelegt wurde. Es erregte den Zorn Webers, daß ein sich auf die innere Kolonisation beziehender Passus im Programmentwurf gestrichen worden ist. Vgl. Weber, Max, [Diskussionsbeitrag in der Debatte über das allgemeine Programm des Nationalsozialen Vereins], MWG I/4, S. 620f. mit Anm. 4. Vgl. auch Mommsen, Einleitung, MWG I/4, S. 11f„ 19, 37, 60. 76 Gemeint ist Weber, Börse I, die daraus entnommenen Zitate, unten, S. 134 und 140. 77 Staatssekretär des Reichsamts des Innern und preußischer Innenminister. 78 NAZ, Nr. 548 vom 21. Nov. 1896, Ab.BI., S. 1; NAZ, Nr. 560 vom 28. Nov. 1896, Ab.BI., S. 1; FZ, Nr. 324 vom 21. Nov. 1896, Ab.BI., S. 1.

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Schiff ü b e r h a u p t n o c h steuert, w ä h r e n d die Agrarier es gern steuerlos machen m ö c h t e n . " 7 9 Die Kritik der Agrarier blieb nicht wirkungslos. Sie war e n t s c h e i d e n d für die Nichtberufung Max Webers in d e n definitiven Börsenausschuß. 8 0 4. Der Boykott

des

Börsengesetzes

Das Börsengesetz „hat eine so leidenschaftliche Kritik erfahren, wie kaum ein anderes d e u t s c h e s Gesetz." 8 1 Es hat die a u f g e b r o c h e n e n Konflikte nicht e n d g ü l t i g entschieden. N a c h seiner V e r a b s c h i e d u n g verlagerten sich die A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n z w i s c h e n d e n Börsianern und ihren v o r n e h m l i c h im agrarischen Lager versammelten G e g n e r n nur auf andere Schauplätze. U n d es g e s c h a h etwas, was Graf Kanitz in einem Rückblick wie folgt bes c h r i e b e n hat: „Ich glaube, es ist wohl noch niemals, w e d e r im D e u t s c h e n Reich n o c h in einem Bundesstaate v o r g e k o m m e n , daß die Unterwerfung unter ein Gesetz einfach verweigert w u r d e , wie es bei d i e s e m Gesetz ges c h e h e n ist, u n d e b e n s o dürfte es n o c h nie v o r g e k o m m e n sein, daß die Regierung, anstatt die Unterwerfung zu erzwingen, die O p p o n e n t e n mit der größten Milde u n d Nachsicht b e h a n d e l t e u n d so bald wie m ö g l i c h d e n Erlaß einer Novelle in Aussicht stellte, w e l c h e die mißliebigen B e s t i m m u n g e n d e s a n g e f o c h t e n e n Gesetzes beseitigen sollte." 8 2 Es ist unmöglich, die Ereignisse, um die es hier geht, hinreichend darzustellen, ohne eine Fülle von komplizierten Rechtsfragen zu b e h a n d e l n . 8 3 Das Folgende b e s c h r ä n k t sich auf eine Skizze. Dabei sollen der Berliner Börsenstreik u n d der Boykott geg e n d a s Börsenterminregister im Vordergrund stehen. Die L a n d e s r e g i e r u n g e n hatten tunlichst vor Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 1897 die im Gesetz v o r g e s e h e n e n Staatskommissare zu bestellen sowie die von den z u s t ä n d i g e n B ö r s e n o r g a n e n v o r z u l e g e n d e n neuen Makler- und B ö r s e n o r d n u n g e n zu g e n e h m i g e n . Der von d e n Ältesten der K a u f m a n n s c h a f t von Berlin für die Berliner Produktenbörse s c h o n im Sept e m b e r 1896 erarbeitete Entwurf einer B ö r s e n o r d n u n g f a n d allerdings nicht die Z u s t i m m u n g d e s preußischen Handelsministers. Streitpunkt war die Zus a m m e n s e t z u n g des Vorstands der Produktenbörse. N a c h § 4 A b s a t z 2 B ö r s G 8 4 konnte die L a n d e s r e g i e r u n g darauf bestehen, daß in der Börseno r d n u n g eine B e s t i m m u n g über eine Vertretung der Landwirtschaft, ihrer 79 FZ, Nr. 324 vom 21. Nov. 1896, Ab.BI., S. 1. 80 Vgl. dazu unten, S. 105-107. 81 Göppert, Heinrich, Börsenrecht, in: HdStW4 2, S. 999. 82 Graf Kanitz während der ersten Lesung des „Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Änderung des Abschnitts IV [Terminhandel] des Börsengesetzes", in: Sten.Ber., 26. April 1904, Band 199, S.2435. 83 Eine frühe Darstellung der Auseinandersetzungen enthält Weber, Börsengesetz, unten, S. 791 -869. Im Anmerkungsapparat sind die Sachverhalte erläutert. 84 Vgl. im Anhang II, unten, S. 976.

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Nebengewerbe und der Müllerei in den Vorständen der Produktenbörsen aufgenommen wird. In Preußen hatte der zuständige Handelsminister keinen Entscheidungsspielraum. In dem zwei Jahre vor dem Börsengesetz verabschiedeten Landwirtschaftskammergesetz war bereits festgelegt, daß die Landwirtschaft in den Vorständen der preußischen Produktenbörsen vertreten sein müsse und an der Preisfeststellung zu beteiligen sei. Der Konflikt eskalierte, als der neue preußische Handelsminister Ludwig Brefeld darauf bestand, daß die Vertreter der Landwirtschaft bzw. der Müllerei nicht von den Börsenleuten (aus einem Kreis von Kandidaten) gewählt, sondern vom Landwirtschafts- bzw. Handelsminister bestimmt werden sollten. Als sich neben anderen Börsen auch die Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin weigerten, ihren Entwurf entsprechend zu ändern, oktroyierte der Minister am 23. Dezember 1896 eine seinen Forderungen entsprechende Bestimmung in die neue Börsenordnung für die Berliner Produktenbörse. Darauf beschlossen die Händler einiger preußischer Produktenbörsen, darunter am 30. Dezember auch die Berliner, der Börse vom 2. Januar 1897 an fernzubleiben. Die Berliner Produktenhändler versammelten sich an einem anderen Ort und begannen, auf der Basis neu formulierter Geschäftsbedingungen untereinander „handelsrechtliche Lieferungsgeschäfte" abzuschließen, auch in Getreide. Sie vermieden es sorgfältig, in den neuen Schlußschein Merkmale aufzunehmen, die das Geschäft gemäß § 48 BörsG als ein Börsentermingeschäft charakterisiert hätten. Sie veröffentlichten auch keine offiziellen Kurse. Die Urteile über die Zulässigkeit ihres Vorgehens gingen weit auseinander. Formal, d.h. bei wörtlicher Auslegung des in den entscheidenden Punkten naiv formulierten Börsengesetzes, waren die Händler im Recht. Aber in der Substanz handelte es sich zweifellos um Termingeschäfte. Es waren nur die sonst üblichen formalen Festlegungen in den Börsenusancen durch die stillschweigende Übereinkunft aller Beteiligten ersetzt. Strittig war alsbald auch, ob die tägliche Versammlung der Kaufleute nicht eigentlich eine Börse war. In diesem Falle hätte zur Abhaltung ihres Marktes eine staatliche Genehmigung eingeholt werden müssen - mit der nach Lage der Dinge natürlich nicht zu rechnen war. Während sich andere preußische Börsen im Laufe der Sommer- und Herbstmonate 1897 in Verhandlungen mit d e m Handelsministerium auf Kompromisse einließen, blieben die Berliner Händler der alten Produktenbörse fern. Sie hatte zu bestehen aufgehört. Das öffentliche Echo auf die Auseinandersetzungen war gewaltig. Theodor Fontane schrieb darüber in einem Brief: „Politisch gehen wir hier ganz in der .Börse' auf. Überblickt man die Streiter hüben und drüben oder kommt es gar zu Namensaufruf, so hat man eine wundervolle Scene: hie Pincus, Seligmann, Goldberger, hie Klinckowström, Arnim, Schwerin. Es spricht sich auch in dieser Gegenüberstellung schon etwas von Kritik aus und ich

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bin sicher (und viele Börsianer g e b e n dies zu) daß es an s o n d e r b a r e n Manipulationen nicht gefehlt hat. D e n n o c h stehe ich g a n z auf der Pincus-Seite. Daß man ü b e r h a u p t vorging, d a g e g e n h a b e ich nichts, wie m a n vorging, d a g e g e n h a b e ich sehr viel. Sind die Börsianer Betrüger, so p a c k e man sie, sind es aber einfach Kaufleute, also Personen die von Metier wegen immer an der Mogelei dicht vorbeistreifen, so muß m a n sie gewähren lassen u n d um so mehr, als ihre Antagonisten a u c h nicht die besten Brüder sind. Bloß großmäuliger u n d hochmüthiger." 8 5 Wie sich der Streik fortsetzte u n d welc h e s (vorläufige) Ende er nahm, ist unten dargestellt. 8 6 Von A n f a n g an lehnte die K a u f m a n n s c h a f t d a s Börsenregister ab, in das sich diejenigen eintragen lassen sollten, w e l c h e Börsentermingeschäfte abschließen wollten. Das regelmäßig a u c h im Reichsanzeiger zu veröffentlic h e n d e Register diente nämlich zwei v e r s c h i e d e n e n Z w e c k e n , die nicht miteinander zu vereinen waren. Es sollte einerseits, a u c h durch relativ hohe Kosten der Eintragung, nichtprofessionelle Spekulanten v o m Terminhandel fernhalten u n d andererseits die immerhin zulässigen B ö r s e n t e r m i n g e s c h ä f te auf eine sichere R e c h t s g r u n d l a g e stellen. Die öffentliche Aufmerksamkeit konzentrierte sich - g a n z im Sinne der G e g n e r d e s Termingeschäfts - auf den ersten A s p e k t . Der Händler, aber a u c h der börsenferne Privatspekulant, mußte das Register als eine öffentliche Liste von „Spielern" verstehen. So wie die Moralvorstellungen allgemein beschaffen waren, mußte die Bek a n n t m a c h u n g seiner S p e k u l a t i o n s a b s i c h t e n sein A n s e h e n herabsetzen. M ö g l i c h e r w e i s e hätte eine massenhafte W e r b u n g unter Kaufleuten, sich eintragen zu lassen, d e m e n t g e g e n w i r k e n können. Tatsächlich g e s c h a h das Gegenteil. Reichsweit hielten k a u f m ä n n i s c h e Interessenverbände Vers a m m l u n g e n ab, um für die Nichteintragung zu w e r b e n . Je w e n i g e r Personen sich in d a s Börsenregister eintragen ließen, umso weniger konnte es gelingen, die a n d e r e Funktion d e s Registers zu nützen. N a c h d e m Willen des G e s e t z g e b e r s sollten nämlich „reine" Differenzgeschäfte - in der neuen Interpretation des Reichsgerichts - nur d a n n klagbar sein, w e n n b e i d e Kontraktpartner in d a s Börsenregister e i n g e t r a g e n waren. 8 7 Die beiderseitige Eintragung schützte somit vor d e m Differenzeinwand. A b e r eines solchen Schutzes b e d u r f t e n die Börsianer für Termingeschäfte untereinander ohnehin nicht, weil der Differenzeinwand dort g r u n d s ä t z lich nicht e r h o b e n wurde. H i n g e g e n wäre die R e g e l u n g w i c h t i g g e w e s e n für den Verkehr der Banken als Kommissionäre mit d e n Provinzbanken u n d d e m außerbörslichen Publikum. Diese ließen sich j e d o c h , von A u s n a h m e n a b g e s e h e n , nicht in d a s Register eintragen. Die Erwartungen der Regie85 Brief vom 4. Jan. 1897, in: Theodor Fontane. Briefe an Georg Friedländer, hg. von Walter Hettche. - Frankfurt a.M. und Leipzig: Insel Taschenbuch 1994, S. 413. 86 Editorischer Bericht zu Weber, Börsengesetz, unten, S. 781 -787. 87 Vgl. dazu oben, S. 63-66.

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rung und der Befürworter des Registers, daß die Kaufmannschaft und das Publikum mit der Zeit die Vorteile des Börsenregisters erkennen und sich eintragen lassen werden, gingen nicht in Erfüllung. Das Börsenregister wurde anhaltend boykottiert. Auch nach Jahren hat es nur verschwindend wenige Eintragungen gegeben. 88 Dennoch hat es Termingeschäfte gegeben, aber sie wurden auf einer fragilen rechtlichen Grundlage betrieben. Für noch größere Rechtsunsicherheit sorgte überdies kurz nach Verabschiedung des Börsengesetzes der überraschende Beschluß des Reichstags in der dritten Lesung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches am 1. Juli 1896, den § 764 aufzunehmen. Dieser erklärte - in voller Übereinstimmung mit der neuesten Rechtsprechung des Reichsgerichts - „reine" Differenzgeschäfte als Spiel und versagte ihnen somit den Schutz der Gerichte. 89 Als die Abgeordneten das Börsengesetz verabschiedeten, war von einer solchen Absicht noch nichts bekannt. Im Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs hat es nämlich eine solche Bestimmung nicht gegeben. Der Reichstag hat sie - ohne eine Aussprache und offenbar in Unkenntnis der Tragweite - aus einer Vorlage der für das BGB zuständigen Reichstagskommission übernommen. 90 Die Bestimmungen des BGB machten mit seinem Inkrafttreten am 1. Januar 1900 älteres Recht ungültig. Und so wurden die im Börsengesetz gerade formulierten Regelungen für die Geltung von Börsentermingeschäften durch § 764 obsolet. Darüber, ob es sich tatsächlich so verhielt, konnte unter den Juristen kein Einverständnis erzielt werden. Die heftigen Diskussionen wurden durch den Gesetzgeber beendet. Am 10. Mai 1897 wurde § 69 BörsG um die Bestimmung ergänzt, daß er seine Gültigkeit nicht durch § 764 BGB verlöre. Doch das eigentliche Problem, welche Geschäfte nun als Börsentermingeschäfte anzusehen waren und des88 Obgleich die Stempelvereinigung (vgl. den Eintrag im Glossar, unten, S. 1064) es ihren Mitgliedern schließlich zur Pflicht gemacht hat, sich in das Börsenregister eintragen zu lassen, waren 1901 in Berlin insgesamt nur 191 Kautieute bzw. Firmen im Register für Wertpapiere verzeichnet; in Frankfurt a.M. waren es 16. Vgl. Wermert, Börse, Börsengesetz und Börsengeschäfte, S.7f. 89 Zum Folgenden vgl. Wolter, Termingeschäftsfähigkeit, S. 98-104 und 136-149; Wermert, Börse, Börsengesetz und Börsengeschäfte, S.2-28; Heinemann, Ernst, Das Problem der deutschen Börsenreform in rechtlicher und wirtschaftlicher Beziehung unter besonderer Berücksichtigung der Judikatur des Reichsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts. - Berlin: Carl Heymann 1901, S.5-57. Siehe auch Julius von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen. Recht der Schuldverhältnisse. §§ 741-764, 2. Buch, bearb. von Norbert Engel u.a. - Berlin: Sellier-de Gruyter 199613, S. 377-400. 90 § 764 BGB lautet: „Wird ein auf Lieferung von Waren oder Wertpapieren lautender Vertrag In der Absicht geschlossen, daß der Unterschied zwischen dem vereinbarten Preise und dem Börsen- oder Marktpreise der Lieferungszelt von dem verlierenden Teile an den gewinnenden gezahlt werden soll, so ist der Vertrag als Spiel anzusehen. Dies gilt auch dann, wenn nur die Absicht des einen Teiles auf die Zahlung des Unterschieds gerichtet ist, der andere Teil aber diese Absicht kennt oder kennen muß."

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halb Rechtsschutz genießen sollten, blieb ungelöst. Es blieb die Unsicherheit, wie die §§ 48 u n d 66 BörsG 9 1 a u s z u l e g e n seien u n d w a n n die Bestimm u n g d e s § 764 B G B A n w e n d u n g finden sollte, w e n n § 66 BörsG nicht griff. Diese Situation förderte unter den Banken die Bereitschaft, sich um d a s Börsenregister nicht zu kümmern. Statt ihre K u n d e n zu veranlassen, sich eintragen zu lassen, v e r w e n d e t e n sie für G e s c h ä f t e mit d e m Publikum Surrogatformen von Börsentermingeschäften. Wie die Produktenhändler in Berlin b e d i e n t e n sich die Banken im Verkehr mit ihren K u n d e n handelsrechtlicher L i e f e r u n g s g e s c h ä f t e unter f ö r m l i c h e m Ausschluß der Börsenusancen, entweder als Fixgeschäfte im Sinne des Art. 357 H G B oder als N a c h l i e f e r u n g s g e s c h ä f t e im Sinne der Art. 3 5 4 - 3 5 6 . 9 2 D o c h das Reichsgericht, das sich durch § 764 B G B in seiner seit 1892 gepflegten S p r u c h p r a x i s bestätigt fand, v e r b a u t e schließlich a u c h diese Umg e h u n g d e s Gesetzes. In zwei E n t s c h e i d u n g e n v o m 12. Oktober 1898 u n d 28. Oktober 1899 w u r d e n - e n t g e g e n d e m Wortlaut des Börsengesetzes nun a u c h die handelsrechtlichen Lieferungsgeschäfte, die unter Ausschluß der B ö r s e n u s a n c e n a b g e s c h l o s s e n wurden, als B ö r s e n t e r m i n g e s c h ä f t e (im weiteren Sinne) definiert. Die Verwirrung darüber, o b das 1896 b e s c h l o s s e ne Börsengesetz verläßliches Recht war, w u r d e a n g e s i c h t s einer sich ständ i g ä n d e r n d e n A u s l e g u n g u n d Lückenfüllung durch die R e c h t s p r e c h u n g immer größer. Die Rechtsunsicherheit fand erst mit der Novelle des Börsengesetzes v o m 8. Mai 1908 ein Ende. 9 3 Einige der von Max Weber in seinem Artikel Börsengesetz b e s o n d e r s heftig kritisierten B e s t i m m u n g e n 9 4 w u r d e n in der Novelle entweder g a n z gestrichen - so die Definition d e s Börsenterminhandels in § 48 u n d die B e s t i m m u n g e n z u m Börsenregister in d e n §§ 5 5 - 6 5 u n d 66 A b s . 1 BörsG - oder aber völlig überarbeitet, wie die §§ 5 0 - 5 3 BörsG z u m Börsenterminhandel. Das Verbot des Terminhandels in Getreide u n d M ü h l e n p r o d u k t e n blieb bestehen, dafür wurde das handelsrechtliche L i e f e r u n g s g e s c h ä f t in diesen Produkten nun a u s d r ü c k l i c h erlaubt. Die Revision des Börsengesetzes g e l a n g nicht nur d e s h a l b , weil die wirtschaftlichen S c h ä d e n , die das Gesetz angerichtet hatte, bei d e n Konfliktg e g n e r n die Suche nach A u s w e g e n förderten. Es war vor allem die veränderte Politik der Reichsleitung g e g e n ü b e r d e m Parlament, die K o m p r o m i s se g e r a d e in der Börsenfrage nötig u n d m ö g l i c h machte. In d e n Auseinand e r s e t z u n g e n über die Kolonialpolitik hatte Reichskanzler Fürst Bülow 1907 91 Siehe diese unten, S. 985 und 988. 92 Vgl. den Eintrag „Lieferungsgeschäft" im Glossar, unten, S. 1052, die Art. 354-357 HGB, unten, S. 968, und Weber, Börsengesetz, unten, S. 860f. mit Anm. 50. 93 RGBl 1908, Nr. 24, S. 183-192. Zur Geschichte der Novelle des Börsengesetzes vgl. Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S. 344-363; Nipperdey, Deutsche Geschichte (wie oben, S. 70, Anm. 19), S. 733f. 94 Unten, S. 843-857.

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die beiden konservativen Parteien, die Nationalliberalen und die bis dahin meist oppositionellen Linksliberalen zum sogenannten „Bülowblock" zusammengeführt. 95 Die Börsengesetznovelle war ein Test auf die Haltbarkeit der Koalition auch in innenpolitischen Fragen. In seiner Regierungserklärung vom 26. Februar 1907 bezeichnete Bülow es als Ziel der Novellierung, „daß unser Kapitalsmarkt gekräftigt wird, und daß unsere Börse in den Stand gesetzt wird, ihrer Aufgabe als wichtiges nationales Wirtschaftsinstrument gegenüber den Börsen des Auslands besser als bisher gerecht zu werden." Er räumte ein, daß durch einzelne Bestimmungen des Börsengesetzes von 1896 „die deutschen Börsen in ihrem Wettbewerb mit den ausländischen Börsen in eine nachteilige Stellung gedrängt sind, die dem Gesamtinteresse des Landes nicht entspricht." 96 Ob die Verfasser dieser Formulierungen sich dabei auf Schriften Max Webers gestützt haben, war nicht aufzuklären. Doch ist die Übereinstimmung mit Webers Leitlinien für eine deutsche Börsenpolitik nicht zu übersehen. Das inzwischen mehrfach novellierte Börsengesetz ist in seiner Struktur und in wesentlichen Teilen auch nach hundert Jahren noch gültig. 97

IV. Die Börsenschriften Max Webers

im Werkzusammenhang

und

Leben

1. Max Webers Hinwendung zum Thema Börse Wir haben keine sichere Kenntnis darüber, warum Max Weber sich 1894 auf ein für ihn ganz neues Arbeitsfeld begeben hat. Wohl gibt es Anhaltspunkte, die diese Blickwendung Webers - gerade zu diesem Zeitpunkt - verständlich machen. Aber sie erschließen sich eher aus der „Logik der Biographie" Webers als aus den verfügbaren Quellen. Erstaunlich ist jedenfalls, daß ein Autor, der im Dezember 1896 im provisorischen Börsenausschuß der Elite der Kaufmannschaft und den Meinungsführern der ostelbischen Großgrundbesitzer als führende wissenschaftliche Autorität gegenübertreten sollte, 1 bis 1894 keine Zeile zu diesem Thema veröffentlicht hatte. Im November 1893 war er zum außerordentlichen (nicht etatmäßigen) Professor für Handelsrecht und deutsches Recht an der Universität Berlin ernannt worden. Die Initiative zu seiner Ernennung war vom Universitätsde95 Siehe hierzu u.a. Nipperdey, Deutsche Geschichte (wie oben, S. 70, Anm. 19), S. 729734. 96 Sten.Ber., Band 227, S. 38. 97 Neueste Fassung (nach Verabschiedung des Zweiten Finanzmarktförderungsgesetzes vom 26. Juli 1994): Bekanntmachung der Neufassung des Börsengesetzes. Vom 17. Juli 1996, in: Bundesgesetzblatt 1996, Teil 1, Nr. 37, S. 1030-1046. 1 Zum provisorischen Börsenausschuß vgl. oben, S. 82-86, und den Editorischen Bericht, unten, S. 658-666.

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zernenten im preußischen Kultusministerium Friedrich Althoff u n d nicht von der Fakultät a u s g e g a n g e n . Hintergrund waren die auf einen Schlaganfall im Mai 1892 f o l g e n d e langwierige Erkrankung des Inhabers des Lehrstuhls für Handelsrecht u n d römisches Recht Levin G o l d s c h m i d t und die seit Sommer 1893 d r o h e n d e W e g b e r u f u n g W e b e r s nach Freiburg. Als Privatdozent für römisches Staats- u n d Privatrecht und Handelsrecht hatte Max Weber bereits zum großen Teil G o l d s c h m i d t s L e h r a u f g a b e n ü b e r n o m m e n . Althoff w ü n s c h t e Weber in Berlin zu halten. In d i e s e m Sinne schrieb a u c h Levin G o l d s c h m i d t am 14. N o v e m b e r 1893 an Althoff, daß er sich freuen würde, „falls auf d i e s e m W e g e z u g l e i c h ein sehr b e g a b t e r jüngerer Rechtslehrer unserer H o c h s c h u l e erhalten bliebe." 2 Den ersten Beleg für ein wissenschaftliches Interesse W e b e r s für die Börse 3 enthält ein Brief an Gustav Schmoller v o m 3. Februar 1894, in d e m Max Weber u.a. mitteilt, daß er in seinem H a n d e l s r e c h t s p r a k t i k u m derzeit die Börsenenquete b e s p r e c h e . 4 D o c h deutet Weber noch keine Pläne hinsichtlich eigener Arbeiten über Fragen der Börse an. 5 Die n ä c h s t e n sicheren N a c h r i c h t e n über eine Befassung Webers mit Börsenfragen s t a m m e n von Juni/Juli 1894. Max Weber arbeitet bereits an der „Börsenfibel" für Friedrich N a u m a n n 6 und an den Artikeln über die Börsenenquete. 7 A m 3. Juli 1894 hält er a n h a n d d e s Materials der Enquete einen Vortrag. 8

2 Levin Goldschmidt. Ein Lebensbild in Briefen, hg. von Adele Goldschmidt. - Berlin: Emil Goldschmidt 1898, S. 470. Zum gesundheitlichen Zusammenbruch von Levin Goldschmidt siehe Weyhe, Levin Goldschmidt, (wie oben, S. 38, Anm. 42), S. 153-155. 3 Daß Max Weber, wie er als Fünfzehnjähriger an seinen Vetter Fritz Baumgarten schreibt, während eines Aufenthaltes in Hamburg die Börse besichtigt, ist für den familiengeschichtlichen Hintergrund Webers von Bedeutung, nicht aber für die spätere Befassung mit dem Gegenstand. Brief an Fritz Baumgarten vom 11. Okt. 1879, in: Max Weber, Jugendbriefe. - Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) [o. J.], S. 28. 4 GStA Berlin, Rep. 92, Nl. Schmoller, Nr. 186 (unpaginiert) (MWG II/2); vgl. dazu auch die Ausführungen im Editorischen Bericht zu Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 184f. Max Weber hatte für das Wintersemester 1893/94 u.a. ein Handelsrechtspraktikum angekündigt. Das Handelsrechtspraktikum ist die einzige Veranstaltung, die Weber vom Sommersemester 1892 bis zum Sommersemester 1894 in jedem Semester angekündigt hat. Über den jeweiligen Inhalt ist nichts bekannt. 5 Kurz zuvor hatte Weber an Schmoller geschrieben, er beabsichtige „anschließend an die Arbeit über Handelsgesellschaften [...] die Antecedenzien der modernen Commissionsgeschäfte im Mittelalter zu untersuchen". Brief an Gustav Schmoller vom 24. Okt. 1893, GStA Berlin, Rep. 92, Nl. Gustav Schmoller, Nr. 186 (unpaginiert) (MWG II/2). 6 Siehe den Editorischen Bericht zu Weber, Börse I, unten, S. 130f. 7 Siehe den Editorischen Bericht zu Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 184-186. 8 Siehe „Organisation der deutschen Börsen im Vergleich mit denjenigen des Auslandes", unten, S. 889-892.

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Die Lücke in der Überlieferung über die Entstehung der Börsenschriften ist s c h o n d e s h a l b beklagenswert, weil sie eine sichere Antwort auf die Frag e verbietet, o b Max Weber n o c h auf eine Karriere als Jurist setzte oder o b er s c h o n vor der E n t s c h e i d u n g z w i s c h e n zwei so v e r s c h i e d e n e n a k a d e m i s c h e n L a u f b a h n e n stand, gar bereits z u m Fachwechsel entschlossen war, als er sich zur Bearbeitung der Enquete verpflichtete. 9 Die E n t s c h e i d u n g , die Aufsatzfolge für die Zeitschrift für das G e s a m m t e Handelsrecht zu verfassen, läßt sich j e d o c h besser verstehen, w e n n m a n annimmt, daß Max Weber noch nicht mit d e m U m z u g nach Freiburg u n d den dort zu bewältig e n d e n , g ä n z l i c h neuen A u f g a b e n gerechnet hat. In einem Brief an seine Frau hat Max Weber sein Aufsatzprojekt als „Börse für G o l d s c h m i d t " bezeichnet. 1 0 Bei G o l d s c h m i d t dürfte, vorausgesetzt der kranke M a n n hat sich ü b e r h a u p t noch um die G e s c h ä f t e des H e r a u s g e b e r s k ü m m e r n können, die Initiative g e l e g e n haben. 1 1 Der Doktorvater, Co-Mentor der Habilitation u n d Kollege kannte aus jahrelanger V e r b i n d u n g Max W e b e r s Fähigkeiten, Ü b e r z e u g u n g e n und Interessen. Diese sollten Weber wie kaum j e m a n d anderen d a z u qualifizieren, eine so k o m p l e x e A u f g a b e in produktiver, gar a u c h G o l d s c h m i d t s rechtspolitischen Vorstellungen ents p r e c h e n d e r Weise zu bewältigen. Darüber hinaus war die erfolgreiche Erl e d i g u n g der A u f g a b e möglicherweise geeignet, Max Webers k e i n e s w e g s gefestigte Stellung in der Fakultät zu fördern. Weber hatte bis dahin noch keine Arbeit z u m g e l t e n d e n Recht oder zu einem g e s e t z g e b e r i s c h e n Vorhaben veröffentlicht. Da m o c h t e a u c h ihm die Gelegenheit, die sich hier bot, willkommen sein - zumal sie d e n Weg in die Nationalökonomie, sollten sich hierfür wieder C h a n c e n eröffnen, nicht prinzipiell verbaute. Die Entstehung der anderen in d i e s e m B a n d veröffentlichten Schriften, der Reden u n d a u c h der D o k u m e n t e über Max Webers Mitwirkung im provisorischen Börsenausschuß wirft insofern keine Rätsel auf, als diese gleichs a m Folgen der Entscheidung sind, sich intensiv mit d e m Material der Börs e n e n q u e t e zu befassen. 1 2 A u s d r ü c k l i c h wird dies a u c h für die Hefte „Die Börse. I. Z w e c k u n d äußere Organisation der Börsen" u n d „Die Börse. II. Der Börsenverkehr" behauptet. Freilich k o m m e n in ihrem Fall noch Anlässe

9 Max Weber nahm Anfang April den an ihn gelangenden Ruf rasch an und wurde am 25. April 1894 zum ordentlichen Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft ernannt. 10 Brief an Marianne Weber vom 28. Juli 1894, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/2). 11 Gegen eine Initiative von Max Weber spricht u.a. die reserviert klingende Formulierung in der Vorbemerkung der Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 214: „[...] dieser in wissenschaftlicher Beziehung freilich nur in einzelnen Punkten dankbare Versuch, zu dem ich mich im Übrigen gewiß nicht in erster Reihe berufen fühlen konnte". 12 Siehe hierzu im einzelnen die Editorischen Berichte zu den abgedruckten Texten.

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und Motive hinzu, die bei keinem anderen Börsentext Max Webers eine Rolle gespielt haben. Aber es bleibt die zeitliche und sachliche Parallelität von Produktion und Fertigstellung dieser auf ein so anderes Publikum zielenden Hefte und der Aufsatzfolge über die Enquete bemerkenswert. „Die Börse II" wurde erst fertig, als die Aufsatzfolge in der Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht abgeschlossen war. Thematische Bezüge zu den seit 1892 erscheinenden agrarpolitischen Schriften und Reden sind unübersehbar. Es erscheint auch plausibel, daß Max Weber sich von der Aufgabe angezogen gefühlt haben könnte, wiederum - wie schon bei der Landarbeiterenquete für den Verein für Sozialpolitik - ein riesenhaftes, bislang nur unvollkommen strukturiertes Material einer Enquete aufzuarbeiten. Darüber hinaus mag es ihn gereizt haben, den ostelbischen Großgrundbesitzern auch auf einem anderen Kampffeld entgegenzutreten. Allerdings kann die Befassung Webers mit den Problemen der Börsenreform nicht als eine logische Erweiterung oder gar Vertiefung seiner auf die Habilitation folgenden Aktivitäten gedeutet werden. 1 3 Es verdient Aufmerksamkeit, daß Max Weber sich in den in MWG I/4 edierten Schriften und Reden der Jahre 1 8 9 2 - 1 8 9 9 praktisch nie auf die Ergebnisse seiner intensiven Beschäftigung mit der Börse bezieht. Selbst in der Freiburger Antrittsrede „Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik" 1 4 am 13. Mai 1895 nimmt Weber das Material für die Veranschaulichung seiner prinzipiellen Positionen aus d e m Stoff seiner Arbeiten zur ländlichen Agrarverfassung in den ostelbischen Gebieten. Er geht mit keinem Wort auf die Diskussion über die Börsenreform ein, obgleich dies von der Sache her möglich gewesen wäre. Vor allem aber lassen die Studien Webers zur ländlichen Arbeitsverfassung und zur Agrarpolitik aus den Jahren 1892/93 nicht erkennen, wieso sich Max Weber überhaupt in der Lage fühlen konnte, über die Börse zu schreiben. Es ist deshalb notwendig, auf die Vorgeschichte des Juristen und des Nationalökonomen Max Weber einzugehen. In ihr haben die Börsenschriften stärkere Wurzeln als in der Agrarpolitik der Zeit. 2. Max Webers juristische

Vorbildung

Äußerlich gesehen durchlief Max Weber den normalen Ausbildungsgang eines Juristen. Nachdem er von 1882 bis 1886 in Heidelberg, Straßburg, Berlin und Göttingen studiert hatte, legte Weber 1886 die erste und 1890 die zweite juristische Staatsprüfung ab. Aber schon früh zeigten sich spezi13 Dirk Käsler, Einführung (wie oben, S. 3, A n m . 5 ) , hat darauf verwiesen, daß Max Webers intensive Beschäftigung mit der Börse u n d der literarische Niederschlag dieser Beschäftigung im Z u s a m m e n h a n g mit dessen Landarbeiter-Arbeiten g e s e h e n w e r d e n sollte. 14 In: MWG I/4, S. 5 4 3 - 5 7 4 .

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eile Neigungen und Abneigungen. Die juristische Dogmatik Interessierte Weber relativ wenig. Es sind die historischen Zusammenhänge der Rechtsentwicklung, die ihn anzogen. Nach dem ersten Staatsexamen arbeitete Weber als Referendar in Berlin. Er hörte Vorlesungen und belegte Seminarübungen bei bedeutenden Juristen und Nationalökonomen und fand seine beiden wichtigsten Mentoren: Levin Goldschmidt als Doktorvater und den Statistiker und Agrarhlstoriker August Meltzen als Betreuer der römischrechtlichen Habilitationsschrift. Doktorarbeit 15 und Habilitationsschrift 16 behandelten Probleme der Rechts- und Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Antike. Im Wintersemester 1891/92 hat sich Max Weber habilitiert. Er erhielt die venia legendi für römisches Staats- und Privatrecht und Handelsrecht. Diese Kombination war in der Fakultät nicht unumstritten. Sie entsprach aber den fachlichen Schwerpunkten Levin Goldschmidts. 17 Jürgen Deininger hat gezeigt, wie Max Weber - angeleitet von August Meltzen - Fragestellungen und Erklärungsansätze seiner „Römischen Agrargeschichte" aus der agrarhlstorischen und agrarpolitlschen Diskussion des 19. Jahrhunderts gewonnen hat. Damit hat Deininger auch einen wichtigen Aspekt der Entstehungsgeschichte von Max Webers Arbeiten über die Landarbeiterfrage sowie seiner späteren Berufung auf einen nationalökonomischen Lehrstuhl aufgeklärt. 18 Eine ähnlich tragfähige Brücke von Webers früheren juristischen bzw. rechts- und wirtschaftshistorischen Arbelten zu den Börsenschriften Ist bislang noch nicht konstruiert worden. Allerdings hat schon Gerhart von Schulze-Gaevernltz, der Kollege Webers In Freiburg, In seinem Nachruf auf Max Weber einen Weg gewiesen: „Von Goldschmidt ausgehend, beschäftigte sich Max Weber eindringlich mit der Börse."'19 Leider Ist diese Behauptung bislang nicht Anlaß für eine gründliche Analyse der Bedeutung des Lehrers Goldschmidt für Max Webers Bör-

15 Weber, Max, Entwickelung des Solidarhaftprinzips und des Sondervermögens der offenen Handelsgesellschaft aus den Haushalts- und Gewerbegemeinschaften in den italienischen Städten. Inaugural-Dlssertation zur Erlangung der juristischen Doktorwürde von der Juristischen Fakultät der Königl. Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin genehmigt und zugleich mit den angehängten Thesen am 1. August 1889 öffentlich zu verteidigen. Stuttgart: Gebrüder Kröner 1889. Diese Schrift war zugleich Teil der größer angelegten Erstlingsschrift: Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter. Nach südeuropäischen Quellen. - Stuttgart: Ferdinand Enke 1889 (beide MWG 1/1). 16 Weber, Max, Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht, MWG I/2, S. 91-361. 17 Die Kombination von Handelsrecht und deutschem Recht war üblicher. Die spätere Ernennung Max Webers zum a.o. Professor für Handelsrecht und deutsches Recht - siehe oben, S. 91 - stellte gleichsam die Normalität her. 18 Deininger, Einleitung, MWG I/2, S. 13-22. 19 Schulze-Gaevernitz, Gerhart von, Max Weber als Nationalökonom, in: Palyi, Melchior (Hg.), Hauptprobleme der Soziologie. Erinnerungsgabe für Max Weber, Band 1. - München und Leipzig: Duncker & Humblot 1923, S. XIV.

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senschriften gewesen. 20 Doch lassen sich schon jetzt gute Gründe dafür nennen, Webers Interessen, Fragestellungen und Erklärungsansätze zu einem beachtlichen Teil auf wissenschaftliche Überzeugungen Goldschmidts zurückführen. 21 Freilich hat Max Weber sich nicht an Arbeiten Levin Goldschmidts über die Börse anschließen können. Zu aktuellen Fragen des deutschen Börsenwesens am Ende des 19. Jahrhunderts liegt von Goldschmidt, sieht man von dem Aufsatz „Börsen und Banken" aus dem Krisenjahr 1891 ab, nichts vor.22 Max Webers Interesse an den Ergebnissen der deutschen Börsenenquete und an der fortgesetzten Beobachtung der Reformaktivitäten ist verständlich, wenn man das Programm beachtet, das er als Doktorand an den Anfang seiner von Goldschmidt angeleiteten Untersuchungen über die mittelalterlichen Handelsgesellschaften gestellt hat: „Wie aber [...] sich im einzelnen die Rechtsbildung gestaltet hat, - ob hier ganz neue Rechtsgedanken, aus den schnell sich vervielfältigenden Bedürfnissen des Tages erwachsen, durch Übergang in den Handelsgebrauch und von da in das Handelsgewohnheitsrecht, sich Anerkennung verschafften". 23 Die Börsen waren offensichtlich noch ein Rechtsbereich, an dem sich studieren ließ, was seit je das Hauptinteresse Levin Goldschmidts gewesen ist: Wie die jeweiligen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse danach gedrängt haben, sich das ihnen angemessene Recht zu schaffen. Zu den herausragenden Leistungen Goldschmidts gehört der Nachweis, daß der größte Teil des in allen Ländern herrschenden Handelsrechts „aus der genialen schöpferischen Kraft des Europäischen, insbesondere des Italienischen Kaufmannsstandes, meistens mehr gehemmt als gefördert durch die Civilisten und Kanonisten, zum Theil in Widerspruch gegen Römisches, insbesondere aber kanonisches Recht, zum Theil daneben (contra - praeter legem) ent-

20 Bislang gibt es lediglich Hinweise auf die Bedeutung Levin Goldschmidts für die Wirtschafts- und Rechtssoziologie Max Webers; vgl. Käsler, Einführung (wie oben, S.3, Anm.5), S.11-13; Deininger, Einleitung und Editorischer Bericht, MWG I/2, S. 1 - 8 8 ; Schiera, Pierangelo, Max Weber und die deutsche Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, in: Manfred Rehbinder und Klaus-Peter Tieck (Hg.), Max Weber als Rechtssoziologe. - Berlin: Duncker & Humblot 1987, S. 151-168; Swedberg, Richard, Max Weber and the Idea of Economic Sociology. - Princeton: Princeton University Press 1998, S.244, Anm. 4. 21 Zu Levin Goldschmidt siehe Weyhe, Levin Goldschmidt (wie oben, S.38, Anm. 42), sowie Schmidt, Karsten, Levin Goldschmidt (1829-1897). Der Begründer der modernen Handelsrechtswissenschaft, in: Helmut Heinrichs u.a. (Hg.), Deutsche Juristen jüdischer Herkunft. - München: C. H. Beck 1993, S. 215-230. 22 Goldschmidt, Börsen und Banken. Gegenstand sind vornehmlich die aufgedeckten Depotveruntreuungen, die dadurch aufgeworfenen Rechtsfragen und ihre Lösung in einem künftigen Depotgesetz. 23 Weber, Handelsgesellschaften, S. 1.

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standen ist." 24 Handelsrecht war für Goldschmidt In der Wurzel Kaufmannsrecht, Recht von Kaufleuten für Kaufleute. Auch wenn nach und nach an die Stelle des kaufmännischen Gewohnheitsrechts von Gesetzgebern verordnetes Recht trat, 25 zeichnete man häufig nur auf, was zuvor als Usance unter Kaufleuten bereits allgemeine Geltung hatte. Würde sich in Hinblick auf das Recht der Börsen am Ende des 19. Jahrhunderts empfehlen, ähnlich vorzugehen, oder hatte der Gesetzgeber jetzt eine andere Aufgabe (und warum)? Goldschmidt hat dafür gekämpft, daß in Deutschland das Handelsrecht das Recht der Kaufleute blieb und sich dadurch vom gemeinen (bürgerlichen) Recht abgrenzte 2 6 Dafür sprach, daß ein solches Recht die Forderungen des Handelsverkehrs besser erfüllte: Klarheit der Verhältnisse zwischen den Kundigen, Eindeutigkeit und Sicherheit der Regeln, schnelle Erledigung von Streitigkeiten, Berücksichtigung von Treu und Glauben, Anerkennung einer spezifischen kaufmännischen Ehre, aber auch der Selbstverständlichkeit, daß Kaufleute durch spekulative Geschäfte Gewinn erzielen wollen. Daraus konnten sich unter Umständen dramatische Konflikte zwischen dem Rechtsbewußtsein der Kaufleute und d e m der Privatleute ergeben. Max Weber hat dies mit Bezug auf das Börsentermingeschäft deutlich formuliert: „Unüberbrückbar ist die Kollision des Rechtsbewußtseins des Händlerstandes, der den Differenz einwand als schnöde Unreellität empfindet, und des Publikums, welches nicht versteht, wie der Staat seine Zwangsgewalt in den Dienst der Realisirung von /-/azarefechulden stellen k a n n . " 2 7 Für Goldschmidt war Handelsrecht ein ständisches Sonderrecht zum Zwecke der Erfüllung wirtschaftlicher Funktionen. Entsprechend deutete Max Weber das an den Börsen herrschende Privatrecht als eine weitere Stufe der Absonderung. 2 8 Es lag in der von Goldschmidt gezogenen Linie, daß Max Weber auch in diesem Fall die Abgrenzung nicht bei den Geschäften als solchen vornehmen wollte. Auch das (private), bis 1896 noch weit24 Goldschmidt, Levin, Rechtsstudium und Prüfungsordnung. Ein Beitrag zur Preußis c h e n u n d Deutschen Rechtsgeschichte. - Stuttgart: Ferdinand Enke 1887, S. 440; ders., Universalgeschichte des Handelsrechts, S. 17f. 25 Levin G o l d s c h m i d t war an den Vorarbeiten z u m HGB von 1861 beteiligt und hat in diesem Sinne zu wirken versucht. 26 Das HGB von 1861 vermischte die beiden Prinzipien. Das H a n d e l s g e s e t z b u c h von 1897 steht wieder klar in der Tradition des alten Handelsrechts, das Sonderrecht der Kaufleute zu umfassen. In Frankreich grenzte sich der C o d e d e c o m m e r c e (1807) v o m C o d e clvlle (1804) d a d u r c h ab, daß er das Recht speziell definierter H a n d e l s g e s c h ä f t e enthielt. Das e r g a b sich als Konsequenz aus der Revolution von 1789, in der alle ständischen Sonderrechte abgeschafft w o r d e n sind. 27 Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 509. 28 „Wie das Privat-Handelsrecht aus d e m gemeinen Zivilrecht, so will sich das PrivatBörsenrecht als Sonderkomplex von Rechtssätzen aus d e m g e m e i n e n Handelsrecht aussondern." Ebd., unten, S. 411.

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gehend autonome Börsenrecht sollte ein Recht der speziell hierzu Berufenen für die hierzu Berufenen sein. Deshalb waren für Max Weber die Fragen des Zugangs zur Börse und der Ehrengerichtsbarkelt Zentralfragen der Reform. Am Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Gedanke der Vertragsfreiheit Im Zivilrecht nicht mehr die unbedingte Geltung, die er auf dem Höhepunkt der Geltung liberaler Ideen besessen hatte. Mehr und mehr griff der Staat aus den verschiedensten, vornehmlich aus sozialpolitischen Motiven in die rechtlichen Beziehungen der Bürger ein. Sogar Im Handelsrecht wurde der Schutz der Schwächeren, speziell der Mindervermögenden, ein politisches Anliegen, dem sich die Gerichte öffneten 2 9 und das der Gesetzgeber aufnahm. Goldschmidt hatte gezeigt, daß das in der Tendenz „individualistische" und zugleich „kosmopolitische" Handelsrecht sich immer wieder gegen „soziale" oder „kollektivistische" Strömungen im Wirtschaftsleben hat zur Wehr setzen müssen. Die hierin liegenden Gefahren für das Funktionleren der Märkte hatte er schon im Zusammenhang mit dem oben erwähnten Lucca-Plstoia-Aktlenstreit angesprochen. 3 0 Sie standen auch im Mittelpunkt der rechtspolitischen Erwägungen Max Webers im Hinblick auf die Börsen. 3 1 Weil Goldschmidt wirtschaftlichen Faktoren für die Erkenntnis und Fortbildung des Rechts einen bestimmenden Einfluß zuschrieb und wirtschaftliche Verhältnisse durchaus selbständig zu beurteilen vermochte, genoß er auch seitens der Nationalökonomen hohes Ansehen. Er bestand aber dessenungeachtet auf der Eigengeltung des spezifisch juristischen Denkens. 3 2 Allerdings hat Goldschmidt auch zugegeben, daß die Beschäftigung mit dem Handelsrecht die Gefahr mit sich brächte, „der strengen positiven Jurisprudenz untreu zu werden". 3 3 Das Ist möglicherweise ein Schlüssel auch für Max Webers Fachwechsel. 3. Anregungen

von

Nationalökonomen

Um jene wirtschaftswissenschaftlichen Kenntnisse zu erwerben, die für ein Verständnis der Funktionen der Börsen nötig waren, mußte man am Ende 29 Ein Beleg Ist die oben, S. 6 3 - 6 6 , besprochene Wende der Rechtsprechung des Reichsgerichts zur Klagbarkeit des Termingeschäfts. Ähnliche Tendenzen kamen in der Novelle des Aktiengesetzes von 1884 zum Ausdruck. 30 Siehe oben, S.38f. 31 Eines der wichtigsten Motive Max Webers, die Börsenhefte für Naumann zu schreiben, war vermutlich, gerade unter jenen um Verständnis für die Abwehr sozialpolitischer Argumente zu werben, die sich aus sozialen Gründen gegen die Börse wendeten. Siehe den Editorischen Bericht zu Weber, Börse /, unten, S. 129f. 32 Vgl. Wolter, Termingeschäftsfähigkeit, S. 66 mit Quellennachweisen. 33 Brief von Levin Goldschmidt an Professor Fitting vom 1. Juli 1860, in: Goldschmidt, Ein Lebensbild (wie oben, S. 92, Anm. 2), S. 236.

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des 19. Jahrhunderts nicht förmlich Nationalökonomie studieren. Wie o b e n erwähnt, 3 4 wurden die Börsen auch in d e n großen Lehrbüchern des Faches, w e n n überhaupt, nur beiläufig behandelt. Was dort mitgeteilt wurde, konnte jeder Gebildete leicht begreifen. Die komplizierte Börsentechnik, insbesondere die der Termingeschäfte in ihren mannigfaltigen Formen, erlernte man im Bedarfsfall aus kaufmännischen Handbüchern. A u c h Max Weber wird, als er eine Vorlesung bei d e m Heidelberger Nationalökonomen Karl Knies hörte, 3 5 nicht mit ökonomischen Erörterungen über die seinerzeit nicht d r ä n g e n d e n Probleme der Börsen in Berührung g e k o m m e n sein. 3 6 Nachweislich haben sich die Beziehungen Max Webers zur Nationalökonomie und zu Nationalökonomen während seiner Referendarzeit ( 1 8 8 6 1890) intensiviert. Er hat namentlich Vorlesungen bei A d o l p h Wagner gehört und an agrarhistorischen Ü b u n g e n August Meitzens teilgenommen. Max Weber hat wiederholt August Meitzen als seinen Lehrer bezeichnet, 3 7 und es besteht a u c h kein Zweifel an der Bedeutung Meitzens für die Bildung des Agrarhistorikers und Agrarpolitikers Weber. 3 8 Aber von Meitzen 3 9 führte kein Weg zur Börse. Eher könnte dies für das Wirken A d o l p h Wagners a n g e n o m 34 Oben, S.41. 35 Studenten der Rechtswissenschaft, die in Preußen das erste Staatsexamen ablegen wollten, mußten hierzu den Besuch einer (beliebigen) staatswissenschaftlichen Vorlesung nachweisen. Geprüft wurde dieses Fach nicht. 36 Es ist hier nicht der Ort, auf die Bedeutung von Karl Knies für das Werk Max Webers einzugehen. Wilhelm Hennis, Eine „Wissenschaft vom Menschen". Max Weber und die deutsche Nationalökonomie der Historischen Schule, in: Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schwentker, Max Weber und seine Zeitgenossen. - Göttingen-Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht 1988, S. 65, hält sie für „überragend". Der Ansicht von Hennis, „Knies' Werk" sei auch für Webers Vorlesung „Geld-, Bank- und Börsenwesen" ein „grundlegender Text", ist sicherlich hinsichtlich der Behandlung der Theorie und Geschichte des Geldes sowie der Notenbankpolitik richtig. Hierfür war das Werk von Karl Knies, Geld und Kredit, 2 Bände. - Berlin: Weidmann 1873 und 1879, ein hoch geschätztes Standardwerk. Die Behandlung des Börsenwesens jedoch beruht vor allem auf Webers Auswertung der Börsenenquete. Das Vorlesungskonvolut „Geld-, Bank- und Börsenwesen" findet sich in: GStA Berlin, I. HA, Rep. 92, NI. Max Weber, Nr. 31, Band 3. 37 Brief an Hermann Baumgarten vom 31. Dez. 1889, in: Max Weber, Jugendbriefe (wie oben, S. 92, Anm.3), S.323; Brief an Anton Bettelheim vom 27. Jan. 1910, in: MWG II/6, S. 382; Honigsheim, Paul, Erinnerungen an Max Weber, in: René König und Johannes Winckelmann (Hg.), Max Weber zum Gedächtnis. Materialien und Dokumente zur Bewertung von Werk und Persönlichkeit. - Köln und Opladen: Westdeutscher Verlag 1963, S. 166 und 212.

38 Siehe hierzu Deininger, Einleitung, MWG I/2, S. 11-19. 39 August Meitzen ( 1 8 2 2 - 1 9 1 0 ) war seit 1868 Mitglied des preußischen Statistischen Büros, von 1 8 7 2 - 1 8 8 2 Mitglied des kaiserlich Statistischen Amtes des Deutschen Reiches und seit 1875 zugleich a.o. Professor für Statistik und Nationalökonomie an der Universität Berlin. 1892 wurde er zum o. Honorarprofessor ernannt. Zwecks agrarischer Studien reiste Meitzen halbamtlich durch viele europäische Staaten. Vgl. den Artikel über Meitzen, Fr. E. August, in: HdStW 3 6, S. 644f.

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men werden, der ein entschiedener Kritiker der Entwicklung der deutschen Währungspolitik, der Ausbreitung der Aktiengesellschaften und des Machtzuwachses von Aktienbanken gewesen ist.40 Hierin ist Weber gewiß kein Schüler Wagners gewesen - wie er überhaupt Schmoller und Wagner nie als seine Lehrer bezeichnet hat. Aber die Begegnung mit diesen Ansichten kann zur Schärfung des Urteils von Max Weber beigetragen haben. Max Weber hatte in den Jahren 1886 bis 1894 in Berlin vielfältige Kontakte mit jungen Nationalökonomen, die sich in verschiedenen Zirkeln und im Hause Weber trafen. 41 Marianne Weber erwähnt, daß „später [...] zu den jungen Leuten, die durch die Söhne ins Haus kamen, u.a. auch Karl Helfferich" gehörte. „Den hoffnungsvollen jungen Nationalökonomen" hätten „damals mit ihnen [den Söhnen] vor allem börsen- und bankpolitische Interessen" verbunden. 42 Die Aussage Marianne Webers ist höchst zweifelhaft. Sie deutet mit dem „später" selbst an, daß sie keine genaue Erinnerung hat bzw. keine datierte Unterlage darüber besitzt, wann genau der spätere Politiker Karl Helfferich, 43 der gerade zur Zeit der Abfassung ihres Buches noch in jedermanns Erinnerung war, mit den Webers börsen- und bankpolitische Fragen erörtert hat. Schon die Tatsache, daß der gegenüber Max Weber acht Jahre Jüngere erst 1894 in Straßburg den Doktorgrad erworben hat, spricht dagegen, daß die genannten Kontakte, wenn es sie gegeben hat, in den hier interessierenden Zeitraum fielen. 44 Hingegen wird von Marianne Weber mit Walter Lötz ein wirklicher Fachmann des Bank- und Börsenwesens erwähnt. 45 In einem Brief an seine Mutter berichtet Max Weber: „[...] in den Nachmittagsstunden erschien dann zunächst Dr. Walter Lötz, wie immer mit einer Masse volkswirtschaftlicher Litteratur für mich beladen". Doch sei das Gespräch (anwesend waren auch Vetter Otto Baumgarten und der Freund aus Schulzeiten Karl Mommsen) 46

40 Vgl. oben, S.42. 41 Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild3, passim; Brief an Hermann Baumgarten vom 30. Sept. 1887 und vom 30. April 1888, in: Max Weber, Jugendbriefe (wie oben, S.92, Anm.3), S.272f. und 298f. 42 Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 148. 43 Zu Helfferich siehe Reichert, J. W., Helfferich, Karl, in: HdStW4 9, S. 492-503; Wiliiamson, John G., Karl Helfferich, 1872-1924. Economist, Financier, Politician. - Princeton: Princeton University Press 1971. 44 Helfferich war ein herausragender Experte des Geld- und Währungswesens. Nur ein Titel in seinem imponierenden Schriftenverzeichnis betrifft die Börse (1907). 45 Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 147f. Die Bedeutung von Walther Lötz für die Entwicklung Max Webers als Nationalökonom und die Geschichte ihrer Beziehungen ist ein Desiderat der Forschung. 46 Otto Baumgarten, Walther Lötz und Karl Mommsen waren die bestellten Opponenten Webers bei der auf den 1. August 1889 angesetzten Doktordisputation. Zur Klärung des Ablaufs des Promotionsverfahrens siehe Deininger, Einleitung, MWG I/2, S. 57, Anm. 12.

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über politische Fragen wie Streiks, Sozialistengesetz und Adolf Stöcker geg a n g e n . A m f o l g e n d e n Sonntag, w i e d e r u m mit Lötz, h a b e ein Teilnehmer das G e s p r ä c h „auf Bank- u n d Münzfragen a b g e l e n k t [...], d i e S p e z i a l d o m ä ne von Lötz". 4 7 Der ein Jahr jüngere Lötz 4 8 könnte hinsichtlich der am Ende der 1880er Jahre lebhafter g e w o r d e n e n Diskussion über die Börsenreform eine Art Mentor Max Webers g e w e s e n sein. Mit einer Arbeit über die Errichtung der Reichsbank u n d die Diskussion um die N e u o r d n u n g der d e u t s c h e n G e l d verfassung war er 1887 bei Lujo Brentano u n d Georg Friedrich K n a p p in Straßburg promoviert worden. 1888 u n d 1889 war er in Berlin, um sich im B a n k w e s e n praktische Kenntnisse zu erwerben. Vermutlich e r w u c h s seine o b e n bereits e r w ä h n t e 4 9 Arbeit „Die Technik d e s d e u t s c h e n Emissionsgeschäfts" aus dieser Tätigkeit. Wie Max Weber später formulierte, war er, w a s Börsenfragen betraf, b e s o n d e r s interessiert an Berichten aus „autoptischer Kenntniß". 5 0 A b e r Lötz ließ a u c h Urteilskriterien erkennen, die wir in Webers Arbeiten wiederfinden. - Daß Lötz bei der Doktordisputation Max W e b e r s als bestellter O p p o n e n t aufgetreten ist, konnte mit der vierten der fünf Thesen W e b e r s z u s a m m e n h ä n g e n . Sie betraf die seinerzeit heftig umstrittene Frage, in welcher W ä h r u n g die österreichischen Eisenbahnen ihre Anleihev e r p f l i c h t u n g e n zu b e d i e n e n hätten, n a c h d e m das Deutsche Reich, nicht aber Österreich, inzwischen zur G o l d w ä h r u n g ü b e r g e g a n g e n war, u n d die Silbertaler nicht mehr als Kurantmünzen galten. 5 1 Walther Lötz hat Berlin 1890 verlassen, um sich in Leipzig zu habilitieren, von w o er 1891 - z u s a m m e n mit seinem Lehrer Lujo Brentano - nach Münc h e n w e c h s e l t e . 5 2 Er hat nach Erscheinen d e s Berichts der Börsenenquetekommission zwei kleinere kritische Arbeiten über die M e t h o d e der Enquete u n d die d a s Emissionswesen betreffenden Ergebnisse publiziert u n d Vort r ä g e über die Börsenreform gehalten. 5 3 Die prinzipielle Ü b e r e i n s t i m m u n g mit Max Weber ist auffällig.

47 Brief an Helene Weber vom 17. Juni 1889, GStA Berlin, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 3, Bl. 143-145 (MWG II/2). Vgl. auch Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 147. 48 Vgl. den Eintrag im Personenverzeichnis, unten, S. 1024. 49 Oben, S.43. 50 Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 215 und 460, Fußnote \ 51 Die Thesen sind abgedruckt bei Winckelmann, Johannes, Max Webers Dissertation, in: König/Winckelmann, Max Weber zum Gedächtnis (wie oben, S.99, Anm.37), S. 10f. 52 Als Max Weber 1919 nach München berufen wurde, war Walther Lötz als o. Professor für Nationalökonomie, Statistik und Finanzwissenschaft Mitglied der Fakultät. 53 Lötz, Walther, Was lehrt uns der Bericht der Börsen-Enquete-Kommission, in: Sozialpolitisches Centralblatt, 3. Jg., Nr. 16 vom 14. Jan. 1894, S. 181f.; ders., Ergebnisse der deutschen Börsen-Enquete für die Reform des Emissionsgeschäfts, In: Wochenschrift für Aktienrecht und Bankwesen, Steuer- und Stempelfragen, hg. von Paul Holdhelm, 3. Jg., Nr. 7 vom 31. März 1894, S. 93-96, 113-119 und 132f.; ders., Vortrag über die Ergebnis-

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4. Das Projekt Börse in Max Webers Freiburger

Jahren

Im Sommersemester 1894 hatte Max Weber kaum Zeit, sich auf seine neuen A u f g a b e n in Freiburg vorzubereiten. Sechs verschiedene Lehrveranstaltung e n hat er als Professor für Handelsrecht und deutsches Recht in Berlin noch abgehalten. Darunter waren drei neue Vorlesungen. 5 4 Die systematische Arbeit an den für Freiburg a n g e k ü n d i g t e n Kollegien „Allgemeine und theoretische Nationalökonomie" (4stündig) und „Finanzwissenschaft" (4stündig) wurde auf die Semesterferien verschoben. Für diese Zeit hatte Weber aber auch die weitere Auswertung der Landarbeiterenquete des Evangelisch-sozialen Kongresses, die ihn seit einiger Zeit beschäftigte, 5 5 und die „Börse für G o l d s c h m i d t " geplant. 5 6 Es ist schwer vorstellbar, wie Max Weber unter diesen U m s t ä n d e n das erste Doppelheft für Naumann und die erste, die umfangreichste Lieferung für Goldschmidts Zeitschrift für das G e s a m m t e Handelsrecht hat schreiben können. Aber in Freiburg setzt Weber die Arbeit an den „Ergebnissen der deutschen Börsenenquete" zügig fort. Im Herbst 1895 sind bereits 241 Seiten veröffentlicht, drei Viertel des späteren Gesamtumfangs. 5 7 Hinzu kommt noch der vermutlich kurzfristig ü b e r n o m m e n e Artikel „Börsenwesen" für das Handwörterbuch der Staatswissenschaften. 5 8 In ihm entwickelt Max Weber erstmals jene Ziele, die eine künftige B ö r s e n g e s e t z g e b u n g seiner Meinung nach vor allem im A u g e haben sollte. Kein Zufall, daß dies die gleichen sind, die Weber kurz zuvor in der a k a d e m i s c h e n Antrittsrede am 13. Mai 1895 begründet hatte. 5 9 Für den nationalökonomischen Anfänger war die Lehrbelastung außerordentlich. Mit den Hauptvorlesungen „Theoretische Nationalökonomie", „Praktische Nationalökonomie" und „Finanzwissenschaft" w e c h s e l n sich

se der Deutschen Börsen-Enquete (wie oben, S.51, Anm. 98), S. 4 0 6 - 4 0 8 ; ders., Die Börsenreform. Vortrag, gehalten in der Gehe-Stiftung zu Dresden am 12. D e z e m b e r 1896. Dresden: Zahn und J a e n s c h 1897. 54 Zu Handels- und Seerecht (4stündig), Handels- und Seerechtsgeschichte (1 stündig) und d e m Handelsrechtspraktikum (2stündlg) traten hinzu Preußische Rechtsgeschichte (2stündig), Agrarrecht und A g r a r g e s c h i c h t e (2stündlg), Versicherungsrecht u n d Versic h e r u n g s w e s e n (1 stündig). 55 Vgl. Weber, Max, Die d e u t s c h e n Landarbeiter, und den Editorischen Bericht dazu, MWG I/4, S . 3 0 9 und 313. 56 Brief an Marianne Weber v o m 28. Juli 1894, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, A n a 446 (MWG II/2). 57 Zur Datierung siehe d e n Editorischen Bericht zu Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 1 8 5 - 1 8 7 . 58 Siehe d e n Editorischen Bericht zu Weber, Börsenwesen, unten, S. 554f. 59 Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. A k a d e m i s c h e Antrittsrede, MWG I/4, S. 5 4 3 - 5 7 4 .

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Weber und der kurz vor ihm nach Freiburg berufene Extraordinarius Gerhart von Schulze-Gaevernitz von Semester zu Semester ab. Das „Kameralistische Seminar" hielten sie in jedem Semester gemeinsam ab. Hinzu kamen Spezialvorlesungen. Im Wintersemester 1895/96 hat Max Weber eine 2stündige Vorlesung „Geld-, Bank- und Börsenwesen" gehalten. Im Wintersemester 1896/97 folgte eine 1 stündige Vorlesung „Börsenwesen und Börsenrecht". Nicht nur für die Einschätzung der Börsenschriften ist bemerkenswert, daß Max Weber in Freiburg auch spezielle Veranstaltungen in der juristischen Fakultät bzw. in der juristischen Abteilung der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät 60 angekündigt hat, 61 in den Wintersemestern 1895/96 und 1896/97 sogar eine 4- bzw. 5stündige Vorlesung zur Geschichte des deutschen Rechts. Die These, Weber sei (spätestens) mit seiner Berufung nach Freiburg Nationalökonom geworden, muß auch vor diesem Hintergrund noch überdacht werden. Weber hat, unseres Wissens nach, als erster ordentlicher Professor an einer deutschen Universität Vorlesungen zum Börsenwesen gehalten. 6 2 Ein Konvolut von Manuskripten seiner Vorlesungen ist überliefert. Es enthält auf gut hundert Blättern unter der Überschrift „Geld-, Bank- und Börsenwesen" offenbar von dritter Hand zusammengeschobene Manuskriptteile, die keine geschlossene Struktur erkennen lassen. 63 Zum Börsenwesen finden sich auf 22 Blättern systematische Gliederungen des Stoffes, ausgefüllt mit Stichworten. Während die Börsenenquete mehrmals erwähnt ist, fehlen explizite Hinweise auf das Börsengesetz. Es ist einstweilen nicht zu ermitteln, für welche Vorlesungen die überlieferten Aufzeichnungen gedacht waren. 6 4 Es fällt auf, daß die intensive Befassung mit der Börsenenquete Max Weber nicht zu öffentlicher Wirksamkeit, gar zu einem persönlichen Engagement auf diesem Gebiet angeregt hat. Zwar hält er im Januar 1895 in der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft in Berlin einen Vortrag über „Probleme der Börsenorganisation", aber eigentlich hatte es ihn gedrängt, über ein agrarisches Thema zu sprechen. 6 5 Und über Agrarpolitik redet er auch,

6 0 Auf Antrag Max Webers wurden im Wintersemester 1896/97 die kameralistischen Fächer aus der philosophischen Fakultät in die neue rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät überführt, die künftig aus zwei Abteilungen bestand. Biesenbach, Friedhelm, Die Entwicklung der Nationalökonomie an der Universität Freiburg i.B. 1768-1896. - Freiburg i.Br.: Eberhard Albert 1969, S. 213-215. 61 Max Weber hat in der juristischen Fakultät in den Sommersemestern 1895 und 1896 ein Handelsrechtspraktikum angekündigt. 62 In der zum Wintersemester 1898/99 in Heidelberg angekündigten Vorlesung „Geldund Bankwesen" fehlt das „Börsenwesen". 63 GStA Berlin, I. HA, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 31, Band 3. 64 Denkbar wäre, daß Max Weber auch in seiner Vorlesung „Praktische Nationalökonomie (Volkswirthschaftspolitik)" im Sommersemester 1895 über die Börse gesprochen hat. 65 Siehe dazu, unten, S.893.

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w ä h r e n d im Reichstag d a s Börsengesetz beraten wird. 6 6 A n ein außeruniversitäres Publikum w e n d e t Weber sich mit „Börsenfragen" erst wieder anläßlich der Herbstkurse des Evangelisch-sozialen Kongresses ein Vierteljahr n a c h V e r a b s c h i e d u n g d e s Gesetzes. 6 7 O b g l e i c h im Sommer 1895 offenkundig wurde, daß eine Fortsetzung seiner Aufsatzfolge in der Zeitschrift für das G e s a m m t e H a n d e l s r e c h t im bisherigen Stil über d e n Abschluß der G e s e t z g e b u n g h i n a u s g e h e n u n d somit in gewisser Weise ihr politisches Ziel verfehlen w ü r d e , hat Max Weber weder sein Konzept g e ä n d e r t n o c h die Arbeit b e s c h l e u n i g t - im Gegenteil. Im A u g u s t u n d S e p t e m b e r 1895 reisten er u n d seine Frau durch Schottland und Irland. 6 8 Die nächste Folge der „Ergebnisse der d e u t s c h e n Börsenenquete" erschien erst nach V e r a b s c h i e d u n g des Börsengesetzes im Sommer 1896. Die U n t e r b r e c h u n g der Lieferung b e g r ü n d e t e Weber mit „persönliche[n] V e r h ä l t n i s s e ^ ] u n d Vorbereitung größerer Arbeiten auf a n d e rem Gebiet". 6 9 O b die vertiefte A u s w e r t u n g der Landarbeiterenquete des Evangelisch-sozialen Kongresses a n g e s p r o c h e n war, von der Marianne Weber als einem 1894 geplanten, aber liegen g e b l i e b e n e n Werk berichtet, 7 0 oder die W i e d e r b e l e b u n g von W e b e r s Interesse an der Antike, von der wir Z e u g n i s s e haben, 7 1 oder etwas g a n z anderes, muß ungeklärt bleiben. Im Unterschied zu den früheren Kapiteln ist die B e h a n d l u n g der Börsenenquete in der letzten Artikelfolge e n t s c h i e d e n knapper, zugleich aber a u c h freier in der Darstellung seiner Ansichten. Da Max Weber gänzlich auf die Erörterung der „Ergebnisse der B ö r s e n e n q u e t e " hinsichtlich d e s politisch vor allem umstrittenen Produktentermingeschäfts verzichtete, bleibt d a s u m f a n g r e i c h e Werk unvollständig. Der Aufsatz über die „ t e c h n i s c h e Funktion des Terminhandels" konnte ebenfalls nicht mehr der Beeinflussung der G e s e t z g e b u n g dienen. Aber vielleicht war ein solches Streben von vornherein v e r g e b l i c h : „Keine noch so beredte Stimme hätte hier eine Umkehr herbeiführen können", schrieb Weber zu d e m im Reichstag b e s c h l o s s e n e n Verbot d e s Terminhandels in Getreide u n d M ü h l e n p r o d u k t e n . 7 2 Auf der

66 Agrarpolitik. Grundriß einer Vortragsreihe, MWG I/4, S. 599-601. Über die Börse redete Max Weber im Freien Deutschen Hochstift erst im Januar/Februar 1898, siehe unten, S. 907-915. 67 Unten, S. 898-906. 68 Weber, Marianne, Lebensbild3, S. 218-228. 69 Siehe Weber, Ergebnisse der Börsenenquete, unten, S. 460, Fußnote *. 70 Weber, Marianne, Lebensbild3, S.213f. 71 Siehe Weber, Max, Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur, in: Die Wahrheit. Halbmonatsschrift zur Vertiefung in die Fragen und Aufgaben des Menschenlebens, Band 6, 1. Maiheft, 1896, S. 57-77; ders., Agrarverhältnisse im Altertum, in: HdStW1, 2. Supplementband, S. 1 - 1 8 (beide MWG I/6); vgl. auch Deininger, Einleitung, MWG I/2, S. 44f. 72 Siehe Weber, Terminhandel, unten, S. 613.

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Grundlage der geleisteten Vorarbeit konnte Max Weber nun aber auch das lange versprochene zweite Heft für Naumanns Göttinger Arbeiterbibliothek schreiben. Mit der Verabschiedung des Börsen- und des Depotgesetzes endete die erste Phase der Befassung Max Webers mit der Börse. Sie war ausgelöst worden durch die Börsenenquete. Nunmehr begann eine kürzere zweite Phase. Es war naheliegend, daß die Herausgeber des Handwörterbuchs der Staatswissenschaften sich wiederum an ihn wendeten und ihn aufforderten, das Börsengesetz und das Depotgesetz darzustellen und kritisch zu würdigen. 73 Wohl aber konnte überraschen, daß der Bundesrat beschloß, einen provisorischen Börsenausschuß einzusetzen und hierfür auch zwei Wissenschaftler zu benennen. Daß die Wahl auf Max Weber fiel, ist angesichts seiner Leistungen auf diesem Gebiet nicht erstaunlich. So blieb Max Weber auch im Wintersemester 1896/97 an das Thema Börse gebunden. Es sollte sein letztes Semester in Freiburg sein. In Heidelberg hatte sich die philosophische Fakultät inzwischen entschieden, Max Weber auf den dritten Platz einer Berufungsliste für die Nachfolge des inzwischen 75jährigen Karl Knies zu setzen. 74 Nachdem die zuvor plazierten Georg Friedrich Knapp und Karl Bücher ihrerseits abgelehnt hatten, erhielt Weber im Dezember den durchaus ehrenvollen Ruf. Er nahm ihn nach kurzen Verhandlungen an und wurde schon am 7. Januar 1897 zum ordentlichen Professor ernannt. 75 Max Weber hat offenbar mit der Möglichkeit gerechnet, auch zum Mitglied des (zur Unterscheidung vom provisorischen Börsenausschuß sogenannten) definitiven Börsenausschusses berufen zu werden. Am 1. Januar 1897 schrieb er an Adolph Wagner: „Ich hoffe, Sie in absehbarer Zeit wieder in Berlin aufsuchen zu können, - wenn nicht Graf Arnim und seine Myrmidonen 76 vorher dafür sorgt, daß so .börsenfreundliche' Professoren nicht wieder in den Börsenausschuß kommen." 77 Der Verdacht war angesichts der oben bereits erwähnten Kritik78 aus Kreisen der Agrarier an der Berufung von Max Weber und Wilhelm Lexis in den provisorischen Börsenausschuß nicht unbegründet. 73 Unten, S. 791 -869 und 876-881. 74 Vgl. Mommsen, Einleitung, MWG I/4, S.41f. 75 Adolph Wagner äußerte sich zur Berufung: „[...] Max Weber schätze ich sehr. Mit seiner gediegenen juristischen Kenntnis paßt er wohl zum Nachfolger des Verfassers von .Geld und Kredit1. Aber wirklich hat er auch hier wieder großes Glück; erst 33 Jahre!" Brief an Wilhelm Stieda vom 28. Dez. 1896, in: Heinrich Rubner, Adolph Wagner. Briefe, Dokumente, Augenzeugenberichte 1857-1917. - Berlin: Duncker & Humblot 1978, S.310. 76 In der llias Gefolgsleute des Achilles. 77 Brief an Adolph Wagner vom 1. Januar 1897, GStA Berlin, I. HA, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 30, Band 4, Bl. 15 (MWG II/3). 78 Oben, S.84f.

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Staatssekretär von Boetticher m a c h t e im März 1897 eine Vorlage für das preußische Staatsministerium hinsichtlich der g e w ü n s c h t e n Z u s a m m e n s e t z u n g des definitiven Börsenausschusses, weil „die Z u s a m m e n s e t z u n g dieses provisorischen B ö r s e n a u s s c h u s s e s in der Öffentlichkeit lebhaft erörtert und zum Anlaß von Angriffen g e g e n die Regierung g e m a c h t w o r d e n ist." 7 9 Prinzipiell sollten wohl alle Mitglieder d e s provisorischen B ö r s e n a u s s c h u s ses a u c h d e m definitiven Ausschuß angehören. A b e r die Vertreter d e s Handels, nämlich A d o l p h Frentzel und Ernst von Mendelssohn-Bartholdy, und die Wissenschaftler Wilhelm Lexis und Max Weber hätten „in landwirthschaftlichen Kreisen b e s o n d e r s starke A n f e c h t u n g e n " erfahren. Das Votum Boettichers betont d e m g e g e n ü b e r die besondere S a c h k u n d e der Genannten und führt u.a. aus: „[...] Weber, der allerdings das Verbot d e s Getreideterminhandels als für u n z w e c k m ä ß i g hält, hat eine vorzügliche Darstellung der Ergebnisse der B ö r s e n e n q u e t e geliefert und im provisorischen Börsenausschuß das Referat g e r a d e über die Fragen des Produktenhandels 8 0 in d u r c h a u s objektiver Weise erstattet". D e s s e n u n g e a c h t e t suchte von Boetticher d e n E i n w e n d u n g e n von agrarischer Seite s c h o n im voraus die Spitze a b z u b r e c h e n . Zwar sollten sowohl Frentzel und von Mendelssohn-Barthold y d e m Ausschuß angehören, d o c h je nach G e g e n s t a n d der Beratungen sollte einer nur Stellvertreter des anderen sein (und somit keine Stimme haben). Bei Frentzel und von Mendelssohn-Bartholdy lag es nahe, d e m einen die A n g e l e g e n h e i t e n der Produktenbörse und d e m anderen die der Wertpapierbörse zuzuteilen. „In ähnlicher Weise wäre die Mitgliedschaft z w i s c h e n Lexis und Weber zu vertheilen. Geeignetere Kräfte aus d e n Kreisen der Wissenschaft sind mir nicht bekannt." Entsprechend stehen auf Platz 19 der Vorschlagsliste Lexis als Mitglied und Weber als Stellvertreter. Mit Schreiben v o m 28. März 1897 erklärte sich der preußische Landwirtschaftsminister a u s d r ü c k l i c h „mit der Vertheilung der Mitgliedschaft zwis c h e n den b e i d e n Professoren W e b e r und Lexis in der Weise einverstanden, daß der eine z u m Mitglied, der andere zum Stellvertreter ernannt wird." 8 1 Im übrigen a b e r f o r d e r t e der Landwirtschaftsminister eine stärkere Vertretung der Landwirtschaft. Der Handelsminister 8 2 forderte eine stärkere Vertretung von Handel und Industrie. 8 3 In d e m abschließenden Votum von 79 Votum des Vizepräsidenten des Staatsministeriums Dr. von Boetticher, betreffend die Bildung des Börsenausschusses vom 12. März 1897, BA Potsdam, Reichskanzlei Nr. 574, Akten, betr. die Börse, Bl. 1, die folgenden Zitate ebd., Bl. 4. 80 Referat über das Resultat der Kommissionssitzungen, unten, S.697-710. 81 Votum des Ministeriums für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, betreffend die Bildung des Börsenausschusses vom 28. März 1897, BA Potsdam, Reichskanzlei Nr. 574, Akten, betr. die Börse, Bl. 10. 82 Votum des Ministers für Handel und Industrie, betreffend die Bildung des Börsenausschusses vom 3. April 1897, ebd., Bl. 13. 83 Das sicherte am Ende die Positionen von Frentzel und Mendelssohn-Bartholdy.

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Staatssekretär von Boetticher vom 10. April 1897 wurde eine nicht unerheblich geänderte Liste vorgelegt, die vornehmlich der Ausbalancierung der Stimmenanteile der Interessenvertreter diente. Was die Wissenschaftler betrifft, führen die Erläuterungen aus: „Ferner sind in der vorstehenden Liste die beiden Gelehrten (Professoren Dr. Lexis und Dr. Weber) fortgelassen, auch hierzu bin ich bereit, meine früheren Vorschläge in der Erwägung zurückzustellen, daß mit dem Erlaß des Börsengesetzes und den Ausführungsbestimmungen die durch die Börsenenquete eingeleitete Aktion, bei welcher die Wirksamkeit der wissenschaftlichen Vertreter nicht zu entbehren war, zu einem Abschluß gekommen ist, und nunmehr vorwiegend rein praktische Einzelfragen zur Erörterung gelangen werden." 84 Am 6. Mai 1897 wurde der Vorschlag vom preußischen Staatsministerium angenommen und dem Bundesrat zur weiteren Beschlußfassung zugeleitet. 85 Der Börsenausschuß trat erstmals am 2. Juli 1897 zusammen. Das Ausscheiden Max Webers aus der Kandidatenliste wurde noch vor seinem Umzug nach Heidelberg bekannt. 86 Gewiß wäre Webers Aufnahme in den Börsenausschuß ein persönlicher Erfolg gewesen. Sachlich war die Nichternennung jedoch kein Nachteil. Schnell stellte sich nämlich heraus, daß der Ausschuß, der laut Börsengesetz ja auch nur die dem Bundesrat zur Beschlußfassung überwiesenen Angelegenheiten begutachten sollte, von geringer Bedeutung war und schließlich entbehrlich wurde. Er ist immer seltener einberufen worden. 87 Bevor Weber Ende April nach Heidelberg umzog, war zumindest der Artikel „Börsengesetz" fertiggestellt, so daß später nur noch Korrekturen bzw. Ergänzungen vorgenommen werden mußten.88 Im Sommer 1897 brach die bis dahin so eindrucksvolle, gelegentlich gar beängstigende wissenschaftliche Produktion Max Webers 89 ab. In merkwürdiger Koinzidenz starben kurz hintereinander zwei „Väter": am 16. Juli 1897 Levin Goldschmidt, am 10. August 1897 Max Weber senior. Nach Wiederherstellung seiner Gesundheit hat Max Weber in keiner seiner Schriften auf seine früheren Arbeiten zur Börse Bezug genommen. Die 84 Weiteres Votum des Vizepräsidenten des Staatsministeriums vom 10. April 1897, ebd., Bl. 16. 85 Protokollauszug der Sitzung des Königlichen Staatsministeriums vom 6. Mai 1897, ebd., Bl. 22. 86 In einem Brief an Max Weber bedauerte sein Schwager Ernst Mommsen die Nichtberufung Webers in den definitiven Börsenausschuß, weil ihnen dann die Besuche bei Kempinsky entgingen. Brief von Klara Mommsen vom 20. April 1897, Bestand Max WeberSchäfer, Deponat BSB München, Ana 446. 87 Vgl. Schulz, Das deutsche Börsengesetz, S. 487-489. 88 Siehe den Editorischen Bericht, unten, S. 781. 89 Von einem „Bedürfnis, unter der Arbeltslast sich erliegen zu fühlen", hat Max Weber selbst gesprochen; siehe Weber, Marlanne, Lebensbild 3 , S. 249.

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anhaltenden u n d erst mit der Novelle z u m Börsengesetz 1908 e n d e n d e n A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n über eine Ä n d e r u n g des Gesetzes von 1896, in denen es v o r n e h m l i c h um die A u f h e b u n g der Verbote des Terminhandels in Bergwerks- und Fabrikaktien u n d in Getreide sowie um d e n Ersatz d e s Terminregisters d u r c h das Handelsregister für die A b g r e n z u n g der Termingeschäftsfähigkeit ging, h a b e n Max Weber nicht zu neuerlichen Aktivitäten veranlaßt. Die letzte bekannte schriftliche Äußerung Max W e b e r s über Fragen der Börsenpolitik ist sein Urteil über das Verbot des Terminhandels in Getreide: „Mit d e s s e n g e s e t z l i c h e m Totschlag in D e u t s c h l a n d h a b e n wir die d e u t s c h e Preisbildung nicht d e m Einfluß der Spekulation e n t z o g e n , sondern wesentlich nur an die Stelle d e s d e u t s c h e n , durch die d e u t s c h e Ges e t z g e b u n g zu beeinflussenden Platzes Berlin den Platz New York gesetzt u n d d e s s e n Ü b e r m a c h t d e n d e u t s c h e n Effektivplätzen g e g e n ü b e r , die früher in Berlin ein G e g e n g e w i c h t fand, gesteigert." 9 0 A n den w e n i g e n Stellen, an d e n e n in „Wirtschaft u n d Gesellschaft" von der Börse die Rede ist, veranschaulicht Weber lediglich auf Allgemeineres zielende A u s s a g e n . 9 1

V. Zur Anordnung

und Edition

der

Texte

Die Edition folgt d e n für alle B ä n d e v e r b i n d l i c h e n u n d am Ende d e s B a n d e s mitgeteilten Editionsregeln der Max W e b e r - G e s a m t a u s g a b e . D e m g e m ä ß enthält der B a n d in einem ersten Teil die von Weber verfaßten Schriften, die von ihm autorisierten Mitschriften seiner Redebeiträge zu d e n Verhandlung e n d e s provisorischen B ö r s e n a u s s c h u s s e s und seinen „Bericht d e s provisorischen Börsenausschusses, betreffend die N e u o r d n u n g der Verkehrsn o r m e n an d e n d e u t s c h e n Produktenbörsen". In einem zweiten Teil finden sich die als indirekte Z e u g e n ermittelten Presseberichte über W e b e r s Vorträge. Webers Schriften sind in der Regel in der c h r o n o l o g i s c h e n Reihenfolge der Veröffentlichung bzw. d e s Veranstaltungsdatums a b g e d r u c k t . Die Artikelfolge „Die Ergebnisse der d e u t s c h e n Börsenenquete" bildet als G a n z e s einen Text u n d wird daher z u s a m m e n h ä n g e n d präsentiert, o b g l e i c h die Artikel „Börsenwesen" u n d „Die t e c h n i s c h e Funktion des Terminhandels" bereits vor der vierten u n d letzten Folge publiziert w o r d e n sind. In d e m Artikel „Börsenwesen" geht Max Weber bereits auf den am 1. Juni 1895 veröffentlichten Entwurf des Börsengesetzes ein, was er in der g e n a n n t e n Artikelfolge erst g a n z am Schluß tut. U n d der zweiteilige Artikel „Die t e c h n i s c h e

90 Brief an Adolf Buchenberger, den Verfasser der „Grundzüge der deutschen Agrarpolitik", vom 26. Juli 1899, GLA Karlsruhe, Nl. Adolf Buchenberger, Nr. 44 (MWG II/3). 91 Z.B. Weber, WuG1, S. 4, 364 und 379f.

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Funktion des Terminhandels" diskutiert im zweiten Teil bereits das verabschiedete Gesetz. Er ist definitiv später verfaßt als die letzte Folge der Aufsatzserie. In Anhang I sind Listen von Publikationen unter anderem auch zum Börsenwesen und zur Börsenreform abgedruckt. Sie beruhen auf von Max Weber angefertigten Verzeichnissen des Inhalts dreier Sammelkästen für Broschüren und Sonderdrucke, welche, von einer Ausnahme abgesehen, bis 1895 erschienen sind. Die gesammelten Publikationen selbst sind nicht erhalten. Auch wenn die Listen nicht alle Veröffentlichungen aufführen, die Max Weber zu den verschiedenen Gegenständen besessen haben wird, und aus dem Besitz nicht unbedingt geschlossen werden kann, daß Weber die Schriften verwendet hat, haben sie dokumentarischen Wert. Wegen der thematischen Nähe und der zu vermutenden Entstehungszeit sind die Verzeichnisse, vollständig ausbibliographiert, in den vorliegenen Band aufgenommen worden. Anhang II enthält Dokumente zum Börsenrecht und zur Börsengesetzgebung. Ihr Abdruck dient vorzugsweise der Entlastung der Editorischen Berichte und des Anmerkungsapparats, wo die Texte sonst mehrfach hätten ausführlich zitiert werden müssen, so daß eine Unmenge von sich ständig wiederholenden Zitaten den Umfang des Bandes gesprengt hätte. Die ausgewählten, von Weber direkt und noch öfter indirekt zitierten Dokumente werden in einer kleineren Schrifttype wiedergegeben. Sie umfassen drei Gruppen: 1) den Fragebogen der Börsenenquetekommission (einschließlich seines Anhangs) und die Zusammenstellung der Vorschläge der Börsenenquetekommission; 2) Gesetzestexte, die Max Weber immer wieder herangezogen hat, und zwar Abschnitte bzw. Artikel des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches, einen Artikel des österreichischen Gesetzes vom 4. April 1875, betreffend Handelsmäkler und Sensale, und das Börsengesetz vom 22. Juni 1896; 3) die drei Dokumente, die den Verhandlungen des provisorischen Börsenausschusses zugrunde lagen und auf die sich auch die Redebeiträge Max Webers und sein „Bericht des provisorischen Börsenausschusses, betreffend die Neuordnung der Verkehrsnormen an den deutschen Produktenbörsen" häufig beziehen. Ihr Abdruck entlastet nicht nur die Ausführungen des Editors. Vermutlich ermöglicht überhaupt erst ihre Lektüre im Zusammenhang ein volles Verständnis der Verhandlungen und insbesondere der Texte Max Webers. Die inhaltlichen Erläuterungen in der Einleitung, den Editorischen Berichten und den Anmerkungen sollen den vermuteten Ansprüchen von Lesern unterschiedlicher Vorbildung gerecht werden. Rechtswissenschaftler, Wirtschaftswissenschaftler, Sozialwissenschaftler, Historiker werden vermutlich die eine oder andere Erklärung für überflüssig halten, während ebendieselbe dem Spezialisten einer anderen Disziplin möglicherweise als zu knapp

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erscheinen mag. Auch hier mußten vielfach Kompromisse gefunden werden. Nachweise zu den Ausführungen Max Webers beziehen sich - entsprechend den Aufgaben einer historisch-kritischen Edition - vor allem auf die Quellen und die Literatur, die ihm zur Verfügung gestanden haben bzw. hätten zur Verfügung stehen können. Gemäß den Editionsregeln waren alle Zitate Max Webers sowie seine Fundortnachweise zu überprüfen und selbst bei geringfügigen Abweichungen richtigzustellen. Insbesondere in der Aufsatzfolge über die „Ergebnisse der deutschen Börsenenquete", die gleichsam eine Sammlung von Zitaten darstellt, sind die Fundortnachweise Max Webers oft fehlerhaft. Freilich ist nicht mehr zu klären, ob die Versehen dem Autor oder dem Setzer, der möglicherweise Webers Handschrift mißdeutete, zuzuschreiben sind. Auch wenn der wissenschaftliche Wert der zahlreichen Korrekturen im Anmerkungsapparat gering sein dürfte, konnte sich der Editor nicht von der Erfüllung seiner Pflicht befreien. Unkorrigiert und - in der Regel - unkommentiert geblieben sind Mißverständnisse und Fehler in Webers Sachdarstellungen, zumal verschiedene Leser darüber zu unterschiedlichen Urteilen kommen können. Indirekte Zitate in Max Webers Texten und Hinweise auf benützte Quellen sowie einzelne Gesetzesparagraphen müssen den Editionsregeln zufolge im genauen Wortlaut nachgewiesen bzw. zitiert werden. Wo immer es möglich ist, wird an den bezüglichen Stellen auf die im Anhang II abgedruckten Dokumente verwiesen. Das Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur umfaßt neben den zitierten Werken auch die von Weber benützten Rechtsquellen und Dokumente. Die entsprechenden Kurztitel werden - abweichend von den Gepflogenheiten in anderen Bänden der Max Weber-Gesamtausgabe - in den Anmerkungen des Herausgebers kursiv wiedergegeben. Auf die im Verzeichnis, unten, S. 1071f., enthaltene systematische Übersicht über die vielfach zitierten, mehrbändigen Materialien der Börsenenquetekommission, die Weber insbesondere in seiner Aufsatzfolge „Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete" bespricht, seien jene, die eine rasche Orientierung über die Struktur des von der Kommission Publizierten suchen, ausdrücklich hingewiesen. Die Ausführungen Max Webers sind gespickt mit börsentechnischen Fachausdrücken. Im Glossar werden die gemeinten Sachverhalte tunlichst ohne Zuhilfenahme der zur Zeit gebräuchlichen Börsensprache, die ja ebenfalls vielen Lesern fremd sein wird, erklärt. Selbst jene, die mit der heutigen Organisation und den aktuellen Geschäften der Börsen vertraut sind, stoßen bei Weber vermutlich auf Formulierungen, die ihnen unverständlich sind. Die Börsen und die hier gepflegte Sprache haben sich in den zurückliegenden hundert Jahren geändert und werden dies weiterhin tun. Deshalb konnte auch nicht davon ausgegangen werden, daß der Leser sich anhand

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aktueller Lehrbücher des Bank- und Börsenwesens oder von Enzyklopädien werde behelfen können. Mit den Hilfestellungen in den Editorischen Berichten, d e m Anmerkungsapparat, den Dokumenten des Anhangs II, d e m Personenverzeichnis, dem Glossar und d e m Verzeichnis der von Weber zitierten Literatur hofft der Editor der schwierigen Aufgabe gerecht geworden zu sein, Webers Börsenschriften einem größeren Interessentenkreis zu erschließen.

I. Schriften und Reden

[Rezension von: Wilhelm Kaufmann,] Das internationale Recht der ägyptischen Staatsschuld

Editorischer Bericht Zur Entstehung Warum Max Weber es übernommen hat, eine Rezension des Buches von Wilhelm Kaufmann 1 über die Fragen der Regulierung der ägyptischen Staatsschuld zu schreiben, ist nicht mehr zu ermitteln. Vermutlich geschah es nicht auf Webers Initiative hin. Der Gegenstand stand in keiner unmittelbaren Verbindung zu seinen sonstigen Interessen in diesen Jahren. Levin Goldschmidt, der Mitherausgeber der Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht, wird in Ermangelung einschlägig qualifizierter Rezensenten seinen Schüler gebeten haben, das Werk zu besprechen. Weber selbst beanspruchte auch keine Kompetenz auf diesem Gebiet. 2 Allerdings hatten die während der Schuldenkrise 1876 in Ägypten zum Schutze der ausländischen Gläubiger geschaffenen international zusammengesetzten Gerichte und das für die Fremden begründete Sonderrecht eine gewisse Ähnlichkeit mit mittelalterlichen Institutionen, mit denen Max Weber vertraut war und auf die er in der Rezension verweist. 3 Das 1880 vom Khediven, dem osmanischen Statthalter, in Erfüllung internationaler Forderungen erlassene Liquidationsgesetz warf demgegenüber neuartige Fragen des nationalen und internationalen Rechts, insbesondere der Durchsetzung von Ansprüchen gegen einen Staat auf. Der 1890 erfolgte Staatsbankrott Argentiniens und die noch offenen Fragen seiner Abwicklung haben, wie Max Weber in seiner Rezension andeutet, 4 den Bedarf an Kenntnissen über die verwickelten Probleme der Durchsetzung von Forderungen gegen fremde Staaten und damit das Interesse an der Rezension verstärkt. 5 1 Kaufmann, Wilhelm, Das internationale Recht der egyptischen Staatsschuld. - Berlin: Puttkammer & Mühlbrecht 1891. 2 Vgl. Webers einleitenden Satz unten, S. 117. 3 Vgl. unten, S. 117 mit Anm.2. 4 Vgl. unten, S. 118 mit Anm.5. 5 Zum Problem der Umschuldungskonzepte infolge des Staatsbankrotts in Ägypten und Argentinien vgl. Feldmann, Horst, Internationale Umschuldungen im 19. und 20. Jahrhundert. Eine Analyse ihrer Ursachen, Techniken und Grundprinzipien (Schriften zu internatio-

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Rezension von: Wilhelm

Kaufmann

Auch über den Zeitpunkt der Entstehung der Rezension ist nichts bekannt. Möglicherweise war Kaufmanns Werk eines der „ca. 30 zu recensierenden Bücher", von denen Max Weber im Juli 1892 schrieb, daß er sie „seit 6 Monaten" besprechen sollte.6 Kurz darauf teilte er mit, er habe zwei Rezensionen fertiggestellt.7 Vielleicht zählt diese Rezension dazu.

Zur Überlieferung

und Edition

Ein Manuskript ist nicht überliefert. Die Edition folgt dem Text, der in: Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht, hg. von Levin Goldschmidt, Friedrich von Hahn, Hugo Keyßner, Paul Laband und Max Pappenheim, 41. Band, 2. Heft, 1893, S. 595-597, abgedruckt ist (A). Dem Text ist im Original die Zahl „XIII.", also 13. Rezension, vorangestellt. Die Rezension ist mit „Charlottenburg. Dr. Max Weber." gezeichnet.

nalen Wirtschaftsfragen, Band 11). - Berlin: Duncker & Humblot 1991, S. 100-180; Schaefer, Karl Christian, Deutsche Portofolioinvestitionen im Ausland 1870-1914. Banken, Kapitalmärkte und Wertpapierhandel im Zeitalter des Imperialismus (Münsteraner Beiträge zur Cliometrie und quantitativen Wirtschaftsgeschichte, hg. v. Richard Tllly, Band 2; Dlss. Münster 1993). - Münster-Hamburg: Llt 1995, S. 3 7 6 - 3 8 1 und 4 4 3 - 4 7 6 ; Mommsen, Wolfgang J., Imperialismus In Ägypten. Der Aufstieg der ägyptischen nationalen Bewegung 1805-1956. - München-Wien: Oldenbourg 1961, S.34ff. 6 Brief an seine Verlobte Marianne Schnitger vom 2. Juli 1893, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/2). 7 Brief an Marlanne Schnitger vom 6. Juli 1893, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/2).

[Rezension von:] Dr. Wilhelm Kaufmann, Gerichtsassessor. Das internationale Recht der ägyptischen Staatsschuld. 8. (189 S.) Berlin 1891. Der Verfasser wird für seine eingehende Erörterung der Entwick5 lung und jetzigen rechtlichen Gestaltung des ägyptischen Staatsschuldenwesens bei uns nicht sehr viele den Stoff wirklich beherrschende Rezensenten, dafür aber um so dankbarere Leser finden, zu welch letzteren auch Referent sich zählt. Der Verfasser war in der einerseits erschwerenden, andererseits erfreulichen Lage, man10 gels irgend erheblicher Vorarbeiten die gesammte Darstellung unmittelbar aus dem Rohmaterial herausarbeiten zu müssen, welches abgesehen von den amtlichen und halbamtlichen Publikationen der ägyptischen Regierung in den verschiedenen Blau-, Gelb- etc. Büchern1 der einzelnen Großmächte zerstreut liegt. Auch ein ober15 flächlicher Blick in dies Material gibt eine Vorstellung von dessen Sprödigkeit derart, daß man der umsichtigen und korrekten Herausschälung des juristisch Erheblichen durch den Verfasser die gebührende Achtung und Anerkennung zollen wird. Der Verfasser verfolgt die Rechtslage der ägyptischen Staats20 gläubiger vom Inslebentreten der internationalen Gesetzgebung für die in Ägypten lebenden Fremden (1. Februar 1876) an nach einem kurzen Rückblick auf den vorherigen Rechtszustand. In sehr einleuchtender Weise werden die juristischen Konsequenzen der eigenartigen Schöpfung dieser personalen Rechtsgemeinschaft 25 dargelegt, welche wirthschafts- und rechtshistorisch an die auswärtigen Gilde-Organisationen der mittelalterlichen Kommunen erinnert. 2 Dagegen hat der Verfasser den Versuch einer Konstruktion 1 Die Bezeichnung der Bücher bezieht sich auf die Farbe der Umschläge der Sammlungen amtlicher Materialien, welche die Regierungen von England bzw. Frankreich den Parlamenten zur Information vorlegen. 2 Im Mittelalter hafteten an den Personen je nach Geburtsstand, Herkunft und Privilegierung ganz unterschiedliche Rechtsstände. In gerichtlichen Auseinandersetzungen wurde der Beklagte üblicherweise nach seinem heimatlichen Recht behandelt. In Handelsstädten spielten bei der Wahrnehmung ihrer Rechte die Zusammenschlüsse der fremden Kaufleute in anerkannten Gilden - wie z. B. in denen der Hansekaufleute im norwegischen Bergen oder in London - eine bedeutende Rolle. Dieses personale Prinzip der Rechtsfindung war im ausgehenden 19. Jahrhundert in Ägypten noch in Gebrauch. Kaufmann, Staatsschuld, S. 17.

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der rechtlichen Grundlage dieser modernen RekuperationsGerichte und des von ihnen anzuwendenden kodifizirten jus gentium 3 nicht gemacht, wohl deshalb, weil das Interesse daran jetzt nur noch ein theoretisches ist. Es war aber z. B. für den Fall eines KrieA 596 ges zwischen allen oder einigen der Ver|tragsstaaten oder eines derselben mit Ägypten bezw. der Türkei nicht gleichgültig, ob der vom Verfasser als „internationales Recht" bezeichnete Komplex von Rechtsinstituten den Charakter hatte entweder 1. ägyptischen, wenngleich kraft internationaler Verpflichtungen geschaffenen, Rechtes, auf dessen Bestehen jeder einzelne Kontrahent nur gegen Ägypten oder auch gegen jeden anderen Kontrahenten ein Singularrecht hatte, - oder 2. eines auf der Rechtsgemeinschaft der Großmächte, bezw. der beigetretenen Staaten ruhenden internationalen Gemeinschaftsrechts, welches also an das Bestehen der Rechtsgemeinschaft gebunden war, - oder endlich 3. einer lex data,4 deren Rechtsträger eine zwar von den Vertragsschließenden ins Leben gerufene, aber von ihnen verschiedene und selbständige Rechtsgemeinschaft, die Personalgemeinde der jeweiligen Fremden in Ägypten, bildet. Auch für analoge Fälle5 hätte diese theoretische Erörterung immerhin Interesse gehabt. Sehr lehrreich ist die weitere Schilderung der Konflikte, zu welchen die Versuche des Khedive Ismail Pascha,6 das Schuldenwesen und die Folgen des Staatsbankerotts auf Grundlage der staatlichen Souveränität zu ordnen, mit den Grundlagen dieses internationalen Spezialrechts führen mußten, und welche 1879 zum Sturz des Khedive und zum Erlaß des internationalen Liquidationsgesetzes vom 17. Juli 1880 3 Nach römischem Recht wurde von Schiedsgerichten (Rekuperationsgerichten) im Streitfall zwischen einem Einheimischen und einem Fremden internationales Recht (jus gentium) angewandt. Mit der am 1. Februar 1876 in Kraft gesetzten ägyptischen Gerichtsreform wurden sog. gemischte Gerichtshöfe geschaffen. Sie waren zuständig bei Streitfällen in bürgerlichen und Handelsrechtssachen zwischen Ägyptern und Ausländern bzw. zwischen Ausländern verschiedener Nationalität. Die Richterkollegien bestanden aus ägyptischen und europäischen Richtern. Kaufmann, Staatsschuld, S. 2 0 - 2 3 , 30. 4 lex data (lat.) meint das Recht, das einer Rechtsgemeinschaft gegeben wird. Die gemischten Gerichtshöfe legten nicht nur bestehendes Recht aus, sondern durften auch neue Rechtsnormen entwickeln. Kaufmann, Staatsschuld, S. 48f. 5 So z. B. im Fall Argentiniens, das 1890 erklärte, die Anleihen nicht mehr bedienen zu können und infolgedessen die Gläubigeransprüche geklärt werden mußten. 6 Das Osmanische Reich verlieh 1845 dem Statthalter der ägyptischen Provinz den Titel Khedive (Vizekönig, von Khedive (persisch), König, Fürst). Ismail Pascha war der erste Statthalter, der diesen Titel annahm.

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führten. In scharfsinniger Weise wird dargethan, daß die 1876 geschaffene Caisse de la Dette publique 7 rechtlich zur Vertretung der Gläubiger nicht legitimirt war, da es zur Begründung einer solchen Vertretungsmacht eines objektiven, nur international zu schaffenden Rechtssatzes bedurft hätte, wie ihn erst das Liquidationsgesetz enthielt. Die Rechtsstellung der Gläubiger auf Grund dieses Gesetzes wird dann in einer nach jeder Richtung befriedigenden Weise entwickelt. Von besonderem Interesse ist die Erörterung der überall wiederkehrenden Frage nach der juristischen Natur und den Rechtsfolgen der Zwangsvollstreckung gegen einen Staat, deshalb, weil in der Praxis die Rechtsfragen in den Fällen des Staatsbankerotts nur akademische Bedeutung zu haben pflegen. Gerade Ägypten bietet, weil hier die Lösung auf dem Boden des Rechtes versucht worden ist, ein vortreffliches Paradigma für das Studium der juristischen Seite gleichartiger Vorgänge. Auch hier vermeidet der Verfasser anscheinend absichtlich allgemeine Konsequenzen aus dem in Ägypten beliebten Verfahren zu ziehen und läßt seine Auffassung über die Rechtsgründe der dabei innegehaltenen Schranken mehr implicite und beiläufig erkennen. Es ist mindestens nicht selbstverständlich, daß einer internationalen Rechtsgemeinschaft gegenüber die Zweckbestimmung eines Vermögensobjekts für staatliche Bedürfnisse derart wirksam wird, daß dessen Angreifbarkeit im Wege der Zwangsvollstreckung wegen Schulden des Fiskus dadurch alterirt8 werden kann. Theoretisch werthvoll ist die korrekte Gliederung der Rechte der Gläubiger je nach ihrer privatrechtlichen oder verwaltungsrechtlichen Natur und auch innerhalb der letzteren nach ihrem (quasi-)dinglichen - d. h. auf partieller Sequestration der Verwaltungshoheit beruhenden - oder nur obligatorischen Charakter, wie sie der Verfasser im Schlußabschnitt durchführt. Daß der Verfasser die wirthschaftlichen und finanzwissenschaftlichen Probleme, welche die geschilderten Vorgänge bieten, von

7 1876 stand Ägypten kurz vor dem Staatsbankrott. Um diesen abzuwenden, wurde auf Drängen der europäischen Gläubigerländer eine Umschuldungskommission gegründet und im Mai 1876 die Staatsschuldenkasse (Caisse de la Dette publique) errichtet, der europäische Generalkommissare vorstanden. Ägypten wurde somit der Finanzkontrolle der europäischen Mächte unterstellt. 8 Hier im Sinne von verändern.

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der Erörterung ausgeschlossen hat, ist nur natürlich. Wer aber mit dem Referenten überzeugt ist, daß diese Seite der Sache nur bei einer so völligen Beherrschung des komplizirten rechtlichen Thatbestandes, wie sie die höchst dankenswerthe Arbeit des Verfassers erkennen läßt, mit Erfolg in Angriff genommen werden kann, wird 5 es trotzdem bedauern. 3

a In A folgt: Charlottenburg. Dr. Max Weber.

[Rezension von: Otto Thorsch,] Materialien zu einer Geschichte der österreichischen Staatsschulden vor dem 18. Jahrhundert

Editorischer Bericht Zur Entstehung Wie bei nahezu allen Rezensionen des jungen Max Weber ist auch im Fall der Besprechung der Dissertation von Otto Thorsch 1 nicht mehr zu ermitteln, von wem die Initiative zu ihrer Anfertigung ausgegangen ist. Wahrscheinlich hat der Mitherausgeber der Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht Levin Goldschmidt seinen Schüler um die Besprechung gebeten. Hierzu mochte um so mehr Anlaß sein, als Weber bereits 1890 eine Arbeit zur Geschichte des öffentlichen Kredits in derselben Zeitschrift rezensiert hatte. 2 Ungewöhnlich ist der große zeitliche Abstand zwischen dem Erscheinen des besprochenen Werkes und der Publikation der Rezension. Daß Weber die Aufgabe, die nicht einmal vornehmlich rechtshistorische Arbeit zu besprechen, schließlich doch noch erledigt hat, könnte auf seine engen Beziehungen zu Walther Lötz, dem Anreger und Betreuer der Dissertation, 3 zurückgehen. Denkbar wäre auch, daß Max Weber den Autor persönlich gekannt hat. Otto Thorsch hatte nämlich - nach den ersten Semestern in Wien - bei Gustav Schmoller und Adolph Wagner in Berlin studiert 4 und war, vermutlich 1889, Walther Lötz nach Leipzig gefolgt, als dieser dort eine Assistentenstelle bei Lujo Brentano erhielt.

1 Thorsch, Otto, Materialien zu einer Geschichte der österreichischen Staatsschulden vor dem XVIII. Jahrhundert. - Greifswald: Druck von C. Seil 1891 /in Kommission Berlin: R. L. Prager 1891 [Diss. Leipzig]. 2 [Rezension von:] Anton von Kostanecki, Der öffentliche Kredit im Mittelalter. Nach Urkunden der Herzogtümer Braunschweig und Lüneburg. - Leipzig: Duncker & Humblot 1889, in: Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht, 37. Band, 1890, S. 592-598 (MWG 1/1). 3 Lujo Brentano war Thorschs Leipziger Doktorvater. Lebenslauf, in: Thorsch, Staatsschulden, S. 119. Die von Weber, unten, S. 123, erwähnten biographischen Details, die er nicht dem Lebenslauf von Thorsch entnehmen konnte, erfuhr er möglicherweise von Lötz. 4 Lebenslauf, in: Thorsch, Staatsschulden, S. 119

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Rezension

von: Otto

Zur Überlieferung

Thorsch

und Edition

Ein Manuskript ist nicht überliefert. Die Edition folgt dem Text, der in: Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht, hg. von Levin Goldschmidt, Friedrich von Hahn, Hugo Keyßner, Paul Laband und Max Pappenheim, 42.Band, 1894, S.330f., abgedruckt ist (A). Dem Text ist im Original die Zahl „IX.", also neunte Rezension, vorangestellt. Die Rezension ist mit „Charlottenburg. Max Weber." gezeichnet.

[Rezension von:]

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Otto Thorsch. Materialien zu einer Geschichte der österreichischen Staatsschulden vor dem 18. Jahrhundert. Leipziger Inaug.-Dissert. 8. (117 S.) Berlin 1891, in Kommission bei Prager. Eine eingehendere Besprechung dieser Schrift an dieser Stelle verbietet sich, da sie nicht in erster Linie die rechtshistorische Seite des österreichischen Staatsschuldenwesens betrifft, ein kurzer Hinweis auf sie aber erscheint auch hier geboten, denn sie bietet erheblich mehr, als der bescheidene Titel verheißt. Der inzwischen in den österreichischen Bankdienst eingetretene, früher als Offizier in der Herzegowina stationirt gewesene Verfasser behandelt auf Grund des von ihm mit einer Sorgfalt, welcher man einen erfreulicheren Gegenstand gönnen möchte, gesammelten gedruckten | und A 331 archivalischen Materials die allmähliche Auslösung des staatlichen Schuldenwesens aus rein privatrechtlichen und privatwirthschaftlichen Formen durch die Zwiespältigkeit der landesfürstlichen und ständischen Schulden hindurch bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts, wo die Darstellung v. Mensi's (Die Finanzen Österreichs 1701-40, Wien 1890) einsetzt. Da erst mit diesem Zeitpunkte ein österreichisches Gesammtstaatsschuldenwesen im wahren Sinn des Wortes sich zu entwickeln begann, hat die geschilderte Epoche wesentlich den Charakter einer Vorgeschichte. Ansätze zu moderner Gestaltung finden sich freilich auch vorher, allein für die Unreife dieser Experimente ist nichts bezeichnender, als nach dem Scheitern des erstmaligen Versuchs (1643) Theilobligationen zu öffentlicher Subskription aufzulegen, der Rückfall in die, man möchte sagen, naive Form der sog. „freiwilligen Kavaliersanleihe"1 (S. 70). Die Schrift bietet, so lange eine umfassende Rechtsgeschichte der öffentlichen Anleihe fehlt, den wünschenswerthen Anschluß an die gleichfalls lokal begrenzte Darstellung Kostanecki's (Der öffent-

1 Einer freiwilligen Kavaliersanleihe hat sich Kaiser Leopold I. 1662 zu bedienen versucht, als er die Würdenträger des Reiches in einem eigenhändigen Schreiben aufforderte, Teilquoten des Geldbedarfs leihweise vorzustrecken. Er erhielt nur ablehnende Antworten. Thorsch, Staatsschulden, S. 70 f.

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Rezension von: Otto Thorsch

liehe Kredit im Mittelalter, siehe darüber diese Zeitschrift Bd. XXXVII S. 592).2 Es darf gehofft werden, daß der Verfasser die Arbeit fortführen und dabei auch weiter die Rechtsformen in den Bereich seiner Untersuchungen ziehen möge. Sein energischer und sympathischer 5 österreichischer Patriotismus beeinflußt die Darstellung nur zu ihrem Vortheil: der Parallelismus der traditionellen Finanzmisere und der militärischen Leistungen Österreichs ist sachlich von wesentlicher Bedeutung, und es kann nur zur Abschwächung mancher auch unsere rechtshistorische Anschauung unbewußt beein- 10 Aussenden partei- und nationalpolitischen Vorurteile dienen, wenn man die trotz allem erstaunliche Lebenskraft dieses staatlichen Gebildes auch in der oft scheinbar seltsamen Gestaltung seiner rechtlichen Institutionen wiederfindet. 3

a In A folgt: Charlottenburg. Max Weber. 2 Max Weber verweist auf seine Besprechung der Arbeit von Anton von Kostaneckl, Der öffentliche Kredit im Mittelalter. Nach Urkunden der Herzogtümer Braunschwelg und Lüneburg. - Leipzig: Duncker & Humblot 1889, in: Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht, 37. Band, 1890, S. 5 9 2 - 5 9 8 (MWG 1/1).

Die Börse I. Zweck und äußere Organisation der Börsen

Editorischer Bericht Zur Entstehung Max Webers Schriften über die Börse sind als Auftragsarbeiten für die von Friedrich Naumann herausgegebene Göttinger Arbeiterbibliothek entstanden. Naumann hatte 1891 in Frankfurt a. M., wo er seit 1890 als Vereinsgeistlicher der Inneren Mission tätig war, einen evangelischen Arbeiterverein gegründet. Derartige Vereine entstanden nach der 1890 von Kaiser Wilhelm II. bewirkten Wende der Sozialpolitik im Deutschen Reich und der Aufhebung des Sozialistengesetzes in größerer Zahl. Maßgeblich hierfür war auch eine veränderte Haltung der Leitung der Evangelischen Kirche in Preußen. Hatte diese, der Evangelische Oberkirchenrat, zuvor den Geistlichen ein gesellschaftspolitisches Engagement untersagt, so riet sie ihnen in den frühen neunziger Jahren, sich intensiv mit sozialen Fragen zu beschäftigen. Und sie empfahl die in voller Entwicklung begriffene Bildung von Arbeitervereinen. Die evangelischen Arbeitervereine machten sich zur Aufgabe, die noch kirchlich gebundenen, der Sozialdemokratie fernstehenden Arbeiter zu sammeln, zu schulen und geistlich zu erbauen. Durch Förderung der Selbsthilfe sollte zur Linderung der sozialen Not und der größten Mißstände beigetragen werden. Unter dem Einfluß Naumanns gab sich der Gesamtverband der evangelischen Arbeitervereine am 31. Mai 1893 ein soziales Programm. 1 1893 zählte der Verband in den ihm angeschlossenen Vereinen 75000 Mitglieder. 2 Eine „Hauptaufgabe" sahen die Vereine darin, „vollstän-

1 Heuss, Theodor, Friedrich Naumann. Der Mann, das Werk, die Zeit. - München-Hamburg: Siebenstern Taschenbuch 19683, S. 98f. Theiner, Peter, Sozialer Liberalismus und deutsche Weltpolitik. Friedrich Naumann im Wilhelminischen Deutschland (1860-1919). Baden-Baden: Nomos 1983, S. 26f. Just, Alfred, Die evangelischen Arbeitervereine, in: Sozialer Fortschritt. Hefte und Flugschriften für Volkswirtschaft und Sozialpolitik. Unter Mitwirkung erster Sachkenner für Gebildete aller Kreise geschrieben, Nr. 81. - Leipzig: Felix Dietrich 1906, S.3-7. 2 Naumann, Friedrich, Was heißt Christlich-Sozial? Gesammelte Aufsätze. - Leipzig: A. Deichert'sche Verlagsbuchhandlung Nachf. (G. Böhme) 1894, S.24f.

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Die Börse I.

dig und vorurteilslos über die schwebenden wirtschaftlichen Probleme aufzuklären." 3 Vorbild für die Göttinger Arbeiterbibliothek war vermutlich die von dem Sozialdemokraten Max Schippel seit 1889 herausgegebene Berliner Arbeiterbibliothek. Auch deren Hefte dienten nicht der Agitation, sondern der Vermittlung von Kenntnissen. 4 Die Initiative zur Gründung des Göttinger Unternehmens scheint vom Verleger Wilhelm Ruprecht ausgegangen zu sein. Am 19. Juli 1893 schrieb jedenfalls Friedrich Naumann an den Verlag Vandenhoeck & Ruprecht: „Ich bin jetzt, nachdem das Programm der evangelischen Arbeitervereine festgestellt ist, viel mehr als vorher geneigt, die Sache, wenn sie Ihnen recht ist, in die Hand zu nehmen. Natürlich müssen wir uns über einen gemeinsamen Plan verständigen. Ich schlage vor: Hefte von 16 Seiten in farbigem Umschlag zu 10 Pf. Zehn oder zwölf Hefte erscheinen dann als kleine Buchausgabe ä 1 M. [...]. Die ideelle Grundlage der Sache muß das neue Programm bieten und bilden [...]. Da die soziale Thätigkeit uns ziemlich viel Ausgaben macht", könne er für sich und auch für seine Mitarbeiter „nicht ganz auf Honorar verzichten". Er schlug vor, „pro Bogen auf 1000 Exemplare 3 M. Honorar und 1 M. für die verantwortlichen Herausgeber anzusetzen." Bereits im Herbst des Jahres, meinte Naumann, müßten etwa fünf Hefte auf dem Markt erscheinen und dann sollten dauernd Fortsetzungen angeboten werden. Als Mitarbeiter dachte er, „ohne die Herren bis jetzt gefragt zu haben", an einige in der Vereinsbewegung und im Evangelisch-sozialen Kongreß engagierte Pfarrer, wie zum Beispiel Paul Göhre. Außerdem benannte er Karl Oldenberg und Max Weber. 5 Tatsächlich zur Mitarbeit bereit waren unter den Pfarrern schließlich nur Martin Wenck, Theodor Traub und Ernst Lehmann. 6 Ferner wirkten als Autoren einige Lehrer, der Verleger Wilhelm Ruprecht und die Professoren Hans Delbrück, Gerhart von Schulze-Gaevernitz und Max Weber mit. Wie und wann Friedrich Naumann sich mit Max Weber über die Mitarbeit und speziell das Thema „Börse" verständigt hat, ist nicht bekannt. Getroffen haben sie sich mehrfach, unter anderem im Herbst 1893 anläßlich des vom Evangelisch-sozialen Kongreß veranstalteten nationalökonomischen Herbstkurses für Geistliche, an dem Max Weber mitgewirkt hat.7 Ob Nau3 Zitat ebd., S.26. 4 Heuss, Theodor, Friedrich Naumann (wie Anm. 1), S. 99. 5 Brief Friedrich Naumanns an Vandenhoeck & Ruprecht vom 19. Juli 1893, VA Vandenhoeck & Ruprecht. 6 Die Pfarrer Paul Göhre, Ernst J. Lehmann und Martin Wenck erscheinen auf dem Titelblatt des Doppelheftes 2/3 des I. Bandes der Arbeiterbibliothek „Die Börse" als Mitherausgeber. 7 Der Herbstkursus wurde vom 16. bis 20. Oktober 1893 in Berlin abgehalten. Max Weber referierte über „Landwirtschaft und Agrarpolitik", MWG I/4, S.254-271; vgl. auch ebd., S. 229-237.

Editorischer

Bericht

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m a n n a u c h d a s T h e m a „Börse" angeregt hat, wie eine Formulierung von Marianne Weber vermuten läßt, 8 ist zweifelhaft. Diesen G e g e n s t a n d könnte Max Weber a u c h selbst v o r g e s c h l a g e n haben. Der vielbeschäftigte Gelehrte mußte sich nämlich im Jahre 1894 ohnehin mit den Problemen der Börse befassen. 9 Er hatte es ü b e r n o m m e n , für die Zeitschrift für das G e s a m m t e Handelsrecht eine u m f a s s e n d e Darstellung der an der Jahresw e n d e 1893/94 publizierten Ergebnisse der Verhandlungen der Börsene n q u e t e k o m m i s s i o n zu verfassen. 1 0 Eine erste Einführung in d a s Börsenw e s e n im U m f a n g von 16 Seiten m o c h t e unter diesen U m s t ä n d e n eine Art N e b e n p r o d u k t sein, schien jedenfalls nicht allzu viel Zeit zu erfordern. An einem raschen Erscheinen der Hefte aber war N a u m a n n sehr gelegen. Freilich hatte Weber a u c h besonderen Anlaß, sich g e r a d e mit d i e s e m T h e m a an Leser zu w e n d e n , die der christlich-sozialen B e w e g u n g nahestanden. In der seit 1891 z u n e h m e n d hitziger g e w o r d e n e n Diskussion über die Notwendigkeit mehr oder weniger tiefgreifender g e s e t z g e b e r i s c h e r Maßnahmen zur Veränderung der Organisation der d e u t s c h e n Börsen u n d ihrer G e s c h ä f t e 1 1 hatten auch die e v a n g e l i s c h e n Arbeitervereine Position b e z o g e n . Zu ihren p r o g r a m m a t i s c h e n Forderungen gehörte „eine Börseno r d n u n g , d u r c h die alle B ö r s e n g e s c h ä f t e so weit als m ö g l i c h wirksamer staatlicher Aufsicht unterstellt werden, u n d d u r c h die b e s o n d e r s d e m Mißb r a u c h der Z e i t g e s c h ä f t e als Spielgeschäfte, namentlich in den für die Volksernährung w i c h t i g e n Artikeln, e n t g e g e n g e t r e t e n wird." 1 2 Damit folgte der G e s a m t v e r b a n d der e v a n g e l i s c h e n Arbeitervereine d e m g e m e i n s a m von d e n Agrariern der Konservativen Partei, der Reichspartei u n d v o m Zentrum a m 19. N o v e m b e r 1891 im Reichstag e i n g e b r a c h t e n A n t r a g zur Börsenreform. 1 3 Weber sah nicht nur in dieser Spezialfrage die e v a n g e l i s c h e Arbeiterbew e g u n g , der er im übrigen Sympathie e n t g e g e n b r a c h t e , auf d e m falschen Wege. Zwei Monate bevor er mit der Arbeit an der Börsenbroschüre begann, hat er sich in einer Rezension 1 4 intensiv mit d e m ö k o n o m i s c h e n Ge-

8 Marianne Weber, Lebensbild 3 , S. 209, berichtet: „Gleichzeitig verfaßt er auf Naumanns Bitte für die Göttinger Arbeiterbibliothek ,eine Börsen- und Bankfibel für 10 Pfennige' [...]•" 9 Vgl. auch oben, S.92f. 10 Vgl. unten, S. 195-550. 11 Vgl. hierzu oben, S. 5 6 - 7 1 . 12 Zit. nach Naumann, Was heißt Christlich-Sozial? (wie Anm. 2), S.27. 13 Sten.Ber. 1891, Band 124, Nr.528, S.2860. 14 [Rezension von:] Was heißt Christlich-Sozial? Gesammelte Aufsätze von Friedrich] Naumann, in: Die christliche Welt. Evangelisch-Lutherisches Gemeindeblatt für Gebildete aller Stände, Leipzig, Nr. 20 vom 17. Mai 1894, MWG I/4, S. 350-361. Die Rezension schrieb Weber vermutlich im April; vgl. MWG I/4, S.349 mit Anm. 17.

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Die Börse I.

halt des Programms der evangelischen Arbeitervereine auseinandergesetzt, wie es Naumann in seiner Schrift „Was heißt Christlich-Sozial?" vorgestellt hatte. Es sei, so schreibt Weber, „eine kleine Enttäuschung für uns nach den Herbstkursen", 15 daß Naumann zwar das „Parallelstudium von .Marx und Christus'" empfehle, aber „an der akademischen, zumal der historisch beschreibenden Nationalökonomie, die nach seiner Ansicht den Thatendrang gefährdet, [...] keine Freude" habe. 1 6 Weber deckt in der Besprechung das Widerspruchsvolle der ökonomischen Anschauungen der Arbeitervereine auf und formuliert seine Einwände gegen die christlich-sozialen Vorstellungen, speziell auch gegen deren antikapitalistische Ressentiments. 17 Die Börsenbroschüre eröffnete ihm nun die Möglichkeit, am konkreten Beispiel zu verdeutlichen, was er unter Aufklärung der Arbeiter verstand, und zu demonstrieren, welchen Gewinn die Verbreitung solider nationalökonomischer Kenntnis auch für die Politik der christlich-sozialen Bewegung bringen sollte. Offensichtlich war vereinbart worden, daß Max Weber das Thema „Börse" in einem Heft von 16 Seiten abhandeln sollte. Doch teilte Weber, nachdem er im Juni 1894 mit der Arbeit begonnen hatte, dem Herausgeber mit, daß es „sehr schwierig" sei, „kurz und doch nicht trivial zu gestalten." Er schlug Naumann „eine Teilung in ca. 3 selbständige Einzelhefte: 1) Allgemeine Bedeutung und Funktion der Börse - 2) Organisation der Börse - 3) Die Börsengeschäfte" vor. „Gehen Sie resp. der Verleger darauf ein, so kann das erste Heft in 14 Tagen, die folgenden je nach drei Wochen geliefert sein. Das erste ist zur Hälfte fertig." Jedes Heft würde ein geschlossenes Ganzes bilden. „Ich bitte s e h r ^ die Sache so zu machen, wenn irgend möglich. Dann kann sie wirklich brauchbar und belehrend werden. Sonst kann man auf 16 Seiten nur Redensarten machen." 1 8 Die Zeitplanung erwies sich als zu optimistisch. Erst am 31.Juli 1894 konnte Weber seiner Frau berichten: „[...] eben ist endlich ein Stein von meiner Seele, der längst darauf ruhte;,] aber zufolge allerlei anderer Sachen 2 Monate liegen blieb: der Artikel .Börse' für Naumann [...]." 1 9 Aber dies war nur der erste der vorgeschlagenen drei Teile, in dem die allgemeine Bedeutung und die Funktion der Börse beschrieben wurden. 2 0 Der Verleger kam dem Autor jetzt insofern entgegen, als er ihm zwei Doppelhefte zur

15 Gemeint ist der Herbstkursus im Oktober 1893; vgl. dazu oben, S. 128, Anm. 7. 16 Weber, [Rezension von:] Was heißt Christlich-Sozial? (wie Anm. 14), S. 350f. 17 Ebd., S. 354ff. 18 Brief an Friedrich Naumann vom 16. Juni 1894, BA Potsdam, Nl. Friedrich Naumann, Nr. 106, Bl. 118 (MWG II/2). 19 Brief an Marianne Weber vom 31. Juli 1894, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG il/2). 2 0 Der vorläufige Teil umfaßt etwa die Seiten 1 3 5 - 1 5 6 des fertigen Textes.

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Bericht

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V e r f ü g u n g stellte. Das zweite D o p p e l h e f t sollte nicht mehr in direktem Anschluß, s o n d e r n erst nach einigen anderen Heften publiziert w e r d e n . 2 1 Im ersten sollte d a n n aber nach den Vorstellungen d e s Verlegers a u c h die Organisation der Börse mitbehandelt sein, die Weber d e m s e l b s t ä n d i g e n zweiten Heft hatte vorbehalten wollen. Weber erklärte sich mit d e m Vors c h l a g einverstanden und bat um die R ü c k s e n d u n g der letzten fünf Blätter, „ u m die jetzt e i n z u s e n d e n d e Partie daran a n k n ü p f e n zu können". Zu einer offenbar a u c h a n g e r e g t e n „Kritik an der Börse in der Art, daß sie den Lesern dieser Broschüre g e e i g n e t e n Stoff böte", hielt sich Max Weber „nur in sehr b e s c h e i d e n e m Maße für legitimirt." 2 2 Mitte A u g u s t 1894 erschien d a s erste Heft der Göttinger Arbeiterbibliothek, 2 3 „Jesus als Volksmann", verfaßt von Friedrich N a u m a n n . 2 4 Es erlebte innerhalb kürzester Zeit vier A u f l a g e n von z u s a m m e n 9 0 0 0 0 Stück. 2 5 Unter d e m Datum des 22. N o v e m b e r 1894 kam als Heft 2 und 3 Max Webers Broschüre „Die Börse. I. Z w e c k u n d äußere Organisation der Börsen" heraus. 2 6 Der zweite Teil erschien erst zwei Jahre später. 2 7 A n h a n d der Vorgeschichte u n d der V o r a n k ü n d i g u n g e n im veröffentlichten D o p p e l h e f t 2/3 läßt sich erkennen, daß sich die Vorstellungen hinsichtlich der Gestaltung des Beitrags von Max Weber m e h r f a c h g e ä n d e r t haben: 1. Z u n ä c h s t war beabsichtigt, auf 16 Seiten darzustellen, w a s eine Börse ist u n d w e l c h e A u f g a b e n sie hat. 2. Als Weber feststellt, daß er d e n Stoff nicht auf 16 Seiten darstellen kann, schlägt er d e m Verleger vor, z u m gleichen Honorar drei Hefte ä 16 Seiten zu schreiben. 2 8

21 Brief Max Webers an Vandenhoeck & Ruprecht vom 5. August 1894, VA Vandenhoeck & Ruprecht (MWG II/2). 22 Ebd. 23 Anzeige in: Wöchentliches Verzeichnis der erschienenen und der vorbereiteten Neuigkeiten des deutschen Buchhandels, Nr. 33 vom 16. August 1894, S. 779. 24 Naumann, Friedrich, Jesus als Volksmann (Göttinger Arbeiterbibliothek, I.Band, 1. Heft, hg. von Friedrich Naumann in Verbindung mit Paul Göhre, 0. Lorenz, E. J. Lehmann, M. Wenck, Ebert, Fr. Müller u. a.) - Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1894, S. 1-16. 25 Ruprecht, Wilhelm, Väter und Söhne. Zwei Jahrhunderte Buchhändler in einer deutschen Universitätsstadt. - Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1920, S.216. Zur Auflagenstärke bemerkte Ruprecht: „für damalige Zeit sozialdemokratischer, religionsfeindlicher Hochflut nicht wenig." Die dann folgenden Hefte hätten sich „mit gutem Erfolge" verkauft. 26 Anzeige in: Wöchentliches Verzeichnis der erschienenen und der vorbereiteten Neuigkeiten des deutschen Buchhandels, Nr. 47 vom 22. November 1894, S. 1155. 27 Vgl. unten, S. 614-617. 28 Brief an Friedrich Naumann vom 16. Juni 1894 (wie Anm. 18).

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Die Börse I.

3. Der Verleger stellt d e m Autor - inzwischen im Besitz d e s Manuskripts der ersten 16 Seiten - statt der von Weber g e w ü n s c h t e n 48 insgesamt 64 Seiten zur Verfügung, verteilt auf zwei Doppelhefte. 4. Weber bittet um die R ü c k s e n d u n g der letzten fünf Blätter des bereits abgelieferten Manuskripts, um das u r s p r ü n g l i c h für ein e i g e n e s Heft zur Organisation der Börse G e p l a n t e anschließen zu können. Wenn m a n d a v o n a u s g e h e n kann, daß er an d e m ersten Manuskript im ü b r i g e n nichts mehr g e ä n d e r t hat, plante er bei der Ablieferung dieser Partie „ein zweites Heft, w e l c h e s die inneren Verhältnisse der Börse u n d die B ö r s e n g e s c h ä f t e erörtern w i r d " . 2 9 5. Mit d e m Z u g e s t ä n d n i s von zwei D o p p e l h e f t e n verändert Weber erneut sein Konzept. Eingearbeitet wird in das erste D o p p e l h e f t die Organisation der Pariser, Londoner u n d der d e u t s c h e n Börsen. 3 0 Und w ä h r e n d er zu Beginn d e s ersten D o p p e l h e f t e s noch a n g e k ü n d i g t hat, er wolle nur „eine Skizze [...] zur ersten Orientierung" liefern u n d sich „ d e s h a l b des Aburteilens" enthalten, geht er auf den nachgelieferten Seiten s c h o n auf einige Vorschläg e der B ö r s e n e n q u e t e k o m m i s s i o n ein u n d enthält sich d i e s b e z ü g l i c h nicht der Kritik. 3 1 6. A u c h das Konzept für das zweite D o p p e l h e f t erfährt bei A b l i e f e r u n g d e s ersten eine Veränderung, insbesondere eine Erweiterung. Max Weber stellt am Schluß d e s ersten B ä n d c h e n s eine B e h a n d l u n g von Vorschlägen der B ö r s e n e n q u e t e k o m m i s s i o n zur Sicherung d e s Privatpublikums vor Ausb e u t u n g u n d zur Fernhaltung Unberufener von der Börse in Aussicht. 3 2 Ferner verspricht er n e b e n der Darstellung der A b w i c k l u n g des Börsenverkehrs, der Art der Kursfeststellung und der Preisbildung nun a u c h eine Beh a n d l u n g „der Funktionen der großen Banken im Börsenverkehr". 3 3 Das Konzept war also im Herstellungsprozeß einem s t ä n d i g e n Wandel unterworfen. A m Ende löst Weber nur sein erstes Versprechen ein, im zwei-

29 Zitat vgl. unten, S. 135. 30 Vgl. unten, S. 156-174. Das Material hierzu hat Weber vermutlich schon in Vorbereitung eines Vortrags gesammelt, den er am 3. Juli 1894 unter dem Titel „Organisation der deutschen Börsen im Vergleich mit denjenigen des Auslandes" auf Einladung der Internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre in Berlin gehalten hatte. Vgl. unten, S. 889-992. 31 Vgl. seine Kritik an der Organisation der deutschen Börsen und an den Vorschlägen der Börsenenquetekommission, unten, S. 166-174. 32 Vgl. seine Vorankündigung, unten, S. 168f. 33 Vgl. seine Vorankündigung, unten, S. 174, Fußnote 17. Marianne Weber, Lebensbild 3 , S. 209, hat im Rückblick von einer „Börsen- und Bankfibel" gesprochen. Vgl. dazu oben, S. 129 mit Anm.8.

Editorischer

Bericht

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ten Heft 34 die inneren Verhältnisse und die Börsengeschäfte zu beschreiben. Der Raum ließ mehr nicht zu. Der Autor hatte sich mit seinen Vorverweisen auf das nächste Doppelheft zu viel vorgenommen. Sich mit den Reformvorschlägen auseinanderzusetzen und seinerseits Möglichkeiten einer Börsenreform zu beschreiben, 35 hat Max Weber im zweiten Doppelheft aber nicht nur wegen des Raummangels unterlassen, sondern sicherlich auch, weil mit der Verabschiedung des Börsengesetzes 1896 eine Diskussion der Reformvorschläge nicht mehr aktuell war. Weber wendet sich in seiner Schrift „Die Börse. I. Zweck und äußere Organisation der Börsen" unter Bezugnahme auf die Lebensumstände der städtischen und ländlichen Arbeiter direkt an seine Leser. Er bezieht sie in seine Darstellung ein, indem er das ihnen Vertraute, nämlich den Alltag (Nahrung, Kleidung, Arbeit, Kirche), 36 anspricht, Sprichwörter 37 und Bibelzitate 38 gebraucht und sich mit sozialistischen Ideen und sozialistischer Systemkritik 39 auseinandersetzt. Er nimmt Rücksicht auf seine Leserschaft und verzichtet auf sonst übliche Stilmittel. Die Sätze sind in der Regel einfach strukturiert: kurze Hauptsätze, Reihung von Hauptsätzen, einfache Relativsätze etc. Der Gebrauch von Fremd- und Fachwörtern ist auf das Nötigste beschränkt, zum Teil sind Aussprache oder Übersetzung in Klammern angegeben. 40 Fachbegriffe werden nicht abstrakt, sondern allgemeinverständlich mit Hilfe von Beispielen erläutert. 41 Latinismen finden sich in diesem Text nicht.

34 Der Begriff „Heft" ist von den Beteiligten verschieden verwendet worden. Im strengen Sinne bezeichnet er einen Text von 16 Seiten Umfang, der sich in die von Friedrich Naumann geplante Serie einfügt und eine eigene Nummer trägt. Doppelhefte haben demzufolge 2 Nummern und umfassen 32 Seiten. Den Doppelheften entspricht später die Bezeichnung als Teil I und Teil II, wie sie Weber selbst unten, S. 619, Fußnote 1, verwendet. Anders formuliert er unten, S. 135, und unten, S. 174, Fußnote 17, wo er den später folgenden Teil „Heft" nennt. 35 Vgl. unten, S. 168f. und 174, Fußnote 17. 36 Vgl. unten, S. 139: „Getreide - England hätte kein Brot [...]; Italien hätte aus den Mitteln des eigenen Landes keine Kohlen im Ofen und kein eisernes Werkzeug; - Baumwolle - kein Kleidungsstück, wie es der moderne, europäische Arbeiter trägt [...]"; S. 161: „[...] wie früher allgemein und zum Teil noch die Kirchensitze bei uns [...]"; S. 162: „Man sieht zuweilen Arbeiter in blauer Bluse [...] an der Börse [...]." 37 Vgl. unten, S. 168 mit Anm. 49. 38 Vgl. unten, S. 164, Fußnote 11 mit Anm. 39. 39 Vgl. unten, S. 135, 148 und 154f. 40 Vgl. unten, S. 141: „.Fonds' (Sprich: Fongs)"; S. 158: „.Courtage' (Sprich: Kurtasche)"; S. 160: ...cediren' (d. h. übertragen)". 41 Z.B. „Tratte", unten, S. 143.

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Die Börse I.

Zur Überlieferung

und Edition

Ein Manuskript ist nicht überliefert. Der A b d r u c k folgt der Broschüre „Die Börse. I. Z w e c k u n d äußere Organisation" (Göttinger Arbeiterbibliothek, I . B a n d , 2. u n d 3. Heft, hg. von Friedrich N a u m a n n in Verbindung mit d e n Pfarrern Paul Göhre, 0 . Lorenz, E. J. Lehmann, M. Wenck, Ebert, Fr. Müller u.a.) - Göttingen: V a n d e n h o e c k & Ruprecht 1894, S. 1 7 - 4 8 (A). Der Text hat die Überschrift: „Die Börse. I. Z w e c k u n d äußere Organisation der Börsen." Die Edition ü b e r n i m m t diese Überschrift als Texttitel. Der Text ist gezeichnet: „von Dr. Max Weber, o. Professor der Staatswissenschaften in Freiburg i. Br." u n d ist o h n e Zweifel von Max Weber autorisiert. Die O r i g i n a l a u s g a b e ist in einer Frakturschrift g e d r u c k t . Stillschweigend korrigiert w u r d e n offensichtliche Setzerfehler wie z. B. „ p e r o d i s c h " oder „ H y p o t h e n b a n k " . In allen anderen Fällen sind die E m e n d a t i o n e n im textkritis c h e n A p p a r a t n a c h g e w i e s e n . Historisch b e d i n g t e Schreibweisen, wie z. B. „Rheder" für Reeder oder der w e c h s e l w e i s e G e b r a u c h von e i n f a c h e m bzw. d o p p e l t e m a wie bei „Wa(a)re", sind beibehalten. Die Fußnoten Max Webers, die in der O r i g i n a l a u s g a b e seitenweise durchgezählt sind, sind in der Edition mit a r a b i s c h e n Antiqua-Ziffern in offener Klammer durchnumeriert. Interne Textverweise wie z. B. „siehe o b e n " sind gemäß d e n Editionsprinzipien in der H e r a u s g e b e r r e d e d u r c h Seitenangaben ergänzt, soweit sie sich eindeutig n a c h w e i s e n lassen. Ist dies nicht der Fall, ist d a s angemerkt. Die b e i d e n Börsenhefte erklärte Max Weber zu s e l b s t ä n d i g e n Texten. Mit d e m W u n s c h d e s Verlegers, sie nicht hintereinander e r s c h e i n e n zu lassen, war Max Weber einverstanden. 4 2 Sie w e r d e n daher a u c h hier nicht als zus a m m e n h ä n g e n d e r Text veröffentlicht. 4 3 Z w i s c h e n den b e i d e n Börsenheften erschienen die vierteilige Artikelserie „ E r g e b n i s s e der d e u t s c h e n Börsenenquete", „ B ö r s e n w e s e n " sowie die b e i d e n Artikel „Die t e c h n i s c h e Funktion d e s Terminhandels". 4 4

4 2 Vgl. oben, S. 130f. mit Anm. 18 und 21. 43 Max Webers Börsenhefte werden im allgemeinen nach dem von Marianne Weber herausgegebenen Nachdruck unter der Überschrift „Die Börse (1894)", in: Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und Sozialpolitik von Max Weber. - Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1924, S. 256-322, als ein Text zitiert. Nirgends, auch nicht zu Beginn des zweiten Teils, ebd., S. 289, wird auf das spätere Erscheinen des zweiten Teils verwiesen. 44 Vgl. die Texte unten, S. 195-550, 558-590 und 597-613.

Die Börse. I. Zweck und äußere Organisation der Börsen3

Die nachstehende Skizze, der ein zweites Heft, 1 welches die inneren Verhältnisse der Börse und die Börsengeschäfte erörtern wird, folgt, ist ausschließlich bestimmt zur ersten Orientierung für solche, die den geschilderten Dingen gänzlich fernstehen, und sucht deshalb möglichst nichts als bekannt vorauszusetzen. Nur darauf, ob sie diesen Zwecken dient, kommt es an. Absichtlich enthält sie sich deshalb des Aburteilens. Denn die praktische Wirkungslosigkeit der Kritik, welche breite Volksschichten an den bestehenden Börsenzuständen üben, hat ihren Hauptgrund in einer grenzenlosen Oberflächlichkeit, welche die Fehler da sucht, wo nur der Unverstand oder der Interessengegensatz sie finden kann. Die gleiche Oberflächlichkeit hat aber auch die geradezu gefährliche Vorstellung verschuldet, als ob ein bei jeder nicht streng sozialistischen Gesellschaftsorganisation schlechthin unentbehrliches Institut, wie es die Börse ist, seiner Natur nach eine Art Verschwörerklub zu Lug und Betrug auf Kosten des redlich arbeitenden Volkes darstellen müsse und deshalb am besten irgendwie vernichtet würde und - vor allem - auch vernichtet werden könne. Nichts gefährdet aber eine Arbeiterbewegung wie die, an welche sich diese Zeilen ja nach der Titelaufschrift 2 zunächst wenden, schwerer, als unpraktische, in Unkenntnis thatsächlicher Verhältnisse gesteckte Ziele. Die Börse ist eine Einrichtung des modernen Großhandelsverkehrs.13 Ihre Unentbehrlichkeit für die moderne Wirtschaftsweise beruht auf dem gleichen Grunde, aus welchem die moderne Form des Handelsverkehrs überhaupt erwachsen ist. Sie war eben-

a In A folgt: von Dr. M a x Weber, o. Professor der Staatswissenschaften in Freiburg i.Br. b A: Großhandelverkehrs. 1 Vgl. dazu oben, Editorischer Bericht, S. 1 3 0 - 1 3 3 . Das zweite Heft ist unten, S . 6 1 9 657, ediert. 2 Weber bezieht sich auf den Titel der Reihe „Göttinger Arbeiterbibliothek". Vgl. dazu oben, Editorischer Bericht, S. 127f.

A

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Die Börse I.

so wenig von jeher notwendig oder auch nur möglich, wie es der moderne Großhandel war. Warum? - Verfolgen wir den Menschen in seiner Arbeit zurück bis in die ferne Vorzeit, so begegnet uns als frühster und natürlichster Gesichtspunkt, unter welchem er Güter hervorbrachte, der: den eignen Bedarf zu decken. Er suchte durch 5 seiner Hände Arbeit der Natur abzugewinnen, was er selbst zu seiner Ernährung und Kleidung, zum Schutze gegen Frost und Wetter A 18 bedurfte. A b e r niemals | hat der einzelne vermocht, auf sich selbst gestellt, der Natur zu trotzen. Für die Erhaltung der nackten Existenz allein schon ist und war er von jeher auf die Gemeinschaft 10 mit Andern angewiesen, wie das Kind auf die Brust der Mutter. Und die Gemeinschaft, deren er bedurfte, wählte er sich so wenig selbst aus freiem Entschluß, wie das Kind sich seine Mutter wählt. Sie wurde ihm mit auf den Lebensweg gegeben, er wurde in diese Gemeinschaft hineingeboren: in den festen, unter der unum- 15 schränkten Herrschaft eines Patriarchen stehenden Verband seiner Familie, die freilich anders aussah, als unsre heutige. Denn ihr Haushalt umfaßte Brüder, Vettern, Schwägerinnen bis in entfernte Grade und das unfreie Hausgesinde - durch kriegerische Gewalt unterworfene, oder solche, welche ihres Besitzes durch Frost und 20 Viehsterben beraubt, nach dem urältesten Rechtssatz der Geschichte, wollten sie leben, die Knechte der Sieger und Besitzenden werden mußten. Diese Familie ist die älteste wirtschaftliche Gemeinschaft. Sie brachte in gemeinsamer Arbeit die Güter hervor und verzehrte sie gemeinsam. Und zwar verzehrte sie nur, was sie 25 selbst hervorgebracht hatte - weil sie nichts Anderes zu verzehren hatte - und brachte nur das hervor, was sie verzehren wollte, weil sie für das Mehr keine Verwendung hatte. Vergleichen wir damit den Charakter der heutigen Wirtschaftsweise, so tritt der ungeheure Gegensatz alsbald zu Tage. Es gilt der 30 umgekehrte Satz: Nicht die Güter bringt der Einzelne hervor, die er selbst verbrauchen will, sondern solche, welche nach seiner Voraussicht Andere gebrauchen werden, und jeder Einzelne verzehrt nicht die Produkte seiner eigenen, sondern fremder Arbeit. Zwar ist selbstverständlich, daß das nicht allgemein gilt: es gilt nicht für den 35 Urwaldkolonisten und den Landwirt in der Tiefe unkultivierter Reiche, und es gilt nur beschränkt für unsre Kleinbauern, die in erster Linie selbst von der Ernte ihres Landes leben, und nur den Überschuß verkaufen. A b e r es gilt grade für die Wirtschaftsbetrie-

Zweck und äußere Organisation der Börsen

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be, welche die moderne Zeit im Gegensatz zu jener ältesten schuf. Nicht ob er selbst die Güter wird brauchen können, sondern ob sie „Abnehmer" finden werden, d.h. ob andre sie wahrscheinlich brauchen, ist der Gesichtspunkt, unter welchem der moderne Unternehmer produziert und produzieren muß. Zwischen diesen schroffen Gegensätzen liegt die geschichtliche Entwicklung der Jahrtausende, welche die alten Gemeinschaften | auflöste. Sie verflocht die einzelne Wirtschaft in eine Austauschte- A meinschaft mit einem sich stetig vergrößernden Kreise von andern Wirtschaften, einem Kreise, den die moderne Zeit auf die Gesamtheit der Kulturvölker zu erweitern strebt. Und sie vergrößerte andererseits denjenigen Bruchteil von Gütern, welchen die Wirtschaft, die sie hervorgebracht hatte, nicht selbst verbrauchte, sondern an Andre abgab. Und hier tritt der Handel in Thätigkeit. Neben der einfachen körperlichen Hervorbringung von Gütern und der dazu erforderlichen körperlichen Arbeit benötigt es, damit der Bedarf, dem diese Güter dienen sollen, befriedigt werde, noch eines andern: sie müssen demjenigen zugeführt werden, der sie verbrauchen soll und will, und zu dem Zeitpunkt, in welchem dies der Fall ist. Dazu steht der heutigen Gesellschaftsordnung das Mittel des Güteraustausches zu Gebote, und diejenige Thätigkeit, welche den Güteraustausch vermittelt, ist der Handel. Die älteste patriarchalische Familiengemeinschaft bedurfte seiner nicht, da sie grundsätzlich nur verzehrte, was sie hervorbrachte, und umgekehrt. Erst mit dem Erwachen des Bedarfes nach Luxusartikeln begann der Tauschverkehr. Metallene Geräte, Bernstein, Edelmetalle und Stoffe von hohem Werte sind die ältesten Gegenstände des Handels. Er lag in den Händen des wandernden Kaufmannes. Als Landfremder rechtlos und mit abergläubischer Scheu betrachtet, stand der gehaßte und doch unvermeidliche Mann unter dem Schutze der Götter, ähnlich wie etwa giftige Schlangen im alten Orient angebetet zu werden pflegten. Mit der Zeit gestalteten sich die Beziehungen regelmäßiger, und es entstanden neben dem wandernden Kaufmann die großen, periodischen Märkte, wie wir sie noch jetzt in Mittelasien finden. Auch hier sind es einander Stammfremde, die miteinander handeln. Die „Internationalität" stand an der Wiege des Handels-Kapitals. Innerhalb der Gemeinschaft von Stammesgenossen und unter diesen selbst kannte man den Handel so wenig, wie das Nehmen von Zinsen. Unentgeltlich,

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wie noch heute in altvaterischen Dörfern fern von der Stadt, lieh man Saatgut und Ackergeräte, und „unter Brüdern" gab es keinen nach Angebot und Nachfrage bestimmten Preis von Gütern. Auch als an die Stelle der großen Familienwirtschaft der Horden und Sippen mit dem Erstehen regelmäßigen Ackerbaues die Wirtschaft 5 selbständig in Dörfern und Höfen nebeneinander existierender Bauern getreten war, blieb dieser Gegensatz bestehen. - Das änA 20 derte sich | mit der Entstehung der Städte. Sie bedeutet das Hineintragen eines rein geschäftlichen Verkehrs in die alten Gemeinschaften selbst, den ersten Schritt zu ihrer Zersetzung. Neben die 10 internationalen Märkte, auf welchen die Luxusartikel des Auslandes gehandelt wurden, traten die regelmäßigen städtischen Märkte, auf welchen sich die ländlichen Produzenten von Nahrungsmitteln und die städtischen Produzenten von gewerblichen Produkten begegneten und ihre Waaren austauschten. Diese Wirtschaftsweise 15 also kannte und benötigte des Tauschverkehrs als eines regelmäßigen Elements. Aber immer noch war der Bruchteil, den der Einzelne von den durch ihn hervorgebrachten Gütern zu Markte brachte, ein geringer: Der städtische Gewerbetreibende war neben seinem Handwerk zumeist auch Landwirt (Ackerbürger), der Bauer ver- 20 zehrte den größten Teil seiner Produkte selbst, nur der Überschuß kam zu Markt. Aber neben dem Handwerk, welches für die Versorgung der Stadt und ihres wenige Meilen im Umkreis umfassenden Bezirks arbeitete, erschien in den Städten alsbald noch ein andres Element. Der wandernde und landfremde Kaufmann wurde ersetzt 25 und verdrängt durch den ansässigen, einheimischen Kaufmannstand, der im Wege regelmäßiger Geschäftsverbindung Waaren, welche das einheimische Gewerbe nicht hervorbrachte, von auswärts bezog. Es entstand der berufsmäßige Importhandel, und andererseits entstanden große Gewerbebetriebe, die den Überschuß 30 der einheimischen Produktion nach auswärts verhandelten - als Exporteure. Dazu bedurfte es der Kenntnis der fremden Märkte und bedeutender Mittel. Beides fehlte den Handwerkern. Ein Kapitalist stellte sich ihnen als „Verleger" zur Verfügung, nahm ihnen ihre Produkte ab und verhandelte sie, sie waren auf ihn angewie- 35 sen, und da er auch den Rohstoff im Großen billiger zu beschaffen wußte, lieferte er ihnen auch diesen und bedang sich aus, daß sie fortan allein für ihn arbeiteten; aus dem Handwerksmeister war ein abhängiger Haus-Industrieller geworden: der erste Schritt zur mo-

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dernen Fabrik. Damit waren alle Keime der modernen Entwicklung vorhanden. - Aber freilich nur als Keime. Denn noch immer war der Handel überwiegend ein Tauschverkehr mit Gegenständen von besonders hohem Werte. Wollten wir uns den Unterschied ge5 gen heute vergegenwärtigen, so müßten wir uns vorstellen, daß der heutige Handelsverkehr vornehmlich etwa Champagner, Seidenstoffe und ähnliche Artikel für den Bedarf | der besitzenden Klas- A21 sen umfaßte. In Wahrheit zeigt ein Blick in die Übersichten des auswärtigen Handels jedes Großstaats, daß es andre: die „Massen10 artikel" sind, welche die großen Zahlen ausmachen: Getreide England hätte kein Brot, lieferte ihm das Ausland nicht jährlich für eine Milliarde Korn;3 - Kohlen und Eisen - Italien hätte aus den Mitteln des eigenen Landes keine Kohle im Ofen und kein eisernes Werkzeug; - Baumwolle - kein Kleidungsstück, wie es der moder15 ne, europäische Arbeiter trägt, kann ohne die Versorgung des Marktes mit überseeischem Garne oder Baumwollrohstoff gefertigt werden. - Kein Baumwollfaden aber wird in der Wirtschaft versponnen und verwebt, in der er geerntet wurde, kein Eisenerz von dem Bergwerksbesitzer geschmiedet, der es der Erde abgewinnen 20 ließ, nur ein winziger Bruchteil Kohlen wird von der Zeche selbst verbraucht, aber auch von Getreide rechnet man, daß mehr als die Hälfte der gesamten, gewaltigen Produktion der Welt von andern, als denen, die das Land bebauen, verzehrt und über ein Fünftel unter den Nationen ausgetauscht wird.4 Diesem Riesenaustausch sol25 eher Güter dient die Börse. Sie ist ein moderner Markt, ein Ort, wo, wie auf diesem in regelmäßigen - an den großen Börsen täglichen - Versammlungen Kaufgeschäfte abgeschlossen werden. Worin unterscheidet sie sich von dem, was man gewöhnlich Markt nennt? Greifen wir den stärksten Gegensatz - einen kleinen lokalen Le-

3 Die Getreideeinfuhr Großbritanniens belief sich z u m B e i s p i e l im J a h r 1888 auf 1,047 Milliarden Mark. J u r a s c h e k , Franz von, Statistik d e s G e t r e i d e h a n d e l s , in: HdStW 1 3, 1892, S. 880. 4 Die g e s c h ä t z t e mittlere Weltgetreideproduktion der J a h r e 1878 bis 1887 betrug rund drei Milliarden Hektoliter, d a v o n w u r d e n 1887 569,12 Millionen Hektoliter (Getreide und Mehl) international umgesetzt. J u r a s c h e k , Franz von, Ü b e r s i c h t e n der Weltwirtschaft. J a h r g a n g 1 8 8 5 - 1 8 8 9 mit E r g ä n z u n g e n bis teilweise 1895. - Berlin: Dr. P. L a n g e n s c h e i d t [1896], S. 163 und 179. Vgl. a u c h Weber, Max, Landwirtschaft und Agrarpolitik. Grundriß z u 8 V o r l e s u n g e n im E v a n g e l i s c h - s o z i a l e n K u r s u s zu Berlin. O k t o b e r 1893, in: M W G I/4, S. 262.

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bensmittelmarkt einer Landstadt - heraus. Auf diesem Markte verhandelt der Bauer regelmäßig selbst hervorgebrachte und an Ort und Stelle gegenwärtige Ware an einen Käufer, der sie alsbald bezahlt und selbst verbrauchen will; an der Börse wird ein Geschäft geschlossen über eine nicht gegenwärtige, oft noch unterwegs be- 5 findliche, oft erst künftig zu produzierende Ware, zwischen einem Käufer, der sie regelmäßig nicht selbst behalten, sondern (womöglich c noch ehe c er sie abnimmt und bezahlt) mit Gewinn weiter geben will, und einem Verkäufer, der sie regelmäßig noch nicht hat, meist nicht selbst hervorbringt, sondern mit Gewinn erst beschaf- 10 fen will. Das Getreide, das an einem Tage an der Börse gehandelt wird, lagert zum guten Teil noch in den Speichern Nordamerikas, oder schwimmt auf dem Ozean, und vom Käufer soll es seinerzeit weiter an die Mühlen und von diesen an die Bäcker gelangen. Auf dem kleinen Markte handeln nur oder fast nur Produzenten und 15 Verbraucher mit einander. Auf der Börse handeln nur oder fast nur A 22 Kaufleute. - Trotz dieser Unter (schiede sind aber Börse und Markt wesensgleich, schon durch den gleichartigen Zweck, dem sie dienen. Denn sie sind Orte, wo „Angebot" und „Nachfrage" in einer Ware sich treffen sollen. Gehen wir wieder von dem kleinen Mark- 20 te aus: Auf der einen Seite stehen die Bauern, die Feldfrüchte zu verkaufen haben (Angebot) und Artikel der städtischen Handwerker kaufen wollen (Nachfrage) - auf der andern die städtischen Verzehrer, die Nahrungsmittel kaufen (Nachfrage), und die Handwerker, die ihre Erzeugnisse verkaufen wollen und müssen (Ange- 25 bot). Diese ausgestreckten Hände müssen sich treffen können, und dafür ist der Markt unentbehrlich. Den gleichen Zweck hat die Börse. Nur ist der Umfang ein unendlich viel gewaltigerer. Sie ist der Markt für die modernen Massenbedarfsartikel, in welchen fortgesetzt ein gewaltiges d Angebot und d nach welchen eine ebenso 30 gewaltige Nachfrage stattfindet. Damit hängt auch jener Unterschied in der Art der Vorgänge auf der Börse vom Markte zusammen. Will ich ein Haus kaufen, so will ich nicht ein Haus im allgemeinen, sondern ich kaufe ein ganz bestimmtes, bezeichnetes und will dies, kein anderes, auch wenn es ebenso viel wert ist, übereig- 35 net erhalten; kaufe ich Fische ein, die ich verzehren will, so will ich

c A: noch, ehe

d A: Angebot, und

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der

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wenigstens sie mir vorher ansehen können auf ihre Preiswürdigkeit, und dazu sind sie auf dem Markt zugegen. Will dagegen eine Getreidefirma im Großhandel 1000 Ctr. einer bestimmten Getreidesorte kaufen, für die sie Verwendung zu haben glaubt, so ist etwas Ähnliches weder regelmäßig möglich, noch auch nötig. Es kommt ihr im allgemeinen nur darauf an, das bestimmte Quantum Getreide von einer bestimmten, vorher vereinbarten Sorte und Güte - sei es nach einer vorgelegten Probe, sei es eine im Handel gangbare und deshalb mit einer bestimmten Bezeichnung belegte Qualität - zu erhalten. Sorte und Qualität also wird vereinbart, der Verkäufer bringt nicht erst die Waare zur Stelle und verkauft sie dann, sondern regelmäßig umgekehrt: erst verkauft er („in Blanko," wie man zu sagen pflegt) und dann sucht er sich innerhalb der vertragsmäßig ausbedungenen Zeit die Ware zu verschaffen, die er zur Erfüllung des Vertrages braucht; zur festgesetzten Zeit liefert er sie: entspricht sie der verabredeten Qualität, so nimmt sie der Käufer oder der, an den dieser sie weiter verkauft hat, ab, ist das nicht der Fall, so weist er sie als nicht vertragsmäßig („nicht lieferbar") zurück. So steht es mit all den Artikeln, die auf der Börse gehandelt | werden. Braucht ein deutsches Handlungshaus einen A23 Betrag russischen Papiergeldes, um eine Schuld in Rußland zu bezahlen, so kommt es ihm nicht auf gewisse Stücke an, wie dem, der ein Haus oder ein bestimmtes Reitpferd kauft, sondern jede Rubelnote, wenn sie echt ist, thut ihm den gleichen Dienst: - es handelt sich bei den Börsengeschäften regelmäßig um - wie man sich ausdrückt - „vertretbare" Sachen, d. h. solche, bei denen es nicht auf die Lieferung bestimmter einzelner Gegenstände, sondern darauf ankommt, daß das vertragsmäßige Quantum von der vertragsmäßigen Sorte und Qualität geliefert wird. Sehen wir uns nun zunächst die Waren näher an, welche den Gegenstand des Verkehrs auf der Börse zu bilden pflegen. Man pflegt sie in zwei Hauptgruppen zu scheiden: „Produkten," Waren im engeren Sinne, einerseits und Geldsorten, sowie Wechsel, „Effekten" und „Fonds" (Sprich: Fongs) d. h. Wertpapiere verschiedener gleich zu besprechender Art, 5 andererseits, und man scheidet danach die „Produktenbörse" von der „Effektenbörse." Die Unterscheidung

5 Unten, S. 1 4 3 - 1 5 6 .

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hat nur dieselbe Bedeutung, als wenn man etwa Fisch-, Fleisch- und Gemüsemarkt unterscheidet. Beide können an ein- und demselben Orte stattfinden und gemeinschaftlich organisiert esein - so e z. B. in Berlin und Hamburg. Oder sie können an verschiedenen Orten stattfinden - so in Paris und London. Es können auch beide Hauptabteilungen wiederum geteilt sein, z. B. die Effektenbörse in eine Börse für Wechsel und eine solche für andre Wertpapiere, so in London, 6 und die Produktenbörse in besondere Märkte für Getreide, Zucker, Eisen, Schmalz u. s. w. - so vielfach in Amerika. Es werden endlich überhaupt nicht an jeder Börse alle oder viele „börsengängige" Waren und Papiere gehandelt, sondern naturgemäß oft nur oder ganz überwiegend die, welche in der betreffenden Gegend produziert oder durch den betreffenden Hafenplatz hindurch ein- oder ausgeführt werden: - wie in den Seestädten der Fischmarkt; so besteht in Essen, im westdeutschen Kohlenreviere eine Börse, an welcher nur Kohlen und Anteile an Bergwerken gehandelt werden, in Magdeburg, inmitten der Zuckerrüben bauenden Provinz Sachsen7 eine solche für Zucker. Nur an den großen zentralen Börsen konzentriert sich der Verkehr in allen Haupthandelsartikeln. An der Produktenbörse begegnen wir zunächst dem Getreide und den Feldfrüchten aller Art, nebst den unmittelbar daraus geA 24 wonnenen Produkten, insbesondere Mehl. Der | größte Markt dafür ist in Deutschland nächst der Berliner Börse Mannheim, bis wohin das überseeische Getreide rheinaufwärts verschifft wird. Ferner: Zucker - die größten Märkte sind mit Berlin,8 wie schon erwähnt, Magdeburg, und 'Hamburg (Ausfuhrhafen)/ und Sprit Berlin und Hamburg (Ausfuhrhafen) teilen sich in den Markt; Petroleum: Bremen (Einfuhrhafen), teilt sich mit Berlin, Baumwolle: ebenso;9 - Wollgarne, besonders Kammgarne: Leipzig (Produktionsort) spielt eine erhebliche Rolle; - Kaffee: Für ihn ist Hame A: sein so

f A: Hamburg, (Ausfuhrhafen)

6 Wechsel wurden an der Royal Exchange, andere Wertpapiere an der Stock Exchange gehandelt. 7 Gemeint ist hier die zu Preußen gehörende Provinz. Sie entspricht dem heutigen Bundesland Sachsen-Anhalt. 8 In Berlin wurde an der Produktenbörse kein Zucker gehandelt. 9 Baumwolle wurde In Bremen und Hamburg, jedoch nicht in Berlin gehandelt.

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bürg (Einfuhrhafen) der größte Handelsplatz; - Kohle und Eisen: die Märkte der westlichen Produktionsgegenden sind von entscheidender Bedeutung, - und viele andere nicht so wichtige Artikel, deren Aufzählung zu weit führt. Im Effektenhandel drängt sich der Verkehr natürlich an den Orten zusammen, welche der Sitz der großen Bankhäuser sind: in Deutschland haben neben Berlin nur Frankfurt a. M. und Hamburg große Bedeutung. Wir müssen uns die Gegenstände, die an der Effektenbörse geund verkauft werden, näher ansehn. Es werden gehandelt: 1) Geldsorten und geldwerte Papiere, welche unsere Industriellen und Kaufleute als Zahlung aus dem Ausland erhalten und zur Leistung von Zahlungen an das Ausland gebrauchen. Dahin gehören natürlich zunächst die Münzen und das Papiergeld fremder Staaten (namentlich das Papiergeld Rußlands), aber auch eins der ältesten Objekte des Börsenhandels, der Wechsel, gehört dahin. Was ist er? Man sieht ihm seiner Form nach nicht an, was er rechtlich bedeutet. Die wichtigste Form des Wechsels, die sog. „Tratte" oder der „gezogene" Wechsel, stellt sich dar als die Anweisung z.B. eines Kaufmanns Schulze in Berlin, gerichtet z.B. an einen Kaufmann Smith in London, eine bestimmte Summe an einem bestimmten Tage zu zahlen an einen Dritten, Herrn Müller in Berlin, oder an dessen „Order", d. h. an denjenigen, welchem der Wechsel durch Müller gültig übertragen sein werde.1) Rechtlich bedeutet er aber nichts anderes als: Schulze verspricht dem Müller und dessen „Order" dafür aufzukommen, daß Smith die bestimmte Summe zur bestimmten Zeit zahlen werde, und sein weitaus wichtigster praktischer Zweck - der, zu dem er schon vor etwa 700 Jahren gebraucht wurde - ist | folgender: Schulze in Berlin ist Exporteur, er hat deut- A 25 sehe Waren nach London an den englischen Importeur Smith verkauft und nun den Kaufpreis (sagen wir 100 £) zu fordern. Müller in Berlin ist Importeur. Er hat englische Waren von einem englischen Exporteur Jones in London gekauft und eingeführt, schuldet also diesem den Kaufpreis (nehmen wir der Einfachheit halber an:

'' Z. B.: „An Herrn Smith in London. Gegen diesen Wechsel zahlen Sie am 1. Juli 1895 A 24 an Herrn Müller in Berlin oder Order die Summe von 100 Pfund Sterling. Berlin, den 1. April 1895. Schulze." |

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ebenfalls 100 £). Der gegenseitige Verkehr zwischen Deutschland und England beträgt Hunderte von Millionen Mark an Wert im Jahr, es giebt Tausende von jeder der vier Personenarten, die wir mit Schulze, Smith, Müller und Jones bezeichnet haben. Würden die Kaufpreise alle in bar bezahlt, so müßten unglaubliche Sum- 5 men Geldes - mehrere Tausend Zentner in Gold - hin- und hergeschickt werden, was unsinnige Kosten machen und das Geld der Seegefahr aussetzen, auch für die Dauer der Reise dem Gebrauch entziehen würde. Deshalb verfährt man wie folgt: Schulze in Berlin, der von Smith in London Geld zu empfangen hat, „zieht" einen 10 Wechsel über 100 £ „auf" Smith, d.h. er weist ihn an, an Müller oder dessen „Order" zu zahlen. Diesen Wechsel giebt er an Müller in Berlin, der an Jones in London Geld zu zahlen hat, und verpflichtet sich dadurch, dem Müller dafür aufzukommen, daß Smith an ihn oder an den zahlen werde, der seine Order sein werde. Mül- 15 ler zahlt ihm dafür die 100 £2) aus und schickt den Wechsel an seinen Gläubiger Jones in London, indem er diesen auf dem Wechsel als seine „Order" bezeichnet - diesen Vermerk auf dem Wechsel nennt man „Giro" oder „Indossament". Jones in London zieht die Wechselsumme bei Smith in London ein und kommt durch diese 20 Zahlung zu seinem Gelde - Schulze hat das Seinige als Kaufpreis für die Hingabe des Wechsels von Müller erhalten: das Geschäft ist „abgewickelt."3) Alle die Schulzes (Gläubiger englischer Schuldner, also Verkäufer von Wechseln „auf" London) und die Müllers (Schuldner englischer Gläubiger, also Käufer von Wechseln „auf" 25 London) unsres 9Beispiels treffen 9 sich nun auf dem großen Markt, A 25

2 > Auf die Abzüge („Diskont"), welche gemacht zu werden pflegen, und die Kursschwankungen der Wechsel, kommen wir im nächsten Heft. 10 3) Es sei denn, daß Smith dem Jones aus irgend einem Grunde den Wechsel nicht zahlt, in welchem Falle Jones „Regreß" gegen Müller und dieser gegen Schulze nimmt. Schulze wird dann genötigt, Kostenersatz und Zahlung nebst Zinsen an Müller zu leisten und hält sich seinerseits an seinen Schuldner Smith, der ohne Grund nicht gezahlt hat. Dann ist der Versuch, das Geschäft durch Wechsel abzuwickeln, mißglückt, es ist dies aber selbstverständlich die seltene Ausnahme. |

g A: Beispiels, treffen 10 Max Weber ¡st darauf nicht mehr eingegangen. Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Börse II, unten, S. 616f.

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wo jederzeit große Beträge „auf London" zu kaufen und zu verkaufen sind - auf | der Wechselbörse. Sie können sich nur dort mit A Sicherheit gegenseitig finden. Ebenso vollzieht sich das Geschäft mit den übrigen Ländern, mit denen wir im Güteraustausch stehen. Fortwährend findet der Handel in Wechseln auf London, auf Paris, auf Petersburg, auf New-York etc. in gewaltigen Summen statt und dieser Handel ist unentbehrlich. Bei etwa 3 Milliarden Mk. in gemünztem Geld und Geldscheinen, die in Deutschland im Umlauf sind, laufen über 13 Milliarden in Wechseln jährlich um.11 2) Zweitältester Gegenstand des Handels an der Fondsbörse sind die „Fonds" im engeren Sinne des Wortes: die Staatspapiere und die ihnen verwandten Schuldverschreibungen der Gemeinden und andrer öffentlicher Korporationen. Daß Staat und Gemeinde heutzutage fast ausnahmslos Schulden machen, ist bekannt: das Reich und die deutschen Staaten zusammen haben rund 8 V2 Milliarden, England, ohne seine Kolonieen, 15 Milliarden, Frankreich 20 Milliarden Mk. Staats-Schulden,12 und diese Schulden müssen den Gläubigern des Staates verzinst werden. Die Verschuldung eines Staates ist heute nicht etwa an sich ein Unglück, ein Zeichen schlechter Verwaltung oder mangelnden Reichtums. Wenn ein Staat eine große Eisenbahn ankauft oder baut für - sagen wir - 50 Millionen Mark, so wäre es weder gerecht noch verständig, wenn er diesen Betrag durch eine Steuer, im Durchschnitt z. B. in Deutschland von 1 Mk. pro Kopf, aufbringen würde. Nicht nur der lebenden Generation dient und nützt die Bahn, und nicht nur der jetzige Finanzminister heimst die Einnahmen daraus ein. Deshalb ist es richtig, daß wir dafür auch die Nach-

11 Ende 1892 betrug der Umlauf an Münzen und Banknoten im Deutschen Reich 3,06 Milliarden Mark. Die Reichsbank schätzte den durchschnittlichen Wechselumlauf im Reich 1892 auf 3 658 Millionen Mark, 1893 auf 3 735 Millionen Mark. Sie schließt aus dem Wechselsteueraufkommen jeweils der letzten drei Monate und einer Durchschnittsumlaufzeit von 90 Tagen, wobei für Wechsel mit weniger Laufzelt ein geringer Prozentsatz des Steueraufkommens abgesetzt wurde. So errechnet sich ein jährlicher Wechselumlauf von 14,6 bzw. 14,9 Milliarden Mark. Deutsches Geld- und Bankwesen in Zahlen 1876-1975, hg. von der Deutschen Bundesbank. - Frankfurt a. M.: Fritz Knapp 1976, S. 14 und 20. 12 Nach zeitgenössischen Angaben betrugen 1890 die Staatsschulden des Deutschen Reichs und der deutschen Staaten zusammen über 8,2 Milliarden Mark, die Großbritanniens und Irlands ohne Kolonien über 14 Milliarden Mark und die Frankreichs ohne Kolonien fast 18,7 Milliarden Mark. Lehr, Julius, Staatsschulden, In: HdStW 1 5, 1893, S.844f.

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kommen steuern lassen, das geschieht, indem das Geld geliehen, verzinst und allmählich in längeren Zeiträumen aus den Steuern zurückbezahlt wird. Die Steuerlast dafür wird dadurch auf Gegenwart und Zukunft verteilt. Preußen hätte z. B. die 5 Milliarden, welche es innerhalb von 10 Jahren für den Ankauf von Bahnen aus- 5 gab,13 sonst etwa durch jährlich 500 Millionen besondere Steuern decken müssen, und das wäre ein thörichter und unmöglicher Versuch gewesen. Etwas Andres und eine schlechte Finanzwirtschaft ist es, wenn ein Staat für Bedürfnisse, die ständig wiederkehren, die Bezahlung seiner Beamten und seines Heeres z.B., fortgesetzt 10 Geld leiht: dann schiebt die lebende Generation auf die Nachkommen Lasten ab, die sie selbst tragen muß: der Staat wirtschaftet mit A 27 einem Defizit, welches | die Nachkommen bezahlen sollen. - Das Leihen des Geldes für jene Staatsbedürfnisse nun bewirkt der Staat - und ähnlich verfahren Kreise, Gemeinden u.s.w. - durch 15 Verkauf von Schuldverschreibungen, in denen der Staat die Zahlung bestimmter Zinsen - 3 , 3 V2,4 etc. Prozent einer Schuldsumme - an bestimmten Zahlungsterminen (z. B. 1. Januar und 1. Juli) verspricht an jeden, der zu der betreffenden Zeit als Inhaber der Schuldverschreibung sich melden und ausweisen werde.4) Wer den 20 Besitz der Schuldverschreibung rechtmäßig - durch Kauf etc. - erwirbt, wird also Staatsgläubiger. Die Schuld zurückzuzahlen verspricht der Schuldner (Staat, Gemeinde etc.) entweder nach einem bestimmten Plan, so daß jährlich eine Anzahl Nummern der Schuldscheine ausgelost und zurückbezahlt („amortisiert") wer- 25 den, oder er behält sich nur das Recht vor, sie zu kündigen, übernimmt aber keine entsprechende Pflicht - so ist es bei unsern A 27

4 > Meist werden zur Erleichterung sogenannte Coupons (sprich Kupongs), d. h. Abschnitte mitausgegeben, von welchen man je einen zu den Fälligkeitsterminen abschneidet und dagegen die Zinsen erhebt, so daß man nicht die Schuldverschreibung selbst vorzuweisen braucht. |

13 1879/80 setzte in Preußen die Verstaatlichung der größten privaten Eisenbahnen ein. Bis 1890 wurden insgesamt 14168 Kilometer Privatbahnen für 4,4147 Milliarden Mark in staatlichen Besitz überführt. Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Struktur und Krisen des Kaiserreichs, Band 4. - Stuttgart: W. Kohlhammer 1969, S. 1065. Die Verstaatlichung wurde zum größten Teil durch die Ausgabe preußischer Staatsanleihen finanziert, mit denen die Besitzer der Aktien und Obligationen der Elsenbahngesellschaften bezahlt wurden.

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Reichs- und preußischen Anleihen (sog. „Konsols"). Der Staat (resp. die Gemeinde etc.) kann das, denn den Besitzern der Schuldverschreibungen liegt gar nichts daran, ihr Geld zurückzuerhalten, sie wollen vielmehr die Zinsen beziehen, sie sind Mitglieder der be5 sitzenden Klassen, welche auf diese Weise „ihr Vermögen anlegen," das heißt, sich das Recht auf den Bezug eines Tributes sichern von den mit diesen Zinsen Belasteten, also hier den Steuerzahlern des Staates oder der Gemeinde, welche die Zinsen der Staats- und Gemeindeschuld durch Steuern aufbringen. Und ebenso ist es mit 10 den „Obligationen," welche Eisenbahnen oder Fabrikunternehmer ausgeben. Krupp z. B. gab kürzlich 24 Millionen Schuldverschreibungen aus zum Ankauf einer Konkurrenzfabrik,14 und massenhaft sind die Obligationen von Eisenbahnen und Aktien-Gesellschaften. Die Zinsen werden hier aufgebracht von den Benutzern 15 der Bahn: in den Frachten, den Käufern der Waren: in den Preisen, endlich indem ein Teil dessen, was das Unternehmen einträgt, nicht an die Unternehmer als Gewinn und an die Arbeiter als Lohn, sondern eben an die Tributberechtigen abfließt. Jene alle werden „besteuert" zur Bestreitung des Kapitalzinses. 20 Diese modernen Tributpflichten sind das Produkt einer langen Entwicklung. Einst war der Zins das Zeichen der | Unfreiheit. A28 „Unter Brüdern" lieh man nicht gegen Zins. Ihn nahm der fremde Eroberer als Kopfzins von der Person, als Bodenzins vom Lande, oder der Herr des Bodens von dem Besitzlosen und deshalb nicht 25 Vollfreien, dem er Land lieh. Der Bodenbesitz ist die älteste Quelle von Zinsrechten. Heute ist er es zwar auch noch: zumal die Mietszinsen in den Städten zeugen davon, allein mächtiger ist jetzt jener andere Tributherr. Seine Eigenart ist es, „unpersönlich" zu sein.15 Der Zinsbauer steuerte seinem Grundherrn, der ihn per14 Die Firma Fried. Krupp, Gußstahlfabrik, hatte im Mai 1893 eine vierprozentige Anleihe in Höhe von 24 Millionen Mark aufgenommen. Der Emissionserlös diente dem Erwerb des Grusonwerks in Magdeburg-Buckau. Krupp übte damit eine Option auf Übernahme des gesamten Aktienkapitals des Grusonwerks in Höhe von zwölf Millionen Mark zu einem Kurs von zweihundert Prozent aus. Das Grusonwerk ist das einzige ebenbürtige Konkurrenzunternehmen auf dem Gebiet der schweren Waffen gewesen. Der Deutsche Oekonomist, XI. Jg., Nr. 543 vom 13. Mai 1893, 1. Beilage, S.288. 15 Ähnlich wie hier und im folgenden formuliert Max Weber in seiner Rezension von: Was heißt Christlich-Sozial? Gesammelte Aufsätze von Friedrich] Naumann, in: MWG I/4, S. 356f. und 359. Vgl. hierzu auch die Ausführungen im Editorischen Bericht, oben, S. 129 f.

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sönlich beherrschte und den er kannte, heute kennt der Besitzer zinstragender Papiere diejenigen nicht, deren Einkommen für ihn besteuert wird, und der Gutsbesitzer, der von einer Hypothekenbank Geld gegen Verpfändung seines Grundstücks dargeliehen erhält, kennt die nicht, welche dieser Bank das von ihr so verwendete Geld darleihen und dagegen „Pfandbriefe", d.h. zinstragende Urkunden erhalten, für welche die Gesamtheit der der Bank zinspflichtigen und verpfändeten Grundstücke weiter verpfändet ist. Die Unpersönlichkeit der Beziehungen zwischen Zinsherrn und Zinspflichtigen ist das Charakteristische dieser heutigen Tributpflichten. Deshalb spricht man von der Herrschaft „des Kapitals" und nicht von derjenigen der Kapitalisten. 16 Wer sind nun die Inhaber dieser Papiere, an welche das Recht auf den Zinstribut geknüpft ist? Das kommt auf die soziale Struktur und Vermögensverteilung innerhalb des einzelnen Volkes an, und man muß sich hüten, zu glauben, sie seien mit Notwendigkeit an eine dünne Schicht „kouponschneidender Faulenzer" gebunden. In Frankreich z.B. reicht der Besitz von Staatsschuldverschreibungen und ähnlichen Papieren bis in Volksschichten, welche derartige Papiere bei uns nie zu Gesicht bekommen. Das hat seinen Grund teils in dem Bestehen einer weit breiteren Schicht eines immer noch wohlhabenden Bauernstandes, als wir sie bei uns finden, unleugbar aber auch in der bei den Franzosen üblichen Einschränkung der Kinderzahl („Zwei-Kinder-System"), welche den Zerfall der Vermögen durch Erbteilung hindert, 17 freilich zweifellos andererseits die Gefahr schwerer sittlicher Schäden in sich trägt.5) In Deutschland rechnet

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Auch in England besitzen Arbeiter nicht selten zinstragende Papiere, dort sind es die großen Gewerkvereine der Trade Unions (sprich: Tred' Junions) in Verbindung mit den günstigen Produktions-Bedingungen der englischen Industrie und - namentlich der Weltmachtstellung des Staates zur See, welche einem Teil der Arbeiter Löhne sichern, die unter Umständen eine Vermögensansammlung gestatten. | 16 Von der Unpersönlichkeit der Beziehungen und der unpersönlichen Macht des Kapitals sprach Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. 1. Buch: Der Produktionsprozeß des Kapitals. - Hamburg: Otto Meissner 18833, S. 120. 17 Das seit der Französischen Revolution eingeführte Erbrecht beschränkte die testamentarische Verfügungsfreiheit und erzwang eine annähernd gleiche Vermögensteilung unter die Kinder. Hieraus ließe sich die in bäuerlichen Kreisen herrschende Abneigung, mehr als zwei Kinder zu haben, erklären.

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man,18 bei ca. 11 Millionen Familien mit 50 Millionen Köpfen, daß ca. 10 Millionen Personen | Sparkassenbücher besitzen, zwischen A 29 2 1 / 2 - 4 Millionen Kapitalzins in irgend einer Form beziehen und von diesen 1V2 - 2 Millionen solchen in Form von Wertpapier-Zin5 sen oder „Dividenden" einnehmen. Damit haben wir die zweite Hauptform des Tributes an das „Kapital", die „Dividende", schon erwähnt. Wir müssen auch sie etwas näher betrachten. Einen anderen Charakter nämlich als jene bisher betrachteten „Obligationen", welche Gläubiger-Rechte darstellen, haben die Aktien und 10 die ihnen ähnlichen Werte (Bergwerksanteile: sog. „Kuxe", Schiffsanteile: sog. „Schiffsparten" etc.). Sie bedeuten AnteilrechtQ an einem Unternehmen (Eisenbahn, Fabrik etc.). Das geschichtlich Ursprüngliche ist, daß z.B. die „Gewerken", denen ein Bergwerk gemeinschaftlich gehört, selbst den Abbau der Erze durch gemein15 schaftliche Arbeit besorgen, die Rheder, denen ein Schiff gehört, alle oder zum Teil die Fahrt persönlich mitmachen. Später, als der Besitz eines großen Schiffes oder der planmäßige Betrieb eines Bergwerks die Aufbringung bedeutender Mittel forderten, schieden sich die Besitzenden allmälig von den Arbeitenden (jetzt: ge20 dungenen Lohnarbeitern). Die anteilsberechtigten Gewerken allein beschließen heute über die Angelegenheiten des Betriebes; von ihnen erhält ein jeder auf seinen Kux anteilsweise das, was über den Arbeitslohn und den sonstigen Bedarf für den Bergwerksbetrieb an Einnahme eingeht, als „Ausbeute" verteilt, und 25 wenn die Einnahmen die Ausgaben nicht decken, muß jeder an18 Die folgenden Zahlenangaben übernimmt Max Weber mit kleinen Änderungen aus Schmoller, Einleitung, S. XI. Schmoller hat auf der Grundlage der ihm von badischen, württembergischen und bayerischen Finanzstellen mitgeteilten Angaben über die kapitalsteuerpflichtigen Personen und deren prozentualem Anteil an der Gesamtbevölkerung folgende Hochrechnung angestellt: „[...] eine erhebliche prozentuale Zunahme der Personen, welche Kapitalrente beziehen, Ist In allen drei Staaten zu konstatlren. Und als Durchschnitt können wir sagen, 4 bis 6,5% der Bevölkerung dieser Staaten zahlt Kapitalrentensteuer; mit den befreiten Personen werden 5 bis 7 % Kapitalrente beziehen. Und wenn wir dieses Verhältnis auf ganz Deutschland übertragen [...], so kommen auf die 49,4 Millionen Deutschen, auf die 10 bis 11 Millionen Familien Deutschlands wahrscheinlich 2V 2 bis 4 Millionen Personen, die Kapitalrente beziehen, und von diesen werden sicher die Hälfte oder Dreiviertel, vielleicht noch mehr Irgend welche Effekten besitzen. Wenn wir uns erinnern, daß es In Deutschland 4,4 Millionen Personen giebt, die landwirtschaftlichen Grund und Boden als Eigenthum besitzen, und etwa 10 Millionen, die ein Sparkassenbuch Ihr eigen nennen, so sind 2V2 bis 4 Millionen, die, abgesehen von den Sparkassenbüchern, Kapitalrente beziehen, 1 V2 bis 2 Millionen, die Effekten besitzen nicht unglaublich."

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teilsweise „Zubuße" zahlen oder seinen Anteil zu Gunsten der anderen aufgeben. 6 ) Etwas anders steht es mit der /1/cr/engescllschaft, einer Form der Vereinigung von Kapitalisten, welche in großem Umfang in Deutschland zuerst für den Eisenbahnbau und -Betrieb benutzt wurde, seither aber für Unternehmungen aller Art Verwendung findet. Der Gesellschafter, „Aktionär", leistet für seinen Anteil nur einen bestimmten Beitrag, regelmäßig in bar, er ist also nicht im Falle des Verlustes zu Nachzahlungen verpflichtet, wie der Gewerke. Die Summe dieser Beiträge verwendet der (regelmäßig von der „Generalversammlung" der Aktionäre zu wählende) Vorstand der Gesellschaft, um damit z. B. eine Bahn zu h bauen oder'1 eine Fabrik anzukaufen etc., welche dann vom Vorstand für Rechnung der A 30 Aktionäre betrieben wird, oder aber es überträgt | einer der Gesellschafter der neu zu „gründenden" Gesellschaft seine Fabrik, die er bisher betrieb, nach einem verabredeten Geldanschlag als „Einlage" und erhält dafür nach Vereinbarung eine bestimmte Anzahl Anteile, Aktien also, während die anderen für ihre Anteile Geld einzahlen. Braucht die Gesellschaft noch mehr Geld und will sie nicht noch mehr neue Aktionäre zuziehen - „junge Aktien" ausgeben -[,] so macht sie Schulden. Sie kann solche namentlich machen, indem sie verzinsliche „Obligationen" - Schuldverschreibungen ausgiebt. Unbewanderte können nun die Aktien leicht mit diesen verwechseln. Auch die „Aktien" sehen nämlich äußerlich einer Schuldverschreibung ähnlich, denn eine jede lautet über einen Geldbetrag, z.B. über 1000 Mk., - das bedeutet aber nicht, wie bei den Obligationen, daß der Aktionär diese 1000 Mk. von irgend Jemandem als Gläubiger zu fordern hat, sondern vielmehr nur, daß er soviel in Geld oder in anderen „Einlagen" für die Gesellschaft geleistet hat, daß er also so viel 'baar Geld' eingezahlt hat, oder ihm z. B. die Fabrik, die er einlegte, so hoch angerechnet worden ist. Zu fordern hat er, solange die Gesellschaft besteht, nur seinen Anteil

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6) D e r Besitz eines Kuxes - welcher übertragbar ist - , ist also für den Geldbeutel des Inhabers eine ähnlich riskante Sache wie das Arbeiten unter Tage für das Leben des Arbeiters: große Ausbeute wechselt mit der Verpflichtung nachzuzahlen. |

h A: bauen, oder

i Zu erwarten wäre: baares Geld oder Bargeld

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an ihrem Gewinn, die „Dividende", und diese natürlich nur, wenn die Gesellschaft einen Gewinn gemacht, d. h. seit Aufstellung der letzten Abrechnung - „Bilanz" - ihr Vermögen vermehrt hat. Im Übrigen hat er einen verhältnismäßigen Anteil an ihrem Vermögen 5 und erhält also, wenn sich die Gesellschaft auflöst - „liquidirt" -|,j diesen Anteil, der mehr oder weniger betragen kann, als jene 1000 Mk., oder auch gar nichts, je nachdem die Gesellschaft bis dahin Gewinn oder Verlust hatte oder etwa nach Abzahlung der Schulden, die sie gemacht hat, nichts oder gar noch weniger als das 10 - unbezahlte Schulden - verblieben sind. Denn wie für den einzelnen Geschäftsmann, wenn er sein Geschäft aufgiebt, an Vermögen nur etwas übrig bleibt, nachdem er seine Gläubiger bezahlt hat, so muß auch die Gesellschaft der Aktionäre ihre Gläubiger erst befriedigen, ehe sie etwas für sich selbst behält. Man nennt deshalb 15 die Schuldverschreibungen der Aktiengesellschaften auch „Prioritäten" - d. h. vorgehende Rechte -[,] weil die Rechte der Gläubiger (selbstverständlich) zuerst kommen und dann die der Aktionäre. Damit nun für die Gläubiger etwas da sei, ist den Aktien-Gesellschaften gesetzlich verboten, ihr Vermögen durch Verteilung von 20 angeblichem Gewinn unter die Aktionäre unter den Betrag des „Grundkapitals", 19 d.h. desjenigen Werthbetrages zu vermindern, | auf welchen es durch die Einzahlungen und Einlagen der Aktio- A31 näre gebracht war. Sind 100 Aktien über je 1000 Mk. ausgegeben, so bedeutet das, daß auf jede Aktie, in Geld oder anderen „Ein25 lagen" mindestens ein Werth von 1000, zusammen mindestens 100000 Mk. zusammengebracht war. Bei der „Bilanz" muß also, wenn man das Eigentum der Gesellschaft, z.B. das Fabrikgrundstück und die Maschinen etc., die vorhandenen Waren, Forderungen, Gelder etc. der Gesellschaft, alles in Geld veranschlagt, zu30 sammenrechnet - die „Aktiva" - und dann die Schulden - die

19 Max Weber bezieht sich hier auf die Bestimmungen der Art. 216 und 217 HGB. Art. 216 lautet: „[Abs. 1] Jeder Aktionär hat einen verhältnismäßigen Antheil am Vermögen der Gesellschaft. [Abs. 2] Er kann den eingezahlten Betrag nicht zurückfordern und hat, solange die Gesellschaft besteht, nur Anspruch auf den reinen Gewinn, soweit dieser nach dem Gesellschaftsvertrage zur Vertheilung unter die Aktionäre bestimmt ist." Art. 217 lautet: „Zinsen von bestimmter Höhe dürfen für die Aktionäre nicht bedungen, noch ausbezahlt werden; es darf nur dasjenige unter sie vertheilt werden, was sich nach der jährlichen Bilanz als reiner Gewinn ergiebt [...]."

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„Passiva" - abzieht, sich ein Mehrbetrag der „Aktiva" über die „Passiva" von mindestens 100000 Mk. ergeben, sonst hat die Gesellschaft Verlust erlitten, und erst wenn mehr als 100000 Mk. Vermögen da ist, darf dies Mehr als „Dividende" verteilt werden. Leicht kann durch falschen (zu hohen) Wertanschlag der Vermögensgegenstände in der Bilanz dieser Vorschrift zuwidergehandelt und fälschlich der Schein der Deckung des „Grundkapitals" erweckt werden, damit zu Unrecht eine Dividende verteilt werde, obwohl gar kein Gewinn gemacht ist, und die Aktien als hohen Wertes erscheinen und von Käufern teuer bezahlt werden. 7 ) Öfter noch kam es in der „Gründerzeit" vor 20 Jahren 20 vor, daß die „Gründer", d.h. die ersten Aktionäre, wenn dies unsolide Bankhäuser waren, welche ihre Aktien gern bald an das Publikum möglichst über ihren wahren Wert loszuschlagen wünschten, Fabriken etc., welche die Aktiengesellschaft übernahm, zu teuer bezahlten, indem sie mit dem bisherigen Besitzer unter einer Decke spielten. Alles dies wird erleichtert durch den auch hier „unpersönlichen" Charakter des Kapitals. Der einzelne Aktionär hat in die Führung der Geschäfte nicht hineinzureden, er hat, wenn ein Bergwerk oder eine Fabrik auf Aktien betrieben wird, mit den Arbeitern nichts zu thun, sie kennen ihn so wenig wie er sie, er bekommt die Bücher nicht zu sehen, sondern erhält nur in der Generalversammlung Berichte vom Vorstand vorgetragen; meist beruhigt sich die Mehrzahl der Aktionäre und erscheint auch dort nicht einmal. - Die Anteile sind (regelmäßig) durch einfache Übertragung des Papiers 32 (der Aktie) übertragbar und gehen von Hand zu | Hand: die Aktionäre kennen auch einander gegenseitig nicht. Und doch sind sie Mitinhaber desselben Unternehmens, und für die wechselnden Aktionäre arbeiten unter Umständen Tausende von Arbeitern, de31

7) Es ist deshalb auch ein Irrtum zu glauben, die Aktionäre wenigstens hätten regelmäßig ein bedeutendes Interesse an der richtigen Bilanzaufstellung. Das hat nur ein Teil: derjenige, welcher die Aktien dauernd als „Kapitalanlage" behalten will. D e m andern bringt eine fälschlich zu hohe Dividende doppelten Vorteil: einmal bekommt er mehr Gewinnanteil, als ihm zukäme, und dann findet er auch noch Käufer, die in Folge der hohen Dividende die Aktien ihm teurer abnehmen, als sie sonst thun würden. |

2 0 G e m e i n t s i n d die J a h r e 1871 - 1 8 7 3 , in d e n e n Hunderte von A k t i e n g e s e l l s c h a f t e n gegründet wurden, von d e n e n die meisten in der f o l g e n d e n „Gründerkrise" w i e d e r verschwanden.

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nen sie niemals im Leben begegnen und auf deren Lage sie, die eigentlichen Unternehmer, deren Vertreter nur der leitende „Direktor" ist, so gut wie keinen Einfluß haben, für die sie sich jedenfalls, auch ohne irgend besonders gewissenlose Menschen zu sein, regelmäßig schwerlich verantwortlich fühlen werden. - Noch immer ist diese Form der Unternehmung in starker Zunahme begriffen und für große Betriebe, die gewaltiger Mittel bedürfen, regelmäßig heute völlig unentbehrlich, denn Ansammlungen von Vermögen in einer Hand, wie bei Krupp und Stumm sind seltene Ausnahmen.21 Für Betriebe solchen Umfangs müssen die Mittel vielmehr regelmäßig durch Einlagen einer sehr großen Zahl von Leuten aufgebracht werden, welche gar nicht in der Lage sind, ihre persönliche Mitarbeit dem Betrieb zu widmen, auch gar nichts davon verstehen würden, sondern nur das Interesse haben, Tribut in Gestalt von Dividende zu beziehen. Und auch hier wieder muß man sich hüten zu glauben, daß die Besitzer von Aktien etwa notwendig hauptsächlich in den Kreisen der „Großkapitalisten" zu suchen wären. In England besitzen auch Arbeiter Aktien, 22 bei uns und unsern weit kärglicheren Reichtumsverhältnissen besteht gerade die Gefahr, daß zu viel Aktien in die Hände von Leuten gespielt werden, die nicht viel zu verlieren haben, aber durch gelegentliche hohe Dividenden, von denen sie lesen oder hören, oder sonstige Reklamen angezogen werden und meinen, weil auf der Aktie z. B. „1000 Mk." steht, komme ihnen doch wohl irgendwer dafür auf, daß sie diese 1000 Mk. irgendwann von irgendwoher erstattet erhalten. Das sind die Hauptformen der eigentümlichen Waare, welche den Gegenstand des Marktverkehrs an den „Effektenbörsen" bilden. Man sieht, es sind verbriefte Tributberechtigungen, und die 21 Friedrich Alfred Krupp, Inhaber der Einzelfirma Fried. Krupp in Essen, und Karl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg, Inhaber eines großen Montanunternehmens im Saarland, waren seinerzeit Inbegriff reicher Großindustrieller. 22 In England war die Ausgabe von Aktien im Nennwert von einem Pfund Sterling - das waren umgerechnet zwanzig Mark - zulässig, in Deutschland dagegen durften nur Aktien mit einem Mindestnennwert von 1000 Mark ausgegeben werden. Daß in England das durchschnittliche Vermögen und das durchschnittliche Einkommen weit über dem Stand im Deutschen Reich lagen, war allgemeine, vielfach auf Augenschein beruhende Ansicht. In dem seinerzeit verbreiteten Werk von Michael G. Mulhall, Mulhall's Dictionary of Statistics. - London: George Routledge and Sons 1884, S. 245, werden - ohne Jahreszahl „Gross Earnings of Nations" je Einwohner für England mit 35,2 Pfund und für Deutschland mit 18,7 Pfund angegeben.

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moderne Organisation der Wirtschaft führt dazu, daß eine immer steigende Zahl von solchen entsteht und „in Umlauf gesetzt" wird. Der Ingenieur eines Elektrizitätswerkes hilft z. B. durch seine Arbeit den Dividendentribut aufbringen, an welchem etwa der Prokurist einer Papiermühle als Aktionär Anteil hat, und besitzt vielleicht selbst Aktien dieser Papiermühle, so daß ihm umgekehrt auch die Arbeit dieses abgabepflichtig ist, und beide besitzen vielleicht Staatspapiere und besteuern so die Gesamtheit der SteuerA 33 zahler - einschließlich | derer, die ihrerseits solche Tribute nicht in Händen haben, der „Besitzlosen." Unter der heutigen Wirtschaftsordnung würde eine solche gegenseitige Tributpflichtigkeit auch stattfinden, wenn wir einmal uns vorstellten, daß Alle Vermögen in gleicher oder annähernd gleicher Höhe besäßen: dann steuerten Alle an Alle, jetzt Alle an einen Teil, an die Besitzenden. Die gegenseitige Tributpflichtigkeit an sich ist kein notwendiges Zeichen dafür, daß wenige Tributherren und viele Tributpflichtige einander gegenüberstehen. Das Bestehen des Zinses und der Dividende an sich ist vielmehr nur ein weiterer Ausfluß der modernen „Verkehrswirtschaft," welche auf der Eigentümlichkeit aufgebaut ist, daß Jeder fortgesetzt von dem Ertrage der Arbeit Anderer existiert und selbst für den Bedarf Anderer arbeitet. Der große Gutsherr der Karolingerzeit, welcher ausnahmslos alles, was er bedurfte: Gespinste, Gewebe, Eisengeräte etc., auf seinem Gut mit seinen hörigen Handwerkern anfertigen ließ - er und diese seine Unterthanen waren noch berechtigt zu sagen: „wir, die Gutsinsassen, leben von dem Ertrage unsrer Arbeit aus unserm Boden und nur von diesem und kein anderer lebt mit davon." Der moderne Rittergutsbesitzer mit seinen Arbeitern - auch der größte - kann das Gleiche nicht mehr behaupten: Ställe und Wohnungen bauten Fremde aus fremdem Material, das Ackergeräth ist gekauft, ja selbst der Boden ist nicht mehr die Natur-gewachsene Erde, sondern mit hereingeführtem künstlichem Dünger, Kali, Phosphaten etc., Produkten fremder Arbeit, bereichert. Diese fremde Arbeit muß entgolten werden und wird entgolten und zwar unter unsrer heutigen Organisation in Gestalt einer „Kapitalrente", des Zinses, den der Hypothekengläubiger, von dem das Geld entliehen war, bezieht. Das ist z. B. oft die Sparkasse, welche die Gelder der kleinen Leute, die sie ihnen verwaltet und für die sie Zins zahlt, gegen Grundstückpfand darleiht, und es zinst also der Grundherr dem Proletarier. Meist freilich

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zinst er städtischen Bürgern. - Er erntet mehr Getreide aus dem Gut, aber er sitzt nicht mehr auf freier Scholle, er ist angebunden und verflochten in die Wirtschafts-Gemeinschaft der Welt draußen. Und noch weit mehr ist es der Fabrikant, der die Rohstoffe, welche Fremde erarbeiteten, zu deren Ankauf er oft wenigstens zum Teil fremdes Geld entleiht, durch „seine" Arbeiter verarbeiten läßt und dann davon abhängt, daß Andre sie brauchen können und ihm hoch genug bezahlen wollen. Es ist menschlich, daß er meint, das Produkt sei sein | Produkt, der Gewinn sein Gewinn, die Fabrik sei- A ne Fabrik, und da er ein freier Mann sei, habe ihm eigentlich Niemand, auch nicht der Staat, hineinzureden: in Wahrheit ist es die Gemeinschaft, deren Arbeit er braucht, nur ein winziger Bruchteil des von ihm „geschaffenen" Wertes enthält „sein" Produkt, und wiederum ist es die Gemeinschaft, deren Bedarf nach Waren der von ihm zu Markte gebrachten Art das Gebot ist, welches ihm die Arbeitsstellung zuweist, welche er einnimmt, und dem er gehorchen muß, will er etwas „verdienen." Eine sozialistische Organisation würde alle Einzelnen je an einen Faden binden und diese Fäden in der Hand einer Centraileitung zusammenlaufen lassen, welche nun jeden Einzelnen dahin dirigieren würde, wo sie ihn nach dem Maß ihrer Kenntnis am zweckmäßigsten verwenden zu können glaubt. Die heutige Organisation bindet Jeden mit zahllosen Fäden an zahllose Andere. Jeder zerrt an dem Fadennetz, um an die Stelle zu gelangen, wohin er möchte und wo er an seinem Platz zu sein glaubt, aber selbst, wenn er ein Riese ist, und viele der Fäden in seiner Hand zusammenfaßt, wird er vielmehr von den Andern dorthin gezerrt, wo gerade ein Platz für ihn offen ist. Doch zurück zu unserm Thema. Fortgesetzt entstehen neue Bedürfnisse von Staaten, Gemeinden, Grundbesitzern, Fabrik- und Eisenbahngesellschaften, Geld gegen Verkauf von zins- oder dividendetragenden Papieren „aufnehmen" zu können. Fortwährend sind andererseits zahlreiche Personen in der Lage, ihr Geld in solchen „anlegen" zu können. Ein immer steigender Teil des Volksvermögens wird in solchen Tributrechten zum Ausdruck gebracht und in Umlauf gesetzt. Man rechnet das deutsche Volksvermögen, d.h. die Summe der einen Ertrag irgend welcher Art gewährenden Güter in Deutschland, in Geld veranschlagt, zu etwa 180 Milliarden Mark, und die bisher vorliegenden Berechnungen machen wahrscheinlich, daß 3/7 davon

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in zins- oder dividendetragenden Rechten, Hypotheken, Aktien, Obligationen aller Art bestehen. Jährlich wird etwa 1 Milliarde (1000 Millionen) Mk. neu erspart und zur „Anlage" verfügbar. 23 Für mehr als die Hälfte dieser riesenhaften Beträge - alle die, welche die Form der oben beschriebenen Wertpapiere 24 angenommen haben - bildet die Effektenbörse den Markt, wo sie angeboten und gekauft werden, wie die Lebensmittel auf den Lebensmittelmärkten. Man sieht zugleich die Unentbehrlichkeit und die Riesenhaftigkeit dieses Marktes. - | A 35 Wie ist nun dieser Markt, die Produkten-, Wechsel-, Effektenbörse, - zunächst äußerlich - organisiert? Die ältesten Börsen, in den Niederlanden im 15. Jahrhundert, waren einfach internationale Versammlungen von Kaufleuten, welche 'dorthin reisten^ und ihre Waren veräußerten. Allmälig aber kam das Reisen der Händler als Zeitverschwendung ab, man sandte seine Kauf- und Verkaufsaufträge durch Korrespondenz an den Börsenplatz hin, wie noch heute, und es bildete sich eine Klasse von Kaufleuten, welche aus der Besorgung dieser Aufträge einen Beruf machten und daneben selbst für ihre eigene Rechnung an der Börse handelten - ein Stand berufsmäßiger Börsenhändler. Diese vereinigen thatsächlich in ihrer Hand den Geschäftsbetrieb an der Börse. Dies einfach deshalb, weil sie allein den „Markt" kennen, täglich jahraus jahrein damit zu thun haben und wissen, oder doch vermuthen können, welche Waaren und Papiere voraussichtlich besonders begehrt oder billig zu haben sein werden. Nicht weil das Gesetz sie privilegierte, sondern deshalb haben sie eine monopolartige Stellung, weil jeder Andere, auch wenn er sich auf die Börse begiebt und man ihn am Verkehr

j A: dorthinreisten 2 3 Die Zahlenangaben entnimmt Max Weber mit für ihn charakteristischen Änderungen aus Schmoller, Einleitung, S. IX und XXI: Für das Jahr 1892 wurde das private Kapitalvermögen in Preußen nach Abzug der Schulden auf 73,8 Milliarden Mark geschätzt und das ganze deutsche Volksvermögen für 1886 auf 175 Milliarden. Von den 73,8 Milliarden kommen nach der Aufstellung des preußischen Finanzministeriums auf Obligationen, ausländische Wertpapiere, Aktien preußischer Aktiengesellschaften und Forderungen aus Hypotheken und Pfandbriefen zusammen 29,731 Milliarden, also etwa 3 / 7 des Betrages. Bei einem Schätzwert von 175 Milliarden geht Schmoller von einem jährlichen Vermögenszuwachs von etwa 2,5 Milliarden jährlicher Ersparnisse in Deutschland aus. Er vermutete, daß davon jährlich 1 Milliarde Mark in Effekten angelegt würde. 2 4 Oben, S. 145-153.

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teilnehmen läßt (z. B. in Paris und Hamburg ist die Börse Jedem ausnahmslos zugänglich), schwerlich durch Beteiligung am Geschäft Vorteil zu ziehen oder auch nur rein äußerlich sich über die Art des Geschäftsschlusses zu informieren wissen, sondern vielmehr sich ziemlich „von Gott verlassen" 25 vorkommen wird. Denn dieser Riesenmarkt ist selbstverständlich auch ebensoviel komplizierter als ein gewöhnlicher Wochenmarkt, als er größer ist. Im Allgemeinen ist vielmehr derjenige, welcher nicht berufsmäßig Börsenhändler ist, wenn er an der Börse kaufen oder verkaufen will, darauf angewiesen, sich an einen Börsenhändler zu wenden, damit dieser als „Kommissionär" für seine Rechnung das Geschäft abschließt; dafür macht sich der Börsenhändler in der einen oder anderen Form bezahlt - wie, werden wir in einem späteren Heft erörtern. 26 Die ältesten Börsen waren Versammlungen auf einem offenen, zuweilen eingehegten Platz. Später meist und jetzt wohl immer finden diese Versammlungen in geschlossenen großen Sälen statt. Von jeher bedurfte es naturgemäß eines Organs, welches die Marktpolizei 27 handhabte. Das ist ebenso jetzt, es sind überall Kommissare bestellt, welche die Ordnung aufrechterhalten. - Daneben aber kannte die ältere Markt- und Börsenorganisation | noch ein Glied, A 36 - und der überwiegende Teil der Börsen, darunter die deutschen, kennt es noch jetzt - welches den speziellen Zweck hat, die möglichste Beschleunigung des Abschlusses der Geschäfte herbeizuführen: die „Makler.11 Der Gegensatz gegen die Kommissionäre bestand - wir werden später erörtern (im nächsten Heft), 28 wie sich das geändert hat - darin: der Kommissionär schließt das Geschäft als Beauftragter selbst ab und verrechnet sich mit seinem Auftraggeber, dem er die gekauften Waren dann gegen Erstattung der Auslagen und der „Provision" - z. B. 1, V2, V8 von je hundert des Betrages - überweist, er ist es, durch dessen Vermittelung die außerhalb

2 5 Sprichwörtlich, im Anschluß an Psalm 22, 2 sowie Matthäus 27, 4 und Markus 15, 34. 2 6 Unten, S. 619f. und 6 4 5 - 6 4 7 . 2 7 Die Marktpolizei umfaßt im Sprachgebrauch des 19. Jahrhunderts noch alle Maßregeln zur Ordnung des Marktes, insbesondere die Bestimmungen der Marktzeiten, der zum Handel zugelassenen Waren und der Art der Preissetzung sowie der Festlegung der Gewichte und Maße. 2 8 Unten, S . 6 4 1 - 6 4 3 .

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der Börse befindlichen an dem Handel, der sich darin abspielt, teilnehmen. Der Makler dagegen ist nur Vermittler, und zwar (normalerweise) nur zwischen den Börsenbesuchern auf der Börse selbst. Er erhält von dem Börsenhändler - sei es, daß dieser für sich, sei es, daß er als Kommissionär für Jemand draußen ein Geschäft machen 5 will, den Auftrag, ihm - z.B. - Jemand nachzuweisen, der 100 Aktien einer bestimmten Gesellschaft oder 100 Centner Weizen abnehmen und dafür mindestens x Mark zahlen wolle. Seine Sache ist es, einen solchen zu finden, hat er ihn gefunden, so überbringt er ihm das Angebot (die „Offerte") und nimmt die Erklärung, daß 10 dasselbe angenommen sei, entgegen. Über das so zustande gekommene Geschäft, welches er sich zunächst in einem Notizbuch notiert, stellt er jeder der Parteien eine gleichlautende Bescheinigung, die sog. „Schlußnote", zu,8' und erhält dann - von jeder Partei normalerweise zur Hälfte - die übliche „Courtage" (Sprich: Kur- 15 tasche): z. B. 1, '/2 etc. vom Tausend des Betrages als Entgelt für seine Mühewaltung. Er ist also nach dem Gedanken, der seiner Stellung zu Grunde liegt, das Werkzeug, welches die ausgestreckten Hände von Angebot und Nachfrage zusammenführt, so daß sie sich fassen können. Seine Unentbehrlichkeit beruht darauf, daß sonst 20 bei der großen Zahl der Börsenbesucher - an den größten Börsen verkehren mehrere Tausend - die Wahrscheinlichkeit, sich zu trefA 37 fen, für die Kaufs- und Verkaufs|lustigen gering, jedenfalls unerhört zeitraubend wäre. Der Geldwert der Zeit aber ist seit Jahrhunderten im Handel enorm gestiegen. - Der einzelne Makler vermit- 25 telt meist - wir werden das im Einzelnen noch sehen29 - Geschäfte in einem oder mehreren bestimmten Gegenständen (z. B. in Aktien der Berliner Diskonto-Gesellschaft), man kennt diejenigen Mak-

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8) Es ist - beiläufig - angesichts mancher Dinge, die der Börsenspekulation, und zum Teil mit Recht, vorgeworfen werden, immerhin bemerkenswert, daß alle die zahllosen Vereinbarungen über Geschäfte sich durchweg mündlich und keineswegs so, daß etwa regelmäßig Zeugen zu haben wären, vollziehen, und es doch so gut wie niemals vorkommt, daß Jemand, auch ein sonst wenig bedenklicher Spekulant, das Zustandekommen einer Vereinbarung bestreitet, auch wenn ihm das Geschäft gewaltigen Verlust bringt. Der Betreffende wäre fortan völlig unmöglich auf der Börse, denn die absolute Zuverlässigkeit des Wortes ist Grundlage ihres Bestehens. |

29 Unten, S.620f.

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ler, an welche man sich zu wenden hat, wenn man in diesem Gegenstand Geschäfte machen will, und in ihrer Hand läuft daher Alles zusammen, was an Angebot und Nachfrage „zu Markte" kommt. 5 Auf diese Art sorgt die Börse wie der Markt dafür, daß Käufer und Verkäufer sich zu finden vermögen. Allein das ist nicht der einzige Grund ihrer Bedeutung. Auch der Bauer fährt mit seinen Produkten, welche er in die kleine Land-Stadt bringt, zum Markt, und nicht etwa vor die Thüren der einzelnen Häuser von Städtern, die 10 sie vielleicht brauchen könnten, nicht nur deshalb, weil dies eine unerhörte Zeitvergeudung bedeuten würde. Sondern vor allem deshalb bringt er sie zu Markt, weil er dort den höchst-möglichen Preis zu erzielen hofft. Hier trifft der Käufer mit allen oder den meisten Verkäufern, der Verkäufer ebenso mit den Käufern zusam15 men, und beide können gegenseitig übersehen, ob ihnen ein andrer der Anwesenden günstigere Bedingungen bietet, als der, mit welchem sie eben verhandeln. Im allgemeinen werden infolge der so entstehenden „Konkurrenz" der Reflektanten k unter einander Waren gleicher Art und Güte auf dem Markt unter geringen Abwei20 chungen zu etwa dem nämlichen Preise ge- und verkauft werden. Dieselbe Rolle spielt die Börse, nur daß der dort für einen Gegenstand bestimmter Art und Güte, in einem bestimmten Moment sich ergebende Preis - der „Börsen-Kurs" des Tages bezw. der Stunde eine Bedeutung von ungleich gewaltigerer Tragweite hat. In die 25 Spalten der Zeitungen, welche täglich die an der Berliner Produktenbörse für Getreide, Sprit etc. gezahlten Preise veröffentlichen, blickt der Getreide-, Sprit- etc. Händler und der Landwirt in ganz Ostdeutschland. Der Getreidehändler berechnet sich: der Preis für die Tonne (1000 Kilogr.) Getreide ist X Mark, ungefähr dafür also 30 werde ich Getreide verkaufen können. Y Mark kostet die Eisenbahnfracht nach Berlin; wenn ich Z Mark an der Tonne verdienen will, kann ich mithin höchstens X weniger Y weniger Z Mk. an meine Kunden bezahlen. Er sagt also dem Landwirt, der ihm sein Getreide bietet: ich bin bereit zu zahlen „so und so 'viel (nämlich' 35 wenigstens | Y + Z) Mk. unter der heutigen Berliner Kursnotiz für A 38 Getreide." In dieser Art wird der größte Teil der ostdeutschen Ge-

k A: Reflektenten

i A: viel, (nämlich

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treide-Ernte verkauft, ebenso fast der sämtliche dort gebrannte Sprit den Produzenten abgekauft, für sie ist dieser Börsenkurs und seine Höhe eine Lebensfrage. Bestände die Börse nicht, so hätten sie gar keine Möglichkeit, ungefähr zu kontrollieren, wie viel Profit der Getreidehändler an dem Getreide macht, das er ihnen ab- 5 nimmt, und wären seinem Belieben ausgeliefert. - In die Spalten der Zeitungen, welche die Kurse von Staatspapieren, Aktien etc. enthalten, sieht andererseits der Besitzer von solchen Papieren, um sich zu vergewissern, wie hoch an der Börse der Wert dessen, was er daran besitzt, veranschlagt wird. Er kauft mit Vorliebe „börsen- 10 gängige" Papiere und leiht sein Geld meist nicht direkt irgend einem soliden Geschäftsmanne oder Landwirt, der es brauchen kann, und ihm verzinst. Einmal weil es reiner Zufall ist, ob er gerade einen solchen findet. Vor allem aber auch deshalb, weil er es von ihm nicht jeden Augenblick wieder haben kann, sondern warten muß, 15 bis die Schuld fällig ist: er könnte ja die Forderung einem Andern, der sie ihm abnehmen und ihm dafür Geld geben will, „cediren" (d. h. übertragen), aber ob er einen solchen findet, und was dieser ihm zu zahlen bereit ist, fragt sich sehr. Bei einem Papier dagegen, welches an der Börse regelmäßig gehandelt wird, ist er jeden Au- 20 genblick, wenn er sein Geld braucht, sicher, einen Käufer an der Börse zu finden, zu ungefähr dem Preise, den er aus der Zeitung ersehen kann. Die Ziffern des Kurszettels sind für ihn ein Thermometer, aus dem er täglich sieht, wie hoch er das Vermögen, welches er besitzt, veranschlagen darf. 25 Auf diesen Umständen vornehmlich beruht die ungeheure Bedeutung, welche die Börsen für die Volkswirtschaft gewonnen haben, deren Regulatoren und Organisatoren sie heute zu werden begonnen haben, immer mehr werden, und solange die heutige Gesellschaftsordnung auch nur in irgend annähernd ähnlicher Art 30 bestehen wird, auch werden müssen. Zugleich zeigt sich aber auch, von welch' ungeheurer Wichtigkeit es ist, daß die Bildung und Feststellung des Preises („Kurses") auf der Börse sich in solider und richtiger Weise vollzieht. Für die Ermittelung der Preise, welche in den an der Börse gehandelten Waren und Papieren an den 35 einzelnen Tagen gezahlt worden sind, haben alle Börsen EinrichA 39 tungen getroffen. Fast alle, speziell die | größte deutsche Börse: die Berliner, geben ein amtliches „Kursblatt" heraus, durchweg unter Mitwirkung der Makler, welche die Geschäftsabschlüsse vermittelt

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haben, dessen Inhalt dann die Zeitungen abdrucken.30 Wie diese „Kurse" zustande kommen und in welcher Art und zwischen welchen Personen sich der Geschäftsverkehr, dessen Resultat sie sind, an der Börse abspielt, werden wir uns noch im Einzelnen in einem weiteren Heft 31 ansehen. Die langen Zifferreihen am Schluß der Zeitungen, welche der Leser, welcher weder Kapitalist noch Geschäftsmann ist, überschlägt, sind nicht nur für die Kapitalisten und Geschäftsleute von Bedeutung, sondern die Art, wie sich im Laufe der Jahre die trocknen Zahlen darin ändern, bedeuten Aufblühen und Niedergang ganzer Produktionszweige, an deren Bestand heute Glück und Elend von Tausenden hängt. Wir sehen: die wesentliche Grundlage und die Einrichtungen der Börsen müssen in der Hauptsache gleichartige sein, weil die Bestimmung der Börse überall dieselbe ist. Trotz dieser grundsätzlichen Gleichartigkeit der wesentlichen Zwecke zeigt aber die Organisation der Börse in den einzelnen Ländern höchst auffällige Verschiedenheiten, deren Hauptformen wir kurz an Beispielen betrachten wollen. Die größten englischen und amerikanischen Börsen haben nicht alle, aber gerade die bedeutendsten - den Charakter geschlossener Klubs der berufsmäßigen Börsenhändler. Regelmäßig von einander getrennt sind Fonds- und Produktenbörsen und oft diese noch in weitere Spezialbörsen. Jede bildet einen sich selbst verwaltenden Verein, der regelmäßig als Korporation selbst beschließt, wen er in seine Mitte aufnehmen will. Die einzelnen Plätze an der Börse sind, wie früher allgemein und zum Teil noch die Kirchensitze bei uns, erblich und verkäuflich und kosten ganz bedeutende Summen, und nur wer einen Platz erworben hat und in den Verband aufgenommen wird, kann am Börsenhandel direkt teilnehmen, alle Anderen müssen sich eines der Zugelassenen als

3 0 D a s s o g . amtliche „Kursblatt" g a b e n die Ältesten der K a u f m a n n s c h a f t von Berlin heraus. Darin wurden nur die K a s s a k u r s e und die bis 14 Uhr festgestellten Kurse für Zeitgeschäfte verzeichnet. A m ausführlichsten wurde d a s „Kursblatt" in d e n in Berlin e r s c h e i n e n d e n Tageszeitungen, der „Börsen-Zeitung" und d e m „Berliner Börsen-Courier", n a c h gedruckt. 3 1 Unten, S . 6 1 9 - 6 2 7 .

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Kommissionäre - broker - bedienen, wenn sie Geschäfte machen wollen.9) | A 40 Um in einen solchen Börsenhändler-Verband eintreten zu können, muß aber nicht nur der Platz erworben werden, sondern regelmäßig fordert der Verband noch eine bedeutende Kaution, damit, wer mit dem Eintretenden Geschäfte macht, auch sicher sei, daß er im stände sein wird, seinen Verpflichtungen nachzukommen. 10 ) Hier ist also die Börse offen als Monopol der Reichen organisiert, die berufsmäßigen Händler haben sich nach Art einer Zunft des Handels allein bemächtigt, sie allein setzen die Usancen (Sprich: Üsangßen) fest, d. h. die Bedingungen, unter welchen ein für allemal die Geschäfte an der Börse als geschlossen gelten, der Staat weder noch sonst Jemand hat ihnen hineinzureden. Sie bilden eine Art „Geld-Aristokratie" des Börsenhandels. Scheinbar den größten Gegensatz dazu stellt die größte französisehe, die Pariser Fonds-Börse dar. Hier existiert kein geschlossener Verband von Börsenhändlern, es hat Jedermann wie zu einem offenen Markt unmittelbar Zutritt und kann - wenn ihm Jemand Kredit giebt! - am Handel teilnehmen. Man sieht zuweilen Arbeiter in blauer Bluse ihre Anweisungen auf Staatsschuldscheine, die sie erworben haben, an der171 Börse weiter verkaufen. Der Börsenhandel ist äußerlich demokratisch eingerichtet wie der Staat. A b e r das hat

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> So kann in Newyork zwar Jeder in die Börsenhalle hinein, aber innerhalb derselben befindet sich eine von Schranken umgebene amphitheaterartige" Estrade, innerhalb der nur die zugelassenen Börsenhändler sich aufhalten und Geschäfte schließen: man kann herantreten und, wenn man den Kredit eines der Händler genießt, ihm den Auftrag zu einem Geschäfte geben. Zum Raum der Londoner Fondsbörse hat Niemand Zutritt als die zugelassenen brokers (Sprich: Brokers), Kommissionäre, und dealers (Sprich: Dielers), Händler. | 10) A 40 Entweder müssen sich wohlhabende Personen für ihn verbürgen - so in London 2 Personen in Höhe von je 500 Pfund Sterling (10 000 Mark) 3 2 - , oder er muß einen Betrag in Geld oder Wertpapieren deponieren. Wer jemals seine Zahlungsverpflichtungen nicht hat erfüllen können, bleibt meist dauernd ausgeschlossen, und ziemlich streng ist auch die Disziplin gegen solche, welche sich unlautere Praktiken zu Schulden kommen lassen.| m A:die

n A: Amphitheaterartige

3 2 Der Antragsteller mußte in London drei Bürgen stellen, die jeweils 500 Pfund Sterling, zusammen also 3 0 0 0 0 Mark, hinterlegen mußten. Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 73.

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seine Grenze. Gerade die französische Fonds-Börse war von jeher eine politische Einrichtung, die der Staat für politische Zwecke dienstbar machte und in deren Organisation er dementsprechend nach Belieben eingriff. 33 So finden wir an den 7 größten französisehen Fondsbörsen, 3 4 besonders der Pariser, das Institut des parquet (Sprich: Parkett) d. h. eines privilegierten Verbandes vom Ministerium zugelassener Makler „Agents de change" (spr[ich]: Aschang de Schangsch'). Diese Makler haben nach dem Gesetz allein das Recht, Geschäfte an der Börse gegen das übliche Entgelt (die Courtage) zu vermitteln, jeder, der einen Makler braucht, soll sich an einen von ihnen wenden und, wie schon eben gesagt, 3 5 in 9 von 10 Fällen muß Jemand, der ein Geschäft machen und schnell Jemand finden will, mit dem er es macht, sich eines Maklers bedienen. Sie haben also das Monopol der Geschäftsvermittelung und damit sind ihnen Einkünfte von gewaltigem Umfang gesichert. Für den ganzen un|geheuren Verkehr der Pariser Börse giebt es solcher A 41 konzessionierter Makler nur sechzig. Und da jeder derartige Makler das Recht hat, wenn er sich zur Ruhe setzt, seinen Nachfolger selbst vorzuschlagen, also seine Konzession (ähnlich wie etwa die Apotheker bei uns) 3 6 zu übertragen, so sind die Stellen thatsächlich verkäuflich und man zahlt jetzt etwa 2 Millionen Franks für

3 3 Die Pariser Wertpapierbörse und die Institution der Agents de Change als Monopolmakler waren eine seit 1724 staatlich autorisierte Einrichtung. Der Staat besaß erhebliche Eingriffsbefugnisse, da die Oberaufsicht beim Finanzministerium lag, ohne dessen Zustimmung Wertpapiere auf dem offiziellen Markt (Parquet) nicht zugelassen werden durften. Bei Zulassung ausländischer Anleihen hatte auch der Außenminister ein Vetorecht. Erhob einer von beiden Einspruch gegen eine Zulassung zur Notiz, so konnte die Regierung die Zulassung zum offiziellen Markt verbieten. Durch Zulassung und Verbot konnte die Regierung Ober den offiziellen Markt, aber nur über diesen, den Kapitalexport in eine bestimmte Richtung dirigieren. Vom Recht des Zulassungsverbots ausländischer Wertpapiere hat die französische Regierung jedoch bis zu Beginn der 1890er Jahre nur einmal Gebrauch gemacht. 3 4 Große Börsen gab es in Paris, Bordeaux, Lille, Lyon, Marseille, Nantes und Toulouse. Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 80. 3 5 Oben, S. 1 5 7 - 1 5 9 . 3 6 Insbesondere in Preußen, wo bis 1894 der Betrieb einer Apotheke als solcher genehmigungspflichtig war, konnten die Konzessionen veräußert und vererbt werden, wenn der Erwerber gewisse qualitative Bedingungen erfüllte. Mit der Kabinettsordre vom 30. Juni 1894, also während der Abfassung des Textes durch Max Weber, wurde bestimmt, daß auch in Preußen, wie zuvor schon In anderen deutschen Staaten, nur noch unveräußerliche Personalkonzessionen erteilt werden. Die Präsentation eines Nachfolgers wurde ausdrücklich verboten.

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eine solche. Jeder Makler muß außerdem eine Kaution von 250 000 Franks hinterlegen. Diese Monopolmakler sind also Millionäre.11) Durch ihre Hände läuft also ein gewaltiger Bruchteil - etwa die Hälfte 37 - aller Geschäfte der Fondsbörse. Sie haben ihren Platz innerhalb eines mit Schranken umgebenen Raumes, und der Unterschied gegen die großen englisch-amerikanischen Börsen ist also nur der, daß hier nicht der ganze Börsenverkehr, sondern nur gewissermaßen dessen innerster Kern, das letzte Bindeglied zwischen Käufer und Verkäufer, das Monopol einer privilegierten Personengruppe bildet. Die deutschen Börsen sehen sich untereinander verschieden an. Greifen wir die größten: also die Berliner, Hamburger, Frankfurter heraus, so finden wir zunächst, daß die Börsen für alle Arten Geschäfte - in Effekten und Produkten - an demselben Ort zusammengelegt, konzentriert sind, was in Frankreich und England regelmäßig nicht der Fall ist. Innerhalb des Börsengebäudes scheiden sich natürlich die einzelnen „Märkte." So finden die Produktengeschäfte in Berlin im hintersten der drei großen Räume des Börsensaales statt, und innerhalb der Fondsbörse haben wieder die einzelnen großen Papiere: Russische Banknoten, Diskonto-KommanditAktien 38 etc. ihre Stelle, wo gewohnheitsmäßig sich in ihnen der Handel vollzieht. - Näher zugesehen, sieht ferner die Hamburger Börse anders aus als die preußischen. Die Hamburger Börse ist ein überdeckter Markt. „Das gesamte männliche anständige PubliA 41

n > Obwohl der Verkehr z. B. in Paris ein so gewaltiger ist, daß die 60 konzessionierten Makler ihn gar nicht allein bewältigen können, sondern wohl oder übel das Vorhandensein anderer, nicht konzessionierter, - der sogenannten Coulisse (Sprich: Kulisse) - dulden müssen, so haben sie es doch in der Hand, da das Gesetz die Coulisse nicht zuläßt, jeden nicht konzessionierten Makler zur Bestrafung anzuzeigen und „zum Tempel hinauszujagen." 39 Sie können also jedenfalls dafür sorgen, daß ihnen, den konzessionierten, von den „Coulissiers" ein so großer und gewinnbringender Teil der Geschäfte ungestört überlassen bleibt, wie sie irgend zu erledigen im Stande sind. |

37 Allgemein wird behauptet, daß die Umsätze der Kulisse höher gewesen seien als die des Parketts. In den Jahren 1 8 9 3 - 9 7 brachte die Kulisse 2 / 3 der Erträge der Börsensteuer auf. Struck, Börse, S. 677. 38 Gemeint sind die Aktien der Direktion der Diskonto-Gesellschaft, Kommanditgesellschaft auf Aktien. 39 Sprichwörtlich, Im Anschluß an den Bericht der Evangelisten über den Tempelbesuch Jesu. Matthäus 21, 12.

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kum" kann sie besuchen; 40 wem sie gerade auf dem Wege liegt, der benutzt sie als Durchgang. Schiffer 0 und fremde durchreisende Kaufleute besuchen sie und schließen dort Fracht- und andere Geschäfte ab. An ständigen Besuchern finden wir neben den p berufsmäßigen Börsen|händlern, die entweder für sich oder als Kommis- a sionäre für andere Geschäfte machen, die Makler. Es existiren aber keinerlei nach Art der Pariser Agenten bevorrechtigte Vermittler, es steht jedem frei, das Maklergewerbe auszuüben, er hat sich nur den allgemeinen Pflichten jedes Maklers - Führung bestimmter Bücher, in denen er die vermittelten Geschäfte notiert, Ausstellung der Schlußnoten (s.o.) 41 etc. - zu unterziehen. Hier ist also das Prinzip des „freien Marktes" konsequent durchgeführt. Nur die äußere Leitung hat die Handelskammer, eine staatlich eingerichtete Vertretung der Kaufmannschaft. - Ein eigentümliches Mittelding zwischen den streng geschlossenen Börsenkorporationen Englands und Amerikas und dem Zustand in Hamburg stellen nun die preußischen, so namentlich die Berliner Börse dar. Die preußischen Börsen sind staatlich konzessioniert und stehen unter der Leitung der Handelskammern, d. h. der gewählten Vertretungsorgane des größeren Handelsstandes, in Berlin der ähnlich gearteten „Ältesten der Kaufmannschaft." Diese entscheiden in letzter Instanz über die für die Geschäfte maßgebenden Usancen und bestellen (in der Hauptsache) die Organe - Börsenkommissare und Deputierte welche die äußere Ordnung auf der Börse aufrechtzuerhalten haben, daneben Schiedsgerichte zur Entscheidung solcher Streitigkeiten, welche freiwillig vor sie gebracht werden, - in einzelnen, hier nicht weiter interessierenden Streitfragen, sind nach den Geschäftsbedingungen die Parteien verpflichtet, der Entscheidung derartiger Schiedsgerichte sich zu unterwerfen. Ein geschlossener Verein ist die Börse nicht, andererseits hat auch nicht jeder Zutritt, sondern dazu bedarf es des Besitzes einer Einlaßkarte. Diese aber wird gegen eine nicht erhebliche Gebühr jedem Einheimi-

o A: Schiffe

p A: dem

40 Max Weber formuliert hier in Anlehnung an § 1 der Hamburger Börsenordnung vom 18. Dezember 1891, in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 11. Der Passus lautet: „Der Zutritt zum Börsenraum steht dem gesammten anständigen männlichen Publikum [...] frei." 41 Oben, S. 158.

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sehen erteilt, der glaubhaft darthut, daß er zum Zweck des Handels die Börse besuchen will und von Mitgliedern der Börse zur Aufnahme empfohlen wird - eine Empfehlung, die den, der sie giebt, zu nichts verpflichtet und deshalb von jedem ohne Ausnahme erlangt werden kann. Zeitweise ausgeschlossen werden Leute, welche die Ordnung stören, Börsenmitglieder beleidigen, falsche Gerüchte verbreiten, und Zahlungsunfähige - eine Disziplin aber von der Strenge der englischen existiert auf unserer Börse nicht. Auch frühere Bankerotteure erhalten regelmäßig nach einiger Zeit wieder Zutritt. Die Machtmittel der Börsenvorstände sind gering. Andere Strafen als die zeitweise Ausschließung giebt es gegen Händler nicht. 12 ) 42 | A 43 Neben den berufsmäßigen Händlern, Vertretern der Bankhäuser und Kommissionären finden wir auch an den preußischen Börsen die Makler. Auch bezüglich ihrer nimmt unsere Börse eine MittelStellung ein, hier zwischen den konzessionierten Agenten in Paris und der gänzlichen Freigabe des Maklergewerbes in Hamburg. Es kann jeder das Maklergewerbe betreiben, und es existieren zahlreiche „freie" Makler, deren Geschäftsbetrieb eben so wenig wie der der Hamburger Makler einer Kontrolle unterliegt. Eine SonderStellung nehmen aber die von den Regierungen auf Vorschlag der Börseninstanzen bestätigten „vereidigten" Makler ein. Sie haben als Vermittler keinerlei Vorrechte und sind namentlich nicht, wie die Pariser Agenten, allein zur Vermittlung berechtigt, - man kann sich nach Belieben an einen vereideten oder unvereideten Makler

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12 ' Auf Grund einer rein privaten Abmachung z. B. mit einer größeren Anzahl | Firmen haben die Ältesten in letzter Zeit begonnen, auf ein besonderes ehrenrühriges Verfahren: den Abschluß von Geschäften mit Kommis etc. ohne Wissen des Prinzipals wodurch erstere zur Untreue geradezu verleitet werden - eine „ R ü g e " zu setzen. Wenn aber ein so „Gerügter" sich die Rüge einfach verbittet, wäre damit die Sache erledigt, denn ein Recht dazu existiert nicht. 4 3

4 2 Die Möglichkeit, Händler lebenslänglich von der Börse auszuschließen, bestand zwar, wurde aber selten gehandhabt. 1890 wurden auf Beschluß des Börsenvorstandes ein Händler wegen Zahlungsunfähigkeit und ein weiterer in zweiter Berufungsinstanz wegen Beleidigung eines Börsenmitglieds auf Dauer ausgeschlossen. Endemann, Börsenbesucher, S. 386 f. 4 3 Über diese Vereinbarung berichtete Max Winterfeldt der Börsenenquetekommisslon, in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S . 5 6 2 f .

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wenden. Eine bevorrechtete Stellung besteht - von unbedeutenden Vorrechten bei Zwangsverkäufen etc. abgesehen - nur an der Effektenbörse und nur insofern sie allein bei der Feststellung der Tages-Kurse für die einzelnen Papiere gefragt werden. Grundsätzlich - nicht durchweg thatsächlich - werden nur die durch sie vermittelten Geschäftsabschlüsse bei der Ermittlung und Notierung der angebotenen, verlangten und gezahlten Preise berücksichtigt.13) Nun werden wir aber noch sehen,44 daß in vielen Fällen der ein Geschäft Schließende ein Interesse daran hat, daß dasselbe bei FestStellung des Börsenpreises berücksichtigt wird. Das ist z.B. namentlich bei den Kommissionären der Fall, deren Kunden draußen durch die Zeitung den Kommissionär kontrollieren, ob er ihnen auch den richtigen - d. h. den an der Börse ermittelten und notierten - Preisbetrag verrechnet. Solche Reflektanten q sind also der Regel nach - nicht bei allen Arten von Geschäften, wie wir später sehen werden 45 - auf die vereidigten Makler mehr oder weniger angewiesen. Im Übrigen haben diese letzteren nur Pflichten vor den übrigen Maklern voraus: sie sollen vor allen Dingen keine eigenen Geschäfte machen, sich auch nicht dafür verbürgen. 14 ' - Bei uns gehört also zur Ausübung des Maklergewerbes nicht ein derartiges Vermögen, wie es | der Pariser Agent besitzen muß. Es ist im A 44 Gegenteil nichts Seltenes, daß zahlungsunfähig gewordene Kaufleute zu Maklern bestellt werden, um sich in dieser Stellung wieder „emporzuarbeiten." Ebenso muß man sich hüten zu glauben, der Stand der berufsmäßigen BörsenHändler sei bei uns im Allgemeinen ein Stand reicher Leute. Man kann im Gegenteil sagen, daß die Vermögensunterschiede gerade der Börsenhändler mit die schroffsten sind, die es in einem Stande geben kann. Es ist in diesem

13)

Über die Art der Kursermittelung s. das folgende Heft. 46 > Daß und warum diese Vorschrift trotz des Maklereides täglich umgangen wird, werden wir gleichfalls später sehen.47 | 14

q A: Reflektenten 44 45 46 47

Unten, Unten, Unten, Unten,

S.624 und 646f. S.645-647. S.624 f. S. 641-643.

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Die Börse I.

Punkt eine äußerst „gemischte" Gesellschaft - von den Vertretern der größten Banken, die Kapitalien von 50 und mehr Millionen Mark hinter sich haben, bis zu dem kläglichsten armen Schächer, 48 der an den kleinen Preisschwankungen, auf die er spekuliert, sich von Tag zu Tag sein Dasein fristet. Große Vermögen werden zuweilen an der Börse „verdient", meist freilich so, daß an sich schon große Vermögen ungemessen anschwellen, unter einem Aufwand von Nervenanspannung, der die Existenz eines Spekulanten durchaus nicht so beneidenswert gestaltet, wie mancher sie träumt. Aber man darf nicht glauben, daß der Börsenhändler durchweg den Marschallstab des Reichtums im Tornister trage. 49 - Der Stand der Börsenhändler bildet bei uns in Folge dieser riesigen Unterschiede in keiner Weise eine so (verhältnismäßig) einheitliche Klasse wie die Mitglieder der großen englischen Börsenkorporationen. Das ist in mehr als einer Hinsicht ein schwerer Schaden. Wer außerhalb der Börse steht, ist leicht geneigt, das Hauptgewicht bei ihrer Beurteilung darauf zu legen, daß hier nicht selten lotterieartige Gewinnste erzielt werden, deren Erwerb verhältnismäßig „mühelos" erfolgt, und daß andererseits die Ersparnisse langjährigen Fleißes im Börsenspiel verloren werden, zu welchem Agenten und Annoncen übel berufener Kommissionshäuser Leute, welchen nicht der geringste Beruf zur Teilnahme am Börsenhandel zukommt, verleiten. Die Vorschläge, welche die in den letzten 2 Jahren zur Untersuchung der Börsenverhältnisse versammelt gewesene Kommission (Börsen-Enquete- r[sprich: Angkehte] ' Kommission) gemacht hat, wollen mit Recht die Verleitung zu unwirtschaftlichem und gefährdendem Börsenspiel nach Art des Wuchers unter Strafe stellen und die Geschäfte für rechtlich nichtig erklären. 50 Soweit durch sonstige Maßregeln - einige der in Frage ster [ ] in A. 48 Max Weber legt dem Wort Schächer (Missetäter, Strauchdieb, Räuber) die Bedeutung Schacherer unter. Aus dem Neuhebräischen bzw. Rotwelsch stammend, bezeichnete Schacherer zunächst einen umherziehenden Kaufmann, dann auch einen Hehler, der mit Diebesgut handelt, allgemein einen kleinen Händler, der sich aufs Feilschen versteht. 4 9 Napoleon I. wird die Redewendung zugeschrieben: „Tout soldat français porte dans sa giberne le bâton de maréchal de France." Dabei wird Patronentasche (giberne) mit „Tornister" übersetzt. 5 0 Die diesbezüglichen Vorschläge der Börsenenquetekommisslon sind unten, S.953f., abgedruckt. Die Börsenenquetekommisslon formulierte Ihren Vorschlag analog zu Art. 1

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henden besprechen wir im folgenden Heft 51 - die Ausbeutung des Privatpublikums verhindert und überhaupt der Teilnahme Unberufener, welche dem berufs| mäßigen Börsenhandel fernstehen, am A45 Börsengeschäft wirksam vorgebeugt werden kann, müssen diese ergriffen werden. Man muß sich freilich hüten, immer die stärksten Schreier auch für die bewährtesten Kritiker zu halten: zumal gewisse politische Kreise, welche jeden Feldzug gegen die Börse an der Spitze mitmachen, wissen ihrerseits nur zu gut darin Bescheid und verschmähen dort gemachte Gewinnste nicht, während sie Verluste ungern bezahlen. 52 Und man darf - leider - auch die Aussichten, das Publikum von der Beteiligung an Spekulationen fernzuhalten, nicht allzu optimistisch ansehen. Allein es muß vor allem daran erinnert werden, daß der wesentlichste Gesichtspunkt, unter dem man politisch und sozialpolitisch die Börse und ihre Schäden betrachtet, unmöglich der sein kann: Denjenigen, welche „nicht alle werden", 53 und ihr Vermögen auf der Börse riskieren wollen, dessen Besitz unter allen Umständen zu garantieren. Sondern angesichts der völlig unentbehrlichen Funktion, welche die Börse im Wirtschaftsleben zu versehen hat, ist ungleich wichtiger die Frage: 1) erfüllt die Börse heute im Allgemeinen trotz jener Exzesse die ihr zufallenden volkswirtschaftlichen Funktionen - dieser Frage werden wir erst im folgenden Heft 5 4 näher treten können; schon hier dagegen können wir einer

des Wuchergesetzes vom 24. Mai 1880: „Wer unter Ausbeutung der Nothlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit eines Anderen [...]." 51 Der Verweis ist unklar. Max Weber ist nicht in dem Maße, wie er ursprünglich beabsichtigt hatte, auf die Reform des Börsenwesens eingegangen; vgl. unten, S. 174, Fußnote 17, und S.619, Fußnote 1; gemeint sein könnten unten, S.650f. und 6 5 3 - 6 5 5 . Vgl. dazu den Editorischen Bericht zu Weber, Börse II, unten, S. 616f. 5 2 Max Weber spielt auf die großagrarischen Kreise an. An welche Personen er im einzelnen gedacht hat, ist nicht nachweisbar. Bekannt waren die Spekulationsgeschäfte der Reichstagsabgeordneten Berthold Friedrich August von Ploetz, Vorsitzender, und Max Hugo Liebermann von Sonnenberg, Mitglied des Bundes der Landwirte. Sie agitierten polemisch gegen die Börsen und Spekulationsgeschäfte. Während der zweiten und dritten Lesung des Börsengesetzentwurfs bezichtigte vor allem die Sozialdemokratie die beiden Abgeordneten, mit zweierlei Maß zu messen. Sten.Ber., 28. April 1896/5. Juni 1896, Band 145, S. 1983, Band 146, S. 2421 f., 2426-2428, 2440, 2445. 5 3 Anspielung auf die Redensart: „Die Dummen werden nicht alle." 5 4 Unten, S. 6 4 8 - 6 5 5 .

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Die Börse 1.

entscheidenden Vorfrage näher treten, nämlich 2) der Frage, ob die Personengruppen, in deren Hand diese Funktionen bei unserer s heutigen Börsenorganisation gelegt sind, nach ihrer Eigenart die erforderliche Garantie bieten können. Diese Frage ist wichtiger als Lamentationen über einzelne schwindelhafte Praktiken. Wir wer- 5 den (im nächsten Heft) noch sehen,55 daß es keine Geschäftsformen und Manipulationen an der Börse giebt, welche, um ihrer Form willen, an sich „reell" oder „unreell" wären, sondern nur reelle oder unreelle Geschäftsleute, welche sich dieser Formen bedienen. Auf die Personen kommt es an. Deshalb giebt es an sich gegen 10 Misbräuche keine einschneidendere Maßregel, als die Einführung eines aus Standesgenossen zusammengesetzten Ehrengerichtes, wie es die Börsen-Enquete-Kommission vorschlägt,56 - welches die geschäftliche Praxis der Standesgenossen, wenn Beschwerden erhoben werden, einer Prüfung unterzieht und gegebenen Falls Ehren- 15 strafen, eventuell die Ausschließung von der Börse, verfügt. Aber: ein wirksames „Ehrengericht" setzt voraus, daß ein gemeinschaftlicher und gleichartiger Ehrbegriff innerhalb des Standes vorhanden A 46 sei. Das ist bei uns unzweifelhaft nicht | der Fall und kann es nicht sein bei der Einrichtung unsrer Börse, welche Jedem Unterschieds- 20 los ihre Thore öffnet. Vor allem besteht keine auch nur annähernde persönliche Gleichstellung zwischen den in ihrer Vermögenslage und ihren Anschauungen grundverschiedenen Besuchern der Börse. - Die Londoner Fonds-Börse ist „plutokratischer" (Plutokratie = Herrschaft des Reichtums, des Kapitals) organisiert, da sie, wie 25 wir sahen,57 immerhin bedeutende Vermögenseinlagen und Bürgschaften als Vorbedingung des Zutritts zum Börsenhandel fordert. Man darf aber deshalb, weil unsre Börse auch den annähernd Mittellosen Zutritt gewährt, nicht etwa glauben, daß bei uns die Vorherrschaft der großen Kapitalien auf der Börse abgemindert sei. 30 Davon ist auch nicht im Entferntesten die Rede, im Gegenteil, sie vollzieht sich bei uns nur in verhüllterer Form und deshalb unter einem weit geringeren Druck des Verantwortlichkeitsgefühls. Der

S A: unser 5 5 Unten, S. 6 3 9 - 6 4 1 , 643f. und 649. 5 6 Gemeint ist Vorschlag I 4 b der Börsenenquetekommission, vgl. unten, S. 940. 5 7 Oben, S. 161 f.

Zweck und äußere Organisation der Börsen

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Großkapitalist verweist, zur Rede gestellt, auf die zahlreichen, „unlautern Elemente", welche am Börsenhandel beteiligt seien. Diese Elemente finden sich nun gewiß keineswegs nur in den minder bemittelten Schichten der Börsenhändler, denn Ehrenhaftigkeit der 5 Gesinnung geht mit nichts weniger Hand in Hand als mit der Größe des Geldbeutels. Allein Eins ist sicher: heute können nur „starke Hände", d.h. große Kapitalien die Funktionen wahrnehmen, welchen der Börsenhandel dient. Die vielbeklagte Konzentration großer Kapitalien in den Händen der Banken ist innerhalb gewisser 10 Schranken schlechterdings unentbehrlich für unsre heutige volkswirtschaftliche Organisation. Der kleine Spekulant, welcher in kleinen Preisdifferenzen zu verdienen sucht und die Börse zu einem Ort macht, auf welchem er ein Vermögen, welches er nicht besitzt, erst erjagen möchte, erfüllt gar keinen volkswirtschaftlichen 15 Zweck; das was für ihn an Verdienst abfällt, zahlt die Volkswirtschaft ganz unnötigerweise an einen überflüssigen Schmarotzer. Welche gewaltigen Gefahren die großen Kapitalisten auf der Börse zu Zeiten über Volksvermögen bringen können, das werden wir noch weiter sehen, und auch, 58 ob und was etwa zur Einschränkung 20 dieser Gefahren sich thun läßt. Aber während ihre Mitwirkung andererseits ganz unentbehrlich ist und eine nationale Wirtschaft, welche keine konzentrierten Kapitalmächte besäße, damit nur in die Abhängigkeit von ausländischen Kapitalisten geriethe, ist der kleine Börsenspekulant ein Mann, welcher seine Arbeit nützlicher 25 irgend einer andern Thätigkeit zuwenden würde. | Er vor allem aber hindert das Entstehen einer in ihrer allgemei- A 47 nen gesellschaftlichen Vorbildung, Erziehung und Stellung gleichartigeren Klasse von Börsenhändlern, welche in der Lage wäre, aus ihrer Mitte „Ehrengerichte" zu bilden, welche die Energie haben 30 könnten, erzieherisch zu wirken und deren Urteile respektiert würden. Niemals wird es durchzusetzen sein, daß Sprüche eines Ehrenhofes, der aus der Wahl eines solchen Mischmaschs, wie ihn jetzt

5 8 Der Verweis ist unklar. M a x W e b e r hat s e i n e ursprüngliche A b s i c h t , a u c h ausführlich auf die „Funktionen der großen B a n k e n im Börsenverkehr" einzugehen, nicht mehr realisiert (vgl. oben, A n m . 5 1 ) . Auf die Gefahren für d a s d e u t s c h e V o l k s v e r m ö g e n d u r c h die Praktiken der großen Kapitalisten ist M a x W e b e r nur n o c h a n d e u t u n g s w e i s e e i n g e g a n gen, unten, S. 6 4 8 - 6 5 3 .

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Die Börse I.

unser Börsenpublikum darstellt, hervorginge, Beachtung finden, schon die Voraussetzung: ein einheitlicher „Ehrbegriff", fehlt. Meine persönliche Auffassung,15) die ich unter allem Vorbehalt hier äußere, weil ich glaube, man könnte mich mit Recht darnach fragen, geht deshalb dahin: Ehrlichkeit ist die Stärke jeder gesellschaftlichen Organisation; auf unsrer und auf jeder Börse herrscht thatsächlich der größere Geldbeutel, und es kann auch nicht anders sein. Deshalb möge man ihm auch formell das Feld lassen und durch Erfordern starker pekuniärer Garantieen den Zutritt zur Börse erschweren, man stärkt die Stellung der großen Kapitalien dadurch nicht, sondern macht eine Kontrolle und die Entstehung einheitlicher Anschauungen über das, was auf der Börse geschäftlich ehrbar ist oder nicht, erst möglich. Dazu wird derjenige ungläubig den Kopf schütteln, welcher die Börsenhändler als solche für einen Klub von Verschwörern gegen die Früchte fremder Arbeit hält. Ihm muß gesagt werden: er kennt sie nicht. Es kommt darauf an, den Elementen von unbezweifelbarer Ehrenhaftigkeit, welche dieser Stand, ebenso wie jeder andere in sich enthält, die Möglichkeit, seine Anschauungen mehr als bisher zur Geltung zu bringen, zu verschaffen; und gefragt werden kann nur, ob eine Organisation der Börse mehr nach englischer Art ein geeignetes Mittel bildet. Ich bin zur Zeit geneigt, diese Frage zu bejahen. Die Börse ist Monopol der Reichen, nichts ist thörichter als diese Thatsache durch die Zulassung unbemittelter und deshalb machtloser Spekulanten verhüllen zu lassen und damit dem Großkapital die Möglichkeit der Abwälzung der Verantwortung auf jene zu geben.16) Man könnte hoffen, durch eine energische Staatsaufsicht ähnliA 48 che Zwecke zu erreichen. Die Möglichkeit eines ziemlich | unbeschränkten Eingreifens des Handelsministers besteht nun in PreuA 47

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' Dieselbe stimmt mit derjenigen der bedeutendsten Fachspezialisten überein. 59 Entgegengesetzten Falls wäre kein Grund, überhaupt Schranken um die Börse zu ziehen und sie nicht nach Hamburger Art zu einem offnen Markt für Alle zu machen. Der Charakter der Hamburger Kaufmannschaft, die eine Jahrhunderte alte gute Tradition besitzt, hat es mit sich gebracht, daß die dortige, ganz freie Börse nicht etwa zu den unsolidesten, sondern zu den verhältnismäßig besten ihrer Art gehört. | 16)

5 9 Über die A u f f a s s u n g der F a c h s p e z i a l i s t e n zur Errichtung eines Ehrengerichts referiert M a x Weber, unten, S. 2 6 4 - 2 6 9 , ausführlich.

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Zweck und äußere Organisation der Börsen

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ßen 60 zu Recht. Es kommt also darauf an, wie die Aufsicht auszuüben wäre. In Österreich hat man einen Staatskommissar, der bisher so gut wie nichts hat ausrichten können. 61 Wenn ein BörsenEhrengericht eingerichtet wird, so wird es erwünscht sein, einen staatlichen Kommissar als Ankläger nach der Art des Staatsanwalts zu haben; die Gerichtsbarkeit selbst in andere als die Hände der Standesgenossen zu legen, wäre dagegen wahrscheinlich ein Fehler. Kann man auf das Durchdringen der möglichst höchsten Auffassung von geschäftlicher Ehrbarkeit innerhalb des Standes selbst nicht rechnen, so ist die ganze Institution eine Komödie und unterbleibt besser. Vorgeschlagen wurde ferner, 62 den leitenden Börsenorganen - „Ältesten", „Börsenkommissariaten" etc. - staatliche Kommissare für ihre Verhandlungen beizugeben. Es handelt sich hier weniger um Kontrolle, als darum, staatlicherseits darin Anträge stellen und mit den Vertretern der Kaufmannschaft darüber verhandeln zu können. Ausgeschlossen ist ein solches Verfahren schon jetzt bei uns nicht. Sicherlich ist mit dem allen etwas Entscheidendes nicht geschaffen; am wenigsten eine Kontrolle des Verkehrs. Diese denkt man sich weit leichter als sie ist. Man kann auf den Lebensmittelmarkt einige Schutzleute stellen, welche Nahrungsmittelverfälschung, falsches Gewicht etc. kontrollieren. Was man etwa Gleichartiges durch Entsendung noch so vieler, noch so intelligenter staatlicher Kommissare auf die Börse zu den Verkehrsstunden, um dort auf Unrat zu passen, 63 erzielen wollte, ist schwer zu sagen. Eine allgemeine Börsenbeaufsichtigung ist ein leeres Wort, darüber muß man sich klar sein; es kommt darauf an, welche bestimmten Vorgänge man kontrollieren oder durch gesetzgeberischen Eingriff

60 Nach Art. 3 §§ 1 - 2 des Preußischen Einführungsgesetzes zum HGB von 1861 durften in Preußen Börsen und Börsenordnungen sowie Ä n d e r u n g e n und Ergänzungen derselben nur mit G e n e h m i g u n g des preußischen Handelsministers errichtet bzw. erlassen werden. 61 In Österreich war mit der Börsenreform 1875 das Amt des sog. „ B ö r s e c o m m i s s ä r s " geschaffen worden. Ihm war die A u f g a b e zugedacht, „die Oberaufsicht an der Börse" zu führen, „die Ausführungen aller Börsenvorschriften" zu überwachen, „Mißbräuche zu rügen, und w e n n nicht sogleich Abhilfe erfolgt, deren Beseitigung im W e g e der politischen L a n d e s b e h ö r d e n zu bewirken". § 4 des Gesetzes vom 1. April 1875. Zur Wirkungslosigkeit des Amtes vgl. unten, S. 247f. 62 Gemeint sind die Vorschläge der Börsenenquetekommlsslon 14 b und e; vgl. unten, S. 940f. 63 Veraltet für: auf etwas harren, achten, lauern.

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Die Börse I.

regeln, welche Geschäfte z. B. und zwischen welchen Personen man verhindern kann und will,17' I A 48

l 7 ) Daß es darauf, also auf ein Eindringen in das Innere des Verkehrs, ankommt, darzulegen, war der Zweck der vorstehenden Ausführungen. Wir werden uns in einem folgenden Heft mit der Art der Abwicklung des Börsenverkehrs und seinen Formen und mit der Art der Kursfeststellung und Preisbildung und der Funktionen der großen Banken im Börsenverkehr beschäftigen, um eine ungefähre Vorstellung davon zu gewinnen, was hier erreicht werden kann und welche Ziele der Reform auf dem Gebiete des Börsenwesens gesteckt werden können und sollen.64 |

64 Die Abwicklung des Börsenverkehrs und seiner Formen und die Kursfeststellung und Preisbildung ist Thema des zweiten Hefts, unten, S . 6 3 0 - 6 5 5 . Auf die Funktion der Banken im Börsenverkehr und die Zielsetzung der Börsenreform Ist Max Weber nicht mehr eingegangen. Vgl. dazu seine Korrektur unten, S.619, Fußnote 1, und den Editorischen Bericht, unten, S.616f.

Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete

Editorischer Bericht Zur

Entstehung

Als am Anfang des Jahres 1894 der Bericht der Börsenenquetekommission und die vielbändigen Materialien 1 vorlagen, war nicht vorherzusehen, daß schon nach zweieinhalb Jahren ein Börsengesetz im Reichstag verabschiedet sein würde. Zwar forderte der Reichstag am 19. April 1894 bei der Verabschiedung des Reichsstempelgesetzes 2 vom Bundesrat die Vorlage eines Börsengesetzes „auf Grund der Ergebnisse der Börsen-Enquete", doch sind in der Debatte auch die enormen Schwierigkeiten eines solchen Vorhabens betont worden. 3 Auch Max Weber glaubte, als er seinen „trotz des nothgedrungen erheblichen Umfangs des Berichts nur [...] flüchtigen Überblick" 4 begann, offensichtlich nicht an schnelle Entscheidungen. Zu viele Sachverhalte waren ungeklärt geblieben. Unterschiedliche Meinungen schienen weiterer gründlicher Erörterungen in wissenschaftlichen Kreisen, bei Interessenten und im politischen Publikum zu bedürfen. Hierfür war Webers Aufsatzfolge in der Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht gedacht. Wohl wissend, daß dieser Versuch „in wissenschaftlicher Beziehung freilich nur in einzelnen Punkten dankbar" sein könne, wollte der Verfasser eine „Orientirung in dem gewaltigen Thatsachenmaterial" liefern. Dieses Material hielt er trotz der Masse des Erhobenen immer noch für ungenügend. 5 Ausdrücklich wandte sich Weber mit seiner „Orientirung" auch an die der Börse „Fernerstehenden". Wie Weber dazu kam, sich dieser Aufgabe zu unterziehen, wird unten, S. 184, dargestellt. Zunächst sollen jedoch zum besseren Verständnis des Textes die Umstände, die zur Entstehung der Börsenenquetekommission führten, deren Einberufung und Arbeitswei-

1 Vgl. hierzu unten, S. 181. 2 Vgl. den Eintrag „Börsensteuergesetz" im Glossar, unten, S. 1037. 3 Sten.Ber., 7. April 1894 und 19. April 1894, Band 135, S. 1994 und 2286; ebd., 1894, Band 137, Nr. 284, S. 1394. 4 Vgl. unten, S.214. 5 Deswegen verlangt er „Monographien über die intimeren Verhältnisse der einzelnen Börsen, beruhend auf autoptischer Kenntniß und eingehender persönlicher Erkundigung". Vgl. unten, S. 215.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

se sowie die schließlich von Max Weber verarbeiteten Materialien und seine sonstigen Quellen beschrieben werden. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist hier und da gefordert worden, der Gesetzgeber solle Mißstände an den deutschen Fondsbörsen bekämpfen oder gar der Ausbreitung des „Börsenspiels", vor allem des Terminhandels in Wertpapieren entgegentreten. In Österreich ist nach d e m Wiener Börsenkrach von 1873 am I . A p r i l 1875 ein Börsengesetz erlassen worden, 6 das dem Staat weitgehende Aufsichtsrechte an der Börse einräumte. Selbstverwaltung der Börsenkorporation oder staatliche Aufsicht waren auch in Deutschland die Stichworte der ordnungspolitischen Diskussion. Nach der Reichsgründung wurde - in Anlehnung an die generellen Tendenzen zur Rechtsvereinheitlichung - auch die Forderung erhoben, an die Stelle der traditionellen Vielgestaltigkeit im deutschen Börsenwesen eine einheitliche rechtliche Ordnung zu setzen. Am Ende der 1880er Jahre verlagerte sich die öffentliche Diskussion über Börsenfragen auf das relativ neuartige Produktentermingeschäft, also den Handel in standardisierten Kontrakten über Waren. Proteste von agrarischer Seite richteten sich hauptsächlich gegen die Art und Weise, wie an der Berliner Produktenbörse Getreide und Mehl auf Termin gehandelt wurden. Gelegentlich wurde schon ein Verbot dieser Geschäfte gefordert. Man schrieb ihnen die Schuld am Sinken der Getreidepreise zu. Am 20. November 1887 regte die hochkonservative Kreuzzeitung in einem Leitartikel über das Getreidetermingeschäft „eine gründliche, unter Aufsicht der Staatsbehörde vorgenommene Enquete" an, „deren Ergebniß der Gesetzgebung zur Richtschnur dienen sollte." 7 Im gleichen Sinne wendete sich am 25. November 1887 der landwirtschaftliche Verein von Nossen im Königreich Sachsen an den Reichstag. Nach Beratung dieser Eingabe beschloß die Petitionskommission des Reichstags gegen den Widerstand einer Minderheit, dem Plenum zu empfehlen, „die Petition dem Herrn Reichskanzler zur Erwägung zu überweisen, ob aus Anlaß der [...] zur Sprache gebrachten Mißstände eine Enquete über die Zustände der einheimischen Börsen vorzunehmen sei, und eventuell, ob eine reichsgesetzliche Regelung der Materie sich empfehlen möchte." 8 Der Vorschlag, zur Vorbereitung gesetzgeberischer Maßnahmen eine Enquete zu veranstalten, lag seinerzeit nahe. Bereits seit den 1870er Jahren hatte der Bundesrat in Fällen, mit denen seiner Einschätzung nach die Staatsverwaltung nicht hinreichend vertraut war, Enqueten durchgeführt. Anhand von Fragebogen sind dabei von speziell einberufenen Kommissio-

6 Hinfort: Gesetz vom 1. April 1875. Zum Wiener Börsenkrach vgl. unten, S. 247, Anm. 97. 7 Zit. nach Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S. 74. 8 Ebd., S. 73

Editorischer

Bericht

177

nen Zeugen und Sachverständige angehört oder schriftlich um Auskünfte gebeten worden. 9 Auch in England waren zum Anleihehandel an der Londoner Fondsbörse in den Jahren 1875 und 1878 zwei Enqueten durchgeführt worden. 10 Die in Deutschland durchgeführten Enqueten waren - anders als die in England veranstalteten Untersuchungen der königlichen oder parlamentarischen Kommissionen - in der Regel nicht öffentlich. Sie waren nicht so angelegt, daß sich widerstreitende Auffassungen gegenüber gestellt wurden. Die Ergebnisse und zum Teil auch die Protokolle der Anhörungen und Beratungen wurden erst nach Abschluß der Arbeiten von denjenigen staatlichen Organen veröffentlicht, die sie angeordnet hatten. 11 Es bedurfte offensichtlich erst einer Häufung von Skandalen und verstärkten politischen Drucks, um 1891 die gewünschte Börsenenquete in Gang zu bringen. Da Max Weber in verschiedenen Zusammenhängen einiges davon erwähnt, aber die Ereignisse, die die Börsenenquete veranlaßten, als bekannt voraussetzt, 12 seien sie hier kurz geschildert. Im April 1891 wurde der Berliner Bankier Paul Polke verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen, seine Kunden systematisch betrogen zu haben, indem er durch gezielte Aufkäufe eines Wertpapiers den Börsenkurs manipuliert und dann Stücke davon zu weit überhöhten Kursen verkauft hatte. Im Juli 1891 waren an der Berliner Effektenbörse beim Handel mit russischen Rubelnoten Schlußscheinfälschungen bekannt geworden. Im Sommer sorgten heftige Preisschwankungen und der Versuch der Firma Ritter & Blumenfeld, an der Berliner Getreidebörse den Weizenpreis zu manipulieren, für neuerliche Erregung. Bei einem Prozeß bestätigte sich im September der Verdacht, daß es in Bankund Börsenkreisen nicht unüblich war, Pressevertreter, die für eine neue Emission Stimmung machen sollten, mit finanziellen Zuwendungen zu bedenken. Ein genereller Konjunktureinbruch mit rasch sinkenden Güterpreisen und Warenkursen verstärkte den Eindruck, daß an den Börsen abscheuliche Mißstände herrschten. Besonderes Aufsehen erregte der Wertverfall einiger ausländischer Wertpapiere, die an der Berliner Börse gehandelt wurden. Der Staatsbankrott Argentiniens hatte im November 1890 so-

9 Die erste von Reichs wegen einberufene Enquete über die Eisenbahntarife wurde 1875 veranstaltet. Es folgten die Enqueten über die Frauen- und Kinderarbeit in Fabriken 1874/76, über die Verhältnisse der Lehrlinge, Gesellen und Fabrikarbeiter 1875/76, über die Tabakindustrie, die Eisenindustrie sowie die Leinen- und Baumwollindustrie 1878, die Zuckerenquete 1883/84. 10 Vgl. dazu unten, S. 216 mit Anm. 72 und S. 467 mit Anm. 20. Vgl. Cohn, Gustav, [Rezension von:] London Stock Exchange Commission, in: Göttingische gelehrte Anzeigen, Nr. 17 und 18. vom 23. und 30. April 1879, S. 513-550. 11 Vgl. Göllner, Heinrich, Das Verfahren amtlicher Wirtschaftsenqueten in den wichtigsten europäischen Ländern in der Vorkriegszeit. - Bergisch Gladbach: Heider 1930, S. 1 [Diss. Hamburg 1927], 12 Vgl. unten, S. 195, Fußnote 1.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

gar das Finanzzentrum London erschüttert (Baring-Krise). Die argentinischen Anleihen büßten bis zum Ende des Jahres 1891 zwei Drittel ihres Wertes ein. Die Verluste der deutschen Kapitalanleger in notleidenden ausländischen Papieren insgesamt schätzte Gustav Schmoller zu dieser Zeit bei einem Nominalwert der Anlagen von 1297 Millionen Mark auf 700 bis 800 Millionen Mark. 1 3 Schließlich fallierten im November 1891 einige, zum Teil sehr angesehene Privatbankiers in Berlin, zu deren Kunden hohe Beamte und auch Mitglieder des kaiserlichen Hofs zählten. Dabei wurden auch Depotveruntreuungen aufgedeckt. Die Bankiers hatten bei ihnen deponierte Wertpapiere ihrer Privatkunden als Sicherheiten für ihre eigenen Börsenspekulationen verwendet und diese verloren. Nun ergriff auch der Kaiser die Initiative. Er übermittelte durch sein Geheimes Zivilkabinett am 10. November 1891 den Wunsch, das preußische Staatsministerium möge sich mit dem Bank- und Börsenwesen befassen. Er besprach sich mit dem preußischen Finanzminister Miquel, der alsbald einen Depotgesetzentwurf vorlegen wollte. 1 4 Schon im August 1891 wurden im preußischen Handelsministerium und im Reichsamt des Innern Vorbereitungen zur Beschaffung von Informationen über das Produktentermingeschäft getroffen. Es sollten Sachverständige aus d e m Kreis der „Börseninteressenten und den am Waarenterminhandel Betheiligten" gehört werden. 1 5 Im preußischen Handelsministerium wurde ein Fragebogen erarbeitet, der den Erhebungen zugrunde gelegt werden sollte. 16 Politisch brisant wurde die ohnehin kritische Situation der Banken und Börsen, als im Reichstag zwei Initiativanträge gestellt wurden, die die Regierung aufforderten, noch für die laufende Session entsprechende Gesetzentwürfe vorzulegen. Mit Antrag vom 19. November 1891 forderten die Abgeordneten vom Zentrum, der Reichs- und der Konservativen Partei „eingreifende Bestimmungen auf dem Gebiete des Strafrechts und des bürgerlichen Rechts", mit denen dem „Mißbrauch des Zeitgeschäfts als Spielgeschäft" an der Börse vor allem „in für die Volksernährung wichtigen Artikeln" entgegengetreten werden könnte. Die Börsen sollten einer „wirksamen staatlichen Aufsicht unterstellt werden". 1 7 Einen Tag später stellten der nationalliberale Abgeordnete Ludwig von Cuny und einige seiner Parteifreunde den Antrag, Gesetzentwürfe vorzulegen, „durch welche der Veruntreuung anvertrauter Depots und dem Börsenspiele sowohl an den Produkten-,

13 Schmoller, Einleitung, S. XXIVf. Zum Staatsbankrott Argentiniens (Baring-Krise) vgl. unten, S.623, Anm.6. 14 Vgl. Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S. 108. 15 Vgl. Schulz, Das deutsche Börsengesetz, S. 72. 16 BA Potsdam, Reichskanzlei Nr. 572, Abschrift des Sitzungsprotokolls des preußischen Staatsministeriums vom 29. November 1891, Bl. 100-105. 17 Antrag vom 19. November 1891, in: Sten.Ber., Band 124, Nr. 528, S. 2860f.

Editorischer

Bericht

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als auch an der Effektenbörse entgegengetreten" werde. „Reine Differenzgeschäfte" sollten nichtig sein. 18 Der Antrag der Nationalliberalen zeugt für den allgemeinen Stimmungsumschwung zugunsten gesetzlicher Maßnahmen, welche die Nationalliberalen bislang abgelehnt hatten. Die Intervention des Kaisers und die neue Lage im Reichstag wurden im Beisein von Vertretern zuständiger Reichsressorts und des Präsidenten des Reichsbankdirektoriums am 29. November 1891 im preußischen Staatsministerium beraten. Einverständnis herrschte darüber, daß ein Depotgesetz erarbeitet und alsbald dem Reichstag vorgelegt werden sollte. 19 Hinsichtlich der Reform der Börsen schlug der preußische Handelsminister aber vor, eine Kommission zur Untersuchung der Produkten- und Effektenbörsen einzuberufen, denn man „wisse viel zu wenig von den Börsenverhältnissen, um ohne solche Vorbereitungen zweckmäßige Bestimmungen treffen zu können." 20 Es wurde beschlossen, daß der Staatssekretär des Reichsamts des Innern 21 von Boettlcher die Einberufung einer Enquetekommission zur Untersuchung des gesamten Börsenwesens in die Wege leiten solle. Von Boetticher informierte Ende Dezember 1891 die Regierungen in Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden und die Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck über die geplante Einberufung der Börsenenquetekommlssion und forderte sie auf, Vertreter zu benennen. Mitglieder sollten Beamte, hervorragende Juristen und Nationalökonomen, Sachverständige aus den Berelchen des Handels, des Bank- und Börsenwesens, der Industrie und der Landwirtschaft sein. 22 Allerdings wurden bis Februar 1892 erst 19 Persönlichkeiten eingeladen. 23 Im März 1892 regte der preußische Handelsminister an, zusätzlich einige Reichstagsmitglleder In die Kommission zu berufen. Damit sollte eine Korrektur des behaupteten Übergewichts der Handel- und Gewerbetreibenden bewirkt und zugleich den Partelen die Möglichkeit gegeben werden, durch Ihre Mitglieder die für die Gesetzgebung nötigen Kenntnisse zu erlangen. 24 So rückten die beiden

18 Antrag vom 20. November 1891, ebd., Nr. 531, S. 2866. 19 Zum Depotgesetz vgl. unten, S. 870-875. 20 BA Potsdam, Reichskanzlei Nr. 572, Abschrift des Sitzungsprotokolls des preußischen Staatsministeriums vom 29. November 1891, Bl. 102. 21 Den Amtstitel „Staatssekretär" trugen im Deutschen Reich die Leiter der Reichsämter. Ihnen vorgesetzt war der Reichskanzler, der einzige Minister auf Reichsebene. 22 Ebd., Schreiben des Reichsamts des Innern vom 26. Dezember 1891 an die Regierungen, Bl. 107f. und 112f. 23 Als einen der Nationalökonomen hatte Baden zunächst den Heidelberger Professor Karl Knies benannt. Nachdem er wegen Krankheit und Alter abgesagt hatte, wurde Gustav Schmoller In die Kommission berufen. 24 Die Im Februar 1892 geladenen Reichstagsabgeordneten Karl Gamp, Graf ArnlmMuskau und Graf Behr waren - anders als die später Berufenen - als Fachleute benannt worden.

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Großgrundbesitzer Graf Kanitz für die Deutsch-Konservativen und Freiherr von Huene für das Zentrum, ferner für die Nationalliberalen Ludwig von Cuny und für den Freisinn der Rostocker Fabrikant Friedrich Witte nach. 2 5 Fünf weitere Mitglieder sind erst im Laufe der Verhandlungen in die Kommission eingetreten. 2 6 Durch die späteren Berufungen ist zweifellos das Gewicht der landwirtschaftlichen Interessenten und damit der Börsenkritiker gestärkt worden. Vorsitzender der Kommission wurde Richard Koch, sein Stellvertreter Karl Gamp. Die Kommission tagte selten vollständig. In der Regel war ein Drittel der Mitglieder abwesend. Die schnelle Berufung der Börsenenquetekommission enthob die Regierung der schwierigen Aufgabe, gesetzliche Maßnahmen zu treffen, wie sie in den Initiativanträgen vom 19. und 20. November 1891 gefordert worden waren. Gegner und Anhänger einer Börsenreform waren fürs erste gleichermaßen befriedet. Die einen sahen, daß wenigstens nichts übereilt, die anderen, daß eine Börsenreform in Angriff genommen wurde. Am 6. April 1892 eröffnete der Staatssekretär des Reichsamts des Innern von Boetticher die Verhandlungen der Börsenenquetekommission. Als deren Aufgaben bezeichnete er die Prüfung des entworfenen Fragebogens, die Beschaffung von Material zum Börsenwesen, die Auswahl der zu vernehmenden Persönlichkeiten sowie nach Abschluß der Verhandlungen die Erstellung eines Gutachtens, „welches den Boden für die etwa zu fassenden Entschlüsse abgeben könne." Die Untersuchung des Börsenwesens sei angesichts der hochgradigen Beunruhigung der Bevölkerung notwendig, selbst dann, wenn die Mißstände geringer sein sollten als angenommen würde. 2 7 Daß die Verhandlungen nicht öffentlich geführt und das gesammelte Material wie die Stenographischen Berichte der Sachverständigenvernehmung unter Verschluß gehalten wurden, war ebenso Anlaß zur Kritik wie die doppelte Aufgabe der Enquete, sowohl Informationen über die Börsen als auch Vorschläge für Reformen zu erarbeiten. Eine öffentliche Enquete hätte das Publikum über die Zustände an der Börse aufklären und beruhigen können. Die von den Sachverständigen vorgetragenen Ansichten hätten durch Stellungnahmen in der Presse korrigiert oder vertieft werden können. 2 8 Die 25 Zur Nominierung der Mitglieder vgl. Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S. 1 1 2 114. 26 Vgl. die Mitgliederliste, unten, S. 192, Nr. 2 4 - 2 8 . 27 Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 3f. 28 Vgl. Lötz, Walther, Ergebnisse der deutschen Börsen-Enquete für die Reform des Emissionsgeschäfts, in: Wochenschrift für Aktienrecht und Bankwesen, Steuer- und Stempelfragen, hg. von Paul Holdheim, III. Jg., Nr. 7 vom 31. März 1894, S. 94; Cohnstaedt, Ludwig, Die Vorschläge der Börsen-Enquete-Kommlsslon. - Berlin: Verlag der „Volks-Zeltung" 1894, S. 45; Ring, Börsenenquete, S.276f.; Nußbaum, Kommentar zum Börsengesetz, S. XIX.

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umfangreichen Materialien wurden erst nach Abschluß der Verhandlungen vervielfältigt. Sie lagen bis Anfang Februar 1894 vollständig vor. Im Lauf des Jahres waren die Veröffentlichungen auch im Buchhandel erhältlich. Aber in dem publizierten Umfang konnten sie kaum zur Aufklärung der sachlich Interessierten, gar einer weiteren Öffentlichkeit beitragen. Sie bedurften einer sachkundigen Auswertung. Diesem Zweck dient Max Webers Arbeit. Insgesamt hielt die Börsenenquetekommission innerhalb von 19 Monaten 93 Sitzungen ab. Sie hat an 56 Verhandlungstagen 115 Sachverständige vernommen. Die Vernehmung erfolgte in kleinen Gruppen und getrennt nach Berufsgruppen. Dadurch wurde eine Gegenüberstellung der verschiedenen Interessentengruppen, die zu einer Art Kreuzverhör hätte führen können, vermieden. Der vom preußischen Handelsministerium vorgelegte, von der Börsenenquetekommission in der ersten Sitzung überarbeitete Fragebogen bildete die Grundlage für die Vernehmungen. Er wurde den eingeladenen Sachverständigen zugeschickt. Am 26. Januar 1893 beschloß die Börsenenquetekommission, den Fragebogen durch eine Anlage abzuändern und zu ergänzen. Aufgrund der Sachverständigenaussagen und der zusammengetragenen Materialien hat die Börsenenquetekommission in zwei Lesungen Vorschläge zur Reform des Börsenwesens erarbeitet. Die zweite Lesung wurde am 17. Mai 1893 beendet. Nach einer Sitzungspause, in der einige Mitglieder Teilentwürfe für den Abschlußbericht formulierten, trafen sich die Mitglieder am 10. und 11. November 1893 zum letzten Mal, um den Bericht an den Reichskanzler fertigzustellen. Der Bericht und die Vorschläge wurden am 28. Dezember 1893 im Reichsanzeiger veröffentlicht. 29 Die in Druck gebrachten Materialien der Börsenenquetekommission umfassen rund 5 500 Seiten überwiegend in Folio. Dazu gehören außer dem Band „Bericht und Beschlüsse" vier Bände „Stenographische Berichte", ein Band „Register zu den stenographischen Berichten über die Sachverständigen-Vernehmungen", die „Sitzungsprotokolle" über die Beratungen der Mitglieder, ein Band „Statistische Anlagen", in dem das verfügbare quantitative Material zur Beurteilung des Kapitalmarkts und der Börsen in Deutschland präsentiert wurde, sowie ein Band „Die hauptsächlichsten Börsen Deutschlands und des Auslandes". Veröffentlicht wurden auch einige Gutachten und Referate, die Protokolle der Unterkommission für die statistischen Erhebungen resp. das Kommissionsgeschäft, eine „Systematische Darstellung der Geschäftsbedingungen von 21 Bankfirmen", eine Zusammenstellung der abgelehnten oder zurückgezogenen Anträge, die Zusammenstellung der Vorschläge etc. 30 29 Bericht der Börsenenquetekommission. 30 Vgl. die Zusammenstellung der Veröffentlichungen der Börsenenquetekommission, unten, S. 1071 f.

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N o c h im D e z e m b e r 1893 b e g a n n die Tagespresse, in Artikelserien die Reformvorschläge der Kommission zu besprechen. Den a g r a r i s c h e n Blättern g i n g e n sie nicht weit g e n u g , d a g e g e n hielten die der Börse nahesteh e n d e n Zeitungen j e d e n staatlichen Eingriff in d a s B ö r s e n w e s e n für überflüssig u n d schädlich. Die Artikelserie des Chefredakteurs der Frankfurter Zeitung, L u d w i g C o h n s t a e d t 3 1 fiel durch ihren s a c h l i c h e n Ton auf. Die Vors c h l ä g e waren a u c h H a u p t t h e m a bei der G e n e r a l v e r s a m m l u n g der Vereinig u n g der Steuer- und Wirtschaftsreformer, 3 2 im preußischen L a n d e s ö k o n o miekollegium u n d bei der Plenarversammlung d e s D e u t s c h e n Landwirtschaftsrats im Februar u n d März 1894. 3 3 Teils auf Ersuchen ihrer Landesregierung, teils aus e i g e n e m Antrieb äußerten sich H a n d e l s k a m m e r n und k a u f m ä n n i s c h e Korporationen in G u t a c h t e n oder Referaten zumeist ablehnend, gelegentlich in p o l e m i s c h e m Ton. 34 In Publikums- u n d Fachzeitschriften meldeten sich h a u p t s ä c h l i c h Anwälte, Richter u n d Hochschullehrer des Zivilrechts zu Wort. Allerdings beschränkten sich diese B e s p r e c h u n g e n in aller Regel auf t h e m a t i s c h e Schwerpunkte. Ein ehemaliger Reichsgerichtsrat kritisierte v o r n e h m l i c h die positive Stellungnahme der Kommission zum Terminhandel. 3 5 Im Archiv für Bürgerliches Recht erschienen umfangreiche B e s p r e c h u n g e n der Vors c h l ä g e der Enquetekommission u n d ihres Berichts von Victor Ring u n d Julius Baron. 3 6 Die von Paul Holdheim h e r a u s g e g e b e n e Wochenschrift für Aktienrecht und Bankwesen, Steuer- u n d Stempelfragen b r a c h t e schnell eine Kritik an den E m p f e h l u n g e n zum Terminhandel u n d später in drei Folgen eine g r ü n d l i c h e Darstellung der Ergebnisse der Kommission von J a k o b Liebmann.37

31 Er war als Sachverständiger von der Börsenenquetekommission vernommen worden. Seine achtteilige Artikelserie in der Frankfurter Zeitung begann am 10. Januar 1894 und endete am 23. Februar 1894. Auf „Anregung eines hervorragenden Mitgliedes der Enquete-Kommission" veröffentlichte er seine Besprechung leicht überarbeitet als Broschüre: Cohnstaedt, Die Vorschläge der Börsen-Enquete-Kommlsslon (wie Anm.28). Zitat ebd., S.4. 32 Vgl. hierzu Webers Kommentar, unten, S. 214, Fußnote 16. 33 Vgl. Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S.217f.; Schulz, Das deutsche Börsengesetz, S. 117-121. 34 Vgl. z. B. die von Max Weber besprochenen Gutachten, unten, S. 405f., Fußnote 96 und 97. 35 Bähr, Otto, Das Ergebnis der Börsenenquete, in: Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik, Literatur und Kunst, 53. Jg., 1. Heft, 1894, S. 321-337; Bähr, Börsenspiel. 36 Ring, Börsenenquete; Baron, Julius, Die Börsenenquete. Besprechung, in: Archiv für Bürgerliches Recht, Band 9, 1894, S. 183-296. 37 Kohler, Josef, Das Börsenspiel, a.a.O., III. Jg., Nr. 3 vom 3. Febr. 1894, S.41-55; Liebmann, Jakob, Glossen zum Bericht der Börsen-Enquete-Kommission, ebd., III. Jg., Nr. 13 vom 23. Juni 1894, S. 213-221, Nr. 14 vom 7. Juli 1894, S. 233-237, Nr. 15 vom 21. Juli 1894, S. 249-259.

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Auffällig Ist der geringe Anteil von Nationalökonomen an der öffentlichen Diskussion der Ergebnisse der Börsenenquete. 3 8 Der Göttinger Professor der Nationalökonomie Gustav Cohn, seinerzeit Mitglied der Börsenenquetekommission, beschreibt in der Deutschen R u n d s c h a u als Insider die Arbeit der Kommission und ihre Vorschläge. Von A u s n a h m e n a b g e s e h e n beurteilt er sie insgesamt positiv. 3 9 Der Münchener Professor der Nationalökonomie Walther Lötz rügt zunächst vornehmlich die NichtÖffentlichkeit der Enq u e t e 4 0 u n d diskutiert schließlich neben Fragen der U n t e r s u c h u n g s m e t h o dik die erhobenen Befunde hinsichtlich der Emission von Wertpapieren. 4 1 An der staatswirtschaftlichen Fakultät in M ü n c h e n hat Walther Lötz offenbar u m g e h e n d veranlaßt, die Bearbeitung der Ergebnisse der d e u t s c h e n Börs e n e n q u e t e als Preisaufgabe auszuschreiben. Die von Franz Josef Pfleger u n d L u d w i g G s c h w i n d t hierzu eingereichten Dissertationen sind mit d e m Preis a u s g e z e i c h n e t u n d 1896/97 in drei B ä n d e n mit einem Vorwort von Walther Lötz veröffentlicht worden. Die Bearbeiter hatten sich die Arbeit geteilt. Pfleger beschäftigte sich mit d e n Produkten-, G s c h w i n d t mit d e n Fondsbörsen.42 Bei A b f a s s u n g seiner Darstellung der Ergebnisse der Börsenenquete standen Weber die bis 1895 erschienen Publikationen zur Verfügung. Wie eine von ihm selbst angefertigte Literaturliste aus seinem Besitz ausweist, hatte er insbesondere Stellungnahmen zur Börsenenquete g e s a m m e l t . 4 3 Überblickt m a n d a s seinerzeit zur Börsenenquete Veröffentlichte, fällt auf, daß Weber der einzige war, der eine u m f a s s e n d e Darstellung der Effektenu n d Produktenbörse geplant und hierfür nicht nur den Bericht, sondern 38 So schon Adolf Endemann, Übersicht der neueren Börsenreformlitteratur, in: Juristisches Litteraturblatt, Band VII, Nr. 10 vom 1. Dez. 1895, S.222. Der Ausschuß des Vereins für Socialpolitik entschied im März 1893 unter Leitung Gustav Schmollers gegen den Vorschlag, auf der Jahrestagung des Vereins 1894 auch die Börsenreform besprechen zu lassen. Boese, Franz, Geschichte des Vereins für Sozialpolitik 1872-1932 (Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Band 188). - Berlin: Duncker & Humblot 1939, S.69f. 39 Cohn, Gustav, Die Börsenreform im Deutschen Reich, in: Deutsche Rundschau, Band 78, Jan.-März 1894, S. 404-438; Nachdruck in: ders., Zur Börsenreform, S. 32-112. 40 Lötz, Walther, Was lehrt uns der Bericht der Börsen-Enquete-Kommission, in: Sozialpolitisches Centraiblatt, 3. Jg., Nr. 16 vom 14. Jan. 1894, S. 181 f. 41 Lötz, Walther, Ergebnisse der deutschen Börsen-Enquete (wie Anm. 28). 42 Pfleger/Gschwindt, Börsenreform, I. Teil; Pfleger, Börsenreform, II. Teil; - den dritten Teil konnte Weber nicht mehr berücksichtigen: Gschwindt, Ludwig, Die Effektenbörsen nach den Erhebungen der Börsenenquetekommission, Dritter Abschnitt (Münchener Volkswirtschaftliche Studien, hg. von Lujo Brentano und Walther Lötz, 22. Stück). - Stuttgart: J. G. Cotta 1897. Das Werk Pflegers über die Produktenbörse bezeichnete Max Weber als „brauchbare Anfängerarbeit". Vgl. unten, S. 460, Fußnote *. 43 Überliefert sind drei von Weber eigenhändig erstellte Übersichten über den Inhalt von drei Schachteln mit Publikationen zum Börsen-, Bank-, Lagerhaus- und Eisenbahnwesen. Privatbesitz Familie Weber-Schäfer, Konstanz. Vgl. die Liste im Anhang I, unten, S . 9 1 9 925.

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auch das umfangreiche Material der Enquete ausgewertet hat. Weber behandelt alle fünf Themenkomplexe der Vorschläge der Kommission, nämlich I. Rechtliche Stellung und Organisation der Börsen, II. Emissionswesen, Zulassung von Papieren zum Handel und zur Notiz, III. Terminhandel, IV. Maklerwesen und Kursfeststellung und V. Kommissionsgeschäft. 4 4 Seine Kapitel sind nach dem gleichen Schema aufgebaut. Zunächst zitiert er diejenigen Fragen aus dem Fragebogen, die zu einem Themenkomplex gehören. Sodann verweist er auf Literatur, die zu diesem Themenkomplex bereits vorliegt, und benennt die seines Erachtens informativsten Aussagen der Sachverständigen. In der anschließenden Darstellung schildert er die bestehenden rechtlichen Zustände, knüpft daran die Aussagen der Sachverständigen und gibt deren sowie seine eigenen Reformvorschläge wieder. Am Schluß eines Kapitels beschreibt Weber die Entscheidungsfindung der Börsenenquetekommission und zitiert ihre Vorschläge. Von wem die Initiative zur Abfassung der Artikelfolge für die Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht ausgegangen ist, ist nicht bekannt. Es ist nicht auszuschließen, daß Weber selbst den Herausgeber der Zeitschrift, seinen Lehrer Levin Goldschmidt, von der Notwendigkeit einer solchen Darstellung überzeugt hat. Doch könnten auch die Herausgeber einen Autor gesucht haben. Zweifellos war die führende Zeitschrift für Handelsrecht für diesen Gegenstand in besonderer Weise zuständig. Daß Max Weber, als er mit der Aufgabe betraut wurde, noch kein Börsenspezialist war, ist bereits erwähnt worden. 4 5 Als die Börsenenquetekommission tagte, standen bei dem Privatdozenten für römisches Recht und Handelsrecht noch die Auswertung der Landarbeiterenquete für den Verein für Socialpolitik 4 6 und damit zusammenhängende agrar- und sozialpolitische Aktivitäten 4 7 im Vordergrund. Das erste Zeugnis einer Beschäftigung Webers mit Börsenfragen ist ein Brief an Gustav Schmoller vom 3. Februar 1894. Weber dankt ihm für die Zusendung der Einleitung, die Schmoller für die „Statistischen Anlagen" zum Bericht der Börsenenquetekommission verfaßt hatte. Weber teilt mit, daß ihm die statistischen Materialien bereits bekannt seien und er die Gesichtspunkte Schmollers alsbald in seinem Handelsrecht-Praktikum, wo er „z.Z. die Börsen-Enquete tradiere", habe verwerten können 4 8 Allerdings berichtet Weber in diesem Zusammenhang nichts von einem Vorhaben, die Ergebnisse der Börsenenquete besprechen

44 Max Weber hielt sich nicht an die von der Börsenenquetekommission vorgegebene Reihenfolge der Themen; vgl. die Inhaltsübersicht, unten, S. 195. 45 Vgl. Einleitung, oben, S.91. 46 Vgl. die Einleitung von Martin Riesebrodt, MWG I/3, S. 18-28. 47 Vgl. dazu MWG I/4. 48 Brief an Gustav Schmoller vom 3. Febr. 1894, GStA Berlin, Rep. 92, Nl. v. Schmoller, Nr. 186, unpaginiert (MWG II/2).

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zu wollen. D e m n a c h hat Weber den Auftrag vermutlich erst nach d e m 3. Februar 1894 erhalten, höchstwahrscheinlich aber bevor Ihn im April 1894 der Ruf auf einen Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaften der Universität Freiburg erreichte. Seit N o v e m b e r 1893 war Weber außerordentlicher Professor für Handelsrecht u n d d e u t s c h e s Recht an der Universität Berlin, bislang aber noch nicht mit einer Arbeit z u m g e l t e n d e n Recht oder zu einem seinerzeit diskutierten g e s e t z g e b e r i s c h e n Vorhaben hervorgetreten. Schon d e s h a l b könnte ihn die A u f g a b e gereizt haben. Daß die verwickelten Rechtsfragen der Börsenorganisation u n d der Börsengeschäfte inzwischen hochpolitisch diskutiert w u r d e n , mochte die Attraktion des G e g e n s t a n d e s für Weber n o c h erhöhen. Er war zwar noch kein Börsenspezialist, aber immerhin kannte er sich s c h o n in d e n Hauptfeldern der agrarischen Interessenpolitik aus. Über die Umstände, w a n n Max Weber die einzelnen Teile der Aufsatzfolg e verfaßt u n d wer die Aufteilung in vier Folgen bestimmt hat, ist nichts Sicheres bekannt. Erstes Ergebnis der B e s c h ä f t i g u n g Max Webers mit d e n Materialien der Börsenenquete ist zunächst sein Vortrag über die „Organisation der d e u t s c h e n Börsen im Vergleich mit d e n j e n i g e n d e s A u s l a n d e s " v o m 3. Juli 1894, s o d a n n das erste Doppelheft „Die Börse. I. Z w e c k u n d äußere Organisation der Börsen" für die Arbeiterbibliothek Friedrich Naum a n n s . 4 9 Für die Sommerferien nahm Weber sich „das c o n s e q u e n t e u n d planmäßige, nicht mehr so zersplitterte Arbeiten [...], 3erlei umfassend: die [Landarbeiter-]Enquete, Börse für G o l d s c h m i d t u n d die Wintercollegien" vor. 5 0 Die erste Folge der „Ergebnisse der d e u t s c h e n Börsenenquete" erschien im Doppelheft 1/2 des 43. Bandes der Zeitschrift für das G e s a m m t e Handelsrecht Ende des Jahres 1894. 5 1 Inzwischen hatte der Reichstag die erw ä h n t e Resolution 5 2 a n g e n o m m e n , mit der er d e n Bundesrat aufforderte, „thunlichst bald" ein Börsengesetz vorzulegen. Bereits in der Thronrede Kaiser Wilhelms II. zur Eröffnung der neuen Sitzungsperiode des Reichstags am 5. Dezember 1894 w u r d e eine solche Vorlage a n g e k ü n d i g t . Im März 1895 sagte Weber seine Teilnahme an der Ausschußsitzung des Vereins für Socialpolitik ab, weil er „mit der Fertigstellung verschiedener voran-

49 Vgl. unten, S. 889-892, resp. oben, S. 135-174. 50 Brief an Marianne Weber vom 28. Juli 1894, Bestand Max Weber-Schäfer, Deponat BSB München, Ana 446 (MWG II/2). 51 Das Titelblatt des 1. und 2. Hefts des 43. Bandes der Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht ist mit dem Datum 1894 versehen. Seinem Bruder schreibt Max Weber, daß soeben „ein erster Börsenenquete-Artikel" eingetroffen sei. Brief an Alfred Weber vom 2. Jan. 1895, GStA Berlin, Rep. 92, Nl. Max Weber, Nr. 4, Bl. 105-108 (MWG II/3). 52 Oben, S. 175.

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geschrittener Arbeiten befaßt" sei. 53 Möglicherweise zählt zu diesen Arbeiten neben dem Artikel „Börsenwesen" für das Handwörterbuch der Staatswissenschaften und der Freiburger Antrittsvorlesung „Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik" 5 4 auch die zweite Folge der „Ergebnisse der deutschen Börsenenquete". Redaktionsschluß für das zweite Doppelheft 3/4 des 43. Bandes war vermutlich Ende April 1895. 55 Die zweite Folge der „Ergebnisse der deutschen Börsenenquete" ist wahrscheinlich im Frühsommer und die 3. Folge im Doppelheft 1/2 des 44. Bandes der Zeitschrift im Herbst 1895 erschienen. 5 6 Redaktionsschluß für das Doppelheft 1/2 des 44. Bandes dürfte Ende August 1895 gewesen sein. 57 Vermutlich hat Weber die dritte Folge in unmittelbarem Anschluß an die zweite geschrieben. Dafür spricht einerseits, daß er den am I . J u n i 1895 veröffentlichten Börsengesetzentwurf erst in der vierten Folge erwähnt, 5 8 und andererseits, daß er von August bis September durch England, Schottland und Irland reiste. 59 Nach der dritten Folge ist das bis dahin kontinuierliche Erscheinen unterbrochen. Zwischen der dritten und der vierten Folge liegen die Einbringung des Börsengesetzentwurfs in den Reichstag am 3. Dezember 1895, die drei Lesungen im Plenum, die Verabschiedung am 6. Juni und die Unterzeichnung des Gesetzes durch den Kaiser am 22. Juni 1896. Die Schlußfolge ist erst in den gleichzeitig publizierten Heften 1 bis 3 des 45. Bandes, vermutlich im Sommer 1896 erschienen. 6 0 Der Text ist noch vor Verabschiedung des Börsengesetzes 6 1 und auch vor dem zweiteiligen Artikel über „Die Technische Funktion des Terminhandels" 6 2 entstanden. In seiner offensichtlich erst kurz vor der Drucklegung nachgeschobenen einleitenden Fußnote *, unten, S. 460, erklärt Weber, er sei an der Fertigstellung dieser Teile für das „vorige

53 Brief an Gustav Schmoller vom 15. März 1895, GStA Berlin, Rep. 196, Nr. 67, BI.345 (MWG II/3). 54 Den Artikel Börsenwesen vgl. unten, S. 5 5 8 - 5 9 0 , zur Antrittsvorlesung siehe MWG I/ 4, S. 5 3 5 - 5 7 4 . 55 Darauf deutet der Hinweis zur „Literatur-Übersicht" für die Jahre 1894 und 1895 im 43. Band, S. 578: „Geschlossen am 15. April 1895." 56 Adolf Endemann, Börsenreformlltteratur, S.222 (wie Anm.38), gibt bereits den Inhalt der dritten Folge wieder. 57 Darauf deutet eine im 2. Heft des 44. Bandes, S. 312, enthaltene Rezension hin, die datiert Ist: 11. August 1895. 58 Unten, S. 548 mit Anm. 20. 59 Vgl. Weber, Marianne, Lebensbild 3 , S. 218-228. 60 Darauf deutet der Hinweis in Heft 3 des 45. Bandes, S.367, zur „Literatur-Übersicht": „Geschlossen am 15. Juni 1896". Ende Juni/Anfang Juli dürfte Redaktionsschluß gewesen sein, so daß die Veröffentlichung der Hefte 1 bis 3 des 45. Bandes bis Ende August 1896 wahrscheinlich Ist. 61 Max Weber erwähnt, unten, S.548, lediglich den am I.Juni 1895 veröffentlichten ersten Börsengesetzentwurf. 62 Zur Entstehung vgl. unten, S. 591 - 5 9 4 . .

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Heft" 6 3 „ d u r c h persönliche Verhältnisse und Vorbereitung größerer Arbeiten auf a n d e r e m Gebiet verhindert" 6 4 g e w e s e n u n d nun hinkten seine Ausführungen der V e r a b s c h i e d u n g des Gesetzes hinterher. Wohl aus d i e s e m G r u n d ist das V. Kapitel, in d e m nach d e m ursprünglichen Plan die „börsenmäßigen Verkehrsformen (insbesondere Terminhandel) und in Verbindung damit die für seine Z w e c k e geschaffenen Organisationen (Liquidationskassen) u n d die Frage der Einschränkung der A n w e n d b a r k e i t jener Verkehrsformen (Terminregister etc.)" b e h a n d e l t w e r d e n sollten, 6 5 unvollständig geblieben. Es fehlt die B e h a n d l u n g der Materialien und der Vorschläge der B ö r s e n e n q u e t e k o m m i s s i o n z u m seinerzeit politisch umstrittensten G e g e n stand, zum Produktentermingeschäft. Ebenso unterbleibt die u r s p r ü n g l i c h g e p l a n t e Erörterung der „ e n t s c h e i d e n d e n Fragen einer zukünftigen Gestaltung des Börsenwesens". 6 6 So ist die gründlichste u n d umfassendste Darstellung und Analyse der Ergebnisse der Börsenenquete trotz ihres Umf a n g s von 325 Seiten ein Torso g e b l i e b e n . Weber hoffte, „später auf d a s T h e m a speziell des Produktenterminhandels z u r ü c k z u k o m m e n . " 6 7 Damit b e k u n d e t er sein Interesse, a u c h nach V e r a b s c h i e d u n g des Börsengesetzes die wissenschaftliche B e h a n d l u n g des Themas Börse fortzusetzen. Dazu ist es j e d o c h nicht g e k o m m e n .

Zur Überlieferung

und Edition

Ein Manuskript ist nicht überliefert. Die vier Folgen des Aufsatzes sind erschienen, in: Zeitschrift für das G e s a m m t e Handelsrecht, hg. von Levin G o l d s c h m i d t , Friedrich von Hahn, H u g o Keyßner, Paul L a b a n d und Max P a p p e n h e i m , unter der Rubrik „ A b h a n d l u n g e n " : - Die Ergebnisse der d e u t s c h e n Börsenenquete: [Herbst] 1894, S. 8 3 - 2 1 9 ;

Band 43, 1. Heft,

- Die Ergebnisse der d e u t s c h e n Börsenenquete (Fortsetzung): Band 43, 3. Heft, [Frühsommer] 1895, S. 4 5 7 - 5 1 4 ; - Die Ergebnisse der d e u t s c h e n Börsenenquete (Fortsetzung): Band 44, 1. Heft, [Herbst] 1895, S. 2 9 - 7 4 ; - Die Ergebnisse der d e u t s c h e n Börsenenquete (Schluß): Band 45, 1. Heft, [Sommer] 1896, S. 6 9 - 1 5 6 .

63 Gemeint ist das Doppelheft 3/4 des 44. Bandes, das vermutlich Ende März/Anfang April 1896 erschienen ist. 64 Vgl. dazu oben, S. 104. 65 Vgl. unten, S.216f. 66 Ebd. 67 Vgl. unten, S. 460, Fußnote *.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

Die Edition folgt der Veröffentlichung in der Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht (A). Der Abdruck wurde zweifellos von Max Weber autorisiert. Die einzelnen Folgen sind jeweils unter der Überschrift gezeichnet: „Von Herrn Professor Dr. Max Weber in Freiburg i. Br." Der Text ist fortlaufend wiedergegeben. Max Webers Kapitel- und Fußnotenzählung bleiben erhalten. Entsprechend den Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe wurden Webers eigene Querverweise stillschweigend an die Seitenzählung der Neuedition angepaßt. Dem Text ist eine „Inhaltsübersicht" vorangestellt, die vom Herausgeber aus den Inhaltsübersichten des 43., 44. und 45. Bandes der Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht zusammengestellt ist. Die Originaltexte sind in einer Frakturschrift gedruckt, die die Umlaute für Großbuchstaben nicht enthält. Gemäß den Editionsregeln wurden stillschweigend Ae, Oe, Ue durch Ä, Ö und Ü ersetzt. Falsch geschriebene Eigennamen von Personen und Firmen wurden emendiert. Davon ausgenommen sind Eigennamen mit Umlauten. So schreibt Max Weber den Nachnamen von Johannes Kaempf abwechselnd mit „ä" oder „ae", den Nachnamen von Ernst Koenigs grundsätzlich mit „ö". In den Anmerkungen des Herausgebers ist die heute übliche Schreibung der Personennamen verwendet. Stillschweigend korrigiert wurden offensichtliche Setzerfehler wie z. B. „lombadriren" oder Webers gelegentliche Pluralschreibung mit Apostroph-s bei Fremdwörtern wie z. B. „Giro's". Bei den seinerzeit bekannten (Bank-) Firmen gebraucht Weber die damals üblichen Kurznamen, z. B. „Seehandlung" oder „Diskonto-Gesellschaft". In den erläuternden Anmerkungen sind die vollständigen Firmennamen nicht ergänzt worden. Die Kurznamen der Banken sind im Glossar aufgelöst. Die Fundortnachweise im Fußnotenapparat Max Webers sind oft fehlerhaft oder weichen um eine oder zwei Seiten von der tatsächlichen Bezugsstelle ab. Sie werden entsprechend den Editionsregeln der Max Weber-Gesamtausgabe auch bei geringfügigen Versehen richtiggestellt. Zum einen sind die Materialien der Börsenenquetekommission in Folio verlegt, so daß ein rasches Auffinden der Bezugsstelle kaum möglich ist, zum anderen ist Max Weber häufig frei und stark interpretierend mit den Aussagen der Sachverständigen bzw. der Mitglieder der Börsenenquetekommission umgegangen, so daß es schwierig sein kann, die gemeinten Textstellen zu identifizieren. Zu Beginn des zweiten Kapitels verweist Max Weber auf die von ihm benützten Aufsätze und die seines Erachtens relevanten Aussagen der Sachverständigen und fügt hinzu, diese seien „in der nachstehenden Skizze nicht in jedem Falle zu den einzelnen Stellen, wo sie benutzt sind, besonders zitiert."68 Ähnlich verfährt Max Weber auch in der dritten und vierten Folge. Allerdings hat er in der dritten Folge noch eine Reihe von Fundorten 68 Unten, S.285f., Fußnote 124.

Editorischer

Bericht

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nachträglich eingefügt. 6 9 Gemäß den Editionsregeln w e r d e n diese Anspielungen Max Webers auf die A u s s a g e n der S a c h v e r s t ä n d i g e n oder sonstige Materialien der Börsenenquetekommission oder auf die von ihm benützte Forschungsliteratur n a c h g e w i e s e n . In seinem Fußnotenapparat hat Weber zum Teil über mehrere Seiten hinw e g aus d e m „ F r a g e b o g e n " , der „Anlage zum F r a g e b o g e n " sowie aus den „Vorschlägen" der Börsenenquetekommission zitiert. Weicht W e b e r s Zitat v o m Wortlaut der Vorlage ab, wird das vom Herausgeber vermerkt. In den ersten drei Folgen hat Max Weber den „ F r a g e b o g e n " mit d e n Ergänzungen der „ A n l a g e z u m F r a g e b o g e n " sowie die an den Bundesrat gerichtete offizielle Fassung der „Vorschläge" der Börsenenquetekommission zitiert. Bei der Bearbeitung der vierten Folge lagen Max Weber offensichtlich die „Anlage z u m F r a g e b o g e n " u n d die redaktionelle Schlußfassung der „Vorschläge" der B ö r s e n e n q u e t e k o m m i s s i o n nicht mehr vor. Vermutlich hatte er der Druckerei seine Vorlagen für die D r u c k l e g u n g g e g e b e n u n d diese nicht wieder z u r ü c k b e k o m m e n . Denn die „Anlage z u m F r a g e b o g e n " hat er in der vierten Folge nicht mehr berücksichtigt. 7 0 Für die „Vorschläge" der Börsenenquetekommission hat Max Weber selbst eine M i s c h u n g aus den Vors c h l ä g e n erster und zweiter Lesung sowie der redaktionellen Schlußfassung der Börsenenquetekommission zusammengestellt, 7 1 die somit nicht der offiziellen Schlußfassung entspricht. In den erläuternden A n m e r k u n g e n wird daher a n g e g e b e n , auf w e l c h e Fassung sich Max Weber jeweils stützt. Die vier Folgen w e r d e n als Texteinheit verstanden u n d fortlaufend a b g e druckt, o b g l e i c h sie nicht in direkter zeitlicher A b f o l g e entstanden sind. Der Artikel „Börsenwesen. (Die Vorschläge der Börsenenquetekommission)" für den ersten S u p p l e m e n t b a n d des H a n d w ö r t e r b u c h s der Staatswissenschaften, der im D e z e m b e r 1895 erschienen ist, ist d e s h a l b d e n „Ergebnissen der d e u t s c h e n Börsenenquete" nachgestellt. Die A n o r d n u n g des Artikels „Börsenwesen" z w i s c h e n den Folgen 3 und 4 wäre w e g e n der f e h l e n d e n g e n a u e n Unterlagen über Entstehungszeiten und Veröffentlichungstermine nur willkürlich vorzunehmen. A u c h vergleicht Weber im Artikel „Börsenwesen" bereits den am I . J u n i 1895 b e k a n n t g e g e b e n e n Börsengesetzentwurf mit den Reformvorschlägen der Börsenenquetekommission, w a s er in „Die Ergebnisse der d e u t s c h e n Börsenenquete", von einer A u s n a h m e a b g e s e hen, 7 2 konsequent unterlassen hat. Der zweiteilige Artikel „Die t e c h n i s c h e

69 Vgl. unten, S. 419-425, Fußnoten 8a-8k, S.427, Fußnoten 9a-9b, S.430, Fußnote 11a, und S. 435, Fußnote 25a. 70 Vgl. unten, S. 494, Fußnote 57 mit Anm. 1. 71 Vgl. unten, S. 488-493, Fußnote 56a, und S. 545-548, Fußnote 125. Die Vorschläge erster und zweiter Lesungen finden sich in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S.389f„ 393f. und 413f. 72 Vgl. unten, S. 548 mit Anm. 20.

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Börsenenquete

Funktion des Terminhandels" w u r d e ebenfalls vor der vierten Folge der „Erg e b n i s s e der d e u t s c h e n Börsenenquete" veröffentlicht. Weil er später als die vierte Folge verfaßt w o r d e n sein muß, ist er in der A b f o l g e der Arbeiten ebenfalls n a c h g e o r d n e t a b g e d r u c k t . 7 3 Es empfiehlt sich, die „Vorschläge" der B ö r s e n e n q u e t e k o m m i s s i o n u n d die Artikel des Allgemeinen Deutschen H a n d e l s g e s e t z b u c h s (HGB), die Max Weber häufig anführt, ohne deren Inhalt konkret zu benennen, parallel zu lesen, weil erst d a d u r c h ein Textverständnis m ö g l i c h wird. Als Materialien sind im A n h a n g a b g e d r u c k t : Nr. 1 der „ F r a g e b o g e n " und als Nr. 2 die „Anlage z u m F r a g e b o g e n " der Börsenenquetekommission, Nr. 3: Z u s a m m e n s t e l lung der Vorschläge der Börsenenquetekommission, und Nr. 4: A l l g e m e i n e s Deutsches H a n d e l s g e s e t z b u c h . 7 4 Zur Erschließung der B ö r s e n s p r a c h e sei auf d a s Glossar verwiesen. 7 5 Die Titel der von Max Weber zitierten Gesetze, Verordnungen und anderer Rechtstexte sowie die dafür verwendeten Kurztitel finden sich im Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur.

73 Vgl. dazu unten, S. 591 -594. 74 Unten, S. 931 -934, 935f., 937-959 und 960-973. 75 Unten, S. 1031-1068.

Anhang zum Editorischen

Bericht

Mitglieder der Börsenenquetekommission 1 1. Dr. jur. Richard Koch, Präsident des Reichsbank-Direktoriums, Mitglied des preußischen Herrenhauses und Kronsyndikus, Vorsitzender. Vom Reichsamt des Innern direkt ernannt. 2. Karl Gamp, vortragender Rat im preußischen Handelsministerium, Mitglied des Reichstags, Stellvertreter des Vorsitzenden. Auf Vorschlag Preußens ernannt. 3. Traugott Hermann Graf Arnim-Muskau, Rittergutsbesitzer, Mitglied des Reichstags. Auf Vorschlag des preußischen Landwirtschaftsministers ernannt. 4. Adolf von Auer, Reichsrat der Krone Bayerns. Auf Vorschlag Bayerns ernannt. 5. Karl Felix Waldemar Graf Behr, Landrat, Mitglied des Reichstags und des preußischen Abgeordnetenhauses. Vom Reichsamt des Innern direkt benannt. 6. Dr. Gustav Cohn, Professor der Staatswissenschaften in Göttingen. Vom Reichsamt des Innern direkt benannt. 7. Dr. jur. Ludwig von Cuny, Honorar-Professor der Rechte in Berlin, Mitglied der Hauptverwaltung der Staatsschulden, Mitglied des Reichstags und des preußischen Abgeordnetenhauses. Vom Reichsamt des Innern direkt benannt. 8. Philipp Diffene, Mitglied der badischen Ersten Kammer. Auf Vorschlag Badens ernannt. 9. Johannes Fehling, Senator. Auf Vorschlag Lübecks ernannt. 10. Adolph Frentzel, Präsident des Ältestenkollegiums der Kaufmannschaft von Berlin. Auf Vorschlag des preußischen Handelsministers ernannt. 11. Clemens Heuschkel, Direktor der sächsischen Bank in Dresden. Auf Vorschlag Sachsens ernannt. 12. Dr. jur. Eduard Hoffmann, vortragender Rat im Reichsjustizamt. Auf Vorschlag des Reichsjustizamts ernannt. 13. Carl Freiherr von Hoiningen genannt Huene, Rittergutsbesitzer, Mitglied des preußischen Staatsrats, des Reichstags und des preußischen Abgeordnetenhauses. Vom Reichsamt des Innern direkt ernannt.

1 Die Mitgliederliste ist zusammengestellt nach: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 1f. Die Hinweise zur Ernennung nach: Meier, Entstehung des Börsengesetzes, S. 112-116.

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Börsenenquete

14. Dr. Julius von Jobst, Vorsitzender der Stuttgarter Handels- und Gewerbekammer. Auf Vorschlag Württembergs ernannt. 15. Dr. Alexander Carl Jürgens, Sekretär der Handelskammer. Auf Vorschlag Hamburgs ernannt. 16. Hans Wilhelm Graf von Kanitz, Rittergutsbesitzer, Mitglied des Reichstags und des preußischen Abgeordnetenhauses. Vom Reichsamt des Innern direkt ernannt. 17. Wolfgang von Koenen, Mitglied der Generaldirektion der Seehandlungssozietät, Berlin. Auf Vorschlag des preußischen Finanzministers ernannt. 18. Friedrich Theodor Lürman, Mitglied der Handelskammer. Auf Vorschlag Bremens ernannt. 19. Ernst Mendelssohn-Bartholdy, Ältester der Kaufmannschaft von Berlin. Auf Vorschlag des preußischen Handelsministers ernannt. 20. Dr. Gustav Schmoller, Professor der Staatswissenschaften, Berlin, Mitglied des preußischen Staatsrats. Vom Reichsamt des Innern direkt ernannt. 21. Dr. jur. Richard Wentzel, vortragender Rat im preußischen Landwirtschaftsministerium. Auf Vorschlag des preußischen Landwirtschaftsministers ernannt. 22. Dr. Friedrich Witte, Senator in Rostock, Mitglied des Reichstags. Vom Reichsamt des Innern direkt ernannt. 23. Josef Johann van den Wyngaert, Vorsitzender des Verbandes deutscher Müller in Berlin. Auf Vorschlag des preußischen Handelsministers ernannt. Als weitere Mitglieder wurden durch Erlaß des Reichskanzlers vom 9. Mai bzw. 4. und 26. Oktober 1892 berufen: 24. Dr. jur. Heinrich Wiener, Senatspräsident am Reichsgericht in Leipzig. Auf Wunsch der Börsenenquetekommission ernannt. 25. Dr. Hugo Thiel, vortragender Rat im preußischen Landwirtschaftsministerium. Zur Unterstützung des oft fehlenden Richard Wentzel (oben, Nr. 21) auf Vorschlag des preußischen Landwirtschaftsministers ernannt. 26. Rudolf Stengel, Fabrikbesitzer in Staßfurt, Vorsitzender des Verbandes deutscher Zuckerindustrie. Auf Vorschlag des preußischen Landwirtschaftsministers ernannt. 27. Georg von Arnim, Rittergutsbesitzer. Auf Wunsch des Deutschen Landwirtschaftsrats ernannt. 28. Konrad von Roeder, Landrat a. D. und Rittergutsbesitzer. Auf Wunsch des Deutschen Landwirtschaftsrats ernannt.

Die 3 Ergebnisse der deutschen Börsenenquete.b

A 83

Inhaltsübersicht Vorbemerkung. Gang der Verhandlungen und Übersicht der Publikationen I. Organisation und Rechtsstellung der Börsen II. Maklerwesen und Kursnotirung 1. An den Effektenbörsen 2. An den Produktenbörsen 3. Die Kommissionsbeschlüsse III. Das Kommissionsgeschäft 1. Das Effekten-Kommissionsgeschäft 2. Das Produkten-Kommissionsgeschäft 3. Die Kommissionsbeschlüsse IV. Zulassung von Effekten zum Handel und Emissionswesen V.d Effekten-Terminhandel und Börsenspiel

195 217 285 285 353 397 412 412 440 448 460 494 c

Vorbemerkung. Gang der Verhandlungen und Übersicht der Publikationen. Die Börsenenquete-Kommission 1 ' trat zu ihrer ersten Sitzung am 6.2> April 1892 zusammen unter dem Vorsitz des Reichsbankpräsidenten Dr. Koch, den in Abwesenheitsfällen der Geh. Ober^ Die Veranlassung zu ihrer Einberufung hier erneut zu erörtern, liegt kein Anlaß A 83 vor.1 2 > In der „chronologischen Übersicht" Druckfehler: „16.".2 a In A geht voraus: III.

b In A folgt: Von Herrn Professor Dr. Max Weber in Freiburg

i. B r . c Die Inhaltsübersicht fehlt in A. Sie wurde aus den Inhaltsverzeichnissen der jeweiligen Bände der Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht zusammengestellt, d Fehlt in A; V. sinngemäß ergänzt. 1 Zur Veranlassung der Einberufung der Börsenenquetekommssion vgl. den Editorischen Bericht, oben, S. 1 7 6 - 1 8 0 . 2 Die „Chronologische Übersicht" bildet das Inhaltsverzeichnis „A" in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. V—XXVIII; der angesprochene Druckfehler findet sich ebd., S. V.

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Börsenenquete

regierungsrath Gamp aus dem preußischen Handelsministerium vertrat. Die Protokollführung lag in den Händen der Gerichtsassessoren Eschenbach und Endemann3\ welche zugleich als „Hilfskräfte" 3 zur Verfügung standen. Die Anfangs 23, dann 28 Mitglieder 4 umfaßten von Reichs- und preußischen höheren Beamten außer den Genannten: Geh. Oberregierungsrath Dr. Hoffmann (Reichs-Justizamt), Reichsgerichts-Senatspräsident Dr. WieA 84 ner, Geh. Oberfinanzrath v. Koenen | (Seehandlung), Geh. Oberregierungsrath Dr. Thiel und Geh. Regierungsrath Dr. Wentzele (landwirthschaftliches Ministerium), ferner aus Preußen: als Vertreter der landwirthschaftlichen Interessen: Graf Arnim-Muskau (Oberlausitz), Graf Kanitz (Ostpreußen), Rittergutsbesitzer v. Arnim (Uckermark), 5 Landrath a.D. v. Roeder, des Handelsstandes und der Industrie: Geh. Kommerzienrath Frentzel (Präsident der Ältesten der Kaufmannschaft zu Berlin), Geh. Kommerzienrath Mendelssohn-Bartholdy (Berlin), van den Wyngaertf (Vorsitzender des Verbandes deutscher Müller), Konsul a. D. Stengel (Fabrikbesitzer, Staßfurt); aus anderen Bundesstaaten: Baiern: Reichsrath Justizrath v. Auer; aus Sachsen: Kommerzienrath Heuschkel (Direktor der sächsischen Bank); aus Württemberg: Geh. Hofrath Dr. v. Jobst (Vorsitzender der Handelskammer); aus Baden: Geh. Kommerzienrath Diffené (Mannheim); für die Hansestädte: aus Hamburg den Handelskammersekretär Dr. Jürgens, später durch Dr. Gütschow ersetzt, aus Bremen: Generalkonsul Dr. Lürman9,6 später durch den Handelskammersyndikus Dr. Boisselier ersetzt, 7 aus

3)

Jetzt Syndikus der Bremer Handelskammer.8 |

e A: Wetzel

f A: Wyngart

g A: Lürmann

3 Seinerzeit war „Hilfsarbeiter" und „Hilfskraft" eine Eingangsstufe für akademisch gebildete Personen im Staatsdienst. 4 Vgl. die Mitgliederliste Nr. 2 4 - 2 8 im Anhang zum Editorischen Bericht, oben, S. 192. 5 Max Weber meint Georg von Arnim. 6 Theodor Lürman - nicht wie in den Bänden der Börsenenquetekommission geschrieben: Lürmann - war nicht zum Dr. promoviert 7 Carl Theodor Boisselier, am 5. Mai 1892 zum Mitglied ernannt, nahm seit dem 13. Juni 1892 Lürmans Sitz ein. 8 Adolf Endemann war 1894 zum Syndikus der Bremer Handelskammer berufen worden.

Vorbemerkung

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Lübeck: Senator Fehling, später durch Senator Klügmann ersetzt;9 an Reichstagsabgeordneten außer den schon Genannten: Landrath Graf Behr, Freiherr v. Huene, Dr. Witte-Rostock (verstorben), 10 endlich folgende Vertreter der Wissenschaft (abgesehen von Wie5 ner, der als solcher zu gelten hat):11 die Professoren Cohn aus Göttingen, v. Cuny und Schmoller aus Berlin. - Goldschmidt beabsichtigte man als Sachverständigen zu vernehmen. 12 Sehr befremdlich mußte das Fehlen AdolfWagner's unter den in Betracht Gezogenen erscheinen4^.13 10 Die Kommission berieth zunächst einen ihr ausgearbeitet vorgelegten Entwurf eines Fragebogens5), an dem sie einzelne, hier nicht 4)

D e m Beschluß, ihn als Sachverständigen zu vernehmen, gab er keine Folge. > S. 13 f. der Sitzungsprotokolle. 14

5

9 Senator Dr. Karl Peter Klügmann trat Mitte April 1893 an die Stelle des durch Krankheit Sitzungsdauernd verhinderten Senators Johannes Fehling. Börsenenquetekommission, protokolle, S. 2, 51 und 314. 10 Friedrich Witte starb am 31. Juli 1893. 11 Der Senatspräsident am Reichsgericht Heinrich Wiener ist mit einer Arbeit: Der Aktiengesetz-Entwurf. Betrachtungen und Vorschläge. - Leipzig: Veit & Co. 1884, und Aufsätzen zu verschiedenen Fragen des Handelsrechts hervorgetreten. 12 Der.als führender deutscher Handelsrechtler eigentlich unter den Mitgliedern erwartete Levln Goldschmidt litt unter den Folgen eines Schlaganfalls. Immerhin hoffte man, seine Sachkenntnis als Sachverständiger doch nützen zu können und nahm daher In der zweiten Sitzung vom 7. April 1892 die Anhörung von Levln Goldschmidt „in Aussicht". Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 25, 34. Zu einer Vernehmung ist es nicht gekommen. 13 Adolph Wagner war unter anderem mit bedeutenden Veröffentlichungen über das Bankwesen sowie zur Geld-, Kredit- und Währungstheorie hervorgetreten und galt als herausragende Autorität auf diesem Gebiet. Erst In der 20. Sitzung am 20. Juni 1892 hatte die Kommission beschlossen, Wagner zu vernehmen. Am 6. Oktober 1892 teilte der Vorsitzende in der 30. Sitzung mit, daß einige eingeladene Sachverständige, darunter Wagner, die Einladung abgelehnt hätten. Ebd., S.56 und 67. Vermutlich kam Adolph Wagner der Einladung nicht nach, weil er erwartet hatte, als Mitglied berufen zu werden. Briefe hierzu an seinen Bruder Hermann Wagner und Maximilian Harden vom 31. Dez. 1893, 13. und 14. März 1897, in: Rubner, Heinrich (Hg.), Adolph Wagner. Briefe, Dokumente, Augenzeugenberlchte 1851 -1917. - Berlin: Duncker & Humblot 1978, S. 273 und 322f. 14 Der Entwurf eines Fragebogens war im preußischen Handelsministerium von Karl Gamp und Richard Koch erstellt worden. Abdruck des Entwurfs, in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 13-18.

A 84

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A 85 speziell zu besprechende Änderungen vornahm6). Der | Fragebogen wurde demnächst jeweilig den als Sachverständigen zu vernehmenden Personen zugestellt, welche von der Kommission aus einer ihr vorgelegten, später mehrfach ergänzten Liste ausgewählt wurden7^.15 Gleichzeitig wurden durch Vermittlung der betreffen- 5 den amtlichen Instanzen die Gesetze, Regulative, Kursnotirungsund Maklerreglements etc. der inländischen und der wesentlichsten ausländischen Börsen erbeten. Die Kommission begann darauf unmittelbar und ohne vorhergehenden Meinungsaustausch unter sich mit der Vernehmung der Sachverständigen, deren Auslas- 10 sungen im Zusammenhang mit den Zwischenäußerungen der Kommissionsmitglieder im Gegensatz zu den nur referirend protokollirten Berathungen der Kommission stenographisch niedergelegt wurden.16 Die designirten Sachverständigen selbst setzten sich aus Vertretern und Kennern des Bankwesens und Effektenhandels, 15 des Getreidehandels, der Mühlenindustrie, des Sprit-, Zucker-, Kaffee-, Öl-, Petroleum-, Salpeterhandels, der Landwirthschaft, Wollen-, Kammzug-h und Baumwollenindustrie (Spinnerei und 6

A 85

> Definitive Fassung S. 19f., 225 der Protokolle. 17 | ) S[iehe] die Anfangs in Aussicht genommene Liste S. 27 f. der Protokolle.

7

h A: Kammzeug15 Der Vorsitzende Richard Koch legte in der zweiten Sitzung am 7. April 1892 eine Vorschlagsliste der zu vernehmenden Sachverständigen zur Debatte vor. Dabei wurden einige Namen gestrichen und ergänzt. Ebd., S.25, 27-34. Über die tatsächliche Vernehmung von Sachverständigen entschied der Vorsitzende erst Im Verlauf der Sitzungen. 16 Die gedruckten stenographischen Mitschriften der Vernehmungen der Sachverständigen umfassen vier Bände: Börsenenquetekommission, Sten.Ber. Die Protokolle zu den Verhandlungen der Mitglieder der Börsenenquetekommission sind dagegen knapp gehalten und in einem Band herausgegeben worden: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle. 17 Über Änderungen und Ergänzungen des Entwurfs beriet die Kommission In der ersten Sitzung und erklärte dann den Fragebogen für angenommen. Ebd., S.4-10; Abdruck des Fragebogens, ebd., S. 19-24. Während der 61. Sitzung am 26. Januar 1893 wurde nach kurzer Debatte beschlossen, den noch zu vernehmenden Sachverständigen mit dem Fragebogen eine „Anlage zum Fragebogen" zu übersenden. Ebd., S.223; Anlage zum Fragebogen, ebd., S. 224-225. Fragebogen und Anlage sind unten, S. 931-936, abgedruckt.

Vorbemerkung

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Weberei) 18 zusammen73), ferner wurden von Vertretern der Wissenschaft die Professoren Dr. Lexis (Göttingen) und Dr. Fuchs (Greifswald), sowie einige juristische Sachverständige (Richter und Rechtsanwälte) und Vertreter der Presse (Handelsredakteure der Nationalzeitung, Kreuzzeitung, Berliner Tageblatt, Frankfurter Zeitung, des Deutschen Oekonomist) vernommen. 19 Die Kommission erklärte ferner im Reichsanzeiger ihre Bereitwilligkeit, Petitionen und Vorschläge von Vereinen und Einzelnen, denen bestimmte Erfahrungen zur Seite stehen, entgegenzunehmen. 20 Am 8. Oktober 1892 war (in der 32. Sitzung der Kommission) die Vernehmung der Sachverständigen von der Fondsbörse beendigt, und die Kommission trat in eine erste meritorische Berathung der zur Erörterung gestellten Fragen ein. | Der gesammte Stoff war zum Behuf der Berathung in Gruppen A zerlegt, die in dem systematischen Inhaltsregister zu den Protokollen als: 1. Börsenordnung, 2. Emissionswesen, 3. Termingeschäft, 4. Maklerwesen und Kursfeststellung, 5. Kommissionsgeschäft bezeichnet sind,21 und für die einzelnen Gruppen als vorläufige Refe7 a ' Die Namen derjenigen Sachverständigen, welche zu einem Punkt bemerkenswerthe Äußerungen gemacht haben, sind zu den einzelnen Abschnitten dieses Berichtes zitirt. I

18 Von der Anhörung Sachverständiger aus dem Börsenverkehr in Öl, Petroleum und Salpeter wurde auf Beschluß vom 7. Februar 1893 abgesehen. Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 32 und 231. Aus der Baumwollbranche wurde entgegen der ursprünglichen Absicht gleichfalls niemand vernommen. Die Börsenenquetekommlsslon erhielt aber zwei Gutachten über den Baumwollterminhandel zugeschickt, die den Stenographischen Berichten beigeheftet sind. Börsenenquetekommlsslon, Sten.Ber., S. 3619f. und 3621 f. Aus dem Bereich der Webereien hatte die Kommission eine Vernehmung von Sachverständigen nicht vorgesehen. 19 Es wurden jeweils drei Richter und Rechtsanwälte geladen: die Kammergerichtsräte Hugo Keyßner und N.N. Volkmar, Landgerichtsrat Wilhelm Münk, die Anwälte Geh. Justizrat Dr. Gustav von Wllmowski und die Justizräte Theodor Wilhelm Lesse und August von Slmson. Als Vertreter der Presse erschienen: Julius Bäsch von der NationalZeltung, Dr. Theodor Müller(-Fürer) von der Neuen Preußischen Zeitung (Kreuzzeitung), Jakob Wiener vom Berliner Tageblatt, Ludwig Cohnstaedt von der Frankfurter Zeitung und Wilhelm Christians vom Deutschen Oekonomist. 20 Max Weber nimmt Bezug auf einen In der 14. Sitzung am 24. Mai 1892 gefaßten Beschluß. Börsenenquetekommlsslon, Sitzungsprotokolle, S. 49. Eine solche Erklärung veröffentlichte der Kommissionsvorsitzende, In: Reichsanzeiger, Nr. 123 vom 25. Mai 1892, S.2. 21 Die Themeneinteilung zitiert Max Weber nach dem „Systematischen Register" (Inhaltsverzeichnis „B"), In: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. XXIX-XXXII.

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renten und Korreferenten bestellt: für Börsenorganisation und Emissionswesen Gamp und Frentzel, für Termingeschäft Wiener, für Maklerwesen Freiherr v. Huene, für Kommissionsgeschäft Wiener, Hoffmann, Diffene. Für das Kommissionsgeschäft wurde zunächst eine Subkommission eingesetzt, ebenso eine fernere Subkommission, welche über etwa noch vorzunehmende statistische Erhebungen berathen sollte. Die Protokolle beider Subkommissionen sind mit veröffentlicht. 22 Mit dem Beginn des Jahres 1893 wurde die Vernehmung der Sachverständigen von der Produktenbörse, die bereits vorher in einigen Sitzungen begonnen war, wieder aufgenommen und am 14. Februar 1893 die gesammte Sachverständigenvernehmung zum Abschluß gebracht. Es wurde nunmehr zunächst die Ernennung definitiver Referenten und Korreferenten für die einzelnen Gruppen ergänzt, und zwar derart, daß: für das Emissionswesen (Gruppe I) Gamp und Frentzel, für Terminhandel, Differenzgeschäft, Lieferbarkeit, Liquidationskassen, Börsenregister (Gruppe II) Frentzel, Gamp, Jürgens, Graf Kanitz, Wiener, v. d. Wyngaert', für Maklerwesen und Kursnotiz (Gruppe III) v. Huene, Jürgens, v. d. Wyngaertk, für Börsenorganisation und Ehrengericht (Gruppe IV) Gamp, Frentzel, Jürgens, für das Kommissionsgeschäft (Gruppe V) Wiener, Hoffmann, Diffene und für eine Einzelfrage (Schaffung geeigneter Stellen zur Entgegennahme von Anträgen auf Kapitalanlage, insbesondere Sparkassenwesen und Kommissionsgeschäfte der Reichsbank) Cohn bestellt wurden. 23 Darauf wurde die erste Berathung der gesammten zur Diskussion stehenden Fragen einschließlich der schon erörterten fortgesetzt. Mit dem 27. April 1893 war die erste Lesung beendigt; das Ergebniß derselben findet sich, nach Materien geordnet,

i A: Wyngart

k A: Wyngart

22 Die Protokolle der beiden Unterkommissionen sind als Anhang dem Band: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, beigefügt (Börsenenquetekommission, Protokolle 1, bzw. dies., Protokolle 2). 23 Max Weber übernimmt zum Teil wörtlich die in der 72. Sitzung am 14. Februar 1893 festgelegte Themeneinteilung. Diese erfolgte unter Zuordnung der Fragen des Fragebogens. Gustav Cohn sollte über die Frage 20 des Fragebogens (Gruppe V) referieren. Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 238 f.

Vorbemerkung

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S. 377 ff. der Kommissionsprotokolle. 24 Die zweite Lesung begann am 10. und endigte am 17. Mai 1893. Ihr Ergebniß | sind die défini- A 87 tiven Beschlüsse der Kommission. 25 Es wurden alsdann Bearbeiter für den an den Reichskanzler zu erstattenden Generalbericht be5 stellt, und zwar übernahm Gamp den überwiegenden Theil des Stoffs, die Abschnitte über Börsenorganisation, Emissionswesen, Terminhandel, Kurs- und Maklerwesen unter Mitbetheiligung von Frentzel, welcher zu den ihm mitzutheilenden Entwürfen motivirte Ergänzungs- und Abänderungsvorschläge machen sollte, - Wiener io die Bearbeitung der Abschnitte über Kommissionsgeschäft und Börsenspiel, - Cohn sollte einen allgemeinen Theil als Einleitung und das Referat über die von ihm bearbeitete Frage 20 herstellen. Die Fertigstellung und Vertheilung des Berichtes nahm die Zeit vom Mai bis November in Anspruch und wurde derselbe dann be15 rathen und in der Schlußsitzung (93. Sitzung) am 11. November 1893 in seiner jetzigen Fassung genehmigt. 26 Die gesammten Verhandlungen der Kommission waren nicht öffentlich. Im Laufe der Erörterungen war mehrere Male an die Kommis20 sion die Anregung herangetreten, eine Publikation der gesammelten Materialien, namentlich der Sachverständigenvernehmungen, vorzunehmen, einmal in Gestalt einer Anfrage von seiten des Reichskanzlers. Die Kommission hat an der NichtVeröffentlichung, zuletzt Anfang 1893 mit der Motivirung, daß „ihre Arbeiten sich

24 Die Vorschläge erster Lesung finden sich in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 3 7 7 - 3 9 7 . Sie sind von der eigens gebildeten Redaktionskommission „nach Materien geordnet" worden. Ebd., S. 371. 25 Gemeint ist: Börsenenquetekommission, Vorschläge. Die Vorschläge sind unten, S . 9 3 7 - 9 5 9 , abgedruckt. Ihre zweite Lesung findet sich in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 371 - 3 7 6 , 3 9 8 - 4 4 0 . 26 Max Weber stützt sich hier zum Teil wörtlich auf den Beschluß der Mitglieder der Börsenenquetekommission zur thematischen Aufteilung des „Berichts der Börsen-EnqueteKommission" (Börsenenquetekommission, Bericht) in der 91., also drittletzten Sitzung am 17. Mai 1893. Die Teilentwürfe von Karl Gamp, Adolph Frentzel, Heinrich Wiener und Gustav Cohn sollten bis spätestens Juli 1893 beim Vorsitzenden eingereicht, dann den übrigen Mitgliedern zugeschickt werden. Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 437. Die 92. und 93. Sitzung am 10. und 11. November 1893 dienten als sog. Schlußsitzung zur Fertigstellung des Berichts im Plenum. Ebd., S. 441 - 4 4 8 und 4 4 9 - 4 5 5 .

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dem Abschluß näherten" (?)8', festgehalten,27 und noch in der Schlußsitzung äußerte der Vorsitzende Zweifel, ob eine Publikation der Sachverständigenvernehmungen angemessen erscheinen könne, das Weitere dem Reichskanzler anheimstellend.28 Die Kommission beschloß demgemäß den Druck von 1000 Exempla- 5 ren der gesammten Materialien, von 2500 bestimmter einzelner Stücke; 200 Exemplare sollten dem Reichstag zur Verfügung geA 88 stellt werden, eine Anzahl fernerer dem Vorsitzenden zu | diskretionärer Verfügung.29 Diese Materialien, welche aber durchaus nicht alles umfassen, was der Kommission vorlag, sind nun auch in 10 beschränkter Zahl im Buchhandel erhältlich, freilich, mit engliA 87

8) Die erste Bekanntgabe des Berichts der Kommission erfolgte im Reichsanzeiger vom 28. Dezember 1893, über 11 Monate später, die Protokolle waren erst noch ca. 1V 2 Monate später allgemein zugänglich.30 |

27 In der 3. und 14. Sitzung am 9. bzw. 24. Mai 1892 hatte die Kommission beschlossen, von einer Veröffentlichung der Verhandlungsergebnisse zunächst abzusehen. Ebd., S. 35 und 48. In der 78. Sitzung am 17. April 1893 wurde über die Anfrage des Reichskanzlers, „ob und inwieweit auch gegenwärtig noch Bedenken g e g e n eine mehrseitig g e w ü n s c h t e Veröffentlichung der bisherigen Verhandlungen der Kommission, in erster Linie g e g e n deren Mittheilung an d e n Reichstag beständen", debattiert. Auf Beschluß der Kommission sollte der Vorsitzende d e m Reichskanzler berichten, daß sie es nicht für richtig halte, die Materialien jetzt schon bekannt zu geben, zumal „ja der Abschluß ihrer Arbeiten in nicht ferner Zeit bevorstehe." Ebd., S. 296. 28 Die Veröffentlichung der Sachverständigenaussagen war selbstverständlich. Diskutiert wurde über die Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle der Enquetemitglieder. Hierbei vertrat der Vorsitzende Richard Koch die Ansicht, die Sitzungsprotokolle „seien [...] nur als Hülfsmittel für die Kommission selbst g e d a c h t und enthielten daher nur den G a n g der Berathung im Allgemeinen, die gestellten Anträge und die gefaßten Beschlüsse. [...] Hätte die Kommission von vornherein deren Veröffentlichung im A u g e gehabt, w ü r d e n dieselben wesentlich anders abgefaßt und in großer Zahl gedruckt w o r d e n sein. Jedenfalls werde es Sache des Herrn Reichskanzlers bleiben müssen, die e n d g ü l t i g e Entscheid u n g über die Veröffentlichung der Protokolle [...] zu treffen." Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 442. 29 Der Beschluß zur Drucklegung findet sich in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 444. Danach sollten aufgelegt werden u n d zwar zu je 1000 Exemplaren die vier Bände Börsenenquetekommission, Sten.Ber., der Band Börsen Deutschlands und des Auslands, der Band Statistische Anlagen, zu je 1500 - nicht 2500 - Exemplaren der Band Börsenenquetekommission, Bericht, sowie Wiener, Rechtsprechung, ferner Börsenenquetekommission, Geschäftsbedingungen und der Band Register zu den Sten.Ber. 30 Die erste Bekanntgabe des Berichts der Börsenenquetekommission erfolgte in: Reichsanzeiger, Nr. 308 vom 28. Dez. 1893, Besondere Beilage, S. 1 - 3 1 , sieben Wochen nach dessen Fertigstellung und acht Monate nach der Anfrage des Reichskanzlers. Anfang Februar 1894 wurde b e k a n n t g e g e b e n , daß nun sämtliche Arbeiten der Börsenenquetekommission gedruckt vorlägen. Reichsanzeiger, Nr. 30 v o m 3. Febr. 1894, S. 3.

Vorbemerkung

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sehen Enqueteberichten verglichen, zu sehr bedeutenden Preisen9'. Von dem Bericht ist auch eine Handausgabe erschienen.31 Das gesammte gedruckte Material enthält im Einzelnen Folgendes: 5 Zunächst die schon erwähnten Protokolle der Kommission und der Subkommissionen.32 Die Sitzungsprotokolle verfahren insofern nicht konsequent, als das amtliche „von einer Seite" - „von anderer Seite" etc. abwechselt mit namentlicher Aufführung der Redner. Es hat einige Schwierigkeiten, bei dem häufigen Zurück10 greifen auf früher besprochene Punkte, durch die zahlreichen Einzelanträge, welche außer einigen schriftlichen Referaten als Anlagen den Sitzungsprotokollen beiliegen, sich hindurchzufinden. Offenbar waren dieselben ursprünglich nicht für den Druck bestimmt, wie auch eine Äußerung des Vorsitzenden in der Schlußsit15 zung bestätigt.33 9)

In dieser Beziehung herrschen bei uns noch unerfreuliche Zustände. Das Schlimm- A 88 ste, was darin in letzter Zeit geleistet worden ist, betrifft die Drucksachen der Silberkommission, welche, auf einem leichenfarbenen Papier und in jeder Beziehung kläglich ausgestattet, zu einem schlechterdings unerhörten Preise abgegeben wurden. Will man eine Absicht der Übervortheilung Derer, die sie kaufen müssen, nicht voraussetzen, so muß man fast annehmen, es sollte das ziemlich kümmerliche Ergebniß durch Beschränkung des Marktes thunlichst verborgen werden. - Während des Druckes zeigt sich, daß vielmehr die übelsten Gewohnheiten schlechtest beleumdeter Verleger durch nachträgliche Veranstaltung einer billigen Ausgabe übertroffen werden. 34 31 Den „Bericht nebst Anlagen" (Anlagebände 1, 7-9), ohne die Stenographischen Berichte der Sachverständigenvernehmung, verkaufte die Reichsdruckerei für 20 Mark, die Stenographischen Berichte und das dazugehörige Register (Anlagebände 2-6) für 50 Mark. Reichsanzeiger, Nr. 308 vom 28. Dez. 1893, S. 1. Bei Puttkammer & Mühlbrecht in Berlin erschien 1894 der „Bericht der Börsen-Enquete-Kommission nebst 8 Anlagen" für 30 Mark und gesondert die Stenographischen Berichte in sechs Teilen für 70 Mark. Die Verlagsbuchhandlung C. F. Winter In Leipzig bot den Bericht der Börsenenquetekommission für 10 Mark, mit den Stenographischen Berichten über die Sachverständigenvernehmungen für 25 Mark an. - Als Handausgabe erschien: Bericht und Beschlüsse der Börsenenquetekommission. 32 Oben, S. 199f. Gemeint sind hier Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, dies., Protokolle 1, und dies., Protokolle 2. 33 Zu den Äußerungen des Vorsitzenden vgl. oben, S. 202, Anm. 28. 34 Die sog. „Silberkommission" oder „Silberenquete", eigentlich „Kommission behufs Erörterung von Maßregeln zur Hebung und Befestigung des Silberwerths", wurde 1894 vom Bundesrat einberufen. Die erste amtliche Ausgabe der Verhandlungen der Kommission erschien 1894 zunächst für 30 Mark beim R. v. Decker's Verlag in Berlin (Verhandlungen der Silberenquete1). Noch im selben Jahr wurde die zweite Ausgabe bei der Reichsdruckerei (Verhandlungen der Silberenquete2) auf besserem Papier und mit teilweise abweichendem Drucksatz verlegt. Diese Ausgabe kostete nur 4 Mark. Vgl. auch Lötz, Walther, Die Ergebnisse der deutschen Silberenquete, in: Schmollers Jahrbuch, 19. Jg., 1895, S. 179.

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In anderem Format als die Sitzungsprotokolle10) sind die Stenogramme der Sachverständigenvernehmungen gedruckt, 3 600 (!) Foliodruckspalten umfassend. Die Kommission hat im Ganzen 115 Sachverständige verhört in 36 über drei Vierteljahre vertheilten A 89 Sitzungstagen.35 Die einzelnen Äußerungen | sind unter einander 5 sehr ungleichwerthig. Die große Geschicklichkeit, mit welcher sich der Vorsitzende der ungeheuren Last dieser Vernehmungen entledigte, ist allseitig und mit Recht anerkannt. Die polemische, die Sachverständigen offenbar mehrfach reizende Art des zweiten Vorsitzenden (Gamp) hatte andererseits das Verdienst, den Kreis kon- 10 kreter Angaben, welche den Sachverständigen entlockt wurden, oft wesentlich zu erweitern. In der ersten Zeit entwickelte sich trotz des Protestes des Vorsitzenden naturgemäß das Vernehmungsverfahren leicht dahin, daß die Kommissionsmitglieder ihre entgegengesetzten Ansichten in spaltenlanger Rede entwickelten und dann 15 dem Sachverständigen diese „lanx1 satura" 36 zur Beantwortung mit „Ja" oder „Nein" zu oktroyiren suchten11). Andererseits erhielt wenigstens für die Fondsbörse die Fragestellung gleich zu Anfang eine sehr ausgiebige Direktive durch die umfassende und vorzügliche Aussage des offenbar besonders qualifizirten Bankiers 20 Kopetzky aus Berlin. Es muß aber um so mehr als ein Mangel er10

A 89

> Warum? | > D i e Behauptung von Bähr in der Schrift „Das Börsenspiel", Leipzig 1894, daß gerade die Vertreter der Börseninteressen so verfahren m seien, nimmt sich an der Hand der Protokolle ebenso seltsam aus, wie dies Produkt der Papierscheere überhaupt. 37 | n

I A: „lex

m A: erfahren

3 5 Die 115 Sachverständigen wurden an insgesamt 56 Verhandlungstagen zwischen dem 9. Mai 1892 und 14. Februar 1893 angehört. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1-3604. 3 6 lanx satura (lat.); eine Schüssel voller Allerlei. 3 7 Die Anspielung auf Bährs Schrift bezieht sich auf dessen Urteil, „[...] daß sich gerade die Mitglieder, die sich am lebhaftesten an den Verhandlungen beteiligten, über die zu lösenden Fragen schon bestimmte Ansichten, meistens zu Gunsten des Börsenspiels, gebildet hatten, und daß es ihnen weniger darum zu thun war, von den Sachverständigen belehrt zu werden, als selbst diese zu belehren [...]." Bähr, Börsenspiel, S. 14. Die Schrift Bährs umfaßt nur 91 Seiten. Die Bezeichnung „Produkt der Papierscheere" bezieht sich auf die Worte Bährs: „Die mitgeteilten Äußerungen sind möglichst wortgetreu den stenographischen Aufzeichnungen [der Börsenenquetekommission] entnommen, aber natürlich abgekürzt und zusammengedrängt wiedergegeben." Bähr, Börsenspiel, S. 16. „Zum Produkt der Papierscheere" vgl. auch unten, S. 353, Fußnote 1.

Vorbemerkung

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scheinen, daß man im weiteren Verlauf der Vernehmung nicht mehr auf die konkreten Details der Technik eingehen konnte, da die Gebundenheit an den Fragebogen den Vorsitzenden zwang, mit jedem Sachverständigen annähernd alle Fragen durchzugehen. Es entstanden dadurch endlose Wiederholungen, bei welchen der Leser sich auf einer ihm längst bekannten oder bekannt gewordenen Landstraße bis zu den eingestreuten werthvollen, oft sehr werthvollen Aussichtspunkten zu bewegen hat. Oft sind die „Sachverständigen" dem unbefangenen Eindruck nach etwas zu sehr als Gutachter und zu wenig als Auskunftspersonen über Thatsachen behandelt. Soweit Thatsachen bekundet wurden, sind es überaus häufig solche, die Jeder - auch die fragenden Kommissionsmitglieder - aus den Börsenordnungen und Regulativen ersehen konnte. Schwer zu sagen ist, welchen Einfluß eine | volle Öffentlichkeit der A Verhandlungen oder doch eine fortlaufende Preßberichterstattung gehabt hätte, deren Ausschluß von vielen Seiten - theilweise freilich, wie offen gesagt werden muß, lediglich einem Modepostulat folgend - gerügt wurde. Die Aussagen der Sachverständigen hätten - so viel ist wohl wahrscheinlich - einerseits einen befangeneren Charakter, oft den einer Rede „aus dem Fenster", an sich getragen, vieles wäre gar nicht gesagt worden; 38 andererseits hätte sich dann vielleicht in fortlaufenden Preßerörterungen ein das Detail weiter ausbauendes Thatsachenmaterial aufgestapelt. Nicht einzusehen ist, warum die Kommission nicht nach Abschluß der Vernehmungen sie der Öffentlichkeit übergab, sie wären dann gelesen worden, während heute freilich der nach der Natur der Sache und der gebotenen Beschränkung in den Raumverhältnissen kaum einen oberflächlichen Eindruck bietende Bericht der Kommission in Bezug auf den Leserkreis unter der Konkurrenz des Urmaterials nicht leidet. - Daß die Vernehmung nicht einen mehr kontradiktorischen Charakter annahm, wird man jedenfalls bedauern und geneigt sein, in dem gelegentlichen Zwist des Vorsitzenden mit Professor Cohn, 3 8 Die Vernehmung der Sachverständigen wurde zwar nicht öffentlich geführt, aber eine Veröffentlichung der stenographischen Mitschriften war von vornherein geplant, was die Sachverständigen wußten. So wies zum Beispiel der Vorsitzende den Sachverständigen Jacob Kussel, als dieser bei „freimüthigen Äußerungen" um Verschwiegenheit bat, ausdrücklich daraufhin, daß Kussel bei seiner Aussage die Veröffentlichung „ins Auge fassen" müsse, besonders dann wenn er „Personalien und bestimmte Fälle anführe." Börsenenquetekommission, Sten. Ber., S. 1443.

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der den Schwerpunkt des Fragens in die übrigen Kommissionsmitglieder verlegen wollte, sich eher auf den Standpunkt des Letzteren zu stellen.39 Freilich hätte es dann zu einem ersprießlichen Resultat eines weitaus größeren Maßes von Sachkenntniß bei den spezifisch „börsenfeindlichen" Mitgliedern bedurft, als den meisten dieser, welche anscheinend die „Geheimnisse" der Börse bei dieser Gelegenheit erst zu erlauschen hofften, 40 - im Interesse der Sache: leider! - nur zu Gebote stand. Es konnte sich darin von ihnen keiner auch nur annähernd mit dem doch mehr vermittelnden Gamp messen. Eine große Zahl wieder und wieder, bis zur äußersten Ermüdung des Lesers, mit den Sachverständigen besprochener Fragen wäre wenigstens dann kurz zu erledigen gewesen, wenn der Theil der Mitglieder, der diese Fragen stellte, nicht anscheinend jede Kenntnißnahme vorhandener wissenschaftlicher Arbeiten darüber verschmäht hätte. - Dankenswerth und eine erhebliche Arbeitsleistung ist der umfangreiche, systematisch nach Materien A 91 und innerhalb der Materien nach | Sachverständigen geordnete gedrängte Auszug aus den Vernehmungen, welcher beigegeben ist.41 Er ist für die Benutzung vielfach fast unentbehrlich, wenngleich bei der gewählten Form des theils zitirenden, theils lapidar interpretirenden Auszuges oft etwas inkonsequent in der Wiedergabe, bezw. Nichtwiedergabe von Äußerungen: Unwesentliches ist seiner vermeintlich charakteristischen Form wegen aufgenommen, auf Wesentliches fehlt zuweilen der Hinweis, und es ist namentlich

39 Der Vorsitzende Richard Koch befürchtete, die Kommission werde statt in einem Jahr fertig zu werden, vier bis fünf Jahre tagen müssen, wenn die Mitglieder bei der Vernehmung untereinander und mit den Sachverständigen über Details diskutierten, anstatt sich auf die Hauptfragen zu konzentrieren und die Befragung überhaupt dem Vorsitzenden zu überlassen. Gustav Cohn war dagegen der Ansicht, es schade gar nichts, wenn die Gegensätze unter den Mitgliedern hervortreten würden. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1 9 - 2 1 und 66. 40 Max Weber spielt hier auf die Agrarier unter den Mitgliedern der Kommission an, besonders auf Graf Arnim, der „das Geheimniß, das gewissermaßen über der Börse liegt" durch die Einführung einer staatlichen Kontrollinstanz an der Börse „aufklären" wollte. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 569. Zur Kennzeichnung der Agrarier als „börsenfeindlich" vgl. die Ausführungen in der Einleitung, oben, S. 5 6 - 6 2 und 6 9 - 7 2 . 41 Gemeint ist Börsenenquetekommission, Register zu den Sten.Ber., S. 41 - 2 4 6 . Die im Register stichwortartig wiedergegebenen Antworten der Sachverständigen sind den einzelnen Fragen des Fragebogens zugeordnet und in der Reihenfolge der Vernehmung der Sachverständigen abgedruckt.

Vorbemerkung

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auch hier das Hauptgewicht auf das Gutachten statt auf die thatsächlichen Bekundungen der Sachverständigen gelegt. Dies wohl deshalb, weil der Vorsitzende, wie seine Äußerung in der Schlußsitzung ergibt, den Gedanken gehegt hat, es werde das Stenogramm 5 nicht publizirt werden und deshalb solle dieser Auszug als Ersatz dienen. 42 Allein diese unerheblichen Mängel entschuldigt" die ungeheure Stofffülle bei kurzer Zeit wohl mehr 0 als genügend. A l s Anlagen sind den Vernehmungen beigefügt: Sieben schriftliche Gutachten über den Terminhandel in Kammzug, bezw. Baum10 wolle, 43 erstattet von Interessenten 12 ); sodann eine Aufführung der namentlichen Abstimmungen und, um einem Verlangen der durch den Grafen Arnim vertretenen agrarischen Minorität zu entsprechen, eine Übersicht über die abgelehnten und zurückgezogenen Anträge. 44 15 Außer ihren Protokollen und den Vernehmungen nebst Anlagen legt die Kommission noch eine Serie weiterer Publikationen vor:

12) Die Referate und Gutachten von Mitgliedern sind den einzelnen Sitzungsprotokol- A 91 len beigefügt, jedoch nicht alle.

n A: entschuldigen

o Fehlt in A; mehr sinngemäß ergänzt.

42 Nicht das Stenogramm - also die Stenographischen Berichte - wollte Richard Koch nicht veröffentlichen, sondern die Sitzungsprotokolle hielt er für eine Veröffentlichung ungeeignet. Vgl. oben, S. 202, Anm. 28. 43 Folgende Gutachten sind als A n h a n g in: Börsenenquetekommission, Sten. Ber., beigefügt: von „Gustav Ebell über d e n Kammzugterminhandel", S . 3 6 0 5 f . ; von „Direktor Heintze, Direktor der Döhrener Wollwäscherei und Kämmerei in Döhren b[ei] Hannover", S. 3607f.; von „der Bremer Wollkämmerei Ober d e n Kammzugterminhandel", S. 3609; von „R. L a n d s b e r g in Berlin über den Kammzugterminhandel", S. 3 6 1 0 - 3 6 1 3 ; ein „Auszug aus d e m Gutachten des Herrn Kommerzienrath Michels, Vorsitzender der Handelskammer in Cöln, über den Terminhandel, insbesondere in K a m m z u g " , S. 3 6 1 4 - 3 6 1 8 ; von „A. W. Cramer, in Firma H. Bischoff und Co. in Bremen, über den Baumwollterminhandel", S. 3619f.; und v o m „Geheimen Kommerzienrath Dr. Jansen in Dülken über den Baumwollterminhandel" in Bremen, S. 3621 f. 44 Gemeint sind: Börsenenquetekommission, Abstimmungen, und dies., Anträge. Graf Arnim hatte am Entwurf des Abschlußberichts kritisiert, „daß darin nicht alle Anträge der Minorität in der wünschenswerthen Klarheit und Vollständigkeit enthalten seien." Während der Verhandlungspause im Sommer 1893 hatte er die „ A b s t i m m u n g e n " und „Anträge" a n h a n d der Sitzungsprotokolle zusammenstellen lassen. Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 441 - 4 4 3 . Auf Entscheid des Reichskanzlers wurden beide Übersichten veröffentlicht.

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Zunächst eine Bearbeitung der ihr vorliegenden Börsenordnungen und -Reglements von einem der Hilfsarbeiter. Diese Bearbeitung ist wissenschaftlich nicht brauchbar, kann aber zur gelegentlichen ungefähren Orientirung und Einführung dienen, auch dazu freilich nur mit Vorsicht. Abgesehen von positiven Unrichtigkei- 5 ten13), welche den Nichtspezialisten irreführen, ist namentlich die | A 92 Darstellung der englisch-amerikanischen Zustände derart, daß sie kein auch nur ungefähres Bild gibt. Hier entschuldigt die Unvollständigkeit des der Kommission vorliegenden Materials die Unzulänglichkeit.45 10 Sodann eine systematische Zusammenstellung von Bedingungen einer Anzahl Kommissionsfirmen und eine (unter der Leitung Wiener's, wie die Protokolle ergeben, gemachte) Zusammenstellung der Rechtsprechung des Reichsgerichts über den Differenzeinwand.46 15 Endlich und namentlich ein Band „Statistische Anlagen"^ von Schmoller mit einer einleitenden Erörterung der Bedeutung der Börse und des Emissionswesens14) versehen und wesentlich unter seiner Leitung nach den Beschlüssen der statistischen Subkommis13 ' Ich erwähne nur - für Berlin! - , daß behauptet wird, es existire hier ein amtlicher Produkten-Kurszettel nicht. (S. 19 unten) 4 7 | l4) A 92 Auf diese Einleitung wird besser im Verlauf der Erörterung des Emissionswesens zurückgekommen. 4 8

4 5 Gemeint sind die Darstellungen zu den englisch-irischen Börsen mit Nachträgen, in: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 6 6 - 7 9 und 149156, und zu den amerikanischen Börsen, ebd., S. 113-133. 4 6 Max Weber meint: Börsenenquetekommission, Geschäftsbedingungen, sowie Wiener, Rechtsprechung. In der 14. Sitzung am 24. Mai 1892 erklärte sich Heinrich Wiener bereit, den Beitrag zusammenzustellen. Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 48f. 4 7 Max Weber spricht von dem Band: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, den die beiden Hilfsarbeiter Adolf Endemann und August Eschenbach zusammengestellt hatten. Max Weber hat diesen Band trotz seiner Kritik vielfach herangezogen. Sein Fehler-Beispiel bezieht sich auf den letzten Satz der Seite 19: „[...] ebenso wenig findet eine Veröffentlichung der festgestellten Preise [an der Produktenbörse] durch den amtlichen oder nichtamtlichen Kurszettel statt." 4 8 Das Emissionswesen bespricht Max Weber unten, S. 460-550, ohne Bezugnahme auf Schmoller, Einleitung.

Vorbemerkung

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sion zusammengestellt. Der Band enthält49 zunächst eine Serie emissions-statistischer Nachweise, auf welche an gegebener Stelle einzugehen sein wird,50 für Deutschland auf Grund der Zusammenstellungen von Christians (Redakteur des Deutschen Oekono5 mist)51 und der von den Ältesten der Kaufmannschaft in Berlin, den Handelskammern von Hamburg und Frankfurt gemachten Angaben, für Frankreich und England nach dem Moniteur des intérêts matériels (Herausgeber Georges de Laveleye) bezw. dem Economist 52 (S. 1-212), von Eschenbach bezw. Endemann bearbei-

4 9 Im folgenden zählt Max Weber in zum Teil geänderter Reihenfolge die einzelnen Beiträge des Bandes: Börsenenquetekommission, Statistische Anlagen, nach Sachgruppen geordnet auf. Der Band enthält - in der Reihenfolge des Inhaltsverzeichnisses - außer Schmollers, Einleitung, S. VII-XXVI, folgende Beiträge: von den Ältesten der Kaufmannschaft in Berlin, Wertpapiere an der Berliner Börse, S. 1 - 1 0 5 ; von der Handelskammer in Frankfurt, Wertpapiere an der Frankfurter Börse, S. 1 0 7 - 1 8 1 ; von der Handelskammer in Hamburg, Wertpapiere an der Hamburger Börse, S. 183-197; Eschenbach, Englische Statistik, S. 199-200; Endemann, Statistik, S. 201-209; Christians, Zusammenstellung, S. 210-212; Mendelssohn-Bartholdy, Russische Papiere, S. 213-215; Hergenhahn, StatiS. 216-265; Christians, Statistik der Gründungen von Aktistik der Aktiengesellschaften, engesellschaften, S.267f.; Eschenbach, Abstempelung ausländischer Wertpapiere mit Tabellen A und B, S. 269-294; Eschenbach, Börsensteuer, S. 295-301; Christians, Kurswerte, S. 3 0 2 - 3 0 4 ; Hertslet, Wertpapiere, S. 305-308; Endemann, Papiere, S. 3 0 9 - 3 1 5 ; Eschenbach, Darstellungen der Roggenpreise, S. 316; Cohn, Spekulation, S. 3 1 7 - 3 2 3 ; Kantorowicz, Spekulation, S. 324-332; Kanitz, Anti option Bill, S. 333-339; Eschenbach, Getreide, S. 340-346; van den Wyngaert, Getreide, S. 347-354; von der Handelskammer zu Hamburg, Darstellung der Kaffeepreise, S. 355-358; van Gülpen, Darstellung der Kaffeepreise, S. 3 5 9 - 3 6 2 ; Handelsstatistisches Bureau in Hamburg, Preise für Domingo-Kaffee, S. 363-365; Hergersberg, Darstellung der Kammzugpreise, S. 366; Endemann, Liquidationskassen, S. 367-384; ders., Börsenbesucher, S. 385-394; Eschenbach, Effektengattungen, S. 395; ders., Übersicht, S. 396. 50 Auf die Statistiken ist Max Weber bei der Besprechung des Emissionswesens, unten, S. 4 6 0 - 5 5 0 , nicht mehr eingegangen. 51 „Der Deutsche Oekonomist. Wochenschrift für finanzielle und volkswirtschaftliche Angelegenheiten und Versicherungswesen. Spezialorgan für Realkredit- und Hypothekenbankwesen" wurde 1883 von Wilhelm Christians begründet und herausgegeben. 1935 verschmolz die Zeitschrift mit dem „Deutschen Volkswirt". 52 Die Brüsseler Tageszeitung „Moniteur des intérêts matériels. Quotidien d'information et de commentaire économique et financier", wurde 1851 von Auguste Lamoral de Laveleye (1769-1865) gegründet und von seinem Sohn Georges de Laveleye fortgeführt. Das Handelsblatt erschien bis 1 9 8 4 - s e i t 1954 unter dem Titel „MONIMAT". - „The Economist, weekly commercial Times, Bankers' Gazette, and Railway Monitor: a political, literary, and général newspaper" wurde 1843 in London als liberales Kampfblatt gegen die Kornzölle gegründet. Es erscheint wöchentlich und gilt als eine der einflußreichsten Wirtschaftszeitungen der Welt.

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tet15), ferner eine Zusammenstellung der Erträgnisse der Börsensteuer, sowie der Abstempelungen ausländischer Werthpapiere von Eschenbach (S. 269-300) und eine Statistik der Aktiengründungen seit 1884, herrührend von dem verstorbenen Oberlandesgerichtsrath Hergenhahn (S. 216). Beabsichtigt war weiter, die wichtigsten 5 deutschen Emissionshäuser zu veranlassen, eine Geschichte der wesentlichsten von ihnen eingeführten fremden Werthpapiere zu veranlassen. Sie haben dies Ansinnen abgelehnt (!) 53 bis auf das A 93 Kommissionsmitglied Mendels\sohn, welcher eine Zusammenstellung der in Berlin gehandelten russischen Papiere und ihrer 10 Kursentwicklung gab (S. 213). Dagegen ist abgedruckt eine von Christians gelieferte Aufstellung der Kurswerthe deutscher Bankund Industrieaktien von 1878-92 und der Ultimojahreskurse einer Anzahl Werthpapiere von 1868-92 von Bankier Hertslet-Berlin (S. 302-308), endlich eine Zusammenstellung der in Berlin, Frank- 15 furt, Hamburg, Paris und London zugleich auf Zeit gehandelten Werthpapiere von Endemann (S. 309). Fünf Börsenpapiere sind in ihren Kursbewegungen graphisch dargestellt. An Produktenpreisen sind Roggen, Kaffee, Zucker, Kammzug graphisch für verschiedene Zeiträume und Plätze dargestellt und diese Darstel- 20 lungen von Eschenbach, bezw. v. d. Wyngaertp 54, van Gülpen, Hergenhahn55 erläutert. Auch sind zwei Abhandlungen über die l5)

Für Österreich war brauchbares Material nicht zu erlangen. 56 |

p A: Wyngart 53 Die Anregung für eine Geschichte der Emissionen und die Mitteilung über die Ablehnung der Emissionshäuser finden sich in: Börsenenquetekommission, Protokolle 2, S. 4 und 6. 54 Van den Wyngaert hat einen Beitrag über die Lieferbarkeit von Getreide, nicht jedoch Erläuterungen über Warenpreise beigesteuert. Wahrscheinlich bezieht Max Weber sich auf: Handelsstatistisches Bureau in Hamburg, Preise für Domingo-Kaffee (vgl. oben, Anm. 49). 55 Die hier gemeinte Ausarbeitung stammt nicht von Theodor Hergenhahn, sondern von Ernst Hergersberg (vgl. oben, Anm. 49). 56 Die Unterkommission für die statistischen Erhebungen hatte bei der österreichischen Statistischen Zentralkommission und beim österreichischen Handelsministerium Zahlenmaterial, das die Angaben des „Moniteur des intérêts matériels" über die österreichischungarischen Börsen bestätige oder darüber hinausgehe, erbeten. Beiden Behörden standen keine Unterlagen zur Verfügung. Börsenenquetekommission, Protokolle 2, S. 9 und 11.

Vorbemerkung

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Wirkungen der Getreidespekulation von Cohn (für 1850-67) und Kantorowicz (für 1850-90) aus der Zeitschrift des Königl[ich] statistischen] Bureaus, bezw. aus Schmoller's Jahrbuch übernommen (S. 317-332) und hat Graf Kanitz ein übrigens nicht brauchbares Referat über die amerikanische Anti-option Bill57 geliefert (S. 333). Über die Frage der Lieferbarkeit gekündigten Getreides enthält der Band ein Referat von Eschenbach auf Grund von Angaben des Getreidehändlers Sobernheim und von v. d. Wyngaertq (S. 340-354). Endlich Statistiken: 1. der Liquidationskassen (S. 367), 2. der Börsenbesucher der größeren Börsen (S. 383), 3. und 4. der 1870-93 in Berlin im Kurszettel notirten Effektengattungen und der am Börsengeschäft betheiligten Firmen und Personen im Vergleich mit der Einwohnerzahl Berlins. - Namentlich die Zusammenstellung der, zum Theil der schätzenden Statistik58 angehörenden, Emissionsziffern und die letztgedachten Beiträge sind in hohem Grade dankenswerth. Bedauerlich ist, da der Anhang des Materials nun doch einmal den Bereich des „Handlichen" überschritten hatte, daß nicht auch noch in möglichster Vollständigkeit Statuten der Maklerbanken, Liquidationskassen, Schlußschein- und Kündigungsscheinformulare gesammelt und zum Abdruck gebracht wurden. I

q A: Wyngart 5 7 Ähnlich wie in Deutschland gab es in Amerika seit Anfang der 1890er Jahre eine Antibörsenbewegung (anti-option-movement), deren Ziel es war, eine einheitliche, für alle amerikanischen Bundesstaaten gültige Börsengesetzgebung zu schaffen. Mit dem 1891 eingebrachten Börsengesetzentwurf sollte das Börsentermingeschäft eingeschränkt und das Differenzgeschäft verboten werden. Dieser wie die folgenden Gesetzentwürfe der 1890er Jahre scheiterten jedoch an den Mehrheitsverhältnissen im Repräsentantenhaus oder im Senat. Die Börsen allerdings verboten unter dem Druck der Antibörsenbewegung die Prämiengeschäfte (options). Schumacher, Getreidebörsen, S.219 und 231-236. 5 8 „Schätzende Statistik" meint Zahlenangaben, die auf begründbaren Schätzungen beruhen. Derartige Materlallen waren nicht unbedingt ungenauer als solche, die auf - unter Umständen ungenauen - Zählungen beruhten.

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Die Drucksachen der Kommission enthalten endlich den offiziellen Bericht derselben, welcher in die Form von Motiven zu den einzelnen Beschlüssen gekleidet ist.59 Die Vorschläge der Kommission enthalten 1. Bestimmungen, welche in ein zu erlassendes Reichsbörsengesetz, 2. solche, welche 5 in die auf Grund desselben zu erlassenden Anordnungen des Bundesraths aufgenommen werden sollen, 3. solche, welche die Kommission als Inhalt der einzelnen Börsenordnungen den zum Erlaß dieser berufenen Instanzen zur Aufnahme vorschlägt. Außerhalb dieses Rahmens hat die Kommission noch 1. eine ergänzende Thä- 10 tigkeit öffentlicher Kassen (Sparkasse, Post) an denjenigen Orten empfohlen, wo durch das Bankgewerbe für die Vermittlung der Kapitalsbelegung60 nicht genügend gesorgt ist, 2. den ihr zugegangenen Entwurf des sog. Bankdepotgesetzes, in dessen Einzelberathung sie bei dem vorgerückten Stand ihrer Arbeiten nicht mehr 15 eintrat, in seiner „Tendenz" durch Resolution gebilligt.61 Die Systematik des Berichtes weicht von derjenigen des Fragebogens ab. Letzterer stellte die Zulassung von Papieren zum Handel und des Emissionswesens an die Spitze, ging dann zum Terminhandel, Differenzeinwand, Lieferungsbedingungen, Liquidations- 20 kassen über, fragte weiter nach Maklerwesen und Kursnotiz, alsdann erst nach den Organisationsgrundlagen, sodann den Schäden der Presse und Reklame und behandelte endlich das Kommissionsgeschäft. Der Bericht62 stellt die Organisationsfragen (I. Rechtliche Stel- 25 lung und Organisation der Börsen, darunter: 1. Börsenaufsicht, 5 9 Gemeint ist: Börsenenquetekommission, Bericht. Dieser ist wie eine Gesetzesvorlage im Zweispaltendruck verlegt: linksseitig wiedergegeben sind die Vorschläge, denen sich rechtsseitig Begründung und Diskussionsstandpunkte (Motive) der Mitglieder anschließen. 6 0 „Kapitalsbelegung", veraltet für: Kapitalanlage, Kauf und Verkauf von Wertpapieren. 61 Gemeint ist Entwurf: Depotgesetz 1. Er wurde im Frühjahr 1892 von der preußischen Regierung im Bundesrat eingebracht. Die Mitglieder der Börsenenquete hatten auf Anregung von Heinrich Wiener beim Reichskanzler Einsicht in den Entwurf beantragt. Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 202. Er ging der Kommission erst in der 91., also drittletzten Sitzung zu. Auf Antrag von Ernst Mendelssohn-Bartholdy wurde eine Resolution, auf die Max Weber hier zitierend Bezug nimmt, angenommen. Ebd., S. 436. Die Resolution findet sich in: Börsenenquetekommission, Bericht, S. 188f., und in: dies., Vorschläge, S. 18. Vgl. den Abdruck unten, S. 959. 6 2 Im folgenden stützt sich Max Weber zum Teil wörtlich auf die Kapitelüberschriften des Berichts bzw. der Vorschläge.

Vorbemerkung

213

2. Börsenordnungen, 3. Zulassung zum Besuch, 4. Börsendisziplin, 5. Börsenschiedsgerichte, 6. Liquidationskassen) an die Spitze, kommt dann zum Emissionswesen und der Zulassung von Papieren zum Handel und zur Notiz (II., darunter: 1. Allgemeines - betreffend die Zuständigkeit des Bundesraths - , 2. Zusammensetzung der Emissionsbehörde, 3. Stellung der Emissionsbehörde, 4. Grundsätze für die Zulassung, 5. Verfahren der Emissionsbehörde, 6. Handel per r Erscheinen, 7. besondere Bestimmungen - betreffend Aktien, Min|destbetrag, Prospektenzwangs - , 8. Haftung A der Emissionshäuser), erörtert unter III. den Terminhandel (darunter A. die Zulassung zum Terminhandel und zur Terminnotiz, B. das Terminregister für Waaren, C. die Verpflichtung1 zur Eintragung in das Handelsregister - für gewerbsmäßige Spekulanten 63 - , D. Lieferungsqualität und Kündigungswesen, E. das Börsenspiel), sodann IV. Maklerwesen und Kursfeststellung und V. das Kommissionsgeschäft. Der - 190 Foliospalten umfassende - Bericht trägt die üblichen Vorzüge und Schattenseiten deutscher amtlicher Schriftstücke dieser Art an sich. Er vermeidet ängstlich, aus der Anonymität der mit einander streitenden Ansichten, die er wohl abgewogen einander gegenüberstellt, auch nur soweit hinauszutreten, daß er die Interessengruppen, welche Träger dieser Ansichten sind, regelmäßig bezeichnen würde, - obwohl es sich doch in letzter Linie um Interessen- und nicht um Meinungsgegensätze, wie etwa innerhalb eines Regierungskollegiums, handelte. Im Übrigen befleißigt sich der Bericht einer überaus unparteiischen Wiedergabe der divergirenden Ansichten; der Versuch, den Graf Arnim in den letzten Sitzungen machte, diesen Eindruck durch das Monitum, daß eine wörtliche Wiedergabe der Minoritätsanträge unterblieben sei, und durch Bemängelung der Fassung einzelner Theile des Berichtes zu erschüttern, war ebenso wenig glücklich wie die demonstrative Stellung eines Antrages auf Re-

r A: für

s A: Prospekteingang

t A: Verpflichtung -

63 Unter Vermeidung des Begriffs „Spekulanten" hat die Börsenenquetekommission sie als „Personen, welche Börsengeschäfte in Effekten fortgesetzt (gewerbsmäßig) und nicht blos gelegentlich betreiben", beschrieben. Börsenenquetekommission, Vorschläge III B.

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form des Aktienwesens in der letzten Sitzung der Kommission 16 ). 64 A 96 - Was der Bericht nicht bietet und trotz seines | erheblichen Umfanges nicht bieten konnte, ist eine auch nur annähernde Orientirung in dem gewaltigen Thatsachenmaterial. Da auch andere Résumés17^ sich, soweit ich bisher sehe, diese Aufgabe nach Anlage 5 und Umfang nicht stellen, soll dieser in wissenschaftlicher Beziehung freilich nur in einzelnen Punkten dankbare Versuch, zu dem ich mich im Übrigen gewiß nicht in erster Reihe berufen fühlen konnte, nachstehend unternommen werden, selbstverständlich in derjenigen Beschränkung, welche die Raum Verhältnisse einer Zeit- 10 schrift ihm auferlegen. Es handelt sich hier also trotz des noth-

16) Graf Arnim hat sich denn auch in seinem Vortrag auf der XIX. Generalversammlung der Steuer- und Wirthschaftsreformer65 (Die Reform der Produktenbörse, Berlin 1894) auf ziemlich allgemeine Redewendungen bezüglich der „einseitigen Zusammensetzung"66 der Kommission beschränkt. Vergleicht man seine dort aufgestellten Thesen mit den Vorschlägen der Kommission, so findet man, daß er diesen letzteren zwar einige büreaukratische Chikanen hinzufügt, auch einige diskutable, zum Theil empfehlenswerthe, aber doch nur rein mechanische Verschärfungen der Kommissionsvorschläge bringt A 96 und einige von der Kommission nur mit geringen | Majoritäten abgelehnte Anträge wieder aufnimmt, irgend ein großer börsenreformatorischer Gedanke ist aber völlig zu vermissen, hier wie während der Berathungen. Damit soll nicht bestritten sein, daß einzelne dort gestellte Anträge durchaus billigenswerth erscheinen können. 17) cf. insbesondere den Bericht von Ring - erster Artikel - im Archiv f[ür] bürgerliches] Recht. 67

A 95

64 Max Weber nimmt Bezug auf die vorletzte Kommissionssitzung a m 10. November 1893 (Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 445), in der Graf Arnim seinen in der 48. Sitzung am 13. Mai 1893 zurückgestellten Antrag (ebd., S. 4 0 6 - 4 0 8 ) modifiziert wieder aufgriff und lediglich beantragte, im „Bericht" die d r i n g e n d erforderliche Reform des Aktienrechts anzuregen. Für die letzte Sitzung am 11. November 1893 bereitete er eine e n t s p r e c h e n d e Formulierung vor. Hier w u r d e sein Antrag endgültig von der Mehrheit abgelehnt. Ebd., S. 449f. Vgl. hierzu auch Max Webers Ausführungen unten, S. 487f. 65 Die Vereinigung der Steuer- u n d Wirtschaftsreformer, 1876 g e g r ü n d e t , war die führend e agrarpolitische Interessenorganisation des A d e l s u n d des Großgrundbesitzes aus den ostelbischen Gebieten. Sie verlor an Einfluß und Bedeutung, als 1893 mit der G r ü n d u n g des Bundes der Landwirte eine Massenorganisation entstand. Zu den Zielen der Vereinig u n g der Steuer- und Wirtschaftsreformer gehörte die Unterstützung der Bismarckschen Schutzzollpolitik, eine Revision des Aktiengesetzes, die Einführung des Bimetallismus und eine Börsenreform. 66 Gemeint ist Arnim, Produktenbörsen. Die „ e i g e n t ü m l i c h e " oder „eigenartige" Z u s a m mensetzung" b e m ä n g e l t Arnim, ebd., S. 3f. und 9f. 67 Gemeint ist Ring, Börsenenquete. Ein zweiter Artikel von Baron, Julius, Die Börsenenquete. Besprechung, folgte in: Archiv für Bürgerliches Recht, Band 9, 1894, S. 1 8 3 - 2 9 6 .

Vorbemerkung

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gedrungen erheblichen Umfanges des Berichtes nur um einen ziemlich flüchtigen Überblick, in welchem die Aussagen der Sachverständigen mit anderweit Bekanntem kombinirt werden sollen, um in skizzenhafter Form ungefähr zur Anschauung zu bringen, 5 welches Bild zur Zeit wir Außenstehenden uns auf Grund der uns zu Gebote stehenden Erkenntnißmittel von den Verhältnissen des Börsenverkehrs zu machen im Stande sind. Ich nehme an, daß eine solche Orientirung manchem Fernerstehenden willkommen sein könnte18^. Was wir | brauchen, sind im Übrigen Monographien über A 97 10 die intimeren Verhältnisse der einzelnen Börsen, beruhend auf autoptischer Kenntniß und eingehender persönlicher Erkundigung19).

18

> Es ist mißlich, daß Theoretiker derartige Versuche unternehmen müssen. Allein soweit Praktiker überhaupt zu eingehenderer Äußerung über die Interna der Börse zu bewegen sind, leiden ihre Darlegungen meist an gewissen „konstitutionellen" Übelständen. Auch wenn sie nicht rein apologetisch sind, 68 pflegen sie in auffälliger Weise gerade die theoretische und wirthschaftspolitische Seite zu betonen. Dasjenige, was wir von ihnen zu hören begierig sind: die konkreten Thatsachen und privatwirthschaftlichen Gesichtspunkte der Geschäftsgebahrung, erhalten wir selten geboten, sei es, weil sie als bekannt vorausgesetzt werden, sei es, weil bei dem Theoretiker eine in noch höherem Grade chemisch reine Verständnißunfähigkeit dafür angenommen wird, als thatsächlich selbst bei uns akademischen Dozenten zu finden ist. Wohl oder übel müssen sich | daher die Theo- A 97 retiker der unerwünschten Aufgabe unterziehen, gewissermaßen durch das Fenster hineinzusehen und das zu berichten, was sie auf diesem Wege zu ermitteln vermögen, die Berichtigung der unvermeidlichen Sehfehler Berufeneren überlassend. 19 ' Ich darf namentlich auf die beiden das hanseatische Maklerwesen behandelnden Aufsätze Levy's von Halle (in Schmoller's Jahrbuch 1892) hinweisen. Sind dieselben auch offenbar etwas eilig gearbeitet 69 und lassen den Wunsch nach Systematisirung des gebotenen, seiner Zusammensetzung nach wohl etwas vom Zufall abhängig gewesenen Materials bestehen, so bieten sie doch der Anlage nach eben Das, was erwünscht ist. - Das sehr verdienstliche Werk von Struck enthält einige Irrthümer und Übertreibungen (Die Effektenbörse, in Schmoller's Forschungen Bd. III Heft 3). Die in ihrer Art höchst tüchtige Arbeit von Siegfried (Saling's Börsenpapiere Bd. I) umfaßt nur einen Ausschnitt, ebenso die zur Orientirung vortreffliche Schrift von Ring (Der Maklergesetzentwurf, 1886) und die durch Sachkunde und Darstellungsform wohl in erster Linie stehende

68 Rein apologetisch ist zum Beispiel die Arbeit von Kohr), Getreideterminhandel. Vgl. hierzu A n h a n g I, unten, S. 922. 69 Die Aufsätze von Levy von Halle über die Handelsmakler in H a m b u r g bzw. Bremen erschienen in Schmollers Jahrbuch 1892 u n d 1893. Einleitend weist Levy von Halle daraufhin, daß die Publikation auf Wunsch von Gustav Schmoller vorzeitig erfolgte, damit die Ergebnisse der Börsenenquetekommission vorgelegt werden konnten. Ders., Schmollers Jahrbuch 1892, S. 1109, ders., Schmollers Jahrbuch 1893, S. 427.

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Börsenenquete

Aus Zweckmäßigkeitsgründen wird bei nachstehender Darstellung von der Systematik des Berichtes mehrfach abgewichen. Im Eingang soll in möglichster Kürze die Rechtsstellung und äußere Organisation der Börse erörtert werden, und zwar hier wesentlich nur über die rechtliche und faktische Lage referirend, da meines 5 Erachtens der Schwerpunkt künftiger Reformen hier zu liegen haA 98 ben wird und deren mögliche Bedeutung erst nach | Besprechung des Terminhandels deutlich werden kann. Dann die thatsächliche und wesentliche Stellung der Funktionäre des Börsenverkehrs Makler und Kommissionäre - und in Verbindung mit dem Makler- 10 wesen die äußere Organisation und die Form des Zustandekommens der Kursnotiz. Sodann der Umfang und die Voraussetzung des börsenmäßigen Handels (Zulassung zum Handel, Emissionswesen), endlich die börsenmäßigen Verkehrsformen (insbesondere Terminhandel) und in Verbindung damit die für seine Zwecke ge- 15 schaffenen Organisationen (Liquidationskassen) und die Frage der Einschränkung der Anwendbarkeit jener Verkehrsformen (Ter-

Arbeit von R. Ehrenberg (Die Fondsspekulation und die Gesetzgebung, 1885). 70 - Über die amerikanischen Produktenbörsen haben wir eine auf Autopsie und eingehendem Studium beruhende umfassende Darstellung des Herrn Dr. Schumacher in Berlin - hoffentlich bald - zu gewärtigen. 71 Das in den beiden großen englischen Enqueten niedergelegte, von Struck (a.a.O.) und für einige Spezialfragen und namentlich methodologisch von G. Cohn (Zeitschrift für Staatsw[issenschaft] 1876 und Jahrb[ücher] für Nationalökonomie 1875) 7 2 benutzte, ausgezeichnete Material ist dem, was die deutsche Enquete zeitigt, doch wohl überlegen. |

70 Gemeint ist Ehrenberg, Fondsspekulation. Das Werk erschien bereits 1883. 71 Gemeint ist hier der 1895 erschienene Artikel: Schumacher, Getreidehandel. Hermann Schumacher unternahm 1893 eine Reise durch die Vereinigten Staaten. Die Mittel für sein Studium des dortigen Getreidehandels waren Hermann Schumacher durch ein Stipendium des Reichskanzlers zur Verfügung gestellt worden. 72 Gemeint sind die Aufsätze: Cohn, Auswärtige Anleihen, und ders., Parlamentarische Untersuchungen. Die erste, 1875 vom Unterhaus einberufene Enquete beschäftigte sich mit dem unreellen Geschäftsgebaren in den 1860/70er Jahren bei der Emission einer Reihe von Anleihen süd- und mittelamerikanischer Staaten an der Londoner Stock Exchange, die zweite, 1878 von einer königlichen Kommission durchgeführte Enquete beschäftigte sich mit den Zuständen und Gebräuchen der Londoner Stock Exchange. In England konnten vom Ober- und Unterhaus sowie von der Krone Untersuchungsausschüsse bzw. -kommissionen einberufen werden. Die Verhandlungen erfolgten öffentlich, die Zeugenaussagen wurden stenographiert und sofort in Druck gegeben und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Nach Abschluß der Untersuchung wurde ein Bericht erstattet.

I. Organisation

und Rechtsstellung

der

Börsen

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minregister etc.), womit dann die Rückkehr zu der Erörterung der entscheidenden Fragen einer zukünftigen Gestaltung des Börsenwesens gegeben ist. Effekten- und Produktenbörse sind dabei, von dem ersten, nur orientirenden Abschnitt über die äußere Organisa5 tion der Börsen abgesehen, regelmäßig zu scheiden.73

I. Organisation und Rechtsstellung der Börsen20). Aus einem internationalen Markt, auf welchem die zugereisten Kaufleute der verschiedenen Nationen zusammentreffen, | ist die A 99 20)

Der Fragebogen enthielt folgende hierauf bezügliche Fragen: A 98 Frage 15: Sind die Bestimmungen der Börsenordnungen abzuändern, welche die Zulassung zum Börsenbesuch oder die Ausschließung von demselben betreffen? Ist diese Zulassung insbesondere von persönlichen Empfehlungen und Bürgschaften oder von einer Realkaution, und ist die Wiederzulassung solcher Personen, welche ihre Zahlungen eingestellt haben, von dem Nachweise, daß sie unverschuldet in diesen Zustand gerathen, oder nur von dem Nachweise, daß sie ihre sämmtlichen früher unbezahlt gelassenen Verpflichtungen erfüllt haben, abhängig zu machen? Ist eine korporative Verfassung der Börse vielleicht der Weg, auf dem eine Reform zu suchen wäre? Frage 16: Ist das ehrengerichtliche Verfahren weiter auszubilden (Einführung eines Ehrengerichtshofs, Organisation desselben und Verfahren vor demselben)? | Frage 17: Sollen bestimmte staatliche Organe (Staatskommissäre) mit der Aufsicht A 99 über die Börse betraut, und welche Funktionen sollen ihnen dabei übertragen werden? Ferner gehört aus Frage 8 hierher: „Haben sich einzelne der an den verschiedenen Börsenplätzen bestehenden Lieferungsbedingungen, z. B.a die Unterwerfung una ter ein Schiedsgericht als gemeinschädlich erwiesen?" Die Schiedsgerichte und ihre Stellung sind integrirende Bestandtheile der Organisation der Börse, während die übrigen Lieferungsbedingungen, auch die Ermittelung der Lieferbarkeit, keinen Bes t a n d t e i l der Börsen Organisation ausmachen, auch wo, wie in Berlin, besondere Sachverständige zur Abgabe maßgebender Gutachten darüber bestehen. In der Literatur sind die Fragen von Struck a.a.O. und R. Ehrenberg a.a.O. behandelt, außerdem werden sie von G. Cohn in seinem Aufsatz über die auswärtigen Anleihen an der Londoner Börse (Zeitschrift für Staatswissenschaft 1876) mehrfach berührt. 1 Von den Sachverständigen, die sämmtlich über diese Fragen gehört sind, dürften etwa die Äußerungen der Professoren Lexis und Fuchs (am letzten Tage der Sachverständi-

a Auslassungszeichen in A. 73 Vgl. die Inhaltsübersicht, oben, S. 195. Auf den Produktenterminhandel ist Max Weber, entgegen seiner ursprünglichen Absicht, nicht mehr eingegangen. 1 Gemeint sind Struck, Effektenbörse, Ehrenberg, Fondsspekulation, und Cohn, Auswärtige Anleihen, S. 397-404 und 453-459.

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Börse im Verlauf einer hier nicht zu schildernden Entwicklung das A100 geworden, was sie jetzt ist. E s verschwand der | ambulante Propre-

genvernehmung S. 3596f.), sonst noch diejenigen des Bankiers Kopetzky (S. 230ff.) und die Auseinandersetzung zwischen Gamp und Frentzel (S. 258 ff., 564 f.), ferner (ebenda und S. 570-576) die Bemerkungen der Sachverständigen Generalkonsul Russell (Disk[onto]-Ges[ellschaft]), Justizrath Winterfeldt (Berliner] Handelsgesellschaft) und Kommerzienrath Goldberger in Berlin (S. 720), für Hamburg des Sachverständigen Bankier Hinrichsen (S. 727 bis 730), für Leipzig des Direktors der Kreditanstalt, Favreau (S. 730 f.), ferner allgemein die des Redakteurs des Deutschen Oekonomist, Christians (S. 1826), des Bankiers Königs (Schaaffhausen'scher b Bankverein, Köln) und des Kaufmanns van Gülpen (Kaffee, Wesel - S. 2158), für die Produktenbörse auch noch des Berliner Mitglieds des Ältestenkollegiums S. Sobernheim (S. 2606) 2 von allgemeinerem Interesse sein. Die meisten Sachverständigen haben sich, da es sich nicht um eigentlich technische Fragen handelt, nur sehr unzulänglich und mehr nach allgemeinen Empfindungen geäußert. A 100 Schriftliche (als Manuskript gedruckte) Referate sind der | Kommission vom Geh. Kommerzienrath Frentzel in Berlin und Handelskammersekretär Vir. Jürgens (Hamburg) erstattet (nicht mit abgedruckt). Die Anträge der Referenten Gamp und Frentzel finden sich S. 176f., 185, 189, ein Antrag des Grafen Arnim, betreffend die Produktenbörse S. 287, ein solcher des Landraths von Roeder S. 330 der Protokolle. 3 Die erste Berathung über die Organisation der Effektenbörse fand in der 45. und 46. Sitzung (S. 170-190), über diejenige der Produktenbörse in der 80. und 81. Sitzung (S. 319, 326/327), die zweite Berathung in der 86. Sitzung (S. 371-374) auf Grund der S. 379 f. zu findenden Beschlüsse erster Lesung statt. 4 Der Bericht stellt die Organisationsfragen (im Gegensatz zum Fragebogen) an die Spitze. - Eine Statistik des Börsenbesuches der größeren deutschen Börsen auf Grund der von den Handelskammern bezw.

b A: (Schaafhausen'scher 2 Alle hier genannten Seitenangaben beziehen sich auf Börsenenquetekommission, Sten.Ber. Die Auseinandersetzungen zwischen Karl G a m p und A d o l p h Frentzel (vgl. unten, S. 2 7 2 - 2 7 7 ) über die Börsenorganisation finden sich ebd., S . 2 6 0 f . u n d 565f., die Äußerungen von Emil RUSSÖII, ©bd., S . 5 7 0 und 573, von Mâx Wint6rf8ldt, Gbd., S.567— 569, von Julius Favreau, ebd., S. 731 - 7 3 3 , von Ernst Koenigs, ebd., S. 2 0 2 2 - 2 0 2 9 . 3 Alle in diesem Absatz genannten Seitenangaben beziehen sich auf: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle. A d o l p h Frentzel hat als Korreferent der G r u p p e IV ein Referat „Über die Organisation der Börsen" verfaßt, das den Mitgliedern vor der beratend e n Sitzung zugestellt w o r d e n war. Ebd., S. 170. Ein Referat von Alexander Carl Jürgens wird in den Sitzungsprotokollen nicht erwähnt. Max Weber kannte vermutlich das Manuskript. Karl G a m p stellte zwei Anträge, den einen zur Börsenverfassung, d e n anderen „betreffend Börsenaufsicht, Ehrengericht etc." Ebd., S. 1 7 6 - 1 7 8 und S. 1 8 5 - 1 8 8 ; der Antrag von A d o l p h Frentzel, ebd., S. 189f., der Antrag des Grafen Arnim, ebd., S. 286f. 4 Die zweite Beratung über die Organisation der Effektenbörse in der 86. Sitzung am 10. Mai 1893 findet sich ebd., S. 3 7 1 - 3 7 5 , die Vorschläge erster Lesung, ebd., S . 3 7 7 397. Max Weber verweist hier auf die Vorschläge zu „I. Rechtliche Stellung u n d Organisation der Börsen. 1. Aufsicht über die Börsen. 2. Obligatorischer Inhalt der Börsenordnungen. 3. Zulassung von Personen zur Börse." Ebd., S. 379f.

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der Börsen

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händler, und es entwickelte sich statt dessen ein Stand berufsmäßiger einheimischer, d. h. am Börsenplatz ansässiger Börsenhändler und Kommissionäre, unter deren Botmäßigkeit nunmehr im Verlauf eines natürlichen Umgestaltungsprozesses der Börsenverkehr gelangte. A m meisten gewahrt blieb der Charakter des offenen Marktes in den Seeplätzen für den Waarenverkehr; im Übrigen finden wir bei den Börsen die charakteristische Entwicklung von der Freiheit zur zünftigen Abgeschlossenheit. Gerade die jeweilig modernsten Branchen des börsenmäßigen Handelsverkehrs - früher gelegentlich der Kornhandel, heute in England und in einzelnen Ansätzen bei uns der Fondshandel (vielfach im Gegensatz zum Waarenhandel), ferner die modernsten Formen des c Waarenterminhandels - werden 0 von zunftartig abgeschlossenen Händlerverbänden, zum Theil auch formell, monopolisirt. Eine solche Bewegung zur Gebundenheit ist auch nichts Unnatürliches, künstlich Erzwungenes. Mag der Börsenverkehr formell Jedem unterschiedslos zugänglich sein oder | nicht, so ist der Privatmann im Allgemeinen A 101 doch durch eine natürliche Schranke von der Möglichkeit erfolgreicher selbständiger Bethätigung darin abgeschlossen. 0 Es fehlt ihm einmal die aus der berufsmäßigen Beschäftigung mit dem Markt hervorgehende Marktkunde, welche in jedem Fall eine faktisch hochprivilegirte Stellung derjenigen, welche sie besitzen, begründet. Dann aber kann am Verkehr nur der theilnehmen, von welchem das Maß seiner Kreditwürdigkeit irgendwie festgestellt und bekannt ist. Wem weder der Markt^ noch er dem Markt durch ständige Berührung bekannt ist, der ist auf die Klientel der berufs-

Ältesten gelieferten Nachweise hat Endemann S. 385 des statistischen Anlagebandes aufgestellt.5 Über die Bearbeitung der Börsenordnungen und Regulative in dem 186 Seiten starken Anlagenbande „Die hauptsächlichsten Börsen Deutschlands und des Auslandes" s. oben.6 Das dabei benutzte Material ist daselbst S. 169 f. nachgewiesen und dieser Material-Nachweis ist immerhin brauchbar. | c A: Waarenterminhandels, werden

d Zu erwarten wäre: ausgeschlossen.

5 Gemeint ist Endemann, Börsenbesucher, S. 3 8 5 - 3 9 4 . Die Statistik erfaßt die Besucherzahlen folgender Börsen: Berlin, Frankfurt a. M., Köln, Magdeburg, München, Dresden, Leipzig, Hamburg, Wien, London und Paris. 6 Oben, S. 208 und Fußnote 13. Der im folgenden gemeinte „Nachweis der für die Zusammenstellung benutzten Materlallen" findet sich in: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 1 6 9 - 1 8 6 .

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mäßigen Händler von bekannter Kapitalkraft angewiesen. Eine formale Freiheit des Zutrittes zum Verkehr vermindert nicht, sondern verhüllt nur die thatsächliche und nothwendige Sachlage. Werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf die Börsen des theils an älterer kapitalistischer Kultur, teils an modernster kapitalisti- 5 scher Halbbarbarei uns überlegenen westeuropäischen und überseeischen Verkehrskreises, so finden wir an den englisch-amerikanischen Plätzen die Börsen als organisirte und exklusive Klubs, in einer mit der Entwicklung des modernen Verkehrs zunehmenden formalen Abgeschlossenheit. Zunächst sind fast überall die Börsen 10 nach Branchen getrennt, insbesondere der Produktenhandel vom Wechsel- und Effektenverkehr und innerhalb des ersteren wieder Getreide, Baumwolle, provisions7 etc., oft auch innerhalb der Werthpapiere die Wechsel von den Fonds (so in London die ersteren in der Royal Exchange von den letzteren in der Stock Ex- 15 change). - Die Produktenbörsen sind an den Plätzen ohne eigentlichen Terminhandel oft bei dem Charakter eines freien Marktes stehen geblieben - so namentlich der „Baltic" (Getreidemarkt) 8 in London. Dagegen sind die englischen Produktenterminbörsen, zumal in Liverpool (hier die Corn trade association, Provision asso- 20 ciation,9 Cotton association), meist limited companies, die Fondsbörsen private Vereine, speziell die Londoner Stock Exchange ein geschlossener, thatsächlich auch in Bezug auf die für den Verkehr maßgebenden Privatrechtssätze völlig autonomer und sich selbst in bei englischen Vereinen üblicher Art durch zahlreiche mit Spe- 25 A 102 zialkompetenzen versehene gewählte committees | - regierender Privatverein. Seine rules brechen nach der Praxis als Spezialrecht für seine Mitglieder das gemeine Recht und haben insbesondere jedes staatliche Verbot bestimmter Geschäftsformen illusorisch gemacht, da die Mitglieder - ähnlich wie vielfach im Mittelalter der- 30

7 „Provisions" wird in: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 114, definiert als „die Artikel der Fleischindustrie (Speckseiten, Schmalz u. s. w. von Schweinen, Pökelfleisch etc. von Rindern)". 8 Der Name des Getreidemarkts verweist auf die Herkunft des dort hauptsächlich verkauften Korns aus dem Baltikum resp. aus dem Bereich der Ostsee (Baltic Sea). Unter freiem oder offenem Markt versteht Max Weber einen frei zugänglichen Markt. 9 Die Liverpooler Fleischbörse nannte sich „provision trade association". Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 70.

I. Organisation

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der

Börsen

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jenige, welcher die exceptio usuraria erhob - bei Erhebung z. B. des Differenzeinwandes den Ausschluß zu gewärtigen haben würden und der Staat, wenigstens bis zu der Börsenenquete der siebziger Jahre,10 anscheinend selbst grundsätzliche Bedenken bezüglich seiner Berechtigung zu Eingriffen hegte. Die amerikanischen Börsen haben meist im Laufe der letzten Jahrzehnte Korporationsrechte erhalten. In England steht zum Theil die Rechtspersönlichkeit im Zusammenhang mit dem Besitz eines Börsengebäudes, ein Theil der als Aktiengesellschaften konstituirten Börsenhändlervereine vertheilt aber auch Dividenden (speziell die Cotton trade association in Liverpool).11 Grundsätzlich befinden diese Börsenvereine allein darüber, wen sie zulassen und unter welchen Voraussetzungen; einen auch nur verwaltungsrechtlich geltend zu machenden Anspruch auf Zulassung im Widerspruch mit den Satzungen und dem Willen des Vereins hat Niemand. Überwiegend hat die Mitgliedschaft auch bei den nicht als limited companies organisirten den Charakter eines unter der condicio juris des Beitrittes zum Verein bezw. der Zulassung des Rechtsnachfolgers veräußerlichen und in gewissem Maße auch vererblichen Privatrechtes, und, wo dies der Fall, ist die praktische Gestaltung noch am ehesten vergleichbar der Art, wie bei uns bei eingetragenen Genossenschaften der Rechtsübergang des Genossenantheiles geregelt ist.12 Im Todesfalle hat also meist eine Auseinandersetzung mit den Erben zu erfolgen, oder es besteht ein Vorkaufsrecht der Association auf den Antheil, die „balance" 13 wird den Erben ausgezahlt. Wo die Form der Aktiengesellschaft verwendet ist, muß Erwerb der Aktie und Zulassung (oft noch gegen besondere Eintrittsgebühr) koinzidiren. Die New Yorker und Chicagoer Fondsbörsen haben das System des numerus clausus angenommen, als welcher die „present membership" festgehalten

1 0 Zur „exceptio usuraria", d e m Wuchereinwand, vgl. den Eintrag im Glossar, unten, S. 1044, zur Börsenenquete in England siehe oben, S.216, Anm. 72. 11 Die Liverpooler Baumwollbörse nannte sich „Cotton association". Sie verteilte keine Dividende, d a g e g e n aber die Provision trade association. Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 72 und 70. 1 2 Max Weber nimmt Bezug auf § 7 4 des Gesetzes, betreffend die Erwerbs- und Wirths c h a f t s g e n o s s e n s c h a f t e n v o m 1. Mai 1889. D a n a c h kann ein G e n o s s e seinen Geschäftsanteil jederzeit einem anderen übertragen und aus der G e n o s s e n s c h a f t austreten. 1 3 „Balance" meint hier den Überschuß zwischen Einkaufs- und Verkaufswert.

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A103 wird, die Eintrittsgebühr beträgt in | New York 1000 Dollars (an der Produktenbörse wesentlich weniger), in Chicago 2500 Dollars (!).14 An der Londoner Stock Exchange ist die Mitgliedschaft von allen Mitgliedern jährlich neu zu beantragen, für neu Aufzunehmende bedarf es der Bürgschaft von drei bereits seit 4 Jahren der Börse angehörigen Mitgliedern in Höhe von regelmäßig je 500 Pf. Sterl. für den Fall der Insolvenz. Die Liverpooler Fondsbörse fordert neben 200 Pf. Sterl. Eintrittsgeld 2 000 Pfd. Sterl. Real- oder Personalkaution auf 3 Jahre. Erleichtert ist - ebenfalls eine Repristination organisatorischer Zunftprinzipien - die Zulassung von clerks, welche eine bestimmte Zeit bei Börsenhändlern gearbeitet haben. Und fast an die Privilegien der „Meistersöhne" erinnert es, wenn die Glasgower Fondsbörse die Söhne von Mitgliedern nur mit der halben Eintrittsgebühr (200 Pf. Sterl. statt 400 Pf. Sterl.) heranzieht. Bei der Londoner Stock Exchange ist der Börsenverkehr gegen Zutritt von Nichtmitgliedern völlig abgeschlossen, in New York sollen, wie mir Augenzeugen sagen,15 die eingekauften brokers innerhalb des freizugänglichen Saales auf einer amphitheaterartigen umschränkten Estrade sitzen, an welche der Außenstehende, - soweit er Kredit genießt - , herantreten und Aufträge geben könne. Die wirthschaftliche Grundlage, welche diese Geschlossenheit möglich macht, ist eine sehr scharfe Arbeitstheilung. Der „banker" im englischen Sinne hat mit der Börse nichts zu schaffen,16 auch 14 Diese sowie die folgenden Angaben zu London, Liverpool und Glasgow zitiert Max Weber korrekt aus: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 124, 115, 73, 67 und 151. Tatsächlich betrug die Eintrittsgebühr an der New Yorker Fondsbörse seit 1866 10000 $. Mlchle, R. C., The London and New York Stock Exchanges 1850-1914. - London u.a.: Allen and Unwin 1987, S. 253. An der New Yorker Produktenbörse wurde lediglich eine Aufnahmegebühr von 25 $ verlangt. Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 128. 15 Die Augenzeugen sind nicht nachweisbar. Gemeint sein könnten Hermann Schumacher (vgl. oben, S.215f., Fußnote 19) und Max Webers Berliner Kollege Max Sering. Sering reiste 1883 im Auftrag des preußischen Landwirtschaftsministeriums nach Nordamerika und besuchte u.a. die Börsen von New York und Chicago. Siehe Sering, Max, Die landwirtschaftliche Konkurrenz Nordamerikas in Gegenwart und Zukunft. Landwirthschaft, Kolonisation und Verkehrswesen In den Vereinigten Staaten und In Britlsch-Nordamerika. Auf Grund von Reisen und Studien dargestellt. - Leipzig: Duncker & Humblot 1887, S. V-Xll. 16 Im Unterschied zu Deutschland, wo Banken zugleich das kurzfristige Kreditgeschäft und das Emissions- und Gründungsgeschäft betrieben, waren in England die Banken auf das Depositen- und Kontokorrentgeschäft sowie das damit in Verbindung stehende Diskont- und Lombardgeschäft beschränkt.

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ein wesentlicher Theil der mit der bankmäßigen Unternehmerthätigkeit befaßten Finanzwelt gehört ihr formell nicht an20a'. Die Bezeichnung vieler Börsen: „Association of brokers and jobbers and dealers" kennzeichnet die übliche Scheidung der auf der Börse handelnden Funktionäre, die in England wenigstens oft reglementarisch derart geschieden sind, daß eine Person z. B. nicht an derselben Börse zugleich broker und | dealer sein kann21'. Ihrer A104 Bedeutung nach wechseln die Bezeichnungen, wenn man die Stellung der Bezeichneten funktionell betrachtet, sie richten sich nach ihren äußerlichen Merkmalen. Der Name broker z. B. scheint allgemein sich an Personen zu heften, welche Courtage oder Provision und keinen Unternehmergewinn beziehen, er ist zuweilen mit „Makler", an der Londoner Fondsbörse aber mit „Kommissionär" äquivalent. Dealer, „Händler", wiederum bezeichnet sowohl „Arbitrageur" als „Spekulant" (jobber), an der Londoner Stock Exchange aber einen Mann, der wirthschaftlich, wie noch zu erläutern sein wird,17 die Funktion eines Maklers versieht, die Aufträge von der einen Seite nimmt und sie nach der andern weitergibt, den innersten Punkt des Marktes bildet, welchem durch die brokers die Aufträge von außen zugeführt werden, dabei aber seinen Entgelt in Preisdifferenzen sucht22'. Es ist erklärlich, daß mit dem Grade der Geschlossenheit auch die Provisionssätze steigen, die in London nach Angabe von Sach20a > Auch abgesehen von vorkommenden „Winkelbörsen" vollziehen sich deshalb A 103 auch große Gründungen gelegentlich ganz außerhalb der offiziellen Börse. | 21 > Dagegen kommt es vor, daß dieselben Personen an der einen Börse brokers, an der A 104 anderen dealers sind, z. B. im Kornhandel in London (s. die Äußerungen von Fuchs in der letzten Sitzung der Sachverständigenvernehmungen). 18 2r> Darüber s. Struck a.a.O., passim - vgl. unten Abschnitt II. 19

17 Unten, S. 2 9 2 - 2 9 6 . 18 Carl Johannes Fuchs führte am letzten, 56. Vernehmungstag am 14. Februar 1893 aus: „Bezüglich der englischen Verhältnisse besteht ein eigentümliches Verhältniß im Getreidehandel, daß an der eigentlichen Getreidebörse, dem Baltic, Kommissionshäuser Makler sind, Leute, die am Getreidemarkt von Mark Lane als Kommissionäre thätig sind, die funktioniren am Baltic als Makler." Börsenenquetekommission, Stert.Ber., S. 3593. 19 Unten, S . 2 4 5 - 4 1 1 . Die Funktion der Dealer und Broker erläutert Struck, Effektenbörse, S. 4 - 2 6 und 225, Anm. 11.

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verständigen23^ (die bloßen Zahlen geben kein genügendes Bild) an der Produktenbörse nicht höher als bei uns (?), dagegen beträchtlich niedriger als an der Stock Exchange sein sollen; an letzterer sind sie zweifellos höher als die bei uns üblichen; übrigens galt charakteristischer Weise nicht die Über-, sondern die Unterschreitung als eventuell disziplinarisch zu rügender Verstoß, dem Charakter der alten englisch-aristokratischen Berufszünfte (advocates, physicians) entsprechend.20 Der Zunftcharakter zeigt sich deutlich in dem oft bestehenden statutarischen Verbot, neben dem Börsenhandel andere Gewerbe zu betreiben, und dem überwiegend geltenden Verbot von partnership mit Außenstehenden, theilA105 weise selbst unter Mitgliedern - entsprechend | der Verpönung der „societates", deren sich Jeder aus den mittelalterlichen Innungsstatuten erinnert.21 Die Zahl der Mitglieder schwankt an den nicht nur regional bedeutenden Plätzen zwischen einigen hundert (Chicago 445) und über 2000 (Stock Exchange, London). 22 Die Disziplinargewalt ist, wenigstens in dem höchstentwickelten Typus der

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> S. 2158 (van Gülpen)P

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20 Möglicherweise stützt sich Max Weber auf die Ausführungen von Gneist, Rudolph, Das heutige englische Verfassungs- und Verwaltungsrecht. I. Theil: Die Königliche Prärogative. Die Ämter. - Berlin: Julius Springer 1857, S.505: „Aus ähnlichen Ehrenrücksichten, die dem Physlcian verbieten für eine Consultation weniger als eine Gulnee zu nehmen, galt es bisher für den Advokaten nur schicklich, zwei Gulneen (unter Umständen V2 Gulnee) oder nichts zu nehmen." Eine Guinee entspricht 21 Schilling bzw. 1 Pfund Sterling 9 Schilling. 21 Zur Gewährleistung des zünftischen Prinzips der Nahrungsgleichheit wurden zahlreiche Vorschriften erlassen, u. a. auch solche, die den Produktionsumfang auf den Kleinbetrieb beschränkten. Dazu konnte - es war nicht die Regel - das Verbot der Assoziierung mit Zunftgenossen oder mit Nichtgenossen gehören. Gierke, Otto, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band 1: Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft. - Berlin: Weidmann 1868, S. 393 mit Anm. 160f. 22 Die Zahlenangaben entnimmt Max Weber vermutlich: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 115 (Chicago), und: Struck, Effektenbörse, S. 4 und 164 (London). Die Mitgliederzahl der Londoner Börse beziffert Struck für das Jahr 1877 auf 2 008. Eschenbach, Börsenbesucher, S. 393f., gibt die Zahl der Mitglieder der Londoner Stock Exchange für Januar 1893 mit 3 371 an. Auch Gustav Cohn führte bei seiner Vernehmung aus, daß „die Londoner Fondsbörse allein bereits vor etwa 20 Jahren reichlich 2000 Mitglieder hatte, die sich seither doch bedeutend vermehrt haben." Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1268. 23 Außer Alexander van Gülpen äußerten sich dazu auch Georg Glerth und Adolph Frentzel, in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.2158f.

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und Rechtsstellung

der Börsen

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Gattung, der Londoner Stock Exchange, eine sehr starke, die Möglichkeit dauernder Ausschließung wegen dishonourable or disgraceful conduct (durch zweimaligen Beschluß des verwaltenden Komites), zeitweiliger Ausschließung wegen Geschäftsgebahrung in an improper or disorderly manner,24 an den meisten englischen Börsen auch immerhin bedeutende Geldstrafen in sich schließende. Die Ausweisung ist auch an denjenigen Börsen zulässig, wo die Mitgliedschaftsrechte die Form von Aktien angenommen haben. 25 - Die amerikanischen Produktenbörsen haben wohl in der durchgebildetsten Form die Reglementirung des Lagerhauswesens in ihre Hand gebracht, dadurch, daß sie nur die receipts (Lagerscheine) der von ihnen beaufsichtigten warehouses als legal tender („lieferbar") zum Zweck der Erfüllung der von ihnen geschlossenen Geschäfte anerkannten. 26 - Ihre Krönung findet diese autonome Verkehrsreglementirüng namentlich in England in dem Ausschluß der ordentlichen Gerichte und der obligatorischen Unterstellung der Börsenmitglieder unter eine schleunige Korporationsgerichtsbarkeit mit voller Rechtskraft in allen Rechtshändeln über Börsengeschäfte und in selbständigen Insolvenzreglements, welche die Konkursliquidation in die Hände von Börsenorganen legen. Der berufsmäßige Börsenhändler ist so in fast allen Beziehungen seines Gewerbebetriebes dem gemeinen Recht entzogen und mit einem als Standesrecht autonom entwickelten Sonderrecht privilegirt. Wendet man sich von dieser aus ursprünglich freiem Verkehr auf freiem Markt erwachsenen plutokratischen Organisation zu den französischen Börsen, so findet man hier der Form nach das voll24 Die Formulierungen „dishonourable or disgraceful c o n d u c t " und „In an improper or disorderly manner" zitiert Max Weber aus Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 73. 25 An Geldstrafen konnten in Glasgow an der Fonds- bzw. Eisenbörse zwischen 50 und 100 Pfund Sterling, in Liverpool an der corn trade association und provision trade association zwischen 5 und 100 Pfund Sterling verhängt werden. Die Mitgliedschaft in den beiden Liverpooler Einrichtungen hing am Besitz von deren Aktien. Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S.68, 71, 151 und 153. 26 Schumacher, Getreidehandel, S.812, berichtet, daß der Lagerschein die Rechtseigenschaft eines Orderpapiers hat u n d daher die Ware vollkommen vertritt. Die registrierten Lagerscheine gelten ausdrücklich als „ g o o d delivery" (lieferbar) und gelten Im Terminmarkt wie ein gesetzliches Zahlungsmittel (legal tender), d . h . sie allein sind als lieferbar zugelassen worden.

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ständigste Gegenbild: die Börsen - auch hier regelmäßig wenigstens in Fonds- und Produktenbörsen örtlich geschieden - sind A106 nebst ihrem Verkehr Jedem ausnahmslos frei | zugänglich. Aber diese Freiheit birgt wenigstens an den großen Fondsbörsen auch de jure einen monopolistischen Kern: das sogenannte „parquet" der „agents de change", welches an den sieben größten von den ca. 70 französischen Börsen besteht,27 ein Verband der mit dem Monopol der Geschäftsvermittlung ausgestatteten Makler - wobei „Vermittlung" und „Makler" im wirthschaftlichen, nicht in dem auf Grund des Handelsgesetzbuchs bei uns theoretisch festgehaltenen juristischen Sinne zu verstehen ist.28 Der Legaltheorie nach sollen Geschäfte, soweit sie nicht direkt zwischen den Parteien, auf deren Rechnung sie in letzter Linie gehen, geschlossen werden, sondern durch die Hand eines Mittelsmannes an der Börse laufen, ausnahmslos durch diejenigen eines agent de change gehen, Differenzen nur dann klagbar sein, wenn dies der Fall, Kommissionäre nur gedeckt sein, wenn sie diese Instanz angegangen sind, Jeder bestraft werden, der in dies Monopol durch Konkurrenz eingreift. Die agents de change, ein seit 1724 bestehendes Institut, erwachsen nach dem ersten gewaltigen Krach, der auf die Schwindelperiode, die den Namen John Law's trägt,29 folgte, werden in fest begrenzter

27 In Frankreich gab es 72 Börsen; davon hatten „ein .parquet', d. h. eine offizielle Makler-Organisation, folgende sieben: Paris, Bordeaux, Lille, Lyon, Marseille, Nantes, Toulouse." Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 80. 28 Den juristischen Charakter der Vermittlungstätigkeit der Makler nach der Definition des HGB erläutert Max Weber, unten, S. 2 8 6 - 2 8 8 . 29 Der Schotte John Law ( 1 6 7 1 - 1 7 2 9 ) war Urheber der bis heute größten geplatzten Seifenblase der Geschichte. Als die von ihm 1717 in Paris in Form einer Aktiengesellschaft gegründete Compagnie d'Occident, in Europa allgemein als Misslssippi-Gesellschaft bekannt, mit der älteren Compagnie des Indes fusionierte und das gemeinsame Unternehmen neben den Handelsmonopolen im amerikanischen Louisiana und in Kanada, in Frankreich auch das Tabakmonopol, die Generalpacht der Steuern, das Münzregal und die Verwaltung der Steuern übertragen erhielt, erwartete das Publikum von einer Anlage seiner Gelder in deren Aktien höchste Erträge. Es setzte ein wahrer Kaufrausch ein, der den Kurs der Aktie in wenigen Monaten auf das 36fache trieb. Hierzu trug auch bei, daß die aus einer von Law 1716 gegründeten Privatbank hervorgegangene und von ihm seit 1718 geleitete Staatsbank, die Banque Royale, deren Noten gesetzliches Zahlungsmittel waren, den Kauf der Aktien der Mississippi-Gesellschaft durch Beleihung der Stükke zum Kurswert unterstützte - also eine inflatorische Geldschöpfung betrieb. Als Law, inzwischen auch Generalkontrolleur der Finanzen, der Unsicherheit über den Wert der Aktien begegnen wollte und im Januar 1720 eine Dividende in Höhe von phantastischen 4 0 % des ursprünglichen Nominalwertes der Aktien ausschütten wollte, wurden die Er-

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Zahl vom Präsidenten der Republik auf Vorschlag durch die chambre syndicale, den gewählten Vorstand des „Makler"-Syndikats ernannt; da die chambre ihrerseits an die Präsentation des Amtsvorgängers gebunden ist, so sind die Stellen auch hier thatsächlich (nach Art etwa von Apothekerkonzessionen bei uns) 30 übertragbar - der Kaufwerth soll zur Zeit in Paris ca. 2 Millionen betragen, wozu noch 250000 Franks Amtskaution treten. Damit die in Paris z. B. seit 1816 (!) nur 60 (!) agents de change den ungeheuer wachsenden Verkehr bewältigen können, ist ihnen seit 1859 nach dem ersten Krach des Crédit mobilier-Systems31 das Recht, sich „assesseurs" als Vertreter in begrenzter Zahl zu halten, zugestanden; mit diesen, welche Spezialbranchen bearbeiten (den „commis principaux", „commis aue comptant", „assesseurs aux rentes"),32 bilden sie den durch Schranken abgesperrten innersten Kern der „bourse officielle" - die „corbeille" darf nur von ihnen betreten werden. Im Ganzen also ist der Unterschied gegen die | englisch-amerikanisch A geschlossenen Börsen nur der, daß die Schranken, welche das Verkehrsmonopol umgeben, weiter zurückgerückt sind, sie umschlie-

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tragshoffnungen des Publikums sichtlich enttäuscht, entsprach dies doch nur knapp einem Prozent des Kurswertes. Verkäufe der Aktien führten zum Kurssturz. Law hat die Abwärtsentwicklung durch eine Reihe von fraglichen Manipulationen aufzuhalten versucht, aber panikartige Verkäufe ab Mai 1720 nicht verhindern können. Sie führten zum Zusammenbruch aller seiner Unternehmungen und zum Staatsbankrott. 30 Zu den Apothekerkonzessionen vgl. die Ausführungen oben, S. 163, Anm. 36. 31 Einer hektischen Wertpapierspekulation in Paris in den Jahren 1852 bis 1856, die von den Zeitgenossen auch mit der Gründung und der spezifischen Geschäftstätigkeit der Société générale du Crédit mobilier in Verbindung gebracht worden ist, folgte 1856/57 ein allgemeiner Kurszusammenbruch, der die weltweite Handelskrise 1857/59 einleitete. Wiewohl erheblich in Mitleidenschaft gezogen, überlebte der Crédit mobilier, konnte sogar wieder an alte Erfolge anknüpfen, bis ein zweiter Krach 1866/67 zu einer Änderung der Eigentumsverhältnisse und der Geschäftspolitik dieser Bank führte. Der Crédit mobilier war eine der ersten, auf jeden Fall die berüchtigste der in der Mitte des 19. Jahrhunderts errichteten Gründerbanken, die sich vornehmlich der Finanzierung von Industrie- und Eisenbahnaktiengesellschaften mit langfristigen Krediten und durch Emission von Aktien (Crédit mobilier-System) widmeten und weniger dem Depositengeschäft. 32 Innerhalb der dem Parquet vorbehaltenen Börsenräume ließen sich die Agents de change von ihren „commis principaux" im Handel mit ausländischen Werten, von ihren „commis au comptant" beim Kassahandel und von ihren „assesseurs aux rentes" (Handlungsbevollmächtigten) im Termingeschäft mit französischen Rentenpapieren vertreten. Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 83.

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ßen nur den innersten Kernpunkt des Marktes, wo Angebot und Nachfrage sich treffen oder treffen sollen: dies geschieht in der Person der agents de change. Der zweite konzentrische Kreis von Funktionären, die Kommissionäre, steht außerhalb der Schranken, dagegen in New York und London als „brokers" innerhalb dersel- 5 ben, an der Londoner Stock Exchange neben den funktionell die Stellung der agents de change einnehmenden „dealers", so könnte man versucht sein, das Verhältniß zu beschreiben24). Zugleich aber kommt in der amtlichen Stellung jener privilegirten Mittelsmänner etwas zum Ausdruck, woran der Staat in Frankreich seit Anbeginn 10 des Fondsverkehrs stets festgehalten hat: daß die Fondsbörse hier eine den politischen Zwecken des Staates dienstbare Einrichtung desselben ist.33 Jenes formale Verkehrsmonopol der agents de change ist freilich kein effektives. Sie sind gar nicht im Stande, den gesammten Ver- 15 kehr zu bewältigen, und es muß dahingestellt bleiben, ob, auch wenn ihre Zahl dazu ausreichte, der Verkehr (wenigstens annähernd, darum kann es sich selbstverständlich überhaupt nur handeln) sich in ihre Botmäßigkeit begeben würde25'. Rechtlich völlig prekär, sowohl in Bezug auf die Duldung ihres Geschäftsbetriebes 20 an der Börse, als in Bezug auf die Klagbarkeit der aus ihren Abschlüssen erwachsenden Differenzen, steht neben dem „offiziellen A108 Verkehr" der „ freie Markt" (marché | libre), die sog. „coulisse", deren kapitalkräftigster Theil, angeblich 250 Firmen mit 120 MillioA 107

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' Freilich sehr ungenau, denn einerseits sind die agents de change durch nichts gehindert, auswärts durch ihre remisiers Aufträge entgegenzunehmen und so den Kommissionär zu eliminiren, und andererseits funktionirt die gleich zu erwähnende „Koulisse"34 zum guten Theil ähnlich wie unser unvereidigter Makler, oder, wenn man will, kann man sagen: sie eliminirt die Maklerinstanz. 25 ' Lexis nimmt dies nach seinen Äußerungen vor der Kommission anscheinend an.35 In der That spielen die Winkelbörsen, z. B. in London, auch nicht entfernt die Rolle, welche die Koulisse in Paris spielt. |

3 3 Zur Dienstbarkeit der Pariser Börse vgl. oben, S. 163, Anm. 33. 3 4 Unten, S. 228f. 3 5 Vermutlich nimmt Max Weber Bezug auf folgende Äußerung von Wilhelm Lexis: „Es hängt wohl zunächst damit zusammen, daß die Zahl der Agents de change eine sehr kleine ist; wäre sie vergrößert worden, so würde die Kulisse nicht entstanden sein. [...] Die Kulisse ist lediglich ein Bedürfniß, weil die Agents de change schließlich die Sache nicht bewältigen können: als die Entwicklung des Effektenverkehrs überwältigend groß wurde, hat man die Kulissenhäuser geduldet." Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 3590.

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nen Franks Kapital, eine freie Organisation (die feuille) besitzt.36 Dies sind Kommissionäre und Händler, die thatsächlich wirtschaftlich zum guten Theil dieselben Funktionen versehen wie die agents de change, und den dealers in London vergleichbar sind. 5 Nach den Crédit mobilier-Krisen der fünfziger Jahre37 suchten die agents de change ernstlich durch Strafanzeigen die Koulisse zu vertreiben - was sich als unmöglich ergab - , seit zwei Jahren (April 1892) besteht dagegen eine Art Vertragsverhältniß zwischen Parquet und Koulisse, welches den Bereich der gegenseitigen Geio schäftsthätigkeit abgrenzt' und den offiziellen Agenten den Löwenantheil namentlich an neu eingeführten (z. B. den russischen) Papieren sichert, während andererseits die neuesten Börsensteuerprojekte die Koulisse ernstlich bedrohten und den skurrilen Gedanken eines „Streiks" der Koulissenbörse auftauchen ließen.38 15 Überall spielen hier - nicht immer ausgesprochenermaßen - politische Momente mit, das geschlossene Parquet ist thatsächlich nicht unbrauchbar zu halbpolitischen Aktionen26). 261 S[iehe] einerseits die Schicksale der russischen, andererseits der italienischen Pa- A 108 piere und die Entrüstung über die zeitweiligen Haussespekulationen der Koulisse in den letzteren, welche die politische Absicht kreuzten. 39 |

f A: abgegrenzt 3 6 Trotz des freien Zutritts zum march6 iibre galten als eigentliche Kulissiers nur die 250 Firmen, die von der Feuille, dem Kompensationsbüro der Kulisse, als Kommissionäre zugelassen worden waren. Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 83. 3 7 Vgl. oben, S.227, Anm.31. 3 8 Im Januar 1893 legte der französische Finanzminister einen Börsensteuergesetzentwurf vor. Mit dem Gesetz sollte auch die schwebende Frage der Legalisierung oder Unterdrückung der Kulisse entschieden werden. Die Bestimmungen des Entwurfs liefen auf eine Unterdrückung der Kulisse hinaus. Zum Handel mit zur Notierung zugelassenen Papieren sollten nur noch die Agents de change berechtigt sein. Ein großer Teil der Kulissenhäuser zog im Februar 1893 in Erwägung, nach Brüssel zu gehen, um am dortigen freien Börsenmarkt zu handeln. Mit der endgültigen Fassung des Gesetzes vom 28. April 1893 blieb es jedoch bei der bisherigen Duldung der Kulisse. FZ, Nr. 12 vom 12. Jan. 1893, Ab.BI., S. 2; FZ, Nr. 18 vom 18. Jan. 1893, 1. Mo.BI., S.2, und Ab.BI., S.3; FZ, Nr. 59 vom 28. Febr. 1893, 3. Mo.BI., S. 1; BBC, Nr. 186 vom 21. April 1893, Ab.BI., S.3; Friedberg, R., Börsensteuer, in: HdStW 2 2, S. 1022. 3 9 Max Weber bezieht sich in den Beispielen auf aktuelle Fälle: Bis 1887 waren russische Anleihen vornehmlich auf dem deutschen Markt untergebracht worden, als Bismarck - zur Unterstützung seiner außenpolitischen Ziele - die ihm unterstellte Reichsbank anwies, künftig keine russischen Papiere mehr zu beleihen. Bis zur Aufhebung dieses Lombardverbots 1894 hatten die Anleihen eine geringere Liquidität. Deutsche Anleger haben sie

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Frei von einem rechtlichen Monopol sind die allgemein gleichfalls unbeschränkt zugänglichen Produktenbörsen. Es existirt meist nur eine Vorzugsstellung von courtiers assermentés bei der Kursermittlung, ähnlich unseren vereidigten Maklern. 40 Dagegen besteht eine faktische Monopolisirung des Verkehrs an dem bedeutendsten Produktenterminhandelsplatz: in Havre, und zwar in Gestalt der dortigen Produktenliquidationskasse („Caisse de liquidation des affaires en marchandises au Havre" 9 ), einer Aktiengesellschaft mit 4 Millionen Franks Kapital, die nur den allgemeinen Vorschriften der Aktiengesetze untersteht. Die Technik und wirthschaftliche Funktion der Liquidationskassen ist beim Produktenmaklerwesen A 109 und näher beim Terminhandel, mit dem sie | untrennbar zusammenhängen, zu erörtern. 41 Hier genügt die vorläufige Bemerkung, daß die Kasse die Erfüllung aller durch die bei ihr zugelassenen Makler (courtiers) vermittelten Geschäfte in bestimmten Produkten zwischen Havreser Firmen unter gewissen Voraussetzungen (Einschüssen etc.) gegen Gebühr garantirt. Dadurch ist einerseits der Terminhandel in diesen Produkten an den Durchgang durch die Kasse faktisch in ähnlicher Art gebunden, wie es rechtlich der Fondshandel an den Durchgang durch die Hände der privilegirten Agenten ist, und ist ferner ein faktisches Monopol der von der Kasse zugelassenen courtiers für diesen Handel geschaffen, da nur deren Abschlüsse die Garantie erlangen. Es ist ein spontanes Geg A: Hâvre" massenhaft verkauft und neue Papiere selten gekauft. Dabei zeigte sich der Pariser Markt, politisch unterstützt, aufnahmewillig und sehr aufnahmefähig. Zur selben Zeit wurden in Frankreich italienische Wertpapiere abgestoßen, weil Italien einerseits den Dreibund mit Deutschland und Österreich erneuerte und andererseits einen protektionlstischen Zolltarif einführte. Die italienischen Papiere wurden daraufhin in Deutschland aufgenommen. Doch hat vorübergehend die von der Politik weniger beeinflußbare Kulisse - gegen das Verbot der Agents de change, mit italienischen Werten zu handeln - stärkeren Einfluß auf die Kurse der italienischen Papiere gehabt. Die bisher eingenommenen Rollen, Deutschland als Hauptfinanzier Rußlands und Frankreich als wichtigstes Gläubigerland Italiens, verkehrten sich nun. FZ, Nr. 560 vom 4. Nov. 1887, Ab.BI., S. 2; FZ, Nr. 573 vom 11. Nov. 1887, Ab.BI., 1. Beilage, S.2. 4 0 Die courtiers assermentés waren aufgrund ihrer Vereidigung allein zur Kursfeststellung berechtigt. Wie die deutschen vereidigten Makler besaßen sie kein ausschließliches Vermittlungsmonopol. Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 88. 41 Unten, S. 3 6 1 - 3 9 6 (Produktenmaklerwesen und Liquidationskassen). Auf den Produktenterminhandel ist Max Weber, entgegen seiner ursprünglichen Absicht, nicht mehr eingegangen. Vgl. dazu unten, S.460, Fußnote \

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bilde einer autonomen Händlerzunft auf dem Untergrund formaler Verkehrsfreiheit. Gehen wir nach diesem flüchtigen Blick auf die Verhältnisse dieser theils formal geschlossenen und autonomen, theils formal frei5 en und staatlich reglementirten Börsen zu den deutschen Zuständen über, so zeigt sich ein ungleichartiges Bild. - Das Handelsgesetzbuch behandelt bekanntlich die Börse nicht, es reglementirt nur die amtlich bestallten „Handelsmakler", auch hier im Art. 84 den Partikulargesetzgebungen im Wesentlichen überlassend,42 wie 10 weit sie von dieser Vorlage Gebrauch machen wollen. In Bezug auf die Organisation finden sich demgemäß die weitestgehenden Unterschiede. Das vielgestaltige Bild der mittelstaatlichen Börsen hat ein Interesse, welches eine eingehendere Erörterung erheischte, bei ihrer mit wenigen Ausnahmen (Mannheimer Getreide- und 15 Leipziger Kammzugbörse) geringen Bedeutung für uns nicht27'. | 27) Börsen auf Grundlage der freien Vereinsbildung bestehen in einigen Mittelstaa- A 109 ten. 43 In Dresden haben die hier getrennt neben einander stehenden beiden Börsen „Dresdener Börse" (Fonds) und „Produktenbörse zu Dresden" - Korporationsrechte und verwalten sich auf Grund ihrer Statuten (vom 15. März 1886) autonom; zum Geschäftsabschluß durch die Vermittlung der „vereidigten" Makler sind allein die Korporationsmitglieder zugelassen. Bloße, vom Staate nicht kontrollirte Vereine sind die „Mannheimer Börse" (wesentlich Getreidehandel) und die dortige „Vereinigung Mannheimer Bankiers" (für den Effektenhandel). Ebenso sind die | bayerischen Börsen zu München A 110 und Augsburg Institute freier, vom Staat (abgesehen von den allgemeinen polizeilichen Vorschriften) nicht beaufsichtigter Vereine, des „Münchener" bezw. „Augsburger Handelsvereins". Nur die Mitglieder der Vereine und diejenigen Nichtmitglieder, welche, von Mitgliedern eingeführt, Monats- (in München auch Wochen-)Karten erhalten (in Augsburg gegen eine geringe Gebühr), nehmen am Verkehr theil.h Die Vereine bestellen Kollegien von Börsenkommissaren (in München acht); in den Händen der Vorstandschaft liegt die Beschlußfassung über Ausschließung, welche wegen Kursbeeinflussung durch Betrug oder falsche Nachrichten, Übertretung der Börsenordnung und Nichterfüllung fälliger Verbindlichkeiten erfolgt. Wie die sonstigen mittelstaatlichen Börsen sind dagegen die württembergischen und die Leipziger Börse Anstalten der Handelskammern, welche die Aufsicht ausüben und die Börsenvorstände bestellen. In Leipzig sind alle zur Handelskammer Beitragspflichti-

h A: Theil. 4 2 Vgl. Art. 84 HGB, unten, S. 964. 4 3 Bei den folgenden Erläuterungen zu den Börsen der deutschen Mittelstaaten Sachsen (Dresden und Leipzig), Bayern (München und Augsburg), Baden (Mannheim) und Württemberg (Stuttgart) stützt sich Max Weber auf Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands; zu Dresden, S.36f., Mannheim, S.42, München und Augsburg, S. 3 3 - 3 5 , Leipzig, S. 38, und Stuttgart, S. 40f.

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A 110 Ebenso können die Spezialitäten der kleineren preußischen Provinzialbörsen in Bezug auf die äußere Organisation füglich A 111 un| berücksichtigt bleiben 28 ) und wir uns mit den Typen der hanseagen zur Theilnahme am Verkehr berechtigt. Zur Stuttgarter Fondsbörse ist dagegen der Zutritt für Jedermann frei. (Leipziger Börsenordnung vom 25. September 1886. Stuttgarter Börsenordnung vom 24. Mai 1877.)44 Die Börsenordnungen sind staatlich (in Württemberg für die Stuttgarter Fondsbörse vom König) genehmigt. Im Übrigen greift die öffentliche Gewalt in die Börsenverhältnisse hier durchweg insofern ein, als bei der Bestellung der vereidigten Makler staatliche Instanzen (nur in Württemberg der Gemeinderath) meist auf Vorschlag der Handelskammern (in Bayern der erwähnten Handelsvereine) mitwirken. - Eine mehr als lokale Bedeutung kommt nur der Mannheimer Getreidebörse und der Leipziger Kammzug-Terminbörse zu. An der letzteren besteht eine später noch zu besprechende Liquidationskasse nach Art der Havreser. 45 Dieselbe, unter Kontrolle des Kammzug-Kontors stehend, monopolisirt wie die Havreser Kasse den Terminhandel in diesem Artikel, indem sie die Geschäfte der von ihr zugelassenen, dadurch also ein faktisches Monopol besitzenden Vermittler garantirt. Am Verkehr theilnehmen können nur in Leipzig oder Berlin domizilirende, vom Aufsichtsrath zugelassene Firmen. Thatsächlich ist sie eine Art „Abbau" der Berliner Börse, dessen Entstehung sich aus der Nichtzulassung des Kammzug-Terminhandels durch den preußischen Handelsminister in Berlin erklärt. 46 | A 111 ^ Es existiren in Preußen nach der Zusammenstellung in den Materialien der Kommission 16 Börsen, 47 nämlich, - außer in Berlin und Frankfurt, - in Ostelbien in: Königsberg, Memel (ohne eigene Kursnotirung), Danzig (nur Produkten), Elbing (ohne selbständige Kursnotirung), Stettin, Grimmen (nur Produkten), Posen, Breslau, Gleiwitz (nur Getreide), in der Provinz Sachsen: in Magdeburg, Halle (ohne offiziellen Effektenhandel), in Rheinland-Westfalen:48 in Köln, Düsseldorf (nur Produkten), Essen (fast nur Kohlen und Kuxe). Nur von einer selbstgewählten Kommission kontrollirt wird die Gleiwitzer Börse, der Kgl. Regierung direkt unterstellt ist die Düsseldorfer, die Börsen in Posen, Breslau, Halle, Köln und Essen unterstehen den Handelskammern, in den übrigen

4 4 Die heute nicht mehr nachweisbare Stuttgarter Börsenordnung vom 24. Mai 1877 ist in: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 40f., zusammengefaßt. 4 5 Unten, S. 372f. Zur Liquidationskasse in Le Havre vgl. oben, S. 230f. 4 6 Abbau ist ein Begriff der Max Weber vertrauten Agrargeschichte und meint die Verlegung der Hofstelle eines Bauern aus dem Dorf auf die Feldmark. Zu Beginn des Jahres 1889 wurde bekannt, daß einige Berliner und Leipziger Wollkämmerer und Kammgarnspinner bestrebt waren, eine Kammzugterminbörse in Berlin einzurichten. Sie stießen auf heftigen Widerstand innerhalb ihrer Branchen. Der preußische Handelsminister wies daher im März 1889 die Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin an, einen eventuellen Antrag auf Zulassung des Kammzugterminhandels abzulehnen. Die Berliner und Leipziger Firmen verließen daraufhin Berlin. Am 2. Januar 1890 wurde in Leipzig die Kammzugterminbörse eröffnet. 4 7 Gemeint ist Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 5: allgemeine Übersicht über die preußischen Börsen, und S. 7 - 3 2 : Einzeldarstellungen zu den preußischen Börsen. 4 8 Die folgenden drei Städte gehörten zur preußischen Rheinprovinz, keine zu Westfalen.

I. Organisation und Rechtsstellung der Börsen

233

tischen, zumal der Hamburger und der beiden größten preußischen Börsen, Berlin und Frankfurt, mit einem Seitenblick auf den Wiener Platz, begnügen. A n den großen Börsenplätzen Deutschlands steht durchweg die 5 Börsenleitung und diejenige Kontrolle des Verkehrs, welche überhaupt stattfindet, den Handelskammern bezw. (in Berlin) den Ältesten der Kaufmannschaft zu29). Im Übrigen aber ist die | Verfassung A 1 1 2

Börsenorten bestehen „Älteste" bezw. „Vorsteherämter" der Kaufmannschaft. - Mit der Magdeburger Liquidationskasse werden wir uns später zu beschäftigen haben.49 2l Die allgemeine Stellung und Verfassung dieser Organe ist eine verschiedenartige, bedeutender in den 'Hansastädten als' in Preußen, und kann im Einzelnen hier nicht rekapitulirt werden. - S[iehe] für Preußen: Gesetz vom 24. Februar 1870 (insbes. § 34). Revid[irtes] Statut der Berliner Kaufmannskorporation vom 26. Februar bezw. 1. März 1870 (Bd. XV S. 490 dieser Zeitschr.).50 Für Hamburg: Gesetz betreffend die Handelskammer und die Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns vom 23. Januar 1880 (bei Jürgens, Hamburger Börsenhandbuch etc. abgedruckt, das Material der Kommission schreibt: 1881).51 Für Bremen enthält § 38 der Verfassung die maßgebende Bestimmung;52 der „Kaufmannskonvent", welcher auch einen Theil der Bürgerschaft wählt, besetzt dort die Handelskammer. In Hamburg sind zur Mitgliedschaft Eines Ehrbaren Kaufmanns, welche durch jährlich zu erneuernde Eintragung in das Register der Handelskammer entsteht, qualifizirt: die im Handelsregister eingetragenen Geschäftsinhaber, welche „vorzugsweise Geschäfte im Großen betreiben", und die | Vorstände von Aktien- A 112 gesellschaften (§ 21, 22 des zit. Gesetzes). In Preußen sind die registerfähigen Kaufleute und Gesellschaften, daneben Gewerbesteuerpflichtige bestimmter Klassen, Bergwerksinhaber und -Pächter wahlberechtigt zu den Handelskammern. Die Korporation der Berliner Kaufmannschaft schließt - von Bescholtenen und Kridaren abgesehen - die Min-

i A: Hansastädten, als 4 9 Unten, S. 3 7 0 - 3 7 2 . 5 0 § 3 4 d e s gemeinten G e s e t z e s über die Handelskammern vom 24. Februar 1870 lautet: „Börsen und andere für den Handelsverkehr bestehende öffentliche Anstalten können unter die Aufsicht der Handelskammern gestellt werden." Das Revidirte Statut vom 26. Februar 1870, genehmigt am I . M ä r z 1870, ist abgedruckt in: Zeitschrift für d a s G e s a m m t e Handelsrecht, 15. Band, 1870, S. 4 9 4 - 4 9 6 . 5 1 D a s genannte hamburgische G e s e t z findet sich in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 1 - 7 ; der a n g e s p r o c h e n e Druckfehler in: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 43. Im „Nachweis der für die vorstehende Zusammenstellung benutzten Materialien", ebd., S. 176, ist d a g e g e n d a s Datum d e s G e s e t z e s korrekt mit 23. Januar 1880 wiedergegeben. 5 2 Die gemeinte Bestimmung findet sich in § 9 8 der Verfassung der Hansestadt Bremen. D a n a c h besteht der Kaufmannskonvent aus den Mitgliedern der bremischen Börse und wählt aus seiner Mitte die Handelskammer. Er entsendet 42 Vertreter zur Bürgerschaft. Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 52.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

der Börsen eine grundverschiedene. In Hamburg und Bremen ist sowohl das Institut der vereidigten Makler abgeschafft30), als jede andere Kontrolle des Verkehrs als die Aufrechterhaltung der äußeren Ordnung im Wege des Hausrechtes beseitigt oder vielmehr eine solche hat niemals bestanden. Die hanseatischen Börsen sind 5 freie Märkte, deren Zutritt jedem „anständigen Mann",53 auch Fremden, völlig freisteht, die Hamburger Börse wird von jedem, dem sie gerade auf dem Wege liegt, als Durchgang benützt, nur derkaufleute aus.54 Thatsächlich ist diese Form der demokratischen Verfassung der Berliner gegenüber der Hamburger Kaufmannschaft bisher ohne erhebliche Wirkung auf die Zusammensetzung der „Ältesten" gewesen. Neuestens hatte sich eine lebhaftere antiplutokratische Bewegung geltend gemacht. 55 30) Hamburg: Gesetz vom 20. Dezember 1871 bei Jürgens. Bremen: Gesetz vom 6. Mai 1867. Cf. Levy v. Halle in Schmoller's Jahrbuch a.a.O. 56 und unten Abschnitt II. 57 Ebenso

53 Max Weber zitiert aus § 1 Abs. 1 der Hamburger Börsenordnung v o m 18. D e z e m b e r 1891, in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 11. Der Satz lautet: „Der Zutritt z u m Börsenraum steht d e m g e s a m m t e n anständigen männlichen Publikum [...] frei." Von der im f o l g e n d e n erwähnten W e g a b k ü r z u n g berichtete Wilhelm Kopetzky. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 227 und 238. 54 In Art. 3 des Revidirten Statuts vom 26. Februar 1870 ist der Ausschluß von Minderkaufleuten bestimmt. Unter Minderkaufleuten sind Kleingewerbetreibende u n d Kleinhandwerker zu verstehen, deren Betrieb nach Art und U m f a n g nicht den Erfordernissen des kaufmännischen Geschäftsbetriebs entsprechen muß. 55 Max Weber spielt auf d e n Wahlkampf für die Wahl des Ältestenkollegiums am 11. Dezember 1894 an. Zur Wiederwahl schlug der Verein für die Interessen der Fondsbörse, die Interessenvertretung der haute finance, d e n derzeitigen Präsidenten A d o l p h Frentzel u n d Ernst Mendelssohn-Bartholdy vor. Beide Kandidaten w u r d e n von der Freien Vereinigung der Berliner Produktenbörse abgelehnt, weil sie in der Börsenenquetekommission der Einführung eines Terminregisters für die Produktenbörse, v e r b u n d e n mit der E r h e b u n g von d e n Z u g a n g b e h i n d e r n d e n Gebühren, zugestimmt hatten. Die Freie Vereinigung der Berliner Produktenbörse w a n d t e sich im Wahlkampf vor allem an die kleinen u n d mittleren Händler und Bankfirmen. Sie verwies auf „ d e n ruinösen u n d h e r a b w ü r d i g e n d e n Charakter" des geplanten Registers und sah die W a h r n e h m u n g der Gesamtinteressen der Berliner Kaufmannschaft durch das Verhalten von Frentzel und Mendelssohn-Bartholdy gefährdet. Schließlich wurden Kommerzienrat Wilhelm Schütt, Inhaber der Firma F. W. Schütt, und S i e g m u n d Weill, persönlich haftender Gesellschafter der Deutschen Genossenschaftsbank von Soergel, Parrisius & Co., ins Ältestenkollegium gewählt. Wahlanzeigen, in: BBC, Nr. 566 v o m 4. Dez. 1894, Mo.BI., 1. Beilage, S . 4 und BBC, Nr. 576 v o m 9. Dez. 1894, Mo.BI., 3. Beilage, S. 2. 56 Gemeint sind für H a m b u r g das Gesetz, betr. A u f h e b u n g des Instituts der b e e i d i g t e n Mäkler und Ernennung von beeidigten Auktionatoren v o m 20. D e z e m b e r 1871, in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 1 3 - 1 6 , u n d für Bremen die Verordnung des Bremer Senats, den Betrieb des Mäklergeschäfts betr. v o m 3. Mai, p u b l . 6 . Mai 1867, ferner Levy von Halle, Schmollers Jahrbuch 1892, S. 1128, u n d ders., Schmollers Jahrbuch 1893, S. 4 3 4 f . 57 Unten, S . 2 8 6 f . und 2 9 9 - 3 0 4 .

I. Organisation

und Rechtsstellung

der

Börsen

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während der Zeit von 1V2 bis 2 V4 wird ein Entrée von 30 Pfennig erhoben31^; Schiffer, Anwälte, Notare etc. besuchen die Börse. Nicht zugelassen sind nach § 4 der Börsenordnung nur bürgerlich Ehrlose,58 Kridare und Insolvente je während der Dauer dieses 5 Zustandes, die letzten beiden Kategorien nicht einmal unbedingt, ausgeschlossen werden können nach §3 Friedensstörer und Verbreiter falscher Gerüchte durch in der Börse anzuschlagenden Beschluß der Handelskammer auf Grund mündlicher Verhandlung auf 3 Tage bis 6 Monate. Gemäß den alten soliden Traditionen des io Hamburger (und ebenso | des Bremer) Handelsstandes, dem nie- A113 dersächsischen Temperament und wohl auch dem Umstand, daß der Effektiwerkehr überhaupt und speziell der Waarenverkehr stark überwiegen, die Fondsbörse an Bedeutung weit zurücktritt, ist allseitig anerkannt, daß trotzdem und ungeachtet der relativ 15 hohen Besuchsziffern - Hamburg angeblich 6000, Bremen nach Angabe der Kommissionsmaterialien 1346, davon 246 Angestellte 59 - der Verkehr in verhältnißmäßig sehr ruhigen und gemessenen Formen verläuft. Die Hamburger Börse kennt von offiziellen Organen außer den 20 von der Handelskammer lediglich für die Aufrechterhaltung der äußeren Ordnung bestellten Börsenoffizianten60 nur ein fakultagibt es in Lübeck keine vereidigten Makler. D i e Lübecker Börse interessirt im Übrigen hier nicht und auch die Bremer kann nur beiläufig behandelt werden. 61 31 ' Hamburg: Börsenordnung vom 18. Dezember 1891, Bekanntmachung, betreffend die Börsensperre, vom 11. Juli 1883 62 und § 1 Abs. 3 der gedachten Börsenordnung. | 5 8 Max Weber nimmt Bezug auf den Passus: Vom Börsenbesuch ausgeschlossen sind „Personen, welche sich nicht im Vollbesitze ihrer bürgerlichen Ehrenrechte befinden." 5 9 Die Angaben zu Bremen entnimmt Max Weber: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 52, und zu Hamburg: Endemann, Börsenbesucher, S. 394. Endemann gibt für das Jahr 1892 eine Schätzungsziffer von 5000 bis 6000 Besuchern an, 6 0 Die Aufgabe der Börsenoffizianten wird in § 2 der Hamburger Börsenordnung vom 18. Dezember 1891, in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 12, beschrieben. 61 Im Gegensatz zu Bremen und Hamburg hatte Lübeck keine gesetzlichen Bestimmungen zur Börse oder den Handelsmaklern getroffen. Die 1875 erlassene, 1885 überarbeitete Lübecker Börsenordnung regelt lediglich die äußere Ordnung der Börse. Amtliche Makler gab es an der Börse nicht. Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 56. Auf die Bremer Verhältnisse geht Max Weber unten, S. 304f., Fußnote 142, und S. 369, nochmals ein. 6 2 Die Bekanntmachung der Handelskammer, betr. die Abmeldung der Börse während der Börsensperre vom 11. Juli 1885 findet sich in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 13. Zur Börsenordnung vgl. oben, Anm. 53.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

tives, bei Berufung durch beide streitende Theile zuständiges Schiedsgericht. Dasselbe wird von dem Präses der Handelskammer für den einzelnen Fall in Stärke von drei Richtern, einem Mitgliede der Handelskammer als Vorsitzenden und zwei aus der Kaufmannschaft berufenen Beisitzern, konstituirt und unterliegt wesentlich den Bestimmungen von Buch 10 der Civilprozeßordnung, erhebt auch Kosten (3 Prozent des Streitbetrags, 20 Mark mindestens, 300 Mark höchstens32'). Über den Umfang der Thätigkeit liegen in den Kommissionsprotokollen spezielle Angaben nicht vor. Diese formal absolute Freiheit des Börsenverkehrs beginnt aber neuerdings ihre Schranken zu finden an der Entstehung von Verbänden der Händler in einzelnen Branchen, welche thatsächlich den Handel in den betreffenden Artikeln in sich konzentriren. Die betreffenden Vereine, nämlich: 1. der Getreidehändler, 2. der Spiritusinteressenten, 3. der Interessenten für Kartoffelfabrikate, 4. der Petroleumhändler, 5. der am Kaffeehandel, 6. der am Zuckerhandel, 7. der am Baumwollhandel betheiligten Firmen33' lassen als Mitglieder - mit Ausnahme des Vereins der Kartoffelinteressenten, der „jeden unbescholtenen Mann" zulassen will63 - nur in Hamburg, Altona und Umgegend domizilirte Personen und GesellA 114 Schäften zu, welche in dem betreffenden | Artikel als Händler, Agenten oder Vermittler Geschäfte machen, und zwar gegen ein zwischen 20 (Kartoffelfabrikate), 30 (Sprit), 50 (Getreide), 100 A 113

32) Regulativ vom 26. Mai 1893 bei Jürgens S. 93. 64 33 > S[iehe] deren Statuten und Regulative bei Jürgens S. 9 2 - 2 2 0 . 6 5 |

63 Das Zitat ist e n t n o m m e n § 2 des Statuts des Vereins der Interessenten der Kartoffelfabrikate, ebd., S. 116. Der Satz lautet vollständig: „Mitglied kann jeder u n b e s c h o l t e n e u n d dispositionsfähige Mann werden." 64 Der Präses der H a n d e l s k a m m e r wird in d e m von Max Weber gemeinten Regulativ für das Schiedsgericht der Hamburger Handelskammer v o m 26. März 1893, in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 93, nicht genannt. Seine Funktionen sind In der G e s c h ä f t s o r d n u n g der Handelskammer, in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 10, definiert. Die A n g a b e n zur Organisation des Schiedsgerichts stammen aus § 1 (Berufung des Schiedsgerichts), § 2 (Zus a m m e n s e t z u n g des Schiedsgerichts), § 3 (Verfahren des Schiedsgerichts nach d e n Vorschriften des 10. Buchs der Civilprozeßordnung v o m 30. Januar 1877, betreffend das schiedsrichterliche Verfahren) u n d § 5 (Kosten des Verfahrens) des genannten Regulativs. 65 Der A b d r u c k der Statuten der genannten Vereine In: Jürgens, Börsenhandbuch, umfaßt die Seiten 9 6 - 2 1 3 .

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(Zucker, Baumwolle) und 300 Mark (Kaffee) schwankendes Eintrittsgeld34' und theils feste, theils jährlich festzusetzende Beiträge. Sie haben zum Theil ihre eigenen gemietheten Lokalitäten, entscheiden über Zulassung und Ausschließung von Mitgliedern nach eigenem Ermessen35' und verwalten sich in Formen, welche hier im Einzelnen nicht interessiren - allgemein ist „Vorstand" und „Generalversammlung" vorhanden - , nach selbstgegebenen Statuten und Regulativen frei; sie üben auch, soweit der Verkehr in ihren eigenen Lokalen stattfindet, allein die Verkehrskontrolle aus und besitzen eigene schiedsrichterliche Instanzen, theils besonders organisirt, theils in Gestalt des Vorstandes, welche theilweise statutenmäßig bis zu bestimmten Maximalbeträgen allein zuständig sind, theilweise durch einen in den Statuten vorgesehenen Kompromiß (laut Schlußnote) für allein zuständig erklärt werden können und thatsächlich erklärt werden. Die Entscheidungen über die Lieferbarkeit und diejenige von andern Streitigkeiten sind oft je besonderen Instanzen zugetheilt. - Die Vereine haben meist die Schlußscheinformulare festgestellt, regeln die Usancen des Handels in ihren Artikeln selbst und verfügen über die Art der Kursnotiz. - Handelt es sich hier nur um eine weitgehende Selbstverwaltung der Verkehrsinteressenten, welche je nach der Praxis der betreffenden Verbände sich zu einer exklusiveren Aussonderung aus dem formal freien Markt auswachsen könnte, so herrscht dagegen bereits eine faktische Monopolisirung des Handels bei Termingeschäften in Kaffee, Zucker und Baumwolle. Hier bestehen Liquidationskassen36' nach | Art der Havreser, welche alle Kontrakte unter A115 34)

D i e Petroleuminteressenten erheben kein Eintrittsgeld, nur Jahresbeiträge. A 114 Das Recht der Nichtzulassung ohne Begründung hat sich der Zuckerverein besonders vorbehalten. D i e Ausschließung steht allgemein auf Nichtbefolgung der Beschlüsse zuständiger Vereinsorgane. 66 36 > S[iehe] die Regulative derselben bei Jürgens S. 157f., 179£, 202f. 6 7 | 35)

66 Neben dem Zuckerverein hatten sich auch die Vereine der Baumwoil-, Spiritus- und Getreidehändler ausdrücklich vorbehalten, einen Aufnahmeantrag unbegründet ablehnen zu dürfen. Ebd., S. 173, 191, 107 und 96. Daß bei Nichtbefolgung der Beschlüsse der Vereinsorgane der Ausschluß aus dem Verein erfolgt, bestimmten lediglich die Statuten der Getreide- und Spiritushändler. Ebd., S.98 und 108f. 6 7 Gemeint sind die Regulative der Waaren-Liquidations-Kasse für Termingeschäfte in Kaffee vom 2. Januar 1891, ebd., S. 157-193, für Termingeschäfte in Rüben-Rohzucker vom I.Juni 1889, ebd., S. 179-190, und für Termingeschäfte in Nordamerikanischer Baumwolle vom I.Juli 1892, ebd., S. 202-213.

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Die Ergebnisse

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später (beim Terminhandel) zu besprechenden Voraussetzungen68 garantiren und diejenigen Makler, welche zur Aufgabe von Geschäften an die Kasse behufs Übernahme der Garantie berechtigt sind, ihrerseits bezeichnen, dadurch zugleich den Terminhandel in diesen Artikeln monopolisirend und ein faktisches Maklermonopol für die zugelassenen Makler schaffend. Der Handel spielt sich außerhalb der offiziellen Börsenstunden, theils in den besonderen oberen Sälen der Börse, theils - bei Kaffee und Zucker - in den gemietheten Lokalitäten der Vereine im Freihafengebiet ab, während der offiziellen Börsenzeit ist er in den allgemeinen Börsensaal verlegt, selbstverständlich aber ohne daß damit die unmittelbare Theilnahme daran Nichtvereinsmitgliedern zugänglich würde. Wer dem Verein nicht angehört, kann sich nur eines Mitgliedes als Kommissionär bedienen. So sind hier innerhalb der formal freien Börse materielle Schranken aufgerichtet, welche an sich nur durch ihre geringere pekuniäre Höhe und größere Flüssigkeit von den englisch-amerikanischen Formen (Aktiengesellschaft oder Korporation) unterschieden sind, praktisch freilich zur Zeit noch nicht entfernt deren exklusiven Charakter angenommen haben. Aber auch für die Fondsgeschäfte vollzieht sich eine Absonderung ähnlicher Art. Hier besteht, in den oberen Räumen des Börsengebäudes sich vor Beginn der Börsenzeit abspielend, ein Fondsverkehr in einer „Vorbörse" innerhalb eines Verbandes von Händlern, welcher Mitglieder nach seinem Belieben und gegen ein Eintrittsgeld aufnimmt und wesentlich Spekulationsgeschäfte betreibt. Einen aristokratischen Charakter hat nach den Bekundungen Hinrichsen's auf eine bezügliche Frage Schmoller's (S. 730 der Stenogramme) 69 dieser Verband freilich nicht, im Gegentheil sind die Fondsspekulanten heute noch in Hamburg die wenigst angesehene Kategorie von Händlern37). - Unzweifelhaft also sind hier Tendenzen einer Zerlegung des Börsenverkehrs in Branchen wirksam: die allgemeine Börse beginnt für die sich absondernden Zweige mehr A 1 15

37) S[iehe] a u c h Levy v. Halle a.a.O. 7 0 | 6 8 Auf diese Liquidationskassen kommt Max Weber unten, S. 3 6 7 - 3 6 9 , nochmals zu sprechen. Auf den Produktenterminhandel ist Max Weber entgegen seiner ursprünglichen Absicht nicht mehr eingegangen. 6 9 Gemeint sind: Börsenenquetekommission, Sten.Ber. 7 0 Levy von Halle, Schmollers Jahrbuch 1892, S. 1165, bezeichnet die „Fondsmakler der unteren Klasse" als „Plebs des Maklerstandes."

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die Rolle eines bloßen Berührungspunktes mit der | Gesammtheit A 116 des Verkehrs, dem Geld- und Wechselverkehr und den Schifffahrtsund Assekuranzinteressenten zu spielen, während ein anderer Theil des früher in der allgemeinen Börse konzentrirten Verkehrs, 5 namentlich die Geschäfte zwischen den größten Firmen, abbrökkelt durch die sich mehrenden telephonischen Abschlüsse von Kontor zu Kontor. Von einem beginnenden „Zerfall" der allgemeinen Börse zu sprechen, wäre sicherlich stark verfrüht, immerhin ist deren funktionelle Bedeutung für den steigenden Verkehr relativ 10 wohl eher gesunken als gestiegen. In Hamburg ist also mit dem an den französischen Fondsbörsen nur relativ bestehenden Prinzip der Freiheit des Börsenverkehrs formell Ernst gemacht, während thatsächlich wenigstens im Produktenverkehr Anfänge einer Gliederung und Abschließungen 15 nach englischer A r t vorhanden sind. Hingegen bieten die großen preußischen Börsen ein schon vom Standpunkt des „ästhetischen" Bedürfnisses nach konsequenter Durchführung eines organisatorischen Prinzips unerfreuliches Mischbild. Die Börsen sind weder öffentliche Korporationen, noch geschlossene Vereine, noch formell 20 freie Märkte, sondern reglementirte Veranstaltungen von Versammlungen eines flüssigen und nach jeder Richtung „gemischten" Personenkreises, ohne örtliche Trennung des Produkten- vom Effektenverkehr und ohne spontane Sonderbildungen wie in Hamburg. Der Zutritt ist nicht frei, die Börsen sollen vielmehr nur Per25 sonen zugänglich sein, welche den Börsenhandel berufsmäßig betreiben. Thatsächlich bekundeten Sobernheim und Andere vor der Kommission, daß man vor nicht langer Zeit Personen angetroffen habe, welche „Hochzeitscarmina" feil hielten, und daß noch immer Leute sich an der Börse ständig aufhielten, welche Prämienge30 schäfte unter Daraufgabe von Diamantnadeln machten, ebenso Händler mit Juwelierarbeiten etc. 71 Es fehlt ferner jede Garantie in 71 Von einem Mann, der als Kommis gemeldet war, aber Hochzeitsgedichte „machte", berichtete Siegfried Sobernheim. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 2606. Der Sachverständige Jakob Wiener berichtete, „daß noch bis vor kurzer Zeit an der Börse Leute verkehrten, die ihr Geschäft darin sahen, Juwelen und alle möglichen anderen zur V e r s c h w e n d u n g verführende Dinge an der Börse zu verkaufen und zwar meist auf d e m W e g e von Prämiengeschäften, die sie abschlössen. Die Prämie, die g e w o n n e n wurde, war die Uhr, die Busennadel, der Diamantring." Ebd., S. 1831. Vom Handel mit Juwelen und Schokolade sowie Theaterbillets erzählten auch der Sachverständige S l e g m u n d Weill und Börsenenquetemitglied A d o l p h Frentzel. Ebd., S. 2017 und 230.

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Die Ergebnisse der deutschen

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Bezug auf die Vermögensverhältnisse des Zuzulassenden, - man glaubt sich auf diese „Freiheit" sogar etwas zu gute thun zu können, und es fehlt in Folge dessen auch meist das Bewußtsein, daß die Börse kein bloßer Tummelplatz für Privaterwerbsinteressen ist. Ein Theil der Berliner Sachverständigen fand es insbesondere ein A 117 „Gebot | der Gerechtigkeit", daß man Leuten, welche an der Börse zahlungsunfähig geworden seien, Gelegenheit geben müsse, da, wo sie ihr Geld gelassen hätten, sich dasselbe wiederzuerobern, 72 eine wohl nur in Deutschland mögliche Vorstellungsweise. Die Zulassung zur Berliner Börse setzt nach §3f. der Rev[idirten] B.O. vom 15. Juli 1884 bzw. 20. März 188538) Ertheilung einer Eintrittskarte durch die Ältesten voraus, welche die Mitglieder der Korporation der Kaufmannschaft ohne Weiteres und unentgeltlich erhalten, Andere auf schriftliche, aber zu nichts verpflichtende und deshalb eine reine Formalität darstellende Empfehlung dreier beliebiger Mitglieder. Die so Eingeführten werden nach den gleichen Grundsätzen^ wie sie für die Mitglieder der Kaufmannskorporation gelten, zu den an Höhe nicht ins Gewicht fallenden Beiträgen eingeschätzt, welche nur für mitangemeldete' Handlungsgehilfen für jeden weiteren sich steigern.73 Einen auf dem Verwaltungsklagewege verfolgbaren Anspruch39) auf Ertheilung haben außerhalb der Korporationsmitglieder die A 1 17

38) Börsen-Handbuch, herausgeg[eben] durch die Sachverständigenkommission der Fondsbörse 1892 (eine neue Ausgabe ist angeblich in Vorbereitung). 74 39) § 137 d e s Zuständigkeitsgesetzes. 75 |

j A: mit angemeldete 72 In diesem Sinne äußerten sich die Sachverständigen Victor Benary u n d L u d w i g Goldberger. Ebd. S . 2 4 2 u n d 720. A u c h A d o l p h Frentzel e m p f a n d es als eine „gewisse Ungerechtigkeit", jemanden, der in Vermögensverfall g e k o m m e n ist, die Möglichkeit, an der Börse zu erscheinen, zu nehmen. Ebd., S. 244f. 7 3 Nach § 7 der Revidierten Börsenordnung für Berlin mußten für d e n ersten Handlungsgehilfen ein Beitrag von 36, für den zweiten von 72 und für j e d e n weiteren Handlungsgehilfen ein sich jeweils um 72 Mark steigender Beitrag gezahlt werden. 74 Die Revidierte Börsenordnung für Berlin findet sich in: Börsenhandbuch 1892, S. 6 5 85. Die neue A u s g a b e des H a n d b u c h s der Berliner Fonds-Börse erschien 1895 bei Puttkammer & Mühlbrecht in Berlin. 75 Nach § 1 3 7 des Zuständigkeitsgesetzes ist eine Klage beim Bezirksausschuß, also beim Verwaltungsgericht des Regierungsbezirks, w e g e n Nichtzulassung z u m Börsenbesuch gestattet. Sie muß innerhalb von zwei Wochen nach d e m Beschluß der Handelskammer oder des Vorstandes einer kaufmännischen Korporation eingereicht werden.

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Inhaber von in Berlin und den Vororten domizilirenden registrirten Firmen, Handlungsgehilfen derselben auf Anmeldung des Prinzipals und etwaige amtlich zum Börsenbesuch Verpflichtete; zurückzuweisen sind Minderjährige, Weiber, bürgerlich Ehrlose, Entmündigte und Kridare, dauernd ausgeschlossen wegen betrügerischen Bankrotts Verurtheilte. Auf beliebigen Widerruf können Ortsfremde, Gewerbetreibende eines sog. „Hilfsgewerbes" (Schiffer etc.) und Preßvertreter zugelassen werden. Nach vorangegangenem mündlichem Verfahren vor drei Ältesten können ausgeschlossen werden: solche zum Ehrverlust Verurtheilte, gegen welche das Urtheil noch nicht rechtskräftig ist, und erweisliche Nichtbörsenhändler (§5 Nr. l, k 2,3)' c bis zur Behebung des Ausschlußgrundes, Friedensstörer und Widersetzliche (Nr. 6, a und b), sowie Verbreiter falscher Gerüchte mangels | nachweislicher Schuldlosig- A 118 keit (Nr. 5 b) auf 3 Tage bis 1 Jahr, endlich Insolvente (Nr. 4) auf 3 Monate bis 3 Jahre; auch weiterhin „darf" bis zum Nachweis einer durch Zahlung, Erlaß oder Stundung erfolgten Regulirung mit den Gläubigern die Karte nicht wieder ertheilt werden.76 Die Stundung pflegt aber von den Gläubigern zu dem Zweck ertheilt zu werden, dem Insolventen die „Erholung" an der Börse im Interesse der Gläubiger zu ermöglichen.77 - Die Zahl der Besuchsberechtigten betrug im ersten Halbjahr 1882 rund 3000,1892 3362 40 \, ] der faktische Tagesbesuch ist niemals festgestellt. Man rechnet ca. zwei Drittel auf die Fonds-, ein Drittel auf die Produktenbörse. Ausgeschlossen wurden in den Jahren 1889-1892 auf 125 bezw. 174, 100, 237 Anträge hin 20 bezw. 33, 41, 51 Personen, 1892 auf 180 Anträge, von denen 145 zurückgenommen wurden, 22 wegen Insol-

40

> Davon 1892 1139 Handlungsgehilfen und Prokuristen, 31 Boten, 45 Schiffer und A 118 Fuhrleute, 101 ( ! ) Preßberichterstatter, ferner 45 Fremde und 94 vereidigte Makler.

k A: 23) 76 Max Weber referiert aus § 5 Nr. 1 - 3 (Ausschluß von Nichtbörsenhändlern, Ehrlosen und Entmündigten), § 5 Nr. 5 a-b u n d Nr. 6 (Ausschluß von Friedensstörern und Widersetzlichen), § 5 Nr. 5 c (Ausschluß bei Verbreitung falscher Gerüchte), § 5 Nr. 4 (Ausschluß bei Insolvenz) und aus § 5 Abs. 2 (Wiederzulassung bei nachweislichem Schuldendienst) der Revidierten Börsenordnung für Berlin. 77 Max Weber zitiert aus der wörtlichen Rede von L u d w i g Max Goldberger, Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 720.

242

Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

venz, mithin machten 1892 (und ähnlich in den früheren Jahren) die Insolvenzanträge 5 Prozent der Mitgliederzahl aus41).78 In Frankfurt, woselbst „jeder Handeltreibende" (nach § 2 BO.)79 gegen jährliche Beiträge zulassungsberechtigt ist, pflegen über diejenigen, welche die Zulassung beantragen, auf Grund ihrer Anga- 5 ben „Referenzen" eingezogen zu werden. Kridare, bestrafte Betrüger, Fälscher, Meineidige, sowie Insolvente sind ausgeschlossen, und Ordnungsstörer wurden entfernt. Es stieg die Zahl der Besuchsberechtigten von 771 (1866) auf das Maximum 1185 im Jahr 1873 und sank von da bis 1892 stetig auf 618 in Folge des zuneh- 10 menden Überwiegens des Berliner Platzes; Ausschließungen sind Seltenheiten (pro Jahr 1-2). 8 0 | A119 Andere Disziplinarmittel als befristete Ausschließung haben die Börsenvorstände gegen BörsenHändler nicht (über die vereidigten Makler s. Abschnitt II),81 insbesondere kein Geldstrafrecht. In Ber- 15 lin ist eine gewillkürte Erweiterung praeter legem dadurch versucht worden, daß wenigstens für einen besonders anstößigen Fall: Abschluß von Geschäften mit Handelsangestellten, durch private Vereinbarung einer Anzahl angesehener Firmen mit den Ältesten diesen die Ermächtigung zur Ertheilung einer „Rüge" ertheilt ist. - 20 41 ' Daraus folgt natürlich nicht, daß 5 Prozent der Besucher jährlich insolvent wurden, denn der Fall dürfte nicht selten gewesen sein, daß gegen dieselbe Person der Antrag mehrfach gestellt wurde; allein die Zahl ist trotzdem charakteristisch genug. Abgewiesen wurden davon nur 13 Anträge. Die „Zurücknahmen" bedeuten wohl überwiegend private Stundungen. |

78 Die A n g a b e n zur Besucherstatistik der Berliner Börse sind entnommen: Endemann, Börsenbesucher, S. 385f. Die genaue Zahl der Berliner Börsenbesucher betrug im ersten Halbjahr 1882 2 9 8 4 . 1889 wurden in Berlin auf 125 Anträge 23 statt 20 Personen v o m Börsenbesuch a u s g e s c h l o s s e n und 1891 180 statt 100 Anträge auf Ausschluß gestellt. Die Zahl der Börsenbesucher betrug jeweils im ersten Halbjahr 1889 3045, 1890 3 1 5 2 , 1891 3 2 6 8 und 1892 3 3 6 2 . W e g e n Insolvenz w u r d e n in diesen Jahren 79, 117, 130 und 180 Anträge gestellt, so daß die Insolvenzanträge 2,6 bzw. 3,7 sowie 4 und 5,3 Prozent der Mitgliederzahl ausmachten. 1892 w u r d e n Insgesamt 35 Anträge auf Ausschluß w e g e n Insolvenz vor der Börsenkommission verhandelt. Davon wurden, wie Max Weber in Fußnote 41 angibt, 13 als u n b e g r ü n d e t abgewiesen. 79 Gemeint ist die Börsen-Ordnung für Frankfurt a . M . v o m 4. Dezember 1843, in: Puls, Börsenhandbuch, S. 1 7 - 1 9 . 80 Die A n g a b e n zur Besucherstatistik der Frankfurter Börse sind entnommen: Endemann, Börsenbesucher, S.388. Zwischen 1869 und 1892 erfolgten pro Jahr 1 - 5 Ausschließungen. 81 Unten, S. 3 0 4 f .

I. Organisation

und Rechtsstellung

der

Börsen

243

Wenn ein so „Gerügter" sich diese Zensur einfach verbittet, hat es dabei wohl sein Bewenden.82 Die so zusammengesetzten Börsen besitzen - abgesehen von den vereidigten Maklern, deren Verhältnisse im folgenden Abschnitt zu besprechen sind83 - folgende Verwaltungsorgane. In Berlin werden jährlich - unter Zulässigkeit der Wiederwahl der Ausscheidenden - von den Ältesten, der Zahl nach je nach Bedürfniß, die Mitglieder des Börsenkommissariats, zu ein Drittel statutenmäßig aus der Mitte des Kollegiums,84 zu zwei Dritteln aus Korporationsmitgliedern, gewählt; das Kommissariat wählt seinen Vorsitzenden und Stellvertreter aus den ihm angehörigen Ältesten und theilt sich in zwei Sektionen (der Fonds- und der Produktenbörse42)), von welchen insbesondere für jeden Börsentag der bei der Kursnotiz assistirende Kommissar und Stellvertreter bestellt werden. Die Mitglieder der Sektionen haben die Aufrechterhaltung des Hausrechts zu überwachen, die Sektionen selbst haben insbesondere über die Zulassung von Handelsartikeln zum Handel durch die vereidigten Makler und an der Fondsbörse über die Zuweisung an die Maklergruppen zu befinden. Der Handel durch die letzteren ist hier der „offizielle Verkehr", im Gegensatz zu dem, keiner Kontrolle unterliegenden, sonstigen Verkehr an der Börse: 42) D i e S e k t i o n für die „ W a a r e n b ö r s e " für R o h p r o d u k t e , H a l b f a b r i k a t e u n d Fabrikate A 119 d e r T e x t i l b r a n c h e (§ 1 Ziff. 3 B ö r s e n - O r d n [ u n g ] ) b e s t e h t nicht, d a d i e s e B ö r s e n a b theilung, w e l c h e in g e s o n d e r t e m L o k a l t a g e n sollte, e i n g e g a n g e n ist, w o h l w e s e n t l i c h mit unter d e m E i n f l u ß d e r N i c h t - Z u l a s s u n g d e s K a m m z u g - T e r m i n h a n d e l s . 8 5 |

8 2 A l s anstößig galt, wenn H a n d e l s a n g e s t e l l t e ohne Auftrag d e s Prinzipals im e i g e n e n N a m e n G e s c h ä f t s a b s c h l ü s s e tätigten. Von der statutarisch nicht fixierten, lediglich auf freiwilliger Vereinbarung der Hauptfirmen der Berliner B ö r s e b e r u h e n d e n N e u e r u n g berichteten eine Reihe von S a c h v e r s t ä n d i g e n , so der Berliner Bankier M a x Winterfeldt, d e s s e n Darstellung M a x W e b e r hier folgt. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S . 5 6 2 f . 8 3 Unten, S. 2 8 5 - 4 1 1 . 8 4 G e m e i n t ist d a s Ältestenkollegium der K a u f m a n n s c h a f t von Berlin. M a x Weber referiert hier u n d im f o l g e n d e n aus d e n §§ 11 - 1 3 der Revidierten Börsenordnung für Berlin. 8 5 Die dritte Sektion, die W a r e n b ö r s e wurde a m 3. J a n u a r 1887 eröffnet und ein Jahr später z u m I . J a n u a r 1888 wieder g e s c h l o s s e n . Mit d e m 16. J a n u a r 1888 traten die Bestimmungen über die W a r e n b ö r s e in der Revidierten Börsenordnung für Berlin außer Kraft. C o r r e s p o n d e n z der Ältesten der K a u f m a n n s c h a f t von Berlin, 9. Jg., Nr.6 v o m 9. Dez. 1886, S. 64, und 11. Jg., Nr. 2 vom 25. Febr. 1888, S. 28; Z u s ä t z l i c h e B e s t i m m u n g zur Revidierten B ö r s e n o r d n u n g für Berlin vom 16. J a n u a r 1888, in: Börsenhandbuch, S . 8 8 . Zur N i c h t z u l a s s u n g d e s K a m m z u g t e r m i n h a n d e l s vgl. oben, S. 232 mit A n m . 46.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

A120 zwischen den Parteien direkt oder | durch Pfuschmakler, dem „freien Markt", - eine gegenüber der entsprechenden Pariser freilich wesentlich abgeblaßte Unterscheidung, da hier ein rechtliches Monopol der vereidigten Makler nicht, sondern nur eine Vorzugsstellung derselben bei der Kursnotiz (s. Abschn. II) 86 besteht. Die schiedsrichterlichen Instanzen sind in Berlin wie folgt organisirt: für die Fondsbörse delegirt das Ältestenkollegium die aus fünf Ältesten und dem Syndikus 'bestehende „schiedsrichterliche' Kommission",87 deren Kompetenz, nach Wahl des Klägers konkurrirend mit dem ordentlichen Gericht, aber unter Ausschluß der Streitigkeiten über „Lieferbarkeit" und Auslegung der Usancen, auf einem usancemäßigen Kompromiß beruht und durch Anbringung der Klage innerhalb einer einwöchigen Präklusivfrist begründet wird43). Für die eben erwähnten, von der Kompetenz dieses Schiedsgerichts ausgeschlossenen Streitigkeiten ist das sog. „Dreimännergericht" zuständig, welches aus der „Sachverständigenkommission der Fondsbörse" gebildet wird44); von den Mitgliedern dieser Sachverständigenkommission sind ein Theil (6) Börsenkommissare, die übrigen (14) werden von den am Fondsverkehr betheiligten KorA 120

43 > § 11 d e r U s a n c e n , daselbst a u c h die Fälle d e s Wegfalls d e r Präklusivfrist ( a n e r k a n n te, K o n t o k o r r e n t - , d u r c h P f a n d gesicherte u n d R e g r e ß f o r d e r u n g e n ) . 8 8 ^ § 5 der revid[irten] G e s c h ä f t s o r d n u n g f ü r die S a c h v e r s t ä n d i g e n k o m m i s s i o n , Börsen-Jahrb. 1892 S. 8 9 - 9 7 . 8 9 |

I A: b e s t e h e n d e , „schiedsrichterliche 8 6 Unten, S.305f. 8 7 Ein besonderes Statut für die schiedsrichterliche Kommission hat es nicht gegeben. Nach Art. 29 des Revidirten Statuts vom 26. Februar 1870 bestand die schiedsrichterliche Kommission des Ältestenkollegiums aus fünf Ältesten. Die Geschäftsinstruktion für den Syndikus der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin schreibt die Teilnahme des Syndikus bei allen Sitzungen der schiedsrichterlichen Kommission vor. Er hat darauf zu achten, daß nichts Gesetzwidriges beschlossen wird. Er vernimmt die Parteien, arbeitet das Urteil zur Unterzeichnung durch die Mitglieder aus und publiziert es auf Verlangen des Vorsitzenden. Siegfried, Saling's Börsenpapiere, S. 484. 8 8 Gemeint Ist §11 der Bedingungen der Berliner Börse von 1892. Die Präklusivfrist, nach deren Ablauf ein Recht infolge Versäumung nicht mehr geltend gemacht werden kann, betrug, wie Max Weber, unten, S.354, Fußnote 1, korrigierend anmerkt, vier statt einer Woche. 8 9 Die Revidlrte Geschäfts-Ordnung für die Sachverständigen-Kommission der FondsBörse findet sich in: Börsenhandbuch, S. 8 9 - 9 7 , § 5 ebd., S. 91.

I. Organisation

und Rechtsstellung

der

Börsen

245

porationsmitgliedern unter jährlicher Drittelerneuerung gewählt. Die gedachte Kompetenz dieses Schiedsgerichts ist im Gegensatz zu derjenigen der schiedsrichterlichen Kommission eine ausschließliche. An der Produktenbörse besteht zunächst mdie der"1 „Sachverständigenkommission" der Zusammensetzung nach entsprechende „ständige Deputation" (4 Älteste, 11 gewählte Korporationsmitglieder) mit einer wesentlich weiteren ausschließlichen Kompetenz des auch hier aus drei Deputirten bestehenden Schiedsgerichtes: dasselbe ist für alle Streitigkeiten und Geschäfte in der Produktenbörse unter Ausschluß des Rechtswegs zuständig, auch kann es auf Anrufung | der Betheiligten Streitigkeiten jeder A 121 Art entscheiden45^. An der Fondsbörse sind nach den Usancen nur Mitglieder der Börse, an der Produktenbörse auch alle Nichtmitglieder auf Grund des in den Schlußnoten enthaltenen Kompromisses dem Schiedsspruch unterworfen. Der Exklusivkompetenz der Sachverständigenkommission der Fondsbörse für Fragen der Lieferbarkeit entspricht bei der Produktenbörse das Institut der in einer Zahl von drei (eventuell fünf) in Funktion tretenden vereidigten Sachverständigen, welche auf 2 resp. 3 Jahre für die einzelnen Verkehrsbranchen bestellt sind (1894 zusammen 77).90 Endlich können die Parteien sich über besondere Schiedsgerichte im einzelnen Fall einigen. - Im Übrigen treten die gesetzlichen Bestimmungen der Civilprozeßordnung Buch X für alle diese Schiedsgerichte ein.91 45 ' § 3 der Geschäftsordnung für die ständige Deputation vom 10. Mai 1886, Handb. A 121 der Produktenbörse, Januar 1894, S. 126 f. 92

m A: die, der 9 0 Die schiedsrichterliche Funktion der vereidigten Sachverständigen ist den Bedingungen für den Handel in Weizen (Roggen, Hafer, Mais, Mehl) auf Lieferung innerhalb eines Kalender-Monats, gültig für Geschäfte auf Januar 1894 und spätere Termine, in: Handbuch der Produktenbörse 1894, S.3, 8, 14, 20 und 26, zu entnehmen; die Liste der 77 vereidigten Sachverständigen findet sich ebd., S. 131-134. Zu den Ausführungen über die Schiedsgerichte vgl. auch Max Webers Ergänzungen, unten, S. 354f., Fußnote 1. 91 Das 10. Buch der Civilprozeßordnung trägt den Titel „betreffend das schiedsrichterliche Verfahren". 9 2 Max Weber referiert aus § 1 (Zusammensetzung der ständigen Deputation), §6 (Schiedsgericht) und §3 (Kompetenz des Schiedsgerichts) der Geschäftsordnung für die ständige Deputation, in: Handbuch der Produktenbörse 1894, S. 126-128.

246

Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

Über die Feststellung der Usancen und der dieselben enthaltenden Schlußscheinformulare befinden die Ältesten nach Vorschlag der Sachverständigenkommission bezw. der ständigen Deputation46'. Über die Veranstaltungen zur Erleichterung der Abwicklung der Termingeschäfte, Regelung des Kündigungswesens an der Produktenbörse ist beim Terminhandel zu sprechen.93 In Frankfurt47) liegt die gesammte Verkehrsaufsicht wesentlich in den Händen der Handelskammer selbst. Während in Berlin weder Winkelbörsen noch Privatvereine der offiziellen Börse Konkurrenz machen, auch die frühere „Abendbörse" vor der Cranzlefsehen Konditorei eingegangen ist,94 besteht in Frankfurt neben der offiziellen Börse der geschlossene, seit 1878 mit Korporationsrechten versehene Verein der Effektensozietät, welcher außerhalb der offiziellen Börsenzeit, Abends und Sonntags48), Versammlungen abhält und Kurse in Wechseln und | A122 Effekten notirt. Sie verwaltet sich selbst, und die Handelskammer bezweifelt ihre Zuständigkeit zu Eingriffen in den Verkehr innerhalb dieses Verbandes. Das Institut bedeutet im Wesentlichen einen Versuch, die regionale Bedeutung des Frankfurter Platzes für den Südwesten gegenüber der wachsenden Bedeutung Berlins 46 ' Beide werden von der Presse oft mit den Sektionen des Börsenkommissariats verwechselt. 47 > Über Frankfurt s. das vom Handelskammersyndikus Puls herausgegebene „Frankfurter Börsenhandbuch" - zur Zeit vergriffen. Über das Wechselmaklersyndikat ist im II. Abschnitt zu sprechen. 95 | 48) A 122 Die Verhandlungen zwischen der Handelskammer und dem Polizei|präsidium im Jahre 1888 s. in dem Bericht der Handelskammer für das Jahr 1888 S. 71. 96

93 Max Weber ist auf d e n Produktenterminhandel nicht mehr e i n g e g a n g e n . 94 Nach A u s s a g e von A d o l p h Frentzel existierte „eine Zeit lang in erregten Zelten [...] gänzlich ohne irgend welche hohe obrigkeitliche Einwirkung eine A b e n d b ö r s e , die In der G e g e n d vom Kranzler lustwandelnd, alles Mögliche handelte und ihrerseits nun Notizen in die Welt sandte." Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 235. - Das Café Kranzler wurde 1834 von d e m Wiener Z u c k e r b ä c k e r Johann G e o r g Kranzler an der Ecke Unter d e n Linden/Friedrichstraße eröffnet. Dort verkehrten das begüterte Bürgertum, b e d e u t e n d e Künstler und viele Fremde. 95 Unten, S . 3 0 5 f . 96 Gemeint ist: Jahres-Bericht der Handelskammer zu Frankfurt a. M. für 1888. - Frankfurt a. M.: Selbstverlag der Frankfurter H a n d e l s k a m m e r 1889. Im November 1888 hatte das Polizeipräsidium in Frankfurt die Handelskammer um eine Stellungnahme w e g e n einer Anfrage um eventuelle A u f h e b u n g der Sonntagsbörse der Effekten-Sozietät gebeten.

I. Organisation und Rechtsstellung der Börsen

247

durch Erzielung auch materiell selbständiger Notizen aufrecht zu erhalten. Unbekannt ist den deutschen Börsen bisher durchweg das Institut eines ständigen Staatskommissars, welcher eine Sondererscheinung der österreichischen Börsen seit dem großen Krach von 1873 darstellt.97 Damals wurde in dem Gesetz vom 1. April 1875, betreffend die Organisation der Börsen49),1 unter Strafandrohung für alle Theilnehmer an nicht staatlich konzessionirten Winkelbörsen,2 die Leitung der Börsen in die Hand der von den Mitgliedern50' zu wählenden Börsenleitung - in Wien der „Wiener Börsekammer"sv> gelegt, diese aber der Aufsicht des Finanz- und Handelsministers, welche die Berechtigung ihrer Amtsenthebung einschließt, unterstellt. Es wurde ferner zu jeder Börse ein ständiger Kommissar deputirt, welcher allen Berathungen der Börsenleitung beizuwohnen und Beschlüsse bis zur Entscheidung der politischen Behörden zu sistiren berechtigt ist. Von einem Einschreiten dieses staatlichen Kommissars in Wien hat bisher nur in einem Fall etwas verlautet, als nämlich Behauptungen über kriegerische Äußerungen des Kai-

49)

S [ i e h e ] d i e A n t e c e d e n z i e n b e i Ehrenberg

a.a.O.3

50)

d. h. in W i e n d e n j e n i g e n B e s u c h e r n , w e l c h e drei Jahre lang B ö r s e n k a r t e n b e s a ß e n oder im Handelsregister eingetragen waren und niemals insolvent oder w e g e n Übertret u n g der B ö r s e n o r d n u n g a u s g e s c h l o s s e n waren. 51

> Statut d e r W i e n e r B ö r s e v o m 19. A u g u s t 1888." |

9 7 Die Hochkonjunktur der Gründerjahre seit 1871, begleitet v o n e i n e m b e i s p i e l l o s e n G r ü n d u n g s - und B a n k s c h w i n d e l sowie einer maßlosen Börsenspekulation, an der sich alle B e v ö l k e r u n g s s c h i c h t e n beteiligt hatten, fand mit d e m Wiener B ö r s e n k r a c h , d e m sog. G r o ß e n K r a c h v o m 8. und 9. April 1873 ein jähes E n d e . Es folgte d i e sog. G r ü n d e r k r i s e . 1 G e m e i n t ist d a s G e s e t z v o m I . A p r i l 1875, betreffend die O r g a n i s i r u n g der B ö r s e n (Gesetz vom 1. April 1875), aus d e m M a x W e b e r im f o l g e n d e n die §§ 1 - 2 , 4 und 11 referiert. Im „ N a c h w e i s der für die v o r s t e h e n d e Z u s a m m e n s t e l l u n g benutzen Materialien", in: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 184, heißt es irrtümlich: „ G e s e t z v o m I . A p r i l 1875, betreffend die Organisation der Börsen". Vgl. W e b e r s Kritik z u d i e s e m B a n d , oben, S. 208 mit Fußnote 13 u n d A n m e r k u n g 47. 2 § 1 d e s Gesetzes vom 1. April 1875 s a h bei Teilnahme an einer W i n k e l b ö r s e eine G e l d strafe bis z u 1 0 0 0 G u l d e n o d e r Arrest von einem Tag bis vier W o c h e n vor. 3 Die ö s t e r r e i c h i s c h e B ö r s e n g e s e t z g e b u n g vor 1875 behandelt Ehrenberg, Fondsspekulation, S. 1 5 3 - 1 6 2 . 4 D a s Statut für die Wiener B ö r s e v o m 19. A u g u s t 1888 ist w i e d e r g e g e b e n in: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 98f.

248

Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

sers Franz Joseph in Umlauf gesetzt worden waren. 5 Ein absoluter Ausschluß der Winkelbörsen ist gleichfalls, wie es scheint, nicht erreicht; - die vor dem Börsengebäude sich abspielende „Abendbörse" hat doch wohl den Charakter einer solchen und soll in Bezug A 123 auf die Qualität des theil| nehmenden Publikums Erhebliches zu 5 wünschen übrig lassen. 6 - Abgesondert organisirt ist in Wien die Börse für landwirthschaftliche Produkte (einschließlich Wein, Sprit, Schlempe, landwirthschaftliche Versicherung etc.) 7 unter ihrer eigenen gewählten Börsenkammer 52 ). Gemäß der Gestaltung des § 6 des Börsengesetzes 8 sind in Wien an beiden Börsen Schieds- 10 gerichte mit ausschließlicher, die Berufung auf den Rechtsweg außer im Fall der Bestreitung der Giltigkeit des Spruchs ausschließender Kompetenz und in inn fast prozessualen Formen geregeltem Verfahren bestellt. Die Parteien wählen die Richter aus einer Art album judicum, an der „Wiener Börse" einem Kollegium von 15 36 durch die Mitglieder gewählten Personen. 9 Die Zulassung zur

A 123

52)

Statut v o m 18

August 1890.

n Fehlt in A; in sinngemäß ergänzt. 5 Auf diesen Umstand wiesen z. B. die Sachverständigen Victor Benary und Louis Bamberger hin. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 263 und 745. Am 14. November 1891 tauchten an der Wiener Börse Gerüchte auf, Kaiser Franz Joseph habe während einer Audienzstunde die auswärtige Lage als äußerst ernst geschildert. Es seien Worte gefallen, die auf einen unmittelbar bevorstehenden Krieg mit Rußland hindeuteten. Als dann in der Wiener Presse von direkter Kriegsgefahr die Rede war, kam es an der Börse zu panikartigen Verkäufen, die erst ein Ende fanden, als der Börsenkommissar die Gerüchte als völlig aus der Luft gegriffen bezeichnete. Bei einzelnen Wertpapieren war ein Kurssturz bis zu 70 Gulden zu verzeichnen. Kreuzzeitung, Nr. 538 vom 17. Nov. 1891, Ab.BI., S. 1. 6 Das berichtete der Sachverständige Max Arnhold. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 249. 7 An dieser von der Sektion für das Warengeschäft der Wiener Hauptbörse abgesonderten Börse für landwirtschaftliche Produkte wurde laut Statut vom 18. August 1890 Handel mit Getreide, Ölsaaten, Hülsenfrüchten, Sämereien, Kartoffeln, Eiern, Wein, Honig, Pflaumen, Nüssen, Heu, Stroh, Mehl, Kleie, Brot, Rollgerste, Malz, Ölen, Ölkuchen, Pflaumenmus, Sprit, Preßhefe, Schlempe betrieben, ferner auch „die mit diesem Handel in Verbindungen stehenden Versicherungs-, Fracht-, Speditions- etc. Geschäfte" abgeschlossen. Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 101. 8 Gemeint ist hier und im folgenden das Gesetz vom 1. April 1875. 9 Bei der Effektensektion der Wiener Börse bestand das Schiedsrichterkollegium aus 36, bei der Warensektion dagegen nur aus 30 Mitgliedern. Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 100.

I. Organisation

und Rechtsstellung

der

Börsen

249

Börse53) ist im Gegensatz zu Deutschland in Österreich gesetzlich geregelt (§5 des Börsengesetzes). Danach sind ausgeschlossen Weiber, Unselbständige, Kridare, Insolvente, richterlich mit Verlust des Gemeindewahlrechts Bestrafte oder wegen Steuerdefraudation mit Handelsverbot Belegte 10 auf die Dauer des Hinderungsgrundes, - wegen schuldbarer Krida Verurtheilte noch 3 Jahre lang nachher. Zeitweise ausgeschlossen werden können durch die Börsenleitung Übertreter der Börsenvorschriften und Verbreiter falscher Gerüchte. Die Wiener Börse schließt ferner solche aus, welche mit Handelsangestellten ohne Genehmigung des Prinzipals Geschäfte machen, und solche, welche nicht des Börsenhandels wegen sich an der Börse aufhalten. Daneben besteht, im Unterschied zu Deutschland, Geldbußgewalt bis 1000 Gulden. Höhere Strafen als 100 Gulden und Ausschluß auf länger als 3 Monate können auf Anrufung von der politischen Landesbehörde auf diesen Betrag ermäßigt werden, im Übrigen besteht keine Berufung.11 53) D i e Zahl der Börsenbesucher an der „Wiener Börse" stieg nach Endemann's Aufstellung 12 von 887 (1866) auf 3 030 (1873), sank auf 1 438 (1877), stieg wieder auf 2 443 (1882), sank dann wieder und betrug 1892 in der Effekten- und Waarensektion zusammen 1517. D i e Zahl der Mitglieder der Effektensektion ist in den letzten Jahren konstant auf zwischen 1200 und 1300 geblieben, die der Waarensektion von 445 (1877) auf 223 A 124

10 §5 Nr. 6 des gemeinten Gesetzes vom 1. April 1875 schließt „Diejenigen, welche und insolange sie in Folge einer strafgerichtlichen Verurtheilung von der Wählbarkeit in die Gemeindevertretung ausgeschlossen sind", vom Börsenbesuch aus sowie nach §5 Nr. 7 ebd., „Diejenigen, welche und solange sie wegen Schleichhandels oder schwerer Gefällsübertretung von der Fortsetzung oder dem Antritte eines Handels- oder Gewerbebetriebes ausgeschlossen sind." 11 Die Bestimmungen über Geldstrafen und Berufung enthält §17 des Gesetzes vom 1. April 1875. 12 Gemeint ist: Endemann, Börsenbesucher, S. 391-393. Hinsichtlich der Mitgliederzahlen der Effektensektion der Wiener Börse beziehen sich die Angaben auf die Jahre 18871892. Die genauen Mitgliederzahlen lauten: 1293, 1216, 1239, 1309, 1263 und 1294. Die Zahl der Börsenbesucher der Warensektion der Wiener Börse betrug im Jahr 1887 nicht 1877 - 445. Ausschließungen wegen Insolvenz nennt Endemann, Börsenbesucher, S. 392, für das Jahr 1873 lediglich für den Zeitraum des „Großen Krachs": von Ende April bis Mitte Mai 1873 waren es 265, und bis Ende Mai 1873 kamen weitere 43 wegen Insolvenz hinzu, so daß die Zahl insgesamt bei 308 - nicht bei 309 - lag. Die Ausführungen hinsichtlich der Ausschließungen wegen Insolvenz „in den letzten Jahren" nehmen wiederum Bezug auf die Jahre 1887-1892. Die genauen Zahlen pro Jahr lauten: 14, 8, 10, 20, 21 und 11. An der Börse für landwirtschaftliche Produkte wurde wegen Insolvenz oder ordnungswidrigen Betragens nach Endemann, Börsenbesucher, S.392f., auf Ausschluß in ein bis acht Fällen pro Jahr erkannt.

250

Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

Die Stellung der vereidigten Sensale ist im nächsten Abschnitt A 124 noch | zu berühren; 13 ein Vermittlungsmonopol besteht auch in Österreich nicht. Schon aus der Betrachtung dieser wesentlichen Grundlagen der bestehenden Börsenorganisationen ergibt sich der augenfällige Mangel eines wirklich organisatorischen Prinzips in der Gestaltung der binnenländischen deutschen und österreichischen Börsen, von welchen wiederum die deutschen hinter den österreichischen noch zurückstehen. Überall zeigt der Effektenverkehr am meisten die Tendenz, wenn man ihn formell oder faktisch sich selbst überläßt, Elemente von fragwürdiger sittlicher Qualität und ebenso fragwürdiger Solvenz anzusaugen, während anscheinend der Produktenverkehr umgekehrt, wenigstens in den höchstentwickelten Branchen, trotz formeller Freiheit eine gewisse Tendenz zur Entstehung exklusiver Händlerverbände von - vorerst freilich nur sehr relativ - „geldaristokratischem" Charakter erkennen läßt. - Im Allgemeinen fehlt den deutschen Börsen sonst jeder äußerlich „plutokratische" Zug,14 woraus freilich nur sehr Naive den Schluß auf eine geringere Machtstellung des Großkapitals ziehen werden. - Inwieweit die Nothwendigkeit besonderer „Zulassung" an den außer(1892) gesunken. Die Zahl der Insolvenzen war 1873 in Wien allein 309, am größten war die Zahl der Ausschließungen dieserhalb demnächst 1874 mit 121 und 1882 mit 118, hoch auch zwischen beiden Jahren, sie sank dann und bewegte sich in den letzten Jahren zwischen etwa 10 und 20 im Jahre. In der landwirtschaftlichen Börse ist der Besuch, nach einem Rückgang in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, von 950 (1869) auf 1405 (1892) gestiegen. Die Ausschließungen sind unerheblich. - Die Börsenkarte kostet eine jährlich festzusetzende Gebühr. Die Unterscheidung der Inhaber von Jahres-, Vierteljahrs- etc. Karten hat für uns geringes Interesse. |

13 Unten, S.307f. 14 Bei der Vernehmung des Bankiers Wilhelm Kopetzky hatte Gustav Cohn eine Charakterisierung der Verhältnisse der Londoner Stock Exchange als „so aristokratisch, exklusiv plutokratlsch [...], wie Sie [Kopetzky] nach Ihren Worten zu glauben scheinen", abgelehnt. Vor allem der Begriff „aristokratisch" diente dann im Verlauf der Verhandlungstage immer wieder zur Beschreibung der gegensätzlichen Verhältnisse an der Londoner und der Berliner Börse. Den Vorschlag von Wilhelm Lexis, In Anlehnung an die Londoner Verhältnisse von den Börsenbesuchern in Berlin eine Realkaution von 5000 Mark zu fordern, um „der Börse einen etwas mehr exklusiven Charakter zu geben", damit die „Börse in dieser Welse aristokratisch" würde, wies Adolph Frentzel mit dem Schlagwort „Geldaristokratie" zurück. Heiterkeit erregte es, als der Vorsitzende ihm spöttisch Ins Wort fallend bemerkte: „Eine Geldaristokratie von 5000 Mark." Börsenenquetekommission, Stert.Ber., S. 230 und 3595f.

I. Organisation

und Rechtsstellung der Börsen

251

hanseatischen Börsen einen Damm gegen moralisch unruhige Elemente bildet, hängt natürlich von der Praxis der über die Zulassung befindenden Instanzen ab. In Berlin z. B. ist es notorisch und, wie auch von den Sachverständigen bestätigt wurde, erst neuesten Datums, daß man diese Seite der Sache bei der | Zulassung ernst- A lieh in Betracht zieht,15 und es stellt das vielleicht53a) eines derjenigen „praktischen" Ergebnisse dar, welche die damals bevorstehende Börsenenquete schon jetzt im Gefolge gehabt hat. Die hierher gehörigen Fragen, welche die Börsenenquetekommission den Sachverständigen vorlegte, bezogen sich 1. auf die allgemeinen Grundlagen der Börsenorganisationen und die Zulassung zum Börsenbesuch, 2. auf die Gestaltung der Staatsaufsicht (Staatskommissar), 3. auf die Börsendisziplin (Ehrengericht), 4. auf die (schiedsrichterliche) Börsenjudikatur.16 Man kann - mit weni53a > Ebenso wie - zum Beispiel - einige später zu besprechende Änderungen in den A Schlußscheinbedingungen und eine anscheinende Verschärfung der Praxis bei der Zulassung von Papieren zum Handel. 17 |

15 So erklärte zum Beispiel der Sachverständige Heinrich Kochhann: „Bekanntlich wird zur Berliner Börse Jeder zugelassen, der Mitglied der Korporation der Kaufmannschaft ist. Mitglied der Korporation kann der Kaufmann nur werden, wenn er In einem Gesuch an das Ältestenkollegium von drei Mitgliedern der Korporation empfohlen wird. Die Börse konnte aber auch ferner Jeder besuchen, der eine Börseneintrittskarte gelöst hatte und [...] beweisen [konnte], daß der Börsenbesuch für ihn nothwendig ist oder seine Geschäfte ihn dazu veranlassen [...]. Wir haben früher niemals einen Unterschied gemacht, und erst seit Kurzem haben wir angefangen, ehe wir die Börsenkarten ertheilen, die Persönlichkeit uns anzusehen". Ebd., S.2403f. 16 Max Weber bezieht sich auf die oben, S. 217, Fußnote 20, zitierten Fragen 15-17 und 8 des Fragebogens der Börsenenquetekommission. 17 Max Weber ist auf die Änderung der Schlußscheinbedingungen nicht mehr, auf die Verschärfung der Zulassungspraxis bei Wertpapieren, unten, S. 471 und Fußnote 10, eingegangen. - Mit den neuen Schlußscheinbedingungen der Berliner Produktenbörse von 1893/94 wurde 1. die Lieferungszeit von zwei auf einen Monat verkürzt, 2. dem Käufer im Falle des Verzugs des Verkäufers das Recht eingeräumt, sich die Ware durch einen Makler effektiv beschaffen zu lassen, und 3. wurde dem Käufer gestattet, gekündigte Ware, die für nicht lieferbar erklärt wurde, zum geschätzten Minderwert abzunehmen. Übte er dieses Recht nicht aus, galt die Kündigung als nicht geschehen. - Die die Zulassung von Wertpapieren regelnden Leitenden Gesichtspunkte der Berliner Fondsbörse von 1888 erhielten im November 1894 eine neue Fassung. Dabei wurden die Vorschläge der Börsenenquetekommission, daß ausländische Wertpapiere auf deutsche Währung lauten sollten und daß bei ausländischen Wertpapieren die Angabe der Verjährungsfrist erforderlich ist, berücksichtigt. Paralleldruck der Leitenden Gesichtspunkte, alte und neue Fassung 1888/94, In: Correspondenz der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin, Jg. 18, 1895, Beilage; vgl. die Vorschläge II 4 II Nr. 2 und 5, unten, S. 490, Fußnote 56a.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

gen Ausnahmen - nicht sagen, daß die Ausbeute aus den Aussagen und gutachtlichen Äußerungen der Sachverständigen gerade über diese Punkte eine erhebliche gewesen sei, und der Bericht darüber darf sich kurz fassen. 1. Was die grundlegenden, organisatorischen Fragen anlangt, so 5 gingen ersichtlich die Kommission und fast alle Sachverständigen im Wesentlichen von Anfang an von der Meinung aus, daß eine grundsätzliche Änderung der heutigen Struktur der Börse nicht ernstlich in Frage komme. Zur ernstlichen Diskussion gestellt wurde in der Hauptsache nur die Möglichkeit und Räthlichkeit einer 10 Erschwerung der Zulassung und des Erforderns wirksamer pekuniärer Garantien. Nicht in Betracht gezogen wurde die Möglichkeit einer allgemeinen Freigabe des Zutrittes zum Börsenverkehr, man ging von der Ansicht aus, daß es sich höchstens darum handeln könne, ob für die Hansastädte der überkommene Zustand aufrecht 15 erhalten werden solle. Dafür traten die hanseatischen Sachverständigen selbstverständlich ausnahmslos entschieden ein. 18 Für den dortigen Verkehr wäre, wie unbedingt zuzugeben ist, die Beseitigung der jetzigen freien Zugänglichkeit eine schwere Belästigung. Es ist auch nicht zu vergessen, daß ein wesentlicher Theil des Pro- 20 dukten-, zumal des Produktentermin Verkehrs thatsächlich nicht A 126 frei zugänglich ist, sondern nur unter | Bedingungen, welche gegenüber denen der Berliner Börsenordnung - je nach der Handhabung - als entschieden erschwerender zu gelten haben. Der Fassung nach, der freilich die Sachlage nicht entspricht, würden sie ein 25 vom Effektivgeschäft losgelöstes Spekulantenthum geradezu ausschließen. Insbesondere gibt aber die Zulassung zur Berliner Börse die Möglichkeit der direkten beliebigen Theilnahme an der Spekulation in allen Handelsartikeln, in Hamburg formell nur an denjenigen des betreffenden Vereins; mag diese Schranke auch täglich 30

18 Für die Beibehaltung des freien Zutritts sprachen alle Hamburger Sachverständigen: Siegmund Hlnrichsen, Max Schinckel, Fritz Lappenberg, Johannes Robinow, Berthold Emil Embden, Alfred Michahelles, Oscar Schlrlitz, N.N. Horwitz, Max Eulenburg, Arthur Bördermann und Conrad Hinrlch von Donner sowie der einzige Bremer Sachverständige Johann Georg Wolde, in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 726-729, 1272, 1396, 2164, 2170, 2269, 2409f., 2608f„ 3195, 3293, 3329f. und 247.

I. Organisation und Rechtsstellung der Börsen

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durchbrochen werden 54 ', so ist ihre Existenz doch nicht etwa wirkungslos. - Sollte nun auch für den Waarenverkehr die volle Freiheit der Bewegung und die fortgesetzte Berührung mit der Außenwelt zur Zeit unentbehrlich sein, so ist doch auch für Hamburg zu bestreiten, daß ein vitales Interesse an der freien Zugänglichkeit des Fondsverkehrs bestehe; die Möglichkeit einer räumlichen und personellen Trennung des Fondshandels vom Waarenhandel, selbst wenn man nicht, was möglich wäre, den Wechsel- und Geldsortenhandel wiederum vom Fondshandel ausnimmt, und damit einer gesonderten und eventuell geschlossenen Fondsbörse ist auch für Hamburg kaum zu bezweifeln. - Sehr mit Unrecht wurde meist von der Voraussetzung ausgegangen, daß Fonds- und Produktenbörse in dieser Hinsicht gleichmäßig behandelt werden müßten. Preußische Sachverständige sprachen sich für die Zulassung z. B. auch von Landwirthen zum Produktenhandel aus,19 - eine Zulassung derselben zum Effektenverkehr würde kaum Fürsprecher gefunden haben. Die Kommission selbst hat mit dem - später zu erörternden 20 - Projekte eines Terminregisters für Waaren, unter Beschränkung der rechtlichen Fähigkeit zu Termingeschäften auf die darin Registrirten, eine verschiedene Behandlung der Produktenund Effektenspekulation vorgeschlagen; sie will nur seltsamer Weise beide umgekehrt, wie man erwarten sollte, stellen: dort eine formale Schranke ziehen, hier nur Strafbestimmungen nach Art des | Wuchergesetzes aufstellen. 21 Eine Begünstigung der Bildung ge- A 127 schlossener Berufshändlervereine für die einzelnen Hauptartikel 54) Durch Eintritt des Maklers für Außenstehende als Selbstkontrahent. Aber hier hält A 126 ihn die Kasse in festen Schranken. I

19 Theodor von Lieres, Gutsbesitzer in Schlesien, hatte für den freien Zugang zur Produktenbörse plädiert, damit „der Landwirt [...], der vielleicht mal sein Getreide an der Börse verkaufen will", nicht ausgeschlossen würde. Börsenenquetekommission, Stert. Ber., S. 2777. 20 Unten, S. 544f., 548 und 550. 21 Max Weber nimmt hier Bezug auf Börsenenquetekommission, Vorschläge III B: zum Warenterminregister, und III E 1 - 3 : zu den Strafbestimmungen beim Börsenspiel, vgl. unten, S. 9 5 0 - 9 5 4 . Die letzteren Vorschläge hatte die Börsenenquetekommission in Anlehnung an Art. 1 Satz 1 des Wuchergesetzes vom 24. Mai 1880 formuliert. Dieser lautet: „Wer unter Ausbeutung der Nothlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit eines Anderen [...]".

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

z.B. durch Delegation der Kursfeststellung an solche unter bestimmten allgemein festzustellenden Garantien55) - würde bei formell völliger Freiheit des Produktenmarktes materiell kein wesentlich verschiedenes Ergebniß herbeiführen als die förmliche Organisation der Produktenbörse als geschlossener Korporation0, wel- 5 che doch verständiger Weise gleichfalls nur nach Branchen geschehen könnte. Bei den einschlägigen Erörterungen mit den Sachverständigen haben diese anscheinend zweierlei nicht immer aus einander gehalten: die Frage der Rechtsform der Börse (öffentliche Korporation, 10 Privatverein, Veranstaltung bestimmter Organe des Handelsstandes oder des Staates, einfacher Markt), und die Frage, ob die Zulassung durch pekuniäre Garantien erschwert werden solle (Kaution, Bürgschaft), was sich natürlich mit jeder der möglichen Rechtsformen vereinigen läßt. Immerhin ist die Vermischung beider Ge- 15 sichtspunkte keine zufällige, denn wer die Beförderung des Entstehens geschlossener Börsenprivatvereine oder die Konstituirung der Börse als öffentlich kontrollirter Korporation befürwortet, will dadurch in der That die Fernhaltung „Unberufener" vom Börsenverkehr erleichtern. Und es muß als Fundamentalsatz festgehalten 20 werden, daß „ unberufen " in dem hier in Betracht kommenden Sinn vor allen Anderen der kapitalschwache, kleine Spekulant ist. Es ist erfreulich, daß dieser Satz dem Sinne nach von dem Redakteur des Deutschen Oekonomist, Christians, vor der Kommission ausgesprochen wurde56), ohne Rücksicht auf eine verbreitete Sentimentali- 25 A 128 tät57), welche das Anerkenntniß scheut, daß nur kapital | starke HänA 127

55)

Eine solche Delegation liegt, nicht der Form, aber der Sache nach in dem Verzicht der Hamburger Börse auf eine amtliche tägliche Preisnotirung in Produkten. Die Notirung liegt in Folge dessen faktisch in den Händen der oben erwähnten Vereine.22 S[iehe] unten Abschnitt II, 2. 56 > S. 1826 der Stenogramme. 23 57 A 128 > Die Abneigung der meisten größeren Börsenhändler, der Börsen|praktiker überhaupt, gegen den Ausschluß der „Kleinen" hat freilich andere, weiterhin anzudeutende Gründe. 24 o A: Korporationen 2 2 Oben, S. 2 3 6 - 2 3 8 , resp. zum folgenden unten, S. 3 5 5 - 3 6 9 . 2 3 Dieser sowie alle weiteren Seitenverweise in den folgenden Fußnoten bis einschließlich S. 271, Fußnote 104, beziehen sich auf: Börsenenquetekommission, Sten.Ber. 2 4 Unten, S.257f.

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und Rechtsstellung

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de heute die dem Börsenverkehr zufallenden Funktionen mit Erfolg in die Hand nehmen können, eine „antiplutokratische" Verfassung der Börse die Herrschaft des Kapitals im Börsenverkehr nicht schwächt, sondern nur verhüllt.25 Die „kapitallose Intelligenz", für deren Unentbehrlichkeit auch auf der Börse Frentzel mit beredten und sehr beachtenswerthen Worten eintrat58), gehört in die Kontors großer Banken, nicht in die Reihen der selbständig auf der Börse mit der Kraft ihrer Lunge arbeitenden Tagesspekulanten. Für eine allgemeine Ausgestaltung der Börsen als geschlossener Verbände, seien es öffentliche Korporationen, seien es Privatvereine gleichviel welcher rechtlichen Struktur, traten die von der Kommission vernommenen Theoretiker - entsprechend den Traditionen der wissenschaftlichen Behandlung des Börsenwesens59) - ein. So namentlich Professor Fuchs (Greifswald), der Theilung der Börsen nach Handelszweigen unter Anlehnung an die schon (in Hamburg zum Beispiel) bestehenden Organisationen empfahl und im Übrigen - während Professor Lexis an eine Realkaution von etwa 5 000 Mark dachte - Kaution durch Bürgschaftsstellung vorschlug, da, was als richtig zuzugeben sein wird, die Realkaution doch nicht so hoch bemessen werden würde, daß sie wirklich wirksam wäre60'. Lexis61) - der eine Umgestaltung der Börsen in reine Privatvereine nicht, wie Fuchs, befürwortete - wünschte vielmehr innerhalb der durch die Kaution exklusiver gestalteten Börsen die Entstehung eiS8

> S.3697. 26 S[iehe] schon Ehrenberg am Schluß seiner öfter zitirten Schrift. Ring stimmt ihm wesentlich zu. Anhänger der Inkorporirung ist auch Gustav Cohn.27 S. 3597. 61 > S. 3595 f.28 | 59)

25 Max Weber faßt die Argumentation von Wilhelm Christians zusammen, der sich ganz entschieden g e g e n „die heutige demokratische Z u s a m m e n s e t z u n g der Börse" aussprach. 26 A d o l p h Frentzel verteidigte die „an der Berliner Börse elnige[n] hundert Existenzen [...], die wahrscheinlich eine nicht viel größere Summe" als 5 0 0 0 Mark zur Verfügung hätten, als „höchst nothwendig und nützlich". Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 3595. Zur „kapitallosen Intelligenz" vgl. auch unten, S. 562 mit Anm. 11. 27 Gemeint sind Ehrenberg, Fondsspekulation, S. 221 - 2 2 7 . Ring, Börsenenquete, S. 2 8 7 - 2 9 7 . Für die Inkorporierung plädiert Gustav Cohn unter anderem In seinen Aufsätzen: Auswärtige Anleihen, S. 3 9 7 - 4 0 3 , und ders., Zur Börsenreform, S. 4 3 - 5 0 . 28 Auf diesen Seiten findet sich der Vorschlag von Wilhelm Lexis über eine Realkaution von 5 0 0 0 Mark.

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Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete

ner den agents de change ähnlichen, unter staatlicher Kontrolle stehenden Organisation der Makler, nur ohne rechtliches Monopol, 29 offenbar vertrauend, daß diese den ProduktenliquidationsA 129 kassen wesensgleiche Institution | auch im Effektenverkehr zu einer faktischen Monopolisirung des Verkehrs in kapitalstarken 5 Händen führen würde. Von den Praktikern des Fondsverkehrs stellten sich am freundlichsten zu dem Gedanken einer Inkorporirung der Börsen mit starken finanziellen Garantien die Vertreter einiger großer Emissionsbanken, Generalkonsul Russell (Diskontogesellschaft) und Ju- 10 stizrath Winterfeldt (Berliner Handelsgesellschaft) 62 ), ebenso der Inhaber einer Berliner Bankfirma, die wegen ihres Festhaltens an den guten Traditionen des Berliner Kommissionsgeschäftes bekannt ist 63 ). Von den Preßvertretern waren Dr. Bäsch. (Nationalzeitung) und Dr. Müller (Kreuzzeitung) für eine korporative Ausge- 15 staltung gleichviel welcher Form mit dem Erfolge einer Einschränkung der Besucherzahl64^, Letzterer - der übrigens mit der Schilderung anonymer „Versuchungen", die an ihn herangetreten seien, eine etwas seltsame Rolle spielte 30 - befürchtete davon allerdings A 129

«) S. 559,562. 63 > Sachverständiger Samuel S. 575.31 M > S. 1003,1828.

29 Die im folgenden zusammengefaßten Vorstellungen von Wilhelm Lexis zur Gestaltung des Maklerwesens finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 3588f. 30 Der Börsenenquetekommission berichtete Theodor Müller, wie Kollegen an ihn herangetreten wären und gesagt hätten: „.Haben Sie schon die Betheiligung an der und der Emission? - In diesen Tagen giebt die und die Bank ihre Halbjahresgratifikationen an die Presse heraus, - Sie stehen doch auch auf der Liste?' [...] Ich habe, um mich zu unterrichten, das Anerbieten, mich den betreffenden Bankdirektoren vorstellen zu lassen, einige Male angenommen, aus Händedruck und Augenzwinkern entnahm ich, daß man mir Muth machen wollte, es entspann sich ein kleines Gespräch, das ich im richtigen Augenblick abbrach, um die Herren darüber nicht im Zweifel zu lassen, daß ich die Bekanntschaft nicht zu fruktifiziren gedächte. Die Versuche, mich umzustimmen, wiederholten sich öfter [...]." Diese Art der „sogenannten Preßbeteiligung" gelte als „Gratifikation" für devote und unkritische Presseberichte über die Börsengeschäfte solcher Bankhäuser. Müller beendete seine Schilderung mit der Erklärung: „Ich will den armen Leuten, die das Geld angenommen haben, nicht einen persönlichen Vorwurf machen. Ich bin nicht in Versuchung gekommen. Ich hatte das Geld nicht nöthig. [...] Ich möchte die ganze moralische Verantwortung den Firmen und den Banken zuweisen, welche auf diese Weise für die Korruption der Presse sorgen." Ebd., S. 1865f. 31 Die Aussage des Sachverständigen Siegismund Samuel, Teilhaber des Bankhauses Jacquier & Securius, findet sich ebd., S. 574.

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und Rechtsstellung

der

Börsen

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eine Stärkung der großen Bankinstitute. An diesem Punkte setzte überhaupt die Opposition gegen den Gedanken der Inkorporation ein, welche namentlich von Maklern, aber auch von einer Anzahl von Berliner und Frankfurter Bankkommissären erhoben wurde65); nicht die „Kleinen", sondern die „Großen" seien es gewesen, welche das Nationalvermögen um die bedeutendsten Summen durch Emission schlechter Werthe geschädigt hätten. Das ist gewiß zutreffend, berührt aber die Frage nicht, ob nicht im Interesse der sozialen Gleichwerthigkeit des Börsenhändlerstandes eine untere Vermögensschranke wünschenswerth wäre - an die Möglichkeit einer oberen mit dem Zweck der Beseitigung des Einflusses der großen Häuser, ja auch nur an die Möglichkeit, innerhalb der Börse der Macht des | Großkapitals Schranken zu ziehen, denkt wohl A130 Niemand. Dagegen ist die Befürchtung einer Stärkung des Einflusses des Großkapitals durch Schaffung pekuniärer Garantie wohl kaum begründet. Es scheint ihr der unausgesprochene Gedanke zu Grunde zu liegen (namentlich bei den Maklern und kleinen Kommissionshäusern), daß die Einschränkung der Theilnehmerzahl die Beeinflussung der Kursentwicklung durch eine möglichst große Zahl von Interessenten, wie sie ein möglichst großer Markt herbeiführe, beeinträchtigen und so die Preisbildung noch mehr als jetzt dem Einfluß der großen Kapitalmächte preisgeben würde. Das ist doch recht zweifelhaft; es scheint vielmehr nach den bisherigen Erfahrungen, daß mit der „Kleinheit" des Spekulanten auch die Unmöglichkeit, überhaupt selbständige Erwägungen anzustellen und zur Geltung zu bringen, und damit die Neigung zunimmt, einer „von oben" gegebenen Parole blind zu folgen und die Kursentwicklung nach der jeweilig vorherrschenden Tendenz hin zu übertreiben, in der Hoffnung, seinerseits noch rechtzeitig vor dem Rückschlag „realisiren" zu können. - Rechtliche Bedenken - welche formell gewiß berechtigt, aber ebenso gewiß nicht unüberwindlich sind - gegen die Möglichkeit einer Änderung der Zulassungs65 ' So Benary (vereidigter Makler) S. 242, Solomon (Bankier) S. 1266f., 3 2 Bamberger (Bankier, Kommissionsgeschäft) S. 722, auch Bankier Goldberger trotz Befürwortung strengerer Grundsätze über die Zulassung: S. 719,720. Ähnlich Kopetzky (Bankier, Kommissionsgeschäft) S. 227,237. |

3 2 Die Aussagen von Emil Salomon finden sich ebd., S. 1263f.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

bedingungen erhob Mendelssohn, weil die Börsengebäude heute bestimmten Verbänden gehören, aus deren Mitteln beschafft seien und nicht ohne Weiteres ihnen zu Gunsten anders zusammengesetzter genommen werden könnten. 33 Ziemlich schroff standen sich die Ansichten der Sachverständi- 5 gen aus der Produktenbörse gegenüber. Ausnahmslos für völlige Freiheit des Zutrittes waren die Vertreter der Seestädte, auch Danzigs66), aus schon angedeuteten Gründen, 34 die in der bisherigen Entwicklung der Börsen an den Seeplätzen liegen, die aber namentlich gegen eine Auflösung der Börsen in mehr oder weniger 10 geschlossene Vereine, wie sie dort mehrfach den Handel beherrschen, nichts beweisen können. Sehr entschieden für eine korporative Organisation mit eventuell hoher Realkaution nach englischer A 131 Art (aber mit straffer Staatsaufsicht) sprach sich ein | Theil der außerhalb der großen Produktenbörsenplätze ansässigen bedeuten- 15 deren Firmen aus67), während die Berliner Firmen im Allgemeinen für Aufrechterhaltung des bestehenden Zustandes eintraten. Es ist die Meinungsäußerung der ersteren immerhin nicht ohne Gewicht: sie sind in besonders starkem Maße an der Höhe des allgemeinen Niveaus der zentralen Plätze interessirt. - Nicht ganz einstimmig 20 war auch die Ansicht der landwirthschaftlichen Sachverständigen. Graf Mirbach und Amtsrath Hagen35 (Kreis Dirschau) wünschten zwar offenbar Verschärfung der Zulassungsbestimmungen68', Amtsrath S c h m i d t (Löhme bei Bernau) fürchtete aber selbst von der Ausschließung früherer Insolventer Härten, und der schlesi- 25 sehe Rittergutsbesitzer v. Lieres10) sprach sich gleichfalls gegen zu A 130 A 131

Kommerzienrath Damme S. 2971 f. | Z.B. der Inhaber der Emmericher Firma Lensing & v. Gülpen (Kaffee) S.2158f., für Erschwerungen auch: Kommerzienrath Wilhelm (Kaffeefirma: Franz Kathreiner's Nachfolger, München), 36 wenigstens für Bürgschaft ist auch: Kommerzienrath Rosenfeld S. 2980 (Posen, Getreidefirma). M > S. 3481 f. '>'>> Ebenda. 7 °) S. 277 f.37 67)

33 Die Äußerungen von Ernst Mendelssohn-Bartholdy finden sich ebd., S. 730f. 34 Oben, S . 2 5 2 f . 35 Amtsrat H a g e n hat sich zur Frage der Z u l a s s u n g s b e s t i m m m u n g e n nicht geäußert. 36 Die Äußerung von Emil Wilhelm findet sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 2268. 37 Die Ansichten von Theodor von Lieres finden sich ebd., S. 2777f.

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erhebliche Beschränkungen der Zulassung aus. Offenbar wünschten die Sachverständigen - wie gelegentlich auch angedeutet wurde71' - die Möglichkeit offen zu halten, daß auch Landwirthe zum Verkehr unmittelbar Zutritt erhalten, und fürchteten die Monopo5 lisirung der Preisbildung durch geschlossene Verbände kapitalkräftiger Händler. Wenn unter diesen Umständen einige landwirtschaftliche Sachverständige, wie der Generalsekretär des preußischen Landwirthschaftsrathes Dr. Traugott Müller1T> und der Rittergutsbesitzer v. Lieres7i\ sich für „korporative" Verfassung der 10 Börse aussprachen, so meinten sie damit nicht eine Ausgestaltung der Börsenverfassung nach englischer Art, sondern nur eine solche Fortbildung der bestehenden Verfassung, | welche den Ausschluß A 132 moralisch ungeeigneter Elemente erleichterte. - Im Wesentlichen befanden sich also in Bezug auf die Frage der Beschränkung der 15 Zulassung die landwirthschaftlichen Sachverständigen mit der großen Mehrheit der Sachverständigen aus den Kreisen der Börsenhändler im Einklang, welche alle pekuniären Schranken - seien es Bürgschaften, seien es, was eventuell für weniger praktikabel gehalten wurde, Realkautionen - entschieden abwiesen und nur al20 lenfalls eine Verschärfung der „moralischen" Garantien auf Grundlage der preußischen Zustände: Vermehrung der Zahl der Empfehlenden, eingehendere Recherchen, protokollarische Vernehmung derselben, äußerstenfalls disziplinarisches Einschreiten gegen sie im Fall leichtfertiger Empfehlung, für thunlich hielten, 25 nur daß jene außerhalb der Börse stehenden Kreise zumeist statt solcher Schranken eine sehr energische Staatsaufsicht forderten 74 ', während die innerhalb derselben stehenden sie regelmäßig entschieden perhorreszirten. Im Übrigen verdienen über die Organisationsfrage Beachtung 30 etwa noch: einmal die Äußerung eines Hamburger Sachverständigen, welcher die lokale und personale Trennung des Termingeschäftes vom Lokoverkehr auf Grund der Erfahrungen im Ham-

71)

Sachverständiger] v. Lieres a.a.O. > S. 3095. 73 > S. 2778. | 74 > Sehr vorsichtig in dieser Beziehung und mehr für Abhilfe im Wege der Selbstver- A 132 waltung: Dr. Tr. Müller S. 3095. 72

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Die Ergebnisse der deutschen

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burger Zucker- und Kaffeehandel für möglich hielt75'; namentlich aber eine Äußerung des Grafen Mirbach über den Zusammenhang der Börsenorganisationsmit der Börsensteuerfrage,38 deshalb, weil A133 diese letztere Bemerkung in | der That einen Gedanken streift, der mehr oder weniger in der Luft liegt39 und in irgend einer Form 5 praktische Bedeutung gewinnen wird. Es ist nicht eben wahrscheinlich, daß auf die Dauer der gegenwärtige Weg der Börsenbesteuerung, der namentlich im diesjährigen Gesetz76' die Tendenz einer Todtsteuerung unliebsamer Erscheinungen an sich trägt,40 weiter verfolgt werden wird. Vielmehr wird die Möglichkeit einer 10 Kontingentirung der Steuer unter Umwandlung in eine Art Spezialgewerbesteuer für den Börsenhandel in Betracht gezogen werden müssen. Das setzt natürlich eine Organisation der Börse voraus, und es erscheint nicht ausgeschlossen, daß ein Theil der Steuer in 75 ' Eulenburg (Sprit) S. 3196, unter heftigem Widerspruch des Berliner Sprit-Großhändlers Kantorowicz. Beide Sachverständige fochten überhaupt den Konkurrenzkampf von Berlin und Hamburg im Spritgeschäft in ergötzlicher Weise vor der Kommission aus, wie denn der Sprit ein geeigneter Boden für den Lokalpatriotismus zu sein scheint: auch Levy v. Halle a.a.O. bezeichnet gelegentlich Hamburg als „ersten" Spritplatz, während Kantorowicz das Hamburger Spritgeschäft „ganz unbedeutend" (!) nannte. 41 | 76 A 133 ' Unter thätiger Mitwirkung des in den Kommissionsberathungen des Reichstags sich geradezu fanatisch geberdenden Grafen Arnim. |

38 Max Weber nimmt Bezug auf folgende Erklärung von Graf Mirbach: „Eine Organisation der Börse würde ja auch mit anderen Gebieten zusammenhängen, zum Beispiel der Börsensteuer, wo ja meines Erachtens der einzige erfolgreiche Weg der ist, daß man jede Börse mit einer Pauschale besteuert und es nun den einzelnen Börsen überläßt, das aufzubringen, so daß also jeder nach dem Umfange seines Geschäfts an dieser Abgabe partiziplrt. Dann würde sich ja manches auf dem Gebiet leichter regeln." Ebd., S. 3482. 39 Den Gedanken hatte bereits Cohn, Börsensteuer, S. 43f., formuliert. 40 Gemeint ist das Reichsstempelgesetz vom 27. April 1894. Die Steuersätze auf Umsätze in Aktien, Renten- und Schuldverschreibungen, bei Kauf- und sonstigen Anschaffungsgeschäften und auf Lotterielose wurden erheblich angehoben, zum Teil um das Doppelte und Dreifache. Graf Arnim hatte in der von Januar bis März 1894 tagenden Reichstagskommission wesentlich höhere Abgaben, vor allem für das Termingeschäft, gefordert. Sten.Ber., 1894, Band 137, S. 1285-1287; Sten.Ber., 19. April 1894, Band 135, S.22612263. 41 Der Widerspruch von Wilhelm Kantorowicz zu den Ansichten von Max Eulenburg findet sich ebd., S.3198, und die aus seiner Rede zitierten Worte ebd., S. 3183f., die Behauptung von Levy von Halle, Schmollers Jahrbuch 1892, S. 1138. - Tatsächlich wurde an der Hamburger Börse fast ausschließlich ausländischer Getreiderohspiritus gehandelt, der zur Herstellung von Rum und Genever für den Export diente. Deshalb hatte der an der Berliner Börse gehandelte ostelblsche Kartoffelrohspiritus für Hamburg keine Bedeutung.

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Form etwa einer jährlichen Lizenzabgabe von den am Handel Theilnehmenden erhoben würde. Gleichviel aber, ob gerade diese Form gewählt wird, setzt jede Besteuerung, welche von dem stets mißglückenden Versuch, die einzelnen verdächtigen Geschäfts/or5 men zu treffen, absieht und damit eine schwere Hemmung der Bewegungsfreiheit des reellen Verkehres wegfallen läßt, und vielmehr den Gewerbebetrieb des Börsenhandels als faktisch privilegirte Erwerbsquelle belastet, eine relative Geschlossenheit dieses Gewerbes voraus. Das wesentlichste Bedenken, welches aus betheiligten 10 Kreisen erhoben zu werden pflegt: es werde die Überwälzung der Steuer auf das Publikum erschwert und damit die Last zu Ungunsten der betroffenen deutschen Börsen und zu Gunsten der Fremden unerträglich gesteigert werden, ist nur insofern berechtigt, als die höheren Provisionssätze der zum Verkehr zugelassenen Komis missionshäuser, welche die natürliche Folge und die berechtigte Form der „Abwälzung" darstellen, dem deutschen Verkehr zunächst ungewohnt sein werden. Das System aber der Unterbietung konkurrirender Plätze im Preise der Leistung, wie es eine erst emporkommende Börse naturgemäß anwendet, kann abgeworfen 20 werden, wenn die Machtstellung des Platzes eine festbegründete geworden ist, wie das Beispiel der vielfach hohen Londoner Provisionen zeigt. | 2. Verhältnißmäßig wenig Interesse bieten die Äußerungen A134 über die pRäthlichkeit der p Staatsaufsicht über die Börsen durch 25 Bestellung eines ständigen Staatskommissars, der insbesondere auch den Sitzungen der leitenden Börseninstanzen, sei es formell nur mit berathender Stimme oder mit einem Stimm- oder gar Vetorecht, beiwohnen solle. Der bestehende Zustand in Preußen schließt schon jetzt die Bestellung eines solchen nicht gerade aus, 30 und jedenfalls kann die Aufsichtsinstanz Auskünfte jeder Art insbesondere von den „Ältesten" in Berlin und der Frankfurter Handelskammer einziehen - ein freilich nicht gleichwerthiges Informationsmittel. Die Stellungnahme der Sachverständigen war hier, soweit sie nicht - was bei vielen der Fall - die Tragweite des Gedan35 kens gar nicht übersahen, im Wesentlichen durch ihre Stellung innerhalb oder außerhalb der Börse gegeben. Der Hinweis

p A: Räthlichkeit, die

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Schmoller's, daß die Interessenten von einem Eingreifen des Staates „ex abrupto" mehr zu fürchten hätten, als von einer geregelten Mitwirkung eines ständigen Kommissars, 42 fruchtete bei den berufsmäßigen Händlern wenig, während ein Theil der Außenstehenden die mögliche Wirksamkeit einer „Staatsaufsicht" wohl eher zu 5 hoch anschlug. Die Argumente gegen den Staatskommissar waren die üblichen 77 '. Man berief sich auf die Unthätigkeit des entsprechenden österreichischen Instituts, meinte, daß ein Beamter niemals das zur Übersicht über die Verkehrserscheinungen erforderliche Verständniß besitze oder gewinnen werde, daß seine Mitwir- 10 kung die Thätigkeit der Organe der Börse in ihrem Interesse an der Selbstverwaltung und in ihrem Verantwortlichkeitsgefühl lähmen werde, ja - nach hanseatischen Sachverständigen - sei Gefahr vorhanden, daß der eigentliche Verkehr der Börse sich dann irgendwie als Klub konstituiren und so der Aufsicht entziehen wer- 15 de. 43 Die Freunde der korporativen Geschlossenheit der Börsen waren zum Theil eher für Verminderung der staatlichen EinmiA 135 schung 78 '. Ein Theil der Preßver|treter wollte die bestehende „ge-

A 134

11) Auf Einiges, namentlich die Wahrnehmung der politischen Interessen, ist beim Emissionswesen zurückzukommen. 4 4 78' Russell S. 569, auch Fuchs. Russell will gegen „gelegentliche" Deputirung eines Kommissars nichts einwenden. 4 6 |

42 Der Hinweis Gustav Schmollers findet sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.571. 43 Auf die Untätigkeit des österreichischen Staatskommissars verwiesen die Sachverständigen Julius Bäsch, Louis Bamberger, Victor Benary, Ludwig Cohnstaedt und Emil Russell, in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1008, 745, 263, 1825 und 559. Daß ein Staatsbeamter nicht in der Lage wäre, die Börsenverhältnisse beurteilen zu können, glaubten vor allem Landgerichtsrat Hugo Keyßner, Carl Johannes Fuchs und die Bankiers Emil Russell und Emil Salomon. Ebd., S. 572f., 3599 und 1279. Karikierende Vorstellungen von der Unfähigkeit eines Staatsbeamten an der Börse äußerte vor allem der Hamburger Kaffeehändler Johannes Robinow und fügte hinzu, daß sich die Kaffeebörse einer unangenehmen Überwachung sofort durch die Konstituierung eines Privatklubs nach englischer Art entziehen würde. Ebd., S. 2165 und 2167. 44 Unten, S.478f. (Staatskommissar), 5 2 4 - 5 3 1 (Wahrnehmung politischer Interessen). 45 Die Aussagen von Carl Johannes Fuchs und Emil Russell finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 3599 und 573.

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der Börsen

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nerelle" Staatsaufsicht aufrecht erhalten, die Hanseaten46 allgemein auch von einer solchen nichts wissen79). Die Frage des Staatskommissars wurde in der Hauptsache im Zusammenhang mit: 3. der Erörterung über die Börsendisziplin und die Einrichtung 5 eines Ehrengerichts erörtert, in welches man sich den Staatskommissar eventuell als staatsanwaltliche Instanz eingegliedert denken

79) Des Näheren muß hier folgender Hinweis auf die Stellungnahme einiger Sachver- A 135 ständiger genügen: Gegen das Institut des Staatskommissars sprachen sich von nicht der Börse Angehörigen insbesondere die beiden Vertreter der wissenschaftlichen Theorie aus, welche die Schaffung eines aristokratischen Börsenhändlerstandes für das allein sichere Mittel zur Besserung der Zustände hielten (S. 3596, 3599). Dagegen hielt Dr. Tr. Müller vom Landwirthschaftsrath ein informatorisches ständiges Staatsorgan für erwünscht (S. 3292). Andererseits trat eine Anzahl von Börsenhändlern für Kontrolle des Verkehrs durch staatliche Kommissare ein: so v. Wallenberg-Pachaly (Breslau), Wilhelm (München), 47 für einen solchen mit berathender Stimme Rosenfeld (Getreide, Posen) S. 2982, 2990, alles Vertreter kleinerer Plätze, welche wohl die Staatsaufsicht namentlich den großen, auf sie drückenden Börsen gönnten. Einen Kommissar mit den Funktionen eines Staatsanwalts beim Ehrengericht wünschte der Mannheimer Bankier Ladenburg (S. 1398). Von außerhalb der Börse stehenden Händlern trat der Vertreter einer Ascherslebener Getreidefirma (Stadtrath Ramdohr) für einen präsidirenden Staatskommissar ein;48 im Übrigen sind beachtenswerth nur die Ausführungen des mehrfach erwähnten Vertreters einer Emmericher Kaffeefirma (v. Gülpen)A9 S. 2159 f., welcher mit der Inkorporirung der Börsen nach Art der englischen zugleich eine Zentralinstanz von staatlichen Beamten, die das „Börsenregister" zu führen haben sollten, schaffen und ihnen Sitz und Stimme in dem Börsenaufsichtskollegium geben wollte. Derselbe Sachverständige forderte auch staatliche Kontrolle der Kursnotirung, die sonst wesentlich nur von agrarischer Seite (v. Graß-Klanin S. 2711) für möglich und nützlich gehalten wurde. |

4 6 Für eine Staatsaufsicht über die Börsen in allen Bundesländern nach preußischem Vorbild sprachen sich die Journalisten Julius Bäsch, Ludwig Cohnstaedt und Jacob Wiener aus. Ebd., S. 1008, 1825 und 1829. Gegen eine Staatsaufsicht waren die Hamburger Siegmund Hinrichsen, Max Schinckel, Johannes Robinow, Berthold Emil Embden, Oscar Schirlitz, N.N. Horwitz, Max Eulenburg, Arthur Bördermann und Conrad Hinrich von Donner sowie der Bremer Johann Georg Wolde. Ebd., S.746, 1282, 2168, 2170, 2409, 2611 f., 3197f., 3293, 3330 und 264. Die Hamburger Fritz Lappenberg und Alfred Michahelles äußerten sich hierzu nicht. 4 7 Die Äußerungen der Professoren Wilhelm Lexis und Carl Johannes Fuchs finden sich ebd., S. 3596f. und 3598f., von Traugott Mueller ebd., S.3096, von Gotthard von Wallenberg-Pachaly und Emil Wilhelm ebd., S. 893 und 2268. 4 8 Gustav Ramdohr wünschte sich die Einführung eines Ehrengerichtshofs unter dem Vorsitz eines Staatskommissars. Ebd., S. 2610. 4 9 Oben, S. 210, 218, Fußnote 20, S.224, Fußnote 23, und S.258, Fußnote 67. Die im folgenden zusammengefaßten Vorschläge von Alexander van Gülpen finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 2158-2160, und die von Leo von Graß-Klanin ebd., S. 2411 f.

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konnte. Auch diejenigen Sachverständigen, welche der Einrichtung des Ehrengerichtes sympathisch gegenüberstanden, lehnten dies A 136 regelmäßig ab, weil eine solche Kontrolle die Selbstzucht der Standesgenossen, auf welche alles ankomme, gefährde. 50 Dagegen traten juristische Sachverständige, namentlich die Berliner Rechtsanwälte, Justizräthe v. Simson und Lesse, für die unbedingte N o t wendigkeit einer staatsanwaltlichen Instanz für den Fall ein, daß das Verfahren vor den Ehrengerichten einen formell prozessualischen Charakter (mit Einschluß des Rechtes eidlicher Zeugenvernehmung) erhalten sollte, 51 wie dies u. a. Bankier Solomon80"1 bei etwaiger Einrichtung von Ehrengerichten wünschte, andere für unnöthig hielten. Aus Berliner Bankkreisen wünschte nur Kommerzienrath Goldberger die Betheiligung eines Kommissars 81 ). Die Frage nach der Zweckmäßigkeit der Errichtung besonderer kaufmännischer Ehrengerichte selbst wurde ohne Angabe von Gründen von den sämmtlichen Sachverständigen der Textilbranche 52 und von den Hamburger Kaffee- bezw. Getreidehändlern Embden, Robinow und Schirlitz verneint82), von dem Letzteren, weil ein Bedürfniß nach einer solchen Instanz nicht bestehe. Die ungünstigeren Verhältnisse an der Hamburger Fondsbörse kamen darin zum Ausdruck, daß der Hamburger Bankier Hinrichsen dem Institut freundlicher gegenüberstand. 53 Bezweifelt wurde die Zweckmäßigkeit auch von einem Mannheimer Getreidehändler 83 ), dem Chef der Berliner Produktenkommissionsfirma Gebr. SobernA 136

80

> S.1280. ' S. 744, 748. 54 Im Übrigen aus Börsenkreisen noch Ladenburg (Mannheim) s. Note 79. 82 > S. 2170,2099,2409. 83> Hirsch S. 3097. 81

50 In diesem Sinne äußerte sich mehrfach Emil Russell ebd., S. 559f., 569f. und 573. 51 Die Äußerungen von August von Simson und Theodor Wilhelm Lesse finden sich ebd., S. 1396. 52 Gemeint sind die Sachverständigen Fischer, Georgi, Haukohl, Hergersberg und Offermann; ihre Antworten finden sich ebd., S.3392f. 53 Die Äußerungen von Siegmund Hinrichsen finden sich ebd., S. 740. 54 Die Äußerungen von Ludwig Max Goldberger zum Staatskommissar finden sich ebd., S. 744 und 747. Goldberger, der von einer „rein bureaukratischen Bevormundung" durch einen Staatskommissar wie in Wien nichts hielt, wünschte sich eine Entsendung von Mitgliedern der Reichsbank oder der Seehandlung in die Sachverständigenkommission und in das Börsenkommissariat.

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heim84) und dem Inhaber eines Berliner Engros- und Importgeschäftes in Kaffee 85 \ Die prinzipielle Abneigung gegen den Versuch, ethische Momente in den Verkehr tragen zu wollen, kam in der Aussage des Berliner Sprithändlers Kantorowiczziemlich 5 drastisch zum Ausdruck, der im Übrigen meinte, das Erforderliche mache sich von selbst, wofür das Beispiel | einer anrüchigen Firma A 137 angeführt wurde, welche für bedeutende und durchaus sichere Offerten um dieses ihres Charakters willen keine Abnehmer gefunden habe. - Die Erfolglosigkeit einer ehrengerichtlichen Instanz 10 prognostizirten, abgesehen von den gesucht drastischen, theilweise fast zynischen Äußerungen des Handelsredakteurs des Berliner Tageblattes87^,55 insbesondere Stadtrath Kochhann88) (Berlin, Produktenkommissionsgeschäft) und der schon mehrfach zitirte56 Hamburger Sprithändler Eulenburg$9\ wesentlich aus dem glei15 chen Grunde war offenbar der Vorsitzende des Vorsteheramts der Königsberger Kaufmannschaft, Geh. Kommerzienrath Schröter9°), statt dessen für eine Verschärfung der Disziplinargewalt der BörS") 85 > 86 > 87 >

S. 2607. Joachimsthal S.2164. S. 3200 f. ] S. 1829 f. S. 2406 - 2408. 89 > S. 3196. ®°> S. 1283.57

5 5 Max Weber spielt hier auf die Antworten Jacob Wieners an. Dieser lehnte mit der Argumentation: „Ich bin der Meinung, daß es verkehrt ist, die Vorstellung erst zu wecken, als ob an der Börse das Moment der Ehre ein irgendwie ausschlaggebendes ist", ein ehrengerichtliches Verfahren ab. Vergehen sollte ein ordentliches Gericht ahnden und zwar so, „daß der Erwerb und die Thätigkeit an der Börse getroffen wird. [...] Also ich behaupte: Strafen, die den Erwerb treffen, werden wirkungsvoll sein, von Strafen, die lediglich die Ehre treffen, verspreche ich mir keinen Erfolg." Auf die Erläuterungen von Prof. von Cuny, daß es auch an der Börse „eine bestimmte Berufs- und Standesehre" gebe und daß der „moralischen Leitung der Börse" die Möglichkeit gegeben werden solle, gegen die die Berufsehre verletzenden, aber nicht unter das Strafgesetz fallenden Handlungen vorgehen zu können, antwortete Wiener: „Darauf möchte ich erwidern, daß, je weniger diese Vorstellung vorherrscht, nur die Börse um so treffender beurtheilt zu sein scheint." Ebd., S. 1829f. Vgl. hierzu die weiteren Ausführungen von Max Weber, unten, S.353f., Fußnote 1. 5 6 Direkten Bezug auf Max Eulenburg nimmt Max Weber, oben, S. 260, Fußnote 75, indirekt, unter allgemeiner Subsumierung der Hanseaten, oben, S. 252 und S. 263. 5 7 Die Äußerungen des Sachverständigen Franz Schröter finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1384f.

A 137

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senvorstände91'. Und auch wenn man die Aussagen der großen Mehrheit der aus Börsenkreisen vernommenen Sachverständigen, welche - namentlich die der Fondsbörse angehörigen - den Gedanken eines Ehrengerichtshofes theils nicht abwiesen, theils und zwar meist befürworteten, durchsieht, hat man den Eindruck einer ent- 5 schieden vorwaltenden Skepsis gegenüber jedem solchen Institut. Diese Resignation hat ihren Grund zweifellos in der stillschweigend wohl allgemein getheilten Empfindung, welcher der Sachverständige Eulenburg und weniger deutlich auch Andere Ausdruck gaben:58 ein Ehrengericht setzt eine sozial annähernd gleichartige 10 und im Durchschnitt auf einer gewissen Höhe befindliche Qualität Derer voraus, welche ihm unterstehen und an der Urtheilsfindung aktiv theilnehmen sollen, sonst ist die Möglichkeit für die Entwicklung eines maßgeblichen Ehrbegriffs nicht vorhanden. Jene Gleichartigkeit muß wenigstens in dem Sinne vorhanden sein, daß dieje- 15 nigen gesellschaftlichen Schichten, deren Vorstellungen von dem, was kaufmännisch ehrbar ist, zur Geltung kommen sollen, nicht eiA 138 ner völlig chaotischen und | diffusen Masse gegenüberstehen. Das ist aber heut der Fall und hat seinen Grund eben wiederum in den ungeheuren Differenzen der Vermögenslage unter den Börsenbe- 20 Suchern, welche die Extreme des gesammten Volkskörpers in sich schließen. So wenig sicherlich, wie Frentzel hervorhob, die kaufmännische Ehrbarkeit proportional der Größe des Vermögens steigt,59 so ist es doch gänzlich utopisch, von den kleinen Spekulanten, denen nichts zur Verfügung steht als etwas Routine, und wel- 25 che an den kleinen Tagesdifferenzen ihr Brot zu „verdienen" und in erregten Zeiten ein Vermögen zu erjagen hoffen, zu beanspruchen, daß „kaufmännische Ehrbarkeit" für sie einen irgend ver91 ' Auch andere Sachverständige zogen diesen Weg vor: so der vereidigte Makler Benary aus Berlin und Bankier Kopetzky ebendaher. S. 254,261. 6 0 |

5 8 Im folgenden faßt Max Weber die Aussage von Max Eulenburg, ebd., S. 3152, zusammen. Ähnliche Anschauungen vertraten Johannes Kaempf, Johannes Robinow, N.N. Horwitz und Wilhelm Kantorowicz, ebd., S. 894, 2099, 2609 und 3203. 5 9 Dies läßt sich der oben, S. 255, Anm. 26, bereits zitierten Äußerung von Adolph Frentzel entnehmen. Explizit in dieser Weise sprach sich Wilhelm Kopetzky aus. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 216. 6 0 Die Aussagen von Victor Benary und Wilhelm Kopetzky finden sich ebd., S.261 und 257.

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wandten Sinn haben solle mit dem, welcher diesem Wort für einen selbständigen, auf einen geordneten und kapitalkräftigen Betrieb gestützt disponirenden Händler zukommt. Beide sind etwas spezifisch Verschiedenes. Eine volkswirthschaftlich und sozial nöthige 5 Funktion versieht der kleine Tagesspekulant nicht, man kann deshalb von ihm nicht verlangen, daß er die besondere ökonomische „Ehre", welche eine solche Funktion ihrem Träger auferlegt, beachten solle. Jenes eigenartige Kollegialitätsbewußtsein, welches sich äußert, 10 wenn an der Börse für einen insolventen Makler oder Spekulanten gesammelt wird, damit er seine Differenzen zahlen könne, ist ein Ausdruck eines gewissen Verantwortlichkeitsgefühls der Gesammtheit für das Thun des Einzelnen; aber diese Verantwortlichkeit kann ernstlich gar nicht übernommen werden und wird auch 15 Dritten gegenüber, welche die Börse als solche kritisiren, von dem „ehrbaren" Börsenhändler mit dem Hinweis auf die vorhandenen „unsauberen Elemente" regelmäßig abgelehnt. Auch der Versuch einer wirksamen Ausgestaltung eines Börsenehrengerichts weist eben auf eine exklusive Börsenorganisation als Voraussetzung zu20 rück. Werden ungeeignete, zur Theilnahme am Börsenverkehr nicht berufene Elemente überhaupt zugelassen, so nützen Repressiv-Maßnahmen nichts mehr. Selbstverständlich hätten neben diese materiellen moralische Garantien zu treten. 25 Die außerordentliche Bedeutung, welche hier ein wirklich wirksames ehrengerichtliches Verfahren erlangen könnte, bedarf kaum | der Hervorhebung. Bereits in der 1892 zu Geltung gelangten, leider A 139 von einem so hervorragenden Juristen wie Wiener geschickt bekämpften Rechtsauffassung des Reichsgerichtes92' über die sog. 30 „Differenzgeschäfte" 61 war endlich die Erkenntniß zum Durchbruch gelangt, daß es an der Börse keine ihrer Rechtsform wegen objektiv reellen oder unreellen Geschäftstypen, sondern nur reelle und unreelle Personen gibt, die sich dieser Formen zu billigenswer92)

Sie wird in dem Abschnitt vom Terminhandel zu erörtern sein. 62

61 Die vom Reichsgericht bis 1892 vertretene Rechtsauffassung b e k ä m p f t Differenzgeschäft. 62 Unten, S. 5 0 6 - 5 0 9 .

A 139 Wiener,

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then oder verwerflichen bezw. wirthschaftlich sterilen Zwecken bedienen. Auf die Beurtheilung der Gesammtqualität der Person kommt es an, an sie muß man sich halten, und die Fälle, wo ein Rechtsstreit oder eventuell eine Strafanzeige die Möglichkeit gibt, ihren Manipulationen den Rechtsschutz zu versagen oder sie zur Rechenschaft zu ziehen, sind ein Tropfen im Meer und beseitigen ex post ihre schon entwickelte gemeinschädliche Thätigkeit nicht. Die Äußerungen der Sachverständigen über die Art der Zusammensetzung des Ehrengerichtes und die ihm zu unterstellenden Fälle wiederzugeben, hätte ihres zufälligen und individuellen, nicht typischen Charakters halber keinen Zweck. Auseinander gingen die Meinungen über die Gestaltung der Kompetenz desselben in persönlicher Beziehung. Sachlich waren die Freunde des Instituts meist der Ansicht, daß auch das „außerbörsliche" geschäftliche Verhalten, namentlich Schädigung von Kommittenten, heranzuziehen sei. Dagegen war fraglich, ob auch die Preßvertreter ihm zu unterstellen seien. Sie unterliegen jetzt, wie oben bemerkt, 63 einem arbiträren Ausweisungsrecht. Das wurde als ein Mittel zur Beeinflussung von dem Handelsredakteur der Nationalzeitung verworf en 93) 64 u n ( j jgj. v e r treter der Kreuzzeitung erachtete deshalb auch die Unterstellung der Preßvertreter unter das Börsenehrengericht für bedenklich, während diejenigen des Berliner Tageblatts und der Frankfurter Zeitung entgegengesetzter Ansicht waren94). A 140 Bestritten blieb ferner die Frage, | ob die Schaffung einer zweiten Instanz räthlich sei, ohne daß sachlich bemerkenswerthe Gründe für und wider zu erreichen wären. Die jetzt zulässige Verwaltungsklage gegen die gleichartigen Verfügungen der Ältesten ist einmal nicht besonders oft angestrengt - das würde anders werden, wenn 93

> S. 1005. > S. 1833-1836. 65 [

94

63 Oben, S.241. 64 Gemeint ist Julius Bäsch. 65 Gemeint sind die Redakteure Theodor Müller von der Kreuzzeitung, Jacob Wiener vom Berliner Tageblatt, der zu diesem Bereich allerdings keine Meinung hatte, und Ludwig Cohnstaedt von der Frankfurter Zeitung. Für die Unterstellung der Preßvertreter unter die Ehrengerichte trat auch Wilhelm Christians vom Deutschen Oekonomist ein. Ihre Äußerungen finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1832-1834.

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die dauernde Ausschließung in Zukunft häufiger würde95) - und ferner meist erfolglos. Was endlich die Strafmittel anlangt, so wurde die Zulässigkeit von Geldbußen kaum ernstlich befürwortet, man glaubte, mit der Befugniß zur Rüge, zeitweiligen und dauern5 den Ausschließung genügende Machtmittel gegeben zu haben und hielt im Allgemeinen wohl Geldstrafeq dem Wesen des Ehrenspruchs nicht für angemessen; es scheint, daß auch die Kommission von diesem wenig realistischen Standpunkt von Anfang an ausging. 10 4. Der praktische Werth kaufmännischer Schiedsgerichte für die Berufshändler wurde am zutreffendsten wohl von dem Breslauer Getreidehändler Stadtrath Kopisch dargelegt96). Abgesehen von der Kostenersparniß (auch da, wo das Schiedsgericht Kosten erhebt) ist es namentlich die Möglichkeit der A-limine-Beseitigung 15 von Einwendungen, deren chikanöser Charakter dem Praktiker aus der unmittelbaren Anschauung des Verkehrs heraus alsbald ersichtlich wird, welche den Vorzug des Schiedsverfahrens bildet97). Darunter dürfte sich wohl insbesondere der im Munde eines Berufshändlers stets chikanöse „Differenzeinwand" befinden. Gold20 berger wünschte deshalb die Schiedsgerichte auch in Berlin für die Fondsbörse ebenso als obligatorische Kompromißinstanz konstituirt zu sehen, wie dies schlußscheinmäßig in Breslau und an der 95

' Fälle 96 > ^

Für die von den Zusammenstellungen Endemann's umfaßte Zeit sind nur zwei A 140 lebenslänglicher Ausschließung notirt. 66 S. 2779. „Schwarzes Buch" in Breslau nach dem gedachten Sachverständigen a.a.O. 67

q In A folgt: für 66 Die gemeinte Zusammenstellung bei Endemann, Börsenbesucher, S. 386f., erfaßt die Jahre 1889-1892. In diesem Zeltraum ist in ein bis zwei Fällen pro Jahr Revision vor dem Oberverwaltungsgericht eingelegt und jeweils zugunsten der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin entschieden worden. 6 7 In das „schwarze Buch", berichtete Kopisch, werden diejenigen eingetragen, „die für den Fall der Anrufung des Schiedsgerichts sich nicht dem Schiedsgericht auch in anderer Beziehung unterwerfen; dann sagen wir unsererseits: wenn du einmal selbst unsere Hilfe in Anspruch nimmst, so sind wir auch für dich nicht vorhanden." Die Person wird dann ans Gericht verwiesen. Das Gerichtsverfahren dauere aber länger und weil es kostspieliger sei als das Schiedsgericht, seien die Börsenbesucher in der Regel bereit, sich dem Schiedsgericht zu unterwerfen. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 2779f.

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Berliner Produktenbörse der Fall ist98'. Er wünschte ferner, unter A 141 Wiedereinführung des vor der Zivil| Prozeßordnung (§ 868) bestandenen Zustandes, alsbaldige Vollstreckbarkeit ohne vorheriges Vollstreckungsurtheil des ordentlichen Gerichts.68 Daß eine obligatorische Mitwirkung juristisch vorgebildeter Richter in diesem 5 Fall oder auch überhaupt erwünscht sein würde, schien Justizrath Winterfeldt anzunehmen99', während Favreau (Leipzig) im Interesse der schnelleren Erledigung ihre Theilnahme nicht wünschte100'. Für Frankfurt, wo ein obligatorisches Schiedsgericht nicht besteht, befürwortete v. Guaita seine Einführung 101 '. Prinzipieller Gegner 10 aller Schiedsgerichte war dagegen in der Hauptsache nur - ebenso wie er gegen alle Spezialorgane irgend welcher Art eintrat - der Hamburger Sachverständige EulenburgW2\ weil er die Erfahrung gemacht habe, daß die in einem solchen Schiedsgericht sitzenden Kaufleute oft „aus guten Kaufleuten schlechte Juristen würden". 69 15 Besonders ungünstig schien ihm eine Mischung juristischer mit kaufmännischen Beisitzern, wobei die „praktische Auffassung" der Kaufleute stets gegenüber den „Gesetzesparagraphen" der Juristen den Kürzeren ziehe. Für den Fall, daß allgemein ein Verfahren mit Schriftsätzen und schriftlich begründetem Urtheil und Beru- 20 fungsinstanz vorgeschrieben würde, stellte er - seltsamer Weise -

A 141

98 > S. 682. 70 | »> S.497. 10 °) S. 682. 101 > S. 831. 102 > S. 3168 f. |

6 8 Die Civilprozeßordnung für das deutsche Reich trat am 1. Oktober 1879 in Kraft. Nach § 868 der Civilprozeßordnung sollte eine Zwangsvollstreckung aus einem Schiedsspruch nur zulässig sein, wenn ein ordentliches Gericht ein Vollstreckungsurteil ausgesprochen hatte. Das Gericht hatte den Erlaß eines Vollstreckungsurteils zu versagen, wenn einer der in §867 der Civilprozeßordnung aufgeführten Gründe vorlag, aus denen die Aufhebung des Schiedsspruchs beantragt werden konnte. 6 9 Max Eulenburg führte aus: „Ja, Ich habe, um es mit wenigen Worten zu kennzeichnen, z. B. die Erfahrung gemacht, daß Kaufleute, die in Schiedsgerichten fungiren, allmählich aufhören, gute Kaufleute zu sein, sondern schlechte Juristen werden." Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.3168. Die folgenden sinngemäß wiedergegebenen Auskünfte Max Eulenburgs finden sich ebd., S. 3169f. 7 0 Dieser und der folgende Vorschlag von Ludwig Max Goldberger finden sich ebd., S. 682 f.

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eine günstigere Auffassung in Aussicht,71 hob aber überhaupt hervor, daß die erdrückende Mehrzahl seiner Standesgenossen an den Schiedsgerichten „zäh" festhielte. Über die Art des Verfahrens vor dem Schiedsgericht - Zulassung 5 von Anwälten (meist abgelehnt) u. s. w. - förderten die Aussagen der Sachverständigen ihres individuellen Charakters wegen nichts Bemerkenswerthes zu Tage. Der Erwähnung bedarf nur noch die Besprechung der Frage, inwieweit das Schiedsgericht auf Börsengeschäfte von Nichtbörsenbesuchern erstreckt resp. ihnen durch 10 die Aufnahme des Kompromisses in die Schlußscheinbedingungen oktroyirt werden dürfe. Die Sachverständigen waren | hier getheil- a 142 ter Meinung. Während Justizrath Winterfeldtwy> Bedenken trug, seine Kompetenz über den Kreis der Berufshändler zu erstrecken, und v. Guaita für Frankfurt die Einführung nur mit Beschränkung 15 auf sie empfahl, fand Goldberger, wie es scheint, an dem an der Berliner Produktenbörse üblichen Verfahren Gefallen,72 und LadenburglW) (Mannheim) hielt die Erstreckung auch auf Außenstehende für erwünscht105'. Bemerkenswerthe Gründe finden sich nicht ausgeführt. 20 Die Berathungen der Kommission zogen nicht in Betracht: einerseits die Möglichkeit, von jeder Regelung des Börsenverkehrs abzusehen oder etwa sogar den Zutritt zur Börse da, wo beschränkende Bestimmungen zur Zeit bestehen (also außerhalb der Han103

> S.499. A 142 > S. 1389. 105) D a ß die Frage der Lieferbarkeitserklärung, welche wesentlich ausführlicher und mit positivem Ergebnisse erörtert wurde, des Zusammenhangs wegen erst in einem späteren Abschnitt besprochen werden soll, ist schon hervorgehoben. 1 Vielfach haben die Sachverständigen auf die Frage nach der Organisation der Schiedsgerichte sich nur über die Lieferbarkeit geäußert. 104

71 Ohne eine günstigere Auffassung in Aussicht zu stellen, begründete Max Eulenburg seine rein persönliche Abneigung gegen Schiedsgerichte, indem er hinzufügte: „Namentlich halte ich das nicht für richtig und zweckmäßig, daß sie keine Gründe anzugeben brauchen, und daß das Urtheil abgegeben wird ohne jede Hinzufügung von Gründen." Ebd., S. 3169. 7 2 Die Äußerungen von Max von Guaita und Ludwig Max Goldberger finden sich ebd., S. 832 und 682. 1 Oben, S. 251, Fußnote 53a mit Anm. 17. Auf die Frage der Lieferbarkeitserklärung beim Produktenhandel ist Max Weber nicht mehr eingegangen, dagegen beim Wertpaplerhandel unten, S. 497 und 516, Fußnote 59.

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sastädte), völlig freizugeben, andererseits den Gedanken einer Verwandlung der Börsen in öffentliche Korporationen oder in geschlossene Vereine nach Art der englischen Börsenklubs. Für die erste Berathung 106 ) lagen Anträge der Referenten Gamp und Frentzel über die Organisation, sowie ein begründetes Referat und 5 Korreferat beider - diese nur als Manuskript gedruckt und den Mitgliedern zugestellt - vor. 2 Vor Beginn der zweiten Berathung legte noch der demnächst ausscheidende Dr. Jürgens ein gleichfalls als Manuskript gedrucktes Referat vor. 3 Der erste Referent 107 ) ,06

> S. 170 f. der Protokolle. 4 > Der Antrag Gamp wollte die Börse als „StaatseinrichtungW deklarirt sehen und reichsgesetzlich das Erforderniß staatlicher Genehmigung, die Zuständigkeit der Landesregierung zur Aufhebung und Beaufsichtigung der Börsen, einschließlich des Erlasses A 143 von Börsenordnungen, und des Bundesraths zu allgemeinen | Anordnungen über Errichtung, Verwaltung und Schließung, und als nothwendigen Inhalt der Börsenordnungen die Feststellung der zum Handel zugelassenen Waaren und Personen, sowie der Grundsätze über die Kursnotirung feststellen. Ebenso sollte die Zulassung zur Börse allgemein geregelt werden und zwar ohne pekuniäre Garantien, nur unter disziplinarischer Haftung der erforderten fünf „Bürgen" für kaufmännische Sorgfalt bei Prüfung der moralischen Achtbarkeit des Aufzunehmenden, über dessen Aufnahme die Börsenaufsichtsbehörde - nach protokollarischer Einvernehmung der Bürgen - entscheiden sollte. Anspruch auf Aufnahme sollte jeder Händler in börsengängigen Waaren haben, unter fakultativer Zulassung der „Hilfsgewerbe", Notare, Preßvertreter. Im Übrigen lehnen sich die Abweisungsgründe völlig an die bestehenden Berliner Bestimmungen an, 5 mit unerheblichen Verschärfungen. Nur sollte die Einführung von Handlungsgehilfen nur durch die Prinzipale und für deren Geschäftsbetrieb zulässig und ihnen eigene Geschäfte gänzlich verboten sein. Ein besonderer Antrag (S. 185 f. der Protokolle) befaßte sich mit Börsenaufsicht und Ehrengericht. Die Aufsicht sollte den Handelskammern etc. übertragen werden können und diese die Disziplin handhaben, für welche sie Organe delegiren dürfen mit dem Recht, Übertretungen ihrer Anordnungen durch Verwarnung, Verweis, Ausschluß bis zu vier Wochen zu ahnden, 107

2 Zu den Anträgen und Referaten von Karl Gamp und Adolph Frentzel vgl. oben, S. 218, Fußnote 20 mit Anm. 3. 3 Die zweite Beratung begann am 10. Mai 1893. Jürgens fehlte ab der 59. Sitzung am 24. Januar 1893 ständig und wurde ab der 73. Sitzung am 10. April 1893 von seinem Kollegen Karl Theodor Gütschow vertreten. Daß Jürgens ein Korreferat „Über die rechtliche Stellung und Organisation der Börsen" eingereicht hat, wird in den Sitzungsprotokollen nicht erwähnt. Max Weber kannte vermutlich das Manuskript; vgl. auch unten, S. 274. Über die Korreferate von Jürgens berichtet Baasch, Ernst, Die Handelskammer zu Hamburg. 1 6 6 5 - 1 9 1 5 , Band 11/1: 1814-1915. - Hamburg: Lucas Gräfe & Sillem (Edmund Sillem) 1915, S.626. 4 Die erste Beratung in der 45. Sitzung am 28. Oktober 1892, die Max Weber im folgenden schildert, findet sich in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 1 7 0 - 1 7 5 . Auch die folgenden Verweise auf die Protokolle in den Fußnoten bis einschließlich S. 278, Fußnote 120, beziehen sich auf Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle. 5 Gemeint sind die Bestimmungen des § 5 der Revidierten Börsenordnung für Berlin, die Max Weber, oben, S. 2 4 0 - 2 4 2 , wiedergibt.

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wollte in stärkerem Maße die staatliche „Börsen|hoheit", der zwei- A 143 te mehr die Autonomie der Börsenorgane betonen, beide aber knüpften durchweg an die in Berlin bestehen)den Zustände an und A 144 nahmen keinerlei pekuniäre Garantien für die Zulassung in Aus5 sieht. Frentzel wollte die Frage der Zulassung überhaupt nicht allgemein regeln. Der praktisch wesentlichste Unterschied bestand darin, daß Gamp einen Ehrengerichtshof mit kontradiktorischem Verfahren und Staatsanwalt konstituiren, Frentzel die Börsenaufsichtsbehörde als solchen ausgestalten wollte, und daß der 10 Gamp'sehe Antrag als alle deutschen Börsen gleichmäßig umfassend gedacht war, Frentzel dagegen einen Zwang zur Gleichförmigkeit wohl überhaupt nicht ausüben wollte, so daß seine Vorschläge108) den Charakter eines unmaßgeblichen Sentiments der ohne Berufung an eine außerhalb der Börsenaufsichtsorgane stehende Instanz: dies im Wesentlichen eine Sanktion des in Berlin bereits (in Bezug auf die Zulässigkeit des Verweises praeter legem)6 bestehenden Zustandes, nur unter Einschränkung der disziplinarischen Ausschließung. Neben dieses Disziplinarverfahren sollte als besondere Prozedur das förmliche Anklageverfahren vor einem Ehrengericht gestellt werden gegen solche Börsenbesucher, welche „durch ihr Verhalten an der Börse oder bei Ausübung ihres Geschäftsbetriebes die kaufmännische Ehre verletzen oder sich Handlungen zu Schulden kommen lassen, welche sie der Achtung ihrer Standesgenossen berauben". Das von der Börsenaufsichtsinstanz, eventuell den Besuchern der Börse mit sieben Richtern besetzte Ehrengericht sollte eine von der Staatsbehörde zu besetzende staatsanwaltliche Instanz besitzen; der betreffende öffentliche Ankläger (Staatsbeamter) und eine aus drei gewählten Personen bestehende Anklagekommission sollte zur Voruntersuchung mit dem Recht der Requisition7 der Gerichte unter Vereidigung vernommener | Zeugen zustän- A 144 dig sein; das, auf Antrag des Anklägers, Angeschuldigten oder der Anklagekommission öffentliche, Verfahren, in welchem der Angeschuldigte sich eines Anwalts sollte bedienen dürfen, konnte nach dem Antrag auf Verweis, zeitweise und dauernde Ausschließung nach Ermessen mit Publikation - erkennen, andererseits dem Angeschuldigten eine „Ehrenerklärung" ausstellen, und seine Erkenntnisse sollten im Wege der Verwaltungsklage anfechtbar sein. 108) ihr wesentlicher Inhalt - S. 189,190 der Protokolle - ging dahin: Den Handelskammern soll die Börsenaufsicht übertragen werden dürfen (geltendes Recht); diese sollen dann die Ordnung aufrechthalten und die „Pflicht" haben, zu sorgen, daß der Börsenverkehr dem Verhalten eines ordentlichen Kaufmanns entspricht (geltendes Recht); deshalb ist von ihnen ein Regulativ über die Ahndung von Verstößen aufzustellen, wobei das Plenum als Gericht und eine Kommission als Voruntersuchungsinstanz fungirt; das Gericht soll Zeugen vereidigen können, Anwälte sollen zugelassen und gegen die Urtheile, welche auf Rüge, zeitweilige oder dauernde Ausschließung, andererseits auch auf „Ehrenerklärung" lauten können, Verwaltungsklage zulässig sein. Gegen das bestehende Recht ist 6 Hier meint M a x W e b e r die außerhalb der Statuten als D i s z i p l i n a r m a ß n a h m e eingeführte „Rüge", vgl. d a z u oben, S. 2 4 2 f . mit A n m . 82. 7 Requisition ist hier in der f o r e n s i s c h e n B e d e u t u n g von N a c h s u c h u n g , Rechtshilfeersuc h e n gemeint.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

Enquetekommission gehabt hätten. Der dritte Referent, Dr. Jürgens, vertrat im Wesentlichen nur die Berechtigung der hanseatischen Zustände auch für die Zukunft. 8 Die Diskussion ergab zunächst die Abneigung, eine Feststellung des allgemeinen rechtlichen Charakters der Börse zu geben, wie sie 5 Gamp - „Veranstaltung des Staates" - und Schmoller - „vom Staat A145 genehmigte und beaufsichtigte Veranstaltung von Gemeinden oder Handelskorporationen" - vorgeschlagen hatten. 9 Beschlossen wurde nur einstimmig und in der ersten berathenden Sitzung der Kommission109^, daß die Befugniß der Landesregierungen zur Ge- 10 nehmigung von Börsen und Börsenordnungen und Recht und Pflicht zur Beaufsichtigung derselben reichsgesetzlich festgestellt werden solle.10 Die Befugniß der Landesregierungen zur Aufhebung einer Börse konstatirte die Kommission als geltendes Recht gegen 3 Stimmen (der Hanseaten?) -, lehnte aber die reichsgesetz- 15 liehe Feststellung des Satzes ab. Anerkannt wurde die Befugniß des Bundesrathes, über die Zulassung von Waaren zum Handel und von Personen zum Verkehr an der Börse allgemeine Verordnungen zu treffen, abgelehnt dagegen die gleiche Befugniß in Bezug auf die Grundsätze der Kursnotirung, welche der erste Referent bean- 20 tragt hatte. Die Grundsätze über die Zulassung von Personen wurden mit unwesentlichen Änderungen nach dem Antrag des ersten Referenten angenommen - unter Feststellung des Verbotes der Theilnahme am Handel für die als Hilfsgewerbetreibende, Notare etc. und Preßverteter zugelassenen Personen. Betreffs der Qualität 25 der „Bürgen" bei der Einführung wurde ein Antrag Schmoller's, welcher verlangen wollte, daß mindestens einer der Bürgen entweder Mitglied der Börsenaufsichtsbehörde sein oder mit einer also nur die (faktisch schon bestehende) „Rüge" und das Recht der Zeugenvereidigung neu. | 109) A 145 S. 71 und 171 der Protokolle. |

8 Zum Referat von Alexander Carl Jürgens vgl. oben, S. 272, Anm. 3. 9 Gustav Schmoller beantragte, die Formulierung „Veranstaltung des Staates" aus dem ersten Antrag von Karl Gamp zu ersetzen: „Die Börse Ist eine durch den Staat genehmigte und unter Staatsaufsicht stehende Veranstaltung von Gemeinden oder Handelskorporationen [...]." Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 176 und 171. 10 Die im folgenden wiedergegebenen Beschlüsse der Börsenenquetekommission finden sich ebd., S. 172f. und 175.

I. Organisation und Rechtsstellung der Börsen

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Kaution von 2 000 Mark haften müsse, abgelehnt und nur ein Antrag Wiener, wonach in geeigneten Fällen Realkaution der Bürgen sollte verlangt werden können, „im Prinzip" angenommen. Damit war der in Berlin bestehende Zustand in der Hauptsache sanktionirt und auf den Versuch einer grundsätzlichen Umgestaltung der Börsenorganisation verzichtet. Die Frage der Beaufsichtigung der Liquidationskassen und die Stellung der Kommission dazu muß im Zusammenhang mit diesem Institut erörtert werden.11 Versucht wurde in der ersten Berathung noch zweierlei - beides A 146 von agrarischer Seite (Graf Arnim) - , nämlich: | 1. Dem möglichen Einfluß der mehr demokratischen Grundlage der Berliner Kaufmannskorporation durch Ersatz der „Ältesten" durch eine zu errichtende Handelskammer vorzubeugen12 und dadurch zugleich neben den Handelsinteressen den nicht am Börsenverkehr betheiligten gewerblichen Kreisen einen erhöhten Einfluß zu verschaffen. Annahme fand nur der Vorschlag des Freiherrn v. Huene: eine Prüfung über die Zweckmäßigkeit der einen oder der anderen Organisationsform eintreten zu lassen. 2. Den Landesregierungen ausdrücklich das Recht zur Bestellung eines ständigen, an den Berathungen der Börsenvorstandsorgane mit berathender Stimme theilnehmenden Staatsbeamten zuzusprechen. Der Antrag fiel, anscheinend ohne Debatte, gegen fünf Stimmen.13 Betreffs des Ehrengerichtes stellte sich die Kommission im Wesentlichen auf den Boden des Antrages Gamp, indem sie einen Börsendisziplinarhof, bestehend aus dem Plenum der Börsenaufsichtsorgane, vorsah, diesem das Recht der Zeugenvereidigung nicht zubilligte, die Stellung des öffentlichen Anklägers etwas abschwächte, dagegen die Anregung Frentzel's ablehnte, daß der jeweilige Syndikus der Börsenverwaltungsorgane dessen Stelle wahr11 Unten, S. 399, 4 0 3 - 4 0 5 und Fußnote 95. 12 Seit längerem wurde in Preußen die Frage erörtert, ob an die Stelle bestehender kaufmännischer Korporationen und Handelskammern, die nicht zuletzt auf dem Prinzip der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft beruhten, Handelskammern mit Zwangsmitgliedschaft eines erweiterten Kreises von Gewerbetreibenden treten sollten. Am 19. August 1897 ist eine entsprechende Novelle zum Gesetz über die Handelskammern vom 24. Februar 1870 beschlossen worden. 13 Die beiden Anträge brachte Graf Arnim in der 46. Sitzung am 31. Oktober 1892 ein. Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 179f. Seinen ersten Antrag zog Graf Arnim zugunsten des Antrags von Freiherrn von Huene zurück. Ebd., S. 181.

Die Ergebnisse der deutschen

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Börsenenquete

nehmen solle" 0) . In der That hätte das ein Aufgeben des Gedankens einer selbständig fungirenden Anklageinstanz bedeutet, meines Erachtens weniger wegen einer materiellen Abhängigkeit des Syndikus, als weil die Belastung desselben mit der Rolle einer Sammelstelle für Denunziationen ihn, wenn er seine Aufgabe ernst 5 nimmt, in eine auf die Dauer unmögliche und unerträgliche Stellung bringen würde, zumal die Syndikusstellen bei den Handelskammern auch an Börsenplätzen nicht selten mit zwar vorzüglich qualifizirten, aber jugendlichen Kräften besetzt zu werden pflegen.14 - Die Gründe für die Aufnahme der einzelnen an das Ehren- 10 gericht verwiesenen Fälle werden sich aus den späteren Erörterungen der einzelnen, in ihnen erwähnten Mißbräuche ergeben. 15 | A147 Nach Vernehmung der Sachverständigen vonr der Produktenbörse wurde die Berathung wieder aufgenommen. Der dazu von Gamp vorgelegte Antrag 111 ' enthielt nur insofern auch organisato- 15 rische Vorschläge für die Produktenbörse, als einerseits einige fernere, der ehrengerichtlichen Ahndung unterliegende Fälle aufgestellt wurden112', ferner eine amtliche Beaufsichtigung der Verkehrseinrichtungen der Börse (Kündigungsbureaus etc.)113), weiter A 146 A 147

ho) HD n2 ) i")

S[iehe] die Beschlüsse S. 381 f. der Protokolle. 1 6 | S. 248 f. der Protokolle. 1 7 Nr. 12 des Antrags, Nr. 20.

r A: an 1 4 Max Weber spricht hier aus Erfahrung. 1890 hatte er sich als 26jähriger um die Stelle des Syndikus bei der Bremer Handelskammer beworben. Dort war gerade Werner Sombart ausgeschieden, der die Position als 25jähriger erhalten hatte. 1 5 Welche der später von Max Weber behandelten Fälle bzw. Mißbräuche die von ihm in Aussicht gestellte Auskunft über die Gründe für ehrengerichtliche Verfahren geben sollten, läßt sich nicht mit Bestimmtheit ermitteln. Auf Nachweise solcher Erörterungen wird daher verzichtet. 1 6 Mit den Beschlüssen sind die Vorschläge erster Lesung gemeint. Gamp hatte in seinem Antrag vorgeschlagen, zum Zweck der „Vervollständigung" einer Untersuchung solle das Ehrengericht das Recht haben, „Zeugen und Sachverständige direkt vorzuladen und eidlich zu vernehmen". Ebd., S. 186. In den Vorschlägen erster Lesung ist dieser Antrag dahin gehend modifiziert worden: „Der Börsendisziplinarhof ist berechtigt Zeugen und Sachverständige vorzuladen und eidlich zu vernehmen." Ebd., S. 382. Die Ablehnung der genannten Anregung von Adolph Frentzel findet sich ebd., S. 181 und 189f. 17 Gamps Antrag, „betreffend den Produktenhandel", findet sich in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 248-253.

I. Organisation

und Rechtsstellung

der Börsen

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statt der zu verbietenden Liquidationskassen eine unter Verwaltung der Börsenorgane stehende Kasse mit obligatorischem Einschußzwang114),18 endlich Umwandlung der Makler in mittelbare Staatsbeamte mit Vermittlungsmonopol 115 ) verlangt wurde - Vorschläge, deren Bedeutung und Schicksal in andrem Zusammenhang zu besprechen ist. 19 Eingehendere Erörterungen entstanden nur über die von agrarischer Seite speziell für die Produktenbörse gestellten Petita. Im Anschluß an den von der Kommission, wie erwähnt, 20 gebilligten Antrag Huene verlangte Graf Arnimn6\ daß die für wünschensw e r t erachtete Prüfung der Zusammensetzung der Börsenverwaltungsorgane auch erstreckt werde auf die Frage, ob in den Vorständen der Produktenbörsen neben dem Handel die landwirtschaftlichen Gewerbe und die Müllerei eine entsprechende Vertretung finden sollten. Eine solche Delegation namentlich von landwirtschaftlichen Vertretern in die Börsenvorstände, welche in Ermangelung einer direkten Betheiligung der Außenstehenden am Produktenhandel dem Referenten Gamp „etwas zu weit" ging,21 wurde auch von Geh. Rath Thiel vom preußischen Landwirthschaftsministerium für den Fall der Errichtung von Landwirthschaftskammern 22 befürwortet, trotzdem aber gegen 7 Stimmen 114

> Nr. 22. > Nr. 26 und 28. 116 > Nr. IV seines S. 286 befindlichen Antrags. 23 | 115

18 Max Weber faßt hier Nr. 21 u n d Nr. 22 des Antrags von Karl G a m p z u s a m m e n . Z u m Verbot der Liquidationskassen vgl. die Ausführungen Max Webers unten, S.515, Fußnote 59. 1 9 Unten, S. 399 und Fußnoten 80 und 81, S. 401 - 4 0 3 u n d 404f., Fußnote 95. 20 Oben, S.275. 21 Max Weber schildert im f o l g e n d e n d e n Verlauf der 80. u n d 81. Sitzung am 19. und 20. April 1893, Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 319f., S.327. 22 Ein k n a p p e s Jahr nach den Erörterungen in der Börsenenquetekommission hat die preußische Regierung einen Gesetzentwurf zur Errichtung von Landwirtschaftskammern (Entwurf: Landwirtschaftskammergesetz 1) vorgelegt. Der v o m L a n d t a g v e r a b s c h i e d e t e § 2 Abs. 4 des Landwirtschaftskammergesetzes v o m 30. Juni 1894 bestimmte d a n n tatsächlich, daß in d e n Vorständen der preußischen Produktenbörsen die Landwirtschaft, ihre N e b e n g e w e r b e und die Müllerei vertreten sein müssen. Diese B e s t i m m u n g war nach V e r a b s c h i e d u n g des Börsengesetzes v o m 22. Juni 1896 eine der Ursachen für d e n Börsenstreik in Preußen im Jahr 1897. 23 Graf Arnims Antrag findet sich in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 286f., Nr. IV desselben, ebd., S. 287.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

abgelehnt. Ein modifizirter, vom Landrath v. Roeder eingebrachter A 148 An]trag117) ging dahin, die Börsenvorstände zu verpflichten, vor der Fassung von Beschlüssen, die den Handel mit landwirtschaftlichen Produkten betreffen, die Vertretungen der Landwirthschaft und Müllerei behufs Delegation einer vom Bundesrath festzuset- 5 zenden Anzahl von Deputirten mit beschließender Stimme zu benachrichtigen. Auch nachdem auf Antrag des Geh. Rath Thiel aus der „beschließenden" eine „berathende" Stimme gemacht worden war, fiel der Antrag mit Stimmengleichheit bei Stimmenthaltung des Referenten. 24 Eine Verstärkung der Börsenvorstände durch 10 mitbeschließende Deputirte außerhalb stehender Organe schien Geh. Rath Thiel eine „Auflösung der Börsenorganisation"118). Mit etwas mehr Recht betonte Frentzel, daß damit eine abgesonderte Organisation der Produktenbörse gegenüber der Effektenbörse vorausgesetzt werde. Es ist etwas auffällig, daß die Kommission die 15 Möglichkeit einer solchen Trennung offenbar gar nicht ernstlich in Betracht gezogen und deshalb dies Argument ohne Weiteres als durchschlagend angesehen hat. Was endlich die Schiedsgerichte anlangt, so nahm die Kommission ohne erhebliche Erörterungen den Antrag des Senatspräsiden- 20 ten Wiener119"* an, wonach jedes vorherige Kompromiß zwischen nicht derselben Börse angehörenden Personen - namentlich also auch Unterwerfung des außenstehenden Publikums durch Geschäfts- und Schlußscheinbedingungen - unzulässig, das Schiedsgericht also nur bei Zustimmung beider Theile zur Zeit der Erhebung 25 der betreffenden Ansprüche zuständig sein sollte. Die zweite Berathung120) ergab als wesentliche Änderung nur die Beseitigung des Rechtsmittels gegen die Ehrengerichtssprüche. - Gegen den Regierungskommissar stimmten Boisselier (Bremen), A 148

117)

S. 330 der Protokolle. Es ist aus den Protokollen nicht recht ersichtlich, wie sich diese Ansicht zu seiner anfänglichen Befürwortung des Gedankens verhält. S. 320 vergl. mit 327. 119 > Cf. S. 146 sub Nr. 3 der Protokolle. 25 12 °) S. 371 f. der Protokolle. 26 | 118)

2 4 Der Stimme enthielt s i c h der Referent Karl G a m p . Ebd., S. 327. 2 5 G e m e i n t ist Nr. 3 d e s A n t r a g s von Heinrich Wiener. Ebd., S. 146. 2 6 Die zweite Beratung findet s i c h ebd., S . 3 7 1 - 3 7 5 ; im f o l g e n d e n nimmt M a x W e b e r B e z u g auf S . 3 7 4 f . und 372.

I. Organisation und Rechtsstellung

der Börsen

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Frentzel, Mendelssohn. - Im Widerspruch mit der Vorlage namentlich des Professors v. Cuny | wurde es - leider - abgelehnt (11 ge- A149 gen 8 Stimmen), statt der Berechtigung der öffentlichen Behörden, disziplinarisch zu ahndende Handlungen von Börsenbesuchern 5 dem Börsendisziplinarhof anzuzeigen, deren Verpflichtung zu setzen. Festgestellt wurde endlich, daß die von der Kommission festgestellten organisatorischen Grundsätze für die Landesregierungen nicht schlechthin bindend sein sollten, wennschon Abweichungen unerwünscht seien: ein ausdrückliches Zeugniß dafür, daß eine io eigentlich grundsätzliche Lösung des Organisationsproblems durch die Kommission gar nicht erstrebt, also vertagt wurde. Die so zu Stande gekommenen Beschlüsse bilden Abschnitt I der Vorschläge der Kommission: Rechtliche Stellung und Organisation der Börsen 121 '. Sie bedürfen eines eingehenderen Kom-|

121

> Der Wortlaut der Vorschläge 27 ist der nachstehende:

A 149

I. Rechtliche Stellung und Organisation der Börsen. 1. Aufsicht über die Börsen. Die Genehmigung der Errichtung von Börsen, die Genehmigung oder der Erlaß der Börsenordnungen, sowie das Recht und die Pflicht der Aufsicht über die Börsen steht den einzelnen Landesregierungen zu. Die Landesregierungen sind befugt, die unmittelbare Aufsicht über die Börse den Handelsorganen (Handelskammern, kaufmännischen Korporationen) zu übertragen. 2. Obligatorischer Inhalt der Börsenordnungen. Für jede Börse ist eine Börsenordnung zu erlassen, welche Bestimmungen treffen muß: 1. über die Börsenleitung und ihre Organe; 2. über die Geschäftszweige, welche zum Gegenstand des Börsenhandels gemacht werden dürfen; 3. über die Personen, welche zum Besuch der Börse zuzulassen sind und über die Bedingungen der Zulassung; 4. darüber, in welcher Weise die Preis- und Kursnotirung erfolgt. Bezüglich Punkt 2 soll der Bundesrath befugt sein, allgemeine Anordnungen zu erlassen. | 3. Zulassung von Personen zur Börse. A 150 A. Bedingungen der Zulassung im Allgemeinen. 1. Anspruch auf Zulassung zur Börse haben diejenigen, welche Handelsgeschäfte in solchen Waaren betreiben, für deren Handel die Börse errichtet ist. 2. Die Erlaubniß zum Besuch der Börse kann unter den von der Staats-Aufsichtsbehörde festzusetzenden Bedingungen denjenigen ertheilt werden, deren Anwesenheit für 2 7 Gemeint sind: Börsenenquetekommission,

Vorschläge.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

A150 mentars nach dem Gesagten nicht; auch ist ein solcher in zulänglichem Maße in dem Bericht der Kommission gegeben. 28 | die Förderung der zu 1. bezeichneten Handelsgeschäfte von Werth ist (Hilfsgewerbe, Notare, Vertreter der Presse, frühere Kaufleute), ferner denjenigen, welche vermöge ihrer Amtspflicht die Börse besuchen. Diese Erlaubniß ist zurückzuziehen, wenn eine dieser Personen gewerbemäßig an der Börse Geschäfte abschließt. 3. Handlungsgehilfen ist der Besuch der Börse nur insoweit gestattet, als sie von den in Gemäßheit der Nr. 1 zur Börse zugelassenen Personen mit der Ausführung ihrer Börsengeschäfte betraut sind. Handlungsgehilfen dürfen an der Börse nur Geschäfte auf den Namen ihres Prinzipals und für denselben abschließen. Der Antrag auf Zulassung ist stets vom Prinzipal zu stellen. B. Antrag auf Zulassung, Gewährschaft. 1. Der Antrag auf Zulassung zum Besuch der Börse ist schriftlich zu stellen und muß von mindestens drei Gewährsmännern, von welchen jeder mindestens drei Jahre der betreffenden Börse angehört haben muß, unterstützt werden. Der Börsenbehörde steht das Recht zu, in geeigneten Fällen von den Gewährsmännern eine Realkaution zu verlangen. 2. Nach Eingang des Antrages ist derselbe mit Namhaftmachung der Gewährsmänner durch Aushang an der Börse während einer Woche zur Kenntniß der Börsenbesucher zu bringen. Nach Ablauf dieser Frist entscheidet die Börsenbehörde über den Antrag, nachdem die Gewährsmänner desselben zu Protokoll erklärt haben, daß sie nach sorgfältiger Prüfung den Aufzunehmenden für einen Mann halten, welcher der Aufnahme in die Börse und der Achtung seiner Berufsgenossen würdig ist. Wird der Antrag auf Zulassung abgelehnt, so darf derselbe innerhalb sechs Monaten nach der Ablehnung nicht wiederholt werden. A 151 Wird gegen ein Mitglied der Börse auf Ausschließung von | derselben auf die Dauer von mindestens drei Monaten erkannt, so ist zugleich zu prüfen, ob der Gewährsmann bei der Empfehlung Thatsachen gekannt hat oder bei Anwendung der kaufmännischen Sorgfalt und ernster Erfüllung der ihm durch die Empfehlung auferlegten Pflicht Thatsachen hätte kennen müssen, wonach der Ausgeschlossene der Aufnahme in die Börse und der Achtung seiner Berufsgenossen unwerth gewesen. Ist dies der Fall, so ist gegen den Gewährsmann disziplinarisch vorzugehen. Außer auf die anderen Disziplinarstrafen kann auf Absprechung des Rechts, dauernd oder zeitweise als Gewährsmann zu fungiren, erkannt werden. Die Strafverfolgung gegen den Gewährsmann tritt nicht ein, wenn zwischen der Gewährschaft und der Ausschließung mehr als fünf Jahre liegen. Die Entscheidung der Börsenbehörde über Zulassungsanträge unterliegt dem Rekurs an die Landesaufsichtsbehörde. C. Entziehung des Rechts zum Börsenbesuch. Als Gründe der dauernden und zeitweisen Entziehung des Rechts zum Börsenbesuch gelten die in § 5 Abs. 1 und 2 Ziff. 1 bis 4 der revidirten Börsenordnung für Berlin aufgeführten Gründe; hinzuzufügen ist folgende Vorschrift: Die Dauer der Entziehung im Falle der Bestrafung wegen einfachen Bankerutts wird von der Börsenbehörde festgesetzt. Personen, welche in den Zustand der Zahlungsunfähigkeit gerathen, oder bei welchen die Bedingungen der Zulassung selbst fortgefallen sind, ist der Zutritt zur Börse so lange zu verweigern, bis die Börsenbehörde auf ihren Antrag den Zutritt wieder gestattet. 28 In: Börsenenquetekommission, Bericht, S. 7 - 3 0 .

I. Organisation und Rechtsstellung der Börsen

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Hingegen muß schon hier auf zwei in ihrer Kombination für die A 151 künftige Entwicklung der Börsenorganisation aller Wahr)schein- A 152 4. Börsendisziplin. a) Im Allgemeinen. Die mit der unmittelbaren Aufsicht über die Börse betrauten Organe üben die Disziplinargewalt in derselben. Sie sind befugt und verpflichtet, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung und des Geschäftsverkehrs in der Börse nöthigen Anordnungen zu erlassen. b) Zuständigkeit des Börsendisziplinarhofes. Bei jeder Börse ist ein Disziplinarhof zu errichten, vor welchem Börsenbesucher, welche durch ihr Verhalten an der Börse oder bei | Ausübung ihres Geschäftsbetriebes die A 152 kaufmännische Ehre verletzen oder sich Handlungen zu Schulden kommen lassen, welche sie der Achtung ihrer Standesgenossen berauben, zur Verantwortung zu ziehen sind. c) Als zu ahndende Handlungen sind insbesondere anzusehen: 1. Arglistige Beeinflussung der Kurse oder Preise, insbesondere durch Scheingeschäfte, Abschiebungen, Unter-der-Hand-Regulirungen und durch Verbreitung falscher Gerüchte. 2. Die Gewährung und Annahme von Geschenken in der Absicht, Äußerungen in der Presse zu Gunsten oder zum Nachtheil gewisser Unternehmungen herbeizuführen oder zu unterdrücken. 3. Die Anwendung von Geschäftsbedingungen, welche gegen den kaufmännischen Anstand verstoßen. 4. Das Verhalten eines Emittenten, welches aus den unter II Nr. 8 („Haftung der Emissionshäuser", hier nicht mit abgedruckt - s. Besondere Beilage zum Deutschen Reichs- und kgl. Preuß. Staatsanzeiger 1893 Nr. 308)29 aufgeführten Gründen seine Schadensersatzpflicht begründet. 5. Anreizung 30 zu Börsenspekulationen, welche außerhalb des Geschäftsbetriebs des Angereizten liegen, falls sie in einer des ehrbaren Kaufmanns unwürdigen Weise erfolgen, gleichviel ob die Anreizung durch den Anreizenden persönlich oder durch Agenten, Briefe, Anzeigen, Reklamen in öffentlichen Blättern oder dergleichen erfolgt. 6. Der Abschluß von Börsengeschäften mit Handelsangestellten und Personen, die im Handelsgewerbe Gesindedienste verrichten, ohne Genehmigung der Prinzipale, desgleichen mit Kassenbeamten öffentlicher Behörden ohne Genehmigung der Dienstbehörde, bei Kenntniß dieser Stellungen seitens des Abschließenden und bei Mangel besonderer Gründe für den guten Glauben, daß die Geschäfte in den Kreis der durch die Verwaltung eigenen Vermögens der Betreffenden oder ihrer Angehörigen erforderten fallen. 7. Der Abschluß von Börsenspekulationsgeschäften mit Personen in unselbständiger oder dürftiger wirthschaftlicher Lage, oder mit Personen, deren Geschäftsbetrieb solche Abschlüsse nicht gewöhnlich mit sich bringt, in einem Umfange, der in auffälligem Miß|verhältniß zu ihrer wirthschaftlichen Lage steht, wenn diese Umstände dem Ab- A 153 schließenden bei Anwendung gewöhnlicher Aufmerksamkeit nicht entgehen konnten. 8. Die wiederholte Benutzung unkontraktlicher Waare zur Kündigung, wenn der Kündigende wußte oder den Umständen nach wissen mußte, daß die Waare den an die liefe29 In der genannten Beilage sind die Vorschläge samt Bericht der Börsenenquetekommission abgedruckt. - Abschnitt II 8 der Vorschläge betreffend die „Haftung der Emissionshäuser" zitiert Max Weber unten, S. 492f., Fußnote 56a. 30 In der Vorlage heißt es „Anregungen".

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

lichkeit nach weit bedeutsamere Beschlüsse, auf welche bei Erörterung der Kursnotirung und des Terminhandels näher einzugehen ist,31 vorläufig hingewiesen werden. | rungsfähige Qualität zu stellenden Anforderungen nicht entspricht; desgleichen alle Kündigungen ohne vorhandene Waare sowie alle Scheinkündigungen. d) Zusammensetzung des Börsendisziplinarhofes. Der Börsendisziplinarhof besteht: a) wenn die Börsenaufsicht den Handelsorganen (Handelskammer, Ältesten etc.) übertragen ist, aus dem Plenum oder aus einem Ausschusse dieser Aufsichtsbehörde; b) wenn die unmittelbare Aufsicht über die Börse von einer Staatsbehörde geführt wird, aus den Personen, welche von den Börsenbesuchern oder dem Börsenvorstand zu wählen sind. e) Regierungs-Kommissar. Die Landesregierung hat einen Kommissar zu bestellen, welchem von allen die Einleitung oder Ablehnung einer Untersuchung betreffenden Entscheidungen Mittheilung zu machen ist. Der Kommissar kann die Einleitung einer Untersuchung verlangen. Diesem Verlangen, sowie allen von demselben gestellten Beweisanträgen muß stattgegeben werden. f ) Verfahren. Wird von dem Disziplinarhof zur Vorbereitung der Entscheidung einem oder mehreren Mitgliedern die Führung der Voruntersuchung übertragen, so sind dieselben berechtigt, Zeugen nichteidlich zu vernehmen. Der Kommissar hat das Recht, allen Verhandlungen beizuwohnen. Das Verfahren vor dem Disziplinarhof ist nicht öffentlich, falls nicht der Angeklagte oder der Kommissar es beantragen. Der Börsendisziplinarhof ist berechtigt, Zeugen und Sachverständige vorzuladen und eidlich zu vernehmen. Der Angeklagte ist befugt, sich des Beistandes eines Vertheidigers zu bedienen. | A 154

g) Strafen. Der Disziplinarhof darf erkennen auf Verwarnung, Verweis, zeitweilige Ausschließung und dauernde Ausschließung von der Börse, er kann beschließen, daß und auf welche Weise das Strafurtheil öffentlich bekannt gemacht wird. Gegen das Urtheil desselben findet ein Rechtsmittel nicht statt. h) Ehrenerklärung zu Gunsten des Angeklagten. Der Disziplinarhof ist befugt, wenn durch die Verhandlung die Unrichtigkeit der der Anklage zu Grunde liegenden Thatsachen dargethan wird oder die dem Angeschuldigten zur Last gelegten Handlungen als die kaufmännische Ehre nicht verletzend angesehen werden, demselben eine Ehrenerklärung zu geben und deren Veröffentlichung zu beschließen. i) Anzeigepflicht der Behörden. Die öffentlichen Behörden sind berechtigt, die mit der Aufsicht über die Börse betrauten Organe sind verpflichtet, Handlungen der Börsenbesucher, welche einer diziplinaren Ahndung unterliegen, zur Kenntniß des Kommissars zu bringen. 31 Unten, S. 544f. und 548-550.

I. Organisation und Rechtsstellung der Börsen

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Der eine betrifft dasjenige Projekt der Kommission, welches das A 153 weitestgehende Aufsehen erregt hat und in der That die erheblichste Neuerung darstellt, welche sie überhaupt in Anregung | ge- A 154 bracht hat: das Terminregister für Waaren. Indem die Kommission in später näher zu besprechender Art 32 - die rechtliche Fähigkeit zum Termingeschäft in Produkten von der an eine (freilich niedrige) jährliche Gebühr geknüpften Eintragung in ein besonderes Register abhängig macht, ist eine personale Schranke um die Spekulation gezogen, deren Tragweite freilich erst die Erfahrung lehren müßte, und welche namentlich dann flüssig bleiben wird, wenn die örtliche Vereinigung aller Handelszweige an unseren größten Börsen bestehen bleibt. Immerhin wird Niemand eine völlige oder annähernd völlige Unwirksamkeit prognostiziren wollen. - Stark befördert aber könnte die damit | gegebene Tendenz werden durch A 155 Zulassung der Delegation der Kursnotirung an die Liquidationskassen (1,6 Abs. 2 der Beschlüsse)122), welche die Kommission nicht untersagt, sondern nur an die Mitwirkung der Börsenbehörde geknüpft hat. Erstehen in Zukunft auch außerhalb der Hamburger Börse Verbände von Produktenhändlern, so werden sie, auf die Liquidationskassen mit thatsächlich selbständiger Kursnotirung gestützt, durch das Terminregister eine rechtliche Aussonderung ihrer Mitglieder aus der Gesammtheit der Börse in weit schärferer Weise, als dies jetzt der Fall ist, durchzuführen in der Lage und auch genöthigt sein. Das wäre ein erster Schritt auf dem Wege zu englischen Börsenverfassungszuständen auf dem Gebiete des Produktenhandels. - Zumal wenn das Terminregister - entgegen den Beschlüssen der Kommission - nach Branchen spezialisirt würde, 5. Börsenschiedsgerichte. Börsenschiedsgerichte sollen sich ohne Rücksicht auf die Vereinbarungen der Vertragschließenden der Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten enthalten, wenn nicht beide Theile einer und derselben Börse angehören, oder sich zur Zeit der Erhebung von Ansprüchen ausdrücklich der Entscheidung des betreffenden Schiedsgerichts unterwerfen. Nr. 6 betrifft die Liquidationskassen. \ 122) „Denselben (den Liquidationskassen) darf die Feststellung der Kurse und Preise, A 155 sowie die Anstellung der die Kurs- und Preisnotirungen bewirkenden Personen nur unter Mitwirkung und Verantwortung der Börsenbehörde überlassen werden."33 |

32 Unten, S.544f. und 5 4 8 - 5 5 0 . 33 Max Weber zitiert Börsenenquetekommission,

Vorschläge I 6 Abs. 2.

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Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete

könnte einer Zerlegung der Produktenbörse nach Handelszweigen der Weg geebnet werden. Dagegen würde sich die Physiognomie einer nach den Intentionen der Kommission ausgestalteten Börse, soweit der Fondsverkehr in Frage kommt, nicht eben wesentlich von der heutigen des 5 Berliner Platzes unterscheiden. Eine gelinde Besserung der moralischen Durchschnittsqualität wäre wahrscheinlich zu erwarten, ebenso Abschneidung gewisser extremer Auswüchse; die an sich nicht zu leugnende Tendenz zur Abstreifung mancher Kindheitsunarten würde an dem Ehrengericht eine Stütze finden. Immerhin 10 würde der Fondsverkehr keine erheblichen Impulse zur spontanen Entwicklung kapitalstarker, zur Ausübung seiner wirthschaftlich nothwendigen Funktionen unentbehrlicher Verbände aus dem empfangen, was die Vorschläge der Kommission für die Börsenorganisation bieten, - eher wird umgekehrt der bestehende Zustand 15 perpetuirt werden. Das ist um so unbefriedigender, als durch die größere Abschließung des Produktenverkehrs die Spekulation UnA 156 berufener | in noch verstärktem Maße dem Fondsverkehr zugedrängt werden wird, wo die (mit einer Stimme Mehrheit erfolgte) Ablehnung des Terminregisters34 ihr die Thür öffnet. Anscheinend 20 wird der Gesetzentwurf - sofern Zeitungsnachrichten Glauben geschenkt werden darf 35 - die Rechtsgleichheit beider Verkehrszweige durch Erstreckung des Registers auf den Fondsverkehr herzustellen suchen. Alles in Allem aber wird man sich darauf gefaßt machen müssen, 25 daß die Frage der Börsenorganisation von einer anderen Seite derjenigen der Steuergesetzgebung - neu angeschnitten werden wird, und dann wird die doch etwas zarte, moralisirende Hand der Kommission vielleicht durch ein kräftigeres, an höchst materielle Interessen der Börsenhändler selbst appellirendes organisatori- 30 sches Zugreifen abgelöst werden.

34 In der ersten Lesung des Plenums wurde der Antrag Kanitz, das Terminregister auf den Etfektenverkehr auszudehnen, mit sieben gegen sechs Stimmen abgelehnt, in der zweiten Lesung mit fünfzehn gegen sechs Stimmen. Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 366 und 418. 35 Ende Oktober 1894 berichtete der Berliner Börsen-Courier über das Gerücht, die Bundesratskommission wolle auch für die Fondsbörse das Börsenregister einführen. BBC, Nr. 501 vom 25. Okt. 1894, Ab.BI., S. 1.

II. Maklerwesen und Kursnotirung 123 '. 1. An den Effektenbörsen 124 ). Das Maklerwesen befindet sich an den größeren Effektenbörsen zur Zeit derart in einem Übergangsstadium, daß selbst | die wirth- A 157 m) Im Fragebogen bezogen sich darauf: A 156 Frage 10:1 Genügt das an den einzelnen Plätzen bestehende Verfahren bei Feststellung der Kurse - für Termingeschäfte und Kassageschäfte - seinem Zweck oder bedarf dasselbe der Verbesserung, eventuell in welchen Punkten? Würde sich eine Eintheilung der Börsengeschäftszeit in mehrere feste Abschnitte mit jedesmaliger offizieller Feststellung der Preise empfehlen, namentlich um das sogenannte „Schneiden" im Kurse zu beschränken und auf diese Weise für den Zeitpunkt einer Kommissionsausführung eine Vermuthung zu begründen? Würde sich die Einführung der englisch-amerikanischen Einrichtung empfehlen, nach welcher sämmtliche Geschäfte in ein „quotation book" nach Zeit, Preis, Abschlußsumme und Namen der Kontrahenten eingetragen werden? Würde sich die Einführung von diesen Feststellungen entsprechenden Kurszetteln empfehlen? | Frage 11: Empfiehlt sich die Einführung einer einheitlichen Kurs- und Preisnotirung A 157 für sämmtliche deutsche Börsen? Frage 12: Empfiehlt es sich, für Getreide eine möglichst einheitliche Preisnotirung herbeizuführen? Frage 13: Ist insbesondere dafür zu sorgen, daß die bei Feststellung der Kurse mitwirkenden Makler von der Betheiligung an den zu Grunde liegenden Geschäften ferngehalten werden? Ist deshalb auf strenge Befolgung des Verbots von Handelsgeschäften für eigene Rechnung (HGB. Art. 69 Nr. 7) 2 zu halten, und ist dies mit Erfolg möglich? Kann mit Erfolg dem Institut der sogenannten Strohmänner, welche statt der Makler die fragliche Verpflichtung 3 übernehmen, entgegengewirkt werden? Muß nicht wenigstens darauf gehalten werden, daß die Makler sogleich die Namen der Kontrahenten in das Tagebuch und in die Schlußnote aufnehmen (HGB. Art. 72, 73), anstatt sich die „Aufgabe" vorzubehalten? Ist das Maklergewerbe wieder in ein eigentliches Offizialgewerbe mit ausschließlichen Rechten und streng kontrollirten öffentlichen Pflichten zu verwandeln, oder ist das Maklergewerbe frei zu geben und in anderer (eventuell welcher?) Weise für eine richtige Kursfeststellung zu sorgen? Frage 14: Haben sich aus der Existenz und dem Betriebe der sogenannten Maklerbanken gemeinschädliche Übelstände ergeben, und wie ist denselben eventuell zu begegnen? ,24 > An Sachverständigen-Äußerungen über das Effekten-Maklerwesen sind beachtenswerth besonders: für Berlin: Bankiers: Sachverständiger] Kopetzky (S. 193 f., 276),

1 Die Frage 10 des Fragebogens ist hier mit den Ergänzungen (Abs. 2 - 4 ) der Anlage zum Fragebogen wiedergegeben. 2 Gemeint ist Art. 69 Nr. 1 HGB. Dieser wie die im folgenden genannten Artikel des HGB sind unten, S. 961, abgedruckt. 3 Im Fragebogen heißt es „Verbindlichkeit".

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schaftliche Begriffsbestimmung dessen, was heute unter „Makler" A 158 verstanden wird, Schwierigkeiten macht, ein einheitlicher Rechtsbegriff des Maklers aber schlechterdings nicht aufzustellen ist 125 ', sondern nur vielleicht gewisse aus der funktionellen Natur der 5 Maklerthätigkeit folgende, gemeinsame, dispositive Rechtssätze. Der „historisch überkommene" Begriff ist bekanntlich der des bloßen Vermittlers zwischen am Ort anwesenden Parteien, welcher diese Parteien behufs Abschluß des Vertrages persönlich zusammenführt oder als nuntius die beiderseitigen, den Vertrag perficirenden4 Erklärungen überbringt und entgegennimmt, das zu Stan- 10 de gekommene Geschäft in typischer Form durch Schlußnotenzustellung beurkundet und sein Entgelt in Gestalt der Courtage erhält. Das Handelsgesetzbuch5 hat diesen Charakter für die von ihm allein behandelten, amtlich bestallten und vereidigten Makler dadurch mit Garantien zu umgeben versucht, daß es diesen Maklern 15

Justizrath Winterfeldt von der „Berliner Handelsgesellschaft" (S. 327 f.), 6 Kommerzienrath Goldberger (S.706f.), Bankier Bamberger (S.711f.), Bankier Salomon (S. 1246f.), Stadtrath Kaempf (S. 870f.); vereidigte Makler: Benary (S. 200f.), Lehmann (S. 1674f.); Vertreter der Maklerbanken: Alexander (Berliner Makler-Verein - S. 541 f.); für Frankfurt: Bankier Goldschmidt (S. 1685 f.); für Hamburg: Bankier Hinrichsen (S. 689 f.); für Bremen: Bankier Wolde (S. 204); für München: Maier (S. 1689 f.); für Leipzig: Direktor der Kreditanstalt Favreau (S. 688,713); für Dresden: Bankier Arnhold (S. 206 f.); für Breslau: Bankier v. Wallenberg-Pachaly (S. 858 f.). | A 158 Aus der Literatur ist zu verweisen - außer auf Struck's zitirtes Werk und Siegfried's Darstellungen der Berliner Kursnotirung in seiner Ausgabe von Saling's Börsenpapieren - wiederholt auf die Abhandlung von Ring: Der Maklergesetzentwurf, Berlin 1886, und die Darstellung der Entwicklung des hanseatischen Maklerwesens von Levy v. Halle in Schmoller's Jahrbuch 1892.7 - Die Anträge der Sachverständigen sowohl wie die Erörterungen der gedachten Schriften sind in der nachstehenden Skizze nicht in jedem Falle zu den einzelnen Stellen, wo sie benutzt sind, besonders zitirt. 125 ' S[iehe] schon Laband in Beseler's Zeitschr. f[ür] deutsches] R[echt] XX. 8 |

4 Hier im Sinne von „zum Abschluß bringen". 5 Max Weber gibt im folgenden die Bestimmungen der Art. 66 und 69 Nr. 1 HGB wieder. 6 Die hier und im folgenden genannten Seitenangaben beziehen sich auf Börsenenquetekommission, Sten.Ber. Die Äußerungen von Wilhelm Kopetzky finden sich ebd., S. 193f. und 246, und von Max Winterfeldt, ebd., S. 527. Der unten für München angeführte Gustav Maier stammte aus Frankfurt. Über das Effekten-Maklerwesen in München berichtete Johann Karl Weidert, ebd., S. 1659-1661. 7 Max Weber verweist auf seine erste Erwähnung der Arbeiten von Struck, Effektenbörse, sowie Siegfried, Saling's Börsenpapiere, Ring, Maklergesetzentwurf, Levy von Halle, Schmollers Jahrbuch 1892, oben, S. 215, Fußnote 19. 8 Max Weber zitiert Laband, Mäkler, S. 25.

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einerseits den persönlichen Betrieb und Verkehr mit den Parteien gebot und andererseits ihnen Geschäfte auf eigenen Namen und für eigene Rechnung sowie Übernahme der Bürgschaft für ihre Abschlüsse untersagte. Ein Vermittlungsmonopo/ besitzen diese amtlichen Makler da, wo sie in Deutschland bestehen, nirgends, andererseits besteht das Institut zwar an den preußischen Börsen durchweg und ebenso in Bayern, Sachsen, Württemberg, dagegen nicht in den Hansastädten, woselbst vielmehr völlige Freiheit des Maklergewerbes herrscht. In ihrer vom Handelsgesetzbuch vorausgesetzten Funktion als bloße Vermittler im Rechtssinn ohne jegliche Übernahme eigener Haftbarkeit bestehen nun die vereidigten | Makler thatsächlich nur noch an einigen kleinen Börsen: so - nach A159 Angabe der Sachverständigen9 - Stettin, Königsberg, München. In Breslau wird im Disziplinarwege, eventuell durch Amtsenthebung, auf die Innehaltung des Verbots, zu der sich die vereidigten Makler bei der Anstellung besonders schriftlich verpflichten müssen, hingewirkt. Doch ist einerseits die Entdeckung von Übertretungen erschwert, und es ist andererseits mehrfach vorgekommen, daß gewissenhafte vereidigte Makler gegenüber der Unmöglichkeit, ihrer Verpflichtung nachzukommen, auf ihr Amt verzichtet haben1253). An der Frankfurter Börse besteht das Verbot der Bürgschaftsübernahme für die vereidigten Makler nicht, während die Berliner Börse an den Bestimmungen des Handelsgesetzbuch's auf dem Papier festhält, thatsächlich aber - aus alsbald zu erörternden Gründen 10 125a) Ein Vorgang, dessen massenhaftes Vorkommen in Hamburg seinerzeit die Auf- A 159 hebung des Instituts herbeiführte.11 |

9 Diese Auskünfte gaben: zu Stettin Rudolf Abel, zu Königsberg Robert Simon, zu München Wilhelm Finck und zu Breslau Gotthard von Wallenberg-Pachaly. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 203, 1673, 1253 und 858f. 10 Unten, S.313f. 11 Mit der Einführung des HGB am 1. Mal 1866 in Hamburg gaben von den bis dahin 762 vereidigten Maklern an der Hamburger Börse 594 Ihr Amt auf. Nach weiteren vier Wochen resignierten nochmals 61 Makler. Die Reform der Rechtsstellung der Handelsmakler durch das HGB traf die vereidigten Makler in Hamburg besonders, da ihnen das bisherige hamburgische Recht Bürgschaftsleistung, Übernahme zu fixen Preisen und Annahme von Aufträgen seitens Abwesender gestattet hatte. Die Verringerung Ihrer Anzahl führte zur Abschaffung des Instituts der beeidigten Makler am I.Januar 1871. Bremen hatte mit der Verordnung des Bremer Senats, den Betrieb des Mäklergeschäfts betr., vom 3. Mai, publ. 6. Mal 1867 das bisherige Makleramt aufgehoben. Struck, Effektenbörse, S. 215 und 218.

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- weder hindern kann noch will, daß die Verbote theils geradezu, theils auf einem bald zu besprechenden Umwege trotz des Eides umgangen werden. Die unvereidigten Makler betreffen sie ohnehin nicht. Die Unmöglichkeit, einen einheitlichen Rechtsbegriff des Maklers aufzustellen, welcher für alle deutschen Börsen oder innerhalb einer Börse für die vereidigten und unvereidigten gleichmäßig Geltung beanspruchen könnte, ergibt sich schon hieraus allein und wird durch die Einzelerörterung noch deutlicher werden: der Makler ist theils sofort, theils in eventum, theils für alle Geschäfte, theils für Bruchtheile (die sog. „Spitzen"), theils gar nicht Kontrahent auf eigenen Namen, er ist es theils gar nicht, theils zum Theil, theils immer für eigene Rechnung. Wirthschaftlich betrachtet ist er theils Mittelsperson gegen eine nach dem ökonomischen Effekt seiner Leistung abgeschätzte Gebühr, (nicht: Arbeitslohn im ökonomisehen Sinn), theils wird seine Leistung durch Unternehmergewinn (Differenzen) entgolten, theils durch Kombination von beiden. Eine - wenigstens im Wesentlichen - einheitliche Grundlage für A160 die Begriffsbestimmung des Maklerthums ist daher nur, | wenn man von der funktionellen Seite ausgeht, zu gewinnen, also wenn man fragt, welchem wirthschaftlichen Zweck das Institut dienen soll. Hier unterscheidet sich der Makler zunächst vom Kommissionär, und zwar von diesem durch den Personenkreis, welchem er als Organ dient. Der Kommissionär ist funktionell die Instanz, durch deren Vermittlung hindurch Außenstehende gegen Entgelt am Börsenverkehr theilnehmen und auf deren Dienste sie auch bei formal freiem Börsenzutritt regelmäßig angewiesen sind, weil ihnen die berufsmäßige Kenntniß des Marktes abgeht. Der Makler dagegen ist ein Organ, welches innerhalb des Kreises der berufsmäßigen Besucher der Börse funktionirt, als diejenige Instanz, welche die Zusammenführung von Angebot und Nachfrage, welche in einem bestimmten Zeitpunkt an der Börse, sei es für Rechnung Außenstehender (des Publikums), sei es von Eigenhändlern innerhalb der Börse, vorhanden sind, in seiner Person bewerkstelligt. Sein Geschäftsbetrieb spielt sich innerhalb der Börsenversammlung, „inter praesentes", ab. Dem entspricht in Deutschland das Verbot der Entgegennahme von Aufträgen a anders als3 von Mund zu Mund a A: anders, als

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für die vereidigten Makler - HGB. Art. 69 Nr. 212 ein Verbot, auf dessen Beachtung überall, wo die vereidigten Makler existiren, auch in Berlin, mit mindestens annäherndem Erfolge gehalten wird. Aber auch außerhalb des Kreises der amtlichen Makler ge5 hört dies Moment zu denjenigen, welche dem börsenmäßigen Maklergewerbe charakteristisch sind. Daß ein Theil der unvereidigten (namentlich der durch den Kredit der Maklerbanken gedeckten) Makler regelmäßig am Arbitragegeschäft zwischen den verschiedenen Börsenplätzen betheiligt sind126), ist nur eine der io Folgen des Umstandes, daß die einzelnen Plätze als Gesammtheit sich wirthschaftlich bereits einer Einheit annähern. Daß ferner die unvereidigten Makler | - namentlich die größeren Maklerfirmen - A161 nicht selten die Funktionen eines Kommissionärs mit der Mäkelei im eben angenommenen Sinne verbinden, also auch Aufträge von 15 auswärts und aus dem Privatpublikum - dies besonders in Hamburg - entgegennehmen, berührt gleichfalls die Feststellung der begriffsv/esentlichen Merkmale des „Maklers" nicht: nicht diese, vielleicht im konkreten Geschäftsbetriebe quantitativ überwiegenden Grenzüberschreitungen bilden den Typus, sondern jenes im 20 begrifflichen Sinne „normale" Verhalten. Der ganze Geschäftsbetrieb des Maklers scheidet ihn normalerweise schon rein äußerlich, durch die Abwesenheit der dem Betriebe des Kommissionärs unentbehrlichen Einrichtungen und des Personales für die Führung umfangreicher auswärtiger Korrespondenzen, von diesem. So oft 25 sich diese Arbeits- und Funktionstheilung verwischen mag, stellt

126)

In Berlin befaßt sich die „Bankier-Vereinigung für die Interessen der Börse" A 160 regelmäßig von Zeit zu Zeit auch mit der Frage, wie gegen diejenigen Maklerfirmen vorgegangen werden könne, welche nach anderen Plätzen handeln, so erst im vergangenen September. 1 3 |

12 Max Weber gibt hier die Bestimmungen des Art. 69 Nr. 6 HGB wieder. 13 Max Weber stützt sich vermutlich auf folgende Pressemitteilung: „Nach einer Pause ist die Banquier-Vereinigung für die Interessen der Fondsbörse wieder einmal zusammengetreten, um sich mit dem schon so oft gestellten Antrag zu beschäftigen, wie gegen jene Maklerfirmen vorzugehen ist, die mit anderen Plätzen handeln." FZ, Nr. 269 vom 28. Sept. 1894, 2. Mo.BI., S. 3. Über eine Beschlußfassung des hier gemeinten Vereins für die Interessen der Fondsbörse wurde nicht berichtet.

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sie sich doch in irgend einer Form wieder her, weil sie in der Natur der Sache liegt127). Nicht ganz so leicht ist die Abgrenzung des Maklerbegriffs (im wirthschaftlichen Sinne), wenn man die unvereideten Makler mit einschließt, gegenüber den berufsmäßigen Eigenhändlern (Speku- 5 lanten) innerhalb der Börse zu ziehen. Diese Grenze ist durchaus A162 flüssig, und im einzelnen Fall für eine konkrete Person | ist die Frage häufig überhaupt nicht zu beantworten - und deshalb in diesem Fall müßig - , ob Jemand als „Makler" bezeichnet zu werden verdient oder nicht. Das hindert aber nicht, daß die beiden Katego- 10 rien, zwischen denen diese Übergangsstufen bestehen, nicht nur faktisch, sondern begrifflich völlig nach ihrer funktionellen Bedeutung zu scheiden sind. Der Unterschied liegt darin, daß der Makler als solcher nicht, im engeren Sinne, „spekulirender" Unternehmer ist, d.h. nicht auf zukünftige Konjunkturen und Verschiebungen in 15 der Preisbildung spekulirt. Nicht als solcher, - d. h. wenn er es thut, so geschieht es zum Theil per nefas,14 und wo dies nicht der Fall, fällt es jedenfalls aus dem Rahmen seines Maklergewerbes heraus. Der Natur des letzteren würde er dann am vollkommensten gerecht, wenn er täglich „glatt" von der Börse ginge, d. h. nicht bela- 20 stet mit einseitigen Engagements, sondern nachdem es ihm gelungen ist, für alle Kaufengagements, welche er von der einen Seite übernimmt, entsprechend hohe Verkaufsengagements zu beschaffen. Die „legitime" Spekulation (im engeren Sinne, also mit Ausschluß der Arbitrage und der Mäkelei) belastet sich mit Engage- 25 ments, deren Abwicklung durch Realisationsgeschäfte nach längeA 161

127 ' Anders liegt es freilich da, wo der Zutritt zur Börse völlig frei ist, wie in Hamburg und Paris. Hier nehmen die Makler resp. agents de change Aufträge auch von Privatpersonen entgegen, so daß die Dazwischenkunft des Kommissionärs als überflüssige Zwischeninstanz umgangen wird. Allein damit wird der Makler an sich noch nicht zum Kommissionär. Die Rechtsstellung des agent de change ist besonders geregelt, und auch in Hamburg würde ein gewerbsmäßiger Makler in einem solchen Falle für sich keineswegs ohne Weiteres die Rechte eines Kommissionärs, weder gegen seine Auftraggeber (Pfandrecht etc.), noch gegen die Gegenkontrahenten (einseitige Vertretung der Interessen des Auftraggebers) in Anspruch nehmen können. Die Zwischeninstanz ist ausgefallen - nicht aber: der Makler ist Kommissionär geworden. Er wäre es sonst in Bezug auf dasselbe Geschäft nach beiden Seiten hin. Wohl aber ist er eventuell rechtlich wie ein Selbstkontrahent bezw. wie ein Verkäufer zu behandeln. |

1 4 Veraltet für: auf widerrechtliche Weise.

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ren, oft mehrwöchentlichen, unter Umständen mehrmonatlichen Zeiträumen in Aussicht genommen wird, sie beruht auf der Erwartung von Änderungen, welche die Stimmung der Börse bezüglich des Verkehrswerthes eines Papiers künftig in einer bestimmten 5 (Hausse- oder Baisse-)Richtung erleiden werde. Die „legitime" Funktion des Maklers im weitesten Sinn dagegen besteht in der Beobachtung und Ermittlung der Stimmung, welche gegenwärtig am Markt bezüglich des Verkehrswerthes eines Papiers besteht. Daß es dem Spekulanten nur erwünscht ist, wenn sich die Stim10 mung so rapide in dem von ihm erwarteten Sinne umgestaltet, daß er das eben eingegangene Engagement alsbald mit Gewinn realisiren kann, ist selbstverständlich, aber nicht typisch für ihn. Daß andererseits der Makler in dem hier gebrauchten weiteren Sinn nicht immer völlig oder annähernd „glatt" von der Börse gehen kann, 15 sondern an großen Börsen sogar ziemlich regelmäßig einen | Bruchtheil der von der einen (Käufer- oder Verkäufer-)Seite ihm A163 zufließenden Engagements nicht nach der anderen hin auf einen Gegenkontrahenten abwälzen kann, ist ebenfalls wahr, bedeutet aber nur, daß der normalerweise erstrebte Zweck nicht immer er20 reicht wird128'. Daß die Gebahrung des Maklers und des Spekulanten in concreto ebenso wie die des Maklers und Kommissionärs häufig in einander überfließen, hat nur zur Folge, daß es verkehrt wäre, sich diese Kategorien als praktisch absolut scharf geschiedene Personenklassen zu denken; - ebenso falsch aber wäre es, wenn 25 man ihre Funktionen begrifflich nicht von einander scheiden wollte, und auch in praxi bilden diese funktionellen Unterschiede ein Prinzip der Gliederung des Börsenpersonals, welches auch an der Effektenbörse keineswegs eine unterschiedslose Masse von heute 12S ' Besonders oft tritt der Fall in Papieren ein, in denen Angebot und Nachfrage kei- A 163 nen kontinuirlichen Charakter haben (die in London sogenannten „papers out of the way"). 15 Richtig ist auch, daß eine kleinste, kreditlose Spekulation, weil sie zu einer Erstrekkung ihrer Engagements auf längeren Zeitraum gar nicht im Stande ist, ihr Brot in der Ausnutzung der Fünf- bis Zehn-Pfennig-Differenzen des einzelnen Börsentages sucht: sie ist aber eben überhaupt eine Schmarotzerpflanze, welche den Kalkül durch Routine ersetzt und wirthschaftlich steril ist. |

15 Als „papers out of way" definiert Struck, Effektenbörse, S. 16f., die nichtkurrenten, nichtmarktgängigen Papiere, nach denen wegen ihrer geringen Rentabilität bei der Spekulation wenig Nachfrage herrscht.

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als Arbitrageurs, morgen als Makler, übermorgen als Kommissionäre und daneben als Terminspekulanten sich bethätigenden Personen ist. Eine immerhin annähernde Arbeitstheilung ist, je größer die Verhältnisse des Marktes sind, um so unentbehrlicher. Die Funktion, welche hiernach dem Makler eigenthümlich ist: daß er den Begehr nach Kaufengagements, welcher von der einen Seite an ihn herantritt, nach der anderen weitergibt und umgekehrt, und so den Ausgleichungspunkt des Verkehrs bildet, kann in verschiedene äußere Formen gekleidet werden. Zunächst die beiden Extreme: das eine ist die relativ unselbständige Rolle des bloß vermittelnden Maklers der kleinen Börsen. Er nimmt die Offerten von der einen Seite entgegen und sucht einen Gegenkontrahenten. A 164 Findet er ihn zu den gestellten Bedingungen, so führt er die Parteien zusammen, findet er ihn nicht, so unterbleibt die Ausführung des Auftrags. Das Geschäft perfizirt 16 sich weder in seiner Person, noch übt er regelmäßig einen Einfluß auf die Gestaltung des Preises aus. Das andere Extrem ist der „dealer" der Londoner Stock Exchange. Meist übersetzt man wie bekannt dealer mit „Händler" und die zweite Hauptkategorie der Besucher der Stock Exchange den broker - mit „Makler". In Wahrheit ist der broker der Londoner Fondsbörse129^ ein Kommissionär, d. h. derjenige, welcher die Aufträge des außerbörslichen Publikums, wozu hier ja z. B. auch die bankers gehören, an die Börse bringt, der dealer aber nimmt wirthschaftlich diejenige Funktion wahr, für welche bei uns die Makler bestimmt sind. Der dealer der Stock Exchange 130 ) ist die A 164

129) D i e brokers im Produktenhandel in London sind dagegen theilweise Makler in dem hier festgehaltenen Sinn. Sie nehmen vielfach eine ähnliche Stellung wie die Makler der Liquidationskassen bei uns ein. 130) v g l Struck a.a.O. passim. 17 Ehrenberg (Fondsspekulation S. 222) bezeichnet den dealer als einen „Spekulanten vom reinsten Wasser", meines Erachtens mit Unrecht, wennschon sonst sein Tadel der Struck'sehen etwas einseitigen Aufstellungen nicht ganz unberechtigt sein mag. Der Geschäftsbetrieb des dealer enthält die gleichen Merkmale, um deren willen wir bei uns die unvereidigten Makler als „Makler" bezeichnen: die normale Abwesenheit der Zeitspekulation. Er will eben (wenn er sich in seinen Schranken hält, und davon ist für Begriffsbestimmungen auszugehen) thunlichst „glatt" von der Börse gehen.

16 Hier im Sinne von „ausführen". 17 Die Funktionen der Dealer und Broker erläutert Struck, Effektenbörse, S . 4 - 2 6 und 225, Anm. 11.

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Instanz, an welche sich der broker behufs Ausführung seiner Kaufs- und Verkaufsaufträge wendet. Er seinerseits handelt normalerweise nur auf der Börse mit Anwesenden1303), und zwar in denjenigen Papieren, welche in großen Mengen täglich gehandelt 5 werden (marketable papers) in typischer Form auf Grundlage jeweilig eines doppelten, nämlich eines Brief- und Geldkurses, die er ausbietet, - zu dem niedrigeren (dem Geldkurs) ist er bereit zu kaufen, zu dem | höheren (dem Briefkurs) zu verkaufen, die Diffe- A165 renz, „turn" b , 18 profitirt er. Dieser Geschäftsbetrieb, das sogenann10 te dealing by making a price, beruht also darauf, daß er diese beiden Kurse entsprechend der Marktlage, d. h. so bemißt, daß er den möglichst größten Theil der Beträge, die er in einem Papier auf Grundlage des niedrigeren (Geld-)Kurses als Käufer übernommen hat, als Verkäufer auf Grundlage des höheren, möglichst noch am 15 selben Börsentage, wieder abstößt, um möglichst „glatt" von der Börse zu gehen. Das gelingt ihm naturgemäß oft nur höchst unvollkommen, zuweilen muß er mit ganz bedeutenden einseitigen Engagements belastet bleiben, von denen er sich dann an den nächsten Tagen entlastet. Daraus folgt von selbst, daß er im Gegensatz zu 20 dem denkbarerweise ganz vermögenslosen bloßen Vermittlungsmakler sich auf eine bedeutende Kapitalkraft stützen muß. Die Differenz zwischen jenen beiden Kursen, zu denen der dealer zu geben bezw. zu nehmen bereit ist, bildet seinen Entgelt, eine Art öffentlich seiner Höhe nach deklarirten Unternehmergewin25 nes. Er ist am kleinsten13013' bei den Papieren, deren Kurs relativ 130a) D a n e b e n neuerdings auch im Arbitrageverkehr mit fremden Börsen. 1 9 | 130b) w i e für die Provision der brokers, so sind auch für den turn c 2 0 der dealers Mini- A 165 maisätze (kleinste „Margen") usancemäßig. |

b A: „twin"

c A: twin

18 Die Differenz, die der Jobber oder Dealer durch Kauf und Verkauf erzielt, wird als „Jobber's turn" bezeichnet. Max Weber übernimmt „twin" aus der wohl irrtümlichen Transkription des Stenogramms der Aussage von Wilhelm Kopetzky: „[...] der Jobber sucht seinen Nutzen in dem Unterschied des Kurses zwischen Brief und Geld dem sogenannten ,twin' [...]." Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 199. Bei seinen weiteren Ausführungen stützt sich Max Weber vermutlich auf Struck, Effektenbörse, S. 12-20. 19 Struck, Effektenbörse, S. 21 f., gibt an, daß die Dealer am Arbitrageverkehr mit auswärtigen Börsen teilnehmen, seitdem alle englischen Börsen durch ein Telegraphennetz miteinander verbunden sind. Das war seit den 1850er Jahren der Fall. 20 Zu „twin" vgl. Anm. 18.

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stabil ist und die regelmäßig in derartig bedeutenden Mengen angeboten und begehrt werden (Konsols etc.), daß der dealer stets darauf rechnen kann, sich annähernd „glatt" stellen zu können, groß bei den stark im Kurse und den gehandelten Quantitäten schwankenden, bei denen das Risiko, auf einem übernommenen Posten „sitzen zu bleiben", bedeutend ist. Sehr große und ganz kleine Quantitäten eignen sich, wegen des Risikos für den dealer, sie nicht bald und glatt plaziren zu können, gleichfalls nicht für diese Form des Verkehrs und werden von den dealers deshalb nicht immer zu den von ihnen ausgebotenen Kursen übernommen. Bei Papieren endlich, in denen ein kontinuirlicher Verkehr von einigermaßen stetigem Umfang nicht besteht („not marketable papers, pfapers] out of the way"), kann sich der dealer auf dies Verfahren A 166 gleichfalls nicht einlassen, da eine Gewähr, die übernommenen Papiere alsbald zu einem annähernd genau bestimmbaren Kurse wieder absetzen zu können, für ihn nicht besteht: hier verhandelt er also über den Preis, wie ein gewöhnlicher Händler, von Fall zu Fall: dealing by negotiation. Es ist charakteristisch für den zunftartigen Charakter der Londoner Börse, daß die Kommissionäre (brokers), deren Provisionen nach A r t der advocates und physicians in Minimaisätzen tarifirt sind,21 dieses dealing by negotiation, bei welchem die Deklaration der den Gewinn des dealer ausmachenden Kursdifferenz wegfällt, als mißbräuchlich und mit der Stellung des dealer unvereinbar ansehen. Der dealer als solcher soll eben nicht spekuliren, sondern trotz seiner rechtlichen Stellung als Eigenhändj er i3i) ökonomisch nur Vermittlungsorgan sein. Betrachtet man die Funktion des dealer näher, so zeigt sich, daß sie hauptsächlich in der Konstatirung der jeweiligen gegenwärtigen Marktlage in dem von ihm gehandelten Papier besteht: seine Intelligenz ist in den Dienst der Ermittlung derjenigen Preise gestellt, zu welchen das Papier mit annähernder Sicherheit in einem bestimmten Moment an der Börse bezogen bezw. begeben werden kann; das Kompelle 22 für die korrekte Ermittlung dieser Kurse ist A 166

131) Er entspricht wesentlich den „Propremaklern" unserer Börsen. Er ist ebensosehr und ebensowenig „Spekulant" wie diese.

21 Zu den Tarifsätzen der Advokaten und Ärzte in England vgl. oben, S. 224, Anm. 20. 22 Das Compelle (lat.); Antrieb, Zwangs- oder Nötigungsmittel.

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das denkbar stärkste: bei falscher Bemessung seiner Brief- und Geldkurse riskirt der dealer, daß gewaltige Beträge einseitiger Engagements auf ihm haften bleiben. Vergleicht man ferner die Art der Funktion der selbstkontrahirenden dealers mit derjenigen eines nur vermittelnden Maklers, so leuchten die großen praktischen Vorzüge der ersteren alsbald ein und sind oft erörtert: die Zeit ist im Geschäftsleben in hohem Maße im Werth gestiegen131®), die Spekulation kann sich nicht darauf einlassen, so, wie es der Fall ist, wenn der Makler bloß vermittelt, längere Zeit darüber im Ungewissen zu bleiben, ob | ein beabsichtigter spekulativer Kauf oder A 167 Verkauf zum Abschluß gelangt oder nicht und zu welchem Kurse. Namentlich die Arbitrage hätte ohne diese Sicherheit keine Grundlage. Überdies aber eliminirt der dealer ein ferneres für die Kunden des bloß vermittelnden Maklers sehr störendes Moment: die verschiedene „Bonität" der zugeführten Gegenkontrahenten und die Nothwendigkeit der Prüfung ihrer Kreditwürdigkeit, indem er alle Abschlüsse in seiner Person zu Stande bringt, das Risiko dieser Prüfung also auf sich übernimmt. Er seinerseits genießt Kredit einmal der bedeutenden Mittel wegen, die sein Betrieb erfordert, dann weil derselbe eben darauf beruht, sich selbst möglichst nicht einseitig spekulativ zu engagiren[,j und darauf vertraut wird, daß er danach handle. Seine Stellung zu der Kursgestaltung ist zwar keine so uninteressirte, wie die eines bloß vermittelnden Maklers, andererseits aber ist sein eigenes Interesse an der Kursgestaltung spezifisch geringer als das eines gewöhnlichen Terminspekulanten: er hat (normalerweise) ein Interesse an der Preisentwicklung der by making a price gehandelten Papiere nicht über den Zeitraum desselben Börsentages, eventuell weniger Börsentage hinaus, auch hier aber wenigstens normalerweise nicht an einer bestimmten Tendenz zur Yreisverschiebung wie ein Hausse- und Baissespekulant. Und er steht auch innerhalb dieses Bereiches unter der Kontrolle der Öffentlichkeit, der er seine Kurse deklarirt, und der Konkurrenz der übrigen in dem Papier handelnden deai3ia) q die Bemerkungen des Geh. Kommerzienraths Frentzel in den Kommissionsprotokollen. 23 |

2 3 Die hier und im folgenden referierten Äußerungen von Adolph Frentzel finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.537f.

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lers. - Es handeln naturgemäß nicht alle dealers promiscue 24 in allen Papieren, sondern ein erheblicher Theil der größeren Papiere bildet die Domänen verschiedener, stetig ihre Aufmerksamkeit auf die Marktbewegung in dem einzelnen Papier richtender Gruppen von dealers - eine Arbeitstheilung, die aus der Natur ihres Geschäftsbetriebes folgt, natürlich aber flüssig ist. Ihre Standorte bilden den Mittelpunkt der sich in London, wie überall, auch räumlich sondernden „Märkte", an welche sich derjenige begibt, welcher in dem betreffenden Papier Abschlüsse sucht. Zwischen diesen beiden Extremen - dem bloßen Vermittler gegen Courtage und dem selbstkontrahirenden, seine Entlohnung A 168 in | Differenzen findenden Zwischenhändler - bewegt sich nun an den deutschen Börsen eine Skala der verschiedensten Ausgestaltungen des Maklers in Übergangsstufen, welche wir jetzt zu betrachten haben werden. Die A r t der Gestaltung hängt aber aufs Engste zusammen mit derjenigen Funktion, welche bei uns unter den Zwecken des Maklers obenan steht: der Kursfeststellung. Das Maklerwesen läßt sich für Deutschland nur im Zusammenhang mit ihr erörtern. Der Begriff der „Kursfeststellung" ist kein eindeutiger, er umfaßt zwei von einander prinzipiell zu scheidende wirthschaftliche Vorgänge, die man als „Kursformulirung" und „Kursregistrirung" bezeichnen kann, an welche sich die „Kurspublikation" anzuschließen pflegt. Die Kursformulirung in dem hier gemeinten Sinne ist der formelle Abschluß des Preisbildungsprozesses. Unter dem Druck der Öffentlichkeit und Konkurrenz kommen auf jedem Markt und ebenso auf der Börse die große Masse der in einem bestimmten Moment geschlossenen Kaufgeschäfte über ein bestimmtes Objekt auf annähernd einheitlicher Preisgrundlage zu Stande. Die Konzentration der Konkurrenz im Interesse der Bedienung Aller zum „Markt"-Preise ist ja einer der wirthschaftlichen Hauptzwecke der Institution des Marktes. A n dieser preisbildenden Funktion ist natürlich die Gesammtheit der für das Objekt (Papier etc.) vorhandenen Kauf- und Verkauf-Reflektanten betheiligt. Allein die Börsen kennen Vorrichtungen und Organe, welche die Preisbildung beschleunigen und konzentriren. Diese Organe

24 Hier in der Bedeutung von „unterschiedslos"

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und Vorrichtungen sollen hier als solche der „Kursformulirung" bezeichnet werden. In diesem Sinne ist also die Thätigkeit des Londoner dealer eine „kursformulirende": er antizipirt auf Grund seiner Kenntniß der Marktlage die chaotische Preisbildung aus den 5 vorhandenen Tendenzen und „formulirt" sie in seinen Brief- und Geldkursen, er gibt gewissermaßen die Parole aus; daß er sich gelegentlich irrt und der Markt der Parole nicht folgt, ändert den Begriff nicht, - er hat dann eben falsch formulirt. Diese Funktion liegt in erster Linie im Interesse der beschleunigten Ermittlung des Ge10 schäfts innerhalb der Börse selbst. Allein der Börsenkurs | und die A 169 Art seines Zustandekommens greift in seiner praktischen Bedeutung weit über den Kreis der Börsenhändler hinaus. In Gestalt des Selbsteintrittsrechts des Kommissionärs wird er bei uns auf Grund der Legalpräsumtion, 25 daß durch seine Innehaltung die Interessen 15 des Kommittenten gewahrt seien, diesem oktroyirt. Die Zahl der Artikel, für welche, und das räumliche Gebiet, innerhalb dessen unter Zugrundelegung des Börsenpreises der einzelnen Plätze, zumal Berlins, gehandelt wird, hat stark zugenommen, in Produkten, speziell - wie noch zu erörtern sein wird 26 - z. B. bei Sprit und Ge20 treide, ist der Abschluß: „x Mark unter Berliner (oder: „höchster Stettiner" etc.) Notirung" in den östlichen Provinzen mit Ausnahme gewisser rückständiger Bezirke durchaus die herrschende Form der Preisabrede. Damit der Börsenkurs diese Funktionen erfülle, muß er registrirt und publizirt werden. 25 Zum Zweck der Kurspublikation existirt überall an den Effektenbörsen das Institut des amtlichen Kursblattes, in Berlin 27 mit der Spezialität, daß für diejenigen Papiere, in welchen ein „regelmäßiger Verkehr" sich noch nicht entwickelt hat, welche aber zur Vermittlung durch die vereidigten Makler und damit auch zur 30 „nichtamtlichen Notiz" zugelassen sind, ein „nichtamtlicher Theil" existirt. Zur Zeit ist es daneben Jedem unbenommen, seinerseits privatim Kursnotirungen durch die Zeitungen oder in Zirkularen etc. zu verbreiten. Es geschieht dies theils von Kommissionshäusern zur Information ihrer Kunden, theils durch Reporter in den

2 5 Die gemeinte gesetzliche Vermutung findet sich in Art. 376 Abs. 2 Satz 1 HGB. 2 6 Unten, S. 391 f. 2 7 Max Weber referiert und zitiert im folgenden aus Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 12 und 14.

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Zeitungen. In Berlin besteht neben dem amtlichen das Hertel'sehe Kursblatt, 28 welches die Zeit bis 3 Uhr mit umfaßt und dem durch § 12 der Usancen 29 eine Art offiziöser Charakter beigelegt ist insofern, als es in Ermangelung einer Notiz im Kursblatt als maßgebend gilt. Abweichungen des privaten von dem offiziellen Kursberieht kommen - nicht besonders häufig - vor. 30 Die Frage, unter welchen Voraussetzungen Effekten im amtlichen Kursblatt notirt werden - „Zulassung zur Notiz" - ist bei Besprechung des Emissionswesens zu erörtern, 31 hier interessirt leA170 diglich die Art, wie der notirte Kurs zu Stande | kommt. In Deutschland sind dabei überall die Makler betheiligt132). Es sind vorweg diejenigen Börsen zu behandeln, welche das Institut der vereidigten Makler nicht kennen, also die hanseatischen. Diese nähern sich den englisch-amerikanischen Zuständen am meisten. Die englisch-amerikanischen Effektenbörsen kennen eine spezifische Funktion von Maklern oder einer anderen speziellen Kategorie von Börsenbesuchern bei der Kursermittelung (Registrirung) nur in beschränktem Sinn. Die Kursnotiz erfolgt bei ihnen im Allgemeinen auf Grund des Systems der „quotation books", in welche alle oder doch alle Geschäfte bestimmter Kategorien eingetragen werden, und zwar - ein wichtiger Unterschied gegenüber den deutschen Kursnotizen - regelmäßig unter Kundmachung auch der geA 170

132 ' Meist liegt die Kursregistrirung, zum Theil auch die Kursformulirung im obigen Sinne 3 2 thatsächlich in ihrer Hand. D o c h sind die Zustände in dieser Hinsicht verschieden.

2 8 Das sogenannte „amtliche Kursblatt" wurde von den Ältesten der Kaufmannschaft herausgegeben und verzeichnete die Kassakurse und die bis 14 Uhr (Börsenschluß) festgestellten Kurse für Zeitgeschäfte. Das bedeutendste nichtamtliche, 1816 von dem Makler H. A..Hertel begründete „Hertel'sche Kursblatt" verlegte seit den 1870er Jahren der Börsenhandelsverein. Darin wurden auch die nach Börsenschluß zustandegekommenen Kurse von Zeitgeschäften veröffentlicht. Beide Blätter sind heute nicht mehr nachweisbar. Die Berliner Tageszeitungen, die „Börsen-Zeitung" und der „Berliner Börsen-Courier", druckten die Kurszettel am ausführlichsten und übersichtlichsten nach. 2 9 Gemeint ist § 12 der Bedingungen der Berliner Börse von 1892. 3 0 Übereinstimmend gaben Louis Bamberger und Ludwig Max Goldberger die Auskunft, daß Abweichungen zwischen privaten Kurszetteln und dem amtlichen Kurszettel nicht vorkämen; Abweichungen gäbe es nur bei nicht offiziellen Notierungen. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 701. 31 Unten, S. 469-494. 3 2 Oben, S.296f.

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handelten Quanta. In London geben die brokers jedes Geschäft hier allerdings ohne Angabe des Quantums - auf. Wenn ein dealer beweist, daß er günstigere Preise gestellt hätte, so ist der Kurs trotzdem nicht registrirbar, er soll also doch auch hier nicht eine einfache Bekanntmachung über geschlossene Geschäfte, sondern eine Wiedergabe der Marktlage sein. Die Publikation der Kurse ist theilweise der privaten Initiative der Zeitungen überlassen, meist wird aber ein offizielles Kursblatt auf Grund der stattgehabten und von den Betheiligten deklarirten Abschlüsse herausgegeben (so z. B. in London)133'. In Hamburg134' hob das Gesetz vom 30. Dezember 1871 das Institut der vereidigten Makler auf.33 Bestehen blieb - aber für alle Unterhändler ohne Unterschied - die Haftbarkeit der Makler für etwaige Abgaben von gewissen Geschäften, ferner die | subsidiär A 171 maßgebliche Courtagetaxe (§ 4 des zit. Gesetzes, Abschn. XIII der Allg. Usancen für den Effektenhandel, publizirt am 15. Dezember 1891).34 Irgend welche Vorschriften für die Geschäftsgebahrung der Makler im Allgemeinen existiren sonst nicht. Die offizielle Kursnotiz erfolgt in folgender Weise135'. Die Effekten sind in sieben Gruppen getheilt (A. Deutsche und nordische, B. Andere Fonds, C. Hypotheken- und Loospapiere, D. Eisenbahnaktien, E. Prioritäten, F. Bank-, G. Industrieaktien). Für jede Gruppe ist von der Sachverständigenkommission ein „notirender Makler" und ein Er133) Die Bekanntgabe der Kurse an der Börse erfolgt theilweise durch einen elektrischen Apparat (New York). 35 I34 > Cf. Levy v. Halle a.a.O. über die Entwicklung des bestehenden Zustandes. 36 | 135) S[iehe] das „Regulativ für die notirenden Makler" vom Juli 1890 bei Jürgens A 171 S. 81 f.37

33 Das Gesetz, betreffend A u f h e b u n g des Instituts der beeidigten Mäkler und Benennung von beeidigten Auktionatoren vom 20. - nicht 30. - Dezember 1871, findet sich in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 1 3 - 1 6 . 34 § 2 bzw. § 4 des zitierten Gesetzes, betreffend A u f h e b u n g des Instituts der beeidigten Mäkler und B e n e n n u n g von beeidigten Auktionatoren v o m 20. D e z e m b e r 1871, in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 14, enthalten Bestimmungen über die Haftbarkeit der Maklerfür bestimmte A b g a b e n bzw. über die Courtage-Taxe. In Abschnitt XIII der Allgemeinen Usanzen für d e n Effektenhandel v o m 15. Dezember 1891, ebd., S.78, sind die Maklerg e b ü h r e n festgelegt worden. 35 Gemeint ist der sog. „ticker", der fortlaufend Kursnotierungen ausdruckt. 36 Gemeint ist Levy von Halle, Schmollers Jahrbuch 1892, S. 1 1 2 8 - 1 1 7 6 . 37 Gemeint ist Jürgens, Börsenhandbuch, S. 81 - 8 3 .

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satzmann38 aus der Zahl der erweislich weder an der Arbitrage noch am auswärtigen Kommissionsgeschäft betheiligten, im Firmenregister der Fondsbörse eingetragenen Unterhändler bestimmt und durch Handschlag verpflichtet. Irgend eine Vorzugsstellung an Rechten und Pflichten wird ihnen, abgesehen von der Betheiligung an der Kursnotiz, dadurch nicht auferlegt. Nach Angabe der Hamburger Sachverständigen sollen sie thatsächlich für eigene Rechnung nur selten Geschäfte machen^ resp. solld die Auswahl auf solche Makler gelenkt werden, deren Geschäftsbetrieb eigene Geschäfte im Allgemeinen ausschließt.39 Für jede Gruppe ist ein Briefkasten in der Börse ausgehängt. In diesen werfen diejenigen, welche Geschäfte in einem Papier abgeschlossen haben, eine Notiz auf einem Formular, welche den Betrag, Kurs und Unterschrift des Anmeldenden enthält. Falsche Anmeldungen sind durch Verwarnung, im Wiederholungsfall Ausschluß von der Berechtigung zur Kursanmeldung strafbar. Die Anmeldung selbst ist durchaus freiwillig. Zur Anmeldung zur Kursnotiz sind aber nur zugelassen Geschäfte 1. zwischen Firmen, welche in das Firmenregister der Fondsbörse eingetragen sind136', welche 2. innerhalb der Börsenzeit (12—23/4) geschlossen sind und 3. sich auf „börsenmäßige" runA172 de Summen (25 Stück oder 25000 Mark resp. 5000 Gulden) 40 | belaufen. Um 23/4 Uhr werden die Kästen geleert, die notirenden Makler begeben sich in ein für sie bestimmtes Zimmer und ermitteln, nach Inhalt der Notizen und der durch sie vermittelten Ge136 ) Diese Eintragung ist jährlich gegen 10 Mark Gebühr zu erneuern (Abschnitt XIV der Allgem. Usancen). 41 |

d Fehlt in A; soll sinngemäß ergänzt. 38 Max Weber referiert aus dem genannten Regulativ, in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 81-83. In § 1 ebd. sind definiert: Gruppe B „andere fremde Fonds", Gruppe E „Prioritäts-Obligationen". Nach den §§ 2 und 3 ebd. wurden für jede Effektengruppe zwei Makler und ein Ersatzmann ernannt. 39 Diese Auskunft gab Siegmund Hinrichsen. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.703. 40 „Börsenmäßig runde Summen" ist Zitat aus Nr. 11 des Regulativs für die notirenden Makler. Als solche sollen bei Spekulations-Effekten nicht 25000 Mark, sondern mindestens 15 000 Mark gelten. Jürgens, Börsenhandbuch, S. 82. 41 Abschnitt XIV der Allgemeinen Usanzen für den Effektenhandel vom 15. Dezember 1891 findet sich in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 79.

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schäfte, die Kurse des Tages für die einzelnen Papiere ihrer Gruppe. Sind Geschäfte nach ihrer Kenntniß nicht perfekt geworden, so haben sie einen Brief- und Geldkurs nach den vorhanden gewesenen Offerten, eventuell nur einen von beiden, wenn auch das nicht 5 möglich, statt des Kurses einen Strich in das Kursblatt zu setzen. Dies letztere wird von der Sachverständigenkommission täglich herausgegeben und enthält die wie beschrieben ermittelten Kurse. Der Makler verhält sich hier rein registrirend, die Kurse sind nur der Niederschlag des stattgehabten Verkehrs, soweit dieser zur An10 meidung gelangt ist. Der Gegensatz gegen die quotation books besteht in dem Mangel jeder Garantie der Vollständigkeit. Diese unregulirte, auch keinerlei Gewähr für Wiedergabe der wirklichen Marktlage in sich tragende Art der Notiz steht mit den diffusen Zuständen im Fonds15 maklerwesen in Hamburg immerhin im Zusammenhang. Der dort in persönlicher Beziehung nicht mehr auch nur annähernd fest abgegrenzte Fondsmaklerstand137) schließt einerseits kapitalstarke Händler ein, welche die Geschäfte regelmäßig auf eigenen Namen abschließen und als „Makler" nur funktionell in gleichem Sinn wie 20 die Londoner dealers zu gelten haben, im Übrigen aber das Kommissionsgeschäft in meist kaum zu scheidender Art mit der Makelei verbinden, andererseits aber die Schaar der kleinen Tagesspekulanten, welche eine ökonomische Funktion überhaupt nicht versehen. Die Entwicklungstendenzen, welche wir in Berlin wiederfin25 den und näher erörtern werden 42 und welche in London zur Herausbildung der dealers als gesonderter Kategorie führten, finden wir in kleineren Dimensionen auch hier. Einerseits führt die Nothwendigkeit, das Geschäft sofort fest zu einem bestimmten Kurs zu übernehmen^] und der Wunsch des Auftraggebers nach 30 Diskretion dazu, daß der Makler regelmäßig Selbstkontrahent wird und als solcher sich in den | Schlußnoten, die er den Parteien A 173 zustellt, bezeichnet, und die Konkurrenz unter einander drückt die Courtage, oft bis auf den Nullpunkt, so daß der Makler, wie die dealers, von Differenzen lebt, nur ohne sie wie diese deklariren zu 137

> Cf. Levy v. Halle, Schmoller's Jahrbuch 1892 S. 1164. |

42 Unten, S.333f.

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müssen. Er ist dann äußerlich von einem Spekulanten gar nicht mehr zu unterscheiden. Andererseits erfordert diese Position des Maklers, wo das Engagement auf seinen Schultern ruht, daß er entweder - wie jene größten Maklerfirmen - selbst kapitalstark sei oder aber sich an eine Kapitalmacht anlehne. Diese Kapitalmacht 5 bildet für die ca. 80 Hamburger Firmen138), welche als der eigentliche Kern des Maklerthums anzusehen sind, hier wie in Berlin eine Maklerbank, welche in einer später im Zusammenhang zu besprechenden Form 43 ihren Kredit für den Makler engagirt. - Jene kleinsten sogenannten Makler endlich, welche dieser Anlehnung ent- 10 behren, sind die Schmarotzerpflanzen, die den achtunggebietenden Bau der Hamburger Börse verunstalten, nach allgemeinem Urtheil das einzige wirklich unsaubere Element, welches dort zu finden ist, - ein deutlich redendes Paradigma für die im vorigen Abschnitt aufgestellte These. 44 15 Für die Notirung der Wechselkurse, welche von Alters her an zwei Wochentagen erfolgt, besteht in Hamburg ein besonderes Reglement. 45 Die Kursnotiz bezieht sich auf Wechsel „prima Qualität" und wird von zwei jedesmal für zwei Monate dazu designirten Maklern auf Grund der thatsächlich bis 2 V2 Uhr von Bankiers 20 - unter Ausschluß „unerheblicher" Beträge und „Ausnahmefälle" - gezahlten Kurse derart hergestellt, daß ein Brief- und Geldkurs notirt wird, welche beide gleich weit von dem effektiven durchschnittlich gezahlten Betrage abweichen und untereinander um einen „Marge" genannten Betrag differiren, dessen Maximum z. B. 25 für Sichtwechsel auf London auf höchstens 3 Pfennig per Pfund Sterling regelmäßig festgestellt ist. Hier wird also im Interesse der Einheitlichkeit der Notiz ein Kurs künstlich konstruirt, die Kursnotiz soll nicht einfache Registrirung der gezahlten Preise, sondern A 174 soll Ausdruck der Marktlage sein. Wir haben hier eine | Kursregi- 30 A 173

138

> Cf. I.evy v. Halle, a.a.O. S. 1167.

4 3 Unten, S. 335-341. 4 4 Oben, S. 253-255. 4 5 Gemeint ist hier wie unten in Fußnote 139 das Regulativ für die Notirung der Wechselkurse im offiziellen Hamburger Kurszettel vom 20. Dezember 1884, in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 85-87, aus dem Max Weber im folgenden zitiert und referiert. Statt der im folgenden genannten „prima Qualität" heißt es dort „Prima Papier".

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strirung, aber eine abstrakte. Einigen sich die beiden Makler, so gilt ihre Notiz, im Streitfall entscheidet das bei der Notirung anwesende Mitglied der Handelskammer. Ähnliche Bestimmungen über die Notiz und Marge bestehen für Geldsorten139). 5 Gerade im Geld- und Wechselverkehr zeigt sich nun aber140) die Überwindung der überkommenen Stellung der Makler seitens des in Hamburg völlig ungebundenen Verkehrs besonders deutlich. Schon vor Beseitigung der vereidigten Makler führten die häufigen Differenzen in der Bonität der Wechselgeber und -Nehmer auf 10 dem Markt dazu, daß der Makler zur Übernahme der persönlichen Haftung durch Indossirung des Wechsels genöthigt wurde. Die Zahl der „indossirenden" Makler nahm zu, die vereidigten, denen das Indossiren verboten war, halfen sich, wie in Berlin durch „Strohmänner", so hier durch indossirende Associés. Die heutigen 15 Makler indossiren angeblich regelmäßig. Der Verkehr läuft aber überhaupt nicht in dem Maße durch ihre Hände, wie in Berlin, sondern, da ihre Stellung sich ohnehin derjenigen diskontirender Bankiers annähert, stehen sie an Umfang des Geschäftes hinter den mit festem Kundenkreis versehenen großen Banken zurück. Auch 20 die Bedeutung der offiziellen Notiz, die in Berlin auf dem nothgedrungenen Mitwirken auch der größten Interessenten des Wechselverkehrs bei der Feststellung des bald zu besprechenden Einheitskurses46 beruht, ist in Hamburg höchst untergeordnet; thatsächlich erfolgt die Verrechnung mit dem außenstehenden Kunden 25 auf Grund einer täglichen privaten Kursnotiz, welche von den beteiligten Interessenten vereinbart und vorgeschlagen wird, und welche diese so zu gestalten suchen141', daß die Möglichkeit, bei

139

> S[iehe] die Regulative bei Jürgens a.a.O. S. 85 f.47 » S[iehe] zum Folgenden Levy v. Halle a.a.O. Schmoller's Jahrbuch 1892, S. 1158.48 141 » Levy v. Halle a.a.O.49 140

46 Unten, S. 3 0 9 - 3 2 5 . 47 N e b e n d e m oben, S. 302, A n m . 4 5 , genannten Regulativ meint Max Weber die Instruktion für die Notirung der Geld- und Sorten-Kurse v o m 20. Dezember 1884, in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 87. 48 Max Weber referiert im f o l g e n d e n nach Levy von Halle, Schmollers Jahrbuch 1892, S. 1157f. 49 Levy von Halle, Schmollers Jahrbuch 1892, S. 1160.

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der Verrechnung mit dem Kunden einen Gewinn zu machen, besteht142). | A175 Wesentlich anders gestaltet sind Maklerwesen und Kursnotiz an den Binnenplätzen, insbesondere den beiden großen preußischen Börsen. Hier besteht zunächst das Institut der vereidigten Makler, also lebenslänglich von den kaufmännischen Korporationen (Handelskammern, in Berlin den Ältesten der Kaufmannschaft) unter Bestätigung der Regierungen angestellter vereidigter Unterhändler, welche der Disziplinargewalt der betreffenden Korporationen unterstehen. 50 In Berlin können nach der Maklerordnung (Nachtrag vom 12. August 1874) Verweise, Geldstrafen und Ausschluß von der Börse bis zu 3 Monaten disziplinarisch verhängt werden. Wegen Vergehen gegen die Verpflichtungen des §69 des HGB. (insbesondere Verbot eigener Geschäfte und Geschäfte mit nicht persönlich Anwesenden) haben die ordentlichen Gerichte mit Geldstrafen von 75-1000 Mark,51 im Rückfall mit Amtsentsetzung, einzuschreiten. Die Amtsentsetzung wegen anderer Vergehen gehört vor die Verwaltungsgerichte (§11 der Gew.-Ord.e vom 17. Januar 1845, Gesetz vom 22. Juni 1861, S. 120, Gesetz vom 1. August 1883).52 In Frankfurt sind die vereidigten Makler, 142) In Bremen ist das Institut der vereidigten Makler seit 1867 gleichfalls beseitigt. A 175 „Beeidigte Börsenmakler" bestehen nur noch | zu Zeugniß-, Schätzungs-, Auktions- und endlich Kursfeststellungszwecken ohne sonstige Vorrechte. Zutritt zur Effektenkursnotiz, die 10 Minuten vor 2 Uhr beginnt, haben nur die Mitglieder des „Effektenmaklerver-

e A: Gem.-Ord. 50 Max Weber stützt sich bei der Beschreibung des Maklerwesens in Berlin und in Frankfurt a. M. auf Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 8 und 25. 51 Nach Art. 9 §5 des preußischen Einführungsgesetzes zum HGB von 1861 wurden Geldstrafen zwischen 25 und 1500 Mark - nicht 75 bis 1000 - angedroht. Webers irrige Angaben sind aus Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 8, übernommen. 52 Gemeint sind §71 - nicht §11, wie irrtümlich in: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 8, angegeben - der Preußischen Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845 in der Fassung des Gesetzes vom 22. Juni 1861 und §120 Nr.3 nicht S. 120 - des Zuständigkeitsgesetzes vom 1. August 1883. Danach können die Verwaltungsbehörden einen Makler aus seinem Amt entlassen, wenn sich herausstellt, daß die Angaben, die zu seiner Anstellung führten, unrichtig gewesen sind. Eine eventuelle strafrechtliche Verfolgung wird den Gerichten überlassen. §120 Ziffer 3 des Zuständigkeitsgesetzes lautet: „Der Bezirksausschuß entscheidet auf Klage der zuständigen Behörde über die Zurücknahme der Konzessionen der Handelsmakler."

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hier allgemein „Wechselmakler" (Übersetzung von „agents de change") genannt - kautionspflichtig und können durch Urtheil wegen Pflichtverletzung in Geldstrafe genommen und entlassen werden. Die Courtage ist in Berlin und Frankfurt tarifirt, in Frank5 furt unter Ausschluß anderweiter Vereinbarung;53 in Berlin würde Courtageüberhebung wohl disziplinarisch zu ahnden sein. Es existirten 1892 in Berlin und Frankfurt je 80 vereidigte Fondsmakler. In Berlin nehmen daneben die unvereidigten Makler einen breiten Raum ein, in Frankfurt dagegen funk|tioniren von solchen nur we- A 176 10 nige und diese sind meist Aspiranten auf frei werdende Maklerstellen.54 Der Grund liegt in der sehr viel größeren Bedeutung des Ultimogeschäfts in Berlin, welches aus später zu besprechenden Gründen 55 hier überwiegend durch die Hände der unvereidigten Makler geht. 15 Wie sich unter den Londoner dealers thatsächlich eine Arbeitstheilung wenigstens für die großen Papiere vollzogen hat, so ist dies bei den Maklern in Frankfurt und Berlin der Fall. In Frankfurt besteht sie spontan. Die einzelnen vereidigten Makler haben ihre „Domäne" oder „Skontro" 56 meist dadurch, daß das Emissions20 haus bei Einführung neuer Papiere sich an bestimmte Makler wendet. Der einzelne Makler vermittelt thatsächlich überwiegend nur in „seinen" Papieren.57 In den Händen der in einem Papier vermittelnden Makler liegt thatsächlich auch die Kursermittelung darin. eins" und Bremer Bankiers, und nur die Schlüsse der Mitglieder werden berücksichtigt zusammen 44 Personen (17 Makler, 27 Bankiers). D i e Ultimoschlüsse geben die dieselben vermittelnden Makler auf. Der Kleinheit des Marktes in Effekten entsprechend sind die Makler noch zum sehr großen Theil bloße Vermittler. Cf. Levy v. Halle a.a.O. Jahrg. 1894. S. 427 f. 58 |

5 3 Die Maklergebühren sind fixiert in § 12 der Frankfurter Makler-Ordnung vom 4. Dezember 1864, in: Puls, Börsenhandbuch, S.23. Die Berliner Maklergebühren teilt Siegfried, Saling's Börsenpapiere, S. 46f., mit. 5 4 Von den Aspiranten berichtete der Sachverständige Rudolf Sulzbach, in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1393. 5 5 Unten, S. 326-328. 5 6 Als Skontro wird das zur Buchführung der Makler dienende Tage- oder Hilfsbuch bezeichnet, in das zum täglichen Nachweis Menge und Art der Kauf- und Verkaufsaufträge eingetragen werden. 5 7 Hier stützt sich Max Weber, zum Teil zitierend, auf die Aussagen des Sachverständigen Max Baer. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 846 und 850. 5 8 Max Weber stützt sich hier auf Levy von Halle, Schmollers Jahrbuch 1893, S.434f., 446 und 448.

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Zum Zweck derselben präsentiren die Makler 14 aus ihrer Mitte, von denen die Handelskammer 7 auf ein Jahr ernennt: das „Wechselmaklersyndikat". 59 Formell liegt die Entscheidung über die Kurse in den Händen der Mehrheit des letzteren, die aber nur, wenn die Makler in Streit gerathen, einschreitet. - Die Stelle dieses Syndikats nimmt in Berlin ein für die Kursfeststellung designirter Börsenkommissar ein. Formell soll in seinen Händen die Festsetzung der Kurse auf Grund der Angabe der vereidigten Makler liegen. Thatsächlich tritt er nur in Streitfällen in Thätigkeit. - Die Angaben der vereidigten Makler allein sind in Berlin wie in Frankfurt für die Kursfeststellung maßgebend. Offiziell werden (auch für die Ultimogeschäfte) die Angaben irgend welcher anderer Personen nicht berücksichtigt143).' Die vereidigten Makler haben also kein Vermittlungsmonopol und überhaupt keine Vorzugs rechte, sondern nur Vorzugspflichten, sie haben aber ein (mehr oder weniger streng durchgeführtes) Kursermittlungsmonopol. Dieser ihrer praktisch wichtigsten Funktion gedenkt das Handelsgesetzbuch bekanntlich nicht. | A177 Blicken wir zur Würdigung dieses Instituts der vereidigten Makler zunächst noch einmal ins Ausland.

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Die Institution derartig privilegirter und kontrollirter Vermittler ist im Effektenverkehr heute eine europäisch-kontinentale. Die sieben größeren französischen Börsen, 60 speziell die Pariser Börse, haben in den agents de change das Privileg formell bis zum Mono- 25 pol gesteigert. Die amtliche Kursfeststellung liegt allein in ihren

A 176

143 )a Über die Modifikation dieses Grundsatzes für die Notirung der Ultimokurse in Berlin s. weiter unten. 61 |

f Falscher Index in A: 137>.

g A: 137)

59 Nach §7 der Makler-Syndikats-Ordnung vom 15. Juli 1851, in: Puls, Börsenhandbuch, S.25f., ernannte die Frankfurter Handelskammer aus den 14 vorgeschlagenen Maklern sieben auf zwei Jahre. 60 Die sieben größeren Börsen waren Paris, Bordeaux, Lille, Lyon, Marseille, Nantes, Toulouse. Die folgenden Angaben entnimmt Max Weber: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 81 und 85, sowie Siegfried, Saling's Börsenpapiere, S. 76. 61 Unten, S. 325-328.

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Händen. Die Kursfeststellung in Effekten ist hier lediglich Kursregistrirung. Die von den Agenten thatsächlich gemachten Kassaschlüsse müssen in eine Liste eingetragen und in einem an der Börse ausgehängten Tableau angeschlagen werden, welches den ersten, 5 letzten, höchsten, niedrigsten Kurs angibt. Die Terminkurse werden von den agents de change gemeinschaftlich am Schluß der Börse per majora nach der gesammten Marktlage, also ohne Gebundenheit an die einzelnen Geschäfte, festgestellt, und zwar ebenfalls erster, letzter, höchster, niedrigster Kurs. Die Coulisse ihrerseits 10 macht durch ein besonderes - von V. Desfosses u. Cie. herausgegebenes - Kursblatt Konkurrenz. Den Agenten sind Geschäfte für eigene Rechnung verboten, dagegen haften sie für die von ihnen zur Erledigung übernommenen Geschäfte. Sie finden demgemäß ihren Entgelt - hierin besteht der Unterschied gegen die Stellung des 15 Londoner dealer - in der Courtage und, wenigstens dem Gesetz nach, nicht in Differenzen. Die h österreichischen geprüftenh und vereidigten Sensale sind nach dem Gesetz vom 4. April 1874 nicht Monopolmakler, sie sind dage20 gen dem Handelsgesetzbuch, insbesondere dem streng eingeschärften Verbot eigener Geschäfte unterstellt, also theoretisch auf die Vermittlerrolle beschränkt - durch die Bestimmung des Art. 69 a, den das Gesetz neu hinzufügte,62 ist aber diese Schranke im Wesentlichen so umgestaltet worden, wie es der Praxis auch der Berli25 ner Börse entspricht; darüber wird weiterhin zu sprechen sein.63 Die Kursfeststellung in Devisen, Valuten und Effekten erfolgt in Wien durch 'einen aus' zwei Sektionen (für Devisen und Valuten und für Effekten) bestehenden, aus dem Sensalen-Gremium | ge- A 178 wählten Kursblattausschuß unter Zuziehung der Sensale nach

h A: österreichischen, geprüften

i A: einen - aus

6 2 Das HGB wurde in Österreich als Mitgliedstaat des Deutschen Bundes am 1 .Juli 1863 eingeführt. Durch das Gesetz vom 4. April 1875- nicht 1874 - wurden die Bestimmungen des siebten Titels des ersten Buches des HGB „von den Handelsmäklern und Sensalen" abgeändert bzw. ergänzt. Der neue Art. 69a des österreichischen Gesetzes ist unten, S. 974, abgedruckt. 6 3 Unten, S. 318f. Die folgenden, zum Teil zitierten Angaben zur Kursfeststellung an der Wiener Börse entnimmt Max Weber: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 101-103.

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Schluß der Börse und auf Grund der gemachten Abschlüsse. Es werden notirt: ein niedrigster und höchster Kurs nach Lage der thatsächlichen Abschlüsse und ein die Marktlage am Schluß der Börse wiedergebender, also von allen einzelnen thatsächlich gemachten Geschäften absehender, nur „der Wirklichkeit", d. h. eben 5 der Gesammtlage des Marktes einschließlich der unvereidigten Makler entsprechender „Schlußkurs" für „Brief" und „Geld", wobei Maxima für die Spannung zwischen beiden festgestellt sind. Dieser Schlußkurs, der also eine „abstrakte Kursregistrirung" enthält, wie der Wechselkurs in Hamburg, mithin kein einfach regi- 10 strirter Preis ist, wird von den Sensalen per majora vorgeschlagen und vom Vorsitzenden der vorgeschlagene oder, wenn ihm derselbe unrichtig scheint, ein von einer Minorität von mindestens V4 der Sensale proponirter anderweitiger acceptirt. Auch die höchsten und niedrigsten, auf Grund fester Schlüsse notirten, Kurse kontrol- 15 lirt der Vorsitzende, falls eine „genügende Anzahl Stimmen" dies begehrt, auf ihre etwaige „Abnormität" und weist sie eventuell unter Anzeige an die Börsenkammer zurück. Auch hier also wird die freie Konkurrenz in Bezug auf ihre Wirkung in der Preisbildung kontrollirt und reglementirt. Thatsächlich erledigt sich die 20 Kursfestsetzung naturgemäß unter vorwaltendem Einfluß der für das Effekt maßgebenden Sensale regelmäßig glatt. Weit weniger einheitlich und durchsichtig sind die Zustände geregelt an den deutschen Binnenplätzen, zu denen wir hiermit zurückkehren. Während in Frankfurt die Arbeitstheilung der vereidigten Mak- 25 ler nicht auf Zwang beruht, ist sie in Berlin reglementirt. Die Makler sind in (1892) 39 „Gruppen" getheilt, zu zwei, bei größeren Papieren zu drei Personen. 64 Jedes zum Handel durch die Makler zugelassene Papier wird vom Börsenkommissariat einer Gruppe „zugetheilt", nur in den ihr zugetheilten Papieren dürfen die Makler 30 der Gruppe Geschäfte vermitteln. Die Zutheilung ist seitens der zutheilenden Instanz frei veränderlich, und wird, insbesondere wenn der Umfang der Geschäfte und dadurch die Einnahmen der Makler sich verschieben, geändert. | A 179 Bei der Kursnotirung sind gesondert zu betrachten die Kassakur- 35 se (Kurse für sofort, spätestens aber innerhalb der nächsten acht 6 4 Die Zahlen übernimmt Max Weber vermutlich nach den Angaben von Richard Koch und Wilhelm Kopetzky. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.848 und 165.

II. Maklerwesen

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Kursnotirung

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Tage Zug um Zug zu erfüllende Geschäfte) und die Kurse für Termingeschäfte. Für die Kassakurse hat Berlin eine in dieser Art und in diesem Umfang nach Ansicht der Sachverständigen 144 ) nur hier durchgeführte Einrichtung. 1 Es wird nämlich ein sog. „Einheitskurs" festgestellt, d. h. die ganze Börsenzeit wird als Einheit behandelt, alle Kaufs- und Verkaufsaufträge, die bis zu dem Augenblick, wo sich die vereidigten Makler aus dem Börsenraum in das nur ihnen zugängliche Kursfeststellungszimmer zurückziehen, um dem Börsenkommissar die Kurse anzusagen (um 2 Uhr), in ihren Händen zusammengelaufen sind, bleiben bis zu diesem selben Augenblick in suspenso und werden alsdann gleichzeitig und zu einem und demselben Kurse zum Abschluß gebracht, sofern sie nicht überhaupt „unausführbar" bleiben. Der Verlauf ist dieser: 'Die vereidigten Makler/ für welche seit der Mitte der 70er Jahre Schranken inmitten der Börse errichtet sind, 2 erhalten Kaufs- und Verkaufsaufträge theils mit „Limit" (nicht über x Mark zu kaufen, nicht unter y Mark zu verkaufen), theils ohne solches („bestens"). Dieselben werden zunächst im Notizbuche vermerkt. Um V 2 2 Uhr beginnt die „vorläufige Kursermittlung" in voller Öffentlichkeit und in Gegenwart der sich um die Schranken drängenden Interessenten. Die Gruppe nimmt eins ihrer Papiere nach dem andern durch, und es wird derjenige Kurs ermittelt, zu welchem die möglichst größte Zahl der bei den Maklern der Gruppe vorliegenden Aufträge nach Maßgabe der gestellten Limiten erledigt werden kann. Die Berathung der beiden resp. drei Makler findet öffentlich und dem (al-

1441 Diese Ansicht ist, wie sich ergeben wird, 3 nicht ganz zutreffend. Aber allerdings A 179 kennt keine andere große Börse den Einheitskurs. |

j A: D e n vereidigten Maklern, 1 Diese Ansicht äußerten die Sachverständigen Wilhelm Kopetzky und Emil Salomon. Ebd., S. 167 und 1232. Über den Berliner Einheitskurs ließen sich die Mitglieder der Börsenenquete von Wilhelm Kopetzky und Victor Benary ausführlichst unterrichten. Ebd., S. 162f., 165f., 168-170, 174 und 176-179. Auf ihren Bericht stützt sich vermutlich Max Weber im folgenden. Vgl. hierzu auch unten, S. 342 mit Anm. 76. 2 Mit dem oben, S. 304, erwähnten Nachtrag zur Maklerordnung vom 12. August 1874 wurde die Errichtung der Maklerschranken angeordnet. 3 Unten, S. 342-345.

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Börsenenquete

lerdings nicht großen) Kreise der Zunächststehenden hörbar statt. Alle Interessenten sind daher in der Lage, durch Ertheilung von Kaufs- und Verkaufsaufträgen, sowie durch Limitirung und Modifikation oder Zurücknahme der schon ertheilten Aufträge während A180 der Be|rathung die Höhe des Kurses zu beeinflussen. Die Makler 5 sind zur Entgegennahme solcher Aufträge nach begonnener vorläufiger Kursermittlung zwar nicht verpflichtet, aber berechtigt und lassen sie thatsächlich zu. Das geschieht im ausgiebigsten Maße, insbesondere seitens der „interessirenden" Bankhäuser (Emittenten etc.). Für diejenigen Papiere, die sich unter der Kon- 10 trolle eines derartigen Bankhauses befinden - ein Makler schätzte dieselben auf 1/8 aller -, 4 kommt der Kurs selten ohne Kenntnißnahme und Beeinflussung dieses Bankhauses zu Stande. Ebenso wirkt die Lage auf den gleichzeitig in Funktion befindlichen Terminmarkt ein, indem die unvereidigten Makler sich mit Gewinn für 15 ihre Ultimoengagements vom Kassamarkt Deckung suchen, sobald der Kassakurs vom derzeit gehandelten Ultimokurs unter Berücksichtigung des Zinsfußes des täglichen Geldes, der Stückzinsen etc. abzuweichen Miene macht. Es findet also eine Art Arbitrageverkehr vom Termin- zum Kassamarkt und umgekehrt statt. Um 20 2 Uhr ist die vorläufige Kursfeststellung in allen Papieren beendigt. Bei jedem Papier sind nur bis zum Abschluß der vorläufigen Kursermittlung in demselben Aufträge, sowie Modifikation und Zurücknahme von Aufträgen zulässig. Spätere sind präkludirt, derart, daß ihnen eine Berücksichtigung bei der Kursfestsetzung nur bei 25 Zustimmung aller in dem Papier durch Geschäfte Interessirten zugebilligt werden darf. Einer der Makler sagt im Kursfeststellungsraum die ermittelten Kurse an, d. h. diktirt sie unter Assistenz des 4 Max Weber nimmt hier B e z u g auf d e n Dialog z w i s c h e n d e m stellvertretenden Vorsitzenden Karl G a m p und d e m Bankier - nicht Makler - Emil Salomon. G a m p wollte von Salomon wissen, ob, wie ein vereideter Makler vor Gericht a u s g e s a g t habe, es zutreffend sei, daß „die Bankiers, die b e i m Kauf oder Verkauf bestimmter Papiere besonders Interessirt sind, sich immer an der Feststellung der betreffenden Kurse betheiligen und dies d a d u r c h regeln, daß sie Käufe oder Verkäufe von den betreffenden Papieren vornehmen", und in w e l c h e m Umfang dies der Fall sei. Salomon antwortete: „Ich kann nicht ziffernmäßig sagen, es giebt für so und so viel Papiere Patrone, und für so und so viel nicht, w e n n ich eine Schätzung aussprechen soll, so könnte es sich vielleicht um den zehnten bis a c h t e n Theil der Papiere handeln, bei denen regelmäßig bei den vereideten Maklern sich Leute einfinden, die sich für dieselben speziell interessiren." Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1256 f.

II. Maklerwesen und

Kursnotirung

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Kommissars dem Börsensekretär in die Feder; der Kommissar schreitet ein, wenn Streit zwischen den Maklern oder zwischen diesen und den Interessenten besteht, was gelegentlich, aber selten, vorkommt. Zu diesem so festgestellten Kurse gelten nun die sämmtlichen Aufträge, bei denen das gestellte Limit dies nicht ausschließt, als ausgeführt, die übrigen gelten als an diesem Börsentage unausführbar. Das hat Folgen, die zunächst befremden könnten. War bei einem Kaufauftrage das Limit 106, und der Kurs wird auf 107 festgesetzt, weil zu diesem Kurs die meisten Aufträge ausführbar waren, so ist, da der Käufer, welcher 106 zahlen will, nicht als auch zu 107 abzunehmen bereit gelten | kann, der Auftrag unausführbar, trotz- A181 dem vielleicht auch Verkaufsaufträge mit ganz demselben Limit, zu 106, vorlagen. Diese Verkaufsaufträge sind zum Kurse von 107 ausführbar, - denn wer zu 106 verkaufen wollte, will es um so mehr zu 107, - und werden thatsächlich zu 107 ausgeführt, d. h. der auf 106 limitirende Verkäufer erhält in diesem Fall mehr, als er selbst verlangt hatte. Umgekehrt entsprechend ergeht es, wenn der Kurs 107 ist, den z. B. auf 108 limitirten Verkaufs- bezw. Kaufsaufträgen. Hier geht der auf 108 limitirende Verkäufer leer aus, trotzdem Käufer zu 108 da waren, und diese letzteren kommen mit 107 billiger fort, als sie selbst beanspruchten. An Stelle des individuell vereinbarten Preises tritt der von der Gemeinschaft des Marktes nach Maßgabe der Marktlage oktroyirte Einheitspreis. Der Einheitskurs ist kein aus den vorher festgemachten Abschlüssen entnommener Durchschnittspreis, sondern ein Standard, ein Kurs, zu welchem die bis dahin in suspenso gebliebenen Abschlüsse zu Stande kommen sollen. Die Funktion der Makler ist nicht bloß eine kursregistrirende, sondern eine kursformulirende 145 \ Es ist hier die wirthschaftliche Betrachtung dieselbe, welche in London der dealer versieht, nur mit dem erheblichen Unterschied, daßk der dealer nach eigenem Ermessen seine Geld- und Briefkurse proponirt und während der 145 ) Der begriffliche Unterschied beider Funktionen wird gerade hier besonders klar. A 181 Die Kursfeststellung ist hier in erster Linie: formaler Abschluß der Preisbildung, erst in zweiter: Preisregistrirung.

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Börsenenquete

Börsenzeit beliebig ändert, je nachdem die Marktlage sich wandelt, wobei es den Kauf- und Verkaufinteressenten überlassen ist, ob sie auf diesen jeweiligen Standard eingehen oder den dealer, wenn er sich über die Tendenz irrt, durch nur einseitige Belastung desavouiren, während der Makler hier einen Einheitskurs aus den ihm bereits vorliegenden Aufträgen und Limiten entnimmt und unter der fortgesetzten Kontrolle und Mitwirkung des Marktes die Diagonale zieht146) und den Interessenten oktroyirt. | A 182 Die Feststellung der im nichtamtlichen Theil des Kursblattes notirten Kurse erfolgt ebenso, nur daß die Kontrolle des Kommissars und die Protokollirung fortfällt. Sie gilt als Privatangelegenheit der Makler, welche die Kursnotiz behufs eventueller Identifikation zu deponiren haben. Eigenartig ist bei diesem Verfahren sowohl die thatsächliche wie die rechtliche Stellung des Maklers zu seinen Auftraggebern147). Indem der Makler den Auftrag zu einem Kassageschäft entgegennimmt, geht er zunächst lediglich die Verpflichtung ein, die Erledigung desselben, falls das Limit es gegenüber dem Kurs nicht ausschließt, herbeizuführen, d. h. zum festgestellten Kurse dem Auftraggeber einen geeigneten Gegenkontrahenten zuzuweisen. Eine Bindung des Auftragertheilenden tritt dagegen nicht ein, er kann bis zum Schluß der vorläufigen Kursermittlung in dem Papier den Auftrag widerrufen oder modifiziren: erst von diesem Augenblick an ist er an seine Offerte gebunden. Mit dem Moment der Feststellung des Kurses in einer solchen Höhe, daß die Erledigung des Auftrages zu demselben nach Maßgabe des Limits möglich ist also immer, wenn gar kein Limit ertheilt ist - , ist der Makler zur Ausführung des Geschäftes, d. h. zur Zuweisung eines Gegenkontrahenten zu diesem Kurse, verpflichtet, soweit das „Material" von 146 ' Der Grund der selbständigen Stellung des dealer ist, daß er im Wesentlichen mit A 182 Termingeschäften zu thun hat, wie später zu | erörtern. Es wird alsdann sich ergeben, 5 daß auf dem Ultimomarkt auch bei uns in den unvereidigten Maklern (zumal den Maklerbanken) ähnliche Funktionäre existiren. 147 ' Am besten darüber: Ring a.a.O.6 |

5 Unten, S. 3 3 3 - 3 3 6 . 6 Ausführungen zur tatsächlichen und rechtlichen Stellung des Marktes finden sich in: Ring, Maklergesetzentwurf, S. 144 passlm; Max Weber stützt sich Im weiteren auf ebd., S. 1 4 9 - 1 5 2 und 155f.

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Gegenaufträgen zureicht. (Nicht selten übernimmt der Makler schon auf Grund des Ergebnisses der vorläufigen Kursfeststellung auf Anfrage eines Auftraggebers, ob der Kurs „fest" sei, die Ausführung zu diesem Kurs, obwohl durch Reklamationen oder Eingreifen des Kommissars die Feststellung noch geändert werden kann. Dann tritt die Bindung schon mit jenem Moment ein.) 7 Eine Verpflichtung zwischen andern Personen als dem Makler und seinen Auftraggebern von der Kaufs- und Verkaufsseite besteht aber auch jetzt noch nicht. Denn es steht noch gar | nicht fest, zwischen A183 welchen Kontrahenten das Geschäft definitiv zu Stande kommen wird. Der Makler hat vorläufig nur auf Grund der Gesammtheit der beiderseitigen Aufträge ermittelt, daß und zu welchem Preise der Kauf perfekt wird, und ist ebenso wie sein Auftraggeber gebunden, ihn als perfekt zu behandeln. Nunmehr hat er für jeden Auftrag von der einen Seite (z. B. der Käufer-Seite) einen passenden von der andern (der Verkäufer-)Seite (oder mehrere) auszuwählen und, wenn dies geschehen, beiden Theilen „Aufgabe" zu machen, d.h. jedem seinen Gegenkontrahenten zu proponiren. Dies geschieht regelmäßig im Laufe des Nachmittags. Wird die Aufgabe widerspruchslos entgegengenommen, so ist der Makler entlastet und das Weitere: die gegenseitige Erfüllung und die Konsequenzen etwaiger Nichterfüllung von einer Seite, ist Sache der Betheiligten. Die Aufgabe kann aber zurückgewiesen werden, denn Niemand ist gehalten, einen ihm nicht genehmen Gegenkontrahenten sich aufdrängen zu lassen. Dies kommt auch vor, wenngleich speziell bei Kassageschäften, bei denen die Erfüllung schon am nächsten Börsentag verlangt werden kann, nicht oft: die Person des Gegenkontrahenten ist hier nicht rechtlich, im Allgemeinen aber faktisch „fungibel". Erfolgt die Zurückweisung, so ist der Makler nicht entlastet, sondern hat eine anderweite Aufgabe mit den gleichen Konsequenzen zu machen. Gelingt es ihm nicht, dem Auftraggeber einen diesem konvenirenden Gegenkontrahenten zuzuweisen, so hat er selbst zu erfüllen. - Das ergibt sich - wie Ring zutreffend hervorhebt - unzweifelhaft aus der Bestimmung, daß, wenn bis zum nächsten Tag eine Aufgabe nicht gemacht ist - und das heißt eben: nicht

7 Von der Ü b e r n a h m e z u m vorläufigen Kurs berichtete der Makler Victor Benary. enquetekommission, Sten.Ber., S. 179f.

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Börsenenquete

mit dem Ergebniß gemacht ist, daß sie angenommen wurde - , der Auftraggeber sich zu Lasten des Maklers im Wege der ZwangsreA 184 gulirung zu decken berechtigt ist148). | Im Widerspruch also mindestens mit der Absicht, aber wohl auch mit dem Wortlaut des Handelsgesetzbuchs,8 ist hier eine persönliche Haftbarkeit des Maklers 5 als normale Rechtsfolge der Ausführungszusage direkt anzuerkennen. Sie ist keine Bürgschaft, denn es fehlt der Hauptverpflichtete, vielmehr wird der Makler in eben dem Moment frei, wo ein Gegenkontrahent acceptirt ist149), sondern sie ist Rechtsfolge der Übernahme des Auftrags in Verbindung mit der Feststellung, daß 10 er nach Maßgabe der Kursfeststellung erledigt werden kann und deshalb auch muß. Die Übernahme des Auftrags durch den Makler ist auch nicht eine im gewöhnlichen Sinne „bedingte" Zusage der Ausführung; die Bedingung, daß ein Kurs und zwar ein solcher, zu dem die Ausführung möglich sein werde, zu Stande kommen wer- 15 de, ist condicio juris, ihr Ausfallen wird als objektive Unmöglichkeit der Ausführung und damit der in der Übernahme eingegangenen Verpflichtung von den Usancen behandelt. - Vom Standpunkt des Auftraggebers gesehen, bedeutet also ein vom Makler übernommener Cassa-Auftrag einen Vertrag mit dem Makler, betreffend 20 den Bezug bezw. die Lieferung von Werthpapieren zu einem in bestimmter Art (durch die Kursfeststellung) zu ermittelnden Preise von einer resp. an eine vom Makler aus dem Kreise der nach Lage der Aufträge möglichen Gegenkontrahenten vorzuschlagende,

> § 11 Abs. 1 der Geschäftsbedingungen. 9 Mag auch die Bestimmung im Wesentlichen für die unvereidigten kreditlosen Makler - „Aufgabemakler" - praktische Bedeutung haben, so ging Kopetzky doch zu weit, wenn er bei seiner Vernehmung meinte, sie bezöge sich „dem Sinn nach" nur auf diese. | 149) A 184 Allerdings kommt auch Bürgschaftsleistung für die Aufgabe auf Verlangen vor, dann aber meist nicht durch den Makler selbst, was verboten ist, sondern durch einen Strohmann (s. unten), 1 0 den zu belasten er legitimirt ist. |

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8 Gemeint ist Art. 69 Nr. 1 HGB. 9 Max Weber referiert § 10 Abs. 1 - nicht § 11 Abs. 1 - der gemeinten Bedingungen der Berliner Börse von 1892. Auf diesen verweist Ring, Maklergesetzentwurf, S. 153f. Die im folgenden zum Teil zitierte Äußerung von Wilhelm Kopetzky findet sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 199f. 10 Unten, S.316.

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vom Auftraggeber frei zu acceptirende oder zu verwerfende Partei gegen Gebühr (Courtage). Der Vertrag enthält die condicio juris der Möglichkeit der Ausführung im obigen Sinn und hat die Rechtsfolge, daß der Auftraggeber, falls ihm ein ihm konveniren5 der Gegenkontrahent nicht zugewiesen wird, die Ausführung durch den Makler selbst sich gefallen lassen muß und sie von ihm verlangen kann. Der Vertrag ist von Seiten1 des Auftraggebers bis zum Moment des Abschlusses der vorläufigen Kursermittlung frei widerruflich, von da an unwiderruflich. | A 185 10 Als die normale Form der Erledigung gilt also, daß der Makler die zur Ausführung gelangenden Aufträge durch Aufgabe ausgleicht. Naturgemäß ist das, auch abgesehen von den Fällen, wo die Aufgabe refüsirt wird, keineswegs regelmäßig glatt möglich, vielmehr bleiben Beträge auf einer Seite übrig, sogenannte „Spitzen". 15 Die Makler suchen diese, wenn sie erheblich sind, durch eine Normirung des Kurses zu beseitigen, welche Abnehmer (je nachdem Käufer oder Verkäufer) heranlockt, oder sie gehen das interessirende Bankhaus an, im Interesse der Stabilität des Kurses die Spitze zu übernehmen. Die Maklergruppe behandelt auch die Ge20 sammtheit ihrer Aufträge derart als Einheit, daß jeder dem andern abnimmt, was er an durch diesen nicht zu erledigenden Aufträgen seinerseits durch Gegenaufträge zu decken vermag. Endlich werden eventuell auch die Auftraggeber um etwaige Modifikation ihres Limits im Interesse der Möglichkeit der Befriedigung ihrer 25 Aufträge angegangen. Aber auch trotzdem dies geschieht, bleiben oft genug erhebliche Beträge gefragt oder angeboten. Dann ist Verschiedenes möglich. Entweder 1. ein Theil der Aufträge bleibt unerledigt - und zwar wird in Berlin eine Rangfolge derart innegehalten, daß zuerst die unlimitirten, also die „zum Kurse", „bestens" 30 gemachten Aufträge und dann successive die dem Gegenkontrahenten günstigeren - den Makler weniger einschränkenden - Limiten erledigt werden150). Ist so nur eine Theilerledigung der Aufträge möglich, dann wird der Kurs durch ein zugesetztes B (Brief) 15

°) Dies ist anderwärts (z. B. in München) anders. 11

I A: Seite I I D a s M ü n c h n e r Verfahren für die Ermittlung der K a s s a k u r s e erläutert M a x W e b e r unten, S. 344 t.

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resp. G (Geld) entsprechend erläutert. Ein Anspruch auf Ausführung ist dann gegen den Makler nur für diejenigen Aufträge begründet, welche (vom Standpunkt des Maklers aus) günstiger als der Kurs limitirt waren (Kaufaufträge mit höherem, Verkaufsaufträge mit niedrigerem Limit)151). - Oder aber: 2. der Makler bezieht 5 bezw. liefert den Betrag selbst. | A 186 Dieser Eventualität, selbst zu leisten, kann er aber nach Lage der Verhältnisse, auch abgesehen von den beiden bisher erörterten Fällen: der Nichtbeschaffung einer konvenirenden Aufgabe und der „Spitze", oft gar nicht entgehen. Am häufigsten tritt ein fernerer 10 Grund auf dem Wechselmarkt in Wirksamkeit. Daß die verlangten und angebotenen Appoints - ganz abgesehen von der verschiedenen Bonität der Unterschriften - in Bezug auf Sichten und namentlich Wechselsummen derart einander korrespondiren, daß der Makler sie einfach vom Verkäufer auf den Käufer übertragen las- 15 sen könnte, ist natürlich keineswegs die Regel. Es ist, soweit nicht die bei der Wechselkursnotirung meist anwesenden großen Bankiers Abhilfe schaffen, auch hier unvermeidlich, daß eine Instanz nach Art des englischen dealer dazwischen tritt und durch Schaffung geeigneter Appoints diese Unterschiede ausgleicht. Da der 20 Makler formell hier ebensowenig wie bei der Übernahme der „Spitzen" als diese Instanz in die Erscheinung treten darf - in dem letztgenannten Falle, wo eine kapitalstarke und als Wechselunterschrift einigermaßen bekannte Ausgleichsstelle benöthigt wird, könnte er es auch nicht - , so greift er zu dem gleichen Mittel, wel- 25 ches die Kommissionäre anwendeten, so lange ihnen noch der Selbsteintritt untersagt war (in Preußen bis zur Einführung des Handelsgesetzbuches). 12 Er tritt mit einer Bank in Geschäftsverbindung, welche ein für allemal sich von ihm als „Aufgabe" verwenden läßt bezw. das nöthige Material an Wechseln liefert oder 30 abnimmt. Die Verbindungen der Makler mit diesen sogenannten isi) Für unlimitirte Aufträge gilt die Usance, daß, auch wenn dem Kurs ein B bezw. G vorgesetzt ist, der Auftraggeber alsbald von der nur theilweisen Ausführung zu benachA 186 richtigen ist, da die un|limitirten Aufträge als Aufträge „zum Kurs" in der Rangfolge der Befriedigung den Vorzug haben. |

12 Das HGB wurde durch das Preußische Einführungsgesetz geführt.

zum HGB von 1861 ein-

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„Strohmännern" werden oft Jahre lang kontinuirlich zwischen ein und denselben Firmen festgehalten. Das Institut ist aber auch, abgesehen von dem Verbot formeller eigener Geschäfte schon deshalb schwer entbehrlich, weil die Stellung eines thatsächlich selbsthaftenden Vermittlers eine starke Kreditwürdigkeit desselben voraussetzt. Die vereidigten Makler in Berlin sind aber mit ihrem oft weit unter 50000-100000 Mark Vermögen von weit geringerer Kapital!kraft, nicht nur als in England die dealers und in Paris die A187 agents de change, sondern selbst als die Frankfurter vereidigten Makler. 13 Es werden in Berlin mit Absicht und in Übereinstimmung mit einem bezüglichen Ministerialerlaß auch unverschuldet in Vermögensverfall gerathene Kaufleute zu Maklern bestellt. 14 Auch das Einkommen der Makler gewährt nicht immer Gelegenheit zum Vermögenserwerb: durchschnittliche Monatseinnahmen von 300 und selbst von nur 150 Mark sind während geschäftsstiller Perioden nach den Erfahrungen der „Ältesten" mehrfach bei Maklern vorgekommen. 15 Eine umfangreiche Kreditgewährung an die Makler selbst würde hiernach durchaus nicht immer auch nur möglich erscheinen. Vergleicht man mit dieser in sich widerspruchsvollen Rechtsstellung diejenige der entsprechenden Funktionäre an den fremden Börsen, so geht das Vorhandensein und die Person eines Gegenkontrahenten beim Londoner dealer Niemand etwas an, sie ist Internum seines Geschäftsbetriebes. - Der Pariser agent de change haftet - und für ihn solidarisch das Syndikat - für die Erfüllung der Abschlüsse. Er benennt seine Gegenkontrahenten nicht, ist sogar zur Diskretion verpflichtet, er muß nur - entsprechend dem Verbot eigener Geschäfte - einen solchen beschaffen: eben weil dies nicht nur positives Recht ist, sondern Charakteristikum seines Geschäftsbetriebes, ist er wirthschaftlich „Makler". Privatrechtlich ist 13 Die Vermögensangabe von 50-100000 Mark zitiert Max Weber vermutlich aus der wörtlichen Rede von Johannes Kaempf. Dieser nannte die Zahl ohne Anspruch auf Authentizität, lediglich in Form eines fiktiven Beispiels. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.885. Ludwig Max Goldberger berichtete von den im Gegensatz zu Berlin „außerordentlich reichen Maklern" in Frankfurt. Ebd., S. 709. 14 Ein solcher Ministerialerlaß war nicht nachzuweisen. 15 Diese Zahlen nannte der Bankier Emil Salomon, ebd., S. 1244f. Salomon war Mitglied des Börsenkommissariats der Berliner Fondsbörse und der Korporation der Kaufmannschaft von Berlin. In das Ältestenkollegium der Kaufmannschaft von Berlin wurde er erst 1899 gewählt.

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er Kontrahent. Die „Spitzen" - wie wir sagen würden - gleicht er eventuell durch Geschäfte mit seinen Kollegen aus; im Terminsowohl als im Kassaverkehr ist hier im Allgemeinen die Möglichkeit für ihn geboten, seine Verbindlichkeiten „auf den Nullpunkt zu bringen".16 5 Der österreichische Sensal andererseits ist durch Art. 69 a des HGB.'s in der Fassung des früher citirten Gesetzes ermächtigt, seine Aufgabe nicht zu benennen, wenn er von dieser „angemessene Deckung erhalten hat oder mit voller Beruhigung erwarten kann". 17 Er haftet für den Fall, daß er sich von einer nicht als Auf- 10 gäbe benannten und vom Auftraggeber acceptirten Person, von welcher er Leistung nicht mit „Beruhigung" erwarten konnte, DekA 188 kung nicht geben ließ, persönlich. Diese | Haftung entspricht funktionell, trotz etwas abweichenden juristischen Inhalts, der geschilderten Aufgabehaftung des Berliner Maklers, und es ist deshalb 15 unrichtig, wenn Mendelssohn, der in der Kommission die strenge Aufrechterhaltung des Verbots eigener Geschäfte im Sinne des Art. 69 HGB.'s verlangte, sich auf das Beispiel der österreichischen Sensale bezog, die ohne solche auskämen.18 Nichts zeigt zugleich deutlicher als jene eigenthümliche österreichische Bestimmung, 20 auf was es ankommt. Man erwartet vom Makler, daß er sich durch ein Gegengeschäft deckt, auch wo der Kontrahent des Gegengeschäfts anonym bleibt. Die Balancirung seiner Verbindlichkeiten gehört zu seinen Pflichten, die er gegenüber der Gesammtheit derer hat, die mit ihm Geschäfte machen. Aber das schließt die eigene 25 Haftung für alle oder einige seiner Abschlüsse nicht aus. Der Begriff „eigenes Geschäft" ist kein formal-juristischer, sondern ein materiell-wirthschaftlicher, das Verbot desselben bedeutet: er soll, auch wo er juristisch Kontrahent ist, nicht im ökonomischen Sinne spekuliren. Als ökonomische Pflicht (i?ee///iäispflicht) besteht diese 30

16 Wörtlich sagte Wilhelm Lexis vor der Börsenenquetekommission: „[...] die französischen Makler [...] haben es in der Hand durch angemessene verständige Berechnung unter sich selbst, ihre Verbindlichkeiten immer auf dem Nullpunkt zu erhalten." Ebd., S. 3589. 17 Max Weber zitiert hier und im folgenden aus dem bereits oben, S.307, erwähnten Art. 69a des Gesetzes vom 4. April 1875, abgedruckt unten, S. 974. 18 Die Argumente von Ernst Mendelssohn-Bartholdy finden sich in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 341. Hier ist die im Deutschen Reich geltende Bestimmung des Art. 69 Nr. 1 HGB gemeint.

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Schranke für alle Makler als solche, eine Rechtspflicht ist sie für die vereidigten. Sie ist auch als solche da, wo der Makler zur Aufgabe nicht verpflichtet ist, nicht durch einen dahingehenden privatrechtlichen Anspruch des Auftraggebers, sondern durch verwaltungs5 und disziplinarrechtliche Vorschriften unter Rechtsgarantie gestellt. Schwer zu schätzen ist, welcher Bruchtheil der Kassageschäfte in Berlin durch die Hände der vereidigten Makler geht. Bei gewissen größeren Papieren (Russen etc.) wendet sich ein erheblicher 10 Bruchtheil der Reflektanten unmittelbar an die bekannten Bankhäuser, welche die Papiere beherrschen,19 direkt, in zahlreichen einzelnen Fällen geschieht dies naturgemäß zur Ersparung der Courtage überhaupt. Fühlbar ist die Konkurrenz der unvereidigten Makler auch im Kassageschäft. Sie handeln zu niedrigeren Cour15 tagesätzen als die vereidigten, oft - der sogenannte „Frankomarkt" - ganz ohne Courtage, indem sie ihren Gewinn in den kleinen Tagesdifferenzen der notirten Kurse von den ihrigen suchen oder auch die per Kassa gemachten Schlüsse zur | Deckung ihrer Enga- A 189 gements per Ultimo verwenden. Sie bringen dann nur den Theil 20 der Abschlüsse, welchen sie nicht „in sich" ausgeglichen haben, als Auftraggeber der vereidigten Makler an diese. Immerhin sind insbesondere die Kommissionäre für Kassaaufträge im Wesentlichen auf Deckung bei den vereidigten Maklern angewiesen, und es ist im Allgemeinen anzunehmen, auch von den Sachverständigen be25 kündet, daß im Kassageschäft die Thätigkeit der vereidigten Makler stark überwiegt. Was die praktische Bedeutung des Einheitskurses anlangt, so war die Mehrzahl der Berliner Sachverständigen auf das Entschiedenste für das Institut eingenommen. Es habe, wurde mehrfach gesagt, 30 den Berliner Platz „groß gemacht'.20 Namentlich der einheitliche Wechselkurs habe bewirkt, daß Berlin, trotzdem es selbst wenig

19 Max Weber stützt sich hier und im folgenden auf die Ausführungen des Sachverständigen Emil Salomon. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1246 und 1249. - Die russischen Staatsanleihen (Russen) emittierten in Berlin die Bankhäuser Mendelssohn & Co., S. Bleichröder und die Diskonto-Gesellschaft. 2 0 In diesem Sinne äußerten sich die Sachverständigen Victor Benary, Louis Bamberger, Emil Salomon, Hermann Lehmann und Slegmund Weill. Ebd., S. 179f., 705, 1632 und 1984. Im folgenden referiert Max Weber die Ansichten von Julius Alexander. Ebd., S. 519.

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Wechsel produzire, einer der ersten Wechselplätze der Welt geworden sei. Ebenso beruhe der Umfang des Berliner Kommissionsgeschäftes auch darauf, daß der einheitliche Kurs eine genaue Kontrolle des Kommissionärs ermögliche. In der That dürfte diese Behauptung zutreffen. Einer der großten Vorzüge des Einheitskurses zu Gunsten Berlins gegenüber fremden Börsenplätzen ist sicherlich, daß hier jeder Auftrag, er betreffe einen noch so unerheblichen Betrag, zum gleich günstigen Kurse wie die größten erledigt wird, während man diese kleineren Beträge anderwärts von der Börse fort in die Wechselstuben verA190 weist152'. Für einen jungen Börsenplatz, | in einem erst neu in den großen Verkehr eintretenden Lande fiel das quantitativ stark ins Gewicht. Ebenso mußte die gleichmäßige Behandlung der überhaupt der Qualität ihrer Unterschriften nach börsengängigen Wechsel dem Wechselhandel ein erhebliches Material von Wechsein guter Qualität, aber nicht gerade allerersten Ranges zuführen, welche bei der Notirung mit den Wechseln der größten Firmen rangirten - ein Grund, welcher in der Kommission Veranlassung zu Angriffen der Vertreter des großen Bankkapitals ( M e n d e l s s o h n ) , welches naturgemäß Abstufung der Notirung nach der Bonität wünschen muß, gegen den Einheitskurs für Wechsel bildete.21 ls2> Auch für Berlin trifft dies allerdings nicht (nicht mehr?) voll zu. Ganz große Posten bedingen oft besondere Courtage-Verabredungen und besondere Notirung (im Zettel P. bez. = „Posten bezahlt") - ebenso werden ganz kleine von den Maklern oft nicht zur Notirung zugelassen (Notirung: „kl. f." = „kleine Posten fehlen", sind nicht zu diesem Kurse gehandelt). Allein immerhin ist dem Berliner Platz die Berücksichtigung einmal kleinerer und dann der nicht abgerundeten Posten eigenthümlich. - Ein häufiger Grund der Nichtübereinstimmung der Kassa- und Ultimokurse ist der, daß im Kassaverkehr eine „Spitze" in Gestalt eines nicht runden Betrages bleibt, der als Deckung für ein UltiA 190 mo-Engagement nicht | brauchbar ist, und dessentwegen nun, da er nicht fortzuschaffen ist, der ganze Kurs eine Dezimalstelle höher oder niedriger bleibt, als er sich sonst unter der Wirkung der Nachfrage am Ultimomarkte gestalten würde. (Cf. über alle diese Dinge Siegfried a.a.O.22 Die Kommission ist leider in diese konkreten Details viel zu wenig eingedrungen.)

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21 Auf den Mißstand der einheitlichen Notierung der Wechsel machte Mendelssohn-Bartholdy Victor Benary aufmerksam. Benary lehnte mit der Begründung, daß verschiedene Kursnotierungen für Wechsel nur „zu einer großen Begünstigung der allerersten Bankiers führen" und die „mittleren und kleinen Häuser dadurch geschädigt" würden, eine differenzierte Notierung ab. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 185. 2 2 Die Ausführungen finden sich in: Siegfried, Saling's Börsenpapiere, S. 19f. und 23. Vgl. hierzu die Korrekturen von Max Weber, unten, S. 355, Fußnote 1.

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Die Mängel, welche der Einheitskurs andererseits nach Ansicht einzelner Sachverständiger in sich birgt, sind nicht ihm eigenthümlich, sondern jeder Kursnotirung, welche den seriösen Charakter der aufgegebenen Geschäfte nicht prüft und die gehandelten Quanta nicht publizirt. 23 Die letztere, lediglich eine Zusammenrechnung der Aufträge der Makler voraussetzende, Ermittlung wäre unzweifelhaft möglich. Weit schwieriger wäre eine Kontrolle der Realität der gehandelten Kurse. Es kann eine, auch für das Verhältniß zu den Kommittenten maßgebende, bestimmte Höhe des normirten Kurses seitens daran interessirter Bankhäuser in solchen Papieren, die nicht täglich Gegenstand großer Effektenumsätze sind, zweifellos dadurch herbeigeführt werden und ist auch herbeigeführt worden 153 ', daß der betreffende Bankier geringfügige Beträge zu einem bestimmten Kurse ausbot oder begehrte oder geradezu mit Strohmännern Geschäfte dieser Art abschloß. Der Fall muß in sehr grober Form vorliegen, damit, was vorgekommen ist, die erkennenden Gerichte die so zu Stande | gebrachte Kursno- A191 tirung als simulirte oder erschlichene erkennen und demgemäß für unmaßgeblich erachten. Weit leichter ist den unmittelbar am Börsenhandel Betheiligten, namentlich den Maklern, ein derartiger Charakter der für die Notirung aufgegebenen Aufträge ersichtlich. Einen erkennbar so zu Stande gekommenen Kurs reprobirt 24 denn 153>

„ F a l l Polke." 2 5 |

23 So nach Ansicht der Sachverständigen J a c o b Kussel und Arthur Gwinner. Ebd., S. 1471 und 1982. 24 Veraltet für „etwas mißbilligen, verwerfen, zurückweisen". 25 Der Berliner Bankler Paul Polke hatte sich 1892 In einem Aufsehen erregenden Prozeß g e g e n d e n Vorwurf zu verantworten, Kunden systematisch betrogen zu haben. Um einen großen Bestand von Aktien der ihm nahestehenden Fagonschmiede-Aktiengesellschaft günstig verkaufen zu können, habe er bewußt falsche Informationen verbreitet und durch gezielte kleine Aufkäufe d e n Börsenkurs manipuliert. Auf diese Weise sei es ihm gelungen, seine Aktien zu weit überhöhten Kursen zu verkaufen, w ä h r e n d seine Kunden durch die anschließend stark fallenden Kurse große Verluste erlitten haben. Allerdings war es der Staatsanwaltschaft nicht gelungen, d e n Tatbestand des Betrugs zu beweisen. Polke ist nach 36 Verhandlungstagen freigesprochen worden. Die Berufung g e g e n das Urteil 1894 war insofern erfolgreich, als das Verfahren zur Neuverhandlung zurückverwiesen w o r d e n ist. Doch ist es dazu nicht mehr gekommen. Polke hatte sich Inzwischen nach Paris abgesetzt und galt überdies nicht mehr als verhandlungsfähig. Plack-Podgdrski, Prozeß Polke; BBC, Nr. 428 v o m 13. Sept. 1894, Mo.BI., 1. Beilage, S. 1. - Der Fall Polke kam auch w ä h r e n d der Verhandlungen der Börsenenquetekommlssion Immer wieder als Beispiel für Manipulationen übelster Art zur Sprache.

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auch die Börse, und der Kommissar ist in der Lage, durch Streichung der Notirung dieser Auffassung Rechnung zu tragen. Eine solche Streichung ist auch, aber naturgemäß nur in eklatanten Fällen, vorgekommen. Der Kurs soll „verum pretium" 26 sein. Ein anderer Vorwurf, der dem Einheitskurs von Hamburger Sachverständigen (Hinrichsen) gemacht wurde, ist der: daß thatsächlich auch bei großem Verkehr oft kleine limitirte Aufträge für seine Feststellung den Ausschlag geben, wenn ihnen große nicht limitirte gegenüberstehen. 27 Das kann sicherlich, wenn nämlich die nicht limitirten Aufträge nur bei Berücksichtigung der nach ihrem Limit ungünstigsten Gegenaufträge voll ausgeführt werden können, vorkommen. Für den Fall, daß dadurch erhebliche Verschiebungen des Kurses herbeigeführt würden, ist den Maklern in Berlin vorgeschrieben, 28 die Interessenten durch Anschreiben der nach der vorläufigen Kursermittlung zu gewärtigenden Kurshöhe an eine dazu im Börsensaale reservirte Tafel zu benachrichtigen, damit durch Modifikation der Aufträge oder durch Ertheilung neuer Aufträge das Gleichgewicht hergestellt werde. Auch ist es vorgekommen, daß in solchen Fällen die Notirung vom Kommissar geradezu verweigert 154 ) oder besonders große Aufträge nur zum Theil A 191

154 ) So bei den Hibernia-Aktien, über welche bezw. den Grund ihrer plötzlichen Hausse um 50 Prozent sich eine erregte Debatte zwischen Graf Kanitz und einigen Sachverständigen erhob.29

26 Sein Verständnis des Begriffs „verum pretium" als ein nichtmanipulierter Preis erläutert Max Weber unten, S. 323. 27 Der von S i e g m u n d Hinrichsen erhobene Einwand findet sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 705. 28 Durch das von d e n Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin erlassene Zirkular, betr. die Kursfeststellung der Kassawerte, in: BBC, Nr. 2 v o m 2. Jan. 1889, Ab.BI., S. 3. 29 Als Ursache für die plötzliche, auf einen Tag fallende Hausse in Aktien der Bergwerksgesellschaft Hibernia nannte der Bankier Julius Alexander „die Spielwut von hundert verschiedenen Personen". Es seien Kaufaufträge auf drei oder vier Millionen Mark - bei einem Grundkapital der Gesellschaft von 12 Millionen Mark - z u m ersten Kurs eingetroffen. Hätte der Börsenkommissar nicht eingegriffen, so wäre eine Kurssteigerung bei einem d a m a l i g e n Stand von ca. 200 Prozent auf 250 oder 260 Prozent z u s t a n d e g e k o m m e n . Seine Ansicht unterstützte Max Winterfeldt (Aufsichtsrat der Hibernia), dessen Firma, die Berliner Handelsgesellschaft, z u s a m m e n mit d e m Bankhaus S. Bleichröder die HiberniaAktien emittiert hatte, g e g e n die Meinung von Graf Kanitz. Er behauptete, die Aktiengesellschaft habe z u s a m m e n mit d e m emittierenden Bankhaus z w e c k s A u f s t o c k u n g des Grundkapitals und A u s g a b e junger Aktien die Kaufaufträge an die Börse gebracht, um d e n Kurs der Aktien auf pari zu bringen. Der Vorsitzende Richard Koch g i n g der Sache nach und verlas einige Zeit später ein Schreiben des von Graf Kanitz als G e w ä h r s m a n n

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zur Erledigung und Berücksichtigung an demselben Börsentage zugelassen wurden155). Es kommt | auch darin zum Ausdruck, daß A 192 der Einheitskurs nicht bloß das mechanisch-rechnerisch ermittelte Ergebniß der zufälligen Tagesaufträge sein will, sondern ein Aus5 druck der jeweiligen Marktbewerthung des betreffenden Effekts. Den Käufern und Verkäufern, welche ihre Aufträge zu diesem einheitlichen Standard ausführen lassen müssen, soll nicht ein rein formal ermitteltes „verum pretium", sondern ein „justum pretium", ein der Gesammt-Marktlage adäquater Preis, oktroyirt werden. 10 Nach alledem ist der Einheits-Kassakurs in Berlin ein ökonomisch wie juristisch interessantes Phänomen als ein Versuch der Emanzipation von der individuell-atomistischen zu einer organisirten Preisbildung. Die rein individuelle Preisabrede ist wirthschaftr lieh ja überhaupt nicht die vorherrschende Erscheinung. Außerhalb 15 der Börse ist das Kontrahiren zum nicht vereinbarten, „ortsüblichen", „angemessenen" Preise überwiegend. Steckt hierin ein Rest der traditionell gebundenen Güterbewerthung, welche sich oft - in Preistaxen etc. - zur autoritären Preisoktroyirung verdichtete, so bewirkt die Börse auf dem Wege der Organisation der Konkurrenz 20 faktisch eine Einschränkung der atomistischen Freiheit der Konkurrenz. Höchst charakteristisch ist, wie die Sachverständigen mit dem jener schrankenlosen wirthschaftlichen Ungebundenheit durchaus inkoncinnen30 Argument operirten, daß die Zubilligung des gleichmäßigen Einheitskurses an alle Reflektanten das gerech25 teste sei, weil dadurch der einzelne Kommissionär davor bewahrt werde, daß ein anderer seine Kunden zu günstigeren Preisen bedienen könne 31 - während dem individualistischen Konkurrenzprin155) Es ist vorgekommen, daß die Makler ihren Auftraggebern berichten mußten, daß nach Verfügung des Kommissars die Aufträge nur zu 50 Prozent zur Erledigung zugelassen seien. 32 Die weitgehende Reglementirung des Verkehrs, welche die Börse selbst im | Interesse der Preisregulirung sich nicht scheut zur Anwendung zu bringen, tritt in sol- A 192 chen Fällen besonders drastisch hervor. |

genannten preußischen A b g e o r d n e t e n von Eynern. Dieser bestritt gleichfalls den von Kanitz geschilderten Vorgang. Börsenenquetekommission, Stert.Ber., S. 5 1 4 - 5 1 6 und 1019. 30 Hier im Sinne von „ungereimt, u n p a s s e n d " . 31 In diesem Sinne äußerte sich der Berliner Bankler J a c o b Kussel. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1479f. 32 Die A n g a b e n entnimmt Max Weber vermutlich Siegfried, Saling's Börsenpapiere, S. 25.

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zip doch umgekehrt der Wettstreit der Kommissionäre entsprechen würde. Der Einheits-Kassakurs der Berliner Effektenbörse ist also ein Versuch der Konzentration des Marktes durch simultane Erledigung der Gesammtheit des vorhandenen Angebots und der Nachfrage: Kursformulirung. Auswärtige Börsen wenden äußerlich sehr A 193 abweichend aussehende Mittel an, so die englisch-)amerikanischen, soweit sie das Institut der dealers nicht ausgebildet haben, das bei uns nur vereinzelt als typische Form des Börsenhandels entwickelte der Versteigerung - den sogenannten „public call". Der Hergang bei dieser Manipulation ist nach Angabe von Augenzeugen 33 ein fast feierlicher. Der Verkehr vollzieht sich im Allgemeinen wie bei uns im Wege der Knäuelbildung der Interessenten, die in einem Papier vorhanden sind, auf dem gewohnten „Markt" desselben und durch gegenseitiges Ansteigern, bis „bids" und „offers" sich begegnen, jedes Gebot bindet bis zur Abgabe eines höheren, und das physische Moment der Lungenkraft ist nicht zuletzt maßgebend für die Schwankungen, welche die Preisbewegung durchmacht. Auf ein gegebenes Glockenzeichen aber schweigt der regellose Lärm des Verkehrs, die einzelnen Papiere werden aufgerufen und durch einen Börsenbeamten die gegenseitigen Ansteigerungen entgegengenommen, jedes günstigere Angebot beseitigt das vorhergehende, ein zu Stande gekommener Abschluß wird alsbald protokollirt. Während der Zeit der calls ist meist jeder andere Geschäftsschluß verboten156^. - In London tritt an die Stelle dieses immerhin primitiveren Instituts die Funktion des dealer, welcher gewissermaßen ein lebendes Kursthermometer darstellt. -

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156 ) Verschieden scheint die Bedeutung des Instituts für den Verkehr zu sein. Manche Börsenordnungen behandeln ihn - wohl nicht den thatsächlichen Verhältnissen entsprechend - als fast allein herrschende Form des Verkehrs, anderwärts scheint es fast, als ob er wesentlich Zwangsregulirungsmittelm sei. Seine praktische Bedeutung bedarf also der Aufklärung. |

m A: Zwangregulirungsmittel 33 Gemeint sein könnte Hermann Schumacher. Er spricht in seinem erst 1896 erschienenen Aufsatz über die amerikanischen Getreidebörsen von der „steifen Würde des Calls" und d e m „ a n d ä c h t i g e n Auditorium". Schumacher, Getreidebörse, S. 188 und 190. Vermutlich erfuhr Max Weber v o m Inhalt des Aufsatzes gesprächsweise.

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An der geschilderten Gestaltung des Kassa-Einheitskurses und der daraus resultirenden Stellung der Makler hat die Berliner Börse festgehalten. 1874 wurde der Versuch gemacht, das englischamerikanische System der festen Schlüsse und protokollirten Kur5 se einzuführen, blieb aber erfolglos.34 Statt dessen versuchte ein im Jahre 1886 dem Bundesrath vorgelegter, aber unerledigt gebliebener Maklergesetzentwurf den bestehenden Verhältnissen durch Freigabe der Bürgschaftsleistung35 (nicht des | Selbsteintritts) der A 194 Makler Rechnung zu tragen. Ring hat schon damals sehr zutrefio fend nachgewiesen,36 daß dadurch die Illegalität der heute thatsächlich herrschenden Stellung des Maklers nicht behoben werde. Denn es handelt sich dabei, wie ausgeführt,37 nicht um Verbürgung. Ebenso hat der Berliner Platz sich stets gegen Beseitigung des Instituts der vereidigten Makler ausgesprochen, wesentlich wegen 15 ihrer Funktion im Kassageschäft. Denn für das Ultimogeschäft ist in Berlin einmal ihre Bedeutung überhaupt eine weit geringere, dann aber auch ihre Rechtsstellung und Funktion eine wesentlich andere. Dieser Unterschied ist kein zufälliger. 20 Daß die spekulativen Abschlüsse im Terminhandel sich einer simultanen Erledigung zu einem Einheitskurse für die ganze Börsenzeit nicht fügen können, liegt in der Natur der Sache. Das Geschäft muß alsbald fest zu einem bestimmten Kurs zu Stande kommen, auf eine Ungewißheit während einer irgend beträchtlichen 25 Zeitspanne kann sich kein Spekulant einlassen, sein Risiko würde ins Unabsehbare wachsen und sein Kalkül jeden Boden verlieren. Man muß sich vergegenwärtigen, daß, wenn man die Spekulation nöthigen wollte, wie im Kassageschäft zuzuwarten, ob und zu welchem Kurse ihr Auftrag erledigt werden wird, jede Termin-Arbitra30 ge mit fremden Börsen abgeschnitten und so die einzelnen Börsen auseinander gerissen werden würden, um das Unmögliche jedes 3 4 Die hier gemeinte, Absicht gebliebene Vorschrift, wie Ring, Maklergesetzentwurf, S. 148f., berichtet, ist im Nachtrag zur Maklerordnung vom 12. August 1874 fixiert worden. 3 5 Gemeint ist der von Preußen am 8. Mai 1886 im Bundesrat eingebrachte Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Pflichten der Handelsmäkler, durch den das Verbot der Bürgschaftsleistung des Art. 69 Nr. 1 HGB aufgehoben werden sollte. Ring, Maklergesetzentwurf, S. 122. 3 6 Ring, Maklergesetzentwurf, S. 152 f. 3 7 Oben, S. 313-315.

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solchen Versuches einzusehen. Die Kassageschäfte sind bei uns überwiegend nicht rein spekulative, deshalb eben ist ja der Einheitskurs bei ihnen möglich. Würde, zum Beispiel durch Unterdrückung des Terminhandels, die Spekulation gedrängt, sich bei uns, wie in New York, auf den Kassaverkehr zu werfen, so würde es auch mit dem Einheitskurs zu Ende sein. Die offizielle Ultimokursnotirung vollzieht sich in Berlin wie folgt: Es wird zunächst - 10 Minuten nach 12 Uhr - ein sogenannter „Anfangskurs" durch die vereidigten Makler festgestellt. Dieser Feststellung zu Grunde gelegt werden die Aufträge, welche sich bis A195 zu diesem Moment, also zu Anfang der Börsenzeit, in | den Händen der vereidigten Makler der betreffenden Effektengruppe befinden oder im Moment der Feststellung gegeben werden. Und zwar erfolgt sie in gleicher Art wie der Kassakurs, nur daß sich die Kursermittlung hier auf eine kürzeste Zeitspanne zusammendrängt und die Protokollirung nicht alsbald erfolgt. - Es sind wesentlich von auswärts vor der Börsenzeit eingegangene Kommissionsaufträge, welche von den Kommissionären an die vereidigten Makler gebracht werden, da solche usancemäßig „zum ersten Kurs" zu erledigen sind 157 \ Da nun aber gleichzeitig der Ultimoverkehr im „freien Markt" bei den unvereidigten Maklern und zwischen den Spekulanten direkt begonnen hat, so können Differenzen der dort thatsächlich gehandelten Preise mit den als Anfangskurs festgestellten Standards eintreten. Hier ist deshalb die Vorschrift getroffen, 38 daß im Falle A 195

157) Auf Veranlassung des Senatspräsidenten Wiener äußerten sich die Sachverständigen über den Sinn der Aufgabe „bestens".39 Sie bedeutet Verschiedenes im Verhältniß vom Kommittenten zum Kommissionär und im Verhältniß vom Auftraggeber zum Makler. Der Auftrag an den Kommissionär, „bestens" zu kaufen bezw. zu verkaufen, bedeutet: ohne Preislimit, unter Wahrung des Interesses des Kunden. Bei vorbörslichen Aufträgen ist der Kommissionär im Allgemeinen bei Ausführung zum Anfangskurs entlastet, er kann aber im Interesse des Kunden einen diesem günstigeren Kursstand abwarten. Der Auftrag „bestens" an den Makler bedeutet ebenfalls: „ohne Limit", immer aber ist die Ausführung sofort zu bewirken. ]

38 In d e m von d e n Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin erlassenen Zirkular, betr. die Kursfeststellung der Kassawerte, in: BBC, Nr. 2 v o m 2. Jan. 1889, Ab.BI., S. 3. 39 Gemeint sind Wilhelm Kopetzky, Julius Bäsch und Hermann Lehmann. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.331, 1015f., 1649f.

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ersichtlich bedeutender Unterschiede, wenn also das Kursbild, welches die in Händen der vereidigten Makler vorliegenden Aufträge ergeben, der Marktlage nicht entspricht, die Feststellung auf 10 Minuten auszusetzen und dies bekannt zu geben ist, damit inzwisehen durch Eingang weiterer Aufträge die Abweichung sich ausgleichen könne. Der Schwerpunkt des Verkehrs liegt also oft schon bei den Anfangsnotirungen im „freien Markt". Vollends ist dies im weiteren Verlaufe der Börsenzeit der Fall. Eine Einheitskursnotirung findet im Ultimoverkehr im Verlauf der Börse nicht weiter statt. | Vielmehr enthält die Kursnotiz nunmehr eine Mehrheit von A196 Notirungen, entsprechend den Schwankungen der Tendenz. Diese Kursermittelungen, welche auf den Anfangskurs folgen, sind lediglich Kursregistrirungen auf Grund schon gemachter Geschäfte, nicht „Kursformulirungen" im obigen Sinne. 40 Es wird in festen Abschlüssen gehandelt, jedes Geschäft kommt zu dem gebotenen oder geforderten Kurs entweder alsbald zu Stande oder nicht. Die Kursnotirung soll nur den thatsächlichen Verlauf des Verkehrs zum Ausdruck bringen und enthält deshalb ähnlich der Pariser: ersten, letzten, höchsten, niedrigsten Kurs. Nur ist der Anfangskurs hier etwas Anderes als in Paris. Die weiteren Notirungen sind auch nicht ermittelt auf Grund nur von Geschäften, welche die vereidigten Makler selbst vermittelt haben. Die vereidigten Makler sollen vielmehr auf Grund der Beobachtungen der Vorgänge auf dem gesammten Markt die „Spannung" der Preisbewegung zum Ausdruck bringen. In ein vor ihm liegendes Schema pflegt der Makler demgemäß die ihm zur Kenntniß kommenden höchsten und niedrigsten gehandelten Preise einzutragen, jeder Interessent kann durch den Nachweis, zu einem noch höheren oder noch niedrigeren Preis gehandelt zu haben, die Aufzeichnungen modifiziren, eventuell was vorkommt - durch Beschwerde beim Börsenkommissar. Eine Kenntlichmachung des Zeitpunktes, zu welchem die betreffenden höchsten und niedrigsten Preise gezahlt wurden, erfolgt nicht. Endlich wird noch ein sogenannter „Schlußkurs" notirt. Dieser ist aber nicht, wie der Anfangskurs, ein formulirter Einheitskurs, sondern lediglich Registrirung desjenigen Preises, zu welchem in dem Ef4 0 Oben, S.296f. Die folgenden Ausführungen von Max Weber stützen sich zum Teil wörtlich auf die Erläuterungen des Sachverständigen Emil Salomon. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1233f.

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fekt thatsächlich bei Schluß der Notirungszeit gehandelt worden ist. Gelegentlich, aber nicht oft, gelangen an die Makler Aufträge „zum Schlußkurse", dann werden sie von ihnen zu den bei Schluß der Notirungszeit zu erlangenden Kursen erledigt; eine Sonderstel- 5 lung, wie sie der Anfangskurs einnimmt, kommt aber dem Schlußkurs nicht zu. Was nun die Stellungnahme der Berliner Sachverständigen zu der dortigen Art der Kursnotirung anlangt, so wurde, neben den A 197 schon besprochenen Eigenheiten des Einheitskurses im | Kassage- 10 schäft,41 von den meisten die völlige Öffentlichkeit der Kursbildung als ein erheblicher Vorzug gerühmt. 42 Nur von einem vereidigten Makler wurde - offenbar unter dem Einfluß der Interessenlage diese Öffentlichkeit bekämpft und vielmehr die Ausschließung derselben schon während der vorläufigen Kursermittlung verlangt. 15 Der betreffende Sachverständige (Lehmann - Berlin) 43 hielt das durch die öffentliche Berathung mögliche Eingreifen der Interessenten für schädlich. Noch lästiger schien ihm die Ausnutzung der Öffentlichkeit durch die unvereidigten Makler. Es sei, behauptete er, ein typischer Vorgang, daß diese letzteren, wenn in einem Effekt 20 beim vereidigten Makler Verkaufsaufträge per Kassa vorlägen, die Ultimokurse des Effekts „herunterschrien" und dann, wenn dies durch das Erscheinen von Kassaverkäufern den Kursstand auch beim vereidigten Makler gedrückt habe, als Käufer bei letzterem erschienen, - oder auch, daß sie, um den vereidigten Makler zu dis- 25 kreditiren, die Limiten, die diesem vorlägen, um 10 Pfennig unteroder überböten und so die seriösen Aufträge, welche limitirt an den vereidigten Makler gelangten, unausführbar machten. - Wie dem nun sei, in jedem Fall würde der Versuch, die Feststellung des Einheitskurses der Öffentlichkeit zu entziehen, den Einheitskurs 30 selbst zu Fall zu bringen. Er ist kein bloßes Produkt eines Rechenexempels, sondern ein Standard, der den Reflektanten oktroyirt wird und deshalb der fortgesetzten Kontrolle des Marktes bedarf; dem rechnerischen Zufallsergebniß der vorliegenden Limiten könnte man diese Rolle nicht zubilligen. Die Entwicklung würde 35 41 Oben, S.319f. 42 So von Victor Benary, Emil Salomon und Julius Alexander. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 176, 1233 und 514. 43 Diese und die folgenden Ansichten von Hermann Lehmann, ebd., S. 1630-1632.

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dann zu dem System der festen Abschlüsse und der quotation books führen. In Betreff der Berliner Ultimonotirung wurde, aus Gründen, die bei Besprechung des Kommissionsgeschäfts zu erörtern sind,44 insbesondere erörtert, ob eine Zerlegung der Börsenzeit in mehrere möglichst kleine Zeiteinheiten (Viertel- oder doch halbe Stunden) und die Notirung je eines Kurses am Schluß einer solchen möglich sei, um so kontrolliren zu können, zu welchem Kurs ein in einem bestimmten Moment eingehender Auftrag ausführbar war. Man muß sich klar machen, was dies bedeutet. | Soll der erstrebte A 198 Zweck wirklich erreicht werden, so müssen diese Kurse als Standards gedacht werden, wie der Anfangskurs. Das würde natürlich eine Konzentration des überwiegenden Geschäfts (namentlich der Kommissionsaufträge) bei den vereidigten Maklern, wie beim Kassageschäft, bewirken, und diese werden, wenn die Zeitabschnitte so klein gemacht werden, daß das Ultimogeschäft möglich bleibt, aus dem Kursermitteln überhaupt nicht heraus-, oder vielmehr damit nicht zu Stande kommen; schon heute soll die Beobachtung des Marktes in Papieren mit starkem Ultimogeschäft geradezu nervenzerrüttend sein, wie die ärztlichen Zeugnisse, welche Zwecks Begründung des Gesuchs um Änderung der Gruppeneintheilung eingereicht zu werden pflegen, ergeben sollen.45 Eine andere Möglichkeit, zu einer die Kontrolle ermöglichenden Terminnotiz zu gelangen, wäre die formelle Loslösung des Terminmarkts vom Kassamarkt durch Verbot an die - der Zahl nach um etwas zu verringernden - vereidigten Makler, Termingeschäfte zu vermitteln, und die Einführung der quotation books für den Terminmarkt. Darauf läuft die Äußerung eines Sachverständigen (Kussel)" hinaus,46 welcher davon die Herausbildung einer den n A: (Russe!) 4 4 Unten, S.436f. und Fußnoten 2 7 - 2 8 . 4 5 Von den „vollständig nerveninvallden" und „außerordentlich überanstrengten" Maklern berichtete Emil Salomon. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1244 und 1248. 4 6 Jacob Kussel wünschte sich beim Kassageschäft die Beibehaltung des Instituts der vereidigten Makler, wobei er eine Vermehrung der Stellen von derzeit 80 auf 100 empfahl. Dagegen plädierte er beim Terminhandel für die Freigabe des Maklergewerbes und die Eliminierung der vereidigten Makler. Denn der vereidigte Makler könne die limitierten Ordres oft nicht anbringen, so daß diese Aufträge vielfach nur wegen geringer Differenzen zum notierten Kurs nicht zustandekämen. Der unvereidigte Makler könne jedoch mit einer potenten Maklerbank im Hintergrund jeden Auftrag vermitteln. Ebd., S. 1472f. und 1483.

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dealers in London gleichartigen Gruppe von Funktionären aus den jetzigen „unvereidigten Maklern" erwartet. Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß diese Meinung zutrifft. Über die Möglichkeit einer formalen Sonderung des Terminmarktes vom Kassamarkte wird näher bei der Besprechung des vorgeschlagenen Terminregisters zu reden sein;47 absolute Voraussetzung einer Einführung des Systems der quotation books ist sie wohl nicht, allein richtig und nach dem früher Gesagten 48 wiederum bezeichnend ist, daß auch hier jeder Reformversuch alsbald auf diesen Gedanken hinweist. Zu erörtern ist nunmehr die Stellung der „unvereidigten Makler" in Berlin. Daß ihr Thätigkeitsfeld vornehmlich auf dem Gebiet des Terminhandels liegt, wurde schon erwähnt.49 Immerhin geht auch ein nicht unbedeutender Kassaverkehr durch ihre Hände. Sie hanA199 dein dabei bald mit niedrigerer Courtage als die vereidigten Makler, bald geradezu „franko Courtage" (sogenannter „Frankomarkt"), und zwar theils zu festen Kursen, theils bei unlimitirten Aufträgen „zum Kurs", d. h. zu dem von den vereidigten Maklern festzustellenden Kurse. Die Aufträge gleichen sie thunlichst „in sich" aus und bringen möglichst nur etwa nicht zu erledigende Überschüsse an die vereidigten Makler als deren Kunden. Allein der Schwerpunkt des „freien Markts" und der Thätigkeit der unvereidigten Makler liegt im Ultimogeschäft. Hier wenden sich die Spekulationsinteressenten an sie und verlangen Angabe der Briefund Geldkurse, zu welchen sie fest zu geben und zu nehmen bereit sind, ähnlich wie in London die dealers. Und die Makler ihrerseits treten aus ihrer Passivität heraus und „gehen vor", d.h. rufen ihre Kurse aus, zu denen sie noch keine Aufträge haben, sondern erst zu erhalten hoffen. Die Kraft der Lunge ist auch hier für die Kursbildung von nicht geringer Bedeutung. Eine so typische Form wie bei dem englischen dealer hat dieser Verkehr keineswegs angenommen, und noch weniger stellen die „unvereidigten Makler" einen einheitlichen typischen Begriff dar. Die Kommission ist - leider! - durchaus nicht in genügendem Maße in eine Erforschung ihrer Verhältnisse eingetreten. Wo ihrer 47 Unten, S.547f. 48 Oben, S. 259-261. 49 Oben, S. 305 und 319.

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gedacht wird, pflegt regelmäßig der starke Fehler gemacht zu werden, sie als eine annähernd einheitliche Kategorie aufzufassen. Das sind sie nicht, schon der äußeren Form ihres geschäftlichen Auftretens nach. Abgesehen von jener Kategorie kleiner Tagesspekulanten, welche hier wie in Hamburg ihre wirthschaftlich sterile Schmarotzerexistenz hinter dem Namen „Makler" decken, sind zunächst zwei Kategorien zu unterscheiden: „Aufgabemakler", d. h. solche, welche Geschäfte unter Vorbehalt der „Aufgabe" eines Gegenkontrahenten übernehmen, und „Propremakler", d.h. solche, die selbst als alleinige Kontrahenten auftreten. Äußerlich kommt der Unterschied jetzt darin zur Erscheinung, daß der Propremakler sich selbst in der Schlußnote als Kontrahenten bezeichnet, während der Aufgabemakler das Geschäft zunächst „an Aufgabe" übernimmt und demnächst einen auf die definitiven Kontrahenten lautenden Schlußschein | als gegenseitige „Aufgabe" diesen A 200 zustellt158). Beiden Kategorien ist aber gleichmäßig die definitive Übernahme der Aufträge zu festen Kursen eigen. Deshalb können bei der Übernahme unter Vorbehalt der Aufgabe naturgemäß Unterschiede zwischen dem Kurs, zu welchem der Makler das Geschäft übernahm, und dem Kurs, zu welchem er es realisirt (an einen Gegenkontrahenten weitergibt), vorkommen und stellen sich auch fortgesetzt heraus. In diesem Falle wird in die definitive, die Aufgabe enthaltende Schlußnote der Realisirungskurs als Preis eingerückt und der Makler erstattet alsbald die zu Ungunsten seines Kunden sich ergebende Kursdifferenz diesem und bezieht seinerseits etwaige Differenzen, die sich aus günstigerer Realisirung 158) Vor dem Reichsstempelgesetz fand meist keine Schlußscheinzustellung, sondern A 200 nur Benachrichtigung von der Person des Kontrahenten statt. 50

wurde die zweite, a m 27. April 1894 e r l a s s e n e Novelle d e s 50 Als Reichsstempelgesetz G e s e t z e s , betreffend die E r h e b u n g von R e i c h s s t e m p e l a b g a b e n v o m I . J u l i 1881 b e z e i c h net. Mit d e m G e s e t z von 1881 war erstmals a u c h die B e s t e u e r u n g der an der B ö r s e a b g e s c h l o s s e n e n G e s c h ä f t e eingeführt worden. U m s ä t z e in Effekten und Waren wurden besteuert, w e n n Schlußnoten und R e c h n u n g e n über d e n A b s c h l u ß d e s G e s c h ä f t e s vorlagen. Mit der ersten, a m 29. M a i 1885 e r l a s s e n e n Novelle - e n t g e g e n d e n d u r c h a u s weitergenannt - wurde d a n n nicht mehr greifenden S t e u e r t a t b e s t ä n d e n Börsensteuergesetz d a s Dokument (Schlußnote) als solches, sondern der G e s c h ä f t s a b s c h l u ß besteuert und damit ein Z w a n g zur A u s s t e l l u n g von Schlußnoten eingeführt. Diese Form der B e s t e u e rung wurde bei der Novelle von 1894 beibehalten.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

ergeben 159 '. In diese Lage kommt der Makler namentlich oft durch Nichtannahme der gemachten Aufgabe seitens eines Auftraggebers, denn der Vorbehalt der Aufgabe bedeutet auch hier: daß eine konvenirende Aufgabe gemacht werde. Die Zurückweisung der geA 201 machten Aufgabe ist bei f/to'raogeschäften - in denen | der Schwer- 5 punkt der Thätigkeit der unvereidigten Makler besteht - weit häufiger als im Kassaverkehr, da man an den acceptirten Kontrahenten bis zum Monatsschluß gebunden ist, ihm Kredit gibt. In den Grundzügen stellt sich sonst die rechtliche und ökonomische Position der Aufgabemakler bei den Ultimogeschäften als derjenigen der verei- 10 digten Makler bei Kassageschäften analog dar. Beide haben ihren Kunden Aufgabe zu machen und haften, wenn dies nicht gelingt, persönlich. Die Unterschiede beruhen auf der verschiedenen Natur der Ultimo- von den Kassaschlüssen. Der vereidigte Kassamakler in Berlin erledigt alle Geschäfte zum Einheitskurse, der Aufga- 15 bemakler bei Ultimogeschäften übernimmt zu einem festen Kurse und riskirt - ähnlich dem Londoner dealer - , daß er, wenn er seine Engagements einander gegenüberstellt, aus seiner Tasche zuschießen muß, um den Parteien die Kurse zu gewähren, zu denen er übernommen hat und zu welchen entsprechende Gegenengage- 20 ments zu erlangen ihm nicht glückte. Freilich hat er dagegen die l59 ' Daran knüpft sich eine nach Zeitungsnachrichten neuerdings entstandene Stempelkontroverse. Nach § 7 Abs. 4 des Börsensteuergesetzes ist die Bezeichnung des Gegenkontrahenten bei Geschäften an Aufgabe dann nicht als besonderes Geschäft zu besteuern, wenn sie spätestens am nächsten Werktag erfolgt. Der Finanzminister will nun in dem Falle die doppelte VerStempelung fordern, also die „Aufgabe" nicht als Ausführung des übernommenen Auftrags, sondern als neues Geschäft behandeln, wenn sie zu einem günstigeren Kurs gemacht wird und der Makler die Differenz „schneidet". Er will den Makler dann als Spekulanten ansehen, während, wenn der Kurs derselbe ist oder ein ungünstigerer, so daß der Makler noch Differenzen erstatten muß, er ihn als Makler anerkennt,51 in offenbarer Reminiscenz an die Bestimmungen für den Kommissionär in Art. 3 6 3 , 3 6 4 , 3 7 2 HGB.'s. 52 Allein diese Analogie trifft nicht zu, weil der Makler nicht Interessenvertreter einer Partei ist. Entweder der Makler ist in jedem Falle der Übernahme des Geschäfts an Aufgabe Spekulant, oder in keinem. Ob das Ergebniß ihm einen Gewinn bringt oder einen Verlust, kann keinen Unterschied machen. |

51 Die Berliner A u f g a b e m a k l e r hatten in einer Petition an d e n Finanzminister u m die einf a c h e - wie in H a m b u r g u n d Frankfurt ü b l i c h e - S t e m p e l u n g der Schlußnoten bei A u f g a b e n a c h g e s u c h t . Auf E n t s c h e i d d e s Ministers mußten weiterhin zwei Schlußnoten ausgestellt u n d g e s t e m p e l t w e r d e n . FZ, Nr. 266 v o m 25. Sept. 1894, 2. Mo.BI., S. 2, u n d Ab.BI., S. 3, 52 Die Art. 363, 3 6 4 u n d 3 7 2 H G B regeln die Art u n d Weise, wie der K o m m i s s i o n ä r im Falle einer Einkaufs- oder Verkaufskommission mit s e i n e m A u f r a g g e b e r a b r e c h n e n muß.

II. Maklerwesen

und

Kursnotirung

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Chance, bei günstigerer Realisation neben der Courtage die Differenz zu lukriren, allein nach allgemeiner Behauptung der Aufgabemakler ist diese Chance gering, der Verlust überwiegend, und diese Behauptung ist nicht so unglaubhaft, als es scheint. Denn die Natur 5 des Verkehrs nöthigt den Makler in besonders zahlreichen Fällen, einen Auftrag, von dem es sehr fraglich ist, ob er „glatt" zu realisiren sein wird, zu übernehmen: ein Makler, der einen Auftrag als zu dem bezeichneten Kurse nicht realisirbar ablehnte, würde, wenn der betreffende Kurs nachher dennoch als gehandelt im Kursblatt 10 erscheint, niemals wieder mit Aufträgen bedacht werden. - Folge der Unterlassung der „Aufgabe" bis zum nächsten Börsentage 11 Uhr ist, daß der Kunde das Recht zur Zwangsregulirung zu Lasten des Maklers hat (s. § 10 der Bedingungen). Unterbleibt die alsbaldige Zwangsregulirung, so gilt dies als „Verzicht auf die 15 Aufgabe", der Makler haftet dann ohne Weiteres selbst als Kontrahent (s. ebendaselbst am Schluß). 53 Auch in dieser Beziehung entspricht die juristische Struktur des Maklervertrages bei den unvereidigten in den Grundzügen derjenigen bei den vereidigten Maklern. | 20 Diese - wie mir gesagt wird, 54 etwa 150 bis 200 - Aufgabemakler A 202 bilden den Mittelstand des Maklerthums in Berlin. Der Grund, weshalb von ihnen die „Aufgabe" verlangt wird, ist wiederum mangelnde Kapitalkraft und Kreditfähigkeif, man kann sich deshalb nicht bis zum Ultimo an sie als Gegenkontrahenten binden. Aus 25 diesem Grunde können sie nicht in der Art funktioniren, wie die englischen „dealers" und die französischen Agenten. Der englische dealer ist ein sehr kapitalkräftiger Mann mit einem Apparat von Personal. Der französische agent de change ist es in womöglich noch höherem Grade: die Kaution von 250000 30 Franks und der Werth der Stelle von 2 Millionen Mark 55 repräsen-

5 3 Gemeint ist Abs. 4 des § 10 der Bedingungen der Berliner Börse von 1892: „Hat der nichtsäumige Theil weder eine Nachfrist gewährt, noch von dem Rechte der Zwangsregulirung Gebrauch gemacht, so gilt das als Verzicht auf die Aufgabe. Das Geschäft bleibt dann als von den beiden Kontrahenten miteinander abgeschlossen bestehen." 5 4 Die Quelle ist nicht nachweisbar. 5 5 Für die Stelle eines Agent de change mußten zwei Millionen Francs, also ca. 1,6 Millionen Mark, gezahlt werden, Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 84.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

tiren allein schon einen Werth, wie ihn ein Makler bei uns wohl sehr selten hinter seiner Person stehen hat. Überdies aber bildet das Syndikat der Pariser Agenten mit seiner Haftung für die Mitglieder einen fast absolut kreditsicheren, festen Rückhalt, der - wie Lexis vor der Kommission betonte 56 - die Funktion einer Effekten-Liquidationskasse versieht. Bei uns sind die Anfänge zu einer Ausstattung der Maklerfunktion mit einem dem Maße des Kredits, der dem selbst übernehmenden Makler gewährt werden muß, entsprechenden Kapitale noch ziemlich unentwickelt und deshalb eine typische Ausgestaltung dieser auf die Dauer doch unentbehrlichen Instanz vorerst rückständig geblieben. In der Entwicklung begriffen ist sie in zweierlei Formen. Die eine sind die schon erwähnten „Propremakler", Firmen mit oft mehreren als Vermittler auf den Kredit der Firma thätigen Agenten und hinlänglicher Kapitalkraft. Sie machen keine Aufgabe, sondern treten stets selbst als „Aufgabe" auf. In charakteristischer Weise stritten sich die Sachverständigen darüber, ob diese Kategorie noch Makler oder Proprehändler seien. Für das Letztere sprach sich Kaempf deshalb aus, weil das Geschäft von ihnen zu festem Kurse übernommen und auch kein Gegenkontrahent nachträglich benannt wird; - für das Erstere (daß sie als Makler zu gelten haben) Münk mit der richtigen Begründung, daß, obwohl der GegenA 203 kontrahent anonym bleibt, | man doch von dem Makler - und so auch von dem Propremakler - gewärtigt, daß er sich einen solchen thatsächlich beschaffe, nicht spekulire.57 Auch der Propremakler wird vom Verkehr als Makler angesehen. Man erwartet einerseits von ihm: daß er alle nach der Marktlage zu erledigenden Aufträge übernehmen werde - in dieser Erwartung wendet man sich an ihn und dann: daß er die übernommenen Aufträge auch „ausführen", d. h. sich einzudecken bemüht sein werde. Die Innehaltung der die Makelei charakterisirenden Geschäftsmaxime, möglichst „glatt von der Börse zu gehen", ist auch für ihn „ökonomische" („Reellitäts"-)Pflicht. -

5 6 Die Aussage von Wilhelm Lexis findet sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 3588. 5 7 Das Streitgespräch zwischen Johannes Kaempf und Wilhelm Münk findet sich ebd., S. 8 8 4 - 8 8 6

II. Maklerwesen und Kursnotirung

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Eine wichtigere und charakteristische Erscheinung, welche dem gleichen Zweck: Ausstattung des Maklerthums mit Kapital, damit es die Vermittlerstellung in der heute vom Verkehr postulirten Form versehen könne, dient, sind die von der Kommission Anfangs 5 mit einem gewissen Mißtrauen behandelten sogenannten „Maklerbanken". Sie bedürfen einer speziellen Betrachtung. Maklerbanken existiren in der Hauptsache in Berlin und Hamburg160), in Berlin drei Aktienbanken: Börsenhandelsverein, Maklerverein, Maklerbank. Ein Theil der nach 1870 gegründeten Insti10 tute ist wieder eingegangen, namentlich alle an kleineren Börsenplätzen (Breslau, Dresden) gegründeten.58 Die Geschäftsgebahrung ist bei verschiedenartiger Gestaltung des Verhältnisses im Einzelnen regelmäßig im Wesentlichen folgende: sie treten in Verbindung mit unvereidigten Maklern, für deren Engagements sie die 15 Garantie übernehmen gegen Antheil an der vom Makler verdienten Courtage. Diejenigen Makler, welche zur Belastung der Bank mit Engagements legitimirt sind, werden durch Zirkular bekannt gemacht (in Berlin 1892 nach Angabe eines Sachverständigen circa 40, 17 beim Börsenhandelsverein, 12-15 bei den anderen). 59 Für 20 jeden Abschluß, den ein derartiger Makler zur Erledigung fest übernimmt, haftet die Maklerbank als Garantin. Es ist seine Sache und er ist selbst|verständlich der Bank gegenüber gehalten, durch A 204 Beschaffung eines Gegengeschäfts das Engagement glatt zu stellen, Dritten gegenüber aber haftet die Bank bedingungslos aus den von 25 ihm auf ihren Namen gemachten Schlüssen und trägt also eventuell das Risiko, daß er sie einseitig belastet und ihr den etwaigen Verlust nicht zu ersetzen vermag. Ebenso würde sie in Folge dessen

160) pQr Hamburg s. das Regulativ und die Aufgabeformulare bei Levy v. Halle a.a.O., A 203 S. 173 f. 60 |

5 8 Nach Auskunft der Sachverständigen Max Arnhold und Siegmund Leonhard wurden die Maklerbanken in Dresden bzw. Breslau wiederaufgelöst, als nach dem Großen Krach von 1873 die Termingeschäfte erheblich zurückgegangen waren. Ebd., S. 221. 5 9 Die Beschäftigtenzahlen teilte Victor Benary der Börsenenquetekommission mit. Ebd., S. 316. 6 0 Das Regulativ der Maklerbank und die Aufgabeformulare finden sich nach der Gesamtpaginlerung des Jahrbuchbandes in: Levy von Halle, Schmollers Jahrbuch 1892, S. 1167-1169. Max Weber weist hier die Seltenzählung des Hefts nach, während er zumeist nach der Gesamtpaginierung des Jahrgangs zitiert.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

das Risiko laufen, daß er auf Grund seiner Vertretungslegitimation Abschlüsse mit nicht solventen Parteien auf ihren Namen macht. Demgemäß sind die einzelnen Bankiers und Spekulanten in Bezug auf ihre Kreditwürdigkeit klassifizirt (z.B. von 0-5) und ist darnach der Umfang, in welchem es dem Makler gestattet ist, die Bank 5 durch Geschäfte mit denselben zu engagiren, bemessen.61 Abschlüsse in höherem als dem hiernach zugelassenen Umfange macht er alsdann (im inneren Verhältniß zur Bank) auf seinen persönlichen Kredit. Ebenso kann der Makler (wenigstens in Hamburg) Privatpersonen, denen er Kredit gibt, obwohl sie nicht von 10 der Bank klassifizirt sind, dadurch zu Abschlüssen verhelfen, daß er der Bank gegenüber auf Grund des Kredits, den er bei dieser genießt, selbst eintritt, - allgemein scheint dies nicht zugelassen zu sein.62 Wie die Agenten der Bank, so handelt auch der Direktor der Bank unter der Garantie seines Instituts. 15 Die Gebahrung des unter dem Kredit der Bank handelnden Maklers im Verkehr ist äußerlich ähnlich derjenigen des Londoner dealer. Er gibt auf Befragen den Interessenten einen Brief- und einen Geldkurs der von ihm gehandelten Papiere an, bezw. er sucht seinerseits durch die Kraft seiner Lunge diesem Kurse Geltung zu 20 verschaffen und Parteien zu Abschlüssen auf Grund desselben zu veranlassen. Die aus Geschäften und Gegengeschäften resultirende Differenz geht, im Verhältniß zwischen ihm und der Bank, zu seinen Gunsten und Lasten; er bezieht sie als Gewinn, ebenso wie der englische dealer, und wenn er ein ihm günstiges Gegengeschäft 25 nicht zu Stande bringt, trifft ihn der Verlust, wie jenen; da er aber als Makler gilt, bezieht er außerdem Courtage, und diese hat er regelmäßig mit seiner Bank zu theilen. Wirthschaftlich also liegt vor: eine entgeltliche Intercession der Bank für die Abschlüsse des A 205 Maklers. Die Rechtsform scheint in | Hamburg und Berlin nicht 30 ganz einheitlich zu sein. Die Bank ist theils Garantin, theils Kontrahentin. Ihre Stellung ist einerseits derjenigen der „Strohmänner" 61 Das System der Nummernvergabe von 0 bis 5 zur Klassifizierung der Kreditwürdigkeit der Kontrahenten erläuterten die Sachverständigen Wilhelm Kopetzky, Victor Benary und Jacob Kussel: Die Staffelung von 1 bis 5 bemesse die jeweilige Summe, die bei einem Engagement nicht überschritten werden dürfte. Die Nummer 0 bedeute, daß der Makler mit dem Reflektanten kein Geschäft eingehen dürfe. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.222f. und 1477. 6 2 So nach Angaben von Levy von Halle, Schmollers Jahrbuch 1892, S. 1168.

II. Maklerwesen

und

Kursnotirung

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bei den vereidigten Maklern ähnlich, - der Unterschied ist, daß die Maklerbank durchweg bei jedem Schluß Kontrahentin wird, nicht nur aushilfsweise einspringt, - andererseits erinnert sie an diejenige der später zu besprechenden Waaren-Liquidationskassen, 63 mit dem Unterschiede, daß die letzteren in die durch ihre Makler vermittelten Schlüsse erst eintreten, wenn zwei sich gegenüberstehende Parteien - Käufer und Verkäufer - da sind, während die Maklerbank aus jedem einseitigen Schluß ihres Maklers haftet und nur von ihm verlangt, daß er durch Beschaffung eines Gegengeschäftes sie nach außen und sich ihr gegenüber entlaste. Eine gewisse Verwandtschaft könnte man in der Stellung der Agenten der Maklerbank endlich mit derjenigen der „remisiers" 0 der Pariser Agenten finden wollen; jedoch sind die remisiers p doch wesentlich unselbständiger gestellte, bloße Acquisiteure von Geschäften gegen Courtageantheil und versehen nicht selbst die Maklerfunktion. Der Makler ist regelmäßig verpflichtet, der Maklerbank seine sämmtlichen Abschlüsse aufzugeben, ohne Inanspruchnahme ihres Kredits darf er meist nur nach besonderer Vereinbarung handeln. Die Maklerbank läßt sich von den durch sie akkreditirten Agenten regelmäßig Kaution stellen und überwacht den Umfang der Engagements. Bei einseitiger Belastung - wenn also der Makler Engagements nicht weiter gibt, sondern behält - spekulirt - hält sie sich bei Überschreitung des gedeckten Betrages an die Kaution. - Der sehr erhebliche Gewinn (der Börsenhandelsverein hat oft 12-15 Prozent Dividende vertheilt) 64 wird erzielt theils aus dem Courtageantheil, theils und namentlich auch durch Anlage des Kapitals und der Reserven im Reportgeschäft - die Bank stützt auf diese Weise die Spekulation, von der sie lebt. „Eigene" Geschäfte machen die Maklerbanken nach der kategorischen Behauptung des Leiters des Börsenhandelsvereins, Stadtrath Kaempf, nicht. 65 Sie treten nur in O A: „remisiers"

p A: remisiers

63 Unten, S. 3 6 1 - 3 6 4 . 64 In d e n Jahren 1876 (erste Dividendenauszahlung) bis einschließlich 1895 hatte der Börsenhandelsverein in Berlin insgesamt neun Mal zwischen zwölf und 18 Prozent Divid e n d e ausgeteilt. J a h r b u c h der Berliner Börse 1896/97. XVIII. A u s g a b e . Ein Nachschlag e b u c h für Banquiers und Capitalisten, hg. von der Redaction des „Berliner Actlonair", J. Neumann. - Berlin: Ernst Siegfried Mittler und Sohn 1896, S. 137. 65 Die A u s s a g e von Johannes Kaempf findet sich In: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 888. Er g a b an, Mitglied des Aufsichtsrats des Börsenhandelsvereins zu sein.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

die Engagements ihrer Makler ein, und diese sind ausschließlich A 206 oder | doch fast ausschließlich Ultimoengagements. Sie stellt lediglich ihren Kredit zur Verfügung und der Courtageantheils-Tribut ist kein Unternehmergewinn, sondern chemisch reine Kapitalrente. In den Aufsichtsräthen der Maklerbanken sitzen in Berlin wie Hamburg regelmäßig Direktoren großer Bankinstitute des Platzes. Die Sachverständigen äußerten sich nicht ganz gleichmäßig über die Frage, inwiefern diese von der dadurch ihnen gegebenen Möglichkeit, sich aus den Büchern über die Lage der Engagements an der Börse zu informiren, Gebrauch gemacht haben. Ein Leiter einer Maklerbank (Alexander-Berlin) behauptete befremdlicher Weise, daß in seinem Institut noch niemals ein Aufsichtsrathsmitglied Einsicht in die Engagementsbücher der Bank verlangt habe, während von anderer Seite mit Recht hervorgehoben wurde, daß die Aufsichtsrathsmitglieder diese Einsicht zu nehmen sogar verpflichtet sind und von ihrer Kenntnis, wennschon dieselbe aus den Büchern nur einer einzelnen Bank nur eine unvollständige sein kann, auch Gebrauch machen, um bei Überlastung eines Spekulanten der Maklerbank ein „Halt von oben" (sie!) zuzurufen. 66 Es ist offenbar - und wurde auch von einem Sachverständigen (Bankier Gwinner) mit Recht angedeutet - , daß in funktioneller Beziehung die Maklerbank und ihre Agenten zusammengenommen annähernd das darstellen, was der englische dealer in seiner Person vereinigt.67 Dieser ist eben ein kapitalstarker Mann, wie es der deutsche Makler nicht ist, und die Folge ist, daß Kapital und Funktion, die sich in England in Personalunion befinden, bei uns auseinanderfallen. Dieser Umstand und das Vorhandensein der vereidigten Makler bewirkt auch, daß eine derart typische Figur, wie sie der dealer bildet, sich nicht hat entwickeln können.

66 Max Weber zitiert aus der wörtlichen Rede von Louis Bamberger. Ebd., S. 717. Bei der Vernehmung von Louis Bamberger und Ludwig Max Goldberger zitierte der stellvertretende Kommissionsvorsitzende Karl Gamp die Aussage des Sachverständigen Julius Alexander nicht korrekt.. Er verkürzte die Aussage, die Aufsichtsräte einer Maklerbank nähmen nur Einsicht in die Engagementsbücher ihrer eigenen Agenten dahin gehend, daß die Aufsichtsräte sich „jeder Einsichtnahme in die Engagementsbücher enthielten." Dem widersprachen Bamberger und Goldberger mit dem Hinweis auf die Revisionspflicht des Aufsichtsrats. Ebd., S. 717f. und 557. 6 7 Die Äußerungen von Arthur Gwinner finden sich ebd., S. 1997 und 1999f.

II. Maklerwesen und Kursnotirung

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Die Beurtheilung der Maklerbanken war eine zwar nicht übereinstimmend, aber überwiegend günstige. Daß, wie in den Vernehmungen zur Sprache kam, ein Theil der Bankiers das „Kreditgericht", welches die Banken faktisch ausüben, lästig empfindet, 68 kann diesem in der That nur zur Empfehlung gereichen. Es leuchtet auch ein, daß sie - wie betont wurde - einen | gewissen Zügel A für Überlastung schwächerer Schultern mit Engagements bilden können, wenigstens in normalen Zeiten. In erregten Zeiten wird freilich das versagen und es problematisch bleiben, wie stark die Widerstandsfähigkeit der durch den Kredit der Bank gedeckten Agenten gegen die naheliegende Versuchung des Mißbrauchs dieser Vorzugsstellung sein wird, zumal von unbetheiligter Seite (dem Handelsredakteur der Nationalzeitung) behauptet wurde, daß die Agenten zum Theile „unreife junge Leute" seien.69 Daß die Bank wie die Sachverständigen betonten - keine Geschäfte für eigene Rechnung macht, sondern alle Geschäfte auf Rechnung der Direktoren und Agenten laufen 70 - in Umkehrung des gewöhnlichen Verhältnisses - verringert diese Gefahr natürlich nicht, sondern vergrößert sie, da die faktische Möglichkeit einer wirksamen Kontrolle unter außergewöhnlichen Verhältnissen gewiß zweifelhaft ist. Daß endlich eine Maklerbank, welcher ein Dutzend und mehr geübte Lungen zur Verfügung stehen, die Kurse erheblich beeinflussen kann, wenn sie will, ist selbstverständlich. Regelmäßig hat sie und haben ihre Agenten freilich mehr an dem Bestehen von KursSchwankungen innerhalb kleiner Fristen, eines Börsentages etc., als an anhaltender Beeinflussung der Kursbewegung ein Interesse. Ein Vorwurf, der den Maklerbanken besonders lebhaft gemacht wurde: daß die Vertreter des Großkapitals ihre als Aufsichtsräthe gemachten Beobachtungen über die Lage der Engagements im ei68 In diesem Sinne äußerte sich keiner der um ein Urteil gebetenen Hamburger und Berliner Bankiers. Sie lobten, wie Max Weber im folgenden anführt, vielmehr die Kreditbeschränkung der Maklerbanken, weil sie zur Solidität der Spekulation beigetragen habe: Wilhelm Kopetzky, Emil Russell, Max Winterfeldt, Siegismund Samuel, Siegmund Hinrichsen, Louis Bamberger und Ludwig Max Goldberger, Emil Salomon, Max Schinckel, Georg Siemens, Carl Schwartz, Siegmund Weill und Arthur Gwlnner, ebd., S. 223, 556, 558, 717, 1262f., 1998 f. 6 9 Die Äußerungen von Julius Bäsch finden sich ebd., S. 1002. Im Kaufmannsjargon werden die Handlungsdiener oder Handlungslehrlinge als „junge Leute" bezeichnet. 7 0 Wie oben, S. 337f. mit Anm. 65.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

genen Interesse bezw. dem ihrer Banken auszunutzen vermöchten, 71 trifft nicht sie, sondern die Organisation unserer Börsen, welche das Bestehen dieser Institute erfordert; - es ist die Folge der Kapitalschwäche der Makler und nur eines der vielen Momente, die beweisen, daß die scheinbar so anti-plutokratische Art ihrer 5 Zusammensetzung nur dazu dient, die unvermeidliche Vorherrschaft der größeren Kapitalmacht auf ihrem eigensten Grund und Boden zu verstärken und zu verhüllen, nicht - wie Naive glauben können - sie zu vermindern. Ausschließliche Zulassung kapitalkräftiger Besucher würde auch die Maklerfunktion kapitalkräfti- 10 gen Händen zuführen, welche der Anlehnung an fremdes Kapital nicht bedürfen. | A 208 Die Kommission hat nicht geglaubt, irgend welche auf die Maklerbanken bezügliche Vorschläge machen zu sollen - thatsächlich wäre es auch schwer gewesen, solche zu formuliren. Das Bedürfnis, 15 dem das Institut dient, ist unabweislich, so lange die heutige Organisation der Börse besteht. Nach der nothgedrungen eingehenderen Erörterung der Berliner Verhältnisse erübrigt ein kurzer, vergleichender Rundblick auf die übrigen, an Bedeutung weit zurückstehenden Effektenbörsen 20 Deutschlands, zunächst diejenige, welche wenigstens für große Theile des Südwestens (Württemberg, Baden etc.) noch eine selbständige Bedeutung besitzt, die Frankfurter. Auch sie freilich geht an Einfluß zurück, von Bayern aus wird sie nach Angabe der Sachverständigen bereits zu Gunsten Berlins übergangen. 72 25 Die Frankfurter Effektenbörse lehnt sich in manchen ihrer Einrichtungen, ebenso wie die Hamburger an London, so ihrerseits an Paris an. Schon der Name „Wechselmakler" (gleich agent de change) für alle vereidigten Fondsmakler bekundet dies. Die allgemeine Stellung der Makler ist abweichend von Berlin. Der Frank- 30 furter Makler ist ein wesentlich kapitalkräftigerer Mann als der Berliner. Es existirt demgemäß weder eine q Maklerbank noch17 das Strohmännerwesen. Die Makler genießen umfassenden Kredit und

q A: Maklerbank, noch 71 Zu diesem Vorwurf vgl. oben, S. 338 mit Anm. 66. 72 So nach Aussage der beiden Münchner Sachverständigen Wilhelm Finck und Johann Karl Weidert. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1240 und 1654.

II. Maklerwesen und Kursnotìrung

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machen von der ihnen - wie oben erwähnt 73 - hier gewährten Freiheit, auch formell zwischen die Kontrahenten zu treten, Gebrauch. Die Sachverständigen waren nicht einig darüber, ob die Anonymität oder die Benennung des Kontrahenten in der Schlußnote, die 5 hier meist erst am nächsten Tage zugestellt wird, die Regel sei. 74 In jedem Falle ist auch hier selbstverständlich, daß der Makler als solcher regelmäßig einen Gegenkontrahenten thatsächlich haben muß; das Gegentheil ist deshalb nach Vorschrift der Maklerordnung § 7 7 5 ausdrücklich zu deklariren, und Verfehlungen hiergegen, 10 also sowohl Geschäfte, die der Makler macht, ohne die Absicht, alsbald ein Gegengeschäft aufzusuchen, als die Verschweigung des Umstandes, daß er keinen gefunden, wären disziplinarisch zu ahnden. Die Feststellung des Kurses vollzieht sich, weniger der Form, | 15 als der materiellen Bedeutung des Kurses nach, abweichend von der Berliner. Ein Einheitskurs wie in Berlin existirt nicht. Die Kursnotiz ist Kursregistrirung, nicht Kursformulirung. Es wird per Kassa und auf Termin zu festen Preisen und Schlüssen gehandelt. Daneben allerdings werden auch Aufträge „zum Durchschnitts20 kurs" - und zwar in erheblicher Zahl - gegeben, die also zu dem bei der Notirung sich ergebenden Kurse zu erledigen sind. Um 12 V4 wird auf ein Glockenzeichen der Anfangskurs für Termingeschäfte notirt. Die folgenden Abschlüsse werden auf Tafeln angeschrieben. Um 1V4 beginnt auf ein abermaliges Glockenzeichen 25 die Notirung der Kassakurse auf Grund der bis dahin bereits fest also ohne Suspension der Ausführung wie in Berlin - geschlossenen Geschäfte einerseits und der noch vorliegenden Aufträge andererseits. Die Notirung erfolgt allein unter Zuziehung der vereidigten Makler und ist um 2 3/4 Uhr beendet, worauf der Kurszettel 30 gedruckt wird. Für die Kassanotiz wird aus den geschlossenen Ge-

7 3 Oben, S.287f. 7 4 Der Frankfurter Bankier Markus Goldschmidt gab zur Auskunft, der Makler sei bei Zeitgeschäften immer Selbstkontrahent und gebe niemals einen Namen in der Schlußnote auf. Max von Guaita dagegen sagte aus, bei Zeitgeschäften wüßten die Makler den Namen des Gegenkontrahenten nicht sofort, spätestens am zweiten Tag aber würde der Name des Gegenkontrahenten eingetragen werden. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1686 und 877. 7 5 Gemeint ist die Frankfurter Maklerordnung vom 9. Dezember 1864, in: Puls, Börsenhandbuch, S. 22.

A209

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

Schäften möglichst ein Durchschnittskurs ermittelt, welcher in der Notirung besonders oft in Form eines Brief- („P.") und Geldkurses („G.") erscheint, wie der Frankfurter Kurszettel zeigt. Keineswegs immer aber nimmt die Notirung überhaupt die Form eines einheitlichen Kurses an. Der Durchschnittskurs selbst ist aus den notirten 5 Beträgen rein rechnerisch zu ermitteln. Er ist Standard nur für die „zum Durchschnittskurs" gegebenen Aufträge und für die selbsteintretenden Kommissionäre. Dagegen berührt er die bereits fest zu Stande gekommenen Abschlüsse nicht. Thatsächlich freilich bewirkt hier wie sonst die Natur des öffentlichen Marktverkehrs an 10 der Börse, daß die weitaus meisten Geschäfte zu demselben, demnächst zur Notirung gelangenden, Kurse zu Stande kommen, doch nicht, wie in Berlin, zufolge einer Preisoktroyirung. Für Wechsel und Termingeschäfte findet eine Notirung mehrerer Kurse statt je nach den Schwankungen der gemachten Abschlüsse. 15 Alles in Allem ist dieser Zustand also ein etwas flüssiger, derart, daß den Sachverständigen der Unterschied zwischen dem Frankfurter „Durchschnitts"- und dem Berliner „Einheits"-Kurs keinesA 210 wegs in voller Deutlichkeit gegenwärtig war. 76 Die Erklärung ist eben darin zu finden, daß die grundsätzlich vorhandenen rechtli- 20 chen und ökonomischen Differenzen, wo es sich um die Befriedigung gleichartiger Bedürfnisse handelt, in der Praxis des Geschäftslebens keineswegs zum Bewußtsein gelangen. Der äußere Anblick und Eindruck der Preisbildung auf den Börsen und die praktische Bedeutung der Kursnotirung kann unter einander, auch 25 wo die innere Struktur bedeutsame Abweichungen aufweist, äußerlich sich nicht wesentlich verschieden darstellen. Die kleineren Effektenbörsen folgen, ohne daß im Einzelnen Gründe für die Abweichungen ersichtlich sind, verschiedenen Vorbildern. 30 An den kleinen Plätzen Norddeutschlands mit unerheblichem Effektenmarkt, wo die Makler noch auf die bloße Vermittlung sich zu beschränken in der Lage sind, werden nur Kurse auf Grund der 7 6 Die Angaben zur Frankfurter Kursfeststellung entnimmt Max Weber vermutlich der Diskussion zwischen den Börsenenquetemltgiledem Heinrich Wiener, Freiherr von Huene, Ernst Mendelssohn-Bartholdy, Richard Koch, Karl Gamp und den beiden Frankfurter Sachverständigen Max Baer und Max von Gualta. Im Lauf der Diskussion wurde der Unterschied zwischen der Berliner Kursformulierung und der Frankfurter Kursregistrierung geklärt. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 840-848.

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Kursnotirung

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thatsächlich vermittelten Geschäfte notirt. So in Königsberg und Stettin. Das Institut des Einheitskurses besteht hier ebensowenig wie in Köln, wo gleichfalls nur auf Grund vorangegangener fester Schlüsse notirt wird, und also eventuell verschiedene Kurse im 5 Blatt figuriren. Der Kölner Sachverständige (Königs) hielt dies namentlich für den Selbsteintritt des Kommissionärs für bedenklich und berichtete, daß die Berechnung des Kurses dem Kommittenten gegenüber in diesem Falle ziemlich willkürlich, bei Konsols z. B. von seiner Bank nach Berliner Kurs, sonst „je nach den Umstän10 den" erfolge.77 - In Breslau machen in Folge des Verbots der eigenen Geschäfte den vereidigten Maklern die unvereidigten, namentlich vermöge der „Unsitte" (v. Wallenberg-Pachaly), zu V4%o Courtage zu handeln, erhebliche Konkurrenz mit den schon früher erwähnten Folgen.78 Ein Kassaeinheitskurs besteht nicht, es wer15 den die sämmtlichen vorgekommenen festen Schlüsse notirt. Eine amtliche Terminnotirung existirt des geringeren Terminmarkts in Effekten wegen überhaupt nicht. Die Kontrolle der Kursnotiz kann bei kleinen Verhältnissen überall eine eingehendere sein und demgemäß liegt dieselbe in weit höherem Grade in den Händen des be20 aufsichtigenden Kommissars als an den großen Börsen. Dagegen besitzen die außerpreußischen Börsen, soweit sie, | na- A211 mentlich in Aktien industrieller Betriebe ihres Heimathsstaates, ein Geschäft von selbständiger Bedeutung haben, meist in irgend einer Form eine dem Berliner Einheitskurs praktisch ähnliche Art 25 der Kursermittlung. - In Leipzig79 bestehen (1892) drei Gruppen vereidigter Makler, von denen die erste drei, die zweite vier, die dritte zwei Makler umfaßt. Diese sollen ihre Aufträge so ausgleichen, daß ein einheitlicher Kurs zu Stande kommt. Es entscheidet eventuell ihre Mehrheit oder, auf Anrufen, der Börsenvorstand. 30 Die Aufträge sind, wenn sie limitirt waren, eventuell unausführbar, wenn nicht der Auftraggeber auf Anfrage des Maklers, ob er das Geschäft zu dem mit seinem Limit unvereinbaren Kurs machen

77 Die A n g a b e n von Emst Koenigs zu Köln finden sich ebd., S. 1980f. Im Fall des Selbsteintritts, sagte Koenigs wörtlich, „rechnen wir in der Regel nach Berliner Kurs bei Konsols oder je n a c h d e m die Verhältnisse sind." Ebd., S. 1981. 78 Oben, S. 287. Diese und die f o l g e n d e n A n g a b e n von Gotthard von Wailenberg-Pachaly zu Breslau finden sich in: Börsenenquetekommission, Stert.Ber., S. 839 und 859. 79 Max Weber folgt der Darstellung von Julius Favreau, ebd., S. 683f.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

wolle, darein willigt. Das Strohmännerwesen existirt in Folge des lebhafteren Geschäfts auch hier, und der Leipziger Sachverständige (Favreau), welcher Erhaltung der vereidigten Makler und des Verbotes eigener Geschäfte wünschte, war sich bewußt, „daß die Verwendung der Strohmänner alsdann unentbehrlich sei".80 Er 5 hielt das Institut aber charakteristischer Weise für günstiger und solider, als den Selbsteintritt der Makler selbst, offenbar weil sie eine Art Kontrollinstanz über die Geschäftsgebahrung und den Umfang der eigenen Verpflichtungen der Makler bilden, wie es die Maklerbank gegenüber ihren Agenten ist, und weil - wie er auch 10 bemerkte - die heutigen vereidigten Makler gar nicht denselben Kredit für sich in Anspruch nehmen könnten, wie ein kapitalstarkes, als Strohmann fungirendes Bankinstitut. In Dresden besteht, wie es scheint, in merkwürdiger Weise das Institut des Kassaeinheitskurses (in der Art wie in Leipzig) und - 15 für einige Papiere - der „public call" neben einander. An drei Tagen der Woche - Dienstag, Donnerstag, Sonnabend - werden die Industrieeffekten - ca. 100 nach Angabe des Sachverständigen (Arnhold)81 - nach einander aufgerufen und es findet dann, offenbar in englischer Art, ein gegenseitiges Ansteigern der Interessen- 20 ten statt, worauf der erzielte Preis alsbald notirt wird. Alle nach Abschluß des für das einzelne Papier oft nur „wenige Minuten" dauernden Verfahrens eintreffenden Orders sind unausführbar. A 212 Der Sach| verständige hielt das Verfahren für den Verkehr entschieden für schädlich seiner Überstürzung wegen. 25 In München endlich scheint - die Äußerungen des Sachverständigen blieben widerspruchsvoll82 - für Kassageschäfte gleichfalls 80 Max Weber stutzt sich vermutlich auf folgende Äußerung von Julius Favreau: „Ich würde In dem Fall, wo der Makler, um seine Geschicklichkeit dem Kontrahenten zu beweisen, in das Restgeschäft eintreten will, lieber empfehlen, den Ausweg des Strohmännerthums zuzulassen. Der betreffende Bankier, bei dem der Strohmann angegeben wird, weiß gar nicht, daß es ein Strohmann ist, und der betreffende Bankier ist bei Weitem geschützter, als wenn es dem Makler gestattet sein soll, selbst einzutreten." Ebd., S. 713. 81 Die Angaben Max Arnholds hier und im folgenden finden sich ebd., S. 187. 82 Gemeint ist der Münchner Bankier Wilhelm Finck. Finck äußerte zunächst: „Wir haben an unserer Börse ein von dem hiesigen [gemeint ist Berlin] ganz verschiedenes Verfahren." Auf die Frage des Kommissionsvorsitzenden Koch: „Beim Kassageschäft haben Sie auch keine Einheitskurse?" antwortete Finck: „Es ergiebt sich meist nur ein einziger Kurs." Aufgrund seiner Beschreibung des Verfahrens konstatierte dann Freiherr von Huene: „Das ist ähnlich wie in Berlin, bloß daß Ihr Verfahren mehr rechnerisch ist." Ebd., S. 1238.

II. Maklerwesen

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Kursnotirung

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der Einheitskurs zu bestehen, während für Termingeschäfte die einzelnen Schlüsse notirt werden. Ein Selbsteintritt der vereidigten Makler, von welchen es acht gut beschäftigte und verdienende gibt, ist nicht nöthig, die bei der Kompensation der Aufträge verbleibenden Spitzen bleiben unerledigt, und zwar derart, daß sie auf die einzelnen Aufträge repartirt werden,83 ein Verfahren, welches selbstverständlich nur an kleinen Plätzen möglich ist. Neben dem Verkehr durch die vereidigten Makler kommen feste Schlüsse durch Agenten vor. Eine Gruppeneintheilung besteht nicht, was trotz der geringen Zahl der Makler und der Kleinheit des Geschäftes zur Folge hat, daß die Kursermittlung, bei der die Abschlüsse der vereidigten Sensale allein in Betracht gezogen werden, doppelt so lange Zeit als in Berlin in Anspruch nimmt. - Die auch von den Sachverständigen betonte Unmöglichkeit, die Berliner Maklergruppen zu vergrößern - schon die Dreizahl macht Schwierigkeiten84 wird dadurch hinlänglich erläutert. Fassen wir vorläufig schon hier ins Auge, was sich aus den geschilderten Zuständen und Entwickelungstendenzen im Effekten-Maklerwesen als möglich und als nothwendig ergibt, wenn man nicht auf jede Regelung verzichtet und Geschäftsvermittlung wie Kursnotiz gleichmäßig der privaten Initiative der Geschäftsleute und Zeitungsreporter überläßt, so läßt sich Folgendes den schon gemachten Bemerkungen hinzufügen161': 1. Die spezifische Maklerfunktion im weitesten Sinne, in welchem der Begriff auch die Thätigkeit des dealer wie des | bloßen A213 Vermittlers umfaßt, ist auch heute ein nützliches Glied jeder großen Effektenbörse. Ob sie schlechthin bei jeder Organisationsform 161) D i e Kommissionsbeschlüsse k ö n n e n erst n a c h E r ö r t e r u n g a u c h des P r o d u k t e n - A 2 1 2 m a k l e r w e s e n s dargestellt w e r d e n , 1 d a sie sich auf das M a k l e r w e s e n in seiner G e s a m m t heit b e z i e h e n . |

8 3 Wilhelm Flnck erläuterte den Umgang mit den Spitzen folgendermaßen: „Wenn hie und da es einmal vorkommt, daß von einem bestimmten Effekt eine gewisse Summe übrig bleibt, so darf dieselbe nicht von den Sensalen übernommen werden, sondern sie wird repartirt auf die einzelnen Auftraggeber, man glebt ihnen entweder nicht die volle gewünschte Summe, oder man nimmt nicht den vollen angebotenen Betrag." Ebd., S. 1253. 8 4 So nach Aussage von Wilhelm Kopetzky, Siegmund Welil und dem Börsenenquetemitglied Ernst Mendelssohn-Bartholdy. Ebd., S. 185, 1997, 848. 1 Unten, S. 3 9 7 - 4 0 6 .

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

und für den Handel in allen Objekten unentbehrlich ist und bleiben wird, kann dahingestellt bleiben. Nehmen wir nun zunächst einmal an, man wolle aus welchen Gründen immer einen Stand von bei der Kursnotiz privilegirten und irgendwie öffentlich kontrollirten Maklern beibehalten, die Frage, ob dies rathsam sei, einer späteren Erörterung vorbehaltend.2 Die Thätigkeit des Effektenmaklers ist - kann dann weiter gesagt werden - durchaus nicht so beschaffen, daß sie ihn mit Nothwendigkeit zur Kombination seines Betriebes mit dem eines Spekulanten, Arbitrageurs oder Kommissionärs hindrängte. Im Gegentheil läßt sie sich davon sehr wohl scheiden, und zwar so scharf, wie dies überhaupt bei modernen Gewerbebetrieben irgend welcher Art möglich ist. Behält man also einen Stand von kontrollirten[,] und zwar durch Kaufleute kontrollirten, Maklern bei, so werden die kontrollirenden Instanzen unzweifelhaft zu ermessen in der Lage sein, ob die Schranke der Maklerthätigkeit überschritten wird oder nicht. Unmöglich ist nur, dem Makler die Rechtsiorm, deren er sich bedienen soll, bindend vorzuschreiben, also: nur Vermittlung - keine eigene Verpflichtung, oder: nur Bürgschaftsleistung - keine primäre Verpflichtung etc. Sehr wohl dagegen kann dem Effektenmakler vorgeschrieben werden, daß er Verbindlichkeiten auf seinen Namen nur eingehen und Geschäfte für eigene Rechnung nur machen dürfe, soweit es die Ausführung der von ihm in Ausübung seines Maklerberufes übernommenen Aufträge erfordert. Man kann ihm, ohne seinen Betrieb unmöglich zu machen, untersagen: 1. das Gewerbe eines Kommissionärs mit seinem Berufe zu verbinden, d. h. mit Personen außerhalb eines bestimmten Personenkreises (der Börse) und anders als durch persönlichen Verkehr in Beziehung zu treten, womit 2. die Betheiligung an der Arbitrage ausgeschlossen wäre; endlich kann ihm 3. verboten werden, sich an der Spekulation zu betheiligen, d. h. an dem Eingehen von Geschäften in der Absicht, aus zukünftigen Preisänderungen Vortheil zu ziehen, dies auch für die TerminA 214 makelei dann, wenn der Terminhandel auf solche | Papiere beschränkt wird, welche die Engländer marketable papers nennen würden, bei denen der Makler also auch wenn er Terminschlüsse vermittelt, die Börse annähernd „glatt" zu verlassen in der Lage ist.

2 Unten, S. 4 0 8 - 4 1 1 .

II. Maklerwesen und Kursnotirung

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Aus dieser Möglichkeit folgt noch nicht, daß die Verbote nothwendig sind. Erwünscht ist sie wohl zweifellos, soweit das Kommissionsgeschäft in Frage kommt. Die als Sachverständige vernommenen Bankiers haben hier meist den Interessenstandpunkt des von einem Konkurrenten bedrohten Kommissionärs eingenommen, indem sie die Aufrechterhaltung des Verbots, Aufträge von auswärts entgegenzunehmen, befürworteten, 3 allein berechtigt ist ihre Bemerkung, daß die Kombination der vermittelnden persönlichen Thätigkeit am Markt und der ein korrespondirendes Personal voraussetzenden Vermittelung von Aufträgen für den Markt an diesen schon rein technisch eine gesunde und naturgemäße Arbeitstheilung ignorirt. Meist unschädlich, aber immerhin unnöthig, und die eigentliche Thätigkeit des Maklers als solchen nicht fördernd, ist die Kombination von Arbitrage und Makelei. Weit wichtiger ist jedenfalls die Trennung von der Spekulation. Sie ist technisch möglich, wenn man keine haarscharfe Grenze verlangt, sondern sich begnügt, zu verlangen, daß der Makler nicht über das Maß dessen hinaus, was der Betrieb der Makelei erfordert, sich mit Verbindlichkeiten belaste, womit ausgesprochen würde, daß der Makler nicht auf künftige Kursschwankungen spekuliren darf. Die Börse weiß heute im Allgemeinen sehr wohl, ob ein Makler diese Schranke innehält, um so mehr werden es die kontrollirenden Instanzen erkennen, wenn ihnen, wie selbstverständlich, jederzeitige Einsicht in die Notizen und Bücher der Makler freisteht. Im Übrigen hat die Kontrolle der Öffentlichkeit einzusetzen, die gerade hier keineswegs unwirksam ist. Einen gewissermaßen chemisch reinen an der Kursentwicklung interesselosen Makler herzustellen, wird vergebliches Bemühen sein, es muß eine Regelung der eigenen Übernahmen des Maklers genügen, welche eine möglichst weitgehende Gewähr bietet. Mehrere Vorschläge wurden hier von den Sachverständigen erörtert. Möglich wäre da, wo der Kassaeinheitskurs besteht, zunächst (wie der Geh. | Kommerzienrath Frentzel mehrfach A 215 bei den Vernehmungen anregte) eine Verpflichtung des Maklers zum Ausbieten der nach der vorläufigen Kursermittlung nicht gedeckten Beträge, 4 eine nur geringe Fortbildung des bestehenden 3 In diesem Sinne äußerten sich Johann Georg Wolde, Ludwig Max Goldberger und Julius Favreau. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 204, 694 und 713. 4 Die Anregung Adolph Frentzels findet sich ebd., S. 692 und 1249f.

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Zustandes, die in praxi keine nennenswerthe Änderung herbeiführen, aber die Öffentlichkeit noch erhöhen würde. Daneben könnte die Verpflichtung des Maklers treten, sich stets als Selbstübernehmer zu deklariren, soweit ein Auftrag nicht voll unterzubringen war. Dahin ging der sachlich gut begründete Vorschlag Goldberger, welcher für die vereidigten Makler nur das Verbot der Bürgschaftsübernahme - weil sonst weit unübersehbarere Verpflichtungen des Maklers entstehen könnten als bei bloßer Übernahme der „Spitze" - und des Kommissionsgeschäftes aufrecht erhalten sehen will.5 Die Folge einer Freigabe des Selbsteintrittes für den Nothfall würde sein, daß die kreditwürdigsten Makler sich von der Verbindung mit dem Strohmanne emanzipiren und die schwächeren Hände auf die Dauer aus den Reihen der Makler wohl ganz verschwinden würden. Auf dem Wechselmarkt würde die Stütze des Strohmannes auch dann freilich wohl kaum zu entbehren sein. Eine endliche Möglichkeit deutete Geh. Kommerzienrath Frentzel gelegentlich einem Sachverständigen gegenüber an, der sie als unmöglich bezeichnete: daß die Restbeträge durch ein aus der Gesammtheit der Makler zu bildendes Maklersyndikat übernommen würden.6 Denkt man den Gedanken, der hierin liegt, zu Ende, so gelangt man zu einer Art Maklerbank, welche solidarisch die Kreditwürdigkeit der vereidigten Makler verbürgt. Das würde, da dem Syndikat selbstverständlich die Entscheidung darüber, für wen es diese Bürgschaft übernehmen will, zustehen müßte, zu einer mindestens faktischen Monopolisirung des Maklerthums führen. Nun ist bekanntlich von Laband schon vor langen Jahren behauptet worden, daß überhaupt nur die Alternative der Freigabe oder der Monopolisirung des Maklergewerbes bestehe, und auch Ring hat sich ihm darin angeschlossen.7 Da auf die Frage der künftigen Stellung der Makler im Zusammenhang bei Erörterung der hierin für Effekten- und Produktenbörse gleichmäßigen Vorschläge der 5 Der Vorschlag Ludwig Max Goldbergers findet sich ebd., S. 693f. und 708f. 6 Louis Bamberger wies den Vorschlag von Adolph Frentzel zurück, weil er sich nicht vorstellen könnte, „daß ein vereideter Makler sich das Risiko von einem andern aufbürden lassen will. Dieses Risiko muß vielmehr der Makler tragen, der in dem Geschäft ist, der die Verhältnisse der von ihm gehandelten Papiere kennt und das Risiko überschauen kann, das er damit übernimmt." Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 693. 7 Die Behauptung findet sich bei Laband, Mäkler, S. 65, und Ring, Maklergesetzentwurf, S. 166.

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Kom|mission am Schluß dieses Abschnittes eingegangen werden A216 wird, 8 so ist hier nur vorläufig zu fragen: ob die Beibehaltung kontrollirter und bei der Kursfeststellung privilegirter Makler die Monopolisirung mit Nothwendigkeit bedinge. Ich halte das für die &zssamakler nach den Erfahrungen in Berlin nicht für nachgewiesen, glaube aber allerdings, daß Termin- und Kassamarkt sich auch hierin verschieden verhalten. Unmöglich nämlich ist es allerdings, wie die vorstehende Erörterung ergab, 9 einmal: den Terminverkehr zur Benützung von Maklern zu veranlassen, welche nicht alsbald die Erledigung des Geschäftes zu einem bestimmten Kurse fest zuzusagen bereit sind; so gut wie unmöglich ferner: den Terminverkehr zu nöthigen, sich einer Kursformulirung (im obigen Sinn) 10 nach A r t des Kassaeinheitskurses als ausschließlicher Kursfeststellungsmethode zu unterwerfen, auch wenn eine Mehrzahl von Einheitskursen während der Börsenzeit festgestellt würde. Daraus scheint sich zu ergeben, daß Terminhandel und Kassageschäft an die ihnen als Makler dienenden Organe verschiedenartige Ansprüche stellen, und hieraus wieder würde als naturgemäß die Scheidung beider, mit anderen Worten: das Verbot an die vereidigten Makler, Termingeschäfte zu vermitteln, folgen. Auf diese Möglichkeit ist bei Besprechung des Terminhandels zurückzukommen. 11 A l s sicher darf gelten, daß eine Reglementirung der Terminmakelei in der That nur durch mindestens faktische Monopolisirung in einem großen Verband nach Art der französischen agents möglich wäre. Allein auch die anscheinend radikal entgegengesetzte Maßregel: völlige Freigabe der Makelei in Termingeschäften erscheint in anderem Licht, wenn man unterstellt, daß sie gleichzeitig mit einer streng „plutokratischen" Börsenorganisation erfolgte. Sie wird dann eine Umgestaltung des Charakters des Terminmaklers zu einer im Wesentlichen ähnlichen Figur mit sich bringen oder doch ermöglichen, wie sie der englische dealer schon heute darstellt, also keineswegs die Regellosigkeit und Zügellosigkeit des Verkehrs zur Folge haben müssen. Eine Art Kombination der französischen In-

8 Unten, S. 401-411. 9 Oben, S.325f. 10 Oben, S.296f. 11 Auf diesen Punkt ist Max Weber bei der Besprechung des Terminhandels nicht mehr eingegangen.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

stitution des Maklersyndikats mit Freiheit des Gewerbes bildet A 217 denn z. B. auch der Vorschlag, den Professor Lexis bei seiner | Vernehmung vorlegte: kein formelles Maklermonopol, aber Bildung eines Maklersyndikats der vereidigten Makler als öffentlicher Korporation mit Haftung für die Abschlüsse der Betheiligten, also nach Art einer Liquidationskasse. Er erwartet davon die Aufsaugung des gesammten oder fast des gesammten Maklergewerbes durch diesen Maklerring, der zugleich eine Kontrolle der Geschäftsgebahrung der Makler im öffentlichen Interesse zulasse. Das Bestehen der Pariser Koulisse neben den dortigen Monopolmaklern führt er lediglich auf die nicht genügende Zahl der angestellten Agenten zurück. Er schien selbst eine Aufsaugung des Kommissionsgeschäftes mit Privaten durch solche Syndikatsagenten nicht für bedenklich zu halten,12 ein Punkt, in dem man immerhin Bedenken wird hegen dürfen. Beseitigt hat die Existenz der agents de change das Kommissionsgeschäft in Paris nicht, ob aber eine Verwischung der an sich naturgemäßen Unterschiede und Gliederungen in der Börse, wie der dortige Zustand sie ermöglicht, ein Fortschritt ist, muß - aus der Ferne gesehen - fraglich erscheinen. - Im Falle korporativer Geschlossenheit der Börse würde es sicherlich nicht ausgeschlossen sein, daß eine ähnliche Organisation, wie Lexis sie sich denkt, sich spontan bildete. 2. Was die Kursnotiz angeht, so ist eine Einstellung der amtlichen Notiz von Niemand befürwortet und kommt ernstlich nicht in Frage. Nur für die Termingeschäfte hielt ein Sachverständiger sie für möglich13 und stellte auch Mendelssohn eine dahingehende Frage: die Sachverständigen (Winterfeldt und Alexander) warnten jedoch vor der alsdann entstehenden „Anarchie" namentlich im Interesse der Kommissionäre.14 Anerkannt muß dagegen werden, 12 Die Vorschläge von Wilhelm Lexis finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten. Ber., S. 3588-3590. 13 Um „eine gewisse Scheidung vom Kassageschäft und Ultimogeschäft herbeizuführen", schlug Ludwig Max Goldberger vor, „die Ultimogeschäfte in dem nichtamtlichen Theil der betreffenden Kurszettel zu notieren." Ebd., S. 666. 14 Ernst Mendelssohn-Bartholdy wollte wissen, ob der Selbsteintritt der vereidigten Makler beim Zeitgeschäft verhindert werden könne, „wenn die offizielle Notiz für Zeitgeschäfte überhaupt eingestellt würde." Max Winterfeldt und Julius Alexander verneinten dies. Die „völlige Freiheit der Kursnotiz" würde zu Reklamationen und Vorwürfen gegenüber den Kommissionshäusern führen und der Börsenvorstand könnte dann keinerlei Disziplinargewalt mehr ausüben. Ebd., S. 545f.

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Kursnotirung

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daß das System der Protokollirung der einzelnen festen Schlüsse nebst Zeitpunkt und Quantitäten, welche sich zweifellos durchführen ließe, dem Zustand des Terminmarktes, wenn man kein Maklermonopol schafft, am angemessensten wäre, angemessener auch als der Anfangs-Einheitskurs, neben dem sie übrigens sehr wohl bestehen könnte. Winterfeldt wollte, unter Abschaffung der vereidigten Makler, die Kursnotiz überhaupt durch Kursfeststellungsbureaus auf Grund protokollirter | fester Schlüsse bewirken lassen. Es mag A 218 auch hier die Abneigung des großen Bankkapitals gegen die Einheitskurse, welche von der Person des Kontrahenten absehen, mitspielen.15 Erwünscht wäre sicherlich die Notiz der gehandelten Quantitäten. Abgesehen von der angeblichen Schwierigkeit und der Ansicht, daß daraus falsche Schlüsse gezogen werden könnten - was ohne Bekanntgabe derselben zweifellos erst recht der Fall ist - , machte Siemens dagegen das Interesse an der Geheimhaltung gewisser Operationen geltend: namentlich die Eisenbahnverstaatlichung wäre nach ihm, wenn die vor sich gehenden Operationen frühzeitig bekannt geworden wären, nur zu weit ungünstigeren Bedingungen16 zu Stande gekommen162). Im Übrigen kamen noch einige mehr äußerliche Fragen bezüglich der Kursnotiz zur Sprache. Zunächst wurde mit vollem Recht verlangt, daß die Notiz jedes einzelnen Papiers an den sämmtlichen Börsen in Bezug auf die Usancen betreffend Stückzinsenrechnung, Form des Kurses (Prozente oder Mark per Stück) und namentlich die Umrechnungsfaktoren für fremde Valuten auf gleicher Grundlage ruhe.17 Es wäre das sehr einfach durchzuführen durch Aufstel162) Berechtigt ist jedenfalls die Forderung, daß nicht ein rein fiktiver Kurs in Fällen A 218 notirt wird, wo Geschäfte überhaupt nicht stattgefunden haben. |

15 Der Vorschlag von Max Winterfeldt findet sich ebd., S.527f. Auf die Abneigung der Bankhäuser gegen die Einheitskurse wies Max Weber bereits oben, S. 320, hin. 16 Die Verstaatlichung der preußischen Privateisenbahnen zwischen 1879 und 1890 erfolgte zum Teil durch sukzessive Aufkäufe der Aktien der Eisenbahngesellschaften über die Börsen. Die Geschäfte wurden dem Publikum erst durch die Kursnotierungen bekannt, nicht aber der Umfang der Operationen, wie Georg Siemens bemerkte. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1986 f. 17 Die Vereinheitlichung hielten Max Winterfeldt, Emil Salomon, Max Schinckel, Markus Goldschmidt und Gustav Maier für wünschenswert. Ebd., S. 524, 1239 und 1656.

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lung des Grundsatzes, daß die diesbezüglichen Bestimmungen der Börse, an welcher das Effekt zuerst zur Notiz gelangt, maßgebend sein sollten und daß für die Umrechnung der Rubel etc. eine Verständigung per majora statt finde. Die derzeitigen Unterschiede in der Stückzinsberechnung - z. B. ein volles Jahr Zinsen in einzelnen Fällen bei verschiedener Behandlung der Kouponsdetachirung und der Valutenumrechnung führen zu scheinbaren Kursdifferenzen der einzelnen Plätze, welche Täuschungen veranlassen können und veranlassen. Wenn ein Sachverständiger eine „Schädigung der Arbitrage" - eines in diesem Fall volkswirthschaftlich völlig sterilen Geschäfts - von der Beseitigung der Unterschiede befürchtet, 18 so ist das naiv; ein tieferer Grund des Widerstandes liegt in der, | A 219 trotz der Bestreitung eines Sachverständigen aus München, nicht ganz unbegründeten Furcht namentlich der Frankfurter Interessenten, daß die Konzentration des Geschäftes in Berlin durch Fortfall der partikularistischen Unterschiede noch befördert werden würde. 19 Schließlich kam noch in Frage, ob dier Überlastung der großen Börsen durch die tägliche Kursnotiz in zahlreichen übermäßig vielen - in Berlin fast 1400 - Effekten nicht durch Beschränkung der Notiz in den „kleineren" Papieren auf einige Tage der Woche behoben werden könne. Die Bedenken, welche dagegen erhoben wurden, betrafen theils die Stetigkeit der Kursentwicklung, theils und namentlich stützten sie sich auf die nicht wohl anzuzweifelnde Ansicht, daß die kleineren Werthe dadurch zu „Handelswerthen zweiter Klasse" herabgedrückt würden. 20 Da dies Argument dazu führen müßte, sämmtliche überhaupt ihrer Rechtsform nach negoziablen Werthe ohne alle Rücksicht auf ihre Bedeutung zum Börsen- und insbesondere auch zum Terminhandel zuzulassen, beweist es zu viel. Die Einschränkung der Notiz ist jedenfalls weit unbedenklicher als die gänzliche Verweisung der kleineren Papiere an r A: der 1 8 In d i e s e m Sinne äußerte sich Julius Favreau. Ebd., S. 684f. 1 9 G e g e n ü b e r d e m Frankfurter S a c h v e r s t ä n d i g e n Albert Metzler b e z e i c h n e t e der Münchner Bankier Wilhelm Finck es als Irrtum zu glauben, daß die s ü d d e u t s c h e Kundschaft d e m Frankfurter Platz erhalten bleibe, w e n n die Frankfurter Börse an ihren Usancen festhalte. Ebd., S. 1240. Eine Konzentration auf d e n Berliner Platz befürchtete a u c h der Frankfurter Bankler Max Baer. Ebd., S. 858. 2 0 In d i e s e m Sinne äußerte sich Julius Alexander. Ebd., S. 554.

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Kursnotirung

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die Provinzialbörsen und ihr Ausschließen von der Berliner Börse, denn gerade solche Provinzialwerthe gerathen nach Erfahrungen, die in Essen und anderwärts zu machen sind, dort am leichtesten ganz unter die Botmäßigkeit übermächtiger Interessenten. 21 5 Erörterungen und Beschlüsse, welche das Effektenmaklerwesen allein angingen, hat die Kommission bei Berathung des Maklerwesens nicht produziert. |

2. a A n den Produktenbörsen 1 ).

A 457

Die Verhältnisse der Produktenbörsen sind in diesem wie in ande10 ren Punkten so viel weniger einfache und typische und | die Erhe- A 458 bungen und Erörterungen der Kommission über das Produktenmaklerwesen speziell sind - mit aus diesem Grunde - | so viel weni- A 459 Zu dem ersten Theile dieses Aufsatzes habe ich Folgendes nachzutragen. A 457 Zunächst zwei Bemerkungen persönlicher Art: 1. Ich wurde von einem Kollegen darauf aufmerksam gemacht, daß der S. 204 Anm. 11 in Bezug auf eine Schrift von Bähr gebrauchte Ausdruck „Produkt der Papierscheere" im Sinne von „Plagiat" verstanden werden könne. Einen solchen Vorwurf gegen den inzwischen verstorbenen bedeutenden Juristen hat man, wie ich hoffe, darin nicht gefunden: es sollte natürlich nur die meines Erachtens gerade in diesem Falle nicht unbedenkliche Kritiklosigkeit der Zusammenstellung als unstatthaft bezeichnet werden, was bei der ungemeinen Schärfe des auf das so gewonnene Material gestützten Urtheils erforderlich schien. Siehe | über die Schrift: G. Cohn, Zur Börsenreform (1895) S. 128.1 A 458 2. Der Handelsredakteur des „Berliner Tageblattes", Herr Wiener, sandte mir, gegenüber meiner Bemerkung S. 265 bei Anm. 87, eine eingehende Begründung seiner skeptischen Auffassung bezüglich der Wirksamkeit eines aus Börsenbesuchern zusammengesetzten Disziplinarhofes, auf deren sachlichen Inhalt ich ihres Umfanges wegen an dieser Stelle unmöglich eingehen kann. Ich muß mich vielmehr begnügen, dem gegenüber ähnlich wie es schon die Redaktion gethan hat 2 - zu bemerken, daß ich seine bona fides a In A geht voraus: IV. Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete 1 '. Von Herrn Professor Dr. Max Weber in Freiburg i. Br. (Fortsetzung.) II. Maklerwesen und Kursnotirung. (Fortsetzung.) Die Fußnote 1 ist jetzt an die Überschrift angebunden: 2. A n d e n P r o d u k -

tenbörsen 1 '.

21 Hier nimmt Max Weber Bezug auf die Ausführungen von Julius Bäsch. Er wünschte, Industriewerte vom Terminhandel an der Börse auszuschließen, weil sich besonders die Kohle- und Eisenindustrie zu sehr mit der Börse und deren Operationen verbunden hätten. So würden Produzenten durch Herabsetzung der Produktenpreise bzw. durch Reduzierung des Angebots an Kohle und Eisen die Kursbewegung von Industriewerten beeinflußen. Ebd., S. 990f. Vgl. hierzu auch unten, S. 528f. und Fußnote 87. 1 Über Bähr, Börsenspiel, äußert sich Cohn, Zur Börsenreform, S. 128-132. 2 Die Reaktion der Redaktion auf das Schreiben von Jacob Wiener ist nicht nachweisbar, auch der Brief von Jacob Wiener an Max Weber ist nicht überliefert.

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ger ausgiebig ausgefallen, daß die nachfolgende Skizze noch weit in Bezug auf den Inhalt seiner Aussage, wie die zitirte Stelle deutlich ergibt, keineswegs bezweifelt, vielmehr deren Form beanstandet habe, welche ich unsachlich fand und für deren Wahl ich einen triftigen Grund auch jetzt nicht erkennen kann. Sodann einige sachliche Berichtigungen: 1. In der Korrektur übersehen habe ich einen Fehler auf S. 244, welcher aus einer „vierwöchigen" Präklusivfrist gegen die Sprüche der „Schiedsrichterlichen Kommission" eine „einwöchige" gemacht hat und auf den mein Herr Kollege Professor Cosack mich freundlichst hinwies. 2. werde ich von Herrn Julius Grünwald (Berlin) in dankenswerther Weise darauf aufmerksam gemacht, daß auf S. 245 b versäumt sei, einer der schiedsrichterlichen Instanzen der Berliner Börse, derjenigen, welche die Termingeschäfte in Waaren aburtheilt, zu gedenken. 3 Dieselbe beruht auf einem in den neuen, vom 1. Januar 1894 ab geltenden Schlußschein-Bedingungen enthaltenen Kompromiß, welches wörtlich übereinstimmend in § 15 der Schlußschein-Bedingungen über Weizen, Roggen, Hafer, Mais, Roggenmehl, § 16 der Rüböl-, § 14 der Petroleum-, § 19 der Sprit-Schlußscheine wie folgt lautet: „Alle aus dem Vertrage entstandenen Streitigkeiten werden durch ein Schiedsgericht entschieden. Die Schiedsrichter werden in einer von den Ältesten der Berliner Kaufmannschaft berufenen Generalversammlung der korporirten Mitglieder der Produktenbörse auf drei Jahre gewählt. Die Namen der gewählten Schiedsrichter sind durch Aushang an der A 459 Börse bekannt zu | machen. Diejenige Partei, welche einen Streit zur Entscheidung bringen will, hat eine Klageschrift in zweifacher Ausfertigung an das Bureau des Ältestenkollegiums mit dem Antrage auf Bestellung des Schiedsgerichts zu richten. Der Präsident des Ältestenkollegiums, bezw. dessen Stellvertreter, ernennt alsdann drei Schiedsrichter, von denen das älteste Mitglied die Leitung des weiteren Verfahrens übernimmt. Jeder Schiedsrichter kann aus denselben Gründen und unter denselben Voraussetzungen abgelehnt werden, welche zur Ablehnung eines Richters berechtigen. Das Schiedsgericht entscheidet selbst über seine Zuständigkeit. Wenn ein Schiedsrichter die Übernahme des Schiedsrichter-Amtes ablehnt oder an der Ausübung desselben aus irgend einem Grunde behindert ist, so wird ein Ersatzmann durch den Präsidenten des Ältestenkollegiums oder durch dessen Stellvertreter bestimmt." Durch den gesperrt gedruckten Satz ist dies Schiedsgericht nunmehr in der That zu einem organischen Verfassungsbestandtheil der Berliner Börse gestempelt und hätte daher erwähnt werden müssen. Daß es nicht geschah, beruhte darauf, daß ich die Änderung der früheren Schlußschein-Fassung (§ 12 der Weizen-, Roggen-, Hafer-, Mais- und Petroleum-, § 13 der Roggenmehl-, Rüböl- und Sprit-, § 14 der Kartoffel-Mehl- und -Stärke-Schlußscheine alter Fassung) übersehen habe. Nach dieser älteren Fassung war über die Art der Bestellung der Schiedsrichter nur gesagt, daß ihre Liste von „einer Anzahl hiesiger Produktenhändler" aufgestellt worden sei,4 und hielt ich es deshalb für richb In A folgt: des vorigen Heftes 3 Eine schriftliche Mitteilung von Julius Grünwald an Max Weber ist nicht überliefert. Die im f o l g e n d e n zitierten Schlußscheinbedingungen finden sich in: Handbuch der Produktenbörse 1894, S. 5f., 11 f., 17, 22f., 28f., 34f. und 48. 4 Die genannten Schlußscheinbestimmungen sind nur noch vereinzelt überliefert: je ein Exemplar des Schlußscheins für Weizen, R o g g e n und Hafer von 1888/1889, in: GStA Berlin, Ministerium für Handel und Gewerbe,-Rep. 120 Titel C XI 1 Nr. 60, Band 3, BI.217, 219 und 220; der Schlußschein für R o g g e n auch in: Sonndorfer, Rudolf, Die Technik des Welt-

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weniger den Anspruch erheben kann, eine wirk (liehe Darstellung A460 der behandelten Verkehrserscheinungen zu sein, als dies bezüglich der bisher besprochenen Punkte der Fall ist2). Es wird zweckmäßig sein, die Zustände des Hamburger Platzes, 5 welcher einen besonders vielseitigen Produktenmarkt mit einer charakteristischen Gestaltung des Maklerthums verbindet, zum Ausgangspunkt der Betrachtung zu nehmen 3 ). D e m Hamburger Produktenhandel ist mit dem Effektenhandel gemeinsam das Fehlen der vereidigten Makler. Das Maklergewer10 be ist völlig freigegeben und wird, bei der völligen Freiheit des Zutritts zur Börse, vielfach von großen Firmen mit dem Arbitrageund Kommissionsgeschäft, in verschiedenen Branchen - so im Sprithandel - auch mit umfangreichem Eigenhandel kombinirt. Allein[,] während der Hamburger Effektenhandel einen amtlichen 15 Kurszettel kennt, fehlt ein solcher für den Waarenhandel. Der ihr

tiger, dies Kompromiß bei Besprechung der Termin-Usancen zu erwähnen, ebenso wie die „Lieferbarkeits"-Erklärung. 5 Freilich kann man darüber streiten, da der Unterschied wohl mehr ein solcher in der Form als in der Sache ist. 3. macht derselbe Herr mich darauf aufmerksam, daß die Notirung „kl. f." - s. Anm. 152 auf S. 320c - in Berlin nur bedeute, daß kleine Stücke zu dem notirten Kurse nicht haben abgesetzt werden können, während ich a. a. O. mich irrig so ausgedrückt hatte, daß diese Notirung erfolge, wenn einmal kleine Posten von den Maklern nicht zur Notirung zugelassen würden. Die Notirung „P. bez." für besonders große Posten bezeichnet dieselbe Quelle mir als „so gut wie gar nicht vorkommend". | 2 < Es handelt sich eben hier überhaupt - wie noch einmal betont sein mag6 - um wenig A 460 mehr als die bescheidene Aufgabe, aus dem Material der Börsenenquete das, was sie uns an positiven Ergebnissen bietet, herauszuheben. 3) S[iehe] darüber die Darstellung Levy's von Halle in der früher zitirten Abhandlung.7 |

c In A folgt: des vorigen Hefts handels. Ein Handbuch der internationalen Handelskunde. - Wien und Leipzig: Alfred Holder 1889, S. 2 1 - 2 4 ; die Schlußscheinbedingungen für den Spiritushandel vom 9. Februar 1888, In: Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht, Band 35, 1889, S. 1 8 5 199; die von Max Weber zitierte Bestimmung ist nicht In § 13, sondern in § 16 enthalten. Ebd., S. 190f. 5 Max Weber ist auf Kompromiß und Lieferbarkeitserklärung nicht mehr eingegangen, da er, entgegen seiner ursprünglichen Absicht, den Produktentermlnhandel nicht mehr behandelt hat. Vgl. dazu unten, S. 460, Fußnote *. 6 Oben, S.214f. 7 Gemeint ist der Aufsatz von Levy von Halle, Schmollers Jahrbuch 1892, hier S. 11291157, auf den Max Weber, oben, S.215, Fußnote 19, erstmals verweist.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

nach § 13 Abs. 3 des Hamburgischen Handelskammergesetzes8 obliegenden Pflicht, die Herausgabe eines Waarenpreiskurantes „zu veranlassen", hat sich die Handelskammer dadurch entledigt, daß sie die von einem Privatunternehmer - Lorenz Brauer - seit 27 Jahren wöchentlich ein Mal (Freitags) herausgegebene, auf regelmäßigen privaten Angaben von Maklern und Geschäftsleuten, an die sich der Unternehmer wendet, beruhende Waarenpreisliste als die von ihr „veranlaßte" anerkannt hat;9 Vorschriften über die Art der Feststellung und Notirung oder irgend welche sonstige amtliche Reglements bestehen nicht. Die gedachte offiziöse Preisliste ist weder auf einer auch nur annähernd vollständigen Erfassung des Verkehrs aufgebaut, also die zuverlässigste, noch ist sie die einzige, noch endlich auch nur die praktisch wichtigste Erkenntnißquelle A 461 für die | wirkliche Marktlage. Es bestehen daneben4) noch zwei allgemeine, gleichfalls auf privaten Angaben beruhende und deshalb bezüglich ihres Ergebnisses dem Zufall ausgesetzte Preiskurante, derjenige der „Hamburger Börsenhalle" und der Koch'sehe,10 daneben endlich eine nicht unerhebliche Zahl von einzelnen Firmen zunächst für ihre Kunden zusammengestellter Preislisten und die von Preßberichterstattern den Zeitungen gelieferten Marktberichte. Die Notirungen dieser verschiedenen allgemeinen Kursberichte weisen oft die erheblichsten Unterschiede auf und bieten keinerlei Garantie, trotzdem werden sie der Preisbestimmung bei den Geschäften mit der auswärtigen Kundschaft häufig zu Grunde gelegt, was um so bedenklicher ist, als die Möglichkeit von BeeinflussunA 461

4

> Levy von Halle a.a.O. S. 151.11 |

8 Das Gesetz, betreffend die Handelskammer vom 23. Januar 1880 findet sich in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 1 - 7 . 9 Die Bezeichnung der Preisliste änderte sich mehrfach. Seit dem 25. Jahrgang 1892 lautete der Titel „Waaren-Preis-Liste, hg. von Lorenz Brauer auf Veranlassung der Handelskammer". 10 Die „Hamburgische Börsen-Halle. Zeitung für Handel und Schiffahrt", benannt nach dem 1804 gegründeten Leseinstitut „Die Börsenhalle", erschien von 1805 bis 1904 unter wechselndem Namen als Abendzeitung. Sie war zeitweise die größte hamburgische Tageszeitung. Den „Koch'schen Preiskurant" druckte eine Hamburger Tageszeitung ab. Levy von Halle, Schmollers Jahrbuch 1892, S. 1145. 11 Max Weber zitiert den Aufsatz von Levy von Halle nach der Paginierung des Hefts. Im folgenden werden die Seitenangaben nach der Gesamtpaginierung des Jahrbuchbandes angegeben. Danach finden sich die Angaben, auf die sich Max Weber bei seinen weiteren Ausführungen stützt, in: Levy von Halle, Schmollers Jahrbuch 1892, S. 1145f. (= 151 f.).

II. Maklerwesen

und

Kursnotirung

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gen gänzlich unkontrollirbarer Art hier auf das Maximum steigt und steigen muß. Dagegen haben alle diese bisher erwähnten verschiedenen, die Gesammtheit des Waarenverkehrs umfassenden Preislisten für den Handel an Ort und Stelle keine irgend nennens5 werthe Bedeutung, und auch die erfahrenere auswärtige Kundschaft kümmert sich bei ihren Abschlüssen darum nicht. Weit wichtiger als alle diese den ganzen Verkehr umfassenden Preistabellen sind diejenigen Notirungen, welche, im Gegensatz zu den bisher erörterten, 12 auf Grund autonomer Reglements von den Interessen10 ten-Verbänden der einzelnen Branchen für die einzelnen Artikel festgestellt werden und die alsbald einer näheren Betrachtung zu unterziehen sind.13 - Vorerst fragen wir nach dem inneren Grunde, der den Mangel eines einheitlichen Kursberichtes und die geringe Bedeutung der Hamburger Produkten-Kursnotizen überhaupt be15 wirkt. Er ist theils in den allgemeinen Verhältnissen des Produktenmarktes, theils in den besonderen des Hamburger Platzes zu finden. Ein allgemeiner Grund liegt auf der Hand: der Waarenhandel ist in weit geringerem Maße und mit einem weit geringeren Bruch20 theil an die Börse gebunden als der Effektenhandel. Die geeignetste Kundschaft für denjenigen, der bestimmte Effekten | absetzen A 462 will, ist im Allgemeinen ebenso wenig an einem Beruf oder sonstigen Merkmalen erkennbar, als der Reflektant auf bestimmte Papiere regelmäßig zu ermitteln vermag, von wo er sie am günstigsten 25 werde beziehen können. Effektenkäufer und Effektenverkäufer sind keine Berufsstände. Es ist für beide das Normale, sich direkt oder indirekt an den offenen Markt zu wenden. Es ist klar, daß darin der Produktenhandel, der im Großen und Ganzen mit einer gegebenen Hierarchie berufsmäßiger Abnehmer bestimmter Waa30 ren von den Weltfirmen bis zum übersichtlichen Kundenkreise des Detaillisten herab zu thun hat, ganz anders gestellt ist. Ganz entbehren kann freilich auch der Waarenhandel in den meisten Großhandelsartikeln das Vorhandensein des offenen Marktes naturgemäß nicht, den Fall ausgenommen, daß eine formelle oder fakti35 sehe Monopolisirung der Produktion oder des Vertriebes eines Artikels durch große Häuser oder Ringe stattfindet - und selbst dann 12 Oben, S. 296-345. 13 Unten, S. 364-369.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

wird trotz faktischen Fehlens der freien Konkurrenz überall da der offene Marktverkehr der Form nach aufrechterhalten, wo ein Interesse an dem Vorhandensein einer Preisnotirung behufs Zugrundelegung derselben den Kunden gegenüber besteht. Sehr verschieden ist aber, auch von diesem Fall abgesehen, das Maß des Interes- 5 ses eines Handelszweiges an dem Vorhandensein von Märkten mit börsenmäßigen Verkehrsformen in den einzelnen Artikeln und der Bruchtheil des Verkehrs, welcher sich auf diesen Märkten abspielt5). Ebenso verschieden steht es deshalb auch um das Maß der Mit- 10 Wirkung von Maklern: ein Theil des Waarenverkehrs hat diese Instanz so gut wie völlig abgestoßen, insbesondere natürlich diejeniA 463 gen Märkte, auf denen sich eine kleine Zahl von | Großinteressenten gegenübersteht, die sich ohne Mittelsperson zu finden wissen. Nur der eigentlich spekulative Verkehr in Produkten, soweit ein 15 solcher besteht - also insbesondere der Terminhandel - , erfordert stets seinem Wesen nach die börsenmäßige Form der räumlichen und zeitlichen Konzentration von Angebot und Nachfrage und damit auch den Makler oder eine ihm entsprechende Mittelinstanz. Der Terminverkehr spielt sich, wo er besteht, ganz oder fast ganz 20 an der Börse ab, der Lokoverkehr sehr oft abgesondert davon. Dem entsprechend ist auch die ökonomische Voraussetzung einer wirklich den Gesammtverkehr umfassenden Kursnotirung bei beiden verschieden. Ähnlich verschieden stellen sich das Effektiv- („Loko"-) und das 25 Termingeschäft in Bezug auf die technischen Voraussetzungen der Kursnotirung. Was den Lo/:overkehr anlangt, so ergibt sich eine fundamentale Schwierigkeit im Gegensatz zu den Effektennotirungen schon daraus, daß die einzelnen Waarengattungen, mag man sie noch so ein- 30 gehend spezialisiren, in sich die größten Qualitätsdifferenzen aufweisen, welche sich in der Notirung keineswegs hinlänglich und so genau zum Ausdruck bringen lassen würden, daß darnach der einzelne Produzent sich über die Bewerthung, die daraus für sein ProA 462

5) Und vollends verschieden beantwortet sich die Frage, an welchem Platz sich dieser Verkehr hauptsächlich lokalisirt und damit dessen Notirungen als die maßgebenden erscheinen läßt: keineswegs immer ist das Domizil der größten Firmen dieser maßgebende Ort. Nachstehend kann unmöglich in eine Untersuchung der Technik des Waarenhandels und dieser Verhältnisse in den Einzelfällen eingetreten werden. |

II. Maklerwesen

und

Kursnotirung

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dukt folgt, wirklich klar werden könnte. Dazu tritt, daß im Lokoverkehr die Lieferungs- und Zahlungsbedingungen immerhin starke individuelle Abweichungen auch bei Zugrundelegung eines einheitlichen Geschäftstypus aufweisen, so daß die wirklich dem Ty5 pus voll entsprechenden Baargeschäfte nur einen - verschieden großen - Bruchtheil des Lokoverkehrs darstellen. Sobald ferner irgend eine Kreditgewährung mitspielt, wird an praktischer Bedeutung jenes Moment noch überwogen durch die Verschiedenheit der Bonität der Kontrahenten, welche alsdann stark für die Preisabre10 de ins Gewicht fällt. Dieser Umstand steigt deshalb an Bedeutung im Terminverkehr, während jene beiden anderen, die Exaktheit der Notirung im Lokoverkehr beeinträchtigenden, oft geradezu ausschließenden Umstände hier von geringerer Bedeutung sind, weil einerseits der Geschäftstypus hier völlig einheitlich ist, andererseits 15 auch die | „Lieferungsqualität" für den Terminverkehr, also diejeni- A 464 ge Qualität, auf welche sich die Terminkurse beziehen, stets ein für alle Mal usancemäßig feststeht.14 Die Verschiedenheit in der Qualität der Waaren beeinträchtigt im Lokoverkehr, die Verschiedenheit in der Qualität der Kontrahenten im Terminverkehr die Exakt20 heit der Notirung6).15 - Auch die Fixirung der Terminhandelsqualität ist freilich - worüber bei Besprechung des Terminhandels zu reden sein wird16 - von sehr verschiedenem Grade der Bestimmtheit7', aber immerhin ist in vielen Artikeln nur die Terminnotirung als Bild der Marktlage für Außenstehende brauchbar. 6> S[iehe] die Aussagen des Sachverständigen Kochhann (Berlin) S. 2370 f. der Steno- A 464 gramme. 7) Vgl. die Bestimmung der Weizen-Terminqualität nach den Schlußscheinen der Berliner Börse: „Weizen, gut, gesund, trocken, frei von Darrgeruch (Rauh-, Kubanka- und syrischer Weizen ausgeschlossen) und durchschnittlich 755 Gramm per Liter wiegend." 17

14 Beim Kaffeeterminhandel entschied jedoch der Vereinsvorstand der Kaffeehändler jedes Jahr erneut, ob die festgestellten Qualitätstypen auch für das nächste Jahr gültig bleiben, oder ob eine neue Klassifikation nötig sei. Statuten des Vereins und Regulativ für Termingeschäfte in Kaffee, in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 139 und 158. 15 In diesem Sinne äußerte sich Heinrich Kochhann. Seine Aussage findet sich - wie in Fußnote 6 gemeint - in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber. 16 Auf die Lieferungsqualität kommt Max Weber unten, S. 376f. und Fußnote 43, nochmals zu sprechen. Auf den Produktenterminhandel ist Max Weber nicht mehr eingegangen. Vgl. unten, S. 460, Fußnote *. 17 Max Weber zitiert §1 der Schlußscheinbedingungen für Weizen, in: Handbuch der Produktenbörse 1894, S. 1.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

Was endlich die für die speziellen Zustände des Hamburger Platzes maßgebenden Umstände anlangt, so hat zunächst die völlige Freiheit des Verkehrs und des Maklergewerbes dazu beigetragen, die Makler überall da verschwinden zu lassen, wo sie sich entbehrlich zeigten - so im Weinhandel. Sie hat aber auch die auf dem Ge- s biet der Kursnotirungen bestehende Anarchie herbeigeführt. Andererseits hat die beginnende Aussonderung von Händlerverbänden innerhalb der Börsengemeinschaft die Möglichkeit autonomer Regelung des Maklerwesens und der Kursnotirung in den betreffenden einzelnen Artikeln geboten und eine solche thatsächlich 10 herbeigeführt. Die Statuten aller früher 8 ' erwähnten Händlervereine enthalten Bestimmungen über die Makler und die Art der Kursfeststellung.18 Die Makler und Vermittler unterliegen zum Theil einer Sonderstellung; sie sind im Verein der Petroleum-Interessenten von der Wählbarkeit in den Vorstand ausdrücklich ausgeschlos- 15 A 465 sen9), im Getreide- und Sprit|händlerverein durch die Fassung der betreffenden Bestimmungen ebenfalls, im Baumwollverein darf ein Makler nicht Vorsitzender werden, im Kaffeeverein sollen sechs Händler und drei Makler, unter denen mindestens je ein Effektivund ein Terminmakler, den Vorstand bilden.19 Schon daraus zeigt 20 sich, daß die Makelei in diesen Branchen noch in erkennbarer Weise als Sonderberuf sich vom Händlerthum scheidet10'. - Soweitd die betreffenden Vereine in gesonderten Lokalitäten tagen, bedeutet Nichtzugehörigkeit und Nichtzulassung zum Verein Ausschluß von dem in diesen Lokalen stattfindenden Handel und der Vermittlung 25 darin. Da während der Börsenstunden der Verkehr aus den Sonderlokalitäten an die Börse verlegt wird, so kommt es darauf an, ob 8

>

9

e

S.236. e

> Jürgens a. a. O. S. 124 oben. | 1(l) A 465 Die Makler in der Kaffee- und diejenigen in der Zuckerbranche' haben - nach Levy von Halle a. a. O. - Vereinigungen gebildet. 20 d A: So weit

e A: Im vorigen Heft S. 113.

f A: Kohlenbranche

1 8 Die Statuten der Vereine der Getreidehändler und der Interessenten für Kartoffelfabrikate, in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 9 6 - 1 0 0 und 116f., enthalten keine B e s t i m m u n g e n über die Makler u n d die Kursfeststellung. 1 9 Die g e n a n n t e n Vorschriften der Vereinsstatuten finden sich in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 97, 108, 137 u n d 192. 2 0 Das erwähnt Levy von Halle, Schmollers Jahrbuch 1892, S. 1137.

II. Maklerwesen

und

Kursnotirung

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der Schwerpunkt des Verkehrs in diesen Stunden oder außerhalb ihrer in den Sonderbörsen liegt. Im letzteren Falle - und dieser liegt bei dem Kaffee- und dem Zuckerverein vor - sind Nichtvereinsmitglieder faktisch von der Makelei in diesen beiden Artikeln ausgeschlossen, das Maklergewerbe also materiell nicht für Jedermann, sondern nur für die Mitglieder frei. Gänzlich monopolisirt ist endlich die Term/nmakelei in den Artikeln, in welchen die Termingeschäfte durch Waarenliquidationskassen garantirt werden. Dies ist in Zucker, Kaffee und11) Baumwolle der Fall. Der ökonomische Zweck jener Institute113' ist: auf autonomem Wege diejenigen finanziellen Garantien zu schaffen, welche die heutige Börsenorganisation mit ihrer Zulassung ökonomisch nicht kontrollirter Elemente nicht bietet. Dies erreichen die Kassen in ähnlicher Art wie die Maklerbanken im Effektenverkehr, indem sie nämlich für die Abschlüsse, welche durch die von ihnen bezeichneten Makler vermittelt werden, die Garantie als Selbstkontrahentin übernehmen. | Auch hier tritt das organisirte Kapital als A 466 Träger der für die Schultern des heutigen Verkehrsvermittlers zu schweren Kreditbelastung zwischen die Parteien. Die Kasse ihrerseits sichert sich durch Einforderung von Einschüssen und Nachschüssen je nach den Kursschwankungen von den Kontrahenten die Erfüllung der Engagements, in welche sie eintritt. Die Besprechung dieses Verfahrens und die Würdigung der Liquidationskassen gehört im Übrigen in den vom Terminhandel handelnden Abschnitt,21 hier ist nur das Rechtsverhältniß der Terminmakler in jenen drei Artikeln darzulegen12': Die zuständigen Instanzen der Kasse oder des betreffenden Händlervereins allein n)

Seit 1. Juli 1892, daher in den Kommissionsmaterialien noch nicht erwähnt. 22 > S[iehe] darüber unten bei Besprechung des Terminhandels.23 | n> Fast wörtlich gleichlautend in den drei Regulativen bei Jürgens a.a.O. S. 157f., A466 180f., 202f. geordnet. 24 11 a

21 Die Warenliquidationskassen hat Max Weber nicht mehr behandelt, d a er auf d e n Produktenterminhandel nicht mehr e i n g e g a n g e n Ist. 22 Die A u f n a h m e der Terminnotiz in nordamerikanischer Baumwolle durch die WaarenLlquldations-Kasse In H a m b u r g Ist in den Materialien der Börsenenquetekommlssion berücksichtigt worden: Endemann, Liquidationskassen, S. 3 6 7 - 3 7 0 und 380. 2 3 Wie oben, A n m . 2 1 . 24 Die gemeinten Regulative der Waaren-Liquidations-Kasse für Termingeschäfte In Kaffee, Rüben-Rohzucker bzw. Nordamerikanischer Baumwolle, in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 1 5 3 - 1 7 3 , 1 7 9 - 1 9 1 und 2 0 2 - 2 1 3 .

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

entscheiden arbiträr über die Zulassung zum Maklerbetrieb mit der Wirkung, daß nur diese Makler die durch sie vermittelten Geschäfte der Kasse „aufgeben" dürfen, d. h. berechtigt sind, die Kasse als selbsthaftende Gegenkontrahentin den beiden am Geschäftsabschluß betheiligten Parteien in den Schlußnoten zu bezeichnen. Die einzelnen Geschäftsabschlüsse kommen dann in folgender Art zu Stande: der Makler ertheilt sofort nach Abschluß jedem Kontrahenten gestempelte Schlußnoten, in denen als Kontrahentin - Käufer bezw. Verkäufer - die Kasse bezeichnet ist. Je die anderen Hälften beider Schlußnoten werden von den Kontrahenten unterschrieben13', bis 4 Uhr Nachmittags des nächsten Tages durch den Makler der Kasse eingereicht, von dieser nach Leistung des gleichzeitig zu erlegenden „Einschusses" gebucht und bis 12 Uhr des nächsten Tages den Kontrahenten für jede Schlußeinheit (z. B. je 500 Sack Kaffee, die zu liefern sind) ein „Liquidationsschein" zugestellt, in welchem die Gesellschaft ihre Haftung als Kontrahentin erklärt. Der Makler hat die eine Hälfte des Schlußnotenstempels selbst zu tragen, die andere und V2 Prozent vom ausmachenden Preis vergütet ihm die Kasse, welche diese Beträge von A 467 den Kontrahenten | einzieht.25 Der Unterschied gegen die Maklerbanken im Effektenverkehr ist also - abgesehen davon, daß die Maklerbanken sich in den Kautionen der Makler, die Liquidationskassen in den „Einschüssen" der Parteien ihre Sicherheit schaffen - zunächst die weit straffere Organisation und Kontrolle der Makler. Dann aber, und namentlich, der Umstand, daß die Maklerbanken innerhalb des freien Verkehrs stehen, dagegen die Liquidationskassen eine Monopolisirung des Terminhandels in dem betreffenden Produkt erstreben und erzielen. Thatsächlich durchläuft der Terminhandel, wo solche Kassen bestehen, ganz überwiegend die Kassengarantie.

13) Diese Unterschrift gilt als „Zeichen der Unterwerfung unter das Regulativ" der Kasse. 26 |

2 5 Max Weber referiert aus den fast gleichlautenden §§2, 3, 6, 9 und, die Courtage der Makler betreffend, aus §25 (Kaffee) und §23 (Baumwolle) der Regulative (wie Anm.24). Im Zuckertermingeschäft erhielten die Makler statt 1 / 2 % nur des Kaufpreises als Courtage (§ 24 des Regulativs). 2 6 Das Zitat ist jeweils §6 der Regulative entnommen.

II. Maklerwesen

und

Kursnotirung

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Die Kasse übernimmt die Haftung nur für die durch „ihre" Makler ihr aufgegebenen Geschäfte. Die Makler andererseits sind verpflichtet, alle durch sie vermittelten Abschlüsse der Kasse aufzugeben, es ist ihnen verboten, Geschäfte „in sich" zu erledigen oder 5 unter einander auszugleichen. Sie dürfen nicht arbitragiren, sondern Geschäfte nur vermitteln zwischen Parteien, die in Hamburg oder einem „benachbarten" Orte 27 wohnen, die Kasse selbst nimmt als Gegenkontrahenten nur in Hamburg selbst wohnhafte Personen an, für solche, die in einem „benachbarten" Orte woh10 nen, muß der Makler selbst als Kontrahent eintreten. Die Regulative enthalten dagegen keine Bestimmung, wonach die Kasse verpflichtet wäre, sich jeden ihr vom Makler aufgegebenen Gegenkontrahenten gefallen zu lassen; eine Zurückweisung soll ausnahmsweise vorgekommen sein und hat dann natürlich die Folge, daß der 15 Makler selbst seinem Kontrahenten haftet, wenn er keine konvenirende Aufgabe beschafft14). Auch außerhalb der gedachten Fälle, wo der Makler sich der Kasse gegenüber als Selbstkontrahent bezeichnen muß, ist ihm dies durch die Regulative nicht verboten; er darf also eigene Geschäfte machen, und dies kommt vor. Einen 20 Zügel hat ihm wie anderen Spekulanten gegenüber die Kasse durch ihr | (an seinem Ort zu besprechendes) Recht, 28 nach Belie- A 468 ben Einschüsse auf die Engagements zu fordern, in der Hand. - Ein formeller Zwang, sich bei Geschäften der Vermittlung eines Maklers zu bedienen, besteht für die Vereinsfirmen nicht, sie kompensi25 ren vielmehr als Kommissionäre für Außenstehende die Aufträge oft in sich und schließen auf kürzere Termine und bei kleineren Posten auch direkt unter sich ab unter Verzicht auf die Kassengarantie. Wo jedoch diese und die dadurch gebotene Sicherheit begehrt wird, ist es nothwendig, einen der von der Kasse zugelassenen l4) S[iehe] den von Levy von Halle a. a. O. S. 147 Anm. 3 aufgeführten Fall. Die Rechts- A 467 läge kann nicht zweifelhaft sein. S[iehe] das früher über die Rechtsstellung der Effektenmakler Gesagte. 29 |

27 „In H a m b u r g oder einem b e n a c h b a r t e n Orte" ist Zitat aus § 3 der Regulative. 28 Die Warenliquidationskassen hat Max Weber nicht mehr behandelt, d a er auf d e n Produktenterminhandel nicht mehr e i n g e g a n g e n Ist. 29 Siehe Levy von Halle, Schmollers Jahrbuch 1892, S. 1141, Anm. 3, und oben, S. 3 1 3 f .

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

Makler anzugehen und besteht dadurch im Ergebniß neben dem Vermittlungsmonopol auch eine Art Vermittlungszwang15). Was nun die Kursnotirungen der einzelnen Vereinigungen anlangt, so wird eine Kontrolle derselben durch die amtlichen Börsenorgane nicht ausgeübt16). Dieselben konstatiren lediglich, in Ausführung der Ziff. 9 der Ausführungsbestimmungen zum Reichsstempelgesetz vom 29. Mai 1885, das thatsächliche Vorhandensein geregelter 7ermznpreisnotirungen in den Artikeln, für welche solche bestehen, und bringen sie durch den Senat zur öffentlichen Kenntniß, da mit dem Vorhandensein solcher Notirungen die Stempelpflicht eintritt. Termin-Notirungen sind demgemäß als vorhanden konstatirt für17); 1. Raffinirtes amerikanisches Petroleum, 2. Guten rohen Kartoffel-Spircius, 3. Good average Santos-Kaffee, \ A 469 4. Rüben-Rohzucker, erstes Produkt, 5. Granulirten und KrystallZucker, 6. Nordamerikanische Baumwolle. Es sind die von den betreffenden Vereinen bewirkten Notirungen. Von anderen Interessenten-Vereinigungen - so von dem Verein der Getreidehändler und den vereinigten ßwiferkaufleuten - werden für diese Artikel, in denen Terminhandel nicht besteht, Lo/copreisnotirungen täglich herausgegeben. Dieselben sind durch die Makler in den betreffenden Artikeln unter Betheiligung der Interessenten, aber ohne Gewähr der Vollständigkeit, zusammengestellt, unterscheiden sich ihrer Natur und ihrem Werth nach nicht von den früher erwähnten A 468

15

' Nach Levy von Halle werden insbesondere im Kaffeehandel auch direkt gemachte Schlüsse regelmäßig aufgegeben, da die Schlußeinheit (der usancemäßige Mindestbetrag des einzelnen Terminschlusses) hier besonders groß sei. 30 16) Eine Ausnahme machte die Handelskammer zeitweise in dem von Levy von Halle a. a. O. S. 15231 angezogenen Falle der Butternotirungen zu dem Zwecke, die Landwirthe und anderweitigen Interessenten gegen Übervortheilungen seitens der Hamburger Kommissionäre durch tendenziöse Notirungen zu schützen, gab aber diesen Versuch als erfolglos bald wieder auf. 17) S[iehe] die Bekanntmachungen des Senats vom 29. September 1885,20. Juni 1887, 9. Januar 1888,23. März 1891 und 4. November 1892.32 | 30 Levy von Halle, Schmollers Jahrbuch 1892, S. 1141 und Anm. 2, gibt an, daß z. B. bei Zucker die Minimaleinheit keine 15000 Mark beträgt, dagegen bei Kaffee 40000 Mark. 31 Ebd., S. 1146f„ Anm. 1. 32 Die Bekanntmachungen, betreffend die Erhebung von Reichsstempelabgaben vom 28. (nicht 29.) September 1885, vom 20. Juni 1887, vom 9. Januar 1888, vom 23. März 1891 und vom 4. November 1892 sind vom Senat veröffentlicht worden, in: Gesetzsammlung der freien und Hansestadt Hamburg 1885 Nr. 37 S. 76, 1887 Nr. 25 S.96, 1888 Nr. 2 S. 3, 1891 Nr. 7 S. 7 und 1892 Nr. 55 S. 262.

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Kursnotirung

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privaten allgemeinen Preislisten33 und erfordern keine besondere Betrachtung. Eine solche verlohnt sich nur für die erwähnten Notirungen in den Artikeln, welche auf Termin gehandelt werden, zumal vor der Kommission fast nur von diesen die Rede gewesen 5 ist18'. Daneben mögen, der Wichtigkeit des Artikels wegen, die Angaben über die Getreidenotirungen registrirt sein. Die täglichen Notirungen des Vereins der Getreidehändler, welche für Mecklenburg, Holstein und Hannover von Bedeutung sind, sind Lokonotirungen, da ein Terminhandel nicht mehr besteht, der 10 Umsatz überhaupt allmählich nach Berlin übersiedelt ist. Ein Mitglied des Vorstandes nimmt sie von den Maklern auf Grund der Abschlüsse derselben entgegen, ohne daß nähere Bestimmungen festgestellt werden. Die Feststellung durch public call, wie sie an den Terminmärkten für Zucker und Kaffee in Hamburg vor15 kommt, ist, da es sich um Effektivgeschäfte und überwiegend um kleine Posten handelt, nicht anwendbar. Die Makler treten, trotzdem es sich um Effektivgeschäfte handelt, nicht selten selbst als Kontrahenten ein. Der von der Kommission vernommene Inhaber der Firma Lattmann & Schirlitz, welche Maklergeschäfte betreibt, 19 20 versicherte ' allerdings von sich, | daß er noch nie auch nur für 5 Pfennig Getreide besessen habe, meinte aber, er sei darin ein Unikum. Aus seinen Angaben ging überdies hervor, daß er faktisch überwiegend Kommissionär ist, da die ihm zugehenden, meist auf große Posten lautenden, aber nicht sehr zahlreichen Aufträge - er 25 sprach von täglich einem bis zehn - überwiegend von auswärts an ihn gelangen. Daraus erklärt sich auch seine Versicherung, daß er sich an der Börse nie Notizen über seine Abschlüsse mache, sondern erst nach Schluß, um 3 Uhr, dieselben in seinem Courtage-

A470

18) Die Notirungsreglements finden sich bei Jürgens a. a. O. S. 115 (Sprit), 126 (Petro- A 469 leum), 162 (Kaffee), 183 (Zucker), 206 (Baumwolle). 34 19 > S. 2380 f. der Stenogramme.35 |

3 3 Oben, S . 3 5 6 f . 34 Gemeint sind das Reglement für die Bericht-Notirungen, festgestellt In der Versammlung des Vorstandes der Spiritus-Interessenten am 20. September 1888, das Regulativ für Notirungen in Petroleum u n d § 11 der Regulative der Waaren-Liquidations-Kasse für Termingeschäfte In Kaffee, Rüben-Rohzucker bzw. Nordamerikanischer Baumwolle in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 115f., 126f., 162, 183 und 206. 35 Die im f o l g e n d e n z u m Teil zitierten A u s s a g e n von Oscar Schirlitz, Teilhaber der Firma Lattmann & Schirlitz, finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 2 3 8 0 - 2 3 8 2 .

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

buch unter einander zu schreiben pflege, während dies bei den kleinen Maklern anders sei, - was thatsächlich wohl materiellere Gründe als den, wie er meinte, darin zu Tage tretenden Mangel der „geistigen Auffassung" bei ihnen haben wird. Daß die Übernahme des Delcredere vom Makler verlangt wird, kommt bei kurzen Zah- 5 lungsfristen mehrfach vor, regelmäßig wird dasselbe bei Banken beschafft. Ein erheblicher Anreiz zum Behalten eigener Engagements ohne Noth dürfte für die eigentlichen Maklerfirmen nicht bestehen, da die Offerten meist ziemlich spezialisirte Bedingungen haben und deshalb die Chancen für die Weitergabe wenig durch- 10 sichtig sind. Für die beiden Branchen, in denen Terminhandel, aber ohne Liquidationskasse, stattfindet - Petroleum und Sprit -[,] weicht die Art der Kursermittlung und die allgemeine Stellung der Makler hiervon nicht wesentlich ab. Der Petroleum-Verein delegirt monat- 15 lieh ein Vorstandsmitglied und jährlich drei Vermittler in die Notirungskommission, welche täglich 2V2 Uhr Loko- und Terminpreise auf Grund ihrer Beobachtungen ermitteln, in der Börse anschlagen und den Zeitungen mittheilen. Maßgebend sollen die Forderungen der ersten Hand (der Importeure) für die Briefkurse und 20 die Forderungen der Käufer für die Geldkurse sein; ob beide oder welche von beiden notirt werden, unterliegt freiem Ermessen; außerdem kann jeder Interessent die Notirung von glaubhaft nachgewiesenen Geschäften beantragen. Thatsächlich ist bekanntlich der freie Markt hier nur Schein gegenüber dem Monopol des Standard 25 Oil Trust.36 | A 471 In der Spritbranche wurde der Sprithändler Eulenburg vernommen20', welcher das Hamburger Spritgeschäft wohl thatsächlich beA 471

20) S.3182.37 3 6 Obwohl im Zuge der Anti-Trust-Gesetzgebung in den Vereinigten Staaten der 1882 formierte Standard-Oii-Trust aufgelöst werden mußte, beherrschten John D. Rockefellers Standard-Oil-Gesellschaften nicht nur weiterhin den amerikanischen Markt, sondern auch große Teile des Weltmarktes. In Deutschland wurde das Geschäft über die 1890 in Bremen gegründete Deutsch-Amerikanische Petroleumgesellschaft betrieben, die durch massive Unterbietung von Konkurrenten nach und nach den Handel zu kontrollieren vermochte, bis es nach der Jahrhundertwende gelang, auf der Basis russischen und vor allem rumänischen Öls das Monopol zu brechen. Zuvor ist an den deutschen Terminbörsen nur nach New Yorker Qualitätsstandard (Standard white) gehandelt worden. 3 7 Die folgenden Äußerungen des Sachverständigen Max Eulenburg finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 3182 und 3186.

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Kursnotirung

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herrschen dürfte. Die Bedeutung des freien Marktes ist deshalb auch hier wohl eine problematische. Daß der Sachverständige selbst der Notirung keinerlei Bedeutung beimaß, ist demgemäß begreiflich. Nach dem Reglement 38 holt ein Vorstandsmitglied von 5 den dazu bezeichneten Maklern die Notirungen bis 2 1 / 2 Uhr ein. Sie werden auf gedruckten Formularen als Brief- und Geldkurse eingereicht, welche nach Eulenburg gänzlich „imaginär" sind. Als Makler wird Jeder, gegen den nicht Bedenken vorliegen, in den Verein zugelassen, eine scharfe berufliche Scheidung gegenüber 10 Kommissionären und Eigenhändlern besteht nicht. Anders ist das Verfahren in den drei Artikeln, für welche die Waarenliquidationskassen funktioniren: Kaffee, Zucker, Baumwolle21\ Die Reglements der drei Vereine39 verfügen übereinstimmend, daß der Vorstand fünf bei der Liquidationskasse zugelassene 15 Makler zum Zweck der täglichen Preisnotirungen bestellt, diese zu bestimmter Zeit an einem feststehenden und publizirten Platz der Börse zwecks Ermittlung der Kurse zusammentreten, wobei während der ersten 10 Minuten jedes Mitglied des betreffenden Vereins assistiren darf, und die ermittelten Kurse innerhalb 20 Minuten 20 in der Börse anschlagen. Die Ermittlung vollzieht sich nach Art des früher erwähnten englisch-amerikanischen public call,40 d.h. die Interessenten steigern sich in lauten Brief- und Geldangeboten gegenseitig an. Der letzte Kursstand, welcher sich bei den so zu Stande gekommenen Schlüssen ergibt, wird notirt, nachdem der im Tur25 nus mit dem Aufrufen betraute Makler ihn nochmals aufgerufen hat und alsdann das gegenseitige Ansteigern aufgehört hat. Der so festgestellte Kurs hat vor allen Dingen den Zweck, für die Rechtsbeziehungen der Liquidationskasse zu ihren Kontrahenten und | Maklern maßgebend zu sein. Wie später zu erörtern sein wird,41 A 472 21)

Über diesen letzteren Artikel enthält das Kommissionsmaterial nichts.42 |

38 Gemeint ist das Reglement für die Bericht-Notirungen, festgestellt in der Versammlung des Vorstandes der Spiritus-Interessenten am 20. September 1888, in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 115 f. 39 Gemeint sind die Regulative der Waaren-Liquidations-Kasse für Termingeschäfte in Kaffee, Rüben-Rohzucker bzw. Nordamerikanischer Baumwolle, ebd., S. 162, 183 und 206. 40 O b e n , S.324. 41 Die Warenliquidationskassen hat Max Weber nicht mehr behandelt, d a er auf d e n Produktenterminhandel nicht mehr e i n g e g a n g e n ist. 42 Vgl. hierzu oben, S. 361, Anm. 22.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

beruht die charakteristische Gebahrung der Kasse darin, die Spekulanten, mit denen sie kontrahirt, dazu zu nötigen, je nach den Schwankungen der Terminpreise ihr demgemäß sich verschiebendes Risiko durch Nachschüsse zu decken. Die Höhe dieser Nachschüsse richtet sich nach dem in der beschriebenen Art ermittelten Kursstand und bietet für die Zuverlässigkeit desselben eine Garantie insofern, als die Kasse und alle Interessenten an einer gewissen Kontrolle in dieser Beziehung ein Interesse haben, welche die Kasse auch durch regelmäßige Anwesenheit von Vertretern ausüben soll22'. Einsprüche gegen diese Kursfeststellungen sollen seit Jahren nicht vorgekommen sein. Neben diesen (für die Kasse) offiziellen Notirungen werden in diesen Artikeln noch „nicht offizielle" Kurse festgestellt. Im Kaffeehandel 23 ' werden vier Kurse täglich davon zwei, Morgens 10 und Mittags 2 Uhr, offiziell, die beiden anderen, Nachmittags und Abends, nicht offiziell - notirt; im Zukkerhandel 24 ) zwei. Die nicht offiziellen Kurse haben Bedeutung nur für die Kommissionäre. - In allen diesen Branchen soll nach Ansicht der Hamburger Sachverständigen der Selbsteintritt der Makler, zumal bei großen Posten, unumgänglich sein, jedenfalls toto die vorkommen. 43 Ersteres wird hier so wenig wie beim Effekten-Terminhandel zu bezweifeln sein. Das Bedenkliche daran ist nur, daß die Bestimmungen der Liquidationskassen, welche den Makler zum Selbsteintritt in Fällen des Kontrahirens mit Vorortbewohnern geradezu zwingen, eine Kontrolle darüber, daß der Makler in seinen Eigengeschäften überhaupt irgend welche noch so weit zu steckende Grenzen innehält, sehr erschweren und die Gefahr beA 472

22

> S. 2149. 44 S[iehe] die Aussagen der Sachverständigen Robinow und Embden S. 2142f., 2155. 45 24 ' S[iehe] die Aussagen des Sachverständigen von Donner S. 3323. | 23)

43 Die A u s s a g e n der Hamburger Sachverständigen Johannes Robinow, Alfred Michahelles (Kaffeebranche), Arthur Brödermann und C o n r a d Hinrich von Donner (Zuckerbranche) z u m Selbsteintritt der Makler finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 2155, 2267, 3291 f. und 3326. 44 Die Seitenangabe verweist auf die o b e n referierten A u s s a g e n des Sachverständigen Johannes Robinow, in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber. 45 Die Kursfeststellung beim Kaffeehandel betreffend, stützt sich Max Weber auf die Aussagen von Johannes Robinow und Berthold Emil E m b d e n , ebd., S. 2141 - 2 1 4 3 . Die zweite Seitenangabe ebd., S.2155, verweist auf die Ansicht Robinows zum Selbsteintritt der Makler; vgl. dazu die vorige A n m e r k u n g .

5

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II. Maklerwesen

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und

Kursnotirung

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steht, daß hier ein überdies mit einem faktischen Vermittlungsmonopol beliehenes Kleinjobberthum - ein Stand von Spekulanten, die an den kleinen Tagesschwankungen der Terminpreise | 9 schma- A 473 rotzen - künstlich 9 herangezogen wird. Daß dies thatsächlich der Fall sei, wird mehrseitig bestätigt 25 '. Über den Waarenmarkt in Bremen hat die Kommission unterlassen, besondere Sachverständigen-Vernehmungen vorzunehmen, 46 obwohl sich dies Angesichts der dortigen eigenartigen Verhältnisse wohl gelohnt hätte. Den Mangel vereidigter Makler und einer amtliehen Preisliste theilt Bremen mit Hamburg; es stehen auch hier die allgemeinen, durch private Umfrage vermittelten Kursberichte der Zeitungen und die Spezialkurszettel zweier Interessenten-Vereine - der Petroleum- und der Baumwollbörse 26 ' - neben einander. Dagegen soll die allgemeine Stellung der Makler 27 ' noch jetzt den historischen Antezedentien entsprechen, insofern als sie faktisch noch jetzt fast ausschließlich Vermittler sind und andererseits ihnen noch jetzt freiwillig fast alle, auch die direkt zu Stande gekommenen Geschäfte aufgegeben werden. Nicht nur der sicherlich mitwirkende „konservative Sinn" der Kaufleute, sondern wohl auch der stagnirende Charakter des Verkehrs ist daran schuld. Anschließend an die hanseatischen mögen hier zunächst die Zustände des Maklerwesens auf den einzigen beiden Börsen registrirt werden, welche außer Hamburg noch das Institut der Liquidations25 ' S[iehe] den als Separatabdruck (Hamburg 1892, Verlag der „Börsenhalle") erschie- A 473 nenen anonymen Aufsatz über den Terminhandel aus der „Hamburger Börsenhalle", auf den sich auch Levy von Halle a. a. O. bezieht. 47 261 Für Baumwolle, den einzigen Terminhandelsgegenstand, werden auch Terminpreise notirt.

27

> Nach Levy von Halle a. a. O. Jahrg. 1893 S. 77 ff. 48 |

g A: schmarotzen - , künstlich 4 6 Die Börsenenquetekommission hat lediglich zwei eingereichte Gutachten über den Bremer Baumwollterminhandel veröffentlicht. Vgl. dazu oben, S. 207, Anm. 43. 4 7 Gemeint ist der Aufsatz: Der Terminhandel. Eine kritische Untersuchung über seine Berechtigung und Bedeutung. Abdruck aus der „Hamburgischen Börsen-Halle". - Hamburg: Actien-Gesellschaft „Neue Börsen-Halle" 18922, auf den Levy von Halle, Schmollers Jahrbuch 1892, S. 1141, Bezug nimmt. 4 8 Nach der Gesamtpaginierung des Jahrbuchs: Levy von Halle, Schmollers Jahrbuch 1893, S. 435-437.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

kassen kennen: Magdeburg (für Rübenzucker und granulirten Zukker) und Leipzig (für Kammzug). Die Magdeburger Einrichtung schließt sich der Hamburger fast bis ins Einzelne an, nur mit dem wesentlichen Unterschiede, daß hier den Maklern eigene Geschäfte unbedingt untersagt sind und 5 die Art der Kursfeststellung statt des tumultuarischen Auktionsverfahrens im public call, welches Preisbildung und Kursermittlung, A 474 „Formulirung" und „Registrirung" in einen | Akt von wenigen Minuten zusammendrängt, vielmehr das Streben nach möglichst vollständiger Erfassung der vorher bereits thatsächlich gehandelten 10 Preise erkennen läßt und einer amtlichen Kontrolle unterliegt. Die Terminpreise werden nach Schluß der Zuckerbörse unter Vorsitz eines Börsenkommissarsh festgestellt, indem die vom Zuckerexportverein zugelassenen Vermittler auf Pflicht und Gewissen Angaben über die vorgekommenen Abschlüsse machen, wobei ein 15 Vorstandsmitglied zugegen ist. Der Kommissar49 wird von den Ältesten der Kaufmannschaft aus den drei Gruppen, in welche seit 1889 die vereinigten Makler und Kommissionäre getheilt sind, bestellt. Die in dem gedachten Jahre vollzogene Reform war bestimmt, Mißständen abzuhelfen, welche damals in der Notirung in- 20 sofern eingetreten waren, als die Kurse von den amtirenden Maklern dauernd trotz niedrigerer Offerten auf derselben fingirten Höhe notirt worden waren, aus Gefälligkeit gegen gewisse Interessenten, welche Zucker lombardirt hatten, und denen beim Herabgehen der Kurse der Kredit gekündigt worden wäre. Der darüber 25 vernommene Inhaber einer Braunschweiger Zuckerfirma28) gab an, mit den jetzigen Notirungen in Magdeburg zufrieden zu sein, wenn er auch eine schärfere Aufsicht über die autonome Kursnotirung seitens der Liquidationskasse durch die Börsenorgane für nützlich hielt. Den von Gamp betonten Umstand, daß die Liquida- 30 tionskasse, welche die Makler zuläßt, an möglichst zahlreichen GeA 474

28)

Sachverständiger Gerloff S. 3289 f. 5 0

h A: Börsekommissars 4 9 Max Weber nimmt im folgenden Bezug auf den Dialog zwischen den Sachverständigen Carl Bennecke und Louis Gerloff und dem stellvertretenden Kommissionsvorsitzenden Karl Gamp, in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 3289-3291. 5 0 Die Aussagen von Gerloff finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 3290f.

II. Maklerwesen

und

Kursnotirung

371

Schäften ein Interesse habe und deshalb nicht geneigt sein werde, Eigengeschäfte derselben zu hindern, hielten die vernommenen, außerhalb der Börse stehenden Sachverständigen nicht für bedenklich. Leider ist nicht ermittelt worden, worauf sich die in Mag5 deburg angeblich vorhandene (?) Möglichkeit, das Verbot der Eigengeschäfte durchzuführen, gründet.51 Daß jedenfalls in Hamburg bei großen Posten der Selbsteintritt nicht vermieden werden könne, nahm auch der vernommene, den Eigengeschäften der Makler feindliche landwirthschaftliche Sachverständige29)52 an. 10 Abgesehen davon, daß ein | Exportplatz regelmäßiger mit großen A475 Aufträgen zu schaffen hat, die, wenn sie überhaupt an die Börse kommen, nicht leicht auf einen Schlag plazirt werden und deshalb selbsteintretende Zwischenpersonen erfordern, ist wohl ein Grund auch in der größeren Lösung des rein spekulativen Terminverkehrs 15 von dem Effektivgeschäft in Hamburg zu suchen. Der größere Zusammenhang mit dem letzteren, wie er inmitten des Produktionsgebietes in Magdeburg besteht, begünstigt hier anscheinend die Erhaltung der beruflichen Scheidung zwischen Händler, Kommissionär und Makler. - Die erheblichen Mißstände, welche nach Klagen 20 einzelner Sachverständiger schon durch die Zulassung der Anonymität der Abschlüsse unter Umständen herbeigeführt werden, beruhen durchweg auf der Kapitalschwäche der (Loko-)Makler. Wenn der Makler einen Schluß fest übernommen, aber keinen Gegenkontrahenten bezeichnet hat, so ist es nichts Seltenes, daß er 25 unter Hinweis auf seine eigene Leistungsunfähigkeit nach einigen Tagen den Auftraggeber mit Erfolg dazu nöthigt, ihm zu gestatten, daß er den Auftrag nunmehr zu einem ungünstigeren Kurs auf dessen Rechnung ausführe, während er bei Steigen der Preise sich zu 2

''< Sachverständiger Brödermann a. a. O. |

51 N a c h den Ausführungen von Endemann, Liquidationskassen, S. 367, ist im Regulativ der M a g d e b u r g e r Liquidationskasse das Verbot der Eigengeschäfte fixiert. Bei Zuwiderhandlung g e g e n das Verbot drohte eine Konventionalstrafe von 500 Mark für 500 Sack Zucker u n d im Wiederholungsfall der Ausschluß. 52 Max Weber verwechselt hier die In d e n Vernehmungsprotokollen immer nur mit d e n N a c h n a m e n genannten Brüder Arthur Brödermann, Inhaber einer Hamburger Zuckerfirma, und Ernst Brödermann, Gutsbesitzer in Mecklenburg. Arthur Brödermann verteidigte g e g e n ü b e r Karl G a m p und Louis Gerloff das in H a m b u r g geltende Recht des selbstkontrahierenden Maklers mit d e m hier referierten Argument. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 3291 f. Auf die A u s s a g e n von Ernst Brödermann nimmt Max Weber unten, S. 372 und Fußnote 30, Bezug.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

seinem eigenen Vortheil gedeckt hätte30). Es ist, wie man sieht, immer wieder das gleiche Moment. Ein ähnliches, aber doch etwas modifizirtes Bild bieten die Verhältnisse des Maklerwesens und der Kursnotirungen bei der Kammzug-Termin-Liquidationskasse in Leipzig• Hier bestellen die 5 beiden für den Terminhandel eingerichteten Instanzen - die Abrechnungskasse für Kammzugsgeschäfte (durch ihren Aufsichtsrath) und das Termin-Kammzug-Kontor - die zugelassenen Vermittler. Im Gegensatz namentlich zu den Hamburger Verhältnissen war aber durch Regulativ der Abrechnungskasse für Kammzugge- 10 schäfte53 hier einerseits den Maklern verboten, Geschäfte zwischen anderen als den von der Kasse auf Antrag zum Verkehr zugelassenen Leipziger und Berliner Firmen zu vermitteln, andererseits für diese ein Zwang zur Benutzung der Makler auferlegt, unter Verbot A 476 sogar der Kompensation von | Kommissionsaufträgen in sich selbst, 15 und waren endlich den Maklern eigene Geschäfte unbedingt verboten31) und ihnen vorgeschrieben, alle Geschäfte der Kasse aufzugeben. Es wurde damit bezweckt, alle Abschlüsse und das ganze Kammzug-Termingeschäft überhaupt durch die Kasse zu leiten, um so 20 den gesammten Verkehr zu beherrschen, seine Sicherheit zu kontrolliren und, namentlich, ihn den finanziellen Interessen der Kasse nutzbar zu machen. Der Ausschluß aller anderen als der gedachten zugelassenen Firmen wurde im Verlaufe des später zu berührenden Kampfes der Kasse mit den Spinnereien im Mai 1893 beseitigt; auf 25 A 475 A 476

30 )

Vgl. die Aussage des Sachverständigen Brödermann S. 2586.54 | ' Es hatte sich zeitweise eine sogenannte Maklerbörse gebildet, an welcher die Makler Aufträge annahmen, statt ihrerseits die Abschlüsse aufzusuchen, „die Droschken sparten" und nach dem Ausdruck des Sachverständigen Offermann (Leipziger Wollkämmer) den ganzen Tag „tempelten". Sie wurde unterdrückt. Vgl. S. 3352.55 31

5 3 Die Bestimmungen des Regulativs der Abrechnungskasse für Kammzugsgeschäfte in Leipzig sind wiedergegeben in: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 38f. 5 4 Die Aussagen des Landwirts Ernst Brödermann finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 2588. 5 5 Die Aussage Leopold Offermanns findet sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.3392. Tempeln ist die Leipziger Bezeichnung für das Pharaospiel, ein Glücksspiel mit Karten, bei dem die Spieler ihre Einsätze auf eine Aufzeichnung der Kartenblätter auf Papier oder auf den Tisch setzen. Die Kartenfelder sind in Form eines Tempels angeordnet.

II. Maklerwesen und Kursnotirung

373

den Verlauf des Kampfes ist hier noch nicht einzugehen32). - Jenes Maximum der Monopolisirung hatte man nach den vernommenen Sachverständigen mit einer, rein technisch betrachtet, ausgezeichneten Form der Notirung kombinirt, derart, daß ein Interessent33) 5 die Zustände in dieser Beziehung als „geradezu ideale" bezeichnete. Es wurden die sämmtlichen einzelnen Schlüsse auf einer langen Liste notirt und publizirt, was allerdings nur deshalb möglich war, weil die Zahl der Schlüsse eine geringe ist - bis circa zwanzig an einem sich über den ganzen Tag erstreckenden Verkehr. - Hier wie 10 sonst führt die Steigerung der formellen Monopolisirung des Verkehrs durch einen geschlossenen Verband zu technischen Fortschritten gegenüber dem Zustand faktischer Monopolisirung durch die Interessenten, verbunden mit formeller Verkehrsfreiheit, wie er in Hamburg besteht. 15 Auf die Produktenbörsen des deutschen Südens genügt es[,j | einen summarischen Blick zu werfen. Unter ihnen ist gleichfalls A477 eine Spezialbörse - die Mannheimer Getreidebörse - die einzige bedeutende, sie verdient im Grunde genommen allein den Namen einer Börse. Das Geschäft an ihr konzentrirt sich freilich so sehr in 20 den Händen des bekannten großen Getreidehauses Jakob Hirsch & Söhne, daß der freie Markt als solcher eine wirklich selbständige Bedeutung wohl nur in beschränktem Maße hat. Der Inhaber des gedachten Hauses meinte, daß an der Börse wohl nur etwa 1 Prozent der Geschäfte gemacht würde. Sie ist ein staatlich in keiner 25 Weise reglementirter Privatverein und kennt vereidigte Makler nicht. Der Börsenvorstand läßt die Makler zum Betrieb zu und hat die Disziplinargewalt mit Befugniß zu Verweis und Ausschließung über sie. Die Notirungen sind Terminnotirungen und außerdem verschiedene Qualitätsnotirungen für das Lokogeschäft; sie sind, 30 da das Hauptgeschäft sich außerhalb der Börse vollzieht, überwie-

32) Vgl. einstweilen die von Rechtsanwalt Eschenbach verfaßte Denkschrift betreffend den Terminhandel in Kammzug, Berlin 1894 (Springer), welche den Standpunkt der Spinner vertritt. 56 33 > Hergersberg S. 3391. 57 |

5 6 Den Kampf schildert Eschenbach, Terminhandel in Kammzug, S. 19-22. Max Weber ist auf die Auseinandersetzungen nicht mehr eingegangen. 5 7 Die folgenden Äußerungen des Sachverständigen Ernst Hergersberg finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 3391 f.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

gend fiktiv und werden nach der „Marktlage" von der dazu bestehenden Kommission festgestellt 34 '. Die übrigen mittelstaatlichen Produktenbörsen sind von zu unerheblicher Bedeutung, um eine Betrachtung zu erfordern35). | Die Verhältnisse der norddeutschen Spezialbörsen, speziell die 5 A 478 Eisen- und Kohlenbörsen des Nordwestens36) sind von der Kom> S[iehe] die Aussage des Sachverständigen Hirsch S. 3080,2574 und 2577.58 In Straßburg besteht ein börsenmäßiges Getreidegeschäft mit Makler— d. h. hier Kommissions- - Firmen, aber von ziemlich geringer Bedeutung und ohne amtliche Kursnotirung; wöchentlich ein Mal stellt eine Kommission die Preise fest. S[iehe] die Aussage des Straßburger Getreidehändlers Rieffei S. 2371 und 2378 und die Statuten der Straßburger Waarenbörse vom 25. März 1888.59 In Stuttgart bestehen zwei Produkten-Börsenversammlungen von ähnlich geringer Bedeutung, diejenige der „Landesproduktenbörse" ein Mal wöchentlich, und diejenige der „Industrie- und Handelsbörse" zwei Mal monatlich, je durch besonderes Statut geregelt, erstere mit autonomen Kursnotirungen auf Grund der vom Vorstand zusammengestellten Angaben der Parteien, letztere mit amtlichen Kursnotirungen in den von der Handelskammer zugelassenen Produkten auf Grund der Angaben der Makler. (Kommissionsmaterialien60 S. 41.) | A 478 Auch die ähnlich autonome Dresdener Produktenbörse, ein Privatverein von geringer Bedeutung, stellt amtlich Kurse auf Grund gemeinsamer Berathung der vereidigten Makler fest. (Materialien S. 37.) Die Kurse aller dieser Börsen - außer der Mannheimer - haben keine erheblichere Bedeutung außer der lokalen. Terminhandel in Produkten kennen sie nicht. So ist z. B. für zwei Drittel oder mehr der Spritproduktion des Südens die Berliner Notirung maßgebend. 61 36 ) Die ursprünglich beabsichtigte Vernehmung von Krupp und Stumm unterblieb. 62 Für den Nordwesten ist jetzt der Einfluß des Kohlensyndikats auf den Börsenverkehr in Montanprodukten die wesentlich interessirende Erscheinung.63

A 477

34

35)

5 8 Max Weber stützt sich hier auf die Aussagen der Sachverständigen Louis Hirsch, Teilhaber der Firma Jakob Hirsch & Söhne, und Josef Werner, ebd., S. 3080, 3085 und 2578. 5 9 Das Statut der Straßburger Waarenbörse vom 25. März 1885, nicht 1888, ist wiedergegeben, in: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 57. 6 0 Gemeint ist hier und im folgenden („Materlallen"): Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands. 61 Diese Zahlenangabe entnimmt Max Weber vermutlich der Aussage des Münchner Sachverständigen Leopold Macholl. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.3211. 6 2 Nach der vorläufigen Sachverständigenliste der Börsenenquetekommission war aus dem Elsen- und Montanbereich die Anhörung des Freiherrn Karl Ferdinand von StummHalberg und von Hans Jencke, Vorsitzender des Direktoriums der Firma Fried. Krupp, in Aussicht genommen worden. Die Vernehmung von Friedrich Alfred Krupp selbst hatte die Börsenenquetekommission nicht beabsichtigt. 6 3 Hier spielt Max Weber auf das 1893 gegründete Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat an, ein zunächst nur auf fünf Jahre verabredetes Kartell nahezu aller Zechen des Ruhrkohlenbergbaus in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft. Die Mitglieder hatten dem Syndikat die Festlegung von Fördermengen und den Vertrieb einschließlich der Preisbildung überlassen, so daß sich die Abnehmer zumindest im Absatzbereich der Ruhrkohle einem Monopol gegenübersahen.

II. Maklerwesen

und

Kursnotirung

375

mission nicht erörtert worden 37 ', daher können wir nunmehr auf die Verhältnisse der östlichen Gruppe der Produktenbörsen eingehen, die Berliner und die übrigen ostdeutschen Produktenmärkte, auf denen durchweg im Gegensatz zu Hamburg dem Getreide und 5 daneben dem Sprit die dominirende Stellung zukommt und welche im Wesentlichen alle unter dem beherrschenden Einfluß des Berliner Platzes stehen. Die Berliner Produktenbörse unterscheidet sich von der Hamburger in ihrer Organisation durch das Fehlen der dort vorhande10 nen Ansätze zu einer Gliederung nach Handelsobjekten. Der räumlichen Zusammenfassung des gesammten börsenmäßigen Produktenhandels und der Art der Organisation der Börse ent| spricht der einheitliche und amtliche Produkten-Kurszettel, offi- A 479 ziell: „Amtliche Preisfeststellung von Getreide 38 ', Mehl 39) , Öl 40 ', 15 Petroleum 41 ' und Spiritus 42 '". Der Kurszettel enthält Loko- und Terminpreise für die einzelnen Artikel und die Angabe des am Tage zur Abnahme angekündigten Quantums. Die Lo/conotirungen des Getreides sind nur bei einzelnen Artikeln nach Qualitäten und Herkunft spezialisirt, sonst ist die einzige auf eine genauer um; ' 7 ' Auch die Verhältnisse der Kölner Produktenbörse sind nicht mehr zur Besprechung gelangt. Die Kurse werden hier von dem Makler-Ältesten unter nur fakultativer Zuziehung von Börsenkommissaren auf Grund der Angaben der vereidigten Makler festgestellt. A n der Essener Kohlenbörse bestehen zwei vereidigte Makler, die bei der Kursnotirung mitwirken, an der Düsseldorfer Kohlen- und Eisenbörse sind die vereidigten Makler verschwunden, und der Kommissar zieht Interessenten bei der Kursnotirung zu Rathe. 64 | 38) Notirt werden: Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Mais, Erbsen. A 479 39> Weizenmehl, Roggenmehl. 40 ' Ölsaaten, Rüböl, Leinöl. 4 1 ' Raffinirtes Petroleum (Standard white). 42> Spiritus lOOprozentig mit 50 bezw. 70 Mark Verbrauchsabgabe. 65

64 Die Angaben zu den rheinischen Börsenplätzen entnimmt Max Weber vermutlich Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 23, 24 und 28. 65 Spiritus wurde im Termin- und Lokogeschäft in Quantitäten von einer Million Literprozent gehandelt. Bei einem vorgeschriebenem Anteil von mindestens 80% Alkoholgehalt betrug die Standardeinheit 12500 Liter. Seit 1887 wurde je Hektoliter reinen Spiritus eine Verbrauchsabgabe von 50 Mark erhoben, die sich auf 70 Mark erhöhte, wenn das staatlich festgesetzte Kontingent bei der Produktion überschritten wurde. Nach den Berliner Usancen für das Termingeschäft erfolgten für den nach der Verbrauchsabgabe benannten 50er bzw. 70er Spiritus getrennte Notizen. Der 50er Spiritus wurde tatsächlich nur loko gehandelt, und Terminnotierungen kamen nur für 70er Spiritus vor. Struck, Börsengeschäfte, S. 683.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

schriebene Qualität bezügliche Lokonotiz die für die Termin-lAeierungsqualität, welche auf Verlangen der Regierung aufgenommen worden ist43).66 43

> D i e Notirung für Weizen lautete z. B. im Kurszettel vom 9. Juli 1894: 67 Weizen mit Ausschluß von Rauhweizen pr[o] 1000 kg.

Gek[ündigt] 50To[nnen]

A 480

loco Lieferungsqualität p[e]r diesen Monat August September Oktober November Dezember Januar 1895

1 3 5 - 1 4 5 M. nach Qualität 140 M. 141,5 bz. -

142,75 ä 142,25 ä 142,5 bz. 143,25 ä 142,5 ä 143 bz. -

1

Dagegen diejenige für Hafer im gleichen Kurszettel: Hafer pr[o] 1000 kg. Gekfündigt] - To[nnen]

loco Lieferungsqualität Pommerscher Schlesischer Preußischer Russischer p[e]r diesen Monat August September Oktober November

1 3 0 - 1 6 5 M. nach Qualität 133 M. mittel bis guter 1 3 2 - 1 4 2 , fein 1 4 3 - 1 5 8 bz. mittel bis guter 1 3 3 - 1 4 4 , fein 1 4 6 - 1 6 2 bz. mittel bis guter 1 3 0 - 1 4 0 , fein 1 4 1 - 1 5 5 bz. mittel bis guter 1 3 0 - 1 3 8 , fein 1 4 0 - 1 4 5 bz. 136,5 ä 135,75 bz. -

120 ä 119,5 bz. -

66 Durch Ministerialerlaß des preußischen Handelsministers vom 12. September 1888 an die Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin wurde die Erhöhung des Qualitätsgewichts Im Getreidetermingeschäft erstmals ab I.Januar 1889 angeordnet: bei Weizen von 715 auf 726 Gramm je Liter, bei Roggen von 668 auf 678 Gramm je Liter. Lexls, Wilhelm, Die ältere Getreidehandelspolitik und Allgemeines, In: HdStW1 3, S. 866f. Das Qualitätsgewicht wurde nach und nach angehoben, vgl. oben, S.359, Fußnote 7. 67 Der amtliche Kurszettel vom 9. Juli 1894 Ist nicht mehr nachweisbar. Die Angaben im verfügbaren „Courszettel" des Berliner Börsen-Couriers vom 9. Juli 1894, S.7, weichen hinsichtlich Herkunfts- und Preisangaben von denen Max Webers geringfügig ab. Zu den Angaben Im Kurszettel: Rauhweizen war, da er dem Qualitätsstandard nicht entsprach, von der Lieferbarkeit ausgeschlossen. 1000 kg war die festgelegte Mindestmenge (Schlußeinheit), auf welche oder auf deren vielfaches Termingeschäfte abgeschlossen werden konnten. „Gekündigt 50 Tonnen" war nach den Schlußscheinbedingungen die Mindestmenge, die als lieferbar galt. Als übliche Terminfristen galten in Berlin April-Mal und September-Oktober.

II. Maklerwesen

und

Kursnotirung

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Die Art wie der Kurszettel, Loko- wie Terminnotirung, zu Stande kommt, ist prinzipiell die gleiche wie diejenige im EffektenTerminverkehr. Die vereidigten Makler ziehen sich um 2 Uhr mit dem Börsenkommissar in das Börsenzimmer zurück, zu welchem 5 Niemand sonst Zutritt hat, und dieser stellt unter Berücksichtigung ihrer Angaben die Kurse fest, für die er ebenso, wie dies formell auch an der Effektenbörse gilt, allein verantwortlich ist. - Allein an der Produktenbörse entspricht diese formelle Stellung des Kommissars in weit höherem Maße | den Thatsachen. Der Grund liegt A 480 10 darin, daß an der Produktenbörse ein weitaus geringerer Bruchtheil des Verkehrs durch die | Hände der vereidigten Makler geht - A 481 einige Sachverständige schätzten ihn z. B. für Getreide im Lokogeschäft auf circa ein Achtel, im Termingeschäft auf ein Zwanzigstel bis ein Dreißigstel, im Sprithandel auf Termin soll er oft noch er15 heblich geringer sein 44 ). 68 Die einzige Ausnahme bildet in Berlin Es wird also, wie man sieht, die Lokonotirung ohne Zeit- und Datenangabe mit einer außerordentlich großen Spannung zwischen Höchst- und Mindestpreis notirt, bei den Terminpreisen dagegen wie bei den Effekten-Terminkursen die Vreisbewegungskurve zur Anwendung gebracht. - Die Spezialisirung der Qualitäten ist bei Weizen am geringsten, bei Roggen ist wenigstens Russischer besonders dargestellt, bei Hafer, wie man sieht, geht die Spezialisirung am weitesten. Was soll man aber mit der folgenden Notirung für Gerste im gleichen Kurszettel anfangen? Sie lautet: Gerste pr[o] 1000 kg

große -i kleine [• Futtergerste J

92-165 M. (!) nach Qualität

In Sprit ist die Lokonotirung schon aus technischen Gründen - es wird nach Literprozenten gehandelt, so daß die Qualitätsdifferenzen relativ irrelevant sind - wesentlich einheitlicher. Für Mehl sind am Fuße des Kurszettels einige Qualitätsspezialisirungen vorgenommen. | ^ Hier existiren in Berlin sehr potente Maklerfirmen, vgl. S. 3190.69 A 481 68 Die Sachverständigen Heinrich Kochhann und Emil Meyer gaben an, daß etwa 7 / 8 aller Geschäfte an der Berliner Produktenbörse - nicht nur der Lokogeschäfte - durch die unvereidigten und etwa VB der Geschäfte durch die vereidigten Makler vermittelt werden. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 2394 und 3090. In bezug auf das Getreidetermingeschäft schätzte Kochhann, daß die vereidigten Makler vielleicht zum 20. oder sogar nur zum 30. Teil an der Vermittlung der Geschäfte beteiligt seien. Ebd., S. 2396. Wilhelm Kantorowicz sagte aus, daß die vereidigten Makler im Spiritusgeschäft „eine ganz verschwindende Rolle" spielten. Ebd., S.3185. 69 Max Weber verweist auf die Aussagen von Wilhelm Kantorowicz, in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber.,

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

der Handel in Sprit loko ohne Faß, welcher sich fast lediglich durch die vereidigten Makler vollzieht45). - In Folge jener untergeordneten Bedeutung der Makler an der Produktenbörse hat der Kommissar die Aufgabe, sich, schon bevor er in das Börsenzimmer geht, auf den verschiedenen Märkten über die Marktlage zu informiren, 5 und in Fällen des Streites begibt er sich nicht selten noch einmal behufs weiterer Information in den Börsensaal zurück. Für das Lokogeschäft hatte die ständige Deputation der Produktenbörse eine Anzahl Vertrauensmänner aus den korporirten Firmen wählen lassen, welche Material sammeln und dem Kommissar vermit- 10 teln sollten. Doch ist diese Einrichtung nicht mehr praktisch. 70 Zur Ermittlung der Terminkuvse nimmt der Kommissar nicht selten Einsicht von den Maklerbüchern. Die spekulative Preisbildung selbst vollzieht sich auf dem offenen Markt thatsächlich ähnlich dem call durch lautes gegenseitiges Ansteigern, über dessen Ergeb- 15 niß im einzelnen Moment selten ein Zweifel sein wird. A n diese einzelnen „Märkte" begibt sich dann der Kommissar, um die Preisentwicklung kennen zu lernen, ehe er die Notirung beginnt. Die Praxis und die Erfahrungen der Kommissare scheinen etwas aus einander zu gehen. Während man im Allgemeinen den Ein- 20 druck gewinnt, daß die Ermittlung der angemessensten Notirung nicht immer besonders einfach ist, versicherte der Sprithändler Kantorowicz, daß er als Kommissar noch niemals darüber in ZweiA 482 fei gekommen sei, welche Notirung die richtige | sei. Während der tüchtige und verdienstliche Herausgeber der Wochenberichte über 25 die Produktenbörse, früher vereidigter Makler, Meyer, über die Schwierigkeit der Information auf dem Gebiete des Getreidehandels klagte, versicherte der erstgedachte Sachverständige, daß ihm auch die unvereidigten Makler stets ohne Schwierigkeit alle er-

45) Der Grund soll nach Frentzel - Sitzungsprotokolle71 S. 334 - in der besonderen Bedeutung dieser Notirung für die Provinz liegen, welche in die Kontrakte unmittelbar eingesetzt zu werden pflege. |

70 Diese Auskunft gab Heinrich Kochhann. Ebd., S.3194f. 71 Gemeint sind Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle.

II. Maklerwesen

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wünschte Auskunft gegeben hätten. 72 Die Differenz scheint im Grunde auf ein verschiedenes Maß der Freiheit, welches sich die Kommissare gegenüber den Angaben, welche ihnen von den Maklern und Interessenten gemacht werden, vindiziren,73 zurückzufüh5 ren zu sein. Es ist ganz offenbar, daß die Ansicht Frentzel's, daß nur die Offerten und Abschlüsse von Leuten „normaler Kreditwürdigkeit" bei der Notirung beachtet zu werden verdienten, durchaus nicht allgemein getheilt wird46'. Allein die Schwierigkeiten sind damit nicht erschöpft. Kantorowicz bemerkt, daß er als Kommissar 10 den Maklern gegenüber „souverän" verfahre, d. h. seine Kenntniß der Marktlage gegenüber ihren Angaben über die faktisch geschlossenen Geschäfte zur Geltung bringe. Es kehrt also hier - und das kam auch vor der Kommission zur Sprache74 - das Problem wieder, inwieweit die Kursnotirung ein reiner Abklatsch des fakti15 sehen Verlaufes des Geschäftsverkehrs - bloße Registrirung im engsten Sinne - oder mehr als dies: eine Konstatirung der wirklichen, in den einzelnen Schlüssen vielleicht nur unvollkommen oder geradezu unrichtig zum Ausdruck gelangenden, ja vielleicht durch dieselbe bewußt verhüllten Gesammtmarktlage ist und sein soll. 20 Der Umstand, daß allgemein auch im Produktenhandel nicht nur Scheingeschäfte, sondern auch besonders abnorme Schlüsse nicht berücksichtigt werden, daß ferner in Berlin wie in Hamburg und Mannheim, wenn der Fall eintritt, daß gar keine Schlüsse in einem 46)

S[iehe] die Erörterungen S. 3470 f.75 Hier will Frentzel also die von ihm sonst ge- A 482 schätzte „kapitallose Intelligenz"76 doch im entscheidenden Moment boykottirt sehen. Und doch soll gerade die Wirkung der „Größe des Marktes" auf die Preisbildung, wie sie durch die Theilnahme solcher Elemente erzielt wird, für ihre Zulassung zum Verkehr sprechen! |

72 Die A u s s a g e n des Sachverständigen Wilhelm Kantorowicz hier und im f o l g e n d e n finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 3184f. und 3194, die von Emil Meyer, auch über seine beruflichen Tätigkeiten, ebd., S. 3082. 73 Hier im Sinne von „für sich beanspruchen, sich zueignen, einräumen". 74 Die A u s s a g e n von Wilhelm Kantorowicz finden sich ebd., S. 3474f.; auf die Beratung dieses Problems in der Börsenenquetekommission kommt Max Weber unten, S.399, zu sprechen. 75 Dieser und alle folgenden Seltennachwelse in d e n Fußnoten bis einschließlich S.396, Fußnote 77, beziehen sich, w e n n nicht ausdrücklich anders a n g e g e b e n , auf: Börsenenquetekommission, Sten.Ber. Die gemeinten Erörterungen zwischen d e m vereidigten Makler L u d w i g Baumann und A d o l p h Frentzel finden sich ebd., S. 3 4 7 0 - 3 4 7 2 . 76 Zur Wertschätzung der „kapitallosen Intelligenz" vgl. oben, S. 255 mit Anm. 26.

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A 483 Artikel zur Kenntniß | gelangen, dennoch nach dem Urtheil der notirenden Instanzen über die Marktlage ein Kurs notirt wird, zeigt die Tendenz, die Kursnotirung über die Bedeutung einer bloßen Photographie von Geschäftsvorgängen hinauszuheben. Wie weit dabei im Einzelnen gegangen wird, hängt aber naturgemäß von der Individualität der betreffenden Kommissare ab. Das, was man unter der „wirklichen Marktlage" etwa verstehen soll, ist ja auch ein äußerst problematischer Begriff und, wenn theoretisch feststellbar, im einzelnen Falle einer exakten Ermittlung niemals zugänglich. Es handelt sich vielmehr faktisch im Wesentlichen um die Anstellung der Erwägung: welche Preisnotirung die verschiedenen kollidirenden Interessen am angemessensten wahrt. Man wird dem Berliner Sachverständigen Kochhann Recht geben, wenn er 47 ' hervorhebt, daß eine kollegiale Berathung der Notirung schwerer als das verständige Ermessen eines marktkundigen Mannes zu diesem Ergebniß führt. Er erwähnte insbesondere, daß man für Wolle seiner Zeit versucht habe, unter Betheiligung der Interessenten einen Bericht zu Stande zu bringen, aber davon abgekommen sei, weil dieser Versuch an den fortwährend kollidirenden Interessen der Kommissionshäuser, welche auf Grund der Notirung mit ihren Kunden abrechnen, gescheitert sei. - Es wurde bemerkt, daß bei dem jetzigen Verfahren Beschwerden über die Kursnotirung nur selten, etwa drei bis vier Mal im Jahre, vorkommen,77 wobei natürlich zu erinnern ist, daß jeweils nur die Kommissionäre, nicht aber die auswärtigen Kommittenten, denen die festgestellten Kurse oktroyirt werden, zur Erhebung von Beschwerden in der Lage sind. Die vorstehende Erörterung zeigt schon die gänzlich untergeordnete Stellung der vereidigten Makler an der Produktenbörse. In der That hat man den Eindruck, daß ihr Verschwinden eine Frage der Zeit ist und fast nur durch ihre an materieller Bedeutung stetig A 484 sinkende formelle Betheiligung an der Kursfest|Stellung, sowie durch die mangelhafte Qualität mancher Elemente unter den unvereidigten Maklern verzögert wird. Der Ausschluß eigener Geschäfte, obwohl faktisch so wenig inne gehalten wie an der Effektenbörse, fällt doch immerhin als ein Hemmniß freier Bewegung zu A 483

47

> S.2395. 78 |

7 7 Dies erwähnte Heinrich Kochhann, Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 2394. 7 8 Die folgenden Äußerungen von Heinrich Kochhann finden sich ebd., S. 2395f.

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ihren Ungunsten so ins Gewicht, daß ein Theil die Unzulänglichkeit seines Einkommens durch Übernahme von Agenturgeschäften etc. zu ergänzen genöthigt ist und um deren Gestattung beim Oberpräsidenten petitionirte 48 ) 79 . Nicht nur der ungünstigen Chancen wegen, sondern auch aus Gewissenhaftigkeit legen vereidigte Makler das Amt als solche nieder 49 ). Trotzdem kann die feste Übernahme nicht vermieden werden. Auch der gewissenhafteste vereidigte Makler, welcher einen auf einen bestimmten Kurs limitirten Auftrag nicht unterbringen konnte und deshalb nicht ausführte, riskirt, daß bei der Kursfeststellung von irgend Jemand ein einzelnes Geschäft als zu diesem Kurse zu Stande gekommen angemeldet und bei der Notirung berücksichtigt wird und er dadurch in die Lage kommt, bei Verlust der Kundschaft den Auftrag selbst zu übernehmen und nun, um glatt zu stehen, mit Verlust alsbald zu realisiren 50 '. Abgesehen hiervon hielt freilich ein vereidigter Produktenmakler in Berlin51^ die Beschränkung auf die bloße Vermittlerrolle für die vereidigten Makler für durchführbar, jedoch mit der Konsequenz, daß nur die kleineren Aufträge an den vereidigten Makler kommen; die großen Bestellungen können heute nur von den nicht amtlichen kapitalkräftigen und in der Bewegung ungehemmten Maklerfirmen übernommen und durch successive Erledigung günstig placirt werden. Die vereidigten Makler könnten also als bloße Vermittler stets nur einen Bruchtheil des Maklerthums darstellen52). | 48

> Sachverständiger Sobernheim S. 2578. A 484 So der Sachverständige Meyer, der schon erwähnte Verfasser der Berliner Produktenberichte. 80 50 < S[iehe] die Aussagen des vereidigten Maklers Baumann S. 3470. 51 ' Baumann a. a. O.81 52 ' Eine Unterdrückung der Eigengeschäfte soll nach Angabe eines Sachverständigen (Kochhann S. 23 95) 82 sich auf zufolge der | Gerichtspraxis als nicht möglich ergeben ha- A 485 ben. Bestrafungen seien überhaupt, obwohl in jedem Fall amtlicher Kenntnißnahme Anzeige gemacht worden sei und auch Anklagen erhoben worden seien, seit einiger Zeit bereits nicht mehr vorgekommen, neuerdings sei auch die Anklageerhebung vom Staatsanwalt abgelehnt worden. 49)

79 Die vereidigten Makler in Berlin wurden vom O b e r p r ä s i d e n t e n der Provinz Brandenb u r g und der Stadt Berlin zu Ihrem Amt berufen. Daher mußten sie bei Ihm um Genehmig u n g für eine nebenamtliche Tätigkeit nachzusuchen. 80 Oben, S. 378. 81 Die f o l g e n d e n Äußerungen L u d w i g Baumanns finden sich In: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S . 3 4 7 0 f . 82 Die Äußerungen von Heinrich Kochhann finden sich ebd., S. 2396.

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Die Berliner unvereidigten Produktenmakler weisen im Wesentlichen dieselben typischen Züge auf wie die unvereidigten Fondsmakler. Es besteht eine niedrigste Schicht kleiner Tagesspekulanten, die sich „Makler" nennen, „katilinarische Existenzen", wie sie ein Kommissionsmitglied nannte53), welche fest übernehmen, dann 5 keinen Abnehmer finden, sich zahlungsunfähig erweisen, und mit denen der Auftraggeber dann doch in Verbindung bleibt, damit er durch Einbehaltung ihres Courtageverdienstes sich schadlos halte. Es gilt für sie Alles, was über die gleichartige Kategorie von sogenannten „Fondsmaklern" gesagt ist.83 10 Das entgegengesetzte Extrem bilden auch hier kapitalkräftige Firmen, welche als Propremakler auftreten. Sie sind ökonomisch wohl noch weit weniger als im Effektenhandel von dem eigentlichen Großspekulantenthum zu scheiden. - Dagegen existiren Maklerbanken im Produktenhandel nicht mehr: die entstandenen sind 15 angeblich deshalb eingegangen, weil das Geschäft der niedrigen Profitrate wegen den doppelten Schlußnotenstempel, der dadurch erwuchs, daß sie als Kontrahenten zwischen die Parteien traten, nicht trug.84 Endlich existirt zwischen jenen beiden Extremen, die ja eigent- 20 lieh aus dem ökonomischen Typus des Maklerthums herausfallen, als eigentlicher Makler-Mittelstand auch hier die Kategorie der Aufgabemakler, d. h. der Vermittler, denen Kredit nicht gegeben wird, welche vielmehr eine „Aufgabe" beschaffen müssen, rechtlich den Effekten-Aufgabemaklern wesentlich gleichartig ge- 25 stellt54). - 1 53

> Van den Wyngaert S. 2384. 85 Für die Termin-Aufgabemakler ist diese Rechtslage formulirt in folgender Usance (Handbuch der Produktenbörse' 1894 S. 124): 54)

i A: Produktenbörsen 8 3 Oben, S. 238 mit Anm. 70. 8 4 Diese Ansicht äußerte der Berliner Sprithändler Wilhelm Kantorowicz. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.3194. 8 5 Dieser Redewendung bedienten sich auch die Sachverständigen Wilhelm Kantorowicz und Ludwig Baumann. Ebd., S.3194 und 3469. Seit Bismarck 1862 in einer Rede vor der Budgetkommission des preußischen Abgeordnetenhauses von „catilinarischen Existenzen" gesprochen hatte (Politische Reden des Fürsten von Bismarck. Historisch-kritische Gesammtausgabe, hg. von Horst Kohl, Band 2. - Stuttgart: J. G. Cotta 1892, S. 29), ist dieser Ausdruck zum geflügelten Wort geworden. Er meint Personen, die, wie der römische Verschwörer Catilina (ca. 108-62 v. Chr.), nichts mehrzu verlieren haben und deshalb alles wagen.

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Die größere Hälfte wenigstens des Loko-Geirddegeschäftes in A486 Berlin aber vollzieht sich überhaupt ohne Intervention von Maklern, theils indem die Kommissionäre die Aufträge „in sich" erledigen, theils durch Abschlüsse, welche die großen Firmen zur Erspa5 rung der Courtage direkt unter einander machen. Hier sind die Makler eliminirt. Diese allgemeine Stellung der Makler sowohl als die formelle Ordnung der Kursnotirung in Produkten ist ähnlich geordnet in allen denjenigen östlichen Börsenplätzenk, welche eine selbständige 10 Kursnotirung überhaupt besitzen55). Überall | handelt es sich über- A 487 wiegend um Getreide, daneben regelmäßig um Sprit. Letzterer ist überall, in Breslau und Stettin auch Rüböl[,j Gegenstand von Terminnotirungen. 86 Meist überwiegt der Einfluß des Börsenkommissars, um so mehr als die vereidigten Makler, welche an allen Plät„Hat der Vermittler bei Geschäften, die durch ihn vermittelt | worden, seinem Auftrag- A 486 geber nicht alsbald den Gegenkontrahenten aufgegeben, so ist er verpflichtet, spätestens am nächsten Börsentage bis 11 Uhr Vormittags dem Auftraggeber eine diesem konvenirende Aufgabe zuzustellen. Genügt der Vermittler dieser Verpflichtung nicht, so hat der Auftraggeber den Vermittler aufzufordern, das Versäumte bis spätestens 1 Uhr desselben Tages nachzuholen. Ist diese Aufforderung fruchtlos geblieben, oder ist sie wegen Abwesenheit des Vermittlers von der Börse nicht ausführbar gewesen, so ist der Auftraggeber berechtigt, das Geschäft alsbald nach Ablauf der Frist an der Börse bestens für Rechnung des Vermittlers zu reguliren. Hat der von dem Vermittler aufgegebene Gegenkontrahent die Aufgabe als für ihn nicht verbindlich bezeichnet, so hat der Auftraggeber das vorbezeichnete Recht der Zwangsregulirung, ohne daß es der Gestattung einer Nachfrist bedürfte. Wird das Recht zur Zwangsregulirung 87 nicht an dem auf den Tag des Geschäftsabschlusses unmittelbar folgenden Börsentage ausgeübt, und ist nicht eine Verlängerung der Frist zur Aufgabe vereinbart, so geht der Auftraggeber des Rechtes, eine Aufgabe zu verlangen, verlustig. War Verlängerung der Aufgabefrist vereinbart, und es genügt der Vermittler auch in der verlängerten Frist seiner Verpflichtung nicht, so treten gegen den Vermittler dieselben Rechtsfolgen ein, denen er bei Versäumung der ursprünglichen Frist unterworfen war. In allen Fällen hat der Auftraggeber dem Vermittler von der erfolgten Zwangsregulirung an demselben Tage mündlich oder schriftlich Nachricht zu geben. Die aus der Zwangsregulirung sich ergebenden Preisdifferenzen sind sofort fällig." 55) Königsberg, Danzig, Stettin, Posen, Breslau, Halle. | k A: Börseplätze 86 In den östlichen Provinzen Preußens wurde Spiritus auf Termin in Breslau, Danzig, Königsberg, Posen und Stettin gehandelt. In Halle a.d. Saale wurde an der Börse nicht mit Spiritus gehandelt. Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S.6. 87 In der Vorlage heißt es „Zwangsvollstreckung".

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

zen noch in vereinzelten Exemplaren bestehen und zu Auktionszwecken etc. auch nicht entbehrt werden können, das Geschäft fast ganz verloren haben, am vollständigsten wohl in Danzig - wo z. B. nur ein vereidigter Getreidemakler noch existirt und faktisch der Kommissar fast allein notirt - , ähnlich Stettin - wo für Getreide 5 zwei Makler vorhanden sind,88 zur Notirung auch die unvereidigten Makler und Kommissionäre zugezogen werden und sich thatsächlich ein dem call ähnliches Aufrufsverfahren entwickelt hat und in Breslau - wo der letzte Terminmakler mit dem Verschwinden des Termingeschäftes wegzog. In Breslau ist demgemäß die 10 Notirung theilweise kollegialisch geordnet; für das Getreide tritt auf ein Glockensignal eine aus acht Personen bestehende, vom Magistrat bestellte Kommission, in der auch ein Landwirth sitzt, zusammen, innerhalb deren der Vorsitzende Börsenkommissar nur bei Stimmengleichheit den Ausschlag gibt56). - Was die unvereidig- 15 ten Makler anlangt, so handeln sie, da es meist kapitalschwächere Hände sind, an den kleineren Plätzen meist nur unter Vorbehalt der Aufgabe und Kursgarantie. Wie lange seitens der Kunden auf die Aufgabe gewartet wird, ist dann Frage der Kreditwürdigkeit der Makler, die zuweilen auf den kleinen Märkten einen Gegen- 20 kontrahenten nicht oder nur unter Drangabe eines Theils ihrer Courtage oder auch nur im Wege der Arbitrage nach auswärts finden. Auch hier also scheint der Differenzverlust den Differenzgewinn des „vorgehenden Maklers" zu überwiegen. Im Allgemeinen wird denn auch - wenigstens für Stettin - behauptet, 89 daß sie sich 25 auf die Maklerthätigkeit (im ökonomischen Sinne) beschränkten, da sie bei Konkurrenz mit den Kommissionshäusern das Geschäft I A 487

56) Sachverständiger Anwandt S. 3375. Sachverständiger Kopisch S. 2723. Als erwünscht wurde die Einbeziehung auch der Vertreter des Proviantamtes bezeichnet. 9 0 |

88 Hier stützt sich Max Weber vermutlich auf die Auskünfte der Sachverständigen Theodor Damme bzw. Rudolf Abel und E. Brunnckow. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 2962 bzw. 2385, 2724 und 2733f. Die vereidigten Makler In Stettin wurden nur noch dann hinzugezogen, wenn in Streitfragen die Vorschriften des Handelsgesetzbuchs die Vermittlung der vereidigten Makler erforderte. Ebd., S. 2733f. 8 9 Hier und im folgenden stützt sich Max Weber auf die Angaben von Rudolf Abel; seine Aussagen finden sich ebd., S. 2383-2385. 9 0 Die Aussagen der Sachverständigen Albert Anwandt und Gustav Kopisch, der sich auch für die Einbeziehung von Vertretern des für die Heeresverpflegung zuständigen Proviantamtes aussprach, finden sich ebd., S. 2375 und 2724.

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verlieren würden. Der kleinere Markt ermöglicht eben die Kontrolle. Diejenige Kategorie von Kleinspekulanten, welche ohne eigene Mittel als sogenannte „Makler", auf die kleinen Tagesspannungen der Kurse spekulirend, den Markt unsicher machen, sind 5 meist verschwunden, in Stettin mit dem Abzug des spekulativen Geschäftes nach Berlin: sie sind dort, wie ein Sachverständiger bemerkte, wieder Kommis geworden51^ - ein den früheren Bemerkungen entsprechender Fingerzeig für die angemessene Verwendung dieser „kapitallosen Intelligenz".91 10 Fragt man nun nach der technischen Qualität der in der vorstehend geschilderten, höchst ungleichartigen Weise zu Stande gebrachten Kursnotirungen, so scheinen in dieser Hinsicht drei Notirungen von verschiedener Struktur an der Spitze zu stehen. Zunächst die nach dem System der quotation books alle geschlosse15 nen Geschäfte umfassende Leipziger Kammzug-Terminnotirung. Die Vorbedingung ist hier die vollkommene Monopolisirung des Geschäftes durch den geschlossenen Verband in Verbindung mit der übersichtlich geringen Anzahl der Schlüsse. - Sodann die im Wege des public call zu Stande gebrachten beiden täglichen offizi20 eilen / Sachverständiger Abel (in Firma Schlulow & Cief S. 2384. ' Darüber demnächst bei Besprechung des Kommissionsgeschäftes. 2 |

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91 Oben, S. 255. 9 2 Oben, S.367. 1 Die Firma heißt: Wm. Schlutow. 2 Unten, S.445f.

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A 489 hätten, einen Verlust | wenigstens riskirten59'. Die besonderen Umstände, welche hier die Art der Kursnotirung bedingen, liegen in dem Vorhandensein der den Verkehr monopolisirenden Liquidationskasse60). - Endlich wurde - und zwar von auswärtigen Händlern - die Zuverlässigkeit der Berliner Spritpreise gerühmt. 3 Hier bestehen wesentlich große und kapitalstarke Maklerfirmen und eine sehr umfassende Einheitlichkeit des Handels, welche die Interessen auch auswärtiger Firmen bis tief nach Süddeutschland hinein mit der Richtigkeit der den Abschlüssen zu Grunde gelegten Berliner Notirung verknüpft, und andererseits sind unter diesen auswärtigen Firmen eine große Anzahl kapitalkräftiger Häuser, welche deshalb in der Lage sind, über die Zuverlässigkeit der Notirung zu wachen. Am ungünstigsten liegen die Verhältnisse in technischer Beziehung offenbar bei der wichtigsten der verschiedenen Notirungen, der Gefrddenotirung. Die allgemeinen Gründe dafür sind dieselben, auf welche bei Besprechung der Funktionen des Getreideterminhandels, speziell der Frage der Lieferungsqualität, einzugehen sein wird.4 Für die Notirung kommt namentlich in Betracht, daß A 489

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> S. 2145,2149. 5 ^ Dabei darf freilich nicht unerwähnt bleiben, daß die Kaffee-Terminnotirung die Preisbildung im Effektivgeschäft keineswegs wiedergibt. Die Divergenzen sind oft außerordentlich groß. Eine Effektivnotirung aber, die wirklich maßgebend sein könnte, ist in Kaffee nicht zu erzielen, da die Qualitätsdifferenzen zu große sind. Nur KolonialwaarenFachblätter bringen zum ungefähren Anhalt Preisübersichten. 6 |

3 Die Zuverlässigkeit der Berliner Spritnotiz lobten der Posener Sprithändler Wilhelm Kantorowicz sowie der Berliner Sprithändler Arnold Friedmann, der, weil er auch Inhaber einer Spiritusfirma in Westpreußen war, von der Börsenenquetekommission als Experte für den westpreußischen Spiritushandel befragt wurde. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.3212f. 4 Max Weber ist auf die Lieferungsqualität nicht mehr eingegangen, da er, entgegen seiner ursprünglichen Absicht, den Produktenterminhandel nicht mehr behandelt hat. 5 Die hier wiedergegebenen Aussagen der Hamburger Sachverständigen Johannes Robinow und Berthold Emil Embden finden sich ebd., S. 2146 und 2148. 6 Hiervon berichtete der Berliner Kaffeehändler Gierth, ebd., S.2139f. In einer Fachzeitung für den Kolonialwarenhandel würden wöchentlich alle Kurse aufgenommen. Der Form wegen würde eine Preisnotiz, eine Kassanotiz von den verschiedenen Kaffeesorten angegeben. Die Notiz ließe Differenzen von acht, zehn Pfennigen bei einer Sorte zu. Daher gebe sie keinen Anhaltspunkt. Trotzdem würde mitunter der Terminpreis beim Kauf zugrunde gelegt. Dabei sei allerdings zu berücksichtigen, daß der Preis für Effektivkaffee in der Regel vom Terminpreis himmelweit verschieden sei.

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die Zufuhren zu den deutschen Märkten ihrer Provenienz nach ungeheuer bunt zusammengesetzt sind und auch die in Deutschland selbst produzirten Qualitäten sehr große Differenzen aufweisen. Dies ist zunächst der Grund dafür, daß die einzelnen Börsen unter 5 einander grundverschiedene Qualitäten für ihre Notirungen zu Grunde legen. Es wurde von den Sachverständigen, so weit sie für sich ein selbständiges Urtheil in Anspruch nahmen, einstimmig und gewiß mit Recht die Ansicht vertreten, daß ein interlokal einheitlicher Standard für die | Notirungen in Deutschland unmöglich sei.7 A 490 10 Dagegen ist es ein ungerechtfertigtes Überbleibsel, wenn auch die Quantitäten differiren und theilweise sogar noch in einigen Seehäfen - mit Rücksicht auf Polen - holländische Maße gebraucht werden.8 Die Frage, welche Einheit zu Grunde zu legen sei, wurde meist zu Gunsten der Gewichtseinheit9 beantwortet. Die Börsen15 Interessenten sprachen mehrfach zu Gunsten des Meterzentners (100 Kilogramm), die Müllereiinteressenten erhoben dagegen das Bedenken, daß dann schon Abweichungen in den Dezimalstellen der Notirung sehr bedeutende Differenzen darstellten,10 und hielten im Interesse der Erleichterung des Kalküls der Müllerei die 20 Tonne (1000 Kilogramm) für geeigneter. - Weit wichtiger aber ist natürlich die Frage, ob wenigstens für eine und dieselbe Börse ein oder mehrere sicher zu individualisirende Typen den Notirungen zu Grunde gelegt werden können. Zur Zeit ist insbesondere in Ber-

7 In diesem Sinne äußerten sich zum Beispiel Heinrich Kochhann, Eugen Rieffei, Leo von Graß, Rudolf Abel, Siegfried Sobernheim und N.N. Horwitz. Ebd., S. 2371 f., 2374f. und 2574f. 8 Die Niederlande avancierten seit dem 17. Jahrhundert zum Hauptabnehmer polnischer Naturalprodukte. Daher sind in den beiden Transithäfen des polnischen Warenexports, Königsberg und Danzig, holländische Maße und Gewichte verwendet worden. 9 Im Zuge der Vereinheitlichung des Maß- und Gewichtssystems war man bis zur Reichsgründung auch In Deutschland schon weitgehend dazu übergegangen, Getreide nicht mehr nach Hohlmaß (Scheffel u. a.) zu handeln. Doch die angelsächsischen Länder verwendeten noch die alten Hohlmaße (vornehmlich bushel), legten diese aber nach und nach (je nach Getreideart) auf ein bestimmtes Gewicht fest. 10 Hier nimmt Max Weber Bezug auf den Dialog zwischen dem Gutsbesitzer Arnold von Frege und dem Müller Joseph Johann van den Wyngaert. Van den Wyngaert gab Frege, der die Einführung des Meterzentners als Einheitsmaß für erstrebenswert hielt, zu Bedenken, daß es einen großen Unterschied mache, ob zum Beispiel bei der Tonne zu 1000 Kilo ein Preis von 136 Mark oder ob 13 Mark bei 100 Kilo notiert würden, da bei letzterer Notierung bereits Preisschwankungen von 10 Pfennig große Bedeutung erhielten. Ebd., S. 2722f.

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lin nur die Terminqualität in einem Grade, dessen Zulänglichkeit gehörigen Orts zu erörtern sein wird,11 spezialisirt. Die Lokonotirung dagegen 61 ) hat eine so weite Spannung vom Mindest- zum Höchstpreis, daß mit ihr schlechthin nichts anzufangen ist in dem Sinne, daß ein Landwirth daraus den voraussichtlichen Preis seiner 5 Ernte berechnen könnte. Spezialisirter war die Breslauer Notirung: hier fanden sich sechs Notirungen, davon drei Hauptnotirungen für besondere Sorten, es wurde „gut", „mittel", „gering" geschieden. Allein die Selbständigkeit der Breslauer Notirung ist inzwischen notorisch an Berlin verloren gegangen und die Notirung weiter ge- 10 schrumpft. 12 In welchem Maße die Getreidenotirungen der Ostseehäfen durch die Aufhebung des Identitätsnachweises 13 wieder selbständigere Bedeutung gewinnen werden, muß abgewartet werden. Vor der Kommission meinte der Stettiner Sachverständige: die Weizennotirung fiele am besten ganz fort62). Dagegen werden in 15 Königsberg und Danzig Qualitäten nach dem spezifischen Gewicht A 491 - früher x Pfund per Altscheffel, jetzt x Gramm | per Liter - unterschieden63). Die rein technischen Voraussetzungen derartiger NoA 490

61>

S[iehe] oben S. 376 f. Anm. 43. > S. 2374. | 63) A 491 Z. B. sieht die Danziger Weizennotirung vom 28. März 1895 wie folgt aus: „Weizen. Bezahlt wurde für inländischen hochbunt glasig 766 Gr. 141,50 Mk., 776 1 4 und I I I Gr. 142 Mk., weiß 766 Gr. 141,50 Mk., roth 747 Gr. 140 Mk., Sommer- 750 Gr. 140 Mk., 62

11 Darauf ist Max Weber nicht mehr eingegangen, da er, entgegen seiner ursprünglichen Absicht, den Produktenterminhandel nicht mehr behandelt hat. 12 Aufgrund des enormen Rückgangs des Breslauer Getreidetermingeschäfts beschloß die Breslauer Handelskammer die Einstellung der Terminnotiz für Roggen, Weizen und Hafer zum I.Januar 1895. Die täglichen amtlichen Loko-Notierungen in Getreide erfolgten weiterhin, da das Effektivgeschäft bedeutend war. BBC, Nr. 589 vom 17. Dez. 1894, Mo.BI., 2. Beilage, S. 1. 1 3 Im Zollwesen der Nachwels, daß die bei der Fabrikation von auszuführenden Gütern verwendeten Rohstoffe oder Halbfabrikate tatsächlich eingeführt und verzollt worden sind. In diesem Fall sah das deutsche Zolltarifgesetz bis 1894 eine Erstattung des gezahlten Zolls an den Exporteur vor, was einer Ausfuhrprämie gleichkam. Seit 1882 genügte es bei der Ausfuhr von Müllereiprodukten, daß der Müller überhaupt entsprechende Quanten von Einfuhrgetreide vermählen hatte, gleichgültig, ob für den Export oder für den Inlandsverkauf. Im Zuge einer allgemeinen Förderung der deutschen Getreideausfuhr wurde durch das Änderungsgesetz zum Zolltarifgesetz vom 14. April 1894 der Identitätsausweis für (Müllerei-)Getreide aufgehoben. Die bis dahin geringfügige Ausfuhr deutschen Getreides stieg daraufhin sprunghaft an. 1 4 Die Angabe in der Danziger Zeitung, Nr. 21270 vom 28. März 1895, S.3, lautet 766 Gramm.

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tirungen auf einheitlicher Basis wären in erhöhtem Maße mit Einführung des neuen Getreideprobers in Berlin und den Ostseeplätzen gegeben.15 Allein es steht - wie auch Gamp gegenüber Sobernheim einräumen mußte 64 ' - dann noch das weitere Hinderniß im 5 Wege: daß das Gewicht keineswegs das einzige Qualitätsmerkmal ist65\ Immerhin würde eine Kombination der Angabe der Provenienz mit Angabe des spezifischen Gewichtes wohl unzweifelhaft eine erhebliche Verdeutlichung des jetzigen Zustandes bedeuten. Dem Gedanken einer möglichst eingehenden Qualitätenspezialisi10 rung wurde zunächst - und zwar auch von landwirthschaftlichen Sachverständigen66) - wegen der verwirrenden Menge der Notirungen, die dann der Kurszettel aufweise, entgegen getreten. Dieser wohl kaum zutreffende67) Grund hängt wohl mit der Vorstellung zusammen, | daß die Fertigstellung des Kurszettels schwer sein wer- A 492 15 de, wenn die zu notirenden Kategorien von Abschlüssen sich vermehren. Das ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn entweder eine Arbeitstheilung der Makler nach Art der Effektenmakler eintreten für polnischen zum Transit hellbunt 742 Gr. 105 Mk. per Tonne. Termine: April-Mai zum freien Verkehr 139,00 Mk. bez., transit 103,50 Mk. bez., Mai-Juni zum freien Verkehr 140,50 Mk. Br., 140 Mk. Gd., transit 105,50 Mk. Br., 105 Mk. Gd., Juni-Juli zum freien Verkehr 142,50 Mk. Br., 142 Mk. Gd., transit 106,50 Mk. Br., 106 Mk. Gd., September-Oktober zum freien Verkehr 143 Mk. bez., transit 109,50 Mk. bez." Daneben enthält der Danziger Kurszettel noch den „Regulirungspreis" für die Abwicklung der Termingeschäfte, dessen Natur erst beim Termingeschäft erörtert werden kann. 16 M > S. 2573.17 651 Es wurde erinnert, daß z. B. türkischer Weizen besonders schwer sei.18 66 > Rittergutsbesitzer v. Lieres,19 67 ' Es ist nicht recht ersichtlich, was einem schlesischen Produzenten, der im Kurszettel findet: Schlesischer Winterroggen, x Kilogramm Mindestgewicht auf den Hektoliter, per Tonne y Mark, „verwirrend" daran sein soll, daß außerdem noch eine bis zwei andere schlesische | Qualitäten und ebenso viele preußische 20 etc. und daneben russischer Rog- A 492 gen notirt wird. | 1 5 Der Getreideprober ist eine Waage, die zur Ermittlung d e s Hektolitergewichts von G e treide dient. Seine Einführung wurde in Preußen 1891 gesetzlich vorgeschrieben. N a c h A u s s a g e d e s Sachverständigen Siegfried Sobernheim war die Einführung des Getreideprobers a b d e m I . O k t o b e r 1 8 9 3 in Berlin und den Ostseehäfen obligatorisch. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 2 5 7 3 . 1 6 Darauf ist Max Weber nicht mehr eingegangen. 1 7 Die A u s s a g e n finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 2 5 7 5 . 1 8 Siegfried Sobernheim sprach von türkischem Roggen, der „oft furchtbar schwer" sei. 1 9 Die A u s s a g e von Theodor von Lieres findet sich ebd., S. 2 7 2 3 . 2 0 Gemeint ist Getreide aus den Provinzen Ost- und Westpreußen.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

würde - und mag man sie nicht für direkt erzwingbar halten, so läßt sie sich doch begünstigen - , auch würde es für die inländischen Interessenten genügen, wenn einige inländische Qualitäten gesondert notirt würden. Allein eine wesentlich bedeutsamere Schwierigkeit beruht darauf, daß nur der kleinere Theil des Effektivgeschäftes in Getreide sich während des Börsenverkehrs vollzieht.21 Es wurde schon erwähnt, 22 daß in Berlin ein bedeutender Theil gerade der größten Abschlüsse direkt zwischen den betheiligten Firmen unter Umgehung der Börse gemacht wird. Ein anderer sehr großer Theil vollzieht sich auf dem sogenannten „Frühmarkt", Morgens von 8 - 1 0 Uhr im Börsenhofe, wo nach Probe namentlich die auf dem Landwege per Achse eintreffenden Zufuhren gehandelt, aber auch Terminschlüsse gemacht werden. Die größten Firmen sind dort nicht regelmäßig vertreten, es ist mehr der Konsument (Müller), welcher dort kauft, - die auf dem Wasserwege eintreffenden Zufuhren, namentlich auch die vom Auslande, werden dagegen vielfach für das Termingeschäft verwendet. Und endlich versteht es sich, daß das Schwergewicht der Thätigkeit des Berliner Getreidehandels nicht auf der Disposition über Getreide beruht, welches dem Berliner Platz örtlich zugeführt wird, daß vielmehr die ausländischen Zufuhren zur See vom Importhafen aus und die inländischen Produktionsüberschüsse aus dem Osten direkt nach den Bedarfsstellen im Westen und Süden verladen werden, der Berliner Platz die Vertheilung nur dirigirt. - So umfassen die an der Börse im Lokoverkehr umgesetzten Quanta nur einen recht unerheblichen Bruchtheil des sich von Berlin aus vollziehenden Effektiv-Getreideverkehrs und Qualitätsnotirungen über diesen BruchA 493 theil des | Effektiwerkehrs allein bieten in der That nur ein gänzlich unbrauchbares Bild. Allein das kann in erster Linie nur zu der Forderung führen, daß auch die Frühbörse durch die Börsenorgane kontrollirt und ihr Verkehr zum Gegenstand von Kursnotirungen gemacht wird. 23 21 Darüber berichtete der Sachverständige Heinrich Kochhann, ebd., S. 2368. 2 2 Oben, S.377 und 383. Zu dem im folgenden genannten Frühmarkt vgl. den Eintrag „Frühbörse" im Glossar, unten, S. 1045. 2 3 Diese Forderung hatte Graf Arnim in der 90. Sitzung der Börsenenquetekommission erhoben. Die Kommission hatte sich seiner Auffassung einstimmig angeschlossen. Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 423.

II. Maklerwesen

und

Kursnotirung

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Seltsamer Weise ist von den Börseninteressenten dieser diffuse Zustand des Getreideumsatzes auch gegen eine andere Forderung geltend gemacht worden, die von vielen Seiten erhoben wurde: die Notirung der gehandelten Quanta. Es entscheidet für die Bedeu5 tung einer Notirung, ob der notirte Preis einem isolirten Einzelgeschäfte entstammte oder gar in Ermanglung von Abschlüssen nur fiktiv weiter geführt resp. nach „Ermessen" umgestaltet ist, oder ob er faktisch einen lebhaft verkehrenden Markt beherrschte. Sind, wie in Berlin, die Quantitäten, welche von der Börse umgesetzt 10 werden, gering im Verhältniß zum Gesammtumsatz, so ist zur richtigen Würdigung der Bedeutung der Notirungen erst recht erforderlich, daß dies bekannt werde. - Unter den jetzigen Verhältnissen ist es kaum zu rechtfertigen, daß die Berliner Notirung in dem Maße, wie es thatsächlich der Fall ist, den deutschen Osten be15 herrscht. Es handelt sich dabei weit weniger um das Verhältniß vom Kommissionär zum Kommittenten. Wie später zu besprechen sein wird,24 vollzieht sich das Getreide-Kommissionsgeschäft allgemein auf Grund fester Anstellungen, nicht als Kommissionsauftrag, in den ein Selbsteintritt zu vollziehen wäre. Also ist hiefür die Kor20 rektheit der Notirung weniger wichtig68). Vielmehr handelt es sich um die Interessen der ländlichen Produzenten, denen ihr Getreide von den Händlern in der Provinz im Wesentlichen nach Berliner Notirung bezahlt wird. Die Kontrakte werden jetzt mit Ausnahme der näheren Umgebungen der Seehäfen fast durchweg derart ge25 schlössen; auch diejenigen Gegenden, welche bis vor Kurzem sich dieser Art der Preisbestimmung noch entzogen - namentlich das nördliche Posen und große Theile von Ost- und | Westpreußen - , A 494 sind jetzt wohl einbezogen. Auch Berliner Börsenmitglieder69) bezeichneten diesen Zustand als nicht erwünscht. In der That ist die 30 Berliner Getreidenotirung offenbar sehr leicht zu beeinflussen. Es 68 ' Das Realisirungsgcschäit freilich ist oft Ordregeschäft, hiefür also ist der Kurs von A 493 Bedeutung. Siehe S. 2583 f. 25 | 6 Sachverständiger Kochhann S. 2370.26 A 494

2 4 Unten, S. 440-448. 2 5 Max Weber verweist hier auf den diesbezüglichen Dialog zwischen Adolf Frentzel, Richard Koch und dem Sachverständigen Siegfried Sobernheim. 2 6 Die Aussage von Heinrich Kochhann findet sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 2369.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

wird behauptet, daß solche Fälle z. B. vorgekommen seien, als die Proviantämter begannen, ihren Bedarf direkt vom Produzenten zu beziehen und die Händler zu eliminiren. Besonders leicht sind hier allerhand Manöver bei der Notirung, weil diese für die Lokogeschäfte nur eine Spannung gibt und also die Abschlüsse draußen lauten: x Mark unter bezw. über dem Höchst- oder Mindestpreise70). - Fest steht meines Erachtens freilich, daß technisch die Abstellung dieser Mängel und die Ermittlung und Publikation der gehandelten Quanta sowohl wie der gehandelten Qualitäten, ebenso wie die Erkennbarmachung der Relation zwischen den umgesetzten Quantitäten und den Zufuhren und Vorräthen überhaupt auf dem Wege der Reform der Notirungen allein nicht erstrebt werden kann. Die unzulängliche Art der Notirung entspricht hier den technisch rückständigen Zuständen des Getreidehandels bei uns, und zwar - um etwas Konkretes zu nennen - in erster Linie dem Mangel öffentlicher Lagerhäuser mit Sortirungsvorrichtungen nach amerikanischer Art. Es wird auf diesen Gegenstand beim Terminhandel zurückzukommen sein.27 Ohne diese Vorbedingungen scheint mir jeder | A 495 Versuch einer Verbesserung der Getreidenotizen ein Kuriren von Symptomen zu sein. Was die bei der Sachverständigen-Vernehmung zum Ausdruck gelangten praktischen Vorschläge anlangt, so wurden hier ausländische Vorbilder weit weniger als beim Effektenhandel in Betracht gezogen. Nur der Gedanke der quotation books wurde auch beim Produktenhandel naturgemäß mehrfach gestreift. Sonst hat das 70) Abschlüsse mit dem Produzenten selbst über höchste Notirung kommen vor, namentlich wenn Mühlen in der Nähe sind oder der Produktionsort dem Exporthafen näher liegt etc. Einen Fall wahrscheinlicher Beeinflussung erzählte Amtsrath Schmidt (Löhme) S. 3460:28 Als die Proviantämter mit den Produzenten Roggen „1 Mark unter höchster Notirung" abgeschlossen hätten, sei, während bis dahin bei Weizen und Roggen diese Notirung um 6 - 8 Mark gegen die Preise „ab Bahn bezahlt" differirte, diese Differenz bei Roggen plötzlich auf 3, dann auf 1 und schließlich auf V2 Mark gefallen, bei Weizen dagegen dieselbe geblieben. Insoweit die Proviantämter Terminkurse zu Grunde legten, sollen geradezu Scheingeschäfte zur Notirung angemeldet worden sein. |

2 7 M a x W e b e r ist e n t g e g e n seiner u r s p r ü n g l i c h e n A b s i c h t auf d e n Produktenterminhandel nicht mehr e i n g e g a n g e n . 2 8 Der Bericht von Amtsrat S c h m i d t findet sich ebd., S. 3597.

II. Maklerwesen

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Kursnotirung

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Ausland hier auch wenig zu bieten. Der englisch-amerikanische broker, welcher an großen Plätzen wohl meist mit anonymen Gegenkontrahenten ausführt, ist bei uns in den größeren Maklerfirmen vorhanden. Die Monopolmakler der Liquidationskassen ha5 ben wir ebenso^ wie sie bei der Havreser Kasse und im Liverpooler Baumwollhandel vorhanden sind.29 Im Übrigen sind gerade die Produktenbörsen des Auslandes regelmäßig die weniger reglementirten und die Stellung der Makler eine freiere als an den Effektenbörsen. Den Pariser courtiers des marchandises fehlt die 10 Monopolstellung, sie sind nur bei der Kursnotirung bevorzugt, und ebenso ist die Arbeitstheilung an den englisch-amerikanischen Produktenbörsen wohl schwerlich so scharf, wie sie die Londoner Stock Exchange kennt. Im Übrigen sind die Verhältnisse gerade der fremden Produktenbörsen bisher noch weitaus zu wenig 15 gründlich klargestellt, um einen näheren Vergleich zu gestatten. Aus der Mitte der Sachverständigen selbst traten speziell für die Produktenmakler und die Notirungen verschiedene Vorschläge zu Tage. Zunächst standen sich natürlich auch hier eine Ansicht, welche die Beseitigung der vereidigten Makler und die Freigabe des 20 Maklergewerbes, und eine andere gegenüber, welche umgekehrt die Innehaltung der handelsgesetzbuchmäßigen Schranken erzwingen wollte. Die letztere Auffassung war innerhalb der Börseninteressenten nur vereinzelt vertreten, ein Berliner vereidigter Makler hielt die Beschränkung auf bloße Vermittlerthätigkeit dann für 25 möglich, wenn nur die Abschlüsse der vereidigten Makler zur Notirung gelangten71^ - was ohne grundlegende | Änderungen der Börsenorganisation offenbar nicht möglich ist. Sonst wurde die Aufrechterhaltung der vereidigten Produktenmakler namentlich von einigen Vertretern von Provinzialfirmen befürwortet 72 ', wel30 chen der Einfluß selbstkontrahirender1 und deshalb am Kurse interessirter Makler bedenklich war. Konsequenter Weise müßte 71

> S. 3470. 3 0 | > Sachverständiger Rosenfeld

72

S. 2960.

I A: selbst k o n t r a h i r e n d e r 2 9 Zur Liquidationskasse in Le Havre und zur Liverpooler Baumwollbörse vgl. oben, S. 230 bzw. 220f. 3 0 Die Aussage des vereidigten Maklers Ludwig Baumann findet sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 3471. Zur Beschränkungen der Handelsmakler vgl. Art. 69 HGB, unten, S. 961.

A496

A 495 A 496

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

man dann aber auch jede Gefahr eines solchen Interesses beseitigen und an Stelle der Makler irgend welche gänzlich unbetheiligte Personen mit der Beobachtung des Marktes betrauen; es würde sich dann zeigen, daß eine durch kein eigenes Interesse auf die Beobachtung des Marktes hingewiesene Instanz73) schwerlich No- 5 tirungen zu bieten in der Lage ist, welche der Markt als maßgebend anerkennen würde74). Der entgegengesetzte Weg: die Entwicklung von Propremaklern mit typischer, nach Art der dealers an der Londoner Stock Exchange geordneter Geschäftsgebahrung ist im Produktenverkehr bei uns wohl nur an den Terminmärkten denkbar, 10 und für diese ist die Liquidationskasse mit ihren Monopolmaklern und entweder - bei kleinen Zahlen der Abschlüsse - quotation books oder - bei großen Mengen - einem oder mehreren calls75) das Natürlichere. | A 497 Alles in Allem scheint es also, daß die Produktenbörsen, wenig- 15 stens für das Effektivgeschäft, schon aus technischen Gründen die überkommene Organisation mit amtlich bestellten Maklern nur ausnahmsweise noch ertragen. Entscheidend für die Frage, welche Bedeutung einer amtlich kontrollirten Notirung schließlich zukommt, sind vor Allem auch die Aiac/z ¿Verhältnisse zwischen der 20 Börse und den außenstehenden Kreisen. Im Sprithandel haben die 73 ' A m weitesten gingen in dieser Richtung die Vorschläge des „Sachverständigen" Abgeordneten v. Frege,31 welcher die Makler in besoldete Staatsbeamte mit Vermittlungsmonopol und Vermittlungszwang verwandeln und letztere durch die Beschränkung der Klagbarkeit für alle nicht vorschriftsmäßig vermittelten Geschäfte durchführen woll-

te. S. 2728.

Der Sachverständige Klepper (Müllerei) wollte die Verhinderung eigener Geschäfte unter Zuhilfenahme einer Registrirungspflicht für Alle, welche die Makelei zu betreiben beabsichtigen, durchführen. S. 2733 f. 32 74 * Unter den jetzigen Umständen hielten es auch außerhalb der engeren Börsenkreise stehende Sachverständige für nützlich, wenn der Makler mit seiner Person zwischen die Kontrahenten trete. 33 75) Im Kaffeegeschäft in Hamburg soll schon jetzt die Mehrzahl der Geschäfte während des call geschlossen werden. 34 Konzentration des Verkehrs, örtlich und zeitlich, entspricht gerade dem Terminhandel am meisten. |

31 A r n o l d von Frege war R e i c h s t a g s a b g e o r d n e t e r der Deutschkonservativen Partei. 3 2 Die Äußerungen von Philipp K l e p p e r finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 2736. 3 3 In d i e s e m Sinne äußerten sich die Mühlenbesitzer Josef Werner und Friedrich Wilhelm Meyer sowie der Zuckerhändler Leo Molinari. Ebd., S. 2590, 3327, 2735. 3 4 Hiervon berichtete der S a c h v e r s t ä n d i g e Horwitz. Ebd., S. 2581.

II. Maklerwesen

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Kursnotirung

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letzteren, wohl auch deshalb, weil große und kapitalkräftige Firmen sich darunter befinden, erzwingen können, daß die Berliner Notirungen in der Hauptsache ihrem Bedürfnisse entsprechen; die Interessenten an den Getreidepreisen in der Provinz sind die Schwächeren, namentlich auch in Folge der technisch unfertigen Zustände, mit denen der Handel bei uns zu rechnen hat. Das Streben nach Reform der Getreidenotirungen hat zur Zeit sich auf möglichst umfassende Heranziehung des Gesammtverkehrs an das Licht der Öffentlichkeit zu beschränken, also auf Fürsorge für eine geregelte Preisnotirung, wo immer ein Verkehr in der Form des öffentlichen Marktes sich entwickelt, für thunlichst vollständige Ermittlung der gehandelten Quanta und ihrer mProvenienz und m , wo es sich um voll entwickelte Börsen handelt, auch der Qualitäten. Für die, bei dem auf den Börsen sich abspielenden Geschäft in erster Linie stehenden, Getreidequalitäten ausländischer Provenienz hielt der Vertreter der Mannheimer Weltfirma diese Scheidung für möglich.35 Für die inländischen setzt sie, wie bemerkt, 36 organisatorische Umgestaltungen des Getreidehandels voraus. Die Berücksichtigung möglichst aller Abschlüsse bei der Notirung, wie sie das System der quotation books ermöglicht, ließe sich für denjenigen Effektivverkehr, der sich markt- und börsenmäßig vollzieht, wohl, wenn auch mit Schwierigkeiten, durch rechtliche Benachtheiligung nicht registrirter Abschlüsse wenigstens annähernd erzwingen. Was den Terminverkehr anlangt, so ist zweifelhaft, ob hier die quotation books das bieten würden, was man von der Terminnotirung zu beanspruchen hat. Soweit" der Terminhandel und damit die Terminnotirung überhaupt wirthschaftlich nützlich sind - was hier noch nicht zur Erörterung | steht 37 - , würde der A 498 letzteren im Gegensatz zur Lokonotirung speziell die Aufgabe zufallen, die Markttendenz zur Anschauung zu bringen, welche durch Bekanntgabe der momentan bei Einzelabschlüssen gezahlten Preise keineswegs immer richtig und erkennbar wiedergegeben würde.

m A: Provenienz, und

n A: So weit

3 5 Gemeint ist der Teilhaber der Firma Jacob Hirsch & Söhne, Louis Hirsch; seine Stellungnahme findet sich ebd., S. 3080. 3 6 Oben, S.392. 3 7 Max Weber ist auf den Terminhandel in Produkten nicht mehr eingegangen.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

Rein technisch bietet jedenfalls die autonome Kursfeststellung durch die Liquidationskassen die erheblichsten Vorzüge, unter der Voraussetzung freilich, daß die gerade hier, wo Vermittlungsmo«opol und Vermittlungszuwzg möglich sind, unzweifelhaft vorhandene Möglichkeit, die Makler auf die Vermittlungsrolle zu beschränken, benutzt wird - was zur Zeit in Hamburg noch nicht der Fall ist76). Der Gefahr der Züchtung eines Kleinspekulantenthums in den Monopolmaklern solcher geschlossenen Verbände kann nur und muß durch Schaffung von finanziellen Garantien bei der Zulassung begegnet 0werden77': Der 0 Effektivverkehr in Produkten frei zugänglich, auch für die Produzenten, nur unter umfassender „statistischer" Kontrolle und ohne Maklerprivilegien, - der ProduktenTerminverkehr, soweit er überhaupt zugelassen wird, in geschlossenen Verbänden mit einem Monopolmaklerstand, der aber streng A 499 auf die Makelei beschränkt ist; auf dieses Ziel scheint | auch die vorstehende Betrachtung der Zustände und Entwicklungstendenzen im Maklerwesen der Produktenbörsen mit ziemlicher Deutlichkeit hinzuweisen, trotzdem sie, wie noch ein Mal konstatirt sei,38 mit gänzlich unzulänglichem Material, welches bei Weitem nicht so klare Charaktertypen wie das Effektenmaklerwesen ergibt, unternommen werden mußte. A 498

76 ' Inwieweit eine amtliche Kontrolle dieser Notirung nöthig ist, hängt mit der Frage der Aufsichtsbedürftigkeit der Liquidationskassen überhaupt zusammen und ist deshalb im Zusammenhang mit dem Terminhandel zu besprechen. 3 9 7T> Dieser Gedanke lag auch den Vorschlägen des Sachverständigen van Gülpen (Chefs einer Emmericher bedeutenden Kaffeefirma) zu Grunde. (Vgl. S. 2151 f. der Stenogramme.) 4 0 Er will die amtlichen Makler, welche nur privilegirte Händler seien, dem Kommissionär die Möglichkeit der Courtageberechnung lieferten, im Übrigen dessen gefährliche Konkurrenten seien, die neben der Courtage noch Gelegenheit hätten, am Kurs zu „schneiden", beseitigen, für den Terminverkehr durch Erfordern bedeutender Depots von jedem Zugelassenen finanzielle Garantien schaffen und dann das Maklergewerbe freigeben. D e r Gedanke ist weiter ausgeführt auch in der inzwischen erschienenen Schrift desselben Experten: „Terminhandel und Börse" (Berlin 1895, S. 19 f.). D a s Nähere gehört in die Besprechung des Terminhandels. 41 |

O A: werden 77 '. Der 38 39 40 41

Auf diesen Umstand wies Max Weber bereits oben, S. 353-355, hin. Vgl. oben, S.395, Anm.37. Gemeint sind: Börsenenquetekommission, Sten.Ber. Vgl. oben, S.395, Anm.37.

II. Maklerwesen

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Kursnotirung

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3. Die Kommissionsbeschlüsse. Die Kommission trat in die Beratung des Maklerwesens und der Kursnotirungen zuerst nach Abschluß der Vernehmung der Sachverständigen von der Fondsbörse ein78'. Die Vorschläge des Referenten, Freiherrn von Huene, welche demgemäß nur den Fondshandel berücksichtigen79', wollten zunächst die Einheitlichkeit in der Form der Notirung und der Zinsberechnung der Aufträge und ferner vorschreiben, daß die gehandelten und daneben auch die angebotenen und gefragten Quanta publizirt würden. Bei Bestehen eines Kassa-Einheitskurses sollte ausdrücklich dem Auftraggeber des Maklers das Recht, auf alsbaldige Ausführung seines Auftrages als Einzelgeschäft zu dem im freien Markt zu erlangenden Kurse zu bestehen, gewahrt werden. Diesen letztgedachten Antrag und das Verlangen, daß auch bei Offerten die Quanta notirt werden, zog der Referent zurück. - Was die Stellung der Makler anlangt, so wollte der Antrag in erster Linie die vereidigten Makler beseitigen, dagegen die Makler allgemein der Disziplinargewalt der Börsenbehörde unterstellen und den Grundsatz feststellen, daß die Makelei mit der Übernahme von Aufträgen von auswärts nicht vereinbar sei. Zum Behuf der Notirungen sollten geeignete Makler auf 3 Jahre ausgewählt, ohne Auferlegung von Sonderpflichten auf Wahrhaftigkeit ihrer Angaben beeidigt und unter deren Zuziehung die Feststellung durch die | Kommissare bewirkt werden. - Eventuell - nämlich falls die A 500 Beibehaltung der vereidigten Makler beschlossen würde - sollte die Disziplinargewalt der Börseninstanzen auf die nicht vereidigten Makler erstreckt und den vereidigten Maklern als Sonderpflicht in Abänderung von Art. 69 HGB.'s 1 auferlegt werden, nur 78

> S i t z u n g v o m 27. O k t o b e r 1892. S. 162 der P r o t o k o l l e . 2 > S [ i e h e ] d i e s e l b e n S. 168 d e r P r o t o k o l l e . 3 |

79

1 Vgl. Art. 69 HGB, unten, S. 961. 2 Die Verweise auf die „Protokolle" bzw. die Seitennachweise in den Fußnoten bis einschließlich S. 404, Fußnote 94, beziehen sich auf: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle. Debatte und Ergebnisse der 44. Sitzung am 27. Oktober 1892, auf die Max Weber im f o l g e n d e n eingeht, finden sich ebd., S. 1 6 2 - 1 6 7 . 3 Ohne sich an die v o r g e b e n e n e Reihenfolge zu halten, referiert Max Weber im f o l g e n d e n die Vorschläge des-Freiherrn von Huene, e b d . S. 168f.

A 499

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

insoweit Handelsgeschäfte für eigene Rechnung zu machen, als dies im Interesse des Auftraggebers behufs Ausführung des Auftrages unumgänglich sei. Vor der eigenen Übernahme sollten die Makler verpflichtet sein, das Vorhandensein einer „Spitze" dem Börsenpublikum bekannt zu geben. Man sieht, dieser zweite Vor- 5 schlag schloß sich unter schärferer Ausprägung und Legalisirung des schon jetzt als „reell" Geltenden den 3 im Berliner Effektenverkehr bereits bestehenden Zuständen an. Bei der Beratung wurde für die Kursnotirung die Forderung einheitlicher Rechnungsunterlagen der Notizen, ferner das Verlangen, 10 die gehandelten Quanta zu publiziren, angenommen und ebenso ein vom Senatspräsidenten Wiener gestellter Antrag, zwecks Verminderung der Gefahr des Kursschneidens durch die Kommissionäre bei Terminnotirungen in Form von Preiskurven möglichst den Zeitpunkt der maßgebend gewesenen Marktlage erkennbar zu ma- 15 chen und zu diesem Behufe die Börsenzeit in mehrere kleinere Einheiten zu zerlegen. Die Kommission zog ferner die Frage, ob die Bestimmungen des Art. 249 StrGB.'s (betrügerische Beeinflussung der Aktienkurse) zu verallgemeinern seien,4 mit zur Erörterung und bejahte dieselbe. 20 Die Berathung der Anträge des Referenten über die Rechtsstellung der Makler führte zunächst zur Ablehnung des Prinzipalantrages (Ersetzung der dauernd bestellten vereidigten Makler durch auf Zeit ernannte vereidigte Vermittler für die Notirung). Die zeitliche Beschränkung der Ernennung, welche den Zweck wirksame- 25 rer Kontrolle verfolgte, wurde als vom Standpunkt der Selbständigkeit der Makler bedenklich angesehen. Der Eventualantrag - Freigabe eigener Geschäfte für die beizubehaltenden vereidigten Makler innerhalb der Grenzen des Nothwendigen unter Festhaltung des Verbots der Übernahme von Aufträgen von auswärts - wurde 30 A 501 angenommen, der Vorschlag, daß die | „Spitzen" vor eigener Übernahme ausgeboten werden sollten, abgelehnt, die Frage der Disziplin der Erörterung über die Börsenorganisation vorbehalten. a A: der 4 Gemeint ist hier Frage 18 des Fragebogens, in der auf die Strafbestimmungen des Art. 249 d Nr. 1, 2 HGB Bezug genommen wird. Das von Max Weber angeführte Strafgesetzbuch enthält die gemeinten Strafbestimmungen nicht. Vgl. den Fragebogen und Artikel 249 d Nr. 1 und 2 HGB, unten, S. 934 und 966.

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Damit war also vorläufig für die Effektenbörsen der in Berlin bestehende Zustand acceptirt. Die Verhandlungen kamen dann nach Eintritt in die Besprechung der Produktenbörsen auch auf diese Gegenstände zurück und spitzten sich hier zu wesentlich schärferen Auseinandersetzungen zu. 5 Die Anträge des Geh. Oberregierungsraths Gamp, welche der Berathung zu Grunde lagen 80 ', wollten den bestehenden Zustand einschneidend umgestalten. Als „Börsenpreis" sollte nur ein der wirklichen Gesammt-Marktlage entsprechender 81 ) und - regelmäßig unter Mitwirkung der Makler - durch Organe der Börsenbehörde amtlich festgestellter Preis gelten, dieser aber außer durch die Börsenaufsichtsorgane unanfechtbar sein82). Die gehandelten Quantitäten 13 sollten publizirt werden. Die Makler sollen in staatlich angestellte und kontrollirte Börsenaufsichtsbeamte verwandelt, eigene Geschäfte ihnen gänzlich verboten werden. Als Korrelat sollte ihnen das Vermittlungsmonopol gegeben und die Benutzung der Börseneinrichtungen nur bei den durch sie vermittelten Geschäften zugelassen werden. Bei solchen Artikeln, an welchem inländische Produktion und Konsum geringeres Interesse haben, sollte der Bundesrath Dispens von diesen Bestimmungen geben können. - Liquidationskassen wollte Gamp gänzlich verbieten und, als dies abgelehnt wurde, ihnen doch die Preisfeststellung und die Zulassung der Makler entziehen. 6 | m

> S[iehe] dieselben S. 251 und 252 der Protokolle. A Derart, „daß zu demselben auch weitere Käufe und Verkäufe möglich gewesen sein würden". These 24 a. a. O. 82) Demgemäß sollte der Art. 353 HGB.'s7 geändert werden, welcher als Börsenpreis für den Fall nachweislich unrichtiger Feststellung des notirten Preises den mittleren Preis, berechnet aus den faktisch vorgekommenen Abschlüssen behandelt, und für die Art der Feststellung die „örtliche Einrichtung" maßgebend sein läßt. | 81)

b A: Qualitäten 5 Auf die Problemstellung der Fragen 8 - 1 3 des Fragebogens bezüglich der Produktenbörse gingen die Börsenenquetemitglieder in der 73. Sitzung am 10. April 1893 ein. Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 2 4 2 - 2 4 7 . 6 Die hier angesprochene und von Karl Gamp umformulierte These 21 wurde In der 78. Sitzung am 17. April 1893 diskutiert. Ebd., S.302. 7 Zum Wortlaut vgl. unten, S. 968.

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Die Ergebnisse

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A 502

Bei der Berathung lagen daneben noch weitere Anträge vor, und zwar 1. von Freiherrn von Huene und van den Wyngaert83\ welcher die vereidigten Makler aufheben, den zum Verkehr zugelassenen Vermittlern die Verpflichtung zur Buchung aller Aufträge und Vor- 5 läge des Buches an den amtirenden Kommissar auferlegen und nur den durch sie vermittelten Geschäften die Benutzung der Börseneinrichtungen zugestehen wollte; 2. ein Antrag des Senatspräsidenten Wieneru\ welcher die vereidigten Makler beibehalten, aber einerseits ihre Kontrolle ver- 10 schärfen, andererseits ihnen den Selbsteintritt und die Bürgschaft, jedoch nur soweit dies zur Ausführung des Auftrages erforderlich ist, gestatten wollte. Andere Geschäftsvermittler sollten zugelassen, aber zur Anmeldung bei einem Register und zur genauen Buchung aller Geschäfte verpflichtet, auch der Disziplin der Börsenorgane 15 unterstellt sein; nur durch zugelassene Vermittler ausgeführte Geschäfte sollten die Vortheile der Börseneinrichtungen genießen. 3. Kommerzienrath Mendelssohn85) wollte lediglich die Verschärfung der Disziplinarbefugnisse der Börsenaufsichtsbehörde neu einführen, dagegen im Übrigen die Stellung und die Pflichten 20 der vereidigten Makler einschließlich des neu einzuschärfenden Verbotes eigener Geschäfte in ihrem derzeitigen Zustand belassen und nur die von vereidigten Maklern vermittelten Geschäfte zur Notirung zulassen. 4. Graf Arnim86) wollte daneben noch Geschäfte zur Notirung 25 zulassen, welche in ein dazu an der Börse aufliegendes Buch eingetragen wären. 5. Frentzel87) wollte dagegen alle etwaigen Reglementirungen A 503 den Landesregierungen überlassen (also auch den | Hanseatischen, A 502

S3

> S. 338 der Protokolle. 8 S. 339. 9 85 > S. 340. 86 > S. 341. 87 > S. 336. |

8 Der Antrag von Freiherr von Huene und Joseph Johann van den Wyngaert findet sich in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 337. 9 Der Antrag von Heinrich Wiener findet sich ebd., S. 338f.

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Kursnotirung

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was den Verzicht auf jede Verkehrsaufsicht in Hamburg bedeutete), hielt Maklerprivilegien für entbehrlich, wollte vielmehr lediglich Hülfskräfte für die Notirung aus den Kreisen derjenigen Vermittler, die keine Spekulationsgeschäfte machen, vom Kommissar 5 zuziehen lassen, diese Vermittler verpflichten, alle ihre Abschlüsse anzugeben, und den Kommissar „nicht unbedingt" an diese Angaben binden, - mit anderen Worten: nach jeder Richtung tabula rasa in Bezug auf jede Reglementirung schaffen. 6. Wiener88) modifizirte seinen Antrag bei der Debatte dahin: io Außer der Vermittlung durch privilegirte Persönlichkeiten sollte auch die Eintragung in ein Börsenbuch für die Berücksichtigung von Geschäften bei der Notirung genügen. Jene privilegirten Personen sollten keine vereidigten Makler sein, sondern sie sollten als „Auskunftspersonen" zur Unterstützung des Kommissars bei der 15 Notirung aus den Kreisen der Vermittler bestellt und bei eigener Betheiligung an Spekulationsgeschäften „in erheblichem Umfang" aus der Funktion entlassen werden. Die Vorschläge89^ gingen, wie man sieht, durchweg von der Voraussetzung aus, daß Loko- und Termingeschäft in Bezug auf die 20 Kursnotirung und die Stellung der Makler wesentlich gleichartig zu behandeln seien. Im Übrigen zeigt sich, daß - abgesehen von Graf Arnim - die Einsicht, daß es nicht angeht, den Maklern den Selbsteintritt überhaupt zu verbieten, daß man vielmehr nur ihre Eigengeschäfte auf A usrichtungsgeschäfte beschränken kann, vor25 herrschte, mit der auffälligen Ausnahme von Mendelssohn, der wie schon früher bemerkt, 10 unberechtigt - auf Wien exemplifizirte. Gamp, der Eigengeschäfte gleichfalls gänzlich verbieten wollte, zog die Konsequenz, den vereidigten Maklern das Vermittlungsmonopol | zuzugestehen. Dem Gedanken, den privilegirten Maklern A 504 30 dadurch das Geschäft zuzuwenden oder die Registrirung der Abschlüsse im Interesse der Notirung zu erzwingen, daß man den durch Andere vermittelten oder nicht registrirten Schlüssen die 88

> S. 335. A 503 ' Dieselben und ihre Berathung waren in erster Linie auf die Produktenbörse berechnet. Die Kombination mit den für die Effektenbörse passenden Beschlüssen blieb zunächst vorbehalten. S. 332. I 89

10 Oben, S.318.

402

Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

Börseneinrichtungen - Kündigungsbureau etc. - sperrte, widersprach Frentzel als technisch unausführbar, meines Erachtens ohne zwingenden Beweis90). Bei der Abstimmung91' wurde zunächst die Befugniß der Landesgesetze, das einzuführende Reichsrecht zu brechen, festgestellt, 5 womit die Hansestädte dem zu schaffenden Recht entzogen wurden, sodann die Zuziehung besonderer Hülfspersonen bei der Notirung aus den Kreisen der Vermittler und eine Privilegirung ihrer Abschlüsse bejaht, abgelehnt dagegen der Antrag, dies Privileg in der völligen Verschließung der Börseneinrichtungen für andere be- 10 stehen zu lassen, vielmehr beschlossen, daß andere als die Abschlüsse der privilegirten Makler nur bei Registrirung in einem Börsenbuch bei der Notirung berücksichtigt werden und die Vortheile der Börseneinrichtungen genießen sollten. Eigene Geschäfte sollten die Vermittler nur „ausnahmsweise", als Ausrichtungsge- 15 schäfte, machen dürfen, sonst ihre Stellung gegen die der jetzigen vereidigten Makler unverändert und also die Nr. 2 - 6 des Art. 69 HGB.'s ebenso wie Art. 71-75 und 80 bestehen bleiben. Die so gestellten „Kursmakler"11 sollten vereidigt, staatlich auf kürzere Zeit angestellt sein und auf Antrag des Börsenvorstandes disziplina- 20 risch von der Staatsbehörde entlassen werden können, - letzteres eine Änderung des bestehenden Zustandes auf Antrag von Frentzel und Mendelssohn. Eine Anregung Wiener's, den Privatmaklern besondere Pflichten aufzuerlegen, wurde zurückgezogen. Endlich A 505 wurde der Antrag Gamp, \ die gehandelten Quantitäten zu notiren, 25 aber nur mit Frentzel's Modifikation: daß „die für die Preisfeststellung maßgebend gewesenen" Quanta 12 zu publiziren seien, acceptirt und die Herbeiführung möglichster Einheitlichkeit der GrundA 504

9 °) Daß die gegenwärtige Form des Kündigungsverfahrens dabei Schwierigkeiten machen würde, weil man den Giros nicht ansieht, ob das Geschäft registrirt, bezw. von wem es vermittelt sei, trifft natürlich zu (S. 335). Daß aber dies unabänderlich sei und durch Androhung erheblicher Ordnungsstrafen nicht geändert werden könne, ist unerweislich. 91 > S.342.13 |

11 Zum Begriff Kursmakler vgl. den Eintrag Im Glossar, unten, S. 1051. 12 Der von Adolph Frentzel beantragte Zusatz zur Definition der „Quantitäten" lautet wörtlich: „welche für die Preisfeststellung maßgebend waren." Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 345. 13 Die im folgenden zusammengefaßten Diskussionsergebnisse der 83. Sitzung am 25. April 1893 finden sich In: Börsenenquetekommlssion, Sitzungsprotokolle, S. 342-345.

II. Maklerwesen

und

Kursnotirung

403

sätze für die Notirung durch den Bundesrath empfohlen. Einer Anregung, durch Aufstellung von Minimal-Courtage-Sätzen mit Verbot des Unterbietens die Konkurrenz der als „Frankomakler" auftretenden Kleinspekulanten zu unterbinden, wurde keine Folge 5 gegeben,14 vielmehr nur beschlossen, im Bericht die (fast überall vorhandene) Aufstellung von Normaltarifen92) als empfehlenswerth zu bezeichnen. Die Zufügung von Quantitätszahlen zu den Brief- und Geldnotirungen, um dadurch den Umsatz des Angebots und der Nachfrage zu veranschaulichen, wurde von Frentzel so10 wohl als dem Grafen Kanitz als leicht zu Mißbräuchen und betrügerischen Manipulationen führend abgelehnt. Endlich wurde entgegen dem Hamburgischen Bevollmächtigten15 eine Überwachung der Einheitlichkeit der für die Notirung maßgebenden Grundsätze durch den Reichskanzler für zweckmäßig erachtet. - Der Antrag 15 Gamp, nur amtlich notirte Kurse als „Börsenpreis" gelten zu lassen, war schon vorher abgelehnt, dagegen beschlossen, daß als Börsenpreis der aus der „wirklichen örtlichen Geschäftslage" sich ergebende „gemeine Werth" zu gelten habe,16 - im Grunde genommen ein Widerspruch gegen den Beschluß, bestimmte Geschäfte 20 die nicht registrirten - bei der Notirung nicht zu berücksichtigen. Angenommen wurde auch der Antrag Gamp, daß den Liquidationskassen die Anstellung der notirenden Makler und die Preisnotirung nicht gestattet werden solle. Diese Beschlüsse93^, welche die Grundlage der zweiten Lesung 25 bildeten, wurden bei derselben zunächst ergänzt durch den auf Antrag Frentzens gefaßten Beschluß, die Börsenvorstände ausdrücklich zur Sorge für amtliche Notirung aller auf Termin ge| handelten A 506 92

> S. 357. A 505 ' Zusammenstellung der Beschlüsse erster Lesung S. 394 und 384 unten der Protokolle. | 93

14 Die Anregung zur „Aufstellung von einschlägigen Normalsätzen" für die Courtage machte Adolph Frentzel in der 84. Sitzung am 26. April 1893. Ebd., S.357. Auf die Ergebnisse dieser Sitzung nimmt Max Weber, wie in Fußnote 92 angegeben, auch im folgenden Bezug. 15 Gemeint ist Handelskammersyndikus Carl Theodor Gütschow. 16 Die oben, S. 399 und Fußnoten 81 - 8 2 , erwähnte ursprüngliche Fassung des Antrags von Karl Gamp wurde in der von ihm überarbeiteten Formulierung einstimmig angenommen. Börsenenquetekommlssion, Sitzungsprotokolle, S.304, Den vollständigen Wortlaut vgl. unten, S.404, Fußnote 95, unter Abschnitt IV 1a, Abs. 2.

404

Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

Waaren und Effekten zu verpflichten94). Im Übrigen erfuhren die Beschlüsse wesentlich nur redaktionelle Änderungen, der von Mendelssohn wiederholte Antrag, den Kursmaklern eigene Geschäfte ganz zu verbieten und nur die durch sie vermittelten Geschäfte zur Notirung zuzulassen - begründet mit der Nothwendig- 5 keit, für auskömmliche Beschäftigung der vereidigten Makler zu sorgen - , wurde abgelehnt. - Dagegen wurde der Beschluß, betreffend die Liquidationskassen, dahin abgeschwächt, daß die Kursnotirung und die Anstellung der Makler durch sie nur unter Mitwirkung der Börsenbehörden zulässig ist. 17 10 A 507 Die so zu Stande gekommenen Beschlüsse95) ergeben etwa | folgendes Gesammtbild der beabsichtigten Umgestaltung des Maklerwesens und der Kursnotirungen.

A 506

94

> S.417. Dieselben lauten wie folgt: 18

95>

IV. Maklerwesen und Kursfeststellung. 1. Vorbehaltlich der Befugniß der Landesgesetzgebung, abweichende Normen aufzustellen, sollen folgende Grundsätze gelten: a) Die amtliche Feststellung des Börsenpreises von Werthpapieren und Waaren hat sowohl für Kassa- wie Zeitgeschäfte durch die Börsenbehörde und deren Organe zu erfolgen. Zur Mitwirkung hierbei sollen aus dem Kreise der Vermittler besondere Hilfspersonen (Kursmakler) ausgewählt werden, welche der Disziplin der Börsenbehörde unterstehen. Dieselben sollen von der Staatsbehörde auf Vorschlag der Börsenorgane auf kürzere Zeit angestellt und vereidigt werden. Die Entlassung erfolgt durch die Staatsbehörden auf Vorschlag des Börsenvorstandes. Als Börsenpreis ist derjenige Preis festzusetzen, welcher der wirklichen örtlichen Geschäftslage des Verkehrs entspricht und demgemäß den gemeinen Werth der Waare darstellt. b) Die von anderen als den vorbezeichneten Hilfspersonen vermittelten oder ohne jede Vermittlung an der Börse abgeschlossenen Geschäfte sind auf Verlangen des Vermittlers oder eines der Kontrahenten in ein an der Börse zu führendes Buch einzutragen, widrigenfalls sie weder bei der Notiz berücksichtigt werden, noch die Vortheile der Börseneinrichtungen genießen sollen. c) Den Kursmaklern sollen eigene Geschäfte nur gestattet sein, soweit dies zur Ausführung der ihnen ertheilten Aufträge nöthig ist. Zwecks Befolgung dieser Bestimmung haben die Börsenordnungen nähere Vorschriften zu erlassen. | A 507 Die Kursmakler haben im Übrigen die Verpflichtungen, welche bisher in den Art. 69 N r . 2 - 6 , 7 1 - 7 5 , 80 HGB.'s festgesetzt sind. Der siebente Theil des ersten Buches des

17 Diese Beschlüsse wurden in der 90. bzw. 86. Sitzung am 16. bzw. 10. Mai 1893 gefaßt. Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 424 und 375. 18 Max Weber zitiert aus: Börsenenquetekommission, Vorschläge.

II. Maklerwesen

und

Kursnotirung

405

Die Hanseatischen Börsen verbleiben in allen erheblichen Punkten in ihrem gegenwärtigen Zustand96), da ein Zwang | zur Ände- A 508 rung von Reichswegen nicht geübt werden soll. Die demnächst hauptsächlich in Betracht kommende Berliner Börse andererseits 5 würde bei Durchführung der Vorschläge der Kommission gleichfalls nur geringe Änderungen der an ihr schon jetzt bestehenden Handelsgesetzbuches ist bis auf die darin enthaltenen privatrechtlichen Vorschriften aufzuheben. 19 d) Die von den Handelsmaklern handelnden Art. 311, 343, 348, 354, 357, 365, 387 HGB.'s finden auf die Kursmakler Anwendung. 2. Die Feststellung und Veröffentlichung der zu den einzelnen Preisen gehandelten Mengen, welche für die amtliche Notirung der Preise maßgebend waren, hat bei Waaren auf Termin stets, bei sonstigen Waaren und bei Werthpapieren soweit thunlich zu erfolgen. 3. Wo für einen Zeitraum Kurse fortschreitend entsprechend den gemachten Abschlüssen notirt werden, ist dieser Zeitraum behufs möglichster Erkenntniß des Zeitpunktes der einzelnen Abschlüsse in verschiedene kleinere Zeiteinheiten zu zerlegen. 4. Durch den Bundesrath sind Bestimmungen zu erlassen, um die erforderliche Einheitlichkeit der Notiz (Einheitlichkeit des den Notizen zu Grunde liegenden Quantums bei Waaren und der für die Notizen maßgebenden Usancen bei Effekten) herbeizuführen. 5. Die in Art. 249 d Abs. 2 des Handelsgesetzbuches enthaltene Strafbestimmung ist auf 2 0 andere Börsenpapiere, sowie auf Waaren auszudehnen. Ferner gehört hierher aus I, 4 (Börsendisziplin) c Nr. 1, wonach ehrengerichtlich zu ahnden sind: Arglistige Beeinflussung der Kurse oder Preise, insbesondere durch Scheingeschäfte, Abschiebungen, Unter-der-Hand-Regulirungen und durch Verbreitung falscher Gerüchte. Ferner 1,1 Abs. 2:21 Denselben (den Liquidationskassen) darf die Feststellung der Kurse und Preise, sowie die Anstellung der die Kurs- und Preisnotirungen bewirkenden Personen nur unter Mitwirkung und Verantwortung der Börsenbehörde überlassen werden. ^ Daß dies der Fall sein wird, zeigt der Jahresbericht der Hamburger Handelskammer von 1894 S. 22 und 23, welcher meint, | es würde „unverantwortlich" sein, der Ham- A 508 burger Börse „bevorrechtigte" Makler wieder „aufzuzwingen". Würden sie nur einen kleinen Theil des Geschäftes an sich ziehen, so würden sie nicht zuverlässig notiren, wenn einen großen, so würden die anderen Makler geschädigt. Die Eintragung in das Börsenbuch sei „vielfach nutzlos", die Innehaltung der Beschränkungen der Kursmakler „schwer zu kontrolliren" und, wenn dennoch kontrollirt, Quelle „berechtigter und unberechtigter Angebereien". Die sonst so vorzüglich redigirten und lehrreichen Hamburger Handelskammerberichte hätten hier wohl etwas mehr guten Willen zu ernstlicher Prüfung verwenden dürfen, als er in diesen platten Trivialitäten zu Tage tritt.

19 Der 7. Titel - nicht Teil - des 1. Buchs des HGB über die Handelsmäkler oder Sensalen umfaßt die Artikel 6 6 - 8 4 . Zur Aufhebung der nichtprivatrechtlichen Vorschriften vgl. unten, S. 406, Fußnote 98. Die hier und im folgenden genannten Artikel des HGB vgl. unten, S. 9 6 6 - 9 7 0 und 973. 20 In den Vorschlägen heißt es „ist auch auf". 21 Max Weber zitiert hier Abschnitt I Nr. 6 Abs. 2 der Vorschläge.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

A 509 Zustände erfahren97). Die erheblichsten Änderungen beständen darin, daß die vereidigten Makler („Kursmakler") auf Zeit, statt, wie jetzt, dauernd, angestellt werden98), daß ihnen, dem faktisch 97) Daher haben denn auch die Ältesten der Kaufmannschaft in ihrer an den Reichskanzler gerichteten Denkschrift vom 12. November 1894 (Beilage zur Korrespondenz der Ältesten der Kaufmannschaft zu Berlin 17. Jahrgang Nr. 10 vom 23. November 1894)22 sich zu den Vorschlägen über Makler- und Notizenwesen im Ganzen relativ freundlich gestellt. Was die Kursnotirung anlangt, so wird zugestimmt der theoretischen Definition des Börsenpreises - lit. a Abs. 223 - unter dem Hinweis, daß die Kommission den Berliner Einheitskurs in Effekten als dieser Definition entsprechend anerkenne, im Übrigen die technischen Formen der Kursnotirung den Börsen überlasse, nur unter Hinzufügen der Bemerkung, daß auch die Notirung von Brief- und Geldkursen dem Verkehrsinteresse entspreche. Abgelehnt wird die Eintheilung der Börsenzeit in kleine Abschnitte (Nr. 3) mit Sondernotirungen für den Terminhandel als „unpraktisch", da die Schwankungen sich innerhalb minutenlanger Zeiträume vollziehen. Die Forderung der „Einheitlichkeit" der rechnerischen Unterlagen der Notirungen (Nr. 4) wird für „bedenklich" erachtet, da das Publikum an die hergebrachten Notirungen gewöhnt sei - was konsequent dazu führen müßte, auch die oft genug erfolgende autonome Änderung zu verbieten. Von der Notirung der gehandelten Quantitäten (Nr. 2) fürchtet das Kollegium eine tägliche Arbeit von „Stunden", der kein Ehrenbeamter, wie es der Kommissar sei, A 509 gewachsen | wäre, abgesehen von der Verzögerung der Publikation. Dieser Einwand erscheint, eine leidliche Arbeitstheilung in den einzelnen Branchen vorausgesetzt, als ein doch wohl kaum ernst zu nehmender. Zugestimmt wurde der Ausdehung des Art. 249 d Abs. 2 über die Aktienkurse hinaus auf alle Kurse, die Aufzählung einzelner Fälle der „arglistigen Beeinflussung" von Kursen für inopportun erachtet (S. 5) und eine Äußerung über die Liquidationskassen unterlassen. - Die ganze Art der Erörterung hebt sich vortheilhaft von der doch recht oberflächlichen Behandlung in dem zitirten Hamburger Bericht 24 ab. 98 ' Die Bestimmung, daß die „nicht privatrechtlichen" Vorschriften des siebenten Titels des ersten Buches des Handelsgesetzbuches aufgehoben seien, betrifft, wenn man daselbst statt „Handelsmakler" überall „Kursmakler" setzt, da Art. 77-79 schon beseitigt sind, 25 Art. 84 nur ein Blankett 26 für die Landesgesetzgebung enthält und die Art. 66-68 auch heute zutreffen, nur die Vorschrift des Art. 70 (Schiffsmakler betreffend); alle anderen Vorschriften enthalten Privatrechtssätze oder sind in die Vorschläge, betreffend die Kursmakler, theils unverändert, theils modifizirt übernommen. - Die „Aufhebung" hat also fast nur formale Bedeutung.

2 2 Max Weber nimmt hier Bezug auf das Gutachten der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin zu den Beschlüssen der Börsen-Enquete-Kommission vom 12. November 1894, in: Correspondenz der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin, 17.Jg., Nr. 10 vom 23. Nov. 1894, Beilage, S. 40, 43, 5 und 10. 2 3 Gemeint ist hier Börsenenquetekommission, Vorschläge IV 1a Abs. 2; vgl. oben, S. 404, Fußnote 95. 2 4 Oben, S. 405, Fußnote 96. 2 5 Die Artikel 77 und 78 sowie Art. 79 Abs. 2 HGB waren mit dem Erlaß der Civilprozeßordnung 1877 aufgehoben worden. 2 6 Hier im Sinne von Blankovollmacht. Art. 84 HGB räumt den Landesregierungen das Recht ein, die Bestimmungen über die Handelsmäkler zu erweitern, zu ergänzen oder einzuschränken.

II. Maklerwesen

und

Kursnotirung

407

schon bestehenden Zustand entsprechend, eigene Geschäfte zum Zweck der Ausführung der Aufträge jetzt auch de lege gestattet werden, und in dem indirekten Vermittlungs- und Publizitätszwang, welcher dadurch geschaffen werden soll, daß nicht von den Kurs5 maklern vermittelte Geschäfte auf die Notirung nur dann Einfluß haben und von den Börseneinrichtungen nur dann sollen Gebrauch machen dürfen, wenn sie in ein Börsenbuch eingetragen wurden0 \ Die letztgedachte Bestimmung ist mit allen denjenigen Kurs- A510 10 notirungen, welche mehr sein wollen als eine Photographie der konkreten Geschäftsabschlüsse, sei es direkt oder in Gestalt einer rein rechnerischen mechanischen Durchschnittsrechnung, kaum Der Änderung der Stellung der amtlichen Handelsmakler in Kursmakler gemäß diesen Vorschlägen stimmt der Bericht der Berliner Ältesten zu, der Gestattung der eigenen Geschäfte in dem angegebenen Umfang mit folgender Bemerkung: 27 „Als selbstverständlich wird dabei vorausgesetzt, daß durch den Abschluß für eigene Rechnung des Maklers die Erledigung der ihm vorliegenden Aufträge nicht gehindert werden darf. Hat also der Kursmakler einen Kaufauftrag 0 für einen bestimmten Betrag „bestens" und einen Verkaufsauftrag für denselben Betrag mit 100 Prozent, so | darf er nicht selbst als A 510 Verkäufer für eigene Rechnung zu 99'/ 2 Prozent auftreten und dadurch die Erledigung des Verkaufsauftrages zu 100 Prozent verhindern." Daß der Makler durch ein derartiges Verfahren die Pflichten gegen seinen Verkaufskommittenten verletzen würde, ist klar; außerdem aber verstieße er gegen die Amtspflicht, welche ihm auferlegt werden soll, indem er ohne Noth Eigengeschäfte machte. Das Börsenbuch wird abgelehnt. Einmal aus dem Grunde, daß die Buchung aller im freien Markt abgeschlossenen Geschäfte unausführbar sei, weil „die ganze Börsenzeit, ja der ganze Tag" zur Vornahme der Eintragungen nicht ausreichen würde - ein Resultat, welches, wenn man die möglichste ungeschickte Erledigung einer derartigen Aufgabe unterstellt, vielleicht erzielt werden könnte, bei einigem guten Willen aber, auch wenn man nicht einen Morse-Apparat wie die New Yorker Börse in Benutzung nimmt, nicht ernstlich in Frage kommen dürfte. - Daß, was außerdem eingewendet wird, Geschäfte der Buchung entzogen werden können in der Absicht, sie nicht auf den Kurs wirken zu lassen, ist richtig, kommt aber jetzt auch und naturgemäß in größerem Umfang vor, als wenn die Folge der Ausschluß von den Börseneinrichtungen ist, und ist vollends irrelevant, wenn, wie gesagt wird, die Öffentlichkeit des Börsenverkehrs ohnehin für Bekanntwerden der Abschlüsse sorgt, was doch nach Einführung des Buches nicht weniger als jetzt der Fall sein wird, wohl aber alsdann eine zuverlässigere Nachprüfung als das bloße Hörensagen gestattet. - Dagegen ist der Einwand, daß diese den quotation books ähnliche Einrichtung mit dem Verlangen, daß der Börsenpreis die Darstellung der gesammten Marktlage sein solle, prinzipiell nicht harmoniere, nicht ganz unbegründet (s. den Text). 28 | C A: worden

d A: Kaufsauftrag

2 7 Max Weber zitiert und referiert im folgenden aus dem oben, S. 406, Fußnote 97, genannten Gutachten der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin, S. 42. 2 8 Unten, S.407f.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

vereinbar. Wenn nur die nicht gebuchten Geschäfte im freien Markt nicht berücksichtigt werden sollen, so folgt, daß die gebuchten berücksichtigt werden müssen. Wie soll dies z. B. bei dem Einheits-Kassakurs an der Berliner Effektenbörse geschehen? Derselbe beruht darauf, daß nur die Abschlüsse der vereidigten Makler 5 A 511 bei der Notirung berücksichtigt | werden, und dies wieder hat dazu geführt, daß auch faktisch die überwältigende Mehrzahl der Effekten-Kassageschäfte sich den vereidigten Maklern zuwendet. Dies und damit die ganze Funktion des Einheitskurses wird alterirt, wenn daneben noch andere Notirungen als „amtliche" zugelassen 10 werden. Auch zu der Feststellung der Kurse im call paßt jener Vorschlag nicht, denn auch hier ist die simultane Preisbildung unter Kontrolle und Mitwirkung der Markt-Öffentlichkeit das Charakteristische und die Korrektur der Notirung an der Hand von Einzelgeschäften wesenswidrig. Er stimmt aber überhaupt nicht beson- 15 ders gut zu irgend einer Art der Kursnotirung, welche eine Wiedergabe der Marktlage erstrebt, es müßte denn sein, daß man die gebuchten Geschäfte nur als Informationsmaterial für den notirenden Kommissar behandeln will, ohne ihn daran zu binden und ihn an der Benutzung auch der nicht notirten Geschäfte zu hindern. 20 Legt man eine Notirung, wie sie der Vorschlag der Kommission (zu a Abs. 2) 29 erfordert, in die Hände von Börseninstanzen, statt irgend ein formales Verfahren - Auktion oder Einheitskurs-Feststellung - vorzuschreiben, so kann man sie nicht an bestimmte Abschlüsse binden, sondern nur an ihre Mar/tfkenntniß appelliren und 25 im Übrigen der Öffentlichkeit die Kontrolle überlassen. Das System bei der Notirung bevorzugter Einzelgeschäfte, wie es die Kommission daneben stellt, paßt nur zu dem System der quotation books. Im Ganzen hat mithin die Kommission die Art der Notiz so gut 30 wie unerledigt gelassen, schon aus dem Grunde, weil sie Effektenund Produktenhandel, Termin- und Kassa- bzw. Lokonotirung nicht geschieden hat. Was die Makler und ihre Stellung anlangt, so wird die Anstellung auf Zeit die Gefahr einer größeren Abhängigkeit von denjenigen 35 Firmen, welche in den Börsenbehörden vertreten sind, mit sich 29 Gemeint ist Börsenenquetekommission, Fußnote 95.

Vorschläge

IV 1a Abs. 2; vgl. oben, S.404,

II. Maklerwesen

und

Kursnotirung

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bringen können. Schon jetzt wird mehrfach geklagt, daß bei den Liquidationskassen die Selbständigkeit der Makler gegenüber den Aufsichtsrathsmitgliedern beeinträchtigt sei. Das Gleiche behauptete ein Berliner vereidigter Makler in einem | Zeitungsartikel so- A512 5 gar für die Berliner Effektenmakler100). Der Vorschlag dieses Artikels verlangt Bildung eines Maklersyndikats, welches einen Theil der Courtage einkassiren und für die Verpflichtungen der Makler haften sollte - ähnlich dem Gedanken von Lexis30 - , daneben aber behufs Fernhaltung ungeeigneter Elemente Einschußpflicht bei je10 dem Geschäft. Man sieht, wie die Fäden immer wieder auf den zentralen Punkt - die Organisation der Börse - zurückführen. Daß die Abhängigkeit auch von den vereidigten Maklern selbst als unerwünscht empfunden wird, ist trotz der Desavouirung jenes Vorschlags mit Sicherheit anzunehmen. Der Gedanke, die Makler etwa 15 als eine Korporation für sich zu organisiren, der auch Einfluß auf die Anstellung gewährt werden könnte, hätte aber in der That nur 10 °) Herr Oskar Meyer im e „Berliner Börsen-Courier" e vom 14. Dezember 1894 - dem A 512 freilich dieser immerhin beachtenswerthe Artikel, welcher fälschlich als Äußerung der Berliner Maklervereinigung bezeichnet war, einen Ostrazismus31 der Börse in äußerst drastischen Formen zuzog. 32 - Die Disziplinarbefugniß der Kommissarien, die theilweise überdies Chefs der konkurrirenden Maklerbanken seien, verbunden mit der Befugniß zu willkürlicher Versetzung in andere Maklergruppen, mache die Makler willenlos den Zumuthungen in Bezug auf die Kursnotirungen gegenüber, und es sei zu befürchten, daß sich dies bei Anstellungen auf Zeit noch steigern werde. |

e A: Berliner „Börsen-Courier" 30 Den Vorschlag von Wilhelm Lexis vgl. oben, S. 349f. mit Anm. 12. 31 Ostrazismus (griech.: Ostrakismos, Scherbengericht) bezeichnet im antiken Griechenland bis 417 v. Chr. eine Volksabstimmung, bei der über die zeitweilige Verbannung von Männern entschieden wurde, die im Verdacht standen, die politische Ordnung auf gefährliche Weise zu stören. Das Verfahren wurde nach den zur Abstimmung verwendeten beschreibbaren Tontäfelchen benannt. 32 Der zunächst als Äußerung der Vereinigung der vereidigten Fonds- und Effektenmakler der Berliner Börse bezeichnete Artikel „Zur Börsenreform", in: Berliner Börsen-Courier, Nr.585 vom 14.Dez. 1894, Ab.BI., S. 1—2, löste heftige Erregungen und Tumulte an der Börse aus. Der Vorstand der Vereinigung der vereidigten Makler distanzierte sich von dem Inhalt des Artikels in Zuschriften an den Berliner Börsen-Courier. BBC, Nr. 587 vom 15. Dez. 1894, Ab.BI., S. 2. Am 17. Dezember 1894 veröffentlichte die Zeitung den Namen des Verfassers mit dem Kommentar: „Wunderlicher Weise richtete sich nicht blos gerechte Entrüstung gegen den Urheber der Eingabe, sondern auch blinder Zorn gegen unser Blatt." BBC, Nr. 589 vom 17. Dez. 1894, Ab.BI., S.2. Die Ältesten der Kaufmannschaft drohten schließlich den Unruhestiftern an der Börse mit der Ausschließung vom Börsenbesuch. BBC, Nr. 591 vom 18. Dez. 1894, S. 3 - 4 .

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

Sinn, wenn damit eine solidarisch haftende Kasse verbunden wird, also im Wesentlichen die Pariser Einrichtungen acceptirt werden. Erst dann ist auch die vorgeschlagene Zulassung eigener Geschäfte zur Ausführung erhaltener Aufträge wirklich gänzlich unbedenklich und wird es wenigstens in Effekten möglich sein, daß auch für Termingeschäfte eine amtliche Maklerinstanz geschaffen wird, die faktisch den Verkehr überwiegend in ihrer Hand hat. - Gegen die Beschränkung der eigenen Geschäfte in der von der Kommission vorgeschlagenen Art werden sich die vereidigten Makler auch jetzt nicht sträuben. Ist so das Ergebniß der Enqueteberathungen in Bezug auf die hier besprochene Materie nicht von besonderer Erheblichkeit, so A 513 bleibt um so mehr zu bedauern, daß die Kommission, entgegen einer von Wiener, wie bemerkt, 33 gegebenen Anregung, es unterlassen hat, die privatrechtliche Stellung der freien Makler zum Gegenstande einer Erörterung zu machen. Angesichts des Umstandes, daß diese Kategorie von Maklern an Bedeutung zunimmt und auch bei Verwirklichung der Vorschläge der Kommission zunehmen wird, ist die Regelung dieser Seite der Sache von allen Reformaufgaben auf diesem Gebiet wohl die dringlichste101). Die vorstehenden Darstellungen dürften ergeben haben, daß der „übernehmende Makler" von heute, sei es, daß er unter Vorbehalt der Aufgabe übernimmt, sei es, daß der Gegenkontrahent anonym bleibt, ein Typus von Funktionären des Handels ist, welcher durchaus selbständig zu analysiren und legislatorisch zu behandeln ist. Er ist nicht allein börsentechnisch, sondern auch rechtlich - auch dann nach Lage der heutigen Gesetzgebung kein Kommissionär, wenn er nur auf seinen Namen ausführt: kein Rechtssatz über die Kommission ist ohne Weiteres auf ihn anwendbar. Andererseits ist der „sich selbst aufgebende" Makler ebensowenig einfacher Kontrahent, wie

A513

101) Die beste Übersicht über das, was als Rechtslage des Privatmaklers angesehen wird, gibt Staub in seinem vorzüglichen Kommentar zum Handelsgesetzbuch, Zusatz zum ersten Buch (1. Aufl. S. 107 f.). 34 Wie die kurzen Bemerkungen, auf die ich mich hier beschränken muß, zeigen, kann ich ihm in den Grundfragen nicht überall zustimmen. |

33 Oben, S.402. 34 Der erste Zusatz („von d e n Privathandelsmaklern") z u m ersten Buch des HGB findet sich In: Staub, Kommentar zum HGB, S. 1 0 6 - 1 1 2 .

II. Maklerwesen und Kursnotirung

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der selbsteintretende Kommissionär es ist. Er ist aber auch kein einfacher Mandatar, denn er würde durchweg in Bezug auf alle durch ihn zu Stande gebrachten Schlüsse Mandatar mehrerer im Interessenkonflikt befindlicher Parteien sein. Endlich lassen sich die privatrechtlichen Bestimmungen des Handelsgesetzbuches über Makler nicht als eine Regelung seiner Rechtslage ansehen oder auf ihn „übertragen", weil diese Bestimmungen, von irrigen Voraussetzungen über die Art des Makeleibetriebes und einer nicht mehr zutreffenden Auffassung des Begriffes des „Vermittelns" ausgehend, nicht einmal die Rechtsverhältnisse der heutigen vereidigten Makler erschöpfend regeln. Richtig ist nur, daß in privatrechtlicher Beziehung das Moment der Vereidigung, | wenn die A514 Merkmale der geschäftlichen Gebahrung sonst gleichartige sind, keinen Unterschied begründen kann: die Rechtswirkungen des Vorbehaltes der Aufgabe z. B. müssen bei beiden Kategorien die gleichen sein. Der Makler im Börsenverkehr ist eine Erscheinung, für welche die maßgebenden Rechtsregeln keineswegs erschöpfend aus den für Vermittler und Agenten irgend welcher Art außerhalb der Börse geltenden Rechtssätzen zu entnehmen sind. Wir befinden uns hier bei einem der Punkte, an denen die Entwicklung auch eines speziellen Privatrechtes der Börse eingesetzt hat und Anerkennung und Formulirung durch die Gesetzgebung fordert. Wie das Privat-Handelsrecht aus dem gemeinen Zivilrecht, so will sich das Privat-Börsenrecht als Sonderkomplex von Rechtssätzen aus dem gemeinen Handelsrecht aussondern. |

III.3 Das Kommissionsgeschäft1).

A 29

1. Das Effekten-Kommissionsgeschäft2). Der Kommissionär im börsentechnischen Sinne ist den Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs über das Kommissionsgeschäft | A 29

11

Folgende Nummern des Fragebogens gehören hierher: Frage 19: Welche Mißstände sind bei der Vermittlung (Kommissionsgeschäft u.s.w.) zwischen der Börse und den außerhalb derselben stehenden Kreisen für deren Spekulationen in Papieren und Waaren hervorgetreten, und welche Maßregeln als Abhilfe sind gegenüber denselben zu empfehlen? Dazu Zusatz (beschlossen am 26. Januar 1893):1 Sind insbesondere durch Kündigungen, welche auf das sogenannte „Aus-dem-Engagement-werfen" gerichtet sind, Mißstände zu Tage getreten? Frage 20: Ist insbesondere die Beschaffung 2 inländischer solider Papiere dadurch zu erleichtern, daß öffentliche Kassen zur Beschaffung derselben Aufträge entgegenzunehmen haben? Frage 21: Sind die Voraussetzungen, unter welchen der Kommissionär als SelbstkontraA 30 hent eintreten darf (HGB. | Art. 376)[,]3 wirksam genug, um einen Mißbrauch dieses Rechtes, namentlich eine Spekulation auf Kosten des Kommittenten, zu verhüten? Oder haben sich vielmehr Übelstände aus dem Selbsteintrittsrecht ergeben, so daß es zweckmäßig ist, dasselbe noch mehr einzuschränken oder ganz aufzuheben, und zwar für das Termingeschäft oder allgemein; ungeachtet der bisherigen Verbindung von Eigenund Kommissionshandel in Deutschland? Dazu Zusatz (beschlossen wie oben): Empfehlen sich Bestimmungen, welche bei der Anzeige von der Auftragsausführung es deutlicher zu Tage treten lassen, ob der Auftragnehmer als Kommissionär oder Proprehändler gelten will? Ist eine generelle 4 Vereinbarung, stets Selbstkontrahent zu sein, für unzulässig zu erklären? Empfiehlt sich die Beibehaltung des Rechts auf Provision auch bei Eintritt als Selbstkontrahent? Frage 22: Ist das gesetzliche Pfandrecht des Kommissionärs (Art. 374,375 HGB.) einzuschränken oder ganz aufzuheben? 2) S[iehe] jetzt die einfache und sachliche Darlegung bei Endemann (seiner Zeit Protokollführer der Kommission), Das moderne Börsen-Kommissionsgeschäft im Effekten-

a In A geht voraus: II. Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete. Von Herrn Professor Dr. Max Weber in Freiburg i. Br. (Fortsetzung.)

1 Zu den Zusätzen zum Fragebogen vgl. die Ausführungen, oben, S. 198, Anm. 17. 2 Im Fragebogen heißt es „Anschaffung". Unter den nachfolgend genannten „öffentlichen Kassen" sind die Reichsbank und ihre Filialen, die Sparkassen, Postanstalten und Steuerkassen zu verstehen. Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 10. 3 Die im folgenden genannten Artikel des HGB sind unten, S. 9 7 1 - 9 7 3 , abgedruckt. 4 In der Vorlage ist das Wort „generelle" gesperrt gedruckt.

III. Das

Kommissionsgeschäft

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in fast allen Hauptpunkten entwachsen3). Gerade die wichtigsten A 30 Seiten seiner Rechtsstellung regelt er entweder autonom in | „Ge- A31 schäftsbedingungen", welche dem Kunden oktroyirt werden, oder sie sind einer Regelung durch stillschweigende Duldung gewisser 5 Gebräuche - und, theilweise, Mißbräuche - durch den naturgemäß schwächeren Theil, den Kommittenten, verfallen, welche vermöge der eigenthümlichen Verschiebung auch sonst einfacher Rechtsbegriffe ein zuweilen pathologisches Interesse erweckt. Börsentechnisch angesehen, ist der Kommissionär diejenige In10 stanz, welche die Theilnahme der außerhalb der Börsenhändlerschaft stehenden Interessenten am Markt vermittelt. Es geht schon aus der Darstellung des Maklerwesens hervor,5 daß er nicht überall eine wirklich selbständige Instanz bildet. Er wird häufig übersprungen da, wo der Zutritt zur Börse völlig frei ist und also das Publi15 kum direkt am Markt erscheinen und, soweit es Kredit genießt, kontrahiren oder doch die Makler unmittelbar angehen kann. So in Paris, wo die agents de change durch ihre remisiers auch auswärts

verkehr, Bonn 1895. Die Abhandlung von Eschenbach in dieser Zeitschrift Bd. 416 hat als Anregung einzelner Fragen trotz ihrer mangelhaften Form ein gewisses Verdienst, nur gehen so elementare juristische Schnitzer, wie z. B. die Annahme, daß derjenige, dem ein Wechsel mit gefälschtem Accept präsentirt werde, die Unechtheit seines Accepts beweisen müsse (S. 66 das.), über das Maß des Verzeihlichen hinaus. 3 ' Sachverständiger Arnhold (S. 349)7 konstatirte mit Recht, daß eine ganze Anzahl von Bestimmungen des Handelsgesetzbuches theilweise für die Börsenkommission erledigt seien. So Art. 367 betreffend Haftung für Verlust und Beschädigung: die volle Haftung gelte stets unbedingt als stillschweigende Voraussetzung, - Art. 368 betreffend Forderungen gegen den Drittkontrahenten sei nie geltend gemacht worden, - Art. 369 betreffend Haftung bei Kreditirung: der kreditirende Kommissionär gelte stets und unbedingt als selbsthaftend, - Art. 370 Abs. 3: die del-credere-Provision existire nicht, Art. 3708 betreffend Verpflichtung, im Fall des Indossirens eines Wechsels Vollindossament zu geben: das Giro des | Kommissionärs erfolge stets, - Art. 376 Abs. 3: der Kommis- A 31 sionär nenne niemals einen Drittkontrahenten. - Dieser letztere Umstand ist eben derjenige, welcher alle übrigen vorstehend aufgeführten Folgen nach sich zieht. |

5 Oben, S. 288-290. 6 Gemeint ist: Eschenbach, Kommissionsgeschäft; der im folgenden angesprochene Fehler findet sich ebd., S. 66f. Dieser Fehler ist in der von Max Weber zuvor zitierten Arbeit von Endemann, Kommissionsgeschäft, S. 18, auch genannt. 7 Dieser und alle folgenden Seltenverweise in den Fußnoten Max Webers bis einschließlich S. 447, Fußnote 54, beziehen sich auf: Börsenenquetekommission, Sten.Ber. Hier gibt Max Weber die Aussagen von Max Arnhold, ebd., S. 347f., wieder. 8 Die gemeinte Vorschrift findet sich in Art. 373 HGB.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

Aufträge einsammeln, ebenso in Hamburg, wo die Makler in bedeutendem Umfange Aufträge auch von kreditsicheren Privaten entgegen nehmen. Allein es liegt offenbar in der Natur der Sache, daß diesem unmittelbaren Zutritt, auch wo er formell frei ist, enge Schranken gezogen sind. Dem Außenstehenden fehlt im Allgemei- 5 nen einerseits die „Marktkenntniß", auch andererseits kennt die Börse ihn, d. h. seine Kreditwürdigkeit, nicht, er muß sich deshalb in die Klientel eines mit beiden Qualitäten der Börse gegenüber ausgestatteten Vermittlers (im ökonomischen Sinne) begeben: nicht die rechtliche Geschlossenheit, sondern die faktisch privile- 10 girte Stellung des berufsmäßigen Händlerstandes ist das Entscheidende. Findet sich so das Kommissionsgeschäft als besonderer Typus auch da, wo eine rechtliche Nöthigung seines Dazwischentretens nicht besteht, so ist andererseits die rechtliche Ausprägung jener 15 Monopolstellung durch Abschluß des Börsenhändlerstandes, wie | A 32 insbesondere die Londoner Stock Exchange sie kennt, geeignet, die - freilich mit der hohen Entwicklung der kapitalistischen Kultur ohnehin gegebene - Tendenz zur Arbeitstheilung zwischen Eigenhandel und Kommissionshandel entschieden zu fördern. Sie er- 20 möglicht es, den Stand der Kommissionäre - dort: „brokers" - einheitlich zu reglementiren und für seine Geschäftsgebahrung einen einheitlichen zünftigen Typus auszuprägen, dessen Innehaltung disziplinarisch erzwungen werden kann. Den charakteristischen Ausdruck findet diese Verfassung in dem schon erwähnten Umstand, 25 daß die usancemäßigen Provisionssätze der Stock Exchange Minimalsätze sind - wie die alten Advocates- und Physicians-Gebühren in den betreffenden Innungen.9 - Es ist dem gegenüber, wie bekannt, die Eigenart, man möchte fast sagen: das Verhängniß, des deutschen - speziell auch des Berliner - Kommissionsgeschäftes, 30 daß es mit dem Proprehandel eng verknüpft, oder vielmehr „verquickt" ist. Die großen Emissionshäuser ebenso wie die kleinen Gründungsbanken sind nebenher Börsenkommissionäre. Die kleinen Häuser treiben das Kommissionsgeschäft zum Theil zu dem Behufe, um dadurch in bald zu erörternder Weise10 sich Betriebs- 35

9 Diesen Umstand erwähnt Max Weber bereits oben, S. 224 und S. 294. 10 Unten, S. 428-430.

III. Das

Kommissionsgeschäft

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kapital für ihre eigenen Spekulationen zu schaffen, im Übrigen stützen sie ihre Betheiligung an Gründungen durch ihre Klientel von Kommittenten. Auch hier wird sich - wie schon jetzt bemerkt sei - zeigen, daß ein bedeutender Theil der Mißbräuche, welche von der Kommission erörtert wurden, gerade auf den relativen Mangel an eigener Kapitalkraft zurückzuführen ist. Das Rechtsverhältniß des Kommissionärs ist schon in seiner gewöhnlichen Gestalt nicht ganz einfach zu konstruiren und auch im Handelsgesetzbuch nicht konsequent ausgestaltet, und das spielt auch in die besonderen Probleme des Börsen-Kommissionsgeschäfts hinein. Nachdem Art. 360 den Abschluß von „Handelsgeschäften" ganz allgemein als möglichen Gegenstand eines Kommissionsauftrages hingestellt hat, ist, trotz der formell theilweise allgemeineren Fassung, thatsächlich im Weiteren nur noch von Einkaufs- und Verkaufskommissionen die Rede. Erklärt sich dies | nun auch, von A33 Anderem abgesehen, aus dem Ursprung der Kommission in der Commenda,11 so ist darnach doch keineswegs ganz zweifelsfrei, was man unter „Handelsgeschäfte abschließen" verstehen soll. Wirklich unzweifelhaft ist die Anwendbarkeit des Begriffs auch nach allen historischen Antezedenzien meines Erachtens nur bei aktiv oder passiv obligirenden Rechtsakten, und wenn man in Übereinstimmung mit der Praxis Solutionsgeschäfte im Allgemeinen nicht wird ausschließen dürfen, so ist doch fraglich, ob z. B. die Erledigung von Inkasso-Mandaten, bei denen der Beauftragte durch Legitimationspapier zur Einforderung in den Stand gesetzt ist, unter den Begriff des „Abschließens" falle. Jedenfalls entspricht dies, wie vor der Kommission hervortrat, keineswegs überall dem Rechtsbewußtsein der Geschäftswelt4). 4) D e r Fall betrifft die bekannte Frage des Pfandrechts eines hauptstädtischen Kom- A 33 missionärs, welchem Talons des Kunden eines nachher in Konkurs gerathenen Provinzialkommissionärs von letzterem zur Erhebung von Kupons eingesandt worden waren, ohne daß dabei das Dritteigenthum erkennbar gemacht war. S[iehe] darüber die Aussage Russell's S. 613,615 f. 12 |

11 Die These, das moderne Kommissionsgeschäft habe sich aus der Commenda entwlkkelt, wurde u.a. von Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts, Band 1, S. 259, 262 und 331, vertreten. 1 2 Die Äußerungen von Emil Russell zum Umgang der Banken mit dem gesetzlichen Pfandrecht des Kommissionärs (Art. 374 HGB) finden sich in: Börsenenquetekommission,

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

Ernstere Schwierigkeiten macht ferner die Konstruktion der dinglichen Rechtsverhältnisse von Kommissionsgut. Hier führt der Versuch der Konstruktion unter Zuhilfenahme nur des civilrechtlichen Eigenthums- und Besitzbegriffes zu den unerfreulichsten Ergebnissen. Zunächst zu der Frage, wie es sich konstruktiv erkläre, daß der Verkaufskommissionär, der doch zweifellos Eigenthum an dem Kommissionsgut nicht hat und nicht im Namen des Eigent ü m e r s disponirt, trotzdem Eigenthum überträgt? Die korrelate Schwierigkeit entsteht bei dem „Pfandrecht", welches der Einkaufskommissionär am Kommissionsgut, also an eigener Sache, hat. Wie hier die Zuertheilung des „Pfandrechts" nur eine Umschreibung der wahren Rechtslage ist, d. h. bedeutet, daß der Kommissionär sich wie ein Pfandinhaber und nur wie ein solcher verhalten darf, obwohl er „Eigenthümer" ist, ihm also nur ein gemäß dem A 34 Kommissionsverhältniß eingeschränkteres eigenartiges Dispositionsrecht zustehtb, so ist ihm dort, obwohl er nicht Eigenthümer ist, eine dingliche Verfügungsgewalt in Gemäßheit des Kommissionsauftrages beigelegt. Beides aber sind Ausflüsse des TreuhänderVerhältnisses, in dem der Kommissionär sich befindet, von hier aus, als „Haben zu treuer Hand", ist das Rechtsverhältniß zu konstruiren5). Das Handelsgesetzbuch hat diese Konstruktion nicht konsequent durchgeführt. Der Bestimmung des Art. 368 für ForderunA 34

5) D e r Versuch, d e n E i g e n t h u m s ü b e r g a n g a m V e r k a u f s - K o m m i s s i o n s g u t durch Art. 306 z u erklären, m u t h e t d i e s e m A r t i k e l e t w a s zu, w a s er nicht l e i s t e n will. Ü b e r d i e s aber w ü r d e er d e n B e g r i f f d e r „ R e d l i c h k e i t " im Sinne des Art. 306 zur V o r a u s s e t z u n g d e s E i g e n t h u m s e r w e r b e s m a c h e n , - d a s ist aber nicht z u l ä s s i g . 1 3 D i e S c h r a n k e d e r L e g i t i m a tion d e s K o m m i s s i o n ä r s ist v i e l m e h r e n t s p r e c h e n d z u z i e h e n , w i e b e i d e r L e g i t i m a t i o n d e s o f f e n e n Sozius; nur Kollusion d e s D r i t t e n mit d e m K o m m i s s i o n ä r z u m N a c h t h e i l d e s

b A: z u g e s t e h t Sten.Ber., S. 6 1 2 - 6 1 4 . Russell berichtete, die Banken vereinbaren mit ihren K u n d e n generell, „daß nicht allein d a s gesetzliche Pfandrecht des Kommissionärs b e s t e h e n soll, sondern daß für alle Effekten", die eine Bank in Verwahrung hat, „ein vertragsmäßiges Pfandrecht a u s b e d u n g e n wird." Das sei „eine absolute, gebieterische Nothwendigkeit", weil die Schnelligkeit d e s Verkehrs es erfordere, daß der „Zentralbankier" jeder Zeit über den Kredit d e s Provinzbankiers B e s c h e i d wisse. Es sei unmöglich, bei jeder Ordre eines Provinzbankiers zunächst die Depots seiner K u n d e n abzusondern, um erst d a n n seine Kreditfähigkeit zu prüfen. Bei einem solchen zeitraubenden Verfahren w ü r d e jeder Provinzbankier die G e s c h ä f t s b e z i e h u n g e n a b b r e c h e n . 1 3 Hier setzt sich Max Weber vermutlich mit der Argumentation von Goldschmidt, Börsen und Banken, S. 883, auseinander. G o l d s c h m i d t vertritt die Ansicht, daß der Eigentumsü b e r g a n g bei der Verkaufskommission durch Art. 306 HGB geregelt wird.

III. Das

Kommissionsgeschäft

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gen, welche ihr entspricht, ist eine entsprechende für dingliche Rechte nicht zur Seite gestellt6), das Einkaufs-Kommissionsgut überhaupt keinen Sonderregeln unterstellt. Die Folge dessen und des Versuchs, den Treuhänder-Gewahrsam des Kommissionärs in 5 romanistische Eigenthums- und Pfandrechte zu zerlegen, ist dann die beklagenswerthe Dunkelheit über die Rechtslage des Einkaufs-Kommissionsgutes gewesen. Von der Annahme ausgehend, als ob die Treupflicht, welche dem Kommissionär die Disposition über das Kommissionsgut im eigenen Interesse verbietet, ihren 10 Rechtsgrund in dem Eigenthum des Kommittenten habe und nur darin haben könne, hat man den deus ex machina des Besitzkonstituts in Bewegung gesetzt, um dadurch den Eigenthumsübergang thunlichst zu erfrühen.14 Kommittenten oder im erkennbaren Widerspruche mit dessen Willen schließt sie aus. 15 Die historisch gemeinsame Quelle beider zeigt sich auch hier. 16 6) Im Mittelalter hatte nur der unbezahlte Drittverkäufer den Zugriff auf das Commenda-Gut, nicht ein beliebiger anderer Gläubiger des Kommendatars vor dem Kommendanten. 1 7 |

14 Die Streitfrage, ob der Kommittent bei der Einkaufskommission sofort Besitz und Eigentum an den vom Kommissionär für seine Rechnung eingekauften Waren erhält, oder ob dieselben Eigentum des Kommissionärs sind, weil er im eigenen Namen kauft, ist im HGB nicht geregelt. Zur Anwendung kam daher das territoriale, in Preußen das Allgemeine Landrecht. Die herrschende Ansicht in Deutschland und die Praxis der Gerichte nahmen das letztere an. Der Kommissionär erwirbt, weil er im eigenen Namen kauft, auch Eigentum am Kommissionsgut. Der Kommittent erwirbt in der Regel nur einen persönlichen Anspruch an den Kommissionär auf Lieferung der Ware gegen Zahlung der Provision und Erstattung der Auslagen. Dies war vor allem für den kommissionsweisen Ankauf von Wertpapieren bei den Schwankungen des Kurswertes von großer Bedeutung. Nur wenn der Kommissionär, Indem er die Sachen Individualisiert, zum Verwahrer wird, gehen Besitz und Eigentum an den Kommittenten über, da hier die Besitzübertragung durch constitutum possessorium erfolgt Ist. Entscheidungen des Reichs-Oberhandelsgerichts, Band 19, 1876, S. 77-83; Entscheidungen des Reichsgerichts In Clvilsachen, Band 11, 1884, S. 52-61. 15 Die Teilhaber einer offenen Handelsgesellschaft haften mit dem von Ihnen In die Gesellschaft eingebrachten Kapital (Einlage) nur für die Schulden, die im Namen der Gesellschaft gemacht werden. Dagegen übernimmt die Gesellschaft bei Forderungen eines Privatgläubigers an den Sozius keine Haftung. 16 Die historisch gemeinsame Quelle von Kommissionsgeschäft und offener Handelsgesellschaft sieht Max Weber In der Commenda. Weber, Handelsgesellschaften, S. 161-163 (MWG 1/1). 17 Als „Drittverkäufer" wird diejenige Person bezeichnet, von der der Kommendatar Waren auf Rechnung des Kommendanten erwirbt. Mit den Vermögensrechten der Commenda hatte Max Weber sich bereits In seiner Dissertation auseinandergesetzt. Weber, Handelsgesellschaften, S. 3 1 - 3 6 (MWG 1/1).

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

Diese in sich nicht abgeklärte Rechtsform erfährt im BörsenverA 35 kehr auf Grund der Bestimmungen des Art. 376 und mittelst | autonomer Geschäftsbedingungen, welche dem Kommittenten oktroyirt werden, weitere Trübungen. Zunächst: der Gegenkontrahent, mit welchem der Kommissio- s när das Ausrichtungsgeschäft schließt, bleibt regelmäßig anonym. Während in New York die dortigen brokers den Gegenkontrahenten angeblich regelmäßig aufgeben, 18 ist dies weder bei den Londoner Kommissionären noch in Deutschland der Fall. Dies hat nach Art. 376 Abs. 3 zur Folge, daß der Kommissionär selbst haftet, 10 und diese Haftung will der Kommittent: wer der Diskontogesellschaft einen Auftrag zum Einkauf von Werthpapieren gibt, will nur mit ihr zu thun haben und sich nicht an einen Dritten als allein haftbaren Kontrahenten verweisen lassen. Der Kommissionär muß zwischen die Parteien treten, weil diese ihre gegenseitige Kredit- 15 Würdigkeit nicht kennen und nicht prüfen wollen noch können. Diese Haftung ist keine del credere-Haftung 7 ' und auch keine einfache Haftung als Kontrahent. Sie entbindet den Kommissionär nicht von der Verpflichtung der wirklichen Ausrichtung des Auftrages durch den Abschluß eines entsprechenden Geschäfts und 20 der vollen Rechenschaftsablage. Wo den Makler als solchen, auch wo der Gegenkontrahent anonym bleibt, die ökonomische (Reellitäts-)Pflicht trifft, einen Gegenkontrahenten zu haben, da steht für den Kommissionär die /?ec/z/.vpflicht gegenüber dem Kommittenten, das Geschäft auszuführen und dies eventuell nachzuweisen. 25 Hiervon wird der Kommissionär frei, im Falle er die Ausführung des ihm ertheilten Auftrages durch Selbsteintritt wählt und dadurch seine Rechenschaftspflicht auf den Nachweis der Innehaltung des Börsenkurses beschränkt. Daran kann ihn der Kommittent nur hindern, indem er bei Ertheilung des Auftrages es verbie- 30 tet oder vor Abgabe der Ausführungsanzeige den Auftrag widerruft. Ist dies nicht geschehen, so existirt eine Frist, innerhalb deren

A 35

7)

Das del credere spielt im Effekten-Kommissionsgeschäft gar keine Rolle. |

18 Von diesem Umstand berichtete Wilhelm Kopetzky. Sten.Ber., S.341.

Börsenenquetekommission,

III. Das

Kommissionsgeschäft

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der Kommissionär erklären müßte, nicht durch reelle Ausrichtung, sondern durch Selbsteintritt erfüllen zu wollen, nicht, es kann | viel- A 36 mehr diese Erklärung noch anläßlich der etwaigen Klage erfolgen. Die Geschäftsbedingungen der Kommissionshäuser 19 enthalten 5 theilweise - dies bei den vornehmsten Instituten - die Erklärung, das Haus wolle ein für alle Mal als Selbstkontrahent angesehen sein, theilweise den Vorbehalt, seitens der Bank die Art der Ausführung bestimmen zu wollen, gelegentlich aber auch die Klausel, daß eine „Verpflichtung, über die Art der Ausführung Auskunft zu 10 ertheilen", nicht bestehen solle; zuweilen kommt es vor, daß auf der Schlußnote der Selbsteintritt erklärt wird. Gelegentlich bestimmen die Geschäftsbedingungen ausdrücklich, was sich anderenfalls nach der Praxis von selbst verstünde: daß die Form der Ausführungsanzeige, z. B. bei der Einkaufskommission: „kaufte für Sie" 15 einerseits, „verkaufte an Sie" andererseits, noch keine Erklärung über die Art der Ausführung enthalten solle8). Die Kommissionäre fassen aber zum Theil, auch abgesehen hiervon, die faktische Möglichkeit, sich der Bekanntgabe der Art der Erfüllung bis zur Abrechnung des Geschäftes zu entziehen, als ein 20 bis zu diesem Zeitpunkt dauerndes „Wahlrecht" auf. Bei den großen Kommissionshäusern führen die Aufträge in der ganz überwiegenden Zahl, 90-95 Prozent, der Fälle zu einem realen Ausführungsgeschäft 83 ), nur soweit bei ihnen eigene Vorräthe vorhanden sind, und das pflegt - abgesehen von selbst emittirten und noch 25 nicht abgestoßenen Papieren - nur für einen relativ nicht bedeutenden Bruchtheil der gehandelten gangbarsten Werthe der Fall zu H

> Im Gegensatz zu Frankreich, wo die entsprechenden Ausdrücke typische Aus- A 36 drucksformen der Rechtsstellung des Erklärenden (Verkäufer oder Kommissionär) sind. S[iehe] darüber S. 2054.20 8a > Cf. die Aussage Russell's S. 591 f.21

19 Max Weber referiert und zitiert im folgenden: Börsenenquetekommission, Geschäftsbedingungen, S. 4. 20 Auskunft über die französischen Usancen g a b Arthur Gwinner, in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 2055f. In Frankreich galt die Doktrin, daß das Kommissionsgut sofort Eigentum des Kommittenten werde, so daß dieser es bei Konkurs des Kommissionärs als sein Eigentum in A n s p r u c h nehmen konnte. 21 Die Z a h l e n a n g a b e n von Emil Russell finden sich ebd., S.596.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

sein, unterbleibt ein solches 8b) . Hier ist also der Selbsteintritt nur die Form, in welcher die Rechenschaftsablegung vereinfacht wird. Die Nachweisung individueller Gegenkontrahenten für die einzelA 37 nen Aufträge von Kunden wäre | hier auch nicht immer leicht möglich, da die große Zahl täglich eingehender Aufträge in denselben Papieren, welche durch die „jungen Leute" 22 des Hauses zur Erledigung an die Börse gebracht werden, keineswegs immer durch Abschlüsse und Geschäfte gerade über die in Auftrag gegebenen Einzelbeträge erledigt werden können, sondern, wie bei den Maklern, oft der Gesammtbetrag des auftragsgemäß zu kaufenden Materials in einem oder in mehreren Posten ganz anderen Betrages leichter zu plaziren ist. Fehlerhaft ist dann nur, wenn, was auch bei großen Banken zuweilen vorzukommen scheint, den Kunden, unter Mißdeutung der Erlaubniß des Art. 376, die beim Kommissionsgeschäft „regelmäßig vorkommenden Unkosten" zu berechnen, auch Stempel berechnet werden, welche ganz oder zum Theil gar nicht verauslagt wurden. Für die weniger soliden Bankhäuser aber tritt die Versuchung hinzu, die Unmöglichkeit der Kontrolle durch nachträgliche Wahl der dem Kommittenten im Einzelfalle ungünstigen Alternative auszunutzen - eine Folge der Kombination von Propre- und Kommissionshandel. Ähnliche und schwerere Versuchungen ergeben sich aus der Legalfiktion, daß durch Zugrundelegung des „Börsenkurses" bei der Abrechnung im Falle des Selbsteintritts das Interesse des Kommittenten gewahrt sei. Welches der hiernach zu berechnende Preis sei, ist in dem Falle des Bestehens eines Einheitskurses, wie am Berliner Kassamarkte, eindeutig. - Anders liegt es schon bei Aufträgen zum sogenannten Mittelkurs der Frankfurter Börse. Da dieser im Voraus nicht sicher zu berechnen ist, die Schlüsse aber, wie früher dargelegt, 23 im Gegensatz zu Berlin fest zu Stande kommen, so 8b

> An kleineren Börsen müssen oft erheblichere Vorräthe gehalten werden. 24 |

2 2 Im Kaufmannsjargon B e z e i c h n u n g für Handlungsdiener oder Handlungslehrling. 23 O b e n , S. 3 4 0 - 3 4 2 . 24 Auf diesen Umstand m a c h t e n u. a. Wilhelm Finck (München) und Johann G e o r g Wold e (Bremen) aufmerksam. Sie b e g r ü n d e t e n die Vorratshaltung damit, daß an d e n kleinen Börsen nicht g e n ü g e n d Material vorhanden sei, um sämtliche Kauf- und Verkaufsaufträge g e g e n e i n a n d e r auszugleichen. Die Bankiers würden daher, um einen Kursanstieg zu vermeiden, selbst ü b e r n e h m e n u n d aus ihren eigenen Beständen d a z u g e b e n . Börsenenquetekommisssion, Sten.Ber., S . 3 4 7 und 1316.

III. Das

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Kommissionsgeschäft

wird der selbsteintretende Kommissionär zum Spekuliren auf Kosten des Kommittenten oft geradezu genöthigt, wenn er nicht riskiren will, teurer abzuschließen, als der nachher dem Kunden zu berechnende Mittelpreis sich herausstellt80). Vollends ungünstig liegen die Dinge, wenn an demselben Tage mehrere Kurse festgestellt werden, wie im Berliner Termin | verkehr. Hier fragt es sich vorerst, A 38 welcher dieser Kurse zu Grunde zu legen ist. Als feststehende Usance wurde zunächst allseitig bekundet, daß Aufträge, die vorder Börse eingehen, in dubio zum ersten Kurse auszuführen seien, und da dieser in Berlin Einheitskurs ist, so ist er eine geeignete Grundlage der Abrechnung. Allein wie steht es mit während der Börse eingehenden Aufträgen? Als Prinzip wurde auch hier anerkannt, daß der Kommittent auf Berechnung desjenigen Kurses Anspruch habe, der bei sofortiger Ausführung zu erzielen war. Die großen Bankhäuser pflegen alsbald telegraphische Ausführungsanzeige zu erstatten und durch diese ist der Zeitpunkt der Ausführung hinlänglich festgestellt. Dagegen fehlt bei der Berliner Terminnotirung ebenso wie bei anderen die Feststellung des Zeitpunktes, für welchen die einzelnen in der Preiskurve notirten Kurse maßgebend waren, also die Möglichkeit der Kontrolle nach dieser Richtung, um so mehr als die notirten Kurse nur Grenzkurse nach oben und unten darstellen. Überdies werden größere Posten keineswegs immer zu einem und demselben Kurse plazirt, und die Gesammtheit der von einem Bankhaus zu verschiedenen Kursen erledigten Beträge vertheilt sich auf mehrere Auftraggeber. Vielfach wird dann so verfahren, daß die Banken ihren Kunden, die sie nicht unter einander ungleich behandeln und denen sie auch nicht für Theilbeträge verschiedene Kurse berechnen können, den ungefähren Durchschnitt der Abschlußpreise in Rechnung stellen8d). 8c > S [ i e h e ] d i e A u s s a g e n der S a c h v e r s t ä n d i g e n Baer (Frankfurt) u n d Kaempf S. 936 f. 2 5 | 8d)

(Berlin)

S [ i e h e ] die A u s s a g e d e s D i r e k t o r s der B e r l i n e r H a n d e l s g e s e l l s c h a f t S. 6 0 0 f. 2 6

2 5 Die Erläuterungen von M a x Baer über d e n Frankfurter Mittelkurs finden s i c h e b d . S . 9 3 6 f . , u n d die A u s f ü h r u n g e n von J o h a n n e s Kaempf, der Mittelkurs z w i n g e d e n K o m missionär zur Spekulation, ebd., S. 940. 2 6 G e m e i n t ist M a x Winterfeldt, persönlich haftender G e s e l l s c h a f t e r der Berliner Handelsgesellschaft.

A 37 A 38

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

Minder solide Banken dagegen leiten wieder aus der faktischen Unmöglichkeit der Kontrolle das „Recht, sich den Kurs innerhalb der Spannung der Notirung auszusuchen",27 her, zeigen demgemäß erst nach Schluß der Börse brieflich die Ausführung und den Kurs A 39 an8e> und behandeln die abgeschlossenen Geschäfte, | je nachdem dies ihrem Interesse entspricht, als für eigene oder für Rechnung des Kommittenten geschlossene. Wenn man ernstlich den Zeitpunkt der Abgabe der Ausführungsanzeige als für den zu berechnenden Kurs maßgebend behandeln wollte, so müßte man offenbar den Selbsteintritt in diesem Falle für ausgeschlossen erachten. Denn nach Schluß der Börse besteht kein Börsenpreis mehr. Allein dies entspricht der Praxis nicht 8f \ und wenn auch der Ertrag des sogenannten „Schnitts" am Kurse auf Kosten des Kommittenten nicht, wie Graf Arnim meinte, auf zahlreiche Millionen jährlich zu schätzen sein wird,28 so ist er dennoch ein Verstoß gegen die Reellität, für welchen der Anreiz durch die Verbindung der Eigenspekulation mit dem Kommissionsgeschäft sehr verstärkt wird. Allein noch weit bedenklicher für die Interessen der Kommittenten und die Geschäftsreellität als der Kursschnitt ist derjenige Vorgang, welcher sich bei Kommissionsaufträgen in den kleinen, von einzelnen Bankhäusern, namentlich den Emittenten, beherrschten Papieren abzuspielen pflegt. Hier ist der notirte Kurs nicht selten faktisch rein formell, oft geradezu fiktiv und nur durch Abschlüsse des betreffenden „interessirenden" Hauses herbeigeführt, immer aber durch dasselbe beeinflußbar, und zu welchen Zuständen die ungeheure Versuchung führt, welche darin für das betreffende Haus liegt, wenn es in diesen Papieren, deren Kurs von 8c < Die Anzeige erst nach Schluß kommt sehr oft bei kleineren Banken oder kleineren Posten oder am Ort anwesenden Kommittenten vor. Sie ist an sich natürlich noch kein Kennzeichen der Unsolidität. | 8f) A 39 Nach Münk (S. 940f.) soll es Praxis einiger Berliner Kammern für Handelssachen sein, bei Anzeigen nach Schluß der Börse den Schlußkurs für den maßgebenden anzusehen. Diese Praxis ist sicherlich keine allgemeine. 29 |

27 In diesem Sinne äußerte sich H u g o Keyßner hier und im folgenden, ebd., S. 598f. 28 Die Schätzung von Graf Arnim findet sich ebd., S. 2053. 29 Die A u s s a g e von Wilhelm Münk findet sich e b d . S . 9 4 3 f . Münk berichtete j e d o c h nur von der Praxis der Kammer für Handelssachen, an der er als Landgerichtsrat d e n Vorsitz führte.

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ihm abhängt, das Publikum als selbsteintretender Kommissionär bedient, ist aus dem Prozeß Polke hinlänglich bekannt, 30 - zugleich auch, wie schwer ein wirklich zwingender Nachweis betrügerischer Kursmachinationen gerade hier ist. Allein damit sind die Unklarheiten des ganzen Verhältnisses nicht erschöpft. Der Kernpunkt der rechtlichen Probleme auf dem Gebiete des Kommissionsgeschäftes liegt in den eigenartigen Konsequenzen, | welche seine Treuhänder-Stellung nach sich zieht, speziell in der A40 Frage, ob der Einkaufskommissionär verpflichtet ist, die für Rechnung des Kommittenten angeschafften Papiere demselben real vorzuhalten, also die ihm vom Drittkontrahenten gelieferten Stücke oder, soweit er nicht nur formell, sondern auch materiell durch Selbsteintritt ausführt, einen am Erfüllungstage aus seinen Vorräthen auszusondernden entsprechenden Posten Papiere unter Festhaltung der Identität derselben für den Kommittenten in natura zu verwahren. Bei Papieren, welche der Kommittent am oder unmittelbar nach dem Erfüllungstage dem Kommissionär gegen Baarzahlung abnehmen soll und will, entsteht die Frage nicht: es handelt sich um die Fälle, wo der Kommissionär, welcher Papiere für den Kommittenten bezogen bezw. selbst zu liefern hat, Kredit geben soll. Mit großer Schroffheit stehen sich hier die Praxis der Kommissionäre sowohl als die betreffenden Rechtsauffassungen gegenüber. Die Ansicht der Gerichte geht jetzt im Allgemeinen, wie bekannt, 31 dahin, daß der Kommissionär jedenfalls spätestens von dem Moment der Nummernaufgabe an zur realen Vorhaltung 0 der Papiere verbunden und daß er zu dieser Nummernaufgabe auch auf Verlangen in dubio verpflichtet sei. Als juristisches Motiv wird regelmäßig das mit der Nummernaufgabe entstandene Eigenthum des Kommittenten angesehen und das constitutum possessorium muß herhalten, um die Nummernaufgabe als Eigenthumsübergangsakt zu qualifiziren. Die Geschäftsbedingungen der Bankhäuser 32 schließen zuweilen die Verpflichtung zur Nummernaufgabe C A: Verhaltung 30 Z u m Prozeß des Bankiers Paul Polke vgl. oben, S. 321, Anm. 25. 31 Vgl. hierzu die Ausführungen oben, S.417, Anm. 14. 3 2 Diese finden sich in: Börsenenquetekommission, Geschäftsbedingungen,

S. 7 - 1 0 .

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

ausdrücklich aus, und ein Theil der Bankiers8®) ist andererseits der Ansicht, daß selbst die Nummernaufgabe die Verpflichtung zur realen Vorhaltung0 der Papiere nicht immer begründe: nämlich so lange nicht, als der Kunde die Papiere nicht bezahlt habe. Diese A 41 Ansicht will also dem | Kommissionär, so lange er Kredit gibt, aus- 5 nahmslos nur diejenigen Verpflichtungen auferlegen, wie einem Genus-Verkäufer: er muß im Stande und bereit sein, Papiere in entsprechendem Betrage gegen Baarzahlung zu liefern, anderenfalls geräth er, falls der Kommittent Zahlung gegen Lieferung anbietet, in Verzug811). Der Vertreter dieser Ansicht, Inhaber des 10 Bankhauses Gebr. Sulzbach in Frankfurt a. M.8l), meinte sogar, daß nach dem geltenden Recht die Verpflichtung realer Vorhaltung erst nach Vo//zahlung entstehe; als eine Reform dieses Rechtes zu Gunsten des Kommittenten schlug er vor: daß künftig der Kommissionär verpflichtet sein solle, jedesmal, nachdem der Kunde Theilzah- 15 lungen leiste, von da an einen diesem Theile entsprechenden Posten Papiere real vorzuhalten. - Dieser Ansicht stand diejenige anderer Sachverständiger schroff gegenüber, welche den Kommissionär in jedem Falle, wo er für Rechnung des Kommittenten Papiere zu beziehen hat - also wohl auch, wenn er als Selbstkontrahent sie 20 aus eigenen Vorräthen zu liefern hat - , vom Moment des Bezuges 8g) Bankier Kussel S. 1438 f. der Protokolle. 33 Sonst meinte er, könnte der Bankier ja zahlungsunfähig werden, trotzdem er für 100 000 Mark Papiere besitze, die ihm zu Dreivierteln ökonomisch noch gehörten. | 8h) A 41 Diese Ansicht wurde u. A. auch von einem so angesehenen Juristen wie dem Justizrath von Simson im Wesentlichen getheilt. Cf. S. 1420. 8l) S[iehe] dessen Äußerung und die Auseinandersetzungen, welche sich daran knüpften, S. 1426-1437 der Protokolle. 34

A 40

d A:Verhaltung 3 3 Der Hinweis „Protokolle" meint hier und im folgenden: Börsenenquetekommission, Sten.Ber. - Jacob Kussel hatte, um die Auswirkung einer Beschränkung der Depotgeschäfte für die Bankiers zu veranschaulichen, das Beispiel konstruiert: Wenn er im Auftrag eines Kommittenten Papiere im Wert von 100 0 0 0 Mark anschaffe, und der Kommittent nur 10 0 0 0 Mark angezahlt habe, so wären davon noch 9 0 0 0 0 Mark in seinem Besitz, über die zu verfügen er berechtigt sein müsse, damit er, gerate er selbst in Verlegenheit, sich nicht für zahlungsunfähig erklären müsse. 3 4 Die Auseinandersetzungen zwischen Rudolf Sulzbach, Fritz Lappenberg, Carl Ladenburg, Jacob Kussel und den Börsenenquetemltgliedern Richard Koch, Karl Gamp, Heinrich Wiener, Freiherr von Huene und Graf Arnim über die Eigentums- bzw. Pfandrechte der Bankiers finden sich ebd., S. 1 4 2 6 - 1 4 3 5 .

III. Das

Kommissionsgeschäft

425

also bei Lieferung aus eigenen Vorräthen vom Zeitpunkt der Erfüllungspflicht ab - zur Vorhaltung bestimmter Stücke und eventuell zum Nachweis der Identität verpflichtet erachteten; und zwischen diesen beiden extremen Ansichten bewegen sich mannigfal5 tige, zuweilen in sich widerspruchsvolle oder unklare Meinungsäußerungen81^. | Hinter diesen Differenzen in den Rechtsauffassungen, deren ju- A 42 ristisch konsequenteste die reale Vorhaltungspflicht außer vom Moment der Baarzahlung von dem einer Kreditirung in irgend wel10 eher Form beginnen lassen wollte - unter die Kreditirung fiele insbesondere der Fall des Bestehens eines Kontokorrentverhältnisses (nicht auch einer bloßen laufenden Rechnung zwischen den Parteien) verbergen sich entsprechende Verschiedenheiten des praktischen Verhaltens. Die Geschäftsbedingungen stipuliren mehrfach 15 ausdrücklich die Berechtigung des Kommissionärs, über alle „Depots" frei zu verfügen, oder es wird nur im Falle besonderer Vereinbarung Aussonderung von den eigenen Beständen zugesagt, das sk < Goldschmidt (Frankfurt), der grundsätzlich auf Sulzbach's Standpunkt stand, hielt es jedenfalls nicht für eine Konsequenz der etwaigen realen Vorhaltungspflicht an unbezahlten Papieren, daß sie auch lombardfrei vorgehalten werden müßten (S. 1721).35 Sulzbach selbst war sich offenbar über die Tragweite seines Gesichtspunktes: nur an dem, was bezahlt sei, könne der Kommittent reale Vorhaltung fordern, nicht ganz klar. Für Loospapiere erkannte er selbst die Pflicht zur vorherigen Nummernaufgabe an (S. 1431), hier ist sie auch im Interesse des | Kommissionärs, da er sonst nicht, wenigstens nicht le- A 42 galer Weise, die Ausloosung auf den Kunden überwälzen kann. Sulzbach retirirte aber, dem Widerspruch anderer Sachverständiger gegenüber, schließlich auf den Standpunkt des Freiherrn v. Huene, der meinte, daß die Kreditirungsabsicbi das Entscheidende sei. Nur blieb er der Meinung, daß diese Absicht beim Kommissionär regelmäßig nicht vorhanden und nicht vorauszusetzen sei (S. 1433). - Weidert (München) war dem gegenüber, ebenso wie die Mehrzahl der norddeutschen und namentlich der größeren Berliner Bankiers, der Ansicht, 36 daß es das allein korrekte Verfahren sei, die Stücke alsbald als Eigenthum des Kommittenten real vorzuhalten und ihn mit dem Kaufpreise zu belasten. - Simon (Königsberg) beauskunftete (S. 1721), daß es bei Aufträgen über große Posten in kleineren Papieren für „fair" gelte, schon nach einer realen 7"/i«Yanschaffung dem Kunden das Ganze zu buchen und den Rest successive, also für eigene Rechnung, anzuschaffen. -

35 Die hier referierten Ansichten von Markus Goldschmidt finden sich ebd., S. 1721 und 1723. 36 Die Ansicht von Johann Karl Weidert, ebd., S. 1721 f., teilten die Hamburger Max Schinckel und Fritz Lappenberg, der Königsberger Bankier Franz Schröter und die Berliner Bankiers Siegmund Weill und Carl Schwartz, ebd., S. 1317f., 1424, 2038f. und 2047. Die folgende Auskunft von Robert Simon findet sich ebd., S. 1722.

426

Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

Recht auf Nummernaufgabe ist mehrfach selbst für den Fall der Befriedigung des Kommissionärs ausgeschlossen und nur vereinzelt ausdrücklich gesonderte Verwahrung aller im Verkehr in laufender Rechnung empfangenen Papiere versprochen9'.37 Ein Theil der Kommissionäre pflegt die Papiere stets - auch ohne Nummernaufgabe - real vorzuhalten und versteht dies Verhalten, wenn er in der Anzeige vom Bezüge schreibt: „nahm die Stücke für Sie in Depot". Ein anderer Theil pflegt niemals Stücke wirklich vorzuhalten, A 43 sondern gewährt dem Kunden nur seine Lieferungs\bereitschaft. Der technische Ausdruck für dies Verhalten ist: „Gutschrift auf Stückekonto", - allein der Ausdruck: „ins Depot nehmen" wird in oft wohl nicht unbewußtem Mißbrauch der Sprache, obwohl er in dem unbewanderten Kunden die Vorstellung realen Vorhaltens erwecken muß, durchaus üblicher Weise im gleichen, nur Lieferungsbereitschaft in genere bedeutenden, Sinne gebraucht. Sieht man sich das Verhalten der Bankhäuser näher an, so zeigt sich, daß diese Differenzen auch hier im letzten Grunde auf Unterschieden in der Kapitalkraft beruhen. Die großen Banken pflegen die bezogenen Papiere für ihre Kunden gesondert unter Festhaltung der Identität zu verwahren und belasten ihre Kunden dafür mit dem Preise; soweit sie dabei Kredit geben, buchen sie demgemäß Zinsen zu ihren Gunsten, während den Kunden die Zins- und Dividendenerträgnisse der Papiere zu gute kommen. Die kleinen Banken dagegen haben nicht das genügende Betriebskapital, um erhebliche Beträge desselben in dieser 9

> So die Rheinisch-Westfälische Bank. 38 |

37 Diese A n g a b e n entnimmt Max Weber: Börsenenquetekommission, Geschäftsbedingungen, S. 9f. Von d e n insgesamt 21 untersuchten G e s c h ä f t s b e d i n g u n g e n enthielten 16 Bestimmungen z u m Depotwesen. Außer der Rheinisch-Westfälischen Bank garantierten zwei Berliner Privatbanken die g e s o n d e r t e Verwahrung der im Kontokorrentverkehr empfangenen Papiere. Ebd., S. 10. 38 Daß die hier h e r v o r g e h o b e n e Rheinisch-Westfälische Bank noch im Jahr der Veröffentlichung des Berichts von Max Weber In Konkurs g e g a n g e n sei und die vorhandene Masse zunächst nicht einmal zur D e c k u n g der Gerichtskosten ausgereicht habe, erwähnt unter ausdrücklicher B e z u g n a h m e auf Max Weber Jakob Riesser, Bankdepotgesetz, S . 8 f . mit Anm. 1. Riessers ironische B e m e r k u n g wurde auch in einer Rezension seines Werkes a u f g e n o m m e n , in: BBC, Nr. 17 v o m 17. Jan. 1897, 2. Mo.BI., S.3.

III. Das

Kommissionsgeschäft

427

Art festzulegen93^. Sie „erkennen" deshalb die Kunden „auf Stükkekonto", d. h. sie gehen in Wahrheit gar nicht real in Vorschuß für denselben, wahren sich vielmehr die Möglichkeit, durch Disposition über die Papiere ihr Betriebskapital sich wiederzuverschaffen und weiter umzusetzen, pflegen ihn aber nicht selten dennoch zu belasten. In formal-juristisch unanfechtbarer Weise löst sich ferner die reale Bezugs- und identische Vorhaltungspflicht der Kommissionshäuser besonders häufig folgendermaßen in eine bloße Lieferungspflicht in genere auf: Der Kunde ist Käufer per ultimo und hat kein Realisationsgeschäft in Auftrag gegeben, will aber - wie regelmäßig - am Stichtage auch nicht real beziehen, sondern ersucht um Prolongation9b\ Diese macht | das Bankhaus „in sich", d.h. es A44 nimmt ihm die wirklich oder angeblich bezogenen Papiere unter Belastung mit der etwaigen zu seinen Ungunsten erwachsenden Differenz zum Liquidationskurse ab und verpflichtet sich zur Rücklieferung am nächsten Ultimo unter Zu- bezw. Abschlag des Reports bezw. Deports. In diesem Falle unterliegt es nicht dem geringsten Zweifel, daß während des nunmehr laufenden Monats keinerlei Vorhaltungspflicht besteht; so lange diese Prolongationen fortgesetzt werden, ist das Bankhaus deren ein für alle Mal entledigt. Die Kombination von Propre- und Kommissionshandel hat im Zusammenhang mit diesen Zuständen noch die weitere Folge, daß die kleineren Kommissionsbanken nicht nur ihr Betriebskapital nicht durch reale Vorhaltung der Papiere für Rechnung des Kommittenten festlegen, sondern daß das Kommissionsgeschäft für sie sogar eine Quelle der Vermehrung ihres Eigenkapitals und mit unter diesem Gesichtspunkt betrieben wird. Dazu dient das Depotund Einschußsystem. Daß sich ein Kommissionär, der in Vorschuß für den Kommittenten geht, über die Deckung hinaus, welche ihm die etwa für Rechnung des Kommittenten bezogenen Werthpapiere kraft seines „Pfandrechts" daran gewähren, noch Sicherheit für das Risiko des Kursverlustes an ihnen gewähren läßt, ist in der 9a) Daß dies der wirkliche Grund des verschiedenen Verhaltens ist, zeigen auch die A 43 Aussagen der Sachverständigen mit großer Deutlichkeit. S[iehe] diejenige des Bankiers Ladenburg (Mannheim) S. 1426. S[iehe] Wiener S. 1716. 9b) Zutreffend die Aussage des Sachverständigen Ladenburg S. 1432. |

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Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete

Ordnung. Die Sicherheit kann in deponirten und damit dem Pfandrecht unterstehenden Werthpapieren bestehen, oder aber der Kommissionär verlangt bei Beginn der spekulativen Verbindung mit dem Kommittenten oder bei jedem Geschäft einen Baareinschuß von bestimmter Prozenthöhe. Dies Verlangen stellen auch diejenigen Bankhäuser, welche ausdrücklich oder thatsächlich nur „auf Stückekonto erkennen", also nicht in Vorschuß gehen. Bei ihnen hat dann also der Einschuß, da er zu einer Kreditgewährung nicht in Beziehung steht, den Charakter der Erfüllungskaution-, er ist eine Leistung, welche den Außenstehenden anläßlich der Theilnähme am Börsenverkehr abgedrungen wird, und dieses Ergebniß der Ausbeutung seiner faktisch privilegirten Position stellt für den Kommissionär eine willkommene Vermehrung seines Betriebskapitals dar. A 45 Dem Einschuß bei Beginn der Geschäftsverbindung bezw. | bei Auftraggabe zu einem Geschäft entspricht nun der Nachschuß bei Kursänderungen zu Ungunsten des Kommittenten, welche für den Kommissionär die Gefahr der Nichtabnahme bezw. Nichtzahlung der wachsenden Kursdifferenz steigern. Die Verfügung darüber, ob und sogar darüber, in welcher Höhe der Nachschuß eingefordert werden soll, ist in den Geschäftsbedingungen oft 10 ' dem Kommissionär frei vorbehalten; wo Bestimmungen getroffen sind, werden an gewisse prozentuale Kursschwankungen gewisse prozentuale Nachschüsse geknüpft. Die Frist, bis zu deren Ablauf sie zu leisten sind, zu bestimmen, ist zuweilen ebenfalls dem Kommissionär vorbehalten, oft 11 ) ist einfach „sofortige" Leistung, nicht selten ist der Beginn der nächsten Börse als Endpunkt der Frist festgesetzt, und zwar der nächsten Börse nach Abgang der Aufforderung (!), also ohne Rücksicht auf die Ankunft der Aufforderung beim Kommittenten. Die Folge, welche an die nicht rechtzeitige Nachschußleistung geknüpft wird, pflegt das Recht des Kommissionärs zur als-

A 45

10)

Ersteres in sechzehn von den zwanzig der Kommission vorliegenden Bedingungen. In neun von zwanzig Fällen.39 |

39 Max Weber stützt sich hier u n d im f o l g e n d e n auf Börsenenquetekommission, Geschäftsbedingungen, S . 4 - 7 und 10f. Der Börsenenquetekommission lagen die Ges c h ä f t s b e d i n g u n g e n von insgesamt 21 Bankfirmen vor. Allerdings hatte eine Bank gar keine B e s t i m m u n g e n über den Nachschuß getroffen. Ebd., S. 5f.

5

10

15

20

25

30

III. Das

Kommissionsgeschäft

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baldigen Zwangsregulirung zu sein. Diese Zwangsregulirung ist was nicht immer klar auseinander gehalten wird - wohl zu scheiden von dem Pfandverkaufe der etwa als Sicherheit haftenden Werthpapier-Depots. Sie bedeutet: Realisirung des Engagements durch Abschluß eines Gegengeschäftes für Rechnung des Kommittenten, um die Höhe der von diesem an den Kommissionär zu leistenden Differenz liquid zu stellen und zugleich dadurch das weitere Anwachsen des Risiko's des Kommissionärs durch noch weitere Kursverschlechterung zu begrenzen. Was das Pfandrecht anlangt, so ist ausdrückliche Erstreckung auf alle, aus welchem Anlaß immer, empfangenen Papiere häufig laut Geschäftsbedingungen vereinbart. Die Abmachung, daß Privatverkauf zulässig sei, ist, da Art. 311 HGB. nur unter Kaufleuten gilt, nach preußischem, nicht aber nach rheinischem Recht giltig.40 In Frankreich pflegen derartige Sicherheitsdepots | demgemäß auch A nicht als „gage", sondern als zu eventuellem Verkauf bestimmt übergeben zu werden. 41 Vereinbarung eines Wahlrechts für den Kommissionär zwischen freihändigem Verkauf und Behalten an Zahlungsstatt kommt in Deutschland vor. Die Gesammtsituation des Kommittenten, welche sich hieraus ergibt, ist ersichtlich eine solche, welche ihn dem Kommissionär so gut wie völlig in die Hände liefert. Das „Aus-dem-Engagementwerfen" durch plötzliche Einforderung von Nachschüssen bei Kursänderungen und alsbaldige Zwangsregulirung ist diejenige Form, in welcher die unsoliden Kommissionshäuser sich diese Situation zu Nutze machen, und das Maximum der Illoyalität wird da erreicht, wo die in einem Papier „interessirten" Bankhäuser die Kunden zu Spekulationsaufträgen in diesem Papier in der geschilderten Form mit Einschuß heranziehen und dann, um die eben erwähnte Prozedur durchführen zu können, den von ihnen faktisch beherrschten Kurs in die zweckentsprechenden Schwankungen 40 War ein Kommittent nicht Kaufmann, galten die Bestimmungen des Zivilrechts. Im größten Teil der ehemals von Frankreich besetzten preußischen Gebiete des Rheinlands galt nicht das preußische Allgemeine Landrecht von 1784, sondern bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches am 1. Januar 1900 französisches Recht, im vorliegenden Fall der Code Civil. 41 Die unterschiedliche Handhabung des Pfands (frz.: gage) nach rheinischem bzw. preußischem Recht erläuterte Heinrich Wiener dem Grafen Kanltz. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 610.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

versetzen. Dabei tritt hinzu, daß der ganze Vorgang sich in eine Serie rein fiktiver Rechnungsprozeduren auflöst. Das Bankhaus macht im Wege des Selbsteintritts das Geschäft „in sich", es nimmt am Stichtage fiktive Papiere in ein fiktives „Depot" und belastet den Kunden für eine Summe, die es gar nicht ausgelegt hat, oder es 5 „prolongirt", wiederum „in sich", das angebliche Geschäft, schafft einen fiktiven Kurs, zeigt mangels Nachschuß eine fiktive „Zwangsregulirung" an und befriedigt sich aus dem Einschuß des Kunden, der bislang faktisch eine Vermehrung des Betriebskapitals der Bank, angeblich aber eine Sicherheit für eine rein fiktive Kre- 10 ditgewährung gebildet hatte, - Alles dies hinter dem undurchsichtigen Schleier des Selbsteintritts und der Aufhebung des Identitätsnachweises für die „Depots" l l a \ Daß diese Zustände nicht erfreuliche sind, ist unzweifelhaft und wurde auch von den Sachverständigen nicht bestritten. 15 A 47 Die Beseitigung des wirklich zentralen Übelstandes durch | eine gesunde Arbeitstheilung, welche Propre- und Kommissionshandel scheiden würde, scheint zur Zeit nicht sehr aussichtsvoll. Bei den in Deutschland noch üblichen Ansprüchen an die Verzinsung hielten die Sachverständigen die Beschränkung auf Kommission und De- 20 potverwaltung für unthunlich 12 ', und daß ein Theil der großen Banken sich vom Privatpublikum zurückzieht, 42 kann unter den obwalA 46 A 47

lla)

Sehr zutreffend dargelegt von Wiener43 S. 1716-1718 der Protokolle. | > Sachverständiger Benary (Makler) S. 290. Der Sachverständige Schinckele (S. 1313) meinte sogar, Deutschland würde dann „aus dem Welthandel ausscheiden". 44 12

e A: Schinkel 4 2 Max Weber nimmt, wie er in Fußnote 12 angibt, auf die Äußerung von Victor Benary Bezug. Dieser hatte auf die in England ausgebildete Trennung von Depositenbanken und solchen des Wertpapiergeschäfts verwiesen, es aber für zweifelhaft gehalten, daß Depositenbanken, „deren Geschäftszweig eng begrenzt wäre", in Deutschland „ihre Rechnung finden würden, [...] weil im Ganzen in Deutschland noch an den Zinsfuß größere Ansprüche gemacht werden." Eine gewisse Arbeitsteilung, so Benary, sei darin zu erblicken, „daß sich ein großer Kreis gerade der vornehmsten Bankiers von dem Spekulationsgeschäft mit dem Privatpublikum zurückzieht", und „daß das Geschäft mit dem Privatpublikum von kleinen Banken betrieben wird [...]." 4 3 Gemeint ist Heinrich Wiener. 4 4 Die Befürchtung begründete Max Schinckel damit, daß die großen deutschen Banken in besonderer Weise neben dem Wertpapiergeschäft auch die relativ langfristige Finanzierung der deutschen Ausfuhr betrieben.

III. Das

Kommissionsgeschäft

431

tenden Umständen kaum als ein Fortschritt im Sinne einer derartigen Arbeitstheilung angesehen werden. Unter diesen Umständen mußten auch die Gedanken anderweiter organischer Änderungen an Interesse einbüßen. Die Frage der Möglichkeit, das Geschäft unter Eliminirung der Zwischeninstanz den vereidigten Maklern zuzuführen, wurde gestreift13*; es ist klar, daß die Solidarhaftung der französischen chambre syndicale hier ganz spezielle Garantien bietet, daß unsere Makler dazu nicht qualifizirt sind und daß in der Kombination der Funktionen kein Fortschritt liegt. Im Allgemeinen gegeben war ferner die Stellung der Sachverständigen gegenüber der Frage der Übernahme des Kommissionsgeschäftes in inländischen Anlagepapieren an öffentliche Kassen. Die große Mehrzahl perhorreszirte diese Konkurrenz, welche den Privatbankiers das solide Geschäft entziehen würde. 45 Gegenüber der Verweisung auf die schon bestehenden Reichsbankstellen konnte Gamp mit Recht konstatiren, daß deren Gesammtzahl nur fünf Neuntel der Zahl der preußischen Kreise beträgt. 46 Vereinzelt wurde den Postsparkassen 47 in diesem Zusammenhang das Wort geredet 14 ), vielfach die Meinung vertreten, daß die Sparkassen im

13

> S.2777. 48 Bankier Königs S. 2059.

141

45 In diesem Sinne äußerten sich die Bankiers Max Arnhold, Heinrich Heimann, Louis Bamberger, Ludwig Max Goldberger, Johannes Kaempf, Gustav von Wilmowski, Max von Guaita, Max Baer, J a c o b Kussel, Johannes Karl Weidert, Alexander von Pflaum, Robert Simon und Carl Schwartz sowie der Redakteur Julius Bäsch, Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 3 1 4 f „ 765, 9 5 8 f „ 1489f., 1725, 2059 und 1017. 46 Karl G a m p g i n g von ungefähr 450 Kreisen in d e n alten preußischen Provinzen (Ostu n d Westpreußen, B r a n d e n b u r g , Pommern, Schlesien und Sachsen) aus. Reichsbankpräsident Richard Koch nannte als Gesamtzahl der Reichsbankfilialen im Deutschen Reich 251. Später korrigierte Koch die Zahl auf 261 bzw. 262 Filialen. Ebd., S . 3 0 7 bzw. 2060 und 3603. 47 Seit 1871 wurde im Deutschen Reich diskutiert, nach d e m Vorbild in anderen Ländern auch hier eine Postsparkasse zu errichten. Doch ist es dazu bis 1938 nicht g e k o m m e n . 48 Irrige Seitenangabe; Max Weber bezieht sich hier und im f o l g e n d e n auf die Diskussion zwischen Victor Benary, Karl G a m p und Heinrich Wiener, in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.203.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

Falle der Überschreitung des zulässigen Einlagebetrages 49 sich zur Vermittlung des Ankaufs von Anlagepapieren zur Verfügung stelA 48 len sollten15^. Gegen die Übernahme der | Einrichtung der französischen receveurs généraux wurde geltend gemacht, es werde die Kurse der öffentlichen Anleihen drücken, wenn eine Stelle ge- 5 schaffen werde, die „immer nur anbiete", 50 und selbst der Vertreter der Finanzverwaltung befürchtete davon einen Kursdruck, weil dann nur die Verkaufsorders an die Börse gelangten 16 ), - Meinungen, die durch die Erfahrungen in Frankreich gewiß nicht gestützt werden können 17 ). Eine Herabsetzung der Courtage für inländi- 10 sehe Staatspapiere wurde dagegen als zweckmäßig bezeichnet. Was den Hauptsitz der Schäden, die Spekulationsgeschäfte in Kommission anlangt, so gibt es noch immer in Berlin wie in den Provinzen Firmen, die alle Zeitgeschäfte mit dem Publikum ablehnen18); für solide Bankhäuser, welche keinen eigenen Spekula- 15 15) Sachverständige Maier und Goldschmidt S. 1724. Anderer Meinung die Sachverständigen Weidert und Pflaum,51 | 161 A 48 Geh. Finanzrath v. Koenen S. 764. 17) Ein völliges Umgehen der Börse durch den Staat ist weder technisch noch ökonomisch möglich, noch in seinem eigenen, noch endlich im allgemeinen Interesse. In Frankreich findet es keineswegs statt, die receveurs généraux wenden sich gegebenen Falls an die agents de change, nicht an die Staatsschuldenverwaltung. 18 > So 23>

Cf. Arnhold S. 291 f.58 Kopetzky,59 |

24>

N[eben] A[nderen] von h Kämpf S. 924. 6 0

h A: von

56 Unten, S.549. 57 Gemeint ist der letzte Halbsatz: „sowie wegen aller Forderungen aus laufender Rechnung in Kommissionsgeschäften". 58 Wie Anm.54. 59 Seine Äußerungen finden sich In: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 349. 60 Max Weber nimmt hier Bezug auf die Auseinandersetzung zwischen Heinrich Wiener und Johannes Kaempf, ebd., S. 923f.

III. Das

Kommissionsgeschäft

435

Daß sich die als Sachverständige vernommenen Geschäftsleute einstimmig gegen Beseitigung des Selbsteintrittsrechtes aussprachen, ist natürlich; besonders lebhaft traten die kleinen Banken und die Provinzialbankiers gegen die Nöthigung ein, die Art der 5 Erledigung ihrer Aufträge bekannt zu geben. Ebenso die Vertreter kleinerer Börsenplätze, an denen die Erledigung aller Aufträge durch Geschäfte am Platze gar nicht immer möglich wäre25). Unzweifelhaft würde die Wirkung einer einfachen Beseitigung entweder das Entstehen von Strohmännern sein, in ähnlicher Art wie sie 10 bei den Maklern bestehen und auch aus ähnlichen Gründen, oder: die Umwandlung der Rechtsstellung des Kommissionärs gegen den Kunden in die eines Proprehändlers. Da der Kunde in Bezug auf die Abwickelung des Geschäfts, Kreditgewährung etc., nach wie vor auf die Dienste dieses Proprehändlers ebenso wie auf die15 jenigen des bisherigen Kommissionärs angewiesen bliebe, entspräche diese Rechtsform dem Klientelcharakter des Verhältnisses, der aus der Natur der Sache folgt, weniger. Sie entbände den Kommissionär auch formell in Bezug auf den wesentlichsten Punkt - den Kurs - | jeder Loyalitätspflicht, legalisirte insbesondere den Kurs- A 51 20 schnitt, und änderte an dem Entscheidenden: der ökonomischen Machtlage, nichts. Erwünscht scheint - darin stimmte auch die Mehrzahl der Sachverständigen überein - in erster Linie nur die Abstellung der Ungewißheit über die Art der Erfüllung, darüber also, ob der Selbsteintritt gewählt wird oder nicht, und es sind stich25 haltige Bedenken dagegen nicht erhoben worden, daß der Kommissionär darüber sich definitiv bei Abgang der Ausführungsanzeige erklären könne. Eine gelegentlich etwas verworrene Erörterung drehte sich wiederholt253' um die Frage, ob und welche Wirkung der Selbstein30 tritt auf die Preisbildung habe. Gamp war der Meinung, daß dem 25

> Sachverständiger Wolde S. 346 f.;61 Finck' S. 1316. |

25a

> Cf. S. 323 und oft. 6 2

i A: Funck 61 Die Aussage von Johann Georg Wolde findet sich ebd., S. 347. Vgl hierzu auch oben, S. 420, Fußnote 8b mit Anm. 24. 62 Hier meint Max Weber die Diskussionen Karl Gamps mit Wilhelm Kopetzky, In: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 319-323, mit Johannes Kaempf, Wilhelm Münk bzw. Jacob Kussel, ebd. S.879f„ 956f„ 1436f.

A 51

436

Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

Markte „Material entzogen" und dadurch die Preise beeinflußt würden. Ersteres ist für die vom Kommissionär „in sich" ausgeglichenen Schlüsse richtig, und das Gegenargument, daß dabei die Wirkung sich aufhebe, weil Angebot und Nachfrage gleichmäßig vermindert seien, trifft deshalb nicht immer zu, weil die Art der 5 Preislimitirung der Aufträge immerhin gelegentlich auf die Notirung von Einfluß sein könnte. Läßt man den Selbsteintritt bestehen, so fragt es sich, ob und was zur Verhinderung des „Schnitts" geschehen kann. Der Ansicht Keyßner's26\ daß der Schnitt ausdrücklich legalisirt werden solle, 10 wird man nicht leicht beipflichten wollen. Andererseits ist klar, daß eine radikale Beseitigung der Versuchung zum Schnitt nur bei Trennung des Propre- vom Kommissionsgeschäftk möglich wäre. Dem Gedanken, wenigstens diejenige Versuchung zum Schnitt, welche in der jetzigen Art der Notirung der Terminkurse z.B. in 15 Berlin liegt, durch eine Änderung dieses Verfahrens zu beseitigen, indem man eine größere Zahl von Einheitskursen feststellen ließe, war z.B. Justizrath Winterfeldt von der Berliner Handelsgesellschaft nicht abgeneigt. 63 Von den Grenzen, welche der Wirksamkeit derartiger Maßnahmen gesteckt sind, ist schon bei Bespre- 20 A 52 chung der Kursfeststellung die Rede | gewesen.64 Daß im Übrigen dadurch das börsenkundige Publikum voraussichtlich veranlaßt werden würde, bei telegraphischen Orders anzugeben: „zum ersten", „zweiten" etc. Kurs, ist anzunehmen. Aber das ist nur für Großspekulanten, die telegraphisch arbeiten, praktisch. In anderen 25 Fällen bliebe die Schwierigkeit, den Zeitpunkt der Ausführung durch Selbsteintritt zwecks Ermittlung des maßgebenden Kurses festzulegen. Vereinzelt wurde der Vorschlag gemacht, dies durch Zwang zur Abgabe einer formellen Selbsteintritts-Erklärung gegenüber einem vereidigten Makler zu erzielen. 65 Praktischer war 30 26

> s. 597 f.661

k A: Eigengeschäft 6 3 In diesem Sinne äußerte sich Max Winterfeldt, ebd., S. 528 und 604. 6 4 Oben, S.328f. 6 5 Diesen Vorschlag machte Wilhelm Münk, Börsenenquetekommission, S. 948. 66 Der Vorschlag von Hugo Keyßner findet sich ebd., S. 599.

Sten.Ber.,

III. Das

Kommissionsgeschäft

437

ein anderer Vorschlag 27 ': den Kommissionär zur alsbaldigen Eintragung der Geschäfte nach Abschluß derselben in ein Notizbuch zu nöthigen, um so den Zeitpunkt zu fixiren, wennschon auch dies für größere Bankhäuser, die gleichzeitig mehrere „junge Männer" 67 mit Orders an der Börse unterwegs haben, nicht immer praktikabel ist. Bis zur Übersendung der Schlußnote für die Selbsteintritts-Erklärung Zeit zu gewähren, wie ein Berliner Sachverständiger 28 ' wünschte, erscheint, falls auch eine Kontrolle durch derartige zeitlich spezialisirte Buchungen ermöglicht wird, minder bedenklich. Schon weil - ähnlich wie beim Makler - es gerade bei großen Beträgen nicht immer alsbald möglich ist, ein bestimmtes Geschäft als Ausrichtung eines konkreten Auftrages zu individualisiren, kommt man, wenn die Kombination von Eigenhandel und Kommissionshandel bestehen bleibt, keinesfalls um Bestimmungen herum, durch welche in Fällen, wo der Kommissionär in einer Weise eigene Geschäfte und Ausrichtungsgeschäfte kombinirt oder anschließend an einander abschließt, welche die nachträgliche zweifellose Unterscheidung beider nicht ermöglicht, dem Kommittenten die ja im Einzelfalle für ihn günstigere Supposition, also der ihm günstigste Kurs, gesichert wird. Schwieriger ist die Regelung der Depotirage beim Kom-| missionsgeschäft, welche bei den Vernehmungen zu berühren die A 53 Kommission - entgegen ihrer ursprünglichen Absicht - nicht hat vermeiden können. 68 Ein Theil der Sachverständigen hob - im Einklang mit den obigen Ausführungen 69 - hervor, daß der allgemeine Zwang zur Aussonderung und realen Vorhaltung der für Rechnung 27) Sachverständiger Bäsch S. 1012f. - Auch Sachverständiger Königs hausen'scher Bankverein) war für diesen Vorschlag (S. 2049). 70 28> Sachverständiger Salomen.7^ \

(Schaaff- A 52

6 7 Im Kaufmannsjargon Bezeichnung für Handlungsdiener oder Handlungslehrling. 6 8 Ein förmlicher Beschluß ist In den Sitzungsprotokollen der Börsenenquetekommlsslon nicht protokolliert. Der Kommissionsvorsitzende aber schnitt den Sachverständigen das Wort ab, sobald sie sich ausführlicher zum Depotwesen äußern wollten. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.926, 1415f., 2042. Zur Depotfrage vgl. auch oben, S. 212 mit Anm.61. 6 9 Oben, S.423-430. 7 0 Die Zustimmung von Ernst Koenigs findet sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.2051. 71 Der Vorschlag von Emil Salomon findet sich ebd., S. 1399f

438

Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

des Kommittenten bezogenen Papiere die kleinen Banken mit geringem Betriebskapital schädigen würde29). Die Mehrzahl der Bankiers, namentlich der norddeutschen, auch Provinzialbankiers, wollte dagegen nur die Nummernaufgabe als „lästig" bis zur Bezahlung ausgesetzt sehen,72 oder verlangte bis zum Beginne der 5 Pflicht zur realen Bereithaltung nur eine mäßige „Usanzfrist" seit dem Erfüllungs-Zeitpunkt30). Dann aber sollten die bezogenen oder - beim Selbsteintritt - die ausgesonderten Papiere real vorgehalten werden. Mehrfach ist dabei aber nicht klar gestellt, ob nicht die Sachverständigen unter jener Verpflichtung nur eine solche zur 10 Vorhaltung eines dem für Rechnung ihrer Kommittenten laufenden Posten entsprechenden Gesammtbestandes der betreffenden Papiere verstanden. Die Ablehnung der Nummernaufgabe, also der Individualisirung und Eigenthumsübertragung, läßt darauf schließen. Dieser Vorstellung entsprach der Vorschlag des Justiz- 15 raths Lesse, die Kommittenten an jenem Gesammtbestand von Papieren pro rata der Auftragsausführung als Miteigenthümer partizipiren zu lassen, welchem Justizrath v. Simson als unpraktikabel entgegentrat31). In der That entspräche jenes „Gesammtdepot" der „hentica" des Pisanischen und allgemeiner dem Commenda-Gut 20 des mittelalterlichen Rechts bei dem rechtshistorischen Vorfahren

A 53

29

> Ladenburg (Mannheim) S. 1426. Goldschmidt (Berlin) S. 1721.73 > So Königs (Köln) S.2042. 31 > S. 1415.74 | 30

7 2 Daß die Nummernaufgabe, bevor der Kommittent vollständig bezahlt habe, als lästig empfunden wurde, läßt sich nur den Äußerungen des Frankfurter Bankiers Rudolf Sulzbach, des Berliner Bankiers Emil Salomon und des Königsberger Bankiers Franz Schröter entnehmen. Ebd., S. 1428 und 1318. 7 3 Die Äußerungen von Markus Goldschmidt finden sich ebd., S. 1721 f. 7 4 Auf den Vorschlag von Theodor Wilhelm Lesse, ebd., S. 1408, entgegnete August von Simson: „Was dagegen die [...] Depotfrage angeht, so würde ich es allerdings im Gegensatz zu meinem verehrten Kollegen Lesse nicht für wünschenswerth erachten, die Frage des Eigenthumsüberganges in einer Weise zu lösen, welche von unseren deutsch-rechtlichen, gemeinrechtlichen und preußisch-rechtlichen Auffassungen durchaus abweicht, nämlich gewissermaßen ein Gesammtdepot aller Kommittenten zu konstruiren aus allen vorhandenen Massen eines Kommissionsgutes, mit anderen Worten von dem Grundsatz abzulassen, daß das Eigenthum nur übertragen werden kann entweder durch Übergabe oder durch ein diese Übergabe ersetzendes constitutum possessorium." Ebd., S. 1415.

III. Das

Kommissionsgeschäft

439

des Kommissionärs, dem Kommendatar;75 an dem Commenda-Gut bestanden in der That Vorrechte der verschiedenen einzelnen Kommendanten 76 in der Art, wie sie Lesse vorschwebten, denen nur das Recht des dritten unbezahlten Verkäufers wiederum vor- A54 5 ging. Der Vorschlag, heute den oder die Einkaufs-Kommittenten am Einkaufs-Kommissionsgut, auch ehe nach jetziger Praxis das „Eigenthum" als übergegangen gilt, zu bevorrechtigen, soweit nicht die Rechte dritter unbezahlter Verkäufer entgegen stehen, entspräche der Treuhänder-Stellung des Einkaufskommissionärs 10 durchaus in gleicher Art wie die entsprechende Bestimmung bei den Forderungen des Verkaufskommissionärs32^. Im Wege steht ihr in erster Linie wiederum die Kombination des Eigenhandels des Kommissionärs mit dem Kommissionshandel. Eben diese Kombination würde aber auf die Dauer gesprengt werden, wenn man für 15 den Fall nicht individualisirter Aussonderung der auf die einzelnen Kommittenten entfallenden Posten diesen pro rata ein Recht auf vorzugsweise Befriedigung aus den gesammten Effektenbeständen des Kommissionärs einräumte, unter dem obigen Vorbehalt. Es würde dies, mit seinen Folgen für die Kreditfähigkeit im Eigenhan20 del, mit Nothwendigkeit zur Herausbildung eines Berufsstandes von Kommissionären führen. Jedenfalls wäre der Gedanke näherer Erwägung werth gewesen, als ihm zu Theil geworden ist. Wesentlich denselben Zweck auf anderem Wege verfolgte eine Anregung des Senatspräsidenten Wiener33>, diejenigen Kommissio32

> Es wird behauptet, daß der Selbsteintritt heute unter Umständen von Kommissio- A 54 nären, die das Konkursmachen fürchten, nachträglich vollzogen wird, um für diesen Fall einen Anspruch des Kommittenten auf Aussonderung der auftragsgemäß zu beziehenden Papiere nicht entstehen zu lassen.77 33 > S. 1305.

75 Hentica (griech.): Einlage. Nach d e m p h ä n i s c h e n Recht (constitutum usus) von 1160 w u r d e die Anteilsberechtigung (pro rata parte) eines Gesellschafters an einer Handelsgesellschaft durch die Höhe seiner geleisteten Einlage bestimmt. 76 Mit den verschiedenen Vorrechten der einzelnen Gesellschafter ( K o m m e n d a n t e n ) und deren Gläubiger (Drittverkäufer) hatte sich Max Weber In seiner Dissertation beschäftigt. Weber, Handelsgesellschatten, S. 1 0 2 - 1 0 6 (MWG 1/1). 77 Max Weber nimmt hier B e z u g auf die Ausführungen von Wilhelm Münk in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.947. Münk stützte sich bei seiner Falldarstellung auf Art. 376 HGB, der d e m Kommissionär das Wahlrecht läßt, sich zu erklären, o b er als Selbstkontrahent oder als Kommissionär gehandelt habe. Das Wahlrecht könne daher, so Münk, im Hinblick auf das Aussonderungsrecht des Art. 368 HGB z u m Mißbrauch führen.

Die Ergebnisse

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der deutschen

Börsenenquete

näre, welche nach ihren (bei Ordnungsstrafe einzureichenden) Geschäftsbedingungen sich von der Verpflichtung zu individualisirtem Vorhalten der Effekten und Nachweis der Identität freizeichnen würden, einer speziellen Bilanzirungspflicht und einer periodischen Publikationspflicht ihrer Bilanzen, etwa unter Nachweis der A 55 Höhe des Stückekonto's, zu unterwerfen34). Auch hier | würde der Erfolg auf die Dauer die Scheidung der Kommission vom Eigenhandel sein. Und diese Scheidung ist in der That offenbar das Ziel, auf welches hingearbeitet werden muß, wenn es sich auch, wie schon bemerkt, 78 nicht plötzlich erreichen läßt. 2. Das Produkten-Kommissionsgeschäft. Das Kommissionsgeschäft in Produkten hat diejenigen Rechtslormen, welche das Handelsgesetzbuch als die normalen ansieht, besonders vollständig abgestreift. Ein „reines" Kommissionsgeschäft von Bedeutung gibt es bei uns im Großhandel im Wesentlichen nur in Artikeln, welche, nach Proben und sortenweise gehandelt, keinen stetigen Marktpreis haben, deren Absatz insbesondere nicht börsenmäßig organisirt ist. Wo dagegen letzteres der Fall ist, wie insbesondere bei Getreide, Kaffee, Sprit, Zucker, tritt der Kommissionär regelmäßig zwischen die Parteien. Und zwar ist es die Regel, daß sich dies Dazwischentreten nicht so vollzieht, daß der Kommissionär Aufträge abwartet und empfängt und diese im Wege des Selbsteintrittes ausführt, sondern er offerirt vielmehr seinerseits den außenstehenden Interessenten im Wege fester „Anstellungen". Er verfährt darin ähnlich, wie ein „vorgehender" Makler, und auch der Grund ist ein ähnlicher. Der Produktenkommissionär hat in erster Linie mit berufsmäßigen Händlern als Kommittenten zu thun, welche dem Markt nicht als völlig Fremde gegenüberstehen, und diese überliefern sich nicht dem Zufall der Börsenkursfeststellung, sondern verlangen feste Preisofferten. Der Kommissionär ist regelmäßig nicht in der 34)

Bis zu einem gewissen Grade soll die Übung in England eine weitgehende Bilanzverpflichtung der Kommissionshäuser mit sich gebracht haben (Sachverständiger Solomon S. 1305 f.). | 7 8 Oben, S . 4 3 0 f .

III. Das Kommissionsgeschäft

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Lage, mit Mustern zu arbeiten und erst auf Grund der Bestellung, also ohne sich zu engagiren, zu kaufen, sondern es wird alsbaldiges Geben und Nehmen von ihm verlangt. Und da die Niedrigkeit der Provisionssätze - zum Theil 3/8 Prozent1 - die Möglichkeit der Exi5 Stenz auf Grund des Kommissionsgeschäftes allein ausschließen würde, so ist überdies die Kombination von Propre- und Kommissionshandel durchaus die Regel, eine Arbeitstheilung zwar zum Theil da, wo | eine kleine Zahl größter Geschäfte sich in den Ver- A 56 kehr theilen35), im Entstehen begriffen, aber die Ausnahme. So 10 scheint es, daß das börsenmäßige Kommissionsgeschäft in Produkten überwiegend nur noch als ökonomische Kategorie - Zwischenhandel zwischen Börse und außerbörslichen Interessenten - und auch als solche kaum selbständig bestehe, rechtlich aber, da hier auch die Bestimmungen über den Selbsteintritt nicht praktisch 15 sind, mit dem Proprehandel identisch sei. Dem entspricht es, daß für das Kommissionsgeschäft in Produkten besondere Geschäftsbedingungen wenig vorkommen, in Berlin z.B. einfach nach den Usanzen der Börse auch mit Auswärtigen gehandelt wird. Und in der That trifft jene Identifikation von Kommission und 20 Eigenhandel, soweit mit festen Anstellungen gehandelt wird, wenigstens für das Effektivgeschäft zu36). Hier ist die „Provision", wo sie noch berechnet wird, thatsächlich nicht Entgelt für irgend welche Bemühungen, sondern pars pretii. So beispielsweise im Kaffeehandel. Hier verkauften bislang die Hamburger Häuser entweder 25 vom Boden unter Berechnung von lV2 Prozent „Provision" und 30 Pfennig per Sack „erste Kosten" - der Idee nach für die Besorgung der Instradirung - , oder „frei ab" vom Bahnhof ohne Provision. Der Gesammtpreis war aber in beiden Fällen derselbe, im letzteren Fall nur deshalb meist etwas niedriger, weil das Bahn35) S o in M a n n h e i m , w o das b e k a n n t e H a u s Jak. Hirsch Söhne keine Kommissions- A 56 g e s c h ä f t e m a c h t , diese vielmehr in d e n H ä n d e n m e h r e r e r a n d e r e r F i r m e n liegen. 2 36) S[iehe] d a z u die B e m e r k u n g d e s Sachverständigen Michahelles S. 2270. 3 |

1 Dies sei, so gab Wilhelm Kantorowicz zur Auskunft, der Prozentsatz, den die bedeutendsten Kommissionshäuser für die Provision im Spiritushandel berechnen würden. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 3226. 2 So nach Auskunft von Louis Hirsch. Ebd., S.3112. Die Firma heißt Jakob Hirsch & Söhne. 3 Die in obigem Sinne geäußerte Bemerkung von Alfred Michahelles findet sich ebd., S. 2271.

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gewicht zu Grunde gelegt, deshalb die Gefahr der Schrumpfung auf den Destinatär überwälzt wurde.4 Ein Unterschied in der Rechtsform, der erkennbar machte, ob aus eigenen Vorräthen oder mit der Absicht nachträglicher Eindeckung verkauft war, ist nicht vorhanden. Rechtlich ist dieser Kommissionshandel in jedem Fall 5 reines Propregeschäft. Anders dagegen sieht es mit dem Terminhandel aus. | A 57 Die Betheiligung außerhalb der Börse Stehender am Produktentermingeschäfte durch Vermittlung von Kommissionären schließt einen Komplex von Akten in sich. Zunächst den Abschluß des Ge- 10 schäftes selbst. Dieser erfolgt in Kaffee, Getreide, Sprit, ebenso wohl auch in Zucker, in der Mehrzahl der Fälle auf Grund von Anstellungen, d. h. bestimmt formulirten Offerten, die der Kommissionär macht, also in der äußeren Form des Propregeschäftes37). Nicht selten gestaltet sich diese Anstellung in der Art, daß zwei Preise, zu 15 deren niedrigerem der Kommissionär nimmt, zu deren höherem er gibt, offerirt werden - also ganz analog der Gebahrung des Propremaklers - oder auch einfach ein Preis, zu dem der Kommissionär nach Wahl gibt oder nimmt - wobei dann die Provision das darin liegende Risiko decken soll38). Aber: mit dem Abschluß des Ge- 20 schäftes auf diese Offerte hin ist die Funktion des Kommissionärs nicht erschöpft. Das verschlossene Quantum wird zur Abnahme gekündigt an den Kommittenten, wenn er Käufer ist, oder ist von ihm zu kündigen, wenn er Verkäufer ist. Der Kommittent hat ent-

A 57

37) Für den Kammzugs-Terminhandel sind die Aufträge von Außen wohl häufiger. Das Dazwischentreten des Kommissionärs ist dann, da die Kasse nur mit ihren Mitgliedern abschließt, nöthig. - Im Übrigen meinte ein Sachverständiger (Hergersberg S. 3393), es existire ein „Selbsteintritt" eigentlich nicht, da ja stets die Kasse Kontrahentin sei, und diese stets einen Gegenkontrahenten verlange. - Das ist richtig, allein es kommt der Selbsteintritt in der Form vor, daß der Kommissionär sich selbst als Käufer und Verkäufer ausgibt (Sachverständiger Georgi S. 3395). 38 > S. 2747. 5 |

4 Max Weber folgt den Ausführungen von Berthold Emil Embden, ebd., S. 2195. Bei Kaufmannshäusern und den hier speziell gemeinten Speicherhäusern im Hamburger Freihafen werden die Speicher als Böden bezeichnet. Zur Abfertigung der Ware vom Boden für den Versand (Instradierung) fallen für das Verwiegen und Verpacken, für den Transport bis zur Bahn und, bei Lagerung im Freihafen, für die Zollabfertigung erste Kosten (Spesen) an. 5 Hier und im folgenden stützt sich Max Weber auf die Aussagen des Stettiner Sachverständigen E. Brunnckow.

III. Das

5

10

15

20

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Kommissionsgeschäft

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weder ein Realisationsgeschäft geschlossen, reportirt oder er verkauft das ihm als Käufer gekündigte Quantum effektiv am Markt. Alle diese Manipulationen gehen aber, da nur der Kommissionär am Markt präsent ist, durch dessen Hände für Rechnung des Kommittenten. Er schließt auf Order des Kommittenten das Realisationsgeschäft, gibt für ihn die Kündigung weiter oder kündigt ihm seinerseits. Es kommt zwar vor, daß | Kommittenten die Realisa- A 58 tion durch ein anderes Haus besorgen, indem sie, wenn bei einem Kommissionär als Käufer engagirt, die Verkaufsanstellung eines anderen zur Glattstellung benutzen und jenem ersten überweisen. Allein so können naturgemäß nur marktkundige Berufshändler von einiger Bedeutung verfahren. Die Mehrzahl der Kommittenten ist auf Abwicklung durch den Kommissionär, mit welchem sie das Engagement eingingen, angewiesen, und regelmäßig wird diese Abwicklung durch denselben Kommissionär von Anfang an in Aussicht genommen. Der Kommissionär ist in dubio zur Realisation verpflichtet auf Order des Kommittenten. Die „Provision", welche er neben dem Kontraktspreise bezieht, ist nach Meinung einer Anzahl Sachverständiger Entgelt für diese Mühewaltung und das darin liegende Risiko. 6 Eine besondere Provision für das Realisationsgeschäft wird nicht berechnet: es gilt als Form der Engagementsabwicklung39'. Mehr noch als dies äußerliche Moment zeigt jene Gesammtsituation, daß nach der Natur der Sache der Kommissionär, trotzdem er wie ein Proprehändler auf Grund fester Preisofferten seinerseits sich engagirt, doch nicht reiner Proprehändler ist. Nur ein Hamburger Sachverständiger der Spritbranche 40 ' behauptete, und ein mitteldeutscher Zuckerinteressent 41 ' 39

> Frentzel S. 2155.7 > Eulenburg S. 3216. 4I) Brödermann (S. 3296) in einer sehr widerspruchsvollen Aussage. 8 40

6 Dieser Ansicht waren Johannes Robinow, Heinrich Kochhann, E. Brunnckow und Louis Hirsch. Ebd. S.2195, 2417, 2747, 3112. 7 Die Auskunft von Adolf Frentzel findet sich ebd., S. 2195f. 8 Der Hamburger Zuckerhändler Arthur Brödermann behauptete zunächst, als Selbstkontrahent stehe der Kommissionär „auf d e m Standpunkt seines eigenen Interesses, soweit dieses Interesse nicht in Kollision kommt mit demjenigen seines Auftraggebers." Auf Nachfragen von Heinrich Wiener korrigierte sich Brödermann: „[...] bis zur Zeit, w o ich erkläre, daß der mir ertheilte Auftrag ausgeführt ist zu d i e s e m oder jenem Preise, bin ich d a d u r c h Selbstkontrahent geworden, so soll es mir freistehen, etwaige Vortheile für mich ausnutzen zu dürfen [...]." Ebd., S. 3296.

A 58

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

neigte sich der gleichen Ansicht zu, daß der fest anstellende Kommissionär42' sich seinem Kommittenten, d. h. dem Acceptanten seiner Offerten, gegenüber lediglich als Gegenkontrahent zu betrachten habe und betrachte, also lediglich nach seinem eigenen, ohne Rücksicht auf die Interessen des Kommittenten verfahren dürfe. Die Mehrzahl der Sachverständigen war dagegen der Meinung, daß trotz der Form des Eigengeschäftes ein „Treueverhältniß" zur Entstehung gelange und daß der Kommissionär die Interessen des Kommittenten bei Interessenkollision den eigenen voranzustellen A 59 habe; nicht wenige waren grundsätzlich | damit einverstanden, daß z. B. auch ein solcher Kommissionär, wenn er bewußt zum Nachtheil seines Kommittenten handle, wegen Untreue strafbar sein solle. Mit anderen Worten: die Mehrzahl der Sachverständigen wollte den mit fester Anstellung handelnden und deshalb von Anfang an selbsthaftend auftretenden Kommissionär ebenso behandeln wie einen solchen, der im Wege des Selbsteintrittes bei der Ausrichtung die Kontrahentenposition übernommen hat. Dies entspricht in der That der inneren Natur des Verhältnisses. Es ist rechtlich ganz ebenso zu konstruiren - abgesehen natürlich von der hier wegfallenden Rechenschaftspflicht betreffs Innehaltung des Börsenkurses beim Entrirungsgeschäft - , als ob der Kommissionär in die Lage des selbsthaftenden Zwischenhändlers durch Selbsteintritt gekommen wäre. Das Zwitterhafte desselben macht sich freilich in den zahlreichsten Einzelheiten fühlbar. Es ist durchaus nicht die Regel, daß der Kommissionär, welcher zahlreiche Engagements mit verschiedenen Kunden eingegangen ist, sich in der Lage befindet, auf jedes dieser Engagements ein individuelles Gegenengagement nachzuweisen. Die Posten entsprechen einander der Höhe nach nicht immer, denn oft - dieselbe Erscheinung, die bei den Propremaklern vorliegt - hat der Kommissionär den Posten zerlegt, sich zu verschiedenen Kursen gedeckt 43 ', zuweilen, wenn der betreffende Termin an der Börse sich besonders theuer stellt, einen billigeren früheren Termin hereingenom-

AT>

A 59

43 '

Nach Brödermann auch der selbsteingetretene. | Cf. die Aussage des Sachverständigen Schütt S. 2754.

III. Das

Kommissionsgeschäft

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men44'. Es bleibt deshalb, wenn der Verfallmonat herangekommen ist und Kündigungen zur Abnahme an ihn kommen, vielfach seinem Ermessen überlassen, an welchen seiner auswärtigen Kommittenten er diese Kündigung weitergeben will. Koulante Kommissi5 onshäuser, welche mit Berufshändlern als Kunden arbeiten und diese sich zu erhalten ein | erhebliches Interesse haben, pflegen A60 sich mit ihnen in Beziehung zu setzen über die Frage, ob ihnen eine besonders frühe Kündigung oder umgekehrt die möglichste Hinausschiebung derselben erwünscht ist, und vermitteln so gut wie 10 möglich zwischen den Interessen der Betheiligten45). Aber es liegt auf der Hand, daß in jener Möglichkeit, sich diejenigen Kommittenten, an welche die Kündigung weitergegeben wird46), auszusuchen, auch die Möglichkeit gegeben ist, solche auszuwählen, denen die Kündigung besonders unbequem ist, sie durch 15 plötzliches Verlangen der Abnahme aus dem Engagement zu werfen und dann durch Zwangsregulirung zugleich „flottantes" Material im Interesse der Erzielung eines momentanen Preisdruckes zu Gunsten eigener Baissespekulationen zu schaffen. Daß derartige Manipulationen vorkommen, haben die Sachverständigen aus20 drücklich bekundet47^. Der Kommissionär ist nach ihrer Ansicht unter Umständen genöthigt, zur Verminderung seines Risikos' mit 44 ' Z. B. wenn Kaffee per Mai theuer ist, nimmt der Kommissionär den billigeren Apriltermin und ist so in der Lage, den Kunden per Mai um einen Viertelspfennig billiger als die Notirung zu bedienen. Er tauscht dann später die Termine aus. S[iehe] die Aussage des Sachverständigen Embden S. 2187 f.9 | 45 ' Sachverständige Robinow S. 2195, Kochhann S. 2424. Oft bitten die Kommittenten, A 60 sie „durch die Engagements zu schieben", 10 oder sie ersuchen um Realisation für den Fall der Kündigung. Dann verkauft der Kommissionär das Quantum an der Börse und girirt den Kündigungsschein weiter. 46) Schwierigkeiten entstehen für den Kunden natürlich durch die Unmöglichkeit der Qualitätskontrolle. Die usancemäßige Prüfung durch Sachverständige wird der Kommissionär für ihn nur vornehmen lassen, wenn er für die Kosten gedeckt ist. Ein Sachverständiger - Deutsch (S. 3485 f.) - pflegt unter Übersendung von Beuteln mit Proben telegraphische Order, ob Sachverständige zugezogen werden sollen, zu erbitten. 11 47 > Sachverständiger Gierth m S.2186.

I A: Risiko

m A: Gerth

9 D a s B e i s p i e l von Berthold Emil E m b d e n findet sich ebd., S. 2187. 1 0 M a x W e b e r gibt die wörtliche R e d e von Heinrich K o c h h a n n wieder. Die o b e n referierte Stellungnahme von J o h a n n e s Robinow findet sich ebd., S . 2 1 9 2 . I I Die A u s s a g e von H u g o D e u t s c h findet s i c h ebd., S . 3 4 8 8 .

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

den schwächsten Händen thunlichst zuerst abzuwickeln48), - was in Wahrheit nicht zu Gunsten dieser Praxis, sondern gegen die A 61 Betheiligung solcher „schwachen" Hände am Produkten|termingeschäft sprechen dürfte. Ebenso kommen natürlich auch hier nicht selten fortwährende Prolongationen mit Courtage- und Pro- 5 Visionsberechnung ohne irgend welche reale Waarenbewegung vor49'. Alle diese Schwierigkeiten und der innere Widersinn, daß der Kommissionär gewissermaßen sich selbst kündigt und von sich abnimmt, hängen aber mit dem Klientelcharakter des Kommittentenverhältnisses im Börsenverkehr zusammen. 10 Aus dem angeführten Thatbestande geht hervor, daß der Begriff des Schnittes bei der Engagementseingehung bei Geschäften auf Grund fester Anstellungen nicht in Frage kommt. Der Kommissionär deklarirt von vornherein den Kurs, zu dem er anstellt. Die Sachverständigen aus der Provinz versichern, daß sie als selbstver- 15 ständlich voraussetzten, daß der Kommissionär am Kurse verdienen wolle, da die Provision unzulänglich sei.12 - Anders steht dies natürlich bei der Privatkundschaft und bei den Geschäften, die auf Order von auswärts gemacht werden. Und ferner kommt der Selbsteintritt mit Kursschnitt aus dem letzteren Grunde insbeson- 20 dere beim Realisationsgeschäft vor. Die Vorschläge, welche hierzu von den Sachverständigen gemacht wurden, bezogen sich zunächst auf die Fixirung des Zeitpunktes der Ausrichtung. So wollte der Vertreter einer niederrheinischen Kaffeefirma 50 ' einen Zwang zur Anmeldung aller, auch der „in sich" gemachten, Schlüsse bei einem 25 48)

Sachverständiger Robinow S.2190. 13 Daß nicht jeder Fall, in dem mittelst eines Kündigungsscheins eine Mehrzahl von Engagements abgewickelt werden, Unreellitäten voraussetzt - wie Kochhann S. 2417 besonders hervorhebt - , ist klar, da der Kündigungsschein nicht selten mehrere Male in die Hände des Kommissionärs zurückkommt. 14 | 49 A 61 > S.2419. 15 50 > Van Gülpen S. 2175. 16

12 In diesem Sinne äußerten sich die Sachverständigen Gustav Kopisch aus Breslau, Friedrich Wilhelm Meyer aus Hameln und Max Eulenburg aus Hamburg, ebd., S.2741, 2763 und 3216. 13 Die Aussage von Johannes Robinow findet sich ebd., S.2192. 14 Der Hinwels von Heinrich Kochhann findet sich ebd., S.2427. 15 Der Hinwels von Karl Gamp auf diese Spekulationsform findet sich ebd., S. 2148f. 16 Der Vorschlag von Alexander van Gülpen findet sich ebd., S. 2174f.

III. Das

Kommissionsgeschäft

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Makler zwecks Eintragung in ein Kontrollregister einführen. Das würde sicherlich die Folge haben, den Rest von Kommissionscharakter, den die Rechtslage bei Produktentermingeschäften mit Auswärtigen noch an sich trägt, gänzlich zu beseitigen, was auch für 5 das Realisationsgeschäft nicht gerade unmöglich ist. Ein Vertreter einer Berliner Getreidefirma 51 ) wollte für das Realisationsgeschäft den Selbsteintritt ausschließen, also einen Zwang zur effektiven Ausrichtung ausüben, ein Ergebniß, zu dem auch der Vorschlag eines Provinzialgetreidehändlers 52 ) führt, welcher verlangte, daß der 10 Kommissionär | auch beim Selbsteintritt rechnungspflichtig über A62 die Ausrichtung bleiben solle. Andere Sachverständige befürchteten davon eine Einschränkung des Terminhandels, nicht ganz mit Unrecht, denn das meist lediglich in Differenzabrechnungen sich bewegende Privatkunden-Kommissionsgeschäft würde dann er15 schwert. 17 Ein Sachverständiger der Spritbranche 53 ) wollte durch die Art der Kursfeststellung: Anfangs-, Mittel-, Schlußkurs, Abhilfe schaffen, indem dadurch das Publikum gewöhnt würde, Aufträge zu einem bestimmten dieser Kurse zu geben. Die Folge würde natürlich sein, daß auf diesen Moment sich das Geschäft zusammen20 drängt und die Abschlüsse den Charakter des public call annähmen. Es ist klar, daß durchgreifend auch hier nur eine strenge Arbeitstheilung zwischen Propre- und Kommissionshandel wirken würde. Graf Mirbach wollte eine solche durch Verbot aller Eigen25 geschäfte des Kommissionärs erzwingen54), aber selbst die übrigen landwirthschaftlichen Sachverständigen hielten ein solches bei den heutigen Provisionssätzen für unmöglich. 18 Ob allerdings auf die Dauer die Niedrighaltung der Provisionssätze im Interesse des Handels und - was jene landwirthschaftlichen Sachverständigen 30 offenbar annahmen - der Interessenten liegt, ist recht fraglich. Die 51

> > 53 > 54 > 52

Kochhann S. 2417. Rosenfeld S. 2968. | Kantorowicz S. 3229. S. 3485. |

17 In diesem Sinne äußerten sich z. B. Siegfried Sobernheim, Wilhelm Schutt und Hugo Deutsch, ebd., S. 2598, 2754 und 3410f. 18 Den Vorschlag von Graf Mirbach hielten die Amtsräte Schmidt und Hagen für nicht durchführbar, ebd., S. 3485 und 3498.

A 62

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der deutschen

Börsenenquete

Gesammtheit hätte jedenfalls in erster Linie ein Interesse an dem Erstehen eines großen und kapitalstarken Kommissionärstandes. Aber das Mittel ihn zu züchten liegt wohl eher auf dem Gebiete der Börsenorganisation. Im gegenwärtigen Moment würde der Versuch eines radikalen Eingriffes durch einen direkten Zwang zur Arbeitstheilung auch hier vorwiegend verwirrend wirken und kein greifbares Resultat gewährleisten. - Eine einfache Beseitigung des Selbsteintrittsrechtes ferner würde theils - da schon auf Grund fester Anstellungen gehandelt wird - nichts Erhebliches bedeuten, theils durch Strohmänner umgangen werden. Letzteres geschieht in klassischer Form in Frankreich durch das Mittel der sogenannten affaires ä ordre - die Kauforder des Kommittenten wird der A 63 Form nach durch | Ausrichtungskauf mit einem Strohmann ausgeführt, mit diesem aber gleichzeitig ein Verkauf auf den gleichen Termin geschlossen.19 Auch die englischen Produktenkommissionäre (so die Corn factors) scheinen sich nicht zu halten, ausgenommen den Fall, daß das Geschäft im Auktionswege auszurichten ist. Meist sind dort n - insbesondere bei Fabrikaten - weit verwickeitere, mit Bevorschussung, zeitlich und örtlich begrenzten Preislimits verbundene Formen der Kommission üblich.20 3. Die Kommissionsbeschlüsse. Die Berathungen der Kommission begannen in der Sitzung vom 1. November 189255) zunächst mit Erörterungen über den Selbsteintritt und Kursschnitt, und zwar auf Grundlage der Vorschläge des Präsidenten Wiener,1 welcher den Selbsteintritt, und zwar als A 63

55

> S. 192 der Berathungsprotokolle. 2

n Lies: bei den englischen Produktenkommissionären 19 Über die Kaufs- und Verkaufsorder im Pariser Produktengeschäft informierte Siegfried Sobernheim die Börsenenquetekommission und legte das Formular einer solchen Kaufsund Verkaufsorder vor. Ebd., S. 2595. 20 Über die Verhältnisse der englischen Produktenkommissionäre berichtete Adolph Frentzel. Ebd., S.2768f. 1 Der Antrag von Heinrich Wiener findet sich in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 195. 2 Dieser und die folgenden Seitenverweise Max Webers bis einschließlich Fußnote 62 beziehen sich auf: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle. Die Beratungen der 47. Sitzung am 1. November 1892 finden sich ebd., S. 192-194.

III. Das

Kommissionsgeschäft

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das in dubio Eintretende, bestehen lassen, die Kontrolle des Kommissionärs aber durch die Feststellung ermöglichen wollte, daß nur der zur Zeit des Abganges der Ausführungsanzeige maßgebende Kurs, bei Verzögerung der Ausrichtung der etwa günstigere Kurs im 5 Zeitpunkt, wo sie möglich war, bei Verzögerung der Absendung der Anzeige jeder dazwischen notirte etwaige günstigere Kurs der Abrechnungskurs sein sollte. Nach einer demnächstigen Modifikation seines Antrages sollte eventuell die Börsenbehörde über die Frage der Rechtzeitigkeit der Absendung und bei Verneinung die10 ser Frage über den maßgebenden Preis entscheiden, der Kommittent aber, der den Kurs bestreiten wolle, dies innerhalb drei Tagen nach Empfang der Ausführungsanzeige zu thun genöthigt sein56). Der Kursschnitt durch Abschluß eines Geschäftes mit einem Dritten | zu einem günstigeren als dem berechneten Kurse sollte als A64 15 Untreue bestraft werden. Der Kommissionär sollte zur Führung eines besonderen Buches verpflichtet sein, in welches die Aufträge und die Art ihrer Erledigung spezialisirt einzutragen wären57). Geh. Rath Hoffmann wollte lediglich bestimmen, daß der Kommissionär nur den Kurs zur Zeit der Absendung der Ausrichtungsan20 zeige berechnen und, welches dieser war, eventuell zu beweisen habe, mangels dieses Beweises aber nur den Durchschnittskurs des Notirungszeitraumes beanspruchen könne, vorbehaltlich des Rechtes des Kommittenten, zu erweisen, daß die Erzielung eines günstigeren Kurses möglich gewesen sei58). Absichtliche Benach25 theiligung sollte als Untreue strafbar sein59). - Geh. Rath Diffene wollte lediglich die Pflicht zu alsbaldiger Anzeige der Ausübung des Selbsteintrittes feststellen, Geh. Rath Gamp dagegen bestimmen, daß nur die unter behördlicher Kontrolle festgestellten Kurse 56) S. 207. Diese Bestimmungen wären sehr unpraktisch gewesen aus dem von Wiener selbst oft hervorgehobenen Grunde, weil ein Streit regelmäßig erst lange Zeit nachher, nachdem der Kommittent Verlust erlitten hat, einzutreten pflegt, vorher der Kommittent geneigt ist, Alles über sich ergehen zu lassen. 3 | 57 > S. 195. 4 A 64 58 > S. 197. 59 > S. 208.

3 Eine solche Äußerung Heinrich Wieners findet sich z. B. in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S . 3 4 1 . 4 Diese Vorschläge aus d e m ersten Antrag Heinrich Wieners finden sich in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 196.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

Börsenpreise im Sinne des Art. 376 seien.5 - Freiherr v. Huene wollte, unter Durchführung der Notirung mehrerer amtlicher Kurse am selben Tage, den Kommissionär stets, wenn er einen ungünstigeren als einen der amtlichen Kurse berechnete, zum Erweise, daß zu dem gedachten Kurse ein erheblicher Handel stattgefunden 5 habe, nöthigen60'; bei Ausführungsanzeige nach Abschluß der Börse sollte der günstigste seit Eingang des Auftrages erzielte amtliche Kurs maßgebend sein. - Graf Arnim wollte den Kommissionär verpflichten, stets, wenn er nicht entweder ein sofort nach Eingang oder nach Erreichbarkeit des gestellten Limits oder sonst mit dili- 10 gentia diligentis geschlossenes Ausrichtungsgeschäft nachweise, den dem Kommittenten günstigsten aller möglichen Kurse zu berechnen61). - Frentzel dagegen62) wollte den Kommissionär zum Nachweise entweder eines Ausrichtungsgeschäftes oder der „AnA 65 gemessenheit" des | Kurses63) verpflichten, mangels dieses Nach- 15 weises aber der Börsenbehörde die Arbitrirung 6 des Preises überlassen, also in der That für das bonum arbitrium der Börse freien Raum schaffen. Alle diese Vorschläge hatten vornehmlich das Effekten-Termingeschäft im Auge. Es zeigte sich schon hierin, daß eine grundsätz- 20 liehe organische Umgestaltung der Stellung der Kommissionäre, insbesondere die Erzwingung einer Arbeitstheilung zwischen Propre- und Kommissionsgeschäft, unter dem Eindruck der Aussagen der Sachverständigen gänzlich außerhalb der in Betracht gezogenen Möglichkeiten blieb. 25 Angenommen wurde zunächst der Antrag Wiener, betreffend die von dem Kommissionär zu führende Liste, mit der Maßgabe, daß

«» S. 203. 61 > S.205. 7 62 > S. 204. 8 | 631 A 65 Er sollte nachweisen, daß der berechnete Kurs nicht ungünstiger sei, als der Preis, zu dem er ein Geschäft hätte „abschließen können".

5 Die Anträge von Philipp Diffene und Karl Gamp finden sich ebd., S. 192 und 194. 6 Hier in der Bedeutung von „Schätzung". 7 Der Antrag von Graf Arnim findet sich ebd., S. 206. 8 Der Im folgenden sinngemäß wiedergegebene Antrag von Adolph Frentzel findet sich ebd., S. 204f., und die Debatte über den Antrag ebd., S. 198.

III. Das

Kommissionsgeschäft

451

diese den Charakter eines Handelsbuches haben und auch die Kassageschäfte umfassen solle, sowie ferner der Antrag Hoffmann, betreffend die Bestrafung des Schnittes als Untreue (gegen die Stimmen von Frentzel, Mendelssohn, Diffene und eine vierte). 9 Die Fra5 ge der Präventivkontrolle gegen den Schnitt und die Gestattung des Selbsteintrittes wurde einer Subkommission überwiesen. Diese Subkommission64) war zunächst darüber einig, den Selbsteintritt bestehen zu lassen, soweit amtliche Preisnotirungen bestehen, sowie darüber, daß als Ausführungszeitpunkt beim Selbsteintritt der10 jenige der Abgabe der Anzeige zu gelten habe, wenn diese während der Börse erfolge, und daß dem Kommissionär der Beweis des in diesem Zeitpunkt geltenden Kurses obliege. Die Fixirung des Zeitpunktes wollte Frentzel anfangs durch Abstempelung der Ausführungsanzeige, sofern dieselbe nicht telegraphisch erfolge und da15 nach den Zeitpunkt der Aufgabe in sich enthielte, Mendelssohn durch ein an der Börse alsbald auszufüllendes Buch, welches Zeitpunkt des Auftragseingangs, der Ausführung und ihrer Art und den Kurs | enthalten sollte, bewirken. Ersteres wurde als weitläufig, A66 letzteres als unzuverlässig angesehen. 20 Den einzuhaltenden Kurs wollte Wiener, sofern keine Kursnotirung in bestimmten Zeitabschnitten erfolgte - in welchem Falle bei sofortiger Anmeldung der Ausführung bei einem Börsenorgane der betreffende Kurs der maßgebende sein sollte - , nach dem Durchschnitt aller notirten Kurse bestimmen, Frentzel, bei einer 25 nach Schluß der Börse erfolgenden Anzeige, entweder nach dem Schlußkurs oder dem Durchschnitt, je nachdem der eine oder andere dem Kommittenten günstiger sei. Diese letztere Ansicht fand die Mehrheit der Subkommission. 64

' Ihre Protokolle bilden einen besonderen Theil der Publikationen. 10 |

9 Die Debatte über den Antrag Wiener findet sich ebd., S. 199f., die A b s t i m m u n g über d e n Antrag Hoffmann ebd., S. 201. A d o l p h Frentzel, Ernst Mendelssohn-Bartholdy und Philipp Diffene bestanden darauf, mit ihrer G e g e n s t i m m e namentlich genannt zu werden. 1 0 Weber berichtet im f o l g e n d e n nach: Börsenenquetekommission, Protokolle 1, Beschlüsse, S. 1f. und 18, 1. Antrag Frentzel, S. 2, Antrag Mendelssohn-Bartholdy, S . 3 , 2. Antrag Frentzel und Beschluß, S . 8 und 12, Antrag Diffene, S. 14, Antrag Huene, S. 14, Antrag Wiener, S . 9 f . und 14, Anträge Hoffmann, S. 14, und in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 197. Außer Philipp Diffene waren alle hier genannten Antragsteller Mitglieder der unter d e m Vorsitz Karl G a m p s geführten Subkommission. Offizielles Mitglied war a u c h der stets verhinderte Johann J o s e p h van d e n Wyngaert.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

Bezüglich der Frage der Regelung der Voraussetzungen und Formen des Selbsteintrittes bestanden für die Subkommission neben der einfachen Aufrechterhaltung des bestehenden Zustandes mehrere Möglichkeiten, welche in entsprechenden Anträgen ihren Ausdruck fanden, nämlich 5 1. Feststellung der Pflicht zum Nachweis realer Ausrichtung für jeden Fall, in welchem nicht unverzüglich der Selbsteintritt angezeigt wird (Antrag Diffene); 2. umgekehrt: Behandlung des Kommissionärs als Selbstkontrahenten, wenn er nicht entweder sofort (Antrag Huene) oder inner- 10 halb kurzer Frist (Antrag Wiener) einen Drittkontrahenten namhaft macht, - jedoch mit Aufrechterhaltung des Rechtes des Kommittenten, nachzuweisen, daß bei pflichtmäßiger Diligenz der Kommissionär erkennen mußte, daß die reale Ausführung einen ihm günstigeren Preis erzielt hätte; 15 3. Ersatz des Art. 376 Abs. 3 durch eine Bestimmung, welche die darin für den Fall der Nichtanzeige eines Drittkontrahenten festgesetzte eigene Haftung des Kommissionärs in eine Delkrederehaftung umwandelte (Antrag Hoffmann) und ausdrückliche Konstatirung, daß im Fall des Abschlusses eines Geschäftes mit einem 20 Dritten aus Anlaß des Auftrages und vor Absendung der Ausführungsanzeige der Kommittent Berechnung des dabei erzielten günstigeren Preises verlangen kann. | A 67 Die Mehrheit in der Subkommission fand schließlich11 der Vorschlag des Freiherrn v. Huene: den Kommissionär stets als Selbst- 25 kontrahenten zu behandeln, wenn er nicht bei der Ausführungsanzeige Abschluß mit einem Dritten meldet. Eine Hinausschiebung der Ausführungsanzeige und der damit verbundenen Anzeige des Preises und der Art der Ausführung (ob durch Selbsteintritt oder nicht) sollte auch vertragsmäßig nicht als zulässig stipulirt werden 30 dürfen. Die Subkommission war ferner darüber einig, daß der Kommissionär auch als Selbstkontrahent im Treueverhältniß zum Kommittenten verbleibe und daß dies auch in der Fassung des Gesetzes zum Ausdruck kommen müsse. Sie zog insbesondere die Konsequenz, daß der Kommissionär überhaupt den Zeitpunkt der 35 11 Die im f o l g e n d e n g e n a n n t e n Beschlüsse finden sich in: Börsenenquetekommission, Protokolle 1, S. 13 und 15; die A n t r ä g e Hoffmann ebd., S. 14, und in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 197.

III. Das

Kommissionsgeschäft

453

Ausführung ebenso wie deren Form, also auch die Ausrichtung durch Selbsteintritt, nur unter Wahrung der Interessen des Kommittenten wählen dürfe. Dem Kommittenten sollte deshalb der Nachweis nicht nur der Möglichkeit einer Ausführung zu einem 5 günstigeren Zeitpunkt offenstehen, sondern ebenso der Nachweis, daß durch reale Ausführung ein günstigerer Preis zu erzielen war. Die Mehrheit hielt mit letzterer Bestimmung auch den Fall für gedeckt, daß der Kommissionär aus Anlaß des Auftrages ein Geschäft zu einem günstigeren als dem Börsenpreis geschlossen habe, 10 während die Minderheit gemäß dem Vorschlag von Geh. Rath Hoffmann für diesen Fall noch die spezielle Bestimmung wünschte, daß dieser Preis alsdann dem Kommittenten zu Gute komme. Die Befugniß der Parteien, über die Art der Ermittlung des Selbsteintrittspreises Vereinbarungen in Abweichung der getroffenen Be15 Stimmungen abzuschließen, sollte gewahrt bleiben. In Anlehnung an den Hoffmann''sehen Vorschlag wurde endlich eine andere Fassung des Art. 376 Abs. 3 vorgeschlagen, welche das Verhältniß in ein potenzirtes Delkredereverhältniß (mit Haftung für casus) umwandelte.12 20 Bei der Berathung der Vorschläge65^ im Plenum der Kom-| mission wurde demnächst bezüglich der Beweisbefugniß des Kom- A 68 mittenten der Minderheitsantrag angenommen, da der Mehrheitsantrag, dem Kommittenten die Anfechtung des Selbsteintrittes als einer ihm ungünstigen Form der Ausrichtung zu gestatten, eine 25 „Folter" für den Kommissionär herbeiführen würde. Ebenso setzte der Vorsitzende die Beseitigung des zwingenden Charakters der Vorschriften über die Erledigung des Auftrages durch, mit alleiniger Ausnahme derjenigen, welche die sofortige Klarstellung, ob der Kommissionär selbst eingetreten ist oder nicht,0 und des Vorbehal65

' S[iehe] die Zusammenstellung der Vorschläge S. 26 f. der Subkommissionsproto- A 67 kolle. 13 | o Zu erwarten wäre: nicht, verlangt, 12 Als Änderung des Art. 376 Abs. 3 HGB (vgl. unten, S. 973) wurde in Vorschlag gebracht: „Macht der Kommissionär, sofern die Ausführung des Auftrages nicht als durch Selbsteintritt erfolgt gilt, nicht zugleich mit der Anzeige über die Ausführung des Auftrages eine andere Person als Käufer oder Verkäufer namhaft, so Ist der Kommittent befugt, den Kommissionär als den für die Erfüllung des angezeigten Geschäfts selbst Haftbaren in Anspruch zu nehmen." Börsenenquetekommission, Protokolle 1, S. 28. 13 Die Zusammenstellung findet sich ebd., S. 26-28.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

tes zu Gunsten des Beweisrechtes des Kommittenten 66 '. - Damit war freilich die praktische Bedeutung der Beschlüsse auf den einen - gewiß unverächtlichen - Fortschritt, daß die Rechtsstellung des Kommissionärs alsbald klargestellt wurde, beschränkt. Allein dies mußte die nothwendige Konsequenz dessen sein, daß man auf eine Loslösung des Kommissionsgeschäftes vom Proprehandel verzichten zu müssen glaubte, - und nach Lage der Sache wohl in der That verzichten mußte. War dies der Fall, so war das erreichbare Ziel schon dadurch eng begrenzt. Die Verhinderung des Kursschnittes an sich hat ja unzweifelhaft eine wirklich bedeutende Tragweite keineswegs, und das weit bedenklichere „Kursmachen" in kleinen Papieren konnte zweckmäßiger durch Ausschluß solcher Papiere vom Terminhandel und durch ehrengerichtliche Ahndung angegriffen werden 67 '. - Dagegen war es entschieden fehlerhaft, daß man für die Börsenkommission an der handelsgesetzbuchmäßigen Definition des Kommissionärs festhielt, welche auf den Produktenkommissionär überwiegend keine Anwendung findet. 14 Man müßte vielmehr - und damit wäre auch das Bedenken, daß eine Umwandlung der Kommissionäre in Proprehändler die Folge der Reformversuche sein werde - von dem börsentechnischen Begriff des Kommissionärs ausgehen und den Börsenkommissionär definiren als „denjenigen Börsenhändler, welcher mit nicht berufsmäßigen A 69 Börsenhändlern | Spekulationsgeschäfte über börsengängige Artikel schließt und Aufträge zu solchen entgegennimmt". Ein Zweifel über das Zutreffen dieser oder einer ähnlichen Definition wäre niemals entstanden. An eine Erledigung der für das Effekten-Kommissionsgeschäft zentralen Frage nach der realen Anschaffungs- und Vorhaltungspflicht des Einkaufskommissionärs - der sogenannten Depotfrage A 68

66

> S. 354 der Protokolle. 15 > S[iehe] Nr. 1 , 3 , 5 der vorgesehenen Fälle PS. 281P. 16 |

67

p A: Bd. XLIII S. 152 dieser Zeitschrift 14 Der Kommissionär ist definiert in Art. 360 HGB, vgl. unten, S. 970; die nur bedingt anwendbare Definition des HGB ist oben, S.413, Fußnote 3, erläutert. 15 Die im folgenden wiedergegebenen Beschlüsse finden sich in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 346 und 354f. 16 Oben, S.281, Fußnote 121.

III. Das

Kommissionsgeschäft

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- hatte die Kommission zeitweise, einer Anregung Wiener's folgend, herangehen zu müssen geglaubt 68 '. Wiener hatte 69 ' ein kurzes Exposé vorgelegt, welches in der Hauptsache verlangte, daß die Übersendung des Stückeverzeichnisses in jedem Fall auch dem nicht ge5 deckten Kommissionär obliegen, die vertragsmäßige Zulassung der vollen Disposition des Kommissionärs über die Stücke seitens des Kommittenten erst nach Empfang der Nummernaufgabe zulässig sein, bis dahin, zur Deckung des Kommissionärs, nur die Gestattung der Lombardirung unter Wahrung der Identität freistehen 10 sollte. Auch nach einem diesen Bestimmungen gemäß zulässigen Verzicht auf den Identitätsnachweis sollte ein Pfandverkauf erst eine Woche nach erneuter Herstellung der Individualisirung durch Übersendung eines Stückeverzeichnisses zulässig sein. Jedoch verzichtete die Kommission in der zweiten Lesung darauf, auf die De15 potfrage und eine Würdigung des ihr übersandten Depotgesetzentwurfes 70 ' einzugehen, begnügte sich vielmehr mit einer Resolution zu dessen Gunsten 71 '. Im Übrigen wurde in der zweiten Lesung nur noch ein lebhafter Angriff auf den Schnitt gemacht, und zwar von Gamp, welcher den 20 Börsenpreis aus dem Selbsteintrittsrecht des Kommissionärs eliminiren und ihn berechtigen und verpflichten wollte, dem Kommittenten - entsprechend der früher erwähnten Praxis zahlreicher so68

> Cf. S. 202 der Protokolle. 17 A 69 > S. 209,210 daselbst. la > Derselbe ist inzwischen durch einen anderweiten, soeben in den Zeitungen publizirten, beseitigt. 18 71 > Die von Wiener angeregten Änderungen des Entwurfs s. S. 439. 19 | 69

17 Dieser und die folgenden Seitenverweise in den Fußnoten 69 und 7 1 - / 4 beziehen sich auf: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle. 18 Der Entwurf: Depotgesetz 1 wurde im Frühjahr 1892 von der preußischen Regierung im Bundesrat eingebracht. Die Mitglieder der Börsenenquetekommission hatten auf Anregung von Heinrich Wiener beim Reichskanzler Einsicht in den Entwurf beantragt. Er ging der Kommission jedoch erst In der 91., also drittletzten Sitzung zu. Daher hat sich die Kommission mit dem Entwurf nicht mehr beschäftigt, sondern lediglich In einer Resolution den Entwurf unterstützt. Vgl. den Abdruck der Resolution unten, S. 959. Der Entwurf: Depotgesetz 2, eine Überarbeitung durch die Bundesratskommission, erschien u.a. In: Reichsanzeiger, Nr. 130 vom 1. Juni 1895, Besondere Beilage, S. 9. 19 Die angeregten Änderungen zum Entwurf: Depotgesetz 1 finden sich in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S.439f. Sie sind bei der Überarbeitung des Entwurfs von der Bundesratskommission weltgehend berücksichtigt worden.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

A 70 lider Kommissionshäuser - den Durchschnitt | der Preise aller von ihm an dem betreffenden Tage gemachten Schlüsse für eigene und fremde Rechnung - anzurechnen72). Der Antrag fand aber keinen Anklang, ebensowenig der Antrag Diffene, die Vermuthung für den Selbsteintritt, welche er für „korrumpirend" hielt, umzukehren dahin, daß in Ermangelung alsbaldiger Erklärung der Kommissionär als auf den Selbsteintritt verzichtend angesehen werden sollte.20 Die Fassung der von der besonderen Buchführung des Kommissionärs handelnden These wurde modifizirt73', sonst aber erhebliche Änderungen an den Beschlüssen erster Lesung nicht vorgenommen.21 Für das Pfandrecht des Kommissionärs wollte Wiener in einem Antrag 74 ', dessen Berathung in erster Lesung vertagt worden war,22 die zulässige Form der Befriedigung aus dem Pfände durchweg unter Schaffung insoweit einheitlichen Rechtes auf die Form des Art. 311 HGB.'s beschränken, das Auftreten des Kommissionärs als Käufer auf öffentliche Versteigerungen beschränken und entgegengesetzte Vereinbarungen ausschließen. Das letztere - der zwingende Charakter der Norm - drang nicht durch, ebenso nicht der Antrag, die Bescheinigung über den erfolgten Verkauf dahin auszudehnen, daß die Bezeichnung der Stücke erfolgen müsse, womit Wiener dem Zustande, daß gar nicht besessene Papiere verkauft würden, ein Ende machen wollte. A 70

72

> S. 426. Ein auf sie bezügliches Votum Frentzens, welches die Liste als einen Ausdruck eines Spezialmißtrauens gegen die Kommissionäre perhorreszirt, s. S. 431 der Protokolle. 2 3 Bei durchgeführter Arbeitstheilung zwischen Propre- und Kommissionshandel fiele jeder Grund für jene Liste fort. Sobald die deutschen Börsen dem System des Unterbietens in den Provisionen gegenüber dem Ausland entwachsen sein werden, wird die Möglichkeit dieser Arbeitstheilung und mit ihrer Durchführung vielleicht die Überflüssigkeit jener Liste sich ergeben. Übrigens ist nicht einzusehen 11 , warum die Makler der Kontrollemöglichkeit durch ihre Journale unterstehen sollen und die Kommissionäre nicht. 73)

74

> S. 438. |

q A:abzusehen 20 Der Antrag Diffene und die Ablehnung der Anträge Gamp und Diffenö finden sich ebd., S.427-429. 21 Die Beschlüsse der ersten Lesung zum Kommissionsgeschäft finden sich ebd., S. 395-397, die zweite Lesung dazu In der 90. Sitzung am 16. Mai 1893 ebd., S. 426-430. 22 Der Beschluß zur Vertagung findet sich ebd., S. 201, die Im folgenden erwähnte Ablehnung der Vorschläge Wieners ebd., S. 435. 23 Das Votum Frentzels ebd., S. 431 f.

III. Das

Kommissionsgeschäft

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Der namentlich von Prof. Cohn befürwortete Antrag, öffentliche Kassen (Sparkassen, Postanstalten, Reichsbankstellen) | mit der A71 Befugniß auszurüsten, da, wo private Banken nicht genügend für die rechtschaffene Vermittlung des Ankaufes oder Verkaufes von 5 Werthpapieren sorgen, „eine ergänzende Thätigkeit zu entwikkeln", wurde nur unter Streichung der Reichsbankstellen und Beschränkung auf „Kapitalanlage" angenommen.24 Die so gefaßten, aus der Fußnote75) ersichtlichen Beschlüsse | sind in dem Bericht der Kommission durch formell wie materiell A 72 75

> V.Kommissionsgeschäft. 25 A71 A. In entsprechender Änderung des Art. 376 HGB.'s sollen in Betreff des Selbsteintritts des Kommissionärs folgende Bestimmungen getroffen werden: 1. (Anstelle des jetzigen Abs. 1 des Art. 376:) Bei der Kommission zum Einkauf oder Verkauf von Waaren, Wechseln und Werthpapieren, welche einen unter Mitwirkung amtlicher Organe festgestellten Börsen- oder Marktpreis haben, kann der Auftrag zum Abschluß des Geschäfts, wenn der Kommittent nicht ein Anderes bestimmt hat, von dem Kommissionär dadurch ausgeführt werden, daß derselbe sich verpflichtet, das Gut, welches er einkaufen soll, selbst als Verkäufer zu liefern, oder das Gut, welches er zu verkaufen beauftragt ist, als Käufer zu übernehmen. 2. (Abs. 2 des Art. 376.) Im Falle solcher Ausführung des Auftrags ist die Pflicht des Kommissionärs, Rechenschaft über die Abschließung des Kaufs oder Verkaufs zu geben, auf den Nachweis beschränkt, daß bei dem berechneten Preise der Börsenpreis oder Marktpreis zur Zeit der Ausführung des Auftrags eingehalten ist. Der Kommissionär ist zu der gewöhnlichen Provision berechtigt und kann die bei Kommissionsgeschäften sonst regelmäßig vorkommenden Unkosten berechnen. 3. Bestehen innerhalb derselben Börsen- oder Marktzeit verschiedene Börsen- oder Marktpreise, so ist der Börsen- oder Marktpreis, dessen Einhaltung der Kommissionär nachzuweisen hat, der Preis, welcher zu der Zeit bestand, zu welcher der Kommissionär die Anzeige von der Ausführung des Auftrags behufs Absendung an den Kommittenten abgegeben hat. Ist dies in Betreff eines Auftrags, welcher während der Börsen- oder Marktzeit auszuführen war, erst nach Schluß der Börse oder des Marktes geschehen, so ist entweder der Preis, der am Schlüsse bestand, oder, sofern dies für den Kommittenten günstiger ist, der sich aus der Vergleichung sämmtlicher Börsen- oder Marktpreise während der Börse oder des Marktes ergebende mittlere Preis einzuhalten. Werden nach den Einrichtungen der betreffenden Börse innerhalb derselben Börsen- | oder Marktzeit zu A 72 mehreren Malen einheitliche Preise festgestellt, so sind für die Feststellung des vom Kommittenten zu beanspruchenden mittleren Preises lediglich diese festgestellten Einheitspreise heranzuziehen. 4. Dem Kommittenten steht der Anspruch auf die Berechnung eines günstigeren Preises als des in Rechnung gestellten zu, wenn er nachweist, daß der Auftrag zu einem solchen Preise hätte ausgeführt werden können. 5. Hat der Kommissionär vor Absendung der Ausführungsanzeige aus Anlaß des ertheilten Auftrags ein Geschäft mit einem Dritten zu einem dem Kommittenten günsti2 4 Max Weber zitiert aus dem Antrag Cohn, ebd., S. 436, Die endgültige Fassung des Antrags ist dem Abdruck der Vorschläge, unten, S. 959, zu entnehmen. 2 5 Max Weber zitiert aus: Börsenenquetekommission, Vorschläge.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

vortreffliche Ausführungen, 26 welche es gestatteten, die vorstehenA 73 de | Darstellung wesentlich abzukürzen, gestützt. Klar ist, daß eine prinzipielle Umgestaltung des Kommissionswesens dadurch allein geren Preise an der Börse oder im Markte abgeschlossen, als es der dem Kommittenten aufgegebene ist, so steht dem Kommittenten dieser günstigere Preis zu. Die Bestimmung zu 5 kann durch Vertrag nicht abgeändert werden. 6. Erklärt der Kommissionär nicht bei der Anzeige von der Ausführung des Auftrags ausdrücklich, daß ein Selbsteintritt nicht gewollt sei, so gilt die Ausführung des Auftrags als durch Selbsteintritt des Kommissionärs erfolgt. Es kann nicht rechtsgiltig vereinbart werden, daß die Erklärung darüber, ob Selbsteintritt oder Abschluß für Rechnung des Kommittenten mit einem Dritten als Erledigung des Auftrags gelten soll, über den Tag der Ausführungsanzeige hinaus verschoben werden dürfe. 7. (Statt Abs. 3 des Art. 376.) Macht der Kommissionär, sofern die Ausführung des Auftrags nicht als durch Selbsteintritt erfolgt gilt, nicht zugleich mit der Anzeige über die Ausführung des Auftrags eine andere Person als Käufer oder Verkäufer namhaft, so ist der Kommittent befugt, den Kommissionär als den für die Erfüllung des angezeigten Geschäfts selbst Haftbaren in Anspruch zu nehmen. B. Bei Waaren und Werthpapieren, welche einen Börsenpreis oder Marktpreis haben, darf, auch wenn nach Art. 311 HGB. oder Vertrag der Kommissionär sich ohne gerichtliches Verfahren befriedigen kann, diese Befriedigung, abgesehen von den Fällen des Abs. 1 des Art. 312, nur im Wege eines Verkaufs in den Formen des Art. 311 HGB. stattA 73 finden. Der Kommissionär kann hierbei | nur in einem öffentlich bekannt gemachten Verkaufstermin als Käufer auftreten. C. Zu den gesetzlich von einem Kommissionär zu führenden Handelsbüchern gehört, wenn derselbe Aufträge zum Einkauf oder Verkauf von Waaren, Wechseln oder Werthpapieren, welche einen Börsenpreis oder Marktpreis haben, übernimmt, eine besondere Liste, in welche die einzelnen Aufträge zu Geschäften der bezeichneten Art und die einzelnen vom Kommissionär zur Deckung dieser Geschäfte in den betreffenden Waaren, Wechseln oder Werthpapieren abgeschlossenen Geschäfte unter Angabe des Abschlußpreises und des dritten Kontrahenten einzutragen sind. Die Liste hat ersichtlich zu machen, welche der abgeschlossenen Geschäfte für Rechnung eines der Auftraggeber in Ausführung seines Auftrags abgeschlossen sind, welche Aufträge Erledigung durch Kompensation gefunden haben, und zu welchem Preise bei den einzelnen Aufträgen der Selbsteintritt stattgefunden hat. Die Eintragungen in die Liste sind bis zum Ablauf des nächsten Werktages nach Vornahme der betreffenden Akte zu bewirken und mit dem Vermerk des Tages der Eintragung zu versehen. Im Laufe eines Rechtsstreits mit dem Kommissionär kann der Kommittent behufs Führung des Beweises über einen Streitpunkt die Vorlegung dieser Liste fordern. D. Personen, welche gewerbemäßig von dritten Personen Aufträge zum Abschluß von Rechtsgeschäften übernehmen, sind wegen Untreue (Strafgesetzbuch § 266) zu bestrafen, wenn sie absichtlich und, um sich einen rechtswidrigen Vermögensvortheil zu verschaffen, zum Nachtheil ihres Auftraggebers handeln. 27

26 Gemeint sind die Ausführungen in: Börsenenquetekommission, Bericht, S. 162-190. 27 In diesen Fall drohte eine Gefängnis- und Geldstrafe bis zu dreitausend Mark (§266 StGB).

III. Das

Kommissionsgeschäft

459

keineswegs erreicht werden wird. Der Schwerpunkt der hierher gehörigen Frage liegt auf dem Gebiet der Zulassung von Papieren zum Handel und der Wirksamkeit des Ehrengerichtes, im Übrigen aber ist für die Weiterentwicklung auch hier entscheidend die Fra5 ge, ob an den Effektenbörsen 76 ) eine Arbeitstheilung zwischen Kommissionär und Eigenhändler, für welche bisher kaum die ersten Spuren sich andeuten, sich entwickelt; und ob diese sich entwickeln und die damit nothwendigen höheren Provisionen - welche freilich nur scheinbar eine volkswirthschaftliche Mehr|be- A74 10 lastung enthalten - getragen werden können, ist eine Frage der Stärke der internationalen Position der deutschen Börsen. Verdienstlich wäre die Klärung der Rechtslage beim Selbsteintritt, wie sie die Beschlüsse der Kommission bezwecken, jedenfalls; nur ist bedauerlich, daß nicht seitens der Kommission eingehender 15 in den wesentlichsten Punkt, die Depotfrage, eingedrungen wurde. Für verfehlt glaube ich es - um dies zu wiederholen 28 - halten zu sollen, daß die Kommission den formal-juristischen und nicht den börsentechnischen Begriff des Kommissionärs zu Grunde gelegt hat. Wie der Börsenmakler, so ist der Börsenkommissionär eine Er20 scheinung, welche in das selbständig fortzuentwickelnde Börsenrecht gehört und sich von der Rechtsform des Handelsgesetzbuches theilweise emanzipirt hat. |

76) Denn das Kommissionsgeschäft an der Produktenbörse ist weit weniger reformbedürftig. |

28 Oben, S.454.

A 69

j y *)a Zulassung von Effekten zum Handel und Emissionswesen1)' 2 \

Eine allgemeine regulirende Kontrolle der Verkehrsobjekte des A 70 Börsenhandels besteht heute nirgends und ist | auch schwer vorA 69

Vgl. bS. 412ff.' J - Die Theile der Verarbeitung des Börsenenquetematerials c , welche hier jetzt erst erscheinen, da ich an ihrer Fertigstellung für das vorige Heft durch persönliche Verhältnisse und Vorbereitung größerer Arbeiten auf anderem Gebiet verhindert wurde, 1 hinken der Verabschiedung des Börsengesetzes nach. Schon aus diesem Grunde, dann auch weil das Material der Sachverständigen-Vernehmungen in Betreff des Emissionswesens und Effekten-Terminhandels ein recht steriles ist, sind sie knapp gehalten; auch habe ich mich bei Beurtheilung der Vorschläge sehr kurz gefaßt, da sie inzwischen durch das Gesetz überholt sind und dessen Beurtheilung besser s. Z. im Zusammenhang erfolgt. 2 Auf die Darstellung und Erörterung des Produkten-Terminhandels dagegen, über den die Verhandlungen der Kommission wieder ein zwar auch unvollkommenes, aber wesentlich reichlicheres Material bieten, habe ich aus dem Grunde gänzlich verzichtet, weil ich hier voraussichtlich eine Arbeit gethan hätte, die von anderer Seite gründli-

A 70 eher und erfolgreicher, als ich es selbst | vermöchte, geleistet werden kann und hoffentlich auch geleistet werden wird. Ich verweise hier auf die Arbeiten von Dr. Schumacher in Conrad's Jahrbüchern für Nationalökonomie Bd. 64 f. über die amerikanischen Getreidebörsen, denen, wie angekündigt wird, eine umfassende Bearbeitung des Getreide-Terminhandels folgen soll. 3 Schon die bisherigen Ausführungen enthalten auf Grund autoptischer Kenntniß u. A. auch verschiedene dankenswerthe Korrekturen dessen, was im ersten Aufsatz über die Eigenart der amerikanischen Börsen gesagt war. 4 In einzelnen Punkten bleibe ich etwas abweichender Meinung, kann dies aber hier nicht auseinandersetzen. - Die systematische Bearbeitung des deutschen Enquete-Materials hat sich auch die brauchbare Anfängerarbeit von Dr. Pfleger in den Münchener Volkswirtschaftlichen Studien, Heft 15,5 zur Aufgabe gestellt und dieselbe in nicht eben sehr selbständiger, aber im Ganzen fleißiger und sachgemäßer Weise gelöst. - Ich meinerseits hoffe, später auf das Thema speziell des Produkten-Terminhandels zurückzukommen. 6 '' Vgl. hierzu insbes. den Aufsatz von W. Lötz, Die Technik des Deutschen Emissionsgeschäfts (Schmoller's Jahrbuch). 2> Aus dem Fragebogen gehörten folgende Fragen hierher: 7

a In A geht voraus: III. Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete*). Von Herrn Professor Dr. Max Weber in Freiburg i. Br. (Schluß.) Fußnote ist jetzt an die Überschrift angebunden: IV.*) Zulassung von Effekten zum Handel und Emissionswesen 1 ' 2K b A: diese Zeitschrift Bd. XLIV, S. 29 ff. C A: Börsenenquetewesens 1 Mit d e m „vorigen Heft" meint Max Weber das Doppelheft 3/4 des 44. B a n d e s der Zeitschrift für das G e s a m m t e Handelsrecht. Im Doppelheft 1/2 war die dritte Folge d e s Aufsatzes erschienen. Vgl. d e n Editorischen Bericht, oben, S. 1 8 5 - 1 8 7 . Welche persönlichen Verhältnisse u n d w e l c h e größeren Arbeiten Max Weber meint, ist nicht zweifelsfrei festzustellen. Vgl. hierzu die A u s f ü h r u n g e n in der Einleitung, oben, S. 104. 2 Gemeint ist das Börsengesetz vom 22. Juni 1896. Max Weber hat es in seinem 1897 erschienenen Artikel „Börsengesetz", unten, S. 7 9 1 - 8 6 9 , b e s c h r i e b e n und kommentiert. 3 Gemeint sind die Aufsätze: Schumacher, Getreidehandel; ders., Getreidebörsen. Sie erschienen in d e n B ä n d e n 65 und 66 der J a h r b ü c h e r für Nationalökonomie und Statistik.

IV. Zulassung von Effekten und

Emissionswesen

461

stellbar. Der Begriff der „Zulassung" eines Objektes zum Handel kann vielmehr nur den doppelten Sinn | haben: 1. Zulassung der A71 Nr. 1. Haben sich die Bestimmungen über die Zulassung von Papieren zum Handel an der Börse bezw. zur Kursnotirung bewährt, insbesondere diejenigen, wonach die Erfüllung gewisser Voraussetzungen, namentlich ein Prospekt mit bestimmt für die einzelnen Gattungen von Effekten vorgeschriebenem Inhalt, gefordert wird? Oder worin bedürfen dieselben der Abänderung oder Ergänzung - etwa in folgender Richtung: a) Soll eine Mitwirkung staatlicher Behörden (und welcher?) stattfinden8? b) Soll die Zulassung ausländischer Papiere zum Handel und zur Kursnotirung von einem Mindestbetrage der einzelnen Stücke abhängig gemacht werden? c) Soll für die Zulassung von Aktien der bisher grundsätzlich von 9 den größten Börsen geforderte Mindestbetrag des Grundkapitals erhöht werden? d) Sollen für die Zulassung von Aktien dem Prospekt auch die in Art. 210 Nr. 1 des HGB. bezeichneten Verträge beigefügt werden? e) Soll die Zulassung von Aktien vom Verlauf eines gewissen | Zeitraums seit Eintra- A 71 gung der Gesellschaft in das Handelsregister abhängig gemacht werden? f) Ist bezüglich aller an der Börse gehandelten Papiere - nicht bloß der Aktien (vgl. HGB. Art. 180 a, 213 b, 249 a Nr. 2) - eine Verantwortlichkeit des Ankündigenden für den Inhalt des Prospekts gesetzlich einzuführen bezw. ist solche zu verschärfen? g) Soll in dem Prospekt der Preis angegeben werden, zu welchem das Papier von dem oder den Emittenten übernommen worden ist?

Eine umfassende Darstellung zur Getreidehandelsorganisation und z u m Warentermlnhandel Amerikas hatte Schumacher zunächst geplant, dann aber die Fortsetzung der Artikelserie in „unregelmäßigen Zwischenräumen" angekündigt. Schumacher, Getreidehandel, S. 361, Anm. 1; ders., Getreidebörsen, S. 183, Anm. 1, u n d S. 236, Anm. 1. Von Schumacher erschien u . a . noch: Das Verbot des Getreideterminhandels, in: Preußische Jahrbücher, B a n d 85 und 86, 1896, S. 5 3 8 - 5 5 4 und 4 0 8 - 4 1 3 . 4 Oben, S . 2 2 0 - 2 2 5 und 324. Schumacher widerspricht u.a. der Auffassung Max Webers, bei den amerikanischen Börsen handele es sich um korporative und klubartige Organisationen, die um der Geschlossenheit willen hohe Eintrittsgelder erhöben. A u c h führt er aus, daß an d e n großen amerikanischen Börsen der public call bereits A n f a n g der 1890er Jahre als unpraktikabel außer G e b r a u c h g e k o m m e n sei. Schumacher, Getreidebörsen, S. 4 6 - 5 2 , 59, 1 8 7 - 1 9 3 . 5 Heft 15 von Pfleger/Gschwindt, Börsenreform, I. Teil, enthält zwei von Pfleger und ein von G s c h w l n d t erarbeitetes Kapitel z u m Wesen und zur Technik der Börsenenquetekommlsslon. In d e m gleichzeitig erschienenen 16. Heft der Münchener Volkswirtschaftlichen Studien befaßt sich Pfleger, Börsenreform, II. Teil, mit d e n d e u t s c h e n Produktenbörsen. 6 Auf d e n Produktenterminhandel ist Max Weber nicht mehr z u r ü c k g e k o m m e n . Vgl d e n Edltorischen Bericht, oben, S. 186f. 7 Max Weber zitiert aus d e m Fragebogen, In: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 20. Der F r a g e b o g e n ist unten, S. 9 3 1 - 9 3 6 , vollständig a b g e d r u c k t , e b e n s o die im f o l g e n d e n genannten Artikel des HGB, unten, S. 9 6 4 - 9 6 6 . 8 Im F r a g e b o g e n heißt es „bei der Zulassung eintreten". 9 Im F r a g e b o g e n heißt es „an".

462

Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

Mitwirkung der Börsenorgane (Makler, Abrechnungsstellen etc.) bei Eingehung und Abwicklung von Geschäften in dem betreffenden Gegenstand - was voraussetzt, daß eine Kontrolle der betreffenden Organe durch die Börsenaufsichtsinstanzen stattfindet und 2. Zulassung der Preisnotirung im offiziellen Kursblatte - was 5 das Bestehen eines solchen zur Voraussetzung hat. Wo wie in Hamburg und London amtliche Makler nicht bestehen, kommt nur die Zulassung zur Notirung in Betracht, wo - wie im Hamburger Produktenhandel - auch kein amtliches Kursblatt existirt, entfällt der Begriff der Zulassung überhaupt. Für den Effektivverkehr in Pro- 10 dukten und ebenso für denjenigen in Geldsorten und Wechseln ist er aber ganz allgemein ohne praktische Bedeutung. Dieser Verkehr ist heutzutage nur in relativ geringem Maße an die Börse und ihre Organe gebunden, und soweit ein Eingreifen der Börseninstanzen in die Art der Notirung - mit der sich die Börsenordnungen regel- 15 mäßig befassen - stattfindet, hat dies regelmäßig nur den formalen A 72 Zweck der Aufrechterhaltung der | Gleichmäßigkeit und sind Zweckmäßigkeitsrücksichten ausschlaggebend. Anders liegt es beim Produktenhandel nur, soweit der an die Form des Börsenverkehrs gebundene Terminhandel in Frage kommt, den wir hier nicht 20 erörtern. Anders dagegen liegen die Verhältnisse beim Effektenverkehr3\ Der Effektenhandel ist aus den früher erörterten Gründen 1 0 in ganz anderem Maße an die börsenmäßige Verkehrsform gebunden als der Produktenhandel. Auch soweit er sich außerhalb der Börse 25

h) Empfiehlt es sich, den Prospektenzwang auszudehnen: aa) auf alle Konvertirungen, bb) auf Kapitalserhöhungen? i) Soll eine längere Frist zwischen dem Aushang bezw. der Veröffentlichung des Prospekts in den Zeitungen und dem Erscheinen des Papiers an der Börse liegen müssen? k) Soll der Handel per Erscheinen wenigstens insoweit verboten werden, als er in die Zeit vor der Zutheilung oder doch vor der Zeichnung fällt? | A 72

3 ) Auch hier handelt es sich an dieser Stelle nur um die Zulassung zum Handel überhaupt. Die Zulassung des 7erm/nhandels in einem Effekt gehört in die Erörterung dieser Geschäftsform. ]

10 Oben, S. 357-359.

IV. Zulassung von Effekten und

Emissionswesen

463

vollzieht, kann er der Anlehnung an den d Markt und d die sich auf diesem vollziehende Bewerthung nicht entbehren. Der Wegfall der ständigen Marktbewerthung und des Börsenverkehrs in einem Papier entwerthet dasselbe für seinen Besitzer in höchst empfindlicher Weise. Denn für den Kapitalisten stehen offenbar gleichwerthig neben einander: das Interesse am Rentenbezuge einerseits und daneben das andere: sein angelegtes Kapital jederzeit im Wege der Versilberung des Papiers zurückerlangen zu können, aus diesem Grunde auch jederzeit auf dem Laufenden darüber erhalten zu sein, zu welchem Preis die Versilberung jeweilig mit annähernder Sicherheit möglich sein würde. Für diesen Zweck ist aber das Bestehen der ständigen Marktbewerthung ganz unentbehrlich. Die Frage, in welchen Papieren eine solche in Gestalt eines regelmäßigen Verkehrs und geregelter Kursnotirungen an deutschen Börsen stattfindet, ist deshalb maßgebend für die Frage, welche Papiere normaler Weise Gegenstände deutscher Kapitalanlage werden können, da Verkehr und Kursnotirungen im Ausland zur Zeit naturgemäß - und auch erwünschter Maßen - nur für Berufshändler und zu Spekulationszwecken die gleiche Funktion übernehmen können. Die großen Börsen und alle die Börsen überhaupt, welche einen eigenen Marktverkehr in Effekten mit selbständiger Preis-) bildung besitzen, auch diejenigen, welche, wie Hamburg, sonst jede A Einmischung amtlicher Instanzen in den Verkehr vermeiden, haben deshalb ausnahmslos das Institut des amtlichen Kursblattes für Werthpapiere angenommen oder beibehalten und die Zulassung von Werthpapieren zur Notirung in diesem amtlichen Kursblatt und, soweit sie amtliche Verkehrsorgane (Makler etc.) besitzen, auch die Zulassung der Inanspruchnahme dieser Organe für Geschäfte in Werthpapieren geregelt. Die Börsen haben damit die Disposition darüber, wie der erheblichste Theil der Ersparnisse der Nation 11 verwendet wird, an sich gezogen, und es ist die Frage der

d A: Markt, und 11 Hier spielt Max Weber vermutlich auf die Schätzungen von Schmoller, Einleitung, S. IX, XI und XXI, an. Schmoller vermutete, daß von ca. 2V2 bis 4 Millionen d e u t s c h e n Sparern die Hälfte bis Dreiviertel ihr Kapital in Wertpapieren angelegt hätte. Die jährlichen Ersparnisse der „deutschen Nation" schätzte Schmoller auf 2 bis 2,5 Milliarden Mark, von d e n e n ca. 1 Milliarde Mark in Wertpapieren angelegt würden.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

Zulassung von Papieren zum Handel an der Börse deshalb untrennbar verknüpft mit der Frage der Behandlung des Emissionsgeschäftes. Zwar kommt es überall und so auch bei uns häufig vor, daß Papiere, die aus einer Neugründung oder Anleihe entstehen, durch die Schuldner oder von einem Bankhaus an Kunden abge- 5 setzt oder im Wege der Subskription begeben werden, ohne daß die Börse in Anspruch genommen wird oder daß im Ausland gehandelte Papiere vom inländischen Publikum zur Kapitalanlage oder auch - leider - zu Spekulationszwecken außerhalb des Börsenverkehrs bezogen werden. Der Kapitalbetrag, der die Werthpapier- 10 form so unter Umgehung der Börse annimmt, ist ein sehr bedeutender, bei den ausländischen Papieren überwiegt sogar, wenn auch nicht der Kapitalbetrag, so doch die Zahl der auf diesem Schleichpfad eingeschmuggelten die emittirten. Aber die Regel ist aus den soeben erörterten Gründen 12 doch, daß mit der Emission eines neu 15 kreirten und der beginnenden Einführung eines schon bestehenden Papiers bei den Kunden seine Einführung auch an der Börse verbunden wird4). Und es ist das im Interesse der inländischen Kapitalisten auch unbedingt wünschenswerth. | A 74 Die technische Seite des Emissionsgeschäftes und die rechtliche 20 Konstruktion der Emissionssyndikate kann in unserem Zusammenhang nicht eingehender besprochen werden, es ist dies auch gegenüber den darüber vorhandenen Arbeiten 13 nicht nöthig5). 4> Darauf wirkt auch hin, daß nur auf Grund offizieller Notirungen ein Selbsteintritt des Kommissionärs rechtlich möglich ist. Rein private Preisnotirungen stellen keinen „Börsenpreis" dar. | 5) A 74 Es bleibt deshalb auch die noch immer nicht ganz abgeklärte Judikatur über die Syndikate hier unerörtert. 14 N e b e n anderen Mängeln derselben macht sich insbesondere

A 73

1 2 Oben, S.463. 1 3 Vermutlich dachte Max Weber an den oben, S.460, Fußnote 1, genannten Aufsatz von Walther Lötz. An welche sonstigen Arbeiten Max Weber gedacht hat, kann nicht erschlossen werden. 14 Zur Zeit Max Webers wurden die Begriffe Emissionssyndikat und Emissionskonsortium synonym verwendet und meinten dann eine Vereinigung von Kaufleuten (Banken) zu dem Zweck, bestimmte Wertpapiere vom Ausgeber zu übernehmen und zu einheitlichen Bedingungen gemeinsam am Markt zu plazieren. Doch hatte sich im wirtschaftlichen Sprachgebrauch auch schon eine Praxis durchgesetzt, die im Produktionsbereich Syndikate als Kartelle höherer Ordnung bezeichnete, also als wettbewerbsbeschränkende Absprachen über Preise und Produktionsmengen, unter Umständen mit gemeinsamer Verkaufsstelle, von Anbietern der gleichen Produktionsstufe. Die Zulässigkeit derartiger wettbewerbsbeschränkender Gesellschaftsverträge war längere Zeit umstritten. Erst ein Urteil

IV. Zulassung

von Effekten

und

Emissionswesen

465

Es sei daher hier nur daran erinnert, wie auch die technische Gestaltung des Emissionswesens ein Beispiel dafür darstellt, in wie beschränktem Umfang das vermeintlich den Börsenverkehr beherrschende Konkurrenzprinzip faktisch wirksam wird. Vorbereitet 5 durch Konsortien von Kapitalmächten ersten Ranges, welche so viel wie möglich ihresgleichen durch ein System von Unterbetheiligungen an ihr Interesse zu ketten streben, wird die Unterbringung und Bewerthung des neu eingeführten Papiers auch in ihrem Verlauf keineswegs dem „freien" Verkehr des „Marktes" überlassen. 10 Die Marktbewerthung beginnt bereits vor der - nicht immer erfolgenden - Subskription als „Handel per Erscheinen" - nämlich der demnächst zugetheilten Stücke im Verkehr 6 ' - unter stetiger Kontrolle der interessirenden Banken, die eventuell eingreifen und einen Kurs zu erzielen suchen, welcher die Subskription vortheilhaft 15 erscheinen läßt und damit die nachgerade selbstverständliche „Überzeichnung" herbeiführt. Ganz abgesehen sodann davon, daß die interessirenden Häuser es faktisch in der Hand haben, durch Zeichnungen aus ihren Kreisen sich Bruchtheile des Emissionsbetrages zum Zweck des allmählichen freihändigen Verkaufs bei gün20 stiger Kursentwicklung zu sichern, pflegen die Bankhäuser sich A75 überdies ausdrücklich die Verfügung über die Art der Zutheilung völlig frei vorzubehalten. Sie benutzen diese Klausel, um die sogenannten „Konzertzeichner", d. h. die Spekulanten, welche das Papier nicht zur Anlage, sondern zur Kursspekulation begehren, 25 thunlichst auszuschließen. Dies Ziel wird überdies durch die Maßder Verlust des im Mittelalter geläufigen Rechtsbegriffes des e „capitaneus negotii" e fühlbar, der namentlich für die Scheidung von Associationsverhältnissen mit Subordination und mit Koordination werthvoll wäre. 15 6) In Berlin sind die vereidigten Makler nach Prospektzulassung zum Handel ermächtigt, die offizielle Notirung beginnt erst nach der Zutheilung. 1 6 | e A: „capitaneus" negotii des Reichsgerichts von 1897 erkannte Kartellverträge als verbindlich an, wenn sie es nicht auf „die wucherische Ausbeutung der Konsumenten abgesehen" hatten und nicht einen Kartellzwang ausübten, um ein direktes Monopol zu schaffen. Entscheidungen des Reichsgerichts in Civilsachen, Band 38, 1897, S. 155-162; Zitat, ebd., S. 158. 15 Hier spielt Max Weber auf die vertragsmäßig geregelte Stellung des capitaneus negotii, des leitenden Unternehmers der mittelalterlichen Commenda, gegenüber seinen Teilhabern (socii) resp. stillen Teilhabern an, mit denen er sich in seiner Dissertation beschäftigt hatte. Weber, Handelsgesellschatten, S. 100-103 (MWG 1/1). 16 Diese Bestimmung ist in § 13 der Revidierten Börsenordnung für Berlin enthalten.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

regel der sogenannten „Sperrung" von Stücken angestrebt, indem nämlich denjenigen Zeichnern eine Präzipualberücksichtigung zugesagt wird, welche die Verpflichtung übernehmen, die Stücke während eines längeren Zeitraumes nicht zu veräußern und demgemäß sie im Depot der Bank zu lassen. Endlich pflegen die Bank- 5 häuser auch nach der Zutheilung die Kursentwicklung mindestens so lange zu kontrolliren und eventuell durch Interventionskäufe, unter Umständen auch -Verkäufe zu beeinflussen, bis sie selbst ihre Vorräthe vollständig abgestoßen haben. Diese kursregulirenden Interventionen als an sich unsolid perhorresziren zu wollen, 10 wäre überaus thöricht. Wenn innerhalb angemessener Grenzen und nicht unter dem Gesichtspunkt bloßer Ausbeutung des Publikums geübt, entsprechen sie vielmehr den Interessen des soliden anlagesuchenden Kapitalisten, dem es nicht erwünscht sein kann, die Bewerthung seiner Papiere wilden und unkontrollirbaren 15 Schwankungen der Marktlage, die durch egoistische Augenblicksinteressen kämpfender Spekulantengruppen hervorgerufen werden, ausgesetzt zu finden. Die uns im Wesentlichen allein interessirende Einwirkung der Börsen auf das Emissionsgeschäft kommt in der Praxis derselben 20 bei der Zulassung von Papieren zum Handel und zur Notirung und in den Erfordernissen, an welche sie diese Zulassung knüpfen, zum Ausdruck. Die englisch-amerikanischen Börsenhändlerzünfte 17 haben wohl sämmtlich - besondere gewählte Instanzen, „Committees on 25 Stock List" zur Kontrolle des Kurszettels und der Zulassung zur Notirung. Die Monopolstellung der Börsen und ihrer Kurszettel ist oft durch ausdrückliches Verbot alles öffentlichen Handels außerhalb der Börse (so in New York) und durch Verbot aller privaten A 76 Kursnotirungen (London) | gewahrt. Gelegentlich erscheint auch 30 das echt zünftlerische Verbot der Zeitungsreklame, in Chicago die Vorschrift, die Erlaubniß zu Reklamen für Papiere bei der Börsenzunft nachzusuchen. Besonders charakteristisch tritt dabei der alte

17 Bei der folgenden Darstellung der englisch-amerikanischen Fondsbörsen stützt sich Max Weber zum Teil zitierend auf: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 114 und 117 (Chicago), S. 124f. (New York) sowie S.72 und 75 (London).

IV. Zulassung von Effekten und

Emissionswesen

467

„Vorkauf" des Mittelalters 18 in der Bestimmung hervor, daß im Fall der Ertheilung der Erlaubniß der Emittent die Papiere den Zunftmitgliedern mit Rabatt - V 4 % billiger als dem Publikum abgeben müsse. Die Verfügung der zulassenden Committees ist meist eine grundsätzlich arbiträre. So namentlich in Amerika. Der Antrag auf Zulassung zur Notirung im Kursblatt hat dort lediglich die unentbehrlichsten äußerlichen Angaben (Zahl und Betrag, Sicherheiten, Zahlstelle, bei Aktiengesellschaften Schuldenstand) zu enthalten. Positive Vorschriften über die Voraussetzungen der Zulassung sind zumeist nur für den Handel in Aktien gegeben und hier wesentlich nur - was allerdings unter der dortigen Rechtslage unentbehrlich ist - solche, welche die formale juristische Verität sicherstellen (Registrirung der Aktien bei Banken etc.). Nur der, angesichts der hochentwickelten amerikanischen Technik des „Aktienpantschens" („watering the stock") besonders suspekte Fall der Kapitalerhöhung ist regelmäßig durch Vorschrift besonderer Fristen zwischen Anzeige und Emission ausgezeichnet. Im Übrigen kann die Zulassung aber wohl ziemlich allgemein verweigert werden, „if reasons for doing so appear to exist", 19 - was praktisch natürlich nur in gewissen extremen Fällen in Betracht kommt. Wesentlich eingehender geregelt ist das Zulassungsverfahren an den englischen, zumal der Londoner Fondsbörse, wo die Frage der Zulassung schon in den 70er Jahren nach den schlimmen Erfahrungen, die man mit den Papieren amerikanischer Kleinstaaten gemacht hatte, amtliche Enqueten und die Literatur beschäftigt hat. 20 Es tritt hier das Verlangen der Einreichung des Prospektes zur Prüfung auf, daneben die Vorschrift, daß der Zulassungsantrag eine bestimmte Frist - 3 Tage - vor der Überweisung an das Committee öffentlich aushängen müsse. | 1 8 Der Begriff Vorkauf wurde im Mittelalter u n d der frühen Neuzeit in verschiedenen Bed e u t u n g e n verwendet. Im vorliegenden Fall bezeichnet er das Recht, bei einem Verkauf vor einem anderen kaufen zu dürfen. An Handelsplätzen, wo sich der spätmittelalterliche Rechtssatz, Gast darf nicht mit Gast handeln, nicht streng durchführen ließ, bestand für den fremden Kaufmann (Gast) meistens der Zwang, seine Waren zunächst nur an Einheimische zu verkaufen. Der beim ersten Verkauf erzielte Preis galt d a n n für alle Bürger. Erst wenn diese ihren Bedarf g e d e c k t hatten, durfte der Gast mit einem anderen Gast handeln. 1 9 Max Weber zitiert aus ebd., S. 125. 20 Gemeint sind die Enqueten der Jahre 1875 und 1878, über die Cohn, Auswärtige Anleihen, S. 4 1 2 - 4 5 9 , ders., [Rezension von:] London Stock Exchange Commission, sowie Struck, Effektenbörse, berichten. Vgl. hierzu ausführlicher, oben, S. 216, Anm. 72.

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Die

Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

A 77

Von den Börsen des französischen Rechtskreises entscheidet an der Pariser Börse die aus den Monopolmaklern hervorgehende Chambre syndicale über die Aufnahme in den Kurszettel und über die eventuelle Streichung, übt auch die Befugniß, den Handel in einem Effekt eventuell gänzlich zu verbieten. Besondere Bestim- 5 mungen bestehen für die Zulassung fremder Werthe7'. Die Einführung und den Handel solcher kann der Finanzminister jeder Zeit untersagen. Ihre Einführung darf die Chambre syndicale nur bei Vorlegung der mit Konsularbescheinigung versehenen Belege für die Verität und der im Steuerinteresse erforderten Nachweise be- 10 schließen. Sie kann außerdem beliebige sonstige Auskünfte und Belege verlangen. Materiell ist bei Aktien eine bestimmte Höhe des Stückbetrages je nach der Höhe des Grundkapitals vorgeschrieben. In Brüssel21 ist das Grundkapital selbst auf in minimo 1 Million 15 Franken festgesetzt. Im Übrigen aber ist hier der in London nur andeutungsweise entwickelte Aufgebotsgedanke am konsequentesten durchgeführt. Der Antrag (demande) auf Aufnahme eines Effektes in den Kurszettel wird 8 Tage lang auf der Börse ausgehängt; während dieser Frist können von Jedermann schriftlich Bemerkun- 20 gen bei der Zulassungskommission eingereicht werden; nach ihrem Ablauf wird über den Antrag entschieden. Der sonstigen Organisation der österreichischen Börsen entsprechend ist auch auf dem Gebiet der Zulassung zum Handel die bureaukratische Reglementirung hier am weitgehendsten: nach § 9 25 des Börsengesetzes bestimmt der Finanzminister „nach Anhörung der Börsenleitung", welche Werthpapiere gehandelt und notirt werden dürfen.22 Eine Zulassung von Werthpapieren gegen das Vo-

A 77

7 < D e k r e t v o m 6. F e b r u a r 1880. V o r g e k o m m e n soll ein formelles bei e i n e m w e n i g e r h e b l i c h e n P a p i e r s e i n . 2 3 |

V e r b o t n u r ein M a l

2 1 Die f o l g e n d e n A n g a b e n entnimmt Max Weber: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 64. 2 2 Max Weber übernimmt hier fast wörtlich die Formulierung aus ebd., S. 95. § 9 d e s hier gemeinten Gesetzes vom I.April 1875 lautet vollständig: „Der Finanzminister bestimmt, nach A n h ö r u n g der betreffenden Börseleitung, w e l c h e Werthpapiere an d e n Börsen börsemäßig und im amtlichen Coursblatte notirt w e r d e n dürfen." Die f o l g e n d e n A n g a b e n entnimmt Max Weber aus: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 164. 2 3 Hier und im f o l g e n d e n stützt sich Max Weber auf Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 82. Auf A n f r a g e bei der französischen Regierung er-

IV. Zulassung von Effekten und

Emissionswesen

469

tum der Börsenleitung ist bisher nicht eingetreten, eine Abweisung eines von | einer Börsenleitung befürworteten Zulassungsgesuches A 78 in den zwanzig Jahren seit Geltung des Gesetzes in zwei Fällen. An den deutschen Börsen sind die Zustände hier wie sonst nicht 5 ganz gleichartige und noch weniger konsequent ausgestaltet. Zunächst herrscht schon in Bezug auf die Möglichkeit staatlichen Eingreifens Zweifel. Für die preußischen Börsen ist die Befugniß des Handelsministers, den Handel in bestimmten Objekten zu verbieten, 24 zweifellos. Irgend eine amtliche Information desselben über 10 die Absicht der Neueinführung von Papieren an den Börsen findet jedoch nicht statt. Für die Hansestädte ist die höchste Instanz für die Börse die Handelskammer, und es bestritt sogar geradezu ein Theil der Hamburger Sachverständigen den politischen Behörden, insbesondere dem Senat, die Befugniß, seinerseits einzugreifen. 15 Dies übrigens wohl zweifellos mit Unrecht8). - Daß es zu einem formellen Einspruch des Ministers kommt, entspricht übrigens selbstverständlich dem thatsächlichen Hergang auch in Preußen nicht. Es ist mir wenigstens davon kein Fall bekannt und wurde bei den Berathungen auch nur auf einen einzigen - offenbar die bulga20 rische Anleihe - angespielt.25 Bei fremden Anleihen von politischer Bedeutung pflegen die Emissionshäuser sich in ihrem Interesse mit 8

< Cf. die Äußerung des Sachverständigen Lappenberg S. 1153.26 |

hielt die Börsenenquetekommission die Auskunft, daß der französische Finanzminister von dem Zulassungsverbot des Dekrets vom 6. Februar 1880 einmal Gebrauch gemacht habe, als er den Handel mit Aktien einer italienischen Versicherungsfirma untersagt hatte. Ebd., S. 157. 24 Diese Befugnis leitet sich aus den Bestimmungen des Art. 3 §§ 1 - 2 des preußischen Einführungsgesetzes zum HGB von 1861 ab. 25 Davon hatte Emil Salomon berichtet: Das Börsenkommissariat hätte die Anleihe abgelehnt, „weil die staatlichen Verhältnisse Bulgariens nicht festgestellt" gewesen wären. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1096f. Die in Gold verzinsliche 6%ige Staatseisenbahn-Anleihe in Höhe von 50 Millionen Lewa resp. 24,3 Millionen Mark für die Strecken Zaribrod - Sofia - Vakarel und Jambol - Burgas wurde von der Österreichischen Länderbank und dem Wiener Bank-Verein im Januar 1890 emittiert (Prospekt, in: BBC, Nr. 13 vom 8. Jan. 1890, Ab.BI., Beilage, S. 3). Das Fürstentum Bulgarien war seit dem Berliner Friedensvertrag vom 13. Juli 1878 nicht zur Ruhe gekommen. Der seit 1887 regierende Fürst Ferdinand aus dem Hause Coburg war bis 1896 infolge des Widerspruchs Rußlands und der Ablehnung des Osmanischen Reiches von den Großmächten nicht anerkannt; und im Inneren trugen mehrere Umsturzversuche zu anhaltender Unsicherheit bei. 26 Die Äußerungen von Fritz Lappenberg finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1339. Die Eingriffsbefugnis des Senats bestritten die Sachverständigen Siegmund Hinrichsen und Max Schinckel. Ebd., S.629 und 1098.

A 78

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

der Regierung vorher in Beziehung zu setzen. So geschah es z. B. durch vertrauliche Informationen während des russisch-türkischen Krieges.27 Umgekehrt pflegt auch das Auswärtige Amt aus eigener Initiative sich um politisch interessirende Emissionen zu kümmern. So bei den vielberufenen Argentiniern, wo seitens desselben Ein- 5 Wirkungen zu Gunsten weitergehender deutscher Kapitalinvestitionen auf die Emissionshäuser ausgeübt wurden.28 Im Übrigen verläuft die Zulassung von Papieren zum Handel wie folgt: | A 79 Die deutschen Börsen verlangen durchweg - außer für die 10 Reichsanleihen und die Anleihen des betreffenden Staats - die Vorlegung eines Prospektes, - bei Konversionen wenigstens im Fall damit verbundener Kapitalerhöhung, - und haben für dessen Minimalinhalt typische Anforderungen aufgestellt. Diese sind für Berlin in den „leitenden Gesichtspunkten, welche sich aus der bisheri- 15 gen Praxis des Börsenkommissariats bei Behandlung der in §13 der Revidirten Börsenordnung vorgeschriebenen Einführungsprospekte ergeben haben", niedergelegt9). Soweit die übrigen Börsen A 79

9)

S[iehe] diese S. 47 f. Anm. 1 des Börsenenqueteberichts. 2 9

2 7 Nach der Unterwerfung Serbiens durch das Osmanische Reich griff Rußland zur Lösung der hier gemeinten Orientkrise 1877 in den Krieg ein, nachdem von deutscher Seite wohlwollende Neutralität garantiert worden war. Die Im Frieden von San Stefano im März 1878 von Rußland diktierte Neuordnung der Balkanstaaten, Insbesondere die Schaffung eines großbulgarischen Staates, stieß auf den Widerstand Englands und führte zur Revision der russischen Friedensbedingungen auf dem Berliner Kongreß Im Sommer 1878. Infolgedessen verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Rußland und dem Deutschen Reich. Zur Finanzierung des russisch-türkischen Krieges plazierte Rußland an der Berliner Börse die 5%ige russische 1877er Anleihe und 1878 eine sowie 1879 zwei 5%lge russische Orient-Anleihen. Die Orientanleihen wurden von den Bankhäusern Mendelssohn & Co und S. Bleichröder übernommen. In Absprache zwischen Gerson Bleichröder und Bismarck wurden die Anleihen In Teilbeträgen aufgelegt. Der letzte Teilbetrag wurde erst Im Herbst 1879 aufgelegt, nachdem sich die deutsch-russischen Beziehungen wieder beruhigt hatten. 2 8 Emil Russell hatte berichtet, daß das Auswärtige Amt noch Ende der 1880er Jahre die Banken aufgefordert hatte, In argentinische Unternehmungen zu Investieren. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 370 und 493. Nach Schmoller, Einleitung, S. XXIVf., hatten die Deutschen für rund 238 Millionen Mark argentinische Wertpapiere gekauft und große Kursverluste erlitten, als Argentinien 1890 in Zahlungsschwierigkelten geriet. Vgl. dazu unten, S. 623, Anm. 6. 2 9 Die Leitenden Gesichtspunkte, Alte Fassung 1888, einschließlich des § 13 der Revidierten Börsenordnung für Berlin von 1885 sind in: Börsenenquetekommission, Bericht, S. 4 7 - 5 1 , Anm. 1, abgedruckt.

IV. Zulassung

von Effekten

und

Emissionswesen

471

zu einer bestimmten Fixirung ihrer Praxis bereits Veranlassung gehabt haben, haben sie regelmäßig die Berliner „leitenden Gesichtspunkte" zu Grunde gelegt. Diese letzteren selbst wollen keineswegs in erster Linie eine Norm für das künftige Verhalten der Zu5 lassungsinstanzen sein, sondern vielmehr nur den Emittenten über die bisherige Praxis informiren. Sie sind demgemäß fortwährendem Wandel unterworfen 10 ) und in keinem Sinn verbindlich für die Börsenbehörden selbst. Die Einzelaufführung der darin niedergelegten Forderungen ist hier unthunlich"). Allgemein wurde 1892 ver10 langt: Zahlbarkeit in Berlin als Regel, Vollzahlung der Stücke, bei Papieren in fremder Valuta Verständigung über den Umrechnungskurs, sodann alle für die Beurtheilung der rechtlichen Unanfechtbarkeit des Papiers wesentlichen Angaben und Nachweise und ferner solche, die über den „inneren Werth" des Papiers soweit Aus15 kunft geben sollen, daß das Publikum zum eigenen Urtheil darüber befähigt sei - so Bilanzen und Geschäftsberichte, bei Umgründungen Übernahmepreis und Gründergewinnste etc. - , alles ihrer Natur nach ziemlich äußerliche Merkmale, die aber | allerdings die A 80 einzigen ziffernmäßig darzustellenden Anhaltspunkte bilden 12 '. I0 > In einzelnen Jahren sind mehrere Dutzend Änderungen vorgekommen. S[iehe] Kämpf S. 779. 30 n ' Sie zählen in 14 Einzelabschnitten die zu machenden Angaben und die zu liefernden Nachweise für die einzelnen Kategorien von Papieren auf. | 12 > Nicht wesentlich abweichend sind die Hamburger „Leitenden Gesichtspunkte". A 80 D i e Frankfurter stimmen völlig damit überein. In Bremen kann ein in Berlin, Hamburg, Frankfurt oder London zugelassenes Effekt ohne Prospekt zugelassen werden. In Leipzig ist ein Prospekt nicht unbedingt erforderlich. Man verlangt formal nur, daß drei Antragsteller die Zulassung vorschlagen. München und Stuttgart verlangen Prospekte. 31

30 Dieser und alle folgenden Seitenverweise bis einschließlich S. 482, Fußnote 43, beziehen sich auf: Börsenenquetekommission, Stert.Ber. Johannes Kaempf hatte berichtet, daß seit der Fixierung der Leitenden Gesichtspunkte Im Jahr 1888 20 bis 30 Veränderungen notwendig geworden seien. Die für den Sommer 1892 geplante Überarbeitung sei wegen der Börsenenquetekommission zurückgestellt worden. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Börsenenquetekommission erschienen die Leitenden Gesichtspunkte in neuer Fassung erst Im November 1894. 31 Hier stützt sich Max Weber vermutlich auf die Auskünfte von Julius Favreau (Leipzig), Max Schinckel (Hamburg), Wilhelm Finck (München) und Alexander von Pflaum (Stuttgart), In: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.623, 1100, 1112 und 1502, sowie auf die Angaben in: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 26 (Frankfurt) und 54 (Bremen).

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

Von allgemeinen Anforderungen materieller Art kommt wesentlich die Feststellung eines Mindestkapitals für zuzulassende Aktien in Betracht. In Berlin, Frankfurt, Hamburg ist dafür 1 Million herkömmlich, in Leipzig V2 Million, in München 800 000 Mark u.s.w. Streng bindend wird auch dies Erforderniß nicht überall innegehal- 5 ten. In Frankfurt ist ein Dispens vom Betrag aus lokalen Gründen in einem Fall vorgekommen, - angeblich mit „nicht günstigem" Erfolg13). Auf Grund dieses Prospektes entscheidet, regelmäßig auf Grund des Antrages eines dazu bestellten Referenten, die zuständige Bör- 10 seninstanz. Diese ist in Berlin die Sektion des Börsenkommissariats für die Effektenbörse, in Hamburg die Sachverständigenkommission für den Effektenhandel, in welche die Handelskammer jährlich 9 Personen, zum Theil aus ihrer Mitte, deputirt, 32 in Bremen eine entsprechende „Sachverständigenkommission", in Frankfurt und 15 sonst meist die Handelskammer, an den völlig autonomen Börsen der Vorstand des betreffenden Vereins. Vom Börsenkommissariat geht in Berlin die Berufung an das Ältestenkollegium. Die Börseninstanzen nehmen für sich das Recht arbiträrer Entscheidung in Anspruch. Sie verlangen eventuell an Nachweisen 20 mehr, als das Herkommen erfordert, insbesondere Vorlegung der Übernahmeverträge bei Staatsanleihen, und weisen unter UmstänA81 den Papiere lediglich wegen nicht genügen]der Berücksichtigung des betreffenden Platzes oder überhaupt ohne Angabe des Grundes zurück14'. Sehr häufig sind definitive Ablehnungen im Allge- 25 13

A 81

> Sachverständiger v. Guaita S. 801. 33 | In Berlin sind in den letzten Jahren neben bulgarischen Anleihen, die aus politischen Gründen abgewiesen wurden, Aktien der Königstadt-Brauerei, solche einer amerikanischen Gründung, Ziegelei-Aktien und nur wenige andere abgelehnt worden. Auch in Hamburg ist es nur vereinzelt vorgekommen, daß Emittenten auf übernommenen Papieren sitzen blieben. 3 4 14)

3 2 Die Bestimmung ist der Bekanntmachung der Hamburger Handelskammer vom 2. Januar 1879, in: Jürgens, Börsenhandbuch, S. 69, zu entnehmen. 3 3 Die Angaben von Max von Guaita zu Frankfurt finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 802. 3 4 Zur bulgarischen Anleihe vgl. oben, S.469, Anm.25; von den Zurückweisungen des Berliner Börsenkommissariats berichtete Emil Salomon, Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1096 und 1149. Max Schinckel erzählte von einem Fall in Hamburg, bei dem es erhebliche Schwierigkeiten gegeben hätte, die geforderten Unterlagen zu beschaffen. Darüber habe man den Emissionstermin verpaßt und sei ein halbes Jahr auf der Anleihe sitzen geblieben. Ebd., S. 1149f.

IV. Zulassung von Effekten und

Emissionswesen

473

meinen nicht15), dagegen entstehen bei einem großen Theil der Prospekte Desiderate irgend welcher Art, welche auf Verlangen abgestellt werden. Es existirt bereits die gewerbsmäßige Herstellung formal korrekter Prospekte durch Annoncenbureaux 16 ). Die 5 Prüfung ist nach dem allgemeinen Eindruck eine formell recht sorgfältige. Es entsteht aber die Frage, ob damit materiell für die Güte des Papiers, seine wenigstens ungefähre Preiswürdigkeit, eine Garantie geschaffen ist. Eine solche zu übernehmen^ lehnen die Börsen 10 durchweg entschieden ab. Das Publikum solle selbst urtheilen, die Prospektkontrolle ihm nur das Material zu dieser eigenen Prüfung liefern. Daß sich die Börsen selbst nicht innerhalb dieser Schranken reiner Fürsorge für die Information des Publikums halten, beweisen die arbiträren Zurückweisungen von Papieren. Die Sachla15 ge ist vielmehr die, daß in Fällen offenbaren Schwindels und zweifelloser Unsolidität die Börsen eingreifen, in allen nicht absolut zweifelsfreien Fällen dagegen die Mühewaltung der Prüfung und namentlich das Odium der Abweisung ablehnen, also gerade da, wo die Sachkunde ernstlich mitspricht, die Prüfung von den Schul20 tern des sachkundigen Börsenhändlers auf die des nicht sachkundigen, weil nicht berufsmäßig mit dem Markt verknüpften „Publikums" abwälzen. Dies „Publikum" setzt sich zusammen aus zwei | Kategorien: den spekulirenden Käufern und den Anlagen suchen- A 82 den Kapitalisten. Erstere haben nothwendig den spezifischen Opti25 mismus des kaufenden Spekulanten: es interessirt sie nur, ob die günstige Kursgestaltung so lange vorhalten kann und wird, bis sie ihrerseits das Papier wieder abgesetzt haben; letztere fragen in Ermangelung eigener Sachkunde lediglich nach dem Ruf des emittirenden Bankhauses. Den darauf beruhenden „Emissionskredit" 30 schätzen die Banken mit Recht als ihr wesentlichstes „Immaterialgut". Eine civilrechtliche Haftung des Emittenten besteht außer im Fall des speziell gegen den Beschädigten begangenen dolus nicht, das eigene Interesse am „Emissionskredit" darf mit dem notorisch 15 < In zwei Fällen sind in Berlin abgelehnte Papiere demnächst anderwärts zugelassen worden. 35 16 > S. 1137. |

3 5 Zwei solcher Fälle nannte Ludwig Max Goldberger, ebd., S. 645f.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

und selbstverständlich kurzen Gedächtniß nicht nur des spekulirenden, sondern des Publikums überhaupt rechnen, und das Gesammtergebniß ist also, daß weder die Emittenten, noch die Börse, noch das Publikum eine wirklich ernstliche materielle Prüfung des eingeführten Papiers vornimmt. Auch in den Vernehmungen der Kommission trat dies negative Ergebniß immer wieder deutlich hervor. Allein über diese negative Feststellung hinaus wurde relativ wenig Neues zu Tage gefördert. In den Äußerungen der Sachverständigen kam der Antagonismus der großen und der mittleren und kleineren Banken mehrfach deutlich zum Ausdruck. In schroffster Form in der Aussage des Inhabers der Firma Bernh. Friedmann & Co. in Berlin, der die völlige Ohnmacht der Börse gegenüber den großen Banken, den vorwiegenden Einfluß, den diese auf die Wahlen zum Kommissariat ausüben, die Art, wie durch direkte Abgabeofferten, wobei der Bankier den Makler spart und noch Bonifikation zugesagt erhält, die mittleren Banken in das Interesse der Emissionskonsortien gezogen werden, heftig kritisirte17'. Die großen Banken sollten - für beA 83 stimmte Zeiträume - selbstschuldnerisch für | Zinsen und Amortisation bürgen, etwa „force majeure" (z. B. Krisen) ausgenommen, das Börsenkommissariat auf ca. 50 Leute verstärkt werden, die während 4 Wochen gegen jeden Prospekt ein Widerspruchsrecht besäßen, der Staat zwar nicht in die peinliche Lage der direkten Genehmigung gesetzt werden, aber doch mit Vetorecht ausgerüstet und zwecks eventueller Handhabung desselben durch einen Kontrollbeamten nach dessen Ermessen über schwebende Einführungen von Papieren unterrichtet werden18). - Von den Vertretern der

A 82

17)

Aussage des Sachverständigen Kussel S. 1443 f. Er selbst habe das „rothe Zettelchen" nie beachtet. 36 | 18) A 83 Auch der Hecht'sehe Vorschlag - S. 1095 - , die Vertretung durch die nothwendige Inanspruchnahme des Berliner Kommissionärs zu ersetzen durch eine Organisation, welche die Provinzialbankiers zur Prüfungsinstanz mache, richtet sich gegen die großen zen-

3 6 Die hier und im f o l g e n d e n referierten A u s s a g e n von J a c o b Kussel, Teilhaber d e s B a n k h a u s e s Bernh. F r i e d m a n n & Co., finden s i c h ebd., S. 1 4 4 3 - 1 4 4 5 . Es war U s u s der Emissionshäuser, ihren P r o s p e k t e n rote Z e t t e l c h e n aufzukleben, auf d e n e n sie d e n B a n kiers bei A b n a h m e und Verkauf ihrer S t ü c k e V e bis V4 Prozent Bonifikation bzw. Provision v e r s p r a c h e n . Ebd., S. 1444.

IV. Zulassung von Effekten und

Emissionswesen

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Emissionsfirmen andererseits nahm Siemens (Deutsche Bank) eine Art von Know-nothing-Standpunkt ein, empfahl dem Publikum, welches „doch selbst zusehen" möge, „in die Schule zu gehen und etwas zu lernen", und erklärte die Frage der Haftung der Emitten5 ten für eine „juristische Finesse" 19 '. Dagegen trat Russell20) (Diskontogesellschaft) temperamentvoll gegen den Gedanken, die Emittentenhaftung bis zur Verpflichtung der Prüfung des inneren Werthes des Papiers mit diligentia diligentis zu steigern, auf, die er als den Ruin des deutschen Emissionsgeschäftes bezeichnete, da 10 wenigstens sein Institut in diesem Fall keinen Anleiheprospekt mehr übernehmen würde. Die Aktien desselben seien dann ja jedem Baissespekulanten, der zur Erzielung eines Kurssturzes derselben eine Haftungsklage gegen das Institut an ¡kündige, ausgehe- A84 fert. Die Auferlegung einer besonderen Prüfungspflicht schaffe 15 „Ausnahmerecht" gegenüber den sonstigen Verkäuferpflichten; auch sei es unmöglich, ihr nachzukommen bei der Schnelligkeit, mit der sich die Übernahme gerade großer internationaler Anleihen vollziehe; die Analogie des Art. 249 c HGB.'s treffe, da es sich

tralen Banken. 37 Das faktische Monopol derselben ist aber durch die Anwesenheit am Börsenplatz, ganz abgesehen von der Kapitalkraft, zu sehr in den Verhältnissen begründet. I9 > S. 1385 f., 1398.38 Den bestehenden Rechtszustand faßte Siemens dahin auf, daß er für die Angaben des Prospekts in der Art hafte, daß 1. es wahr sei, daß ihm diese Angaben vom Emissionsschuldner gemacht seien, 2. ihm auch nichts bekannt sei oder habe sein müssen, was dieselben als unglaubhaft erscheinen lasse. S. 1920. 20 > S. 378 f.39 |

37 Den in der Börsenenquetekommission a n g e s p r o c h e n e n (ebd., S. 1095f.) Vorschlag hatte Felix Hecht In seinem Gutachten über die Frage „ H a b e n sich die durch die Actiennovelle v o m 18. Juli 1884 geschaffenen Cautelen g e g e n unsolide G r ü n d u n g e n bewährt oder empfiehlt sich eine anderweitige Gestaltung derselben?", in: Verhandlungen des 22. Deutschen Juristentages, 1. Band. - Berlin: J. Guttentag 1892, S. 131 f., g e m a c h t . D a n a c h sollten die Handelskammern, nicht die Provinzbankiers, zur Prüfungsinstanz der Prospekte der außerhalb der Börsenplätze ansässigen Emissionshäuser g e m a c h t werden, um diese, die eine Notierung ihrer Emissionen am Börsenplatz anstrebten, aus der Patronage der großen Emissionshäuser am Börsenplatz zu lösen. 38 Die zum Teil zitierten A u s s a g e n von Georg Siemens finden sich In: Börsenenquetekommission, Sten.Ber.,8.1885f., 1891, 1896, und die im f o l g e n d e n w i e d e r g e g e b e n e Aussage, ebd., S. 1919f. 39 Die Im f o l g e n d e n referierten A u s s a g e n von Emil Russell finden sich ebd., S . 3 7 8 f . , 3 8 4 f „ 362 und 365.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

dort um Prüfung ganz bestimmter Objekte handle, nicht zu. 40 Sowohl die Regierung wie das Börsenkommissariat haben schon jetzt alle erforderlichen Machtmittel in Händen; eine formelle staatliche Kontrolle sei politisch unbequem. Eine Konkurrenz fremder mit einheimischen Anleihen auf dem Markt würden die Bankhäuser in 5 ihrem Interesse vermeiden, wenn sie, was zur Zeit nicht immer geschehe, rechtzeitig informirt würden21'. Von den übrigen Sachverständigen, die sich über die Frage der Haftung äußerten, war ein Theil sich über die Tragweite der juristischen Formulirung offenbar nicht ganz klar22'. Die Haftung für culpa 10 A 84

21 > Die Erörterung entstand im Anschluß an die auffällige Auflegung rumänischer Anleihen Ende September 1892 unmittelbar nach der Reichsanleihe und an die frühere Edelmetallbewegung nach Argentinien. - Dabei kam zur Erörterung, ob etwa die Reichsbank mit einem Vetorecht im Interesse der Hinderung eines Goldabflusses durch Einführung fremder Anleihen versehen werden könne. Reichsbankpräsident Koch wies aber die Möglichkeit, ein solches zu handhaben, weit von sich. S. 365. 41 2T > So Bamberger und Goldberger, die die Haftung für diligentia diligentis empfahlen (S. 633 f., 42 650), ebenso Kopetzky, der schwankte (S. 70) und die Haftung schließlich nur zu Gunsten des unmittelbaren Erwerbers zugestehen wollte.

40 Emil Russell lehnte eine Prüfungspflicht der Emissionshäuser Im Sinne des Art. 209 b nicht 249 c - HGB ab. Ebd., S. 385. 41 Die Diskussion findet sich In: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 364-369. Eine 4%ige rumänische Konvertierungsanleihe war vom 27. September bis 8. Oktober 1890 zur Subskription aufgelegt worden. Am 29. September wurden die Emissionen einer 3%lgen deutschen Reichsanleihe und 3%lger preußischer Konsols angekündigt. Sie lagen am 9. Oktober 1890 zur Subskription auf. Die drei Emissionen stießen auf großes Interesse beim Publikum. Die deutschen Anleihen sollen um den zweieinhalb- bzw. eineinhalbfachen Betrag der aufgelegten Summe gezeichnet worden sein. Dennoch tauchten bald freilich dementierte - Gerüchte auf, daß die deutschen Anleihen nur mit Hilfe einer nachträglichen Zeichnung der Emissionskonsortialen voll untergebracht werden konnten. Berichte in: BBC, Nr. 490 vom 27. Sept. 1890, Ab.BI., S.3, bis einschließlich BBC, Nr. 532 vom 20. Okt. 1890, Ab.BI., S. 2 - 3 , FZ, Nr. 271 vom 28. Sept. 1890, 4. Mo.BI., S. 4, bis einschließlich FZ, Nr. 296 vom 23. Okt. 1890, Ab.BI., S. 3. Zur Verbreitung der Gerüchte trug vor allem die anonym erschienene Schrift: Die Generalpächter. Ein Blick auf die Berliner haute banque. - Berlin: S. Fischer 1891, S. 2 8 - 3 4 , bei, In der die gleichzeitige Ausgabe der rumänischen Anleihe als „contra patriam" bezeichnet wurde. Zu dieser Schrift vgl. den Anhang I, unten, S.922. - Als zweites Beispiel einer Kollision zwischen allgemein- und privatwirtschaftlichen Interessen nannte Karl Gamp die Zulassung einer argentinischen Anleihe. Die Reichsbank hätte das emittierende Bankhaus nicht bewegen können, von der Einführung der Anleihe Abstand zu nehmen, und habe wegen des Goldabflusses nach Argentinien den Diskontsatz erhöhen müssen. Richard Koch bestritt dies. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 367 - nicht S.365. Die Übernahme einer Anleihe könne zwar vorübergehend zu einer Versteifung des Geldmarkts führen und der Reichsbank ungelegen sein, die Reichsbank könne aber schon wegen der Ungewißheit des Erfolges keinen hemmenden Einfluß nehmen. 42 Die Aussage von Louis Bamberger findet sich ebd., S.635.

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Emissionswesen

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lata bezüglich der Angaben des Prospektes, die Solomon neu einführen wollte23^, hielten Andere für schon zu Recht bestehend, und nur selten wurde von ihnen geschieden zwischen Haftung für die dicta promissa des Prospektes und Haftung für dessen Vollständigkeit in 5 Bezug auf alle für die Beurtheilung des Papiers wesentlichen Thatsachen. Die kaum ernst zu nehmende Möglichkeit, daß bei starker Anspannung des Haftungsbegriffes | sich das Institut eines „Sitz- A 85 emittenten" entwickeln könne, wurde gestreift, - sie käme wohl nur etwa für den Fall in Betracht, daß man sich auf kriminelle Verfolgung 10 des dolus nach dem Vorschlage Hinrichsens beschränkte24). Der Prospektenzwang selbst wurde trotz der fast allgemein ziemlich skeptischen Beurtheilung seiner Bedeutung für das Publikum nicht angefochten. - Überwiegend bejaht wurde die Frage, ob auch bei Konvertirungen und Kapitalerhöhungen der Prospekten15 zwang bestehen solle, da namentlich bei ersteren gelegentlich Sicherheiten „eskamotirt" worden seien. Allerhand andere mit der Emittentenhaftung konnexe Fragen wurden mehr gelegentlich gestreift. Während der Redakteur der „Kreuzzeitung" Verantwortlichkeit auch der Zeitungsver/eger für alle Angaben über Emission 20 empfahl25^,43 regten der Redakteur des „Deutschen Oekonomist" und derjenige der „Frankfurter Zeitung" im Interesse freier Preßkritik eine Modifikation des § 193 StGB.'s an.44 - Das häufige 23

> S. 1132 f.45 | > S.630f. 46 A 85 25 ' S. 1025. Die Presse erhalte die Nachrichten hektographirt auf den Tisch gelegt und vermöge daher die Urheber nicht immer zu identifiziren. Es sei erwünscht, daß Nachrichten dieser Art nur unterschrieben und in offizieller Form publizirt werden dürften. 24

4 3 Gemeint ist Theodor Müller. Sein hier und In Fußnote 25 referierter Vorschlag finden sich ebd., S. 1024f. 44 Wilhelm Christians und L u d w i g Cohnstaedt wünschten sich, daß die kritischen Stimmen der Presse zum Emissionswesen von der Judikatur als „Äußerungen" anerkannt werden, „welche zur Ausführung oder V e r t e i d i g u n g von Rechten oder zur Wahrung berechtigter Interessen g e m a c h t werden" (§ 193 StGB), ohne, wie es jetzt der Fall sei, vor Gericht ein spezielles Mandat nachweisen zu müssen. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1788 f. 45 Die A u s s a g e von Emil Salomon findet sich ebd., S. 1129. 46 Der Vorschlag von S l e g m u n d Hinrlchsen findet sich ebd., S.632. Den Begriff „Sitzemittent" warf Freiherr von Huene in die Debatte von A d o l p h Frentzel, Heinrich Wiener und Wilhelm Christians ein. Ebd., S. 1 7 8 3 - 1 7 8 5 . Gemeint war ein Strohmann, der nicht der eigentliche Emittent Ist, aber im Straffall verantwortlich wäre und die Gefängnisstrafe abzusitzen hätte. Auf diese Welse könnte der eigentliche Emittent sich der Strafe entziehen und eine strenger g e h a n d h a b t e Haftung umgehen.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

Scheitern der Versuche, geschädigte Gläubiger zu gemeinsamer Interessenwahrnehmung zusammenzuschließen, ließ auch den Vorschlag der allgemeinen korporativen Organisation von Interessenten eines Papiers gelegentlich zur Erörterung gelangen,47 ohne daß näher auf denselben eingegangen worden wäre. 5 Was die Möglichkeit wirksamerer Präventivkontrolle anlangt, so stand dem Gedanken einer staatlichen Instanz Kommerzienrath Goldberger von allen Sachverständigen am freundlichsten gegenüber26), während Christiansf von seinem früher dem StaatskommisA 86 sar günstigen Standpunkt27' | zurückgekommen ist28),48 und neben 10 den Erfahrungen, die bei den Argentiniern mit der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes gemacht wurden,49 auch die „stets zu sanguinischen" Berichte der Konsuln gegen die Wirksamkeit der Staatskontrolle ins Feld geführt wurden29). - Der Meinung, daß durch die Veröffentlichung des vom Emittenten dem Schuldner be- 1s willigten Übernahmepreises eine Kontrolle geschaffen werden könne, wurde - ganz abgesehen davon, daß nicht selten gerade solide Schuldner sich der Bekanntgabe entschieden widersetzen9 würden - vielfach und mit Recht entgegengehalten, daß der Preis allein keinerlei Maßstab sei, da die Nebenbedingungen sehr stark 20 26 ' S. 638.50 Schon jetzt pflegten sich die Behörden mit Sachkunde um den Gang der Emissionen zu kümmern. 21 > „Oekonomist" vom 28. November 1891.51 | 28 A 86 > S. 1771 f. 29 > Sachverständiger Schinckelh (Hamburg) S. 1104f. 52

g A: Christian

g A: wiedersetzen

h A: Schinkel

47 Solche Erörterungen finden sich ebd., S. 1450-1452, 1511-1513, 1887 und 1892. 48 Unter Hinweis auf seine Stellungnahme im „Oekonomist" sagte Christians: Er sei davon ausgegangen, daß ein Staatskommissar kein Urteil fällen, sondern nur die Erfüllung der formalen Verpflichtungen sichern würde. Er sei aber aufgrund „der Erwägung, daß der Staat eine solche Verantwortung jedenfalls nicht übernehmen kann, davon zurückgekommen [...], weil mit dem Staatskommissar geradezu Reklame getrieben würde und dem Publikum gesagt würde: das ist alles vom Staatskommissares genehmigt worden." Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1774. 49 Vgl. dazu oben, S. 470, Anm. 28. 50 Die dahin gehenden Äußerungen von Ludwig Max Goldberger finden sich ebd., S. 639-643. 51 Gemeint ist Christians' Artikel: Reform des Börsen- und Bankgeschäfts, in: Der Deutsche Oekonomist, 9. Jg., Nr. 467 vom 28. Nov. 1891, S. 589. 52 Max Weber zitiert aus der wörtlichen Rede Max Schinckels, in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1110.

IV. Zulassung von Effekten und

Emissionswesen

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mitspielten, z.B. die Übertragung der Kuponeinlösung an das Bankhaus gegen 1% Provision statt des üblichen 1 / 4 % 3 0 \ Weit rationeller sei jedenfalls das, z. B. von Salomon, empfohlene 31 ' Auflegen der Verträge an einer Zeichnungsstelle oder bei der Handels5 kammer 32 '. Ebenfalls etwas problematisch erschien auch unbefangenen Sachverständigen der Gedanke, durch Aushang des Prospektes an der Börse und Gewährung einer Einspruchsfrist vor der Erörterung der Zulassung im Börsenkommissariat die öffentliche Kritik wirksam eintreten zu lassen. 53 Eine kurze Frist sei nutzlos, 10 eine längere - schon von 3 - 4 Tagen - steigere, wenn die Zeichnung so lange hinausgeschoben werde33), das Risiko sehr bedeutend, verteure damit die Emission und gebe dem Großkapital das Monopol. 54 'Das letztere' wurde auch dem Gedanken, Aktien von Neugründungen erst eine bestimmte | Zeit nach der Eintragung der A87 15 Gesellschaft zuzulassen, entgegengehalten 34 '. Dem Gedanken, das Eindringen namentlich fremder Papiere in das breite Publikum durch Feststellung eines Mindest-Nominalbetrages zu erschweren, stand ein Theil der Sachverständigen, wenig30

> S. 791. 55 > S. 1120. 32) Dies hatte auch die Münchener Handelskammer in einer Eingabe an den Minister empfohlen. 56 33) In Brüssel geht die Zeichnung der demande voran.57 Letztere ist wesentlich inhaltsleerer als ein deutscher Prospekt. | 34 > Simon (Königsberg), S. 1535.68 A 87 31

¡ Lies: Das letztere Argument 53 Dahin g e h e n d äußerten sich der Redakteur L u d w i g Cohnstaedt und Justizrat Theodor Wilhelm Lesse. Ebd. S. 1747 und 1336. 54 Diese A r g u m e n t e brachten die Sachverständigen Emil Russell, Max Winterfeldt, Emil Salomon, Georg Siemens und Arthur Gwinner, ebd., S.391, 410, 1145, 1889 und 1945, vor. 55 Die Seitenangabe verweist auf die Auskünfte von Johannes Kaempf. 56 In dieser Eingabe w u r d e die öffentliche A u s l e g u n g der hier gemeinten Gründungsverträge von Aktiengesellschaften gefordert. Die Eingabe und A b l e h n u n g durch das Ministerium ist mitgeteilt, in: Jahresbericht der Handels- und G e w e r b e k a m m e r für Oberbayern 1891. - München: Dr. C. Wolf & Sohn 1892, S . 2 2 f . Die Eingabe u n d d e n Jahresbericht erwähnten Richard Koch und Karl Weidert. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1121 und 1535. 57 Gemeint ist der oben, S.468, beschriebene Antrag ( d e m a n d e ) auf Zulassung zur Kursnotierung. 58 Die A u s s a g e von Robert Simon findet sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1524f.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

stens soweit es sich um Aktien handelte, nicht unfreundlich gegenüber35), obwohl zumeist die Grenze von 1000 Mark für zu hoch und 400 Mark für erwünschter gehalten wurde, - womit immerhin noch eine günstigere Behandlung der ausländischen gegenüber den inländischen Aktien involvirt wäre. Für Renten wurde eine solche 5 Beschränkung widerrathen, da gerade eine Anzahl solider internationaler Papiere in kleinen Beträgen zirkulirten (Österreichische Rente 50 Gulden, Russen 400 Rubel, Italiener 100 Lire Mindestbetrag) und der Ausgleich der internationalen Zahlungen dadurch erschwert werde. 10 Als Mindestfcapita/betrag bei Aktien wurde der jetzt schon meist festgehaltene Betrag von 1 Million für genügend erachtet und die Gefahr hervorgehoben, daß eine Übergründung der Unternehmungen - Belastung mit zu hohem Kapital zwecks Erzielung der Kotirungsfähigkeit - die Folge zu hoher Ansprüche sein werde. 15 Eine différentielle Behandlung der großen und kleinen Börsenplätze schien den Provinzialbankiers naturgemäß sehr annehmbar, - zu wenig wurde wohl das Bedenken hervorgehoben, daß gerade durch die Abdrängung vom großen Markt an die kleinen Plätze die kleineren Papiere leicht ganz in die Herrschaft lokaler Interessen- 20 ten gelangen können. 59 Am allseitigsten wurde die Art, wie durch den Handel „per Erscheinen" die Kursentwicklung beeinflußt zu werden pflegt und die damit verbundene Einsperrungspolitik der Emittenten kritisirt. JuA 88 stizrath Winterfeldt (Handels |gesellschaft) versicherte zwar, daß die 25 Zutheilung des Materials oft einfach den Maklern überlassen werde, das Bankhaus sich gar nicht darum kümmere36), aber dies ist unzweifelhaft nicht die Regel. Der extreme Fall, daß das Bankhaus je nach der Kursentwicklung Alles zutheilt oder einen Theil freihändig begibt - was Koch als „Betrug" bezeichnete, während Berli- 30 ner Makler 60 darüber anderer Ansicht waren37) - , wird nicht eben 35

A 88

> So Salomon (Berlin) S. 1114; Bamberger (Berlin) S. 633. 61 | > S.431. 37 ' S[iehe] die Aussage des Sachverständigen Samuel S. 412.

36

5 9 Dies Bedenken hob Emil Russell hervor. Ebd., S. 552. 6 0 Die zitierte Antwort Richard Kochs auf den von dem Berliner Bankier - nicht Makler Siegismund Samuel geschilderten Extremfall, findet sich ebd., S. 413. 61 Die hier und im folgenden referierten Aussagen von Emil Salomon und Louis Bamberger finden sich ebd., S. 1115 und 634.

IV. Zulassung

von Effekten

und

Emissionswesen

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häufig vorkommen, aber daß im Wege der Selbstzeichnung durch einen Strohmann das Gleiche erreicht wird, dürfte nicht zu hindern sein38\ Die Meinung Frentzel's39\ daß eine formelle Einsperrung nur bei freihändiger Begebung der zugelassenen Papiere stattfinde, dagegen bei Auflage zur Subskription nur eine Begünstigung des anlagesuchenden Publikums vor den „Konzertzeichnern" bei der Zutheilung stattfinde, fand Widerspruch62 und trifft in dieser Allgemeinheit auch nicht zu, andererseits schüttete die Forderung des Grafen Könitz, daß ein Zwang zur genau prozentualen Zutheilung konstituirt werden müsse,63 das Kind mit dem Bade aus. Der Handel per Erscheinen selbst wurde fast nur von Frentzel wegen der dadurch für den Kapitalisten gegebenen Möglichkeit, sich ein bestimmtes Quantum des Papieres zu sichern, in Schutz genommen,64 während Siemens hervorhebt, daß ein Handel per Erscheinen in Staatspapieren etwas Anderes sei als in rein spekulativen Werthen, 65 meist aber wurde er ganz allgemein sehr scharf, als „purer Schwindel" etc., verurtheilt.66 Es überwog die Ansicht, daß man ihn verbieten solle und zwar mindestens bis zur Zeichnung40' - und zwar, da sonst durch Erstreckung der Zeichnung über längere Zeiträume das Verbot umgangen werden könne41 \ bis | zum Schluß der A 89

38)

Ob die Selbstzeichnung legitim sei, wurde mehrfach diskutirt. S. 1530f. > S. 1060 f. 67 40 > Goldberger S. 650; Gwinnerk S. 1940. 68 41 > S. 1517.® | 39

k A: Grimm 6 2 Frentzels Meinung widersprachen Jacob Wiener, Heinrich Wiener und Ernst Mendelssohn-Bartholdy, ebd., S. 1062-1064. Danach stellte Frentzel Nachforschungen an und gestand einige Tage später seinen Irrtum ein. Ebd., S. 1261. 6 3 Der Vorschlag des Grafen Kanitz findet sich ebd., S. 1067. 6 4 Wie Adolph Frentzel argumentierten auch Johannes Kaempf und Ernst Koenigs. Ebd., S. 1064f., S.795 und 1901. 6 5 Die Aussage von Georg Siemens findet sich ebd., S. 1905. 66 Max Weber zitiert aus der wörtlichen Rede Wilhelm Flncks, ebd., S. 1152. Ebenso urteilte Siegismund Samuel, ebd., S. 412f. 6 7 Die Ansicht Adolph Frentzels, ebd., S. 1061 f. 68 Die Ansichten von Ludwig Max Goldberger und Arthur Gwinner finden sich ebd., S. 651 und 1946. 6 9 Diese Befürchtung äußerte Karl Gamp. Ebd., S. 1518.

Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete

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Zeichnung42^, nach Wunsch eines Theiles der Sachverständigen bis zur Zutheilung 43 '. Da eine offizielle Notirung nicht stattfindet, kann dies Verbot zunächst nur in Gestalt der Untersagung auch der Privatnotirungen praktisch werden. Diese werden schon jetzt nicht von allen Zeitungen, z. B. nicht von der Frankfurter Zeitung, gebracht. 70 Das Abschließen von Geschäften selbst ist gleichfalls einem Verbot nicht so unzugänglich, wie es zunächst scheint, da immerhin eine leicht kontrollirbare Marktbildung Voraussetzung eines nennenswerthen Umsatzes ist und gegen diese - wie von Sachverständigen hervorgehoben wurde - sehr wohl disziplinarisch eingeschritten werden kann. 71 Alles in Allem muß konstatirt werden, daß die Aussagen der Sachverständigen gerade über dies Thema, wo mehr Urtheile als Thatsachen von ihnen erfragt wurden, besonders wenig ausgiebig sind. Die eigentlichen Sachkenner - die großen Emissionsbankiers - hüllten sich über die wesentlichen Punkte in Schweigen. Die Erörterungen und Beschlüsse der Kommission44' führten zunächst - mit geringer Mehrheit - zu dem Beschluß, für die einzelnen Börsen „Emissionsbehörden" zu schaffen, in welchen auch die außerbörslichen Interessenten durch von den Selbstverwaltungskörpern vorgeschlagene, von der Regierung bestätigte „Laien"Mitglieder vertreten sein sollten und in deren Hände die Zulassung von Papieren zum Handel zu legen sei. Gamp als Referent hatte der Regierung die Ernennung von einem Drittel übertragen und A 89

42

' So ist es thatsächlich schon in Frankfurt. S. 1541. 72 > Kopetzky S. 50; Schwartz S. 1901. 73 S[iehe] dieselben S. 70ff. der Kommissionsprotokolle. 1

43

7 0 Davon berichtete der Handelsredakteur der Frankfurter Zeitung, Ludwig Cohnstaedt. Ebd., S. 1750. 71 Max Winterfeldt hatte vorgeschlagen, auf dem Disziplinarweg die Vertreter der Presse an einer Berichterstattung über nicht genehmigte Notizen zu hindern, indem man ihnen im Fall der Berichterstattung den Zutritt zur Börse verbiete. Ebd., S.455. 7 2 Das berichteten die Frankfurter Sachverständigen Markus Goldschmidt und Gustav Maier. Ebd., S. 1542. 7 3 Die Forderung von Wilhelm Kopetzky und Carl Schwartz findet sich ebd., S. 52 und 1902. 1 Hier bis einschließlich S. 487, Fußnote 56, beziehen sich die Hinweise „Kommissionsprotokolle" bzw. „Protokolle" und einzelne Seitenverweise auf: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle. Die hier erwähnten Beschlüsse der Kommission finden sich ebd., S. 70-74.

5

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IV. Zulassung von Effekten und

Emissionswesen

483

die Bankiers auf höchstens ein Drittel beschränken wollen, was nicht durchging. Er legte ferner einen Antrag 45 ), betreffend die Stellung der Emissionsbehörden und die bei der Zulassung zu beobachtenden Regeln, vor, welcher den Grund |satz aufstellte, daß A90 Emissionen, „deren Güte und Sicherheit sich aus den beigebrachten Angaben nicht zuverlässig beurtheilen läßt", zurückzuweisen seien, im Übrigen an die bestehenden Verhältnisse und insbesondere an die Berliner „leitenden Gesichtspunkte" im Wesentlichen anknüpfte, sie in einigen nicht eben sehr erheblichen Punkten verschärfend 46 ', welche der Korreferent Frentzel mehr als unnöthig und lästig, denn als bedenklich bekämpfte. 2 Die Gamp'sehen Vorschläge gelangten, mit wenigen Modifikationen 47 ), auch zur Annahme, wobei insbesondere einstimmig festgestellt wurde, daß die „wichtigsten Grundsätze" für die Zulassung von Werthpapieren für ganz Deutschland einheitlich festzustellen seien. Ein vereinzelter - wohl hanseatischer - Widerspruch zu Gunsten der Landesgesetzgebung wurde nicht aufrecht erhalten. Entschiedenere Gegensätze machten sich erst bei Erörterung der Haftung der Emittenten geltend. Gamp wollte48^ den Emittenten die Pflicht der Prüfung der Bonität mit diligentia diligentis auferlegen, die Verletzung der Pflicht sollte ehrengerichtlich geahndet werden und das Einschreiten in jedem Fall der Zinsverkürzung oder - bei Aktien - des Sinkens des Kurses auf die Hälfte des Emissionskurses erfolgen müssen. Der disziplinirte Emittent sollte auch civilrechtlich Allen haften, welche das Papier mindestens zum Emissionskurse erworben haben. Die 45)

S. 75 der Kommissionsprotokolle.3 | Inländischer Gerichtsstand, inländische Valuta, Angabe des Verwendungszwecks, A 90 der Abschlüsse u. s. w. 47 > S[iehe] die Fassung in Anl[age] I des Protokolls vom 13. Oktober. S. 83 der Protokolle.4 48 > Anl[age] I zum Protokoll vom 13. Oktober. 5 S. 85. 46)

2 M a x W e b e r nimmt hier und im f o l g e n d e n B e z u g auf die 34. S i t z u n g a m 13. O k t o b e r 1892. Ebd., S. 7 8 - 8 0 . 3 Die Anträge von Karl G a m p finden sich ebd., S. 72 und S. 75f. 4 Die B e s c h l ü s s e über d e n Antrag G a m p , A n l a g e 1 z u m Protokoll der 34. Sitzung a m 13. O k t o b e r 1892, finden sich ebd., S . 8 3 f . 5 Der A n t r a g von Karl G a m p bildet A n l a g e 2 (nicht A n l a g e 1) z u m Protokoll der 34. Sitz u n g a m 13. Oktober 1892.

484

Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

so geschaffene Garantie sollte 5 Jahre dauern. - Frentzel49' wollte die Verantwortlichkeit des Emittenten nur als eine Haftung für dicta et promissa des einzureichenden Prospekts, darüber hinaus für dolus und, falls das Emissionshaus einen nicht von ihm unterA 91 zeichneten | Prospekt einreicht, bezüglich der Wahrheit der darin 5 enthaltenen Angaben für „diligentia quam in suis" abgrenzen und die Haftung auf 4 Jahre beschränken. Freiherr v. Huene wollte die Haftung neben dolus bei „grober Fahrlässigkeit", Graf Arnim, dem französischen Begriff der „négligence" entsprechend, bei „Nachlässigkeit" eintreten lassen, während Mendelssohn in einem nicht 10 mit abgedrucktem Referat sich gegen jede „dehnbare" Normirung der Haftungspflicht aussprach. Zu Grunde gelegt wurde schließlich, unter Ablehnung aller vorstehend wiedergegebenen Vorschläge, der Antrag des Senatspräsidenten Wiener,6 welcher den Begriff der „Böslichkeit" des Verhaltens des Emittenten verwendete, - 15 wohl aus dem Grunde, weil sich bei dieser, inzwischen auf dem Gebiete des Frachtrechts in starken Mißkredit geratenen Bezeichnung7 jeder der dafür Stimmenden das ihm Genehme zu denken vermochte. Im Übrigen war der so schließlich zur Annahme gelangte Wiener'sehe Vorschlag50) der einzige seiner juristischen For- 20 mulirung nach präzise und brauchbare. Er legt die Angaben des Prospekts zu Grunde - im Gegensatz zu dem ersten Gamp 'sehen Antrage, 8 welcher dem Emittenten ganz allgemein eine halböffentliche Funktion in Gestalt einer Art von Interessenvertretung des 49

A 91

> S. 93 der Protokolle. | > S. 94.

50

6 Die Anträge von Huene, Graf Arnim, Mendelssohn-Barthoidy und Heinrich Wiener sowie die Ausführungen Mendelssohn-Bartholdys zu seinem Referat finden sich ebd., S. 89 und 91. Sein Referat erschien als Separatdruck zum Protokoll der 35. Sitzung am 14. Oktober 1892: Mendelssohn-Barthoidy, Haftung der Emissionshäuser. 7 Hier spielt Max Weber auf die durch die Art. 395 und 396 HGB besonders streng geregelte Haftungspflicht des Frachtunternehmers an. Nach Art. 395 trat die Haftung des Frachtunternehmers dann ein, wenn er nicht nachweisen konnte, daß der Schaden durch Verlust oder Beschädigung des Frachtgutes „durch höhere Gewalt [...] oder durch die natürliche Beschaffenheit des Gutes, namentlich durch inneren Verderb, Schwinden, gewöhnliche Leckage u. dgl., oder durch äußerlich nicht erkennbare Mängel der Verpakkung entstanden" war. Konnte „dem Frachtführer eine bösliche Handlungsweise nachgewiesen" werden, so hatte „er den vollen Schaden zu ersetzen" (Art. 396). 8 Gemeint ist der oben, S.483 mit Fußnote 45 und Anm.3, erwähnte Antrag Gamp, in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 72.

IV. Zulassung

von Effekten

und

Emissionswesen

485

Publikums zuwies - und knüpft die civilrechtliche Haftung an die Unrichtigkeit erheblicher darin aufgeführter Thatsachen oder das Fehlen von solchen, gleichviel ob sich der Prospekt als eigene Angabe des Emittenten oder eines Dritten einführt. Die Haftung, 5 neben welcher die disziplinare Ahndung steht, soll in 5 Jahren verjähren. Das Verfahren vor der Emissionsbehörde wollte Gamp51) unter Ausdehnung des Prospektenzwanges auf Konversionen und Kapitalerhöhungen, sonst aber im Anschluß an die bestehenden Zu10 stände dahin weiter ausgestalten, daß über den | Antrag auf Zulas- A 92 sung erst nach vorangegangenem ötägigem Aushang und Publikation in den Zeitungen entschieden werden sollte. Die Prüfung solle sich auf das Vorliegen aller Angaben, welche für die Beurtheilung der einzuführenden Werthpapiere von entscheidendem Werth sei15 en, erstrecken. Eine Ablehnung an einer Börse sollte für alle übrigen bindend sein. Der Handel und die Notirung vor der Zutheilung sollten disziplinarisch und durch Ausschluß von den Börseneinrichtungen unterdrückt werden. Bezüglich des Verfahrens vor der Emissionsbehörde stellte sich der Korreferent Frentzel nicht in 20 prinzipiellen Widerspruch zu diesen Anträgen, sein eingehendes Referat52) stellte sich in dieser Beziehung wesentlich auf den Boden der Berliner Zustände. Der Antrag Gamp wurde demgemäß in diesem Punkt angenommen, ebenso ein Antrag des Grafen Arnim, wonach die Vorlegung der Übernahmeverträge sollte verlangt wer25 den dürfen. Bezüglich des Handels per Erscheinen wurde der Antrag, das Verbot auf die Frist vor der Zeichnung (statt Zutheilung) zu beschränken, abgelehnt und der Gamp'sehe Antrag mit der Erläuterung, daß auch alle durch mechanische Vervielfältigung hergestellten Privatkurszettel verboten sein sollten, gegen 2 Stimmen 30 gleichfalls angenommen.9

51

' Antrag S.91 der Protokolle. 10 | > Abgedruckt S. 96 ff. der Protokolle. 11 |

52

9 Die Anträge von Graf Arnim und Karl Gamp sowie die Beschlüsse finden sich ebd., S. 92 bzw. 121. 10 1m folgenden referiert Max Weber aus zwei Anträgen von Karl Gamp; diese finden sich ebd., S. 95 und 125. 11 Das Referat von Adolph Frentzel findet sich ebd., S. 96-119.

A 92

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

Bezüglich der allgemeinen Voraussetzungen der Zulassung für gewisse Spezialkategorien von Papieren endlich nahm die Kommission, etwas abweichend von den Vorschlägen Gamp's, für Aktien für Berlin den Kapitalbetrag von 3 Millionen, für Hamburg und Frankfurt 2 Millionen, im Übrigen 1 Million an,12 während 5 Gamp seinen Antrag, die an den drei großen Börsenplätzen domizilirten Unternehmungen durch Herabsetzung auf 1 Million zu begünstigen, zurückzog, - ferner für ausländische Werthpapiere das Erforderniß von 1000 Mark Stückbetrag1 - Gamp hatte für Aktien 5000 Mark fordern wollen - unter Zulassung der Herabsetzung auf 10 A 93 400 Mark für Theilbeträge bei | international eingeführten Rentenund Eisenbahn-Papieren. In zweiter Lesung53' wurde zunächst der Versuch gemacht, das Verfahren bei Zulassung auswärtiger Werthpapiere besonders zu regeln und zwar dieselbe in den Händen einer Zentralemissionsbe- 15 hörde für das Reich zu konzentriren. Graf Kanitz54' und Gamp, welche diesen Antrag, letzterer etwas modifizirt, insbesondere mit Beschränkung auf größere Beträge (ca. 20 Millionen Mark), vertraten, fanden entschiedenen Widerspruch theils aus dem partikularistischen Grunde, weil dadurch eine Begünstigung Berlins befürch- 20 tet wurde, theils weil man - so z. B. auch Prof. Schmoller - davon eine Schwächung der Stellung Deutschlands auf dem Kapitalmarkt befürchtete, oder - so Frentzel - die Verzögerung der Emission durch die bureaukratische Kontrolle scheute. Auch in der modifizirten Form, daß die Schaffung einer solchen Instanz „in Erwägung 25 zu ziehen" sei, blieb der Antrag, trotzdem sich der Vorsitzende13 nunmehr dafür ausgesprochen hatte, in der Minderheit mit 9 gegen A 93

53) S[iehe] die Beschlüsse erster Lesung S. 385 f. der Protokolle; die Verhandlungen zweiter Lesung S. 398 ff. das. 14 54 > S[iehe] dessen Antrag S. 126 der Protokolle.

I A: Rückbetrag 12 Für die Zulassung zum Handel von Aktien an den kleinen deutschen Börsen hatte Karl Gamp die Festsetzung eines Mindestbetrags des Grundkapitals von einer Million Mark gefordert. Auf Beschluß der Börsenenquetekommission wurde der Mindestbetrag auf eine halbe Million Mark reduziert. Antrag Gamp ebd., S. 125, die dazu getroffenen Beschlüsse der Börsenenquetekommission, ebd., S. 122-124. 13 Gemeint Ist Reichsbankpräsident Richard Koch. 14 Die Beschlüsse erster Lesung finden sich In: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 385-389, die Verhandlungen zweiter Lesung, auf die sich Max Weber Im folgenden zum Teil zitierend stützt, ebd., S. 398-413.

IV. Zulassung

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von Effekten und

Emissionswesen

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11 Stimmen, unter welchen sich diejenigen der Geheimräthe Hoffmann und v. Koenen]5 befanden. Die weiteren Änderungen waren zunächst theils mehr redaktionell, theils betrafen sie Einzelpunkte, so die Zulassung der Befreiung kommunaler und kommunalständischer Papiere16 vom Prospektenzwang, welche namentlich für Pfandbriefe von Bedeutung ist. Von prinzipieller Bedeutung war der von Wiener gestellte Antrag55), den Börsenverkehr durch Verbot des Handels und jeder Kursnotirung in anderen Objekten auf die zugelassenen Papiere zu beschränken. Da das Verbot der „Stimmungsberichte" nur strafrechtlich durchführbar wäre, scheute sich die Mehrheit der Kommission | (11 gegen 8 Stimmen), darauf einzugehen, und nahm nur den Antrag Gamp's, die Geschäfte in nicht zugelassenen Papieren A94 von den Börseneinrichtungen auszuschließen, an. Nicht zu sachlicher Entscheidung führte der Antrag des Grafen Arnim, welcher die mit Optionen auf junge Aktien im Zusammenhang stehende Agiotage treffen wollte56', obwohl mit Recht von vielen Seiten konstatirt wurde, daß die Kurstreibereien solcher Bankhäuser, welche durch Optionsrechte an dem Kurse von Aktien interessirt sind, ebenso wie die unerhörten und unreellen Gewinnste, welche dabei abzufallen pflegen, zu den allerübelsten Erscheinungen des Börsenwesens gehören. Es ist nicht recht abzusehen, warum Graf Arnim veranlaßt wurde, seinen Antrag, zwischen die Ausübung des Optionsrechts und die Einführung an der Börse eine obligatorische Frist von 1 Jahr zu legen, zurückzuziehen, nachdem eine Resolution über die Nothwendigkeit der Reform des Aktienwesens in Aussicht gestellt war.17 Der „vorgeschrittene Stand 55

> S. 404. | >S.408. 18 |

56

15 Eduard Hoffmann und Wolfgang von Koenen waren als Vertreter des Reichsjustizamtes bzw. des preußischen Finanzministeriums In die Börsenenquetekommission berufen worden. Sie stimmten gegen den Antrag von Graf Kanitz. 16 Vgl. den Eintrag kommunalständlsche Kreditinstitute im Glossar, unten, S. 1048f. 17 Max Weber bezieht sich auf die Debatte in der 88. Sitzung vom 13. Mai 1893, in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S.407f. Zu den Anträgen des Grafen Arnim vgl. auch Max Webers Ausführungen oben, S. 214 und Fußnote 16 mit Anm.64. 18 Dieser und der folgende Antrag des Grafen Arnim nebst Begründungen finden sich In: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 406 bzw. 406f., die Debatte gegen den ersten Antrag, ebd., S. 407f., und die Annahme des zweiten Antrags, ebd., S.406.

A 94

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

der Verhandlungen" hätte von der Ziehung dieser nothwendigen Konsequenz aus der in erster Lesung beschlossenen Zwangsfrist für Umgründungen nicht abhalten sollen. Jene Zwangsfrist wurde übrigens auf Antrag des Grafen Arnim auf 1 Jahr erhöht. Der Versuch, die Zulassung kleinerer auswärtiger Papiere über 5 die Beschlüsse erster Lesung hinaus zu erleichtern, führte schließlich zur Streichung des ganzen auf den Stückbetrag der fremden Papiere bezüglichen Abschnittes. Der Versuch Mendelssohn's und zweier Hanseaten, 19 die Beschlüsse über die Haftung der Emissionshäuser umzustoßen, wur- 10 de abgeschlagen, andererseits aber mit 11 gegen 7 Stimmen an dem Erforderniß der „Böslichkeit" festgehalten, während außer den Agrariern auch Cohn, v. Cuny und Senator Klügmann für eine schärfere Fassung eintraten. Der Antrag Mendelssohn's, die HafA 95 tung auf die im Inlande ausgegebenen Stücke zu beschränken, wur- 15 de abgelehnt, ebenso aber auch der Antrag des Grafen Arnim, in jedem Falle eines Kursrückganges um 25% eine ehrengerichtliche Untersuchung eintreten zu lassen, so daß also im Ergebniß die Beschlüsse erster Lesung unverändert blieben. A 96 Die dergestalt zu Stande gekommenen Vorschläge563' | kranken 20 an dem zentralen Mangel, daß sie den Schleichhandel mit ausländi-

A 95

56a)

Dieselben lauten: 20

II. Emissionswesen, Zulassung von Papieren zum Handel und zur Notiz. 1. Allgemeines. Der Bundesrath ist befugt, Anordnungen zu treffen, durch welche die Zulassung von Werthpapieren zum Börsenhandel und zur Kursnotirung für das Reich einheitlich gestaltet wird.

1 9 Gemeint sind die Handelskammersyndici aus Hamburg und Bremen, Carl Theodor Gütschow und Carl Theodor Boisselier. Die hier und im folgenden referierten Beschlüsse finden sich in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 409-413. 2 0 Max Weber präsentiert im folgenden eine Mischung der verschiedenen Fassungen der Vorschläge der Börsenenquetekommission, nämlich die erster und zweiter Lesung sowie die redaktionelle Schlußfassung. Die letztere ist unten, S. 943-948, vollständig abgedruckt. Die Absatzeinteilung und die Sperrung einzelner Wörter übernimmt Max Weber nach den Fassungen der ersten und zweiten Lesung. Nur in einem Fall weicht Max Weber ab: Das Wort „Kapitalsherabsetzungen" (unten, S. 492, Abs. 7cc) ist in den Vorlagen nicht gesperrt. Die Reihenfolge der Bestimmungen ist von Max Weber nach der Schlußfassung wiedergegeben.

IV. Zulassung von Effekten und

Emissionswesen

489

sehen Papieren, der die Emission an den deutschen | Börsen um- A 97 geht, nicht treffen, vielmehr durch die allgemeinen Erschwerungen Geschäfte in nicht zugelassenen Papieren sind sowohl von der amtlichen Kursnotirung21 als von den sonstigen Vortheilen der Börseneinrichtungen ausgeschlossen. Ebensowenig dürfen Geschäfte in solchen Werthpapieren durch die Kursmakler (s. unten IV, l) 2 2 vermittelt werden. 2. Zusammensetzung der Emissionsbehörde. Die Zulassung neuer Papiere ist in die Hand eines Kollegiums (Kommissariat etc.) zu legen, in welchem neben den Emissions- und Bankinteressen auch die Interessen der Gesammtheit, insbesondere des kaufenden Publikums vertreten sind. Die Vertreter letzterer Art müssen von der Regierung bestätigt werden. 3. Stellung der Emissionsbehörde. Die Emissionsbehörde hat die Aufgabe und die Pflicht: 1. die Vorlegung der Urkunden, welche die Grundlage für die zu emittirenden Werthpapiere bilden, zu verlangen und diese Urkunden zu prüfen; 2. dafür zu sorgen, daß das Publikum über alle zur Beurtheilung der zu emittirenden Werthpapiere nothwendigen thatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse soweit als möglich informirt wird, und bei Unvollständigkeit des Materials die Emission nicht zuzulassen; 3. Emissionen nicht zuzulassen, durch welche große nationale 23 Interessen geschädigt werden, oder welche offenbar zu einer Übervortheilung des Publikums führen. Die Emissionsbehörde darf jede Emission ohne Angabe von Gründen ablehnen. | 4. Grundsätze. 24 A 96 I. Bei Emissionen ist, abgesehen von Deutschen Reichs- und Staatsanleihen, stets ein Prospekt einzureichen und zu veröffentlichen. Die Befreiung von der Pflicht zur Einreichung eines Prospektes kann für kommunale Körperschaften und kommunalständische Kreditinstitute von der Landesregierung gestattet werden. Die für die Berliner Börse geltenden „ Leitenden Gesichtspunkte" erscheinen im Allgemeinen als geeignete Grundlage für die Festsetzung der Grundsätze über die Zulassung von Werthpapieren (vgl. oben l), 25 wenn das Recht und die Pflicht der Emissionsbehörde, in den ad 3,3 bezeichneten Fällen die Genehmigung zur Emission zu versagen, klar zum Ausdruck gebracht wird.

21 Diesen Absatz zitiert Max Weber nach der Schlußfassung der Vorschläge. Statt „Papieren" heißt es dort jedoch „Werthpapieren" und statt „Kursnotirung" „Kursnotiz". 2 2 Hier wird auf Börsenenquetekommission, Vorschläge IV 1, verwiesen, die Max Weber bereits oben, S. 404 Fußnote 95, zitiert hat. 23 In der zweiten Lesung hat die Börsenenquetekommission die Worte „große nationale" durch „erhebliche allgemeine" ersetzt. Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S.401. 24 Max Weber übernimmt die Überschrift nach den Vorschlägen erster und zweiter Lesung, ebd., S.385 und 401. In der Schlußfassung der Vorschläge lautet die Überschrift: „4. Grundsätze für die Zulassung." 25 Hier wird auf den Absatz „1. Allgemeines" oben, S.488f. verwiesen.

490

Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

A98 der Emission und die Schärfung der Haftung | gerade der deutschen Emissionshäuser verstärken werden. Gerade die so in den II. Im Einzelnen sind die „Leitenden Gesichtspunkte" nach den geltenden Grundsätzen einer Revision zu unterziehen. Als änderungsbedürftig sind insbesondere folgende Punkte zu bezeichnen: 1. Für die zur Emission gelangenden ausländischen Werthpapiere sind in der Regel sowohl für Zinsen wie Kapital Zahlstellen im Inlande zu begründen. 2. Auf ausländische Währungen gestellte, zur Emission gelangende Werthpapiere sollen thunlichst auch auf deutsche Valuta lauten. 3. Außer der Mittheilung des letzten Budgets ist die Angabe der wesentlichen Ergebnisse der Abschlüsse der letzten 3 Jahre erforderlich. 4. Die unter Nr. II a 3 - Satz 2 - der Leitenden Gesichtspunkte zugelassene Ausnahme ist zu beseitigen. Die Nr. II a 5, VI 5, VIII4 der Leitenden Gesichtspunkte sind nach der Richtung hin zu modifiziren, daß die dort angeführten Ausnahmen nur in dem Fall zugelassen werden können, wenn es sich um die Garantie eines Staates handelt, dessen Finanzverhältnisse als allgemein bekannt gelten.26 5. Bei ausländischen Werthpapieren ist die Angabe der Verjährungsfristen erforderlich.27 5. Verfahren vor der Emissionsbehörde. Der Antrag auf Zulassung ist mit Bezeichnung des Emittenten, des Emissionsbetrages und der Art des einzuführenden Werthpapieres an der Börse auszuhängen und zu veröffentlichen. | A 97 Insbesondere ist die Emissionsbehörde berechtigt, unter Umständen auch die Vorlegung der zwischen dem Emissionshaus und dem betreffenden Anleiheschuldner geschlossenen Verträge zu verlangen. Nach Verlauf von 6 Tagen entscheidet die Emissionsbehörde über die Zulassung der einzuführenden Werthpapiere zum Handel an der Börse und die gegen diese Zulassung etwa erhobenen Einwände. 28

26 Die unter Nr. II a 3, Satz 2 der Leitenden Gesichtspunkte, Alte Fassung 1888, zugelassene Ausnahme für solche „Staaten, Körperschaften oder Institutionen, deren Finanzverhältnisse als allgemein Bekannt gelten", wurde in den Leitenden Gesichtspunkten, Neue Fassung November 1894, beibehalten. Auch die unter Nr. II a 5, VI 5 und VIII 4 zugelassene Ausnahme für Staaten, Körperschaften und Anstalten, deren Wertpapiere bereits an der Berliner Börse gehandelt wurden, wurde nicht in der geforderten Weise modifiziert. Dagegen wurden In den Leitenden Gesichtspunkten, Neue Fassung November 1894, die hier unter 2. und 5. abgedruckten Vorschläge der Börsenenquetekommission aufgenommen. Paralleldruck der Leitenden Gesichtspunkte, Alte Fassung 1888 und Neue Fassung November 1894, in: Correspondenz der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin, Jg. 17, Nr. 10 vom 23. Nov. 1894, Beilage, S.5 und 7 - 1 6 . 27 In allen Fassungen der Vorschläge heißt es: „ist die Angabe der Verjährungsfristen für Kapital und Zinsen ohne Ausnahme erforderlich." 28 Die Fassung dieses Absatzes zitiert Max Weber nach den Vorschlägen erster Lesung. Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 386. In der Schlußfassung lautet dieser Absatz: „Nach Verlauf von 6 Tagen entscheidet die Emissionsbehörde über die Zulassung unter Würdigung der dagegen etwa erhobenen Einwände."

IV. Zulassung

von Effekten

und

Emissionswesen

491

Besitz des Publikums gelangenden | Papiere aber - z. B. zur Zeit A 99 die afrikanischen und australischen Goldshares 29 - sind besonders Von der Ablehnung eines Antrags auf Zulassung hat die Emissionsbehörde, den Umständen nach unter Angabe der Gründe, den Vorständen der übrigen deutschen Börsen, bei welchen nach Lage der Verhältnisse die betreffenden Papiere zur Einführung gelangen könnten, 3 0 Mittheilung zu machen. Wird an einer dieser Börsen die Genehmigung zur Einführung nachgesucht, so darf dieselbe nur mit Zustimmung derjenigen Emissionsbehörde erfolgen, welche die Zulassung abgelehnt hat. Im Falle der Zulassung ist der Prospekt durch Aushang an der Börse und Veröffentlichung in der Presse bekannt zu machen. Handelt es sich um auswärtige Anleihen, Obligationen, Pfandbriefe oder Aktien und weiß der Emittent, daß das Papier, für welches er die Emission nachsucht, auch gleichzeitig an anderen deutschen Börsen zur Zulassung angemeldet ist, so muß er dies der Emissionsbehörde mittheilen. Die Emissionsbehörden der betreffenden deutschen Börsen müssen sich alsdann 31 in Verbindung setzen und keine dieser Börsen darf die Zulassung früher aussprechen, ehe das Urtheil der anderen Börsen bekannt ist. Sobald die Emissionsbehörde einer Börse die Zulassung ablehnt, darf das Papier auch an keiner anderen Börse zugelassen werden, bevor nicht die ablehnende Emissionsbehörde ihren Widerspruch zurückzieht. 6. Handel per Erscheinen. Werthpapiere dürfen, im Falle dieselben zur Zeichnung aufgelegt werden, vor beendeter Zutheilung an die Zeichner weder an der Börse gehandelt noch öffentlich oder in mechanisch hergestellten Privatkurszetteln oder Berichten notirt werden. Die Befolgung dieses Verbots ist durch geeignete Disziplinarmaßregeln zu sichern. | Bei Geschäften, die A 98 diesem Verbot zuwider abgeschlossen worden 32 , ist eine jede Mitwirkung der Börsenorgane ausgeschlossen.

29 Die Kurse der australischen und der nach den ersten Goldfunden Im Jahr 1886 in Südafrika erst kürzlich gegründeten Goldminen-Aktiengesellschaften unterlagen extremen spekulativen Schwankungen einerseits wegen häufiger Änderungen der Ausbeuteeinschätzungen und andererseits - im Falle Südafrikas - wegen der Auseinandersetzungen zwischen Buren und Engländern um den polltischen Status der Südafrikanischen Republik. Die Aktien der Goldminengesellschaften, die an der Pariser und Londoner Börse, nicht aber an deutschen Börsen, gehandelt wurden, gehörten zu den beliebtesten Spielpapieren. Nach Aussage von Gustav Maler wurden die Goldshares In Deutschland durch reisende Bankagenten von Haus zu Haus verkauft und durch unseriöse Offerten In der Presse angepriesen. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1622. Vgl. auch unten, S. 542 und Fußnote 116. 30 Der Nebensatz lautet In der Schlußfassung der Vorschläge: „bei welchen nach Lage der Verhältnisse das betreffende Werthpapier zur Einführung gelangen könnte". Während es In der Fassung erster Lesung heißt: „bei welchen nach Lage der Verhältnisse die betreffenden Werthpapiere zur Einführung gelangen könnten." Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 387. 31 In den Vorschlägen heißt es „sodann". 32 In der Schlußfassung der Vorschläge wurde „worden" (erste Lesung, ebd., S.388) korrigiert zu „werden".

492

Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

bedenklicher Art und die Tragweite der Verluste, die an ihnen erlitten werden, wird sicher zunehmen. 7. Besondere Bestimmungen. a) Die Zulassung von Aktien eines zur Aktiengesellschaft umgewandelten Unternehmens zum Börsenhandel darf vor Ablauf eines Jahres nach Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister nicht genehmigt werden. 33 Diese Bestimmung findet auf Eisenbahnunternehmungen keine Anwendung. In besonderen Fällen kann von der Staatsaufsichtsbehörde die Frist entsprechend ermäßigt werden. b) Durch die Emissionsbehörde ist für die Zulassung von Aktien zum Börsenhandel 3 4 ein Mindestbetrag des Grundkapitals festzusetzen, und es würde zu empfehlen sein: a) für Berlin ein Mindestbetrag von 3 Millionen, b) für Frankfurt a. M. und Hamburg ein Mindestbetrag von 2 Millionen, c) für die anderen Börsen ein Mindestbetrag von einer halben Million. Diese Mindestkapitalien dürfen durch Sperren von Stücken bei der Emission nicht vermindert werden. c) Der Prospektenzwang ist auszudehnen auf: a) alle Kapitalerhöhungen, b) alle Konvertirungen, c) Kapitalsherabsetzungen, sofern durch dieselben wesentliche Veränderungen in den Verhältnissen der Gesellschaft begründet werden. Für Konvertirungen gelten in allen Punkten die vorstehenden Bestimmungen. Außerdem aber muß in Konvertirungsprospekten deutlich zum Ausdruck gebracht sein, inwiefern gegen die früheren Bedingungen durch die Konvertirung Veränderungen 3 5 oder eine Minderung der früheren etwaigen Sicherheiten herbeigeführt werden würden. 8. Haftung der Emissionshäuser. Sind in einem der Zulassung von Werthpapieren zum Börsenhandel zu Grunde liegenden Prospekte für die Beurtheilung des Werthes erhebliche Angaben unrichtig oder in Folge der Fortlassung erheblicher Thatsachen unvollständig, so haftet der Einführende, A 99 wenn er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit gekannt | hat oder dieselbe ihm nur dadurch unbekannt geblieben ist, daß er böslich eine ausreichende Prüfung der Angaben versäumt hat, jedem, auch dem späteren Erwerber eines Werthpapiers, für den Schaden, 36 welcher demselben an dem Papier aus der von den gemachten Angaben abwei33 Statt „darf [...] nicht genehmigt werden" hatte die Börsenenquetekommission „darf [...] nicht erfolgen" formuliert. 34 Die Worte „zum Börsenhandel" der Fassung erster Lesung sind in zweiter Lesung gestrichen worden. Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 387 und 408. 35 Hier folgt Max Weber dem Wortlaut der Vorschläge erster Lesung. In der Schlußfassung der Vorschläge sollte bereits, wenn „durch die Konvertirung gegenüber den früheren Bedingungen eine Veränderung [...] herbeigeführt wird", diese im Konvertierungsprospekt deutlich gemacht werden. 36 Die Satzteile haben in den Vorschlägen der Schlußfassung folgenden Wortlaut: „wenn er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit gekannt hat oder dieselben ihm nur dadurch unbekannt geblieben sind, daß er böslich eine ausreichende Prüfung der Angaben verabsäumt hat, jedem, auch dem späteren Erwerber eines solchen Werthpapiers für den Schaden". Max Weberfolgt hier der Fassung der Vorschläge erster Lesung, in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 388.

IV. Zulassung von Effekten und

Emissionswesen

493

Wie eine verstärkte Haftung der Emittenten wirkt, hängt zunächst von der mehr oder minder vernünftigen Gestaltung der Praxis der Gerichte ab, und es wird sich darüber schwerlich etwas im Voraus sagen lassen. Fehlerhaft ist in jedem Fall, daß gänzlich von 5 einer verschiedenen Behandlung der ihrer Natur nach ganz verschiedenen Hauptkategorien von Emissionen: den großen ausländischen Staatsanleihen und solcher Operationen, welche einen internationalen Kapitalausgleich bedeuten, einerseits und den Produkten der gewöhnlichen Gründungs- und Emissionsthätigkeit an10 dererseits abgesehen wurde. Die Haftung für die ersteren ist ein Unding und bedeutete nur, daß zu dem Verluste des Publikums noch der Bankrott der Emittenten gefügt wird ohne irgend erkennbaren Nutzen für die Gesammtheit. | Die gleiche Scheidung hätte wohl auch für die Art der Behand- A 1 oo 15 lung der Papiere durch die Emissionsbehörden gemacht werden müssen. Wollen diese bei jenen großen internationalen Operationen mehr als Statisten sein, so werden sie die deutsche Emissionsthätigkeit und damit die internationale Machtstellung der

chenden Sachlage erwächst. Die Ersatzpflicht wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß der Prospekt die Angaben als lediglich von einem Dritten herrührend bezeichnet. Sie ist ausgeschlossen, wenn nach den Verhältnissen, welche zur Zeit des Erwerbs des Papiers seitens des Ersatzfordernden 37 zu Tage getreten, ein sorgfältiger Mann ungeachtet der Angaben des Prospekts die wirkliche Sachlage kennen oder doch diese Angaben für seinen Erwerbsentschluß als unerheblich erachten mußte. Der Ersatzpflichtige kann es ablehnen, den Ersatz in anderer Weise als durch Übernahme des Werthpapiers gegen Erstattung des vom Erwerber dafür aufgewendeten Betrages zu leisten. Der Ersatzanspruch verjährt in 5 Jahren seit Zulassung des Werthpapiers38 zum Börsenhandel. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts 39 über die Ansprüche aus Verträgen bleiben durch die vorstehenden Bestimmungen unberührt. |

37 In der Schlußfassung wurde „des Ersatzfordernden" (ebd., S. 388) ersetzt durch „des d e n Ersatz Fordernden". 38 In der Schlußfassung der Vorschläge heißt es: „der betreffenden Werthpapiere". Max Weber folgte der Fassung erster Lesung, ebd., S.388. 39 In d e n Vorschlägen heißt es „der bürgerlichen Rechte". Es g a b kein einheitlich geregeltes bürgerliches Recht im Deutschen Reich. In Handelssachen, in denen das H G B keine B e s t i m m u n g enthielt, kam bürgerliches Recht zur A n w e n d u n g , so z. B. in Altpreußen das Allgemeine Landrecht oder in d e n linksrheinischen Gebieten Preußens der C o d e Civil.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

deutschen B ö r s e n zu T o d e schikaniren, w ä h r e n d für die kleine A l l tags-Gründungs- und Emissionsthätigkeit eine schärfere P r ü f u n g durchaus angebracht ist.

V . a E f f e k t e n - T e r m i n h a n d e l und B ö r s e n s p i e l 5 7 ) . E s ist bedauerlich, daß auf d e m G e b i e t des Terminhandels die A 101 Nothwendigkeit noch immer besteht, Vorstellungen | der allerpri-

Aus den Fragebogen der Kommission gehören hierher folgende Fragen:1 „2. Welche Thatsachen haben nachweislich zur Einführung des Terminhandels an den einzelnen Plätzen, und zwar in einzelnen Gattungen von Papieren und Waaren geführt? 3. Welche Erwerbsgruppen oder welche anderen Klassen der Bevölkerung betheiligen sich vorzugsweise bei dem Terminhandel, und erfüllt derselbe für sie ein wirtschaftliches Bedürfniß, eventuell welche Vortheile gewährt ihnen derselbe? 4. Sind mit dem Terminhandel Nachtheile (heftige Preisschwankungen, Schwänzen, Einsperrung und Festlegung von Vorräthen, Verführung des Publikums zum Börsenspiel und dergleichen mehr) verbunden? 5. Würden diese Nachtheile gar nicht oder nur zum Theil entstehen, falls die betreffenden Artikel nur auf sofortige Lieferung (gegen Kassa) gehandelt würden? 6. Empfiehlt es sich, den Terminhandel einzuschränken, z. B. für gewisse Waaren oder gewisse Gattungen von Effekten (Industrieaktien, Bankaktien, Bergwerkspapiere etc.) ganz zu verbieten oder die Zulassung zum Handel und zur Kursnotirung von gewissen Voraussetzungen, z. B. einem bestimmten hohen Mindestkapital des emittirten Papiers, oder der Genehmigung von Staatsbehörden abhängig zu machen? | A 101 7. Gibt es Merkmale (und eventuell welche?), wonach sich der reelle Terminhandel von dem bloßen Differenzgeschäft (Börsenspiel) unterscheidet, und empfiehlt es sich, letzterem durch gesetzliche Bestimmungen entgegenzuwirken - etwa dahin: a) daß Differenzgeschäfte für nichtig oder unklagbar erklärt werden, oder b) daß eine solche Bestimmung (a) für alle Termingeschäfte mit Privatpersonen (etwa Handelsangestellten oder allen nicht in das Handelsregister eingetragenen Firmen oder Personen oder in noch engerer Begrenzung, und welcher?) getroffen wird, oder c) daß Prämiengeschäfte (Vor- und Rückprämie, Stellagegeschäfte, Nochgeschäfte u. s. w.) für nichtig oder doch unklagbar erklärt werden,

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a Fehlt in A; V. sinngemäß ergänzt. 1 Max Weber gibt hier die vorläufig festgestellte Fassung des Fragebogens der ersten Sitzung der Börsenenquetekommisslon wieder. Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 21. Die späteren Ergänzungen zu den Fragen 4, 7 und 8 der „Anlage zum Fragebogen" hat er nicht berücksichtigt. Vgl. den vollständigen Abdruck des Fragebogens, unten, S. 9 3 1 - 9 3 6 , und zur Entstehung desselben, oben, S. 197f., Anm. 14 und 17. Einen Teil der Frage 8 hat Max Weber bereits, oben, S. 2 1 7 - 2 7 9 und 354f., Fußnote 1 zitiert und besprochen.

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mitivsten A r t über seine Natur entgegenzutreten. Die Kreise sind noch heute breit genug, welche das Termingeschäft sich vorstellen als eine zwischen zwei Personen entrirte Wette über die Kursentwicklung eines bestimmten Papiers | an einem bestimmten zukünf- A 102 5 tigen Tage. Die auf Steigen über einen bestimmten Kurs (ä la hausse) wettende Partei erscheint als Käufer, die auf Sinken unter diesen Kurs (ä la baisse) wettende als Verkäufer eines bestimmten Quantums zu jenem Kurse auf den betreffenden Termin. Je nach Ausfall der Kursentwicklung zahlt der falsch Wettende, also entwe10 der - bei Sinken - der „Käufer" oder - bei Steigen - der „Verkäufer" die Differenz zwischen dem der Wette zu Grunde gelegten Kontraktspreis und dem faktisch am Stichtag sich ergebenden Kurse. - Nun wäre es durchaus voreilig, zu behaupten, daß derartige Differenzwetten b überhaupt reine Phantasieprodukte seien und 15 gar nicht vorkämen. Sie haben vielmehr von jeher existirt: wie man auf das Leben des Papstes etc. wettete, so hat man auch mit Beginn der börsenmäßigen Preisbildung auf die Kursentwicklung gewettet.

d) daß Differenzhandel (vgl. Konk[urs-]0[rdnung] § 210 Nr. I) 2 unter Strafe gestellt wird, e) daß diejenigen bestraft werden, welche unter wissentlicher Benutzung des Leichtsinns und der Unerfahrenheit eines Anderen für diesen oder mit ihm Termingeschäfte abschließen oder dazu verleiten, f) daß die sogenannte Börsensteuer für dergleichen Geschäfte erhöht wird? 8. Haben sich einzelne der an den verschiedenen Börsenplätzen bestehenden Lieferungsbedingungen, z. B. hinsichtlich der Qualität, oder des Gewichts von Waaren, bezw. der Lieferbarkeit von Papieren, der Exekution, der Unterwerfung unter ein Schiedsgericht u. s. w. als gemeinschädlich erwiesen? und was kann eventuell zur Beseitigung oder Unschädlichmachung solcher Bedingungen geschehen? 9. Sind in den Einrichtungen zur Erleichterung des Abschlusses und der Abwicklung von Termingeschäften (Liquidationskassen, Abrechnungskassen, Kündigungsbureaus, Effekten-Giros, Skontrirungs-Kontore u. s. w.) - gemeinschädliche Mängel hervorgetreten, und wie lassen sich dieselben beseitigen, etwa durch Einrichtung von unter staatlicher Kontrolle stehenden Abrechnungsstellen, bei welchen von beiden Kontrahenten eine angemessene Kaution (Einschuß) zu hinterlegen ist? |

b A: Distanzwetten 2 §210 Nr. 1 der Konkursordnung vom 10. Februar 1877 lautet: „Schuldner, welche ihre Zahlungen eingestellt haben, oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, werden wegen einfachen Bankerutts mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft, wenn sie 1. durch Aufwand, Spiel oder Differenzhandel mit Waaren oder Börsenpapieren übermäßige Summen verbraucht haben oder schuldig geworden sind [...]".

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Und sie existiren auch heute noch. Aber - und darauf kommt es an - soweit sie existiren, so existiren sie nicht an der Börse. Das börsenmäßige Termingeschäft - es ist nicht zu billigen, daß die juristische Literatur sich vielfach noch immer des absolut nicht technischen Ausdrucks: „Differenzgeschäft" bedient - hat eine Struktur, die von der primitiven Form einer solchen Differenzwette weit abweicht. Sie ist wiederum in sich nicht einheitlich, sondern differirt insbesondere bezüglich des Termingeschäftes in Effekten, welches hier kurz skizzirt wird, von demjenigen in Produkten in ganz außerordentlicher Weise, - wenigstens da, wo beide technisch am hochsten entwickelt sind, während allerdings bei unvollkommener Entwicklung die Formen sich näher stehen. Eine ganze Serie von irrigen Auffassungen des Terminhandels beruht auf dem auch praktisch sehr bedeutsamen Irrthum, daß das Termingeschäft die einzige oder doch die einzige praktisch in Betracht kommende Form der Spekulationsgeschäfte sei. Das ist außerordentlich unrichtig. Thatsächlich ist das Termingeschäft nur die technisch höchst entwickelte Form des Spekulationsgeschäfts, welches sich, wo diese Form fehlt, anderer, im Erfolge, wie gleich zu A103 besprechen | sein wird,3 ähnlicher bedient. Die Bedeutung des Terminhandels für den Effektenverkehr, von dem hier allein die Rede ist, liegt vielmehr nur in der technischen Form, in welcher der Kredit den Zwecken der Spekulation dienstbar gemacht wird. Den Gegensatz zum Termingeschäft in Effekten bildet das Kassageschäft. Beide sind, z. B. nach den Usancen der Berliner Börse,4 Zug um Zug zu erfüllende Kaufverträge, bei denen - außer bei Wechseln - jede Partei das Recht hat, auf ihre Rechnung und Gefahr durch einen Dritten zu erfüllen; bei beiden haben die Kontrahenten im Fall des Verzuges bezw. der Nichterfüllung seitens einer Vertragspartei das Recht, entweder zur realen „Zwangsregulirung" durch anderweiten An- oder Verkauf durch den vereidigten Makler zu schreiten, oder zur fiktiven Zwangsregulirung zu schreiten, d. h. ohne realen An- und Verkauf die Erstattung der Differenz zwischen Kontraktspreis und Durchschnitts-Notirung des Erfül3 Unten, S. 4 9 9 - 5 0 1 . 4 Gemeint sind hier und im folgenden die Bedingungen der Berliner Börse von 1895. Max Weber gibt, ohne sich an die Reihenfolge zu halten, die Bedingungen der §§13, 14, 16 und 18 wieder.

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lungstages nebst der üblichen Maklergebühr zu verlangen. Beide unterliegen, abgesehen von der etwaigen kompromissarischen oder durch Börsenusancen konstituirten Zuständigkeit von Börsenschiedsgerichten, bezüglich der Frage der „Lieferbarkeit" der Stücke regelmäßig der Entscheidung einer durch die Usancen vorgesehenen besonderen Instanz, in Berlin z. B. der Deputation der Sachverständigenkommission der Fondsbörse, welche endgiltig unter Ausschluß des Rechtsweges darüber befindet. Die Scheidung der Kassa- von den Termingeschäften ist in den Usancen meist so formulirt, daß man daraus allein keineswegs erkennen kann, um was es sich handelt. Die Berliner Usancen scheiden Kassa- und Zeitgeschäft und stellen als „Kassageschäft" ein solches hin, welches unter dieser Bezeichnung oder „per morgen", „per einige Tage" oder ohne Angabe der Erfüllungszeit geschlossen ist, sofern nicht „die Gattung des Werthpapiers" oder die „Zahl der verschlossenen Stücke oder Summen" oder „andere Umstände" sicher auf ein Zeitgeschäft schließen lassen.5 Der Begriff des Zeitgeschäfts | selbst ist nicht definirt. Erwähnt werden Geschäfte A104 mit Feststellung des Erfüllungstermines durch Kündigung des Käufers („täglich") oder des Verkäufers („auf Ankündigung") bis lV 2 Uhr des betreffenden Börsentages und als in dubio gewollte Kategorie Geschäfte „fix" auf einen bestimmten Tag, daneben die später zu besprechenden Prämiengeschäfte, Stellagen und Geschäfte mit Recht der Nachleistung oder Nachforderung.6 Über den juristischen Unterschied ergeben die Usancen selbst nur, daß das Äkssageschäft sofort fällig ist, im Verzugsfalle innerhalb 8 Tagen zur Erfüllung aufgefordert werden muß, falls nicht das Geschäft als durch mutuus dissensus7 aufgehoben gelten soll, während durch die Aufforderung diese Frist auf 4 Wochen erstreckt wird, der nicht säumige Kontrahent ferner, wenn er innerhalb jener Fri-

5 § 13 der Bedingungen der Berliner Börse von 1895 lautet: „Als K a s s a - G e s c h ä f t e gelten außer d e n a u s d r ü c k l i c h ,per Kasse', ,per morgen' oder ,per einige Tage' a b g e s c h l o s s e nen G e s c h ä f t e n , a u c h d i e j e n i g e n G e s c h ä f t e , bei d e n e n die Zeit der Erfüllung nicht ausd r ü c k l i c h bestimmt Ist, falls bei letzteren nicht aus der G a t t u n g d e s W e r t h p a p i e r s , der Zahl der v e r s c h l o s s e n e n Stücke oder der Höhe der v e r s c h l o s s e n e n S u m m e oder a u s anderen U m s t ä n d e n mit Sicherheit zu e n t n e h m e n Ist, daß die A b s i c h t der K o n t r a h e n t e n auf ein Z e i t g e s c h ä f t gerichtet war." 6 Unten, S . 5 0 5 f . 7 Meint die V e r e i n b a r u n g zweier Kontrahenten zur Vertragslösung.

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Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete

sten eine entsprechende eingeschrieben abzusendende Androhung unter Setzung einer Nachfrist erläßt, nach deren Verlauf das Recht sowohl auf Zwangsregulirung in den oben erwähnten beiden Formen 8 als auf Rücktritt vom Vertrage hat; - daß andererseits beim Zeitgeschäft die in dubio ohne Weiteres bei Nichterfüllung am Termin eintretende Konsequenz die Zwangsregulirung ist, von deren Resultat bei Verlust aller Ansprüche alsbald Mittheilung gemacht werden soll, während der Kontrahent, der effektive Nachleistung fordern will, dies alsbald eingeschrieben mitzutheilen hat. Über die funktionelle Stellung des Zeitgeschäftes ergeben diese mageren Bestimmungen nichts. Der Abschluß zu einem von Anfang an genau bestimmten oder durch Erklärung einer Partei genau zu bestimmenden künftigen Termine ist aber nur eines der Mittel im Dienst des Zwecks, den das Zeitgeschäft hat. Da die Spekulation im weiteren Sinn die übernommenen Engagements durch Gegengeschäfte wieder einzudecken beabsichtigt, so muß sie mit bestimmten Erfüllungsterminen zuverlässig rechnen können, und vermag sie sich auf die Weitläufigkeit der Mahnung und Nachfristsetzung nicht einzulassen. Da sie ferner ihren Gewinn entweder A 105 durch Ortsdifferenzen der Kurse sucht - Arbitrage - oder | durch Zeitdifferenzen - Spekulation i. e. S. - , bedarf sie der Möglichkeit einer Erstreckung des Schwebens der Engagements über einen Zeitraum hin, im ersteren Falle, um die Stücke vom bezw. an den Ort befördern zu können, im letzteren, um die erwartete Kursänderung abzuwarten. Allein das sind doch nur Nebenpunkte. Der Schwerpunkt ist aus der Rechtsform nicht ohne Weiteres ersichtlich. Man kann auch in Form des einfachen Kassageschäftes spekuliren, und namentlich von Seiten des außenstehenden Publikums ist dies von jeher geschehen und geschieht noch, - so nämlich, daß Kassapapiere real angeschafft c und - in c Erwartung einer Kursänderung zu Gunsten derselben - eingelagert werden. Allein zunächst gestattet diese primitive Form nur die Spekulation ä la hausse, nicht ä la baisse - in derThat pflegt ja das Publikum des Optimismus zur Spekulation zu bedürfen und gerade in Zeiten hochgehender Konjunktur in die Spekulation einzugreifen. Um so mehr aber war von jeher die bec A: und in 8 Oben, S.496.

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rufsmäßige Spekulation veranlaßt, Formen ausfindig zu machen, welche ihr selbst das Spekuliren ä la baisse ermöglichten, um so als Gegenpartei der ä la hausse d spekulirenden Outsiders auftreten zu können. 5 Entscheidend aber ist ein Weiteres: wenn ausschließlich das gewöhnliche Kassageschäft der Spekulation zur Verfügung stünde, so würde dieselbe deshalb eng beschränkt sein, weil sie ein gewaltiges Kapital für die Theilnehmer erfordern würde, welches in der vom Spekulanten aufgestapelten Papiermasse festgelegt wäre. Die Ent10 stehung eines Spekulationsmar/rtes würde damit verhindert werden. Soll ein Markt entstehen, auf welchem eine große Zahl von Spekulanten auch mit mittleren Vermögen, ja selbst ohne nennenswerthes Vermögen, an der spekulativen Kursbildung mitwirken, so muß auf Kredit spekulirt werden können, die Festlegung von Kapi15 tal in den Spekulationsgeschäften den Spekulanten erspart werden. Dies ist, wie gleich zu erörtern sein wird,9 die spezifische Leistung des Terminhandels. Aber es wäre ein erheblicher Irrthum, zu glauben, nur in | der Form des Terminhandels sei diese Kreditspekula- A 106 tion ins Werk zu setzen. Vielmehr existirt dafür eine Fülle verschie20 dener Möglichkeiten, und nur die Art, in welcher der Terminhandel das Ziel erreicht, ist ihm eigenthümlich. So unvollkommen eine solche Skizze ausfallen muß, so ist es dennoch nöthig, in Kürze die Stellung der beiden wichtigsten Kreditspekulationsformen zu besprechen. 25 Die Entwicklung der Spekulation auf Kredit in Effekten kann nämlich im Wesentlichen in zwei von einander verschiedenen Formen sich vollziehen. Beiden ist zunächst die typische Größe des Objekts des Geschäftes und der typische Gehalt der Vertragsbedingungen eigen. Da der 30 Kauf erfolgt, um wieder zu verkaufen, und umgekehrt, so ist die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit, daß thunlichst jederzeit ein Verkauf bezw. Kauf möglich sei, erste technische Voraussetzung der Benutzung der Geschäftsform zu Spekulationszwecken. Dem dient in erster Linie die möglichste Abstreifung alles Individuellen. Die 35 usancemäßige „Schlußeinheit", welche allein Gegenstand spekulativer Geschäfte ist, steht überall fest. Im Übrigen liegt der Unterd A: baisse 9 Unten, S. 5 0 1 - 5 0 5 .

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schied der beiden Hauptformen der Spekulationsgeschäfte - zwischen denen eine Mehrzahl verschieden gearteter in der Mitte steht - im Folgenden: Bei der einen schließt sich das Kreditgeschäft in Gestalt eines Lombardgeschäftes oder einer Leihe ähnlicher Art an einen Kassakauf bezw. -Verkauf an. Dies z. B. in folgender Weise: Der Kassakäufer, der ä la hausse auf Kredit spekuliren will, leiht das Geld zur Zahlung seines Ankaufs von einem Kapitalisten gegen Zins und lombardirt bei diesem die von ihm abzunehmenden Stücke. Der Kreditnehmer spekulirt darauf, daß die Stücke im Kurs steigen, er also zu gelegener Zeit durch Kündigung des Darlehens und Kassaverkauf der Stücke seinen Gewinn werde realisiren können. Würde dies Leihgeschäft ein echtes Lombardgeschäft, d.h. Verpfändung der Stücke unter Erhaltung der Identität sein, so könnten die StükA107 ke auch nicht annähernd zum | vollen Werth beliehen werden, denn es trüge der lombardirende Kapitalist die Gefahr der Stücke-Entwerthung insofern, als der kreditnehmende Spekulant sich eventuell, wenn er die Stücke nunmehr nur mit Verlust verwerthen kann, zur Rückzahlung der Darlehenssumme außer Stande zeigen könnte und der Pfandverkauf Weitläufigkeiten und Verlust brächte. Daher würde er neben den in der Spekulation begriffenen Stücken noch eine beträchtliche weitere Sicherheit in anderen Papieren verlangen müssen, die um so höher wäre, je geringer die Kreditwürdigkeit des Spekulanten einerseits und je stärker die Kursschwankungen der lombardirten Papiere andererseits zu sein pflegen. Überdies und namentlich aber würde der Kapitalist ein bedeutendes Kapital in den Stücken längere Zeit festlegen müssen. Regelmäßig werden deshalb die in der Spekulation begriffenen Stücke zu Eigenthum „hereingegeben", also ein unechtes Lombardgeschäft abgeschlossen, welches dem „Hereinnehmer" gestattet, jederzeit durch Veräußerung der Stücke sich sein Geld wieder zu verschaffen^] und ihn nur verpflichtet, im Falle der Kündigung des Darlehens ein gleiches Quantum Stücke dem Kreditnehmer wiederzuschaffen. Die neben jenen „hereingegebenen" Stücken noch als Sicherheit gegebenen Depots können hier nicht unerheblich geringer sein, die Beleihung der hereingegebenen erfolgt zu einem wesentlich höheren Kursbruchtheil als beim Pfandlombard, wiederum selbstverständlich im Übrigen unter Berücksichtigung der Kreditwürdigkeit des Spekulanten und der Wandelbarkeit der

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Kurse. - Der spekulirende Kassa Verkäufer andererseits leiht die von ihm zu liefernden Stücke von einem Kapitalisten und zahlt an diesen den Kassakaufpreis, leistet daneben je nach dem Maß des Risiko's, wie seine Person und die Art der Papiere es bedingen, ein 5 Depot als Sicherung und erhofft, daß es ihm möglich sein werde, bei sinkenden Kursen den Kredit zu kündigen und die an den Verleiher zurückzuliefernden Papiere billiger zurückzukaufen. Die Eigenthümlichkeit des Verfahrens ist die rohe Form, in welcher das Kreditmoment hier auftritt. | Die Kontrahenten selbst gewähren A108 10 sich gegenseitig auf keinerlei nennenswerthe Frist Kredit. Nicht selten selbst nicht auf die wenigen Tage, welche höchstens für die Kassaerfüllung zur Verfügung stehen: hier wird eventuell noch durch Einschußpflichten für Deckung gesorgt. Die Kreditgewährung erfolgt durch Kapitalisten. Diese lassen sich dafür Realdek15 kung geben und beanspruchen überdies regelmäßig einen Zinsfuß - zuweilen in geldknappen Zeiten hochgehender Spekulation bis zu 1 Prozent pro Tag10 - , welcher thatsächlich eine Partizipation am Spekulationsgewinn, eine Brandschatzung des Spekulanten, darstellt. Überdies aber pflegt der gewährte Kredit kurzfristig, sehr oft 20 als „tägliches Geld", money „on call", jeder Zeit kündbar zu sein und kann daher zu den brutalsten Halsabschneidereien durch Kündigung im geeigneten Zeitpunkt gebraucht werden. Man könnte diese Form des Spekulationsgeschäfts, welche einen technischen Namen nicht führt, Kassa-Prolongationsgeschäft nennen, denn die 25 Prolongation der Abnahme- und Lieferungspflichten durch Intervention von Leihgeschäften ist der allgemeine, wie immer im Einzelnen abgewandelte Typus. Der zweite Haupttypus ist der des Terminhandels. Hier ist die Art der Intervention des Kredits eine rationellere und allseitigere. Der 30 Kauf wird auf einen bestimmten künftigen Erfüllungstag abgeschlossen. Käufer und Verkäufer hoffen, daß es ihnen gelingen wird, vor diesem Tage sich durch einen theureren Verkauf, bezw. billigeren Einkauf, auf denselben Termin zufolge entsprechender Kursänderung decken zu können und so die Differenz zwischen den bei35 den Preisen zu gewinnen. Die Kontrahenten kreditiren hier also 1 0 Nach A u s s a g e der Sachverständigen Max Winterfeldt und Gustav Maier sollen In New York Zinssätze bis zu 1 Prozent pro Tag berechnet w o r d e n sein. D a g e g e n berichtete der Sachverständige L u d w i g Cohnstaedt, daß Zinsen In Höhe von V 4 - V 2 Prozent verlangt würden. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.438, 1609 und 1790.

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einander gegenseitig, indem sie sich bis zum Erfüllungszeitpunkt an einander binden. Die Gefahr, welche sie dadurch gegenseitig tragen, kommt darin zum Ausdruck, daß sie ihrerseits, auf Grundlage des Terminabschlusses, durch Realisationsgeschäfte sich Dritten verbindlich machen, also bei Insolvenz des Gegners selbst real erfüllen und sich zu diesem Behuf eventuell schleunigst anderweit A109 decken müssen. Zur | definitiven Eindeckung des Geschäfts durch Gegengeschäft schreitet der Spekulant, wenn er entweder seinen Gewinn realisiren will oder auf einen günstigen Ausgang der Spekulation definitiv verzichtet und deshalb seinen Verlust realisirt. Geschieht keines von beiden, soll also die Spekulation fortgesetzt werden, so wird sie prolongirt. Das kann beim Terminhandel entweder zwischen den Parteien direkt geschehen oder durch Dazwischentritt eines Dritten, der die Stücke beleiht bezw. darleiht, sie zu Eigenthum hereinnimmt oder herausgibt. Dabei pflegt die Form der Kreditgewährung eine gesittetere zu sein: nicht auf tägliche oder kurzsichtige Kündigung, sondern auf einen festen künftigen Termin wird die Rückzahlung des Darlehens gegen Rücklieferung der hereingegebenen Stücke, bezw. die Rückleistung der dargeliehenen Stücke gegen Wiederauszahlung des Preises vereinbart. Auch der Kapitalist, der sich auf dies „Kostgeschäft" einläßt, bindet sich an den Spekulanten, dem er Kredit gibt, während des zwischenliegenden Zeitraums, und der letztere hat jetzt während desselben Muße, die Realisation seines Engagements ins Werk zu setzen. Je entwickelter diese Form der Intervention des Kredits und je zuverlässiger die durchschnittliche Kreditwürdigkeit der am Verkehr Betheiligten ist, desto länger werden die Fristen, auf welche hinaus die Kontrahenten sich an einander binden. Und zugleich werden damit die Lieferungstermine zu typischen, durch Usancen allgemeiner festgestellten Tagen und tritt damit die Möglichkeit der Abwicklung - Liquidation - der Engagements durch Skontrirung ein. Beim Kassa-Prolongationsgeschäft in seinen verschiedenen Formen findet täglich die Abwicklung der Engagements zwischen den Betheiligten durch Abnahme und Bezahlung statt. Dabei kann durch Clearing-Institutionen mit Giro- und Checkverkehr für Geld und Effekten eine ziemlich erhebliche Einschränkung des effektiven Stücke- und Geldbedarfes herbeigeführt werden. Die höhere Stufe ist dann, daß eine größere Anzahl von Tagen - z. B. A 110 wöchentlich zwei - als Arrangements- und Liqui|dationstage fest-

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gesetzt werden und an diesen die sämmtlichen in einem Papier Engagirten ihre Stücklieferungs- und Abnahmepflichten unter einander durch Skontrirung der realen Stücklieferung und Begleichung der Differenzen zwischen den Kaufpreisen abwickeln. Für diesen Zweck wird regelmäßig bei entwickelterer Börsentechnik ein „Liquidationskurs" festgestellt, der den Zweck hat, der gemeinschaftlichen Abwicklung zu Grunde gelegt zu werden. Die Abwicklung selbst kann dann in zweierlei Art geschehen. Entweder so, daß eine Partei, welche Stücke real liefern oder abnehmen will, ihrem Gegenpart einen über den Betrag des Stückequantums lautenden Zettel zustellt, welchen dieser, sofern er sein Engagement durch Gegengeschäft gedeckt hat, seinem Gegenpart oder seinen mehreren Gegenpartnern im Ganzen oder in Theilbeträgen weiter indossirt, und so fort, bis der oder die Zettel an einen bezw. mehrere Partner gelangen, welche sich nicht durch Gegengeschäfte bezw. Reportirungen gedeckt haben, also real erfüllen müssen. Die Erfüllung dieser so hergestellten Reihe von Engagements geschieht dann so, daß der „letzte Mann" auf jeder Seite zum Liquidationskurs real liefert bezw. abnimmt, der „letzte" Verkäufer z.B., der den Zettel in Umlauf setzte, statt an seinen Käufer direkt an den „letzten" Käufer, der ihn zuletzt behielt, die Stücke liefert und den Liquidationskurs gezahlt erhält, während die sämmtlichen an der Reihe Betheiligten die positiven oder negativen Differenzen des Preises, zu dem sie abgeschlossen haben, gegenüber dem Liquidationskurs an ihren Vertragsgegner zahlen oder von ihm erstattet erhalten. Oder aber so, daß ein „Kollektivskontro-" oder „Liquidationsbureau" gebildet wird, dem alle am Verkehr Betheiligten Nachweisungen ihrer sämmtlichen Kaufs- und Verkaufsengagements in jedem Papier einreichen, worauf das Bureau für Jeden feststellt, wie viel er von einem Papier mehr gekauft oder verkauft hat oder umgekehrt, auf welchen Betrag er also „letzter Verkäufer" bezw. „letzter Käufer" ist, und darauf jedem Mehrverkäufer einen oder mehrere Mehrkäufer | bezw. umgekehrt für den über- A schießenden Betrag zuweist, worauf dann reale Lieferung und Abnahme zwischen diesen zum Liquidationskurse stattfindet, die sämmtlichen Parteien aber die Differenzen ihrer Vertragspreise gegenüber dem Liquidationskurs an ihre Vertragsgegner zahlen bezw. von ihnen erhalten und so alle Engagements, die auf den betreffenden Termin laufen, simultan erledigt werden.

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Je entwickelter diese Form des spekulativen Verkehrs ist, desto mehr reduzirt sich die Zahl der usancemäßigen Termine, bis endlich nur Medio und Ultimo des Monats und schließlich meist letzterer Termin allein als typischer Stichtag übrig bleibt. Ist diese letzte Stufe erstiegen, so ist das Maximum der Ausgestaltung des spekulativen Geschäfts zum rein typischen, jeder Individualität entkleideten erreicht. Es wird nun nur in typischen Stükkequanten und nur zu wenigen - jährlich zwölf - typischen Erfüllungstagen gehandelt. Das Ergebniß ist die denkbar größte Verbreiterung des Marktes. Alle während eines Monats notirten Engagements lauten über jenen Betrag als Simplum oder Multipla desselben und auf denselben Termin. Die Möglichkeit jederzeitiger Eindeckung eines Engagements durch ein Gegengeschäft steigt dadurch auf das denkbare Maximum. Mit dieser Vereinheitlichung des Spekulationsmarkts nimmt der ganze Hergang der KreditSpekulation die stetigste Form an. Nur einmal im Monat wird liquidirt. Bis zu diesem Termin hat also jeder Spekulant Frist zur Aufsuchung eines Gegengeschäfts. Wird ein solches nicht geschlossen, so erfolgt die Prolongation auf den nächsten Monatstermin, entsteht 0 also wiederum eine geräumige Eindeckungsfrist. Und zugleich streift die Prolongation den wucherischen Charakter, den sie auf der Stufe des Kassa-Prolongationsgeschäfts an sich trägt, völlig ab. Je größer der jederzeit vorhandene Markt und damit die Gewähr für die Möglichkeit jederzeitiger Eindeckung, je bekannter und kontrollirbarer zugleich die Kreditwürdigkeit der Spekulanten, deA112 sto geringere Sicherheiten brauchen die | Reporteure und Hereingeber zu verlangen, mit einem desto geringeren Nutzen können und müssen - sie sich begnügen. Nur bei stark im Kurs schwankenden und kleineren, nicht immer in erheblichem Umfang umgesetzten Papieren oder gegenüber unsicheren Existenzen wird noch eine reale Sicherheit bei der Hereinnahme verlangt und behält diese den Charakter der echten oder unechten Lombardleihe; bei großem Markt, relativ stetigen Kursen und einigermaßen bekannter Kreditwürdigkeit dagegen vollzieht sich die Intervention des Kapitals bei Prolongationen im Wege des einfachen Verkaufes auf Wiederkauf der Stücke ohne Nebensicherheit und läßt sich der interve-

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nirende Kapitalist an einem den üblichen Zinsfuß nicht allzusehr übersteigenden Prolongations-Zinsgewinn genügen, in welchem neben dem regulären Zinsfuß je nach der Marktlage, d. h. je nachdem Stücke oder Geld gesucht sind, ein Zuschlag von mehr oder 5 minder erheblichem Betrage enthalten ist. Die Reportirung erfolgt dann regelmäßig unter Zugrundelegung des Liquidationskurses; werden, wie in Berlin, Stückzinsen vom Nominalbetrag neben dem Kurs des Kontraktes berechnet und erhält also der Hereinnehmer den monatlichen Stückzinsenantheil, so stellen sich Report und 10 Deport als Zuschläge oder Abschläge dar, in welchen die Differenz zwischen dem Prolongations- und Stückzinsfuß und zwischen dem Nominalbetrag (der der Stückzinsberechnung zu Grunde liegt) und dem thatsächlich vorgestreckten, aus der Kurshöhe sich ergebenden Betrag (der bei Berechnung der zu zahlenden Prolongati15 onszinsen zu Grunde zu legen ist) zum Ausdruck kommt. An diese einfachste Form des Termingeschäfts: den einfachen Kauf bezw. Verkauf auf einen bestimmten Tag, schließen sich neben manchen hier nicht im Einzelnen interessirenden Geschäftsformen insbesondere die Optionsgeschäfte an. Da die Terminge20 schäfte zum guten Theil durch die Hände von Propremaklern laufen, deren Geschäft auf der Maxime thunlichst alsbaldiger Eindekkung aller Abschlüsse beruht, so ist Veranlassung zur Entstehung von Geschäfts (formen gegeben, welche die Möglichkeit geben, das A113 Risiko der ungedeckten Engagementsübernahme gegen einen Ent25 gelt auf einen Anderen zu überwälzen. Andererseits gibt es Spekulanten, welche bereit sind, gegen einen sicheren Entgelt die Rolle als Bankhalter für Kursrisiken von unbestimmter Höhe und Richtung zu übernehmen, und endlich solche, welche mit Rücksicht auf ihre Mittel nur unter Beschränkung des Risikos spekuliren wollen. 30 Diesen Interessen von offenbar ziemlich verschiedener ökonomischer Berechtigung entstammen zunächst die Prämienoptionen Terminkäufe und -Verkäufe unter Vorbehalt des an einem bestimmten Tage zu erklärenden Rücktritts gegen Vor- bezw. Rückprämie, sodann die sogenannten Stellagen, bei denen nach der an 35 einem bestimmten Termin zu vollziehenden Wahl einer Partei ein bestimmter Betrag als gekauft - zum höheren - oder verkauft zum niederen von zwei Kursen gelten soll; endlich die „Nochgeschäfte", bei denen dem Käufer gegen Prämie das Recht, binnen bestimmter Frist noch ein Mehrfaches der Schlußeinheit zu for-

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dem, vorbehalten wird. Der stark aleatorische Charakter aller dieser Geschäfte mindestens vom Standpunkt der einen, das Risiko übernehmenden Partei aus ist offensichtlich. Auf das Maximum steigert sich dieser „Spiel"-Charakter wohl da, wo sie neben der Kassaspekulation einhergehen, also auf ganz kurze Termine bei un- 5 stetem Markt und wilden Kursbewegungen geschlossen werden. Je größer der Markt und die Kapitalkraft der Propremakler ist, desto mehr - scheint es - treten sie, wenigstens soweit das Börsenpublikum selbst in Betracht kommt, in den Hintergrund. So wenig durchsichtig also heute noch die allgemeine wirth- 10 schaftshistorische Bedingtheit des Terminhandels ist, so zeigt sich doch, daß gewisse allgemeine Zusammenhänge der Formen des Spekulationsgeschäfts in Effekten mit den allgemeinen volkswirtschaftlichen Zuständen bestehen. Sie aufzuhellen hat die Kommission nicht versucht, und soweit dazu vereinzelte Ansätze genom- 15 A 114 men wurden, scheiterten sie | an der natürlichen Unkenntniß der Auskunftspersonen. Eine Geschichte des Effektenterminhandels auch nur zu skizziren, ist zur Zeit noch nicht möglich. - Hingegen hätte wohl beansprucht werden dürfen, daß die Kommission in eingehenderer Weise die Öffentlichkeit über Motive und Erfolge der 20 fremdländischen Gesetzgebung aufgeklärt hätte, zumal hier vorzügliche literarische Vorarbeiten vorlagen. 11 Über die Praxis der deutschen höchsten Gerichte hat die Kommission eine sehr dankenswerthe Zusammenstellung von Wiener erhalten; 12 eine Prüfung der Praxis auch der französischen Gerichte wäre sehr er- 25 wünscht gewesen. Die Gesetzgebung hat, nachdem sie Anfangs ausschließlich die .Baissespekulation in Papieren von politischer Bedeutung aus Gründen der „Staatsraison" verfolgt hatte, sodann die Verhinderung der ungesunden Spekulation sich zur Aufgabe gemacht und 30 mit stets gleichem Mißerfolg bald die Prämiengeschäfte, bald alle in den spekulativen Geschäftsformen auftretenden Geschäfte zu unterdrücken gesucht und sich in Deutschland schließlich auf die Bestrafung von Bankrotten, die durch Differenzspiel verschuldet sind, beschränkt, während das Ausland zum Theil (Österreich, 35 11 Gemeint ist die Materialsammlung: Börsenenquetekommission, und des Auslands. 1 2 Gemeint ist Wiener, Rechtsprechung.

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Frankreich) den Differenzen wand ausdrücklich verboten hat. 13 Die Gerichtspraxis ihrerseits operirte mit dem Sp/e/begriff, aus dem die Klaglosigkeit der „Differenzgeschäfte" gefolgert wurde. Aber die Abgrenzung dieses letzteren Begriffes machte bedeutende Schwierigkeiten. In Deutschland galt bis in die letzte Zeit die Vereinbarung des Ausschlusses der realen Erfüllung als Merkmal. Es war schon eine Konzession an das Rechtsgefühl des der Börse fernstehenden Publikums, daß die Möglichkeit, daß eine solche Vereinbarung auch stillschweigend getroffen werden könne, anerkannt und als ein solcher stillschweigender Ausschluß der realen Erfüllung unter Umständen auch die für die eine Partei unzweideutig erkennbare Absicht der anderen, nicht real zu erfüllen, angesehen wurde. Der sich ergebende Zustand der Rechtsprechung war, mit den Augen der Juristen betrachtet, | kein besonders erfreu- A115 licher. Ob in der Auswechslung von Schlußnoten eine schriftliche, die „letzte" Absicht der Parteien unzweideutig kundgebende, die Berücksichtigung des in intentione vorhanden Gewesenen ausschließende Willenserklärung zu finden sei oder nicht, und ähnliche Fragen wurden oft von den Senaten desselben Gerichts verschieden beantwortet, die Differenzeinrede von den Anwälten je nach dem Buchstaben, mit dem der Name der Partei anfing, und je nach der Revisibilität verschieden formulirt. Die moralische und ökonomische Beurtheilung des Geschäfts war in der nicht kleinen Zahl der auf der Schneide stehenden Fälle schließlich das Ausschlaggebende. Die Börsen ihrerseits wehrten sich gegen den Differenzeinwand durch „schwarze Listen", 14 was Angesichts der

13 Zur Bestrafung bei Bankrott infolge von Differenzspiel vgl. oben, S.495, Anm.2. In Österreich wurde der Differenzeinwand durch §13 des Gesetzes vom I . A p r i l 1875, in Frankreich durch das Gesetz vom 28. März 1885 ausgeschlossen. Das französische Gesetz ist in: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 81 f., abgedruckt. Zum Differenzeinwand bzw. Differenzgeschäft vgl. die Einträge im Glossar, unten, S. 1040f. 14 An der Berliner Produktenbörse wurde die Anerkennung des Differenzeinwandes durch die Rechtspraxis boykottiert, als einige Getreidekommissionsfirmen im April 1892 ein „Schutzcomite gegen unreelle Contrahenten" gründeten. Wöchentlich wurde die sog. schwarze Liste herausgegeben, in die diejenigen eingetragen wurden, die vor Gericht den Differenzeinwand erhoben hatten, also zur Zahlung ihrer Schulden aus Differenzgeschäften nicht bereit gewesen waren. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 124. BBC, Nr. 213 vom 27. April 1892, Ab.BI., S.4; BBC, Nr. 265 vom 27. Mai 1892, Ab.BI., S.4.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

„groben Unfugs"-Rechtsprechung 15 nicht unbedenklich erscheinen mußte. Schließlich schwenkte in konsequenter Weiterentwicklung im Jahre 1892 das Reichsgericht um 16 und gab die Voraussetzung der „Vereinbarung" der nicht effektiven Lieferung preis zu Gunsten einer Rechtsprechung, welche faktisch nur noch nach 5 ökonomischen Kriterien fragt: namentlich Vermögenslage und Beruf, - aber auch anderen, - und danach entscheiden will, ob ein „legitimes" oder „illegitimes" Termingeschäft vorgelegen habe. Da nun die Heranziehung der „Vermögenslage" gewiß nicht glücklich ist, zumal da nicht einmal klar ist, ob dieselbe im Verhältniß zum 10 Gesammtnominalpreise der gekauften Waare bemessen werden soll, - was eine ökonomische Thorheit wäre, - oder im Verhältniß zu der eventuell resultirenden Differenz, - was der Gewährung eines eigenartigen und recht regellosen beneficium competentiae 17 für Differenzgeschäfte gleich käme -, so würde der eigentlich 15 springende Punkt in dieser Judikatur, wenn dieselbe sich abzuklären beginnen könnte, nur die Berücksichtigung des Berufes bleiben, die Berücksichtigung des Umstandes also, daß es nicht objektive legitime und illegitime Geschäftsformen gibt, sondern zum Gebrauch dieser Geschäftsformen ökonomisch berufene oder 20 nicht berufene Personen, daß mithin, wenn überhaupt irgendwo A 116 eine Scheidung | gezogen werden soll, sie nur gezogen werden kann zwischen Berufshändlern und Personen, die dies nicht sind: wie das

15 Hier spielt Max Weber auf den sog. groben Unfug-Paragraphen des Strafgesetzbuchs ( § 3 6 0 Ziffer 11) an. Danach wurde ruhestörender Lärm oder grober Unfug mit einer Geldstrafe bis zu 150 Mark oder mit Haft bis zu sechs Wochen bedroht. Die Gerichte faßten den Begriff der Übertretung sehr weit und beschränkten ihn nicht auf eigentliche Ruhestörung, sondern rechneten z. B. auch das Boykottieren oder beunruhigende Zeitungsnachrichten dazu. 16 Der Zivilsenat für Handelssachen am Reichsgericht in Leipzig verschärfte seit 1892 unter dem Einfluß der Antlbörsenbewegung seine Spruchpraxis. Diese drückte sich vor allem In einem Immer welter gefaßten Begriff des reinen Differenzgeschäfts aus, das nun als Spiel- und Wettgeschäft definiert wurde und daher als klaglos galt. Wiener, Rechtsprechung; ders., Differenzgeschäft. Zur Spruchpraxis des Reichsgerichts vgl. auch oben, Einleitung, S. 6 3 - 6 6 . 17 Meint die Rechtswohltat der Kompetenz. Sie bezeichnet den Anspruch des Schuldners, daß ihm sein Gläubiger so viel läßt, wie er für seinen Notbedarf (die Kompetenz) braucht, und daß er auf mehr nicht verurteilt oder gepfändet werden kann. Diesen Rechtsgrundsatz gewährte die Konkursordnung vom 10. Februar 1877 dem Gemeinschuldner nicht. Beim Konkursverfahren hatte der Schuldner mit seinem gesamten Vermögen zu haften.

V. Effekten-Terminhandel

und

Börsenspiel

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Handelsrecht trotz des nicht glücklichen angeblich „objektiven" Aufbaus seines Bereiches auf Grundlage der „Handelsgeschäfte" doch seinem Wesen nach Standesinstitution ist,18 so auch der Terminhandel und die anderen Formen spekulativer Börsengeschäfte. Unüberbrückbar ist die Kollision des Rechtsbewußtseins des Händlerstandes, der den Diiierenzeinwand als schnöde Unreellität empfindet, und des Publikums, welches nicht versteht, wie der Staat seine Zwangsgewalt in den Dienst der Realisirung von Hazardschulden stellen kann. Auch der neueste Gang der fremden Gesetzgebung zeigt die Einwirkung dieser allgemeinen Sachlage: in Frankreich hat das Verbot des Differenzeinwandes offenbar nicht gehindert, daß die Richter denselben auf Umwegen im Verhältniß zwischen Händler und Publikum doch zulassen. 19 Die österreichische Gesetzgebung behandelt überhaupt nur Geschäfte, welche „im öffentlichen Börsenlokal", also doch zwischen Berufshändlern, geschlossen sind. 20 Die größte und schwer lösbare Antinomie ist nun die: der Terminhandel als höchst entwickelte Form des Spekulationsgeschäfts erscheint naturgemäß als Standes'\mt\t\it des Berufshändlertums. Andererseits ist aber gerade der Terminhandel diejenige Geschäftsform, welche den Hinzutritt kapitalschwacher und dem berufsmäßigen Handel fernstehender Personen dadurch erleichtert, daß er einerseits in umfassendstem Maße die Äred/fspekulation gestattet, andererseits eine äußerst elegante, auch von Nichtkundigen rein technisch scheinbar leicht zu handhabende Form des Spe-

18 Max Weber nimmt Bezug auf die anhaltende Diskussion über die Frage, was den eigenen Charakter des Handelsrechts und insbesondere seine Selbständigkeit gegenüber dem bürgerlichen Recht begründet. Nach einer Lehre umfaßt es diejenigen Rechtsinstitute, die für den Handelsverkehr typisch und von den besonderen Bedürfnissen der Handelsgeschäfte geformt sind; nach anderer Auffassung, der sich Max Weber anschließt, ist das Handelsrecht das Recht des Kaufmannsstandes oder -berufs. Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts, S. 10-12. 19 Der Sachverständige Wilhelm Münk erläuterte, daß das Gesetz vom 28. März 1885 (wie oben, S. 507, Anm. 13) zwar die Differenzeinrede ausschließe, sich aber aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes ergebe, daß diese dann zulässig sei, wenn von vornherein durch schriftliche Vereinbarung die Vertragserfüllung ausgeschlossen worden sei. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1188. So auch Wiener, Differenzgeschäft, S . 7 9. 20 Max Weber zitiert § 12 des Gesetzes vom 1. April 1875, Bei den so definierten Börsengeschäften konnte nach § 13 ebd. der Differenzeinwand nicht erhoben werden.

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Die Ergebnisse der deutschen Börsenenquete

kulationsgeschäfts darstellt, also das Publikum zur Theilnahme an der Spekulation geradezu einladet.' Es fragt sich jedoch, ob diese bequemere Form wirklich entscheidend für den Umfang der Outsiderspekulation ins Gewicht fällt. Daß diese Frage durch die Erörterungen der Enquetekommission und aus ihrem Materiale befriedigend gelöst worden sei, kann A117 gewiß nicht behauptet werden. Immer | wieder geriethen die Verhandlungen in den trostlosen Kreislauf derselben allgemeinen mehr oder minder moralisirenden Raisonnements hinein. Die Beurtheilung ganz ungenügend erklärter Erscheinungen auf dem Gebiete der Handelstechnik ist eben zur Sterilität durch die Natur der Sache verurtheilt. Dem allgemeinen Zustand des Verkehrs und Kredits entsprechend sind auch heute noch die Formen des Effekten-Spekulationsgeschäfts an den einzelnen großen Börsen außerordentlich verschieden, und es hätte nun untersucht werden müssen, wie diese verschiedenen Verkehrsformen auf die Betheiligung des Publikums an der Effektenspekulation wirken. Überblicken wir zunächst den bestehenden Zustand. Die höchsten Gegensätze birgt in dieser Beziehung schon der englisch-amerikanische Verkehrskreis. A n den amerikanischen Fondsbörsen fehlen Termingeschäfte des höchstentwickelten Typus und damit feste einheitliche Stichtage, wie es scheint, so gut wie ganz; eigentliche Prämiengeschäfte mit begrenztem Risiko sind durch die Börsen vielfach, der börsenfeindlichen Agitation zufolge, unterdrückt, 21 - soweit die Börsen selbst in Frage kommen. Außerhalb derselben werden in Shops und Cafés in wilder Weise KursWettgeschäfte, auch auf Prämien, getrieben. In New York liegt, obwohl Geschäfte auf längere Fristen vorkommen, der Schwerpunkt völlig auf den Kassageschäften, die mittelst Einschiebung von Reportirungen für die Zeitspekulation brauchbar gemacht werden. Die Geschäfte selbst werden mit der Berechtigung jeder Partei, je-

f Die im 19. Jahrhundert übliche Form für 3. Person Singular Präsens Indikativ einlädt. 21 Max Weber stützt sich hier vermutlich auf die Ausführungen von Schumacher, Getreidebörsen, S.219, und Im folgenden auf: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S. 125f. (New York) und 117 (Chicago). Zur börsenfeindlichen Agitation in Amerika vgl. die Ausführungen oben, S. 211, Anm. 57.

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derzeit bis zur Erfüllung die Deponirung eines Einschusses, ein „original margin", von 10 Prozent binnen einer Stunde nach der Aufforderung zu verlangen, sofern sie selbst einen solchen hinterlegt, geschlossen. Bei Kursbewegungen zu Ungunsten einer Partei kann der Gegner, sofern das Depot unter 5 Prozent sinkt, Nachschuß, „additional margin", verlangen. Die Nichtleistung hat die Zwangseindeckung des Engagements in bestimmten Formen zur Folge. Ähnlich liegen die Dinge in Chicago. Neben | den Kassa- A reportirungen bilden Geschäfte auf Ankündigung seitens einer Partei, auf Lieferung nach Wahl des Verkäufers oder Käufers, bei denen natürlich dem Risiko dessen, der dem Gegner das Recht der Bestimmung des Erfüllungstages einräumt, ein Entgelt, meist in Form eines ihm günstigeren Kurses, entspricht, die Form, in der die Spekulation die Ausnutzung der zukünftigen Kursschwankungen sich vorzubehalten sucht. Das ganze Spekulationsgeschäft hat einen wild hazardartigen Charakter, der Zinsfuß des „täglichen Geldes" ist oft ein ganz enormer.22 - Irgend eine Kontrolle der Geschäfte, besondere Zulassung zum Handel in den spekulativen Geschäftsformen kommen nicht in Frage. Sehr stark entgegengesetzt sind die Verhältnisse der englischen Fondsbörsen.23 Hier gelten normaler Weise alle Geschäfte in dubio als Termingeschäfte auf den nächsten „account day", von denen monatlich zwei stattfinden. Deshalb findet eine besondere Zulassung zum Terminhandel nicht statt. Die Erfüllung erfolgt, indem Lieferungszettel in Umlauf gesetzt werden und der „letzte Verkäufer" vom „letzten Käufer" zum „making up price", der von einem Kommissar auf Grund des Kurses der beiden letzten Tage festgestellt wird, abnimmt und die Differenzen regulirt werden. An den größeren französischen Börsen besteht neben den Kassageschäften der Effekten-Terminhandel, und bestimmt die chambre syndicale über die Zulassung zur Terminnotirung. Die großen Inlandswerthe wie Rente, Crédit fonder, Banque de

2 2 Gemeint ist der oben, S. 501, erwähnte Zinssatz bis zu einem Prozent pro Tag. 2 3 Die folgenden Angaben entnimmt Max Weber: Börsenenquetekommission, Börsen Deutschlands und des Auslands, S.68 und 75 (England), 86f. (Frankreich), 104-106, 110f. (Österreich-Ungarn).

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

France, 24 Bahnaktien 9 , alle Inlandsobligationen werden ein Mal, die anderen zwei Mal monatlich liquidirt. Die agents de change gleichen zunächst unter sich ihre Verbindlichkeiten durch Kollektivskontrirung aus und rechnen dann mit ihrer Kundschaft ab. In Österreich-Ungarn konzentrirt sich das Termingeschäft, welches allgemein in allen überhaupt zum Handel zugelassenen Effekten zulässig ist und auch keine weitere Zulassung zur Notirung voraussetzt, im Wesentlichen in Wien und Budapest. Es ist in der Form A119 des Ultimohandels erst | in den letzten Jahrzehnten zur Aufnahme gelangt und noch nicht die allein herrschende Form des Spekulationsgeschäfts. Es gibt vielmehr daneben außer den Kassageschäften noch die Form des Geschäfts auf einige Tage Lieferung, bei dem spätestens am fünften Tage, bei Ankündigung aber vorher abgenommen werden muß, und ohne Intervention einer Börseninstanz abgewickelt wird. Ferner das Geschäft auf Arrangement, d. h. auf kurzsichtige Termine, deren Stichtage von den Börsen für das Jahr festgesetzt werden, bei denen die Abwicklung durch ein Arrangementsbureau obligatorisch ist. Das Arrangement erfolgt unter Zugrundelegung des regelmäßig festgesetzten Liquidationskurses. Die Effekten, in denen Arrangementsgeschäfte derart stattfinden, daß sie als in dubio gewollte gelten, sind von der Börse aus festgesetzt. Ebenso werden die Effekten, in denen Ultimo-Terminhandel unter der entsprechenden Form stattfindet, von der Börse festgestellt, - in Wien z. B. neun bestimmte Effekten, - und vollzieht sich dann die Abwicklung durch das Arrangementsbureau, welches in Wien der Giro- und Kassenverein stellt. Entsprechend diesem Zustand, bei welchem der Terminhandel noch nicht die faktisch allgemein herrschende Geschäftsform geworden ist, steht in Wien neben dem Termin-Reportgeschäft auch noch das Prolongationsgeschäft auf Kündigung. Das österreichische „Kostgeschäft" hat den Charakter der Lombardleihe in seinen Formen noch stark festgehalten. g A: Bankaktien 25 2 4 Der Crédit F o n d e r d e France, die einzige, bereits 1852 g e g r ü n d e t e H y p o t h e k e n b a n k Frankreichs, und die B a n q u e d e France, seit 1848 d i e Zentralnotenbank Frankreichs, waren von Privaten finanzierte A k t i e n g e s e l l s c h a f t e n öffentlichen Charakters. 2 5 A u f g e z ä h l t sind ebd., S . 8 6 , „die f r a n z ö s i s c h e n Renten, die Aktien der B a n q u e d e France, d e s Crédit Foncier, der f r a n z ö s i s c h e n E i s e n b a h n e n , alle überhaupt auf Zeit notierten f r a n z ö s i s c h e n Obligationen".

V. Effekten-Terminhandel

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Börsenspiel

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In Deutschland sind die drei einzigen Börsen mit umfangreichem Effekten-Terminhandel die von Berlin, Frankfurt, Hamburg. Sonst werden Termingeschäfte nur noch in München und Bremen notirt und finden ohne Notirung in Dresden, Breslau und vereinzelt an 5 anderen Plätzen, im Allgemeinen in abnehmendem Umfang, statt. Von irgend einer besonderen Zulassung zur Terminnotirung ist an den Plätzen ohne Notirung nicht die Rede, ebenso nicht in Frankfurt, München und in den Hansestädten, wo die Zulassung zum Handel und zur Notirung die Terminnotirung in sich schließt. Folg10 lieh kommen nur die Berliner Zustände in | dieser Hinsicht in Be- A 120 tracht. In Berlin entscheiden über die Zulassung zum Zeithandel durch die vereidigten Makler und zur Zeitnotirung dieselben Instanzen wie für den Handel überhaupt. Die Zulassung zur amtlichen Notirung soll bei Vorhandensein eines lebhaften Handels 15 stattfinden. Im Allgemeinen wird aber dabei auch eine Prüfung der wirthschaftlichen Zweckmäßigkeit des Handels angestellt und namentlich daran festgehalten, daß Papiere kleinen Betrages im Allgemeinen kein geeignetes Objekt darstellen. Ein Sachverständiger meinte, daß zur Zeit ca. 12 Millionen Mark Kapital als Erforderniß 20 angesehen würden58). Die zugelassenen Papiere betragen einige achtzig. Die Termingeschäfte an den deutschen Börsen sind, nachdem die Medioliquidationen allmählich in Wegfall gekommen sind, ganz überwiegend Ultimogeschäfte, daneben spielen nur die verschiede58) S. 1159.26 Z.B. sind Gruson-Aktien zurückgewiesen worden. Dagegen sind z.B. A 120 Dannenbaum-Aktien (11 Millionen Kapital) zugelassen. |

26 Dieser und alle f o l g e n d e n Seitenverweise Max Webers bis einschließlich S. 542, Fußnote 120, beziehen sich auf: Börsenenquetekommission, Sten.Ber. Max Weber bezieht sich auf die Mitteilungen des Sachverständigen Emil Salomon, der die f o l g e n d e n Beispiele nannte. Die Aktien der Bochumer Z e c h e D a n n e n b a u m wurden, so Salomon, z u m Handel und zur nichtamtlichen Notierung zugelassen; die Zulassung der Gruson-Aktien sei d a g e g e n noch abgelehnt. - Die 1869 von Hermann Gruson in M a g d e b u r g - B u c k a u errichtete Hartgußgießerei und Maschinenfabrik ist, n a c h d e m sie große Erfolge bei der Produktion von Panzertürmen und Kanonen erzielt hatte, 1886 In eine Aktiengesellschaft u m g e g r ü n d e t worden. 1889 wurde das Grundkapital von 8,05 Millionen Mark um drei Millionen Mark erhöht. 1892 w u r d e mit der Firma Fried. K r u p p ein Übernahmevertrag geschlossen und das Unternehmen 1893 als Fried. Krupp Grusonwerk weitergeführt. Möglicherweise hing die Nichtzulassung der Aktien an der Börse mit dieser Transaktion zusammen.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

nen Formen der Option: Prämiengeschäfte, Stellagen und Nochgeschäfte, diese Formen aber ohne amtliche Notirung, eine nennenswerthe Rolle. Überall besteht für die Ultimoliquidation auch das Institut der Kollektivskontrirung, in Berlin liegt dieselbe in den Händen des auf freiwilligem Beitritt beruhenden Liquidations- 5 Vereins, dessen Geschäftsführer die Bank des Berliner Kassenvereins ist; in Frankfurt und München bestehen Kollektiv-Skontrovereine; in Hamburg das Effekten-Liquidationsbureau der Wechslerbank. Die Reportirungen sind Terminreportirungen auf Ultimo, die Bedeutung des täglichen Geldes und der unechten Lombardleihe 10 ist für die Spekulation bei Weitem geringer als in Amerika und Österreich. Von der Funktion der Maklerbanken ist bereits früher gesprochen worden. 27 Welche Rückwirkungen nun die Formen der Spekulationsgeschäfte auf die Betheiligung des Publikums haben h , ob, wie a priori 15 A 121 wahrscheinlich sein könnte, ein steigernder | Einfluß sicher zu konstatiren ist, mußte die Kommission in erster Linie durch Vergleichung der in dieser Beziehung bestehenden Zustände der verschiedenen Länder ermitteln, sofern es ihr - ihrem allgemeinen moralisirenden Standpunkt entsprechend - um eine Ermittlung der 20 „Gefahren" des Effekten-Termingeschäfts als solchen für die Verleitung des Publikums zum Börsenspiel (Frage 4) 28 zu thun war. Weniger wichtig war alsdann ein Eindringen in die intimeren Verhältnisse des Terminmarkts und -Verkehrs. Dieses Letztere war dagegen unumgänglich und geradezu die Hauptsache, falls die Ein- 25 Wirkung des Termingeschäfts auf die Preisbildung festgestellt werden sollte (wie dies auch einigen Andeutungen der Frage 4 als formeller Hauptzweck der Erörterung ersichtlich zu sein schien). Alsdann mußte in die technischen Einzelheiten hineingestiegen werden. Es liegt auf der Hand, daß die Kreditspekulation mit ihrer 30 Heranziehung der „kapitallosen Intelligenz" alle Gefahren des Mitwirkens dieser bei der Preisbildung herbeiführt. Aber es fragt sich zunächst, welche Art der Wirkung dies bisher für die faktische Preisgestaltung gehabt hat, und sodann, ob nicht durch ein System von Ein- und Nachschüssen bei der Kassa-Prolongationsspekula- 35 h A: ä u ß e r n 2 7 Oben, S.335-341. 28 Frage 4 vgl. oben, S. 494, Fußnote 57 mit Anm. 1.

V. Effekten-Terminhandel

und

Börsenspiel

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tion ein ähnlicher Effekt erzielt werden kann. Es ist ferner richtig, daß die Technik des Effekten-Terminhandels bewußt zusammen arbeitenden Haussespekulanten unter Umständen ermöglicht, durch systematischen Aufkauf alles auf dem Markt verfügbaren Materials - die sog. „Schwänze" - in einem nicht allzugroßen Papier eine Situation zu schaffen, welche am Ultimo eine StückeKnappheit herbeiführt, die Baissespekulanten in die Unmöglichkeit versetzt, Stücke anzuschaffen oder geliehen zu erhalten, und sie so nöthigt, sich den Abwicklungsbedingungen der Haussiers zu unterwerfen. Es mußte dann untersucht werden, ob nur die Technik des Termingeschäfts dies gestattet, und da dies nach amerikanischen Erfahrungen offenkundig nicht der Fall ist1, mußten die Voraussetzungen der „Schwänze" im Einzelnen studirt werden, am A122 besten durch eingehende Erforschung von | Beispielen. - Vor Allem mußte aber die Bildung der Interessentengruppen an der Effektenbörse sorgfältig analysirt werden, um aus der Fülle der Einzelvorgänge zu typischen Zusammenhängen zu gelangen. Man kann nicht sagen, daß die Sachverständigenvernehmung auf dem Gebiet des £/jfeÄ:te«-Terminhandels über irgend einen der in Betracht kommenden Gesichtspunkte besonders erhebliche Ergebnisse gezeitigt hätte59'. | 59 < Über die rein börsentechnische Seite des Effekten-Terminhandels ergibt die Ver- A 122 nehmung wenig. Man hat darauf offenbar gar kein Gewicht gelegt. Die wenigen Punkte seien hier zusammengestellt: Besprochen wurde zunächst die Frage: ob etwa der Berliner Liquidationsverein, in den jetzt eine besondere Aufnahme nöthig ist, welche (entgegen der Ansicht mancher Kreise - z. B. des Sachverständigen Kopetzky S. 155 - ) an Eintragung in das Handelsregister geknüpft ist, besser durch staatliche Bureaus ersetzt würde, welche von den einzelnen Geschäften Kaution verlangen könnten und sollten. Mit Recht hob Kopetzky1 dagegen hervor, daß, abgesehen davon, daß die allgemeine Kautionspflicht den Geldmarkt stören würde, auch die Solidität der Geschäfte dadurch nicht gehoben, sondern herabgedrückt würde. Namentlich die Zwangsregulirungen würden, da der Anreiz dazu in dem Verfall der Kaution liegen würde, rücksichtsloser werden. Entschieden betont wurde der Vortheil der Institution des Liquidationskurses (Sachverständiger Benary S. 159), da die übliche Reportirung zu diesem einen Zwang enthalte, durch Begleichung der Differenzen „reinen Tisch zu schaffen".2 Nicht empfohlen wurde die angeregte Festsetzung besonderer Reporttage, wie solche in London (ITag) und Paris (2 Tage) bestehen und in Frankfurt in den Prolongations-

i Fehlt in A; ist sinngemäß ergänzt. 1 Die f o l g e n d e n Äußerungen von Wilhelm Kopetzky finden sich In: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1 5 4 - 1 5 6 . 2 Die in diesem Sinne geäußerte Meinung Victor Benarys findet sich ebd., S. 161.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

Abgesehen von einigen Sachverständigen mit Provinzialinteressen, denen die Zentralisation der Preisbildung an den großen Plätzen nicht genehm sein konnte, waren die aus Börsen- und Bankkreisen vernommenen Sachverständigen darüber einig, daß von den Wirkungen des Terminhandels die größere Nivellirung der 5 Preisschwankungen und die Schaffung eines stetigeren und breiteren Marktes an die Spitze zu stellen sei60). Daß andererseits der Gesammtbetrag der Kursschwankungen kein geringerer zu werden pflegt, sondern nur die schroffen Wellenbewegungen in ein fortwährendes „Wellengekräusel" aufgelöst werden, hätte nicht be- 10 stritten werden sollen,3 ebenso nicht, daß in Zeiten hitziger Speku-

tagen eine Analogie finden, während in Berlin zwar die Reportsätze außeramtlich an 3 Tagen notirt werden, aber kein Zwang besteht, gerade an diesen Tagen zu reportiren, und Vorsichtige dies schon vorher zu erledigen pflegen. Es ist in der That fraglich, ob die zeitliche Zusammenlegung des Reportirungsgeschäfts, z. B. in Berlin statt jetzt auf 8 Tage auf 2 - 3 , nicht zu Störungen des Geldmarkts und, bei Krisen, zur Steigerung der Panik führen könnte. Ein Interesse dafür ist nicht genügend ersichtlich.4 Die Entscheidung über die Frage der Lieferbarkeit ist im Effektenhandel von geringfüA 123 giger und wesentlich formaler Be|deutung. Beschwerden entstehen gelegentlich über divergirende Entscheidungen bezüglich desselben im Umlauf befindlichen Papiers. Sie sind bei der großen Zahl der Sachen und dem auch dadurch bedingten schnellen Wechsel der Mitglieder der entscheidenden Instanz nicht zu vermeiden. - Ein ständiger Bureaubeamter macht die Kommission auf frühere Entscheidungen aufmerksam, und man pflegt jetzt die Nummern der erörterten Papiere zu notiren. Cf. S. 497 f., 1226.5 Mit Recht wurde betont, daß Schnelligkeit der Entscheidungen die Hauptsache sei. ^ Es wurde auf die wilden Kursschwankungen einiger Kassapapiere - Schwartzkopff, a Gruson in den letzten Jahren, Diskontokommanditantheile im Anfang der siebziger Jahre, per Kassa gehandelte Bergwerksaktien Ende der achtziger Jahre, ferner auf die Zustände in New York und auf Paris hingewiesen, wo noch Anfang der neunziger Jahre

a A: Schwarzkopf, 3 Max Weber spielt auf die Formulierung von Gustav Cohn an: „Kann man nicht darin die nützliche Wirksamkeit des Terminhandels sehen, daß ein beständiges Wellengekräusel, beständige kleine Schwankungen stattfinden, die eben das Mittel sind, um die großen Stöße der Schwankungen zu beseitigen?" Ebd., S.3527. Von den Sachverständigen wurde nicht eigentlich bestritten, daß die Kursschwankungen nicht weniger geworden seien. Sie betonten aber, daß die Schwankungen ohne Terminhandel größer wären. 4 Die Auskünfte über die Usancen der Prolongations- oder Reporttage gaben Wilhelm Kopetzky und Victor Benary, ebd., S.91, 101 f. und 156f.; sie lehnten die Festlegung von Reporttagen ab, ebd., S. 161. 5 Max Weber stützt sich hier und im folgenden auf die Angaben von Max Winterfeldt und Emil Salomon, ebd., S.494f. und 1226f.

V. Effekten-Terminhandel

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lation die Erleichterung des Kreditspekulirens durch den Terminhandel die Mitwirkung einer urtheilslosen, von den Großspekulanten leicht zum „Mitlaufen" zu bewegenden und dann die herrschende Tendenz oft sinnlos steigernden Menge von kapitallosen 5 Outsiders und Jobbern erleichtert.6 Über die Art des Funktionirens des Terminhandels im Einzelnen und die Interessengruppirung in der Effektenspekulation hat dagegen die Erhebung gar nichts | zu A 124 Tage gefördert. Daß die großen Banken Termingeschäfte wesentlich nur zu Interventions- und Arbitragezwecken machen, wußte 10 man ohnehin. Der Klarstellung bedurft hätte dagegen die sonstige funktionelle Bedeutung des Terminverkehrs in Effekten, also seine Verwendung außerhalb des Zwecks der Ausbeutung des Privatpublikums einerseits, der Spekulation der kleinen Tagesspekulanten andererseits61'. 15 Bezüglich der technischen Funktionen des Terminhandels legten nun die Sachverständigen den Nachdruck auf dreierlei: Einmal darauf, daß die Arbitrage, also der Kursausgleich zwischen den verschiedenen Börsen, das Hereinschaffen von Stücken von auswärts, in Eisenbahnobligationen der Terminhandel zum Zweck der Milderung der Kursschwankungen eingeführt worden sei. 7 | 61 > Durchaus nicht auch nur annähernd klargestellt ist die Wirkung des Terminhandels A 124 auf die Preisbildung in ihren Einzelheiten - auf die es eben ankäme. D e n n der einzige mehrfach berührte Punkt, daß im Allgemeinen das Vorhandensein des größeren Marktes auf das damit versehene Papier kurssteigernd wirke, 8 ist selbstverständlich. D i e Beseitigung der Kreditspekulation wirkt ähnlich preisdrückend, wie die Einführung der „Verschuldungsgrenze" auf die Bodenpreise wirken würde. „Heiterkeit" erregte es, als gegenüber der Bemerkung Gamp 's, daß also die Zulassung zum Terminhandel ein „Geschenk" an die Besitzer der betreffenden Papiere involvire, Winterfeldt (Handelsgesellschaft) behauptete: es sei vielmehr „Belohnung des Verdienstes".

6 Auch dieser Punkt wurde von den Sachverständigen nicht bestritten. 7 Über die Kassaspekulationen in Aktien der Berliner Maschinenbau-Aktiengesellschaft Schwartzkopff, des Grusonwerks und in Bergwerkspapieren in den Jahren 1889/90 berichtete Max Winterfeldt, ebd., S. 432-434, die Spekulation in Aktien der Diskonto-Gesellschaft im Jahr 1873 erwähnte Louis Bamberger, ebd., S.659, von der Einführung des Terminhandels in Eisenbahnobligationen in Paris 1892 sprach Arthur Gwinner, ebd., S. 1947. Die wilden Kurssprünge in New York führten eine Reihe von Sachverständigen als abschreckendes Beispiel für die Kassaspekulation an. Börsenenquetekommission, Register zu den Stert.Ber., S. 86-89. 8 Darauf verwiesen z. B. Emil Salomon, in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1156, und Max Winterfeldt in der Aussprache mit Karl Gamp, ebd., S. 457, aus der Max Weber auch im folgenden zitiert.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

die Verwerthung des nationalen Bestandes an fremden Effekten zum Ausgleich der Zahlungsbilanz mit dem Ausland, ohne ihn nicht möglich oder doch sehr erschwert ist62\ D e m Einwand, daß man ja eine etwas längere - z. B. achttägige Frist für die Erfüllung von Kassageschäften einführen könne, wur- 5 de mit Recht entgegengehalten, 9 daß in Berlin eine Maximalfrist, innerhalb deren die Erfüllung eines Kassageschäfts verlangt werden müsse, schon jetzt bestehe, daß es aber für die Funktion des Kassaverkehrs unumgänglich sei, daß die Lieferung, sofern der A 125 Käufer ein Inter|esse daran hat, sofort verlangt werden könne. Es 10 wird in der That unbedingt zuzugeben sein, daß für international gehandelte Papiere die Abschneidung des Terminverkehrs eine schädliche Isolirung Deutschlands bedeuten würde, und wurde dies auch von Seiten der Gegner des Terminverkehrs nicht bestritten. Übermäßig groß ist die Zahl dieser „internationalen" Papiere 15 nicht 63 \ Insbesondere von den Industrie papieren Deutschlands hat keines einen Markt im Ausland. Dagegen werden innerhalb Deutschlands an mehreren Börsen, also interlokal, von den an der Berliner Börse gehandelten Papieren über die Hälfte gehandelt. 10

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> Kopetzky S. 77; Benary S. 100 u. A . | D i e erste Rolle spielen darunter Italienische Rente, Kreditaktien, Franzosen, Lombarden. 11 63)

9 Wie oben, S. 515f., Fußnote 59mitAnm.4. 10 Ludwig Max Goldberger gab an, daß von den 80 auf Termin gehandelten Wertpapieren in Berlin 2 / 3 an mehreren Börsen des In- und Auslandes gehandelt würden. Ebd., S. 661. Nach Endemann, Papiere, S. 309f. und 314f., wurden in Berlin 73 Terminpapiere amtlich notiert, davon 69 gleichzeitig in Frankfurt bzw. Hamburg. 11 Neben der italienischen Rente nannte Victor Benary als geeignete Papiere für den internationalen Austausch im Terminhandel die sog. Kreditaktien: die Aktien der Österreichischen Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe, die sog. Franzosen: die Aktien der Österreichisch-Ungarischen Staatseisenbahn, und die sog. Lombarden: die Aktien der Österreichischen Südbahn-Gesellschaft. Ebd., S. 100. „Franzosen" und „Lombarden" waren börsenübliche Kurznamen, die sich aus der Geschichte der beiden Eisenbahngesellschaften ergaben. Im Zuge der Privatisierung der zuvor vom Staat errichteten Eisenbahngesellschaften haben 1854 zumeist französische Kapitalisten die Österreichische Staatseisenbahngesellschaft gegründet, welche Strecken im Norden und Südosten betrieb. Die südlichen Linien wurden an die Lombardisch-Venetianische und Central-Italienische Eisenbahngesellschaft abgetreten, die ihren Namen in Südliche Staats-Lombardisch-Venetianische und Central-Italienische Eisenbahngesellschaft änderte und ab 1861 mit den Linien auf österreichischem Territorium als Kaiserl. Königl. privilegierte Österreichische Südbahn-Gesellschaft firmierte.

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Allein der Vortheil des Terminhandels, einen Ausgleich innerhalb der deutschen Börsenplätze durch Hin- und Herschiebung von solchen Papieren zu schaffen, ist nur ein solcher, der Folge des Bestehens der Spekulation in denselben ist und dieser zu Gute 5 kommt64). Die zweite von den Sachverständigen betonte Funktion ist die Kursversicherung. Sie spielt eine wirklich bedeutsame Rolle beim /Vodu/rten-Terminhandel, außerhalb desselben kommt in der Hauptsache nur die Sicherung des Kurses fremder Valuten in Be10 tracht. Hier stand in der Zeit starken Schwankens der russischen und österreichischen Valuta der Terminhandel in diesen, zumal in der ersteren, im Vordergrund des Interesses. In Königsberg fand Terminhandel überhaupt nur in russischer, in Stuttgart in russischer und österreichischer Valuta statt. 12 Berlin war das Zentrum der 15 Rubelspekulation, bis der russische Finanzminister durch eine | ge- A126 waltige, mit Hilfe der ihm nahestehenden Berliner Banken durchgeführte Schwänze die Baissespekulanten matt setzte und die Befestigung des Rubelkurses als Vorstufe der Valutaregulirung planmäßig in Angriff nahm. 13 Ähnlich schwindet durch die österreichi64 ' Die unzweifelhaft nicht geringe Bedeutung des Deportgeschäfts für die Diskontmärkte - auf welche gelegentlich hingewiesen wurde (Sachverständiger Maier-Berlin

1 2 Bis zur Umstellung von der Papier- auf die G o l d w ä h r u n g in Österreich (1892) u n d in Rußland (1899) hat es keinen festen Wechselkurs zur d e u t s c h e n (Gold-)Mark g e g e b e n . Die S a c h v e r s t ä n d i g e n Alexander von Pflaum (Stuttgart) und Franz Schröter ( K ö n i g s b e r g ) betonten, daß w e g e n d e s Warenhandels mit Rußland und Österreich die Kurssicherung in österreichischer und russischer Valuta nötig sei. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1564 und 1161 f. 1 3 Ende Oktober 1894 inszenierte der russische Finanzminister Witte an der Berliner Börse den Rubelcorner. Zur Stabilisierung d e s stark s c h w a n k e n d e n Rubelkurses sollte d a s a u s g e d e h n t e Spekulationsgeschäft des Berliner Platzes in russischer Valuta u n t e r b u n d e n werden. Im Auftrag von Witte w u r d e n auf Ultimo Oktober große Rubelbeträge gekauft und gleichzeitig die Grenze für die Ausfuhr von Rubelnoten gesperrt, so daß z u m Erfüllungstermin nicht geliefert w e r d e n konnte. Der Kassakurs für 100 Rubel stieg von 221,50 Mark (26. Oktober) auf 235,50 Mark (29. Oktober). Die S a c h v e r s t ä n d i g e n k o m m i s s i o n der Berliner Fondsbörse ersuchte den Liquidationsverein, d e n Erfüllungstermin um einen Tag zu verschieben, und verhandelte mit d e m Bankhaus Mendelssohn & Co., von d e m vermutet wurde, daß es Empfänger größerer Rubelbeträge sei. Es sollte auf die Bereitstellung der für die Liquidation erforderlichen Beträge hinwirken. Witte g a b alsdann drei Millionen Rubel z u m Kurs von 234 Mark frei. Die Leerverkäufer mußten am 30. Oktober zu d i e s e m Kurs 2,8 Millionen Rubel a b n e h m e n . A m nächsten Tag fiel der Rubelkurs auf 221,45 Mark zurück. Die Verluste wurden auf 3 7 5 0 0 0 Mark geschätzt. Die S a c h v e r s t ä n d i g e n k o m m i s s i o n

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

sehe Valutareform die Bedeutung des Terminhandels in Guldennoten völlig,14 während nunmehr dem Terminhandel in italienischen Werthen ein ähnliches Interesse zukommt.15 - Unzweifelhaft war der Valuta-Terminhandel speziell für die deutschen Exporteure nach Rußland unentbehrlich. Die schwankende Kaufkraft des Papierwährungslandes zwang die deutschen Exporteure, mindestens einen Theil des Valutarisiko's auf sich zu nehmen. Es wurde also z. B. der Kaufpreis auf einen späteren Zeitpunkt entweder in Rubeln versprochen, oder in Mark oder Rubeln zu festem Umrechnungskurs - z. B. 200 Mark = 100 Rubel - nach Wahl des russischen Abnehmers. Im ersten Fall war die einzige Möglichkeit der Abwälzung des Risiko's der Verkauf der Rubel auf Termin zu dem gedachten Zeitpunkt der Zahlung - dadurch sicherte man sich den zur Zeit des Verkaufs geltenden Kurs. Im zweiten war nur ein Rückprämiengeschäft: Verkauf der Rubel unter Vorbehalt des Rücktritts gegen Prämie, möglich. Sank der Rubelkurs unter 200, so zahlte der Russe in Rubeln und man lieferte diese, stieg der Kurs, so zahlte der Russe in Mark und man lieferte nicht, sondern zahlte die Prämie. - Daß außerhalb der Valuten der Effekten-Terminhandel in großem Umfang der Kurssicherung diente, abgesehen von individuellen und deshalb nicht sehr wichtigen Fällen daß z. B. Jemand ein Kapital zu bestimmtem Termin gekündigt erhält und sich den Ankauf von Papieren zu dem zur Zeit der KündiS. 1612 f.) 16 - würde sich an sich wohl auch bei Bestehen nur des Kassageschäfts entwikkeln können. Immerhin würde hier der Einfluß kein günstigerer sein, da, wie die Erfahrung in Amerika zeigt, die Kassa-„Reportirungen" die Gefahr des Wucherzinsfußes in sich bergen. | der Berliner Fondsbörse hat das Termingeschäft in Rubelnoten, in der Hoffnung, das Geschäft wieder z u r ü c k g e w i n n e n zu können, nicht verboten. Seine ursprüngliche B e d e u t u n g erlangte es nicht wieder. Berichte in: BBC, Nr. 501 v o m 25. Okt. 1894, Ab.BI., S. 1 f., bis einschließlich BBC, Nr. 527 v o m 9. Nov. 1894, Ab.BI., S. 2. 14 Als Österreich 1892 zur G o l d w ä h r u n g mit fester Parität des Guldens überging, entfiel für d e n Handel der zuvor wichtigste Grund, sich durch Termingeschäfte g e g e n Wechselkursschwankungen des Papierguldens zu sichern. 1 5 Seit 1887 wurde die italienische Lira g e g e n ü b e r der rechnerischen Goldparität mit einem A b s c h l a g gehandelt, n a c h d e m die Notenemission die zuvor festgelegten dekkungstechnischen Grenzen überschritten hatte. In der Geld- u n d Währungskrise von 1893/94 sank der Kurs der Lira, als das Papiergeld neuerlich uneinlöslich wurde, auf 8 4 % seines früheren Wertes und erreichte erst 1902 wieder 1 0 0 % . 16 Die gemeinten A u s s a g e n des in Frankfurt (nicht Berlin) ansässigen Gustav Maier finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1 6 0 7 - 1 6 0 9 .

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gung laufenden Kurs sichern will - , konnte nicht behauptet werden. Es ist ja auch charakteristisch, daß der Valutenhandel der einzige an der Effektenbörse bestehende Terminhandel war, bei dem Abschlüsse auf entfernte Termine 65 ' in erheblichem Umfang | vor- A127 kamen, während sonst der Handel per Ultimo des laufenden Monats das allein in Betracht kommende Geschäft ist. Drittens wurde als typische Funktion die Risikoabwälzung bei Gründungen hervorgehoben. Die Banken hätten Objekte, wie z. B. die Kapitalerhöhung der Harpener Bergwerksaktien 17 und dergleichen, nicht übernehmen können, wenn nur das Mittel der Begebung gegen Kassa und nicht auch das der Begebung auf den Terminmarkt zur Verfügung gestanden hätte 66 ). Diese Funktion ist nur ein Einzelausfluß der marktbildenden und -erweiternden Kraft des Terminhandels, und je nach der Art der Beurtheilung dieser war deshalb auch die Beurtheilung dieser technischen Einzelfunktion verschieden. Im speziellen Falle zeigt sich ja, - worauf auch hingewiesen wurde67), daß der Terminhandel den großen Gründungen, speziell der Konsolidation der Unternehmungen, also der Konzentration der Kapitalien zu Gute kommt. - Und es wird sich auch im Allgemeinen nicht leugnen lassen, daß jene Abwälzung des Risiko's eine solche von wenigen starken auf viele schwächere Schultern bedingt. Die Stellungnahme dieser Erscheinung gegenüber ist damit bedingt durch die Stellungnahme zu der in den großen Bankinstituten sich verkörpernden Machtstellung des einheimischen Kapitals. -

65 > Im Osten z. B. auf 6 Monate. S[iehe] darüber Schröterb S. 1162. | In Süddeutschland A 126 A 127 kommen die Valutaoperationen mit Österreich gar nicht an die Börsen, sondern vollziehen sich direkt mit Wien. Sie kommen gar nicht in das Kollektivskontro. 66 > S. 446,664. 1 8 67 > Graf Kanitz S. 449. 19 |

b A: Schröder 17 Die Harpener Bergbau-Aktiengesellschaft in Dortmund erhöhte Ihr Grundkapital 1889 dreimal und 1891 ein weiteres Mal. Vermutlich Ist hier von der dritten und größten Kapitalerhöhung Im Jahr 1889 um 12 Millionen Mark die Rede. Jahrbuch der Berliner Börse 1896-97. XVIII. Ausgabe. Ein Nachschlagebuch für Banqulers und Capitallsten, hg. von J. Neumann. - Berlin: Ernst Siegfried Mittler und Sohn 189618, S. 322. 18 Max Weber meint hier die Ausführungen der Sachverständigen Julius Alexander und Louis Bamberger; diese finden sich In: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S.449 und 664. 19 Der Hinwels des Grafen Kanitz findet sich ebd., S.667.

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Die allgemeine Stellungnahme der Sachverständigen aus Börsenkreisen und aus den Bankkreisen der Börsenplätze zu der Frage einer Beseitigung oder Beschränkung des Effekten-Terminhandels war im Wesentlichen typisch. Es wurde zunächst geltend gemacht, daß ein allgemeines Verbot 5 des Terminhandels überhaupt oder für Nichtbörsenmitglieder nur dazu führen würde, daß die Form der Kassageschäfte zu SpekulaA128 tionszwecken gebraucht würde, keines|wegs aber etwa zu einer Beseitigung der Auswüchse der Spekulation. Die Wiener Spekulation vor dem großen Krach von 1873 war in der That wesentlich Kassa- 10 Spekulation, so wie es die New Yorker noch heute ist, und bei uns die im Police'sehen Prozeß zur Sprache gekommene Spekulation in Fassonschmiedeaktien gleichfalls war. 20 Von der nicht sehr großen Zahl von „Schwänzen" ist die gewiß größere Zahl durch Kassageschäfte inszenirt worden 68 '. Unter Benutzung des Reports und 15

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68) Z. B. unter Benutzung des Reportgeschäfts, so die von Goldberger erörterte Schwänze in Thüringer Bankaktien dadurch, daß der Emittent die Mehrzahl derselben bei einem Dritten reportirte, dann ungünstige Gerüchte darüber in Umlauf setzen ließ, so daß der Hereinnehmer sie, als sie stark gefallen waren, verkaufte. Nachdem ein Strohmann des Emittenten sie sämmtlich aufgenommen hatte, wurde der Kurs wieder zum starken Steigen gebracht, der Hereingeber forderte die Papiere zurück und diktirte, da Stücke nicht zu beschaffen waren, den Eindeckungspreis. 21 In Terminpapieren ist in Berlin von früher nur die Schwänze in jungen Aktien der Darmstädter Bank, schon aus den sechziger Jahren, in Erinnerung geblieben (cf. S. 446). Die mehrfach von den Sachverständigen als besonders skandalös erwähnte Schwänze in Basler Checkbankaktien in Basel scheint mittelst Kassageschäften inszenirt worden zu sein. (S[iehe] über dieselbe Kopetzky S. 90.) 22 Dagegen waren neuerdings die gelegentlich nicht erfolglosen Versuche, in Ostpreußischen Südbahnaktien Schwänzen zu veranstalten, unter Benutzung des Termingeschäfts in Betrieb gesetzt. (S[iehe] darüber Simon-Königsberg S. 1580.) Ähnlich die 1894 dem russischen Finanzminister geglückte Einsperrung der Rubel-Baissiers. 23 -

20 Zum Großen Krach von 1873 vgl. oben, S.247, Anm.97, und zum Prozeß Polke vgl. oben, S.321, Anm.25. 21 Die Ausführungen von Ludwig Max Goldberger zur Schwänze in Aktien des Thüringer Bankvereins In Dresden finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 661. 22 Von der Schwänze In Aktien der Darmstädter Bank in den 1850er - nicht 1860er Jahren berichtete Julius Alexander. Der Bericht Wilhelm Kopetzkys über die Schwänze In Aktien der Baseler Check- und Wechselbank findet sich ebd., S. 90-93. 23 Die Schwänze in Aktien der Ostpreußischen Südbahn soll laut Aussage von Robert Simon 1886 oder 1887 gewesen sein. Zur Rubelschwänze vgl. oben, S.519, Anm. 13.

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der Lombardleihe lassen sich in Form von Serien von Kassageschäften die Umsätze durch Einschiebung von Reportirungen und Weiterlombardirungen sehr stark ver| vielfältigen und die tech- A129 nische Wirkung des Termingeschäfts69' - Hinausschiebung der Spe5 kulation über einen längeren Zeitraum hin ohne Festlegung von Kapital - erzielen70'. Immerhin nicht in gleichem Maße wie durch den Terminhandel selbst. Zunächst ist immerhin der Handel in höherem Maß an den effektiven Stückeumsatz gebunden71', da die Beleihung real hineingegebener Stücke die Form der Vervielfälti10 gung der Umsätze darstellt, die Sorge um die Beschaffung der Stücke also nicht erst bei der Liquidation, sondern schon alsbald

Die Sachverständigen waren darüber, ob bei Fehlen oder bei Vorhandensein des Terminhandels die Schwänzengefahr größer sei, nicht ganz einig.24 Von sehr großer Bedeutung ist die Frage für Deutschland im Effekten-Terminhandel nicht, da die Effektenschwänzen bisher im Lauf von ca. 30 Jahren noch kein halbes Dutzend voll gemacht haben. | 69) Auch die Möglichkeit, ä la baisse zu spekuliren. Schinckel (Hamburg) meinte A 129 (S. 1163 f.),25 daß die Beschränkung der Geschäftsformen auf Kassageschäfte diese Möglichkeit abschnitte. Die amerikanischen Zustände zeigen, daß das nicht zutrifft. Aber allerdings wird für die außerhalb der Börse Stehenden die Baissespekulation in besonders hohem Maße technisch erschwert und dem Zustand, daß der Kunde Haussier, sein Kommissionär Baissier wird, besonders Vorschub geleistet. Insbesondere wurde in Aussicht gestellt, daß das Wiener „Kost"-Geschäft sich alsdann an den deutschen Börsen einstellen würde. S. 1799.26 - Die äußere Form würde, wie früher hervorgehoben, die sein, daß der Bankier und Kommissionär sich das Recht vorbehielte, seinerseits die beliehenen Papiere weiter zu lombardiren. Cf. v. Pflaum S. 1566; Kämpf S. 812; Benary S. 102.27 71) Mit Recht von Gamp und dem Sachverständigen Weidert (München, S. 1550) hervorgehoben. 28

24 So war z. B. Wilhelm Kopetzky der Ansicht, daß Schwänzen durch den Terminhandel leichter herbeigeführt werden könnten, während Max Wlnterfeldt eine Schwänze im Berliner Terminhandel überhaupt für ausgeschlossen hielt. Zum Beweis ihrer Ansichten bedienten sich beide des Beispiels der Schwänze In Baseler Checkbankaktien. Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 91 und 434. 25 Die Äußerungen von Max Schinckel finden sich ebd., S. 1169f. 26 Die Prognose gab Wilhelm Christians. Im folgenden verweist Max Weber nach oben, S. 500 f. 27 Die Äußerungen von Victor Benary finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 103. 28 Die Äußerungen finden sich ebd., S. 1555.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

nach Abschluß des ersten Geschäfts beginnt. Es fragt sich ferner 72 ), bis zu welchem Prozentsatz der Hereinnehmer - insbesondere der hereinnehmende Kommissionär - die bei ihm reportirten Papiere beleihen würde. Es ist nicht richtig, daß die Kreditgewährung sich genau so gestalten würde, wie zwischen zwei Parteien beim TerminA130 geschäft 73 '. | Dies war weder beim Kostgeschäft in Wien so, noch ist es in Nordamerika so. Der Grund dafür liegt allerdings in einem Umstand, der sehr gegen diese bei Abschaffung des Terminhandels wahrscheinliche Umgestaltung der Formen der Spekulationsgeschäfte spricht: die Einschränkung des Markts und damit der Absatzfähigkeit und Absatzsicherheit der reportirten Papiere und die bei bloßer Kassaspekulation weit schrofferen Kursschwankungen zwingen, auf erhöhte Sicherung bedacht zu sein. Es ist also immerhin richtig, daß der Spekulationskredit theurer würde, damit auch die vom Publikum zu fordernden Sicherheiten sich erhöhen würden74) und also neben der Einschränkung des „bewegten Quantums" vielleicht eine gewisse Einschränkung des Zutritts zur Spekulation - eine „Erhöhung des Eintrittsgelds für die Spielhölle", wie man sich von einzelnen Seiten ausdrückte, 29 - die Folge der Beseitigung des Termingeschäfts für die damit selbstverständlich nicht vernichtete Spekulation sein würde. Dies Entrée würde in bewegten Zeiten zweifellos von einem Publikum annähernd gleichen Umfangs wie das jetzige gezahlt werden, sofern es nicht gelingt, die Spekulation des Publikums überhaupt zu verhindern; da-

72 < Insoweit ist etwas Richtiges an der Behauptung, die von Gamp und Anderen in theilweise recht unklarer Form aufgestellt wurde: per Kassa könne nicht mehr umgesetzt werden, als in einem Papier vorhanden sei. 30 73) Daß - wie Salomon erzählte - ein Mann mit 4000 Mark Einschuß 1 Million in Bewegung setzt, würde dann schwerlich vorkommen. 1 0 - 1 5 Prozent Einschuß setzt - den A 130 faktischen Zuständen in New York entsprechend - z. B. auch Redakteur Wiener (Berliner Tageblatt) als bei Kassaspekulationen nöthig voraus.31 74 ' Immerhin wird gerade in ruhigen Zeiten z. B. in New York oft ziemlich glatt prolongirt.

29 In dieser Weise formulierte Gustav Maier, ebd., S. 1618; ähnlich äußerten sich L u d w i g Max Goldberger, Karl G a m p und Graf Arnim, ebd., S.681, 1364 und 1607. 30 Darüber diskutierte Karl G a m p mit Wilhelm Kopetzky, Victor Benary, Richard Koch, Freiherr von Huene und A d o l p h Frentzel. Ebd., S. 92f. 103f. und 106f. 31 Die Äußerungen von Emil Salomon und J a c o b Wiener finden sich ebd., S. 1157 und 1072; von d e n New Yorker Elnschußusancen berichtete A d o l p h Frentzel. Ebd., S. 86.

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gegen würde in ruhigen Zeiten sich die Einschränkung wohl wirksam zeigen. Diese problematische Wirkung wäre jedoch erreicht auf dem Wege der Herabdrückung der technischen Formen der Spekulation auf eine tiefere - man kann geradezu sagen: barbarischere - Stufe 75 '. | Es läßt sich eben doch - wie wir schon früher sahen 32 - nicht ver- A 131 kennen, daß die Entwicklung des Terminhandels als Form des Spekulationsgeschäfts in Effekten im Allgemeinen in einer gewissen Beziehung steht zu dem Maß der Entwicklung des Kredits und der Stabilität der wirthschaftlichen Zustände. Wo dieselben im vollsten Fluß sich befinden, wie in Nordamerika, fehlt der Effekten-Terminhandel. Man bindet sich an denselben Kontrahenten nur für einen Tag. Die Erstreckung der Spekulation auf längere Zeiträume ist nur möglich, wenn man das Bankkapital in Gestalt von Wucherzinsen an dem erhofften Ertrag der Spekulation theilnehmen läßt. Die wilden Kursschwankungen der Spekulationspapiere sind zugleich Ursache und Folge des Fehlens des Terminhandels. In minder akuter Form, aber doch erkennbar genug, zeigt das Gleiche die Wiener Entwicklung. Die Spekulationsperiode der siebziger Jahre bediente sich noch vorwiegend der Form des Kassageschäfts und der Geschäfte auf ganz kurze Lieferungsfristen. Auch die zwei Mal wöchentliche Abwicklung beim Arrangementshandel in Wien hing noch mit der personellen Flüssigkeit der Börse zusammen und der Übergang zum Ultimogeschäft, welches immerhin eine relativ et75

' Das würde namentlich für das außerbörsliche Publikum in Gestalt eines unerhörten Zunehmens der Halsabschneiderei sich fühlbar machen. Ein Terminengagement ist jederzeit einzudecken und der Verlust zu übersehen. Wenn aber bei ausschließlichem Bestehen des Kassamarkts einem Kunden der Kredit gekündigt wird, ist die | Verlust- A 131 chance eine maßlose. Die Kassaspekulation ist namentlich für das Publikum außerordentlich viel gefährlicher, während für die Bankiers die jetzt auch für sie vorhandenen Gefahren der Kassaspekulation natürlich mit der bei Aufhebung des Terminhandels sich einstellenden Erweiterung des Kassamarkts abnehmen würden. S[iehe] Alexander S. 449. 33 Es ist sehr möglich, daß Sachverständiger Lehmann mit der Prognose, daß alsdann die Kundendepots in guten Effekten Unterlagen für die Kundenspekulation in schlechten (in noch höherem Maße, als dies schon heute zutrifft) werden würden, Recht behalten würde.

32 Oben, S. 5 0 1 - 5 0 5 . 33 Die Äußerungen von Julius Alexander finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 448f. Die f o l g e n d e Prognose von Hermann Lehmann ist nicht nachweisbar.

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Die Ergebnisse der deutschen

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was höhere Kreditwürdigkeit der Betheiligten erfordert und eine geringere Wildheit der Schwankungen der Kurse zugleich voraussetzt und herbeiführen hilft, war ein Symptom des Einwirkens relaA 132 tiv stetiger Verhältnisse 76 ). | Auf dem Höhepunkt der kapitalistischen Entwicklung endlich, in London, ist der gesammte Effektenhandel in die Form des Terminhandels gekleidet, derart, daß für Kassaabschlüsse - also Lieferungsversprechen auf kürzere als die usancemäßigen Termine - eine „Fasson" gezahlt werden muß. 34 Wird man sonach eine allgemeine Unterdrückung des Terminhandels in Effekten nicht ernstlich als Ziel ins Auge fassen wollen, so ist eine andere Frage, ob der Versuch einer Einschränkung des Terminhandels auf die Papiere, in denen er eine wirthschaftlich nützliche Funktion versieht, möglich und räthlich erscheint. Die große Mehrzahl der Sachverständigen auch aus Börsenkreisen stand einer Beschränkung des Terminhandels auf Papiere mit einem gewissen Minimalkapital freundlich gegenüber. Zwar beruht es auf etwas unklaren Vorstellungen, wenn Christians11^ nur Papiere zulassen wollte, von denen so viel vorhanden sei, wie der Betrag der auf einen Termin gehandelten Umsätze, also Papiere von mehreren hundert Millionen, - womit so ziemlich alle großen internationalen Spekulationspapiere, außer Staatsnoten und Papiergeld, ausgeschlossen wären, - es ist andererseits richtig, wenn Kämpf (Berlin) 78 ' hervorhebt, daß nicht der Kapitalbetrag an sich, sondern der Betrag des „flottanten" Kapitals für das Maß der Beeinflußbarkeit des Kurses entscheidet, - und endlich ist nicht zu verkennen, daß ein Terminhandel in sehr kleinen Papieren schon an sich nicht möglich und, wo er versucht wurde, wieder verschwunden ist. Allein immerhin bietet eine feste Schranke eine sicherere Garantie dafür, daß nur Papiere vom Terminhandel ergriffen werden, welche so „schwer" sind, daß ihre Preisbildung dadurch nicht von allen > S. 1157.35 | > S.1798. 78 > S. 814. |

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34 Max Weber zitiert aus der wörtlichen Rede von Markus Goldschmidt. Ebd., S. 1595. Fasson (von französisch „façon"), in der Börsensprache das Aufgeld (Agio) für kleine Stücke, meint hier ein Entgelt für den Zuschnitt (Fasson) auf Kassaabschlüsse. 35 Die dahin gehende Äußerung von Emil Salomon findet sich ebd., S. 1158.

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realen Unterlagen losgelöst und dem Momentsinteresse von Kommissionären und Spekulanten preisgegeben wird. Was das Niveau der Kapitalgrenze anlangt, so waren die Sachverständigen von | den größeren Börsenplätzen - Berlin und Frankfurt - soweit sie A 133 dem Gedanken sympathisch gegenüberstanden, für 20-30 Millionen79^, zum Theil allerdings unter Beschränkung auf ausländische Papiere 80 '. - Die Frage, wie eventuell ein solches Verbot zu realisiren sei, wurde meist dahin beantwortet: durch Verbot der Notirung und Disziplinirung der Zeitungen, welche trotzdem Kursnotirungen veröffentlichen. In Amerika hat sich allerdings gezeigt, daß das Verbot der Kurspublikation, wie es dort zur Bekämpfung der Winkelbörsen im egoistischen Interesse der privilegirten Börsenzünfte von diesen wiederholt in großem Umfang versucht wurde, gänzlich fehlzuschlagen pflegte. Allein dabei standen viel ausgeprägtere Interessen einer rein monopolistischen Maßregel gegenüber. 36 Es wird im Allgemeinen richtig sein, daß - wie Winterfeldt betonte 81 ) eine angesehene Zeitung bei uns den Ausschluß von der offiziellen Vertretung an der Börse nicht erträgt und deshalb das Verbot wohl

79) Winterfeldt (Handelsgesellschaft) 20 Millionen, v. Guaitac (Frankfurt) ebenso, ähn- A 133 lieh Sulzbach (Frankfurt), dagegen Benary (Berlin): 6-8Millionen bei Bergwerks-, Bank- und Industrie-Aktien, Finckä (München) 10 Millionen. - Sympathisch standen ohne sich viel davon zu versprechen - auch Hinrichsen (Hamburg, S. 613), 37 Bamberger und Goldberger (Berlin) dem Gedanken gegenüber (S. 666). m > So Kopetzky (S. 109): 30 Millionen; ebenso Abel.38 81 > S. 455 f. 39

c A: Gusita

d A: Fink

36 Max Weber nimmt hier B e z u g auf die Ausführungen von Schumacher, Getreidebörsen, S. 1 9 6 - 1 9 8 . Schumacher berichtet darin, daß die New Yorker Fondsbörse und die Chicagoer Produktenbörse versucht hätten, ein Monopol für die Kurspublikationen zu errichten. Sie hätten willkürlich Preisnotierungen mitgeteilt oder vorenthalten. Die obersten Gerichtshöfe, die über dieses Vorgehen zu entscheiden hatten, s p r a c h e n d e n Börsen im Interesse der Öffentlichkeit das Recht ab, „im einseitigen Konkurrenz-Interesse" Informationen, die für weite Teile der Bevölkerung und des Handels erhebliche B e d e u t u n g haben, vorzuenthalten. 37 Die A n g a b e n der Sachverständigen Max Winterfeldt, Max von Guaita, Rudolf Sulzbach, Victor Benary, Wilhelm Finck und Siegmund Hinrichsen finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S . 4 5 3 , 823, 1367, 113, 1163 und 663. 38 Die A u s s a g e von Rudolf Abel findet sich ebd., S. 114. 39 Der Vorschlag von Max Winterfeldt findet sich ebd., S. 455.

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wirksam durchzuführen wäre82). - Irgend eine Wirkung hat der Ausschluß kleinerer Papiere vom Terminhandel allerdings nur dann, wenn gleichzeitig in der energischsten Weise gegen eine etwa den Kassamarkt ergreifende spekulative Kursbewegung eingeschritten wird, sobald dieselbe sich auf Benutzung der mehrfach 5 erörterten Formen der spekulativen Reportirung stützt. Sonst kommt die Preisbildung in den deklassirten Papieren vom Regen in die Traufe. | A134 Entschiedene Gegnerschaft fand bei den Sachverständigen, soweit sie den größeren Börsenplätzen entstammten, jeder Gedanke 10 einer sachlichen Beschränkung des Terminhandels, also des Ausschlusses für bestimmte Kategorien von Papieren83), welche andererseits aus dem Kreise der Auskunftspersonen heraus Vertreter fand. Der Berliner Sachverständige Landgerichtsrath Münk wollte darin am weitesten gehen und den Terminhandel - oder vielmehr 15 die Terminnotirung - auf die international gehandelten Papiere beschränken. Die Entscheidung über die Zulassung sollten nicht die Börsenorgane, sondern staatliche Instanzen haben84). Mit diesem Vorschlag blieb Münk allein und fand heftigen Widerspruch der übrigen Sachverständigen85). Auch ist schwerlich anzunehmen, daß 20 man in Deutschland - abgesehen von Konsols und Reichsanleihe fast ausschließlich fremden Papieren das Privileg des Terminmarkts wird einräumen wollen. Aus Provinzialbankkreis&n heraus - so von dem Vertreter des Schaaffhausen'schen Bankvereins in Köln86) - fand dagegen der 25 82) Nicht ganz verständlich ist dagegen, wie Goldberger glauben kann, die Beschränkung der Termingeschäfte auf die nicht amtliche Notirung würde ausreichend sein. 40 | 83 A 134 ' Die einzige Ausnahme machte der - schon jetzt nicht amtlich notirte - Handel mit Dividendenscheinen, der übereinstimmend als „reines Spielgeschäft" bezeichnet wurde. Cf. z. B. Sachverständiger Arnhold S. 477.41 m > S[iehe] seine Aussage S. 1163 f., 1175 f. 42 85) Insbes. Schinckel (Hamburg) mit freilich nicht sehr triftigen Argumenten. 43 m > Bankier Königs S. 1928. |

40 Die Vorstellung von L u d w i g Max Goldberger findet sich ebd., S. 666. 41 Wie Max Arnhold äußerten sich Sleglsmund Samuel und Julius Alexander, ebd., S.478f. 42 Die Äußerung von Wilhelm Münk über die Mitwirkung staatlicher Instanzen findet sich ebd., S. 1174. 43 Der W i d e r s p r u c h von Max Schinckel, d e m sich Emil Salomon anschloß, findet sich ebd., S. 1169f. und 1224f.

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von dem Handelsredakteur der „Nationalzeitung", Dr. Bäsch, gemachte Vorschlag, Industriepapiere vom Terminhandel auszuschließen, entschiedene Unterstützung. Bei dem ersteren Sachverständigen spielte selbstverständlich das Interesse gegen die Kon5 zentration des Marktes in eigentlichen Industriepapieren in Berlin mit. Das sachlich unbefangene Urtheil des letzteren dagegen wurde auf die in der That nicht zu leugnende Thatsache gestützt, daß die Rücksicht auf die spekulative Kursentwickelung in ihren Aktien | der Geschäftsgebahrung der Industrie-Aktiengesellschaf- A135 10 ten und Bergwerke nicht günstig ist. Es scheint u. A. vorgekommen zu sein, daß Eisenunternehmungen Abschlüsse zu absichtlich niedrigeren Preisen als den durch die Marktlage gebotenen gemacht haben, weil die Leiter in Aktien der Eisenbranche ä la baisse stark engagirt waren, und der Verlust am Waarenpreise durch den ver15 mittelst Bekanntgabe jener Abschlüsse zeitweise erzielten künstlichen Kursdruck und den Spekulationsgewinn, der auf Grund dessen erzielt wurde, überwogen wurde87). Es ist ebenso unerwünscht, daß - wie es oft genug vorkommt - Hereinnehmer von reportirten Aktien in der Generalversammlung maßgebend mitsprechen88'. 20 Unnatürlich ist auch, daß Papiere, die für Nachrichten aller Art naturgemäß so empfindlich sind, wie gerade die großen Industriepapiere, z. B. Laurahütte- und Bochumer Gußstahl-Aktien, auf dem Markt mit die erste Rolle spielen89) und auf die Gesammtauffassung bestimmend einwirken90). Es bleibt trotzdem zweifelhaft, ob 87

> Bäsch S.991f. 44 A 135 > Königs 1. c. 45 89) Beide gehören sonst zu den „schweren" Papieren mit über 20 Millionen Mark Kapital. 46 9(1 ' Der von Gamp stets in den Vordergrund gestellte Gesichtspunkt, daß durch die spekulative Kurssteigerung der Bergwerkspapiere z. B. die Arbeiter zu Lohnforderungen und Strikes veranlaßt würden, ist untergeordneter Art. Nicht der Kurs des Papiers, sondern die Dividende ist es, was den Arbeitern zuerst in die Augen fällt. 47 88

4 4 Die A u s s a g e n von Julius B ä s c h finden s i c h ebd., S . 9 9 0 f . 4 5 Die A u s s a g e von Ernst K o e n i g s findet sich ebd., S. 1929. 4 6 Die b e i d e n B e i s p i e l e nannte Julius B ä s c h , ebd., S. 992: D a s G r u n d k a p i t a l d e s B o c h u mer Vereins für B e r g b a u und Gußstahlfabrikation betrug rund 21 Millionen Mark, d a s der Vereinigten K ö n i g s - und Laurahütte, A k t i e n g e s e l l s c h a f t für B e r g b a u und Hüttenbetrieb, 27 Millionen Mark. 4 7 Ü b e r d i e s e n G e s i c h t s p u n k t s p r a c h Karl G a m p mit Julius B ä s c h , ebd., S . 9 9 1 , und S i e g m u n d Weil, der G a m p s Vorstellung korrigierte. Ebd., S. 1930.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

es angemessen wäre, sämmtliche Industriewerthe als solche vom Terminhandel auszuschließen91). Zunächst besteht keinerlei Aussicht, daß die Beseitigung des Terminhandels hier identisch mit A 136 dem, worauf | es doch allein ankommt: Beseitigung der Spekulation und der spekulativen Preisbildung, sein würde. Im westdeutschen Bergwerksrevier spekulirt faktisch die halbe Bevölkerung, auch ohne allen Gebrauch des Termingeschäfts, und das Verbot des Terminhandels in diesen Papieren an den großen Börsen entzieht die spekulative Preisbildung lediglich der Kontrolle des großen Markts. Immerhin wäre das Verbot des Terminhandels in industriellen Papieren durchaus diskutabel. Dagegen spricht das Gewicht der hierfür geltend gemachten Gründe durchaus nicht in gleicher Art auch gegen den Terminhandel in Bank- und Eisenbahnaktien. Das Verbot desselben würde vielmehr die Gefahr, daß der Rechtsform des Termingeschäfts lediglich eine andere substituirt wird, spekulative Preisbildung und spekulativer Umsatz aber nicht abnimmt, sondern sich in der unvollkommenen und gefährlichen Form der Kassaspekulation vollzieht, auf das Maximum steigern. Denn es muß in der That als natürlich betrachtet werden, daß das spekulative Interesse sich denjenigen Papieren zuwendet, welche beeinflußt sind oder erscheinen z.B. vom Güterverkehr in Getreide - ostpreußische Südbahn, Marienburg-Mlawka-Bahn - , oder Kohlen und Eisen - Dortmund-Enscheder Lokalbahn 48 - , oder von 91 ' Siemens (Deutsche Bank) betonte, daß er seinerseits sich der Einführung des Terminhandels in Industriepapieren von Anfang an widersetzt habe. Gegen die Beseitigung wendete er im Wesentlichen nur ein, daß sich die Spekulation den Papieren nun einmal zugewendet habe und die Formen des Kassaverkehrs weit wildere Schwankungen hervorrufen würden. 4 9 |

4 8 Die Ostpreußische Südbahn und die Marienburg-Mtawkaer-Eisenbahn-Gesellschaft gehörten zu den bedeutendsten Privatbahnen. Die Ostpreußische Südbahn schuf eine Verbindung der Hafenstädte der Frischen (Piliau) und der Kurischen Nehrung (Kranz) über Königsberg und Lyck bis Prostken und ins russische Reich (Biaiystok/Brest). Die deutsche Teilstrecke der Marienburg-Mfawkaer-Eisenbahn von Marienburg bis zur Grenzstation lllowo mit Anschluß nach Mlawa verband Danzig in direkter Linie mit Warschau. Die Dortmund-Enscheder-Lokalbahn fuhr auf deutscher Seite über Dülmen bis zum Grenzort Gronau und hatte dort auf niederländischer Seite Anschluß nach Enschede bis weiter zur Zuidersee (Kampen). 4 9 Die Äußerungen von Georg Siemens finden sich ebd., S. 1932 und 1934.

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und

Börsenspiel

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dem Maß der Gründungs- und Geschäftsthätigkeit im Allgemeinen - Diskontogesellschaft 92 \ Der Gedanke, die Spekulation gerade in solchen Papieren verhindern zu wollen, erscheint utopisch; nur die Form steht in Frage, und es ist Zweifel)los, daß die Form des Ter- A137 minhandels Vorzüge voraus hat. Zur Erörterung kam schließlich die Frage einer personellen Beschränkung der Theilnahme am Terminhandel. Die einzige Personenkategorie, für deren Geschäfte sich die Börseninteressenten - im negativen Sinne - interessirten, waren die Angestellten von Bankhäusern. Dies offenbar deshalb, weil die mit den Spekulationen dieser Personen zusammenhängende Versuchung zur Defraudation die Chefs unmittelbar bedroht. Schon jetzt besteht an der Berliner Börse ein Verband von Firmen, welcher Jeden, der mit Angestellten von Berliner Häusern Geschäfte macht, 50 mit Boykott bedroht93'. Dafür, daß dies Verbot von Termingeschäften mit Angestellten ohne Konsens des Prinzipals allgemein festgestellt werde, trat ein überwiegender Theil der Sachverständigen ein. Als Art der Durchführung wurde theils disziplinare Ausschließung94', theils Bestrafung95' vorgeschlagen, während die 92 ' S[iehe] darüber die recht guten Ausführungen Russell's (Diskontogesellschaft) A 136 S. 4l6f., 51 wo insbesondere mit Recht auch darauf hingewiesen wurde, daß diesem Charakter und Grunde der Spekulation in jenen Papieren entsprechend die Schwankungen in ihren Kursen keineswegs mit den Dividendenhoffnungen in erster Linie zusammenhängen, sondern Ausdruck der allgemeinen Vorstellungen über die Prosperität der Volkswirthschaft, die sich daraus ergebende Marktlage und Kaufstimmung sind. Nicht der erwartete Ertrag, sondern die Erwartung eines für die Absatzchance maßgebenden Optimismus der Bevölkerung ist es, auf welchen in Dingen der Konjunktur spekulirt wird. | 93 > Auswärtige Häuser sind noch nicht dadurch geschützt. Als Grund wird angegeben: A 137 es sei bei diesen auch bei Diligenz nicht immer erkennbar, ob Jemand Angestellter sei (so habe die Auskunftei gelegentlich Jemanden, der Kommis war, als „Rentier" bezeichnet.) 94 > So Kämpf S. 816. 95 ) So Hinrichsen.52

50 Gemeint sind Geschäfte von Bankangestellten, welche sie in eigenem Namen, also nicht im Auftrag des Bankhauses, abschließen. Dieser Verband von Berliner Bankfirmen sei, so Siemens, der zu den Anregern gehört hatte, vor acht oder zehn Jahren gegründet worden. Max Weber stützt sich hier auf die Aussagen von Emil Salomon und Georg Siemens, ebd., S. 1209f., 1966f. und 1969. 51 Die Ausführungen von Emil Russell finden sich ebd., S. 417f. 52 Siegmund Hinrichsen hatte vorgeschlagen, die Makler zu bestrafen, die mit Handelsangestellten Geschäfte machen. Ebd., S.672f.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

Mehrzahl der Sachverständigen gegen die civile Ungiltigkeit als Folge des Verbotes der entstehenden Rechtsunsicherheit wegen Bedenken trugen. 53 Die Einbeziehung von Ä^ssageschäften stieß auf Widerspruch 96 ', und über den Kreis der Börse hinaus - also weiter als das Eigeninteresse ihnen gebot 97 ' - wollten die Gutachter das Verbot zumeist nicht erstreckt sehen, meist nicht einmal auf Kassenbeamte von Behörden oder Außenstehenden. | A 138 Was im Übrigen über die Möglichkeit, personelle Schranken um den Terminhandel zu ziehen, gesagt wurde, ergab, soweit die Interessentenkreise - namentlich die Vertreter großer Börsen - in Betracht kommen, naturgemäß wesentlich negative Resultate. Einige Sachverständige - theils Provinzialbankiers, theils solche, die der Börse ferne stehen - wollten die „wirthschaftlich Unselbständigen" vom Termingeschäft ausschließen 6 , d. h. ihren Termingeschäften die Klagbarkeit entziehen. Wer darunter zu verstehen sei, darüber waren sich die betreffenden Sachverständigen nicht ganz klar. Es zeigte sich, daß dabei an eine Vermögensqualifikation des außen stehenden Publikums gedacht wurde98). Namentlich die nicht aus Interessentenkreisen berufenen Sachverständigen hoben sie hervor. Die Betonung dieser Seite der Sache - des Erfordernisses der Kapitalkraft - lag in der Luft. Professor Lexis99> dachte an 96

> Bamberger S. 679. Ein großer Theil der Banken - so die Diskontogesellschaft - zwingt ihre Beamten, sich ihrer Vermittlung zu bedienen und besorgt ihre Geschäfte kostenfrei. 5 4 | 9S A 138 ' Königs wollte als „selbständig" nur Leute als zum Terminhandel qualifizirt ansehen, welche - S. 1961 55 - so viel Vermögen haben, daß sie „davon leben können", - d. h. also diejenigen, welche ein Vermögen zu verlieren haben. - Faktisch schwebten ihm in erster Linie die //ande&angestellten vor, und er generalisirte den Begriff des „Angestellten" dann dahin, daß alle auf Jahres-, Monats- oder Wochengehalt „Angewiesenen" (!) „Angestellte" seien. "> S. 3558 f. 56 | 97)

e

A: aus-

5 3 B e d e n k e n hatten die S a c h v e r s t ä n d i g e n J o h a n n e s Kaempf, G u s t a v von Wilmowski, M a x Baer, Emil Salomon, A u g u s t von Simson, J a c o b Kussel, L u d w i g C o h n s t a e d t u n d Ernst Koenigs, ebd., S. 816f., 821, 827, 1212, 1380f., 1467f., 1794f. und 1958. 5 4 M a x W e b e r stützt s i c h hier auf die A u s s a g e n von Emil Russell und S i e g m u n d Weill. Ebd., S. 479 und 1972, 5 5 Die Zitate aus der wörtlichen R e d e von Ernst K o e n i g s hier und im f o l g e n d e n , ebd., S. 1961 f. und 1964. 5 6 Die A u s s a g e n von Wilhelm Lexis finden s i c h ebd., S. 3557f.

5

10

15

20

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die Möglichkeit eines Terminregisters, in welches man sich gegen Kautionsstellung eintragen lassen sollte: nur die Geschäfte Eingetragener sollten giltig sein, nicht Eingetragene auch nicht giltig Termin-Kommissionsaufträge geben können. - Bäsch („Nationalzei5 tung") wollte Termin- (und auch Kassa-)Geschäften des Privatpublikums - also wohl aller nicht zur Börse Zugelassenen - nur bei Bestellung von 50 Prozent Einschuß die Klagbarkeit zugestehen. 57 - Detaillirtere Vorschläge, die später für die Produktenbörse praktische Bedeutung gewannen, machte Landgerichtsrath Münk. Nach 10 einer ziemlich wenig klaren Begründung über die zum Termingeschäft qualifizirten | wirthschaftlichen Kategorien 100 ) schlug er A139 vor101), unter Ausschluß des Differenzeinwandes, außer im Falle ausdrücklichen Ausschlusses der realen Lieferung, für die in das Handelsregister eingetragenen und zur Börse zugelassenen Kaufleu15 te, die Termingeschäfte für alle Personen, auf die nicht diese beiden Merkmale zutreffen, für unklagbar unter Zulassung der Rückforderung der Sicherheiten zu erklären. Die Eintragung und die Zulassung zur Börse sollte Jeder verlangen können, der Börsengeschäfte abzuschließen beabsichtigt, ohne Rücksicht auf Wohnort, 20 Beruf und sonstige persönliche Verhältnisse. Münk versprach sich davon eine Art von „Selbstauslese" der ernstlich am Börsenhandel Interessirten. Die weiteren Einzelheiten und Konsequenzen der Vorschläge blieben bei der Erörterung noch ziemlich im Unklaren. Die anwesenden Sachverständigen aus Börsenkreisen opponirten 25 sofort mit großer Lebhaftigkeit. 58 Diese Frage einer personellen Beschränkung des Terminhandels führt unmittelbar auf die Erörterung des sogenannten „Differenzgeschäfts". Einstimmig waren alle Sachverständigen in Verneinung der Fra30 ge, ob es Merkmale gebe, an denen das „reelle" vom „unreellen"

100

> S.1184.

101

> S. 1190.

5 7 Die A u s s a g e n von Julius B ä s c h finden sich ebd., S. 993f. 5 8 Die Erörterung der V o r s c h l ä g e von Wilhelm Münk findet sich ebd., S. 1191 - 1 1 9 9 ; geg e n seine V o r s c h l ä g e opponierten Max S c h i n c k e l , Emil S a l o m o n und Franz Schröter, ebd., S. 1 1 9 9 - 1 2 0 1 , 1206 und 1217.

A 139

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

A140 Termingeschäft zu unterscheiden sei102'. Daß der | ausdrückliche Ausschluß der realen Lieferung im Verhältniß zwischen KommitA 141 tenten und Kommissionär hier und da vorkommt, meist so, daß der Kommittent von Bezug oder Lieferung entbunden wird, er102) Es wäre in der That an der Zeit, daß die Meinung, es gebe an der Börse ihrer Natur nach - objektiv - „reelle" und „unreelle" Geschäfts/ormera, der Erkenntniß wiche, daß es vielmehr dort reelle und unreelle Geschäfts/rare gibt, welche sich dieser Formen bedienen, daß ferner für die Frage, welche Spekulationsgeschäfte als präsumtiv ökonomisch steriles „Spiel" verhüllend und welche als präsumtiv eine nützliche Funktion versehend anzusehen sind, gleichfalls nicht die Form des Geschäftes entscheiden kann, sondern der Zusammenhang des spekulativen Geschäfts mit dem Beruf oder der sonstigen geschäftlichen Thätigkeit des Kontrahenten. Einen interessanten und scharfsinnigen Versuch, gewissen objektiven Kontraktsformeln den Spielcharakter aufzuprägen, unternahm G. A. Leist in einem Aufsatz (Die DifA 140 ferenzansprüche | aus Börsengeschäften) im Archiv für civilistische] Praxis Bd. 83 Heft 2 (s. schon desselben Aufsatz: Differenzgeschäft und Differenzklausel in Conrad's Jahrbüchern 3. F[olge]I. und dazu Rämelin, Kritische] Viertel] [ahres-]Schrift 35).59 Er beanstandet: 1. die regelmäßige Unterlassung der Prüfung der effektiven Erfüllungsbereitschaft des Klägers bei Differenzansprüchen wegen mora 60 ; - 2. die in den Usancen (cf. diejenige der Berliner Fondsbörse § 18)61 regelmäßig erscheinende von ihm so genannte „Differenzklausel", d. h. die Vereinbarung der Zulässigkeit der oben erwähnten „fiktiven" Zwangsregulirung 62 in Gestalt der Rückfakturirung des Kaufobjekts auf Grundlage des Börsenkurses mit der Folge, daß auch der Säumige eine eventuelle Differenz zu seinen Gunsten verrechnet erhält. Diese letztgedachte Klausel, unter deren Schutz man sich dem ad 1 erwähnten Grundsatz, daß nur ein erfüllungsfähiger Kontrahent den andern in mora versetzen könne, entziehe, sei aber unzulässig;63 auch habe sich ein Handelsgewohnheitsrecht zu ihren Gunsten nicht entwickeln können, da sie einen Spiel-Vertrag enthalte, - dies weil dem einen Kontrahenten dasselbe wie dem Gegenkontrahenten, beiden unter einer entgegengesetzten Bedingung, versprochen werde und diese Versprechen zu einander im Verhältniß der gegenseitigen causa stehen. - Mir scheint, daß einer Abrede über eine eventuelle, unter bestimmten Voraussetzungen eintretende Form der Abwicklung eines Kaufgeschäftes niemals eine selbständige causa zugesprochen werden kann. In den von Leist zitirten Stellen (D. 21 § 4 de ajctionibus] e[mpti] v[enditi 19,1], D. 79 de c[ontrahenda] e[mptione 18,1], D. 6 § 1 de serv[is] export[andis 18,7])64 handelt es sich um Selbständigkeit oder Unselbständigkeit der fraglichen Vereinbarung gegenüber anderen Abmachungen des Vertrages, im vorliegenden Fall ist die Unselbständigkeit nicht zweifelhaft. - Die praktische Tragweite der Lrär'schen Auffassung ist im Übrigen, wie er selbst klar erkennt, 65 eine sehr große nicht. Immerhin wäre sie im Zusammenhang mit anderen Reformen im Kommissionsgeschäfte der Berücksichtigung werth gewesen. Wenn man, nach seinem Vorschlag, neben der Feststellung der Ungiltigkeit der

59 Gemeint ist die Rezension von Rümelin, Leist-Differenzgeschäft und Differenzklausel. 60 Hier im Sinne von: Versäumnis, Verzug. 61 Gemeint sind die Bedingungen der Berliner Börse von 1892. 62 Oben, S.496f. 63 Max Weber bezieht sich hier und im folgenden auf Leist, Differenzansprüche, S. 258f., 2 6 5 - 2 6 7 und 245. 64 Die Digesta des Corpus Iuris Civilis zitiert Leist, Differenzansprüche, S. 242. 65 Ebd., S. 157f.

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kannte z. B. Goldschmidt (Frankfurt) an103). Es ist nicht selten, daß ängstlichen Kommittenten ausdrücklich gesagt wird, daß es sich „ja nur um die Differenz handle". 66 Daß einer zahlreichen Gruppe weiterer Fälle von Anfang an die 5 beiden Betheiligten und jedem Dritten erkennbare Absicht zu Grunde liegt, nur die Differenz zu reguliren, ist unbestreitbar. Auf dem Begriffe dieser „auf Differenzgewinn abzielenden" Geschäfte 104 ' wurde dann in breiten, meist | wenig ergiebigen Diskussionen A 142 „Differenzklausel" und des Erfordernisses effektiver Erfüllungsbereitschaft für die Inverzugsetzung des Gegners, überdies untersagte, daß der Börsenkommissionär Externe zur Aufgabe von Realisirungs- oder Prolongationsaufträgen vor dem Stichtage unter irgend einem ihnen nachtheiligen Präjudiz - z. B. dem der Zwangseindeckung - verpflichtete, so würde die Folge günstigsten | Falls eine Steigerung des Risikos des Kommissionärs, also die - an sich nicht unerwünschte - Steigerung des Anspruchs in Bezug auf die A 141 vom Kunden zu leistenden Sicherheiten und im Übrigen die Begünstigung der, große Papiervorräthe haltenden, großen Kommissionshäuser gegenüber den kleineren sein. Daß von dem hier vertretenen Standpunkt aus das nicht unerwünscht wäre, ergeben die früheren Artikel. 67 Nicht ganz richtig - um dies, obwohl es nicht hierher gehört, zu bemerken - ist Leist's Ansicht, das versicherungshalber geschlossene Termingeschäft mit in continenti 68 eingegangenem Gegengeschäft könne auch ganz ohne jede Anlehnung an einen Termin markt ebenso gut als einfache - ihrer seriösen causa halber giltige - Differenzwette mit einem beliebigen Bankier auf den Zeitpunkt des Waareneingangs geschlossen werden, man könne also jene Verbindung von Kauf und Rückkauf verbieten. 69 Letzteres wäre freilich von keiner irgend nennenswerthen Tragweite, da dann Realisation durch einen Dritten gewählt werden würde; aber der Gedanke der Terminwette als Ersatz ist verfehlt. Das Risiko des Bankiers ist dabei ein größeres, da er das Engagement nicht seinerseits realisiren und dann die angekündigte Waare weiterkündigen kann. In jedem Fall muß man sich - was bei Leist durchaus der Fall ist - darüber klar sein, daß die juristische Kleinarbeit an der Rechtsform zwar durchaus nicht nutzlos ist, aber keinerlei ernstliche Hemmung des Börsenspiels bedeutet. 103 > S. 1601. 104) Recht wies Frentzel (S. 1955) darauf hin, daß überhaupt kein Kontrahent eines Termingeschäfts jedenfalls effektiv zu erfüllen beabsichtige, vielmehr stets der selbstverständliche Vorbehalt der Stellung eines Remplaçanten als gemacht zu gelten | habe. Nicht A 142 richtig war es, wenn Wiener dem gegenüber ausführt: 70 ein Kontrahent von außerhalb der Börse könne einen solchen nicht finden. Das ist durch Vermittlung eines Kommissionärs allerdings möglich und findet im Produkten-Termingeschäft auch sehr oft in aller Form statt. 66 Max Weber zitiert aus der wörtlichen Rede von Heinrich Wiener, in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1570. 67 Max Weber meint seine Ausführungen in der 3. Folge, oben, S. 4 2 5 - 4 2 8 . 68 Hier im Sinne von: sofort, unmittelbar. 69 Max Weber bezieht sich auf die Ausführungen von Leist, Differenzansprüche, S. 2 5 4 256 und 2 7 1 - 2 7 4 . 70 Die Äußerung von A d o l p h Frentzel findet sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1954, und die Antwort von Heinrich Wiener ebd., S. 1955. Remplaçant ist hier im Sinne von Strohmann gemeint.

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

herumgeritten. Mit Recht wurde aber von verschiedenen Seiten betont, 71 daß die „reinen Differenzgeschäfte" in diesem Sinne gerade besonders häufig die Form sind, in der durchaus reelle (so die Assekuranz-)Zwecke verfolgt werden. Das Hauptanwendungsgebiet ist der Produkten-Terminhandel; auch die Valuta-Terminge- 5 Schäfte und außerhalb der Börse stehenden Exporteure aber verfolgen die Zwecke der Kurssicherung sehr oft in Form eines unzweifelhaft „reinen" Differenzgeschäfts. Jeder Versuch, irgend eine Geschäftsform als solche objektiv mit dem Stempel des Spiels und der Unreellität zu versehen, ist gescheitert und muß scheitern. - 10 Besonders lebhaft wurde vor der Kommission über die Prämien-, Noch- und Stellagegeschäfte verhandelt. Eine amtliche Notirung von Effekten-Prämiengeschäften durch die vereidigten Makler findet schon jetzt nicht statt105). Die Prämiengeschäfte finden sich in einer ziemlich beschränkten Zahl von Papieren - ca. drei Dutzend 15 - und zwar sind dies neben Valuten die Ultimopapiere mit besonders starken Umsätzen und hiervon besonders diejenigen mit stark wechselndem Umfang des Markts106^. Über ihre Funktion im Valutenhandel wurde schon gesprochen. 72 Im Übrigen haben sie zunächst die Aufgabe, das starke Risiko, welches mit jenem Wechsel 20 des Marktumfanges und deshalb der Absatz- bezw. Bezugsmöglichkeit verbunden ist, zu begrenzen. Insbesondere aber sind sie, so lange keine Monopolisirung der Makelei besteht, ein schwer zu entbehrendes Mittel für die Propremakler, die Glattstellung ihrer A 143 Engagements zu sichern. Das gilt in erhöhtem Maße von den | Stel- 25 lagen und Nochgeschäften 107 ). Die Stellagen - welche Hinrichsen (Hamburg) als „reine Spekulationsgeschäfte" bezeichnete 73 - die105

> S. 135.74 ' S. 1592.75 Aktien der Darmstädter Bank, der Nationalbank für Deutschland. | 107 A 143 ' Ein Geschäft mit mehr als zwei Mal „Noch" kommt im Effektenhandel selten vor. S. 1383.76 106

71 So von Emil Russell, Gustav von Wilmowski, Wilhelm Christians und G e o r g Siemens. Ebd., S. 459, 821, 1801 f. und 1956. 72 Oben, S . 5 1 9 - 5 2 1 . 73 In diesem Sinne äußerte sich S i e g m u n d Hinrichsen in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber.,S. 673. 74 Davon berichtete Wilhelm Kopetzky. 75 Max Weber verweist auf die A u s s a g e von Hermann Lehmann, der auch die f o l g e n d e n Beispiele nannte. 76 Hier gibt Max Weber die A u s s a g e von Fritz L a p p e n b e r g wieder.

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nen im Übrigen auch der Arbitrage der großen Börsenplätze, die Aufträge dazu scheinen namentlich von Paris aus häufig zu sein. 77 Nicht zu leugnen ist selbstverständlich, daß, so lange die kleinen Tagesspekulanten Zutritt zur Börse haben, auch diesem Schmarot5 zerthum, und quantitativ ihm am meisten, jene das Spiel wesentlich erleichternden, weil den Einsatz begrenzenden, Geschäftsformen zu Gute kommen, und - was wesentlicher ist - es muß zugegeben werden, daß dadurch der Kreis der fiktiven Umsätze stark erweitert, auch durch den Vorbehalt des Rücktritts ein Moment direkt 10 hazardartigen Charakters in die Nachfrage nach bezw. das Angebot von effektiven Stücken und damit in die Preisbildung hineingetragen wird. Christians10^ wollte demgemäß den Prämienhandel nur da zulassen, wo das Kapital so groß sei, daß fiktive Geschäfte ausgeschlossen seien. Da eine amtliche Notirung schon jetzt nicht 15 stattfindet, so bedeutet dies die ohnehin selbstverständliche Beschränkung der Prämiengeschäfte auf den Kreis der zum Ultimohandel künftig überhaupt zuzulassenden Papiere, außerhalb dessen sie auch jetzt nicht vorkommen. Diskutabel wäre gerade bei ihnen die Beschränkung auf internationale Papiere. - Bankpapiere mit 20 von Natur unstetem Markt bleiben besser vom Terminhandel überhaupt ausgeschlossen. Zeigte sich so immer wieder der Versuch, aus der äußeren Rechtsform, in die sich ein Geschäft kleidet, unmittelbar auf den Spielcharakter desselben zu schließen, nicht sehr glücklich, so war 25 geradezu kindlich der von einem Sachverständigen 109 ) vertretene Gedanke, die Geschäfte je | nach der Art, in der sie zur Abwicklung A 144 gelangen, verschieden zu behandeln. Und zwar dachte sich der Betreffende die Möglichkeit, die Termingeschäfte als solche hoch zu besteuern, die Steuer aber zurückzuerstatten, falls eine reale Erfül30 lung stattgefunden habe (!). Man muß sich den Hexensabbath solcher „Effektiverfüllungen", für welche als Handlungen der Tugend ,08) S. 1802. D i e Prämiengeschäfte seien meist nur dazu da, „um darauf herumzureiten". 78 109 > Müller (Kreuzzeitung) S. 1078. |

7 7 Das erwähnte Louis Bamberger. Er meinte, die Aufträge aus Paris oder Wien könnten ohne Stellagegeschäfte nicht ausgeführt werden. Ebd., S. 676. 7 8 Max Weber zitiert aus der wörtlichen Rede von Wilhelm Christians, ebd., S. 1801.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

und Ehrbarkeit baares Geld aus der Staatskasse gezahlt würde, vorstellen, um die ganze Heiterkeit dieses agrarischen Unsinns zu kosten. Die Stellungnahme der Sachverständigen zum Differenzeinwand und der jetzigen Rechtsprechung des Reichsgerichts war nicht so einmüthig, wie man annehmen sollte. Zwar die Mehrzahl auch der nicht unmittelbar aus Interessentenkreisen hervorgegangenen war für gesetzliche Beseitigung der Anfechtbarkeit der Termingeschäfte110). e s w u r d e hervorgehoben, daß nur das Bewußtsein, bei Mißlingen der Spekulation wirklich zahlen zu müssen, abschreckend wirke und auch nur so der - in der That höchst anstößige und die geschäftliche Moral aufs Schwerste untergrabende - Zustand beseitigt werden könne, daß ein Gewinn unbedenklich eingestrichen, bei Verlust aber der Differenzeinwand erhoben wird. Inwieweit die Zulässigkeit des Differenzeinwandes stimulirend auf die Spielsucht wirkt, muß freilich dahingestellt bleiben. Eine erhebliche Rolle dürfte das Moment kaum spielen, während es richtig ist, daß jede Begrenzung des Risiko's, z. B. etwa die Beschränkung der Haftbarkeit auf einen vorherigen Einschuß, die sich vielleicht aus irgend einem anderen Gesichtspunkte empfehlen könnte, die Zahl der Spieler mit ziemlicher Sicherheit nicht unbeträchtlich vermehrt. 79 Immerhin erhoben sich einige Stimmen aus den betheiligten Kreisen gegen die Modifikation des bestehenden, unzweifelhaft „rechtsunsicheren" Zustandes. Bankier Kopetzkym) stellte sich A145 dem Anschein nach auf den Boden der 1892er | Rechtsprechung des Reichsgerichts.80 Ein Termingeschäft sollte unklagbar sein, wenn ein Kontrahent nach den Umständen ersichtlich zu realer Erfüllung nicht im Stande gewesen sei; allein indem er zufügte: A 144

110 m

> Cf. speziell darüber: Goldberger > S. 126 f. |

f A:

S. 678; fv. Wilmowski'

S. 680f. 81

Wilmowsky

7 9 Max Weber gibt hier den Vorschlag von Heinrich Wiener und den dagegen erhobenen Einwand von Emil Russell wieder, ebd., S. 463f. 8 0 Zur Rechtsprechung des Reichsgerichts seit 1892 vgl. oben, S.508 und Anm. 16. 81 Die Äußerungen von Gustav von Wilmowski zum Differenzeinwand finden sich ebd., S. 820.

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„selbst oder durch Überweisung",82 schwächte er seine Ansicht dahin ab, daß nur die - selbstverständlich doch nach der Zeit des Geschäftsabschlusses zu bemessende - Unfähigkeit zur Zahlung der Differenzen durchgreifen sollte, - und es ist nicht „ersichtlich", 5 wie ein Bankier darauf rechnen solle, mit Jemand, der „ersichtlich" eine Differenz nicht wird zahlen können, ein Geschäft zu schließen, es sei denn, daß der Betreffende ihm Sicherheit gibt - und dadurch wiederum beweist, daß er dem Anschein zuwider eben doch zur Zahlung im Stande ist. Es zeigt sich hier nur der völlige Widersinn 10 der Rechtsprechung des Reichsgerichts, soweit sie auf das „Zur Erfüllung im Stande sein" Gewicht legt. - Wenn Siemens112' die Frage der Zulässigkeit des Differenzeinwandes als eine rein juristische, nach dem geltenden Recht zu entscheidende bezeichnete und sich gegen „jede Ausnahmegesetzgebung", als welche er auch die 15 Beseitigung des Differenzeinwandes ansah, wendete, so spricht sich darin offenbar nur die Besorgniß aus, daß jene Beseitigung an irgend welche eine Kontrolle oder Einschränkung des Börsenverkehrs involvirende Voraussetzung geknüpft werde, die er offenbar - im Gegensatz zu Frentzel - als das „größere Übel" 83 ansah. - Der 20 einzige aus Berliner Börsenkreisen vernommene Sachverständige, der seinerseits einen positiven, auf Beschneidung des Börsenspiels gerichteten Vorschlag machte, war der Sachverständige Maier.84 Er wollte113) Geschäfte, die sich l.als Spielgeschäfte darstellen „mit 112

> S.1950. > S. 1618. |

113

8 2 Wörtlich sagte Wilhelm Kopetzky: „Es ist aber selbstverständlich, daß er [der Kontrahent] nicht selbst jede Verbindlichkeit zu erfüllen braucht, es kann ein Anderer für Ihn eintreten." Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 127. 8 3 Hier spielt Max Weber auf den Vorschlag der Börsenenquetekommission an, ein Börsenterminregister einzuführen. Den Vorschlag hatte Adolph Frentzel unterstützt, damit die unsichere Rechtslage hinsichtlich des Differenzeinwandes beseitigt werden könne. Als er wegen seines Votums in der Börsenenquetekommission von den Berliner Börsenhändlern angegriffen wurde, rechtfertigte er es damit, daß er die Einführung des Börsenterminregisters im Gegensatz zur Zulässigkeit des Differenzeinwandes für „das kleinere Übel" gehalten habe. BBC, Nr.5 vom 4.Jan. 1894, Ab.BI., S.2; BBC, Nr.45 vom 27.Jan. 1895, Mo.BI., 3. Beilage, S. 1. Wegen seiner Zustimmung war Frentzel im Dezember 1894 mit seiner Kandidatur zur Wiederwahl als Präsident der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin gescheitert. Vgl. dazu oben, S. 234, Anm. 55. 8 4 Gustav Maier war Frankfurter, nicht Berliner Bankier. Seine im folgenden zum Teil wörtlich, zum Teil sinngemäß zitierten Aussagen finden sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1618f.

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540

Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

Rücksicht auf Person, Beruf, Geschäftskenntniß und Vermögenslage eines Kontrahenten" oder 2. unter Benutzung des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit einer Person, die der anderen bekannt A 146 sein mußten, geschlossen sind, für | ungiltig erklären lassen, „es sei denn, daß der Bankier vor dem Geschäft gewarnt habe", - welch 5 letzterer Vorbehalt natürlich - da solche „Warnungen" wohl bald eine pars integra85 der Geschäftsbriefsformulare bilden würden die Hinterthür bieten würde, durch welche der gegenwärtige Zustand unverändert sich wieder einstellen würde. - Der bei den Vernehmungen vom Präsidenten Wiener angeregte Gedanke114^, aus 10 einem auf die Zukunft abgestellten Geschäft, welches „in erkennbarer Weise den Nahrungsstand eines Kontrahenten schädigt", keinen Anspruch entstehen zu lassen, fand bei den Sachverständigen mit Ausnahme des Bankiers Gwinner lebhaften Widerspruch. Eine solche Bestimmung wäre auch außerordentlich dehnbar, forderte 15 den Richter zur Beurtheilung ex nunc86 geradezu heraus, und stellte sich überdies auf den Standpunkt, für die zu lösende gesetzgeberische Aufgabe in erster Linie den Schutz spielsüchtiger Elemente gegen die Folgen des Spiels anzusehen.87 Immer wieder wurde überhaupt übersehen, - so oft auch Wiener 20 selbst und Andere es ins Gedächtnis zurückriefen,88 - daß die Frage der Hemmung des Börsenspiels keineswegs eine Folge des Terminhandels speziell ist. Der Terminhandel ist die Form, deren sich die Spekulation auch des Publikums in Deutschland besonders häufig, aber im Effektenverkehr keineswegs ausschließlich bedient. 25 Fiele seine Anwendbarkeit für diese weg, so würde die an sich weit bedenklichere Kassaspekulation an die Stelle treten. Nicht ausgeschlossen ist, daß ein Wandel in der Zusammensetzung des

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114

> S. 1953. |

8 5 Hier in der Bedeutung von: wesentlicher, unerläßlicher Teil. 8 6 Im juristischen Sprachgebrauch übliche Formel für „mit Wirkung für die Zukunft" (von jetzt ab). 8 7 Mit diesen Argumenten wiesen Siegmund Weill, Ernst Koenigs und Georg Siemens die oben sinngemäß zitierte Anregung von Heinrich Wiener zurück. Ebd., S. 1953 und 19561958. Die zustimmenden Äußerungen von Arthur Gwinner finden sich ebd., S. 1957. 8 8 Im folgenden Sinne äußerte sich Heinrich Wiener, ebd., S. 1366, und ein großer Teil der Sachverständigen. Börsenenquetekommission, Register zu den Sten.Ber., S. 8 6 - 8 9 .

V. Effekten-Terminhandel

und Börsenspiel

541

spekulirenden Publikums dadurch herbeigeführt, manche Kategorien abgestoßen würden, - ob und welche, das hat die Enquete zu ergründen garnicht versucht. Um eine Frage speziell des Terminhandels handelt es sich nur 5 dann, wenn man etwa mit den zu treffenden beschränkenden Vorschriften die Stetigkeit und Sachgemäßheit der Preisbildung schützen wollte gegen irgend welche | spezifische Folgen des Terminhan- A 147 dels; oder wenn man in der Xred/ianspannung, wie sie die Kreditspekulation herbeiführt, den in erster Linie bedenklichen Punkt 10 sieht. In beiden Fällen ist im Effektenverkehr zwar keineswegs der Terminhandel allein, aber allerdings er in erster Linie, als die höchst entwickelte Form der Kreditspekulation, das Arbeitsfeld. Anders, wenn man - wie die Kommission - den moralisirenden Gesichtspunkt der Verhinderung des Spielgewinns und -Verlusts vor15 anstellt115). Soweit vom Standpunkt der Gesammtheit aus ein Interesse am Schutze des „Publikums" vor den Folgen des Börsenspiels besteht, ist der zweckmäßigste Weg wohl zweifelsohne der der Schaffung einer Spezialbestimmung mit Strafsanktion, und es lag nahe, den 20 Thatbestand unter Anlehnung an die Formulirung des Wuchergesetzes 89 zu umgrenzen. Der Vorschlag fand denn auch bei einem erheblichen Theil der Sachverständigen relativ freundliche Aufnahme. Namentlich das in den letzten Jahren wieder stark emporgeblühte Agentenunwesen hatte offenbar die entsprechende Stim25 mung dafür geschaffen. Zumal die unerfreulichen Leistungen der Berliner Firma Breest & Gelpcke 115a \ welche durch Agenten Effektenanstellungen zu fixen Preisen mit V2%o (!) Provision in die 1151 Alsdann mußte aber berücksichtigt werden, daß nicht jede Kategorie von Publi- A 147 kum, sondern nur die in Börsenangelegenheiten nicht voll zurechnungsfähige Schutz verdient. n5a) D i e s e i b e w a r v o n der Handelsgesellschaft längere Zeit mit hohen Beträgen kommanditirt.90

89 Gemeint ist hier die Formulierung des Art. 1 des Wuchergesetzes: „Wer unter Ausbeutung der Nothlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit eines Anderen [...]." Vgl. dazu den Wortlaut der Frage 7 e, oben, S. 495, Fußnote 57. 90 Die formal selbständige Bankfirma Breest & Gelpcke war eine Kommanditgesellschaft, deren Kommanditantelle sich überwiegend Im Besitz der Berliner Handelsgesellschaft befanden.

Die Ergebnisse der deutschen

542

Börsenenquete

Provinzen tragen ließ,91 wurden wiederholt zitirt116). Einige Sachverständige dachten allerdings nur an Disziplinarhaftung117). EiA148 ner 118 ' wollte als Kriterium die Unverhält|nißmäßigkeit des Gewinns des Verleitenden hinstellen; die Mehrzahl aber war für die Formulirung nach Art des Wuchergesetzes. Dabei wurde regelmä- 5 ßig - nicht ausnahmslos - der vom Standpunkt der Rechtspflege unannehmbare Vorschlag gemacht, eine Strafe, aber nicht Ungiltigkeit eintreten zu lassen119). Wenn Russell12°) dabei hervorhob, daß die „Totalität des Verhaltens" das Entscheidende sei, so war der wirklich maßgebende Grund doch offenbar der: daß die mögliche 10 Unsicherheit der Verbindlichkeit formell bestehender Verpflichtungen gefürchtet wurde. Die Kommissionsberathungen, soweit sie sich mit der Effektenspekulation befaßten, behandelten zunächst speziell die beiden Fragen der Zulassung zur Terminnotirung und der Unterdrückung 15 der „unreellen" Spekulation. Die Anträge des Senatspräsidenten

116

) Auch die Gold-shares sind in dieser Art verbreitet worden. 9 2 "7) Salomon, Schröter9 S. 1217. Vereinzelt blieb der Standpunkt Winterfeldt's, der disziplinare Ausschließung von Differenzspielern und unsoliden Kommissionären und daran anknüpfend Unklagbarkeit ihrer Geschäfte vorschlug. 93 n8 > Favreau S.671. | A 148

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' Selbst v. Simson hielt eher erstere als letztere für acceptabel. S. 1380. 1 °) S.484. 2

12

g A: Schorten

91 Über die Börsenoperation der Firma Breest & Gelpcke berichtete Jacob Kussel. Die „lächerlich geringe Provision" mache deutlich, daß die Geschäfte nicht wegen des Provisionsgewinns gemacht würden, „sondern damit die Leute, weil sie In allen größeren Städten Agenten haben, an der Börse die Kurse machen können, damit sie in der Lage sind, jede [Kursbewegung nach unten oder oben zu reguliren." Als die Berliner Handelsgesellschaft 1891 Ihre Einlage bei Breest & Gelpcke um 15 Millionen Mark erhöhte, konnte dieses Bankhaus die Geschäftsanteile der Internationalen Bank kaufen. „Dadurch", so Kussel, „hat dieses Bankhaus einen kolossalen Einfluß an der Börse gewonnen [...]." Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 1469f. 92 Zu den Goldshares vgl. oben, S. 491, Anm. 29. 93 Sein Vorschlag findet sich in: Börsenenquetekommission, Sten.Ber., S. 487 und 489. 1 Die Begründung von August von Simson findet sich ebd., S. 1380f. 2 Die im folgenden sinngemäß zitierte Äußerung von Emil Russell findet sich ebd., S. 486.

V. Effekten-Terminhandel

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und

Börsenspiel

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Wiener121^ wollten in ersterer Beziehung die Zulassung zur Terminnotirung allgemein auf Papiere, die schon die amtliche Kassanotirung genießen, mit mindestens 20 Millionen Kapital beschränken. Der Zulassungsantrag sollte nur von zwei ortsanwesenden Firmen gestellt werden können und vor der Berathung ausgehängt werden, überdies nur zulässig sein, wenn ein Handel auf Zeit schon seit drei Monaten besteht, die Zulassung jederzeit widerruflich sein und, wenn von einer Börse abgelehnt, ohne deren Zustimmung an einer anderen nicht erlaubt werden. Ein Antrag Kanitz, Industrie effekten überhaupt auszuschließen, wurde abgelehnt, 3 und ein Antrag Gamp, auch die schon jetzt zur Terminnotirung zugelassenen Effekten rückwirkend diesen Bestimmungen zu unterwerfen, zurückgenommen. Nach Berathung des Produkten-Terminhandels wurde wie für den Terminhandel allgemein, also auch in Effekten, die Befugniß des Bundesraths, den Terminhandel zu verbieten A149 oder an Bedingungen zu knüpfen, statuirt und im Übrigen nach mancherlei Einzelerörterungen folgendes Resultat gezeitigt122^: Für nicht zugelassene Papiere ist die amtliche Terminnotirung und die Mitwirkung der Börsenbehörden ausgeschlossen. Die jederzeit widerrufliche Zulassung, welche nur bei schon stattfindendem regelmäßigem Terminhandel und nur nach eingehender Prüfung der etwa entgegenstehenden Interessen erfolgen soll, setzt voraus Aushang und Publikation des Antrages, darf bei Industrie-, Bank- und Eisenbahnpapieren nur durch eine Zweidrittelmajorität der Emissionsbehörde geschehen und, wenn an einer Börse abgelehnt, an einer anderen erst nach sechs Monaten erfolgen. Ausgenommen davon sind die vom Prospektenzwang freien Papiere. -

m

> S. 134 der Protokolle. 4 | > S. 389 der Protokolle. 5

122

3 Diesen Antrag stellte nicht Graf Kanitz, sondern L u d w i g von Cuny, in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 129, zur A b l e h n u n g ebd., S. 130, der folgende Antrag von Karl G a m p ebd., S. 136. 4 Dieser wie die folgenden Nachweise bis einschließlich Fußnote 124 beziehen sich auf: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle. Der hier gemeinte Antrag Wiener findet sich ebd., S. 1 3 2 - 1 3 4 . 5 Max Weber referiert hier und Im f o l g e n d e n aus d e n Vorschlägen der ersten Lesung, ebd., S. 389f.

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

In Betreff des Börsenspiels wurde nach dem Vorschlag Wiener'sdie an den Wucherparagraphen sich anlehnende Fassung eines Strafgesetzes gegen die „Verleitung" zu Grunde gelegt: die Folge der Strafbarkeit sollte Kondiktion6 auf das Gezahlte sein. Geschäfte mit Handlungsbevollmächtigten, Anreizung durch Agenten und gewohnheitsmäßiger Abschluß von Spekulationsgeschäften mit Personen in dürftiger Lage sollten ehrengerichtlich geahndet werden. Den Spieleinwand7 wollte Wiener im Übrigen allgemein ausschließen. Darüber hinausgehen wollte Graf Kanitz". bestraft sollte werden, wer mit einem Nichtkaufmann oder für ihn Börsengeschäfte schließt, wenn er weiß oder annehmen muß, daß diese Spielzwecken dienen. Widerspruch fand der Ausschluß des Spieleinwands. Schmoller wollte im Anschluß an frühere Vorschläge Wiener's das Mißverhältniß zum Einkommen oder Vermögen als Kriterium des „Differenzgeschäfts", v.Auer das Gleiche, falls das Geschäft nicht zum Geschäftsbetriebe gehöre, feststellen. Gamp A150 endlich wollte den Ausschluß des Spieleinwands nur für re\gistrirte Kaufleute zulassen. Unter Ablehnung all dieser Anträge wurde der Antrag Wiener, betreffend Ausschluß des Spieleinwands mit geringer Mehrheit (zehn gegen acht Stimmen) angenommen.8 Inzwisehen lag die Idee des von der Kommission für die Produktenbörse vorgeschlagenen „Börsenregisters" in der Luft, d. h. einer Liste, in die sich gegen Gebühren eintragen lassen sollte, wer rechtswirksam Termingeschäfte abschließen wollte, und welche periodisch publizirt werden sollte. Es wurde nun am Schluß der ersten Lesung in Erörterungen darüber eingetreten124', ob der Registerzwang auf das Effekten-Termingeschäft zu erstrecken sei. Von den der Kommission angehörigen Berliner Börseninteressenten erklärte sich 123

A 150

> S. 146. 9 | S[iehe] dieselben S. 364 f. der Protokolle. 1 0 |

l24)

6 Bezeichnet den Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung, d.h. das Klagerecht auf Rückgabe einer Sache, die jemand ohne Rechtsgrund erlangt hat. 7 Zum Spieleinwand vgl. den Eintrag „Differenzeinwand" im Glossar, unten, S. 1040. 8 Die Anträge Kanitz, Schmoller, Wiener, von Auer und Gamp, der Widerspruch zum Antrag Wiener und die Abstimmungen über die Anträge finden sich in: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 147, 142, 148f. und 152. 9 Der Antrag Wiener findet sich ebd., S. 145f. 1 0 Die Erörterung zur Ausdehnung des Börsenregisters findet sich ebd., S. 364-366.

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V. Effekten-Terminhandel

und Börsenspiel

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der der Effektenbörse angehörige - Mendelssohn - gegen, der der Produktenbörse angehörige - Frentzel - für die Erstreckung, für welche auch Graf Kanitz und Geheimrath Thiel, sowie schließlich der Vorsitzende eintraten, um das Publikum nicht auf die Effekten5 Spekulation geradezu hinzudrängen, während Wiener und Professor Cohn dem widersprachen, weil ihrer Ansicht nach alsdann das Privatpublikum sich massenhaft in das Register eintragen lassen und damit dessen abschreckende Wirksamkeit gefährden werde, womit anerkannt wurde, daß thatsächlich eine Abdrängung des 10 Publikums von der Produkten- auf die Effektenspekulation als erwünscht galt, der Gesichtspunkt der Gefährdung der Preisbildung in Produkten durch die Outsiders also den sonstigen moralisirenden Standpunkt zurückdrängte. Denn daß die Verhältnisse im Effektenhandel „anders" liegen als im Produktenhandel ist zwar zu15 zugeben, aber sofern überhaupt eine Schranke im Interesse des Publikums erwünscht war, war dies unzweifelhaft in erster Linie bei der Fondsspekulation der Fall. Die zweite Lesung zeitigte nennenswerthe Änderungen nicht, lediglich die Verschärfung der Unterdrückungsmaßregeln gegen nicht gestatteten Terminhandel 20 durch Verbot jeder Art mechanischer Vervielfältigung einer Be- A 151 kanntgabe der Preise ist von Erheblichkeit. Die definitiven Vorschläge sind in der Note125) zusammengestellt. | 125)

III. Terminhandel.11 A. Zulassung zum Terminhandel und zur Terminnotiz.

Der Bundesrath ist befugt, den börsenmäßigen Terminhandel in bestimmten Werthpapieren oder Waaren zu untersagen oder von gewissen Bedingungen abhängig zu machen. I. Effekten. 1. Die künftige Zulassung von Werthpapieren zum Terminhandel und zur amtlichen Notiz der Terminkurse soll an allen deutschen Börsen von einem Mindestkapital von 20 Millionen Mark des zuzulassenden Werthpapiers abhängig sein. 2. Im Einzelnen sollen in Betreff der Zulassung von Werthpapieren durch die Börsenbehörde folgende Grundsätze für alle Börsen gelten:

11 Max W e b e r gibt unter A u s l a s s u n g der Vorschläge z u m Produktenterminhandel die In zweiter Lesung überarbeitete Fassung der Vorschläge der ersten Lesung der Börsenenquetekommission wieder. Sämtliche Sperrungen übernimmt Max Weber nach der Vorlage. Die Vorschläge erster Lesung finden sich ebd., S . 3 8 9 f . und 393f., die Ü b e r a r b e i t u n g in zweiter Lesung, ebd., S. 4 1 3 f . Die definitive Fassung der Vorschläge, die n o c h eine Reihe von Ä n d e r u n g e n erfuhr, ist unten, S. 9 4 8 - 9 5 4 , a b g e d r u c k t .

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Die Ergebnisse der deutschen

Börsenenquete

Diese Vorschläge sind, soweit sie sich auf die Zulassung von Papieren zum Handel und die Behandlung des Börsenspiels beziehen, ziemlich unbedenklich. |

Dem Publikum ist durch Aushang an der Börse und Veröffentlichung in der Presse Kenntniß davon zu geben, daß die Beschlußfassung stattfinden wird. Die Zulassung setzt voraus, daß bereits während eines längeren Zeitraums ein regelmäßiger Terminhandel in dem Werthpapiere stattgefunden hat. Die Prüfung hat sich über diese Voraussetzung hinaus darauf zu erstrecken, ob dem Interesse des Börsenhandels an der Zulassung andere erhebliche wirthschaftliche Interessen entgegenstehen. Vor der Zulassung erfolgt, auch wenn den Kursmaklern die Mitwirkung beim Handel in dem Werthpapier gestattet wird, keine amtliche Terminnotiz. Bei inländischen Bank- und Eisenbahnpapieren, die nicht bereits an ausländischen Börsenplätzen gehandelt werden, sowie bei Industriepapieren erfolgt die Beschlußfassung durch das II2 1 2 als Emissionsbehörde vorgesehene Kollegium. Der Zulassungsbeschluß bedarf in diesem Falle einer Zweidrittelmehrheit. Auf Verlangen eines Drittels sind bei Industriepapieren der Vorstand des inländischen industriellen Unternehmens, um dessen Werthpapiere es sich handelt, sowie andere Sachverständige (Vorstand der Berufsgenossenschaft, welcher der betreffende Industriezweig angehört) vor der Zulassung zu hören. Die erfolgte Zulassung kann durch Beschluß der für die Zulassung zuständigen BehörA 152 de jeder Zeit sowohl wegen Auf |hörens eines erheblichen Terminhandels, wie aus wichtigen anderen Gründen zurückgenommen werden. Nach einer Ablehnung der Zulassung kann letztere an einer anderen Börse nicht vor Ablauf eines Zeitraums von 6 Monaten vom Zeitpunkt der Ablehnung ab beschlossen werden, es sei denn, daß die Ablehnung lediglich wegen Mangels eines Bedürfnisses erfolgt wäre. In Werthpapieren oder Waaren, welchen die Zulassung zum börsenmäßigen Terminhandel verweigert worden ist,13 darf ein Terminhandel an der Börse nicht stattfinden, noch dürfen für dieselben Terminpreise öffentlich oder in auf mechanische Weise14 hergestellten Kurszetteln oder Briefen 15 notirt werden. Die Befolgung dieser Vorschrift16 ist durch geeignete Disziplinarmaßregeln zu sichern. Diese Vorschrift findet keine Anwendung, so lange die Zulassung lediglich wegen Mangels eines Bedürfnisses nicht begehrt oder wenn sie lediglich wegen dieses Mangels abgelehnt ist. 3. Auf Werthpapiere, welche dem Prospektenzwang nicht unterliegen, finden die vorstehenden 17 Bestimmungen über die Zulassung zum Terminhandel keine Anwendung. 4. Hinsichtlich der gegenwärtig auf Zeit 18 gehandelten Papiere sollen seitens der Lan-

12 Hier wird auf Börsenenquetekommission, Vorschläge II 2, verwiesen. Die definitive Fassung hat Max Weber oben, S. 489, Fußnote 56a, wiedergegeben. 13 In den Vorschlägen heißt es „verweigert ist". 14 In den Vorschlägen heißt es: „auf mechanischem Wege". 15 In der zweiten Lesung war zunächst die Formulierung „Kurszetteln oder Berichten" vorgeschlagen, dann aber „oder Berichten" gestrichen worden. 16 In den Vorschlägen heißt es „Die Befolgung dieses Verbots". 17 Bei der Überarbeitung wurde nach „vorstehenden" das Wort „beschränkenden" eingefügt. 18 Bei der Überarbeitung wurde „auf Zeit" durch „börsenmäßig auf Termin" ersetzt.

V. Effekten-Terminhandel

und Börsenspiel

547

Eine wirklich grundsätzliche Stellungnahme zu der Frage des A 153 Effekten-Terminhandels überhaupt aber erforderte die grund-| sätzliche Erörterung der Bedeutung der Effektenspekulation, die A 154 hier unterbleiben muß. Nur Folgendes sei bemerkt. Man kann mit 5 einem Eingreifen in den Effekten-Terminhandel verschiedene Zwecke verfolgen wollen. Entweder den des „Schutzes des Publikums". Alsdann ist es ungerechtfertigt - was der Börsengesetzentdesbehörden für die Anwendung der vorstehenden allgemeinen Grundsätze Übergangsbestimmungen getroffen werden.. II. pp. (betrifft Waaren). 1 9 III. Der Bundesrath und die Zulassungsbehörden sind befugt, den börsenmäßigen Terminhandel auch in dem Falle zu untersagen, wenn derselbe stattfindet, ohne daß die Zulassung nachgesucht ist. D. Börsenspiel. 1. Wer in gewinnsüchtiger Absicht unter Benutzung des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit eines Anderen denselben in Bezug auf Börsenpapiere zum Abschluß von Geschäften, welche nicht zum Gewerbebetriebe desselben gehören, verleitet, obwohl er weiß oder nach den Umständen annehmen muß, daß der Umfang der Geschäfte die wirthschaftliche Existenz des Verleiteten gefährdet, wird mit Gefängniß bis zu sechs Monaten und zugleich mit Geldstrafe bis zu zehn Tausend Mark bestraft. | Die gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher in gewinnsüchtiger Absicht unter Benut- A zung der Unerfahrenheit eines Anderen solche Geschäfte für sich oder Dritte abschließt, obwohl er weiß oder nach den Umständen annehmen muß, daß der Umfang h der Geschäfte die wirthschaftliche Existenz des Gegenkontrahenten gefährdet. Wird die Verleitung gewohnheitsmäßig betrieben, so tritt Gefängnis nicht unter einem Monat und Geldstrafe bis zu zwanzig Tausend Mark ein. Auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. 2. Ein entgegen der Vorschrift des zweiten Absatzes zu 1 abgeschlossenes Geschäft begründet keine Ansprüche. Aus einem Geschäfte, welches in Folge der im ersten Absatz zu 1 unter Strafe gestellten Verleitung abgeschlossen ist, entstehen keine Ansprüche zwischen dem Verleiteten und dem Verleiter, sowie zwischen dem Verleiteten und einem Dritten, wenn Letzterer um die Verleitung gewußt hat oder die Verleitung von seinem Handelsangestellten in Ausübung seiner Verrichtungen oder von seinem zur Vermittlung von Geschäften der bezeichneten Art Beauftragten bewirkt worden ist. Das auf Grund des Geschäfts Geleistete kann zurückgefordert werden. Das Recht der Zurückforderung des bei oder nach Abwicklung des Geschäftes Geleisteten verjährt in 2 Jahren seit dem Tage der Leistung. 3. Gegen Differenzansprüche aus Zeitgeschäften über Börsenpapiere, sowie aus börsenmäßigen Termingeschäften über Waaren kann ein Einwand nicht darauf gegründet

h A: fang 1 9 Die Abschnitte zum Produktenterminhandel hat Max Weber ausgelassen: „II. Waaren. II B. Börsenregister für Termingeschäfte in Waaren. II C. Lieferungsqualität; K ü n d i g u n g s wesen."

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

wurf inzwischen auch redressirt hat 20 Schranken nur für den Produkten-Terminhandel aufzurichten. Andererseits ist es aber jedenfalls nicht glücklich, eine Schranke nach Art des vorgeschlagenen Terminregisters zu errichten. In hochgehenden Spekulationszeiten erschwingt auch der „Unqualifizirte" die Gebühren. 21 Und die Art 5 der Vorschriften darüber: z. B. die Publikation der Eintragung, also einer Thatsache, die das Publikum gar nichts angeht, hat in der That die ihr nachgesagte Tendenz: dem Spekulanten ein Plakat anzuhängen mit der Inschrift: „Ich bin Spekulant". 22 Das würde, wenn

A 154

werden, daß die Erfüllung durch Lieferung der Papiere von den Vertragschließenden ausgeschlossen worden ist. 4. Es erscheint zweckmäßig, daß seitens der Landesjustizverwaltungen den Staatsanwälten besonders eingeschärft wird, behufs Verfolgung des Differenzhandels bei nachfolgender Zahlungseinstellung - § 210 Ziff. 1 der Reichs-Konkursordnung 23 - den in ihren Bezirken sich ereignenden Konkursfällen ihre besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden und für die Erlangung der Kenntniß von Fällen wirthschaftlichen Ruins in Folge von Differenzgeschäften, 2 4 auch wenn derselbe nicht zum Konkurse geführt hat, thunlichst Sorge zu tragen, sowie daß die Staatsanwälte darauf hingewiesen werden, daß auch eine strafbare | Theilnahme an dem Vergehen seitens derjenigen, welche dem Schuldner die Gelegenheit zu dem Differenzhandel gewährt haben, gemäß der reichsgerichtlichen Rechtsprechung - Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Bd. XVI S. 277, Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen Bd. X S. 277 2 5 - nicht ausgeschlossen erscheint.

20 Max Weber nimmt hier Bezug auf den Entwurf: Börsengesetz 1, der im Juni 1895 bekanntgegeben worden ist. Nach § 51 Satz 1 des Entwurfs: Börsengesetz 1 sollte an jedem zur Führung des Handelsregisters zuständigen Gerichte sowohl ein Börsenregister für Waren wie für Wertpapiere geführt werden. In dem inzwischen verabschiedeten Börsengesetz vom 22. Juni 1896 ist diese Bestimmung beibehalten worden. 21 Vor der Eintragung in das Börsenregister war eine Gebühr von 150 Mark zu entrichten. Wollte ein Terminhändler die Eintragung aufrecht erhalten, so mußte er zu Beginn eines jeden Kalenderjahres eine Gebühr von 25 Mark zahlen. §57 BörsG (abgedruckt, unten, S. 987). Die Börsenenquetekommlsslon hatte für das Terminregister in Waren eine wesentlich höhere Gebühr vorgeschlagen: 500 Mark für die Eintragung und für jedes weitere Kalenderjahr 100 Mark. Vgl. die Vorschläge unten, S. 950. 22 Max Weber zitiert aus der wörtlichen Rede von Heinrich Wiener, In: Börsenenquetekommission, Sitzungsprotokolle, S. 261. 23 § 210 Nr. 1 der Konkursordnung vom 10. Februar 1877 ist oben, S. 495, Anm. 2, zitiert. 24 In der Vorlage heißt es „Differenzhandel". 25 Das Urteil des Reichsgerichts bezüglich der Beihilfe zum einfachen Bankrott findet sich In: Rechtsprechung des Deutschen Reichsgerichts in Strafsachen, Band 10, 1888, S.487f. In der definitiven Fassung der Vorschläge war der irrtümliche Seitenverweis verbessert worden.

V. Effekten-Terminhandel

und

Börsenspiel

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überhaupt einen, den Erfolg haben, daß der Terminhandel Spezialgeschäftsform zweifelhafter Elemente würde - den umgekehrten etwa von dem, was erwünscht wäre. Vielmehr könnte nur etwa das Handelsregister zu Grunde gelegt werden. Es ist aber ferner dann überhaupt ungerechtfertigt, nur den Terminhandel zu treffen. Es müßte vielmehr jede Form spekulativen Börsengeschäfts ebenso getroffen werden. Sonst handelt es sich nur um eine Herabdrükkung der spekulativen Geschäftsformen auf eine barbarischere Stufe, denn die Folge der Erschwerung wird die Entwicklung der Spekulation zur Form von Kassa-Prolongationsgeschäften sein. Die Formulirung eines alle spekulativen Geschäfte treffenden Gesetzes dürfte nicht leicht sein. - Oder: man will die Kreditüberspannung | treffen, welche der Terminhandel in Zeiten der Überspeku- A lation unleugbar etwas - es ist fraglich, in welchem Maße - erleichtert. Alsdann würde es richtig sein, nur gedeckte Spekulation zuzulassen, also z. B. unter Verbot aller Nachschüsse die Haftung der Outsiders - also der Nichtkaufleute - auf die bei Abschluß des Geschäfts für dieses speziell gegebenen Einschüsse zu beschränken. Der „Schutz des Publikums" wäre damit preisgegeben, im Gegentheil dessen Zutritt durch Begrenzung des Risiko's eher provozirt. Ebenso würde die mögliche ungünstige Wirkung der Outsiderspekulationen auf die Preisbildung eher gesteigert, da die Geschäfte wahrscheinlich den Charakter von Prämienschlüssen annehmen würden. - Oder aber weiter: man will die spekulative Preisbildung gegen ungerechtfertigte Einflüsse sichern. Alsdann empfiehlt sich neben dem Ausschluß der kleinen Papiere auch der der kleinen Spekulanten, aus den früher besprochenen Gründen; 26 es liegt also der Schwerpunkt der Reformfrage auf dem Gebiet der Börsenverfassung, daneben des Kommissionsgeschäfts und Kursfeststellungswesens. Eine direkt den Terminhandel einschränkende Maßregel würde sich dann nicht rechtfertigen lassen, weil dadurch die Gefahr der Kassaspekulation, die gerade unter dem Gesichtspunkte der Preisbildung bedenklich ist, gesteigert würde. Aber andererseits ergäbe sich auch kein Grund für eine Rechtsänderung im Sinne des Ausschlusses des Differenzeinwandes für Nichtkaufleute, - während innerhalb des Berufshändlerkreises sie wohl ge-

26 Oben, S. 2 5 2 - 2 6 0 .

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Die Ergebnisse

der deutschen

Börsenenquete

rechtfertigt wäre. Außerhalb des letzteren aber entspricht der Differenzeinwand, und zwar in der Art der - allerdings weiter um- und auszubauenden - Rechtsprechung des Reichsgerichts seit 1892, unbedingt dem Rechtsgefühl. Wenn man also schließlich das rechtspolitische Interesse so in 5 den Vordergrund stellt wie Wiener, der auf Grundlage des Rechtsbewußtseins über die Rechtslage Klarheit schaffen wollte,27 so könnte das Termingeschäft nur in ein Standesinstitut der Kaufleute A 156 verwandelt werden; | unter völligem Ausschluß der Klagbarkeit außerhalb des Kreises derselben. Der Vorschlag des Börsenregisters 10 wollte auch diesen rec/ifspolitischen Zweck verfolgen. Daß dieser Zweck gegenüber dem Interesse an der Machtstellung der deutschen Börsen in Betracht komme, muß aber geleugnet werden. |

2 7 Die Ausführungen Heinrich Wieners finden sich in: Börsenenquetekommission, zungsprotokolle, S. 148-151.

Sit-